Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/20/2021

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa verlangt unsere ganze Anstrengung, damit es ein großer Erfolg wird. Aber es ist eben auch so, dass man jahrelang darum kämpfen muss, Reformen voranzubringen. Über eine dieser seit vielen, vielen Jahren notwendigen, aber jetzt gelingenden Reformen sprechen wir heute. Das muss zur Einordnung gesagt werden. Es ist lange vereinbart, dass es eine Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus geben soll, der selber schon eine Reform gewesen ist, weil er als Reaktion auf die letzte große Krise eingerichtet worden ist, um sicherzustellen, dass es uns eben nicht passiert, dass wir Staaten in einer ganz komplizierten Situation nicht helfen können. Aus diesem Grunde ist es ganz, ganz wichtig, dass wir diesen Europäischen Stabilitätsmechanismus immer einordnen. Er ist eine Möglichkeit der europäischen Staaten, gemeinsam und solidarisch auf eine Krise einzelner Mitgliedstaaten zu reagieren. Ich bin froh, dass wir ihn haben, und ich bin noch froher, dass wir ihn jetzt weiterentwickeln können. ({0}) Wie schwierig das Geschäft in Europa ist, dass man strategische Klarheit braucht, einen festen Willen, etwas voranzubringen, und eben auch viel, viel Arbeit da reinstecken muss, kann man gerade hier sehen. Die Reform, die wir hier heute verhandeln, habe ich gleich zu Anfang meiner Amtszeit als Bundesminister der Finanzen mit dem französischen Kollegen Le Maire sehr sorgfältig verhandelt – viele Tage, auch hier in Deutschland – und das auch mit der französischen Regierung und der deutschen Regierung abgestimmt. Diesen Vorschlag haben wir in die europäischen Gremien eingebracht, und nach langen, langen zähen Verhandlungen ist es dann was geworden. Aber damit waren wir noch lange nicht fertig. Denn es hat dann einen ganz langen, immer wieder neuen Prozess gegeben, bis es dann endgültig zu diesen jetzigen gesetzlichen Situationen gekommen ist, die wir hier in Deutschland zu verhandeln haben. In allen Mitgliedstaaten wird diese Reform jetzt unterstützt. Und das ist ein Zeichen dafür, dass Europa handeln kann, nicht nur in einer Krise, sondern insgesamt, um Fortschritte zu erreichen. ({1}) Was wir jetzt machen, ist, dass wir erst mal dafür Sorge tragen, dass es eine Letztsicherung für den Bankenabwicklungsfonds gibt – auch der eine Antwort auf die letzte Krise mit der Absicht, dass es nicht zu große Banken gibt, die dazu führen, dass unser europäisches Finanzsystem in Stabilitätsgefahren gerät. Dieser bekommt jetzt noch eine Letztsicherung, um die ganz klare Botschaft auszusenden, dass wir in jedem Falle in der Lage sind, das Notwendige zu tun, eine Krise des Finanzsystems zu verhindern. Das ist eine gute Botschaft für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das Problem kann bei den Banken selber gelöst werden. Es sind nicht die Staaten, die die Banken retten müssen. ({2}) Was wir darüber hinaus geschafft haben, ist eine neue Verhandlung über die Restrukturierung von Krediten von Staaten – ein heikles Thema, wie sich jeder gut vorstellen kann – mit vielen Mitgliedstaaten, die Zweifel haben, ob eine Neuordnung, wie sie jetzt hier vorgesehen ist, überhaupt etwas ist, was sich politisch gut erklären lässt bei den Bürgerinnen und Bürgern. Aber wir haben alle überzeugt. Es muss verhindert werden, dass, wenn eine Restrukturierung von Schuldenlasten notwendig ist, einzelne Gläubigergruppen diese Neuordnung verhindern können. Deshalb wird das System der Staatsschulden in Europa jetzt modernisiert. Wir haben uns mit einer ganz klaren Position, die wir in Deutschland schon lange richtig gefunden haben, bei allen anderen, ich würde nicht sagen, durchgesetzt; aber wir haben alle anderen überzeugen können. Das war auch etwas, woran wir mehrfach arbeiten mussten, damit das überhaupt klappt. ({3}) Dann ist es natürlich so, dass wir auch die Möglichkeit geben, vorsorgliche Stabilitätshilfen für Staaten im Euro-Raum zustande zu bringen, wenn sie unverschuldet in Not geraten sind – etwas, was wir in der Krise, die wir jetzt haben, schon ganz konkret praktisch gemacht haben, aber hier noch einmal zusätzlich absichern. Wenn man das alles überblickt, dann passt sich das ein in eine Reihe von Vorhaben, mit denen wir daran arbeiten, dass wir in Europa nicht nur eine Währungsunion haben, sondern eine Kapitalmarktunion, dass wir Europa stabiler, zukunftsfähiger machen und dass wir dafür sorgen, dass es im Wettbewerb mit anderen großen Wirtschaftsräumen souverän agieren kann. Das ist unsere Aufgabe, und es ist zugleich unsere Pflicht. Jetzt in der Krise haben wir gemerkt, wie sehr wir davon profitieren, wenn Europa gemeinsam handelt. Es muss unsere Verpflichtung sein, dafür zu sorgen, dass das der Weg wird, den wir immer beschreiten, auch in der Zukunft. Schönen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Peter Boehringer, AfD. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der ESM ist trotz seines Milliardenvolumens und trotz der eben gehörten großen Worte schon lange nicht mehr der zentrale Stützungspfeiler der Euro-Rettung. Inzwischen gibt es ein 800-Milliarden-Programm „Next Generation EU“ auf Basis einer illegalen EU-Verschuldungskapazität. Inzwischen gibt es die riesigen Anleihekäufe der EZB sowie deren ebenfalls riesigen TLTRO-Langzeitkredite – viele Milliarden jeden Tag. Der EU-Jahreshaushalt umfasst heute über 400 Milliarden Euro. Die Target-Salden liegen bei über 1 000 Milliarden Euro, und die EZB-Bilanz wurde alleine 2020/2021 um groteske 3 000 Milliarden Euro ausgeweitet. Dagegen sind die heute ausstehenden ESM-Kredite über 90 Milliarden Euro fast vernachlässigbar, und ich bin bei diesen Größenordnungen vorsichtig mit solchen Worten. Durch ihre aggressive Kaufpolitik senkt die EZB die Renditen am sogenannten freien Kapitalmarkt bis zum Nullpunkt. Dieses planwirtschaftliche Zinsdiktat hat umfangreiche Auswirkungen. Es führt zu Kapitalfehlallokationen, gefährdet die Kaufkraft von Sparvermögen und die Altersvorsorge, es fördert die Überschuldung und Zombiefizierung von Firmen und erhöht Konkursrisiken. Der Nullzins bewirkt eine Blasenbildung auf allen Vermögensmärkten und führt zu einer Umverteilung von Arm zu Reich. ({0}) Die EU-Fans nehmen diesen Wahnsinn zulasten deutscher Bürger kaum war, obwohl er gerade die sozial Schwachen trifft, für die jedoch nur die AfD eintritt. ({1}) EU und EZB haben praktisch alle ihre vertraglichen Vereinbarungen gebrochen. Dabei waren die Stabilitätskriterien von Maastricht einstmals die Einführungsbedingung Deutschlands für das Euro-System. Die EZB betreibt über grüne Anleihekäufe eindeutig Wirtschaftspolitik. Sie handelt damit vertrags- und mandatswidrig. ({2}) Die inzwischen billionenschweren Gemeinschaftshaftungen sind unverantwortlich, wegen Artikel 125 AEUV auch illegal und widersprechen dem marktwirtschaftlichen Prinzip des Artikels 119 AEUV. Nach über zehn Jahren der verheerenden Euro-Dauerrettung ist es an der Zeit, eine generelle Änderung des europäischen Geldsystems anzustreben, indem jedem Staat seine währungspolitische Souveränität wieder zurückgegeben wird. ({3}) Deutschland muss einen Plan zum Austritt aus dem Euro-System inklusive ESM ausarbeiten – auch wenn Sie dagegen anschreien. Die geplante ESM-Reform zeigt jedoch, dass Sie alle bestrebt sind, den gegenteiligen Weg zu beschreiten, hin zu mehr Zentralismus und Planwirtschaft. Das Hauptziel der heute verhandelten Reform ist es, dem ESM weitere Überwachungskompetenzen zu geben sowie eine Art europäischen Währungsfonds zu schaffen, mit dessen Hilfe eine supranationale Institution namens EU demokratisch legitimierte nationale Haushalte schließlich kontrolliert. ({4}) Die ESM-Änderungen sind ein weiterer Schritt, eine seit zehn Jahren dysfunktionale Währung durch Ausweitung der Kompetenzen ihrer Zentralplanungsorgane künstlich am Leben zu erhalten. Doch außer der AfD scheint das niemanden mehr zu stören, auch die FDP nicht. Sie analysiert und optimiert lieber im Kleingedruckten, weil sie insgeheim den Kurs der EU-Sozialisten voll mitträgt, wie sich jüngst gezeigt hat, als die FDP dem Dammbruch der EU-Verschuldung zugestimmt hat. ({5}) Der Euro wurde mit Versprechungen eingeführt. Man versprach uns Wohlstand, doch wir hatten Wohlstand. Man versprach uns Frieden, doch wir hatten Frieden. Man sagte, der Euro würde eine stabile Währung sein, doch wir hatten die stabilste Währung der Welt. Ein Ausstieg aus Euro und ESM würde die Wiederbelebung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ermöglichen mit ihrem stabilen System von atmenden ECU-Wechselkursen. Für Deutschland hätte das fast nur Vorteile. Die erhebliche Steigerung der Kaufkraft käme insbesondere den unteren Einkommensschichten sowie Sozialhilfe- und Rentenempfängern zugute. Falls Deutschland dagegen im Euro bleibt, wird die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgehen. Wollen wir das? ({6}) Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Markus Uhl, CDU/CSU. ({0})

Markus Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in der ersten Lesung mehrere Gesetzentwürfe zur Reform des Europäischen Stabilisierungsmechanismus. Ja, die Hochphase des ESM ist vorbei; sie lag in der Euro-Krise zwischen 2010 und 2015. Der Bundestag und auch der Haushaltsausschuss haben sich in vielen Sitzungen mit den Hilfsprogrammen beschäftigen müssen. Herr Präsident, Sie werden daran gute oder vielleicht auch weniger gute Erinnerungen haben. ({0}) Fakt ist: Nach dem letzten Hilfsprogramm für Griechenland 2015 bis 2018 haben sich keine weiteren ESM-Programme mehr ergeben. Die Euro-Krise ist erfolgreich beendet, und daran hat der ESM einen großen Anteil. ({1}) Die Rückzahlung der Kredite wird gleichwohl noch einige Jahrzehnte dauern. Nach Abschluss der Programme ist und bleibt der ESM ein wichtiger Pfeiler der Architektur der europäischen Gemeinschaftswährung. Das grundlegende Ziel des ESM ist es, den Kapitalmarktzugang der Mitgliedstaaten der Euro-Zone zu sichern. Das bekannte Prinzip des ESM lautet: Kredite gegen Reformen und Haushaltskonsolidierung. ({2}) Die Nachfrage nach neuen ESM-Programmen ist derzeit nicht gegeben. Nun kann man argumentieren: Ja, dann brauchen wir den ESM halt nicht mehr, weil wir ja neue Programme, aktuelle Programme, zum Teil auch in Reaktion auf die Coronakrise, haben. – Aber das wäre grundfalsch. Denn es wird bald die Zeit kommen, in der die EZB aus dem Anleihekaufprogramm aussteigen wird. ({3}) Die Inflationssorgen an den Märkten sind ja da, und die coronabedingten Hilfsprogramme werden auslaufen. Wir haben immer gesagt, meine Damen und Herren: All das ist kein Einstieg in die Fiskal- oder Schuldenunion – was auch immer hier von sich gegeben wird. ({4}) Wir müssen zurück zu einem Zustand, in dem die Staaten wieder selbst für solide Staatsfinanzen sorgen und selbst für ihr Rating vor den Kapitalmärkten geradestehen. ({5}) Dann wird auch die Bedeutung des ESM wieder zunehmen, meine Damen und Herren. Das Prinzip „Kredite nur gegen Reformen“ müssen wir weiter zur Geltung bringen. Das ist in unserem ureigenen Interesse und zum Schutz der europäischen Steuerzahler. ({6}) Die ESM-Reform, über die wir heute in erster Lesung beraten, stärkt den ESM vorausschauend für die Nachcoronazeit. Der ESM bekommt neue Kompetenzen – der Herr Finanzminister hat es ja eben ausgeführt – gegenüber der EU-Kommission. Er darf umfassender als bisher auf die Programmgestaltung und Programmüberwachung Einfluss nehmen, er darf Tragfähigkeitsanalysen nun selbst erstellen. Das Instrument der vorsorglichen Kreditlinie PCCL wird geschärft, und – das ist die zentrale Neuerung – der ESM wird nicht nur Staaten Darlehen geben können, sondern auch dem europäischen Bankenabwicklungsfonds SRF. Dafür – und das ist richtig – entfällt das hochumstrittene Instrument der direkten Bankenbeteiligung. Sind ESM-Darlehen für Banken also doch Steuergeld für Banken, wie manche hier meinen? Nein, meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall. Wenn eine große europäische Bank – und es geht hier nur um große Banken – in Schieflage gerät, kommt eine Haftungskaskade zum Tragen. Zunächst müssen die Eigentümer und die Gläubiger ran: das sogenannte Bail-in über 8 Prozent der Verbindlichkeiten der Bank. Wenn das nicht ausreicht, wird der europäische Abwicklungsfonds SRF einspringen. Dieser wird aus Bankenabgaben mit einer Zielgröße von 68 Milliarden Euro gespeist. ({7}) Bis dahin folgt die Rettung der Banken rein aus dem Bankensektor selbst, egal was Sie hier behaupten. Und erst wenn das nicht ausreicht, meine Damen und Herren, dann kann der ESM als sogenannte Letztsicherung, als Common Backstop, als Ultima Ratio dem SRF einen Kredit gewähren. ({8}) Der SRF muss diesen Kredit im Übrigen auch aus den Bankenabgaben seiner Mitglieder wieder zurückzahlen. Damit steht der europäische Bankensektor selbst für die Rückzahlung gerade. Mit dieser Haftungskaskade, meine Damen und Herren, sorgen wir dafür, dass nicht mehr einzelne Staaten und damit die Steuerzahler dieser Staaten für die Banken geradestehen, sondern die Banken eben selbst. Der ESM gibt lediglich die Letztsicherung ab. Aus diesem Grund sind wir immer dafür eingetreten, dass die Risiken in den Bankenbilanzen abgebaut werden. Die notleidenden Kredite müssen runter, und das bail-in-fähige Kapital muss erhöht werden. Corona hat dem Risikoabbau in der Tat einen Dämpfer versetzt. Deshalb brauchen wir hier schleunigst eine Bestandsaufnahme, Herr Bundesfinanzminister, worum ich Sie an dieser Stelle auch höflich bitte. Falls der Darlehensfall eintreten sollte, wird der Bundestag – insbesondere der Haushaltsausschuss – seiner Verantwortung gerecht werden. Wir müssen dann schnell tagen, meine Damen und Herren. Innerhalb weniger Stunden bis zur Eröffnung der Börsen müssen Entscheidungen getroffen werden. Ich glaube, es bietet sich an dieser Stelle an, auch mal eine Trockenübung oder einen Stresstest durchzuführen. ({9}) Ich komme zum Schluss. Die ESM-Reform ist richtig. Sie stärkt den ESM und schützt den europäischen Steuerzahler vor Insolvenzen von Staaten und Banken. Wir müssen in Europa wieder solide Finanzen zum Ziel der Haushaltspolitik machen. Mittelfristig müssen die EZB-Anleihekäufe und das Aufbauinstrument wieder auf null zurückgeführt werden. Dann wird die Zeit des ESM wiederkommen, und dafür brauchen wir diese Reform. Vielen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Otto Fricke, FDP. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Drei Minuten für so wesentliche Umbauten, drei Minuten für so wesentliche Entscheidungen und für die Frage – das muss man hier einmal ganz ehrlich hervorheben –, wie wir in Europa mit der Erkenntnis umgehen, dass Europa ein stabiles Finanz- und Wirtschaftssystem braucht, sind viel zu wenig. Es entspricht nicht dem, was wir heute hier an Verantwortung übernehmen. Das will ich für meine Fraktion ausdrücklich festhalten. ({0}) Wenn Sie das auch so sehen, dann können Sie ja sagen: Dann machen wir zusätzliche Sitzungswochen. – Meine Fraktion weiß ganz genau, dass wir Abgeordnete auch im Juli und August als Fraktion und als Parlament tagen können. Dann machen Sie das; dann werden Sie Ihren Aufgaben und Ihrer Verpflichtung gerecht. Dann lassen Sie uns länger über solch wichtige Dinge reden als nur drei Minuten. ({1}) Aber gleichzeitig ist doch klar, dass es bei dem, was wir hier machen – der Bundesfinanzminister hat das an dieser Stelle deutlich gesagt –, um eine wesentliche Veränderung geht. Man hat lange gerungen und diskutiert. Aber es scheint mal wieder so unwesentlich zu sein, dass man mal eben so – klein, schnell – in einer Nichtsitzungswoche eine Anhörung macht; ich bin trotzdem dankbar, dass wir es grundsätzlich tun. ({2}) Aber der ESM, über den wir hier reden, ist dann kein Rettungsschirm mehr. Das ist ein Messezelt. Wir bauen beim ESM ganz wesentlich um. Man kann dafür, man kann dagegen sein, man kann sich enthalten. Aber wir müssen erkennen: Es ist ein wesentlicher Umbau. Ich sage deutlich in Richtung Bundesregierung und in Richtung Koalition: Wenn es wirklich wesentlich ist, dann beziehen Sie auch die Opposition mit ein und sagen: Das ist so wesentlich, wir brauchen da eine Zweidrittelmehrheit. ({3}) Denn solch wesentliche Reformen, die dauerhaft die Strukturen Europas verändern, mal eben so ohne die notwendigen Änderungen, die verfassungsrechtlich eigentlich geboten wären, zu beschließen, ist europäisch jedenfalls unverantwortlich. ({4}) Meine Damen und Herren, zur Letztabsicherung der Banken will ich deutlich sagen: Warum jetzt? Warum ziehen wir sie zwei Jahre vor? Wir haben immer noch massenhaft faule Kredite. Warum ziehen wir die bisherigen Lösungsmechanismen auf die europäische Ebene in die Haftung des ESM, grob in einem Volumen von bis zu 68 Milliarden Euro? Zur Frage, wann die Banken das zahlen, Kollege Uhl, ist anzumerken, dass wir sehen müssen, wann das überhaupt aufgefüllt ist. ({5}) Und dann, Herr Minister: Sind Sie sicher, dass die Unabwägbarkeiten des Finanzmarktes während Corona und nach Corona in den Bankbilanzen schon so abgesichert sind, dass wir den ESM hierfür wirklich zur Verfügung stellen können? Auch da: erhebliche Bedenken. – Kommen dann noch die Äußerungen des Haushaltskommissars zu der Frage der 60-Prozent-Grenze dazu, dann, muss ich sagen, ist das ein viel zu großes Risiko, dass man das hier mal eben so durchwinkt. ({6}) Meine Damen und Herren, es gibt auch Dinge, die die FDP ausdrücklich unterstützt: Die Frage des vereinfachten Gläubigerverfahrens, die Single-Limb Collective Action Clauses, wird von meiner Fraktion ausdrücklich unterstützt; denn dieses Verfahren muss pragmatischer, schneller und klarer werden, damit deutlich ist, wo Gläubiger, wo Schuldner, wo Verluste sind und wer welchen Anteil zu tragen hat. Und schließlich: Ich hoffe, dass wir am 31. Mai in der Anhörung, wenn wir die – mit Shakespeares Worten aus „König Lear“, dritter Akt, vierte Szene – „kundigen Thebaner“ hören, noch Erkenntnisse gewinnen sowohl von den Sachverständigen als auch – das sage ich nochmals ausdrücklich für meine Fraktion – von der Koalition, wie wir verantwortungsvoll mit dieser großen Aufgabe, dieser großen Reform umgehen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Reform packt das Problem nicht bei der Wurzel. Der ESM ist eine Blackbox, die vom Bundestag nicht kontrolliert werden kann. Darum werden wir diesen Weg nicht unterstützen, meine Damen und Herren. ({0}) Finanzminister Scholz sagte in einem Interview – ich zitiere –: Die ESM-Reform stärkt den Euro und den gesamten europäischen Bankensektor. Denn wir machen die Euro-Zone noch robuster gegenüber den Attacken von Spekulanten. Aber, so frage ich, ist eine staatliche Stärkung des europäischen Bankensektors wirklich ein Schutz vor Spekulanten? Die Geschichte lehrt uns etwas anderes. Ein Blick zurück. Die Banken wurden doch vor der Finanzkrise mit Unterstützung von Union und SPD zu Casinos umgebaut. Die Deregulierung der Finanzmärkte hat doch erst die Dollarzeichen in die Augen der Spekulanten gezaubert. ({1}) Was wir brauchen, ist endlich eine klare Regulierung der Finanzmärkte. Das ist unsere Forderung. ({2}) Nur so, meine Damen und Herren, können wir zukünftige Krisen verhindern. Ein erster Schritt wäre endlich eine wirksame Finanztransaktionsteuer. Sie wird uns inzwischen seit vielen Jahren versprochen, aber noch nicht geliefert. Hier muss endlich gehandelt werden, Herr Finanzminister! ({3}) Der nächste Kritikpunkt: fehlende Kontrollmöglichkeiten des Bundestages. Dazu hat der Bundesrechnungshof einen sehr kritischen Bericht vorgelegt. Er stellt unter anderem fest, dass das Finanzministerium den Haushaltsausschuss eben nicht umfassend, transparent und angemessen informiert habe. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren. ({4}) Und jetzt soll der ESM noch mehr Macht bekommen. Er soll neue Analysebefugnisse bekommen und bei der Aushandlung der Auflagen einer Finanzhilfe beteiligt werden. Was heißt das im Klartext? Die EU-Finanzminister wollen die Verantwortung nicht öffentlich tragen, sie wollen sich die Finger nicht schmutzig machen. Jetzt soll eine anonyme Behörde über die Verwendung von Daumenschrauben entscheiden. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren! ({5}) Was das heißt, das hat Griechenland schmerzhaft erfahren. Die Auflagen waren brutal und ökonomisch unsinnig. Die griechische Wirtschaft hat sich bis heute nicht davon erholt. Die Schuldenquote Griechenlands ist heute höher als vor der Finanzkrise. Das war nicht Solidarität, das war nicht Hilfe. Das war Erpressung, meine Damen und Herren. ({6}) Man kann das natürlich auch aus einer anderen Perspektive sehen; vielleicht haben ja Union und SPD diese Perspektive. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle rechnete uns vor, dass Deutschland aus der Griechenlandkrise einen Zinsgewinn von rund 100 Milliarden Euro ziehen konnte. Ich wiederhole: ein Zinsgewinn von rund 100 Milliarden Euro! ({7}) Ich sage noch einmal: Das ist das Gegenteil von Solidarität, meine Damen und Herren. ({8}) Wir als Linke sagen: Wir wollen ein solidarisches Europa. Wir wollen ein Europa der Menschen und nicht der Banken. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Die ESM-Reform ist ein Fortschritt, auch wenn wir uns weiter gehende Reformen gewünscht hätten. Aber das ist der richtige Weg für eine bessere Wirtschafts- und Währungsunion. Wir als Grüne sagen klar: Das unterstützen wir. ({0}) Denn mit dieser Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus kommt endlich auch – darauf wurde zum Beispiel vom Kollege Uhl schon hingewiesen – die Letztsicherung für den europäischen Abwicklungsfonds in Form einer Kreditlinie des ESM. Worum geht es dabei? Es geht darum, dass das europäische Abwicklungsregime im Falle einer großen Krise von großen europäischen Banken finanziell so groß ist, dass kein Finanzinvestor gegen den Euro und kein Finanzinvestor gegen europäische Staaten wetten kann, weil er annimmt, dass das Volumen der Europäischen Union und des Abwicklungsregimes finanziell nicht groß genug sei, dass es das stemmen könnte. Darum geht es. Die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt dazu kommt, ist in den letzten Jahren durch verschiedene Maßnahmen auf europäischer Ebene geringer geworden, auch durch die Haftungskaskade, wo sehr klar Gläubiger zuerst beteiligt werden. Und sie wird noch geringer, wenn wir diese Letztsicherung hier beschließen; denn dann kann eben nicht mehr darauf gewettet werden. Was wir hier machen, ist also eine Vorsichtsmaßnahme, die das Risiko für Finanzkrisen reduziert und damit auch das Risiko für den Bundeshaushalt, und das unterstützen wird. ({1}) Um das noch mal klarzustellen: Wir wollen nicht, dass Banken, die schlecht wirtschaften, künstlich mit Steuergeld am Leben gehalten werden. Die Letztsicherung ist ein Kredit, kein Zuschuss. Dieser Kredit muss auf Euro und Cent von den Banken wieder zurückgezahlt werden. Es ist auch richtig, dass mit dieser Reform das Instrument der Direktkapitalisierung des ESM für Banken abgeschafft wurde; auch das ist ein Fortschritt. Es ist völlig klar: Bei Bankenpleiten müssen die Eigentümer, müssen die Gläubiger zahlen und nicht die Steuerzahler. Das muss gesichert werden! ({2}) Nur was bei der ESM-Reform leider völlig missraten ist, ist die Reform der vorsorglichen Kreditlinien, leider auch auf Druck der Bundesregierung. Statt den Zugang zu vereinfachen, wird der Zugang noch erschwert. ({3}) Selbst Deutschland könnte wahrscheinlich in einer Situation wie jetzt die Coronakrise, wo man unverschuldet in eine Notlage gekommen ist, nach den Kriterien, die jetzt verlangt werden, nicht die vorsorglichen Kreditlinien beantragen. So nützt das Instrument leider nichts. Es ist doch gerade dafür gedacht, dass Staaten, die unverschuldet in Not geraten, schnelle Hilfen über den ESM in Aussicht gestellt werden. ({4}) – Nein, schon mit Bedingungen, aber mit sinnvollen Bedingungen und nicht mit Bedingungen, wodurch kein Land diese Kreditlinien in Anspruch nehmen kann. Was nichts bringt, ist, ein Instrument zu haben, das niemand in Krisen in Anspruch nehmen kann; das macht keinen Sinn. Das ist leider auch auf Druck der Bundesregierung entschieden worden. ({5}) Was wir jetzt in der Pandemie gesehen haben, ist, dass Europa in Krisen fiskalpolitisch handlungsfähig ist, aber gerade nicht durch den ESM, sondern durch neue Instrumente: durch das Wiederaufbauinstrument und durch das Programm SURE beim Kurzarbeitergeld. Frappierend war, dass der ESM nicht genutzt wurde, obwohl man sehr früh gesagt hat: Wir ermöglichen jetzt schnelle Coronasoforthilfen über den ESM zu günstigen Finanzierungsbedingungen und zu angemessenen Konditionen. – Das hat aber kein Land in Anspruch genommen, weil der ESM leider auch durch zu harte Anpassungsprogramme in der Vergangenheit politisch in manchen Ländern verbrannt worden ist, gerade in südeuropäischen Ländern. Das mag einem gefallen oder nicht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Kindler, die Lampe zeigt Ihnen an, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist. Bitte kommen Sie zum Ende.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Das zeigt: Der ESM ist ein wichtiges Kriseninstrument. Aber wir müssen ihn politisch rehabilitieren und neues Vertrauen gewinnen. Er muss reformiert werden, damit er auch in Krisen wirklich eingesetzt werden kann. Dafür muss sich eine neue Bundesregierung einsetzen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Christian Petry, SPD. ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im Prinzip ist das heute ein guter Tag für Europa. Markus Uhl hat die Details schon genannt. Es ist eine lange Strecke gewesen; ich persönlich hätte mir gewünscht, dass der gute Tag etwas früher gekommen wäre. Aber ich bin Olaf Scholz ausdrücklich dankbar, dass er in dieser Krise mit seiner Beharrlichkeit diesen Weg eröffnet hat; denn das ist die Perspektive für Europa, die wir brauchen. Es ist nicht die alleinige; das ist klar. Hier geht es ums Geld, und es ist schwer, zu erklären. Aber die Stabilität und die Weiterentwicklung des ESM – – ({0}) – Ja, Herr Boehringer! ({1}) – Ihre gequirlten Thesen waren ja wirklich Unsinn hoch drei. ({2}) Wenn Sie ein klein wenig Kompetenz hätten, dann wüssten Sie, dass das, was Sie hier geredet haben, alles Blödsinn war. ({3}) Der ESM hat seine Wirkung schon entfaltet. Als Olaf Scholz im April letzten Jahres mit Bruno Le Maire das Rettungspaket auf den Weg gebracht hat, das neben vorsorglichen Kreditlinien auch ein europäisches Kurzarbeitergeld, das Arbeitsplätze gesichert hat, umfasste, haben wenige Staaten diese in Anspruch nehmen müssen, weil das allein schon als Absicherung gereicht hat, damit die Nationalstaaten kreditfähig waren. ({4}) Allein das war schon ein wichtiger Schritt und ging nur mit Olaf Scholz und nicht mit anderen. ({5}) Das muss man hier mal sagen: Das war in diesem Sinne so mit anderen nicht möglich. Die Herausforderungen der Finanzkrise und der Staatshaushaltskrise haben natürlich dazu geführt, dass wir den Finanzmarkt mit der Bankenunion und der Kapitalmarktunion stabiler gemacht haben. Das Bail-in – das wurde eben schon genannt; das ist ganz wichtig –, die Gläubigerhaftung vor der Haftung des Staates, steht als Instrument zur Verfügung und wird erweitert. Herr Kindler, Sie haben eben etwas von erschwertem Zugang gesagt. Sie haben aber mit keinem einzigen Satz gesagt, wo es erschwerten Zugang gibt. Ich bin immer noch am Rätseln, was Sie überhaupt meinen; denn der Zugang zu Krediten wird doch erleichtert. Das ist doch klar. Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit und erklären das. Es hat wirklich gefehlt. Sie haben es gesagt, und ich bin verwundert.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Petry?

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, Herr Präsident.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kindler.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege Petry, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Wir wollen jetzt eine Reform bei dem Instrument der vorsorglichen Kreditlinie vornehmen, der sogenannten PCCL. Dabei geht es darum, dass den Staaten im Krisenfall, wenn sie unverschuldet in Not geraten sind, vorsorgliche Kreditlinien zur Verfügung gestellt werden, damit sie nicht weiter unverschuldet in Not geraten. Die Zugangskriterien ex ante, also vorher, wurden jetzt noch einmal festgestellt und verschärft. Sie sehen vor, dass Staaten eine Staatsschuldenquote von unter 60 Prozent des BIP haben müssen oder sich in den letzten zwei Jahren dieser 60-Prozent-Grenze in je Zwanzigstel-Schritten genähert haben müssen. Sie dürfen kein gesamtstaatliches Defizit über 3 Prozent haben. Sie müssen sogar einen strukturellen Haushaltsüberschuss haben. Ich will damit sagen: In der Coronakrise haben wir fast überall sehr große Defizite, weil alle Staaten unverschuldet in Not geraten sind. Nach den Kriterien, die wir abgefragt haben, wird auch in normalen Zeiten kaum ein Staat vorsorgliche Kreditlinien beantragen können. Deswegen wird dieses Instrument nicht funktionieren. Es wurde verschärft und wird in der Krise von den Staaten leider nicht in Anspruch genommen werden können, und das kritisieren wir. ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Kindler, für Ihre Erläuterungen. Das mag so sein. Ich will gar nicht in Abrede stellen, was Sie sagen. Aber: Dann haben Sie nicht das richtige Verständnis vom ESM, muss ich sagen. ({0}) Da bin ich jetzt etwas erstaunt. Wir haben die Absicherung auf europäischer Ebene, wir stabilisieren in der Banken- und Kapitalmarktunion, und wir haben immer noch die nationale Verantwortung, die am Anleihemarkt ja auch wahrgenommen wird, selbst von Italien und Griechenland; das wissen Sie. Insoweit haben wir hier mit dem ersten und zweiten Gesetz, die eingebracht worden sind, die Zugänge eigentlich erleichtert. Deswegen mein Unverständnis. Die Zugänge zum ESM werden durch die Gesetze erleichtert und flexibilisiert. Wir haben im vierten Gesetz zum Beispiel auch die Umschuldung erleichtert; Herr Kollege Fricke hat es genannt. Auch das ist etwas, was man durchaus wahrnehmen muss. Man kann ja anderer Meinung sein; das ist gar nicht das Problem. Aber ich denke, da besteht bei Ihnen ein Missverständnis über die Rolle des ESM. Wie gesagt, darüber kann man trefflich diskutieren. Ich glaube, dass wir mit diesen Gesetzen Europa tatsächlich stärken, dass wir die Absicherung auf dem Finanzmarkt verbessern und dass wir die Kapitalmarktunion weiterentwickeln. Daraus folgt das Reizthema: Wollen wir hin zu einer Finanzmarktunion? Ich sage Ja, andere sagen Nein. Das wird die Debatte, die wir in der Zukunft führen müssen: Wohin wollen wir Europa entwickeln? Heute ist ein guter Tag für Europa; denn das bringt uns alle tatsächlich weiter. Deswegen bin ich Olaf Scholz ausdrücklich dankbar, (Peter Boehringer [AfD]: Das sagten Sie schon! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das müssen Sie nicht in jeder Rede fünfmal sagen! dass er diesen europäischen Weg geht und das vorantreibt. Vielen Dank. Glück auf! ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Alexander Radwan, CDU/CSU. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Tagesordnung heute steht die Reform des ESM. Da lohnt es sich, erst mal einen Blick darauf zu richten, wo wir herkommen. In der Staatsschuldenkrise, in der Euro-Krise, sind wir der Thematik begegnet, indem wir eine Troika eingesetzt haben. Wir haben die Europäische Zentralbank, die Kommission und den IWF in die Verantwortung genommen, die Strukturierung in den Mitgliedstaaten durchzuführen. Wir haben den IWF damals als Externen geholt, als jemanden, der die Erfahrung hat. Er hat damals schon gesagt: Europa muss zukünftig ein Stück weit eigene Verantwortung dafür übernehmen. – Die Antwort Europas darauf waren der ESM und die Entwicklung des ESM. Darum begrüße ich ausdrücklich, dass der ESM weiterentwickelt wird. Ich betone „weiterentwickelt“, weil wir nicht am Endpunkt sind. Das ist aus meiner Sicht ein Zwischenschritt. Wir können jetzt besser auf die Krisen reagieren; das wurde vom Finanzminister schon ausgeführt. Die Letztsicherung des SRB hat jetzt einen Backstop in diesem Bereich, wobei ich schon betonen möchte – ich denke, der Kollege Petry, der jetzt gerade mit dem Kollegen Binding intensiv darüber diskutiert, hat damit EDIS gemeint –: ({0}) EDIS kann nicht der nächste Schritt in diesem Bereich sein. Ich hoffe, Herr Finanzminister, dass Sie jeglicher Versuchung, auch unter portugiesischer Präsidentschaft, widerstehen, in dem Bereich nachzugeben. ({1}) EDIS kann der Schlusspunkt sein. Wir müssen erst die NPL-Thematik nach der Coronakrise genau analysieren, bevor wir den nächsten Schritt in diesem Bereich gehen. Es geht um die Restrukturierung der Staaten, um auf kleinere Krisen reagieren zu können. Vorhin wurden ja die Analysethematik des ESM und die Unabhängigkeit in diesem Bereich kritisiert. Ich kann nur sagen: Ich bin sehr froh, dass wir mit dem ESM ein Stück weit eine unabhängige Organisation auf europäischer Ebene haben, die parallel zur Kommission Analysen und Vorgaben macht und diese dann auch implementieren möchte, um eben aus dem politischen Wirrwarr – in Anführungszeichen – auf europäischer Ebene herauszukommen und entsprechend Unabhängigkeit zu haben. Darum ist das ein Riesenfortschritt. ({2}) Meine Damen und Herren, der Kollege Petry hat ja in die Zukunft geschaut. Darum sagte ich: Es ist notwendig, zu analysieren, was bisher passiert ist. Wir haben die Pandemie. Wir haben eine neue Form der Eigenmittelfinanzierung auf europäischer Ebene. Wir haben den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der ausgesetzt ist. Das heißt: Die Mitgliedstaaten können sich entsprechend verschulden und machen dies auch. Darum müssen wir natürlich schauen, wie wir die nächsten Jahre gestalten. Wir müssen die Europäische Zentralbank in ihrer Verantwortung für den Währungsraum entlasten. Die Zinspolitik ist ja etwas, was wir regelmäßig thematisieren und von unserer Seite auch kritisieren. Aber wir können nicht davon ausgehen, dass das immer so bleibt. Darum ist es dringend notwendig, dass wir die Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene wieder in die Verantwortung nehmen. Darüber müssen wir bereits jetzt nachdenken. Das heißt: Die Strukturreformen in den Mitgliedstaaten müssen umgesetzt werden. Wir müssen darauf achten, dass die europäischen wie auch die nationalen Gelder, die dort hineinfließen, nicht die wenig effizienten Strukturen manifestieren, ({3}) sondern dafür genutzt werden, zukunftsfähig zu werden. ({4}) Darum müssen wir auf der einen Seite die Diskussion über die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts führen, das heißt, dann, wenn er wieder eingesetzt wird. Gleichzeitig müssen wir darüber nachdenken, dass er, wenn er wieder eingesetzt wird, auch handlungsfähig sein muss. Er muss entsprechend vereinfacht werden. Es müssen darin weniger Ausnahmen verankert sein. Wir müssen bei der Reform aufpassen, dass entsprechende Ausnahmen nicht vorgesehen werden. In Zusammenhang mit dem Green Deal gibt es ja schon Diskussionen in Brüssel: Sämtliche fiskalische Investitionen in den Umweltbereich gegen den Klimawandel sollen nicht mehr haushälterisch wirksam sein. – Meine Damen und Herren, dann werden wir erleben, wie Europa über Nacht ergrünt und alle negativen fiskalischen Ausgaben auf einmal umweltrelevant sind. Dem müssen wir widerstehen. Wir müssen jetzt aufpassen bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Bei dieser Diskussion erwarte ich mir schon auch einen Lead von Deutschland, Herr Finanzminister. ({5}) Wir müssen dafür sorgen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt durchsetzbar wird. Ich hoffe auf den ESM und nehme einen Gedanken des früheren Finanzministers Wolfgang Schäuble auf, wenn Sie mir gestatten. Er hat gesagt: Wir müssen schauen, dass die Durchsetzbarkeit auf europäischer Ebene ein Stück weit unabhängig von der Kommission wird. – Ich würde mir wünschen, dass bei der Währungsthematik zukünftig auf europäischer Ebene eine Institution ist wie beim Kartellrecht. Nicht jede Entscheidung beim Kartellrecht der Europäischen Union gefällt uns, aber hier setzt sich Europa gegen die Mitgliedstaaten durch. Darum müssen wir dafür sorgen, dass der Prozess der Durchsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts entpolitisiert wird, meine Damen und Herren. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten müssen wir hier einfordern. Das bedingt, meine Damen und Herren, dass wir in Deutschland eine entsprechende Vorreiterrolle haben. Das heißt, wir müssen auch in Deutschland alles daransetzen, nach der Bundestagswahl fiskalische Disziplin walten zu lassen, nicht weiter in die Verschuldung zu gehen. Nur so können wir auf europäischer Ebene glaubwürdig sein. Nur so können wir es schaffen, Eigenverantwortung gegenüber der Transferunion zu setzen. Wir lehnen die Transferunion ab. Wir stehen bei diesen Themen für die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten. Besten Dank, meine Damen und Herren. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keine Magie, die so groß ist wie im Kino, wenn das Licht ausgeht. – Bruno Ganz. Ich hoffe, dass das Licht in vielen deutschen Kinos nicht für immer ausbleibt. Unsere Kinos sind durch die Pandemie schwer betroffen: in der Stadt und besonders auch auf dem Land. Es muss unsere kulturpolitische Aufgabe sein, unser Land vor einem Kinosterben zu bewahren. Wie geht das? Erstens. Die Kinos müssen so schnell wie möglich wieder öffnen dürfen. ({0}) Zweitens. Wir brauchen gute Filme. Drittens. Dafür braucht die Filmwirtschaft verlässliche finanzielle Unterstützung. Das regeln wir heute im Filmförderungsgesetz. An über 900 Standorten sind die Kinos geschlossen, bleibt die Leinwand dunkel. ({1}) Mehr als 25 000 Beschäftigte sind direkt betroffen. Den Schauspielern sind viele Engagements entgangen. Die Verleiher haben viel Geld in das Marketing von Filmen gesteckt. Zwei Lockdowns haben ihnen wiederholt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Zahl der Kinobesuche in Europa ging 2020 um 70 Prozent zurück – der stärkste Einbruch in der Geschichte. Bund und Länder und auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben geholfen, wo immer sie konnten. Der Etat der Filmförderungsanstalt für 2020 wurde um 30 Millionen Euro erhöht. Es wurden Ausfallfonds für den coronabedingten Abbruch von Produktionen geschaffen. Das Programm „Neustart Kultur“ von Staatsministerin Monika Grütters enthält eine Reihe von Förderlinien, zum Beispiel für die Kinos und die Verleiher. Doch damit nicht genug: Durch den besonderen Einsatz von Monika Grütters wurden auch für die Schauspieler die Hilfen für Soloselbstständige besser angepasst. Das ist eine Berufsgruppe – wir wissen es alle –, die fast immer durch den Rost gefallen wäre. Auch die Programme des Bundeswirtschaftsministeriums werden von den Unternehmen der Filmbranche stark nachgefragt, zum Beispiel das Mittelstandsprogramm „Digital Jetzt“. Diese Maßnahmen müssen wir verlängern und hier und da verstetigen; denn die Nachwirkungen der Pandemie werden noch eine Weile bestehen. Ich freue mich, dass unsere Bundeskanzlerin kürzlich ein Gespräch mit Kulturschaffenden geführt hat und auch die Verlängerung von Hilfen in Aussicht gestellt hat. Zugegeben, der deutsche Film kämpft auch unabhängig von der Coronapandemie mit Problemen. Der Marktanteil an deutschen Filmen könnte in unseren Kinos höher sein. Es werden zwar viele Filme produziert, aber nicht alle haben Oscar-Qualitäten. Wann hat ein deutscher Film eigentlich zuletzt einen Oscar gewonnen? Deutsche Filme werden auf den internationalen A‑Festivals selten gesichtet. Dafür allerdings können wir die Bundesfilmförderung nicht verantwortlich machen. Ich sehe folgende Probleme: Zu viele Förderer auf Landesebene fordern Drehorte in ihrem Bundesland. Zu viele Fernsehredakteure bügeln Ecken und Kanten in den Drehbüchern glatt. Sie glauben, so würde der Film kompatibler für das Fernsehen. Im Übrigen ist die Filmförderung vieler Bundesländer noch ausbaufähig. Ich ahne schon, die Opposition wird klagen und uns erklären, was an der Bundesfilmförderung alles schlecht ist. Auch Jan Böhmermann spöttelt: Gute deutsche Filme entstehen nicht wegen, sondern trotz des deutschen Filmförderungssystems. ({2}) Diese Kritik ist überzogen und falsch. Die Filmbranche hat es verdient, dass wir sie nach besten Kräften unterstützen, und das geschieht auch. Sie hat in den Kinos und am Set Hygienekonzepte entwickelt. Sie hat sich mit rasanter Geschwindigkeit an die Pandemieanforderungen angepasst. Trotz Corona wird zurzeit viel gedreht. Das liegt auch an dem Ausfallfonds, den wir mit Hilfe von Monika Grütters geschaffen haben. Und es gibt einen Hoffnungsschimmer: Die Sommerberlinale soll als Open-Air-Veranstaltung im Juni hier in Berlin stattfinden. Am Ende meiner Rede habe ich noch einen Wunsch an die Produzentinnen und Produzenten: Engagiert bitte mehr Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen. ({3}) Die diesjährige Oscar-Verleihung hat gezeigt: Erst die zweite Frau konnte den Oscar für die beste Regie gewinnen und das im Jahr 2021. Da ist noch viel Luft nach oben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Damit ist klar: Frauen haben bewiesen, dass sie hervorragende Leistungen auch in der Filmwirtschaft erbringen können. Wir brauchen mehr davon. Vielen Dank. Den Gesetzentwurf unterstützen wir natürlich. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marc Jongen, AfD. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Filmförderung in Deutschland ist … Wirtschaftsförderung einer Branche, die gar nicht imstande beziehungsweise willens ist, wirtschaftlich zu arbeiten. Lieber werden durch Förderung erzielte Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert. Das schrieb Lars Henrik Gass, Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, 2015 in einem „FAZ“-Artikel, und er bestätigt damit genau meine Ausführungen von vor zwei Monaten hier an dieser Stelle. Weiter sagt er: Das System erzieht die Akteure dazu, sich möglichst unaufwendig im Brot zu halten, nicht dazu, Filme zu entwickeln, die es wert sind. Heraus komme eine Diktatur des Mittelmaßes. Das ist leider die Wahrheit, und das muss ein Ende haben, meine Damen und Herren. ({0}) Hinzu kommt immer öfter politisch korrekter Kitsch, wie im Falle des Antifafilms „Und morgen die ganze Welt“, der als deutscher Beitrag für den Auslands-Oscar grandios gescheitert ist. ({1}) Das Ausland will ganz offensichtlich nicht mit deutscher Kampf-gegen-rechts-Propaganda beglückt werden. Die politisch korrekte Gesinnung macht eben noch keine guten Filme, meine Damen und Herren. ({2}) Das ganze System der Filmförderung bedarf also einer grundlegenden Reform. Statt aber eine solche endlich vorzulegen, will die halbherzige Gesetzesnovelle der GroKo allen Ernstes mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität herstellen. Die Grünen erklären diese in ihrem Antrag sogar zum zentralen Problem der Filmförderung; das hat bei ihnen ja schon obsessiven Charakter angenommen. ({3}) Die feministische Lobbyorganisation Pro Quote Film soll nach dem Willen der Grünen einen Platz im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt bekommen. ({4}) Die Grünen führen ja immer so gerne die Kunstfreiheit im Munde und geben sich hip und kulturnah. Unter einer grünen Bundesregierung würde die Kunst so sehr gegängelt, reglementiert und politisch korrekt auf Linie gebracht wie seit den Zeiten der DDR nicht mehr, meine Damen und Herren. Gott bewahre uns vor so einer Regierung. ({5}) Wer glaubt, ich übertreibe – Herr Grundl, jetzt hören Sie mal zu –, sollte mal einen Blick auf die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein werfen, wo es heute schon Checklisten für – sozusagen – politische Linientreue gibt. Auf deren Website heißt es: Ab sofort sind Antragsteller*innen dazu verpflichtet, einen Fragenkatalog zur Diversität ihres geplanten Projektes zu beantworten. ({6}) So sollen sie zur bewussten Beschäftigung mit dem Thema Diversität und zur kritischen Überprüfung des eigenen Handelns angeregt werden. Sehen wir im geplanten Filmprojekt Menschen mit Behinderung? Wie viele Frauen sind in leitenden Funktionen am Projekt beteiligt? Gibt es im Team People of Colour? Und wenn nein: Warum nicht? Wir wissen, dass diese Checkliste nur ein Anfang sein kann. Meine Damen und Herren, wenn das nur ein Anfang ist, was ist dann das Ende? Vielleicht, dass die Künstler sich für eine künstlerische Praxis entscheiden müssen, die von dem Bewusstsein durchdrungen ist, dass in der Kunst nur nützlich ist, was dem sozialistischen Aufbau dient; ({7}) Paul Rilla, Originalton DDR, 50er-Jahre. Es klingt wie eine Drohung aus der nahen Zukunft. Eines ist sicher: Geniale Filmemacher wie Woody Allen, Ingmar Bergman, Rainer Werner Fassbinder oder Fellini hätten in einem derartigen ideologisch-totalitären Regulierungssystem, auf das wir hier zusteuern, keine Chance gehabt. ({8}) Aber das sind ja auch alles lauter alte weiße Männer, die Sie ohnehin loswerden wollen. ({9}) Unser Antrag verteidigt die Ästhetik des Films vor dem Hypermoralismus und schlägt substanzielle Reformmaßnahmen bei den Fördergremien, in der Referenzfilmförderung vor, im Sinne von Wirtschaftlichkeit und fairer Mittelvergabe. Auch wenn Sie unseren Antrag ablehnen werden: Das Publikum wird den Filmen, die Sie hier heranzüchten wollen, an der Kinokasse die rote Karte zeigen. Spätestens beim Exportversuch ins Ausland wird sich das totale Scheitern dieser Filmförderpolitik erweisen. ({10}) Nur leider wird bis dahin viel Steuergeld verschwendet worden sein, und die Talente, die wir in Deutschland haben, werden sich auch nicht richtig entfalten können. Ein letztes Wort zu Frau Motschmann, was die Kinos angeht: Öffnen Sie sie doch wieder, Sie regieren doch! Beenden Sie diesen schädlichen und sinnlosen Lockdown. Das war doch eine Heuchelei, was Sie hier vorgetragen haben. Vielen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Martin Rabanus, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie einladen, gedanklich vier, fünf Minuten in der Zeit zurückzugehen; denn der Beitrag von Herrn Dr. Jongen ja nun nichts wesentlich Überraschendes gebracht hat. ({0}) Dass sie gegen Diversität, gegen Klimaschutz, gegen Gleichberechtigung in der Gesellschaft sind, wussten wir auch vorher. Sie haben das noch einmal hinterlegt. Stattdessen, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich gerne bei der Kollegin Motschmann anknüpfen, die noch einmal sehr klar ausgeführt hat, dass die Koalition sich sehr intensiv nicht nur um die Kinos – um die auch –, sondern auch um die Branche insgesamt gekümmert hat; nicht nur in der Coronapandemie – da auch –, sondern auch schon vorher. Und – das ist eine gute Nachricht – das führen wir mit der Novelle des Filmfördergesetzes auch fort. Natürlich ist es so, dass wir eine große Novelle vorhatten – natürlich. Darauf haben wir auch eine Evaluierung gegründet, die Grundlage für ebendiese große Novelle sein sollte. Stattdessen steht diese kleine Novelle unter den Vorzeichen der Coronapandemie. Dabei ist es richtig, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen auch der Opposition, sagen: Es müssen große Schritte folgen. Das ist vollkommen richtig. Ich mache mir nicht alles zu eigen, was Jan Böhmermann gesagt hat; aber wir müssen natürlich schauen, dass eine Filmförderung im Umfang von über 400 Millionen Euro mehr – in Anführungsstrichen – „PS“ auf die Straße bringt und mehr erfolgreiche Filme hervorbringt. Das ist dann allerdings die Aufgabe für die kommende Wahlperiode, wenn wir nach Corona auf einer neuen Grundlage das FFG tatsächlich neu aufstellen können. Dennoch ist diese Novelle wichtig; denn wir sichern das Herzstück des FFG ab, die Filmabgabe. Aber auch darüber hinaus setzen wir mit dieser kleinen FFG-Novelle natürlich politische Akzente. So erweitern wir den Aufgabenbereich der FFA um die Durchsetzung fairer Arbeitsbedingungen; das ist uns insbesondere als Sozialdemokraten, aber auch in der Koalition insgesamt wichtig. Wir betonen die Diversität. Wir betonen auch erneut die Inklusion und die Geschlechtergerechtigkeit in den FFA-Gremien. Das sind wichtige Fortschritte. Ein anderer wichtiger Fortschritt ist die Verankerung des Klimaschutzes in den Filmproduktionen durch das FFG. Aus der Anhörung heraus haben wir noch die Regelungen der Sperrfristen aufgenommen. Es war ein besonderer Wunsch der Kinoverbände, zu sagen: Wir wollen die Möglichkeit erhalten, auf der Grundlage einer Branchenvereinbarung von den starren Sperrfristen abzuweichen, nach Regeln, die sich in der FFA die Branche selber gibt. Ich bin sehr gespannt, ob das ein wirkungsvolles Instrument sein wird; auch das werden wir in zwei Jahren etwas genauer einschätzen können. Schließlich machen wir das FFG auch pandemietauglich; aber ich sage dazu: Ich hoffe, dass wir die Regelungen, die wir da aufnehmen, nie brauchen werden. Auch das hat Kollegin Motschmann schon gesagt: Es gibt ja Hoffnung. Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Die Inzidenzzahlen sinken, die Impfkampagne funktioniert, und wir freuen uns, hier in Berlin im Juni den Open-Air-Teil der Berlinale erleben zu dürfen. Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich allen danken, die an dieser Novelle mitgewirkt haben: dem Koalitionspartner, aber auch der Opposition, die sich konstruktiv miteingebracht hat, und den vielen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern. Ich freue mich darauf, in der nächsten Wahlperiode, wenn die Wählerinnen und Wähler meinen Arbeitsvertrag hier um vier Jahre verlängern, an der großen Novelle mitwirken zu dürfen. Ganz herzlichen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Es ist ein Mandat, Herr Kollege Rabanus, und kein Arbeitsvertrag. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Thomas Hacker, FDP. ({1})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende März haben wir uns in erster Lesung mit der Verlängerung des Filmförderungsgesetzes beschäftigt. Eine wirkliche – und auch überfällige – Novellierung, mit der auf die veränderten Realitäten in der Branche und auf die gravierenden Umbrüche im Zuschauerverhalten hätte reagiert werden können, konnten Sie, liebe Koalition, unter Verweis auf die Coronapandemie nicht vorlegen. Zum Glück greifen ja wenigstens viele der zuletzt vorgelegten Änderungsanträge die Vorschläge der Branchenexperten auf. Das ist richtig. Es ist aber auch allenfalls Pflicht, keine Kür. Der deutsche Film und unser Produktionsstandort haben mehr verdient als vielleicht amüsante Böhmermann-Zerrisse. Wie wäre es mit internationaler Anerkennung, gern auch mal wieder einem Oscar, einer Goldenen Palme oder einem Goldenen Bären? Wir Freien Demokraten hätten uns mehr Mut und Entschlossenheit für eine zukunftsfähige Filmförderung gewünscht. ({0}) Diese zu entwickeln, ist die dringende Aufgabe unmittelbar zu Beginn der nächsten Legislaturperiode. Wir Freien Demokraten wollen daran mitarbeiten. Das aktuelle System der Filmförderung ist zu bürokratisch, zu detailverliebt, zu zerfasert, alles in allem zu weit von der Realität der Filmschaffenden entfernt. Mit produktionstechnischem Filmtourismus durch die Bundesländer werden wir keinen Erfolg haben; aber genau diesen Erfolg wollen wir an den heimischen Kinokassen. Eine zielführende Förderung muss daher mehr sein als eine föderale Location-Pflicht als Gegenleistung für Zuschüsse. ({1}) Die Förderung muss sich an der Qualität des Films messen, nicht an der Bereitschaft der Produzenten, auch mal in Wanne-Eickel oder Garmisch-Partenkirchen zu drehen. Ganz zu schweigen von der Pflicht, jeden Förderantrag mehrfach in der ganzen Republik zu stellen. Das Gegenteil wäre richtig: Wir brauchen verlässliche und einfache Prozesse, die langfristige Planungs- und Rechtssicherheit für die Branche schaffen. So stärken wir den Filmstandort Deutschland. Wir wissen es doch alle: Das Kino ist wichtig, nicht nur als Motor der Filmwirtschaft, sondern auch als gesellschaftlicher Resonanzraum. Kino bietet Raum für das gemeinsame Erleben von Geschichten, nimmt uns mit auf intellektuelle und emotionale Reisen, bietet Anlass zum Diskutieren und Philosophieren. Ein guter Film spielt in unseren Köpfen weiter, auch dann, wenn der Vorhang schon gefallen ist. Wie sehr sehnen wir uns danach, dieses Erleben wieder in unserem täglichen Leben zu haben! Kreative in unserem Land – ganz gleich, ob vor oder hinter der Kamera, am Mischpult, in der Maske oder bei den Kostümen – haben unzählige Male bewiesen, wie viel Kreativität, Kunst und Können in ihnen steckt. Dieses Potenzial konnten wir bei zahlreichen Produktionen beobachten: „Operation Walküre“, „Monuments Men“, „Das Leben der Anderen“ oder „Toni Erdmann“ seien hier exemplarisch genannt. Zudem haben wir renommierte Filmstandorte und mit dem Studio Babelsberg seit über 100 Jahren einen Filmstandort mit weltweitem Renommee in direkter Nachbarschaft. Wenn wir also keinen Mangel an filmischen und schauspielerischen Ideen, Kreativität und Exzellenz in Deutschland haben, scheint es am System zu liegen. Lassen Sie uns das ändern – zügig. Danke. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Doris Achelwilm, Die Linke. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Novelle des Filmförderungsgesetzes sollte ein größerer Wurf werden. Wegen der Umstände jetzt – es ist benannt worden – konnte nur etwas Bescheidenes daraus werden. Neu sind krisenbedingte Anpassungen wie etwa flexiblere Förderansätze und ein paar wenige Akzente zu Arbeitsbedingungen, Diversität, Nachhaltigkeit. Wir bedauern sehr, dass die umfassende Reform vertagt wurde; denn gerade jetzt braucht es große Linien und Hoffnungsschimmer für die Zukunft statt Notpflaster und zaghafte Details. ({0}) Viele Filmschaffende und Kinos, eigentlich alle, sind seit 14 Monaten stark gebeutelt, können nicht mal planen. Wir sehen das und stellen entsprechend viele Anträge dazu. Die Pandemie hat die Branche tatsächlich stark ins Wanken gebracht und alte Handlungsbedarfe massiv verschärft. Die Koalition erklärt sich dazu so, dass das Gesetz ja nur der Trailer zu einem tollen Film ist, der dann in zwei Jahren starten soll. Selbst in einem solchen Trailer sollten aber Themen aufscheinen, die später in Szene gesetzt werden, und das ist viel zu wenig erkennbar. ({1}) Der Reformbedarf des Filmfördersystems ist bekannt. Sechs bis sieben Jahre kreist ein Drehbuch durch die Filmförderanstalten von Bund und Ländern. Diese zermürbenden Strukturen müssen verbessert werden. Auch in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ist viel zu tun. ({2}) Nur jeder fünfte Film wurde hierzulande in den vergangenen zehn Jahren von einer Regisseurin umgesetzt. Eine Kleine Anfrage von uns zeigte, dass Frauen in der Branche verstärkt auf niedrigen Gehaltsstufen verharren trotz höherer Qualifikation. Dieses Gleichstellungsdefizit setzt sich bei ungleich verteilten Fördermitteln, Gremienplätzen und an vielen Stellen fort, und das kann einfach nicht sein. ({3}) Allgemein ist die Situation der Beschäftigten im Film ein soziales Wagnis. Tarifverträge und Arbeitsschutz spielen in der Filmbranche eine untergeordnete Rolle. Das ist nicht akzeptabel; schon gar nicht, wenn Steuergelder fließen. Die Novelle bleibt auch dieser Problematik gegenüber sehr verhalten. Es heißt, die Förderungsanstalt FFA solle in der Filmwirtschaft auf „Selbstverpflichtungen für bessere Arbeitsbedingungen“ hinwirken. Wie wir wissen, kommen wir mit Selbstverpflichtungen nicht weit. Deshalb ist es notwendig, dass Fördermittel an gute Lohn- und Arbeitsbedingungen, an Tarifverträge gekoppelt werden. ({4}) Es braucht endlich gesetzliche Sozialstandards und einen existenzsichernden Unternehmer/-innenlohn für Soloselbstständige auch und gerade hier. Organisierte Filmschaffende diskutieren seit Langem darüber, in welche Richtung eine Filmpolitik für das 21. Jahrhundert weisen kann. Diese Debatte muss hier vor Ort noch stärker gehört werden. Der jetzige Zustand ist nicht erhaltenswert. Die deutsche Kinobranche ächzt unter den Folgen der Pandemie, hat Einbußen von 70 Prozent, während das Privatvermögen von Amazon-Chef Bezos um 75 Milliarden Euro gewachsen ist. Letztes Jahr liebäugelte der Pandemiegewinner damit, die weltgrößte Kinokette aufzukaufen. Angesichts der weiter drohenden Monopolbildungen und anderer Entwicklungen in der Film- und Kinobranche müssen wir uns grundlegende Fragen stellen: Welche Zukunft hat das Kino als Kulturort? Warum besteuern wir die großen Plattformen nicht endlich? Eine Sonderabgabe von Pandemieprofiteuren wie Netflix, Amazon und Co wäre angebracht. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin.

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mit diesem Geld könnten kommunale Kinos als demokratiestiftende Kulturorte etabliert und erhalten werden. Wir bleiben dran und setzen auf eine kommende Legislatur, die für die Kino- und Filmlandschaft die nötigen Perspektiven schafft. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern habe ich ein Gespräch von jungen Leuten mitbekommen, die sich riesig darüber freuten, dass die Freilichtkinos wieder öffnen. Es dürstet die Menschen nach Kultur und nach dem gemeinschaftlichen Erlebnis, ins Kino zu gehen. Dafür braucht es gute, spannende und anspruchsvolle Filme. Dieses Ziel verfolgt die Filmförderung. Nun muss das Filmförderungsgesetz turnusgemäß novelliert werden; aber es ist eben nur eine Mininovelle. Wenn Staatsministerin Grütters hofft, dass sie uns hier ein Angebot macht, das wir nicht ablehnen können: Wir können leider nicht zustimmen. Bei Ihnen von der AfD ist heute deutlich geworden, dass Sie die Filmförderung als Zensurinstrument verwenden wollen. Geld bekommt nämlich nur, was Ihnen politisch gefällt. Das ist Ihre Art von Cancel Culture. ({0}) Im Gesetzentwurf werden zentrale Punkte aufgemacht, aber nicht zu Ende gedacht. Und unabhängig von der Krise: Manche Aspekte dulden eben keinen Aufschub, zum Beispiel die Geschlechtergerechtigkeit. Parität im Präsidium und Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt ist zwar dringend notwendig, es reicht aber nicht. Denn das führt nicht automatisch dazu, dass Frauen gleichermaßen gefördert werden. Es muss doch uns allen zu denken geben, dass Frauen nach den ersten Berufsjahren nach und nach aus der Branche verschwinden. Mal abgesehen davon, dass Frauen ihre Budgets deutlich effizienter einsetzen als ihre Kollegen, sollte unsere Gesellschaft doch nicht auf die Perspektive von 50 Prozent der Bevölkerung verzichten müssen. Wir wollen daher Zielquoten bei der Vergabe der Förderung im Bereich Regie, Drehbuch und Produktion. Nur so werden wir echte Geschlechtergerechtigkeit erreichen und den deutschen Film bereichern. ({1}) Gute Filme brauchen gute Ideen. Seit Jahren hören wir, dass die Stoffentwicklung gestärkt werden muss. Tun Sie das auch! Auf den ersten Blick ist es erfreulich, dass die Koalition bei den Sperrfristen auf uns zugekommen ist. Doch es ist nur eine Kannbestimmung, mit der von den regulären Sperrfristen abgewichen werden kann. Die aktuelle Situation zeigt aber, wie sehr die Branche unter der fehlenden Flexibilität bei der Auswertung leidet. Wir halten es für besser, Sperrfristen zukünftig immer in den Richtlinien der Filmförderungsanstalt zu regeln; denn der geförderte deutsche Film darf nicht wegen seiner Auswertungskaskade gegenüber internationalen Produktionen ins Hintertreffen geraten. Daher lassen Sie uns die aktuelle Krise im klassischen Sinn verstehen als entscheidende Wendung: Wir brauchen eine generelle Flexibilisierung der Sperrfrist, nicht nur bei höherer Gewalt, und eine Stärkung der Ideenentwicklung, aus der dann die erfolgreichen Filme entstehen. Diese müssen dann klimafreundlich und nachhaltig produziert werden und allen zugänglich sein; also Barrierefreiheit bitte auch zu Ende denken. Diese Vorschläge finden Sie in unseren Anträgen – bedienen Sie sich da gerne! Die Filmförderung muss grundlegend reformiert werden. Wir müssen die nächsten zwei Jahre nutzen, um die Filmförderung wirklich modern und gerecht zu gestalten. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Yvonne Magwas, CDU/CSU. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004346, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Film- und Kinobranche leidet unter der Pandemie, und deshalb haben wir umfangreiche Hilfsmaßnahmen aufgesetzt. Keine Kultursparte – das muss man in diesem Zusammenhang wirklich auch mal sagen – profitiert vom BKM-Programm „Neustart Kultur“ so stark wie die Filmwirtschaft. Mit einer abflauenden Infektionsdynamik und den zunehmenden Impferfolgen ist es jetzt aber wieder an der Zeit, in die Zukunft zu schauen. Eigentlich hätten wir ja in dieser Woche eine große Novelle des Filmförderungsgesetzes beschlossen. Nun ist es coronabedingt nur eine kleine, aber auch eine kluge Novelle geworden. Der Grund ist schlichtweg, dass es keine belastbaren Daten für eine Neugestaltung des Gesetzes gibt. Aufgrund der andauernden Pandemie ist es noch nicht absehbar, wann sich die Auswirkungen der Pandemie auf den Film- und Kinomarkt verlässlich beurteilen lassen. Die notwendigen Daten werden wegen der langen Schließung der Kinos frühestens Mitte 2022 vorliegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es wäre ein vollkommen falsches, es wäre ein fatales Signal, jetzt eine große Novelle zu machen und eine Neuausrichtung der Filmförderung zu beschließen, wo die Kinos immer noch zu sind und der gesamte Filmmarkt aufgrund der weltweiten Pandemie großen Verwerfungen unterliegt. ({0}) Wir brauchen mehr Klarheit, und deshalb gibt es jetzt eine Art Verlängerungsgesetz. Ich möchte an dieser Stelle auch noch mal daran erinnern, dass wir in der Koalition bereits vor Corona ein breit angelegtes Fachgespräch mit der Branche hatten und viele inhaltliche Eckpunkte bereits erarbeitet haben. Wir sind der Frage nachgegangen, wie der deutsche Film verbessert und erfolgreicher gemacht werden kann, und an diesen Zwischenergebnissen sollten wir wieder anknüpfen. Wir müssen aber auch schauen, was sich durch Corona verändert hat, und das müssen wir einbeziehen, um dann ein neues großes, sinnvolles Gesetz zu erarbeiten. Dafür haben wir jetzt zwei Jahre Zeit; denn das Gesetz, das wir heute beraten und zum Abschluss bringen, hat eine Gültigkeit von zwei Jahren. So können wir schneller wieder in die inhaltliche Planung einer großen Novelle einsteigen, womit wir zügig beginnen sollten. Was sind die konkreten Inhalte? Mit Blick auf die Verwerfungen durch die Pandemie geben wir dem Verwaltungsrat die Möglichkeit, die Mittelverwendungen zu flexibilisieren, Förderbedingungen und Hilfsprogramme anzupassen. Referenzmittel können beispielsweise auch für Werbemaßnahmen bei der Wiedereröffnung genutzt werden. Hinzu kommen eine Flexibilisierung der Sperrfristen in Fällen höherer Gewalt sowie neue Standards bei Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit in den Aufsichtsgremien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten auch eine sehr gute Anhörung im Kulturausschuss, in der vor allem ein zentraler Punkt herausgestellt wurde: Ja, die Film- und Kinobranche leidet unter Corona; aber bereits vor Corona war die Branche einer erheblichen Dynamik durch die zunehmende Nutzung audiovisueller Inhalte ausgesetzt. Corona hat diese Entwicklung noch beschleunigt. So verkürzten beispielsweise große Verleiher ihre Auswertungsfenster auf wenige Wochen oder veröffentlichten einige Filme parallel im Kino und in Streaming-Diensten. Dieser Entwicklung wollen wir uns mit dem vorliegenden Gesetz stellen. Ich bin der Kinobranche sehr dankbar, dass gerade aus ihren Reihen der Vorschlag zu einer Branchenlösung bei den Sperrfristen kam. Dabei verhandeln die Verbände auf der Grundlage einer FFA-Richtlinie eine abweichende Vereinbarung der Kinoauswertung. Das ist das Wegweisende in dieser Novelle; das ist nämlich eine enorm große Chance. Wir ermutigen – das sage ich vor allen Dingen für meine Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion – alle Beteiligten mit großer Ernsthaftigkeit, diesen Weg zu nutzen und eine gemeinsame Lösung zu finden. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland braucht das Kino als Kultur- und Erlebnisort. Unser Land, Europa und die Welt brauchen gute deutsche Filme. Mit der heutigen Verlängerung des FFG sichern wir in Pandemiezeiten die Filmförderung in unserem Land, und wir schaffen gleichzeitig Raum für eine gründliche Vorbereitung der großen Novelle mit einer Neuausrichtung der Filmförderung. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Ulla Schmidt, SPD. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute über die Weiterentwicklung des Filmfördergesetzes als wichtigen Schritt, um in der nächsten Legislaturperiode die große Novelle zu erarbeiten. Aber auch mit der heutigen Novelle werden viele Verbesserungen erreicht, auf die die Kolleginnen und Kollegen schon eingegangen sind; ich nenne hier nur die Erweiterung der Filmabgabe, die Anpassungen für mehr Flexibilität und nicht zu vergessen die Ansätze, die gesellschaftlichen und sozialen Fortschritte für die Filmbranche im Gesetz zu berücksichtigen. Und endlich wird auch eine geschlechtergerechte und paritätische Besetzung in den Gremien der Filmförderanstalt vorgeschrieben. Wichtig ist auch, dass der Aufgabenkatalog der Filmförderanstalt um die Belange von Menschen mit Behinderungen und um Diversität erweitert wird und dass auf faire Arbeitsbedingungen hingewirkt wird. Das alles sind Schritte zur Verbesserung für die Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern, aber sie reichen nicht aus; denn auch nach der heutigen Verabschiedung der Novelle gibt es einen großen Handlungsbedarf, unsere vielfältige Gesellschaft im Film und im Medienbereich sichtbar zu machen und bestehende Ungleichheiten zu überwinden. ({0}) Dazu zählen die weiterhin bestehenden geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede. Dazu zählt die ungleiche und ungerechte Sichtbarkeit von Frauen und Männern vor und hinter der Kamera, und dazu zählen auch die weiterhin bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jenseits allen kulturellen kreativen Engagements der Beschäftigten in der Filmbranche ist diese Branche auch ein Paradebeispiel dafür, wie lückenhaft die Absicherung der Menschen, die in der Kultur- und der Filmbranche arbeiten, ist. Im Fall von größeren und länger anhaltenden Einkommensausfällen, wie wir sie gerade in der Coronapandemie erleben, sind sie alle, obwohl abhängig beschäftigt, viel schlechter abgesichert als abhängig Beschäftigte in festen Beschäftigungsverhältnissen. Sie fallen durch alle Raster, obwohl sie bereit sind, mehr für ihre soziale Sicherung zu tun, und obwohl sie bereit sind, in die bestehenden Sozialversicherungssysteme einzuzahlen. Das wird ihnen durch den Gesetzgeber verwehrt, und das geht auf Dauer nicht. Auch da muss gehandelt werden! ({1}) Unständig Beschäftigte, also Menschen mit einem Arbeitsvertrag bis zu sieben Tagen, dürfen nur dann in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, wenn das betreffende Engagement gerade nicht ihr beruflicher Schwerpunkt ist. Das trifft nicht nur die Schauspielerinnen und Synchronschauspieler, sondern das trifft auch die Menschen in der Maske, das trifft auch die Menschen hinter der Kamera und viele andere mehr, und damit muss Schluss gemacht werden! Deshalb sage ich: Wenn der angestoßene Dialog, der im Filmfördergesetz für die nächsten zwei Jahre angelegt ist, erfolgreich sein will, brauchen wir zwei Bereiche, in denen wir tätig werden. Erstens müssen wir erkennen: Selbstverpflichtungen in der Filmbranche reichen nicht. Wir brauchen klare Bedingungen, dass branchentarifvertragliche Regelungen und soziale Standards Voraussetzungen sind für die öffentliche Förderung, und das gilt –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Schmidt.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– dann auch für die Abbildung der Diversität. – Das ist der letzte Satz. – Zweitens brauchen wir dringend Reformen im Bereich der sozialen Absicherung. Weg mit allen Sonderregelungen! Abhängig Beschäftigte müssen zu gleichen Bedingungen versichert werden. Im 21. Jahrhundert brauchen wir auch in der Film- und Kulturbranche keine Tagelöhner mehr. Danke schön. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Marcel Klinge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004782, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland braucht einen Tapetenwechsel, und das so schnell wie möglich. Nach über einem Jahr Pandemie mit massiven Einschränkungen, Besuchsverboten und kräfteraubendem Homeschooling sehnen sich Millionen von Menschen nach einem überfälligen Urlaub und einer überfälligen Auszeit. ({0}) Genau dies wollen wir Freie Demoraten ihnen nun ermöglichen. Denn sicheres Reisen ist möglich. Der heiß diskutierte Osterurlaub auf Mallorca hat doch gezeigt, dass verantwortungsvolles Reisen unter Einbeziehung aller notwendigen Schutzmaßnahmen absolut möglich ist und dass die Zahlen eben nicht ansteigen. ({1}) Was Mallorca schafft und was uns Österreich diese Woche vormacht, das kann Deutschland schon lange. Daher fordern wir die Bundesregierung, die Große Koalition noch einmal auf, das Verbot von touristischen Übernachtungen in ganz Deutschland abzuschaffen. Wir als FDP haben das bereits vor Wochen hier beantragt. Passiert ist nichts. Werden Sie endlich tätig! ({2}) Damit Familien zu Pfingsten und im Sommer endlich auch wieder verreisen können, brauchen wir den Inlands- und den Auslandstourismus gleichermaßen. Vor allem aber brauchen wir wieder ein Stück Normalität. Dazu können die besten Gastgeber der Welt, unsere mittelständischen Betriebe und ihre engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einen ganz, ganz wichtigen Beitrag leisten. ({3}) Für den erfolgreichen Neustart der Branche, meine Damen und Herren, ist ein einheitlicher bundesweiter Öffnungsplan unerlässlich. Doch diesen bleibt uns Schwarz-Rot weiterhin schuldig. Wer im November über Nacht ganze Wirtschaftszweige schließt, der muss doch nach sieben Monaten einen Plan haben, wie er diese wieder öffnet. ({4}) Wie das gelingen kann, meine Damen und Herren, haben wir als Bundestagsfraktion schon mehrfach hier im Deutschen Bundestag vorgestellt, so auch in unserem vorliegenden Antrag. Lassen Sie mich zwei Punkte herausgreifen. Erstens wollen wir Freien Demokraten ganz Deutschland zu einem Vorzeigeland für sicheres Reisen machen. Die seit Wochen laufenden Modellprojekte – ich denke hier an Schleswig-Holstein – zeigen doch eindrucksvoll, wie es erfolgreich gelingen kann. Und genau dieses Prinzip wollen wir jetzt auf die gesamte Republik übertragen. Einheitlichkeit ist dabei der Schlüssel zum Erfolg, damit wir nicht wieder einen föderalen Flickenteppich bekommen, der eine vernünftige Reiseplanung unmöglich macht. Die Ferien stehen vor der Tür. Es reicht also nicht, sich mit diesem entscheidenden Thema erst am 10. Juni, wie Sie das planen, liebe Koalition, zu beschäftigen. Es muss jetzt gehandelt werden! ({5}) Wir müssen zweitens bei den Wirtschaftshilfen am Ball bleiben; denn die Pandemie wird uns doch weit über den 30. Juni hinaus, wenn die Überbrückungshilfe III ausläuft, beschäftigen. Auch dazu finden Sie eine ganze Reihe von Ideen in unserem Antrag. Besonders wichtig ist mir, dass wir nachliefern müssen. Ich denke zum Beispiel an private Ferienhausbetreiber, die bislang leer ausgegangen sind, und an verbundene Unternehmen, zum Beispiel mittelständische Hotelketten. Diese kämpfen seit Monaten mit einer massiven Unterdeckung im hohen Millionenbetrag. Für sie brauchen wir unverzüglich eine angemessene Lösung. Das Bundeswirtschaftsministerium hat laut Presseberichten jetzt einen Vorschlag dazu gemacht, der auf dem Tisch von Bundesfinanzminister Scholz liegt. Sehr geehrter Herr Scholz, beweisen Sie endlich, dass noch ein Stück Sozialdemokrat in Ihnen steckt und Ihnen die Existenzen von Zehntausenden Hotelangestellten und deren Familien eben nicht vollends egal sind! ({6}) Sorgen Sie für mehr Fairness bei den Coronahilfen! Es kann doch nicht sein, dass Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land, die mehr als 249 Arbeitsplätze schaffen, durch den Rost fallen. Sorgen Sie für mehr Fairness! Jetzt haben Sie die Chance dazu. ({7}) Meine Damen und Herren, über 240 000 mittelständische Tourismusbetriebe und ihre 3 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereit für den Neustart. Diese Menschen haben in der Pandemie zum Schutz von uns allen, zum Schutz der Allgemeinheit massive wirtschaftliche und persönliche Opfer gebracht. Dafür verdienen sie unseren aufrichtigen Dank und jetzt die Chance, in ganz Deutschland wieder mit der Arbeit loszulegen! ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Paul Lehrieder, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich darf mit einem Lob an die FDP anfangen. Sehr geehrter Kollege Klinge, herzlichen Dank, dass Sie mit der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes ermöglicht haben, in der Kernzeitdebatte auf die Wichtigkeit des Tourismus hinzuweisen. ({0}) Dafür kann ich Danke sagen, aber damit hört es auch schon wieder auf. Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr über die Gelegenheit, heute über die Situation der deutschen Tourismuswirtschaft sprechen zu können. Nach vielen Monaten Durststrecke mit Betriebsschließungen, ‑einschränkungen und Reisebeschränkungen geht es endlich wieder aufwärts mit der Branche, einer Branche mit immerhin etwa 3 Millionen Beschäftigten. Wir sehen starke Zuwächse bei den Buchungen von Auslandsreisen, jetzt, wo wir die Quarantäneauflagen dafür faktisch fast abgeschafft und durch eine Testpflicht ersetzt haben. Dadurch, dass bei Reiserückkehrern die Quarantäne entfällt und sie durch eine Testpflicht ersetzt worden ist, wird den Menschen wieder ermöglicht, zu reisen. Auch in Deutschland lassen die rückläufigen Infektionszahlen immer mehr Öffnungen zu. Es ist nicht ganz so, wie Sie ausgeführt haben, Herr Kollege Klinge; denn mehr und mehr Länder öffnen. Immer mehr Bundesländer erlauben nicht nur die Außen- und teilweise auch die Innengastronomie, sondern auch touristische Reisen und Hotelübernachtungen. Nicht nur an der deutschen Nord- und Ostseeküste, auch im beliebtesten deutschen Urlaubsland, in Bayern, können ab morgen Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen, Campingplätze und Jugendherbergen in Regionen mit einer stabilen Inzidenz unter 100 wieder für Touristen öffnen. ({1}) Das gilt auch für Freizeiteinrichtungen, Seilbahnen, die Fluss- und Seenschifffahrt, für den Kulturbereich und Sportveranstaltungen. Damit ist in vielen bayerischen Regionen jetzt ein Pfingsturlaub möglich, schneller, als man das vor wenigen Wochen noch für möglich gehalten hat. Sehr geehrter Herr Kollege Klinge, Sie haben völlig zu Recht das Modellprojekt Schleswig-Holstein angesprochen. In vielen Regionen funktioniert so etwas. Jawohl, wir haben es in den letzten Monaten auf die Reihe bekommen, den Schutz der Bevölkerung, den Schutz von Leib und Leben unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger einerseits und den Erhalt dieser Branche andererseits in ein ausgewogenes, gut austariertes Verhältnis zu setzen. Für die im nächsten Monat beginnenden Sommerferien können deutsche Urlaubsgebiete auf eine gute Saison hoffen, zumal wir jetzt bei den Impfungen Riesenfortschritte machen. Auch wenn klar ist, dass Urlaub weiterhin einigen Coronarestriktionen unterliegen wird – wir müssen immer noch vorsichtig sein: das Virus ist noch da, Herr Klinge – und es noch ein weiter Weg ist, bis wir einigermaßen zur früheren Normalität zurückfinden: Wir freuen uns über diese ermutigenden Hoffnungszeichen für die Tourismusmuswirtschaft und für den Deutschlandtourismus. Jetzt zahlt sich aus, dass wir unserer Tourismusbranche eine massive staatliche Unterstützung gegeben haben, um die uns andere Länder in Europa und weltweit beneiden. Ja, Herr Kollege Klinge, es ist besser, gut zu regieren als nicht zu regieren. ({2}) Wir haben das Vertrauen dieser Branche in den letzten Monaten zurückgewinnen können. ({3}) – Bitte stellen Sie eine Frage, dann habe ich etwas mehr Redezeit. – Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben seit Beginn der Coronapandemie auf schnelle Hilfen für die Tourismusbranche gedrängt und viel erreicht. ({4}) – Ja, die SPD hat auch mitgewirkt. Das war natürlich segensreich, Herr Kollege Rützel; das will ich nicht verhehlen. Ihr habt da nichts falsch gemacht. Ihr habt uns gut unterstützt. Durch eine Vielzahl von branchenübergreifenden Maßnahmen wie dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld und branchenspezifischen Regelungen etwa bei den Überbrückungshilfen haben wir dazu beigetragen, dass viele in ihrer Existenz bedrohte Unternehmen eine Überlebensperspektive bekommen haben. Diese Unternehmen können jetzt langsam endlich wieder aus eigener Kraft ihr Einkommen erwirtschaften – etwas, was die Branche will. Wir haben dabei immer wieder Nachbesserungen vorgenommen, uns intensiv mit Detailkritik beschäftigt und versucht, die sich bei vielen Einzelfragen ergebenden Probleme schnellstmöglich zu lösen. Ja, hier gebührt es, auch einmal Dank zu sagen. Vor allem unserem Wirtschaftsminister Peter Altmaier und dem Tourismusbeauftragten der Bundesregierung, Thomas Bareiß, herzlichen Dank für die Unterstützung und ihr offenes Ohr. Sie haben in direktem Kontakt mit der Branche gestanden und haben einiges an Verbesserungen erreicht. Ich denke beispielsweise an die Förderfähigkeit von Provisionen für Reisebüros oder von Gewinnmargen für die Reiseveranstalter bei der Überbrückungshilfe I. Wir haben für die Branche passgenaue Lösungen gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium gefunden. Dafür ein herzliches Wort des Dankes! ({5}) Thomas Bareiß wird gleich wahrscheinlich noch einiges ergänzen können und aktuelle Zahlen nennen, wie und in welchem enormen Umfang die Bundesregierung und allen voran das Wirtschaftsministerium die von der Coronakrise massiv getroffene Tourismuswirtschaft unterstützt hat. Die Branche hat sich nicht nur mit umfassenden Hygienekonzepten vorbildlich auf die neue Situation eingestellt, sondern die Zeit vielfach auch für Investitionen und Fortbildungen ihrer Mitarbeiter genutzt. Ich bin mir sicher, dass wir in einigen Bereichen sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können: Erstens gehe ich davon aus, dass Deutschland weltweit weiterhin und sogar zunehmend als besonders sicheres Reiseziel angesehen wird und wir von einem wieder anlaufenden internationalen Reiseverkehr profitieren können, Stichwort „Incoming-Tourismus“. Zweitens hat sich gezeigt, welche Vorteile organisierte Reisen in Krisenfällen bieten. Da sind wir mit unseren Reisebüros und vielfältigen Reiseveranstaltern in Deutschland hervorragend aufgestellt und sogar weltweit führend. Drittens werden durch Auslandsreisen viele Arbeitsplätze auch bei uns gesichert bzw. geschaffen, auch bei Verkehrsunternehmen. Und ja, ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass auch der entwicklungspolitische Aspekt von touristischen Reisen gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern ganz wichtig ist. In diesen Ländern, in denen es kein Kurzarbeitergeld, in denen es keine staatliche Unterstützung gibt, leben viele Menschen mit ihren Familien vom Tourismus. Ich hoffe, dass es uns gelingt, den weltweiten Tourismus wieder auf die Beine zu bekommen. Das wird aber nur klappen – das werden die Gesundheitspolitiker bestätigen –, wenn es uns gelingt, das Coronavirus weltweit in den Griff zu bekommen. Da haben wir noch einen langen Weg vor uns. Wir haben, wie schon gesagt, noch viel zu tun. Ein Dank nochmals an die FDP, dass sie diesen Punkt aufgesetzt hat. Gottes Segen! Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sebastian Münzenmaier, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vorliegenden Antrag tut die FDP wieder einmal das, was sie am besten kann: das Aneinanderreihen von wohlklingenden Worthülsen und das Vorgaukeln einer Oppositionsposition. ({0}) Liebe Kollegen, nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich begrüße es ausdrücklich, wenn Sie sich für einen Neustart der Tourismusbranche aussprechen, und ich begrüße auch ausdrücklich, dass Sie in Ihrem vorliegenden Antrag einige sinnvolle Maßnahmen nennen. Aber können Sie denn einmal im Leben eine Sache wirklich grundsätzlich angehen? Die Tourismusbranche liegt am Boden, ist seit Monaten im Lockdown, weiß überhaupt nicht mehr weiter, und Ihnen fällt dazu ein, dass jetzt touristische Übernachtungen für „Geimpfte und Genese“ erlaubt werden sollen. Ist das schon alles? Das ist ein Miniaturschräubchen, an dem Sie hier drehen. ({1}) – Herr Dr. Klinge, Sie standen gerade hier und haben gesagt: Wir wollen, dass die Hotels für alle wieder aufmachen. – Dann habe ich in Ihren Antrag geguckt. Da steht das aber nicht drin. Also entweder haben Sie hier Mist erzählt, oder Sie haben vergessen, es in Ihren Antrag zu schreiben. Beides dient nicht dazu, eine gute Oppositionsarbeit zu machen, Herr Dr. Klinge. ({2}) Sie beschäftigen sich also wieder einmal mit den Krümeln, die die Bundesregierung vom Tisch fallen lässt. Dann ist die FDP dabei und kümmert sich drum. Aber Sie sind nicht grundsätzlich dafür da, Politik zu ändern. Wo ist denn Ihr Widerstand gegen das Infektionsschutzgesetz, den Sie groß angekündigt haben? ({3}) Sie haben in den Medien getönt: Verfassungsbeschwerde, Verfassungsbeschwerde! Aber wenn es drauf ankommt, kneifen Sie. Sie haben sich einer Normenkontrollklage der Opposition verweigert; da wollten Sie nicht mitmachen. Und jetzt kommt in Ihrem Antrag der Gipfel der Scheinheiligkeit. ({4}) – Hören Sie zu, Herr Dr. Klinge. – Während Sie sich in den Talkshows der Republik als wackerer Kämpfer gegen die unsinnige Ausgangssperre inszenieren, schreiben Sie im vorliegenden Antrag – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: „Fahrten vom oder zum Flughafen, Bahnhof oder Hafen bei nächtlicher oder morgendlicher gebundener Abreise- oder Ankunftszeit“ sind „von der nächtlichen Ausgangssperre auszunehmen“. Jetzt wollen Sie die nächtliche Ausgangssperre als Opposition gar nicht mehr kippen, ({5}) sondern sind zufrieden mit einem halbgaren Kompromiss und akzeptieren ein wahrscheinlich rechtswidriges Handeln dieser Bundesregierung. ({6}) Meine Damen und Herren an den Bildschirmen, es zeigt sich wieder einmal: Es gibt keine Partei in Deutschland, bei der Anspruch und Wirklichkeit dermaßen auseinanderklaffen wie bei der FDP. ({7}) Die FDP redet groß von Freiheit, von Opposition, von Bürgerrechten oder vom Neustart der Tourismuswirtschaft, aber ihr Handeln beschränkt sich immer nur auf Floskeln, auf Ankündigungen oder, wie hier vorliegend, auf Minimalforderungen. Sie haben das Rückgrat eines gelben Gummibärchens, meine Damen und Herren, und Sie sind bereit, alles dafür zu tun, um endlich wieder an die Fleischtöpfe der Regierungsbeteiligung zurückzukehren. ({8}) Wir als AfD-Fraktion stehen stattdessen für einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Coronapolitik, von dem insbesondere die Tourismuswirtschaft ausführlich und massiv profitieren würde. Wir wollen die sinnlose Ausgangssperre aufheben, wir wollen Gastronomie, Hotels, Pensionen wieder öffnen, und wir fordern die Bundesregierung dazu auf, den Menschen ihre Freiheit zurückzugeben. Die Tourismusbranche ist nämlich kein Treiber der Pandemie. Es gibt keine Erkenntnisse zu nennenswerten Infektionen in Restaurants oder Hotels, und es ist schlicht und ergreifend Unsinn, dass ich mit meiner eigenen Familie zwar in der Stadtwohnung, aber nicht im Ferienhaus sein darf. Und es ist schlicht und ergreifend Unsinn, dass negativ getestete Personen nur auf der Terrasse, aber nicht im Innenraum eines Restaurants sitzen dürfen, und es ist schlicht und ergreifend Unsinn, dass bei einem Ansteckungsrisiko im Freien von 0,01 Prozent die Außengastronomie nicht für jedermann geöffnet ist. ({9}) Wir als AfD-Fraktion möchten diesen Unsinn beenden, und ich kann Sie, liebe FDP-Abgeordneten, nur einmal mehr dazu auffordern: Entwickeln Sie endlich den „German Mut“, den Sie immer so gerne im Mund führen, und nehmen Sie Ihren Auftrag als Oppositionspartei endlich ernst. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Marcel Klinge! Als tourismuspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion freue ich mich, dass wir heute, kurz vor Ende der Sitzungswochen, noch einmal Gelegenheit haben, hier im Bundestag über Tourismus und Tourismuspolitik zu debattieren. Dies war und ist durch den vorliegenden FDP-Antrag möglich. Die FDP fordert einen bundesweit einheitlichen Neustart für die Tourismus- und Reisebranche. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage: Passt dieser Antrag aber auch in diese exponierte Debattenzeit? Ich sage: Nein. ({0}) Denn der Antrag kommt erstens zu spät, er ist zweitens überflüssig, und er ist drittens auch noch unglaubwürdig. Erstens. Der Antrag kommt zu spät. Der Tourismus nimmt ja – wohlgemerkt: ohne den FDP-Antrag – bereits wieder Fahrt auf. Die Infektionszahlen gehen bundesweit zurück. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir aber mitnichten der FDP und schon gar nicht der AfD zu verdanken. ({1}) Nein, ganz im Gegenteil. Ginge es nach der FDP, dann hätten Hotels und Gaststätten und auch sämtliche Fitnessstudios in Deutschland unabhängig von hohen Inzidenzen geöffnet. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es waren Impfungen, Tests, Hygieneregeln, die beschlossene Bundesnotbremse und eine starke solidarische Disziplin unzähliger Menschen, die die dritte Coronawelle gebrochen haben. Dafür sage ich Danke! ({2}) In fast allen Bundesländern konnten und können so und nur deshalb Beschränkungen wieder zurückgenommen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeigt sich wieder einmal: Es geht der FDP keineswegs um das Wohl unserer gesamten Gesellschaft. Nein, sie macht glasklare Klientelpolitik und springt stets nur nach der Wurst, die ihr die Wirtschaft vor die Nase hält. Zweitens. Der Antrag ist überflüssig. Es gibt ja bereits seit Monaten einen Öffnungsplan für die Wirtschaft. Seit März haben wir den Fünf-Stufen-Plan, der Öffnungsschritte für alle Bundesländer vorsieht. Um es für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, noch einmal auf den Punkt zu bringen: Ab einem Inzidenzwert von 100 greift die Bundesnotbremse. Bei Inzidenzen zwischen 50 und 100 können die Bundesländer öffnen. Auch die Gastronomie kann dann draußen wieder Tische aufstellen und Gäste empfangen. Ab Inzidenzen unter 50 sind Freizeitveranstaltungen im Außenbereich möglich und weitere Lockerungen im Gastgewerbe. Seit April gibt es zudem die ersten Modellregionen. In Regionen mit niedrigen Inzidenzen können unter Hygieneauflagen und mit wissenschaftlicher Begleitung Öffnungen vorgenommen werden. – Ich fasse zusammen: Sie fordern bundesweit harmonisierte Regeln – haben wir –, bei In- und Auslandsreisen zu testen – machen wir –, transparente Kommunikation – geschieht bereits. Schauen Sie zum Beispiel einmal im Tourismus-Wegweiser nach. Ich komme zum dritten Punkt. Der FDP-Antrag ist nicht nur überholt und überflüssig; er ist darüber hinaus hochgradig unglaubwürdig. Heute fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, bundeseinheitliche Standards. Da staune ich aber; denn gerade noch haben Sie ein bundeseinheitliches Vorgehen abgelehnt. Die Bundesnotbremse, mit der bundeseinheitlich geregelt wird, was in der Coronapandemie geschieht, wenn die Infektionszahlen über 100 klettern, haben Sie abgelehnt. Und nicht nur das, Sie klagen sogar dagegen. ({3}) Ihre Argumentation vor dem Bundesverfassungsgericht: Mit der Bundesnotbremse werde nicht genügend auf die regionalen Gegebenheiten vor Ort eingegangen. ({4}) Na, prima! Sie schnappen nach der Wurst, egal aus welcher Richtung sie kommt. ({5}) So, Ihr Lieben, da dies voraussichtlich meine letzte Rede als tourismuspolitische Sprecherin ist – ich trete ja nicht wieder an –, halte ich mich mit meiner Kritik zurück und bedanke mich stattdessen bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die jahrelange kollegiale Zusammenarbeit im Tourismusausschuss. Mein herzlicher Dank geht ebenso an das Team im Wirtschaftsministerium, an das Ausschusssekretariat und an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fraktions- und Abgeordnetenbüros und an alle, die ich jetzt nicht aufgezählt habe, die aber auch einen Dank verdient hätten. Ich sage Danke für diese tolle Zeit! Danke. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hiller-Ohm, ich finde es zwar ein bisschen voreilig, jetzt schon zu sagen, dass man in der verbleibenden Zeit – der Bundestag wird noch bis Ende Oktober im Amt sein – keine Rede mehr halten wird. Ja, der Bundestag endet mit dem Zusammentritt des neu zu wählenden Bundestages. Und ob Sie bis dahin nicht noch mal reden, wissen wir nicht. Es wäre ja schade, wenn wir Ihre Stimme nicht mehr hören würden. ({0}) Aber für den Fall, dass es so ist, möchte ich Ihnen für Ihre Arbeit im Rahmen Ihres Mandats in dieser Zeit herzlich danken und Ihnen im Namen des ganzen Hauses alles Gute für Ihre weitere Zukunft wünschen. ({1}) Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Kerstin Kassner, Die Linke. ({2})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Reisewillige draußen an den Bildschirmen! Ich bin, anders als meine Vorredner, der FDP sehr dankbar für diesen Antrag. Er bietet uns doch die Möglichkeit, dass wir uns mit einer sehr gebeutelten Branche solidarisch erklären. Und es lohnt sich auch, über die Vorschläge zu diskutieren, die die Kollegen der FDP-Fraktion gemacht haben. Viele davon finden unsere Unterstützung, aber nicht alle, zum Beispiel der Verlustrücktrag. Ich muss Ihnen das erklären: Das bedeutet, dass Steuern, die auf Gewinne aus weit zurückliegenden Jahren gezahlt wurden, den Unternehmen zurückerstattet werden. Das könnte manchem helfen, ist aber sehr ungerecht, weil neu gegründete Unternehmen oder Unternehmen, die gerade investiert haben, von dieser Möglichkeit nicht profitieren werden. Wir erinnern uns an die vielen Soloselbstständigen, die wirklich jeden Tag um ihr Überleben ringen. Auch denen ist damit nicht geholfen. Aber meine Kritik sollte sich nicht an eine andere Fraktion richten, sondern ganz klar und deutlich an diese Regierung. ({0}) Denn was hat diese Regierung getan, um der gebeutelten Branche zu helfen? Wir befinden uns in einem großen Chaos; wir haben einen Flickenteppich. Fragen Sie doch mal Ihre Freunde, Nachbarn, Verwandten, wo sie Pfingsten hinfahren könnten. Sie wissen das nicht. Das bedeutet eine enorme Recherchearbeit. Und genau die Koordinierung dieser unterschiedlichen Situationen hätte unsere Bundesregierung leisten müssen. ({1}) Und noch etwas anderes muss sie leisten: die Koordinierung der Überbrückungshilfen. Dort gibt es im Moment eine von Unterschieden geprägte Situation. Die einzelnen Bundesländer haben 80 bis minimal 64 Prozent der Überbrückungshilfen ausgereicht. Da könnte man sagen: 80 Prozent ist ja schon viel. Aber das heißt, dass jedes fünfte bis jedes dritte Unternehmen in diesem Land auf Überbrückungshilfe wartet. Stellen Sie sich mal vor, wie viele schlaflose Nächte das für die Menschen, die davon betroffen sind, bedeutet! Das kann nicht angehen. ({2}) Etwas anderes, das mir großen Kopfschmerz bereitet: Wie geht es mit der Anzeigepflicht von Insolvenzen weiter? Der 30. April ist der letzte Tag, bis zu dem die Insolvenzanzeigepflicht ausgesetzt ist. Meine Forderung: Diese Regelung muss verlängert werden! ({3}) Denn anders, als uns gesagt wurde, nämlich dass es keine oder nicht viele Insolvenzen gibt, bestätigt das Statistische Bundesamt, das schon vom Jahr 2019 auf das Jahr 2020 die Zahl der eröffneten Insolvenzen bei Reisebüros deutlich gestiegen ist, nämlich von 34 auf 75, und bei Reiseveranstaltern von 23 auf 40, sich also etwa verdoppelt hat. Was wird sich da erst in diesem Jahr zeigen? Man sollte also unbedingt noch mal überlegen, ob man hier den richtigen Weg gegangen ist. ({4}) Ein Weg aus der Krise – das wissen wir alle – ist Impfen, Impfen, Impfen. Es geht langsam vorwärts, für meine Begriffe viel zu spät. Aber was man nicht macht, ist, dass man schon Vorsorge dafür trifft, dass es den Europäischen Impfpass geben wird, dass in den Arztpraxen Schnittstellen vorgehalten werden, entsprechende Software aufgebaut wird, dass man mit einem Druck auf den Knopf diesen Impfpass bespielt und jedem Menschen das dann per App beispielsweise wieder auf sein Handy spielt. Dann hätte man ganz schnell diesen bürokratischen Wahnsinn gestoppt. ({5}) Nun will ich aber nicht nur meckern. Ich will auch mal sagen – ich habe mir nämlich Gedanken gemacht –, was ich, wenn ich jetzt Verantwortung tragen würde, machen würde: Was kann man tun? Also: Ich hätte viel mehr Modellvorhaben zugelassen. ({6}) Bei mir auf Hiddensee würde es schon ein Modellvorhaben geben. Ich hoffe darauf, dass Vorpommern-Rügen schon früher einen Modellversuch starten kann, als es für Mecklenburg-Vorpommern geplant ist. Man munkelt jetzt: statt 14. Juni ab 1. Juni. – Na gut, der Branche hilft jeder Tag. Ich hätte auch mehr in Forschung und Entwicklung investiert, weil es neue Trends gibt – sie müssen wir aufgreifen, ihnen müssen wir uns stärker stellen –, beispielsweise eine andere Mobilität, damit man zukünftig nicht mehr so viel mit dem Flugzeug fliegt, vor allem innerdeutsch und innereuropäisch nicht. ({7}) Deswegen sind neue Möglichkeiten des Reisens ganz wichtig. So sollten wir beispielsweise mit dem Zug – vielleicht auch noch mehr mit Nachtzügen – ({8}) die Verknüpfungen zwischen europäischen Metropolen verstärken. Das wären Lösungsansätze. Auch das Rad ist ein toller Mobilitätstreiber. Die Menschen fahren Fahrrad. Wir brauchen eine andere Infrastruktur, um dies gewährleisten zu können. Aber ich wünsche mir auch, dass wir an die junge Generation denken, die ganz besonders gebeutelt ist. Meine Forderung ist, Bildung und Reisen zu verbinden. Mit Bildung an einem anderen Ort bestünde jetzt doch die Gelegenheit, ({9}) dass wir der jungen Generation, die so viel mitgemacht hat, die Möglichkeit einräumen, das Reisen mit dem Lernen zu verbinden. Wagen wir da Neues! Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir hier in eine andere Zukunft gehen. Ich wünsche mir, dass der Tourismus prominenter bei uns im Bundestag verankert ist, auch in der Bundesregierung. Und ich wünsche mir, dass wir uns an die Erarbeitung eines Gesetzes für den Tourismus machen. Wir sind es dieser Branche, die 3 Millionen Beschäftigte hat, einfach schuldig, dass wir hier mehr tun. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Markus Tressel, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner. ({0})

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gabi Hiller-Ohm, ich glaube, dass es diese Debatte auf jeden Fall wert ist, dass wir sie heute an dieser Stelle führen, und ich bin der FDP deswegen auch dankbar, dass sie diesen Antrag hier vorgelegt hat. ({0}) Tourismus, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein wichtiger Faktor in unseren Regionen. Tourismus schafft Arbeit in Städten, in ländlichen Räumen, und er schafft wirtschaftliche Entwicklung. Und was wir nicht vergessen dürfen: In vielen Regionen sichert er nicht nur Prosperität, sondern auch verkehrliche Erschließung, Handwerksbetriebe, daseinsvorsorgende Infrastruktur und vieles mehr. Das kann man gar nicht oft genug sagen. Trotzdem ist das gerade in der Vergangenheit ein politisches Thema gewesen, das vielfach unter dem Wahrnehmungsradar gelaufen ist. Deswegen ist es genau richtig, dass wir heute darüber diskutieren, wie wir die Folgen der Pandemie für diese wichtige Branche minimieren und wie wir gleichzeitig einen neuen Aufbruch für die Branche wagen können. ({1}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so sehr ich mich darüber freue, dass wir heute darüber debattieren, so sehr müssen wir natürlich auch besorgt sein, dass wir nach 15 Monaten Pandemie an einigen Punkten immer noch wie am ersten Tag über grundlegende Fragen zur Erhaltung der Tourismuswirtschaft in diesem Land diskutieren müssen. Ja, die Bundesregierung hat viel gemacht: Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfen. Aber nach den allernotwendigsten lebenserhaltenden Maßnahmen muss es jetzt darum gehen, einen Plan zu entwickeln, wie der Patient wieder langfristig stabil wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die nationale Tourismusstrategie, die dafür extrem wichtig wäre und die ja fast das einzig größere tourismuspolitische Projekt – wenn man das so nennen möchte – dieser Koalition in dieser Wahlperiode war, haben Sie nicht auf die Zielgerade bekommen, was Sie mit Corona und den Folgen der Pandemie begründen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Genau jetzt wäre es aber hilfreich, mit dieser Strategie eine Grundlage zu haben: Wie gehen wir vor? Wie entwickeln wir den Tourismusstandort Deutschland nach der Krise weiter? Wo müssen wir stützen? Wo müssen wir justieren? Und vor allem: Was können wir aus dem Koordinationswirrwarr dieser Krise für die Tourismuspolitik von Bund und Ländern lernen? ({2}) Entgegen dem, was du gesagt hast, liebe Kollegin Gabi Hiller-Ohm, sehen wir doch gerade wieder, dass jedes der Bundesländer einen anderen Ansatz für diesen Neustart verfolgt. Deswegen fehlt eine abgestimmte Strategie, und das wird in den entscheidenden nächsten Monaten mutmaßlich, zumindest in ernstzunehmender Tiefe, so bleiben. Das ist eine Fehlleistung dieser Regierungskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Eines muss uns doch klar sein: Trotz der finanziellen Hilfe zehrt diese Krise an den Grundlagen des Tourismusstandortes Deutschland. Viele sind in ihrer Existenz bedroht; Kerstin Kassner hat es gesagt. Wir dürfen uns nichts vormachen: Ohne konkreten Plan, ohne Perspektive werden wir Unternehmen, werden wir Leistungserbringer in den Regionen verlieren, und dieser Strukturverlust ist für viele Regionen schwer zu kompensieren. Deswegen muss die avisierte Hilfe jetzt gut fließen. Wir müssen auch über einen Wiederaufbaufonds gerade für kleine und mittlere Unternehmen der Tourismuswirtschaft nachdenken. Die Kolleginnen und Kollegen haben es gesagt: Das Kompetenzwirrwarr, das sich in den vergangenen Monaten als riesiges Problem erwiesen hat, müssen wir angehen. Der Föderalismus hat sich gerade für die Tourismusindustrie, für die Tourismuswirtschaft in dieser Krise nicht von seiner besten Seite gezeigt. Kompetenzgerangel, Abstimmungsschwierigkeiten und teilweise auch Abstimmungsverweigerung kann man vielleicht in normalen Zeiten machen. Das kann man aber nicht in einer so tiefen Krise machen. Das untergräbt auch die Akzeptanz von Coronamaßnahmen bei den Reisenden und in der Branche, für die wir auch kämpfen, weil wir diese Pandemie endlich hinter uns lassen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Deshalb brauchen wir mehr tourismuspolitische Koordination zwischen den Bundesländern und auch auf der europäischen Ebene. Es kann doch nicht sein, dass wir nach 15 schmerzhaften und auch lehrreichen Monaten immer noch nicht in der Lage sind, ein bundeseinheitliches Vorgehen für den Neustart zu definieren mit klaren Regeln, wann wo was mit welchem Konzept geht. Die Kolleginnen und Kollegen haben es gesagt: Die Ferien stehen vor der Tür, nicht nur die Pfingstferien, sondern auch bald die Sommerferien. – Wenn Sie mit den Menschen sprechen, dann hören Sie da draußen viel Konfusion. Niemand blickt mehr durch, wo man hinfahren kann und welche Bedingungen man erfüllen muss, um ein paar Tage Urlaub in diesem Land zu machen. Da braucht es mehr Klarheit, und es braucht auch mehr Gemeinsamkeit im Interesse der Menschen und des Reiselandes Deutschland. ({5}) Voraussetzung für Öffnungen war aus unserer Sicht immer, dass wir die Kontrolle über die Pandemie zurückerlangen. Dabei sind wir jetzt endlich auf einem guten Weg. Deswegen braucht es da jetzt tatsächlich auch einen verlässlichen Plan, unter welchen Voraussetzungen was wie möglich sein wird. Im letzten Jahr wäre die Zeit gewesen, diesen Plan vorzubereiten und auf den Weg zu bringen. Dass wir und auch die Bundesregierung und die Landesregierungen es nicht getan haben, fällt uns jetzt leider auf die Füße. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Krise hat die Tourismuswirtschaft hart getroffen. Deswegen müssen wir die Chance für einen Neustart konsequent nutzen. Vielleicht haben wir jetzt quasi im Neustart auch die Möglichkeit, die Branche, die Regionen resilienter gegen derartige Krisen zu machen. Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Sicherheit und nicht zuletzt der Schutz von Unternehmen und Arbeitsplätzen im Tourismus müssen jetzt auf nationaler und auch auf europäischer Ebene auf die Agenda. ({6}) Die EU plant eine Europäische Tourismusagenda 2050. Das ist ein Anfang. Aber wenn ich mir den langen Zeitraum ansehe, dann ist mir der, offen gestanden, zu lang. Die Förderpolitik wird eine entscheidende Rolle spielen. Wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass, wie angekündigt, EU-Mittel tatsächlich in die Neuaufstellung unserer Tourismusdestinationen fließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Strukturen erhalten und vor allem nicht eine ganze Generation von jungen, gut ausgebildeten Touristikern verlieren wollen, dann brauchen wir gerade jetzt kein Durcheinander, sondern ein koordiniertes Vorgehen. Wir müssen der Tourismuswirtschaft helfen, diese Krise zu überwinden, auch weil wir damit Existenzen sichern und Regionen attraktiv halten, und wir müssen dafür sorgen, dass wir Chancen nutzen, die sich jetzt aus dieser Krise ergeben. Herzlichen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Markus Tressel. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Geht es Ihnen gut? – Dann ist es recht. ({0}) Nächster Redner: für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Bareiß. ({1})

Thomas Bareiß (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003734

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Rede ist es mir wichtig, zu sagen, dass die deutsche Tourismus- und Reisebranche in dieser Pandemie einen einzigartigen und auch harten Einschnitt ertragen muss und damit auch einen herausragenden Beitrag zur Bekämpfung dieser Pandemie geleistet hat. Deshalb noch einmal den 3 Millionen dort Beschäftigten ein ganz, ganz besonderes Dankeschön für ihren Beitrag für diese Pandemiebekämpfung! ({0}) Der Einschnitt, den die Beschäftigten erleben mussten, ist deshalb so bitter, weil wir in den letzten Jahren im Tourismus erfolgreich waren. Wir hatten die letzten Jahre eine unglaubliche Beliebtheit. Wir waren fünfmal in Folge die beliebteste Marke in der Welt und hatten damit auch enorm viele Gäste. Wir waren Marktführer im Kulturbereich, bei Städtereisen, Geschäftsreisen, Kongressen und auch Messen. Überall dort waren wir spitze in Europa und teilweise auch weltweit. Dass das so bleibt und dass wir auch nach der Pandemie weiterhin so erfolgreich sind, daran möchten wir gemeinsam arbeiten. Das ist, glaube ich, auch etwas, was uns im Tourismusausschuss gemeinsam immer getragen hat. Deshalb auch noch einmal danke schön an alle Fraktionen, die dazu beigetragen haben! Vielen Dank Ihnen, Frau Hiller-Ohm, stellvertretend für alle. Sie werden jetzt aufhören. Ihnen noch einmal ein ganz, ganz großes Dankeschön für die Arbeit der letzten Jahre, die Sie für den Tourismus geleistet haben! ({1}) Wir haben viel getan in der Bundesregierung. Wir haben die Strukturerhaltung vorangetrieben. Wir haben versucht, auch dort zu helfen, wo Hilfe ganz dringend notwendig war. Die Überbrückungshilfe III: 100 Prozent Fixkostenerstattung, 6,4 Milliarden Euro ausgezahlt. 3,2 Milliarden Euro gingen direkt in die Tourismusbranche. November- und Dezemberhilfe: ein wichtiges Hilfspaket mit einer Erstattung von bis zu 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats, einer Auszahlungsquote von 94 Prozent und 11,5 Milliarden Euro an Geldern. Sie gingen größtenteils in die Tourismusbranche. Auch erwähnt wurden bereits die Kurzarbeitergelder, insgesamt 30 Milliarden Euro. Davon ging auch ein Großteil in die Tourismusbranche. Das zeigt: Wir haben enorm vieles gemacht und haben gezeigt, dass wir die Branche und die Mitarbeiter nicht im Stich lassen, meine Damen und Herren. ({2}) Jetzt geht es darum, aus der Krise wieder sicher herauszukommen, vor allem sicher und nachhaltig die Unternehmen zu begleiten. Ich glaube, dass das wichtigste Thema ist, dass wir impfen und testen und damit Sicherheit für jeden Reisenden schaffen. Ich bin froh und dankbar, dass wir bereits 37 Prozent der Menschen in Deutschland mit der Erstimpfung versorgen konnten. 9 Millionen Menschen haben schon die Zweitimpfung erhalten. Wir haben bundesweit eine zuverlässige Teststrategie. Auch das zeigt, dass wir vor Ort Sicherheit schaffen können. Ich glaube, das Wichtigste ist überhaupt, dass wir auch in dieser Pandemie erlebt haben, dass die Menschen vor Ort Verantwortung übernehmen können und auch vor Ort genau wissen, was sie tun. Deshalb haben wir großes Vertrauen, dass auch hier Enormes geleistet wird. Ich freue mich, dass wir in dieser Woche und auch nächste Woche im übrigen Teil der Bundesländer wieder öffnen können. Cafés, Biergärten, Restaurants und Bars, Kneipen, Gaststätten werden wieder öffnen. Das ist ein ganz wichtiges Signal für die Branche und für die Mitarbeiter. Wir brauchen keine Pläne, wir brauchen keine großen Modelle. Wir müssen jetzt wieder öffnen. Das ist das wichtigste Signal für alle in dieser Branche. Urlaub in Hotels, in Pensionen und Ferienwohnungen sind in vielen Bundesländern zwar mit Auflagen, aber an Pfingsten und nach Pfingsten wieder machbar. Auch das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Signal, das sehr große Hoffnung gibt. Wir ermöglichen Reisen nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit und haben dazu vieles die letzten Wochen beigetragen: bundeseinheitliche Regelungen für Geimpfte und Genesene, flächendeckende Teststrategie, eine neue und auch unbürokratische Einreiseverordnung ohne Quarantäne, sondern mit einer ganz klaren Strategie mit Testen im Vordergrund. Auch aus einem Risikogebiet kann man dann ohne Quarantäne nach Deutschland einreisen. Die sichere Grundlage für die Zukunft wird der digitale Coronaimpfpass sein, der ab Juni bereitsteht und dann für alle wieder sicheres Reisen in ganz Europa möglich macht. Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten haben wir, glaube ich, sehr schmerzhaft erfahren, wie wichtig es für uns ist, Menschen zu begegnen, Feste zu besuchen, Restaurants zu besuchen, Urlaub zu machen, zu reisen, Neues zu erleben, wieder rauszukommen. Ich bin davon überzeugt: Der Wunsch nach Reisen und danach, wieder Neues zu erleben, ist so groß wie noch nie. Deshalb bin ich auch davon überzeugt, dass wir vor einem großartigen Sommer, vor einem großartigen zweiten Halbjahr in diesem Jahr stehen und dass die deutsche Tourismusbranche mit 3 Millionen Beschäftigten wieder viele neue Gäste begrüßen darf. Deshalb freue ich mich, dass wir gemeinsam in diese starke Saison starten können. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thomas Bareiß. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Christoph Neumann. ({0})

Christoph Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004839, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Präsidentin! Ehrwürdige Mitglieder dieses Hohen Hauses! Geneigte Zuschauer an den heimischen Fernsehgeräten! Der vorliegende Antrag der FDP ist ein Versuch, Vertrauen für den Tourismus zurückzugewinnen. Er ist aller Ehren wert. Aber warum haben wir dieses Vertrauen überhaupt erst verloren? Warum antworten immer mehr Deutsche mit Unverständnis auf die Maßnahmen dieser Regierung? Ganz einfach: Die Regierung hat die Unterstützung des deutschen Volkes verloren. ({0}) Zu Ostern durften die ersten Urlauber unser Land verlassen, ich betone: durften! Der Abgeordnete und Genosse Professor Dr. Lauterbach von der SPD versuchte sogar, den Bürgern dies zu verleiden, und sagte der spanischen Regierung eine gewisse Schummelei nach, wie aus den Medien zu erfahren war. Dabei zeigten die Verantwortlichen auf den Balearen, wie Tourismus auch in Zeiten von Corona möglich ist. Die Hygienemaßnahmen wurden entsprechend den Bedürfnissen angepasst. Es waren sogar Schulen geöffnet, und die Gäste aus Deutschland wurden mit großer Freude empfangen. Zur gleichen Zeit verkroch sich unsere Regierung aus reiner Furcht in ihre Berliner Amtsstuben. ({1}) Die deutsche Tourismuswirtschaft mit 3 Millionen Beschäftigten hat seit Langem sinnvolle Konzepte für die Öffnung des Tourismus erarbeitet. Wenig davon ist in die Politik eingeflossen. Hören wir an dieser Stelle doch endlich einmal auf die Vertreter der Praxis! Sie arbeiten jeden Tag für das Wohl ihrer Gäste ({2}) und wissen, was nötig ist, um diese zu schützen. Die Bürger in unserem Land wollen ihre Freiheit zurück – die Freiheit, ihren Aufenthaltsort selbst zu bestimmen, ohne Bevormundung aus Berlin. ({3}) Wertgeschätzte Kollegen, möchten Sie nicht auch den Bürgern unseres Landes ihre Freiheit wiedergeben? Liebe Kollegen der FDP, das Grundübel haben Sie bereits richtig erkannt: Das Infektionsschutzgesetz dieser Regierung zerstört Vertrauen. Nur, Ihr Wunsch nach einem bundesweiten Öffnungskonzept wird ein Wunsch bleiben, und das wissen Sie. Bund und Länder haben auch in der Not nicht zueinandergefunden. Der Öffnungswettbewerb ist schon längst im Gange, wie wir tagtäglich in allen Medien sehen können. Pfingsten steht vor der Tür. Unsere Familien wollen in den Sommerurlaub; sie planen schon. Helfen wir ihnen endlich dabei! Geben Sie den Menschen in Deutschland ihre Freiheit zurück! Es lebe unser schönes Urlaubsland Deutschland! Ich danke Ihnen fürs aktive Zuhören. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Christoph Neumann. ({0}) Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bernd Rützel. ({1})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ganz besonders: Liebe Gabriele Hiller-Ohm! Auch wenn wir nicht wissen, ob das heute deine letzte Rede zum Tourismus war – die Legislaturperiode dauert ja noch ein paar Monate –, so will ich aber die Möglichkeit nutzen, dir für 19 Jahre hier im Deutschen Bundestag im Bereich Tourismus zu danken. Du hast hier viel gearbeitet, viel bewegt, hast hier einen guten Namen und gute Verbindungen. Das ist der Unterschied zu plakativen Anträgen oder zu Reden, wie wir sie gerade eben gehört haben. Vielen Dank, liebe Gabriele, für deine Arbeit! ({0}) Ich bin aber froh, dass die FDP es uns ermöglicht, zu dieser Stunde und auch in diesem Umfang über den Neustart zu reden. Jeder von uns lechzt doch danach, wieder rauszukönnen, wieder all das zu genießen, was uns so lieb war. Auch wenn wir jetzt sehen, dass die Coronazahlen deutlich sinken, dass die Situation auf den Intensivstationen sich leicht, aber stetig entspannt, wenn wir sehen, dass die Impfungen an Fahrt aufnehmen, und wenn wir uns alle auf einen schönen Sommer freuen – nächste Woche machen die Freibäder auf –, ist es trotzdem wichtig, jetzt mit Maß und Verstand vorzugehen. Ermöglichen, was möglich ist, und dabei trotzdem vorsichtig und umsichtig zu bleiben, das muss jetzt gelten. Wir haben hier mit der Bundesnotbremse zwar einen bundeseinheitlichen Rahmen geschaffen, aber ich sage auch: Es gibt nach wie vor einen großen Flickenteppich. Die Länder können sich oftmals nicht einigen und warten mit der Koordinierung zu lange. Das ist verantwortungslos, das ist bizarr, das hilft der Reisebranche nicht und ist für viele Reisende auch nicht nachvollziehbar. Ich will ein Beispiel aus meinem Wahlkreis in Unterfranken nennen. Wir liegen ganz nah an der hessischen Landesgrenze. Ab Pfingstmontag, also ab nächster Woche, werden in Bayern wieder verschiedene Angebote zugelassen. Reisebusse zum Beispiel dürfen dann wieder fahren. Seit gestern ist ein Papier der Bayerischen Staatsregierung im Umlauf. Es nennt sich „Rahmenkonzept“ und regelt die Bedingungen, unter denen touristische Dienstleistungen vom kommenden Montag an wieder angeboten werden dürfen. Ich will dieses Papier einmal freundlich zusammenfassen: Es ist kompliziert. Es ist kompliziert, weil die Regelungen natürlich unterschiedlich sind und weil der bayerische Ministerpräsident die Zügel gerne kurzhält. Deswegen hatten gerade Busunternehmer aus meinem Wahlkreis die Idee, schnell über die Grenze nach Hessen und um ganz Bayern herum zum Beispiel nach Italien zu fahren. Das ist schwierig, und das versteht auch niemand. Die Leute denken ja, wir sind verrückt. Deswegen brauchen wir Planungssicherheit. Was wir anbieten können und bereits geregelt haben, ist eine Orientierung an den Infektionszahlen. Was wir nicht anbieten können – das muss man auch deutlich sagen –, sind Aussagen über die weitere Entwicklung der Infektionszahlen. Es gibt Prognosen, die bei der Orientierung helfen; aber ob sie verlässlich sind und wie die Situation im Juni, im Juli, im August oder im September ist, weiß hier niemand. ({1}) – Ja, das ist so. Sie bilden sich das vielleicht ein, aber niemand weiß, wie es sein wird. Deswegen müssen Versprechen seriös sein. Es wurde hier schon angesprochen, dass sich das Reisen aber auch verändert. Die Leute wollen mehr Sicherheit: Sicherheit, dass Krankenhäuser in der Nähe sind, Sicherheit, dass man auch wieder zurückkommt, Sicherheit, dass man umbuchen kann, dass man flexibel sein kann. Das Thema Nachtzüge, wofür ich als Eisenbahner besonders dankbar bin, ist ein wichtiges Thema – die Kollegin Kassner hat es hier angesprochen –, genauso wie Radwege und Nachhaltigkeit. Ich will mit einem Zitat, welches Alexander von Humboldt zugeschrieben wird, enden. Er soll gesagt haben: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“ Deswegen: Reisen ist wichtig und bildet. Es ist auch nicht schlecht – das sage ich als Eisenbahner –, wenn man manchmal das Flugzeug benutzt. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bernd Rützel. – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion Roman Müller-Böhm. ({0})

Roman Müller-Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004833, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Die Tourismuswirtschaft ist wahrscheinlich die Branche in unserem Land, die als Erstes von der Coronapandemie betroffen war und wahrscheinlich auch noch am längsten von der Krise und den Folgen betroffen sein wird; denn – das hat Herr Rützel gerade richtig gesagt – wir alle können nicht wissen, was eventuell eines Tages noch passieren mag. Aber genau deswegen ist es auch so wichtig, dass wir dieser Branche jetzt entschlossen helfen. ({0}) Mein Eindruck – das ist nicht nur meiner, sondern auch der Eindruck vieler aus der Branche – ist, dass die Bundesregierung relativ schnell und auch großzügig ist, wenn es darum geht, Freiheitsrechte einzuschränken und die Möglichkeiten der Branche zu erhalten, sich selbst zu ernähren und nicht auf staatliche Zuschüsse angewiesen zu sein. Wenn es aber darum geht, dieser Branche konkret zu helfen, dann dauert es Ewigkeiten. Die Branche wartet beispielsweise nach wie vor – das hat Marcel Klinge gerade schon ausgeführt – auf eine passende Regelung für die Verbundunternehmen. Um das einmal klar zu beziffern: Das sind vielleicht nur 150 Unternehmen; dahinter stehen aber mindestens bis zu 200 000 Mitarbeiter. Da frage ich mich schon ganz ehrlich, liebe Bundesregierung und liebe Große Koalition: Warum machen Sie denn dann nichts? Warum passiert denn da nicht endlich etwas? Und warum lassen Sie die Leute da im Regen stehen? ({1}) Das führt mich zu der Feststellung – das muss ich so deutlich sagen –, dass das Auseinanderfallen von eigener Wahrnehmung und Wirklichkeit hier im Hause anscheinend gerade bei der Großen Koalition am meisten vorhanden ist. Ich möchte Ihnen das deutlich machen: Wir haben seit Monaten im Tourismusausschuss eine Anhörung nach der anderen, und es kommen immer wieder dieselben Themen auf. Wenn ich dann von Ihnen, Frau Gabriele Hiller-Ohm, höre, dass Sie es verwunderlich finden, dass wir eine bundeseinheitliche Strategie fordern oder dass wir gegen Maßnahmen wie die Ausgangsbeschränkungen Klage erheben, dann frage ich mich: Haben Sie da eigentlich einmal zugehört? ({2}) Die Leute sagen die ganze Zeit, dass das für den Tourismus schädlich ist. Wir tun etwas dagegen oder möchten zumindest erreichen, dass diesem Zustand abgeholfen wird, und dann wundern Sie sich, dass wir das machen. Dafür habe ich keinerlei Verständnis! ({3}) Zu guter Letzt möchte ich, weil Kerstin Kassner das gerade eben schon angesprochen hatte, auf das Thema der Insolvenzantragspflicht eingehen. Wir haben hier ebenfalls eine Situation, die ausgesprochen schwierig ist. Gerade im Tourismus ist es so, dass einige Betriebe immer noch keine Hilfsmaßnahmen erhalten haben. Und was passiert nun? Seit dem 30. April müssen wieder Insolvenzen beantragt werden. Das ist ordnungspolitisch richtig. Aber es ist ordnungspolitisch falsch, dass gesunde Unternehmen im Grunde nur deshalb Insolvenz anmelden müssen, weil staatliches Handeln fehlt und die Bundesregierung da keine entsprechende Hilfe leistet. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Müller-Böhm. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Astrid Damerow. ({0})

Astrid Damerow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch ich habe mir in den vergangenen Monaten so manches Mal bundeseinheitlichere Regeln gewünscht. Dieser Wunsch war immer dann besonders ausgeprägt, wenn die Ministerpräsidentenrunden mit der Kanzlerin endeten. Denn es gab häufig einen durchaus ausgeprägten gemeinsamen Willen, aber in der Umsetzung von einheitlichen Maßnahmen haperte es dann hinterher. ({0}) Das wurde dann besonders virulent, als wir im Frühjahr steigende Infektionszahlen hatten. Vor diesem Hintergrund war es richtig, dass wir eine bundeseinheitliche Notbremse beschlossen haben, um die wir richtigerweise, da wir ein föderaler Staat sind – das wird in der Diskussion heute so ein bisschen vergessen –, ({1}) heftig gerungen haben. Zum Thema „föderaler Staat“ will ich auch sagen: Gerade wir Touristiker betonen doch bei jeder Gelegenheit, wie wichtig es ist, dass Tourismus föderal betrachtet wird, weil die Gegebenheiten in unseren Bundesländern eben sehr unterschiedlich sind. Deshalb bin ich nach wie vor der Ansicht – die Kollegin Hiller-Ohm hat es sehr deutlich gemacht –: Die Notbremse ist richtig; aber das Darunter müssen die Bundesländer in ihrer eigenen Hoheit entscheiden. ({2}) Ich verstehe, ehrlich gesagt, Ihre Aufregung in der FDP und durchaus auch bei den Grünen nicht so ganz; denn an der einen oder anderen Landesregierung sind Sie durchaus beteiligt. Als Schleswig-Holsteinerin – das sage ich ganz offen – bin ich sehr froh, dass wir diese differenzierte Betrachtung haben; denn ohne diese Differenzierung wären im meinem Bundesland die Modellregionen so nicht möglich gewesen. Gerade in meinem Wahlkreis mit einer Inzidenz von in den letzten Wochen dauerhaft um die 30 haben wir die Modellregionen. Der ganze Kreis Nordfriesland und die Gemeinde Büsum sind vom 1. Mai bis letzten Montag Modellregionen gewesen. Das klingt toll, und das klingt auch so einfach – war es nicht. Auch um die Bedingungen in diesen Modellregionen ist heftig gerungen worden, ist diskutiert worden. Sie erfordern von allen Akteuren, die sich daran beteiligen, ein hohes Maß an Einsatz und an Disziplin. Im Übrigen haben sich auch nicht alle touristischen Unternehmen daran beteiligt; auch das gehört zur Wahrheit dazu. Das ist ihr gutes Recht, und ich finde, das muss man auch akzeptieren und hinnehmen. Daneben lief aber auch die Diskussion – das sage ich jetzt durchaus als Touristikerin, aber eben auch als Abgeordnete meines Wahlkreises –, dass eben auch die Bürger, die Einwohner in so einem Kreis durchaus Ängste entwickelt haben. Das kann ich nicht einfach wegwischen. Das haben im Übrigen auch die Touristiker vor Ort nicht einfach weggewischt. Ihnen möchte ich an dieser Stelle explizit einmal danken, wie verantwortungsvoll und auch wie kritikfähig sie mit dieser Situation umgegangen sind und mit wie viel Einsatz sie die Bedingungen und die Voraussetzungen für diese Modellregionen geschaffen haben. ({3}) Es ist eine Chance gewesen. Wir haben sie nutzen können, weil wir eine niedrige Inzidenz haben – aber nur deshalb. Deshalb noch einmal: Ich wünschte mir keine bundeseinheitlichen Regeln zu einer Öffnung; denn dann wäre das nicht möglich gewesen. Ich finde, das sollte man an dieser Stelle auch einmal betrachten. Modellregionen sind gut. Sie haben bei uns jetzt zu einer landesweiten Öffnung geführt. Andere Bundesländer werden nachziehen. Aber wie gesagt: Wir werden in den nächsten Wochen um einen Flickenteppich nicht herumkommen. Das ist der Vielfalt – übrigens finde ich als Touristikerin: der ausgesprochen schönen Vielfalt – unseres Landes geschuldet, und ich finde, diese Geduld sollten wir haben. Wenn ich mich mit den Bürgern in meinem Wahlkreis unterhalte, dann sind sie durchaus in der Lage, sich darüber Gedanken zu machen, wohin sie in den Urlaub fahren und welche Regeln sie dort erfüllen müssen. Das haben Sie früher nämlich auch getan. Also, es ist ja nicht so, dass alles immer überall gleich ist. Insofern würde ich sagen, lieber Marcel Klinge: Der Wunsch nach bundeseinheitlichen Regeln hätte durchaus auch ein Danaergeschenk sein können. Deshalb ist es gut und richtig, wie die Bundesregierung das gemeinsam mit den Bundesländern geregelt hat. ({4}) Jetzt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, gilt es in der Tat, nach vorne zu schauen. Wir haben natürlich noch nicht für alle Lösungen, so wie wir sie uns wünschen. Die verbundenen Unternehmen sind angesprochen worden. Es ist schwierig – Sie, Bernd Rützel, haben es gesagt – für unsere Busunternehmen bei länderübergreifenden Reisen; das stimmt auch. Ebenso werden wir uns mit dem Thema auseinandersetzen – dazu sind wir bereits im Gespräch mit dem Staatssekretär –: Wie gehen wir in den nächsten Wochen und Monaten mit der Arbeitskräftegewinnung in unserer Tourismuswirtschaft um? All das sind Herausforderungen, derer wir uns sehr wohl bewusst sind. Dafür, liebe FDP, hätte es Ihren Antrag nicht gebraucht. Das wissen wir; daran arbeiten wir in vielerlei Hinsicht gemeinsam mit unserem Koalitionspartner. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen, aber selbstverständlich mit Ihnen gemeinsam im Tourismusausschuss, wie wir das auch in der Vergangenheit gewöhnt waren, weiter kollegial zusammenarbeiten – zum Wohle des Tourismus und der Menschen in unserem Land. Ganz herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Grüßen Sie mir Nordfriesland! ({0}) – Geht Sie nichts an! ({1}) Ich habe gesagt, sie soll Calli Schaschlik grüßen . Sie wissen nicht, was das ist; aber da haben Sie etwas versäumt. Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Frank Junge. ({2})

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst vorausschicken, dass gerade die Unternehmen im Mittelstand, die den Tourismus in unserer Republik aufrechterhalten, unser aller Respekt verdient haben. Wir als Bundesregierung und als Koalition haben eine ganze Menge auf den Weg gebracht, um ihnen zu helfen. Das scheint in der Debatte so ein bisschen aus dem Blick zu geraten. Wir haben Umsatzeinbrüche ausgeglichen. Wir haben Fixkostenerstattungen vorgenommen. Wir haben eine Mehrwertsteuerabsenkung vorgenommen. Das alles hilft der Branche in einer Zeit, in der sie es dringend braucht. ({0}) Lieber Marcel Klinge, ich wünschte mir ein Stück weit mehr sozialdemokratische Gedankenweise bei euch in der Fraktion; denn dann würdet ihr natürlich zu Recht nicht die Unternehmen obenanstellen, sondern ihr würdet sie auf die gleiche Ebene heben wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; ({1}) denn ohne die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wäre dieses Zusammenspiel überhaupt nicht möglich. ({2}) Es ist insbesondere unserer Fraktion und Olaf Scholz zu verdanken, dass wir mit dem Kurzarbeitergeld, mit den Investitionen in Qualifikation und Ausbildung eine ganze Menge für die Tourismusbranche geleistet haben. Ich will noch einmal hervorheben: Wenn wir über die Bundesnotbremse reden, dann reden wir über ein Instrument, das wirkt. Seit der Einführung sind die Inzidenzwerte um fast 100 Punkte gefallen. Das zeigt, dass das den Menschen zugutekommt, der Wirtschaft, der Gastronomie und dem Tourismus. ({3}) Hier sage ich noch einmal: Herr Müller-Böhm, dass Sie sich dieser Maßnahme komplett enthalten haben. Sie haben dagegengestimmt und damit einen Katalog an Maßnahmen abgelehnt, der am Ende dazu führt, dass wir in der Gesellschaft bessere Voraussetzungen haben, die auch die Wirtschaft braucht, um am Ende voranzukommen und entsprechend Lockerungen zu erfahren. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Hoffmann, FDP?

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, gerne.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ihre Redner von der SPD haben auch an die Vernunft und Sicherheit appelliert. Aber ich empfinde da eine gewisse Wahrnehmungsstörung. Sie können das nicht empfinden, weil Sie vielleicht ein bisschen weiter weg von der Schweizer Grenze wohnen. Wenn Sie ein touristisches Reisebüro in Südbaden haben, dann kommen Ihnen Tränen in die Augen; denn in der Schweiz konnten Sie immer verreisen, zum Beispiel in Risikogebiete wie Ägypten. Die Reisen konnten jederzeit verkauft werden; gar kein Problem. Das war in Deutschland nicht möglich. In der Schweiz haben auch alle Skilifte aufgehabt; die Hotels waren immer auf. Als die Bundesnotbremse, die Sie gerade gelobt haben, in Kraft getreten ist, hat die Schweiz alles aufgemacht. Wenn Sie jetzt die Inzidenzverläufe von beiden Staaten vergleichen, sehen Sie, dass sie genau dieselben sind. Finden Sie hier einen Fehler?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege.

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hoffmann, ich will Ihnen entgegnen, dass die Maßnahmen, die wir zur Bekämpfung der Coronapandemie auf die Beine gestellt haben, aus meiner Sicht genau die richtigen sind. Ich halte es auch für klug, dass wir stets an den gleichen Parametern zur Beurteilung der Lage festgehalten haben. ({0}) Wenn wir feststellen, dass nach Beschluss der Bundesnotbremse am 25. April der Inzidenzwert bei uns in der Republik bei 166 gelegen hat, dann muss man realisieren, dass wir bis heute die Inzidenz auf 68 senken konnten. ({1}) Selbst wenn man unter dem Gesichtspunkt so argumentiert wie Sie, ist doch deutlich, dass sich die Absenkung des Inzidenzwertes auf irgendetwas zurückführen lassen muss, und das ist aus meiner Sicht die Bundesnotbremse. ({2}) Ich fahre in meiner Rede fort. Ich will zur Widersprüchlichkeit Ihres Antrags, lieber Marcel Klinge, anführen – Sie halten ja auch die freiheitlichen Rechte der Bürgerinnen und Bürger immer so weit hoch –, ({3}) dass wir am 6. Mai hier im Deutschen Bundestag alle die Möglichkeit hatten, darüber zu entscheiden, dass Geimpfte und Genesene von den Einschränkungen im Rahmen der Coronamaßnahmen ausgenommen werden können. Wir haben das beschlossen, weil wir sehen, dass wir ihnen damit ihre eingeschränkten Rechte zurückgeben. Wir haben an dieser Stelle natürlich auch die Wirtschaft im Blick, weil sich damit auch Perspektiven für die Marktteilnehmer bieten. Hier frage ich mich, warum Sie, wenn Ihnen das so wichtig ist, dort Ihre Stimme verwehrt haben. ({4}) Ich will zu anderen Widersprüchlichkeiten in Ihrem Antrag gar nichts sagen, weil mir da ein Stück weit die Zeit davonläuft. Ich möchte aber noch auf einen Zusammenhang hinweisen, der hier nach meinem Dafürhalten viel zu kurz gekommen ist: Wir alle sind uns doch darüber im Klaren – hoffentlich –, dass wir über eine verlässliche und vor allen Dingen dauerhafte Rückkehr zur Normalität nur dann reden können, wenn wir die Inzidenzwerte in allen Bereichen unserer Gesellschaft dauerhaft zurückfahren können. Das liegt doch als Erkenntnis klar auf dem Tisch. Vor diesem Hintergrund kann es aus meiner Sicht nur darum gehen, dass wir mit aller Macht und mit aller Kraft, die wir haben, die Impfkampagne, die jetzt in den Ländern angelaufen ist und gut läuft, aufrechterhalten. Daher möchte ich Jens Spahn darum bitten, dass er alles Mögliche dafür tut, genügend Impfstoff bereitzustellen, damit wir mit einer hohen Durchimpfungsrate genau die Fortschritte erreichen, um am Ende wirklich zu verlässlichen und dauerhaften Lockerungen zu kommen. Einen letzten Hinweis möchte ich geben. Ich glaube, gerade für die Tourismusbranche – das wurde hier schon angesprochen – ist ein fälschungssicherer digitaler Impfausweis von höchster Not. ({5}) Hier fordere ich Jens Spahn auch auf, noch bevor wir eine europaweite Möglichkeit der digitalen Erfassung des Impfstatus haben, in Deutschland eine fälschungssichere Möglichkeit einzuführen. Das hilft der Tourismusbranche, das hilft dem Einzelhandel, und vor allen Dingen ist es so, dass es die Ordnungsämter in den Kommunen entlastet, weil die sonst mit der Überprüfung alleingelassen werden. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frank Junge. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir sehnen uns alle nach dem Neustart des Tourismus, und mittlerweile lassen die abklingende Pandemie und auch der Impffortschritt diese Hoffnung langsam wieder zur Realität werden. Dort, wo der Tourismus bereits wieder angelaufen ist, zum Beispiel in den Modellregionen im Norden, da brummt er auch schon wieder, und zwar ganz gewaltig. Wie der FDP-Antrag bestätigt: Es wird auch schon wieder kräftig gebucht, vor allem innerhalb Deutschlands. Denn viele Menschen haben Deutschland als Urlaubsland neu entdeckt und den Urlaub im eigenen Land neu schätzen gelernt. Schließlich stellt sich hier eben nicht die Frage: Was mache ich, wenn ich krank werde? Lasse ich mich ausfliegen? Wo gibt es denn in der Nähe ein gutes Krankenhaus? – Die Menschen sind urlaubshungrig; das geht uns doch ehrlicherweise allen so. Der Neustart – Herr Thomas Bareiß hat es schon angesprochen – wird ganz automatisch kommen, wenn die Länder der Reihe nach in den kommenden Tagen und Wochen ihre Urlaubsdestinationen wieder öffnen. Der FDP-Antrag liefert eine drei Seiten lange Zustandsbeschreibung, der ich großenteils nicht widersprechen will, lieber Marcel Klinge. Die Liste von möglichen Maßnahmen nach dieser Beschreibung umfasst am Ende aber nur sechs Punkte, von denen die allermeisten Ländersache sind. Da ist zum Beispiel die Forderung nach einem Öffnungskonzept, inklusive Regeln für Test- bzw. Impfnachweis, Hygienekonzept etc., oder die Aufhebung von Verboten touristischer Übernachtungen. Das sind gute Punkte, die aber in unserer Bundesrepublik nicht von uns hier geregelt werden, sondern von den Ländern. Das fordern Sie aber wiederholt, und wir erklären wiederholt gerne die Rechtslage, damit das geklärt ist. ({0}) Auch von den Grünen habe ich das heute wiederholt hören müssen. Schließlich sind die Realitäten in puncto Pandemie bei mir auf der Schwäbischen Alb eben anders als bei Kollegin Brehmer im Harz oder bei der Kollegin Damerow auf Sylt. Natürlich nervt uns alle dieser Regelungsflickenteppich, vor allem auch die Unternehmen, die bundesweit tätig sind. Aber die unterschiedliche Lage in den verschiedenen Bundesländern erfordert auch im Tourismus unterschiedliche Herangehensweisen, und das ist auch richtig. Das ist die Stärke unseres Föderalismus. So können wir im Süden von den norddeutschen Modellregionen lernen, wie auch die Sächsische Schweiz vielleicht vom Tübinger Konzept lernen kann. Das kann aber nicht von Berlin aus verordnet werden. Da habe ich sehr viel Vertrauen in die Landestourismusminister. ({1}) Laut Presseberichten hat sich das Interesse der Menschen an Urlaubsreisen seit April mehr als verdreifacht. Ferienwohnungen in Deutschland, aber auch in den europäischen Nachbarländern sind in diesem Jahr deutlich teurer als noch vor der Coronapandemie. Das beschert nun vielen Vermietern höhere Einnahmen, und das ist nichts Unanständiges, sondern das ist ein wichtiger und notwendiger Ausgleich für die Ausfälle in dieser Pandemiezeit. Der Startschuss wird nun schon am Wochenende in Schleswig- Holstein gegeben, wo im ganzen Land wieder Pfingsturlaub möglich sein wird. In ersten Landkreisen in Baden-Württemberg sind Gastronomie und Hotels ebenfalls schon wieder offen. Auch in Niedersachsen oder in Mecklenburg-Vorpommern kann man in Kürze wieder Urlaub machen. Die Öffnungen sind auf dem Weg – immer in Verbindung mit Hygiene- und Schutzkonzepten – alles natürlich mit der Devise: „Testen, testen, testen“ oder auch: „Impfen, impfen, impfen.“ Die Branche spricht neuerdings von den drei G: getestet, geimpft, genesen. – Denn es hilft der gesamten Tourismusbranche überhaupt nicht und wäre geradezu katastrophal, wenn auf Öffnungen und Lockerungen bald wieder ein Lockdown folgen müsste. Aber wir können und dürfen doch auch optimistisch sein: Heute sind schon rund 40 Prozent der Menschen im Land mindestens einmal geimpft, jeder Achte sogar schon vollständig. Und es geht rasant weiter. Das ermöglicht sicheres Reisen. Mit dem digitalen Impfpass – er wurde auch schon angesprochen –, den wir voraussichtlich schon im Juni verwenden werden können, wird der Nachweis sogar noch leichter als mit dem seitherigen gelben Impfbüchle. Das sind also beste Voraussetzungen für einen guten Neustart des Tourismus in Deutschland nach einer sehr harten Zeit für die Branche. Die Freude bei uns allen auf Urlaub ist ungebrochen, auch bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Deshalb müssen wir euren Antrag leider ablehnen. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Michael Donth. – Frau Damerow, wollen Sie eine persönliche Erklärung abgeben? ({0}) – Das wollen Sie nicht. Sie sagen es ihm bilateral, dass Sylt nicht Nordfriesland ist? – Gut. ({1}) Damit schließe ich die Aussprache.

Astrid Damerow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für diese Werbeminute für meinen Wahlkreis. – Mein Wahlkreis ist Nordfriesland – Dithmarschen Nord. Ich selbst lebe auf dem nordfriesischen Festland in Leck. Zum Kreis Nordfriesland gehören die Inseln Sylt, Föhr, Amrum und Pellworm nebst aller Halligen; das ist der gesamte Kreis Nordfriesland. ({0}) – Nein, die Insel Helgoland gehört zum Kreis Pinneberg. – Wir sind Schleswig-Holsteiner, und wir schaffen dieses etwas Komplizierte ganz leicht, und wir erklären es auch immer wieder sehr gerne. Vielen Dank.

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für den Datenschutz; denn er ist nun nicht mehr nur schmückendes Beiwerk des Telekommunikationsgesetzes oder des Telemediengesetzes, sondern er bekommt nun ein eigenes Stammgesetz. Somit schaffen wir einen übersichtlichen Rechtsrahmen für den Datenschutz und setzen die E-Privacy-Richtlinie in Deutschland um. ({0}) Klare Datenschutzregeln schaffen wir auch für die Zeit nach dem Ableben der Nutzer. Denn mit diesem Gesetz stellen wir klar, dass das Fernmeldegeheimnis der Rechtewahrnehmung durch Erben und andere berechtigte Personen in der Rechtsnachfolge des Endnutzers nicht entgegensteht und schaffen somit Rechtsklarheit für das digitale Erbe. Auch die Aufsicht über die Einhaltung der Datenschutzvorschriften wird reformiert. Vor allem erhält der Bundesdatenschutzbeauftragte die ausschließliche Aufsicht im Hinblick auf den Schutz der personenbezogenen Daten. Dieses Gesetz trägt aber auch dazu bei, Kompromisse zwischen Bundesrat und Bundestag umzusetzen. Das gilt zum einen für die Bestandsdatenauskunft; der Kompromiss, der im Vermittlungsausschuss zwischen den Parteien gefunden wurde, findet sich in diesem Gesetz Wort für Wort wieder. Zum anderen werden wir mit diesem Gesetz Änderungen am erst jüngst verabschiedeten Telekommunikationsmodernisierungsgesetz vornehmen. Damit setzen wir Änderungswünsche des Bundesrates um. Der Universaldienst für Bürger wird damit gestärkt; denn die Vorgaben für die Mindestanforderungen von Internetdiensten werden künftig in einer Rechtsverordnung geregelt, der nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat zustimmen muss. Die Mindestbandbreite wird somit im breiten gesellschaftlichen Konsens festzulegen sein, und das ist gut so. ({1}) Zudem wird eine Änderung bei der Frequenzvergabe vorgenommen. Damit kann die Bundesnetzagentur künftig neutral bewerten, welches das beste Verfahren für die Vergabe des jeweiligen Frequenzblockes ist. Eine der Hauptsorgen der Opposition – dass das neue TKG ohne Regelungen zum Datenschutz bleibt – kann hiermit beiseitegewischt werden. Beide Gesetze werden gleichzeitig am 1. Dezember dieses Jahres in Kraft treten. Damit ist die gesetzliche Neuordnung des Telekommunikationssektors rechtzeitig zum Ende dieser Legislatur abgeschlossen: Wir haben den Verbraucherschutz gestärkt, die meisten Funklöcher werden in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören, und wir werden den Schutz der Nutzerdaten stärken. Das liegt übrigens auch an einer innovativen Neuerung, die wir im parlamentarischen Verfahren in das TTDSG eingebracht haben: Wir etablieren eine Rechtsgrundlage für die Anerkennung von Systemen, mit denen Nutzer die Einwilligung in die Nutzung ihrer Daten künftig auch zentral managen können. Wir folgen damit der klaren Empfehlung der Datenethikkommission, und wir setzen damit eine zentrale Forderung des Bundesrates um. Wir wollen jedoch keine neuen Gatekeeper. Browsereinstellungen müssen deshalb künftig sicherstellen, dass der Nutzerwille umgesetzt wird und Nutzer Datenschutzeinstellungen auch über einen Datentreuhänder zentral vornehmen können. Welche technischen und konzeptionellen Vorgaben dafür gelten, wird die Bundesregierung in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates festlegen. Klärungsbedürftig ist insbesondere, wie das Verhältnis von individueller Nutzereinwilligung und den Einstellungen von Treuhändern auszutarieren ist. An welcher Stelle diese Klärung zu erfolgen hat, muss wiederum zeitnah geklärt werden. Zentral muss die souveräne, individuelle Einwilligung des Nutzers sein. Als Union war uns wichtig, dass auch Unternehmen diese Dienste anbieten können müssen; denn notwendige Innovationskraft für den Datenschutz der Zukunft kommt auch von Unternehmen. Damit setzen wir ein Zeichen für die Verhandlungen über die E-Privacy-Verordnung. Wir werden uns dort dafür einsetzen, dass Datenschutz auch durch unternehmerisches Handeln gestärkt wird und eine vernünftige Grundlage für die Datenökonomie der Zukunft wird. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Hansjörg Durz. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Enrico Komning. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Nutzung von Telekommunikations- und Telemediendiensten ist längst zu dem Tummelplatz schlechthin von Kommunikation, von Meinungsaustausch, von Handel und von Kultur geworden. Genau wie Plattformen keinen rechtsfreien Raum für Nutzer bieten dürfen, müssen Überwachungsauswüchse des Staates ebenso wie Datenmissbrauch durch Anbieter wirksam verhindert werden. ({0}) Klassische Telekommunikationsformen verlieren an Bedeutung. Mit der mutwilligen, nur vermeintlich coronabedingten Zerstörung der klassischen analogen Wirtschaft und unserer Gesellschaft verlagern sich viel schneller, als noch vor Kurzem befürchtet, die meisten Lebensbereiche in die digitale Parallelwelt. Nicht Bitcoin, sondern Daten sind die Währung des 21. Jahrhunderts. Das bedeutet: Der Kunde, der Endverbraucher, muss wissen, welche und wie viele Daten er für welche Leistung preisgibt. Er muss Herr seiner Daten sein, und der Staat muss ihn dazu in die Lage versetzen. ({1}) Sicherheitsbehörden müssen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen betreiben. Es kann keinen Freifahrtschein fürs Ausspähen innerhalb von Telekommunikations- und Telemediendiensten geben. Den gläsernen Bürger, meine Damen und Herren, lehnen wir ab! ({2}) Auch Unternehmen, die für erbrachte Leistungen Daten der Endverbraucher erheben und nutzen wollen, müssen grundsätzlich immer auf die Einwilligung des Datengebers angewiesen sein. Wir begrüßen daher im Grundsatz die Bündelung der Datenschutzbestimmungen in einem Gesetz. Das bislang bestehende Nebeneinander von Datenschutz-Grundverordnung, Telemediengesetz und Telekommunikationsgesetz hat auf allen Ebenen – bei Verbrauchern, bei den Diensteanbietern und bei den Aufsichtsbehörden – zu vielerlei Rechtsunsicherheiten geführt. Die Regelungen im Einzelnen bleiben aber zu häufig im Ansatz stecken und sind oft nicht zu Ende gedacht. Die behördliche Verantwortung für die Durchsetzung einzelner Regelungen bleibt in dem neuen Gesetz offen. Der Bußgeldkatalog des § 26 TTDSG entfaltet nach wie vor kaum Abschreckungswirkung. Der ganze Cookie-Blödsinn, der weder Transparenz schafft noch den Verbraucher in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wirksam schützt, wird durch dieses Gesetz leider auch nicht behoben. Die Einführung eines PIMS, eines Personal Information Management Service, zum Beispiel zum Umgang mit Cookie-Anfragen und zur Einwilligungsverwaltung, wird auch in diesem Gesetz nicht umgesetzt. Damit wird die Chance einer verbraucher- und anbieterfreundlichen Ausgestaltung leider vertan. Dass es bei einem solch wichtigen Gesetzentwurf zudem ohne Aussprache im Ausschuss zu einer Beschlussempfehlung kommen musste und dass in diesem Bereich nicht federführend der Innenausschuss befasst war, bleibt aus unserer Sicht ebenfalls kritikwürdig. Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen wir dieses Gesetz ab. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Enrico Komning. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Falko Mohrs. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Datenschutz hat in den letzten Jahren sehr deutlich an Bedeutung für uns alle gewonnen. Mit zunehmender Digitalisierung und mit dem zunehmenden digitalen Verhalten beispielsweise im Kommunikations- und Arbeitsbereich hat die Selbstbestimmung darüber, welche Daten über mich wo und wie gespeichert und genutzt werden, an Bedeutung gewonnen. Wir schaffen hier mit dem TTDSG, also dem Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz, ein neues Stammgesetz, in dem die Datenschutzbestimmungen zusammengefasst werden. Das heißt, wir verhindern, dass, wie bisher, in unterschiedlichen Gesetzen teils widersprüchliche Regelungen bestehen. Wir schließen mit diesem Gesetz einige Lücken beispielsweise in der Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie und schaffen so ein konsistentes Stammgesetz für den Datenschutz im Bereich der Kommunikation. Das, meine Damen und Herren, ist gut, und es schafft Rechtssicherheit für alle. ({0}) Das Gesetz beinhaltet auch Klarstellungen im Bereich des digitalen Erbes. Es stellt nämlich klar, dass das Fernmeldegeheimnis nicht der Wahrnehmung von Rechten durch den Erbnehmer entgegensteht. Insofern wird auch hier eine jahrelange Rechtsunsicherheit mit diesem Gesetz beendet, weil Klarheit darüber geschaffen wird, dass auch das digitale Erbe an die Erben weitergeht, sofern nichts anderes geregelt ist. Auch hier: Es ist wichtig, dass Klarheit geschaffen wird. Wir alle kennen das – es ist angesprochen worden –: Wenn wir im Internet unterwegs sind, werden wir permanent mit Bannern konfrontiert, die uns auffordern, der Speicherung von Cookies zuzustimmen oder auszuwählen, welche Art Cookies gespeichert werden sollen. Am Ende führt das dazu, dass die meisten von uns eher genervt den schnellsten Weg suchen, diese Banner loszuwerden, um endlich auf die eigentliche Website zu kommen. Sie führen nicht dazu, dass wir uns bewusst entscheiden, ob wir einwilligen oder welche Art der Cookies gespeichert werden dürfen, weil wir wissen, was das eigentlich zur Folge hat. Deswegen ist es wichtig, meine Damen und Herren, dass wir mit diesem Gesetz eine Grundlage für Personal Information Management Systems, also PIMS, schaffen. Wir sagen nämlich: Wenn diese PIMS eingesetzt werden, kann man in Zukunft bewusst sagen: Bestimmten Anwendungen stimme ich zu, anderen stimme ich nicht zu. – Es müssen also bestimmte Grundlagen und Eckdaten, beispielsweise Unabhängigkeit, gewahrt sein, weil es eben nicht sein darf, dass der Anbieter eines solchen Systems, dem ich mit meiner Einwilligung anvertraue, mit meinen Daten verantwortungslos umzugehen, ein eigenes Interesse hat. Es muss aber, weil es eben sehr kompliziert ist, durch Rechtsverordnung noch ausdefiniert werden. Es muss durch den Bundestag und den Bundesrat. Dann haben wir hier eine gute Grundlage geschaffen, meine Damen und Herren. ({1}) Lassen Sie mich die letzten Sekunden noch kurz für einige persönliche Worte nutzen. Wir wissen ja alle nicht, was in den nächsten fünf Monaten noch kommt; aber höchstwahrscheinlich wird es im Laufe dieser Debatte nach 23 Jahren im Bundestag das letzte Mal sein, dass mein wirklich sehr geschätzter Kollege Gustav Herzog hier eine Rede hält. Lieber Gustav, ich sage dir nach der wirklich intensiven Zusammenarbeit nicht nur bei diesem, sondern vor allem im Bereich des Telekommunikationsgesetzes, ohne zu übertreiben: Es war mir eine Freude und es war mir eine Ehre, mit dir zu arbeiten und von dir lernen zu dürfen. Du hast nicht nur gezeigt, dass du Verantwortung übernehmen kannst, sondern auch, dass du sie übergeben kannst. Wirklich von Herzen: Herzlichen Dank für deine Arbeit und deine Unterstützung! ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Falko Mohrs. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Manuel Höferlin. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf und vor allem der Änderungsantrag sind ein bisschen vergleichbar mit der „Operation Abendsonne“, mit der noch Personal auf den letzten Drücker untergebracht werden soll. ({0}) Hier hat man den Eindruck, dass Sie noch schnell ein paar Dinge einfügen wollen, die Sie vielleicht in der nächsten Legislatur nicht mehr so gestalten können. ({1}) Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie per Änderungsantrag noch vorgestern Abend eingefügt haben – was nicht viel Vorlauf für die Opposition war. Sie kapern regelrecht den Begriff „PIMS“, dieser Personal Information Management Systems. Das ist eine Nebelkerze. Denn das, was Sie im Änderungsantrag vorsehen, ist überhaupt nicht PIMS, sondern ein, wie Sie es nennen, Cookie-Einwilligungstool, also im Prinzip ein Helferlein, das automatisiert Häkchen setzt. Es ist aber nicht ein wirkliches System, um die Informationsselbstbestimmung der Menschen zu organisieren und zu managen. ({2}) Was die Nutzer wirklich weiterbringen würde, wäre, wenn Sie Wege hin zu intelligenter Assistenz schaffen würden, die Nutzungsbedingungen analysieren und die Datenschutzpräferenzen vornehmen. Wir alle wissen, dass Cookies heute in der Nutzernachverfolgung gar nicht mehr das Mittel erster Wahl sind. Das ist ein Mittel aus den 80er-Jahren. – Na ja, vielleicht nicht aus den 80ern; das ist zu lang her. ({3}) Saskia Esken würde es so sagen; sie hat ja auch die Idee eines Digitalministeriums als eine aus den 80ern gefallene Idee bezeichnet. Wie auch immer: Die Cookies gibt es schon sehr lange. Heute werden ganz andere Mittel dafür genutzt. ({4}) – Genau, die 90er. Sehr gut. Auch sonst haken Sie im Gesetzentwurf eigentlich eine alte Checkliste ab. Die Cookie-Richtlinie gibt es seit über zehn Jahren. Sie setzen sie jetzt endlich um. Meine Damen und Herren der Koalition, das ist keine Kür; das ist Pflicht, was Sie heute abliefern. ({5}) Wir haben Ihnen heute einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich weiß, liebe Kollegen der Koalition, Sie lesen die Punkte nicht immer so genau. Das ist Zusatzpunkt 5; vielleicht nehmen Sie sich diesen nach der Debatte noch mal zu Herzen. Wir schlagen Ihnen vor, ein Kernthema des Datenschutzes noch mal aufzugreifen, nämlich die Stärkung der Datenschutzaufsicht. Auch in dem Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, gibt es wieder keine Befugnisse für den Datenschutzbeauftragten gegenüber öffentlichen Stellen. Das ist aber dringend notwendig. Es ist auch nicht erklärbar, warum jeder Verein vor Ort mit der Mitgliederverwaltung ein Verfahrensverzeichnis anlegen muss und dies geprüft und auch sanktioniert wird von den Datenschutzbeauftragten, aber weiterhin öffentliche Stellen davon ausgenommen sind. Sie machen das in Ihrem jetzigen Gesetzentwurf wieder. Das ist nicht nachvollziehbar. Das muss sich dringend ändern. Deswegen wollen wir mit unserem Gesetzentwurf, den wir Ihnen vorlegen, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte das, was die sogenannte JI-Richtlinie vorsieht, auch machen kann, nämlich dass er bei der Polizei und der Justiz beispielsweise Eingriffsbefugnisse hat und handeln kann. Das, was er jetzt machen kann, nämlich eine Verwarnung auszusprechen, hat ungefähr die Wertigkeit eines Klassenbucheintrags, nicht mehr. Sie können das gerne aufnehmen. Das Bundespolizeigesetz, das übrigens von Ihnen seit Wochen geschoben wird, soll nächste Woche auf der Tagesordnung stehen. Ich fordere Sie auf: Fügen Sie das dort noch ein, und verschaffen Sie dem Datenschutz ein entsprechendes Gewicht! In Richtung Innenministerium sage ich: Nehmen Sie das bitte an sich! Im Wirtschaftsministerium ist der Datenschutz leider nicht so gut aufgehoben. Warten Sie bitte nicht wieder zehn Jahre bis dahin. Herzlichen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Manuel Höferlin. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Anke Domscheit-Berg. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der ersten Debatte zum Telekommunikations-Telemedien-Datenschutzgesetz habe ich es als „Telemedienüberwachungsgesetz“ bezeichnet; denn es ist ein erneuter Versuch, die Bestandsdatenauskunft gesetzlich zu verankern, nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits zwei solcher Versuche verfassungswidrig fand. Die Linksfraktion wird diesem Gesetz daher nicht zustimmen. ({0}) Heute möchte ich meinen Fokus legen auf die Ausbeutung personenbezogener Daten zu Werbezwecken, die der Gesetzentwurf ebenfalls neu regelt; denn darum geht es bei den harmlos klingenden Cookie-Zulassungen. Europäisches Recht verlangt eine gesetzliche Pflicht zur Einwilligung für jeden Einzelfall von Cookie-Datensammelei auf Basis klarer Informationen. Aber was heißt das in der Praxis? Da gibt es überall ein missbräuchliches Design dieser Einwilligungs-Popups – jeder von uns kennt es –: der „Alle akzeptieren“-Button: groß, in der Mitte, fett, rot, bunt, vorausgewählt, der „Alle ablehnen“-Button: meist gibt es ihn gar nicht, der „Einzeln auswählen“-Button: super unsichtbar und gut versteckt; findet man ihn doch, landet man in einem Labyrinth von Unterseiten und soll unzählige Einzelentscheidungen treffen, was ungefähr so abschreckend ist wie 70 Seiten kleingedruckter AGB. So werden Einwilligungen erschlichen, ertrickst und Nutzer/-innen genötigt. Das Einwilligungsprinzip fördert aber auch soziale Ungleichheit; denn sehr oft begegnen uns im Netz zwei Optionen: Wer alle Cookies zulässt, darf Angebote kostenlos nutzen. Wer Privatsphäre will, der soll dafür zahlen. – Aber wer will denn eine Gesellschaft, in der Privatsphäre ein Privileg für Wohlhabende ist? Die Linksfraktion will das jedenfalls nicht. ({1}) Wir müssen also endlich klären: Welche Art von Profilbildungen dürfen überhaupt zulässig sein? Die Frage ist relevant; denn ihre Folgen sind weitreichend. Die Ausbeutung personenbezogener Daten zu Werbezwecken ist das zentrale Geschäftsmodell im Internet. Weil personalisierte Werbung dieser Art auch das Geschäftsmodell von Facebook und Co ist, führt das am Ende zur Verbreitung polarisierender Inhalte wie Lauffeuer und vergiftet unsere Gesellschaft. Gegen diese Fehlentwicklung hilft nur ein Verbot der massenhaften Durchleuchtung von Internetnutzerinnen und ‑nutzern für Werbezwecke. ({2}) Denn auch mit einer Einwilligung darf nicht alles erlaubt sein, siehe Organhandel. Die Linksfraktion fordert daher die Bundesregierung auf, sich bei den Trilogverhandlungen in der EU zur E-Privacy-Verordnung für ethische Grenzen bei der Profilbildung einzusetzen. Im Übrigen bin ich der Meinung: Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen haben nichts im Strafrecht verloren. § 219 a gehört abgeschafft. ({3}) Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Anke Domscheit-Berg. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Konstantin von Notz. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die digitalen Bürgerrechte sind das Herzstück des liberalen Rechtsstaats im digitalen Zeitalter. Und – so viel lässt sich nach dieser Legislatur und den letzten Wochen sagen: Sie sind bei der Großen Koalition in schlechten Händen, diese digitalen Bürgerrechte, meine Damen und Herren. ({0}) Während die Große Koalition kurz vor Toresschluss noch jeder Sicherheitsbehörde offenkundig verfassungswidrige Befugnisse, wie die Onlinedurchsuchung, in die Hand gibt und die massiven rechtlichen Probleme bei der Quellen-TKÜ, beim Handel mit Sicherheitslücken oder bei ZITiS ganz bewusst nicht angeht, ist erstens weit über 1 000 Tage nach der von der EU gesetzten Umsetzungsfrist die JI-Richtlinie noch immer nicht vollständig umgesetzt ({1}) und zweitens die dringend erforderliche E-Privacy-Verordnung während Ihrer EU-Ratspräsidentschaft nicht einen Millimeter vorangekommen, meine Damen und Herren. So geht es nicht. ({2}) Diese jahrelange Nichtregulierung des digitalen Wandels ist schlecht für den Grundrechtsschutz der Menschen in diesem Land, und er ist auch schlecht für die Rechtssicherheit von Unternehmen. Das direkte Ergebnis von all dem kennen wir alle – Anke Domscheit-Berg hat es angesprochen –: Es ist eine nervtötende Flut von Cookiebannern, die wir jeden Tag alle zigmal erleben. Und um ganz am Ende der Wahlperiode als Große Koalition noch mal richtig unter Beweis zu stellen, wie chaotisch man in diesem Bereich agiert, lassen Sie das TTDSG nicht etwa im für den Datenschutz federführenden Innenausschuss verhandeln, sondern im Wirtschaftsausschuss. Erst nach der Sachverständigenanhörung führen Sie dann in einem Änderungsantrag etwas völlig Neues ein, nämlich das Einwilligungsmanagement; diesen wesentlichen Baustein sozusagen erst in der zweiten Kurve. Das zeigt, dass das von Tankred Schipanski oft beschworene Feuerwerk digitaler Gesetzgebung der Großen Koalition in Wahrheit ein Tischfeuerwerk voller Rohrkrepierer und Nebelkerzen ist. ({3}) – Ja, so ist es. Es ist grundsätzlich richtig und wichtig, dass die Datenschutzregeln in ein eigenes Gesetz kommen und dass bei den Cookies endlich Lösungen geschaffen werden. Die datenschutzrechtliche Einwilligung darf nicht ad absurdum geführt werden, sie braucht eine gute rechtliche Absicherung. Gleichzeitig muss es aber gänzlich untrackbare Bereiche geben. Das liefern Sie leider nicht. Das Gesetz beinhaltet weiter auch verfassungsrechtlich zumindest problematische Datenauskünfte. Der Datenschutz schützt nicht die Daten, er schützt die informationelle Selbstbestimmung und die Menschenwürde der Bürgerinnen und Bürger, und er ist kein Nice-to-have. ({4}) Das muss die Grundlage unserer Politik sein. Die GroKo hat das leider in dieser Wahlperiode nicht geliefert. Das ist sehr bedauerlich. Hoffentlich wird es ab September besser. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Konstantin von Notz. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Axel Knoerig. ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn ein Wort des Dankes sagen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ressorts Wirtschaft, Innen und Justiz, an die Arbeitsgruppen der Koalitionsfraktionen und insbesondere an Hansjörg Durz und Falko Mohrs. Die Mühe der letzten Wochen hat sich gelohnt. Das Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien, kurz: TTDSG, das wir heute verabschieden, ist ein wichtiger Schritt, und ich ergänze: Es ist auch ein notwendiger Schritt. Lassen Sie mich aus Sicht der CDU/CSU die drei wichtigsten Elemente nennen und entsprechend einordnen. Ich beginne hier vom Ende her. Endlich wird der digitale Nachlass geregelt. Zum digitalen Nachlass wird nach zahlreichen Klagen von Erben nun klargestellt, dass die Rechtewahrnehmung durch Erben dem Fernmeldegeheimnis nicht mehr entgegensteht. Damit können Erben einen Zugang zu den Daten des Verstorbenen erhalten, um die Nachlassverwaltung auch hier zu organisieren. Dieser Schritt, meine ich, war längst überfällig. Wir haben weiterhin beim Datenschutz im Internet sinnvolle Verbesserungen erzielt. Bundesregierung und Koalition haben sich darauf verständigt, dass das permanente Bestätigen oder Anpassen von Werbeanfragen der Vergangenheit angehört. Das Anpassen von Tracking war in Wahrheit nie ein Beitrag zu mehr Datenschutz. Jetzt gilt: Feste Voreinstellungen zu Werbung auf dem Smartphone sind rechtswidrig. Surfen im Internet wird, gleich, ob es mobil oder stationär erfolgt, mit dem neuen Gesetz leichter, bequemer und vor allem sicherer. Es ist über 20 Jahre her, da hat sich die Deutsche Telekom aufgemacht, mit dem Projekt der virtuellen Kommune kommunale Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland zu digitalisieren. Nicht erst seit der Coronapandemie wissen wir, dass diese Vorhaben überwiegend nicht erfolgreich waren. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist bis heute viel zu oft noch kein Vorzeigeprojekt. Wir spüren bereits an manchen Stellen den Verlust staatlicher Kompetenz, weil Abläufe zu langsam und zu kompliziert sind. Nicht alles, aber vieles hängt dabei an einer unzureichenden digitalen Infrastruktur und einem Mangel an vernetztem Denken. Das heute zu verabschiedende Gesetz für besseren Datenschutz ist zweifellos wichtig. Es bliebe aber Stückwerk, wenn es nicht eingebettet wird in eine neue Datenkultur. Diese neue Datenkultur besteht aus vielen Elementen. Wenn wir die Digitalisierung der Verwaltung rasch, also innerhalb der nächsten Legislaturperiode, vollziehen wollen, ist ein Element entscheidend für den Erfolg: der Open-Data-Ansatz. Open Data bedeutet: Es gibt einen wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Mehrwert, staatliche Daten zu veröffentlichen. Wir gehen hier mit der Bundesverwaltung beispielhaft voran. Definierte Standards sind zudem die Grundlage für Geschäftsmodelle, bei denen unterschiedliche Ideen und Ansätze im Wettbewerb gegenüberstehen und dennoch kompatibel bleiben. Dieser Wettbewerb hilft auch vielen Start-ups und vor allem den mittelständischen Unternehmen, sich erfolgreich mit den großen Techunternehmen zu messen; denn alle haben die gleiche Programmierstruktur, den gleichen Quellcode, als Zugang. Zum Schluss ein Wort zum Datenschutz der Zukunft. Ich glaube, dass die Datenschutz-Grundverordnung der EU eine richtige Entscheidung war. Dennoch muss sich die weitaus größere Zahl an Nutzern auf der Welt an die DSGVO nicht gebunden fühlen. Was tun? Die finnische Initiative MyData versteht Nutzer von Smartphones im Internet als respektierte Datengeber. Die Idee ist simpel, aber effektiv: Die Menschen sollen auch beim Teilen ihrer Daten im Besitz ihrer Daten bleiben und jederzeit auch die Kontrolle darüber behalten. Das schaffen wir nur mit staatlichen Datenschutzvorgaben im TTDSG, und zwar durch zwei Instrumente: Mit Personalinformationsmanagementsystemen wird das Einwilligungsmanagement datentreuhänderisch organisiert, ({0}) und Browser werden per Werkseinstellung verpflichtet, das nicht zu behindern. Das ist der moderne Geist des TTDSG. Im Zentrum eines modernen Datenschutzes sollte also immer der Schutz erhobener Daten vor fremdem Zugriff stehen. Das ist gewährleistet. Ich bin ganz sicher: Wir stehen vor dem Beginn einer neuen Datenkultur. Mit dem TTDSG legen wir heute immerhin die datenschutzrechtlichen Grundlagen dafür, dass die informierte Einwilligung zum Zugriff auf persönliche Daten durch die Bürgerinnen und Bürger gestärkt wird. Das ist ein erster Schritt, und darüber freue ich mich. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Axel Knoerig. – Jetzt kommt der schon von Herrn Mohrs gelobte Kollege Gustav Herzog. Ich möchte es auch noch mal offiziell sagen – ich glaube, ich spreche im Namen von vielen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus –: Vielen herzlichen Dank für 23 Jahre Einsatz für unsere parlamentarische Demokratie! Wir bedanken uns dafür. Ich wünsche Ihnen für den nächsten Abschnitt von ganzem Herzen alles Gute, viel Neues, viel Aufregendes. Bleiben Sie gesund! Jetzt haben Sie das Wort zu Ihrer letzten Rede hier im Deutschen Bundestag. ({0})

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zur Sache, wie ich das 23 Jahre gehandhabt habe. ({0}) Mit Artikel 13 dieses Gesetzes reformieren wir noch mal ein Stückchen am Telekommunikationsgesetz. Wir gehen insbesondere auf Wünsche der Länder ein. Die Länder können bei der Verordnung für den Universaldienst mitbestimmen. Wir öffnen die Möglichkeiten der Bundesnetzagentur bei der nächsten Frequenzversteigerung etwas mehr. Das ist gut so. Deswegen bitte ich Sie, dem Gesetz zuzustimmen. Lieber Falko, ich kann den Dank zurückgeben. Für mich war es in dieser letzten Wahlperiode wirklich schön, mit dir in dem ganzen Bereich der Telekommunikation noch mal richtig Gas zu geben. Ich finde, wir haben uns toll ergänzt. Du musst mir nur eins verzeihen: Wenn ich irgendwann über das Wort „Glasfaserbereitstellungsentgelt“ stolpere, dann werde ich immer an dich denken. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Herbst 2018 habe ich die Menschen in meinem Wahlkreis und meine Partei darüber informiert, dass ich nicht erneut für den Deutschen Bundestag kandidieren werde. Sechsmal direkt gewählt – ich denke, das reicht. ({2}) Ich werde im Oktober, wenn der Deutsche Bundestag erneut zusammentritt, 63 Jahre alt sein. Ich kann auf 46 Jahre Arbeitsleben zurückblicken, davon 23 Jahre im Deutschen Bundestag; das ist genug für ein kleines Menschenkind. Ich bin heute – das muss ich gestehen – ähnlich aufgeregt wie bei meiner ersten Rede, die ich noch in Bonn halten durfte. Nur sind es heute andere Gefühle, nämlich das Gefühl der Wehmut, aber auch Selbstbewusstsein und Dankbarkeit. Als ich vor 46 Jahren politisch angefangen habe im Gemeinderat Zellertal, hätte niemand gedacht, dass der Gassenjunge und der Haschemer Kerweborsch jemals 23 Jahre erfolgreiche Arbeit im Deutschen Bundestag leistet. So kann es passieren. Ich sage das selbstbewusst, weil ich als Chemielaborant immer versucht habe, die Probleme sauber zu analysieren und klare Lösungen zu finden. Ich habe eine Bitte an die Parteien, an alle, die ihre Aufstellung zum Teil schon vorgenommen haben: Es gibt vielleicht etwas Bedarf an handwerklichem und naturwissenschaftlichem Verstand im Deutschen Bundestag. ({3}) Ich bedanke mich sehr bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundestages, in den Ministerien, Landesvertretungen, Verbänden, Unternehmen, bei den Selbstständigen und Journalisten; die Hintergrundgespräche mit der „Rheinpfalz“ werden mir fehlen. Ich bedanke mich bei den Mitbewerbern; ich habe mich immer gerne mit Ihnen gestritten und noch mehr gefreut, wenn wir zu Kompromissen oder sogar zu einvernehmlichen Lösungen gekommen sind, zum Beispiel im schönsten Gremium des Bundestages, dem ich angehören durfte: dem Parlamentarischen Weinforum. ({4}) Ich sage Danke an die SPD-Fraktion. Andrea Nahles, Rolf Mützenich, Sören Bartol und Kirsten Lühmann, die haben mir vertraut, die haben mich einfach machen lassen. Ich bin stolz darauf, der besten Landesgruppe dieses Parlamentes anzugehören, der SPD-Landesgruppe Rheinland-Pfalz. ({5}) Thomas Hitschler, vielen Dank, dass du den Staffelstab übernommen hast! ({6}) Danke an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne die ich das nie geschafft hätte: im Wahlkreis Johanna Hoffmann, die mich seit 1998, seit Beginn betreut hat, Trixi Jacob, Christine Rücker und Jonathan Kreilaus, die immer auf die notwendige Bodenhaftung geachtet haben, wenn ich aus Berlin zurückgeflogen bin; hier in Berlin Ariane Meinzer, die mich durch das Raumschiff navigiert hat, Raschid El Khafif, der durch die Themen Agrar, Verkehr und Digitales navigierte, wissenschaftlich begleitet und gut fortgesetzt von Anna Rosenberg und Maxi Hoops, der Jüngsten, Neuesten in meinem Team. Sie erinnert mich immer wieder an mein eigenes Ungestüm in der Juso-Zeit. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu dem wichtigsten Teil aller meiner Reden im Deutschen Bundestag: Ich bedanke mich bei meiner Familie, weil sie die eigentliche Last zu tragen hatte, wenn ich als Abgeordneter unterwegs war. Ich sage Ihnen: Ich bin ein ausgesprochener Glückspilz. Warum? Weil meine Frau Uta, meine Kinder Larissa und Dominik mich noch immer lieben! Was kann es Schöneres geben, wenn man hier aus dem Deutschen Bundestag ausscheidet? Vielen Dank. Alles Gute! Es war mir eine Ehre. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gustav Herzog. – Alles Gute! Genießen Sie einen hoffentlich guten Weinjahrgang! Damit schließe ich die Aussprache.

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Mit diesem Gesetz machen wir das Urheberrecht fit für das digitale Zeitalter. Und um es gleich eingangs vorwegzunehmen: Uns ist ein guter Ausgleich zwischen den Interessen der einzelnen Akteure gelungen: den Rechteinhabern, den Kreativen, aber auch den Internetnutzerinnen und Internetnutzern. Wir sichern die Meinungsfreiheit, und zugleich sichern wir faire Vergütungen für die Künstlerinnen und Künstler. Es ist also ein gutes Gesetz, das uns hier gelungen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wir verbessern die Position der Künstler ganz erheblich. Sie haben zukünftig einen verbesserten Auskunftsanspruch gegenüber Plattformen und Streamingdiensten. So können sie die Nutzungszahlen ihrer Werke und die daraus gezogenen Erträge mitgeteilt bekommen. Das schafft Transparenz, und das ist die Voraussetzung dafür, dass faire Vergütungen, angemessene Vergütungen verlangt werden können. Die Verwertungsgesellschaften bekommen ebenfalls einen Auskunftsanspruch gegenüber den Plattformen, sodass auch die Nutzung von Inhalten auf Youtube und Co in die Verteilung der Gelder an die Künstlerinnen und Künstler einfließt, dass sich also die Gelder der Verwertungsgesellschaften nicht nur an den Radiospielzeiten orientieren, sondern an allen Nutzungsarten – auch das ein ganz wichtiger Fortschritt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wichtig war uns auch, dass Karikaturen und Parodien zulässig sind und nicht einem besonderen Zweck dienen müssen. Deswegen haben wir diese Regelung im parlamentarischen Verfahren verbessert und das entsprechend klargestellt. Ich glaube, dass die Coronapandemie die Künstlerinnen und Künstler vor sehr große Herausforderungen stellt. Deswegen ist es so wichtig, dass wir ihnen heute mit diesem modernen Urheberrecht eine ganz klare Zukunftsperspektive mit fairen Vergütungen bieten. Auch deswegen ist das hier ein wichtiges Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Dass kurze Ausschnitte von Werken gesendet werden dürfen, ist sinnvoll für die kurze Zeit von etwa 15 Sekunden oder für 160 Zeichen Textausschnitte. Aber klar ist: Selbst wenn ein so kleiner Teil eines Werkes im Internet hochgeladen oder gezeigt wird, dann muss dafür natürlich bezahlt werden, und auch das regeln wir hier ganz klar. Die Plattformen müssen Lizenzen kaufen, und sie müssen für die Inhalte ihrer Nutzer bezahlen. Auch das ist eine ganz wichtige Erneuerung im Urheberrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich will nicht verheimlichen: Wir als SPD hätten uns auch eine Regelung gegen das sogenannte Blacklisting vorstellen können. Wir hätten gerne geregelt, dass das im Urheberrecht schon vorhandene Verbandsklagerecht für Künstlervereinigungen ausgeweitet wird, sodass unangemessen niedrige Vergütungen von den Vereinigungen geltend gemacht werden können und nicht nur von den Künstlern. Das ist leider am Koalitionspartner gescheitert; aber das wird weiter ein wichtiges Thema für die SPD-Fraktion sein. Insgesamt enthält dieses Gesetz also wirklich wichtige Verbesserungen für die Kreativen, aber auch für die Rechteinhaber und für die Internetnutzer. Wir schaffen ein modernes Urheberrecht, wir sichern die Meinungsfreiheit, wir schaffen die Voraussetzungen für angemessene Vergütungen für die Kreativen. Stimmen wir dem also so zu! Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Johannes Fechner. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tobias Peterka. ({0})

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Die Bundesregierung legt uns hier die Umsetzung der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt vor. Wir erinnern uns vielleicht, worum es hier geht, was vor zwei Jahren Zehntausende Menschen auf die Straße getrieben hat. – Genau! Die Einführung von technischen Uploadfiltern auf Youtube und sonstigen Plattformen, der berüchtigte Artikel 13 der EU-Richtlinie zur Urheberrechtsreform, später noch getarnt als Artikel 17! Das ist der Dreh- und Angelpunkt des Großteils dieses Gesetzes. Was hat man damals noch vollmundig versprochen? Bei der Umsetzung werden wir so verfahren, dass kein automatisches Blockierprogramm notwendig wird. Niemand hat die Absicht, einen Uploadfilter einzuführen. – Klare Ansage! Schauen wir mal, ob die so eingehalten wurde. Dem Wortlaut nach war der Umsetzungsbefehl der EU klar: Entsprechend wird zum Beispiel Youtube im neuen Diensteanbieter-Gesetz der Bundesregierung für Rechtsverletzungen durch hochgeladene Videos Dritter haftbar gemacht. Peng! Das ist eine Bombe für das deutsche Urheberrechtssystem. Schützen kann sich die Plattform nur durch folgende Maßnahmen: Erstens: Erlangung von Nutzungsrechten, also Lizenzen, gegebenenfalls über die diversen neuen Verwertungszusammenschlüsse. Zweitens aber: Blockieren von Videos, wenn dies vom Rechteinhaber verlangt wird und das hinlänglich definiert ist. Drittens: nachträgliches Blocken von Inhalten, wenn es dem Rechteinhaber erst später auffällt. Die Variante eins soll Youtube jetzt bitte, bitte ganz dolle verfolgen und bitte auf diese famosen neuen Verwertungsverbünde hinwirken – das wird so nicht gesagt, aber genau das ist gemeint –; denn nur durch die Variante eins werden die Uploadfilter in Variante zwei und drei im Einzelfall unnötig. ({0}) Das ist also die Weisheit der Regierung: eine Option im Gesetz besonders aufpolieren, die bereits in der EU-Richtlinie genau so drinsteht und schon damals für kaum umsetzbar erklärt wurde. Für wie dumm halten Sie uns eigentlich! ({1}) Aber Moment! Es gibt ja noch § 5 und § 7 des Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes. Stolz wird da verkündet, dass natürlich nicht verboten ist, was erlaubt ist. – Nein, wirklich? Was soll dieser Bekenntnistext? Das ist ein reiner Bekenntnistext im Gesetz. Und ja, § 5 kann man noch als Wiederholung der Schrankenregelung des Urheberrechtsgesetzes durchgehen lassen; aber § 7 Absatz 2 sagt unter dem Strich einfach Folgendes: Den Uploadfilter bitte nicht so verwenden, dass rauskommt, dass wir unser Versprechen von 2019 gebrochen haben. – Tut mir leid, das ist einfach peinlich. So schreibt man keine Gesetze. ({2}) Aufgrund der runtergetippten merkwürdigen Checkliste, auf die verwiesen wird, kann sich eine Plattform auch gar nicht freisprechen. Freie Meinung, Kritik oder Satire lässt sich nicht in ein Karree von 15 Sekunden, 160 Zeichen oder 125 Kilobyte Datenumfang quetschen. Ja, sogar der Datenumfang wurde da reingeschrieben. Das ist Murks. ({3}) Sie geraten hier auch ins Gehege mit den herkömmlichen Schranken des Urheberrechts. Da sind Sie einfach drübergefahren. Da haben Sie bekanntlich gleich auch was umgestellt – ich behaupte: zur reinen Tarnung dessen, was hier vor sich geht. Jedenfalls sind Zitat und Satire von ihrer Natur her gerade freiatmend im Umfang und nicht starr festlegbar; egal wie viel Sie ins Gesetz hineinschreiben. Unser Antrag hält sinnvoll dagegen. ({4}) Das Leistungsschutzrecht für die Presse ist ein weiteres Huckepackgesetz, das Sie auch noch mitgenommen haben; dazu ein Schuss Klientelpolitik, wie man es von Ihnen kennt. – Das hat mit Freiheit nichts zu tun, ist vielmehr genau das Gegenteil. Und das wissen Sie. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tobias Peterka. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Ansgar Heveling. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einem Tisch, einem Stuhl, jedweder Sache, auch Geld – all diesen Dingen können wir unmittelbar einen Wert zuweisen. Sie sind für uns fassbar, und wir können sie erfassen. Ein Lied, ein Bild, eine Geschichte, ein Film – sie alle haben zumeist auch einen materiellen Träger: Leinwand, Papier, was auch immer. Aber ihren Wert kann man nicht daran bemessen. Ihr Wert liegt in der Idee – Platon lässt aus seiner Höhle grüßen –, und er lässt sich nur durch eines schützen: durch Rechte. Das ist die Grundlage des Urheberrechts, und das macht das Urheberrecht so wichtig. Nur durch den Schutz des geistigen Eigentums lässt sich sicherstellen, dass mit kreativen Ideen Wertschöpfung betrieben werden kann. Dies gilt umso mehr in der digitalen Welt, in der es praktisch gar keine Verkörperung eines Werkes mehr gibt. Die Europäische Union hat mit der DSM-Richtlinie die Grundlage für den Schutz des Urheberrechts in der digitalen europäischen Welt neu geordnet, und wir haben bis Ende Juni Zeit, diese europäische Urheberrechtsordnung in unser Recht zu übertragen. Mit dem heute zur Entscheidung anstehenden Gesetzespaket schließen wir die umfassendste Reform des Urheberrechts der letzten Jahre, ja Jahrzehnte, ab. Es geht vor allem um den Schutz und die Wirksamkeit des Urheberrechts in der digitalen Welt, im digitalen Markt. Europa hat sich zum Ziel gesetzt, Lizenzen zu fördern, den Value Gap, die digitale Wertschöpfungslücke, zu schließen und eine europäische Harmonisierung des Urheberrechts herbeizuführen. Wir vollziehen dies im deutschen Recht nach und nutzen hierbei auch die neuen Instrumente, die das europäische Recht nun zur Verfügung stellt, etwa durch Extended Collective Licensing, das dem deutschen Recht bisher eher fremd gewesen ist. Den Kern der Umsetzung der Richtlinie bildet allerdings das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz. Mit ihm sollen die Ziele der Richtlinie verwirklicht werden. Erstmalig wird damit eine Vergütungspflicht für Plattformen konstituiert, die urheberrechtlich geschützte Werke auf ihren Plattformen verbreiten. Das ist ein wesentlicher Schritt, um den Value Gap zu schließen. Gleichzeitig normiert § 4 dieses Gesetzes eine Pflicht zum Erwerb vertraglicher Nutzungsrechte, sodass auch der Abschluss von Lizenzen gefördert wird. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die neue Rechtsfigur der mutmaßlich erlaubten Nutzungen gleichzeitig eine Beschränkung des ausschließlichen Rechts der Urheber darstellt. Mit 160 Zeichen eines Textes etwa – in meiner Rede bin ich einschließlich Leerzeichen, jetzt schon bei etwa 2 500 Zeichen angekommen – haben wir eine maßvolle Beschränkung vorgenommen, die zudem auch der Vergütungspflicht unterliegt. Wichtig ist, dass wir dabei für Live-Formate eine Ausnahmeregelung getroffen haben, weil dort die Werthaltig gerade darin liegt, exklusiv live berichten zu können. ({0}) Alles das zeigt aber, dass es um eine angemessene Austarierung der unterschiedlichen und vielfältigen Interessen bei der Umsetzung der Richtlinie geht. Vorteile und Beschränkungen gleichmäßig zu verteilen, war dabei das Ziel der Bundesregierung, dem wir uns als Parlament aber ebenso verpflichtet sehen. Ich bin der Überzeugung, dass mit dem vorliegenden Gesetz der Ausgleich gut gelungen ist. Das Ziel, dass bei uns Ideen und damit geistige Schöpfungen gewahrt werden, durch Rechte und ihren Schutz abgesichert sind und Wertschöpfungen ermöglicht werden, wird sichergestellt. Wir werden uns die Auswirkungen und die Entwicklung natürlich ganz genau anschauen. Denn das ist auf jeden Fall klar: Da es um Rechte geht und Rechte stets durch Gesetz konstituiert und zugewiesen werden, hat der Gesetzgeber hier auch eine ganz besondere Verantwortung. Ihr kommen wir nach. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ansgar Heveling. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Roman Müller-Böhm. ({0})

Roman Müller-Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004833, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, selten hat ein Thema, das einen vermeintlich so trockenen Titel trägt wie die Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Urheberrecht, nicht nur Verbandsvertreter stark erregt, sondern auch weite Teile unserer Gesellschaft. Ich kann für die Freien Demokraten sagen: Wir verstehen diese Erregung und deshalb gleich vorweg: Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen. Trotz aller Wertschätzung für die Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen kann ich es Ihnen leider nicht ersparen. Sie haben es im Koalitionsvertrag festgeschrieben, und Sie haben es auch 2019, unter anderem hier vorne an diesem Pult, mehrfach öffentlich bekräftigt: Sie haben versprochen, keine Uploadfilter einzuführen. ({0}) Sie werden heute aber mit Ihrer Regierungsmehrheit wahrscheinlich dieses Gesetz beschließen, und damit haben Sie dann Uploadfilter eingeführt. Tut mir leid, aber da haben Sie Ihr Versprechen gebrochen. Sie können versuchen, alles zu relativieren und zu erklären, aber Wortbruch bleibt Wortbruch. ({1}) Damit schaden Sie aber nicht nur sich selbst. Was Sie in Bezug auf Ihre politische Glaubwürdigkeit anstellen, ist erst mal Ihre Sache; aber was natürlich uns alle interessiert und etwas angeht, ist, wenn Sie die bestehenden funktionierenden Systeme sogar noch verschlechtern. Genau das tun Sie an einigen Stellen mit diesem Gesetz, und ich möchte exemplarisch zwei Stellen herausgreifen. Sie haben es gerade auch schon erklärt: Sie haben zusätzlich eine Bagatellgrenze – sozusagen eine Unschuldsvermutung – eingeführt, die bei 15 Sekunden oder 160 Textzeichen liegt. Diese Einführung ist ein europäischer Alleingang. Kein anderer hat dieses Konstrukt gewählt. Es ist höchst umstritten. Diesen Alleingang in Europa lehnen wir als Freie Demokraten entschieden ab. ({2}) Kommen wir neben den Uploadfiltern mal zu einem gänzlich anderen Thema, das aus meiner Sicht viel zu wenig angesprochen wird, nämlich der Pflicht zur Nutzung von Verwertungsgesellschaften. Für den, der das nicht ganz genau kennt, ganz kurz: Es geht darum, dass Kreativschaffende in Zukunft ihre Rechte ausschließlich hierüber geltend machen können. Das ist ein Zwang, den wir nicht nachvollziehen können, da es auch gute Beispiele dafür gibt, dass Kreativschaffende mit den Plattformen eigenständige Verträge abschließen, um so ihre Rechte geltend zu machen. Dies haben Sie mit Ihrem Änderungsantrag, den Sie kurz vor Fristende in dieser Woche vorgelegt haben, sogar noch mal verschärft. Zweifel daran kommen nicht nur aus der Branche, sondern es bestehen auch erhebliche juristische Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung. Sie sehen also, es gibt genug Gründe, diesem Gesetz kritisch gegenüberzustehen. Deswegen werden wir es ablehnen. Herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Roman Müller-Böhm. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Petra Sitte. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat, Herr Müller-Böhm: Das Urheberrecht bewegt die Gemüter, und zwar aus guten Gründen. Es bewegt die Gemüter derer, die sich frei im Netz bewegen wollen, und für die Uploadfilter schlicht eine Bedrohung darstellen. Diese lässt die Koalition nun im Stich, indem sie das Versprechen bricht, auf Uploadfilter zu verzichten. ({0}) Das war ganz groß angekündigt. Stattdessen wurde von Entwurf zu Entwurf der Einsatz von Uploadfiltern immer weiter ausgeweitet. Jetzt werden Plattformen sogar eindeutig zulässige Inhalte wegfiltern, und das ist nun wirklich genau das Gegenteil Ihrer Ankündigungen. ({1}) Das Urheberrecht bewegt die Gemüter der Künstlerinnen und Künstler. Diese sind in der Pandemie eh schon unter großen Druck geraten, und viele wurden mit ihren Problemen alleingelassen. Nun lässt die Koalition die Kreativen erneut im Stich; denn sie geht die Grundprobleme, und zwar im Verhältnis zwischen Kreativen und Verwertern, nicht an. Dabei liegen für die Stärkung des Urhebervertragsrechts längst gute Lösungen auf dem Tisch, nicht zuletzt auch von meiner Fraktion. ({2}) Schließlich bewegt das Urheberrecht die Gemüter derer, die lehren, forschen, Wissen oder Kultur vermitteln wollen. Auch diese lassen Sie im Stich, indem Sie einfach nichts aus der Pandemie lernen wollen. Gerade da ist doch der Onlinezugang zu Bildung, Information und Kultur extrem wichtig, aber er ist versperrt. Jeden Tag labert hier irgendjemand im Bundestag darüber, wie bedeutsam die Digitalisierung ist. Aber Bibliotheken können bis heute ein E-Book nicht wie ein normales Buch behandeln und verleihen. Das ist doch völlig absurd. ({3}) – Ja, ja, natürlich, freilich, das ist jetzt wieder Polemik. – Ich habe Ihnen schon gestern im Ausschuss gesagt, dass das, was Sie dort machen, einfach unlogisch ist und dass die Digitalisierung der Gesellschaft auch an dieser Stelle greifen muss. Man kann es einfach nicht fassen. ({4}) Lassen Sie sich also sagen: Wenn man aus allen Richtungen Kritik für seinen Gesetzentwurf bekommt, kann das einerseits daran liegen, dass er besonders komplex ist, aber es kann auch einfach daran liegen, dass man nichts Halbes und nichts Ganzes geliefert hat. Genau das gilt für diesen Gesetzentwurf. Es ist eben nicht gelungen, einen Ausgleich zu finden. Stattdessen haben es wirklich die Lobbyisten der Plattformen und der Verwertungsindustrie geschafft, die Kreativen gegen die Nutzerinnen und Nutzer, die Nutzerinnen und Nutzer gegen die Kreativen oder eben auch gegen unabhängige kleine Verlage oder Bibliotheken in Stellung zu bringen. Das muss man erst mal schaffen. Genau die aber hätten Sie schützen müssen. ({5}) Schließlich haben Sie sich in der Zielkurve noch ein paar wenige Änderungen abgerungen, die allerdings an den Grundfehlern dieses Gesetzentwurfes nichts ändern. Ich muss Ihnen da deutlich widersprechen, Herr Fechner: Ein modernes und gerechtes Urheberrecht bleibt wieder nur Zukunftsmusik. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Petra Sitte. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Tabea Rößner. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform ist eine Mammutaufgabe. Sie sieht zahlreiche Änderungen in den verschiedensten Regelungsbereichen vor. Es ist höchste Zeit, dass das Urheberrecht an die Entwicklungen im digitalen Raum angepasst wird; es muss moderner und dringend auch gerechter werden. ({0}) Vor allem soll es ja die Kreativen stärken. Künstlerinnen und Künstler und Autorinnen und Autoren, von denen viele chronisch unterbezahlt sind, sollen angemessen beteiligt und vergütet werden. Daher ist es richtig, die Plattformen in die Verantwortung zu nehmen, die ja schließlich mit fremden Inhalten ordentlich Profit machen. ({1}) Deshalb begrüßen wir viele wichtige Neuerungen, zum Beispiel die Einführung der kollektiven Lizenzen. Unverständlich ist aber, warum Sie beim Urhebervertragsrecht, das ja gerade für eine angemessene Vergütung sorgen soll, auf halber Strecke stehen geblieben sind. Die ganzen Auskunftspflichten nutzen den Urheberinnen und Urhebern doch nichts, wenn die Ansprüche auf angemessene Vergütung nicht auch durch einen effektive Verbandsklage geltend gemacht werden können. ({2}) Wir alle wissen doch, dass sich kaum einer traut, allein zu klagen. Oder nehmen wir das Presseverleger-Leistungsschutzrecht: Wenn es schon über die EU wieder eingeführt werden muss, sollten doch die Urheberinnen und Urheber auch zur Hälfte beteiligt werden. ({3}) Auch bei der Verlegerbeteiligung sollten sie stärker profitieren. Kommen wir nun zum schwierigsten Teil der Reform. Die Koalition hat sich ja weit aus dem Fenster gelehnt und versprochen, dass es keine Uploadfilter geben wird. Heute kann man feststellen: Versprechen gebrochen. – Nun wäre es Ihre Aufgabe, den Einsatz der Filter möglichst gering zu halten, damit der Schutz der Grundrechte wie Kommunikations- oder Kunstfreiheit sichergestellt ist. Leider aber wurden die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer von Entwurf zu Entwurf weiter eingedampft. Das führt an entscheidenden Stellen zu Murks, zum Beispiel bei den mutmaßlich erlaubten Nutzungen. Es geht um das Teilen kleinster Text-, Ton- und Videoschnipsel. Das sollte nicht kriminalisiert werden; denn gerade das Kommentieren mit Memes gehört inzwischen ja zur alltäglichen Kommunikation. ({4}) Statt aber einer echten Schranke haben wir nun eine Vermutungsregelung; wenn die Vermutung widerlegt wird, kann dies zu Sperrungen führen. Der noch im Referentenentwurf fein ausbalancierte Interessenausgleich ist in eine Schieflage gekommen. Für die Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber richten Sie einen Red Button ein, schränken aber gleichzeitig die Möglichkeit des Pre-Flaggings für die Nutzerinnen und Nutzer wieder ein. Dabei ist gerade die Möglichkeit, Inhalte als erlaubt zu kennzeichnen, wichtig für den Schutz der Kommunikationsfreiheit und würde auch der Forderung des EuGH entsprechen, vorsorgende Maßnahmen einzurichten, damit es nicht zum Overblocking kommt. ({5}) Ich bin mal gespannt, ob sich zukünftig die Beschwerden von Musikerinnen und Musikern häufen, denen bei Onlinekonzerten der Livestream abgedreht wird. Das haben wir nämlich in den vergangenen Monaten des Öfteren erlebt, und das ist sicherlich nicht im Sinne der Künstlerinnen und Künstler. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tabea Rößner. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Jens Zimmermann. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich gefreut, dass Frau Kollegin Rößner unsere gesetzgeberischen Aktivitäten so gut begleitet hat. Ich will mich auch bei der Bundesjustizministerin, bei Christine Lambrecht, für die intensive Zusammenarbeit an diesem Gesetzentwurf bedanken. Ich kann sagen: In acht Jahren im Bundestag habe ich kein anderes so komplexes Gesetzgebungsvorhaben erlebt, bei dem wir so sehr an einem Strang gezogen haben, um so viele unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bekommen. Ich glaube, Frau Ministerin, das ist uns auch gelungen. ({0}) Vor zwei Jahren – es ist angesprochen worden – sind rund um den Bundestag Zehntausende junge Menschen auf die Straße gegangen und haben gegen die EU-Urheberrechtsrichtlinie demonstriert. Sie waren dabei nicht gegen das Urheberrecht selbst – das ist denen aus meiner Sicht damals häufig falsch in den Mund gelegt worden –, sondern sie hatten Angst davor, dass es zu Einschränkungen des freien Internets kommen könnte, ja, dass es das Ende des freien Internets sein könnte. Um die Antwort vorwegzunehmen: Ich glaube – das ist auch bei den Vorrednerinnen und Vorrednern klar geworden –, es wird nicht das Ende des freien Internets sein. – Aber dafür haben wir auch an vielen Stellen hart gekämpft. Ich kann mich an diese Zeit noch erinnern. Viele, die damals auf der Straße waren, waren enttäuscht, weil diese Urheberrechtsrichtlinie in Brüssel durchgegangen ist. Sie hatten das Gefühl, ihre Demonstrationen hätten nichts bewirkt. Ich will heute hier ganz klar sagen: Ohne diesen Druck auch von der Straße würde dieses Gesetz heute sicherlich ganz anders aussehen. Deswegen möchte ich mich dafür recht herzlich bedanken, meine Damen und Herren. ({1}) Ich will mich aber auch bei den über 1 100 Bands und Künstlerinnen und Künstlern bedanken, die uns in den letzten Wochen geschrieben und noch mal auf ihre Sicht der Dinge hingewiesen haben. Ich kann für die SPD-Fraktion sagen, dass wir das sehr, sehr ernst genommen haben. Ich glaube, dass uns am Ende etwas Wichtiges gelungen ist: dass die Vergütung der Kreativen, der Urheber und der Künstler gesichert ist und vor allem gegenüber diesen mächtigen Plattformen jetzt viel besser durchgesetzt werden kann. Das ist an der Stelle ein ganz wichtiger Erfolg, meine Damen und Herren. ({2}) Ich meine, seien wir mal ganz ehrlich: Hier im Bundestag werden ständig irgendwelche Memes produziert, wenn ich das mal so sagen darf. Wir haben sichergestellt, dass diese Memes in Zukunft weiter genutzt werden dürfen, dass die Alltagskommunikation, die wir schon heute im Internet haben, weiter so stattfinden kann. Das ist ein ganz komplizierter Interessensausgleich. In solch einer Konstellation werden nie alle 100 Prozent bekommen können. Ich glaube aber, der Deutsche Bundestag wird hier ein Gesetz verabschieden, das am Ende genau das hinbekommt: einen fairen Ausgleich der Interessen. Herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Zimmermann. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Tankred Schipanski. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Konstantin von Notz, unser digitalpolitisches Feuerwerk geht mit dieser Urheberrechtsreform natürlich weiter. Denken wir daran: Das Justizministerium musste vier Entwürfe hierzu veröffentlichen und brauchte 21 Monate, um das Kabinett zu passieren. Das parlamentarische Verfahren hingegen, das wir heute abschließen, dauerte lediglich gut zwei Monate. Wir beenden dieses Verfahren gut. Union und SPD haben sich auf weitere Verbesserungen bei der Urheberrechtsreform geeinigt. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass wir viele gute Impulse aus der Anhörung aufgenommen haben. Die Umsetzung der europäischen Urheberrechtsrichtlinie ist ein Balanceakt, der die verschiedenen Interessen von Kreativen, Rechteinhabern und Nutzern ausgleicht. Die Begleitmusik zu dieser Novelle war, wie erwartet, laut; Jens Zimmermann hat das gerade sehr bildhaft und gut beschrieben. Auch in der heutigen Debatte hören wir wieder manch schrillen Ton. Ich kann nur sagen: Dem Kampfbegriff des Uploadfilters nehmen wir mit dieser Reform seine Wirkung. ({0}) Wir verhindern Overblocking und bekämpfen zugleich Piraterie; das hatte ich bereits in der ersten Lesung ausgeführt. Lesen Sie das im Protokoll gerne nach. Wir wollen wissen, wie sich die automatisierten und die nichtautomatisierten Blockierungen in der Praxis auswirken. Dafür haben wir eine sogenannte Forschungsklausel eingeführt, die Wissenschaftlern einen besseren Zugang zu dieser Art von Daten von Plattformen gibt. Ich freue mich zudem über die Entfristung der Wissenschaftsschranke, für die sich die Forschungspolitiker der Koalition stark gemacht haben. Im Gegenzug erwarte ich aber jetzt auch von der Kultusministerkonferenz einen zügigen Abschluss der Verhandlungen mit den Verlagen über die notwendige höhere Pauschalvergütung. ({1}) Das Herzstück der Novelle, die sogenannten mutmaßlich erlaubten Nutzungen, bleibt in voller Breite erhalten, sichert die Netzkultur und führt die Memes aus der bisherigen rechtlichen Grauzone heraus. Ein Wort zu den Kommentaren zum E-Lending in dieser Debatte. Es geht bei dieser Novelle um die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie. Dort steht nichts von einer E-Book-Ausleihe. Wir schauen uns in der nächsten Legislatur aber gerne noch einmal an, ob Änderungen notwendig sind. Abschließend ist mir eine Klarstellung zum Anwendungsbereich des Gesetzes wichtig. Entgegen dem Referentenentwurf haben wir uns bei § 4 Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz nicht für einen qualitativen, sondern für einen quantitativen Ansatz entschieden. § 4 Absatz 2 Nummer 1 UrhDaG besagt, es müsse alles lizensiert werden, was „in mehr als geringfügigen Mengen“ veröffentlicht wird. Nun kann man sich fragen, was „in mehr als geringfügigen Mengen“ ist, wenn auf Youtube in einer Minute 400 Stunden an Videomaterial hochgeladen werden. Die Antwort lautet: Wir meinen das relativ. Was lizensiert werden muss, hängt also vom Charakter der Plattform ab. Damit verhindern wir unnötige Bürokratie und stellen gleichzeitig eine filterarme Umsetzung sicher. Ich bedanke mich bei den Rechtspolitikern der Koalition und beim BMJV für die faire und gute Zusammenarbeit. Ein wichtiges und gutes Gesetzesvorhaben findet heute sein Ende. Damit passen wir das Urheberrecht an die Erfordernisse der Digitalisierung an. Stimmen Sie diesem Gesetz zu! Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tankred Schipanski. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Martin Rabanus. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein guter Gesetzentwurf, den wir hier heute in zweiter und dritter Lesung beraten. Bei all dem Ausgleich, den dieses Gesetz herstellt, gibt es – das ist für die SPD-Fraktion immer klar gewesen – mindestens zwei Dinge, die nicht verhandelbar sind: Das ist die Meinungsfreiheit, und das ist der Schutz des geistigen Eigentums. Das Urheberrecht muss eine Brandmauer sein gegen Diebstahl des geistigen Eigentums, es muss eine Brandmauer sein gegen Ausbeutung von Künstlerinnen und Künstlern und Kreativen. Das ist in der Tat gelungen in dieser größten Novelle seit Jahren; Herr Kollege Heveling hat darauf hingewiesen. Insbesondere gibt es den Paradigmenwechsel, dass sich die Betreiber von Plattformen – ich sage es etwas flapsig – nicht mehr mir nichts, dir nichts die Taschen vollstopfen können, sondern verantwortlich sind für das, was auf ihnen passiert, und dafür zu sorgen haben, dass Künstlerinnen und Künstler, Kreative auch entsprechend honoriert und entlohnt werden. Das ist der große Schritt nach vorn durch diese Urheberrechtsnovelle. Damit ist auch klar: Wenn etwas illegal auf diese Plattformen kommt, dann müssen die Betreiber dafür sorgen, dass es zum einen herunterkommt und dass es zum anderen auch runter bleibt. Auch das ist mit diesem Gesetz sichergestellt. Wir von der Koalition haben über Änderungsanträge noch wichtige Änderungen vorgenommen. Für mich ist ein Thema wichtig, das ich nennen will, nämlich der Melodieschutz. Wir haben noch einmal klargestellt – das ist ganz wichtig für Musikerinnen und Musiker, für Komponisten –, dass es hier eine besondere Schutzwürdigkeit gibt. Damit schaffen wir auch Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Abschließend danke ich der Justizministerin Christine Lambrecht und ihrem Team ganz herzlich für die hervorragende Zusammenarbeit, für den gut moderierten Prozess, der immer sachlich blieb. Ich freue mich, dass wir das Gesetz jetzt fristgerecht in dieser Wahlperiode beschließen können. Ganz herzlichen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Martin Rabanus. – Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir beenden heute eine Schieflage im Urheberrechtsschutz. Das ist mit einem Beispiel sehr gut darstellbar – ich habe es das letzte Mal schon geschildert –: Meine Tochter tanzt in einer Jugendgarde. Wenn ihre Jugendgarde bei einer Prunksitzung meines Karnevalvereins auftritt und der Auftritt mit Musik hinterlegt ist, dann muss der Karnevalsverein die Rechte an dieser Musik ablösen. Das macht der Verein selbstverständlich, weil er ja der Profiteur der Veranstaltung ist: Er verkauft Eintrittskarten, er verkauft Essen, und er verkauft Getränke. – Im Netz läuft das aber anders. Wenn dieselbe Jugendgarde ein Video dieses Tanzes auf Youtube stellt und der Rechteinhaber auf Youtube zugeht und ihn darauf hinweist, seine Musik stehe auf dessen Plattform, dann sagt Youtube: Damit haben wir nichts zu tun, da musst du zur Jugendgarde des Karnevalvereins gehen. Meine Damen, meine Herren, ich sage Ihnen: Das kann doch nicht sein. Wir wollen, dass derjenige für den Urheberrechtsschutz verantwortlich ist, der davon profitiert. Genau das garantieren wir mit dem Gesetz, um das es heute geht. Das muss umso mehr gelten, als wir alle wissen, dass es, anders als beim Karnevalsverein, der nur in überschaubarer Art und Weise profitiert, bei den großen Plattformen um Gewinne in Milliardenhöhe geht, die dort durch Klicks und Werbung generiert werden. Die zweite Anmerkung, die ich mir erlaube, geht in Richtung Opposition. Ich will Ihnen sagen, dass Sie heute doch einmal einen Strich darunter machen sollten. Die gesammelte Opposition in diesem Saal hat vor zwei Jahren massiv Stimmung gemacht mit dem Schreckgespenst der Uploadfilter, der zum politischen Kampfbegriff geworden ist. Dazu muss man sagen, dass das Ihre Erfindung war. Schon die EU-Richtlinie selbst sieht Uploadfilter nicht als verpflichtend vor. ({0}) Auch dieser Gesetzentwurf sieht, anders als Sie es immer wieder behaupten, Frau Kollegin Sitte, nicht verpflichtend vor, dass Uploadfilter eingesetzt werden müssen. Nein, er geht sogar noch weiter; ich wundere mich, dass Sie es offensichtlich nicht gelesen haben. In diesem Gesetz ist es als Sorgfaltspflicht formuliert, dass der Betreiber die Verpflichtung hat, einzuschreiten, wenn ein Rechteinhaber ihn darauf hinweist. ({1}) Es gibt also keine Sorgfaltspflicht, die so weit geht, bereits den Upload zu unterbinden. Und Sie verschweigen regelmäßig in der Debatte – vorhin ist das angeklungen; die Kollegin Rößner von den Grünen hat es gesagt –, dass die großen Plattformen heute schon filtern auf Teufel komm raus nach Regeln, die wir alle noch nicht steuern können. Ich sage Ihnen, ich freue mich, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, vor allem deswegen, weil die gesammelte Opposition hier in den nächsten Wochen Lügen gestraft werden wird. All das, was Sie behauptet haben, wird nicht eintreten: Das Internet wird nicht abgeschafft, die Plattformen müssen nicht abgeschaltet werden. – Sie haben eine ganze Generation von Schülerinnen und Schülern in diesem Land instrumentalisiert für Ihre politischen Tendenzen in diesem Bereich. Das war schäbig.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hoffe, dass Sie dafür die Quittung bekommen und dass das der Öffentlichkeit auch so bekannt wird. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion legt dem Parlament heute einen Antrag vor, um ein Programm für natürlichen Klimaschutz einzurichten, welches Klima- und Naturschutz miteinander verbindet. Wir wollen zukünftig für dieses Programm 10 Prozent des Geldes aus dem Energie- und Klimafonds des Bundes einsetzen, um Natur wiederherzustellen, Kohlenstoff zu binden und Wasser in der Landschaft zu halten. Wir wollen damit massive Investitionen in den Schutz der Natur auslösen. Im aktuellen Haushaltsjahr würden diese 10 Prozent aus dem EKF rund 2,6 Milliarden Euro bedeuten. Das heißt, es wäre ein echter Paradigmenwechsel in der Naturschutzpolitik Deutschlands und würde auch die chronische und von allen Fraktionen des Hauses beklagte Unterfinanzierung des Naturschutzes auflösen. ({0}) Wir wollen besonders artenreiche und klimawirksame Ökosysteme in den Mittelpunkt stellen: Moore, Seegraswiesen, naturnahe Wälder, Auenlandschaften, um einige Beispiele zu nennen. All diese Ökosysteme sind wertvoller Lebensraum, Wasserspeicher und Kohlenstoffspeicher zugleich. ({1}) Unser Antrag weist natürlich auch in die nächste Legislaturperiode – ein solches Programm ist nicht binnen zwei Sitzungswochen aufzulegen –, aber er ist auch eine Einladung an alle demokratischen Fraktionen dieses Hauses, an die Kommunen, an die Länder, die Zivilgesellschaft, Akteure in der Wirtschaft, insgesamt eine große gesellschaftliche Anstrengung auszulösen, um Natur zu renaturieren und besser zu schützen als bisher. ({2}) Sie alle kennen das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, die CBD. Damit hatte sich die internationale Staatengemeinschaft bereits 2010 völkerrechtlich bindend verpflichtet, das Artenaussterben zu stoppen, wertvolle Lebensräume zu schützen und wiederherzustellen und eine nachhaltige Nutzung unserer Lebensgrundlagen zu garantieren. Auch die EU-Biodiversitätsstrategie hat die Mitgliedstaaten bereits darauf verpflichtet, 15 Prozent der degradierten Ökosysteme zu renaturieren. Aber zehn Jahre später blicken wir auf ein verlorenes Jahrzehnt für den Naturschutz zurück. Wir müssen feststellen, dass keines – keines! – der 20 Kernziele der CBD zufriedenstellend umgesetzt worden ist. ({3}) Das ist eine riesige Bürde für zukünftige Generationen, und politisch ist das einfach nicht mehr so hinnehmbar. ({4}) Wir sind von gesundem Klima genauso abhängig wie von gesunder Natur mit all ihren Leistungen für die Lebensmittelproduktion, den Wasserhaushalt, die Sauerstoffproduktion, für Bestäubung, Hochwasserschutz und vielem mehr. Naturschutz ist kein Nice-to-have, sondern es ist Hardware und Software in einem. Wir sind davon abhängig. Die Europäische Kommission wird noch in diesem Jahr eine Gesetzgebung zur verbindlichen Wiederherstellung von Ökosystemen vorlegen. Im Herbst wird die CBD neue Zielmarken ausrufen, und im Rahmen der Klimaverhandlungen werden gerade Nature-based Solutions heiß diskutiert. Ich möchte, meine Fraktion möchte, dass wir im Deutschen Bundestag nicht wieder hinterherrennen, dass wir nicht wieder warten, bis die Europäische Kommission uns verklagt, weil Naturschutzrichtlinien wie die Nitratrichtlinie nicht umgesetzt worden sind oder das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber erneut zum Handeln zwingt. Deshalb wollen wir vorangehen und mit unserem Programm die Grundlagen für die zukünftige Umsetzung von Natur- und Klimaschutz definieren. Ich denke, dass uns eines klar sein muss – das sollte zumindest die Naturschutzfraktion hier im Deutschen Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg vereinen –: ({5}) dass das Definieren von Zielmarken nicht mehr ausreicht. Wir können nicht so weitermachen, dass wir eine Wasserrahmenrichtlinie, eine FFH-Richtlinie, eine Natura-2000-Richtlinie festlegen, Biodiversitätsziele für 2030 und Ziele für 2050 formulieren, um dann von Jahrzehnt zu Jahrzehnt festzustellen, dass es leider wieder mal nicht geklappt hat. ({6}) Es sind jetzt konkrete Lösungen und Maßnahmen notwendig. Mit unserem Programm könnte in der nächsten Legislaturperiode anschließend an das Bundesprogramm Biologische Vielfalt und an den Wildnisfonds direkt in die Renaturierung eingestiegen werden: seien das Bäche, sei das in meiner Heimat bei der Elbe, sei das der stille Dorfweiher, der seine ökologischen Funktionen nicht mehr ausfüllt. ({7}) Wir könnten mit diesen Dingen sofort beginnen – die Finanzmittel dafür können zur Verfügung gestellt werden –, und wir könnten damit insgesamt einen wirklichen Gamechanger für Naturschutz einrichten. ({8}) Es wäre ein Ausweg aus den Grabenkämpfen, die wir in den letzten Jahren hier erlebt haben. Ich denke, dass allen klar sein muss: Einen solchen parlamentarischen Prozess wie um den Insektenschutz, wozu die Bundesregierung vor vier Jahren einen guten Aktionsplan aufgestellt hat, sich danach aber bis zum heutigen Tag nicht auf ein Insektenschutzgesetz geeinigt werden konnte, das sowieso nur noch ein Rumpfgesetz ist – da ist ja vom Programm nicht mehr viel drin –, einen solchen politischen Prozess können wir uns nicht erneut leisten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und deshalb möchte ich mit dem Programm für meine Fraktion eine Einladung zum Mittun, zum Mitdiskutieren, zum Streiten, zum Verbessern aussprechen und hoffe, dass wir für den Naturschutz gemeinsam vorankommen. Danke. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lemke. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus Peter Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004406, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich zu Beginn meines kleinen Redebeitrages ein dickes Lob für den fachlich fundierten Antrag der Grünen hier aussprechen. Er ist fachlich wirklich gut. ({0}) Allerdings ist er sehr weit von der Praxis entfernt. Ich habe ja mal hier in der Debatte zum Wolf gesagt: Die Balkonbiologen sehen das alles anders. – Hier kann man sagen: Die Schreibtischbiologen der Berliner Blase sind offensichtlich nicht in der Lage, die Praxis, wie sie vor Ort ist, richtig einzuschätzen. ({1}) Wir hatten ja gestern, meine sehr verehrten Damen und Herren – es waren ja einige der Kollegen mit dabei –, eine Diskussion beim NABU zu dem gesamten Thema Renaturierung und dazu, was wir dabei besser machen können. Da war auch ein super Papier vorgestellt worden. Aber ich habe meine Arbeit hier im Deutschen Bundestag und auch in den davorliegenden Jahren immer so verstanden, dass man zwar politische Visionen entwickeln sollte, sie dann aber auch in der Praxis umsetzen muss. Ansonsten passiert nämlich genau das, was wir alle nicht wollen: Politikverdrossenheit. Deshalb erlauben Sie mir, dass ich mal auf einige Punkte Ihres Antrages hier konkret eingehe. Den Vorschlag, 10 Prozent der Gelder des Energie- und Klimafonds für die Wiederherstellung einer gesunden Natur auszugeben, würde ich sehr gerne mit unterstützen. Aber überlegen wir uns mal, welche Transformationsprozesse allein durch die Wasserstofftechnologie in unserer Wirtschaft erforderlich sind. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass wir in der Lage sind, jedes Jahr 10 Prozent aus diesem Topf rauszunehmen, um Maßnahmen umzusetzen. Ich bin dafür – das habe ich gestern in der Diskussion auch gesagt –, dass wir wirklich in der nächsten Legislaturperiode mal darüber nachdenken sollten, die Kompensationsverordnung dahingehend zu ändern, dass Maßnahmen, die im Zuge von Ausgleich und Ersatz erfolgen, in Geldform zu erbringen sind, sodass wir mit diesem Geld für den Naturschutz mehr machen können als bisher. Es nützt nichts, hier ein Bäumchen zu pflanzen, da ein Bäumchen zu pflanzen und vielleicht noch eine Strauchreihe dazwischen. Wir sollten eigentlich die Qualität in Schutzgebieten erhöhen. Ich würde sagen: In der nächsten Legislaturperiode muss das eine Rolle spielen. ({2}) Der nächste Punkt, den ich auch sehr kritisch sehe, auch aus eigener Erfahrung heraus, sind die Zeiträume, die notwendig sind, um solche Projekte auf den Weg zu bringen. Ich selbst durfte zwischen 1990 und 2001 das Gewässerrandstreifenprojekt Spreewald, das sich letztendlich jetzt als Erfolg dargestellt hat, begleiten. Elf Jahre hat es gedauert, bevor der damalige Umweltminister Jürgen Trittin uns im Jahr 2001 den Fördermittelbescheid übergeben hat. Und Sie wissen, Frau Lemke – wir haben uns das im vorvergangenen Jahr angeschaut –: An der unteren Havel läuft das in großer Akzeptanz mit der Bevölkerung. – Aber hier sind auch mehr als zehn Jahre Vorbereitungszeit nötig gewesen, um solche Prozesse auf den Weg zu bringen. ({3}) So etwas ist nicht in fünf Jahren erledigt. Außerdem fehlt in Ihrem Antrag – auch das habe ich an dieser Stelle schon mehrmals gesagt –: Wir sollten wirklich mal darüber nachdenken, ob wir das, was 2002/2003 in Sachen Bioenergie auf den Weg gebracht wurde, noch zeitgemäß ist. 900 000 Hektar Maisanbau für Biogasanlagen, muss das sein? ({4}) Wir wissen ja mittlerweile, dass 100 Hektar Biomais einer Energiemenge entsprechen, die etwa auf 2 Hektar Solarfläche erzielt werden kann. Und hier muss auch in der nächsten Legislaturperiode überlegt werden, wie wir diese Entwicklung ändern können. Ich sehe hier und da auch Nicken aus anderen Fraktionen. Hier besteht eine große Aufgabe, und das sollten wir auf jeden Fall mit berücksichtigen. ({5}) Ein Punkt, der ebenfalls mit dem Thema Fläche zu tun hat – und das ist jetzt in den letzten Monaten sehr deutlich geworden –, ist das Thema Flächenentzug durch Solaranlagen. Bei mir im Wahlkreis laufen Investoren durch die Gegend, die gerne Solaranlagen aufbauen möchten. Sie bieten pro Hektar 2 500 Euro pro Jahr bei einem 20-Jahres-Vertrag. Das sind 50 000 Euro. Sie schreiben jetzt unter Punkt e), dass wir Flächen aufkaufen sollen. Wer wird denn eine Fläche für eine Renaturierung zur Verfügung stellen, wenn er, wenn es gut läuft, vielleicht zwischen 5 000 und 10 000 Euro für den Hektar bekommt, wenn er in der gleichen Zeit das Fünffache von einem Solarinvestor bekommt? Hier muss auch überlegt werden, ob die kommunale Bauleitplanung überhaupt in der Lage ist, diesen Prozess in den Griff zu bekommen. Wäre es nicht besser, wenn hier die Regionalplanung analog zu den Windkraftanlagen zukünftig Planungen auf den Weg bringen und sagen würde: „Hier ist es möglich, dort nicht“? Ansonsten haben wir hier den gleichen Wildwuchs, wie wir ihn bei den Biogasanlagen in den letzten 20 Jahren beobachten konnten. Ja, und dann höre ich immer: Wir kriegen den Ausbau der Windkraftanlagen nicht hin. Daran ist der Naturschutz schuld. – Das ist ja hier und da zu lesen. ({6}) – Ich habe den Artikel über Sie gelesen, als Sie den Spaziergang durch das Naturschutzgebiet Karower Teiche gemacht haben. Übrigens finde ich den Ansatz, Populationen zu beachten und nicht nur Einzeltiere, nicht schlecht; den müssen wir dann natürlich auf alle Infrastrukturmaßnahmen ausweiten. ({7}) Ich mache das mal an einem Beispiel fest. Wir hatten 1990 185 Brutpaare des Seeadlers. Inzwischen sind es knapp 1 000, jedes Jahr ein Zuwachs von 20 Prozent. Und da zwischen einer Windkraftanlage und einem Seeadlerhorst ein Mindestabstand von 3 000 Metern sein soll, kann man sich schnell ausrechnen, wie groß der Verlust von potenziellen Flächen für die Errichtung von Windkraftanlagen ist. ({8}) Das müssen wir so berücksichtigen und können nicht einfach sagen: Der Naturschutz ist schuld. Wir wollten das eigentlich. Und dann will ich aber noch zu ein paar positiven Dingen kommen. In den Haushalt wurde in den letzten Jahren eine ganze Menge Geld für Renaturierung von Gewässern eingestellt. Ich erinnere an das Blaue Band: Mit 2 Millionen haben wir begonnen; wir sind jetzt bei 10 Millionen. Das Hochwasserschutzprogramm, wenn es geschickt angestellt wird, kann hier auch einen Beitrag leisten. Für die Renaturierung von Fließgewässern sind wir mittlerweile bei 100 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2021. Auch bei dem von den Grünen immer kritisierten Bundesprogramm Biologische Vielfalt, weil dafür angeblich zu wenig Mittel zur Verfügung stehen, haben wir gemeinsam mit meinem Kollegen Carsten Träger dafür gesorgt, dass sich der Ansatz in den letzten sieben Jahren verdreifacht hat. Ich denke, das sind gute Erfolge. Bei Ihrem Antrag, liebe Grüne, sollte man das eine oder andere wirklich rausnehmen. Wenn das in der Praxis umsetzbar ist, sind wir gerne mit dabei. Aber alles nur von theoretischer Seite zu sehen, ist aus meiner Sicht der falsche Weg. Schönen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schulze. – Nächster Redner ist der Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Wir diskutieren heute den Antrag der grün bemäntelten Kommunisten ({0}) zu Klimaschutz durch Naturschutz. Zum Antrag selbst ist wenig zu sagen. Er ist wie Altwasser, wie Brackwasser, noch nicht einmal neuer Wein in alten Schläuchen, allein der grün-stalinistischen Propaganda folgend, ({1}) mit maßlosen Übertreibungen gespickt. Da ist von Erderhitzung statt ‑erwärmung die Rede, von „ökologischen Kipppunkten“, als ob die Welt morgen unterginge, wenn sie nicht durch sofortiges Handeln aller im Sinne des Grünsozialismus – man kann es auch Ökoterror nennen – davor bewahrt würde. ({2}) Klimawandel, ein natürlicher Prozess seit Hunderten Millionen Jahren, wird zur Klimakrise umformuliert, um die Menschen wie auch bei der Coronapropaganda in Angst und Schrecken zu versetzen. Für diese vermeintliche Klimakatastrophe und dafür, dass am derzeitigen Klimawandel die menschengemachten CO2-Emissionen maßgeblich beteiligt seien, gibt es keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis – nichts, gar nichts! ({3}) Munter werden schon in der Überschrift Unsinnsbegriffe wie Klimaschutz mit sehr sinnvollen Begriffen wie Naturschutz vermengt, in der begründeten Hoffnung, dass sich dadurch der Unsinnsbegriff mehr und mehr etabliert: eine altbekannte Methode, wie sie gern auch in Unrechtsregimen vergangener Zeiten in diesem Land verwendet wurde. Denn während niemand auf dieser Welt ein statistisches Konstrukt, wie es das Klima nun mal ist, schützen kann, kann man die Natur und die Umwelt sehr wohl schützen. Ehrlichen Umwelt- und Naturschutz gibt es allerdings nur noch mit der AfD. ({4}) Die Grünkommunisten dagegen schützen die Umwelt nicht. Sie zerstören sie mittels industrieller Flatterstromanlagen, die, unterstützt von den hinterhertrottenden Altparteien, jeden Tag mehr gebaut werden. Die gerade beschlossene Zerstörung des Ebersberger Forstes, des letzten großräumigen zusammenhängenden Waldgebietes in Deutschland, ist nur ein weiterer Beleg für Ihre Heuchelei und den Missbrauch von Begriffen. ({5}) Bedrückend, ja beängstigend ist nicht nur die Unterstützung der hinterhertrottenden Altparteien, sondern auch, dass sich Richter des Bundesverfassungsgerichtes in voller Absicht und mit fragwürdigsten Argumenten auf die Seite der Grünkommunisten geschlagen haben, indem sie das Grundgesetz radikal uminterpretierten. ({6}) Bevor mir hier wieder jemand vorwirft, ich würde die Würde des Bundesverfassungsgerichtes angreifen: Es geht nicht um die Würde der Institution Verfassungsgericht, sondern um berechtigte Kritik an einem Urteil, das der Staatsrechtler Boehme-Neßler, stellvertretend für viele, einen „Skandal“, Professor Josef Franz Lindner einen „Paukenschlag für die Einschränkung von Grundrechten in Deutschland“ nannte. ({7}) Die Richter haben, basierend auf hochumstrittenen Hypothesen, nicht nur eine bis dato völlig unbekannte Verpflichtung zur Klimaneutralität in Artikel 20a Grundgesetz hineininterpretiert, sondern auch noch verfügt, dass schon jetzt massiv Freiheitsrechte eingeschränkt werden müssen, um zukünftigen Generationen einen rein fiktiven Schaden zu ersparen. Die Richter hätten sich lieber um die extremen Schulden kümmern sollen, die dieses Parlament, also Sie, der EU über die EZB zulasten aller Generationen Deutschlands erlaubt hat. Aber diese reale, mit absoluter Sicherheit eintretende Schuldenkatastrophe hat sie nicht interessiert. Gerade der jungen Generation sind die Richter in den Rücken gefallen. Sie wird über Jahrzehnte ausbaden müssen, wozu das Bundesverfassungsgericht die Regierung berechtigt, ja geradezu gedrängt hat: eine noch nie dagewesene Verschuldung der nächsten Generationen, eine massive Einschränkung der Freiheitsrechte, und das alles wegen eines Hirngespinsts von kranken Ideologen, die denken, dass wieder einmal am deutschen Wesen die Welt genesen solle. Ich hoffe, dass Sie alle, die an der Zerstörung unseres Vaterlandes und der Verelendung unseres Volkes mitwirken oder sie schweigend hinnehmen, Ihre gerechte Strafe erhalten werden. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hilse. ({0}) – Ersparen Sie mir doch eine weitere Kommentierung. ({1}) Nächster Redner ist der Kollege Carsten Träger, SPD-Fraktion. ({2})

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich erspare Ihnen gerne weitere Kommentare zur Rede von Herrn Hilse. Was Sie für einer sind, Herr Hilse, das haben Sie ja schon ausführlich zu Protokoll gegeben: am rechten Rand des Flügels, Leugner von Klimawandel, von Artensterben, von Corona, von was weiß ich noch alles. Also, Sie ignorieren wir nicht mal. Ich danke den Grünen, dass sie heute zum Weltbienentag dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ich teile die Analyse in Ihrem Antrag, in weiten Teilen sogar komplett. Dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen Artensterben und Klimawandel, zwischen Naturschutz und Klimaschutz, ist offensichtlich, ist richtig und muss uns Antrieb sein, kraftvoll zu handeln. Auf der einen Seite wissen wir: Wälder und Moore sind wichtige CO2-Senken im Kampf gegen den Klimawandel. Auf der anderen Seite: Der Klimawandel an sich bedroht unsere natürlichen Lebensräume und den Raum für Erholung und für Wohlbefinden vieler Menschen in unserem Land. Sie führen viele weitere Dinge aus, die ich insoweit unterstützen kann. Ich möchte die Diskussion sogar noch um den Aspekt Gesundheit weiten. Denn die stattfindende Coronapandemie zeigt uns einmal mehr – und drastischer geht es wohl nicht –, wie schlimm es ist, dass die Natur immer weiter zurückgedrängt wird. Wilde Arten suchen ja nicht den Kontakt zu Menschen. Aber wenn wir ihre Lebensräume zerstören, wenn wir diese Lebensräume immer enger gestalten, dann kommt es eben zum Überspringen von Zoonosen. Einige der schlimmsten Seuchen der Menschheitsgeschichte neben Corona sind auf diesen Effekt zurückzuführen. Ich teile aber nicht mehr den Weg, den Sie gehen wollen, mit finanziellen Mitteln alle Probleme zu lösen, zumindest nicht, wenn es darum geht, dass wir die ärmeren Bevölkerungsschichten damit in Bedrängnis bringen. Da sage ich Ihnen: Das sind nicht die Menschen, die einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Sie heizen kleinere Wohnungen, sie fahren kleinere Autos, und sie sind übrigens auch nicht privat krankenversichert. ({0}) – Wenn Sie sagen, Sie wollen über den EKF alles finanzieren, dann müssen Sie natürlich auch sagen, dass der EKF zu einem wichtigen Teil über den CO2-Preis gespeist wird. ({1}) Wenn Sie an anderer Stelle sagen, Sie wollen den CO2-Preis auf 60 Euro pro Tonne anheben, dann müssen Sie auch dazusagen, dass das so ungefähr 30 Cent mehr auf den Liter Benzin bedeutet. ({2}) Da sage ich Ihnen: Solange Alternativen nicht möglich sind, solange es die Alternativen nicht gibt, solange es keine billigen E-Autos gibt, solange der Umstieg auf die Deutsche Bahn oder auf den öffentlichen Nahverkehr eben nicht so ohne Weiteres möglich ist, werde ich nicht mitgehen, und da wird meine Partei nicht mitgehen. ({3}) Wir stehen zu den Vereinbarungen, die wir letztes Jahr hier alle gemeinsam getroffen haben, und im Bundesrat auch die Grünen. Aber zusätzliche Mittel einfach mal so in einem Überbietungswettbewerb zwischen dem Ministerpräsidenten Söder und den Grünen zu generieren, so geht es nicht. ({4}) Ich gebe Ihnen wiederum recht: Wir müssen mehr tun. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe ja gerade erst angefangen. Gerne später, aber jetzt nicht. ({0}) Wir müssen mehr tun für den Naturschutz. Ich bin dabei, dass das eine wichtige Maßnahme ist, auch um den Klimawandel zurückzudrängen. Aber ich sage Ihnen: Wichtiger wäre jetzt erst mal, all die bestehenden Instrumente, die es gibt, den Wildnisfonds, das Auenprogramm, das Blaue Band, richtig auszustatten. Wir können da über Finanzen sprechen, wir müssen aber auch über Personal sprechen. Wir wissen doch, wie es in den unteren Naturschutzbehörden ausschaut, und wir wissen, wie lange Genehmigungsverfahren dauern. Das sind alles wichtige Punkte, die wir in den Blick nehmen müssen. Wir müssen natürlich auch klare Orientierung geben für die Beamtinnen und Beamten und übrigens auch für die Bevölkerung. Da, liebe Kolleginnen vom Koalitionspartner, kann ich Ihnen nicht ersparen, zu sagen: Wir sprechen in diesen Tagen und sogar schon seit vielen Monaten und Jahren über das angesprochene Insektenschutzgesetz. Da ist Biotopschutz drin, da ist Lichtverschmutzung drin, da ist das Nationale Naturerbe drin, da ist das Projekt „Natur auf Zeit“ drin. ({1}) – Nein, Bauerninteressen sind beim Insektenschutzgesetz eben nicht berührt, sondern es geht ausschließlich um die Bereiche, die die Landwirtschaft nicht betreffen. ({2}) – Sie müssen natürlich schon auch die Materie studieren, Kollege Bleck. ({3}) Also: Das ist ausverhandelt. Wir haben uns darauf geeinigt. Es gibt die Unterstützung des Landwirtschaftsministeriums, das ich ja an dieser Stelle schon oft kritisiert habe. Es gibt natürlich die Unterstützung des Umweltministeriums – danke auch an Svenja Schulze, dass sie bei dieser Thematik den Elan nicht verliert. Es gibt die Unterstützung des Bundeskanzleramts und, und, und. Ich kann nur an die entsprechenden Kräfte in der Union appellieren, dass wir nun dieses Gesetz endlich über die Ziellinie schieben. Wir sind nicht auf der Zielgeraden; wir sind auf der Ziellinie. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Genau, Herr Kollege. Kommen Sie freundlicherweise zum Schluss.

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gern, Herr Präsident. – Vielen Dank. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Ich möchte sie einfach nur nutzen, um eine inhaltliche Klarstellung zu machen, Herr Träger, weil bei Ihnen da etwas durcheinandergegangen ist. Der Klimafonds wird aus dem europäischen Emissionshandel gespeist. ({0}) Das hat nichts mit der CO2-Bepreisung, die wir im letzten Jahr beschlossen haben, zu tun. Es sind die durch den europäischen Emissionshandel erzielten Einnahmen aus Industrieanlagen und Kohlekraftwerken, die dort hineinfließen. ({1}) Sie haben das – das kann man in Ihrer Rede schön nachlesen – verwechselt. ({2}) Der CO2-Preis, den es seit Beginn des Jahres gibt, den Ihre Partei gar nicht wollte und der erst im Vermittlungsausschuss durch grüne Intervention auf 25 Euro festgesetzt wurde, ({3}) fließt als EEG-Umlage zurück an die Menschen. ({4}) Das hat mit dem Emissionshandel an der Stelle überhaupt nichts zu tun. Vielleicht gucken Sie sich Ihre Rede an der Stelle noch mal an und überlegen, was Sie hier aufmachen. Daran eine soziale Frage hochzuziehen, wenn es hier um Naturschutz geht, finde ich für Sozialdemokraten, ehrlich gesagt, nicht angemessen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Träger, Sie haben jetzt wirklich die Chance, das richtigzustellen – darauf zu antworten, wollte ich sagen. ({0})

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Wahrscheinlich würde es noch mal eine komplette Rede brauchen, um das alles jetzt fein auszuformulieren. Es gibt die Zusage, dass wir die Einnahmen aus dem CO2-Preis in den EKF einfließen lassen. ({0}) Ich weiß nicht, Herr Krischer, wie man das falsch verstehen kann. Es ist auch nicht richtig, dass es letztes Jahr keine Einigung in diesem Haus gab. Wenn ich mich richtig entsinne, waren Sie und Ihre Partei nicht an den Verhandlungen im Kanzleramt beteiligt, als ein zugegeben niedrigerer CO2-Preis verhandelt worden ist, damit es eben genau nicht zu sozialen Härten kommt. Dann – das gebe ich gerne zu – wurde auf eine Initiative im Bundesrat mit Beteiligung der Grünen hin dieser CO2-Preis auf das jetzt gemeinsam getragene Niveau angehoben. Dass Sie jetzt, nach weniger als einem Jahr, diesen Preis noch mal mehr als verdoppeln wollen, ist natürlich eine soziale Frage, weil es genau die Menschen betrifft, die nicht so viel Geld im Geldbeutel haben. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Rednerreihenfolge ist der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Diskussion gerade hat noch mal gezeigt, dass dieser Antrag doch ein bisschen mehr Erklärungsbedürftigkeit mit sich bringt. Lieber Kollege Schulze, ich würde Ihnen in einer Analyse nicht ganz zustimmen, nämlich ob der handwerklich an allen Stellen so richtig und gut ausgeführt ist. ({0}) Ich glaube, bei der Biodiversität – darüber kann man ja noch reden – macht es Sinn. Aber es gibt schon ein paar Stellen, an denen man, glaube ich, noch mal ein wenig in die Tiefe gehen muss, um Klima und Biodiversität sinnvoll miteinander zu verbinden. ({1}) Man kann diesen Antrag so verstehen – ich glaube, Frau Lemke, Sie verstehen das auch so; so hatten Sie es eben zumindest formuliert –, dass er Themenhinweise gibt, dass Sie sagen: Mensch, wir müssen mal über diese beiden Themen „Biodiversität“ und „Klimaschutz“ nachdenken, wir müssen uns da als Grüne mal positionieren. ({2}) Da würde ich sagen: Guter Antrag. – Man könnte sagen, es ist vielleicht ein Debattenbeitrag. Man könnte sagen, es ist ein Antrag, der dazu anregt, mal zu diskutieren. ({3}) Man sieht in diesem Haus: Das funktioniert; die Debatte läuft. Da könnte man sagen: Das ist okay. – Aber ist das ein Antrag, mit dem man Lösungen gibt? ({4}) Nein, definitiv nicht. Das muss man leider an dieser Stelle sagen. ({5}) Vielleicht ein paar Punkte zur Erklärung. In diesem Antrag steht, die Umsetzung des Pariser Abkommens funktioniere nicht. Ich halte a) so eine Formulierung für extrem gefährlich, weil die Umsetzung des Abkommens funktioniert – ich komme gleich dazu –, und b) ist sie auch fachlich falsch. Das Pariser Abkommen ist so ähnlich aufgebaut wie das Montrealer Abkommen: Es verschärft sich alle fünf Jahre. Wir legen alle fünf Jahre NDCs, Nationally Determined Contributions, vor. Und das funktioniert: Der Prozess vom letzten Jahr, der auf dieses Jahr verschoben wurde, hat klargemacht, wie gut er funktioniert, und zeigt uns, dass wir mittlerweile 80 Prozent der weltweiten Emissionen in Systemen haben, die ein Netto-Null-Ziel vorsehen. Das ist genau der Gedanke, den das Pariser Abkommen mit sich bringt, nämlich dass unsere Ziele alle fünf Jahre schärfer werden, härter werden. Und das funktioniert. Einfach zu behaupten: „Das geht nicht“, ist falsch. 40 Länder sind daran beteiligt. ({6}) Auch bei der Frage der CO2-Neutralität wundert mich schon, wie Ihr Antrag da formuliert ist. Das kann nur zu einem Ergebnis führen, das nicht richtig ist. Herr Träger hatte gerade erklärt, dass die Einnahmen aus dem BEHG, aus der CO2-Steuer, in den Energie- und Klimafonds fließen. Daraus müssen wir eine Menge Dinge finanzieren. Was Sie jetzt finanzieren wollen, ist naturnaher Rückbau. Zum einen zeigt die Waldbilanz ganz klar, dass CO2-Speicherung in nachhaltig genutzten Wäldern, also in forstwirtschaftlichen genutzten Wäldern, am besten funktioniert, und das missverstehen Sie in diesem Antrag völlig. ({7}) Der zweite Punkt, den Sie nicht aufgreifen, ist die Frage der CO2-Neutralität. „Neutralität“ bedeutet, dass sämtliches CO2, das ausgestoßen wird, wieder gespeichert werden muss. Das heißt, man muss ein Nullsummenspiel bilden; deswegen ja netto null. Und das ist genau das Problem: Wenn Sie LULUCF, wenn Sie den Forstwirtschaftssektor und den Sektor der Moore, den Sektor der organischen CO2-Speicherung aus unseren Zielen herausnehmen, dann können Sie keine Neutralität erreichen, dann werden Sie immer CO2-Emissionen haben. Es ist doch völlig absurd, so etwas zu fordern. Sie verstehen das gesamte Konstrukt von Klimapolitik nicht. ({8}) Es tut mir leid: Dieser Antrag ist meiner Meinung nach wirklich nicht mehr als ein Debattenbeitrag. ({9}) Was Sie nicht erklären, ist: Was wollen Sie denn im EKF streichen? Sie sagen, Sie wollen richtig viel Geld ausgeben. Aber Sie sagen nicht, wie die Finanzierung einer anderen Maßnahme aus Mitteln des Energie- und Klimafonds, der genau dafür aufgelegt ist, Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren, haushalterisch abgebildet werden soll. ({10}) Sie haben also weder eine Finanzierung noch einen klaren Plan, noch können Sie langfristig sicherstellen, dass die Renaturierung von Mooren finanziert wird. Denn aktuell ist es ja nicht so, dass wir unendlich viele Moorflächen zur Verfügung hätten. Jeder Landwirt, der ein Moor trockengelegt hat, verdient mit diesem Land Geld. Das heißt, Sie müssen dafür sorgen, dass dieser Landwirt eine ökonomische Perspektive hat, wenn Sie die Flächen wiedervernässen wollen. ({11}) Wir haben Anträge dazu vorgelegt. Wir haben gezeigt, wie man innerhalb eines Emissionshandelssystems funktionabel Negativemissionen abbilden kann. Damit wird eine Langfristsicherung dargestellt. Das haben Sie nicht geschafft. Deswegen ist dieser Antrag meiner Meinung nach nicht mehr als ein gutes Themenpapier oder ein Debattenbeitrag. Danke schön. ({12})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Seien wir ehrlich, meine Damen und Herren: Wie oft machen wir uns klar, dass Globalisierung, Wegwerfgesellschaft, Renditeerwartungen von Aktionären, die Fixierung auf das BIP-Wachstum zu explodierendem Energie- und Ressourcenverbrauch führen und damit Umweltzerstörung und Klimaerwärmung verursachen. Ja, Umweltschutz ist Klimaschutz; das wissen wir alle – okay, fast alle. ({0}) Aber handeln wir auch danach? Die Grünen fordern 2 Milliarden Euro pro Jahr mehr für internationalen und nationalen Klima- und Umweltschutz. Diese Forderung unterstützen wir. ({1}) Wir können die Forderungen im Antrag komplett unterschreiben. Allerdings sind sie nicht konkret genug. Damit werden viele gesellschaftliche Widersprüche übersehen. Ein Beispiel: Die Renaturierung von Bächen und Flüssen bringt mehr Hochwasserschutz, hält Wasser in der Fläche, fördert so die Grundwasserneubildung; Auwälder und Überflutungswiesen können entstehen; vom Aussterben bedrohte Wanderfischarten wie Stör, Lachs und Neunauge bekommen eine Chance; weniger Nährstoffe gelangen in die Meere, und es ist auch nicht schlecht, wenn dadurch die Algenblüte in der Ostsee geringer ausfällt. Insgesamt wird somit CO2 gebunden. ({2}) Also: Ja, Umweltschutz ist Klimaschutz. Dafür steht Die Linke, dafür kämpfe auch ich. Der Rückbau von Staustufen und Wehren, die Verlegung von Deichen, die Neuplanung von Uferbefestigungen sind notwendig, und dafür braucht es Geld – ja, und auch dafür steht Die Linke. ({3}) Aber die Interessen sind halt verschieden. Flussbegradigungen, der Bau von Wehren und Deichen erfolgten doch nicht einfach so. Man sicherte damit Siedlungsraum, gewann Ackerflächen. Einfache Hochwasser wurden besser abgewehrt, die Flussschifffahrt und der Wassertourismus gefördert – ja, und erneuerbarer Strom aus Kleinwasserkraftanlagen gewonnen. Die negativen Folgen dieser Maßnahmen erkannte man erst später. Die Kosten für Schäden bei Extremhochwässern und Dürren vervielfachten sich. Durch die Querbauwerke wurden Wanderfischarten fast ausgerottet, der Sedimenttransport in den Flüssen unterbunden. In den aufgestauten Gewässern bildet sich Methan und zerstört das Klima. Und die Turbinen der Kleinwasserkraftwerke töten Fische und vernichten Aalpopulationen. Wegen all dieser Probleme ist die Renaturierung unserer Flüsse unerlässlich. Aber sie muss zwingend mit sozialen und wirtschaftlichen Ausgleichsmaßnahmen verbunden werden. ({4}) Deshalb fordert Die Linke: Erstens. Kleinwasserkraftanlagen stilllegen und dafür Solaranlagen auf Dächern und Energiespeicher fördern. ({5}) Zweitens. Landwirtschaftsbetriebe bei der Umstellung auf extensives Wirtschaften in Überflutungsgebieten unterstützen und einen Verdienstausgleich für die Einnahmeverluste garantieren. ({6}) Drittens. Eine Wohnraumumwandlung in Städten verbieten, Geschosswohnungsbau fördern und die Mieterrechte stärken; denn das reduziert Flächenbedarf. ({7}) Viertens. Eine Regionalisierung der Wirtschaft verringert Transporte. Eine Förderung des Bahnverkehrs schafft den Ausgleich für wegfallende Schifffahrtskapazitäten. Übrigens: Wassertourismus auf natürlichen Flüssen ist doch viel attraktiver, als von Wehr zu Wehr zu paddeln. ({8}) An diesem Beispiel erkennen wir alle, wie komplex es ist und wie alles mit allem verbunden ist. Bei der Wiedervernässung von Mooren, bei der Ausweitung des Grünlandes, bei der Umgestaltung von Wirtschaftswäldern zu Urwäldern wird es weitere und große Konflikte geben, und die müssen angegangen werden. Aber das Klügste wäre doch, dass man gar nicht erst renaturieren muss, weil man die Natur vorher erhalten hat. Tag für Tag gehen in Deutschland 52 Hektar Fläche verloren für den Neubau von Verkehrsinfrastruktur und das Wachsen der Städte. Um es mal deutlich zu machen: Alle sechs Monate wird die Insel Sylt komplett überbaut – verlorenes Land für die Natur, für die Landwirtschaft, für uns alle. Das müssen wir stoppen! Wir müssen den Flächenverbrauch auf null bringen! ({9}) Und da wäre der Stopp des Baus der A 49 durch die schwarz-grüne Regierung in Hessen ein Anfang. Aber auch der Stopp der Planungen für den Ausbau der Oder, für den Ausbau der Mittleren Elbe wäre notwendig; denn diese gefährden intakte Ökosysteme, die dann mit Millionenförderung woanders wieder installiert werden sollen. Diesen Schwachsinn sollte man endlich beenden. ({10}) Ich wiederhole: Das Klügste ist der Schutz der Natur, die wir haben. Und da denke ich auch an die Buchenwälder im Nationalpark Hainich in meiner Heimat in Thüringen. Die Dürre der letzten Jahre hat diesem und allen anderen Wäldern des Weltnaturerbes Buchenwälder schwer zugesetzt. Wir fordern hier seit Jahren finanzielle Mittel für den Erhalt dieser wertvollen Naturlandschaften. Ich hoffe, dass im nächsten Bundeshaushalt diese Forderung endlich umgesetzt wird. ({11}) Liebe Bürgerinnen und Bürger, wir müssen die Erde als Ganzes betrachten. Wie soll man einem Menschen verbieten, den letzten Fisch eines Flusses zu essen, wenn seine Alternative das Verhungern ist? Wir können die Umwelt nur retten, wenn wir Armut und soziale Spaltung überwinden. Soziale Gerechtigkeit in Deutschland und weltweit ist die unverzichtbare Basis für einen erfolgreichen Klima- und Umweltschutz. Dafür steht Die Linke. ({12}) Nur links schafft grün – grün geht nur rot. Vielen Dank. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Kießling, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Eigentlich habe ich gar nicht mehr viel zu sagen, weil der Herr Köhler eigentlich alles schon richtig vorweggenommen hat. ({0}) Herzlichen Dank dafür – ein Kompliment an die FDP! ({1}) Sie haben es auf den Punkt gebracht. Der einzige Punkt, bei dem ich Ihren Antrag, liebe Grünen, mittragen kann, ist letztendlich die Feststellung, dass neben dem Klima auch die Bedrohung der Artenvielfalt eine Herausforderung ist, der wir gemeinsam begegnen müssen. ({2}) Dabei ist der wichtigste Treiber des Artenverlustes die intensivierte und exzessive Nutzung unserer Flächen. Wir werden weltweit mehr Menschen. Die Menschen müssen ernährt werden; dazu brauchen wir die Landwirtschaft. Die Menschen müssen wohnen. Sie müssen sich bewegen. Sie brauchen Infrastruktur, Straßen und Energie. Wir wollen die erneuerbaren Energien ausbauen, gleichzeitig weniger Flächen nutzen, und wir wollen ein Mehr an Natur- und Umweltschutz. Das sind Zielkonflikte, die komplex sind. Wenn ich den Antrag der Grünen lese, dann stelle ich fest: Sie wollen den Konflikt auf einfache Weise und mit einfachen Antworten lösen. ({3}) Aber das funktioniert nicht. Sie liefern keine Lösungen, genau wie in diesem Antrag, den wir heute debattieren. Als Opposition kann man das natürlich einfach machen. Als Regierung muss man liefern, entscheiden und darf sich nicht enthalten. ({4}) Als Regierung muss man Zielkonflikte benennen, man muss mit Zielkonflikten umgehen und diese auch auflösen. Ansonsten macht man Politik nur für eine Seite. Wir als CDU/CSU, als Regierungspartei und Volkspartei, machen Politik für Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft und für unsere Umwelt. Wir wollen zusammenführen, nicht polarisieren. Wir müssen die Menschen mitnehmen, um letztendlich unser Ziel zu erreichen. ({5}) Bei Ihnen bin ich mir da gar nicht so sicher, wenn ich den Antrag lese. Der ist ein Sammelbecken von allen Aspekten, die Sie schon immer mal aufschreiben wollten. Zu sagen, wie Sie das realisieren und bezahlen wollen, haben Sie wahrscheinlich genauso „aus Versehen“ vergessen wie manch Kanzlerkandidatin ihre Nebeneinkünfte. ({6}) Im Gegensatz zu Ihnen haben wir nicht nur gut aufgeschrieben, sondern auch gehandelt. Der Vorwurf, dass wir nichts tun, stimmt schlichtweg nicht. Erstens. Wir haben zusammen mit unserem Koalitionspartner für mehr Geld zum Schutz von biologischer Vielfalt gesorgt – 45 Millionen Euro mehr. Seit 2017 ist das eine Verdopplung. Zweitens. Das Programm Nationales Naturerbe wurde um eine Fläche von 30 000 Hektar erweitert. Zudem stellen wir Geld für die Renaturierung von Fließgewässern sowie Auen an Bundeswasserstraßen zur Verfügung, 16 Millionen Euro bis 2022. Drittens. Wir fördern den ökologischen Landbau. Ziel: 20 Prozent Ökolandbau bis 2030. Schließlich stellen wir auf internationaler Ebene jährlich Millionen von Euro für den Schutz von Wäldern und anderen Ökosystemen bereit. Damit ist Deutschland der zweitgrößte Geldgeber in Sachen Biodiversität. Sie fordern im Antrag, ein Programm für klimaresiliente Städte aufzulegen. Das ist ein alter Hut; das machen wir in der Städtebauförderung schon über Jahre hinweg. Es gibt das Thema „Natur in der Stadt“. Ich sage nicht mehr „Grün in der Stadt“; denn ich will eigentlich mehr CDU/CSU in der Stadt. Aber Spaß beiseite. Das Thema „Natur in der Stadt“ haben wir als Querschnittsaufgabe erkannt. In allen Bereichen der Städtebauförderung haben wir entsprechende Maßnahmen eingeführt. Wir stellen hierfür 790 Millionen Euro zur Verfügung. Sie fordern 800 Millionen Euro zusätzlich. Das wäre eine Verdoppelung der Städtebauförderung. Wir halten die Städtebauförderung auf gleichbleibendem Niveau, weil es gut ist, dass wir unsere Städte entsprechend klimaresilient aufbauen. Zusätzlich haben wir – einen kleinen Seitenhieb zum Thema Energieeffizienz – es auch geschafft, dass energetische Sanierung auch steuerlich gefördert oder, besser gesagt, die Kosten dafür abgesetzt werden können. Auch da leisten wir unseren Beitrag zum Klimaschutz. ({7}) Meine Damen und Herren, das war nur ein kleiner Auszug des Engagements für den Naturschutz und die Biodiversität, den wir leisten. Wir kümmern uns auch um die Moorschutzstrategie, die Renaturierung von Gewässern, den Küstenschutz. Ich glaube nicht, dass das als Untätigkeit durchgeht. Im Gegenteil: Wir arbeiten dafür. Für die Union ist die Bewahrung der Schöpfung ein Markenkern. Das ist ein Markenkern unserer Fraktion, und das ist kein Lippenbekenntnis. Der ein oder andere wird es vielleicht wissen, die ein oder andere wird es vielleicht stören: Seit 1970 gibt es in Bayern das Umweltministerium. Es war eines der ersten. Seit 1984 hat der Umweltschutz in Bayern Verfassungsrang. Das heißt, es ist kein Lippenbekenntnis seitens der CDU/CSU-Fraktion, sondern die DNA, die wir mitbekommen haben. Aber natürlich sind noch weitere Schritte zu gehen, meine verehrten Damen und Herren. Wir brauchen die Natur, wir sind Teil der Natur, und ohne die Natur gibt es kein Leben. Bei uns sind das keine Worthülsen; wir handeln auch danach. Aber es gibt auch noch viel zu tun. Wir dürfen nicht in einen Wettlauf um Grenzwerte verfallen, sondern wir müssen jetzt für Lösungen sorgen, die entsprechende Umsetzungen gewährleisten. Also keine Erhöhung der Grenzwerte, sondern wir müssen schauen, wie wir das entsprechend umsetzen, sodass es sozialverträglich ist, dass wir die Leute mitnehmen und dass wir für Umwelt- und Klimaschutz und auch Biodiversität sorgen. Genauso gehört auch unsere Stadtentwicklung dazu. Bei der Städtebauförderung, der Elektromobilität und der Wasserstoffstrategie sind wir auf einem guten Weg. Es ist also ein weites Feld, das wir als Koalition in dieser Legislaturperiode bearbeitet haben. Wir haben die richtigen Weichen gestellt, auch was die Deutsche Bahn betrifft. Es sind enorme Gelder zur Verfügung gestellt worden, um die Mobilität der Zukunft entsprechend zu gestalten. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht polarisieren. Lassen Sie uns nicht Ideologien hinterherlaufen. Sorgen wir für pragmatische Lösungen, um die Ziele zu erreichen, die wir uns gesetzt haben. Lassen Sie uns an Lösungen arbeiten und nicht Vorschläge mit Überbietung von Geldern, die wir mit der Gießkanne verteilen, machen, ohne zu sagen, wie wir das entsprechend lösen und umsetzen wollen. Wir bleiben an dieser Debatte dran. Das wird uns beschäftigen. Es ist eine Generationenaufgabe. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kießling. – Nächster Redner ist der Kollege Andreas Bleck, AfD-Fraktion. ({0})

Andreas Bleck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004674, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Naturschutz ist Klimaschutz, und Klimaschutz ist Naturschutz – das behaupten jedenfalls die Grünen. Bei der Energiewende gibt es jedoch ein Spannungsfeld zwischen beiden. Windkraftanlagen töten Vögel, Fledermäuse und Insekten, Wasserkraftwerke stellen für Fische eine Barriere dar, und Biogaskraftwerke verwandeln die Kulturlandschaft in insektenschädliche Energiemais-Monokulturen. Nein, werte Kolleginnen und Kollegen, der real existierende Klimaschutz ist kein Naturschutz, und die Grünen sind keine Naturschutzpartei. ({0}) Doch das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass man den von den Grünen geforderten natürlichen Klimaschutz pauschal ablehnen muss. Denn einige Forderungen wie der Ankauf von Flächen innerhalb oder im direkten Umfeld von Schutzgebieten für die Renaturierung oder die Wiedervernässung von Mooren sind unterstützenswert. Andere Forderungen sind es hingegen nicht. So wollen die Grünen unter anderem 30 Prozent der Meeres- und Landesflächen schützen. Weniger landwirtschaftliche Fläche mit weniger intensiver Bewirtschaftung soll die Ernährungssicherheit gewährleisten. Die Grünen wollen also mehr durch weniger, und das ist grotesk und gleicht der Quadratur des Kreises. ({1}) Zudem wollen die Grünen jährlich 10 Prozent der Gelder aus dem Energie- und Klimafonds für den natürlichen Klimaschutz einsetzen. Doch der Energie- und Klimafonds speist sich vor allem aus den CO2-Abgaben. Wer mit Gas oder Öl heizt und mit Benzin und Diesel fährt, wird gnadenlos zur Kasse gebeten werden. Das trifft vor allem die kleinen Leute. Die globale Erwärmung mit mehr sozialer Kälte ausgleichen zu wollen, ist keine gute Idee, werte Kolleginnen und Kollegen der Grünen. ({2}) Wenn Sie Naturschutz wollen – und das unterstützen wir grundsätzlich –, dann muss sich dieser aus dem bestehenden Steueraufkommen finanzieren. Im Unterschied zu Ihnen wollen wir die Bürger nämlich nicht mehr belasten, sondern wir wollen sie mehr entlasten. ({3}) Zudem – das kann ich Ihnen nicht ersparen – muss man Ihre Aufrichtigkeit beim Klimaschutz mittlerweile bezweifeln. Eine aktuelle Auswertung der Dienstreisen der Bundestagsabgeordneten ergab, dass ausgerechnet die Grünen am häufigsten mit dem Flugzeug fliegen. ({4}) Dazu erklärten die Grünen, dass ja eine CO2-Kompensation vorgenommen wird. Übersetzt heißt das: Wir sind zwar Sünder, aber wir zahlen ja Ablass. ({5}) Dabei wird verschwiegen, dass die CO2-Kompensation nicht von den Grünen bezahlt wird, sondern vom Steuerzahler. Damit nicht genug: Eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsunternehmens puls ergab, dass die Grünen-Wähler am häufigsten SUV fahren. ({6}) – Das ist so. – Wenn der grüne Stimmzettel in der Wahlurne klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt. ({7}) Ehrlicher wäre es jedenfalls, wenn die Grünen-Wähler nicht ihren Stimmzettel, sondern ihren Autoschlüssel in die Urne werfen würden. Werte Kolleginnen und Kollegen, vielleicht haben es die Grünen mit ihrem Antrag doch gut gemeint. Dann gilt jedoch das alte Sprichwort: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hören wir den Redebeitrag der Kollegin Ulli Nissen, SPD-Fraktion. ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Naturschutz ist Klimaschutz. So sehen das auch die Nachhaltigkeitsziele, die SDGs. ({0}) Wir haben mit dramatischen und unwiderruflichen Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Gletscher schmelzen, das Meer erwärmt sich, der Meeresspiegel steigt, Arten sterben aus, Landstriche werden unbewohnbar, Menschen werden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Schon heute sind die Auswirkungen auch in Deutschland zu spüren. Stürme, Hochwasser, Hitzewellen, Naturkatastrophen und extreme Wetterereignisse häufen sich. ({1}) Dies kostet Menschenleben und verursacht Schäden in Milliardenhöhe. 2015 haben sich 197 Staaten in Paris dazu verpflichtet, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf möglichst unter 1,5 Grad zu begrenzen – ein echter Meilenstein. 2019 hat sich die Große Koalition auf ein umfassendes Klimaschutzpaket geeinigt. Zum ersten Mal wurden für alle Bereiche – zum Beispiel für die Bereiche Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft – festgelegt, wie viele Treibhausgase jährlich konkret eingespart werden müssen. Aktuell hat die Bundesregierung eine Novelle des Klimaschutzgesetzes auf den Weg gebracht. Die Minderungsziele werden noch mal erhöht. Der Treibhausgasausstoß muss nun bis 2030 um 65 Prozent reduziert werden. 2045, also fünf Jahre früher als bisher geplant, muss Deutschland klimaneutral werden. Wir haben dafür zahlreiche Maßnahmen beschlossen, unter anderem den Kohleausstieg und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Neben bestehenden Zuschussprogrammen haben wir eine steuerliche Förderung der energetischen Sanierung von privat genutztem Eigentum eingeführt. Wer seine eigene Wohnung klimafreundlicher macht, kann 20 Prozent der Kosten auf drei Jahre verteilt von der Steuerschuld absetzen. Wir wollen mehr Grün in der Stadt. Im Rahmen der Neuaufstellung der Städtebauförderung sind wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel eine Fördervoraussetzung. Diese ist auf einem Rekordniveau von 780 Millionen Euro. Das Bundesnaturschutzgesetz und das Insektenschutzgesetz müssen noch in dieser Legislatur verabschiedet werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wir Sozialdemokraten wollen unseren natürlichen Lebensraum erhalten. Wir müssen raus aus der Wegwerfgesellschaft. Die Verschmutzung der Meere durch Plastik ist alarmierend. Wo Einweg-Kunststoff nicht vermieden werden kann, fordern wir umweltfreundliche und recycelbare Lösungen. Produkte müssen so gestaltet werden, dass sie wiederverwendet werden können. Wir wollen Ökosysteme schützen und wiederherstellen. Eine besondere Rolle hat der Erhalt der Wälder. Wir wollen ein Honorierungssystem für den Wald beim CO2-Preis. Ohne leistungsstarke Kohlenstoffsenken kann Deutschland nicht klimaneutral werden. Eine wichtige Rolle haben dabei Moore. Diese müssen geschützt und trockengelegte müssen im großen Stil wieder vernässt werden. Wälder müssen an den Klimawandel angepasst werden, damit sie auch in Zukunft ihre wichtige Rolle für den Klimaschutz und die Biodiversität erfüllen können. Weiterhin liegen mir die Wildnisgebiete sehr am Herzen. 2 Prozent der Landesfläche sollen wieder großflächige Wildnisgebiete werden. Die Landwirtschaft hat bei der Bekämpfung des Klimawandels und dem Erhalt der Artenvielfalt eine zentrale Rolle. Wir werden die Agrarförderung so ausrichten, dass eine umweltschonende Landwirtschaft im Wettbewerb mithalten kann. Aber wir wirken nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Ich freue mich sehr, dass wir zum Erhalt der Serengeti beitragen konnten, auch mit tatkräftiger Unterstützung der Koalition und den Grünen. Liebe Grüne, ich danke euch dafür. 2020 und 2021 haben wir jeweils 10 Millionen Euro zusätzlich investiert, um dem weltweit einmaligen Naturschutzpark der großartigen Zoologischen Gesellschaft Frankfurt unter die Arme zu greifen. Dieser erzielt gerade aufgrund der Coronakrise keine Einnahmen aus dem Tourismus. Wir wollen die dortige Tierwelt schützen, damit es dort auch morgen Löwen, Zebras und Elefanten zu bestaunen gibt. Liebe Kollegen, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Nissen. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christoph Hoffmann, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Freien Demokraten haben vor etwa einem Jahr den Antrag „Entwicklungszusammenarbeit zur effektiven Verhinderung des weltweiten Eintrags von Plastikmüll in die Meere nutzen“ eingebracht. Jede Minute wird ein Lkw voll Plastikmüll ins Meer geschüttet und kommt dann als Mikroplastik über Nahrungsketten wieder zu uns zurück. Vor sechs Jahren – Frau Nissen hat es gerade erwähnt – wurden hier die Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Deutschland hat sich verpflichtet, zu einer signifikanten Reduktion der Meeresverschmutzung bis 2025 beizutragen. Sie alle kennen die Bilder von den Plastikbergen am Strand, von den Netzen, die die Wale verschluckt haben, und Sie kennen auch die Bilder von den kilometerbreiten Plastikstrudeln im Pazifik. Aber die Bundesregierung ist beim Kampf gegen den Plastikmüll in den Meeren wieder typisch bräsig unterwegs, sie hat viel geredet, aber nichts Wesentliches erreicht. Und das ist lammedudelig, wie man im Südbadischen sagt; das ist einfach viel zu langsam und eigentlich ein Skandal. ({0}) Zu viel Plastik wird nicht recycelt, wird falsch entsorgt. In vielen Entwicklungsländern wird mangels Abfallentsorgung Plastikmüll auf offenen Deponien direkt am Fluss gelagert und landet mit dem nächsten Hochwasser im Meer. Zu viele Abfälle aus der Fischerei, darunter Netze, Plastikflaschen und Schnüre, werden auf der See entsorgt. Die Freien Demokraten haben einen Antrag zur Minderung des Plastikeintrags in die Meere eingebracht, der konkret den Aspekt von Naturschutz und Umweltschutz via Entwicklungszusammenarbeit voranbringen will. Im Ausschuss haben ihn CDU, Grüne und SPD leider abgelehnt. Warum? Dafür gibt es doch eigentlich gar keinen Grund, ({1}) außer vielleicht Neid, dass die Initiative nicht aus Ihren Reihen kam. Meine Damen und Herren, zehn Flüsse weltweit sind verantwortlich für 95 Prozent des globalen Plastikmülleintrags in die Meere. Sieben Flüsse davon sind in China, drei in Afrika. China spielt also eine Schlüsselrolle. Ich kann nicht erkennen, dass diese Bundesregierung das Thema effektiv mit China besprochen hat – sei es auf der Ebene der UN, sei es auf der Ebene der EU oder direkt bilateral. Das ist einfach zu wenig! ({2}) Mit unserem Antrag wollen wir die Entwicklungszusammenarbeit bei Ländern ansetzen, die sich eine geordnete Abfallwirtschaft nicht leisten können: mit Unterstützung für Staaten durch Know-how-Transfer für moderne Entsorgungs-, Recycling- und Kläranlagen, mit Unterstützung für Social Start-ups, die Plastiksammelbanken einrichten und so direkt Einkommen vor Ort schaffen, mit Unterstützung für unsere Mittelständler, die moderne Abfallverwertung in Afrika bauen können. So könnte das gehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie unserem Antrag heute zustimmen. ({3}) Aber auch einfachere System helfen und können ausgebaut werden. Schon heute sammeln Initiativen wie One Earth – One Ocean und 4ocean weltweit Plastikmüll aus den maritimen Lebensräumen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ihnen gilt der herzliche Dank der Freien Demokraten. Und ich hoffe, ich spreche fürs ganze Haus, dass auch Sie diesen Initiativen Ihren Dank mittels Applaus jetzt aussprechen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es heute in der Hand, den Plastikeintrag in die Weltmeere zu mindern.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dr. Hoffmann, Sie haben noch einen Satz.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lassen Sie uns die Entwicklungszusammenarbeit zur effektiven Verhinderung des weltweiten Eintrags von Plastikmüll in die Meere nutzen und Einkommen schaffen. Stimmen Sie dem Antrag der FDP zu. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hoffmann. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Stein, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Drei Viertel aller Abfälle im Meer sind Kunststoffe. Das sind derzeit etwa 150 Millionen Tonnen; etwa 10 Millionen Tonnen kommen jährlich dazu. Es handelt sich vor allem um Verpackungsmaterialien, Abfälle aus Fischerei und Schifffahrt – zum Beispiel die sogenannten Geisternetze – sowie in Abwässern enthaltenes Mikroplastik aus Kosmetik und Textilien, insbesondere auch Babywindeln. Besonders kritisch sind natürlich medizinische Abfälle. Gut 70 Prozent davon sinken jedoch auf den Grund oder sind in den tieferen Wassersäulen zu finden. Es ist tragisch: Selbst in der Tiefsee, in 11 Kilometern Tiefe am Boden des Marianengrabens, hat man bereits Plastikmüll nachgewiesen. 70 Prozent, das bedeutet, dass wir es kaum technisch in der Hand haben, wesentlich mehr als 30 Prozent wieder herauszufischen. Wir müssen den Eintrag von Plastikmüll unverzüglich drastisch reduzieren! ({0}) Dabei ist der Mülleintrag ins Meer nicht gleichmäßig über den Globus verteilt – Kollege Hoffmann hat es schon angesprochen –: Über 90 Prozent des Mülls, der über Flüsse ins Meer eingetragen wird, stammt aus lediglich zehn Flusssystemen. Davon befindet sich die Mehrheit in Asien – der Ganges, Indus, Mekong, Jangtse und der Amur seien hier zu nennen – und in Afrika, dort besonders der Nil und der Niger. Zum Vergleich: Im Rhein transportieren wir leider auch 380 Tonnen Plastikmüll pro Jahr in unsere Nordsee. Das sind gemessen am Gesamtvolumen weltweit 0,0031 Prozent des Problems; alle europäischen Flusssysteme tragen weniger als 1 Prozent bei. Deshalb ist es richtig: Das Thema muss international betrachtet werden. – Diese Bundesregierung und diese Regierungskoalition haben das allerdings bereits deutlich erkannt und stellen sich dieser Aufgabe wie noch nie zuvor. Die G 7 und die G 20 haben 2015 und 2017 Aktionspläne zur Bekämpfung der Meeresvermüllung verabschiedet, und das jeweils unter deutscher Präsidentschaft. Das Ostseeparlament hat in seiner Resolution 2019 neben den Munitionsaltlasten auch die Themen „Geisternetze“ und „Mikroplastik“ aufgenommen, eingebracht von der deutschen Delegation. Und auch in die Meeresstrategie der Europäischen Union hat das ganz klaren Einklang gefunden. Müll im Meer ist meist Müll, der an Land nicht ordentlich entsorgt wurde. Müll darf erst gar nicht in Flüsse und Meere gelangen. Wir müssen also Abfallwirtschaftssysteme aufbauen – da sind wir ganz bei dem Ansatz der FDP – und helfen, die Recyclingquote zu erhöhen. Das BMZ hat einen eigenen Zehn-Punkte-Aktionsplan für Meeresschutz und nachhaltige Fischerei, in dem es die umweltpolitische Zusammenarbeit mit unseren Partnerländern weiterentwickelt und dabei die Abfallwirtschaft gezielt fördert. Ebenfalls ein Förderschwerpunkt ist der Wissensaustausch zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern und für Partnerschaften mit der Privatwirtschaft. Auch das Bundesumweltministerium hat ein Förderprogramm zum Aufbau von Entsorgungs- und Recyclingstrukturen in Asien und Afrika, in dem es sich auf Länder und Flussregionen konzentriert, aus denen die größten Müllmengen in die Meere gelangen. Ich persönlich engagiere mich schon seit Beginn meines Mandates – also jetzt seit über sieben Jahren – für einen direkten Austausch und konnte in diesem Kontext im Bereich der Abfallwirtschaft und Gewässersauberkeit auch einige Projekte begleiten. Wichtig ist mir dabei, immer lokale, kommunale Strukturen aufbauen zu helfen. Ich nenne die Abfallentsorgung in dem Zusammenhang gerne auch die Pionierpflanze der kommunalen Selbstverwaltung. Wo Abfallwirtschaft funktioniert, da funktioniert auch die Verwaltung besser. Das ist ein Beitrag zur Good Governance. Leider wurden gerade im EZ-Bereich – das muss man auch sagen – historisch mit Abfallwirtschaft nicht gerade gute Erfahrungen gemacht, was zu einem Rückgang der Einzelprojekte, beispielsweise bei der GIZ, geführt hat. Ich fordere ganz klar, dass wir hier wieder erheblich zulegen müssen. Ich möchte zwei Beispiele nennen, wo mir das vor Augen geführt worden ist. In Nordtunesien haben wir eine Städtekooperation. Dort haben wir ein Abfallwirtschaftsprojekt gemacht. Wir haben ganz klein skaliert angefangen mit dem gezielten Einsammeln und Verwerten von Grünschnitt, also das Umwandeln in Kompost, in Kompostierungsanlagen. Das hat hervorragend funktioniert: Die Verwaltung hat sich darauf eingestellt, die Bürgerinnen und Bürger haben es gut gefunden und haben mitgemacht, und auch die Touristen hatten etwas davon, weil die Straßen und die Strände sauberer geworden sind. – Als es darum ging, das hochzuskalieren, gab es keine Programmfortführung. Da ist eine Lücke. Da – das fordere ich ganz klar – müssen wir in der nächsten Legislatur auf jeden Fall im EZ-Bereich, Herr Staatssekretär, nachlegen. Mit der GIZ, mit unseren Durchführungsorganisationen, machen wir es möglich, auch in einem größer skalierten Rahmen Programme aufzulegen, Projekte weiterführen zu können und weiterzuentwickeln. Ich möchte Indien nennen. Zusammen mit einem Fraunhofer-Institut haben wir ein Projekt gemacht, wo es darum ging, über ein Monitoringsystem die Gewässersauberkeit des Ganges zu fördern. Dort hatten wir in der GIZ zwar Unterstützung, sind aber an anderer Stelle gescheitert: Zwar wäre es im Unterlauf mit unserer Unterstützung möglich gewesen, den Müll herauszuholen, aber wir sind im Oberlauf, weil es ein anderes Bundesland in Indien ist, nicht in der Lage gewesen, dort Projekte zu machen, wodurch der Müll gar nicht erst hineingeschmissen wird. Da klappte die Vernetzung nicht; die Rückkopplung war einfach nicht da. Es war eigentlich unsinnig, zu erleben, dass man an so einer Schwelle gescheitert ist. Ich glaube, das ist auch ein Auftrag: Wir müssen zukünftig im EZ-Bereich flexibler sein, um auch in solchen Bereichen besser und effektiver zusammenzuarbeiten. Den Tourismus als Saubermann möchte ich noch ansprechen. Überall da, wo Tourismus eine Rolle spielt, geben sich die Kommunen und die Länder auch deutlich mehr Mühe. Das ist auch ein Faktor. Zum Abschluss: Es gilt, die Partner vom eigenen Vorteil einer gezielten und verbesserten Abfallpolitik zu überzeugen und dann privatwirtschaftliche Unterstützung bei der Umsetzung dieser Vorhaben mitanzubieten. Es wird also eine ganze Menge getan; das habe ich hier, glaube ich, dargelegt, das haben wir auch im Ausschuss miteinander ausgetragen. Ich plädiere also für die Unterstützung der Beschlussempfehlung. Das Thema ist mehr als präsent in der deutschen Entwicklungspolitik, auch in der Außenwirtschaft. Aber wir müssen es besser skalieren, und wir müssen es effektiver machen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Als nächster Redner erhält das Wort der fraktionslose Abgeordnete Marco Bülow.

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Die Rede von Herrn H. von der AfD war die schlimmste Rede, die ich hier zu Umwelt- und Naturschutz in 18 Jahren Bundestag gehört habe. Sie zeigt die ganze Ideologie, die ganze Verachtung gegenüber Umwelt- und Naturschutz. Man müsste sie eigentlich jedem Menschen in diesem Land zeigen, damit jeder genau weiß, was diese Menschen von Umwelt- und Naturschutz halten. Das ist genau die Ideologie, die unseren Lebensraum, die unsere deutsche schöne Heimat zerstört, und dafür sind Sie mitverantwortlich. ({0}) – Ja, das sage ich immer, und ich liebe meine Heimat und das Ruhrgebiet, wo ich herkomme, ganz besonders, aber Sie anscheinend eben nicht. ({1}) Ich komme aber zum Thema: Ich bedanke mich sehr für diesen Antrag und die Debatte, weil nämlich Klimaschutz und Umwelt- und Naturschutz zusammengehören. Wir haben das, glaube ich, in letzter Zeit viel zu wenig zusammen diskutiert und zusammengedacht. Ich glaube sogar, dass die Krise, die man unter dem Begriff „Ökozid“ zusammenfasst, größer ist als die Klimakrise und dass wir auch diese nur gemeinsam lösen können. Die Rettung des Lebensraumes hat oberste Priorität, und es geht dabei eigentlich um drei Hauptpunkte, nämlich die Vielfalt der Ökosysteme, die stark bedroht ist, die Artenvielfalt, die stark bedroht ist, und die genetische Vielfalt, die natürlich auch immer weiter zurückgeht; denn je mehr Lebewesen sterben, desto weniger Vielfalt werden wir haben. Wir erleben das größte Artensterben überhaupt – menschengemacht –; wir erleben weltweit die größte Naturzerstörung – menschengemacht –; jeden Tag, also allein heute, sterben 150 bekannte Arten. Auch ganz viele Arten, die wir gar nicht kennen, gehen heute, an diesem Tag, unter. ({2}) Natürliche Tierbestände sind seit meiner Geburt um 68 Prozent zurückgegangen. Ich nenne noch eine Zahl, die zeigt, wie menschengemacht die Zerstörung dieses Planeten ist, wie stark wir alles zurückdrängen und dass das natürlich zu Pandemien führen muss: 96 Prozent aller Säugetiere sind Menschen oder Tiere in Massentierhaltung; es gibt also nur noch 4 Prozent Wildtiere im Bereich der Säugetiere. Wenn das nicht Alarm genug ist, wenn das nicht Zahlen genug sind, zu handeln, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss. Hier muss man natürlich unser Versagen und das Versagen der GroKo betonen. Das Waldsterben schreitet voran, je stärker der Klimawandel wirkt, und natürlich sterben dort auch die Arten. Wir haben Monokulturen. Wir verseuchen die Böden. Alles das passiert. Es wird nicht nur in Südostasien Plastik ins Meer gepumpt; auch unsere Böden sind immer mehr versetzt mit Plastik. Weiterhin setzen wir auf Glyphosat und bestimmte Neonikotinoide. Wir sprechen ja hier über Insekten, die vernichtet werden, darunter Bienen. Mehr als 560 Wildbienenarten gibt es eigentlich in Deutschland. Die Hälfte davon ist vom Aussterben bedroht. Das Plakat der PARTEI „Bienen ausrotten!“ hat natürlich die Häme auf den Punkt gebracht. Aber genau da führt unsere Politik hin, wenn wir nicht handeln. Da zeigt sich wieder, dass die Profitlobbyisten stärker sind, die einen kleinen Gewinn machen mit solchen Giften, während die Lobby von Naturschutz und Umweltschutz viel zu klein ist.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512

Das muss sich komplett umdrehen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Bülow. – Wir sind jetzt bei 6.30 Uhr morgens, um das mal wieder mitzuteilen. ({0}) - 6.30 Uhr! Die nächste Sitzung wird erst aufgerufen, wenn die jetzige Tagung zu Ende ist. Das ist klar. Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion. ({1})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ich will mich anders als andere gegen Ende der Legislaturperiode bei Steffi Lemke bedanken. Ich glaube, dass wir im Bereich des Naturschutzes und insbesondere des Meeresschutzes das eine oder andere auf den Weg gebracht haben. Das hat auch etwas damit zu tun, dass das Spiel zwischen Opposition und Koalition – das finde ich jedenfalls – in gewisser Weise gelungen ist, weil wir durchaus mit Alternativen konfrontiert werden, die in der Tat eine gewisse Substanz haben. Das kann man, glaube ich, nicht absprechen. An einer Stelle gibt es einen Unterschied. Gerade wurde hier diskutiert, wie diese Fonds heißen und was da drin ist und was nicht. Es gibt aber schon einen substanziellen Unterschied – den muss man auch benennen – zwischen meiner Fraktion, den Sozialdemokraten, und den Grünen, und zwar bei der Frage, wie wir am Ende Klimaschutz, Naturschutz und vieles andere betreiben wollen. Wollen wir das primär über die Preisfrage machen? ({0}) Das hätte natürlich automatisch eine soziale Dimension. Der Klimawandel hat auch eine soziale Dimension; damit wir uns da richtig verstehen. Man muss etwas tun, um Menschen, die sonst nicht ordentlich an der Gesellschaft in Deutschland und weltweit beteiligt werden können, zu helfen. ({1}) Das ist richtig. Trotzdem stellt sich die Frage, wo man da ansetzt. Will man das über die Preisspirale machen? ({2}) Ist das das zentrale Instrument? Oder ist es am Ende eher Ordnungsrecht? Sind es eher Anreize? Wir von der Sozialdemokratie glauben, dass die Preisspirale am Ende auch eine Preissperre ist für Menschen, die sich bestimmte Dinge nicht leisten können. Das wollen wir genau nicht. Das ist der Unterschied. ({3}) Ich glaube, das kann man schon auch klarmachen und miteinander diskutieren. Was das Thema Naturschutz angeht, sind wir natürlich nicht bei null. Das hat im Übrigen auch Steffi Lemke gar nicht behauptet. Von der FDP wurde hier gerade ein bisschen der Eindruck erweckt, als hätten wir da gar nichts vorzuweisen. Wir könnten jetzt die Programme hoch und runter beten. Man kann aber auch auf der Homepage des BMU noch einmal nachlesen, was da schon gemacht wird. Nichtsdestotrotz: Die Themen Klimaschutz, Naturschutz, Artenvielfalt, Diversität stehen in einem direkten Zusammenhang und sind eine riesige Herausforderung. Man kann da sicherlich noch mehr machen. Die zentrale Erkenntnis ist eine doppelte: Das eine ist das Thema „Einschränkung von Klimawandel“. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, dass Klimawandel gar nicht stattfindet. Und das Zweite ist die Anpassung an den Klimawandel, für Menschen, aber eben auch für die Natur. Da ich in meiner Fraktion lange für das Thema Klimaschutz zuständig war und jetzt für das Thema Meeresschutz zuständig bin, will ich es noch einmal kurz am Beispiel der Meere erläutern.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Schwabe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilse?

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. – Wir haben eh ein großes Problem, Meeresschutz zu organisieren, weil dieser in einem Zielkonflikt ist mit vielen anderen Interessen, die es in diesem Land und weltweit gibt. Aber der Klimawandel kommt entsprechend noch obendrauf. Man muss sich immer klarmachen – die Zahl haben wir in der Schule gelernt –: 71 Prozent der Erde sind Ozeane. Wenn man sich dieses Hohe Haus anguckt, wären ungefähr von den Linken bis einschließlich der CDU/CSU – die FDP schon nicht mehr, da ist schon die Erde – die Ozeane; das sind die Meere. Denen setzen wir Menschen massiv zu. Wir sorgen massiv dafür, dass die Meere riesengroße Probleme haben. Viele Urlauberinnen und Urlauber werden, wenn sie hoffentlich wieder Urlaub an der Ostsee und an der Nordsee machen können, die Algenblüte sehen, die auch in diesem Jahr wieder droht. Also: Wir erleben Versauerung. Wir erleben den Anstieg des Meeresspiegels. Wir erleben den Temperaturanstieg in den Meeren. Deswegen ist es wichtig, dass wir dem Meeresschutz als Naturschutz mehr Raum geben, dass wir Programme starten, dass wir eben auch, je mehr der Klimawandel den Meeren zusetzt, umso mehr dafür sorgen, dass es Räume gibt, wo Meeresschutz sich entsprechend entfalten kann. Deswegen will ich mich ganz herzlich bedanken für diese Debatte und für den Antrag als ganz wichtige Anregung. Sicherlich können wir in der nächsten Legislaturperiode alle gemeinsam auch noch mehr bei dem Thema machen. Vielen Dank. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn nicht Meinung gegen Meinung offen gesagt wird, lässt sich die bessere nicht herausfinden. Diese Worte stammen vom griechischen Geschichtsschreiber Herodot und spiegeln perfekt wider, was in der Diskussionskultur in Deutschland leider immer mehr abhandenkommt. Am vergangenen Wochenende hat die Veröffentlichung eines Papieres namhafter Mediziner und Wissenschaftler um Professor Dr. Schrappe für einen Aufschrei in Zeitungen und sozialen Medien gesorgt. Die Aussagen von Professor Dr. Schrappe und seinen Kollegen wiegen dabei schwer. Die Forscher kommen anhand der Betrachtungen zu dem zentralen Ergebnis, dass die Angst vor knappen Intensivkapazitäten in Deutschland während der Coronakrise übertrieben gewesen sei. Die Bundesregierung um Kanzlerin Angela Merkel rechtfertigte aber massive Grund- und Freiheitseinschränkungen über Monate mit der Gefahr überlasteter Intensivstationen. Eine Bestätigung der Beobachtungen Schrappes würde also den harten Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte nachträglich die Grundlage entziehen. ({0}) Daher sind es die Ergebnisse der Stellungnahme wert, aufgeklärt und aufgearbeitet zu werden. Ja, natürlich ist richtig, dass das Autorenteam inzwischen eine aktualisierte Fassung vorgelegt und einige Korrekturen vorgenommen hat. Auch wenn einige Zahlen und Schlussfolgerungen immer noch umstritten sind, bleibt die zentrale Grundaussage des Teams die gleiche, meine Damen und Herren. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass es uns als AfD-Fraktion eben nicht darum geht, die Belastungen der Pfleger und Ärzte in Deutschland zu relativieren, die in der Coronazeit für Gesundheit und Leben ihrer Patienten gekämpft haben. ({1}) – Wenn Sie zuhören würden, würden Sie etwas lernen. ({2}) Das tun wir eben nicht. Aber Sie müssen erst mal zuhören. ({3}) Die Pfleger und Ärzte haben von der Regierung nur warme Worte und ein bisschen Applaus bekommen. Das Aufklären einer undurchsichtigen Faktenlage ist nicht gleichbedeutend mit einer Kritik am medizinischen Personal, auch wenn im öffentlichen Diskurs versucht wird, das so zu verkaufen, und der eine oder andere das immer noch nicht verstanden hat. Als AfD-Fraktion fordern wir eine transparente Aufarbeitung der Erkenntnisse, die auf schwerwiegende Politikfehler in einer der größten Krisen unserer Bundesrepublik hinweisen. Der Verdacht Professor Schrappes und anderer, dass einige Kliniken aus finanziellen Interessen plötzlich den Aufbau von Intensivbetten meldeten und 50 000 Euro pro neu geschaffenem Bett erhielten, während die Betten höchstwahrscheinlich noch in Folie eingepackt im Keller schlummerten, wird auch von anderen Experten mehrfach erwähnt und beispielsweise durch eine „Spiegel“-Recherche aus dem niedersächsischen Seesen erhärtet. ({4}) Insgesamt flossen im vergangenen Jahr mehr als 9 Milliarden Euro an die Kliniken, größtenteils nach dem Gießkannenprinzip. Diese Zahlungen müssen transparent, sachlich und ohne Schaum vor dem Mund – nicht wahr, Herr Kollege Ulrich – aufgearbeitet werden; denn es kann nicht sein, dass Steuerzahlergeld für freigehaltene Betten ausgegeben wurde, wenn diese Betten nicht existieren oder nicht zum Einsatz kommen konnten. ({5}) Unzweifelhaft korrekt ist auch die Erkenntnis der Wissenschaftler, dass die Bundesregierung nach ungefähr anderthalb Jahren der Coronamaßnahmen immer noch keine Übersicht hat, wie viele Pfleger überhaupt auf den Intensivstationen arbeiten. Hier hätte eine verantwortungsvolle Regierung frühzeitig Zahlen erfasst und dafür gesorgt, dass mögliche Engpässe nicht durch das Ausschütten von Geldern für Fantasiebetten, sondern durch Programme zur Rückgewinnung von Pflegekräften aus dem Ruhestand oder zur Qualifikation von Pflegern aus anderen Bereichen gelöst werden. ({6}) Aber statt diese Ergebnisse zu diskutieren und eigene Fehler in Überlegungen einzubeziehen, wurde auch dieses Mal wieder der Wissenschaftler zum „Schwurbler“ und der Mediziner zum „Alu-Hut“. Diese Scheuklappenpolitik muss endlich ein Ende haben. Ergebnisoffener Austausch bedeutet immer auch eine Bereicherung für unsere Demokratie meine Damen und Herren. ({7}) Wir als AfD-Fraktion fordern seit einiger Zeit einen Corona-Untersuchungsausschuss, um das Handeln der Bundesregierung während der Coronakrise auszuwerten. Die getroffenen Maßnahmen müssen auf Evidenz und Verhältnismäßigkeit geprüft und die bisher völlig außer Acht gelassenen Kollateralschäden der Lockdown-Politik müssen endlich wahrgenommen werden. ({8}) Ein beispielloses Versagen bei der Maskenbeschaffung, eine sich wie Kaugummi ziehende Auszahlung von dringend benötigten Coronahilfen, unverhältnismäßige, teilweise rechtswidrige Maßnahmen wie die 15-Kilometer-Leine oder die Ausgangssperre und ein völliges Desaster bei der Impfstoffbestellung – all das muss endlich aufgeklärt werden! Wir als AfD-Fraktion werden auch in Zukunft als aufmerksame und kritische Stimme hier im Deutschen Bundestag, die ihren Auftrag der Regierungskontrolle ernst nimmt, auffallen. Denn nur wenn Meinung gegen Meinung endlich wieder ergebnisoffen diskutiert wird und nicht abgewertet wird durch Begriffe wie „Schwurbler“ oder „Verschwörungstheoretiker“, kann die beste Lösung für unser Land gefunden werden. Und nur dann wird Deutschland wieder normal. Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Lothar Riebsamen, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich auf der ganzen Welt und auch in unserem Land seit mehr als einem Jahr mit einer verheerenden Naturkatastrophe beschäftigt – 165 Millionen Menschen weltweit haben sich infiziert, 3,5 Millionen Menschen sind gestorben; in Deutschland haben sich 3,6 Millionen Menschen infiziert und sind 87 000 Menschen gestorben; Zehntausende Menschen wurden und werden immer noch auf Intensivstationen beatmet –, wenn sich auf der ganzen Welt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen, natürlich der Medizin, aber auch anderer Disziplinen wie der Soziologie oder der Pädagogik, wenn sich die Wirtschaft und die Regierungen mit dieser Pandemie beschäftigen und sie beenden wollen, wenn in kürzester Zeit Impfstoffe entwickelt werden – gleich zwei in unserem Land, worauf wir stolz sein können –, dann will auch die AfD vorkommen, bevor diese Legislaturperiode beendet ist, nämlich mit einer Aktuellen Stunde. Diese Aktuelle Stunde befasst sich aber nicht etwa damit, wie wir noch besser werden beim Impfen, noch effizienter werden beim Bekämpfen dieser Pandemie, sondern damit, dass die Intensivpflegebetten nicht richtig gezählt werden, dass Coronadiagnosen anders abgerechnet werden als sie sollten. Da kann ich Ihnen nur sagen: Das ist keine Aktuelle Stunde, das ist noch nicht einmal eine originelle Stunde, das ist eine überflüssige Stunde. ({0}) Es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach wie vor um die Bekämpfung der Pandemie. Nach wie vor kämpfen Menschen auf den Intensivstationen um ihr Leben. Doch Sie glauben, es gebe bei den Bettenzahlen statistische Abweichungen. Das ist Ihnen anscheinend wichtig. Wie armselig, kann ich nur sagen! Wie armselig ist das angesichts dessen, dass Menschen immer noch um ihr Leben kämpfen, dass Ärztinnen und Ärzte immer noch um das Leben ihrer Patienten kämpfen. ({1}) Es kann schon sein, dass im Frühjahr letzten Jahres die Intensivbetten anders gezählt wurden als jetzt. Das kann sein, weil wir im letzten Jahr nicht wussten, ob wir wegen Corona 10 000 Beatmungspatienten bekommen oder 20 000. Wir wussten es nicht. ({2}) Es wurden OP-Säle aktiviert, es wurden Betten ausgewiesen, ohne dass das fachliche Personal wie vorgeschrieben vorgehalten wurde. Die wurden mitgezählt. Das ist heute nicht mehr der Fall, und das ist auch richtig so. ({3}) Und vielleicht waren auch Patienten auf Isolierstationen, die ambulant hätten behandelt werden können. ({4}) Vielleicht waren Menschen auf Intensivstationen, die auch auf Normalstationen hätten behandelt werden können. Das ist ein Thema, mit dem wir uns seit Jahr und Tag beschäftigen, auch ohne Corona. Man kann das bedauern, und das war Thema beim MDK-Reformgesetz im letzten Jahr. Das gehört zum Alltagsgeschäft jedes Krankenhauses dazu; das ist überhaupt nichts Besonderes. Als ob es darauf jetzt ankäme! Ganz gewiss nicht. ({5}) Es kommt nach wie vor darauf an, dafür zu sorgen, dass die Zahl der Kranken zurückgeht, dass wir impfen, dass unser Gesundheitssystem bis zum Ende dieser Pandemie durchhält und gut aufgestellt ist. Darauf kommt es doch an. Wir sind froh darüber, dass unsere Krankenhäuser nicht überlastet waren. ({6}) Sie lamentieren darüber, dass unser Gesundheitswesen nicht überlastet war. Ja, wo sind wir denn! Haben Sie den Schuss nicht gehört? Wir sind froh darüber, dass wir nicht Verhältnisse hatten wie in Bergamo im letzten Frühjahr, wie in Straßburg, wie in New York. ({7}) Wir sind froh darüber, dass wir in diesem Jahr keine Verhältnisse hatten wie in Portugal, wie in Tschechien. Wir sind froh darüber, dass wir diesen Ländern sogar helfen können. Darauf kommt es doch an. Wir sind froh, wenn unser Gesundheitssystem funktioniert, Sie sind froh, wenn es nicht funktioniert. ({8}) Das unterscheidet uns. An dieser Stelle werden Sie zum Ende der Legislaturperiode leider nicht besser. Schade! ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Es hilft alles nichts. In der Aktuellen Stunde hat man fünf Minuten Redezeit. Man darf nicht länger reden, aber natürlich kürzer. Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Andrew Ullmann, FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Die Intention der AfD zur Aufsetzung dieser Aktuellen Stunde ist ziemlich durchsichtig. Sie will lediglich den Verschwörungstheoretikern in unserem Lande eine Bühne im Deutschen Bundestag bieten. Sie will eine Studie diskutieren, die die Konzepte zur Pandemiebekämpfung angeblich infrage stellt. Ein sehr durchsichtiges Spiel! Da machen wir natürlich nicht mit. ({0}) Die AfD hat sich gestern im Gesundheitsausschuss gar nicht getraut, das Thema der Studie von Schrappe et al. zu diskutieren. Wo waren Ihre Fragen an den Bundesminister? Er war doch da. Sie haben sich nicht getraut, das zu diskutieren. Ich war der Einzige, der die Frage gestellt hat, was diese Zahlen bedeuten und ob uns das Bundesministerium eventuell Zahlen an die Hand geben kann – ob diese wahr sind oder nicht, sei dahingestellt. Ich bin froh darüber, auch als Oppositionspolitiker vom Bundesminister zu hören, dass er für Aufklärung durch das BMG und das Robert-Koch-Institut sorgt, die uns zeitnah entsprechende Daten liefern werden. Und das ist gut so! ({1}) Danach kann man sich wissenschaftlich damit auseinandersetzen, meine Damen und Herren. Wissenschaft geht mit so etwas um. Wenn man verschiedene Standpunkte hat, dann muss man das diskutieren. Es hat keinen Sinn, wenn Sie sagen: Diese Meinung ist die richtige Meinung. – Ich habe aber angesichts der Erfahrungen mit der AfD in den letzten vier Jahren meine Zweifel, dass Sie damit umgehen können. Ein positives Beispiel will ich an dieser Stelle explizit erwähnen. Mit dem Kollegen Dr. Janosch Dahmen vom Bündnis 90/Die Grünen sind wir nicht immer einer Meinung, aber wir haben uns wissenschaftlich mit den Daten auseinandergesetzt. Wir haben auch versucht, die Zahlen zu interpretieren. Es gibt natürlich Widersprüche bei den Zahlen. Die Frage ist immer, was die Quelle ist, wo die Zahlen herkommen. Auf der Basis können wir darüber diskutieren. Auf die Art, wie die Partei hier ganz rechts das macht, funktioniert das aber natürlich nicht. Erlauben Sie mir doch die Frage, liebe AfD: Zu welchen anderen hochrangig veröffentlichten Studien haben Sie in der Vergangenheit eine Aktuelle Stunde beantragt? Einige Beispiele: Derek Chu in „The Lancet“, 2021, Fernando Polack, „The New England Journal of Medicine“, 2020, oder Lindsey Baden, „The New England Journal of Medicine“ oder Merryn Voysey in „The Lancet“, 2021. Wo war Ihr Antrag auf eine Aktuelle Stunde dazu? Das waren hochrangig publizierte Daten, über die man auch gerne hier im Bundestag hätte diskutieren können; denn die Studien, die ich gerade aufgezählt habe, belegen mit wissenschaftlicher Evidenz die Wirksamkeit von Masken, die Wirksamkeit von Abstandhalten in der Covidkrise und zeigen auch die wissenschaftliche Evidenz, dass neuartige Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 funktionieren. ({2}) Sie beweisen mit Ihrem Verhalten hier im Bundestag, dass Sie sich einen Dreck darum kümmern, wie man mit einer Pandemie umgeht. Sie tragen keine Masken, ({3}) Sie halten keine Abstände und zweifeln an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Hier gehören Sie eigentlich nicht hin. ({4}) Wo sind denn Ihre Lösungen? ({5}) Wo sind Ihre Lösungen für den Mangel an Fachkräften oder Pflegekräften in den Krankenhäusern? Wo ist Ihre Lösung zur Steigerung der Impfstoffproduktion? Wo sind Ihre Lösungen, um die Impfstoffakzeptanz zu erhöhen? Wo sind Ihre Lösungen, um global Impfstoffgaben zu gewährleisten? Die Antwort ist: Nada, nichts. Gar nichts kommt von Ihnen. ({6}) Die FDP-Bundestagsfraktion hingegen bietet immer konstruktive Lösungen an. ({7}) Wir sind zukunftsgerichtet. Wir wollen keine weiteren Lockdowns, wir wollen Lockdowns vermeiden. Wir fordern eine Stärkung des Gesundheitssystems, ({8}) wir fordern auch eine Stärkung des Bildungssystems, auch eine Stärkung der Wirtschaft, um nicht noch einmal solche Folgen einer Pandemie erleben zu müssen. Wir brauchen natürlich zuverlässige Zahlen – die bekommen wir durch bessere Definition, durch Digitalisierung – und mehr Daten zu klinischen Verläufen. Da ist in der Vergangenheit einiges versäumt worden. Da wir Widersprüche sehen, auch bei den Inzidenzen und den Belegungen in den Krankenhäusern, muss hier nachgearbeitet werden; das ist keine Frage. Aber Sie arbeiten sich hier offensichtlich an einem Präventionsparadoxon ab. Ganz klar ist: Die Inzidenz ist nicht ausreichend. Wir brauchen weitere Variablen, wir brauchen mehr Wenn-dann-Regeln und dürfen uns nicht blind an den Inzidenzzahlen orientieren. Wir brauchen eine bessere Surveillance bekannter und unbekannter mutierter Viren. Wir brauchen europaweite Regelwerke für die Maßnahmen. Wir brauchen europaweite Konzepte. Wir brauchen dringend EU-einheitliche Impfnachweise. – So geht Oppositionspolitik und nicht anders. ({9}) Noch ein Wort zum Schluss – Herr Spahn ist jetzt nicht anwesend, aber er wird sicherlich zuhören –: Im von der Koalition beschlossenen Infektionsschutzgesetz haben Sie festgelegt, dass bis zum 31. März dieses Jahres dem Bundestag ein Pandemiebericht vorgelegt werden soll. Dieser ist längst überfällig. Ich bitte nachdrücklich, dass Sie sich an Ihre eigenen Regeln halten. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin für die Fraktion der SPD ist die Abgeordnete Sabine Dittmar. ({0})

Sabine Dittmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich braucht es zu gegebener Zeit eine sorgfältige Analyse des Leistungsgeschehens während der Pandemie. Allerdings finde ich den Anlass für diese Aktuelle Stunde durchaus erstaunlich. ({0}) Was in den sozialen Medien in den letzten Tagen unter #Divigate lief, basiert letztendlich auf einer schlecht recherchierten Ad-hoc-Stellungnahme. Während die Autoren ihre vermeintlichen Erkenntnisse zwischenzeitlich selbst zum Teil relativiert oder korrigiert haben, stürzt sich die AfD natürlich mit Genuss darauf; denn die AfD meint, einer ganz großen Geschichte auf der Spur zu sein und die Intensivversorgung in Deutschland skandalisieren zu können. Erinnern wir uns an 2020: Die Bilder aus Bergamo haben uns geschockt und tief getroffen. Eine solche dramatische Situation galt es in Deutschland mit aller Kraft zu verhindern. ({1}) Deshalb war es wichtig und richtig, die Zahl der Intensivbetten und Beatmungsplätze mit einem Förderprogramm aufzustocken. Es war auch eine kluge Entscheidung, ein DIVI-Intensivregister zu etablieren. Erstmals überhaupt haben wir einen tagesaktuellen, standortgenauen Überblick über betreibbare Intensivbetten. Und „betreibbar“ heißt: Bett, Platz und Personal. ({2}) Meine Damen und Herren, ich muss sagen, mich macht es richtig wütend, wenn ich mir immer wieder anhören muss: Aber es waren ja nur 20 Prozent der Betten mit Covid-19-Patienten belegt. ({3}) Wer so daherredet, hat schlicht und ergreifend keine Ahnung von der Realität. ({4}) Eine Intensivstation mit Akutversorgung ist ausgelastet, wenn sie zu 80 Prozent belegt ist, da immer einige Betten für Akutfälle zur Verfügung stehen müssen; denn auch der Herzinfarktpatient, der Schlaganfallpatient, das Unfallopfer muss versorgt werden. In den letzten Wochen und Monaten waren unsere Intensivstationen zu um die 90 Prozent belegt, und davon zu 20 Prozent – das ist richtig – mit Covid-19-Patienten. Mit der Kenntnis, dass der Covid-19-Patient in der Versorgung überproportional viel Personal und auch räumliche Kapazitäten bindet, kann sich jeder ausmalen, was das bedeutet. Unsere Intensivpflegerinnen und ‑pfleger, unsere Ärztinnen und Ärzte haben bis zur Erschöpfung mit höchstem Engagement gearbeitet – über Tage, über Wochen, über Monate. ({5}) Ich muss sagen: Ich bin sehr dankbar, dass es uns bislang gelungen ist, durch diese Pandemie zu kommen, ohne unser Gesundheitssystem an seine Grenzen zu führen. Bei uns musste kein Arzt, keine Ärztin entscheiden, ob und welche Patienten beatmet werden, bei wem es sich lohnt und bei wem die Versorgung eingestellt wird. Aber in gewisser Weise ist auch eine Triage durchgeführt worden; denn planbare Eingriffe, nicht lebensnotwendige Diagnostiken und Therapien mussten verschoben werden. Und auch das fällt medizinisch Verantwortlichen nicht leicht. Es ist also echt dummes Zeug, zu behaupten, dass die Lage auf den Intensivstationen gar nicht so schlimm war. Statt die herausragende Leistung unserer Pflegerinnen und Pfleger und Ärztinnen und Ärzte zu würdigen, versucht die AfD, sie zu diskreditieren. ({6}) Wenn die AfD meint, dass die Auslastung nur ein Fake ist bzw. die Betten aus purer Geldgier mit Gesunden belegt werden, dann gehen Sie doch bitte auf die Covid-Intensivstationen, dann fragen Sie dort die Belegschaft, was sie in den letzten Wochen und Monaten getan hat. Lassen Sie sich zeigen, wie viele Sonderschichten und Überstunden geschruppt wurden. ({7}) Meine Damen und Herren, jetzt endlich sind die Infektionszahlen rückläufig, die täglichen Neuaufnahmen auf den Intensivstationen gehen zurück. Aber von Entspannung im eigentlichen Sinne würde ich noch nicht reden; denn auch im sogenannten Normalbetrieb, von dem wir noch ein Stück weit entfernt sind, ist die personelle Situation auf Kante genäht. Deshalb ist es gut, wenn wir endlich per Gesetz ein wissenschaftlich fundiertes Personalbemessungsinstrument auf den Weg bringen. ({8}) Das ist schon lange eine Forderung meiner SPD. In Deutschland sind – Stand 19. Mai 2021 – bisher 86 902 Menschen mit oder an Covid verstorben. Das heißt, dass 86 902 Mal um ein Leben gekämpft und gerungen wurde, dass 86 902 Mal Familien einen Verlust erlitten haben. Das ist kein Thema, um daraus parteitaktisch Kapital zu schlagen. ({9}) Hier gibt es nichts zu deuteln oder zu relativieren. Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, die Pandemie hat uns mehr als deutlich vor Augen geführt, wo die Stärken, aber auch, wo die Schwächen unseres Gesundheitssystems liegen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin!

Sabine Dittmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese gilt es in Ruhe und ohne populistisches Getue aufzuarbeiten, damit wir künftig besser gewappnet sind. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise darauf hin, dass die namentliche Abstimmung zu Zusatzpunkt 28 in acht Minuten geschlossen wird. Wer also bisher nicht abgestimmt hat, möge bitte jetzt losgehen. Der nächste Redner ist der Abgeordnete Harald Weinberg, Fraktion Die Linke. ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich, was die Autorengruppe um Matthias Schrappe mit ihrem Geraune und ihrem Zusammenpanschen unterschiedlicher Zahlen aus unterschiedlichen Quellen eigentlich aussagen möchte. Was hier aufgeschrieben wurde, ist im Wesentlichen der Versuch von Wichtigtuerei. Springers Tagespostille „Die Welt“ hat ausführlich darüber berichtet und hat dafür viele neue Abos eingefahren. Geschäftemachen mit Fake News ist ja bekanntlich Springers Kernkompetenz. ({0}) Und aus Fake News Politik zu generieren, ist das Konzept der AfD. Seriöse Journalistinnen und Journalisten haben die vermeintlichen Argumente in den letzten Tagen zerlegt. Fachgesellschaften und Verbände haben ebenfalls fundierte Gegenargumente geliefert. Eine weitere ernsthafte Debatte zu diesem Thesenpapier ist aus unserer Sicht deswegen nicht notwendig. ({1}) Nur ein Punkt ist mir noch wichtig: Die Überlastung der Intensivstationen infrage zu stellen, ist ein Schlag ins Gesicht aller Kolleginnen und Kollegen, die dort in den letzten Monaten weit über ihre Belastungsgrenze hinaus gearbeitet haben. ({2}) In der Intensivpflege war es schon im Normalbetrieb nicht vertretbar, wenn eine Fachkraft mehr als zwei Patientinnen bzw. Patienten versorgen musste. Wir haben in den letzten Monaten viele Berichte von Kolleginnen und Kollegen gehört, dass sie drei, vier, manchmal sogar fünf Intensivpatientinnen bzw. ‑patienten alleine versorgen mussten. Einige, die den Mut hatten, darüber öffentlich zu sprechen, sind fristlos gekündigt worden. Das ist die Realität in den Krankenhäusern! Herr Schrappe und seine Mitautoren und ‑autorinnen scheinen da durch ein Paralleluniversum zu schweben. Es gibt kein DIVI-Gate; das ist ein Fantasieprodukt. Stattdessen sollten wir über das Fallpauschalen-Gate reden. ({3}) Der eigentliche Skandal ist nämlich, dass die Bundesregierung die ganze Pandemie über am Irrsinn der Fallpauschalen festgehalten und damit eine unverantwortliche Krankenhauspolitik betrieben hat. ({4}) Die Fallpauschalen waren schon vor der Coronakrise hauptverantwortlich für die Misere in den Kliniken. Pflegenotstand, eklatanter Personalmangel, mangelhafte Bevorratung sowie fehlende Betten- und Laborkapazitäten sind Ergebnis des Kostendrucks, dem die Krankenhäuser seit Einführung der DRG ausgesetzt sind. ({5}) Schon im Normalbetrieb sorgen sie für ein Nebeneinander von Geldverschwendung, Kostendruck und Fehlsteuerung. Als es im März 2020 darum ging, in den Krankenhäusern schnell Kapazitäten für die Behandlung von Covid-Fällen freizumachen, mussten planbare Eingriffe im großen Stil abgesagt bzw. verschoben werden. Für einen solchen Krisenfall ist die angebliche „leistungsorientierte Vergütung“ durch Fallpauschalen völlig untauglich. ({6}) Ohne den hastig aufgespannten sogenannten Schutzschirm wäre die Krankenhausversorgung zusammengebrochen, weil die Krankenhäuser innerhalb kürzester Zeit zahlungsunfähig gewesen wären. – So viel zur Krisentauglichkeit des DRG-Systems. Die Krisensituation schrie danach, die Fallpauschalen mindestens für die Zeit der Pandemie auszusetzen und den Krankenhäusern ihre tatsächlichen Kosten zu erstatten. ({7}) Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und andere Krankenhausverbände haben diese Forderung ganz ähnlich formuliert; kurzzeitig hatte sich sogar die AOK dafür ausgesprochen. Damit hätten die Krankenhäuser die finanzielle Absicherung gehabt, sich ohne finanzielles Risiko der Epidemie zu stellen. Es wäre der sauberste Schritt gewesen. Kein Krankenhaus hätte so in der Krise Verluste machen müssen, und kein Krankenhaus hätte von der Krise profitieren können. ({8}) Der Bundesregierung war aber die Rettung der Fallpauschalen wichtiger als die finanzielle Absicherung der Krankenhäuser. ({9}) Betriebswirtschaftliche Fehlanreize blieben bestehen, und es entstand ein absurdes Nebeneinander von Mitnahmeeffekten auf der einen Seite und Unterfinanzierung auf der anderen Seite. Die Krankenhäuser konnten sich für die unterschiedlichen Fachabteilungen ausrechnen, ob es sich eher lohnt, die Betten weiter zu belegen oder die Freihaltepauschale einzukassieren. Und das haben sie tatsächlich auch getan. Es gab entsprechende Beratungsangebote von Unternehmensberatungen an die Krankenhäuser. Auf der anderen Seite haben vor allem öffentliche Maximalversorger erhebliche Verluste eingefahren. Ich zitiere aus einer Studie zum Schutzschirm für den sogenannten Expertenbeirat, den das Gesundheitsministerium selber eingesetzt hat: Freigemeinnützige und private Krankenhäuser haben überdurchschnittliche Erlössteigerungen realisiert, während Universitätskliniken Erlösrückgänge von bis zu 6 Prozent aufweisen. Die Fallpauschalen sind dann zum 30. September ausgelaufen, und die Bundesregierung hat die Krankenhäuser erst einmal im Regen stehen lassen. Erst Ende November wurde eine neue Regelung getroffen. Die Fehlkonstruktion der Fallpauschalen war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich. Im Gesundheitsministerium dominierte aber weiterhin das ideologische Interesse an der Rettung der Fallpauschalen. Also wurden die Brotkörbe noch etwas höher gehängt und Zuwendungen an eine Auslastung der Intensivkapazitäten von mindestens 75 Prozent geknüpft. Die Folge: Krankenhäuser meldeten weniger Kapazitäten und kehrten zum Programm planbarer OPs zurück, um die Quote zu erreichen. Dafür haben die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern einen hohen, einen viel zu hohen Preis bezahlt. Die Konsequenz aus der Überlastung wird sein, dass viele Kolleginnen und Kollegen die Krankenhäuser verlassen oder zumindest ihre Stunden reduzieren werden, wenn die Krise halbwegs überwunden ist. Der Trümmerhaufen des Personalmangels ist durch die finanzielle Fehlsteuerung in der Krise größer geworden, obwohl wir so dringend mehr Fachpersonal in den Krankenhäusern brauchen. Die Bundesregierung hat in der Krise das Füllhorn über die private Krankenhausindustrie ausgeschüttet, während viele öffentliche Häuser jetzt unter verschärften Bedingungen um ihr Überleben kämpfen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gleichzeitig wurde massenhaft Personal verheizt. – Letzter Satz. – Das ist der eigentliche Skandal. Die Linke bleibt dabei: Wir brauchen einen Systemwechsel in den Krankenhäusern: Gemeinwohl statt Kostendruck und Profite. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dr. Janosch Dahmen. ({0})

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ohne die zahlreichen exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Land, aber auch international, wären wir in dieser Pandemie ganz schön aufgeschmissen gewesen. Wie umfangreich, schnell und präzise unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen zuverlässige Daten geliefert haben, verdient zuallererst Respekt. In der Pandemie erlangten die Registerarbeit, die Modellierung und die Intensivmedizin selbst eine besondere Bedeutung. Stellvertretend für die für das Intensivregister zuständigen Teams bei RKI und DIVI möchte ich an dieser Stelle den Kollegen Professor Weber-Carstens von der Charité und Professor Dr. Karagiannidis von der Universität Witten/Herdecke vom Intensivregister danken. ({0}) Leider wird jedoch auch immer öfter mit vermeintlicher Wissenschaft Stimmung gemacht, wie wir heute erleben. Was wir heute im Bundestag auf der Tagesordnung haben, ist wieder so ein Fall politischer Stimmungsmache. Die AfD setzt das Thema der Intensivstationen auf die Tagesordnung, weil ihr ein Papier in die Hände gefallen ist, in dem im Kern die Behauptung aufgestellt wird, es hätte niemals eine ernsthafte Belastung oder gar Überlastung in Teilen des Gesundheitswesens gegeben, und in dem der DIVI und so manchen Kliniken darüber hinaus auch noch Manipulation unterstellt wird, Manipulation an den Daten und den vorliegenden Fallzahlen. An die AfD gerichtet, kann ich nur sagen: Ihr Verhältnis zur Wissenschaft ist höchst verwunderlich, abermals. Einerseits diskreditieren Sie seit über einem Jahr wiederholt die renommiertesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unseres Landes, und andererseits machen Sie sich hier ein Papier zu eigen, das einer wissenschaftlichen Grundprüfung schon im ersten Anlauf nicht standhält. ({1}) Dieses Papier zur intensivmedizinischen Versorgung krankt an Verzerrung, an Ungenauigkeit und an Unterstellungen. Das hätte die AfD aufgrund der öffentlichen Kritik längst wissen können. Viele Journalistinnen und Journalisten – das ist bereits angesprochen worden – haben dies in etlichen Beiträgen auch deutlich gemacht. Aber nein, die AfD tut so, als hätte es das alles nicht gegeben, und macht aus unhaltbaren Behauptungen im Gewand der Wissenschaft sogar noch eine Kampagne, die diejenigen trifft, die es am wenigsten verdient hätten, nämlich die Menschen auf den Intensivstationen, die seit über einem Jahr für die Versorgung der Patientinnen und Patienten in dieser Pandemie kämpfen. ({2}) Weil ich als Arzt auf der Intensivstation selbst viele Tage und Nächte verbracht habe, weiß ich recht genau, was die Kolleginnen und Kollegen seit über einem Jahr dort bis heute durchmachen. Ich möchte deshalb zumindest mit den gröbsten Verzerrungen aus diesem Papier aufräumen und zur Versachlichung der Debatte – dies ist eingangs eingefordert worden – beitragen. Erstens. Die Behauptung in dem Papier, in Deutschland seien Ende April dieses Jahres permanent 61 Prozent der hospitalisierten Covid-19-Patienten auf Intensivstationen gewesen, ist tatsächlich eine aus der Luft gegriffene Zahl, letztlich eine Schätzung, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Diese Angaben sind schlichtweg falsch und, wie gesagt, unseriöse Schätzungen, die einer wissenschaftlichen Auswertung keine Grundlage bieten. Der Anteil hospitalisierter Covid-19-Patienten wird seit Beginn der Pandemie gar nicht systematisch pro Tag erhoben, was man kritisieren kann, aber was auch sozusagen entsprechende Angaben in dem Papier erst gar nicht möglich macht. Er dürfte tatsächlich im Mittel eher bei 20 bis 30 Prozent und damit in der Nähe internationaler Werte liegen und nicht, wie hier in diesem Papier behauptet, in schwindelerregenden Höhen. Auch in den Korrekturen dieses Papiers ist das weiterhin falsch hoch angegeben. Letztlich muss man darauf hinweisen, dass es ja gerade an einer einheitlichen Definition von Intensivbetten fehlt, was es dahin gehend auch schwierig macht, internationale Vergleiche überhaupt anzustellen. Hier werden also eher Äpfel mit Birnen verglichen, als dass wirkliche Wissenschaft betrieben wird. ({3}) Zweitens wird in dem Papier behauptet, dass die Anzahl der verfügbaren Intensivbetten nicht durch mehr Patienten, sondern durch veränderte Zählweise abgenommen habe. Auch hier wird deutlich, dass die Autoren zu weit von der Praxis entfernt sind. Zu Beginn der Pandemie wurden, wie auch bei meinen Vorrednern angeklungen war, allein freie Betten gezählt. Aber ein Bett allein reicht nicht zur Versorgung von schwerkranken Patientinnen und Patienten. Dazu gehören auch geschultes Personal sowie die technische und materielle Ausstattung. Erst als diese Faktoren durch die DIVI selbst fachlich definiert wurden und in die Statistik eingeflossen sind, haben wir ein realistisches Bild der tatsächlichen Intensivkapazitäten in Deutschland erhalten. Das war also keine Schummelei; das war fachliche wissenschaftliche Arbeit. Dafür gilt RKI und DIVI ausdrücklich Dank. ({4}) Drittens wird der DIVI unterstellt, sie gebe eine falsche Anzahl an Pflegekräften an. Auch diese These scheitert im Praxistest. Es geht bei der DIVI nicht um Pflegekräfte im Allgemeinen, sondern um hochspezialisiertes, geschultes Pflegepersonal, das auf den Intensivstationen zur Verfügung steht. Hier ist die Realität doch eine ganz andere. Die Zahlen der DIVI zeigen eindeutig, dass mit jeder Pandemiewelle die Personalknappheit zugenommen hat und dass immer mehr Betten abgemeldet werden mussten, weil die Patienten eben nicht versorgt werden konnten.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen.

Dr. Janosch Dahmen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004962, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist die Realität. Die Menschen auf den Intensivstationen verdienen unsere Rückendeckung, unsere Unterstützung, unseren Dank und Respekt und bessere Arbeitsbedingungen und nicht eine solche Debatte wie heute im Bundestag. ({0})

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fallzahlen sinken. Man sieht also: Die Bundesnotbremse hat gewirkt. Das Impfen entlastet unsere Intensivstationen zusätzlich. Wir haben deutlich weniger schwere Krankheitsverläufe, wir haben deutlich weniger Tote, und wir haben deutlich weniger Neuinfizierte. Dennoch sind wir noch nicht über den Berg. Ich komme aus dem Erzgebirge, einer Region, die aktuell eine Inzidenz von 182 hat. Die Intensivstationen laufen also noch immer unter Volllast, und das seit einigen Monaten. Wenn man die Region betrachtet, sieht man, dass dort immer noch nicht das klassische Operationsgeschehen stattfinden kann und dass dort auf Sparflamme gearbeitet werden muss, damit man die entsprechenden Kapazitäten auf den Intensivstationen freihält. In anderen Regionen unseres Vaterlandes ist es zum Glück schon besser geworden. Jetzt gibt es den Vorwurf, der auch in den sozialen Medien unterwegs ist, im vergangenen Jahr seien doch nur 4,9 Prozent der Intensivbetten mit Coronapatienten belegt gewesen. Da geht es um die Tage der Verweildauer. Es könne doch gar nicht so schlimm gewesen sein, wenn diese Quote nur bei 4,9 Prozent liegt. Da muss man ganz klar sagen: Ziel unserer Gesundheitspolitik – ich bin Lothar Riebsamen dankbar, dass er es gesagt hat – war nicht gewesen, dass die Betten voll sind, sondern dass möglichst wenig Patienten erst in einen solchen Zustand kommen, dass sie intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Deswegen haben wir den ganzen Aufwand betrieben. Das war das Ziel: dass möglichst wenig Patienten in diesen Betten liegen. Natürlich gibt es trotz der Pandemie weiterhin Schlaganfälle, es gibt weiterhin Herzinfarkte, es gibt weiterhin Unfälle, es gibt auch weiterhin planbare Operationen. Die Patienten, die zum Beispiel mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus kommen, haben den Anspruch auf eine hochwertige Versorgung. Das ist zumindest der Anspruch, den wir für uns definieren. Jetzt ist das so eine Frage mit dem Durchschnitt. Da muss man immer genau hinschauen: Was versteht man unter dem Durchschnitt? Der Pegelstand des Rheins bei Köln liegt bei 139 Zentimetern. Theoretisch könnte man also sagen: Man kann ganz gut durch den Rhein laufen und würde dabei nicht ertrinken, weil der Rhein halt nur 139 Zentimeter tief ist. – Vor Selbsttests möchte ich warnen, weil der Durchschnitt zwar der Durchschnitt ist, aber man kann bei einem Durchschnitt trotzdem ertrinken. So, wie das bei dem Rhein ist, ist es auch bei den Intensivstationen. Wenn im Sommer zum Beispiel die Auslastung gering war, dann ist sicherlich richtig, dass sie geringer war. Aber sie war zum Beispiel in der zweiten Phase der Pandemie, in der zweiten Welle besonders hoch. Deswegen ist der Vergleich über ein Jahr zumindest keiner, der allein trägt; denn wir wollen zu allen Zeiten genügend Betten zur Verfügung haben, sodass ein Patient, wenn er kommt, die entsprechende Behandlung bekommt. ({0}) Wenn man wissen möchte, wie die Belegung auf den Intensivstationen ist, dann gibt es ein ganz einfaches Mittel, und das möchte ich den Kollegen der AfD einfach einmal ans Herz legen: Fragen Sie einen Arzt oder eine Krankenschwester, wie es auf den Intensivstationen aussieht! Fragen Sie die Leute, die dort tagtäglich arbeiten, die wirklich Hochleistung bringen, die täglich am Limit arbeiten! Ich persönlich war vor vier Wochen auf der Intensivstation gewesen, weil mir ganz wichtig ist, dass wir den Menschen zuhören, die dort arbeiten, und nicht irgendwelches dummes Geschwätz haben, das Sie sich irgendwo ausgedacht haben. ({1}) Wir haben alles unternommen, damit die Krankenhäuser gut durch diese Pandemie kommen. Das kostet den Steuerzahler rund 10 Milliarden Euro extra. Ich halte das aber für gut investiertes Geld, das wir hier im vergangenen Jahr angelegt haben, damit die Krankenhäuser gut durch diese Pandemie kommen. Ich bin Ihnen herzlich dankbar für diese Debatte. Ich führe sie hier wahnsinnig gern; das kann ich Ihnen an dieser Stelle nur sagen. Denn der Vorwurf, der uns gemacht wird, dass man in der Pandemie vielleicht zu viel gemacht hat, ist mir dreimal lieber als der Vorwurf, dass wir zu wenig gemacht hätten, dass wir nicht genügend Betten zur Verfügung haben würden, dass wir Situationen hätten, wie wir sie in Italien, in Frankreich oder Spanien oder im Großteil dieser Welt erlebt haben, dass Menschen nicht die medizinische Behandlung bekommen haben, die notwendig ist, weil nicht die Betten zur Verfügung stehen. Da führe ich die Debatte nach dem Motto „Es gab trotzdem zu viele Betten“, die wir jetzt führen, dreimal lieber als die andere Debatte, wo man Tausende Tote beklagen muss, weil die medizinische Versorgung nicht ausgereicht hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland ist das Land auf der Welt, das die meisten Intensivbetten hat. Es gibt kein Land auf der Welt, das mehr Intensivbetten pro Einwohner vorhält. Kein Land! Darauf bin ich stolz, und ich bin den Ärzten und Krankenschwestern sehr dankbar für ihre Arbeit. Danke schön. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: der Abgeordnete Detlev Spangenberg, AfD-Fraktion. ({0})

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eines der wichtigsten Argumente für die einschneidenden Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung in der Coronaproblematik ist und war die Überlastung des Gesundheitssystems, hierbei insbesondere die drohende Knappheit der Intensivbetten. Sie wurde mit panikauslösenden Bildern aus anderen Ländern geschürt und durch die Überlegung des BMI befördert, direkt Schreckensbilder zu produzieren – dies allein, um Akzeptanz und Gefügigkeit bei der Bevölkerung für die einschneidenden Maßnahmen zu erreichen. Die Kritik an den Schreckensmeldungen der Regierung mit ihren grün-linken Unterstützern begleitet diese Maßnahmen immer noch, meine Damen und Herren. Auf Expertenmeinungen, die den offiziellen Verlautbarungen der Regierung widersprechen, wird und wurde grundsätzlich polemisch reagiert. Da konnten die Experten durchaus anerkannte wissenschaftliche Persönlichkeiten mit akademischen Graden, akademischen Titeln und Funktionen sein; es nützte ihnen gar nichts, meine Damen und Herren. Quasi über Nacht werden sie zu Unpersonen stigmatisiert. ({0}) So auch die zahlreichen hochkarätigen Autoren der aktuellen dritten Ad-hoc-Stellungnahme „Zur intensivmedizinischen Versorgung in der SARS-2/CoViD-19-Epidemie“, auf die ich mich hier vorwiegend beziehe. Ein großer Faktor bei der Begründung mit fehlenden Intensivbetten war ja der Faktor Angst, mit dem aus unserer Sicht in unverantwortlicher Weise Politik betrieben wird. Eine nahezu gleichbleibende Anzahl von Intensivbetten ist mit 20 000 Betten seit Frühjahr 2020 festzustellen. Seit April 2020 wurde die Gesamtbettenzahl nach einer kurzen Zeit der gleichbleibenden Anzahl immer weiter verringert. Die Anzahl der Coronabettenbelegung schwankte bei gleichbleibender Gesamtintensivbettenbelegung. Das ist einfach die Tatsache. Also die Frage: Wie ist es möglich, dass bei unterschiedlichen Wellen, Krankheitsverläufen und Inzidenzwerten keine Schwankung im Intensivpflegebereich zu verzeichnen ist? Die angebliche Gefahr der Überlastung der Intensivstationen war offensichtlich nie gegeben, hat aber zur Verängstigung geführt, die noch heute zu den nicht erfassten Kollateralschäden geführt hat und führen wird, meine Damen und Herren. Dies ist gerade im Bereich von Herz-Kreislauf- und Krebspatienten besonders zu sehen. Die Kritik an der Erfassung der Coronapatienten ist ebenfalls konkret. Doppelzählungen sind festzustellen, etwa durch die Verlegung und Einweisung von Patienten in den Intensivpflegebereich, die Nichtcoronapatienten sind. Dies führt ebenfalls zu völlig ungenauen Daten. Trotzdem werden die einschneidenden Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung durchgeführt und durchgesetzt. Die Frage ist hierbei: Ist das nun Absicht oder Unfähigkeit, meine Damen und Herren? Das Intensivregister ist keine zuverlässige Quelle, um sichere Schlüsse zu ziehen. Die Zahlen werden eben nicht in einer Weise erhoben, dass sie die tatsächliche Situation widerspiegeln. Die DIVI erklärt sogar selbst, dass Mehrfachzählungen von Patienten durch Verlegungen vorkommen können. Wie stark sich das auswirkt, ist nicht bekannt; man kann nur vage Schätzungen abgeben. Laut AOK-Angaben werden etwa 11 Prozent aller Patienten einmal verlegt, bei beatmeten Patienten sind es sogar über 30 Prozent. Dass die DIVI um konkrete Meldungen bittet, bedeutet, dass die DIVI selbst um die Schwachstellen weiß. Auch die häufig wiederholte Feststellung, die intensivmedizinisch behandelten Coronapatienten würden immer jünger, hält einer Überprüfung nicht stand. Die Statistiken geben diese Behauptung ebenfalls nicht her. ({1}) Sehr bedenklich ist auch die Diskussion um die Möglichkeit der sogenannten Triage-Entscheidung in den Kliniken. Frau Dittmar, Sie haben das nicht ganz richtig ausgeführt. Es ging nicht darum, ob ein Herzpatient zugunsten eines Coronapatienten ausgetauscht wird. Nein, die Diskussion wurde in unverantwortlicher Art und Weise in Bezug darauf, wer leben darf und wer sterben muss, geführt. Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe. Da haben Sie eine Sache in die Gesellschaft gebracht, die unverantwortlich ist. ({2}) Unfähigkeit könnte man auch im Bereich der Prämienzahlungen für die Bereitstellung von Intensivbetten in Krankenhäusern sehen – das wurde vorhin schon einmal erwähnt –, wenn eine 75-prozentige Auslastung der Bettenkapazität mit Nichtcoronapatienten die Voraussetzung für den Abruf der Mittel ist. Das heißt, wenn ich nicht auf 75 Prozent Auslastung komme, reduziere ich einfach meine Gesamtbettenzahl und kann sie dann mit 75 Prozent ausweisen. Meine Damen und Herren, eine sehr fragwürdige Maßnahme! Haben politische Entscheidungen für finanzielle Entschädigungen und Sonderzahlungen zu Fehlanreizen geführt, also zu Missbrauch? Ich glaube, auch das wäre noch einmal zu überprüfen. Es sieht jedenfalls so aus. Dies ehrlich zu analysieren, ist wichtig, um die Entscheidungen von Parlament und Regierung – auch der Länderregierungen – zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren sowie für kommende ähnliche Fälle zu lernen und Fehler zu vermeiden. Die AfD hat mehrfach die Gründung einer ständigen Epidemiekommission angeregt, die auch solche Probleme hätte lösen können sowie mit ihrem Beratungsergebnis dann die Bundesregierung oder auch den Bundestag fachlich hätte beraten können. Das haben Sie abgelehnt, meine Damen und Herren. Wir kritisieren Ihre Politik. Sie haben ohne Not Panik und Angst in der Bevölkerung geschürt. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner: für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Dr. Edgar Franke. ({0})

Dr. Edgar Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Intensivstationen sind die letzte Haltelinie in der Pandemie; das muss man ganz klar sagen. Dort liegen Menschen mit schweren Krankheitsverläufen. Dort liegen Menschen, die Leid erfahren. Dort retten aber engagierte Ärztinnen und Ärzte und Pflegerinnen und Pfleger täglich Leben. Wir sollten ihnen ausdrücklich für diesen großen Einsatz danken und nicht mit falschen Zahlen argumentieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Die Pandemie hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig ein flächendeckendes Netz aus Krankenhäusern ist. Das bestehende Netz hat uns gut durch die Pandemie gebracht, auch weil wir am Anfang der Pandemie die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Dazu gehörte, den Krankenhäusern Geld für freigehaltene Intensivbetten zur Verfügung zu stellen. So haben wir in einer schwierigen Lage schnell reagieren können. Das hat viele Leben gerettet, meine sehr verehrten Damen und Herren. Mittlerweile gibt es statt der Pauschalen für freie Intensivbetten einen Erlösausgleich für das komplette Jahr 2021, also einen Ganzjahreserlösausgleich, lieber Harald Weinberg, und zwar auf der Basis der Erlöse von 2019. Der ist auskömmlich; das sagt auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Das hat nichts mit der Kritik an den DRG zu tun; das muss man ganz klar sagen. ({1}) Dieser Erlösausgleich sichert die wirtschaftliche Stabilität der Krankenhäuser – dafür haben wir gesorgt –, er sichert weiterhin eine flächendeckende Gesundheitsversorgung, und er gibt den Krankenhäusern gerade in schwierigen Zeiten – Herr Riebsamen weiß das – Planungssicherheit. Denn eines haben wir gelernt: Unsere Intensivstationen, unsere Krankenhäuser sind gerade das Krisenpolster in der Pandemie gewesen und sind es noch heute, liebe Kolleginnen und Kollegen. Manche behaupten jetzt – auch heute in den Reden –, dass kaum Intensivbetten mit Coronapatienten belegt waren. Die Wahrheit ist aber: Es gab zeitweise viele Coronapatienten, die auf den Intensivstationen um ihr Leben gekämpft haben – nicht nur im Frühjahr, sondern vor allen Dingen ab November. Das werden alle Praktikerinnen und Praktiker bestätigen. Ich bin froh, dass wir vorbereitet waren. Es gibt auch einen Artikel in der „Welt“ – den hat auch Harald Weinberg angesprochen –, nach dem die Zahl der Intensivbetten deutlich gesunken sei. Das ist aber so nicht richtig. Vielmehr haben wir die Untergrenzen beim Pflegepersonal im Februar wieder eingeführt. Dadurch wollten wir erreichen, dass die Versorgung der Patienten, gerade die Versorgung schwerkranker Patienten, wieder verbessert wird. So konnte die Belastung des Personals verringert werden. Dadurch sind bei gleichbleibendem Personal natürlich weniger Betten belegbar; auch darauf hat Sabine Dittmar hingewiesen. Außerdem führte das Intensivregister die 3 000 Kinderbetten jetzt extra auf, da Kinder fast nie schwer an Corona erkranken. Es gibt also nachvollziehbare Gründe für die veränderten Zahlen. Das hätte auch der AfD eigentlich auffallen müssen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die dritte Welle ist mittlerweile gebrochen. Wir greifen immer auf das Bild zurück, dass wir sagen: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. – So sollten und können wir Gastronomie im Außenbereich wieder öffnen. Wir können Freibäder öffnen; die Biergärten sind teilweise wieder auf. Auch für den Innenbereich brauchen wir eine klare Öffnungsperspektive. Es ist schon mehrfach gesagt worden: Die zunehmenden Impfungen geben den Menschen Zuversicht und Lebensfreude. Entscheidend ist dabei – das möchte ich ausdrücklich sagen –, dass wir den sozialen Zusammenhalt auf den letzten Etappen der Pandemie, der Epidemie nicht verspielen sollten. Sonst könnte aus einer Pandemiekrise eine Demokratiekrise werden, und das können wir alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht wollen. Es darf auch wirklich nicht sein, dass Geimpfte abends im Biergarten oder in der Kneipe sitzen, während die Jungen draußen bleiben sollen. Deswegen müssen wir darauf achten, dass die Getesteten in Zukunft immer mit Genesenen und Geimpften gleichgestellt werden; sonst gefährdet das wirklich den sozialen Zusammenhalt. Auch das kann niemand wollen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Angst ist ein schlechter Ratgeber, und der eine oder andere journalistische Beitrag in letzter Zeit hat vielen Menschen Angst gemacht. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Was wir aber jetzt brauchen, ist Zuversicht: Zuversicht, dass wir das letzte Stück gemeinsam schaffen, Zuversicht, dass wir Schritt für Schritt wieder zurück zur Normalität kommen können. Ich bleibe dabei: Zuversicht und Solidarität sind die wirksamsten Mittel gegen die Pandemie. Dafür ist auch sozialer Zusammenhalt notwendig. In diesem Sinne bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen. ({4})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute beschäftigen wir uns einmal wieder mit einem Thema, bei dem sich die Fraktion der AfD als Anwalt der Querdenker und Coronaleugner aufspielen darf. Ich weiß auch durch Ihre Beiträge hier im Plenum und im Ausschuss mittlerweile, dass Sie das Infektionsgeschehen am liebsten einfach hätten laufen lassen, ohne irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. ({0}) Und weil die Infektionszahlen seit einigen Tagen endlich sinken, ernten Sie für diese Politik des Leugnens und Ignorierens jetzt auch noch Beifall von Ihren Unterstützern. Aber ich sage Ihnen eines: Nur durch unsere konsequenten Maßnahmen und die fortschreitende Impfkampagne haben wir die dritte Welle doch überhaupt brechen können. Wenn wir die Hände in den Schoß gelegt und nichts getan hätten, wären Tausende von Menschen mehr in Deutschland gestorben, ganz zu schweigen von den Spätfolgen bei denjenigen, die die Erkrankung überwunden haben. Dass die AfD keinen einzigen konstruktiven Beitrag zur Bekämpfung dieser Pandemie geleistet hat, sollte mittlerweile jedem klar sein. ({1}) Aber dass Sie dann noch die Dreistigkeit besitzen, das Parlament in seiner Arbeit zu behindern, indem Sie beinahe jede Woche irgendein halbgares Thema zu einem Skandal aufbauschen, da fehlen einem wirklich die Worte. Der neueste Anlass ist jetzt hier also der angebliche Abbau von Intensivbetten in Deutschland. Ganz ehrlich: So neu ist das Thema gar nicht. Schon vor der Verabschiedung des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes wurde das in jeder zweiten Zuschrift an mich thematisiert. Da haben die Menschen geschrieben, die Corona immer noch für eine Verschwörung der Regierung halten. Nur, damals lautete der Vorwurf, wir hätten einen Abbau von Intensivbetten wissentlich in Kauf genommen, um unsere Maßnahmen zu rechtfertigen. Aber natürlich ist das absoluter Unfug. Hätten Sie in den Ausschusssitzungen aufgepasst, dann wüssten Sie das auch, und wir könnten uns diese Debatte wirklich sparen. Also, noch einmal, zur Erinnerung: Im April, also vor gerade mal einem Monat, haben sich in Deutschland jede Woche fast 150 000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Zu diesem Zeitpunkt lagen über 5 000 schwerstkranke Covid-Patienten auf unseren Intensivstationen, und es wurden täglich mehr. Da können Sie doch nicht sagen, die ergriffenen Maßnahmen wären unnötig, an einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems wären wir selbst schuld. Erklären Sie das mal den Erkrankten oder den Angehörigen der Verstorbenen. Wenn ich mir jetzt anschaue, dass sich Ihre Argumente allein auf die neuesten Vorwürfe von Herrn Schrappe stützen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Da haben Sie sich leider den falschen Vorkämpfer ausgesucht. Durch seine wenig hilfreichen und unausgegorenen Vorschläge zur Eindämmung der Coronapandemie hat sich Herr Schrappe aus meiner Sicht schon vor Monaten als ernstzunehmender Berater vollkommen disqualifiziert. ({2}) Das sage ich Ihnen nicht nur, weil ich seine Empfehlungen mehrfach zur Kenntnis genommen habe, sondern auch, weil ich die Gelegenheit hatte, persönlich mit Herrn Schrappe in einer Sitzung zu sprechen und über seine fragwürdigen Vorschläge zu diskutieren. Fakt ist: Zu Beginn der Coronapandemie im Frühjahr vergangenen Jahres wurden dem DIVI-Register deutlich mehr freie Betten gemeldet, als das heute der Fall ist. Aber versetzen Sie sich jetzt noch mal gedanklich in die Monate März bis April 2020, als das Coronavirus die Welt ohne Vorwarnung förmlich überrannt hat. Übrigens waren Sie von der AfD da, wenn ich mich daran erinnern darf, mit unseren Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch vollkommen einverstanden. Für die Krankenhäuser war zu diesem Zeitpunkt kaum einschätzbar, welche Bedarfe durch die steigenden Infektionszahlen entstehen würden. Da haben die Kliniken zunächst so viele Intensivbetten wie möglich freigemacht und alle planbaren Eingriffe und Behandlungen ausgesetzt. Heute haben wir eine völlig andere Situation. Die Kliniken müssen nach einem Jahr Pandemie eine Mischung aus Normalbetrieb und Krisenmodus fahren. Denn anders, als damals erhofft, hat sich das Virus nicht wieder in Luft auflösen lassen. Das pflegerische und ärztliche Personal ist zum Teil am Ende seiner Kräfte, und die Intensivbelegung nimmt nur langsam ab. Noch immer kämpfen über 3 700 Menschen auf den Intensivstationen um ihr Leben. Unter solchen Voraussetzungen lässt sich natürlich nicht die maximale Anzahl von Intensivbetten in Deutschland betreiben; das kann ich Ihnen auch als Arzt sagen. Das ist so nicht möglich und auch nicht realistisch. Selbstverständlich hat die Bundesregierung die Entwicklung auf den Intensivstationen sehr eng im Blick. Deswegen haben wir ja auch das DIVI-Register geschaffen. Es besteht also weder Grund zur Panik noch dazu, die Schutzmaßnahmen aufgrund der Berichte in irgendeiner Art und Weise in Zweifel zu ziehen. Sie waren und sind ganz klar notwendig, und zwar unabhängig davon, ob die Zahl der gemeldeten Intensivbetten heute niedriger ist als im Frühjahr. Vielen Dank. ({3})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist eigentlich das Aktuelle an dieser Aktuellen Stunde? Die Äußerung eines einzelnen Autorenteams, eine Äußerung, die bereits vielfach debattiert, kritisch kommentiert, widerlegt, ja sogar von den Autoren selbst überarbeitet wurde. ({0}) Wieder einmal greift die AfD nach jedem Strohhalm, um Maßnahmen zum Infektionsschutz anzugreifen und die Menschen in unserem Land zu verunsichern. Sie fordern eine „sachliche und transparente Aufklärung“, habe ich vorhin gehört, und interpretieren dann komplexe Sachverhalte und Daten oberflächlich, picken nur heraus, was Ihnen vermeintlich hilft, um die Infektionsgefahr zu bagatellisieren und um Misstrauen gegenüber den beschlossenen Maßnahmen zu schüren. Damit werten Sie die Kraftanstrengung ab, die so viele gemeinsam schultern, um diese Pandemie zu bekämpfen. Es ist für mich befremdlich und vor allem auch beschämend, dass eine ganze Fraktion dieses Hauses das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit leugnet, ({1}) dass Sie Leid und Tod ignorieren, kleinreden, lächerlich machen, nur um Stimmen zu sammeln von denen, die Corona leugnen. ({2}) Bettenzahl, Fallzahl – das klingt anonym, und das klingt technokratisch. Aber hinter jedem einzelnen belegten Bett auf einer Intensivstation verbirgt sich ein ganz konkretes Schicksal. ({3}) Da wird um das Leben eines Menschen gerungen. Jedes belegte Intensivbett bedeutet individuelles Leid eines schwer erkrankten Menschen. Da sind Angehörige, die oft über Wochen zwischen Hoffen und Bangen hin- und hergerissen sind, die selbst nicht helfen können, weil sie gar keinen Zugang haben. Da gibt es womöglich einsames Sterben und die Seelennöte von allen, die nicht voneinander Abschied nehmen können. Gleichzeitig – das ist heute schon zur Sprache gekommen – steht das Personal in den Pflegeeinrichtungen und in den Krankenhäusern seit Monaten unter extremer Dauerbelastung. Ärztinnen und Pflegepersonal, aber auch Reinigungskräfte, Verwaltungsmitarbeiter, Krankenwagenfahrer, Rettungssanitäter, sie alle arbeiten unter psychischer und physischer Höchstbelastung. All das ignorieren diejenigen, die Maßnahmen zum Infektionsschutz diskreditieren. Das ist respektlos und grenzt an Menschenverachtung. ({4}) Jetzt haben wir durch verantwortungsvolle Maßnahmen und durch gemeinsame Anstrengungen die Kurve gekriegt. Weniger Menschen stecken sich an, weniger Menschen müssen beatmet werden. Die Belastung auf den Intensivstationen lässt langsam nach. Das ist ein Grund zur Freude. Ja, eigentlich müssten wir es feiern, dass unsere Intensivstationen eben nicht kollabiert sind, ({5}) dass wir es geschafft haben, die ganz große Katastrophe durch vorbeugendes Handeln zu verhindern. ({6}) Anstatt diesen Erfolg anzuerkennen, sticheln und provozieren Sie weiter. Anstatt dem Personal in den Krankenhäusern den notwendigen Respekt zu zollen, machen Sie weiter alle Maßnahmen verächtlich, die dort Entlastung bringen. ({7}) Das „A“ in Ihrem Parteinamen steht aktuell wieder einmal für „Antwortverweigerer“; denn Sie bringen keine Lösungsvorschläge, keinen Beitrag zur Pandemiebekämpfung. Und: Ja, Sie sind sogar Allesverweigerer, wenn es darum geht, Menschen vor diesem tückischen Virus zu schützen. Nur eines, das sind Sie gewiss nicht: eine Alternative für dieses Land ({8}) und schon gar keine Wahloption für Menschen, denen die Gesundheit und das Wohlergehen aller am Herzen liegt. Vielen Dank. ({9})

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Guten Tag, sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Heute ist ein wichtiger Tag für die deutsche Landwirtschaft. Denn das, was wir heute beraten, ist ein Bekenntnis zur Zukunft unserer Bäuerinnen und Bauern, zu ihrer Aufgabe, unser aller Ernährung zu sichern und gleichzeitig nachhaltig zu wirtschaften. Wir gestalten Europas Agrarpolitik neu, nachhaltig, einkommenssichernd, ernährungssichernd und vor allen Dingen mit Blick auf die ländlichen Räume. ({0}) Wir haben, sehr geehrte Damen und Herren, die Zeit unserer Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr genutzt, um einen Systemwechsel einzuleiten: durch intensive Debatten, lange Verhandlungsnächte und persönliche Gespräche – zahlreiche vertrauliche Gespräche. Wir haben dadurch auch Europa zusammengehalten. Das war viel Arbeit, die mir persönlich sehr wichtig war. Ich möchte hier zwei wichtige zentrale Punkte nennen: dass wir, erstens, die Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft, wie die Ernährungssicherung, angemessen honorieren und dass wir, zweitens, jetzt an morgen denken, an die nächste Generation, und Leitlinien entwickeln, die Perspektiven bieten, dass wir Gegensätze versöhnen, indem wir eine Verbindung von gesellschaftlichen Ansprüchen und landwirtschaftlichen Realitäten schaffen. Das haben wir, die 27 Mitgliedstaaten, in einem Kraftakt geschafft. Es war nicht immer einfach, unterschiedliche Meinungen zusammenzubekommen. Wir haben erfolgreich für unsere Landwirtinnen und Landwirte gearbeitet, aber auch für unsere Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa. Denn wenn es Nahrungsmittel hier um die Ecke von Bauern gibt, die hier leben und nach unseren Standards wirtschaften, dann ist es eine Gemeinwohlleistung, und die wollen wir honorieren und auch anerkennen. ({1}) Es geht aber auch um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Wie sehen die Fakten aus? Wir werden den jungen Landwirtinnen und Landwirten – bis 40 Jahre – sowie kleineren und mittleren Betrieben noch stärker unter die Arme greifen. Das heißt, die Gelder fließen verstärkt dorthin. Jeder Euro Fördergeld aus Brüssel wird an noch höhere Umwelt-, Biodiversitäts- und Klimaauflagen geknüpft werden; da gibt es eine Konditionalität. Es ist eben nicht mehr so, dass rein nur nach Besitzfläche gezahlt wird, sondern es geht darum, wie diese Fläche bewirtschaftet wird. Der alleinige Besitz, wie ich eben gesagt habe, berechtigt nicht zum Bezug von Direktzahlungen. Entscheidend ist, wie die Fläche bewirtschaftet wird. Wir werden die Landwirtinnen und Landwirte dafür belohnen, dass sie mehr für die Umwelt und mehr fürs Klima leisten. 25 Prozent der Direktzahlungen sind im Rahmen des Budgets für die Ökoregelungen dafür jährlich vorgesehen. Für Deutschland entsprechen diese 25 Prozent etwa 1 Milliarde Euro zusätzlicher Gelder für Ökoleistungen. Das ist doch ein Wort. Das ist Nachhaltigkeit. Wir haben Ökologie, Ökonomie und die soziale Frage zusammengebracht. ({2}) Durch Veränderungen bei der Umschichtung stehen den Bundesländern in der zweiten Säule im Jahr 2023 im Übrigen knapp 490 Millionen Euro zur Verfügung. Die Förderung von mehr Klima- und Umweltschutzmaßnahmen, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die Stärkung der ländlichen Räume müssen ausgewogen sein. Das ist alles mit den Bundesländern abgesprochen, im Übrigen auch mit den Grünen. Ich muss sagen: Ich war erstaunt über einige grüne Agrarminister, die sonst immer sagen: „Wir wollen die Kleinen fördern“, sich aber just gegen Umverteilung von größeren Betrieben zu kleineren Betrieben gewandt haben; das wissen die südlichen Bundesländer. Am Ende ist das keine Frage der Parteifarbe, sondern davon, wo jemand herkommt. Das ist ein Stück Lebensrealität, und die haben wir auch gesehen. Dieser Betrag wird bis 2027 schrittweise auf etwa 735 Millionen Euro angehoben. Mit unserem Nationalen GAP-Strategieplan berücksichtigen wir zudem, dass die landwirtschaftliche Struktur in Deutschland eben vielfältig ist. Ein Ausspielen Ost gegen Süd, Süd gegen Nord, West gegen Ost, das gibt es mit mir nicht; das will ich sehr deutlich sagen. ({3}) Wir haben Respekt vor der Geschichte der Menschen, vor der Geschichte ihrer Betriebe und Strukturen. Wir haben dabei stets die Menschen und ihre Familien im Blick gehabt. Andere wollen unsere Landwirtinnen und Landwirte zu Landschaftsgärtnern und Blühflächenbewachern machen. Das konnten, können und werden wir nicht akzeptieren. All denen, die unsere GAP als zu unambitioniert abtun, kann ich nur empfehlen, nicht nur einen Bauernhof zu besuchen, sondern auch mal auf einem zu arbeiten. ({4}) Schrankwände voller Unterlagen zur Dokumentation der bereits heute notwendigen Umweltleistungen kann jeder Betrieb vorweisen. Deshalb war Augenmaß bei der GAP so wichtig. Und es war wichtig, auch ganz Europa mitzunehmen. Mit unserem Strategieplan bringen wir jetzt sowohl die Einkommens- als auch die Ernährungssicherung mit mehr Umwelt- und Klimaschutz zusammen. Das passiert nicht am Reißbrett oder durch pauschale Regelungen, die einem Realitätscheck eben nicht standhalten. Wir sind jetzt auf der Zielgeraden, Stichwort „Trilog“. Die Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und auch Europäischem Parlament stehen kurz vor dem Abschluss. Die Positionen liegen auf dem Tisch. Jetzt braucht es einen Kompromiss. Am 25. Mai beginnen erneut die Trilog-Gespräche auf hoher Ebene. Parallel tagen wir mit unserem Agrarrat der Landwirtschaftsministerinnen und Landwirtschaftsminister in Brüssel. Da ist es wichtig – die Mitgliedstaaten der EU müssen eng in diesen Schulterschluss eingebunden werden –, dass wir uns hier verzahnen. Denn es ist und bleibt ein Gemeinschaftsprojekt. Ich will das unterstreichen: Es ist gut, dass wir die Gemeinsame Agrarpolitik Europas haben. Denn nur zusammen bringen wir die Landwirtschaft in Europa auf ein höheres Niveau beim Umwelt- und beim Klimaschutz, und wir tragen zum Erhalt attraktiver ländlicher Räume bei. Gleichzeitig können wir die ureigenste Aufgabe der Landwirtschaft garantieren: die Sicherung der Ernährung von fast 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Europa. Das ist nicht banal, das ist existenziell, und das verdient es auch, immer und immer wieder erwähnt zu werden. ({5}) Sie wissen: Wer zurzeit im Land unterwegs ist, der sieht, was Landwirtschaft und ländliche Räume bedeuten. Leuchtend gelbe Rapsfelder, grüne Wiesen prägen unsere Natur. Die Saat unserer Landwirtinnen und Landwirte geht auf. Wir können sehen, wie sie für uns alle arbeiten. Was sie schaffen, ist eine enorme Leistung für unser Gemeinwohl. Damit verbunden ist natürlich die Hoffnung auf eine gute Ernte, um ausreichend Futter für die Tiere zu haben und um genügend Produkte erfolgreich zu verkaufen, die ihren Preis auch wert sind. Die Arbeit auf dem Acker oder im Stall, die muss sich rechnen und die müssen sich die Landwirte dann auch leisten können. Deshalb will ich sagen: Wir brauchen ein Ja zu dieser GAP und zu unseren Landwirtinnen und Landwirten. Ich weiß auch, dass die GAP, die wir jetzt verabschiedet haben, nach der Reform in den nächsten sieben Jahren ganz anders sein wird. Das Zwei-Säulen-Modell wird sich verändern. Auch die Direktzahlungen werden sich verändern. Die Honorierung von Gemeinwohlleistungen wird sich verändern. Aber das geht nicht per Knopfdruck. Wir müssen die Menschen mitnehmen; denn ansonsten haben wir keine regionale Produktion mehr. Ich möchte wirklich dazu aufrufen, Augenmaß walten zu lassen. Die Richtung muss aber stimmen und das Tempo auch. Deshalb sage ich allen Danke, die in der Landwirtschaft hart arbeiten, dies für unser Wohl tun. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Der nächste Redner für die Fraktion der AfD ist der Abgeordnete Wilhelm von Gottberg. ({0})

Wilhelm Gottberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004730, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Ministerin Klöckner! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetzespaket der Bundesregierung zur Ausgestaltung der Agrarförderung ab 2023. Ministerin Klöckner spricht davon, dass die heimischen Bauernfamilien mit den vorgelegten Gesetzentwürfen ihre Existenz in Zukunft dauerhaft sichern können. Wir, die AfD, sehen das anders. Es handelt sich doch im Grunde um ein Weiter-so der bisherigen Gemeinsamen Agrarpolitik, jedoch mit einem ganz entscheidenden Unterschied: Die Bundesregierung will die einkommenswirksamen Direktzahlungen für die landwirtschaftlichen Betriebe stark kürzen. Wir alle wissen, dass die bäuerlichen Einkommen ganz wesentlich von diesen Direktzahlungen abhängen. Zusammen mit immer neuen Auflagen werden diese Mittelkürzungen die landwirtschaftlichen Betriebe weiter unter Einkommensdruck setzen. Am Ende steht dann die Hofaufgabe. 80 000 Betriebsaufgaben in den letzten zehn Jahren sind ein Menetekel. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eines der Hauptprobleme der GAP ist, dass sie nicht gemeinsam ist. Jeder EU-Mitgliedstaat gestaltet seine Agrarpolitik trotz EU-Vorgaben im Prinzip selbst. Es ist für uns nicht vorstellbar, dass unsere EU-Partner die Direktzahlungen aus der ersten Säule so stark kürzen, wie das bei uns ab 2023 der Fall sein wird. Zu den Vorlagen im Einzelnen: Erstens: Viertes Gesetz zur Änderung des Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes. Die Bundesregierung plant erneut eine Kürzung der einkommenswirksamen Direktzahlungen um 8 Prozent für das Jahr 2022. Das entspricht 100 Millionen Euro. Jedes Jahr will sie schrittweise weiter kürzen, bis dann in fünf Jahren sogar 15 Prozent, also etwa 188 Millionen Euro pro Jahr, den Direktzahlungen entzogen sind. Nicht mit uns! ({0}) Da wissen wir den Deutschen Bauernverband an unserer Seite. Zweitens: Gesetz zur Einführung eines Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems im Rahmen der GAP. Künftig soll das gesamte Antragsverfahren inklusive des Systems des Flächenmonitorings elektronisch abgewickelt werden. Zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe arbeiten bereits nach diesem System. Das ist tatsächlich ein Beitrag zum Bürokratieabbau und zur Transparenz. Gut so! ({1}) Drittens: Gesetz zur Durchführung der im Rahmen der GAP geltenden Konditionalität. Konditionalität meint Verpflichtungen, die jeder Landwirt erfüllen muss, um die flächenbezogenen Direktzahlungen zu erhalten. Jeder landwirtschaftliche Betrieb muss zukünftig mindestens 3 Prozent seiner Fläche stilllegen, darf sie also nicht zur Nahrungsmittelproduktion nutzen. Damit Sie wissen, worüber wir reden: Diese 3 Prozent Stilllegungsflächen betragen rund eine halbe Million Hektar in Deutschland. Dadurch wird das Einkommen der Landwirte zusätzlich verringert. Viertens: GAP-Direktzahlungen-Gesetz. Positiv bewerten wir bei diesem Entwurf die gekoppelte Einkommensstützung für die Muttertiere von Kälbern und Lämmern. ({2}) Diese Förderung ist überfällig. Trotzdem ist der Zielwert von etwa 60 Euro pro Mutterkuh unangemessen. Basierend auf dem Großvieheinheitenverhältnis müssten das etwa 200 Euro sein. Hier besteht Nachbesserungsbedarf. Ausweislich der Tagesordnung soll bei dieser Debatte auch noch der Antrag der Linken „Runder Tisch zur Sicherung der Zukunft von Freiland- und Weidetierhaltungen“ anberaten werden. Der Antrag geht in die richtige Richtung. Die Einrichtung eines runden Tisches lehnen wir grundsätzlich ab. Das ergäbe eine schöne Kakofonie. Der Antrag ist deshalb abzulehnen. Wir freuen uns auf produktive Ausschussberatungen. Danke. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der SPD hat das Wort der Abgeordnete Rainer Spiering. ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! „Spätestens in sieben Jahren geht es um eine grundlegende Neugestaltung.“ Die Flächenprämien werde es dann so nicht mehr geben. Bereits in der nächsten Legislaturperiode werde man auf die Weiterentwicklung der GAP in Richtung Green Deal und noch stärkerer Honorierung der Umweltleistungen hinarbeiten müssen. Das Zitat ist von Frau Agrarministerin Ursula Heinen-Esser, und es ist wahr. Frau Ministerin, ich habe mich ja über Ihre Rede gefreut; das will ich nicht verhehlen. Sie war folkloristisch, sie war ausgesprochen fröhlich, sie war blumig. Aber wenn Sie dieselbe Rede vor einem Jahr gehalten hätten, wäre ich Ihnen tief dankbar gewesen. ({0}) – Ja, da klatschen nicht mal die eigenen Leute. ({1}) Es geht jetzt um folgende Frage: Wie sieht die Zukunftspolitik der Landwirtschaft in Deutschland aus? Das hat Frau Heinen-Esser gut beschrieben, nämlich mit dem Prinzip der Gemeinwohlorientierung: Wir müssen weg von dem, was besprochen worden ist – der Flächenbelohnung –, hin zu der Belohnung von Tätigkeit im ökologischen, im sozialen und im ökonomischen Bereich. ({2}) Wir fordern schon seit Jahren ein System, das die Leistung belohnt und keinen reinen Besitz von Fläche. Wir fordern deswegen einen kompletten Wandel des Fördersystems. Öffentliches Geld muss für öffentliche Leistungen ausgegeben werden. Die Steuergelder – um die geht es – sollten für Umwelt, Natur, Klima, Tierschutz und ländliche Entwicklung ausgegeben werden, und dort sind sie auch richtig angebracht. ({3}) Frau Ministerin, mein Dank geht nicht so sehr an die Bundesregierung. Mein Dank geht an die zweite Kammer. Ich finde, dort ist Erstaunliches geleistet worden: In einer ausgesprochenen Nachtsitzung haben sich die Agrarminister, und zwar – das ist an dieser Stelle interessant – über alle Parteigrenzen hinweg – außer, Gott sei Dank, mit der AfD –, darauf verständigt, diesen Weg zu gehen. Es ist ein Lösungsansatz entstanden, mit dem alle gut umgehen können. Dann muss man auch neidlos anerkennen, dass durchaus der Druck der Grünen dafür gesorgt hat, dass es zu diesem Paket gekommen ist. Ich will aber auch in eigener Sache etwas hinzufügen – vielleicht nimmt man mir das nicht allzu übel –: Moderiert worden ist das von Till Backhaus, dem dienstältesten Agrarminister. Ich schließe in das Lob auch noch mit ein: Herzlichen Dank an Till Backhaus, dass er diese Moderation übernommen hat! ({4}) Wir führen ein Budget für Ökoregelungen in Höhe von 25 Prozent der Direktzahlungen ein. Wir erhöhen den Anteil der umgeschichteten Fördermittel von der ersten in die zweite Säule, wo wir letztes Jahr noch um 0,5 Prozent gestritten haben – um 0,5 Prozent! –, im Laufe der nächsten sieben Jahre auf 15 Prozent. Ich finde, das ist wirklich eine starke Leistung und wird dem Ökosystem Deutschlands nachhaltig helfen. ({5}) Die Weidetierprämie, die ja von Kolleginnen und Kollegen einer bestimmten Partei hier wirklich vehement bestritten worden ist und wo in den letzten dreieinhalb Jahren nun wirklich überhaupt kein Fortkommen war, die gibt es jetzt. Zwar handelt es sich um eine gekoppelte Zahlung – das ist ja auch als Teufelswerk beschrieben worden –, aber wir bekommen sie. Über die Weidetierprämie bekommen wir auch die Honorierung gerade von kleineren Betrieben. Das Halten von Muttertieren wird honoriert, wofür 2 Prozent der Direktzahlungen vorgesehen sind. Das entspricht einer Summe von 85 Millionen Euro und ist, finde ich, auch eine ausgesprochen gute Leistung. ({6}) Wir haben jetzt den Einstieg in den Ausstieg aus den Flächenprämien, und der ist unwiderruflich, wie Frau Heinen-Esser das auch zu Recht beschrieben hat. Die nächste Förderkulisse wird – hoffentlich – Fläche nicht mehr honorieren. Die nächste Förderkulisse wird – hoffentlich – soziologischen, ökologischen und ökonomischen Fortschritt in der Landwirtschaft in ihrer Vielfältigkeit belohnen. Das ist meine große Hoffnung und die meiner Fraktion. ({7}) Entscheidend ist – darüber haben wir gerade gestern in einer Fachleutekonferenz gesprochen; das sollte man nicht verhehlen –: Wie kommt dieses Belohnungssystem eigentlich zu den Bäuerinnen und Bauern? Wenn man sich das System vor Augen führt, dann kann man sich vorstellen, dass das einen unfassbaren Blätterwald bedeutet, an dem man vermutlich verzweifeln kann. Aber wir haben mittlerweile Systeme – auch aufgebaut über die InVeKoS, über Satellitentechnik, über Drohnentechnik und über ein vernünftiges Interface für den Landwirt –, um per Computer die Anträge stellen zu können. Es wird keinen sonderlich überraschen, Artur Auernhammer schon lange nicht: Das zentrale Handwerkszeug, um gerade auch die Herausforderungen der GAP bewältigen zu können, ist natürlich die Digitalisierung. ({8}) Das, Frau Ministerin, ist nicht Ihre Aufgabe. Aber wir haben einen Verkehrsminister, der für das digitale freie Fahren in Deutschland zuständig ist. Damit unsere Landwirtinnen und Landwirte ihre Nachrichten übermitteln können, brauchen wir Investitionen in die digitale Infrastruktur, ({9}) entsprechend dem Motto „Mehr Geld, schneller Geld, effizienter Geld“. Ich bitte Sie, im letzten halben Jahr dieser Legislaturperiode Herrn Scheuer davon zu überzeugen, dass es gut angelegtes Geld ist. ({10}) Zu der IT selber. Ich muss feststellen, dass wir besser geworden sind. Ich hätte die Entwicklungen in den letzten dreieinhalb Jahren nicht für möglich gehalten. Ich finde, dass wir dort wirklich gut geworden sind, aber noch nicht gut genug. Wir müssen so gut sein, dass ein Landwirt am Abend seiner Entscheidung, die er ja planen muss, dazu in der Lage ist, per Interface den Antrag zu stellen. Dieser muss übermittelt werden mit den vorliegenden Bodenwerten, mit den vorliegenden Daten, welche Frucht er aufbringen wird, und mit der Berechnung, welche CO2-Fracht und welche Endfracht er haben wird und, und, und. Der Landwirt muss dazu in der Lage sein, den Antrag zu stellen, und er muss dann innerhalb kürzester Zeit die Antwort vom Amt bekommen, dass er das Geld bekommt oder welche Anforderungen an ihn gestellt werden, damit das erledigt werden kann. Wenn wir das erreicht haben – und das sehe ich als Zukunftsperspektive –, dann, denke ich, werden die deutsche Landwirtschaft, aber auch die deutsche IT-Technik und die deutsche Landmaschinentechnik einen guten Weg gehen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Spiering. – Der nächste Redner für die Fraktion der FDP ist der Abgeordnete Dr. Gero Hocker. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich möchte, bevor ich zu den Vorlagen spreche, gerne zwei Worte an Sie richten. Ich habe nämlich den Eindruck, dass Sie einem ganz fürchterlichen Missverständnis aufgesessen sind, nämlich dem Missverständnis, dass man immer nur irgendwelche Transferzahlungen geradezu ins Schaufenster stellen müsse – egal ob GAP, ob Dürrehilfen oder „Bauernmilliarde“, die ja zum Teil noch verlost wird – und damit die Zustimmung von Landwirtschaft sozusagen erwerben oder gewinnen könne. ({0}) Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Sie sind damit wirklich einem Irrglauben aufgesessen; denn die Landwirte, meine Damen und Herren, mit denen ich spreche, sagen mir klipp und klar: Wir haben gar kein Interesse daran, quasi wie das Kaninchen auf die Schlange starren zu müssen, abzuwarten, welche finanziellen Mittel uns der Gesetzgeber zuschiebt, sondern wir sehen uns in erster Linie als Unternehmerinnen und Unternehmer, die nichts mehr brauchen als verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen, die Politik schaffen muss. ({1}) Sich davon abhängig zu machen, dass es ja vielleicht auch irgendwann mal andere Mehrheiten gibt – vielleicht haben wir in wenigen Monaten eine schwarz-grüne Bundesregierung; wer weiß es? –, ({2}) sich davon abhängig zu machen, dass Politik über Betriebsmodelle entscheidet, und sich davon abhängig zu machen, dass Politik Geld transferiert, das ist kein dauerhaftes Geschäftsmodell, und die Landwirte da draußen wissen das. Es wird allerhöchste Zeit, dass Sie das auch realisieren, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Wenn Sie glauben, dass es ein Weg wäre, Mittel aus der ersten in die zweite Säule sozusagen verschieben zu können, dann sage ich Ihnen: Das ist faktisch eine Einkommenskürzung, ({4}) weil der Landwirt, um das gleiche Einkommen erzielen zu können, mehr Auflagen, mehr Bürokratismus, mehr Verwaltung bewerkstelligen muss. Die Landwirte, die vor einigen Monaten demonstriert haben, haben eines sehr deutlich gesagt: Wir möchten auf eure Transferzahlungen, die bei der „Bauernmilliarde“ am Ende ja auch noch verlost werden – ich will das ganz ausdrücklich betonen –, lieber heute als morgen verzichten, wenn ihr uns endlich entlasten würdet von der überbordenden Bürokratie und Abstand nehmen würdet von dem Versuch, immer wieder Einfluss zu nehmen auf das Geschäftsmodell, das wir uns ausgedacht haben. – Das ist die Realität da draußen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Landwirte haben ein ureigenes Interesse daran, mit den Ressourcen nachhaltig und effizient umzugehen, Boden, Luft und Wasser zu schützen, Insekten zu schützen, Blühstreifen anzulegen und viele andere Dinge mehr. ({6}) Und ich sage Ihnen auch ganz ausdrücklich: Wir müssen gemeinsam aufpassen – die Ministerin hat es selber gesagt –, dass wir den Betrieben auch in 10 und in 20 Jahren noch eine Perspektive geben und eben nicht Anreize dafür setzen, dass unsere Landwirte in 10 oder in 20 Jahren nicht mehr Lebensmittel und Futtermittel höchster Qualität erzeugen, sondern zu staatlich bestellten Landschaftspflegern werden. Das kann keine Perspektive für Landwirtschaft in Deutschland sein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Abgeordnete Dr. Kirsten Tackmann. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte geht es in erster Lesung um ein Gesetzespaket zur zukünftigen EU-Agrarförderung und um den Antrag meiner Linksfraktion zur Einberufung eines Runden Tisches zur Sicherung der Zukunft von Freiland- und Weidetierhaltungen. Beides sind extrem wichtige Themen. Aber ich fühle mich, ehrlich gesagt, in agrarpolitischen Debatten aktuell in der Zwickmühle; denn es läuft so viel im Agrar- und Ernährungssystem falsch, dass selbst richtige Korrekturen hier und da nicht wirklich helfen. Eine konzernfreundliche Agrarpolitik auf EU- und Bundesebene hat doch Agrarbetriebe gerade in eine Sackgasse manövriert. Nun werden sie zerrieben zwischen gleich drei gleichzeitig auftretenden Krisen: der Klimakrise, der ökologischen Krise und ihrer eigenen sozialen Krise. Diese Krisen haben eine gemeinsame Ursache: ein Wirtschaftssystem, das profitgetrieben ist statt von Vernunft. ({0}) Solange sich das nicht ändert, geht es nicht um Genesung, sondern eigentlich nur um Symptomlinderung. Als Tierärztin weiß ich natürlich, dass auch diese oft wichtig ist. So betrachtet ist beim jetzigen Stand der Diskussion zur zukünftigen EU-Agrarpolitik nach langen Kämpfen das Glas wohl eher halbvoll als halbleer; denn die Gelder werden zukünftig stärker zumindest an Maßnahmen für mehr biologische Vielfalt oder für den Klimaschutz gebunden, und das ist richtig so. Aber das ist für die Betriebe auch eine Herausforderung. Dass dies möglicherweise nicht reicht, ist auch ein Problem. Wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene fehlen auch noch, zum Beispiel zur Einkommenswirksamkeit der Agrarförderung. Bisher werden nämlich nur die Kosten für Fördermaßnahmen erstattet. Natürlich wird ein Agrarbetrieb, der ums Überleben kämpft, eher mehr für Klima und Natur leisten, wenn er damit gleichzeitig seine eigene soziale Lage verbessern kann. Auch deshalb ist uns Linken so wichtig, dass EU-Agrarförderung eben auch sozial wirkt. ({1}) Dazu wird die Weidetierprämie beitragen, die nun endlich kommen soll. Die Linke hat das viele Jahre gefordert. ({2}) Weidetierhaltende dürfen nicht länger an der Armutsgrenze arbeiten müssen. ({3}) Aber warum, frage ich, erst 2023? Das könnten wir schon für 2022 beschließen. Das wird Die Linke auch beantragen. ({4}) Denn diese Tierhaltung steht durch viele Zielkonflikte massiv unter Druck. Umso wichtiger wäre ein runder Tisch zur Sicherung der Freiland- und Weidetierhaltung, den meine Fraktion beantragt hat. ({5}) Dass die Mehrheit den breiten Dialog heute verweigert, ist aus meiner Sicht absurd. ({6}) Gut ist, dass Agroforstsysteme, also die Baumnutzung in der Landwirtschaft, zukünftig gefördert werden. Auch das hat Die Linke lange gefordert. Aber warum denn nur auf dem Acker? Das wäre doch auf dem Grünland genauso sinnvoll, wenn naturschutzfachlich nichts dagegenspricht. Zum Beispiel wären Bäume als Schattenspender auf Weiden wichtig. Deshalb muss das gefördert werden. ({7}) Auch Frauen müssen mehr von Agrarfördermitteln profitieren können. Ziel muss am Ende sein, dass die Agrarbetriebe gefördert werden, die Verbündete für mehr Nachhaltigkeit sind oder sein wollen, und dazu gehören auch Agrargenossenschaften. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Abgeordnete Renate Künast. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landwirtschaft hätte mehr Zukunft verdient – mehr Zukunft, als in diesen Vorlagen steckt. Die Landwirtschaft hätte auch mehr Neuausrichtung, mehr Honorierung von Gemeinwohlleistungen verdient, als in dieser Vorlage steckt. Und nein, Frau Ministerin, das ist noch nicht der Paradigmenwechsel. ({0}) Mit diesen Vorschlägen kommt die Landwirtschaft noch nicht aus der Sackgasse. Was mich als Allererstes stört, ist, dass diese Vorlagen einer Aufgabe gar nicht gerecht werden, nämlich der Erfüllung der Vorgaben nach dem Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Danach wäre eigentlich eine nochmalige Überarbeitung erforderlich, auch nach den AMK-Beschlüssen. Warum? Sie haben im neuen Klimaschutzgesetz als Budget für die Landwirtschaft einen Ausstoß von 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bis 2030 vorgesehen. Wissen Sie, das sind gerade mal 2 Millionen Tonnen weniger als im alten Klimaschutzgesetz. Das ist nicht trivial, meine Damen und Herren. Warum? Weil die ganze Debatte über den Kampf gegen die Klimakrise, das Aufhalten des Klimawandels und des Verlustes an Artenvielfalt doch nicht irgendeine Spielerei ist. Das ist Grundlage unseres Lebens und übrigens auch Grundlage des Wirtschaftens der Landwirtschaft. ({1}) Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Wollen Sie einer Grünen nicht glauben, glauben Sie einem CDUler. Der Gerade-noch-Kollege Armin Schuster, heute Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, hat gerade gesagt: Es gibt schon die eine oder andere Gemeinde, die mit dem Problem Trinkwasserknappheit konfrontiert ist, gepaart mit einem sinkenden Grundwasserspiegel und in Konkurrenz zur Landwirtschaft. Wir befürchten, dass das Problem noch zunimmt. Meine Damen und Herren, es geht darum, dass die Landwirtschaft irgendwann ihre Grundlagen nicht mehr hat, gesellschaftliche Akzeptanz für einige Praktiken und auch die Grundlagen verliert. Deshalb sage ich: Diese Vorlagen reichen eigentlich nicht aus. ({2}) Sie sind auch noch zu dünn, weil sie Greenwashing, wie beim Greening der vorhergehenden europäischen Agrarpolitik, ermöglichen. Sie sind, meine Damen und Herren, nicht ausreichend, weil Sie den großen Weg und Schritt zu einer 100-Prozent-Gemeinwohlprämie nicht machen. Fast 400 Milliarden Euro werden in sieben Jahren ausgegeben – fast 400 Milliarden Euro, meine Damen und Herren! –, und dann machen wir eine kleine Reform. Das ist ungefähr so, wie den Bauern märkischen Sand in die Augen zu streuen. Was wir bräuchten, meine Damen und Herren, ist ein ganzheitliches Konzept. Ich will sagen, was fehlt und leider auch in dieser Legislaturperiode nicht angepackt wurde. Es fehlt die Nachfrageseite. Wir müssen doch Produktions- und Nachfrageseite wie Puzzlestücke zueinanderbringen, meine Damen und Herren, die Gemeinschaftsverpflegung umbauen – um nur ein Beispiel zu nennen – und den Verkauf ermöglichen. ({3}) Lassen Sie mich zum Schluss, Frau Klöckner, noch eines sagen: Schön, dass Sie die Grünen so lobend erwähnt haben, die jetzt scheinbar die unterschiedlichen Agrarstrukturen in Deutschland erkannt haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Die kannten wir schon immer. ({4}) Wahr ist: Diese Vorlage wäre heute nicht mal so, wenn nicht die grünen Agrarminister Ihrer Beschimpfung, der Beschimpfung durch die Ministerin, durch die Agrarminister der Länder von SPD, CDU, FDP und den Linken nicht standgehalten hätten, meine Damen und Herren. ({5}) Zum Beispiel: Aus 7,5 Prozent Umschichtung –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, die Zeit ist um.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– wurden am Ende 15, meine Damen und Herren. ({0}) Wir müssen richtig ran. Die Tierzahlen müssen runter, der Pflanzenbau muss neu gedacht werden, wir müssen Landwirtschaft anders machen. Was Sie hier vorlegen, ist definitiv nicht genug. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Artur Auernhammer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion und ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. Bitte schön. ({0})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin hat recht: Heute ist ein wichtiger Tag für die deutsche Landwirtschaft; denn es geht um die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik und um die Verteilung der Gelder in den nächsten sieben Jahren. ({0}) Ich finde, wir sind hier auf einem guten Weg, der seinen Diskussionsprozess hinter sich hat, aber auch noch vor sich hat. Ich möchte schon betonen: In der Agrarministerkonferenz waren es die Minister aus Brandenburg und Sachsen, namentlich von den Grünen, die eine größere Stärkung der kleineren Betriebe, eine bessere Ausstattung mit Finanzmitteln verhindert haben – im Gegensatz zu unserer bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. ({1}) – Frau Künast, ich weiß, dass Ihnen das jetzt nicht passt, aber das müssen Sie jetzt ertragen. Wir müssen in dieser Gemeinsamen Agrarpolitik – da bin ich auch teilweise beim Rainer Spiering – wieder mehr wegkommen von der reinen Flächenförderung, ({2}) mehr hin zu den Arbeitskräften, zu den Bäuerinnen und Bauern, die hier arbeiten. Gemeinsame Agrarpolitik ist in erster Linie nach wie vor Einkommenspolitik für unsere landwirtschaftlichen Betriebe, meine Damen und Herren. ({3}) Wenn wir in dieser Gemeinsamen Agrarpolitik mit stärkeren, mit größeren Umweltauflagen agieren, muss es auch praktikabel sein. Es muss für die Betriebe draußen nachvollziehbar sein. Da ist der Klimaschutz natürlich eine große Herausforderung. Da sind Dinge eine Herausforderung, die noch auf uns zukommen werden. Da ist ein Schlüssel zur Lösung auch die Digitalisierung. Ich bin voll dabei, dass wir sagen: Wir müssen diese modernen Techniken nutzen, aber sie müssen auch nutzbar sein für kleinbäuerliche Betriebe. Ich sage hier ganz deutlich: Es kann nicht sein, dass nur Großbetriebe davon profitieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was mich ganz besonders freut, ist die stärkere Förderung der Junglandwirte. Da wäre man am liebsten selber noch Junglandwirt. Bei mir ist das ein paar Wochen zu spät. Aber ich finde es gut, dass wir gerade bis zu den ersten 120 Hektar mit 70 Euro pro Hektar mehr fördern. Das ist auch eine Motivation für die jungen Menschen im ländlichen Raum, den Beruf des Landwirts zu ergreifen. Und ja, es ist leicht, zu sagen, man sollte die Direktzahlungen abschaffen, man sollte sie zurücknehmen und dergleichen. Aber man braucht Einkommensalternativen, und die sehe ich leider nicht. Ein Thema, das auch angesprochen worden ist, ist die Einführung der sogenannten Weidetierprämie. Finde ich prinzipiell gut, nur müssen wir auch darüber diskutieren: Was ist alles ein Weidetier? Sind es die Schafe? Sind es die Mutterkühe? Was ist mit den Pferden? Man kann sogar sagen: Was ist mit den Bienen, die zurzeit sehr viel Arbeit haben? Man muss hier schon alles im Blick haben. Ich denke, die Einführung einer Weidetierprämie darf nicht dazu führen, dass wir mit dieser Weidetierprämie jetzt eine Alibifunktion haben und sagen: Jetzt sind die Weidetierhalter besser ausgestattet. Jetzt brauchen wir beim Wolf nicht so handeln, wie wir eigentlich handeln müssen. – Wir müssen auch beim Thema Wolf stärker durchgreifen. Und die große Herausforderung, die großen Sorgen, die unsere Weidetierhalter haben, ist nicht die Zahlung von irgendwelchen Geldern, ({4}) sondern es ist die Angst vor dem Wolf. Das muss uns auch klar sein. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden die eingebrachten Gesetzesvorlagen im Agrarausschuss beraten. Ich hoffe, dass wir auch das eine oder andere vielleicht noch nachjustieren können. Ich persönlich wäre natürlich – ja – ein großer Freund davon, dass wir die kleineren Betriebe noch besser stärken; denn eins ist auch klar: Unsere Bäuerinnen und Bauern leisten auf den Höfen tagtäglich eine gute Arbeit. Das sollten wir auch honorieren. Vielen Dank. ({6})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Weltwirtschaftsforum steht in diesem Jahr unter dem Motto „Great Reset“ – Großer Umbruch. Regierungsvertreter und vom Staat alimentierte Nicht-, also doch Regierungsorganisationen planen den Umbau der westlichen Gesellschaft. Digitalisierung, Klima- und Coronahysterie, Energiewende und missbrauchte Jugendliche werden benutzt, um ideologische Konzepte umzusetzen. Wissenschaft, Innovation, Technologie sollen planwirtschaftlich gesteuert werden. Nicht mehr der souveräne Kunde soll entscheiden, was produziert werden muss und soll, sondern Klimaideologen und Funktionäre. Es sollen nur noch Unternehmen unterstützt werden, die sogenannt klima- und umweltfreundlich sind. Unternehmen sollen also nicht mehr in allererster Linie Produkte erstellen, Umsatz und Gewinn machen, um die Gesellschaft zu stützen, sondern im Sinne der Regierung Wohlverhalten zeigen. Das heißt nichts anderes als die Aushöhlung der sozialen Marktwirtschaft hin zu einer ökosozialistischen Planwirtschaft, meine Damen und Herren. ({0}) Die ersten Vordenker wollen denn auch schon Demokratie und Eigentum abschaffen. Sie glauben das nicht? Ich darf das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit aus dem Jahre 2017 und aus der Smart City Charta zitieren: „Vielleicht wird Privateigentum in der Tat ein Luxus“ oder: „Verhaltensbezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen“, meine Damen und Herren. Aha! Klaus Schwab, Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums: Du wirst nichts mehr besitzen, aber glücklich damit sein. – Oder Wolfgang Schäuble: „Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen“. ({1}) Eine Finanzunion wäre ebenfalls ganz klar grundgesetzwidrig, meine Damen und Herren! ({2}) Was bedeutet der große Umbau also im Gesamten? Er bedeutet Staatsdirigismus, Gängelung der Unternehmen, Deindustrialisierung, Einschränkung der grundgesetzlichen Freiheiten, weniger Demokratie, Umverteilung von Fleißig zu Reich, von Mittelstand zu Großunternehmen, von Deutschland zur EU. ({3}) Er bedeutet weiterhin den Verlust von Produktivität, Innovationskraft, Arbeitsplätzen und Wohlstand. Er bedeutet Quoten statt Leistung und eine weitere Spaltung der Gesellschaft, meine Damen und Herren. Diese Bundesregierung, die das vorantreiben möchte, ist ein Fall für den wirklichen Verfassungsschutz. ({4}) Wir brauchen als Gegenteil zu dieser ökosozialistischen Planwirtschaft Lösungen der tatsächlichen Probleme der Menschen. Wir brauchen eine Entideologisierung und mehr direkte Demokratie. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem nächsten Redner, und das ist der Kollege Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sogenannte Alternative beglückt uns heute mal wieder mit einer Reihe vollkommen absurder Anträge. Da wird von einem „Great Reset“ des Weltwirtschaftsforums gefaselt, muss man sagen. ({0}) Es wird so getan, als wenn das morgen in Gesetzeskraft erwächst; dabei sind es Ideen einiger weniger. Alles ist natürlich vollkommener Unfug; aber es reiht sich in das Vorgehen der AfD ein. Sehr durchschaubar: Sie spielen hier erst etwas auf, machen den Menschen Angst und gerieren sich dann als vermeintlicher Retter. ({1}) Meine Damen und Herren, das bedeutet nichts anderes, als dass die geneigten Verschwörungstheoretiker von den Verschwörungspraktikern der AfD bedient werden sollen. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({2}) Da wird in einem Antrag zum Green Deal der menschengemachte Klimawandel geleugnet; das kennen wir. Sie propagieren Umverteilungsmythen. Meine Damen und Herren, mein Vorschlag ist – das trägt wirklich zur Belustigung bei –: Schauen Sie sich mal die erste Fußnote in dem Antrag an. ({3}) Die spricht für die Qualität dieses Antrags und der Erarbeitung. Meine Damen und Herren, Lösungsvorschläge sucht man im Übrigen vergeblich. Dann haben wir noch einen vollkommen veralteten Antrag aus dem Juli 2020. Auch das lohnt sich, diesen Antrag zu lesen. ({4}) Da wird von der AfD gesagt – das ist vollkommen sicher –: Wir kriegen allein im deutschen Einzelhandel im Jahr 2020 50 000 Insolvenzen. – Der Vorteil an solchen total veralteten Anträgen ist ja: Man kann den Wahrheitsgehalt überprüfen. ({5}) Kompletter Unfug! ({6}) Die Bundesregierung hat probate Maßnahmen ergriffen, wenngleich – das müssen wir sagen – die Lage im deutschen Einzelhandel ernst ist. – Aber so viel zur Qualität Ihrer Anträge. Ich finde sie auch deswegen bemerkenswert, weil sie immer nach denselben Mustern funktionieren. Es gibt sozusagen zwei Hauptbedrohungen. Das eine sind die gefährlichen multinationalen Konzerne, und das andere ist die Globalisierung. ({7}) Warum ist das bemerkenswert? Weil wir uns einfach mal anschauen, welche Vita die Fraktionsvorsitzende dieser sogenannten Alternative hat: Frau Alice Weidel. Ich fand es bemerkenswert, dass ausgerechnet Frau Alice Weidel sozusagen an der vordersten Front der Globalisierung kräftig Geld verdient hat: bei Goldman Sachs und bei Allianz Global Investors. ({8}) Merkwürdig, ganz merkwürdig. Sie sollten die Verhältnisse in Ihrer Fraktion mal klären. ({9}) Meine Damen und Herren, kommen wir aber zum Wesentlichen. Worum geht es im Kern? Es geht um Wohlstand und soziale Marktwirtschaft. Ich will Ihnen nach meinem Vorredner zur Abwechslung mal mit ein paar Fakten aushelfen. Die ZEW-Konjunkturerwartungen sind auf dem höchsten Stand der letzten 20 Jahre. Wir haben ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent in 2021 und 3,6 Prozent in 2022. ({10}) Die Voranzeigen der Kurzarbeit sinken deutlich, und, meine Damen und Herren, die Auftragseingänge des verarbeitenden Gewerbes liegen seit Monaten über den entsprechenden Werten vor der Coronapandemie. ({11}) Das ist interessant, weil wir eine exportorientierte Wirtschaft sind. Ich habe mir mal die Exportnachfrage aus China angeschaut; die liegt – Stichtag heute – um 38 Prozent über den Werten des Monats März 2020. Die Exportnachfrage aus den USA: plus 9 Prozent. Das spricht für eine wirklich starke Wirtschaftsaufstellung in Deutschland. Meine Damen und Herren, wir wollen nicht darüber hinwegschauen, dass es natürlich mit dem Einzelhandel, dem Tourismus, der Gastronomie, der Unterhaltungsbranche, der Kulturbranche auch Branchen gibt, die besonders geschlagen sind und denen wir helfen wollen. Meine Damen und Herren, eins hat sich allerdings gezeigt: Kluge und mutige Unternehmerinnen und Unternehmer haben die deutsche Wirtschaft in die Verfassung gebracht, in der sie sich heute befindet, nämlich außergewöhnlich stabil. Das sehen im Übrigen nicht nur wir so. Der renommierte Bloomberg Innovation Index 2020 weist die bundesdeutsche Volkswirtschaft als die innovativste Volkswirtschaft auf diesem Planeten aus. Das, ehrlich gesagt, ist mal einen Applaus an die Bundesregierung wert. ({12}) Wir setzen auf Zukunftstechnologien, Quantencomputing, 5 G, Wasserstoff, Brennstoffzellentechnologie, neue und nachhaltige Verfahren, beispielsweise zur Grundstoffproduktion und auch zur Produktion von Stahl. Das sichert Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland und in Europa. Warum klappt das? Weil wir massiv in Forschung und Entwicklung investiert haben. Wir haben mit Beginn der unionsgeführten Bundesregierung gesagt: Wir wollen auf einen FuE-Anteil am BIP von 3 Prozent kommen. – Es wurde von vielen bestritten, dass das klappen kann. Es hat funktioniert, und unser neues Ziel, auf 3,5 Prozent zu kommen, werden wir auch erreichen. Ich halte dagegen: Es wurde noch vor einem Jahr vollkommen in Abrede gestellt, dass die Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 Prozent jemals bis 2020 funktionieren kann. Es hat geklappt: 42,4 Prozent. Das spricht für die unionsgeführte Bundesregierung, für die Resilienz unserer Volkswirtschaft. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle ein ausdrückliches Dankeschön an die dort Tätigen richten, an die vielen Unternehmerinnen und Unternehmer, an die führenden Angestellten in den Unternehmen, gleich, ob im Handwerk oder in der Industrie. Sie sind der Garant dafür, dass es in Deutschland so gut läuft, wie es läuft. Das kann sich sehen lassen. Ich danke auch der Bundesregierung für ihre kluge Steuerung der Politik. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner spricht für die Fraktion der FDP. Es ist der Kollege Reinhard Houben. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die AfD hat uns mit drei Anträgen beglückt. Der eine ist ein Jahr alt, der andere besticht dadurch, dass er genau eine inhaltliche Forderung hat, ({0}) und der dritte setzt sich, wie schon angesprochen, mit dem Weltwirtschaftsforum und dem Great Reset auseinander. Das ist eine private Initiative. Das ist eine Initiative, die eine Debatte anregen möchte, so wie viele andere private Initiativen auch. Dieser Beitrag hat Stärken, und er hat Schwächen. Aber entscheidend, meine Damen und Herren, ist doch: Warum um Himmels willen macht die AfD eine solche Initiative einer Nichtregierungsorganisation zum Thema hier im Deutschen Bundestag? Dazu findet man Hinweise im Kleingedruckten: Es geht darum, Verschwörungstheorien voranzutreiben, ({1}) Verschwörungstheorien einer breiteren Öffentlichkeit vorzutragen, in die politische Debatte einzubringen. Es wird mit der Angst gespielt, dass nicht mehr Regierungen regieren, sondern irgendwelche privaten, häufig kapitalistischen, kapitalreichen Initiativen. Natürlich ist klar, dass sich Politik nicht für Interessen einzelner Unternehmen, für einzelne Interessengruppen starkmachen kann. Aber darum geht es der AfD eigentlich auch gar nicht; auch wenn sie von einer schleichenden Abkehr vom Parlamentarismus spricht. Es geht Ihnen, wie gesagt, darum, Verschwörungstheorien voranzutreiben. Wenn man sich anguckt, wer bei dem Thema „Great Reset“ mit welchen Formulierungen und mit welchen Forderungen alles unterwegs ist, kann ich nur sagen: Da haben Sie sich ja tolle Partner außerhalb des Parlamentes ausgesucht. Das sind hauptsächlich Querdenker und besonders renommierte, bekannte Rechtsradikale. ({2}) Wer diese Dinge vorantreibt – da gibt es häufig auch noch solche Begrifflichkeiten wie „Globalismus“ –, der bewegt sich ganz eindeutig in die Richtung, bestimmte Personengruppen zu diskreditieren. Es geht Ihnen im Grunde darum, über den Umweg Kapitalismuskritik, Globalismuskritik zu einer antisemitischen Stimmung in unserem Land beizutragen. ({3}) Sie sind dabei erwischt worden. Sie sind in schlechter Gesellschaft. Sie sind entlarvt. Geben Sie es zumindest zu! Vielen Dank. ({4})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ich wirklich mal hier im Bundestag stehen würde und das Weltwirtschaftsforum in Davos verteidigen muss, hätte ich auch nie gedacht. ({0}) Herr Kotré, Sie stellen sich hierhin und sagen: Das Weltwirtschaftsforum in Davos sei der Ort, wo der ökosozialistische Umsturz geplant werde. – Ehrlich gesagt: Gucken Sie sich Ihre Reden im Nachgang eigentlich mal an? Das ist ja peinlich; da kann man sich einfach nur fremdschämen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Sie haben Ihren Antrag überschrieben mit: „Green Deal zum Wohle der deutschen Wirtschaft beenden“. Ich frage mich ehrlich gesagt: Für wen sprechen Sie da eigentlich? Ich hab mir gedacht, ich gucke mal nach, was der BDI dazu sagt. Der BDI sagt auf seiner Homepage: „Die deutsche Industrie sieht mit dem EU Green Deal Chancen für den heimischen Standort.“ Sie sehen darin Chancen: wirtschaftspolitische Chancen, arbeitsmarktpolitische Chancen und auch eine Chance für die Zukunft unseres Landes. Das ist die richtige Herangehensweise. Die Industrie ist viel, viel weiter als der rechte Rand in diesem Hause, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Während die AfD hier noch das Ob eines Green Deals diskutieren will, nutzen wir doch lieber die Zeit, um darüber zu diskutieren, wie wir diesen Green Deal ausgestalten. Für die SPD ist glasklar: Das kann nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehen, das kann nur mit den Gewerkschaften gehen. Die Parteien der Sozialpartnerschaft sind auch bei der Transformation unserer Industriegesellschaft unsere ersten Ansprechpartner. ({3}) Doch lassen Sie uns gemeinschaftlich noch ein Wort davorstellen: Lassen Sie uns vom „Social Green Deal“ sprechen. Das muss doch unsere Antwort sein. Wir wollen die Transformation unserer Industriegesellschaft sozial verträglich hinbekommen, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit den Beschäftigten, mit den Kommunen. Darin liegen Riesenchancen; die müssen wir gemeinschaftlich nutzen und nicht anfangen, Menschen gegeneinander auszuspielen. Aber die AfD kann ja nichts anderes, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Wenn man sich mal anguckt, was da in diesem Konglomerat der Anträge alles gefordert wird: Zum Beispiel sollen wir uns vom Atomausstieg verabschieden, ({5}) die AKW-Laufzeiten verlängern; ({6}) das fordern Sie. Dann fordern Sie, dass man den Wegfall aller Energiesubventionen auf den Weg bringt. Das widerspricht doch dem ersten Punkt. ({7}) Meinen Sie, die Atomkraft in Deutschland würde sich rechnen, wenn sie nicht jahrzehntelang subventioniert worden wäre? Ihre ganzen Punkte passen doch gar nicht zusammen. ({8}) Darüber hinaus fordern Sie die vollständige Abschaffung des EEG, des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Einfach weg damit und zurück in die Vergangenheit! ({9}) Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, damit helfen Sie der Industrie nicht. Damit helfen Sie dem Mittelstand nicht, und damit helfen Sie auch den Mieterinnen und Mietern, den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht. Das ist nämlich der völlig falsche Weg. Natürlich können wir noch so weiter wirtschaften wie bisher. ({10}) – Ja, wir können das tun: in der Kohleindustrie, in der Stahlindustrie, in der Automobilindustrie; können wir noch machen, drei Jahre, vielleicht fünf Jahre, wenn es gut läuft, vielleicht noch sieben Jahre. Aber dann tragen wir in Deutschland die rote Laterne, weil dann alle an uns vorbeigezogen sein werden. ({11}) Das ist ein Weg in die Vergangenheit, den Sie beschreiten. Wir müssen jetzt die Chance nutzen, dass wir an die Spitze kommen. In vielen Bereichen sind wir das schon, zum Beispiel bei der Energiewende, beim Klimaschutz. Denn hier liegen die großen wirtschaftlichen Chancen unserer Industrienation. Deswegen gilt es, jetzt gemeinschaftlich die Transformation zu begleiten. ({12}) Das machen wir auch, indem wir sagen: Klimaschutz sozialverträglich gestalten, das ist die Aufgabe der Zeit. Kein Klimaschutz ist sehr viel teurer als Klimaschutz, gerade für den Mittelstand und die Wirtschaft insgesamt. Wir federn das ab. Wir haben eine Carbon-Leakage-Verordnung auf den Weg gebracht, um die Auswirkungen für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, abzumildern. Wir haben einen CO2-Preis eingeführt, der sozialverträglich steigt. Wir haben die EEG-Umlage schrittweise auf 5 Cent in spätestens drei Jahren gesenkt. Wir haben die Pendlerpauschale erhöht. Wir haben Mieterstrommodelle auf den Weg gebracht, damit auch Menschen in Mietwohnungen von preiswerter erneuerbarer Energie profitieren können. Wir haben die E-Mobilitätsförderung auf den Weg gebracht. Wir haben auch das Dilemma der CO2-Mehrkosten so gelöst, dass sie zwischen Vermieter und Mieter im Verhältnis 50 : 50 aufgeteilt werden. Sie sehen, wir haben einiges auf den Weg gebracht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Gucken Sie doch einfach mal nach Sachsen-Anhalt. Dort wurde in Bitterfeld vor zwei Tagen eine neue Solarzellenfabrik eröffnet. Dort entstehen 350 neue Arbeitsplätze in der Solarmodulfertigung. ({13}) Und das Silicium, was da genutzt wird, kommt nicht aus China; das kommt aus Europa. ({14}) Das sind Arbeitsplätze, deren Schaffung der SPD-Wirtschaftsminister Armin Willingmann dort vorangebracht hat. Das zeigt, dass die Energiewende auch in Ostdeutschland Arbeitsplätze schafft; denn es ist mittlerweile preiswert geworden, dort Module und Solarzellen herzustellen, sodass es sich gar nicht mehr lohnt, diese aus China zu importieren, weil wir es hier preiswert und richtig können. Das ist moderne Industriepolitik. Das ist moderne Energiewende, die Arbeitsplätze schafft. ({15}) Ja, und da sind Sie auf einmal sprachlos, weil wir Sie entlarven. ({16}) Wir sorgen dafür, dass auch im Osten unserer Republik gute, moderne, zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({17}) Ich sage Ihnen: Seien Sie von der AfD doch wenigstens ehrlich! Sagen Sie doch nicht, Sie wollen einen Wahlkampf führen mit „Deutschland. Aber normal“. Sie wollen einen Wahlkampf führen: Deutschland. Aber von gestern. – Da machen wir nicht mit. In diesem Sinne: Alles Gute und Glückauf! ({18})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Timon Gremmels. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Alexander Ulrich. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben recht damit, dass wir heute sehr lange tagen und dass wir das Ganze ein bisschen beschleunigen müssen. Wir strengen uns alle an, aber unser größtes Problem besteht darin, dass wir über solche Schwachsinnsanträge wie die vorliegenden reden müssen. Diese Zeit könnten wir uns wirklich sparen. ({0}) Mit den drei Anträgen der AfD langweilt man draußen jeden, der auch nur ein bisschen wirtschaftspolitische Kompetenz hat. Das, was da vorgeschlagen wird, ist eigentlich keine Debatte wert. Es würde zudem dazu führen, dass in Deutschland zukünftig Millionen von Arbeitsplätzen gefährdet wären. Das ist die Alternative für Deutschland: Sie wollen Wohlstand gefährden und viele Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit treiben. – Insofern lehnen wir diese drei Anträge natürlich ab, und das müssen wir deutlich zur Sprache bringen. ({1}) Man braucht das, was hier schon gesagt worden ist, eigentlich nicht zu wiederholen. Ich will aber noch einmal betonen: Wer den Klimawandel leugnet, wer zurück zur Atomenergie will, wer auch weiterhin Kohlekraftwerke will, der wird Deutschland ins Abseits treiben. Die Wirtschaft ist da schon viel weiter als die AfD. Ich sage es noch einmal deutlich: Mit einem sozial-ökologischen Umbau können in Zukunft viele Hunderttausende, sogar Millionen Arbeitsplätze entstehen. Wenn wir aber weiter für den Heizer auf der E-Lok kämpfen und die neuen Arbeitsplätze stattdessen im Ausland entstehen, ist das kontraproduktiv. Deshalb müssen wir den sozial-ökologischen Umbau aktiv als Staat begleiten. Was die AfD hier vorschlägt, ist aber genau das Gegenteil. ({2}) Es bieten sich auch viele Chancen. Das will ich mal an einem Beispiel deutlich machen: Ich komme aus Kaiserslautern, und da wird derzeit von Opel, PSA und weiteren Partnern eine Batteriezellenfertigung aufgebaut. Dort sollen 2 000 neue Arbeitsplätze entstehen – mehr Arbeitsplätze, als in dem Opel-Werk dort heute noch vorhanden sind. Man kann jetzt natürlich – wie die AfD – sagen: Wir wollen das alles nicht. Wir wollen am Verbrennungsmotor festhalten. – Aber dann entgegne ich Ihnen: Die Region Kaiserslautern würde industriepolitisch aussterben. Deshalb sind das notwendige Investitionen, durch die der Staat das unterstützt. Wir von den Linken erwarten aber – und da richte ich mich an meinen Vorredner von der SPD –: Wenn der Staat hier schon Hunderte von Millionen investiert, dann muss das auch mit guter Arbeit verbunden werden, mit Mitbestimmung, mit festen Arbeitsplätzen, mit Arbeitsplatzgarantien und auch mit Tarifgebundenheit. ({3}) Darum kämpfen wir als Linke. ({4}) Wir wären froh, wenn die SPD da mit uns kämpfen würde. ({5}) Die AfD will den aktiven Staat verhindern. Wir sagen – auch mit Blick auf die Coronakrise – ganz deutlich: Ohne einen aktiven Staat wären wir heute noch nicht dort, wo wir jetzt sind, wo wir schon wieder von guten Exportchancen und von Arbeitsplatzsicherheit reden. Wir brauchen einen aktiven Staat aber auch, um den sozial-ökologischen Umbau zu gestalten. Deshalb wiederholen wir unsere Forderung: Wir brauchen in Zukunft mindestens 500 Milliarden Euro an Investitionen für den Zeitraum von zehn Jahren, jetzt also 50 Milliarden Euro, um den sozial-ökologischen Umbau zu begleiten. Der freie Markt wird das nicht regeln! ({6}) Der freie Markt hat nämlich genau keine Antworten für den sozial-ökologischen Umbau. Deshalb brauchen wir mehr Investitionen, mehr Mitbestimmung, mehr Tarifverträge und Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern. Dann brauchen wir keine Angst zu haben vor der Zukunft, wie sie uns die AfD immer wieder einreden will. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Ulrich. – Als nächste Rednerin: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es eines gibt, was man aus den drei Anträgen herauslesen kann, die die AfD uns heute vorgelegt hat, dann, dass es für die AfD in den letzten Jahren verdammt schlecht gelaufen ist. ({0}) Es regnete für Sie schlechte Nachrichten: Die Automobilkonzerne haben angekündigt, sich vom Verbrennungsmotor zu verabschieden. Die Energiekonzerne verabschieden sich gleichzeitig sowohl von der Kohle als auch von der von Ihnen so geliebten Atomenergie. Die Stahlindustrie stellt auf Grünen Wasserstoff um, ({1}) die Chemieindustrie hat eine Roadmap vorgelegt, wie sie 2050 klimaneutral sein kann, und jetzt hat selbst das Weltwirtschaftsforum in Davos einen Plan zur Erreichung der Klimaneutralität vorgelegt. Ja, es läuft schlecht für Sie. ({2}) Ihr Plan ist nicht aufgegangen. Als Sie hier in den Deutschen Bundestag gekommen sind, haben Sie geglaubt, dass Sie neben dem Rassismus mit der Wirtschaftspolitik vielleicht so etwas wie ein zweites, halbseriöses Standbein entwickeln könnten – aber Ihr Problem ist die deutsche Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft will nämlich weder von Ihnen vertreten werden, noch will sie dahin, wo Sie hinwollen. Die deutsche Wirtschaft ist Ihnen einfach davongelaufen. Und das liegt nicht daran, dass die deutsche Wirtschaft jetzt so megaüberzeugt davon wäre, dass grüne Konzepte die Zukunft sind, sondern einfach daran, dass die rechnen können. Es liegt auch daran, dass es in der deutschen Wirtschaft Ingenieure gibt, die Dinge erfinden können, von denen Sie noch nicht einmal geträumt haben. Das ist Ihr Problem, und dem können Sie nicht standhalten! ({3}) Deswegen haben Sie hier drei Anträge vorgelegt, die im Endeffekt nur eines sagen, nämlich dass bitte, bitte, bitte nicht das kommt, was die Europäische Union mit dem Green Deal vorlegen will. Da habe ich aber noch eine schlechte Nachricht für Sie: Das wird kommen, und das wird schon alleine deshalb kommen, weil die überwältigende Mehrheit der Menschen in diesem Land, in Europa und auf diesem Planeten weiß, dass wir nur durch Klimaschutz die eine Zukunft retten können, die wir haben. Wir haben die Verantwortung, künftigen Generationen einen Planeten zu hinterlassen, auf dem man gut leben und auch gut wirtschaften kann. Weil die deutsche Wirtschaft das verstanden hat, hat sie mittlerweile Konzepte, mit denen sie Innovationen im Klimaschutz so ausgestaltet, dass die Arbeitsplätze und die Unternehmen eine Zukunftsperspektive haben. Das hat die deutsche Wirtschaft verstanden, und deswegen gibt es mittlerweile so viele Initiativen für einen Umbau. Ich sage Ihnen noch eins: Wenn Sie wirklich Wirtschaftspolitik machen wollten, dann würden Sie keine Anträge ohne Inhalte vorlegen, ({4}) sondern dann würden Sie sich zum Beispiel mit Themen wie dem Fachkräftemangel im Handwerk beschäftigen oder mit der Ausweitung des Verlustrücktrags, um Unternehmen in der Coronakrise zu helfen, oder mit dem Aufbau der digitalen Infrastruktur oder der Bekämpfung der Steuerflucht. Das sind alles trockene Themen, genau. Dafür benötigt man Detailkenntnisse, und das kostet viel Arbeit. Aber dafür werden Sie bezahlt. Das ist der Job, den Sie hier mal machen könnten, statt Anträge ohne Inhalt vorzulegen! ({5}) Weil wir jetzt am Ende der Legislaturperiode sind, möchte ich ganz zum Schluss noch meinen Dank an die deutsche Wirtschaft aussprechen: Sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmervertreter haben sich in dieser Legislaturperiode nie von der AfD in den Wirtschaftsausschuss einladen lassen und haben in jeder Fachanhörung Ihren menschenverachtenden Positionen widersprochen. ({6}) Dafür, für diese klare Haltung, ein herzliches Dankeschön. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katharina Dröge. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Hansjörg Müller. ({0})

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Hohes Präsidium! Werte Abgeordnete! Zuerst gibt es eine klare Ansage an die fünf Vorredner der fünf Linksfraktionen im Hause: ({0}) – „Hohes Präsidium! Werte Abgeordnete!“ habe ich gesagt. – Sie Vorredner von den fünf Linksfraktionen haben unsere Anträge intellektuell überhaupt nicht verstanden. ({1}) Sie hätten besser geschwiegen, anstatt hier billigstes AfD-Bashing zu betreiben. ({2}) Das Konstrukt des Great Reset ist durchsichtig; es hat keine demokratische Legitimierung. Zumindest nach unserem Verständnis als einziger demokratischer Fraktion hier im Hause ist das Volk der Souverän und nicht die Europäische Zentralbank oder das World Economic Forum. ({3}) Denn diese Organisationen zerstören den Kern unserer Wirtschaftsordnung. Sie zerstören die soziale Marktwirtschaft, frei nach dem Motto „Ideologie verdrängt Realität“; das haben Sie hier gerade oft genug gesagt. ({4}) Beim Green Deal ist es das gleiche Vorgehen: Vorgeblicher Klimaschutz ist die ideale Mogelpackung von euch Linken. – Das Klima regelt sich von selbst. Das Klima steht darüber und lässt sich nicht von euch Gottspielern vereinnahmen, ob ihr das jetzt begreift oder nicht. ({5}) Was Sie mit dieser Klimabesteuerung machen, das ist moderner Ablasshandel, der weder dem Bürger noch dem Klima dient. ({6}) Die CO2-Ausstöße der Industrienationen gehen nach oben, und das, was Sie vorhaben, sind lächerliche Bemühungen der EU – ein Pusten gegen den Sturm, etwas anderes ist das nicht. Das ist eine offensichtliche Abzocke. Es ist der uralte Betrug der Regierung am Bürger, die Umverteilung von Arm zu Reich, von den Fleißigen zu den Mächtigen oder aber – wir haben es ja gerade festgestellt – von den wenig Intelligenten hierher zu uns, den Intelligenten. ({7}) Das Ganze läuft jetzt nicht mehr unter der roten Fahne, wie wir das aus der Geschichte kennen, sondern es läuft jetzt in Grün, und die sogenannten Schwarzen und Gelben machen da auch noch mit! Wirklich genial gemacht ist diese Manipulation durch die Besteuerung von Luft. Vielleicht ist noch nicht jedem klar, was CO2 ist: Das ist ein Bestandteil von Luft. ({8}) Unsere beiden Anträge beenden dieses erbärmliche Ideologietheater, und wir als Alternative für Deutschland stellen unsere Wirtschaft wieder vom Kopf auf die Füße. Ich bedanke mich fürs Nichtzuhören.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie zum Ende.

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Letzte Rednerin in dieser Debatte: für die CDU/CSU Kristina Nordt. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Momente, da freut man sich als die Erben und Gralshüter von Ludwig Erhards sozialer Marktwirtschaft, dass diese mittlerweile auch von Parteien bewahrt werden möchte, die damit eigentlich nicht so viel anfangen konnten. „Soziale Marktwirtschaft für die Zukunft bewahren“ ist die tägliche Arbeit von Peter Altmaier, Elisabeth Winkelmeier-Becker, Marco Wanderwitz, ({0}) Thomas Bareiß und uns anderen 241 CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten. ({1}) Wir freuen uns, dass die FDP an der Seite der Ideen von Ludwig Erhard steht, und auch, dass diese Koalition mit den Sozialdemokraten genau in diesem Sinne arbeitet. Ich zitiere – mit Erlaubnis der Präsidentin – den Koalitionsvertrag: Die Soziale Marktwirtschaft ist der Motor, der unser Land wirtschaftlich nach vorn gebracht hat … Eine starke Wirtschaft bedeutet für uns immer auch, dass alle gerecht an den Erfolgen beteiligt werden … Eigentum und Haftung gehören dabei zusammen. Deutschland kann sich darauf verlassen, dass die soziale Marktwirtschaft der Kern, der Garant unserer wirtschaftlichen Stärke und unseres wirtschaftlichen Erfolges ist und bleibt. Dafür steht die Bundesregierung unter Angela Merkel. Dafür steht die Unions-Bundestagsfraktion unter Ralph Brinkhaus und Alexander Dobrindt. ({2}) Soziale Marktwirtschaft heißt: viele Mittelständler, Selbstständige, Handwerker, Dienstleister, Landwirte, Männer und Frauen, die im Rahmen dieses einzigartigen Wirtschaftssystems unternehmerisch tätig sind, und nicht nur wenige Großunternehmen. ({3}) Für diese Frauen und Männer und ihr Unternehmertum werden wir die bestmöglichen Rahmenbedingungen auf allen notwendigen Gebieten schaffen. ({4}) Für diese Koalition ist die Energiepolitik mit einem guten Viereck aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Bezahlbarkeit die Leit- und Richtschnur. ({5}) Bezahlbare Energiepreise sind Grundlage für unsere Wirtschaft und für jeden Einzelnen in unserem Land. Auch dafür steht die soziale Marktwirtschaft. Regelungen, die einen Ausverkauf der Perlen der deutschen Industrie sicher verhindern, sind ebenfalls Teil dieser sozialen Marktwirtschaft. Wagniskapital ist durch die KfW und andere, auch private Anbieter seit vielen Jahren Teil unserer sozialen Marktwirtschaft. Ja, mehr geht noch, aber auch da sind wir dran. In Deutschland werden die besten und saubersten Autos der Welt gebaut – auch mit Verbrennungsmotoren, weil es gute Gründe gibt, diese noch eine weitere Zeit im Angebot zu haben, zur Sicherung und Herstellung von Mobilität in der Welt. Das ist notwendig und sinnvoll. ({6}) Wir arbeiten den Bundesverkehrswegeplan auch und gerade mit Blick auf die notwendigen Teile des Straßenverkehrs so zügig ab wie möglich. Darauf können sich auch die Menschen im ländlichen Raum verlassen. Der Abbau von Bürokratie steht klar im Koalitionsvertrag. Daran arbeiten wir. Wenn sich die wenigen Damen und vielen Herren des antragstellenden Teils der Opposition in den letzten Jahren aufmerksamer mit den guten Vorschlägen der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen beschäftigt hätten, dann hätten sie die Prinzipien und die Stärkung der sozialen Marktwirtschaft in unserer Arbeit erkannt. Es ist schön, dass die AfD das Prinzip von Ludwig Erhards sozialer Marktwirtschaft gut findet. Ihren Antrag finden wir nicht gut, Ludwig Erhard würde ihn auch nicht gut finden, und es ist gut, dass er keine Mehrheit im Parlament finden wird. Vielen Dank. ({7})

Cansel Kiziltepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz ist das erste Wirecard-Gesetz. Dabei ist der Zusammenbruch der Wirecard AG noch gar nicht so lange her. Wir handeln schnell und effektiv – das war unser Anspruch –; denn es ist klar: Einen solchen Betrugsfall darf es in unserem Land kein zweites Mal geben. ({0}) Außer Frage steht: Die Finanzaufsicht BaFin muss gestärkt werden. Zukünftig kann sie gegen Bilanzbetrug eigenständig und damit besser und schneller vorgehen und Problemfälle besser überwachen. Gerade im Fall Wirecard hat sich gezeigt: An entscheidenden Stellen waren ihr die Hände gebunden. Für den BaFin-Neustart haben wir mit Mark Branson einen geeigneten Präsidenten gefunden. Mit ihm werden wir auch den notwendigen Kulturwandel, den wir lange diskutiert haben, beschleunigen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Eine zentrale Rolle im Wirecard-Skandal haben die Wirtschaftsprüfer gespielt. Die Wirtschaftsprüfer von EY haben trotz zahlreicher Warnsignale jahrelang lupenreine Testate erteilt. Wirecard-Mitarbeiter scherzten, wie einfach EY sich um den Finger wickeln ließ. Viele der von Wirecard vorgelegten Dokumente sind haarsträubend und lassen einen wirklich staunen. Damit in Zukunft ernsthafter geprüft wird, verschärfen wir mit diesem Gesetz die Haftungsregeln deutlich. Die bisherige Obergrenze der Haftung von 4 Millionen Euro war ein lobbyiertes Privileg und angesichts von nicht existierendem Wirecard-Bankguthaben in Höhe von knapp 2 Milliarden Euro nicht viel mehr als ein Scherz. ({2}) Künftig wird es die Haftungsbeschränkung bei der Prüfung von kapitalmarktorientierten Unternehmen von öffentlichem Interesse so nicht mehr geben. Dies ist in anderen großen Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon länger der Fall. Daher ist es gut, dass wir diese Regeln nun endlich angleichen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer, der APAS, sind deutliche Defizite ans Tageslicht gekommen. Wie kein anderer symbolisierte der ehemalige APAS-Leiter Unkenntnis und Selbstbedienungsmentalität. Die Compliance war mangelhaft, und die Unabhängigkeitsmatrix innerhalb der APAS demonstrierte vor allem eines: Die APAS hängt am Tropf der Big Four. Der Weg zu einer wahrlich unabhängigen Aufsicht ist noch lang. Mit dem FISG leiten wir die ersten Schritte ein. Zukünftig wird die APAS transparenter arbeiten müssen und ihre Erkenntnisse an die entsprechenden Behörden sowie die Öffentlichkeit weitergeben müssen; und das ist auch gut so. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner haben wir dafür gesorgt, dass die sogenannte Bilanzpolizei, die privatrechtliche DPR, nun Geschichte ist. Dieses Konstrukt hat im Fall Wirecard wirklich versagt. In der Zukunft wird es nur noch ein einstufiges Bilanzkontrollverfahren geben. Allerdings – das will ich hier auch erwähnen – will an dieser Fehlkonstruktion in diesem Haus allein die FDP festhalten. Ihr Gedächtnis scheint jedenfalls nicht sehr lang zu sein. Der Fall Wirecard hat deutlich gezeigt: Das Experiment der 2000er, hoheitliche Aufgaben der Wirtschaft zu überlassen, ist gescheitert. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht zuletzt profitieren vom FISG auch die Kleinanleger. Das gilt auch für das zweite Gesetz, das wir heute auf den Weg bringen. Wenn Menschen ihr hart erarbeitetes Erspartes anlegen, dann müssen sie vor Betrug und zwielichtigen Angeboten geschützt werden. Das machen wir mit dem Anlegerschutzgesetz. Deswegen gehen wir gegen sogenannte Blindpool-Anlagen vor und stärken Möglichkeiten für Prüfungen bei Vermögensanlagen. Abzocken muss ein Ende haben! Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Kiziltepe. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Kay Gottschalk. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und liebe Geschädigten! Frau Kiziltepe, wenn ich Ihre Rede höre, dann muss ich ja an partielle Amnesie in der gesamten Koalition glauben; denn Sie saßen als SPD von 1998 bis 2009 und ab 2013 in der Regierung, ab 2005 ununterbrochen die CDU. Sie brauchten 16 Jahre, um das zweistufige Verfahren abzuschaffen; das ist in der Anhörung auch deutlich geworden. Also, nun lassen wir mal die Kirche im Dorf. Dass Sie hier schnell handeln, das ist ja wohl ein Treppenwitz! Heute bringen wir also in dieser wichtigen Debatte zwei Gesetze zum Abschluss. Auch da fängt es schon an: 30 Minuten Zeit für zwei wichtige Gesetze. Wenn ich mir ansehe, über was wir hier im Hohen Hause die letzten Wochen teilweise diskutieren, manchmal sogar über Gaga-Themen – das muss man an dieser Stelle wirklich sagen –, ({0}) wir dann aber bei einem 20-Milliarden-Euro-Schaden für die Anleger, bei einem massiven Schaden der Volkswirtschaft, bei einem Vertrauensverlust der deutschen Börsen und Wertpapiermärkte nur eine halbe Stunde Zeit haben, um darüber zu diskutieren, dann ist das zumindest den Opfern dieses Skandals gegenüber ziemlich despektierlich. Das darf ich an dieser Stelle auch mal festhalten. ({1}) Kommen wir aber, bevor die Selbstbeweihräucherung nachher wahrscheinlich weitergeht, zu den wesentlichen Punkten. Ich und auch wir als AfD-Fraktion sind froh, dass man sich nun doch darüber verständigt hat – ich habe es eben anklingen lassen –, dass man dieses elende, dysfunktionale zweistufige Verfahren – Sie haben es eben erwähnt, Frau Kiziltepe – nun auch tatsächlich beerdigt und zu einem einstufigen Verfahren kommt. Aber, wie gesagt, diese Erkenntnis – das hat nämlich auch unser Untersuchungsausschuss gezeigt – gab es schon viel früher. Wenn wir hören, dass es um eine bessere Haltung in der BaFin und bei anderen Behörden geht, dann gilt das ebenso für das Finanzministerium und das Justizministerium; denn da gab es einen regen Austausch darüber, ob man nicht vielleicht zu einem einstufigen Verfahren kommen sollte. Auch das Justizministerium ist, glaube ich, SPD-dominiert. Verwundert hat mich eben, wie gesagt, dass diese Entscheidung so lange dauerte. Die Zeugin Lausch, immerhin ein hohes Mitglied einer dieser Behörden, hat schon 2014 in internen Diskussionen über das Verfahren ganz klar gesagt: Es ist für die Praxis untauglich. Ich will dazu nicht weiter ausführen, da dies alles Gegenstand in unserem Sondervotum sein wird und ich dazu auch schon im Untersuchungsausschuss mehrere Feststellungen getroffen habe. Wenn das die Antwort auf Enron, einen der größten Skandale in den Vereinigten Staaten, war, dann war sie untauglich. In Zukunft sollte auf Missverständnisse eben sofort eingegangen werden. Was Sie hier tun, ist reaktives Handeln, aber sicherlich kein Schritt in die Zukunft. ({2}) Wenn im Nachgang also Gesetze erlassen werden müssen, um Vertrauen zurückzugewinnen – nichts anderes ist das hier, weil ein Skandal geschehen ist –, dann sind Sie einfach zu spät dran, verehrte Kollegen von der Koalition. Insgesamt sind wir als AfD-Fraktion aber froh, dass der Gesetzentwurf zum Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – schönes Wort – die drei Schwerpunkte gesetzt hat, die wir bereits in unserem Gesetzentwurf hier im Hause eingebracht haben, auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist. Wir wollten ja eine Trennung von Beratung und Abschlussprüfung und auch entsprechende Beratung; das ist jedoch mit keinem Wort erwähnt worden. Wir wollten eine deutliche Verkürzung der Rotationszeit bei Abschlussprüfern. Zehn Jahre sind immer noch zu lang. Auch wenn Sie die Abschlussprüferteams austauschen: Mein Gott, tut ein Team dem anderen innerhalb des Hauses weh? Wohl kaum, so wie wir die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften kennengelernt haben. Also, lösen Sie sich da von Illusionen! Höhere Haftung bei Fehlern: Das ist begrüßenswert. Aber, liebe Kollegen von der SPD, Sie wollten eine unbegrenzte Haftung. Da hat hier wohl der Koalitionsfrieden gerade noch mal so zu einer vernünftigen Lösung geführt. Leider gehen Sie in diesen drei Punkten, wie gesagt, nicht weit genug. Auch beim Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes – darauf möchte ich noch eingehen – fehlt der große Wurf. Der wichtige Anlegerschutz war ja aufgrund der vielen Skandale schon oft Thema hier im Hohen Hause. Aber es wird endlich Zeit, Prospekte nicht nur auf Vollständigkeit, auf Verständlichkeit und Kohärenz zu prüfen, also formell, sondern hier auch – gehen Sie doch endlich diesen Schritt! – eine materiell-inhaltliche Prüfung einzuleiten; denn dann ist es echter Anlegerschutz, liebe Kollegen. Prospekte sind im Bereich Anlegerschutz nach wie vor wie ein Gütesiegel; so verstehen es die Anleger. Und relevant ist doch: Was ist der Erfahrungs- und Verständnishorizont der Anleger, verdammt noch mal, da draußen? Also lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam gehen. Vor allen Dingen, wenn Sie über Anlegerschutz reden: § 4 FinDAG, der die BaFin betrifft, wird jetzt reformiert, aber die BaFin haftet nach wie vor nicht, wenn sie Fehler begeht. Die Haftung ist mal im Zuge der Herstatt-Pleite abgeschafft worden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, ein Satz noch. – Das muss geändert werden. Wer von anderen etwas verlangt, muss auch selbst haftbar sein, wenn er Fehler macht. Die BaFin hat derer Fehler in diesem Verfahren viele begangen, meine Damen und Herren. Und – –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, nichts „und“. Jetzt ist gut.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ist gut. – Es bleibt also abzuwarten, ob dieses Gesetz die großen Erwartungen erfüllt, bis zum nächsten Knall. Aber wir werden uns als Fraktion enthalten, da es ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kay Gottschalk. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Matthias Hauer. ({0})

Matthias Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tausende Anleger haben wegen des Wirecard-Skandals ihr Erspartes verloren, Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz verloren und viele Menschen in Deutschland Vertrauen in den gesamten Finanzplatz. Es war eine richtige Entscheidung, dazu einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Deshalb stimmt nicht, was mein Vorredner gerade gesagt hat: Wir haben uns intensivst mit diesen Themen auseinandergesetzt. Ich sage auch bewusst: Es ist unsere Pflicht, uns damit auseinanderzusetzen, aufzuklären, die politische Verantwortung zu klären und vor allem auch die Lehren aus diesem Skandal zu ziehen. – Mit den ersten beiden Punkten werden wir uns Ende des Folgemonats beschäftigen, wenn wir den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vorlegen, an dem wir gerade mit Hochdruck arbeiten. Heute geht es also um den dritten Punkt, um die Lehren aus dem Wirecard-Skandal. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass sich ein solcher Skandal – Bilanzbetrug gepaart mit multiplem Aufsichtsversagen – nicht wiederholen kann. Deshalb beschließen wir heute ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der Integrität des Finanzmarktes. Das Paket ist auch ein gemeinsames Ergebnis der fraktionsübergreifend konstruktiven Arbeit im Untersuchungsausschuss und im Finanzausschuss. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich bei den Ausschussmitgliedern sowie auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. ({0}) Die Insolvenz von Wirecard hat den Bundesfinanzminister aus einem jahrelangen Aufsichtstiefschlaf abrupt aufgeweckt. Er hat dann eilig einen Aktionsplan vorgelegt, als er vor den Finanzausschuss zitiert wurde, dann einen Gesetzentwurf, als der Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Natürlich konnte der Gesetzentwurf noch keine Maßnahmen enthalten, die Erkenntnisse, die wir im Untersuchungsausschuss gewonnen haben, berücksichtigten. Alles nur, weil Herr Scholz, den ich heute leider auf der Regierungsbank vermisse, ({1}) ja lieber überhastet über Reformen sprechen wollte und nicht über unterlassene Rechts- und Fachaufsicht seines eigenen Ministeriums. ({2}) Es war deshalb dringend nötig, den Gesetzentwurf in wesentlichen Punkten zu verändern. Als Unionsfraktion haben wir deutliche Verschärfungen vorgeschlagen. Wir bedanken uns auch bei unserem Koalitionspartner, dass er da mitgeht. Wir stoßen einen Kulturwandel bei der BaFin an. Wir schaffen eine Bilanzkontrolle aus einer Hand. Wir erhöhen die Haftung bei der Abschlussprüfung deutlich, und wir schaffen mehr Transparenz bei der Verletzung von Berufspflichten. Wir stärken Aufsichtsräte, und wir verbessern Compliance-Regeln. Hunderte Stunden Zeugenvernehmungen haben gezeigt: Der Kulturwandel bei der BaFin ist dringend nötig. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens. Bei Wirecard hat die BaFin zu lange weggesehen – bei der Bilanzkontrolle, bei der Finanzaufsicht, bei der Geldwäscheaufsicht, bei Mitarbeitergeschäften. Und da, wo sie gehandelt hat, übrigens in Kenntnis der Spitze des Bundesfinanzministeriums, traf sie eine fatale Fehlentscheidung, nämlich beim Leerverkaufsverbot. Wir stoßen jetzt diesen Kulturwandel bei der BaFin an. Wir wünschen dem designierten BaFin-Präsidenten Mark Branson ein glückliches Händchen und werden ihn bei der Umsetzung konsequent unterstützen. Bei der Bilanzkontrolle machen wir einen echten Neuanfang. Das bisher zweistufige Verfahren, BaFin und private Prüfstelle, hat sich nicht bewährt. Dennoch wollten Bundesfinanzminister Scholz und Justizministerin Lambrecht daran festhalten. Wir gehen einen anderen Weg: Wir beenden den Kompetenzwirrwarr und sorgen für eine starke Bilanzkontrolle aus einer Hand. ({3}) Einer weiteren Konzentration auf dem Wirtschaftsprüfermarkt auf wenige, auf vier Prüfungsgesellschaften wirken wir gezielt entgegen. Wir wollen auch kleine und mittelständische Prüfungsgesellschaften stärker beteiligen. Dafür verkürzen wir Rotationsfristen: zehn Jahre für Gesellschaften, fünf Jahre für die Prüfungsteams vor Ort. ({4}) Mit einer deutlichen Anhebung der Prüferhaftung für Pflichtverletzungen schaffen wir zusätzliche Anreize für sorgfältige Prüfungen. Durch eine Staffelung der Haftungshöchstbeträge halten wir Prüfungsleistungen in den allermeisten Fällen versicherbar, sodass Geschädigte in Zukunft bessere Möglichkeiten haben, Schäden aus Pflichtverletzungen auch ersetzt zu bekommen. ({5}) Auf Initiative der Union schaffen wir zudem größere Transparenz bei Pflichtverletzungen. Wenn Prüfer gegen Berufspflichten verstoßen, werden künftig Ross und Reiter zu nennen sein. Wir stärken Aufsichtsräte in den Unternehmen. Wir schreiben einen Prüfungsausschuss gesetzlich vor, statten die Mitglieder mit zusätzlichen Kompetenzen aus. Zudem wollen wir auch bei Bundesoberbehörden lückenlos ein hohes Maß an Compliance schaffen – mit klaren Regeln und konsequenter Durchsetzung. Das heutige Gesetz ist wichtig; es kann aber nur der Anfang sein. Der Kulturwandel muss vorangetrieben werden. Bei Geldwäsche und Finanzaufsicht sind weitere Änderungen nötig. Wir werden auch diese Themen beherzt vorantreiben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Matthias Hauer. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Florian Toncar. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat es sich ja manchmal zur Angewohnheit gemacht, Gesetze mit einfachem Namen zu überschreiben, wie zum Beispiel das sogenannte Gute-KiTa-Gesetz. Würde sie das hier auch machen, dann müsste man sagen: Es soll heute das Schlechte-Gewissen-Gesetz beschlossen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Denn es ist doch so: Weil die Regierung und weil die Behörden umfassend versagt haben, soll jetzt ein Gesetz das Publikum milde stimmen und bei den Wählerinnen und Wählern den Eindruck hinterlassen, dass was passiert. Aber man muss eines ganz klar sagen: Die Aufdeckung des Wirecard-Skandals ist nicht an schlechten Gesetzen gescheitert. Sie ist daran gescheitert, dass die BaFin nicht Herrn Marsalek angezeigt hat, was sie hätte tun können, sondern kritische Journalisten. Sie ist daran gescheitert, dass die BaFin nicht mit allen Mitteln gegen Wirecard ermittelt hat, die sie hatte, sondern sich stattdessen mit einem Leerverkaufsverbot auf die falsche Seite gestellt hat. Und ein Staat, der sich auf die falsche Seite stellt, weil er Dinge falsch beurteilt, wird mit keinem Gesetz dieser Welt, auch nicht mit dem, das Sie heute beschließen, bessere Entscheidungen treffen. Deswegen geht es erst mal nicht um mehr Gesetze, sondern um einen Kulturwandel und um die Wahrnehmung von Verantwortung in Regierung und Aufsicht. ({1}) In dem Gesetz, so wie es jetzt aus dem Ausschuss kommt, steht durchaus manches an richtigen Ansätzen, aber auch manches Falsche. Ich glaube, dass es in vielerlei Hinsicht zu kurz springt. Wir Freie Demokraten haben beispielsweise vorgeschlagen, die Rolle des Aufsichtsrates und damit die Rolle der Aktionäre noch stärker auszugestalten, als Sie das wollen, indem wir beispielsweise festlegen: Der Aufsichtsratsvorsitzende eines DAX-Unternehmens muss hauptamtlich tätig sein, und der Aufsichtsrat braucht auch ein Budget, um eigene Untersuchungen durchführen zu können. Hier wollen wir weiter gehen als Sie, und das, glaube ich, aus guten Gründen. ({2}) Wir müssen die Wirtschaftsprüfung stärken und uns nicht in ideologischen Grabenkämpfen, wie Sie sie in der Koalition geführt haben, verlieren. Viel wichtiger als die Frage, wie man zum Beispiel mit dem Thema Haftung genau umgeht, ist doch die Frage: Wie kriegt man die Prüfer dazu, dass sie Dinge finden? Deswegen haben wir vorgeschlagen, zu sagen: Mitarbeiter von zu prüfenden Unternehmen sind auch rechtlich verpflichtet, mit dem Abschlussprüfer zu kooperieren. Auch die Dienstleister, Drittdienstleister, die es bei Wirecard in vielerlei Hinsicht gab, sollen direkt verpflichtet werden, mit dem Prüfer zu kooperieren. Das stärkt die Prüfung, das stärkt damit auch die Aktionäre und den Kapitalmarkt. Das ist etwas anderes als die ideologischen Grabenkämpfe, wie Sie sie hier in der Koalition geführt haben. ({3}) Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Bilanzkontrolle sagen. Bisher – das ist ganz bemerkenswert – hat ein Verein unter Beteiligung der Wirtschaft im Rahmen des zweistufigen Verfahrens auf der ersten Stufe geprüft. Die FDP ist mit der Bundesregierung, mit dem Justiz- und Finanzministerium der Auffassung, dass wir die Stichproben weiterhin dort lassen sollten, weil dort gute Ergebnisse geliefert worden sind und weil die Wirtschaft selbst auch ein Interesse an Standards hat. Dass die Union die Kraft in der Koalition war, die die SPD hier links überholt hat ({4}) und die Mitwirkung der Wirtschaft an guter Bilanzierung in allen Fällen, auch im Alltagsgeschäft, auch bei den Stichproben, gestrichen hat, habe ich bis heute nicht verstanden. ({5}) Ich finde jedenfalls, das ist der falsche Weg. Er ist Ausdruck von ungesundem Misstrauen. Man kann das Verfahren reformieren, ohne dass man im Alltagsgeschäft die Kompetenz der Privatwirtschaft völlig rausnimmt, so wie Sie das wollen. ({6}) Unterm Strich –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– Sie werden es geahnt haben – werden wir, weil wir einerseits weitergehen als Sie, aber andererseits bestimmte Maßnahmen falsch finden, Ihren Gesetzentwurf heute ablehnen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Toncar. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Stefan Liebich. ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Jetzt kann ich es ja zugeben: Als die Diskussion damals lief, ob es einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Thema Wirecard geben soll, war ich eher skeptisch. Ich habe gedacht: Mensch, so kurz vorm Wahlkampf, da werden die Unionskollegen Olaf Scholz angreifen, und die SPD-Kollegen werden Peter Altmaier angreifen. ({0}) – Es war so, stimmt. - ({1}) Dann hatte ich Sorge, dass man sich verzettelt in dem Krimi über geflohene Vorstände von Wirecard und den ganzen Storys, die damit zusammenhängen, Geheimdienste usw. Aber ich will hier zugestehen: Ich habe mich geirrt; denn das, was Herr Hauer vorhin sagte, stimmt: Der Untersuchungsausschuss hat tatsächlich das wirklich entscheidende Thema, nämlich die Fragen: „Welche Lehren zieht man daraus?“ und „Wie verhindert man, dass es künftig solche Betrügereien gibt?“, angepackt und hier Vorschläge vorgelegt. Das finde ich sehr gut, und ich möchte auch noch mal allen, die dort im Ausschuss tätig waren, recht herzlich dafür danken. ({2}) Nun können Sie sich vorstellen, dass insbesondere mein Kollege Fabio De Masi, der Mitglied des Ausschusses ist, hier heute auch gerne gesprochen hätte. Er ist diese Woche verhindert; deswegen stehe ich hier. Das bietet aber die Möglichkeit, dass wir als Fraktion Die Linke ihm noch mal für seine Arbeit in dem Ausschuss danken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr intensiv! Die Vorschläge, die vorliegen, sind gar nicht schlecht, sie gehen in die richtige Richtung. Einiges geht uns nicht weit genug. Das klingt so ähnlich wie bei Herrn Toncar; aber bei uns geht es eher in die andere Richtung. Wir wollen nämlich eher mehr Verantwortung des Staates. Die Bundesregierung hatte vorgeschlagen, dass der neue Präsident der BaFin eine stärkere Rolle bekommt. Das haben Sie leider als Koalition nicht gewollt. Wir hätten uns das gewünscht. Schade, dass Sie da nicht mitgegangen sind! Es gibt natürlich Leerstellen. Ein Problem ist beim Maskenskandal der CDU/CSU und auch beim Wirecard-Skandal deutlich geworden: Wir haben keine ausreichenden Compliance-Regeln. Wir müssen verhindern, dass mit Insiderwissen Geschäfte gemacht werden. Und da muss man ganz, ganz deutlich nachlegen. Es kann nicht sein, dass man mit seinem Wissen, was man hier im Bundestag erworben hat, in Ministerien, in nachgeordneten Behörden Geschäfte macht. Hier muss ein Schlussstrich gezogen werden. Das beantragen wir. ({3}) Wir reden hier auch über die Anträge zu den Dispokrediten. Hier sind wir uns mit Bündnis 90/Die Grünen einig, dass es eine gesetzliche Regelung braucht. CDU/CSU, FDP und AfD vertreten hier die Position des Bankenverbandes, dass das alles nicht notwendig ist. Traurig ist, dass die SPD da eigentlich an unserer Seite ist, aber wieder einmal gegen ihr Gewissen abstimmen muss, weil sie in der falschen Koalition ist. ({4}) Und deswegen will ich hier abschließend den Wunsch äußern, dass wir ab Herbst eine progressive Regierung haben, ({5}) die die Schwachen schützt und die gegen Kriminelle im Nadelstreifenanzug vorgeht. Danke schön. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Stefan Liebich. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Lisa Paus. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich, übrigens auch im Namen des gesamten Untersuchungsausschusses, noch mal ganz herzlich bei unserem Kollegen Danyal Bayaz für seine super Arbeit im Wirecard-Untersuchungsausschuss bedanken. Viel Erfolg als Finanzminister jetzt in Baden-Württemberg! ({0}) Das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz ist die erste gesetzliche Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal. Sie ist richtig, sie ist notwendig, sie geht uns aber nicht weit genug. Um mit den Worten des Finanzministers zu sprechen: Sie hätte wirklich noch bissiger sein können. ({1}) Aber dennoch: Auch mit den geltenden Gesetzen hätte der Skandal verhindert werden können, verhindert werden müssen. Auch das wird das Ergebnis des Untersuchungsausschusses sein, zumindest beim Sondervotum der Opposition. ({2}) Ein Punkt sind die kulturellen Vorurteile, die man bei der BaFin zum Beispiel feststellen musste, quasi die kulturelle Abschirmung der BaFin gegenüber angelsächsischen Whistleblowern: Die konnten noch nicht mal ans Telefon gehen. Wenn da Englisch gesprochen wurde, wurde gleich wieder aufgelegt. Das muss man nicht mit Gesetz ändern. Auch die Compliance-Regeln für Mitarbeiter von obersten Bundesbehörden – Stichwort: Handel mit Wirecard-Aktien seitens der Mitarbeiter – werden normalerweise untergesetzlich geregelt und auch beaufsichtigt, aber so nicht bei Wirecard. Es hätte auch eine Geldwäscheaufsicht für die gesamte Wirecard AG geben können – die Berater von Wirecard selbst sind davon ausgegangen –, hat es aber nicht gegeben. Wirtschaftsprüfer hätten deutlich früher, wenn sie die kritische Grundhaltung umgesetzt hätten, zu der sie berufsständisch verpflichtet sind, den Bilanzbetrug aufdecken können. Auch dazu brauchen wir keine anderen Gesetze, meine Damen und Herren. ({3}) Aber dennoch: Es gibt erheblichen Reformbedarf. Wirecard ist ja auch leider kein Einzelfall, wenn auch eben der größte seit dem Zweiten Weltkrieg. Und wir Grünen haben deshalb bereits im November umfangreiche Reformvorschläge gemacht: Neuordnung der Wirtschaftsprüfung, neue Compliance-Regeln bei der Finanzaufsicht. Und einiges davon findet sich jetzt auch tatsächlich im Gesetz wieder. Das finden wir ausdrücklich gut, meine Damen und Herren. ({4}) Wir begrüßen zum Beispiel, dass im Zuge des Beratungsverfahrens im Parlament Sie sich doch noch dazu durchgerungen haben, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung aufzulösen. Zur Erinnerung: Das ist die sogenannte Bilanzpolizei, die aber von sich selber gesagt hat, dass sie eigentlich Betrug gar nicht erkennen kann. Sie gehört aufgelöst. Das machen wir mit diesem Gesetz. Und das ist gut so, meine Damen und Herren. ({5}) Was aber fehlt, das ist die grundlegende Reform des Wirtschaftsprüfermarktes. Daran haben Sie jetzt ein bisschen herumgedoktert. Wir wissen auch, dass das nicht von einem auf den anderen Tag geht. Aber wir brauchen dazu einen längeren Prozess; und das machen Sie hier nicht. EY ist eben ein weiteres Beispiel dafür, dass das Vierer-Oligopol aufgebrochen werden muss. Wir brauchen eine Trennung von Prüfung und Beratung. Und deswegen brauchen wir zusätzliche Reformen. Wir brauchen Joint Audits. ({6}) Wir brauchen auch einen Aufbau von unabhängigen Pools, damit die mittelständischen Wirtschaftsprüfer tatsächlich aufschließen und wir dieses Oligopol brechen können, meine Damen und Herren. ({7}) Und auch bei der BaFin fehlt Entscheidendes in diesem Gesetz. Sie machen jetzt zwar Testkäufe – die dürfen jetzt von der BaFin veranlasst werden –, aber eine echte Stärkung des finanziellen Verbraucherschutzes gibt es nicht. Es fehlt nach wie vor ein eigener Geschäftsbereich dafür. Im Vorstand ist das Thema nicht vertreten. Und das ist schlecht, meine Damen und Herren. ({8}) Der Wirecard-Skandal war auch nicht nur ein Bilanzskandal. Er ist auch ein Geldwäscheskandal. Und deswegen haben wir eine schlagkräftige Einheit innerhalb der BaFin gefordert, die bei Bedarf in der Lage ist, relevanten Hinweisen nachzugehen, vorzuermitteln. Auch das findet sich nicht im Gesetz. Und das ist schlecht, meine Damen und Herren. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und jetzt wäre es gut, wenn Sie zum Ende kommen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau. – Zum Schluss, Frau Präsidentin: Wir brauchen auch mehr Rechenschaftspflichten der BaFin gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit, eine größere Unabhängigkeit für mehr Verantwortlichkeit. Auch das fehlt in diesem Gesetz. Und deswegen werden wir dem Gesetz nicht zustimmen können. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Lisa Paus. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Lothar Binding. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine halbe Stunde für so ein großes Gesetz ist wirklich zu wenig. ({0}) Aber auch eine Stunde wäre noch zu wenig. Und für die, die sich mit Demokratie im Saal schwertun: Die eigentliche Arbeit findet ja ganz woanders statt: in den Ausschüssen, in den Arbeitsgruppen, in den Berichterstattergesprächen. – Vielen Dank dafür! Wir hatten sehr konstruktive Berichterstattergespräche, auch manchmal im Streit. Das bringt so ein Gesetz mit sich, ganz klar. Ich rede auch gerne für die sechs Mitglieder der AfD-Fraktion. Im Wahlkampf hat die AfD ja immer gesagt hat, der Saal sei so leer, sie würden vollzählig erscheinen. Ich jedenfalls rede auch gerne vor sechs AfD-lern. ({1}) Zum FISG, zum Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz: Der Anlass für dieses Gesetz sind kriminelle Vorstände bei Wirecard gewesen. Der Wirecard-Skandal ist durch kriminelle Vorstände hervorgerufen worden. Anlegerschutz kommt hier auch vor; da haben wir eine ganze Menge gemacht, wenn auch nicht genug. Und bezüglich der Zinsen von Dispokrediten hat der Stefan Liebich einfach recht. ({2}) Also insofern ging es um verschiedene Fragen. Es ging einmal um die Frage: Waren die Gesetze ausreichend? Die Antwort ist: Wir haben ein paar Sachen schlecht organisiert. Zweistufigkeit hat sich nicht bewährt. War die Exekutive gut aufgestellt? Die Antwort ist: Ja und nein, je nachdem, wo man hinguckt. Bundesministerien sind zuständig, übrigens verschiedene. Die BaFin ist zuständig, also eine öffentlich-rechtliche Institution. Auch die DPR ist zuständig, also eine privatrechtlich organisierte Einrichtung. Die APAS ist zuständig, quasi an der Schnittstelle zwischen privat und Wirtschaftsministerium. Auch Landesministerien sind zuständig. Staatsanwaltschaften und damit auch die Judikative sind zuständig. Auch die Medien haben eine gewisse Rolle. Sie sind wichtig, aber sind nicht nur alle lieb; es gibt auch Böse in den Medien. ({3}) Und jetzt zeigt immer jeder jeweils auf den anderen Raum, in dem irgendwas passiert ist. Und so funktioniert es nicht gut. Deshalb war der Aktionsplan vom Finanzminister gut. Da würde ich sagen: Dabei kann der Olaf Scholz ein richtig gutes Gewissen haben. ({4}) Dieser Aktionsplan war nicht vollständig. ({5}) Doch eine vollständige Gesetzgebung will ich erst mal sehen. Wer auf Vollständigkeit Wert legt, der darf gar nicht anfangen. Es war ein riesengroßer Schritt in die richtige Richtung, und das Gesetz spiegelt das auch sehr gut wider. ({6}) Aus anderen Ministerien sind mir jetzt solche Vorschläge nicht bekannt. – Das war jetzt die parteipolitische Bemerkung, weil Kollege Hauer es sich auch nicht verkneifen konnte, in diese Richtung was zu sagen. ({7}) Von daher glaube ich, dass wir da gar nicht auf andere zeigen müssen, sondern sagen sollten: Das Gesetz strengt sich sehr an, sehr vieles besser zu machen und insbesondere die Bilanzkontrolle zu verbessern. Die BaFin kann künftig eigene Bilanzkontrollen anstoßen, entweder an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vergeben oder es selber machen, was bisher ohne Abstimmung mit der DPR nicht ging. Die DPR hat gut gearbeitet hinsichtlich ihrer Stichprobenverfahren. Allerdings waren sie für Veranlassungsprüfungen bei Anfangsverdacht gar nicht entsprechend ausgestattet. Das ist jetzt keine Kritik. Wenn ich jemandem das Werkzeug nicht gebe, kann er den Auftrag nicht erfüllen. ({8}) Jetzt statten wir die BaFin personell mit Leuten aus, die zuvor bei der DPR waren. Das zeigt auch, dass wir denken, dass die da gut gearbeitet haben; sonst könnten wir nicht beschließen, die zu übernehmen. Das belegt eigentlich, wie wir darüber denken. Der Präsident der BaFin wird gestärkt, der interne Reformprozess in der BaFin kann besser laufen. Das Kollegialorgan bleibt; darüber kann man streiten. ({9}) Aber jedenfalls gibt es ein spartenübergreifendes Fokusaufsichtselement: Die Leute arbeiten jetzt nicht mehr separat nach Banken, Versicherungen und Wertpapieren, sondern spartenübergreifend, weil das die Aufsicht über Mischkonzerne ermöglicht – anders, als es bisher möglich war. ({10}) Insofern können wir sagen: Da ist sehr viel passiert. Und jetzt noch mal zurück zum Privaten. Auch die private Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat nicht immer ordentlich gearbeitet. Wer wollte das bestreiten? Deshalb werden jetzt die unternehmensinternen Kontrollmöglichkeiten verstärkt. Der Aufsichtsrat wird gestärkt. Prüfungsausschüsse mit entsprechenden Auskunftsrechten müssen eingerichtet werden. Also da passiert intern noch sehr viel in den Unternehmen. Cansel Kiziltepe hat schon gesagt: Die Haftung wird auch deutlich angehoben, denn wir sagen: Das leichtfertige Easy Going – wir prüfen mal, und wir beraten auch gleichzeitig das, was wir prüfen wollen – soll nicht mehr sein, vielmehr Trennung von Beratung und Prüfung. Insgesamt ist es ein gutes Gesetz auf dem richtigen Weg. Wahrscheinlich muss man in fünf Jahren noch ein, zwei Schritte gehen. Aber die können wir dann ja gehen. ({11})

Dr. Carsten Brodesser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004684, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie sehen, trage ich heute im Gegensatz zur letzten Sitzungswoche wieder eine Krawatte. Der Kragen ist mir also bei den Beratungen zum Anlegerschutzgesetz diesmal nicht geplatzt. Ganz im Gegenteil; denn wir verabschieden heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz, das den Anlegerschutz im Bereich der Vermögensanlagen deutlich stärkt. Ich denke, wir sind uns hier alle einig, dass wir dem Anlegerschutz oberste Priorität einräumen müssen. Als Koalition denken wir aber auch, dass Regeln und Möglichkeiten der Emittenten, der Anleger und der Aufsicht zu einem vernünftigen und praxistauglichen Verhältnis kommen müssen. Auf dem Weg zu einer individuellen Anlageentscheidung muss der Staat einerseits den Anbietern klare gesetzliche Leitplanken und Regeln setzen, um den Anleger vor möglichem Schaden zu schützen. Andererseits wollen wir als Staat den Bürger bei der Anlageentscheidung nicht bevormunden. Entscheiden soll der Bürger am Ende selbst. Die im Gesetzentwurf genannten Leitplanken haben wir daher im parlamentarischen Verfahren noch einmal überarbeitet. Wir erinnern uns: Auslöser für dieses Gesetz waren Anlagebetrugsfälle der Vergangenheit, Anlagemodelle, die in vermeintliche Sachgüter investieren sollten, die aber tatsächlich nicht existierten. Leider bestimmten diese wenigen schwarzen Schafe in der Vergangenheit die Schlagzeilen, während sich das Gros der Anbieter seriös verhielt. Um die BaFin als unsere Finanzpolizei in diesem Segment zu stärken, haben wir nun das Vermögensanlagengesetz entscheidend nachgeschärft. Die BaFin erhält mit diesem Gesetz zukünftig mehr Biss, um schwarze Schafe rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen. So haben wir mit dem Mittelverwendungskontrolleur ein wichtiges Sicherheitsscharnier zwischen Anleger, Anbieter und der BaFin geschaffen. Der Emittent ist zukünftig verpflichtet, ein Mittelverwendungskonto einzurichten, auf das die eingeworbenen Gelder eingezahlt werden müssen. Verfügungen aus diesem Konto können nur gemeinsam mit dem Mittelverwendungskontrolleur erfolgen. Er kontrolliert die Verwendung und gibt Gelder frei, wenn die vertraglich festgelegten Kriterien erfüllt sind. Er verfasst einen Bericht, den er nicht nur an den Emittenten, wie ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen, sondern auch an die BaFin bzw. den Bundesanzeiger weitergibt. Damit ist ein direkter Draht zur staatlichen Aufsicht gegeben, und denkbare Umgehungsmöglichkeiten werden vermieden. Der Mittelverwendungskontrolleur ist also eine wichtige Sicherungsinstanz für den Anleger, weshalb wir auch hohe Anforderungen an seine Qualifikation stellen. Es sollen Berufsträger wie Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sein. Eine Tätigkeit als Kontrolleur ist unter Berücksichtigung laufender Projekte auf zehn Jahre begrenzt, um einer eventuellen Nachlässigkeit vorzubeugen. Ebenso ist es nicht zulässig, sowohl Abschlussprüfer als auch Mittelverwendungskontrolleur zu sein. Wichtig sind uns also die Qualifikation, die Unabhängigkeit und ein solides Haftungsregime der beauftragten Kontrolleure. ({0}) Die öffentliche Anhörung und die parlamentarischen Beratungen haben uns aber auch in einem weiteren Punkt sensibilisiert; denn im ursprünglichen Gesetzentwurf sollte mit einem generellen Verbot von sogenannten Blindpools für Privatanleger dem möglichen Anlagebetrug ein Riegel vorgeschoben werden. Grundsätzlich sicher ein guter Gedanke, weil Investitionen in Vermögensanlagen, die zum Zeitpunkt der Emission weder einer Branche noch einem konkreten Standort zuzuordnen sind, der Gefahr der Nichtrealisierung, möglicherweise auch des Betrugs unterliegen. Tatsächlich gibt es aber zahlreiche sinnvolle und volkswirtschaftlich erwünschte Vermögensanlagen, die in der Regel vor ihrer Realisierung über Anlagegelder finanziert werden. Das vollständige Verbot von Blindpool-Konstruktionen hätte unseres Erachtens den Anlagemarkt zu sehr eingeschränkt. Eine abschließende Prospektierung aller spezifischen Eigenschaften bereits bei der Emission einer Vermögensanlage hätte der Lebenswirklichkeit komplett widersprochen. So vergehen beispielsweise bei Wind- oder Solarprojekten von der Planungsphase bis zur endgültigen Realisierung oft Monate oder gar Jahre. Alle diese Planungsphasen kosten bereits Geld und bedürfen einer entsprechenden Vorfinanzierung. Also haben wir den Gesetzentwurf deutlich verbessert und der Realität angepasst. So bleiben sogenannte Semi-Blindpools weiterhin möglich, wenn bei Prospektierung des Vorhabens klar definierte Mindestinformationen über den geplanten Vermögensgegenstand vorliegen. Hier ist allerdings die BaFin gefordert. Sie soll unverzüglich ein entsprechendes Merkblatt vorlegen, in dem die Spielregeln für eine solche Genehmigung von Semi-Blindpools genau beschrieben werden. So müssen zumindest die Branche und eine gattungsmäßige Bestimmung für das Investment festgelegt sein. Bei der Prospektaufstellung müssen auch nachweisbare Mindestrealisierungsgrade erkennbar sein, zum Beispiel durch dokumentierte Vorverhandlungen. Wir wollen, dass die BaFin als Aufsichtsbehörde noch stärker in die materielle Prüfung einsteigt und Projekte nicht lediglich auf formale Kriterien hin prüft. ({1}) Hier ist noch deutlich Luft nach oben. Wir vertrauen auf die Zusagen des BMF, dies auch entsprechend umzusetzen. Abschließend gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium und den Kolleginnen und Kollegen unseres Koalitionspartners sowie der anderen Fraktionen für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich werbe um Zustimmung zu diesem guten Gesetz und danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden, beraten und entscheiden heute über das Gesetz über die Entschädigung der Soldatinnen und Soldaten und zur Neuordnung des Soldatenversorgungsrechts. Man hätte es auch empathischer das Starke-Fürsorge-Gesetz nennen können. Denn es beinhaltet Regelungen, die die Fürsorge für unsere Soldatinnen und Soldaten betreffen. Soldat zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. Es ist ein Dienst am Land. Unsere Frauen und Männer schwören, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen, und sie sind bereit, dafür ihre Gesundheit und im äußersten Fall auch ihr Leben zu geben. Die Bundesregierung und dieses Hohe Haus haben es sich deswegen gemeinsam zum Auftrag gemacht, die Verantwortung für das Wohlergehen der Soldatinnen und Soldaten zu tragen. Es liegt in unserer Fürsorgepflicht, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die während ihres Dienstes an Körper und Seele versehrt werden, abgesichert sind und die bestmögliche Unterstützung erfahren. Es geht dabei um ganz reale Fälle: einer versehrten Soldatin den Weg in das zivile Berufsleben zu ebnen oder während Rehamaßnahmen die gemeinsame Familie durch zusätzliche Kinderbetreuung zu unterstützen. Es geht um Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in unserer Gesellschaft. Im Todesfall soll der hinterbliebene Lebenspartner oder die Lebenspartnerin nicht in die Schuldenfalle rutschen, und das zur Waise gewordene Kind soll sich trotzdem eine Ausbildung leisten können. So umfasst der Gesetzentwurf im Kern drei Vorhaben. Die finanziellen Leistungen zum Ausgleich gesundheitlicher Beeinträchtigungen werden deutlich erhöht und transparenter konzipiert. Wir richten die medizinische Versorgung, die Leistungen bei Pflegebedürftigkeit und die berufliche Rehabilitation neu aus und gleichen sie an das Leistungsniveau der gesetzlichen Unfallversicherung an. Und wir verbessern die Hinterbliebenenversorgung, machen sie flexibler und garantieren finanzielle Absicherung unabhängig von der Höhe des Einkommens. Parallel dazu digitalisieren wir die gesamte Abwicklung von Anträgen und Vorgängen. Also, ich glaube, dieses Gesetz hat den Titel „Starke-Fürsorge-Gesetz“ wirklich verdient. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir schließen an dieses Gesetz die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für das Bahnfahren in Uniform an. Darüber ist hier an dieser Stelle schon viel gesprochen worden. Ich glaube, es reicht ein Satz: Es ist ein voller Erfolg auf der ganzen Linie. – Deswegen nochmals ein herzliches Dankeschön dafür! ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beraten heute auch abschließend in zweiter und dritter Lesung über den Entwurf zur Rehabilitierung homosexueller Soldaten in der Bundeswehr und der NVA. Ich freue mich, dass dazu auf der Besuchertribüne als Vertreter von QueerBw Herr Sven Bäring und Frau Anastasia Biefang zu Gast sind. Aber besonders freue ich mich, dass Herr Dierk Koch heute hier ist. Lieber Herr Koch, ich darf Sie herzlich begrüßen. Sie waren bereit, in einer öffentlichen Veranstaltung des Bundesverteidigungsministeriums über Ihren Lebensweg, über Ihre Biografie zu reden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ohne Dierk Koch und ohne seinen Anstoß gäbe es dieses Gesetz heute hier so nicht und könnten wir darüber nicht entscheiden. ({2}) Dierk Koch ist einer derjenigen, die wegen ihrer Homosexualität aus der Bundeswehr entlassen worden sind, die ein Verfahren durchzustehen hatten, deren Lebenstraum zerstört worden ist. Dierk Koch hat zu Recht in einem Brief an meine Vorgängerin, aber auch in einem Brief an mich gefragt: Wenn das als Unrecht anerkannt wird – und das haben wir getan –, warum gibt es dann keine Entschuldigung dafür und warum gibt es dafür keine Entschädigung? Sehr geehrter Herr Koch, dieser Brief hat in Gang gesetzt, dass wir im BMVg und dank der breiten Unterstützung dieses Hauses gesagt haben: Richtig! Es war Unrecht; es ist Unrecht. – Wir müssen uns und wir wollen uns dafür entschuldigen. Wir wollen und müssen den Menschen, die darunter zu leiden hatten, auch eine entsprechende Entschädigung zahlen. Das kann nur in Ansätzen das wiedergutmachen, wenn überhaupt, was ihnen zugestoßen ist. Aber es ist ein klares Zeichen, dass wir im Hinblick auf die Vergangenheit zu unserer Verantwortung stehen, und ist ein klares Zeichen dafür, dass Männer wie Sie mit Ihrem Engagement und Vereinigungen wie QueerBw mit dafür sorgen, dass die Bundeswehr heute vielfältiger, bunter, toleranter und offener ist, als sie es in der Vergangenheit war. Und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist – über die Fälle hinaus – die wirklich gute Nachricht dieses Tages. Herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ministerin Kramp-Karrenbauer. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Gerold Otten. ({0})

Gerold Otten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004846, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag soll bei diesem Tagesordnungspunkt über zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung abstimmen. Es geht dabei einerseits um gesetzliche und verfahrenstechnische Anpassungen im Soldatenversorgungsrecht, andererseits um einen Gesetzesantrag mit dem Zweck, eine Rehabilitierung von Soldaten zu erreichen, die bis in das Jahr 2000 aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtliche Nachteile in Kauf nehmen mussten. Beides sind Initiativen, die wir begrüßen. Wir kritisieren aber, dass hier en bloc über zwei Gesetzesanträge abgestimmt werden soll, die inhaltlich grundverschieden sind. Sie verdienen es eigentlich, gesondert behandelt zu werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Entschädigung der Soldatinnen und Soldaten und zur Neuordnung des Soldatenversorgungsrechts soll unter anderem für eine transparente Kommunikation der Ansprüche von Soldaten sorgen und neben einer systematischen Neuordnung die Entbürokratisierung und Digitalisierung des Verfahrensablaufs erreichen. Das soll die Fallbearbeitung beschleunigen und die entsprechenden Prozesse verbessern. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Was nun aber die Rehabilitierung homosexueller Soldaten und die Änderungsanträge der FDP betrifft, möchte ich hier einige grundsätzliche Anmerkungen machen: Wenn gesellschaftliche Erinnerungen sich vorwiegend auf Unrecht beziehen, dann wird der Bezug auf die kollektive Vergangenheit negativ. Geschieht das, dann kommt der Gegenwart die Orientierung abhanden, und sie findet nur noch Halt in einem Hypermoralismus, der selber keine Maßstäbe mehr hat. Das schrieb sinngemäß bereits 1999 der französische Philosoph und Autor Alain Finkielkraut. Diese Maßlosigkeit zeigt sich hier vor allem anhand der Überheblichkeit der heutigen Politikergeneration und der Historikerkaste. Die Anträge der FDP stehen dafür und das vom vormaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamt erarbeitete Dossier ebenso. Beide verkennen, dass auch dienstrechtliche Entscheidungen der Vergangenheit – darum geht es ja beim Erlass von 1984 – immer nur aus ihren Zeitumständen verstanden werden können. Es ist zwar politisch richtig, dass die damalige Realität heute als Fehler bewertet wird. Historisch betrachtet ist es aber Fakt, dass bis weit in die 80er-Jahre hinein ein anderes gesellschaftliches Klima herrschte als heute. Homosexualität bei Vorgesetzten wirkte achtungsmindernd auf Untergebene, störte das Vertrauen und stellte daher letztlich die Funktionsfähigkeit der militärischen Organisation infrage. Das war eine Kernaussage des Professors Metzger in der öffentlichen Anhörung. Es ist doch beschämend, dass ein Jurist dem Bundeswehrhistoriker des ehemaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamts zeigt, wie Geschichtswissenschaft funktionieren sollte. Der Antrag der Bundesregierung betont ausdrücklich den pauschalen Charakter der monetären Kompensation und lässt daher Beantragungshürden auch bewusst niedrig. Das ist gut so und sollte auch so bleiben. Die vorliegenden Anträge der FDP dienen dagegen nicht gerade dem Bürokratieabbau in der Bundeswehr und eröffnen Missbrauchsmöglichkeiten bei der Antragstellung, und das nur, weil Sie hoffen, so könnten Sie bei Ihrer Klientel in der entsprechenden Community punkten – auf Kosten der Steuerzahler natürlich. Das lehnen wir selbstverständlich ab. ({0}) Meine Damen und Herren, die Soldaten schwören, unserem Land treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen – die Ministerin hat es eben auch schon vorgetragen –, nötigenfalls auch unter dem Einsatz von Leib und Leben. Eine anständige Besoldung und adäquate Fürsorge des Staates sind daher das Mindeste, was wir ihnen schuldig sind. Wahr ist aber auch, dass Soldaten einer ideellen Rekompensation bedürfen, die in Geldwert nicht gemessen werden kann. Dem widerspricht aber die Realität in diesem Land. Links-grüne Medien und weite Teile des gleichen politischen Spektrums stehen der Bundeswehr und den Soldaten ablehnend bis feindlich gegenüber. Stichworte sind hier re:publica, der Umgang mit Jugendoffizieren oder KSK sowie militärisches Selbstverständnis und militärische Traditionen. Ganz oben steht eine politische Führung, die sicherheits- und verteidigungspolitisch ziel- und planlos agiert – anders als die israelische Regierung und die Israel Defense Forces, denen ich an dieser Stelle meine ausdrückliche Unterstützung zusichere und denen ich, wie mein Kollege Lucassen gestern schon, viel Erfolg im Kampf gegen die Hamas-Terroristen wünsche. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Eberhard Brecht. ({0})

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wir verstehen unsere Bundeswehr als Parlamentsarmee. Das bedeutet ja nicht nur, dass wir uns über Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft unterhalten, dass wir Mandate, zum Beispiel MINUSMA und EUTM, erteilen – so auch morgen, wenn wir über KFOR reden –, sondern es heißt auch, dass wir eine Fürsorgepflicht für unsere Soldatinnen und Soldaten haben. Mit dem Gesetzentwurf und dem entsprechenden Änderungsantrag wollen wir dieser Aufgabe auch entsprechen. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist uns ein Anliegen, dass wir für Soldatinnen und Soldaten einstehen, die in Ausübung ihres Dienstes eine Schädigung erfahren haben, und das nicht nur in Form von materieller Anerkennung, sondern auch durch die Ermöglichung der Partizipation im ganz normalen Leben; die Frau Ministerin hat diese einzelnen Punkte schon ausgeführt. Leider konnten wir nicht alle unsere Vorstellungen durchsetzen. Ich habe nicht so ganz verstanden, warum, wenn man einen Verschlimmerungsantrag stellt und dieser positiv bewertet wird, dies im Endeffekt keine finanziellen Auswirkungen hat. Das haben wir leider nicht durchsetzen können. Nichtsdestotrotz befürworte ich diesen Gesetzentwurf. Nun haben wir in diesen Gesetzentwurf auch noch die kostenlosen Bahnfahrten integriert. Ich finde es gut, dass Soldaten, die einer besonderen Gefahr ausgesetzt werden, diese Anerkennung von uns bekommen. Nun habe ich eine Zuschrift bekommen von einem Soldaten, der mir geschrieben hat: Gut, wenn ich im Zug sitze, bekomme ich die kostenfreie Bahnfahrt. Wenn ich aber mit dem Auto fahre und habe dann auch eine Uniform an, warum werde ich dann nicht auch entsprechend bei den Fahrkosten entschädigt? Dieser Gesetzentwurf hat natürlich auch einen Umweltaspekt. Wir setzen darauf, dass der CO2-Fußabdruck unserer Soldatinnen und Soldatinnen so klein wie möglich ist. ({1}) In dem Zusammenhang möchte ich die Frau Ministerin ermutigen, dass wir vielleicht noch mehr Ladesäulen an den Kasernen, an den Standorten installieren, damit auch diejenigen Soldatinnen und Soldaten, die auf das Auto angewiesen sind, die Möglichkeit haben, sich in Deutschland ökologisch bewusst zu bewegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Eberhard Brecht. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Alexander Müller. ({0})

Alexander Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004828, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Strafbarkeit homosexueller Handlungen aufgehoben war, wurden homosexuelle Soldaten noch viele Jahre in der Bundeswehr diskriminiert. Benennungen zu Berufssoldaten wurden verhindert, Ausbilder- und Vorgesetztenfunktionen mussten aufgegeben werden. Zudem gab es Nachteile im Zivilleben durch unehrenhafte Entlassungen und truppengerichtliche Urteile. Und all das nur wegen verbotener Liebe. Die Freien Demokraten haben daher schon vor über einem Jahr einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der Betroffenen verlangt, und jetzt ist es endlich so weit. Wir werden daher heute zustimmen. Meine Fraktion war es auch, die eine Anhörung von Experten und Betroffenenverbänden verlangt hatte, ganz im Sinne der Serviceopposition, als die wir uns verstehen. Die Ergebnisse dieser Anhörung finden sich in dem Gesetzentwurf, über den wir heute beraten, leider nirgendwo wieder. Daher haben wir heute einige Änderungsanträge eingereicht. Zum Beispiel ist nicht ersichtlich, warum nur vor der willkürlichen Frist von Juli 2000 entschädigt werden soll. Wir wollen dieses Datum, dieses Fallbeil für Entschädigung oder Nichtentschädigung am liebsten ganz aus dem Gesetzentwurf raushaben. ({0}) Gab es nach dem Juli 2000 denn keine Diskriminierungen mehr, oder gab es doch noch welche? Falls es weiter Diskriminierungen gab: Warum will die Bundesregierung die Diskriminierungen des Jahres 1999 dann anders bewerten als die Diskriminierungen des Jahres 2001? Unrecht aus 1999 wird noch entschädigt, aber aus 2001 nicht mehr? Das macht doch keinen Sinn. Falls es keine Diskriminierungen mehr gab: Was soll dann diese Grenze? Wenn es keine Diskriminierungen mehr gab, dann brauchen wir auch kein Datum. Also weg mit dieser unsinnigen Frist von Juli 2000 und gleiche Behandlung aller Fälle! ({1}) Des Weiteren muss es auch möglich sein, entstandene Schäden, die nachweisbar höher als die pauschalen 3 000 Euro waren, auch angemessen zu entschädigen. Auch das leistet der Gesetzentwurf noch nicht. Wir wollen auch den Betroffenen ermöglichen, ihren Anspruch geltend zu machen, ohne an den Ort ihres Leidens zurückgehen zu müssen, um ihren Antrag zu stellen. Es sollte also möglich sein, den Entschädigungsantrag auch außerhalb der Bundeswehr zu stellen, zum Beispiel bei der Härtefall-Stiftung, beim Sozialwerk der Bundeswehr oder ähnlichen Einrichtungen mit niedrigeren Zugangshürden. Wir werben daher für die Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen und freuen uns aber in jedem Fall für alle betroffenen Soldaten, die heute ein Stück weit Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht erfahren werden. Die Bundeswehr ist heute tolerant, liberal und offen, ({2}) und mit diesem Gesetz entschuldigt sie sich nun auch bei allen, denen diese Offenheit und Toleranz früher nicht zuteilwurde. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Müller. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Matthias Höhn. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Bundeswehr. ({0}) Und Sie hören den Satz nicht so oft, wenn jemand meiner Fraktion hier vorne steht. ({1}) Dass wir heute – darauf ist hingewiesen worden – über das Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligten Soldatinnen und Soldaten wahrscheinlich mit großer Mehrheit hier beschließen werden, ist zunächst und zuallererst gut und ein großer Erfolg für die betroffenen aktiven und ehemaligen Soldatinnen und Soldaten. Aber es ist eben auch ein guter Tag für die Bundeswehr; denn es schmückt sie insgesamt. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD, wenn Sie meinen, dass man solche Vorschläge nur macht, um in einer bestimmten Klientel Punkte zu sammeln, dann haben Sie nicht verstanden, was Rehabilitierung von Diskriminierung gesellschaftlich eigentlich bedeutet. ({2}) Aber – ich habe das in der ersten Lesung schon gesagt, und ich will das hier in der zweiten und abschließenden Runde auch sagen – es muss uns als Parlament auch ein Stück weit beschämen, dass die Diskriminierung über so viele Jahrzehnte stattgefunden hat und dass wir noch einmal 20 Jahre gebraucht haben, bis wir nun heute über dieses Gesetz beschließen. Aber es ist gut, dass wir es tun. ({3}) Trotz unseres Jas im Ausschuss – und wir werden auch heute diesem Gesetz zustimmen –, will ich sagen, dass wir Chancen verpasst haben. Auch ich verweise auf die Anhörung, die wir im Verteidigungsausschuss abgehalten haben. Dort ist eine Reihe von Vorschlägen gekommen. Ich habe für meine Fraktion im Verteidigungsausschuss mehrere Vorschläge gemacht, an welchen Stellen das Gesetz hätte besser gemacht werden können. Erstens. Auch ich will den Stichtag Juli benennen. Die Diskriminierung in der Bundeswehr hat nicht mit der Aufhebung des entsprechenden Erlasses geendet, sondern sie hat leider auch danach stattgefunden, und wir alle wissen das doch. Schon deswegen, meine Damen und Herren von der Koalition, wäre es nicht nur eine Kleinigkeit gewesen, an dieser Stelle das Gesetz besser zu machen. Es ist schade, dass Sie sich dem verweigert haben. ({4}) Zweitens. Wir haben auch in der Anhörung gehört: Ja, es geht um symbolische Gesten, es geht um symbolische Entschädigungen. Trotzdem ist mehrfach gesagt worden, dass die Höhe der Entschädigung als unangemessen betrachtet wird. Auch deswegen hätte ich mir gewünscht, dass wir hier mehrheitlich zu einem kleinen Schritt mehr bereit gewesen wären. Auch der Vorschlag der Kollektiventschädigung ist doch kein unsinniger Vorschlag, sondern es spricht sehr viel dafür. Auch das hat meine Fraktion beantragt. Ich wiederhole: Schade, dass wir dafür keine Mehrheit gefunden haben. Die Änderungsanträge der FDP, die heute zur Abstimmung vorliegen, gehen in vielen Punkten in dieselbe Richtung, über die ich eben gesprochen habe. Deswegen werden wir selbstverständlich den Anträgen der FDP zustimmen. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ich will nicht vom Podium gehen, ohne den Herren, die dort oben Platz genommen haben, meinen Respekt zum Ausdruck zu bringen für das jahrelange Engagement. Ich weiß, Sie hätten sich heute noch ein bisschen mehr erwünscht, als wir am Ende hier beschließen werden. Aber es ist auch ein großer Erfolg für Sie. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Engagement! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Matthias Höhn. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Tobias Lindner. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stehen heute zwei Gesetzentwürfe zur Abstimmung. Ich will kurz erläutern, warum meine Fraktion sich beim Gesetzentwurf über die Entschädigung von Soldatinnen und Soldaten nur enthalten und ihm nicht zustimmen kann. Frau Ministerin, Sie haben zu Recht erwähnt, dass wir in einer besonderen Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz an Körper oder Seele verwundet worden sind, stehen. Nun ist aber dieser Gesetzentwurf, ehrlich gesagt, eine verpasste Chance, wenn es darum geht, Soldatinnen und Soldaten auf Zeit mit Berufssoldatinnen und ‑soldaten in dieser Hinsicht gleichzustellen. Ja, ich kenne die dienstrechtliche und beamtenrechtliche Argumentation: die besondere Treuepflicht des Dienstherrn gegenüber Berufssoldatinnen und ‑soldaten, die ja Beamtinnen und Beamten in wesentlichen Teilen gleichstellt sind; das kenne ich alles. – Aber machen wir uns doch mal ehrlich: Wenn jemand die Uniform anzieht, dann ist sie oder er Soldatin oder Soldat. Im Einsatz, auf dem Gefechtsfeld ist diese Person Soldatin oder Soldat. Da fragt kein Vorgesetzter, da fragt auch kein Feind und auch kein Risiko danach, ob die Person Soldatin oder Soldat auf Zeit ist oder Berufssoldatin oder ‑soldat. Deswegen hätte man hier zu einer Gleichsetzung kommen müssen, meine Damen und Herren. ({0}) Der Umgang der Bundeswehr in Bezug auf die Diskriminierung von Menschen hinsichtlich ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte unserer Truppe. Es ist gut und richtig, dass wir heute einen entscheidenden Schritt, was die Rehabilitierung betrifft, gehen. Deswegen werden wir nicht nur den Änderungsanträgen der FDP zustimmen – vielen Dank an die Serviceopposition, dass ihr die Anträge aufgeschrieben habt, die wir sonst auch hätten einbringen können –, sondern auch dem Gesetzentwurf. Aber es ist angesprochen worden: Wir hatten eine gute – ich finde, eine sehr lehrreiche – öffentliche Anhörung. Es ist äußerst bedauerlich, dass sich diese Anhörung nicht in Änderungen dieses Gesetzentwurfes niederschlägt, meine Damen und Herren. ({1}) Da geht es nicht nur um die Frage des Stichtags. Diskriminierung endet doch nicht einfach durch die Rücknahme eines Erlasses. ({2}) Ehrlich gesagt: Schön wär’s. In so einem Land würde ich gerne leben, wo wir einfach durch eine Erlasslage Diskriminierung beenden können. Und wir müssen auch Härtefälle betrachten. Die 3 000 Euro Entschädigung sind ein Symbol; in vielen Fällen kann man das auch verstehen. Aber wir haben es auch mit Härtefällen zu tun. Deswegen bräuchten wir an der Stelle auch eine Härtefallkommission, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({3}) Wir sollten über eine Kollektiventschädigung nachdenken, auch im Gedenken an all die Soldatinnen und Soldaten, die heute vielleicht nicht mehr leben und die diskriminiert worden sind. Lassen Sie mich noch einen allerletzten Punkt nennen. Auch Mischurteile, also Disziplinarverfahren, wo man ein Sammelsurium von Vorkommnissen zusammengefasst hat, werden von diesem Gesetzentwurf nicht erfasst. Das ist, ehrlich gesagt, bedauerlich. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt, ein entscheidender Schritt; aber er kann kein Schlusspunkt sein in der Aufarbeitung dieses Kapitels unserer Streitkräfte. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Tobias Lindner. – Nächste Rednerin: für die Fraktion der CDU/CSU Kerstin Vieregge. ({0})

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns Abgeordneten liegen heute gleich zwei Gesetze aus dem Bereich der Fürsorge- und Sozialgesetzgebung der Bundeswehr vor. Beide sind in ihrer Wirkung nicht nur weitreichende, sondern auch besondere und wichtige Gesetze. Lassen Sie mich zunächst auf das Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten – Sie gestatten die Verkürzung des langen Gesetzesnamens – eingehen. Wir alle wissen: Eine Armee ist immer auch ein Spiegelbild ihrer Zeit, der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse und natürlich der dazu gehörenden Rechtauffassungen. Vermutlich kann man sogar sagen, dass Armeen selten zur gesellschaftlichen Avantgarde gehören, sondern eher konservativ orientierte Institutionen darstellen. In vielerlei Belangen ist das sogar ausdrücklich gut. Doch wenn es um den Umgang mit homosexuellen Soldatinnen und Soldaten geht, blickt die Bundeswehr kaum auf ein Ruhmesblatt ihrer Geschichte zurück. Noch vor einigen Jahren wäre es wohl nicht vorstellbar gewesen, dass eine Bundesverteidigungsministerin die von jahrzehntelanger Diskriminierung betroffenen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in einer öffentlichen Veranstaltung um Verzeihung bittet. Doch Annegret Kramp-Karrenbauer hat dies im Herbst des vergangenen Jahres getan. Ein richtiger und historischer Schritt! ({0}) Es war ohne Zweifel ein langer Weg von der Aufhebung des diskriminierenden Erlasses am 3. Juli 2000 über die Entscheidung der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen zur Erarbeitung einer wissenschaftlichen Untersuchung über die Vorstellung dieser Storkmann-Studie nebst der Stellungnahme von Frau Ministerin Kramp-Karrenbauer über die öffentliche Anhörung im Verteidigungsausschuss am 26. April 2021 bis zur nun anstehenden Beschlussfassung über das Gesetz. Niemand kann die früheren Entscheidungen, die jahrelangen Diskriminierungen ungeschehen machen. Aber mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes tragen wir gemeinsam dazu bei, die Wiedergutmachung ein Stück weit voranzubringen. Das Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten reiht sich ein in eine Reihe von Gesetzeswerken, die in dieser Wahlperiode durch den Deutschen Bundestag gingen und in besonderer Weise den Fürsorgegedanken des Dienstherrn gegenüber der Bundeswehr deutlich machen. Denn gerade wir Parlamentarier tragen zentrale Verantwortung für die Männer und Frauen der Parlamentsarmee Bundeswehr. Diese Verantwortung zeigt sich auch im zweiten heute zu verabschiedenden Gesetz, dem Soldatenentschädigungsgesetz. Damit nehmen wir nicht nur eine Vielzahl notwendiger und überfälliger rechtlicher Anpassungen vor, sondern regeln auch die Beschädigtenversorgung neu. Es ist ganz klar: Wehrdienstbeschädigungen sind etwas, wo der Dienstherr für seine Soldatinnen und Soldaten da sein muss. Ich will keinen Hehl daraus machen – ich habe es auch schon gestern im Verteidigungsausschuss gesagt –: Ich hätte es gerne gesehen, wenn wir im Bereich der Ausgleichszahlung zu einer besseren Differenzierung zwischen den verschiedenen Schädigungsgraden gekommen wären. Doch mehr war, mehr ist momentan nicht zu erreichen. Insofern wird man mit den vorgesehenen Beträgen leben müssen. Dass diese aber grundsätzlich sehr gut sind und wir mit der vorliegenden Fassung sehr zufrieden sein können, zeigte eben auch die Darstellung der Ministerin. Zwei Dinge möchte ich noch erwähnen: Auch Reservisten können nun, dank des Einsatzes unserer Koalition, künftig Prämien für besondere Einsatzbereitschaft erhalten. Aus meiner Sicht ist dies ein wichtiges Signal in Richtung der vielen Tausend besonders engagierten Reservisten. Außerdem wird mit dem Soldatenentschädigungsgesetz endlich das kostenfreie Bahnfahren für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gesetzlich geregelt. Sie wissen: Dabei handelt es sich um eine großartige Erfolgsgeschichte. Es wurde höchste Zeit, die Bundeswehr auch auf diese Weise wieder ins Bewusstsein der Deutschen zurückzuholen. ({1}) Zum Abschluss lässt sich also festhalten: Mit beiden Gesetzen tun wir Gutes: ehemaligen Soldatinnen und Soldaten, denen Unrecht getan wurde, engagierten Reservisten und aktiven Angehörigen der Bundeswehr. Mit der Verabschiedung beider Gesetzentwürfe werden wir unserer Verantwortung gegenüber der Parlamentsarmee Bundeswehr spürbar gerecht. Ich danke allen Männern und Frauen unserer Streitkräfte wie immer für ihren treuen Dienst. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner in dieser Debatte: Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wo viel Licht ist, ist viel Schatten, sagt ein Sprichwort. ({0}) Und auch ich will heute hier über das Licht sprechen und sagen, dass wir heute mit dem Gesetz zur Rehabilitierung von Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen einen guten vorläufigen Zwischenschritt erreicht haben. Mit diesem vorläufigen Zwischenschritt haben wir erreicht, dass Soldatinnen und Soldaten, nicht zuletzt aufgrund des Kampfs von Herrn Dierk Koch, der unter uns ist und dem ich ein herzliches Dankeschön sage, nunmehr Rehabilitation und Entschädigung bekommen. Aber wo viel Licht ist und wo man Danke sagen darf an diejenigen, die sich dafür eingesetzt haben, ist auch Schatten. Der Schatten ist das dunkle Kapitel in der Bundeswehr, die trotz der Aufhebung des § 175 StGB im Jahre 1994 einen älteren Erlass zur formellen und systematischen Diskriminierung von homosexuellen Menschen in der Truppe bis zum 3. Juli 2000 weiterhin aufrechterhielt, und das, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Als der damalige Verteidigungsminister Scharping diesen Erlass zum 3. Juli 2000 aufheben musste, weil er allen europarechtlichen Gegebenheiten nicht mehr entsprach, geschah dies gegen den erbitterten Widerstand der Generalität. Auch das gehört zur Wahrheit dazu und muss an diesem Tag gesagt werden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Schatten gehört, dass wir heute, 27 Jahre nach Aufhebung des § 175, zu einer Rehabilitation kommen, obwohl im zivilen Bereich bereits vor vier Jahren – dies auch an die Kollegen auf der rechten Seite gesprochen – nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern auch ein Gutachten festgestellt hat, dass der § 175 in unserem Land von Anfang an Unrecht war und den Menschen Unrecht geschehen ist. ({1}) Wenn ich, ohne ihn als Zeugen zu benennen, Herrn Koch noch mal anführen darf: Das, was er getan hat und wie er gelebt hat, war richtig so, es war nie Unrecht. Er muss rehabilitiert und entschädigt werden. ({2}) Ich sage aber auch Herrn Kollege Müller herzlichen Dank für seine Einbringung des Änderungsantrags und die Begründung, weil die Frist, nämlich zum 3. Juli 2000 einen Schnitt zu machen, auch in meinen Augen falsch ist. Das Bundesministerium der Verteidigung – Frau Ministerin – hat leider Gottes genauso wie die Kolleginnen und Kollegen der Union die öffentliche Anhörung nicht einmal gewertet, nicht einmal bearbeitet, nicht einmal reflektiert, um dort zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen. Denn auch nach dem 3. Juli 2000 – das hat jeder Sachverständige gesagt; das weiß jeder klug und normal denkende Mensch – haben weiterhin Diskriminierungen in der Truppe stattgefunden, wenn auch nicht mehr formell mit Urteil, aber sie haben weiterhin stattgefunden. Es hätte von Größe gezeugt, dies anzuerkennen und sich auf den Termin einzulassen, wie ihn die Sachverständigen angesprochen hatten, wie ihn die Wehrbeauftragte angesprochen hat, wie er durch den Antrag der Linken angesprochen wurde – ich habe versucht, mit dem Koalitionspartner dazu einen Änderungsantrag einzubringen, was gescheitert ist –, wie er nunmehr im eingebrachten Änderungsantrag der FDP genannt ist. Ich sage: Da ist noch viel Schatten. Offensichtlich gibt es immer noch Leute, die Angst haben, dass nach dem 3. Juli 2000 vielleicht tatsächlich noch diskriminiert wurde und dass vielleicht tatsächlich Entschädigungen gezahlt werden müssen. Aber zum Verdecken und zum Vertuschen von Diskriminierung sind wir in diesem Hohen Hause nicht da. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist schön, dass wir heute dieses Gesetz verabschieden. Ich werde diesem Gesetz zustimmen, wie auch meine Fraktion dies für gut und richtig erachtet. Aber es ist auch richtig, anzusprechen, dass dieses Gesetz ein Zwischenschritt ist und wir in der nächsten Legislatur für Mehrheiten zu sorgen haben, die diese unselige Frist und auch die sprachlichen Unschärfen beseitigt, die in diesem Gesetz vorhanden sind und die bestimmte Gruppen unserer Gesellschaft –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie zum Schluss.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– und von Soldatinnen und Soldaten ausschließen. Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufmerksamkeit und freue mich, dass die Bundeswehr mit diesem Gesetz einen Schritt weitergekommen ist. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin mir sicher, dass es eine ganze Menge Ostdeutsche gibt, die sich wünschen, sie hätten vor 30 Jahren mehr Zeit gehabt, um beispielsweise beim Einheitsvertrag mitzureden und sich etwas genauer anschauen zu können, was sich unterhalb der Überschrift wiederfindet, um es nachvollziehen zu können, und vor allen Dingen, um sich das Kleingedruckte genauer anzuschauen. Bei der Rentenüberleitung Ost nach West sind Ansprüche aus der DDR-Zeit unterschlagen worden. Die Betroffenen kämpfen seit Jahrzehnten darum, dass das wiedergutgemacht wird. Ich bin mir sicher, dass sich viele der Betroffenen auch heute wieder diese Debatte anschauen. Es ist ja – das wissen Sie – nicht die erste Debatte zu diesem Thema. Jede dieser Debatten wird mit großer Aufmerksamkeit von den Betroffenen verfolgt. Es gibt einige Hoffnungen bei den Betroffenen auf eine Entschädigungslösung. Aber der Härtefallfonds, mit dem die Bundesregierung das DDR-Rententhema jetzt abräumen will, ist eine Zumutung, meine sehr verehrten Damen und Herren; ({0}) denn die Beiträge, die in den Medien genannt werden, sind, vorsichtig ausgedrückt, unangemessen, nur Brotkrumen; mehr kann man das nicht nennen. Aber die wenigen, die überhaupt anspruchsberechtigt sind oder sein sollen, können es sich nicht leisten, die Brotkrumen abzulehnen. Wer seinen Enkeln etwas zur Einschulung schenken möchte und die Taler dafür zählen muss, der wird annehmen. Wer in ernste Geldsorgen gestürzt wird, wenn die Waschmaschine kaputtgeht, der muss auch annehmen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Härtefallfonds beschämt nicht diejenigen, die ihn letztlich annehmen, er beschämt diejenigen, die ihn anbieten, sollte er nicht deutlich erweitert werden. ({1}) Der Härtefallfonds sagt sehr viel aus über die Sicht der Bundesregierung und der Koalition auf den Osten. Sie meinen, es gebe nur Handlungsbedarf bei denjenigen, die sich in Grundsicherungsnähe befinden, und es gebe keinen Handlungsbedarf bei den vielen anderen, für die das nicht gilt: bei den Ingenieuren, Krankenschwestern, Bergleuten oder den ehemaligen Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern aus der DDR. Wir haben in den Jahren 2019 und 2020 bei den 30-jährigen Jubiläen zur Friedlichen Revolution und zur deutschen Einheit hier in diesem Haus wieder ganz viel gehört über Gerechtigkeit und Anerkennung der Lebensleistung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, solange Sie, wie beim Härtefallfonds, nicht bereit sind, Lebensleistung, die auch vor 1990 geleistet worden ist, real anzuerkennen, können Sie sich diese Reden alle sparen. ({2}) Es gibt nicht nur Nachteile für Ostdeutsche, die bereits in Rente sind. ({3}) Ich kann nur sagen: erhöhte Wachsamkeit bei allen Entscheidungen dieser Bundesregierung zum Thema Rente. Damit meine ich konkret die Rentenwertanpassung im Jahr 2024. Schlimm genug, dass der Rentenwert Ost erst 35 Jahre nach dem Mauerfall auf dem Westniveau angekommen sein soll. Aber noch ernster ist, dass die Überschrift „Vereinheitlichung“ wieder mit einer massiven Benachteiligung verbunden sein wird. Im Kleingedruckten wird nämlich die bisher geltende Umrechnung im Rentenwert abgeschafft. ({4}) Mit einem Faktor werden die immer noch strukturell niedrigen Ostlöhne zurzeit auf das Westniveau umgerechnet, damit sich die Lohnlücke von circa 20 Prozent nicht eins zu eins in den Renten der Ostdeutschen fortschreibt. ({5}) Unterm Strich bedeutet dies für die Ostdeutschen real weniger statt mehr Gerechtigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Deswegen muss die Umrechnung erhalten bleiben. ({7}) Das beantragen wir heute hier und stellen es zur Abstimmung. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Abgeordnete Albert Weiler hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauer! Genau das, was die Linken hier fordern, tun wir und versuchen wir schon lange, jedoch wird es immer wieder von den Linken konterkariert, und es wird immer wieder von den Linken in eine falsche Sicht gestellt. ({0}) Ich sage Ihnen eines: Wenn viele aus der Linken, die vorher bei der PDS und davor in der SED waren, die Diktatur der DDR nicht mitgemacht hätten, dann wäre das ganze Problem nicht da. Das muss man auch mal so hinstellen. ({1}) Sich jetzt so zu verhalten, als ob man Heilsbringer wäre und das Geld ausschütten wollte über die Leute, die man vorher in Größenordnungen gegängelt hat, ist schon sehr erstaunlich. ({2}) – Auch wenn es schon 30 Jahre her ist, haben wir alle das noch nicht vergessen, und das ist gut so. ({3}) Erneut liegen uns von der Opposition Anträge vor, die die Rentenangleichung behandeln, die sich mit den Rentenansprüchen befassen. Die Anträge vereint eines: dass sie bereits überholt sind. Ferner vereint sie, dass unrealistische Lösungsansätze gegeben werden, und obendrein wird wieder mal die Finanzierbarkeit vernachlässigt. Aus diesen Gründen – das kann ich gleich vorwegnehmen – werden wir diesen Anträgen auch nicht zustimmen können. ({4}) Zum Ersten. Der Fonds zur Abmilderung von Härtefällen in der Rentenüberleitung ist längst auf den Weg gebracht. Das BMAS hat ein Eckpunktepapier vorgelegt, ({5}) das nun mit den Ländern und den betroffenen Berufs- und Personengruppen diskutiert wird. Die Gespräche laufen und müssen zügig zum Abschluss gebracht werden. Da hilft es uns nicht, wenn Sie das permanent blockieren. ({6}) Auch der Thüringer Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, ({7}) unterstützt mittlerweile den Härtefallfonds. ({8}) Er hat sich sogar öffentlich in einer Pressemitteilung dazu bekannt, und zwar letzte Woche, am 11. Mai, genau einen Tag vor dem Bund-Länder-Gespräch. ({9}) Ich bin froh, dass ich den Ministerpräsidenten davon überzeugen konnte. Das hat mich Kraft gekostet, aber die habe ich gerne aufgewendet; denn auch er hat eingesehen, dass eine gesetzliche Regelung, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern, nicht möglich ist und vor allem bei den Betroffenen falsche Erwartungen weckt. ({10}) Gerne wiederhole ich mich: Das Bundesverfassungsgericht hat höchstrichterlich entschieden, dass es keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt; das wurde auch in der kürzlich stattgefundenen öffentlichen Anhörung von den Sachverständigen bestätigt. ({11}) Trotzdem, meine Damen und Herren, helfen wir. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin eigentlich ein positiv denkender Mensch. Das Gute an Ihrem Antrag ist, dass ich heute noch mal die Möglichkeit bekomme, von dieser Stelle aus für den Härtefallfonds zu werben. Er ist eine gute Lösung, da es uns gelungen ist, den Betroffenen außerhalb des Rentenrechts eine finanzielle Anerkennung zukommen zu lassen. Es gibt natürlich unterschiedliche Auffassungen über die Höhe und darüber, welche Gruppen und Personen berücksichtigt werden sollen. Aber wir sind auf der Zielgeraden, und das sollten Sie jetzt nicht weiter konterkarieren. Ich wünsche mir, dass zum Beispiel die in der DDR geschiedenen Frauen endlich Berücksichtigung finden. Mehr als 150 000 Frauen erwarten eine Entscheidung. Ihnen ist ihre Lebensleistung ebenfalls anzuerkennen, wie den damaligen Mitarbeitern der Deutschen Reichsbahn, den Bergleuten, den Postmitarbeitern, insgesamt 17 Gruppierungen. Daher appelliere ich heute nochmals an die Länder, nun diesen Härtefallfonds für die teils hochbetagten Menschen zu realisieren. Für viele ist das ein wichtiger Schritt, auch um mit der Vergangenheit abzuschließen; ({12}) denn diese politische Entscheidung hat auch eine höchst emotionale Ebene. Zum zweiten Punkt. Wir beraten auch wieder über die Rentenangleichung. Als Gesetzgeber haben wir bereits auch diese Regelung getroffen. Die Renteneinheit wird durch die Angleichung der Rentenwerte bis 2025 abgeschlossen sein; das hat der Deutsche Bundestag am 1. Juni 2017 beschlossen. Ihr Antrag ist in dieser Sache wieder mal überflüssig und auch populistisch. ({13}) Bei der ganzen Debatte zur Renteneinheit frage ich mich: Was bedeutet Rentengerechtigkeit für die Linksfraktion? ({14}) Darauf gebe ich auch gleich die Antwort: Sie spielen die Menschen in Ost und West sowie Jung und Alt gegeneinander aus. Ihr Antrag schafft Ungerechtigkeiten und sorgt für gesellschaftliche Spaltung. Daraus wollen Sie auch noch Wählerprofit ziehen. Das ist einfach nur schlimm. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Lieber Kollege, die Redezeit ist zu Ende.

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Da machen wir nicht mit. Auch diesen Antrag werden wir ablehnen müssen. Auch wenn Sie als Opposition das nicht gerne hören: Die Rentenüberleitung ist eine der größten Leistungen der deutschen Einheit, und das lassen wir uns auch von Ihnen nicht schlechtreden. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist für die Fraktion der AfD die Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Werte Bürger! Der Antrag der Linken „Renteneinheit sofort herstellen“ nimmt sich selbst nicht ernst. Statt sich auf die Probleme bei den Ostrenten zu konzentrieren, wird auch gleich ein Mindestlohn in Höhe von 13 Euro gefordert. Wir möchten auch faire Löhne, die ein gutes Leben ermöglichen. Wir möchten aber eben auch den ostdeutschen Unternehmen, die aktuell gegen die Folgen der Coronakrisenpolitik ankämpfen, keinen K.-o.-Schlag versetzen. ({0}) Der Antrag kommt also zur falschen Zeit und hilft den Ostdeutschen nicht weiter. Mit dem Osten Deutschlands verknüpft sind die auch vom Mitteldeutschen Rundfunk verbreiteten 2 556 Euro. Hierbei handelt es sich um einen Entschädigungsbetrag für bestimmte ostdeutsche Rentner, der nach dem Vorschlag einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe als Einmalbetrag gezahlt werden soll. Wie viele Rentner davon tatsächlich etwas haben werden, ist noch nicht klar. Mit diesen 2 556 Euro für einen kleinen Teil der über 500 000 Betroffenen soll 30 Jahre nach der deutschen Einheit sozialer Frieden geschaffen werden. Dieses Befriedungsprojekt kann jedoch so nicht gelingen. Worum geht es hier? Die Ost-West-Rentenüberleitung hat für Millionen ostdeutscher Bürger Renten gebracht, die ihnen ein gutes Auskommen ermöglichen. Die Rentenüberleitung war eine große, anerkennungswürdige Gemeinschaftsleistung, die unser Land sehr viel Geld gekostet hat. Es gibt aber auch Brüche zwischen den Systemen Ost und West, die nicht aufgefangen wurden, so zum Beispiel für die nach DDR-Recht geschiedenen Frauen, die keinen Versorgungsausgleich erhalten haben und zum Teil nur sehr niedrige Armutsrenten beziehen. Dann gibt es noch zahlreiche Sonderfälle des ostdeutschen Rentensystems, zum Beispiel die Zusatzversorgung für die Reichsbahner, die bei der Rentenüberleitung nicht berücksichtigt wurden. Auch wenn diese Renten zum Leben reichen, führt die Nichteinhaltung der alten Rentenzusagen zu Unfrieden. Jede neue Rentenmitteilung ist eine Erinnerung an eine ungerechte Behandlung. 30 Jahre nach der deutschen Einheit wird nun ein Angebot über 2 556 Euro gemacht. Über einen Entschädigungsfonds sollen einmalige Abfindungen gezahlt werden. Wegen der engen Voraussetzungen werden jedoch nur ganz wenige Bürger davon profitieren können. Die Eisenbahner, Postler, Bergleute usw. werden leer ausgehen. Bei den in der DDR geschiedenen Frauen mit sehr kleinen Renten werden die angebotenen 2 556 Euro nur als ein knausriges Almosen ankommen. Mit solchen Almosen schafft man keinen sozialen Frieden, sondern Spaltung und Verbitterung. ({1}) Wir als AfD haben mit unserem Antrag „Ostdeutsche Arbeitnehmer würdigen – Fondslösung mit Einmalzahlung“ ein differenziertes Lösungsmodell vorgeschlagen. Anders als im Antrag der Grünen zu den Bergleuten in der Braunkohleveredlung werden alle Benachteiligten einbezogen. Und anders als der Antrag der Linken zur Rentenüberleitung bleiben wir nicht im Ungefähren. Wir machen einen konkreten Entschädigungsvorschlag, der an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpft. Die vorgeschlagenen 400 Euro je Jahr der Betriebszugehörigkeit sind ein fairer Vorschlag, der eine Befriedung ermöglicht. Wie soll nun so ein Entschädigungsfonds finanziert werden? Deutschland hat scheinbar fast unbegrenzte Möglichkeiten, zumindest dann, wenn es um die sogenannte europäische Solidarität geht. In den EU-Wiederaufbaufonds zahlt Deutschland 65 Milliarden Euro mehr ein, als es herausbekommen wird. Mit diesen Mitteln soll dann zum Beispiel in Frankreich, Italien und Spanien wiederaufgebaut werden. Ich weiß zwar nicht, was dort wiederaufgebaut werden muss; ich weiß aber, dass die Bürger in diesen EU-Ländern zumindest früher als in Deutschland in Rente gehen und auch das Rentenniveau höher ist als bei uns. Bei der Bundesregierung sind die Prioritäten durcheinandergeraten. Es wird wiederaufgebaut, wo nichts zerstört wurde. Das Wohl anderer EU-Bürger wird über das Wohl der eigenen Bürger gestellt. ({2}) Die deutschen Bürger spüren, was der Regierung am Herzen liegt, wofür sie sich einsetzt und wofür eben nicht. Im September werden die Bürger der Regierung dafür dann auch das passende Zeugnis ausstellen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Abgeordnete Ralf Kapschack hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rentenüberleitung im Zuge der Wiedervereinigung war insgesamt ein großer Erfolg. ({0}) Aber natürlich hat es Ungerechtigkeiten und Härten gegeben – das kann niemand ernsthaft bestreiten –; denn bestimmte Versorgungssysteme der DDR waren in Westdeutschland schlicht unbekannt: Sonderrenten für Sportler oder die sogenannte technische Intelligenz gab und gibt es in der Deutschen Rentenversicherung nicht. In der DDR geschiedene Frauen haben eine oft deutlich geringere Rente als geschiedene Frauen in Westdeutschland. Das liegt daran, dass es in der DDR keinen Versorgungsausgleich gab. All dies ist ein Hinweis: Da ist zwar zusammengewachsen, was zusammengehört; ({1}) aber es gab eine Menge Probleme. Deshalb ist es verständlich, dass Betroffene auch nach mehr als 30 Jahren fordern, dass ihre Ansprüche berücksichtigt werden. Meine Kollegin Daniela Kolbe – sie ist leider heute krank, sonst würde sie hier stehen – hat in den vergangenen Jahren zahllose Gespräche mit Betroffenen geführt. Bei einigen war ich dabei, und wir beide hatten den Eindruck: Die Frauen und Männer, die betroffen sind, wollen jetzt, dass endlich ein Schlussstrich unter dieses Thema gezogen wird. Klar ist: Der Zusammenschluss der Betroffenen und die Bereitschaft zur Diskussion am runden Tisch waren auch ein Weg, Druck zu machen, um eine Lösung zu finden. Deshalb gilt unser Respekt denjenigen, die sich für ihre Interessen eingesetzt haben: hart in der Sache und meistens fair im Umgang. ({2}) Aber es gibt – und da sollte man nicht drum rumreden – einen Dissens zwischen dem, was sich die Betroffenen wünschen, was sie für gerecht halten, und dem, was die Mehrheit im Deutschen Bundestag für machbar hält. Die Koalition hat sich aus guten Gründen dafür entschieden, diese Fragen eben nicht im Rentenrecht zu lösen. Vielmehr sollen besondere Härten – das ist schon angesprochen worden –, die sich ergeben haben, durch Einmalzahlungen aus einem noch einzurichtenden Fonds zumindest gemildert werden. „Härtefall“ meint in der Tat Frauen und Männer mit einer Rente in Grundsicherungsnähe. Das wird nicht alle zufriedenstellen – völlig klar –, aber es ist der einzig realistische Weg, eine Lösung hinzubekommen. ({3}) – Hören Sie zu! Der Antrag der Linken „30 Jahre DDR-Rentenüberleitung – Ansprüche anerkennen“ könnte den Eindruck erwecken, man wolle die gesamte Rentenüberleitung wieder aufmachen, Punkt für Punkt. Das sehen wir nicht so, das sieht auch die Mehrheit in diesem Haus nicht so, und das sah auch die Mehrheit der Experten bei der Anhörung nicht so. ({4}) Bund und Länder sind seit Längerem dabei, sich auf Details eines Härtefallfonds zu verständigen, zum Beispiel wie groß die Gruppe der Betroffenen ist, um dann – dann! – über die Höhe von Einmalzahlungen zu reden. Die Gespräche laufen, und wir wollen, dass die vorgesehene Stiftung im Sommer ihre Arbeit aufnehmen kann. Bei den Gesprächen zwischen Bund und Ländern geht es nicht zuletzt darum, wie viel Geld zur Verfügung steht. Die Länder müssen jetzt sagen, ob sie dabei sind und, wenn ja, in welchem Umfang. Deshalb bitte ich alle, deren Parteien in den Ländern Verantwortung tragen, darauf einzuwirken, dass die Länder konstruktiv mitarbeiten und nicht nur mit dem Finger auf den Bund zeigen. ({5}) Ich bin zuversichtlich, dass wir da etwas hinbekommen. Aber wir müssen weg von einer Rentenpolitik, die in Ost-West-Kategorien denkt, und hin zu einer Rentenpolitik, die für eine auskömmliche Rente im Alter in ganz Deutschland sorgt. ({6}) Im Jahr 2025 haben wir endlich ein einheitliches Rentenrecht in Deutschland; das hat lange genug gedauert. ({7}) Mit der Grundrente helfen wir Menschen, die lange gearbeitet, aber wenig verdient haben. Von der Grundrente profitieren vor allem Frauen, vor allem Frauen im Osten. ({8}) Gute Löhne und Tarifverträge sind Voraussetzung für eine ordentliche Rente. Das gilt in Leipzig sowie in Essen; das gilt in Berlin sowie in Würzburg. Und da haben wir noch eine Menge zu tun. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion macht sich bereit und auf den Weg der Abgeordnete Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke fordert in einem ihrer beiden Anträge, alle in der DDR erworbenen Rentenansprüche anzuerkennen. Sie beziehen sich in Ihrem Antrag beispielhaft auf geschiedene Frauen, auf Bergleute der Braunkohleveredlung und andere. Was Sie aber auch meinen, wenn Sie sagen, dass Sie alle in der DDR erworbenen Rentenansprüche anerkannt sehen wollen, das sind natürlich die Rentenansprüche der höchsten Politkader der SED und der Staatssicherheit. ({0}) Das sollen die Bürgerinnen und Bürger wissen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Matthias W. Birkwald?

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, diese Zwischenfrage lasse ich nicht zu, und ich begründe es auch gleich innerhalb meiner Rede. ({0}) Der zweite Punkt – das habe ich schon in der ersten Lesung angesprochen; und es wäre anständig gewesen, diesen Antrag zurückzuziehen – ist der Sprachduktus des ganzen Antrags. ({1}) Ich bin mir sicher, der ist so nicht auf Basis der Haltung von Matthias Birkwald geschrieben worden. Aber die deutsche Einheit mit – Zitat – „viel Verzweiflung und Wut“ zu assoziieren, ist schlicht und ergreifend unerträglich. ({2}) Wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben – Zitat –, „Unkenntnis, Ignoranz und moralisch begründete Willkür“ hätten zu „Kürzungen und Streichungen“ bei Rentenansprüchen geführt, ({3}) dann muss ich einfach sagen: Überlegen Sie mal, was Sie damit sagen, wenn das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1999 in drei Urteilen anerkannt hat, dass der Rentenüberleitungsprozess verfassungskonform war. Sie diskreditieren das Bundesverfassungsgericht. ({4}) Das ist nicht in Ordnung, und Sie sollten einmal darüber nachdenken, was Sie in Ihren Anträgen schreiben. ({5}) Nun möchte ich mich auch den Grünen zuwenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie haben auch einen Antrag vorgelegt. Sie schlagen vor, eine Härtefallregelung für besondere Berufsgruppen einzuführen. Das ist sicherlich richtig und der richtige Weg; das sagen wir auch. Wir müssen uns in der Hinsicht auch beeilen; denn es handelt sich um Menschen, die hochbetagt sind, und die Zeit rennt davon. Allerdings machen Sie in Ihrem Antrag zugleich einen zweiten Vorschlag, nämlich zur Vertrauensschutzregelung. Und dazu hat die öffentliche Anhörung doch eindeutig gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, eine Lösung innerhalb des Rentenrechts zu suchen; denn dadurch würden neue Ungerechtigkeiten entstehen, beispielweise zwischen den Arbeiterinnen und Arbeitern in der Braunkohleveredlung in der DDR, die der bergmännischen Beschäftigung unter Tage gleichgestellt waren, und denen im Westen, wo das eben nicht der Fall war. Insofern enthält Ihr Antrag da eine Hürde für uns, dem zuzustimmen. Wir werden uns enthalten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin Monika Lazar. ({0})

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rentenüberleitung war und ist eine vielschichtige Aufgabe und historisch einmalig. Mich begleitet das Thema die ganzen 16 Jahre, die ich im Bundestag bin; denn schon kurz nachdem ich Abgeordnete wurde, haben sich die verschiedenen Rentengruppen bei mir gemeldet und mich auf die Ungerechtigkeiten hingewiesen. Das betrifft vor allem zwei Themenkomplexe, die hier auch schon angesprochen wurden. Zum einen ist das die Berechnung der Renten in Ost und West. Diese hatte insbesondere in den 90er-Jahren in dem Gehaltsgefälle und in der Historie ihren Grund. Allerdings ist es jetzt an der Zeit, die Änderungen vorzunehmen und Rentenwert und Hochwertungsfaktor zu vereinheitlichen. ({0}) Zum anderen ist die Frage der Überführung der zahlreichen DDR-Sonder- und Zusatzversorgungssysteme immer noch offen. Wir plädieren für differenzierte Lösungen; denn einige Berufs- und Personengruppen haben im Zuge der Rentenüberleitung ungerechtfertigte Benachteiligungen erfahren. Hierzu hatte ich in meiner eigenen Bundestagsfraktion einige Überzeugungsarbeit zu leisten, um die Fraktionsmeinung zu ändern; das war nicht ganz einfach. Ich war aber hartnäckig und konnte die jeweiligen rentenpolitischen Sprecher davon überzeugen. Deshalb: Danke, Markus Kurth und Wolfgang Strengmann-Kuhn. ({1}) So konnte ich erreichen, dass wir uns für die in der DDR geschiedenen Frauen, für die ehemaligen Ballettmitglieder in der DDR und für die Beschäftigten des Gesundheits- und Sozialwesens einsetzen. Mit der Gruppe der Bergleute der Braunkohleveredlung aus Borna/Espenhain, südlich von Leipzig, hatte ich in den letzten Jahren besonders intensiven Kontakt, und ich unterstütze ihr Bemühen. Nun es ist vielleicht nicht ganz naheliegend, wenn sich ausgerechnet eine Grüne für Braunkohleleute einsetzt. Aber ich bin in der Region aufgewachsen und weiß, unter welch harten Arbeitsbedingungen sie eingesetzt waren und aus welchen Gründen sie ihre Ansprüche ableiten und dass sie seit vielen Jahren dafür kämpfen. Einen eindrücklichen Nachweis ({2}) haben sie uns allen in dieser doch sehr dicken Dokumentation geliefert. ({3}) Die Braunkohleleute waren jeden Tag sehr widrigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Ihre besonderen Rentenansprüche nach DDR-Recht hatten Entschädigungscharakter. Deshalb haben wir als Fraktion einen Antrag für diese Rentengruppe eingereicht, über den wir heute auch abstimmen lassen. ({4}) Im Koalitionsvertrag hat sich die Koalition wenigstens auf die Einrichtung des Härtefallfonds verständigt; und da gibt es jetzt auch Vorschläge. Da nun die Länder mit in die finanzielle Verantwortung genommen werden, ist es wichtig, dass die Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern jetzt sehr schnell abgeschlossen werden, damit die betroffenen Menschen sehr zügig ihre Anerkennung bekommen. Da kommt es wirklich auf eine angemessene Höhe an. ({5}) Alles andere –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– wird dann in der nächsten Wahlperiode zu leisten sein. Da dieses Thema nur in einer grün-rot-roten Koalition mehrheitsfähig ist, wünsche ich mir, dass es nach der Bundestagswahl diese Mehrheit gibt und sich dann eine neue Koalition dieser Sache zügig annehmen wird. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Alexander Krauß, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte die Debatte, die wir gerade führen, in die Rentenpolitik dieser Wahlperiode einordnen und mit den Herausforderungen für die nächste Wahlperiode verbinden. Ein Thema, wofür wir als Christlich-Soziale über Jahre hinweg stark gekämpft haben, war die Grundrente, und ich bin froh, dass wir das in dieser Wahlperiode so weit umsetzen konnten, dass 1,3 Millionen Rentner mit geringen Renten ab diesem Jahr davon profitieren werden. Das ist ein ganz wichtiges Anliegen; denn wer sein Leben lang gearbeitet hat, der muss am Lebensende mehr haben als jemand, der nicht gearbeitet hat. ({0}) Das ist gerade auch im Osten Deutschlands ein Thema. Wir haben in dieser Wahlperiode aber auch Verbesserungen bei der Mütterrente auf den Weg gebracht, sodass Mütter, die ihre Kinder vor 1992 auf die Welt gebracht haben, höhere Renten bekommen. Denn eines ist klar: Ohne Kinder gibt es später niemanden, der die Rente finanziert. ({1}) – Ja, Entschuldigung. Bei Ihnen fällt das Geld immer vom Himmel. Deswegen können Sie solche Forderungen aufstellen. ({2}) Jeder, der normal denkt, weiß: Wenn ich keine Kinder habe, dann sorgt im Alter niemand für mich vor. Das ist eine ganz einfache Logik. Schade, dass sich das den Linken nicht erschließt. ({3}) Wir haben auch bei der Erwerbsminderungsrente Verbesserungen auf den Weg gebracht; denn es gibt Menschen, die krankheitsbedingt früher aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen. Deswegen ist es gut, dass wir diese Menschen in den Blick genommen haben. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch einen Blick vorauswerfen. Ich möchte nicht die Schlachten der Vergangenheit führen, wie es die Linke hier immer tut ({5}) mit ihren Selbstbeweihräucherungen und ihrem Wünsch-dir-was, sondern den Blick darauf lenken, was in der kommenden Wahlperiode auf uns zukommt, und mit einer Vorbemerkung beginnen – weil das nicht in die Köpfe der Linken geht, hören Sie jetzt bitte ein bisschen aufmerksamer zu –: ({6}) Die Voraussetzung für eine bessere Rente ist, dass die Wirtschaft funktioniert, dass die Menschen in die Rentenversicherung einzahlen können. Die Rente hängt davon ab, dass es Menschen gibt, die gut bezahlte Arbeit haben. Das ist nur möglich, wenn es eine starke Wirtschaft gibt. Wenn die Wirtschaft nicht funktioniert, wenn sie abgewürgt wird, dann ist das auch für die Rente ein großes Problem, weil es dann zu wenige Menschen gibt, die Rentenanwartschaften erarbeiten können. ({7}) Jetzt schauen wir uns das mal an: Wir haben seit 2005 eine Regierung mit Unionsführung. Seit dieser Zeit, bis hin zur Pandemie, sind in diesem Land täglich 1 400 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, Entschuldigung. Darf ich mal kurz unterbrechen? – Kollegen von der AfD-Fraktion, könnten Sie bitte den Abstand einhalten? Eine Maske wäre noch besser! ({0}) Bitte schön, Herr Kollege.

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann fahre ich fort. – Seit 2005 sind in diesem Land jeden Tag 1 400 neue Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Das sind für diesen Zeitraum 7 Millionen Menschen, die Rentenanwartschaften erwerben, die nicht arbeitslos sind. ({0}) Man kann ruhig mal fragen, wie es vorher gewesen ist. Wie war es denn in den drei Jahren der letzten Koalition von Rot-Grün? In dieser Zeit sind in diesem Land täglich 1 400 Jobs weggefallen. Das ist die Realität. Deswegen ist es gut, wenn die Union in der Regierung ist und Verantwortung übernimmt, auch in der Sozialpolitik. ({1}) Für uns ist klar, dass es einen Leitsatz gibt: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der muss mehr haben als jemand, der nicht gearbeitet hat, und der sollte nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein. Mit der Grundrente haben wir den ersten Schritt gemacht. Wir könnten einen Schritt weitergehen, indem man zum Beispiel bei Geringverdienern einen höheren Arbeitgeberanteil zur Rente vereinbart. Das würde dazu führen, dass Niedrigverdiener eine höhere Rentenanwartschaft aufbauen. Das ist eine Forderung des Arbeitnehmerflügels in der CDU, und ich hoffe, dass der sich durchsetzt. ({2}) Wir haben weitere Punkte, die ich Ihnen gern mitteilen möchte. Auch die Stärkung der Betriebsrenten ist ein Thema, das uns bewegt. Die gesetzliche Rente ist natürlich die stärkste Säule der Alterssicherung. Aber auch die betriebliche Altersvorsorge ist ein wichtiger Baustein für eine gute Absicherung im Alter. Wenn nur jeder zweite Beschäftigte Anspruch auf eine Betriebsrente hat, dann ist das zu wenig. Wir brauchen mehr Menschen, die von Betriebsrenten profitieren. Deswegen wäre eine paritätisch finanzierte Betriebsrente, die verpflichtend ist für alle, ein guter Schritt in diese Richtung. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass der Arbeitnehmeranteil für die Geringverdiener dann steuerfinanziert ist, sodass es zu keiner Mehrbelastung für die Geringverdiener kommt. ({3}) Worüber wir auch sprechen müssen, ist die private Altersvorsorge, die attraktiver und transparenter werden muss. Wir brauchen hier ein Standardvorsorgeprodukt, bei dem jeder mit dabei ist. Wir müssen die Menschen überzeugen, auch privat vorzusorgen. Auch dafür können wir den Anlauf übernehmen. Wir haben gute Ideen für die neue Wahlperiode. Wir haben keine Ladenhüter im Angebot, wie das bei der Linken der Fall ist, ({4}) sondern wir haben frische Ideen. Deswegen freue ich mich in den kommenden Wochen auf spannende rentenpolitische Diskussionen in diesem Land. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: der Kollege Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Land gibt es Ungerechtigkeiten, und wir finden sie auch in der Rentenpolitik. Hunderttausende Ostdeutsche sind durch das Rentenüberleitungsgesetz von 1991 benachteiligt. Leistungen anerkennen, Menschen respektieren und für Gleichheit sorgen – das ist der Anspruch eines sozialen und solidarischen Staates. ({0}) Wir sind nicht so schnell vorangekommen, wie wir es uns erhofft haben, aber es liegt ein Eckpunktpapier der entsprechenden Ministerien auf dem Tisch. In diesem Papier steht: Erstens. Es soll ein Fonds zur Abmilderung von Härtefällen in der Rentenüberleitung geschaffen werden. Zweitens. Es soll eine Stiftung im Rahmen einer Bund-Länder-Vereinbarung eingerichtet werden. Diese Stiftung soll die Anträge sammeln, bearbeiten und Einmalzahlungen vornehmen. Drittens. Der Bund übernimmt die eine Hälfte des Fonds, die andere Hälfte müssen die Länder übernehmen. Der Ball liegt also auf der Seite der Länder. Deshalb auch hier unsere Bitte an alle: Gehen Sie auf Ihre Landesregierungen zu, und sagen Sie: Wir wollen eine Veränderung. Wir wollen die Lebensleistung von DDR-Bürgerinnen und -Bürgern endlich anerkennen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mit vielen Betroffenen gesprochen, die durch das Rentenüberleitungsgesetz benachteiligt worden sind. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. – Es gibt aber noch eine Gruppe von Menschen, die wir nicht vergessen sollten. Das sind die Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter aus Mosambik. 17 000 von ihnen sind gekommen, um in der DDR zu arbeiten. Ein Teil ihres Lohnes wurde einbehalten, und zwar zur Begleichung von Schulden ihres eigenen Landes. Ein anderer Teil wurde einbehalten für die Sozialversicherung. Man sagte ihnen, dass sie das Geld bekämen, wenn sie wieder in ihrer Heimat seien. Doch das Geld bekamen sie nicht. Auch diese Gruppe dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Land gibt es Ungerechtigkeiten, und wir finden sie auch in der Rentenpolitik. Es ist die Aufgabe von uns allen, diese Ungerechtigkeiten endlich zu beenden. Dieser Härtefallfonds löst sie nicht alle. Mit dem Eckpunktepapier ist aber ein entscheidender Schritt getan. Lassen Sie uns daran anknüpfen. Das Problem können wir endgültig nur lösen, wenn die Sozialdemokratie das Sagen hat, ({1}) und deshalb sage ich einfach: Es ist wichtig, dass wir diesen Schritt weitergehen. Danke schön. ({2})

Jens Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Soldaten geloben oder schwören zu Beginn ihrer Bundeswehrlaufbahn, der Bundesrepublik treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Die bei jedem Gelöbnis kraftvoll ausgesprochenen Worte sind ein äußerst wichtiges Zeugnis der Soldaten, wie und für wen sie ihren Dienst verrichten. Zwei Wörter stechen für mich besonders aus der Gelöbnisformel heraus: „Recht“ und „Freiheit“. Diese finden wir auch in unserer wunderschönen Nationalhymne. „Recht“ und „Freiheit“ finden wir aber auch in vielfacher Weise in unserem Grundgesetz wieder. Gerade in den ersten 20 Artikeln kommen sie in unterschiedlichster Ausprägung vor und setzen damit das Fundament für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Unsere Soldaten sind durch § 8 des Soldatengesetzes verpflichtet, für diese demokratische Grundordnung einzutreten. Ich zitiere: Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten. „Durch sein gesamtes Verhalten“ – das ist der springende Punkt, meine Damen und Herren. Nahezu alle Soldaten verkörpern in Auftritt und Haltung unsere freiheitliche demokratische Grundordnung und leben dies vor. Es gibt viele Beispiele, wo wir das sehen können: in der gewissenhaften Pflichterfüllung im Dienst, außerhalb des Dienstes im Leisten von Erster Hilfe bei einem Unfall oder gerade jetzt in der Coronapandemie. Ich habe Soldaten bei ihrem Dienst in Leipziger Altenheimen besucht. Das Lächeln, das die dort eingesetzten Soldaten den Bewohnern auf die Lippen gezaubert haben, weil sie sich herzlich um die Bewohner und Besucher gekümmert haben, ist in dieser schwierigen Zeit ein unbeschreiblicher Lichtblick gewesen, wofür ich den Soldaten sehr dankbar bin. Und diesen Dank kann man nicht oft genug wiederholen. ({0}) Werte Kollegen, ich sagte eben, dass das Verhalten der springende Punkt ist; denn es gibt leider einige wenige schwarze Schafe, ({1}) die zwar ihren Dienst erfüllen, die aber durch ihre Gesinnung erhebliche Zweifel an ihrer Verfassungstreue und am Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung aufkommen lassen. Und diese müssen wir erkennen. Deshalb entscheiden wir über den vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur intensivierten erweiterten Sicherheitsüberprüfung von Soldaten und Reservisten. Der vorliegende Entwurf ist keineswegs Ausdruck eines Generalverdachts gegen unsere Soldaten und Reservisten. Er ist vielmehr ein verlässliches Instrument, um Sicherheitsüberprüfungen im Interesse der Soldaten und Reservisten durchführen zu können. Denn es reicht oftmals nur ein Soldat, der extremistische Bestrebungen hat, um durch sein Verhalten einen Generalverdacht gegen die gesamte Truppe aufkommen zu lassen. Gerade von ganz links ist dann immer wieder zu hören, wie extrem doch die Bundeswehr sei. Nein, es ist eben nicht die Bundeswehr; es ist ein einzelner Soldat, der leider das redliche Verhalten aller anderen Soldaten in Misskredit bringt. Dem wollen wir begegnen, indem wir dem MAD eine gesetzliche Grundlage an die Hand geben, um solche Extremisten frühzeitig zu identifizieren. ({2}) – Sie können sich melden und eine Zwischenfrage stellen. ({3}) – Die würde ich vielleicht nicht zulassen; aber melden kann sie sich ja. ({4}) Wir müssen unsere Bundeswehr stärken, damit sie sich auf ihren Auftrag konzentrieren kann. Dieser Auftrag – Ministerin Kramp-Karrenbauer und General Zorn haben ihn in dieser Woche mit ihrem Eckpunktepapier bereits deutlich umrissen – wird die Bundeswehr in Zukunft noch mehr fordern. Deshalb muss sie ihre Kräfte auf das Wesentliche konzentrieren, anstatt sich mit extremistischen Soldaten in den eigenen Reihen zu beschäftigen. Und weil die künftigen Aufgaben fordernd sind, wird die Bundeswehr die Reserve stärken, die in vielfacher Weise die aktive Truppe entlastet. Deshalb müssen wir auch bei den Reservisten genau hinschauen ({5}) und den gleichen Maßstab wie bei aktiven Soldaten anlegen. Denn auch bei den Reservisten soll die Sicherheitsüberprüfung herausfinden, ob ein Bürger den hohen Sicherheitsanforderungen, die der Bund an gewisse Aufgaben stellt, gerecht wird. Wir wollen wissen, wen wir mit sensiblen Aufgaben betrauen. Denn es gibt eben Fälle, in denen Menschen Gedanken entwickeln, die nicht mit unserer demokratischen Grundordnung vereinbar sind – das haben Ausnahmen der jüngeren Vergangenheit leider gezeigt –, und denen möchte ich definitiv keine sicherheitsempfindlichen Aufgaben übertragen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf, weil ich davon überzeugt bin, dass wir damit das Sicherheitsfundament der Bundeswehr stärken. Die Bundeswehr baut darauf, dass ihre Soldaten und Reservisten gemäß der Gelöbnisformel und den Paragrafen des Soldatengesetzes treu dienen und für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten. Die Bundeswehr lebt davon, dass Soldaten und Reservisten mit voller Leidenschaft ihren Dienst verrichten. Das machen sie, wenn sie wissen, dass unter ihnen keine schwarzen Schafe sind, die den guten Ruf der Bundeswehr beschmutzen. Es geht darum, eine tragfähige Grundlage zu schaffen, damit Soldaten in Verwendungen mit besonders hohen Sicherheitsanforderungen eingesetzt werden können. Es geht darum, Reservisten einzusetzen, die viele Monate oder gar Jahre keine Wehrübung mehr abgeleistet haben und demnach in das erforderliche Sicherheitsnetz der Bundeswehr integriert werden müssen. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für den vorliegenden Entwurf. Damit unterstützen Sie die Bundeswehr, ihre Soldaten und ihre Reservisten. Danke. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die Fraktion der AfD ist der Abgeordnete Berengar Elsner von Gronow. ({0})

Berengar Elsner von Gronow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004708, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem“. Dies attestierte ihr die damalige Verteidigungsministerin unzulässigerweise im Jahr 2017, und dies hallt in diesem Gesetzentwurf nach. Die eigene Regierung misstraut zunehmend ihren Staatsdienern, ihren Bürgern. Ich hatte geglaubt, dass wir aus der Ära deutscher Überwachungsstaaten des 20. Jahrhunderts gelernt, wir dies überwunden hätten und sich so etwas nicht wiederholen würde. ({0}) Aber die aktuelle Coronapolitik zeigt uns schmerzlich auf, wie schnell Regierung und Staatsorgane bereit sind, Freiheit und Datenschutz zugunsten angeblicher Sicherheit einzuschränken. Das akzeptieren wir als AfD aber nicht und zum Glück mit uns immer mehr Menschen in diesem Lande. ({1}) Jüngst stufte der Militärische Abschirmdienst einfach mal 1 200 Reservisten als rechtsradikal ein, ohne dass die Betroffenen davon Kenntnis haben. Wo soll es denn hinführen, wenn es heute schon reicht, als „rechtsradikal“ eingestuft zu werden, wenn man einen Artikel der „Jungen Freiheit“ weiterleitet oder eine schlagende Studentenverbindung besucht? Zumindest hat dies den Abgeordneten Sensburg, CDU, auf den Plan gerufen, der nicht nur Stabsoffizier der Reserve und Juraprofessor ist, sondern auch Präsident des Reservistenverbandes. Ich zitiere: „Nicht ein einziger dieser Fälle würde einer rechtlichen Überprüfung standhalten.“ Aber darum geht es ja gar nicht. Es reicht in unserem Land schon, um als „rechtsradikal“ bezeichnet und desavouiert zu werden, wenn einem irgendjemand auch nur Ansätze nicht linker Gesinnung unterstellt. Das ist typisches politisches Denunziantentum, wie wir es aus totalitären Systemen kennen. Das aber darf nie wieder Standard in Deutschland werden. ({2}) Ich bin gespannt, ob Professor Sensburg etwas erreichen wird oder ob er parteiintern bereits zurückbeordert wurde; denn die einst konservative CDU bereitet sich schließlich längst auf ein neues Bündnis mit den Linken vor, nur zukünftig grün lackiert. ({3}) Die Bundeswehr und auch das KSK als Ganzes haben nicht ein Haltungs-, sondern, wenn schon, ein Leitungsproblem. Es geht ganz und gar nicht darum, Fehltritte einzelner Soldaten klein- oder wegzureden. Aber dieses steigende Misstrauen des Staates seinen Bürgern gegenüber, besonders jenen in Uniform, ist eine ganz schlechte Entwicklung in unserem Land. Und wenn sich über meine Kritik daran im Ausschuss von der SPD lustig gemacht wird, wie seltsam liberal die AfD doch plötzlich wäre, kann ich nur sagen: Das nehme ich gerne an; denn es zeigt, dass die AfD die einzig verbliebene Partei ist, die sich glaubhaft und ernsthaft für die Freiheit unserer Bürger einsetzt. ({4}) Das sieht man auch daran, dass die von mir geforderte öffentliche Anhörung mit Sätzen wie: „Trotz aller berechtigter Kritik werden wir für das Gesetz stimmen“, von allen anderen Parteien, auch von den Scheinfreiheitlichen der FDP, abgelehnt wurde. Ich hoffe, der Bürger weiß das zu würdigen. So macht man keine glaubhafte Politik für die Freiheit. ({5}) Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der SPD hat das Wort der Kollege Dr. Fritz Felgentreu. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So schwer ist das gar nicht. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz wird im Soldatenrecht eine harte Regel neu geschaffen und eine Lücke geschlossen. Die harte Regel bezieht sich auf Soldaten und Soldatinnen mit ganz besonderen Fähigkeiten, zum Beispiel als Hacker, im Umgang mit Sprengstoff oder im Nahkampf. Die Lücke gab es bisher bei Reservistinnen und Reservisten. Im Fall der Spezialisten geht der Gesetzgeber davon aus, dass es besonders gefährlich werden kann, wenn Einzelne von ihnen ihre Fähigkeiten für kriminelle oder terroristische Zwecke einsetzen sollten. Um dieser Gefahr vorzubeugen, sollen sie in kürzeren Abständen einer schärferen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden als die anderen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Das ist ein unangenehmer Vorgang, bei dem Vergangenheit und Lebensumstände durchleuchtet werden. Der Militärische Abschirmdienst führt Gespräche mit Personen aus dem Umfeld und sieht sich die Profile und Kontakte der Betreffenden in den sozialen Medien an. Die Frage, ob das nicht zu weit geht, ob eine einmalige verschärfte Sicherheitsüberprüfung nicht ausreichen muss, ist berechtigt. Um sie zu beantworten, müssen wir uns die Gefahrenlage klarmachen. Erstens stellt dabei niemand die Sinnhaftigkeit von Sicherheitsüberprüfungen in der Bundeswehr insgesamt infrage. Es liegt ja auf der Hand: Auf ihre Waffenträgerin, die Bundeswehr, muss sich die Republik verlassen können. Dass die Bundeswehr ein lohnendes Ziel für Menschen sein kann, die unserem Land oder seiner freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht wohlgesonnen sind, davon müssen wir ganz selbstverständlich ausgehen. Die Abwehr von Spionage und Unterwanderung gehört zur militärischen Sicherheit, genau wie die Waffenkammer und der Kasernenzaun. Zweitens können Soldatinnen und Soldaten mit besonderen Fähigkeiten eine große Wirkung erzielen, aber eben auch einen größeren Schaden anrichten als andere. Deswegen ist es logisch, ihre Zuverlässigkeit, ihre Verfassungstreue, ihre Charakterfestigkeit besonders genau zu überprüfen, bevor sie ihre Ausbildung in den entsprechenden Aufgabenfeldern beginnen. Das ist kein Ausdruck von Misstrauen, sondern ein Gebot der Vorsicht. Und drittens haben wir in den letzten Jahren die Erfahrung machen müssen, dass sich Menschen im Laufe ihres Lebens manchmal schnell radikalisieren können. Für die Bundeswehr bedeutet das: Wer vielleicht vor zehn Jahren einmal seinen Diensteid abgelegt und jedes Wort auch so gemeint hat, der kann sich heute im Denken und Handeln von den Werten des Grundgesetzes verabschiedet haben. Wir hatten solche Fälle. Aufsehen erregte ein Offizier, über den unter dem Namen Franco A. in den Medien berichtet wurde, der sich während der Flüchtlingskrise mit einer Aliasidentität als Flüchtling gemeldet und auf einem Flughafen eine Waffe versteckt hatte. Große Besorgnis löste ein Unteroffizier der Spezialkräfte aus, weil er im eigenen Garten ein Waffen- und Munitionsdepot angelegt hat. Angesichts solcher Erfahrungen ist doch klar: Es wäre naiv, wenn sich Gesetzgeber und Dienstherr auf den Lorbeeren einer einmaligen Überprüfung in der Vergangenheit ausruhen würden. Das gilt für die Spezialisten, und es gilt eben auch für die Reserve, wenn auch mit einer deutlich geringeren Tiefe der Überprüfung. Von Zeit zu Zeit muss der MAD noch mal hinschauen, und wieder: nicht aus Misstrauen, sondern aus Vorsicht. Wir bauen ja auch den Kasernenzaun nicht, weil wir erwarten, dass die Jugend aus dem Nachbardorf sonst die Waffenkammer plündert oder die Panzer sabotiert, sondern weil der Schaden einfach zu groß wäre, wenn es doch einmal zu so etwas käme. Diese Überlegungen scheinen mir auch überhaupt nicht kompliziert oder problematisch zu sein. Die zusätzliche Belastung für Soldaten und Soldatinnen, die sich ohnehin schon überdurchschnittlichen Aufgaben gewachsen zeigen müssen, sehe ich aber sehr wohl. Ihnen gelten an dieser Stelle der Dank und die Solidarität der SPD-Fraktion, Dank und Solidarität für Bundeswehrangehörige, deren Dienstauffassung sich über den Durchschnitt erheben muss, weil ihr Dienstherr ihnen Tag für Tag mehr abverlangt als anderen. Eine zusätzliche Belastung bedeutet dieses Gesetz aber auch für den MAD. Deswegen, Herr Silberhorn: Tragen Sie bitte Sorge dafür, dass der Militärische Abschirmdienst mit gut ausgebildetem Personal so ausgestattet ist, dass er auch diese Aufgabe schultern kann; denn der MAD hat keine einfache Aufgabe. Er muss gegenüber denen, die er überprüft, kameradschaftlich bleiben, darf aber nicht in Kumpanei verfallen. Er soll weder misstrauisch noch naiv sein. Dafür brauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine gute fachliche Ausbildung, Menschenkenntnis und Nervenstärke. Sie nicht zu überfordern, heißt: Für neue Aufträge müssen auch die Menschen und die Mittel zur Verfügung stehen. Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soldatinnen und Soldaten erlernen spezielle Fähigkeiten zum Wohle der Bundesrepublik. Aber alles Erlernte kann natürlich auch zum Nachteil unserer Sicherheit angewandt werden. Es ist daher nur selbstverständlich, dass Männer und Frauen in der Bundeswehr, vor allem, wenn sie in einem sicherheitsrelevanten Bereich tätig sind, entsprechend überprüft werden. Die Methoden der Spionage werden immer ausgefeilter, raffinierter, auch und besonders im Netz. Daher müssen Sicherheitschecks in engeren Intervallen durchgeführt werden. Da darf es bei Uniformträgern keine Unterschiede geben, egal ob sie zeitlich begrenzt, als Berufssoldaten oder eben als Reservisten dienen. Deswegen werden wir dem Gesetzentwurf auch zustimmen. Ich plädiere an dieser Stelle aber auch dafür, dass wir bei allen richtigen Maßnahmen die Balance finden. Der Alarmismus, meine Damen und Herren, muss aufhören. ({0}) Skandalöserweise wurde besonders beim Rechtsextremismus zu lange weggeschaut, auch und besonders im MAD. Jetzt wurden Instrumente geschärft, und wir alle wurden sensibilisiert. Das ist elementar, und das ist gut und richtig. Aber wir müssen unterscheiden zwischen Rechtsextremen, die sich in kriminellen Netzwerken tummeln, gegebenenfalls Straftaten planen, ihre Waffen im Garten verbuddeln, und denjenigen, die unreflektiert – nennen Sie es unwissend, nennen Sie es blöd, naiv, geschmacklos – Dinge von sich geben, ohne sich der Dimension des Gesagten oder Getanen und den Folgen daraus rechtlich, aber auch persönlich im Klaren zu sein. Ich bin – das wissen Sie – weit davon entfernt, etwas relativieren zu wollen. Es würde aber auch helfen, wenn Verdachtsfälle viel schneller bearbeitet würden; dafür brauchen das BAMAD und die völlig überlasteten Truppengerichte viel mehr fachliches Personal. Denn nur so können Extremisten schneller aus der Truppe entfernt und andere von Vorwürfen, die oft jahrelang als Verdachtsfall geführt werden, entlastet werden. Wir müssen aber auch ganz dringend präventiv vorgehen. Meine Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten gehören aufgeklärt; es muss ihnen möglicherweise fehlende Bildung vermittelt und sie müssen sensibilisiert werden. Es mag schrecklich ernüchternd klingen, aber fehlende Bildung, unvollständiges bis nicht vorhandenes Geschichtswissen ist inzwischen Realität. Leider wird es auch in den Schulen nicht mehr ausreichend vermittelt, sodass auch Soldatinnen und Soldaten zur Bundeswehr kommen, die blank sind jeden Wissens. Das muss inzwischen die Ausbildung übernehmen, und da ist auch die Innere Führung gefragt. Meine Damen und Herren, Vertrauen ist gut und wichtig, Kontrolle unabdingbar, aber Bildung einmal mehr der Schlüssel, um rechtsradikales Gedankengut zu bekämpfen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Tobias Pflüger hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Sicherheitsüberprüfung bei der Bundeswehr ausgeweitet werden; der Kollege Felgentreu hat den Sachverhalt geschildert. Als Linke begrüßen wir es ausdrücklich, wenn nun endlich auch über Gesetzesverschärfungen verstärkt gegen Akteure in rechten Netzwerken in der Bundeswehr vorgegangen wird. ({0}) Rechtsextreme und neonazistische Akteure dürfen keinen Einfluss haben, auch nicht in der Bundeswehr und auch nicht bei Reservistinnen und Reservisten. ({1}) Besonders gefährlich ist, wenn neonazistische Akteure an Waffen gelangen, und das ist offensichtlich mehrfach geschehen; auch in der Bundeswehr sind neonazistische Akteure an Waffen gekommen. Der neonazistische KSK-Soldat Philipp S. hat Waffen auch aus Beständen der Bundeswehr bei sich im Garten vergraben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab Halle, es gab Hanau: Das darf nie wieder geschehen! ({2}) Eine schärfere Sicherheitsüberprüfung von Menschen, die in besonders sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind, ist dringend notwendig; das unterstützen wir. Jetzt betrauen Sie ausgerechnet das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst mit dieser wichtigen Aufgabe. Der Bock wird zum Gärtner gemacht. ({3}) Wenn man sich die rechtsextremen Skandale der letzten zehn Jahre anschaut, vom NSU über Franco A. bis zum KSK, dann stößt man dabei immer wieder auf den Militärischen Abschirmdienst. Franco A. flog 2017 auf; aber der Militärgeheimdienst hatte den rechtsextremen Oberleutnant bis dahin nicht einmal bemerkt. Bei einer Schlüsselfigur rechtsextremer Skandale beim KSK, André S., genannt Hannibal, mischte der MAD mit: Über eine geplante Durchsuchung waren die entsprechenden Soldaten vorinformiert. Auch bei den Ermittlungen gegen den KSK-Soldaten Philipp S., das ist der mit den Waffen im Garten, hat ein MAD-Mitarbeiter Ermittlungsinterna an einen KSK-Soldaten weitergegeben, wodurch letztendlich mindestens zehn Personen im KSK davon erfuhren. ({4}) Oft wurden eher über gut recherchierte Presseberichte rechte Vorfälle in rechtsextreme Strukturen aufgedeckt als über den MAD. Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechtsextreme Strukturen bei der Bundeswehr müssen zerschlagen werden. ({5}) Es ist brandgefährlich, wenn Rechte und Neonazis an Waffen ausgebildet werden. Aber der MAD ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems; deshalb können wir ihn nicht guten Gewissens mit dieser wichtigen Aufgabe betrauen. Wir bleiben dabei: Der MAD muss aufgelöst werden! ({6}) Ich war vor anderthalb Monaten beim Kommando Spezialkräfte in Calw und habe mit den Soldatinnen und Soldaten gesprochen. Ja, wir sind für eine sehr grundlegende und gründliche Überprüfung; aber auch dabei dürfen rechtsstaatliche Grundsätze nicht verletzt werden. Genau das ist mit den Geheimdienstmethoden des MAD zumindest fragwürdig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammengefasst: Richtiges Vorgehen, falsches Instrument! Wir werden uns bei diesem Gesetz deshalb enthalten. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Gesetzentwurf ist ein notwendiger und sinnvoller Gesetzentwurf, und deswegen werden wir ihm zustimmen. ({0}) Er adressiert drei Aspekte. Erstens. Wir stellen Reservistinnen und Reservisten quasi den Soldatinnen und Soldaten gleich, was die Sicherheitsüberprüfung betrifft; das ist richtig und notwendig. Wenn jemand die Uniform trägt, ist es völlig unerheblich, ob sie oder er eine Reserveübung ableistet oder Soldatin auf Zeit oder Berufssoldat ist. In allen drei Fällen leistet die Person einen Dienst und muss in besonderer Art und Weise treu zur Verfassung und Staat und Recht sein. Deswegen ist es recht und billig, dass jetzt auch die Reservistinnen und Reservisten überprüft werden; bei den Soldatinnen und Soldaten ist das ja seit mehreren Jahren der Fall. ({1}) Zweitens. Von Personen, die in besonders empfindlichen Bereichen eingesetzt sind, in der Cyberabwehr, bei den Kommandospezialkräften, in anderen spezialisierten Verwendungen, kann man natürlich in einem überdurchschnittlichen Maß erwarten, dass sie sich rechts- und verfassungstreu verhalten. Ich bestreite gar nicht, dass die rechtsextremen Vorfälle, rechtsextremen Verdachtsfälle, die wir jetzt beobachten, im Vergleich zur gesamten Truppe nur einen kleinen Teil ausmachen. Aber dieses Argument, meine Damen und Herren, hilft doch an dieser Stelle nicht weiter; denn wir wissen aus Vorfällen, dass auch eine einzelne Person, die nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung steht, mit speziellen Fähigkeiten eine Menge Unheil anrichten kann. Deswegen ist es so wichtig, dass wir da gründlich hinschauen. ({2}) Lassen Sie mich etwas hinzufügen. Diese Überprüfung liegt auch im Interesse der überwiegenden Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst treu auf dem Boden unserer Verfassung leisten. Stellen Sie sich den Fall vor: Angehöriger der Bundeswehr einer Spezialeinheit würde – ich will es nicht hoffen – einen schrecklichen Anschlag begehen. Abgesehen von den Konsequenzen aus dem Anschlag, wird dadurch auch das notwendige Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Sicherheitsorgane untergraben. Das können wir uns als freiheitlich demokratischer Rechtsstaat nicht leisten, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({3}) Ich will einen dritten und letzten Punkt ansprechen. Natürlich ist es recht und billig, dass wir Sicherheitsüberprüfungen auf die Höhe der Zeit bringen. Deswegen ist es vernünftig, dass man sich öffentlich zugängliche soziale Profile anschaut. Wir sind doch nicht mehr in den 50ern oder 60ern, wo eine Sicherheitsüberprüfung nur durch das Befragen von Auskunftspersonen erfolgt. Ich glaube, das zeigt uns, dass wir heute hier einen wichtigen Baustein vor uns haben, aber noch lange nicht am Ende sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir werden darüber diskutieren müssen, wie wir die Sicherheitsüberprüfung generell modernisieren und effizienter gestalten; denn die Vergangenheit hat uns wieder gelehrt: Auch sicherheitsüberprüfte Personen können durchs Raster fallen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Professor Dr. Patrick Sensburg. ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz, das wir heute debattieren, ist richtig, es ist sinnvoll und hat im Wesentlichen zwei sehr gute Zielrichtungen. Zum einen geht es darum, bei aktiven Soldatinnen und Soldaten eine intensivere erweiterte Sicherheitsüberprüfung durchzuführen. Das ist sinnvoll, weil Soldatinnen und Soldaten in bestimmten Aufgabenbereichen sehr sensible Tätigkeiten ausüben. Sie setzen sich großen Gefahren aus; aber sie verfügen entweder über sehr vertrauliche Erkenntnisse, spezielle Fähigkeiten oder sind vernetzt mit anderen Militärs; sie sind auch Adressaten von zum Beispiel ausländischen Nachrichtendiensten. Es geht zum anderen darum, diejenigen herauszufischen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung verlassen haben; das ist uns bei Soldatinnen und Soldaten und auch bei Reservistinnen und Reservisten wichtig. Es geht aber auch darum, dass Soldaten auch Adressaten von ausländischen Diensten werden können, wenn sie zum Beispiel in Abhängigkeitsverhältnisse geraten; auch da wollen wir natürlich genau hinschauen. Deswegen ist es gut, dass wir diese intensivere erweiterte Sicherheitsüberprüfung machen. Alle Soldatinnen und Soldaten, mit denen ich gesprochen habe, haben keine Angst davor, sondern ganz im Gegenteil: Sie erkennen, dass sie einen besonderen Dienst leisten, und wissen auch, dass damit ein Hingucken durch den Militärischen Abschirmdienst verbunden ist, wenn sie solche herausgehobenen Tätigkeiten leisten. Von daher ist das gut und ist es keine Diskreditierung der Truppe, ganz im Gegenteil: Es zeigt, dass sie diese Aufgaben bewerkstelligen. Deswegen verstehen sie auch alle, dass so eine Sicherheitsüberprüfung stattfinden muss. ({0}) Dass wir bei Reservistinnen und Reservisten jetzt eine einfache Sicherheitsüberprüfung einführen, ist folgerichtig. Kollege Lindner hat es gerade gesagt: Das, was für die aktive Truppe schon gilt, das gilt dann auch für die Reservistinnen und Reservisten. Das sage ich jetzt einmal für die Reservisten: Wir wollen auch kein Extrabrötchen gebacken haben. Wir sehen es genauso wie die Aktiven, dass wir uns auch selbstverständlich einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Das ist kein Problem. Von allen Reservistinnen und Reservisten, die ich in der großen Menge kenne – wir haben übrigens 10 Millionen Reservistinnen und Reservisten in Deutschland; 1 Million sind noch beorderungsfähig, und 28 000 Reservistinnen und Reservisten leisten ihren Dienst –, steht die große Mehrheit eindeutig auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und hat überhaupt keine Sorge, sich einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, und das ist auch gut so. Wenn wir eben gehört haben, dass der MAD 1 200 Reservistinnen und Reservisten als extremistisch eingestuft hat, so stimmt das gar nicht. Das ist das, was ich kritisiere. Die AG Reservisten hat 1 200 Reservistinnen und Reservisten in den Blick genommen – das ist übrigens die Aufgabe der AG Reservisten –, und da sind auch einige dabei, die dann ihren Dienst zu Recht nicht mehr leisten können, aber nicht 1 200 sind Extremisten. Das ist nämlich das Missverständnis, das immer auftaucht, und das werden wir im Verteidigungsausschuss aufgrund Ihres Tagesordnungspunktes demnächst auch debattieren können. Dann werden Sie dementsprechend auch informiert werden. Wichtig ist mir, dass wir bei der gesetzlichen Regelung, die wir jetzt getroffen haben, zum einen erkennen: Bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung bei Reservistinnen und Reservisten ist dies nicht vor jeder RDL, vor jeder Reservistendienstleistung noch einmal neu durchzuführen – wir haben Reservisten, die machen viermal im Jahr eine Reservistendienstleistung –, sondern wir haben da einen Turnus, wie im entsprechenden Gesetz geregelt, dass sie wiederholt werden muss. Sie gilt für fünf Jahre; dann wird sie aktualisiert. Sie gilt für zehn Jahre; dann muss sie wiederholt werden. Das entspricht auch dem Verfahren bei aktiven Soldatinnen und Soldaten, und das sehen Reservistinnen und Reservisten als völlig unproblematisch. Ich sage es noch einmal: Wir wollen kein eigenes Brötchen gebacken haben. Aber – zum Schluss – heißt das auch, dass wir unseren Militärischen Abschirmdienst unterstützen müssen. Wir müssen ihm nicht in den Rücken fallen, sondern wir müssen ihn vernünftig ausstatten, was Material, was Finanzressourcen und was Personalressourcen betrifft; denn auf den Militärischen Abschirmdienst, auf das BAMAD, kommen erhebliche Aufgaben zu, die auch intensiv erfüllt werden sollen. Deswegen wünsche ich mir, dass wir in den nächsten Monaten, bis die Arbeit im Jahre 2022 aufgenommen werden kann, auch dementsprechend den MAD mit Personal ertüchtigen, sodass er diese Aufgaben auch wahrnehmen kann. In der Truppe macht man sich keine Sorgen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten sind Demokraten. Ich habe es mehrfach gesagt: Wer Uniform trägt – das gilt übrigens auch für Polizei –, muss nicht nur auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, sondern er muss besonders für Demokratie stehen, und das muss man auch wahrnehmen. Das tun unsere Soldatinnen und Soldaten, übrigens teilweise weltweit. Diejenigen, die da nicht hineingehören, findet der MAD, die finden wir auch. Aber der Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten sollte unser großer Dank gelten, und das gilt auch für Reservistinnen und Reservisten. Danke schön. ({1})

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung stärken. Dazu werden wir das Petitionswesen weiterentwickeln und verbessern.“ Mit diesen Worten haben FDP und CDU/CSU bereits im Koalitionsvertrag von 2009 ein sogenanntes Bürgerplenarverfahren im Bundestag einführen wollen. Was ist bis heute passiert? Nichts. Im Koalitionsvertrag von 2017 steht: „Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die Vorschläge erarbeiten soll, ob und in welcher Form unsere bewährte parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann.“ Was ist daraus geworden? Sie ahnen es wahrscheinlich schon: gar nichts. Wenige Monate vor Ende der Legislaturperiode steht die GroKo beim Thema Bürgerbeteiligung immer noch an der Startrampe, und Sie laufen einfach nicht los – nicht weil Sie nicht können, sondern ganz einfach, weil Sie nicht wollen. ({0}) Deswegen brauchen die Bürger in Deutschland eine Alternative, uns von der AfD. Wir wollen mehr Demokratie wagen und heute eine Bürgerstunde im Deutschen Bundestag einführen. In der Bürgerstunde findet eine kontroverse Aussprache aller Fraktionen über Petitionen mit mehr als 100 000 Mitzeichnungen statt. Die Beratung der Eingabe mit den Petenten selbst in einer öffentlichen Anhörung bleibt davon unberührt und findet weiterhin statt. Das Gewicht von Bürgereingaben steigt damit, durch die Beratung im Plenum, erheblich. Die Anliegen der Bürger verdienen mehr Aufmerksamkeit, und sie würde ihnen zukommen, wenn sie im Plenum live im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder im ausgeweiteten Parlamentsfernsehen, das wir auch beantragen, debattiert werden. Der Bundestag rückt mit einer Bürgerstunde wieder näher an die Bürger heran. Endlich gäbe es eine direkte Möglichkeit für die Bürger, selbst zu bestimmen, über welches Thema verbindlich im Plenum beraten werden muss. Das würde wieder mehr Bürger für die Politik begeistern, weil sie nun selbst die Regierung kontrollieren könnten. Das wäre der Startpunkt auch für eine breite gesellschaftliche Debatte, die wieder mehr dadurch gekennzeichnet wird, dass nicht die bessere Inszenierung, sondern das bessere Argument im Interesse der Bürger zählt. ({1}) Die Bürger sind nämlich politikverdrossen, weil Sie die Demokratie allzu oft nur simulieren. Noch vor der Sommerpause soll vom Bundestagspräsidenten Schäuble ein Bürgerrat, und zwar der zweite, in Auftrag gegeben werden. Dieses überflüssige Gremium hat in keiner Hinsicht ein Entscheidungsrecht. Damit ist klar, dass Bürgerräte vielmehr Symptome der Krise des Parlamentarismus in Deutschland sind als deren Lösung. Demokratie wird letztlich nicht durch staatlich finanzierte Bürgerräte belebt, die – natürlich rein zufällig – von politisch nicht neutralen zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt werden, um so zielgelenkt gewünschte Ergebnisse zu produzieren. Nein, die Demokratie wird erst lebendig durch die Pflege einer toleranten und ergebnisoffenen Debattenkultur, die sich am Gemeinwohl orientiert und in der andere Meinungen nicht als Hass und Hetze diffamiert werden. ({2}) Die Einführung einer Bürgerstunde als unsere Alternative zu Bürgerräten ist ein solcher Schritt in die richtige Richtung für mehr direkte Demokratie auf Bundesebene, ein Schritt, der sich vollständig auch mit der damit gestärkten parlamentarischen Demokratie vereinbaren lässt. Wenn Sie von den älteren Parteien diesen Antrag jetzt aber trotzdem ablehnen, dann muss man sich schon fragen: Wovor haben Sie eigentlich Angst? Haben Sie wirklich so viel Angst vor den Bürgern, dass Sie es nicht einmal zulassen, erfolgreiche öffentliche Petitionen ausführlich im Plenum debattieren zu lassen? Das wäre wirklich ein Armutszeugnis. Aber eine Ablehnung von Ihnen hätte noch drastischere Auswirkungen: Es würde nämlich den Bürgern zeigen, dass wir nicht nur die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag sind, die sich konsequent für bundesweite Volksabstimmungen zu wesentlichen Entscheidungen wie etwa Grundrechtseingriffen und für eine direkte Demokratie nach Schweizer Modell einsetzt. Nein, wir sind auch die einzige Fraktion, die dann den Bürgern im Bundestag eine Bürgerstunde geben will. Damit sind wir die entschiedensten Demokraten im Deutschen Bundestag. ({3}) Aber Sie können es noch verhindern. Sie müssen nur zustimmen. Also, geben Sie sich einen Ruck, vor allem die Kollegen im Ausschuss! Machen wir unseren Bürgerausschuss zu einem Hebel für mehr direkte Demokratie, und lassen Sie uns Bürgeranliegen endlich vollständig im Plenum debattieren! Ich persönlich freue mich schon auf die erste Bürgerstunde im Deutschen Bundestag. Wenn man die Bürger danach fragt, was das Thema sein soll, dann sagen sie auf diversen Plattformen aktuell ganz klar: „Jegliche Impfpflicht für Kinder verhindern“. Hören Sie also auf die Bürger! Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Abgeordnete Gero Storjohann. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorweg sagen: Das, was uns eint, ist der Wille, mehr Bürgerinnen und Bürger für Politik zu begeistern und sie zur Mitgestaltung der Zukunft unseres Landes einzuladen. Deswegen bin ich seit 2002 Mitglied des Petitionsausschusses. Dieser Ausschuss lebt von Anregungen und Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger, also von der Beteiligung der Bürger an der Politik, und das ganz direkt und ohne Umwege. Der Antrag der AfD heute, bei 100 000 Mitzeichnungen einer Petition ein Rederecht im Plenum einzurichten, ist abzulehnen. Entgegen der dort gewählten Formulierung bedeutet er nämlich gerade kein Mehr an Demokratie, sondern er ist ein Angriff auf unser bewährtes Petitionswesen. ({0}) Das möchte ich auch in drei Punkten erläutern. Erstens. Wir wollen die repräsentative Demokratie stärken. Aus diesem Grund wird die Tagesordnung des Plenums des Deutschen Bundestags zu Recht von den Fraktionen gemeinsam festgelegt. Aufbau und Umfang der Redezeiten richten sich nach der Fraktionsstärke und sind somit das Ergebnis von Wahlen. Damit entspricht die im Plenum gelebte Politik den Mehrheitsverhältnissen in unserem Land. Wir wollen keine Demokratie, deren Debatten sich danach richten, wie viel Klicks im Vorfeld generiert werden konnten. 100 000 Mitzeichnungen machen nicht mehr aus als 1,5 Promille der Wahlberechtigten. Eine solche Gruppe hätte Einfluss auf die Tagesordnung des Bundestags. Das finden wir nicht demokratisch; denn die Fraktionen haben jetzt schon das Recht, auf der Grundlage einer Petition selbst einen Antrag im Plenum zu stellen. Sie haben nur das Problem, dass das dann ihrer Zeit angerechnet wird, und deswegen wollen Sie diesen anderen Weg. Zudem nutzt der Petitionsausschuss seit 2008 das Instrument der öffentlichen Beratung. Diese finden bei einem Quorum von über 50 000 Unterstützern statt, manchmal auch bei etwas weniger, wenn wir das gemeinsam in der Obleuterunde und im Ausschuss beschließen. Auch hier haben wir schon ein Problem; denn der Bürger glaubt und viele Pressevertreter schreiben es: Eine Petition ist erst richtig gewichtig, wenn 50 000 Unterstützerunterschriften dabei sind. – Das ist falsch. Deswegen halte ich eine 100 000er-Regelung für genauso kontraproduktiv für unser bewährtes Petitionswesen in Deutschland. Die Zahl dieser öffentlichen Beratungen hat gerade in den letzten Jahren stark zugenommen. Wir begrüßen die Tatsache, dass sich mehr Menschen einmischen, verändern und gestalten wollen. Aber das führt auch zu meinem zweiten Punkt. Dabei ist eine starke Zunahme von Initiativen aus dem Lobbybereich zu beobachten. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion stehen einer Kommerzialisierung des Petitionswesens jedenfalls kritisch gegenüber. Man stelle sich ein Unternehmen mit großer Marketingabteilung und Einfluss in sozialen Netzwerken vor. Ihm wäre es ein Leichtes, durch professionelle Kampagnen 100 000 Mitzeichnungen zu erhalten. Ich habe auch ein Beispiel aus der Arbeit des Petitionsausschusses 2019: Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Da waren 400 000 Unterschriften mal so eben auch papiermäßig gesammelt. Das würde vor dem Hintergrund des hier debattierten Antrags bedeuten, dass kommerzielle Unternehmen im Einzelnen die Tagesordnung des Deutschen Bundestages bestimmen können. Das ist kein Mehr, sondern ein Weniger an Demokratie. Dem ist aus unserer Sicht entschieden entgegenzuwirken. ({1}) Dritter und letzter Punkt. Der Antrag der AfD steht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsanspruch aller Petitionen entgegen. Wir setzen uns dafür ein, dass jedes Problem mit der gleichen Zuverlässigkeit geprüft wird, und das unabhängig von der tagespolitischen Aktualität und der Zahl der Unterstützer. Gerade das macht ein starkes parlamentarisches Petitionswesen aus. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass doch bereits jetzt Petitionen im Plenum vorgetragen werden. Dies ist dann der Fall, wenn wir übereinstimmende, sehr hohe Voten im Ausschuss beschlossen haben. Entscheidend ist auch hier der Zeitpunkt im Verfahren. Im Unterschied zum Antrag der AfD sind das Petitionen, die bereits vom demokratisch legitimierten Ausschuss geprüft und bewertet wurden und sich eben nicht allein durch die Anzahl der Klicks auszeichnen. Den Antrag der AfD werden wir ablehnen. Danke schön. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Stephan Thomae. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Die AfD will mit ihrem heutigen Antrag die Bürgerstunde im Deutschen Bundestag einführen. Der Begriff der Bürgerstunde findet sich erstmalig in einem Positionspapier der FDP-Bundestagsfraktion vom 12. April 2011. Der Verfasser dieses Positionspapieres war ich. ({0}) Die AfD ist also 2021 da, wo die FDP schon 2011 gewesen ist. ({1}) Jetzt könnte man sagen: Na ja, die schreibt ja ab, was wir damals geschrieben haben. Schauen wir doch einmal, ob das intelligentes Abschreiben ist, was die AfD da macht; denn dieses Quorum von 100 000 Unterzeichnern, das Sie in Ihrem Antrag haben, hatten wir damals auch drin. ({2}) Nur, was war 2011 der Sinn bei diesem Quorum von 100 000 Unterzeichnern? Das war damals eine hohe Hürde, mit der wir sicherstellen wollten, dass nur solche Petitionen den Bundestag erreichen und im Plenum debattiert werden, die eine extrem hohe Anzahl von Unterstützern haben. ({3}) Zehn Jahre später, 2021, können Sie mit Kampagnentools diese Hürde jedenfalls problemlos erreichen. Deswegen ist das kein intelligentes Abschreiben, sondern es kehrt den Zweck um, den wir damals erreichen wollten. ({4}) Deswegen muss man sich heute andere Gedanken machen. Ich würde heute zum Beispiel sagen: Wir machen das nicht an der Zahl der Unterstützer fest, sondern wir überlegen beispielsweise, welche Fraktion sich eine bestimmte Petition zu eigen machen will, und ungefähr so, wie wir es bei den Aktuellen Stunden haben, kann in jeder Sitzungswoche eine Fraktion in einem rollierenden System eine Petition auswählen, die sie hier im Plenum debattieren will. Dann haben wir nämlich nicht nur solche Petitionen, die eine hohe Kampagnenreichweite erreicht haben, sondern auch kleine Petitionen, die gleichwohl sehr interessant sein können, haben die Chance, hier dieses Plenum zu erreichen. Das wäre ein ganz anderes Verfahren, als einfach nur mit kampagnenfähigen Petitionen sozusagen das Plenum zu fluten. Das ist eine Überlegung, von der wir glauben, die wäre zeitgemäß. ({5}) Dann kann man zwar sagen: „Na ja, dann haben die Fraktionen wieder so ein bisschen die Hand drauf, sind mit im Spiel“, aber im Bundestag bilden wir doch wirklich eine große Breite der Gesellschaft ab, sodass hier sichergestellt wäre, dass wirklich eine große Vielfalt von Petitionen den Bundestag erreichen kann. Oder ein anderes Thema, wo Sie das System nicht weiterentwickeln: Wir haben damals in unser Positionspapier – das weiß ich noch sehr genau – hineingeschrieben, wie es dann mit so einer Petition weitergehen soll. Wir wollten die Überweisung in die Fachausschüsse, dass dort beraten werden kann, ob beispielsweise eine Petition es wert ist, als Material für die Fraktionen, für eine Fraktion oder für eine interfraktionelle Initiative, weiterentwickelt zu werden. Das fehlt in Ihrem Antrag ganz und gar. Das macht den Unterschied zwischen einfachem Abschreiben und intelligentem Abschreiben aus. Wir hatten damals im Sinn, eine echte Stärkung der Bürgerbeteiligung ohne Schwächung des Parlaments zu erreichen, während Ihre Kampagne nur dazu dienen soll, das Parlament mit kampagnenfähigen Petitionen zu fluten. Das macht den Unterschied, das ist durchschaubar. Deswegen werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Abgeordnete Helge Lindh hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Volksverdummung ein Straftatbestand wäre, dann säße die ganze AfD im Knast. ({0}) Die Bürgerstunde „Petition“ ist nämlich ein Akt der Volksverdummung, und sie ist eine weitere Folge aus der Reihe „Trojanisches-Pferd-Anträge der AfD“, nur dass wir bei diesem Pferd mit riesigen Gucklöchern reinsehen können in den Plan, mittels des Parlamentarismus den Parlamentarismus verächtlich zu machen und mittels der Demokratie die Demokratie auszuhöhlen. ({1}) Bestes Beispiel dafür: der Abgeordnete Hebner und sein Mitarbeiter Moosdorf, ({2}) die eine Petition samt Kampagne inszeniert, lanciert haben, um Stimmung gegen den UN-Migrationspakt zu machen, und sich im Rahmen dessen auch nicht entblödeten, eine Ausschussdienstmitarbeiterin öffentlich digital an den Pranger zu stellen und der Hetzjagd preiszugeben; alle haben es hier erlebt. So versteht die AfD Petitionen. Sehr geehrte Damen und Herren, echte Demokraten achten die Demokratie. Die AfD ächtet die Demokratie. Petitionen sind doch dafür da, dass Menschen in ihren Sorgen, in ihren Ängsten und Nöten wahrgenommen werden, indem wir sie großmachen. Sie machen Menschen systematisch klein. Für uns ist der Mensch ein Mensch; für Sie ist der Mensch politisches Material. Für uns ist die Bürgerin zuerst Bürgerin; für Sie ist die Bürgerin Stimmvieh, nichts anderes. Damit kommen wir zum Thema Bürgerstunde und Bürgersprechstunde. ({3}) Ich habe in diesem Hohen Haus das wahrscheinlich exklusive Privileg, mir die komplette AfD-Experience gegeben zu haben, und zwar inklusive Bürgersprechstunde, alles permanent begleitet von ARD und „Tagesthemen“. Die Gäste bei der Bürgersprechstunde erwiesen sich aber als durchgeschulte AfD-Funktionärinnen und AfD-Funktionäre, ({4}) die versuchten, mich in ein peinliches Verhör zu nehmen – erfolglos. Am Ende aber – unglücklicherweise für die AfD – kamen dann ungeplant noch zwei – allerdings AfD-affine – „Versehensbürgerinnen und ‑bürger“. Dafür war aber keine Zeit mehr in der Sprechstunde. In der folgenden Station war ein Treffen mit 15, 20 Unternehmern vorgesehen. ({5}) Keiner kam. Raten Sie mal, wer stattdessen anwesend war? Erst zwei, dann drei AfD-Funktionäre und AfD-Kommunalpolitiker als Repräsentanz der Wirtschaft. Nächste Station: ein Schützenverein im Walde. Und – Sie glauben es nicht – wer erschien? Einer der AfD-Funktionäre vom vorherigen Termin, sodass die ARD beinahe Schnappatmung bekam ob dieser durchschaubaren Strategie. ({6}) Kurzum: So versteht die AfD Bürgerdialog. Oder: Wie schützt man die AfD vorm Bürger, und wie schützt man den Bürger vor der AfD? ({7}) Ich glaube, das kann man auch gut mit der französischen Begrifflichkeit beschreiben; denn in Ihrer Selbstherrlichkeit und Pracht, Herr Brandner, sind Sie zutiefst bourgeois, aber Sie sind null Komma null Citoyen, also Staatsbürger. ({8}) Schauen Sie auf die Seite der AfD Teltow-Fläming. Dort steht in geradezu entwaffnender Ehrlichkeit: Aufgrund mangelnder Besuche der Bürgersprechstunde in den letzten Monaten bietet man jetzt nur noch einmal monatlich die Bürgersprechstunde an. – Das nenne ich bürgerinnenfreundlich: Bürgernähe ohne Bürger. AfD, Glückwunsch! ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Friedrich Straetmanns, Fraktion Die Linke. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Zweifel: Das Petitionswesen muss gestärkt werden. Wir von der Fraktion Die Linke fragen beispielsweise seit Monaten für alle möglichen Petitionen der letzten Jahre bei der Bundesregierung nach, was mit ihnen seit der Überweisung durch den Petitionsausschuss an die Ministerien geschehen ist. Die Antworten sind mit „ernüchternd“ noch sehr wohlwollend umschrieben. Den Antrag der AfD, eine Überweisung von Petitionen mit über 100 000 Mitzeichnenden ins Plenum zu veranlassen, halten wir prinzipiell durchaus für gar keine ganz schlechte Idee. ({0}) Deswegen haben wir genau das vor über zweieinhalb Jahren auch gefordert, allerdings an der dafür einzig richtigen Stelle, nämlich im Petitionsausschuss selber; denn der gibt sich seine Verfahrensgrundsätze selbst. Somit hat das Ganze gar nichts in der Geschäftsordnung des Bundestages verloren, auch nicht, wenn Sie das Thema hier aufblasen und in Ihrer populistischen Manier ins Plenum tragen. Denn so richtig drängend scheint das auch nicht zu sein – bei ganzen acht Petitionen, die dieses Quorum von 100 000 Mitzeichnern in den letzten acht Jahren erreicht haben. Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren guten Grund, beim Thema Petitionen mit Ihnen keine gemeinsame Sache zu machen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie Sie vor längerer Zeit mit ordentlichem Werbeetat die von einem AfD-Abgeordnetenmitarbeiter eingereichte Petition gegen den Migrationspakt über die 100 000 Unterschriften gebracht haben. ({1}) – Ja, es wurde angesprochen. ({2}) Das Petitionswesen ist aber als Rückkopplung an die Bevölkerung gedacht und nicht als Test der Kampagnenfähigkeit von Fraktionen in Nichtwahlkampfzeiten. ({3}) Sie haben damit bewiesen, das Instrument in der Vergangenheit missbräuchlich genutzt zu haben, und das werden Sie sicher auch in der Zukunft tun. Genau deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. ({4}) Es steht für uns aber fest: Eine Stärkung des Petitionswesens ist absolut wünschenswert. Aber erstens muss dies an der richtigen Stelle geschehen, nämlich in den Verfahrensgrundsätzen des Ausschusses, und zum Zweiten stärkt man das Petitionswesen nicht mit einer Partei wie der Ihren, die dessen Sinn vollkommen verzerrt. Was Petitionen anbelangt, ist aber auch nicht nur die Masse an Unterstützungsunterschriften relevant. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, genau hinzuschauen, ob nicht auf ein wichtiges Thema hinzuweisen ist. Die Praxis ist hier sehr bescheiden. Ich möchte auf die Petition von Frau Bennewitz verweisen, die uns hier schon seit vielen Jahren zu Recht aufruft, die Rehabilitation der durch die DDR-Behörden zwangsausgesiedelten Menschen endlich voranzubringen. ({5}) Nun sieht es so aus, als ob dieses Unrecht auch in dieser Legislaturperiode nicht aufgearbeitet wird. Über die Motive dafür, dass dieser Wunsch immer wieder von der Union wegmoderiert wird, will ich nicht spekulieren; ein Trauerspiel ist es allemal. Meine Fraktion und ich haben Sie mehrfach aufgefordert, hier tätig zu werden, aber mit Ihnen ist es anscheinend nicht zu machen – auch ein kleines Beispiel dafür, dass es eine Bundesregierung ohne CDU und CSU braucht. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es Ihnen nicht passt, gehen Sie doch raus. ({0}) Sie müssen nicht hierbleiben, während ich rede. ({1}) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde den Antrag der AfD ziemlich durchschaubar. ({2}) – Hören Sie mal zu: Für Sie bin ich maximal Frau Haßelmann! ({3}) Ich bin auch nicht Ihre Kollegin, ja? ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Liebe Kollegen, bitte! Jetzt lassen Sie mal die Kollegin Haßelmann sprechen. ({0}) – Herr Brandner, bitte!

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herrlein Brandner hat wahrscheinlich getrunken, meine Damen und Herren. ({0}) Anders kann ich es mir nicht erklären. Um die Uhrzeit ist der Asbach noch nicht alle. ({1}) Meine Damen und Herren, jetzt zur Sache. Wir sollten nicht zulassen, dass das wichtige Petitionsrecht instrumentalisiert wird, also das Recht von Bürgerinnen und Bürgern, sich über Petitionen mit einem ernsthaften Anliegen, das aus ihrem Lebensumfeld kommt, an den Deutschen Bundestag zu wenden. Es geht um Anliegen, die hier in unglaublich engagierter Arbeit von den Mitgliedern des Petitionsausschusses bearbeitet werden. Das will ich an dieser Stelle auch mal sagen: Diejenigen aus unseren Fraktionen, die im Petitionsausschuss arbeiten, leisten Unglaubliches. ({2}) Die widmen sich diesen Petitionen in wirklich unglaublicher Tiefe, arbeiten sich da ein, führen Gespräche, versuchen, Möglichkeiten auszuloten, Petitionen zu entsprechen. Diese Initiative der AfD ist doch absolut durchschaubar. Wir müssen doch nur einen Moment daran denken, was bei der Petition zum UN-Migrationspakt passiert ist. Der Ausschussvorsitzende wurde auf übelste Weise beschimpft. Es wurden Mitarbeiter/‑innen der Bundestagsverwaltung beschimpft. Der Server wurde lahmgelegt. Es gab mehr als 6 000, zum Teil strafrechtlich relevante Hasspostings in dem Diskussionsforum zum Migrationspakt. Wir wissen alle sehr genau, wer zum Teil dahintergesteckt hat. Das sind Leute aus dieser Fraktion gewesen, meine Damen und Herren. ({3}) Wir werden nicht zulassen, dass das Petitionsrecht und mehr Mitwirkungsrechte des Petenten, der Petentin und der Abgeordneten, die im Petitionsausschuss arbeiten, instrumentalisiert und missbräuchlich benutzt werden, meine Damen und Herren. ({4}) Wir haben einmal erlebt, was das bedeutet, und das darf man unter dem Label „Mehr Bürgerbeteiligung“ nicht zulassen. ({5}) Ich glaube, dass es wichtig wäre, dass wir uns in der nächsten Wahlperiode mit allen demokratischen Kräften darüber verständigen, wie wir das Petitionsrecht und wie wir die Arbeit des Petitionsausschusses besser würdigen können, damit wir dem einen anderen Stellenwert beimessen. Denn mehr Beachtung, bessere Diskussionen, intensive Erörterungen, all das ist reformbedürftig im Petitionsausschuss – aber nicht mit der AfD, die versucht, hier nur zu instrumentalisieren, meine Damen und Herren. ({6}) Das ist klar und durchschaubar. Deshalb werden wir die Antragsinitiative auch ablehnen. ({7}) – Dass Sie frauenfeindlich sind, weiß hier jeder.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Es macht sich bereit der Kollege Dr. Volker Ullrich. ({0}) Er nähert sich langsam dem Rednerpult. ({1}) Sie haben das Wort, Herr Kollege. ({2})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren zwei Anträge der AfD: einen zum Thema Parlamentsfernsehen und einen zum Thema Bürgerstunde im Deutschen Bundestag. Beide Anträge haben eines gemein, und damit entlarven Sie sich selbst. ({1}) Und zwar geht es um Folgendes: In Ihren Anträgen – – ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Brandner, könnten Sie das bitte unterlassen? ({0}) – Herr Brandner, jetzt hören Sie bitte auf. ({1}) Das ist doch kein parlamentarisches Verhalten hier. – Nein, jetzt ist mal Ruhe. ({2}) – Herr Brandner, bitte. ({3})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beide Anträge haben eins gemein, nämlich zwischen den Zeilen einen mangelnden Respekt für die parlamentarische Demokratie und für die Gepflogenheit in diesem Haus. Und so wie Sie sich heute aufführen, zeigen Sie, dass das, was zwischen den Zeilen steht, Ihrer wahren Gesinnung entspricht. ({0}) Wer hier die Frau Kollegin Haßelmann so angeht, hat kein Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung, ({1}) sondern daran, das Parlament selbst zu beschädigen und eine ordentliche Debatte ad absurdum zu führen. ({2}) Beim Parlamentsfernsehen schreiben Sie die Erzählung weiter, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht die Chance hätten, sich über Politik zu informieren. Das ist doch falsch. Bei der Gelegenheit will ich mal für 20 Sekunden eine Lanze für all diejenigen brechen, die 10 Minuten nach Beendigung einer Rede den Wortbeitrag ins Internet stellen, sodass jeder die Möglichkeit hat, die Rede auch nachzuhören. Ich finde, das ist eine großartige Leistung der Parlamentsverwaltung, die man mal würdigen kann. ({3}) Der zweite Punkt betrifft die 100 000 Zeichner für eine Bürgerstunde im Parlament. Da wird deutlich, dass Sie das Wesen der Petition nicht verstanden haben. Petition bedeutet nicht Agitation und bedeutet nicht, dass die lautesten Stimmen gehört werden, ({4}) sondern Petition bedeutet, dass wir auch den leisen Tönen einen Raum geben, dass wir die Petitionen ordnungsgemäß behandeln, bei denen Menschen echte Sorgen haben. Bei dieser Bürgerstunde geht es nicht um die echten Sorgen, sondern es geht darum, die Agitation, die Sie täglich bei Youtube, Facebook und Twitter verbreiten, ins Parlament zu tragen. ({5}) Das ist nicht demokratisch. Das ist etwas, was das Parlament von innen aushöhlen soll, meine Damen und Herren. ({6}) Ich glaube, wir sollten uns darüber verständigen, dass wir den Kolleginnen und Kollegen, die im Petitionsausschuss eine tolle Arbeit leisten, den Rücken stärken und dass wir die Arbeit im Petitionsausschuss wertschätzen – übrigens einer der Pflichtausschüsse nach unserem Grundgesetz. Ich will auch nicht mehr, dass irgendwie gesagt wird: Na ja, wenn es der oder der Ausschuss nicht wird, dann wird es der Petitionsausschuss. Es sollte das Gegenteil der Fall sein: der Petitionsausschuss als ein zentraler Ausschuss für das Kümmern um die wirklichen Anliegen der Menschen in unserem Land. Deswegen werden wir, so wie das der Kollege Storjohann beschrieben hat, an dem Thema weiterarbeiten, aber Ihre Anträge ablehnen, meine Damen und Herren. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sonja Steffen, SPD-Fraktion. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Inhalt des Antrages komme, will ich kurz etwas zu dem Titel sagen. Sie möchten „Einfach frei leben“. ({0}) Und Sie wollen „Mehr Demokratie wagen“. ({1}) Und dafür wollen Sie eine Bürgerstunde im Bundestag einführen. Ich muss zugeben, da verstehe ich etwas nicht. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? ({2}) Aber eine andere Sache stört mich noch viel mehr. ({3}) – Was ist los mit Ihnen, Herr Kollege Brandner? ({4}) Durften Sie nicht reden? Hat man Sie hier nicht reden lassen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Brandner, jetzt hören Sie auf, hier zu stören, bitte.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Haben Sie Tourettesyndrom?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Sie können einen Zwischenruf machen, aber nicht ständig diese Störerei. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was stimmt gerade nicht mit Ihnen? ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Brandner, Sie kriegen jetzt von mir einen Ordnungsruf wegen fortgesetzter Störung der Debatte. Es ist wirklich unerträglich – unerträglich! ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit dem Begriff „Bürgerstunde“ tun Sie gerade so, als würden Sie den Kontakt zu den Bürgern und Bürgerinnen suchen. Dabei könnten Sie mit den Bürgerinnen und Bürgern in Ihrem Wahlkreis ganz einfach in Kontakt treten. Aber das scheint gar nicht Ihr Ding zu sein. Mein Kollege Helge Lindh hat vorhin schon ein Beispiel aus dem Landkreis Teltow-Fläming erwähnt. Ich muss nur bei mir in den Wahlkreis schauen. In meinem wunderschönen Wahlkreis – wahrscheinlich dem schönsten Deutschlands, wie so viele hier sagen – haben wir das große Glück, mit vier starken Frauen als Bundestagsabgeordnete hier im Parlament vertreten zu sein. Und wer möchte, kann bei Claudia Müller von den Grünen, kann bei Kerstin Kassner von den Linken, kann bei Angela Merkel von der CDU oder auch bei mir im Büro einfach vorbeikommen und sein Anliegen vortragen. Weniger Glück haben wir allerdings mit unserem fünften Abgeordneten, dem von der AfD; der hat nämlich gar kein Büro in Vorpommern. Außerhalb von den Listenaufstellungen und den Wahlkampfveranstaltungen fasst er unseren schönen Wahlkreis nicht mal mit der Kneifzange an, und das, Herr Huber, das ist ein Armutszeugnis. ({0}) Das macht mich auch schon etwas traurig, allerdings nicht allzu traurig, weil wir Rechtsausleger wie Sie in unserem Wahlkreis eigentlich gar nicht haben wollen. ({1}) Dabei sind wir uns bestimmt alle einig – und das ist heute schon vielfach gesagt worden –: Das Petitionswesen ist ein ganz besonders wichtiger Teil unseres demokratischen Systems, und als langjähriges Mitglied des Petitionsausschusses weiß ich, wie wichtig dieser Ausschuss ist. Wir verdanken dem Petitionsausschuss zum Beispiel die ganz wichtige Petition 91015 – Herr Storjohann weiß bestimmt, was dahintersteckt. Das ist nämlich die Petition, die gefordert hat, dass der Mehrwertsteuersatz für Damenhygieneprodukte, die sogenannte Tamponsteuer, auf 7 Prozent gesenkt wird. Das hat bundesweit für Aufsehen gesorgt, und das ist auf eine Petition zurückzuführen. ({2}) Wir sollten tatsächlich überlegen, und zwar immer überlegen, wie wir das Petitionsrecht noch besser ausgestalten können. Herr Thomae, ich habe 2011 auch geredet. Damals hatte Ihr Antrag durchaus eine Berechtigung; heute in der Form nicht mehr. Ich sage noch eins dazu: In Ihrer Begründung, Kolleginnen und Kollegen von der AfD, da schreiben Sie, Sie wollten diese Bürgerstunde aus „Ängsten vor dem Souverän“. Sie schreiben davon, dass diese Ängste durch Bürgerstunden abgebaut werden können – ausgerechnet Sie, die Fraktion, die direkte Bürgerkontakte scheut wie der Teufel das Weihwasser und sich lieber hinter Youtube-Videos versteckt! Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Thomas Gebhart (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004038

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für diese Pandemie gibt es nicht so etwas wie ein Lehrbuch für Gesundheitspolitiker, das wir morgens aufschlagen und in dem wir nachlesen können: Was passiert am Tag 425 und folgende? – Aber es gibt ein Dazulernen von Tag zu Tag, und zwar vor dem Hintergrund eines Wissensstandes, der sich permanent fortentwickelt. So dynamisch diese Pandemie ist, so flexibel müssen wir eben auch die Regelungen zum Gesundheits- und zum Infektionsschutzgesetz anpassen, den Rechtsrahmen immer wieder auch verändern und gestalten. Genau dies tun wir heute mit diesem Gesetzentwurf. ({0}) So wenig, wie wir vor einem Jahr geglaubt hätten, dass wir heute immer noch mit Krisengesetzgebung beschäftigt sein würden, so zuversichtlich können wir sein, dass wir mit dem Impfen ein gutes Stück Weg raus aus der Pandemie zurückgelegt haben. Stand heute sind 32 Millionen Menschen zumindest erstgeimpft. Wir können uns auch über die große Impfbereitschaft freuen, die wir in unserem Land erleben. ({1}) Ich denke, dass wir das alles in allem als Gesellschaft bisher gut hinbekommen haben. Meine Damen und Herren, wir regeln heute in einem Paket auch wichtige Grundlagen zur Ausstellung der EU-Covid-19-Impftest- und der Genesenen-Zertifikate. Wir arbeiten unter Hochdruck daran, dass diese im Laufe der zweiten Hälfte des zweiten Quartals dieses Jahres in der neuen CovPass-App sowie in der Corona-Warn-App des Robert-Koch-Instituts, aber auch als maschinenlesbarer Ausdruck genutzt werden können. Dafür bringen wir gerade intensiv die technische Anbindung der Arztpraxen, der Impfzentren der Länder, aber auch der Apotheken voran. Für die Unterstützung möchte ich bereits an dieser Stelle ein ausdrückliches Dankeschön sagen; denn wir wissen, was Sie alle jeweils an Ihrer Stelle in diesen Tagen leisten. ({2}) Meine Damen und Herren, wir ermöglichen eine sichere, einfache, nutzerorientierte und datenschutzfreundliche Nachweis- und Prüfmöglichkeit für Covid-19-Geimpfte, Getestete und natürlich auch Genesene. Zur Beruhigung für all diejenigen, die vielleicht nicht so technikaffin sind, können wir sagen: Auch die guten alten gelben Impfausweise, so wie wir sie kennen, bleiben natürlich gültig. Ich möchte auch klarstellen – das ist, glaube ich, in der aktuellen Debatte ganz wichtig, und ich möchte das ausdrücklich betonen –: Wer Impfausweise, Testnachweise, Zertifikate fälscht – und zwar ganz egal, ob digital oder analog, in Papierform –, meine Damen und Herren, der macht sich strafbar, und das sollte auch jeder wissen. ({3}) Die neuen digitalen Zertifikate können national verwendet werden, und sie erfüllen bereits mit Blick auf die Reisesaison den neuen europäischen Rahmen. Wir können zuversichtlich sein, aber wir müssen angesichts der Gefahren vorsichtig bleiben, gerade wenn wir die Gefahren im Zusammenhang mit Mutationen des Virus in verschiedenen Regionen dieser Welt sehen. Deswegen bleibt bei all dem Impffortschritt das Testen nach wie vor ein ganz wichtiger Baustein in der Pandemiebekämpfung. Daher schaffen wir mit diesem Gesetzentwurf auch die Möglichkeit, durch Rechtsverordnung Flugreisen nach Deutschland davon abhängig zu machen, dass vor dem Abflug ein Test gemacht wird. Wir haben in den parlamentarischen Beratungen noch einige wichtige Regelungen eingefügt: Erstens: Die Kosten für das Impfen und Testen, die ja wichtige Investitionen in den Gesundheitsschutz sind, übernimmt der Bund aus Steuermitteln. Zweitens – auch ein wichtiger Punkt –: Bei der Aus- und Fortbildung für die Wahrnehmung staatlicher Kernaufgaben müssen Ausnahmen möglich sein, wenn es um das Prinzip des Wechselunterrichts geht, etwa für Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehr, Zivil- und Katastrophenschutz, aber auch für sicherheitsrelevante Einsatzkräfte in Justiz oder Justizvollzug. Drittens: die Maskenpflicht. Auch hier haben wir eine wichtige Klarstellung vorgenommen. Bei Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 16 Jahren genügt die medizinische Gesichtsmaske. Das heißt, es braucht an dieser Stelle keine FFP2-Maske. Ich danke ausdrücklich allen, die sich an diesen Beratungen konstruktiv beteiligt haben, nicht nur denjenigen hier im Parlament, sondern natürlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium. Ich denke, wir können sagen: Wir haben es geschafft, dass wir den dynamischen Entwicklungen auch dynamische Anpassungen entgegensetzen und dass wir nicht nur schnell, sondern auch sehr sorgfältig gearbeitet haben. Herzlichen Dank! Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Uwe Witt von der AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Den vorliegenden Gesetzentwurf kann man mit viel Wohlwollen als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnen – allerdings nur, wenn man auf dem Holzweg weitergehen will. ({0}) Denn der Kern Ihres Gesetzes ist fehlgeleitet. Es gibt lediglich einige wenige akzeptable Gedanken. Der Entwurf sieht zum Beispiel vor, dass auch bei gesundheitlichen Schädigungen durch Schutzimpfungen gegen das Coronavirus ein Anspruch auf Versorgung besteht. Das finden wir gut. Während diese und andere kleine Anpassungen teilweise zu begrüßen sind, ist doch das Fundament, auf dem sie fußen, völlig marode. Man doktert hier an Symptomen herum, die es ohne Ihre sinnbefreiten Maßnahmen gar nicht geben würde. Die grundsätzlichen Probleme des Infektionsschutzgesetzes bleiben nach wie vor unverändert bestehen: Man hält weiter an Inzidenzwerten und Grundrechtsentziehungen fest. Die Länderkompetenz als Grundlage unseres föderalen Systems wird auch weiterhin zugunsten einer Machtneutralisierung bei der Bundesregierung aufgeweicht. Das Grundgesetz wird verwaltungstechnischen Spitzfindigkeiten untergeordnet, als wäre es ein lästiges Relikt aus längst vergangener Zeit. ({1}) Das, meine Damen und Herren, ist es aber auf gar keinen Fall. Die Bundesregierung begründet die Coronamaßnahmen im Wesentlichen mit vier Punkten, die mit unserem Antrag gelöst werden können. Lassen Sie mich diese kurz erläutern: Die Bundesregierung sorgt sich um besonders vulnerable Risikogruppen, sperrt dafür das ganze Volk ein und verursacht dadurch soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Schäden in riesigem Ausmaß. Wir schlagen seit April 2020 vor, durch gezielten und effektiven Schutz von Risikogruppen ebendiese zu schützen und gleichzeitig die rechtswidrige Entziehung von Grundrechten bei der Mehrheit der Bürger umgehend aufzuheben. ({2}) Als Nächstes befürchtet die Bundesregierung eine Überlastung des Gesundheitssystems. Auch wenn Sie manipulative Panikmache, wie zum Beispiel bei der Belegung von Intensivbetten, betrieben haben ({3}) und Untersuchungen ganz andere Ergebnisse geliefert haben, gehen wir auch hierauf ein. Wir schlagen vor, durch eine tatsächliche Unterstützung der Pflegekräfte eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten. Des Weiteren befürchtet die Bundesregierung, dass ab einer Inzidenz von 50 die Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter nicht mehr möglich sei. Grundsätzlich lehnen wir die Inzidenzwerte als ausschließlichen Maßstab ab. Nichtsdestotrotz schlagen wir vor, die personellen und technischen Möglichkeiten der Gesundheitsämter derartig auszubauen, dass diese auch bei höheren Inzidenzwerten reibungslos funktionieren können. Letztlich sieht die Bundesregierung ein Problem bei den prophylaktischen und therapeutischen Behandlungen. Das sehen wir ähnlich und fordern deswegen in unserem Antrag einen umfassenden Ausbau dieser Behandlungsmethoden. Werte Kollege, unsere Vorschläge sind stichhaltig und sinnvoll. Sie hingegen kommen über die Symptombehandlung Ihrer im Hauruckverfahren vermurksten Gesetze nicht hinaus. Und wir müssen gar nicht erwähnen, dass Ihre Maßnahmen, die jetzt wieder beschlossen werden sollen, den Steuerzahler zusätzlich zu allen anderen bereits getätigten Ausgaben noch einmal 3 Milliarden Euro kosten werden. Werden Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht, und beachten Sie den Spruch außen am Reichstag! Die Politik hier im Hohen Hause ist dem deutschen Volke gewidmet und nicht Ihren Wahnvorstellungen einer neuen Weltordnung. Danke schön. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Während hier vorn das Pult gereinigt wird, hat auch die Sitzungsleitung gewechselt. – Ich kann Ihnen vermelden, dass wir im Moment bei einem Sitzungsschluss um 5 Uhr sind; aber wir arbeiten weiter am Sitzungsverlauf. Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis, SPD-Fraktion. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzentwurf zeigen wir, dass wir in dieser Situation, wo es um Pandemiebekämpfung geht, immer auch Schritt halten können und die Maßnahmen genau anpassen an die Situation und an die Notwendigkeiten. Wir haben gezeigt, dass gerade in pandemischen Zeiten klar sein muss, dass dieses Parlament nicht irgendwann handlungsfähig ist, sondern dass es sehr schnell handlungsfähig ist. Mit diesem Zweiten Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes sagen wir: Ja, wir sehen Licht am Ende des Tunnels, und wir freuen uns über sinkende Inzidenzzahlen. Aber unsere Schlussfolgerung ist nicht, dass wir im Prinzip alles freigeben, Lockerungen ohne Sinn und Verstand forcieren, sondern wir wollen dort lockern, wo es möglich ist, aber auch dort nachschärfen, wo es notwendig ist. Das machen wir mit diesem Gesetz. ({0}) Ich will gar nicht auf die Punkte des AfD-Kollegen eingehen. Ich sage nur, dass dieser Weg richtig gewesen ist. Nach einem Jahr stehen wir auch im internationalen Vergleich gut da. Unsere Wirtschaftszahlen sind gut. Auch was die Belastungen von Versicherten anbelangt, stellen wir die richtigen Weichen; das zeigen wir unter anderem mit diesem Gesetz zum Infektionsschutz. Diese Maßnahme in Bezug auf die Belastungen für versicherte Beitragszahlende – so muss man korrekt sagen – haben wir unserem Finanzminister zu verdanken. Ich glaube, an der Stelle kann man einmal ganz deutlich sagen: Es ist eine richtige Maßnahme, dass es nicht zulasten der Beitragszahlenden geht, sondern dass es aus Steuermitteln solidarisch finanziert wird. ({1}) Die Krankenkassen haben in den letzten Monaten schon alle Warnsignale gegeben, dass wir in den nächsten Monaten mit steigenden Beitragssätzen rechnen müssen. Ich glaube, es ist gut und richtig, zu sagen: Die Zusatzbeiträge dürfen nicht bis ins Unendliche steigen, sondern wir geben aus Steuermitteln Gelder in die Krankenversicherung hinein. – Wir haben schon in einem weiteren Gesetz angelegt, zusätzliche Steuermittel in die Krankenversicherung zu geben, um diese Solidarität auszuweiten. Denn es ist gerade für uns als SPD klar: Starke Schultern müssen mehr tragen in diesen Zeiten. Deshalb die Steuermittel. ({2}) Einen Punkt möchte ich noch mal ansprechen, wo klar wird, dass wir ein lernendes System sind. Wir haben mit Blick auf die Schulschließungen und den Wechselunterricht gesehen, dass wir in den Hochschulen anders agieren müssen. Die Lehre an den Hochschulen funktioniert anders. Dem tragen wir hier Rechnung. Wir wollen vor allen Dingen für die Berufsgruppen, die ganz notwendig sind in unserem System, ebenfalls Fort- und Weiterbildung ermöglichen. Das ist die Feuerwehr, das ist die Polizei, das sind die Rettungssanitätsdienste. All das legen wir hier in diesem Gesetz an. Ich glaube, es geziemt sich an der Stelle, wirklich Dank zu sagen für die breite Unterstützung, die auch aus der Opposition kommt. Denn eines ist klar: Mit diesem Gesetz wollen wir auf die pandemische Lage reagieren, aber nicht nur rückwärtsgewandt, sondern wir wollen auch vorsorglich Maßnahmen treffen, damit wir alle miteinander sehr schnell in diesem Sommer wieder aufatmen und sagen können: Wir haben wichtige Weichen gestellt; wir sind vorbereitet. – Vor allen Dingen: Wenn es wieder eine pandemische Lage geben sollte, haben wir alle Schutzmaßnahmen getroffen, um auf diese Situation besser eingestellt zu sein. Vielen Dank. ({3})

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den Bock zum Gärtner gemacht oder – vielleicht passender – das Schaf zur Gärtnerin. ({0}) Frau Lambrecht hat das Familienrecht in ihrer gesamten Zeit als Ministerin links liegen gelassen, behandelt wie ein ungeliebtes Stiefkind. ({1}) Außer einem halbherzigen Ansatz, der nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, nur ein paar warme Worte! Keinerlei ernstliche Reformbemühungen im Familienrecht! Dabei wäre da so unfassbar viel zu tun. ({2}) Und nun übernimmt ausgerechnet diese Ministerin das Familienministerium kommissarisch. Was für eine Ohrfeige für alle, die sich sehnlichst Veränderung wünschen! ({3}) Wir haben Ihnen in den letzten Jahren Dutzende Male erklärt, wie ein modernes Familienrecht auszusehen hätte, und wir werden nicht müde, das immer wieder zu tun. Die Kinder sind es wert. ({4}) Denn Kinder brauchen keinen Streit; sie brauchen ihre Eltern. Und deshalb brauchen wir als Gesellschaft endlich ein modernes Familienrecht. Gesetze dürfen nicht mehr zur Folge haben, dass regelmäßig Beziehungen leiden oder sogar abbrechen und Kinder in Loyalitätskonflikte stürzen. Es dürfen keine Elternteile ausgebootet werden. Unsere gesetzlichen Regelungen müssen darauf ausgerichtet sein, Bindungen zu Bezugspersonen zu fördern und Streit zu vermeiden. Kinder brauchen Bindungskontinuität, gerade auch in schwierigen Lebenssituationen. Kinder haben es verdient, dass der Gesetzgeber endlich veraltete Vorstellungen über Bord wirft und ein Familienrecht gestaltet, das sie in den Mittelpunkt rückt. ({5}) Fünf konkrete Forderungen: Erstens. Auch außerhalb von Ehen gezeugte Kinder brauchen beide Eltern. Es muss selbstverständlich sein, dass jedem Elternteil das Recht zukommt, seine Kinder zu betreuen und zu erziehen. Deshalb brauchen wir auch bei unverheirateten Eltern das Sorgerecht für Väter von Anfang an. Zweitens. Der Gesetzgeber muss Eltern in ihrem Wunsch unterstützen, auch nach Trennung oder Scheidung gemeinsam die Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Implementieren wir das Wechselmodell als Leitbild! ({6}) Stellen wir klar, dass die gleichberechtigte Teilhabe an der Erziehungsverantwortung auch nach einer Trennung die Regel sein muss und nicht die Ausnahme sein darf! Das wirkt Konflikten entgegen und verhindert, dass Eltern-Kind-Bindungen leiden oder sogar abreißen. Drittens. Das Prinzip „Einer betreut, einer bezahlt“ hat ausgedient. Stellen wir in der Konsequenz auch das Unterhaltsrecht vom Kopf auf die Füße: beide betreuen, Beide bezahlen. Viertens. Auch Gerichtsverfahren müssen wir dringend modernisieren. Wir brauchen ein modernes Verfahrensrecht und bestmöglich ausgebildete Richterinnen und Richter. Und ermöglichen wir es auch den Kindern, mehr Eigenverantwortung im Verfahren zu übernehmen! Fünftens. Wir müssen das Adoptionsrecht entrümpeln. Altersgrenzen gehören auf den Prüfstand. Auch hier muss die Ungleichbehandlung von Verheirateten und Unverheirateten aufhören. Wichtig ist, dass dem Kind ein geeignetes und liebevolles Umfeld geboten wird. ({7}) Meine Damen und Herren, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt noch viel mehr zu tun. Ich empfehle die Lektüre unseres Antrags. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, sitzen Sie hier nicht gemütlich Ihre Zeit bis zur Bundestagswahl ab! Stellen Sie sich der Aufgabe! Rücken Sie die Kinder endlich in den Mittelpunkt! Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sonja Steffen für die SPD-Fraktion.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass die FDP und Bündnis 90/Die Grünen ihre Anträge zum Familienrecht noch einmal auf die Tagesordnung haben setzen lassen; denn das gibt uns Gelegenheit – leider erst kurz vor dem Ende der Legislaturperiode –, noch einmal eine familienrechtliche Debatte zu führen. Um was geht es im Einzelnen? Ich möchte zuerst auf den Antrag der FDP zum Thema Verantwortungsgemeinschaft eingehen. Das klingt ja erst mal ganz schön. „Toll!“, denkt man da. Das wollen wir doch alle: Verantwortung tragen und Verantwortung gemeinsam übernehmen. Aber leider fehlt es Ihnen wie so oft auch hier an der nötigen Portion Solidarität. ({0}) Wenn man sich Ihren Antrag richtig zu Gemüte führt, merkt man schnell, dass hier eine Art „Ehe light“ geschaffen werden soll, die die Rechte einer Ehe ermöglicht, aber die Pflichten ausschließt. ({1}) Um es auf den Punkt zu bringen: Das ist ein neoliberales Steuersparmodell, was Sie da vorhaben. ({2}) Wer kann sich denn über die Vor- und Nachteile der Verantwortungsgemeinschaft aufklären lassen? Unterhaltsrecht – ja oder nein? –, Einstandsrechte und ‑pflichten – ja oder nein? –, Erbschaftsteuererleichterungen: All diese Themen sind was für gut verdienende Leute, die für die Beratung das nötige Geld und vor allem ausreichend Zeit haben. Für den weniger gut aufgeklärten und schlechter verdienenden Teil wird das ganz schnell zu einer Falle. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen. ({3}) Zu Ihrem zweiten Antrag. Hier wollen Sie einen Rahmen für Familien schaffen, die nicht mehr dem Vater-Mutter-Kind-Stereotyp entsprechen, und das Familienrecht an die Lebenswirklichkeit anpassen. Ich sage hier ganz offen: Viele Ihrer dortigen Vorschläge sind gar nicht so schlecht. Aber einige gehen, statt Lebenswirklichkeit zu schaffen, komplett an der Lebensrealität der Familien vorbei. Da möchte ich nur beispielhaft das Wechselmodell erwähnen. Sie wollen das Wechselmodell als Regelfall einführen. Es gibt viele Familien in Deutschland – es ist fast jede fünfte Familie –, die ihre Kinder getrennt voneinander erziehen und betreuen. Das läuft in den meisten Fällen auch ganz gut. Wenn man aber keine Einigung findet, dann ist man meistens heillos zerstritten. Dann brauchen wir die Beratungsstellen bei den Jugendämtern, dann brauchen wir Verfahrensbeistände, dann brauchen wir Familiengerichte. Eine stereotype gesetzliche Anordnung, wie Sie sie vorhaben, nämlich das Wechselmodell als Gesetz, das hilft hier gerade nicht weiter; denn das Wechselmodell funktioniert nur, wenn Eltern Hand in Hand arbeiten, und nicht per Gesetz von oben quasi aufoktroyiert. ({4}) Das Gleiche gilt übrigens in Bezug auf den Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Auch Ihr Antrag ist auf den zweiten Blick eher weltfremd. Sie wollen, dass die tatsächlich gelebte Elternschaft rechtlich abgesichert wird, also sogenannte Stiefelternfamilien – wenn man diesen blöden Ausdruck verwenden will, um es zu erklären – besser absichern. Damit schaffen Sie zusätzlich weitere Rechte, die von Patchworkfamilien schon jetzt gelebt werden und mit Blick auf § 1685 BGB gar nicht nötig sind. Im Streitfall führt das nur zu weiteren Schwierigkeiten, die letztendlich auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Deshalb werden wir auch diesen Antrag ablehnen. ({5}) Aber – ich habe es vorhin schon erwähnt – es findet sich einiges wieder im Antrag der FDP-Fraktion, was auch Gegenstand des Koalitionsvertrages war, zum Beispiel – Frau Helling-Plahr, da haben Sie völlig recht – das gemeinsame Sorgerecht von Anfang an auch für nicht miteinander verheiratete Eltern. Das steht im Koalitionsvertrag. ({6}) Im Koalitionsvertrag steht auch das Thema Mit-Mutterschaft. Aber: Sie haben die Falschen beschimpft, Frau Helling-Plahr. Die SPD-Fraktion, unsere Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker und vor allem unsere engagierte Justiz- und jetzt auch Familienministerin haben alles versucht, das Familienrecht zu reformieren. Dass das letztendlich nicht geklappt hat, liegt einzig und allein bei Ihnen – ich muss das jetzt mal sagen –, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion. ({7}) Sie müssen sich diesen Vorwurf gefallen lassen. Sie haben es nämlich nicht geschafft, in dieser Legislatur aus der familienrechtlichen Mottenkiste zu klettern. Sie kleben stattdessen immer noch an einem Familienmodell der 70er-Jahre, und das hat uns große Schwierigkeiten gemacht. Wir haben es doch in der letzten Legislatur auch auf den letzten Metern geschafft, dass die Ehe für alle zum Gesetz wurde. ({8}) Warum? Weil die Kanzlerin an dieser Stelle wesentlich progressiver war als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Trotz dieser Öffnung der Ehe müssen verheiratete Frauen, wenn sie ein gemeinsames Kind bekommen, weiterhin den Weg über die Stiefkindadoption gehen. Dies stellt eine nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung für gleichgeschlechtliche Paare dar. ({9}) Übrigens bin ich mir sehr sicher, dass uns das Bundesverfassungsgericht auch dieses Thema wieder um die Ohren hauen wird, weil gerade zwei Fälle von lesbischen Paaren dort zur Entscheidung anstehen. Aber noch viel wichtiger sind uns die Kinder, denen bis zur Rechtskraft der Adoption ein weiterer rechtlicher Elternteil fehlt. Sie lassen diese Kinder allein, indem Sie ihnen die Unterhalts-, die Versorgungs- und die Erbansprüche verwehren. ({10}) Verhindern kann man das nur mit einem Manöver des letzten Augenblicks. Das Gesetz dazu liegt auf dem Tisch. Es ist perfekt. Trauen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, vielleicht schaffen wir das ja noch. ({11}) Nun habe ich in dieser Rede viel über Gesetzestechnik und viel über Politik geredet. ({12}) Wir sollten aber nicht vergessen, worum es bei diesem Thema eigentlich geht: um Liebe und um Zusammenhalt. Deshalb erlaube ich mir am Ende meiner Rede, meinen Eltern zum Hochzeitstag zu gratulieren. Die haben sich nämlich genau heute vor 65 Jahren in einer Kirche in Dreiborn in der Eifel das Jawort gegeben. ({13}) Herzlichen Glückwunsch! ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Seitz für die AfD-Fraktion. ({0})

Thomas Seitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004891, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Wahlkämpfer der FDP! Welch eine Verschwendung! Da spielen Sie seit Wochen die AfD light, um sich für Konservative wählbar zu machen, und beweisen heute doch nur, wie gerne Sie Teil von R2G2 wären, von Rot-Rot-Grün-Gelb. ({0}) In der Einleitung Ihres Antrags stellen Sie es klar: überkommene Rollen- und Familienbilder über Bord werfen. Liebe FDP, als Vertreter des ganzen Volkes haben wir nicht die Lebensentwürfe von Menschen wie Abfall in die Tonne zu werfen. ({1}) Es ist ein Unding, den Menschen Ihre zerstörerische Ideologie, die natürlich auch da drüben hingehört, aufzwingen zu wollen; denn die Mehrheit der Deutschen möchte weitaus konservativer leben, als Sie es vielleicht glauben. Die Mehrheit der Menschen hält die Ehe zwischen Mann und Frau für das richtige und, ich sage, das einzige vernünftige Familienmodell. Wer anders lebt, hat dafür seine Gründe ({2}) und nimmt die notwendigen Unterschiede in Kauf. Deshalb wurde das Leitbild der Ehe in den Zeiten eines normalen Deutschlands auch respektiert und gefördert. ({3}) Nicht jeder Zeitgeist taugt zum Modell oder Vorbild und schon gar nicht die vorangetriebene Marginalisierung von klassischer Ehe und Familie. Ihre Verantwortungsgemeinschaft ist nichts anderes als eine Ehe light auf Widerruf und soll die Unterschiede zwischen Ehe und anderen Lebensformen einebnen. Das ist verfassungswidrig. ({4}) Wenn Sie dieses Institut gleich für Personengruppen öffnen wollen, ist Ihr wahres Ziel die Zerstörung der Ehe und Ersetzung durch Verbindungen beliebiger Art und Zahl. Schöne neue Welt! ({5}) Und was schreiben Sie sonst noch? Zitat : Die Einführung einer automatischen Mit-Mutterschaft muss zusammen mit der Implementierung der rechtlichen Mehrelternschaft gedacht werden. Beim ersten Lesen war ich einfach nur sprach- und fassungslos. Klingt denn das nur für mich unmenschlich? Ihre vorgeburtlichen Elternschaftsvereinbarungen lassen Kinder wie eine Handelsware wirken. Sie sprechen wohlklingend von einer Stärkung des Selbstbestimmungsrechts, meinen aber weitere Beschneidungen der Elternrechte. Auch Ihre Vorstellungen zur Adoption missachten bewusst das Kindeswohl. Denn wenn nur ein Ehepartner ein Kind adoptieren will und der andere nicht, dann liegt ein schwerer Dissens vor, ein unkalkulierbares Risiko für jedes Kind – unerträglich. ({6}) Und nun zu Ihrem Wechselmodell. Die meisten Familien brauchen zwei Einkommen, um eine Familienwohnung zu finanzieren. Die Trennung führt regelmäßig zu einem Rückgang des Lebensstandards, weil zusätzlich zur Familienwohnung eine zweite, zumindest kleinere Wohnung notwendig wird. Und wie sollen die Ex-Partner beim Wechselmodell nun zwei Familienwohnungen dauerhaft finanzieren? Wo ist da Ihre Lebenswirklichkeit? Nein, wir sehen keine Lebenswirklichkeit, sondern die hässliche Fratze der Partei der kinderlosen Besserverdiener ohne Bezug zum Leben normaler Menschen. ({7}) Nach Trennungen haben wir meistens einen, manchmal zwei sich bitter enttäuscht fühlende Menschen, die sich mit dem Ex-Partner nicht einmal über Bagatellfragen einigen können. Und daraus soll über Nacht und per Gesetz Rücksicht, Verständnis und Kooperation erwachsen? Nein, in der Wirklichkeit ist Ihr Wechselmodell Wunschdenken. Eine tolle Idee, wenn sie funktioniert. Lesen Sie doch den BGH, bevor Sie ihn zitieren! Der sagt: Bei bestehender hoher elterlicher Konfliktbelastung wird das Wechselmodell dagegen in der Regel nicht dem Kindeswohl entsprechen. Es ist darum ausgeschlossen, ein Nischenmodell – wenn es funktioniert, ein tolles Modell – zum Regelfall zu machen. Mit Ihren Anträgen wecken Sie bei vielen leidenden Vätern und Müttern große Hoffnungen, die in der Realität leider nur enttäuscht werden können. Wie schäbig ist das? Ich wünsche Ihnen viel Erfolg im Wahlkampf, aber tragen Sie das bitte nicht länger auf dem Rücken von Eltern und Kindern aus. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Geschrei wollen wir jetzt wieder zur Sache zurückkehren. ({0}) Verantwortungsgemeinschaften jenseits der Ehe sind ein spannendes Thema, das auch bei uns Grünen mit großem Interesse diskutiert wird. Der jetzt vorgelegte Vorschlag der FDP ist allerdings nicht wirklich zu Ende gedacht. Zunächst einmal wird nicht klar benannt, wo die Regelungslücke sein soll; denn es ist möglich, sowohl bei der Ehe als auch beim Erbrecht individuelle Regelungen frei zu vereinbaren. In Eheverträgen ist fast alles möglich: mit oder ohne Unterhalt, Zugewinngemeinschaft oder Versorgungsausgleich. Das Gesetz setzt die Grenzen dort zu Recht, wo es um den Schutz des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten vor Übervorteilung geht. Dieser Schutz darf jedenfalls nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass man die Illusion einer gleichwertigen Alternative schafft. Die Verantwortungsgemeinschaft der FDP soll einkommen-, schenkung- und erbschaftsteuerliche Vorteile verschaffen, aber gleichzeitig unbürokratisch und jederzeit auflösbar sein. Ein Sachverständiger brachte es auf den Punkt: Es kann nicht darum gehen, ein neues Steuersparmodell zu entwickeln. ({1}) Was die Frage der Mit-Elternschaft betrifft, haben wir Grüne mit dem Antrag zur elterlichen Mitverantwortung bereits konkrete Vorschläge gemacht. Das Institut des kleinen Sorgerechts für verheiratete Stiefeltern ist ein guter Ansatz, den wir erweitern wollen auf alle Konstellationen, in denen faktische Stiefeltern eine dauerhafte Verantwortung für Kinder übernehmen, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht. Möglich wäre dies auch für Konstellationen, in denen mehr als zwei Personen elterliche Verantwortung übernehmen. Die Hauptverantwortung verbliebe im Streitfall bei den Eltern selbst, und die Mitverantwortung endet automatisch mit der Volljährigkeit des Kindes. Erbrecht und Steuerrecht lassen wir weitgehend unberührt. Allerdings sollte dort, wo faktische Stiefeltern tatsächlich den Kindesunterhalt übernehmen und das Kind dadurch vor dem Sozialhilfebezug bewahren, ein entsprechender Steuerfreibetrag gewährt werden. Im Abstammungsrecht teilen wir die Forderung nach einer vorgeburtlichen Elternschaftsvereinbarung und nach einer echten Co-Mutterschaft verheirateter Mütter. Warum aber ausgerechnet die FDP den offenen Brief an die Unionsführung mit dem Aufruf, die verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung noch in dieser Legislatur zu beenden, nicht unterzeichnen wollte, habe ich bis heute nicht verstanden. ({2}) Die Festschreibung von bestimmten Betreuungsmodellen im Gesetz, wie es die FDP für das Wechselmodell fordert, lehnen wir ab. ({3}) Klar ist, dass wir Trennungseltern, die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder weiter partnerschaftlich aufteilen, in jeder Hinsicht unterstützen wollen. Eine hälftige Auszahlung von Kindergeld oder einen doppelten Wohnsitz des Kindes sollten wir künftig ermöglichen, da dies gegebenenfalls streitvermeidend wirken kann. Letztlich ist alles möglich, solange sich die Eltern einig sind. In Streitfällen ist die Anordnung einer 50-prozentigen Aufteilung der Betreuung allerdings nur sehr schwer mit dem Kindeswohl vereinbar. ({4}) Auch die beidseitige Barunterhaltsberechnung unabhängig vom Betreuungsanteil wird diesen Streit nicht auflösen können. Tatsächlich gehen wir mit Reformbedarf beim Kindesunterhalt in die neue Legislatur; denn immer häufiger wird der Unterhaltsstreit praktisch zum Streit um Betreuungsanteile. Deswegen muss sich jede Gesetzesänderung daran messen lassen, ob sie im Sinne des Kindeswohles mehr Streit vermeidet als verursacht. Vielen Dank. ({5})

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Diese Bundesregierung geht voran beim Tierschutz. Millionen männliche Küken werden zurzeit noch direkt nach dem Schlüpfen getötet, aus wirtschaftlichen Gründen: weil sie keine Eier legen und nicht so gut Fleisch ansetzen. Das Töten direkt nach dem Schlüpfen ist eine unethische Praxis. Der setzen wir heute ein Ende. Wir in Deutschland sind weltweit die Ersten, die das Töten von Eintagsküken gesetzlich verbieten. Das ist ein Meilenstein für den Tierschutz; andere Länder wie zum Beispiel Frankreich werden sich an uns orientieren. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, war mir im gesamten Prozess wichtig: Ich will die Produzenten hier in Deutschland halten, ich will den Tierschutz in Deutschland stärken und nicht die Tierwohlfragen exportieren. ({0}) Wir werden die Produzenten in Deutschland halten, indem wir ihnen wettbewerbsfähige Alternativen geben und nicht einfach die Probleme ins Ausland verlagern, um dann die Eier aus Ländern zu importieren, für die Tierschutzfragen überhaupt keine Rolle spielen. Um das Kükentöten aber jetzt rechtssicher verbieten zu können, darf unser Verbot nicht einem Berufsverbot gleichkommen. Wir müssen den Brütereien Alternativen bieten. Für diese Alternativen haben wir gesorgt. Ich danke meinem Vorgänger Christian Schmidt, der die Wege dazu mitbereitet hat. Wir haben rund 6,5 Millionen Euro in Spitzenforschung investiert. Das war richtig, das war wichtig; das ist gut investiertes Geld. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, den Brütereien stehen damit nun Alternativen zur Verfügung, etwa die Geschlechtererkennung im Ei. Die männlichen Küken werden erst gar nicht ausgebrütet, nur um dann am ersten Tag getötet zu werden. Damit machen wir Schluss. Diese neue Technik kommt in der Praxis immer breiter zum Einsatz. Wir haben die Forschung und Entwicklung weiterer Ansätze gefördert, wie zum Beispiel die Haltung sogenannter Zweinutzungshühner. Dafür hat mein Ministerium rund 2 Millionen Euro bereitgestellt. Eine weitere mögliche Alternative ist die Aufzucht männlicher Küken von Legelinien. Die Branche sieht sich jetzt einem breiten Spektrum von Alternativen gegenüber. Wir machen beides: nicht einfach nur Ansprüche an höheren Tierschutz formulieren, sondern den Betrieben die Möglichkeit geben, Tierwohl und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. Damit werden und wollen wir Exportschlager sein, und andere werden es uns nachmachen. Wir sind weltweiter Vorreiter. ({2}) Damit zeigen wir: Das geht. Wir lagern Tierschutzfragen nicht einfach ins Ausland aus, wir finden in Deutschland Lösungen. Diese Lösungen zeigen, welch große Bedeutung Forschung hat, welch große Bedeutung Innovation hat. Mit Innovation und Forschung schaffen wir Zukunft, schaffen wir es, hohe ethische Ansprüche hier in Deutschland auch zu realisieren und sie nicht nur zu stellen. Mit diesem Gesetz – ich habe es schon gesagt – machen wir Schluss mit der Praxis des Kükentötens. Wir sorgen dafür, dass mit Ende dieses Jahres in Deutschland nur noch Eier ohne Kükentöten produziert werden. Und die Handelsketten ziehen nach. Wir Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden mit unserem Einkauf, welche Praxis wir unterstützen. Die Handelsketten ziehen nach und sagen jetzt auch nach und nach zu – auch heute wieder –, dass sie nur noch Eier aus Brütereien verkaufen, die keine Küken mehr töten. Das ist ein richtiges Zeichen. Das ist ein Bekenntnis zum Standort Deutschland. Wir Verbraucherinnen und Verbraucher haben es in der Hand. Die Eier werden teurer werden, einige Cent teurer. Aber ich bitte Sie: Das muss uns mehr Tierwohl und mehr Tierschutz hier in Deutschland wert sein. ({3}) Ich werde bei diesem Thema nicht aufhören. Wir gehen folgerichtig weiter. Unsere Initiative ist auf europäischer Ebene beispielgebend. Heute ist es bereits verpflichtend, die Eier zu kennzeichnen, aus welcher Haltung sie kommen; aber die unverarbeiteten Eier müssen heute noch nicht verpflichtend gekennzeichnet werden. Deshalb haben wir die Initiative gestartet, dass verarbeitetes Ei – in Pasta, in Backwaren und vielen anderen Produkten – auch gekennzeichnet werden muss. Das ist Tierwohl, das über unsere Grenzen hinausgeht. ({4}) Da sind wir Vorreiter. Deshalb sage ich: Heute ist ein guter Tag, wenn Sie dem Gesetzentwurf auch zustimmen. Wir tun etwas für den Tierschutz, wir reden nicht nur darüber. Wir machen ihn praktikabel und machbar. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für die AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott zum Gruße, liebe Gäste hier im Hohen Haus und zu Hause vor den Fernsehgeräten! Ich denke, wir sind uns fraktionsübergreifend alle einig, dass das grundlose – die Betonung liegt auf „grundlos“ – Töten von männlichen Hühnerküken verboten werden soll. Punkt! Eigentlich könnte man hier aufhören. ({0}) – Ja, ich weiß. Ganz ehrlich: Darauf habe ich gewartet. Ich wusste, das macht man so. Allerdings wurde das Gesetz leider wieder einmal nicht zu Ende gedacht; denn es gibt in Deutschland viele Zoos, Tierparks, Wildparks, Falknereien usw. usf., welche Tiere haben – zum Teil sogar Tiere, die vom Aussterben bedroht sind –, die die Küken als Futter benötigen. ({1}) Für diese müssen wir Lösungen oder Ausnahmen schaffen. Wir haben dazu einen Änderungsantrag eingebracht. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem. Oder wollen Sie, liebe Regierung, wirklich schuld daran sein, dass Tiere aussterben, in Deutschland nicht mehr vorhanden sein werden, ({2}) nur weil sie kein Futter mehr bekommen? ({3}) Oder wollen Sie, liebe Regierung, wirklich, dass es in Deutschland keine Falknereien oder keine Habichtzüchter mehr gibt, weil sie keine Futtermittel für die Tiere mehr haben? ({4}) Oder wollen Sie, dass unsere Kinder manche Tiere in Zoos und Tierparks in Zukunft nicht mehr sehen können, weil die Zoos und Tierparks keine Futtermittel mehr haben? Ich denke nicht, dass Sie das wirklich wollen, Frau Ministerin, liebe Regierung. ({5}) Auch muss daran gedacht werden, dass es in anderen Ländern der EU und in Europa noch möglich ist, Küken grundlos zu töten. Also fordern wir in unserem Entschließungsantrag, dass sich die Regierung zum Schutz unserer Brütereien und auch unserer Landwirte, aber vor allem zum Schutz des Tierwohls und aus Gründen des Tierschutzes dafür einsetzt, dass es europaweit verboten wird und dass es nicht wieder zu einem nationalen Alleingang kommt, unter dem dann deutsche Landwirte, deutsche Brütereien, deutsche Zoos, deutsche Tierparks leiden, also wieder nur Deutsche unter dem Gesetz leiden. ({6}) Es ist nur sinnvoll, das Töten von Küken europaweit zu verbieten; denn sonst exportieren wir wieder nur Tierquälerei, und Tierschutz wird nicht wirklich umgesetzt; aber das machen Sie bei anderen Gesetzen auch so. Ebenso sollten Lebensmittel gekennzeichnet werden, welche aus Ländern kommen, in denen das grundlose Kükentöten noch erlaubt ist, damit der Verbraucher – die Frau Ministerin hat es angesprochen – selbst entscheiden kann, ob er Produkte kauft, die dem Tierschutz zugutekommen oder nicht. Ich bitte Sie eindringlich, unsere Anträge ernst zu nehmen. ({7}) Ich erinnere Sie daran – ich erinnere mich selbst, als ob es gestern gewesen wäre –, dass ich hier am Rednerpult vor den Risiken und Nebenwirkungen des Narkosegases Isofluran, das bei der Ferkelkastration eingesetzt wird, gewarnt habe. Ich habe Sie mehrmals gebeten, das Gas nicht zu verwenden und unseren entsprechenden Antrag ernst zu nehmen. Was ist passiert? – Ausgelacht wurde ich, als Verschwörungstheoretiker usw. wurde ich beschimpft. ({8}) Und ganz ehrlich? Die landwirtschaftliche Krankenkasse selber hat jetzt eine Meldestelle eingerichtet, weil dieses Gas im Sinne des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sehr bedenklich ist. Wer hatte also recht? – Wieder mal die AfD. ({9}) Also bitte: Springen Sie über Ihren Schatten und denken zumindest über unsere Anträge nach. Sonst stehen wir in ein paar Monaten wieder hier, und Sie müssen zugeben, dass die AfD wieder einmal recht hatte. Denn wir wollen ein Deutschland. Aber normal. Danke schön. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Baradari das Wort. ({0})

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Abgeordnete! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung zwei Änderungen des Tierschutzgesetzes. In meiner Rede möchte ich mich auf den Schutz von Versuchstieren konzentrieren. Notwendig macht diese Gesetzesänderung ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen mangelhafter Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. Das Thema der Tierversuche wird hochemotional und kontrovers diskutiert, da es hier zwischen zwei im Grundgesetz verankerten Zielen abzuwägen gilt. Auf der einen Seite geht es um das wertvolle Gut der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz. Auf der anderen Seite geht es um den Tierschutz, der im Jahr 2002 als Staatsziel in Artikel 20a in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Daher gilt es hier, ausgewogene Lösungen und einen vernünftigen Mittelweg zu finden. Klar ist: In Deutschland finden immer noch zu viele Tierversuche statt. Im europäischen Vergleich liegen wir hier auf Platz zwei. ({0}) Besonders schwer wiegen in diesem Zusammenhang Nachrichten über Tierversuchslabore, die nicht ordnungsgemäß arbeiten. Wir alle haben die abscheulichen Bilder, die im Jahr 2019 aus einem Tierversuchslabor bei Hamburg publik wurden, vor Augen. Hier sind die zuständigen Aufsichtsbehörden gefordert, dem mit aller Härte zu begegnen und die Verantwortlichen zu bestrafen. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, unabhängig davon müssen wir aber auch die andere Seite der Medaille betrachten: Obwohl heute schon viele Fragen der Wissenschaft durch den Einsatz von Zellkulturen, computergestützten Verfahren und weiterer Alternativmethoden beantwortet werden können, kann auf den Einsatz von Tieren für wissenschaftliche Zwecke noch nicht vollständig verzichtet werden. Das aktuellste Beispiel hierfür ist zweifelsfrei die Forschung an den so wichtigen Coronaimpfstoffen, die ohne den Einsatz von Tierversuchen nicht so schnell und sicher hätten entwickelt werden können. Dies führt für mich als Ärztin – auch aus persönlicher Erfahrung – zu einem starken Argument. Im Rahmen meiner Dissertation durfte ich an der Entwicklung einer Arznei gegen eine Herz-Kreislauf-Erkrankung mitwirken. Auch hier nutzten wir die Ergebnisse von Tierversuchen, bevor wir das Medikament an menschlichen Probanden testeten und dessen Wirkung auf den Organismus verstehen konnten. Heute hilft dieses Medikament vielen Menschen auf den Intensivstationen in ganz Deutschland und auf der ganzen Welt. ({2}) Daher gehört zur Wahrheit: Derzeit ist die Grundlagenforschung oft noch auf Tierversuche angewiesen. Ein schneller und radikaler Ausstieg aus Tierversuchen löst den anfangs dargestellten Konflikt sicher nicht. Als SPD-Bundestagsfraktion denken wir stattdessen verantwortungsvoll und langfristig. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss, der bessere, detailliertere und klarere Regeln für die Verwendung von Versuchstieren in der Forschung vorgibt. Wir verabschieden uns damit vom Anzeigeverfahren und stellen sicher, dass ausnahmslos jeder Tierversuch von einer Behörde geprüft werden muss. Wir führen verpflichtende und regelmäßige Kontrollen ein, die Tierversuchsstätten einer Überwachung unterwerfen. Und wir stellen sicher, dass Genehmigungsbehörden unabhängig und kompetent prüfen können. Für die wirkungsvolle Reduzierung von Tierversuchen braucht es zudem eine massive Förderung von Alternativmethoden. ({3}) Hierfür haben wir bereits im vergangenen Jahr einen wichtigen ersten Schritt durchsetzen können: Der Bund fördert die Entwicklung einer nationalen Plattform für Tierversuchsersatzmethoden mit 3 Millionen Euro. ({4}) Solche Ansätze gilt es aktiv und nachhaltig weiterzuverfolgen, damit Tierversuche künftig wirksam reduziert werden können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Gero Clemens Hocker für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Leben entsteht, egal in welcher Art, hat das immer einen Wert an sich. Leben entstehen zu lassen, um es wenige Augenblicke später wieder zu beenden, weil es hierfür angeblich keinen hinreichenden Zweck oder keine hinreichende Verwendung gibt, das rührt an den Grundfesten unserer Gesellschaft, an unserer moralischen Überzeugung und sogar an den Werten unserer Kultur. Deswegen ist es richtig, dass sich alle Fraktionen hier in diesem Hohen Hause auf den Weg gemacht haben – jeder aus einer anderen politischen Richtung kommend, jeder auch mit anderen Vorstellungen –, das Töten männlicher Küken beenden zu wollen. Das ist richtig, und ich bin froh, dass es darüber einen Konsens in diesem Hohen Hause gibt. ({0}) Umso wichtiger ist es aber, dass man hier keine politischen Schnellschüsse abgibt, dass man nicht sozusagen aus der Hüfte schießt. ({1}) – Wie bitte, Herr Ebner? Melden Sie sich doch gerne. – Man muss Konzepte entwickeln, die tatsächlich praxistauglich sind und vor allem verhindern, dass Produktionsstätten einfach nur ins Ausland abwandern, wo dieselben Produktionsweisen fortgeführt werden, und die Produkte dann doch wieder bei uns in Deutschland landen. Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis von nationalstaatlichen Alleingängen, die in der Landwirtschaftspolitik an anderer Stelle häufig genug beschritten werden. Nicht ein einziges Mal haben sie tatsächlich den Zweck erfüllt, den sie erfüllen sollten. Ich nenne mal zwei Beispiele aus einem anderen Bereich. Deutschland hat sich auf den Weg gemacht, aus der Kernenergienutzung und aus der Kohleverstromung auszusteigen. Aber wir glauben doch alle gemeinsam nicht, dass deswegen kein kernenergetisch erzeugter Strom oder kein aus Kohle stammender Strom mehr in unseren Netzen transportiert wird! Wir haben einfach nur ein Problem ins Ausland verlagert. Oder denken Sie an den Transrapid, der in Deutschland gebaut wurde und der jetzt in China munter hin und her fährt. Auch hier nutzen wir nicht die Kompetenzen, die wir selber entwickelt haben. Bei der Käfighaltung von Legehennen ist es ganz ähnlich. Diese Käfige wurden vor einigen Jahren in Deutschland abgebaut und dann in Osteuropa, in Polen, in der Ukraine und anderswo wiederum aufgebaut. ({2}) Damit packen wir das Problem aber nicht an der Wurzel, verehrte Frau Kollegin, sondern verlagern Probleme ins Ausland. Wir erwecken den Anschein, als hätten wir Probleme gelöst, haben in Wahrheit aber überhaupt nichts erreicht. ({3}) – Wie bitte? ({4}) – Stellen Sie gern eine Zwischenfrage, da wäre ich Ihnen dankbar. Aber so funktioniert es nicht. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrem Ansinnen, die gegenwärtige Praxis des Tötens von männlichen Küken zu beenden. Funktionieren kann eine solche Initiative allerdings nur, wenn sie ähnliche Regelungen nicht nur für Deutschland, sondern für sämtliche Mitgliedsländer der Europäischen Union beinhaltet. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Bundesregierung, hätten Sie aus einer Vielzahl von Beispielen aus der Vergangenheit bereits lernen können. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Amira Mohamed Ali für die Fraktion Die Linke. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Mahatma Gandhi sagte: „Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandeln.“ Also schauen wir einmal hin: Wie sieht die Tierschutzbilanz dieser Bundesregierung aus? In einem Wort: beschämend. Was Sie hier in den letzten Jahren vorgelegt haben, waren und sind Scheinschritte und Scheinlösungen, die darauf abzielen, auf Biegen und Brechen das falsche System zu erhalten – ein System, das Riesenprofite für wenige Konzerne bedeutet, das aber Mensch, Tier und Natur hemmungslos ausbeutet. Damit muss endlich Schluss sein! ({0}) Jeden Tag leiden Tausende Tiere in der industriellen Massentierhaltung. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sind an der Tagesordnung: in den Megaställen, auf den Tiertransporten, in den Schlachthöfen. Tierschutzverstöße werden in jedem fünften Betrieb festgestellt – und das, obwohl die Betriebe im Schnitt gerade mal alle 17 Jahre kontrolliert werden. Trotzdem behaupten Union und FDP, das seien bloß Einzelfälle. Die tierschutzpolitische Sprecherin der CDU/CSU hat die Berichte über die Missstände sogar als „Fake News“ bezeichnet. Tierquälerei gäbe es in Deutschland angeblich nicht. Das ist unerhört und völlige Realitätsverweigerung. ({1}) Fakt ist: Die Mehrheit der Landwirte leidet unter dem System der maximalen Ausbeutung und der minimalen Preise. Die Mehrheit der Bevölkerung will weg von den Hochleistungskühen, ‑hühnern, ‑puten und ‑schweinen, die in hermetisch abgeriegelten Ställen und Transportern ihrer reinen Vermarktung zugeführt werden. Die Mehrheit will ein nachhaltiges, natürlicheres, tiergerechtes System. Aber das ist nach Ihren Plänen nicht in Sicht, auch nicht bei der Eierproduktion. Hier werden aktuell Abermillionen männliche Küken – die Brüder der Hochleistungslegehennen – direkt nach dem Schlüpfen getötet, weil ihre Aufzucht nicht profitabel ist. Und auch hier kommt die Bundesregierung, wie immer, mit einer Scheinlösung: Die Hähne sollen nicht nach dem Schlüpfen, sondern kurz davor getötet werden, wenn die Tiere bereits empfindungsfähig sind, oder sie sollen als Eintagsküken in Wildparks verfüttert werden. Hauptsache nichts am kranken System ändern – das ist die Devise. Dabei gäbe es Alternativen: das Zweinutzungshuhn. Die Aufzucht ist etwas weniger rentabel, aber tierschutzgerecht möglich; und das muss doch endlich das entscheidende Kriterium bei der Tierhaltung sein, Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Das muss gefördert werden! Auch beim Ausstieg aus dem Tierversuch versagt die Bundesregierung. Wir wissen, dass 90 Prozent der Medikamente, die im Tierversuch als sicher erprobt werden, in der weiteren Folge als für den Menschen ungeeignet erkannt werden. Die Tiere leiden millionenfach völlig sinnlos. Trotzdem gibt es keinen vernünftigen verbindlichen Ausstiegsplan und keine vernünftige Förderung der Alternativmethoden. Das ist unverantwortlich! ({3}) Meine Damen und Herren, wir kämpfen dafür, dass sich in der nächsten Wahlperiode viel ändert, auch im Tierschutz. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da kann ich doch direkt bei der Kollegin Mohamed Ali anknüpfen. Ich finde, die Tierschutzbilanz dieser Bundesregierung, oder besser: dieser Ministerin – ich sage es der Fairness halber wegen der Kolleginnen, die bei der SPD für mehr Tierschutz kämpfen –, ist ein Scheinriese. Es hat unheimlich viele Worte gegeben, ganz viele Begriffe, die in die Welt gesetzt worden sind, aber wenn man sich diesen Begriffen nähert, wird das Ergebnis immer kleiner. Am Schluss ist es winzig klein, und im Grunde ist da gar nichts passiert. Die Tierschutzbilanz zeigt, dass wir hier ein unbestelltes Feld haben. Ja, wir werden diesem Gesetz zur Beendigung des Kükenschredderns zustimmen, weil es doch ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung ist, auch wenn es das System noch nicht komplett verändert. Dass es jetzt ein Ende hat mit dem Vergasen und Schreddern von jährlich 45 Millionen männlichen Küken, ist richtig, aber es ist auch keine Großtat dieser Bundesregierung, sondern das Ergebnis einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Es blieb Ihnen gar nichts anderes übrig. Wenn wir mal in der Bilanz weitergehen, zum Beispiel zu den Versuchstieren, dann sehen wir: Ja, es gibt ein paar Verbesserungen, aber das ist immer noch nur eine Plausibilitätsprüfung durch die Kommission und nicht eine wirkliche inhaltliche Prüfung. Auch da muss ich Ihnen sagen: Das wurde nur gemacht, weil die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, an dessen Gängelband Sie über lange Zeit hingen. Ich kann bei all diesen Regelungen im Ergebnis nur eines feststellen: Die Dinge passieren extrem spät, und immer sind es die Unionsfraktionen, die sich das Handeln erst durch höchstrichterliche Rechtsprechung oder Vertragsverletzungsverfahren abringen lassen. ({0}) Das ist das Tragische an der Geschichte. Beim sogenannten Tierwohllabel sehen wir es übrigens auch: Die Planung dafür läuft seit 2009, begann also schon unter Frau Aigner. Minister Schmidt hat Schilder vorgestellt, und auch die Amtszeit von Ministerin Klöckner ist irgendwie eine verlorene Zeit. Wir haben in dieser Legislaturperiode dazu jede Menge Papier produziert, obwohl das Thünen-Institut schon 2015 konkrete Vorschläge dazu hatte. Was wir am Ende dieser Legislaturperiode aber nicht haben, ist irgendeine Art von Planungssicherheit für die Landwirtinnen und Landwirte bei der Tierhaltung. Wir haben keine Transparenz, und die Tiere haben auch nicht mehr Platz. Das ist das Ergebnis. ({1}) Ich will Ihnen gerne sagen, was wir wirklich bräuchten – das wird dann wohl die Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode sein –: eine deutliche Reduktion der Tierzahlen zum Erreichen der Klimaziele, eine angemessene Honorierung der Arbeit der Bauern für einen guten Standard, einen guten Tierschutzstandard, und zwar rechtlich geregelt, sowie klare und verbindliche Kennzeichnungen von Lebensmitteln. ({2}) Ich möchte noch einen letzten Satz hinzufügen. Ich meine, dass als Ultima Ratio endlich das Strafrecht greifen muss. Deshalb haben wir Vorschläge zur Verschärfung des Strafrechts gemacht. Tierhalter und Veterinäre tragen eine Verantwortung. Darum müssen wir den Strafrahmen hochsetzen. Tierquälerei ist im Strafrecht richtig eingeordnet, weil das kein Kavaliersdelikt ist. Das muss übrigens auch der Anspruch der Bäuerinnen und Bauern sein, die gut mit den Tieren umgehen, während andere mit Tierquälerei ihr Geld verdienen. Das kann man so nicht weiter aufrechthalten, meine Damen und Herren. ({3})

Kerstin Griese (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003440

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine inklusive Gesellschaft, in der alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen – das ist unser gemeinsames Ziel. Und dazu gehört Barrierefreiheit. ({0}) Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit, den European Accessibility Act, um und regelt die Barrierefreiheitsanforderungen für verschiedene Produkte und Dienstleistungen. Damit werden Barrieren beim Zugang zu Information und Kommunikation beseitigt und die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und auch von älteren Menschen gefördert. Was regelt das Gesetz konkret? Erstens. Es wird in Zukunft deutlich mehr barrierefreie Produkte und Dienstleistungen geben. Der Bedarf ist groß, und er wird voraussichtlich in einer älter werdenden Gesellschaft auch noch größer. Mit diesem Gesetz müssen zum Beispiel Computer, Geldautomaten, Mobiltelefone, Internetzugangsdienste, Personenbeförderungsdienste, Bankdienstleistungen und der Onlinehandel ab 2025 barrierefrei werden. Damit sorgen wir dafür, dass Menschen mit Einschränkungen alltägliche Dinge und Dienstleistungen einfach nutzen können und leichteren Zugang zu so zentralen Bereichen für das Alltagsleben wie digitale Kommunikation und Information bekommen. ({1}) Zweitens. Das kommt auch der Wirtschaft zugute; denn es wird ein großer Markt eröffnet, wenn Angebote und Dienstleistungen europaweit dieselben Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen müssen und wenn keine länderspezifischen Änderungen mehr gemacht werden müssen. Für Kleinstunternehmen wird es ein kostenfreies Beratungsangebot bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit geben. Drittens. Die bewährten Marktüberwachungsbehörden der Länder sorgen dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird das zwischen den Marktüberwachungsbehörden und der Europäischen Kommission koordinieren, und die Bundesnetzagentur wird die zentrale Verbindungsstelle zum Unionsnetzwerk für Produktkonformität sein. Damit ist eine effektive Kooperation auch auf der europäischen Ebene gewährleistet. Und viertens – auch das ist wichtig –: Wir schaffen die Voraussetzungen für eine gute und wirksame Rechtsdurchsetzung. Wenn nämlich bestimmte Produkte und Dienstleistungen den Anforderungen zur Barrierefreiheit nicht entsprechen, können Verbraucher/-innen beantragen, dass Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Und wird dies von der zuständigen Behörde abgelehnt, steht der Rechtsweg offen. Verbraucher/-innen können sich auch durch einen Verband vertreten lassen – entweder direkt durch die Prozessvertretung oder über eine Prozessstandschaft oder auch über ein eigenes Verbandsklagerecht für Verbände. ({2}) Weiterhin wird die Schlichtungsstelle zum Bundesgleichstellungsgesetz unterstützen, wenn Verfahren auch anders geschlichtet werden können. Alle diese Wege unterstützen Menschen mit Behinderungen bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Sie werden dabei nicht alleingelassen. Gerade die Coronapandemie hat gezeigt, wie wichtig die digitale Kommunikation ist. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird dafür sorgen, dass alle Verbraucher/-innen gleichberechtigt Zugang zu den dafür erforderlichen Produkten und Dienstleistungen haben. Das ist ein großer und ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu vollständiger Barrierefreiheit, die wir ja alle wollen. ({3}) Außerdem wurden im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch weitere Punkte in das Gesetz aufgenommen: Auf Wunsch der Koalitionsfraktionen wird – zeitlich befristet und auch evaluiert – das Statusfeststellungsverfahren für Selbstständige bei der Rentenversicherung entbürokratisiert und vereinfacht. Und pandemiebedingt werden wir auch für das Jahr 2022 einen Entlastungszuschuss zur Stabilisierung der Künstlersozialkasse vorsehen. Damit deckeln wir den Abgabesatz weiterhin bei 4,2 Prozent und entlasten die besonders betroffene Kultur- und Kreativbranche. Künstlerinnen und Künstler stellen wir außerdem beim selbstständigen Nebenverdienst in der Sozialkasse besser und erleichtern es ihnen, gut durch diese schwierige Zeit zu kommen. ({4}) Das sind – in vier Minuten – die wichtigsten Punkte zu einem bedeutenden Gesetz zur Barrierefreiheit sowie einige weitere Punkte, die dazugekommen sind. Es ist ein großes, wichtiges Paket und vor allem ein wichtiger Schritt hin zu mehr Barrierefreiheit. Ich danke Ihnen und bitte Sie um Zustimmung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Uwe Witt für die AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Herr Minister Heil! – Oh, es ist ja schon nach 22 Uhr. Da ist er natürlich nicht mehr da. ({0}) – Das scheint Sie ja richtig anzusprechen, wenn man den Nagel auf den Kopf trifft. ({1}) Wir sind wieder einmal enttäuscht, dass die Bundesregierung die wichtigen Belange von Menschen mit Behinderung als Tarnkappe missbraucht, um artfremde und in keinem Zusammenhang mit dem Gesetzesvorhaben hier stehende Dinge durchzupeitschen – und das Ganze auch noch bei Missachtung der parlamentarischen Abläufe. Noch schlimmer wird der Sachverhalt, wenn die eilig von Ihnen selbst herbeizitierten Sachverständigen in der Anhörung zu diesem Thema sich überwiegend negativ zu Ihrem Pamphlet äußern. Unter vertrauensvoller Zusammenarbeit erwarten die meisten Menschen etwas anderes. Aber was die Menschen in unserem Vaterland erwarten, wissen Sie schon lange nicht mehr, Herr Heil, und Sie von der SPD auch nicht. ({2}) Zum eigentlichen Gesetz. Die Umsetzungen von EU-Richtlinien bringen immer eines mit sich: die Aushebelung der Souveränität der Nationalstaaten. Und so verhält es sich auch hier bei der EU-Richtlinie. Es wurde von praxisfernen EU-Technokraten vorgegeben und von ebenso praxisfernen Bundesbürokraten adaptiert. So erschafft die Bundesregierung hier ein Gesetz, das zwar vielem entspricht, aber wenig Nutzen bringt. ({3}) Nicht nur das! Hier wurde eine explosive Mischung aus Kostensteigerung und Marktregulierung durch den Staat kreiert. Die Bundesregierung rechnet selber mit Mehrkosten für die Wirtschaft in einmaliger Höhe von 210 Millionen Euro sowie einer jährlichen dauerhaften Belastung von 60 Millionen Euro. Die deutsche Wirtschaft, die sich noch immer im tiefen Tal der Folgen Ihrer verkorksten Lockdown-Maßnahmen befindet, wird eine solche Kostenbelastung nicht kompensieren können. Stattdessen wird diese auf die Preise umgelegt. Der einfache Bürger allerdings, der ebenfalls immer noch unter den Folgen Ihres Lockdown-Wahnsinns leidet, wird sich für Preissteigerungen zum jetzigen Zeitpunkt herzlich bedanken. Demnach wird sich diese generelle Barrierefreiheit für alle Produkte in der vorliegenden Form zu einem Konjunkturbremsprogramm entwickeln. ({4}) Glück haben die gut 3 Millionen Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern und einem Umsatz von 2 Millionen Euro; denn die sind von Ihrer Regulierungswut nicht betroffen. Wir Alternativen stehen der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit trotz vieler Kritikpunkte prinzipiell positiv gegenüber. ({5}) Wir haben uns auch daran gewöhnt, dass Sie für behinderte Menschen nur das Nötigste machen oder das, was Sie gerade machen müssen, weil es nicht mehr zu verschieben ist. Stattdessen schieben Sie – an den parlamentarischen Abläufen vorbei – ein völliges anderes Thema hier ein. Plötzlich geht es um Statusfeststellungsverfahren nach SGB IV, um Unterstützung der Künstlersozialkasse etc. ({6}) Das hat nicht nur nichts mit Barrierefreiheit zu tun, es ist auch noch liederlich und mangelhaft gemacht. ({7}) Dies haben auch die Gutachter in der Anhörung am Montag bestätigt. Kurz zum Antrag von Bündnis 90/Grünen: Was man Ihnen zugutehalten muss, ist, dass Sie von einer guten Absicht geleitet sind. Allerdings haben Sie hier ein Vorschriften- und Maßregelungskonvolut vorgelegt, das leider eine Zustimmung zu Ihrem Antrag unmöglich macht. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Teilhabestärkungsgesetz von vor wenigen Wochen haben wir heute ein weiteres großes teilhabepolitisches Vorhaben auf den Weg gebracht, und zwar das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Mit diesem Gesetz wird nicht nur eine EU-Richtlinie umgesetzt, sondern es wird erstmals gelingen, europaweit einheitliche Standards für Barrierefreiheit, gerade im Bereich Produkte und Dienstleistungen, zu schaffen, und zwar in Produkten – die Staatssekretärin hat es uns schon vorgetragen – wie Computer, Internetdienstleistungen, Bankdienstleistungen oder dem Onlinehandel. Ja, es wurde immer vorgetragen: nur für Produkte und Dienstleistungen. ({0}) Aber wenn man sich noch mal die Zeit der Pandemie anschaut: Was war denn hier eigentlich wesentlich? Es war doch gerade die Digitalisierung, die hier einen wesentlichen Schub nach vorne erfahren hat, und gerade sie war wichtig, um viele Auswirkungen der Pandemie abzudämpfen. Deswegen halte ich es für ein wichtiges Signal, dass wir die Vorteile der Digitalisierung mit dem Verbraucherschutz und der Barrierefreiheit nun zusammenführen. Und dies geschieht mit dem heutigen Gesetz, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Besonders hervorheben möchte ich auch, dass gerade bei diesen Produkten und Dienstleistungen auch private Anbieter nun in die Verantwortung genommen werden. Kleinstunternehmer erhalten dazu auch eine entsprechende Unterstützung durch Beratungsangebote der Bundesfachstelle Barrierefreiheit. Das ist wichtig, das ist deswegen wichtig, um einfach mehr Akzeptanz für das Thema Barrierefreiheit zu bekommen. Wir stärken den Verbraucherschutz gerade dadurch, dass Marktüberwachung stattfindet und sie die Überprüfung der Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen vornimmt. Ja, die Marktüberwachung ist Aufgabe der Länder. Die Länder haben hier eine Bringschuld; das wurde in den Debatten auch durchaus kritisch gesehen. Aber ich erwarte von den Ländern, dass sie hier sicherstellen, dass die Aufgaben der Marktüberwachung auch unter Beteiligung von Menschen mit Behinderung und ihren Verbänden wahrgenommen werden, so wie es auch die EU-Richtlinie vorsieht. Hervorheben möchte ich, dass wir im parlamentarischen Verfahren noch einige Verbesserungen vorgenommen haben. Ich weise hier auf das Anhörungsrecht hin, bevor es zu einer Verbandsklage kommen kann. Gerade für die Wirtschaftsakteure halte ich das für ein wichtiges Instrument, um im Vorfeld vielleicht einfach Streitigkeiten oder auch Unstimmigkeiten ausräumen zu können. Ein weiterer Punkt ist, dass es gerade bei den Barrierefreiheitsanforderungen an Dienstleistungen eben keine Ermessensregelungen für das Einschreiten der Marktüberwachungsbehörde gibt, sondern diese eine verpflichtende Regelung werden. Ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz nachhaltig einen weiteren Schub im Rahmen der digitalen Kommunikation bewirken wird. Und: Wir müssen dieses Gesetz auch zum Anlass nehmen, dass in den Köpfen Barrierefreiheit anders gedacht wird, die Barrierefreiheit in den Köpfen auch ankommt. ({2}) Deswegen wird es wichtig sein, dass im Bereich Ausbildung und Weiterbildung, gerade in Fachberufen, die diese Produkte und Dienstleistungen erstellen, die Sensibilität und die Lehrinhalte für Barrierefreiheit entsprechend angepasst werden. Ich komme zurück zum Anfang meiner Rede, als ich von der Digitalisierung gesprochen habe, gerade auch in den Bildungsbereichen. Hier möchte ich die Bildungseinrichtungen, unter anderem der Berufsbildungswerke, ansprechen. Ich denke, dass wir auch hier einen Digitalisierungsschub in Form eines Digitalisierungspakts für berufliche Ausbildung brauchen, um entsprechend weitere Kompetenzen aufbauen zu können. Lassen Sie mich zum Schluss noch einige Gesetzesänderungen ansprechen, die ins Verfahren hineingekommen sind: Das Statusfeststellungsverfahren ist angesprochen worden. Hier wird es zu einer Entbürokratisierung kommen, indem es künftig die Möglichkeit zu Prognoseentscheidungen vor Aufnahme einer Tätigkeit und zur Gruppenfeststellung von vergleichbaren Verträgen geben wird. Insbesondere wird es auch die Möglichkeit einer mündlichen Anhörung hierzu geben. Bisher wurde dies alles nur in schriftlicher Form geregelt. Von daher gibt es jetzt hier die Möglichkeit, mehr Verständnis für die jeweiligen Seiten zu bekommen. Letzter Satz. Gerade im Bereich der Künstlersozialabgaben werden wir pandemiebedingt noch Unterstützungen in Form einer Zuzahlung vornehmen, auch in Form einer Erhöhung der Verdienstgrenzen für die Künstler. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Jens Beeck das Wort. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst mal mein außerordentlicher Respekt an Sie, Frau Parlamentarische Staatssekretärin Griese, an den Kollegen Oellers und an die Kollegin Glöckner, die ich gleich noch mit einschließe, dass Sie sich hier so ins Zeug werfen, um dieses Gesetz auch noch zu verteidigen. ({0}) Die Wahrheit ist – das weiß im Grunde mittlerweile jeder –: Im gesamten Bereich der Sozialpolitik haben Sie fertig. Sie brauchen auch keine Opposition mehr, um das zu zeigen. ({1}) In diesem Verfahren ist das nicht mal mehr auf Inhalte zu kaprizieren, sondern das machen Sie schon im parlamentarischen Verfahren deutlich: Der Entwurf des Gesetzes für Barrierefreiheit bei Produkten und Dienstleistungen – eines der zentralen Dinge, die in Europa im Bereich der Teilhabepolitik wenigstens mal entschieden worden sind – kommt hier im Deutschen Bundestag zur Umsetzung an: erste Lesung – ganz ohne Debatte. Dann wollen Sie keine öffentliche Anhörung. Nachdem wir in der Opposition darauf bestanden haben, dass es die gibt, verkürzen Sie sie. Und direkt danach kommen Sie mit Ihrem Omnibus und packen noch Fragen zu den existenziellen Sorgen von Menschen im Bereich der Statusfeststellung rein und regeln auch gleich noch mit, dass Fußballer, die minderjährig sind, am späten Abend noch tätig werden dürfen. Mit so einem Verfahren zeigen Sie, wie Sie diese Dinge eigentlich gewichten. Wenn wir das im Ausschuss ansprechen, kommt die Kollegin Tack und sagt, es sei für sie ganz normal, aus diesem Gesetz einen Omnibus zu machen. Ich sage Ihnen: Die Verbände, die Menschen, die davon betroffen sind, dass sie von Barrierefreiheit gerne Gebrauch machen würden, hätten es für völlig normal gehalten, wenn Sie Omnibusse auf der Straße barrierefrei gemacht hätten und nicht Gesetze zu Omnibussen. ({2}) Das haben Sie wieder nicht geschafft, sondern Sie klatschen noch irgendwas anderes mit rein, so die Fragen der Statusfeststellung, bei denen es darum geht, dass Menschen in ihrer Existenz wirklich betroffen sind, weil sie durch die Rentenversicherung Bund plötzlich zu Scheinselbstständigen gemacht werden. ({3}) 33 Verbände haben wahrscheinlich auch Sie, Herr Kollege Weiß, heute angeschrieben, um Ihnen zu sagen, wie unmöglich sie dieses Verfahren und wie unmöglich sie diese Inhalte finden. ({4}) Und Sie wollen mich deswegen beschimpfen? Sie leisten doch den Offenbarungseid hier und nicht wir. ({5}) Das Gleiche gilt übrigens für die Frage, warum Sie sich jetzt der minderjährigen Fußballer annehmen. Sie regeln damit übrigens wieder nur, dass diese Regelung im Jugendarbeitsschutzgesetz nur im zum Teil hochbezahlten Sport gilt. Nach wie vor darf niemand, der in Deutschland Musical, Tanz, Orchester oder ähnliche Dinge lernt, abends um 20 Uhr noch auf der Bühne sein, um seinen Lebensweg bei diesen Ausbildungen zu gehen. Das regeln Sie nicht, und das geht eben in Deutschland nach wie vor nicht. Kurzum, was machen Sie insgesamt bei der Barrierefreiheit? Frau Glöckner wird gleich sagen: Wir machen die Umsetzung ein Jahr früher, als wir gemusst hätten. – Ja, machen Sie. Aber dieses eine Jahr nehmen Sie zum Anlass, um im Jahr 2021 zu regeln, dass Bankautomaten im Jahr 2040 endlich barrierefrei sein müssen. Aber Sie regeln in dem Zusammenhang nicht mal mit, dass der dann barrierefreie Bankautomat im Jahr 2040 wenigstens nicht hinter Stufen oder anderen Barrieren steht, wodurch man ihn gar nicht erreichen kann. Das ist völlig unzureichend. Deswegen ist es vielleicht gut, dass wir in dieser Wahlperiode nicht mehr ganz so oft über Teilhabepolitik reden. Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sören Pellmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich an das anschließen, was Kollege Beeck gesagt hat, insbesondere was das Verfahren zur Entstehung des heutigen Paketes betrifft. Es gab eben keine erste Lesung hier im Plenum, das ist ohne Debatte mit durchgewunken worden, die Anhörung wirklich nur auf Druck der Opposition im Ausschuss durchgeführt worden. Und was dem Fass den Boden ausschlägt, war, dass uns am Dienstag ein 25‑seitiges Papier erreicht, in das sonstige Dinge mit reingepackt werden, die mit Barrierefreiheit nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. ({0}) Das vorgelegte Gesetz, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, fühlt sich eher an wie ein Schweizer Käse: Es hat viele Löcher. Insbesondere hat es viele Schlupflöcher, um Barrierefreiheit nicht umsetzen zu müssen. Am 5. Mai – das ist noch gar nicht so lange her – waren zumindest drei von den hier Anwesenden am Brandenburger Tor und haben sich genau angehört, was die Betroffenen denn von diesem Gesetz halten. Vertreter der Großen Koalition haben wir zumindest nicht gesehen, und auch die Betroffenen berichteten, dass sie gar nicht vor Ort waren. Das ist eher Feigheit. ({1}) Hätten Sie lieber auf die Kritik gehört! Der Titel des Gesetzes – Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – weckt eben genau Hoffnungen, die mit diesem Gesetz nicht erfüllt werden. Betroffene wollen einen wirklichen Abbau von Barrieren. ({2}) Eine Frage, die uns verschiedene Betroffene gestellt haben, lautet: Was ändert sich denn jetzt konkret, wenn das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft tritt? Die Barrierefreiheit am Bankautomaten, die Erreichbarkeit? Die Antwort ist: Nichts! Im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen geht es nur um „bitte, bitte“, aber nicht um wirkliche Fortschritte. In der Anhörung am Montag schilderte Frau Dr. Bernot vom Institut für Menschenrechte das Problem sehr bildhaft: Der Geldautomat wird irgendwann barrierefrei, die drei Treppen zum Automaten jedoch nicht. – Wer soll ihn bedienen, und wie soll er bedient werden? Die Linke fordert daher erneut: Privatwirtschaft muss zwingend und vollumfänglich zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. ({3}) Ich möchte den Kollegen Auernhammer zitieren; er sagte in diesem Zusammenhang – es ist schon ein paar Jahre her –: Zwangsverpflichtung ist eben nicht der richtige Weg. Aber wer bitte schön regelt es denn, wenn der Markt es nicht macht? Wir haben 2010 dazu zehn umfangreiche Anträge vorgelegt und hier im Plenum besprochen. Sie sind alle von Ihnen abgelehnt worden. Manche Regelungen im heute zur Abstimmung stehenden Gesetz sollen erst 2025 in Kraft treten. Das Gesetz enthält zum Teil noch einen Bestandsschutz bis zum Jahr 2040; damit bleiben insbesondere bauliche Barrieren im Alltag bestehen und verhindern Inklusion und wirkliche Teilhabe. Auch ein Flickenteppich an Marktüberwachungsbehörden wird weiter entstehen. Besser wäre es nach Auffassung der Linken, dies auf Bundesebene zentral zu regeln. ({4}) Wichtig für Die Linke dabei ist, dass verpflichtend Menschen mit Behinderung und ihre Organisationen und Verbände beteiligt werden. Frau Präsidentin, Schlusssatz: Dieses Gesetz ist ein ziemlich schwaches Gesetz. Ich freue mich bereits auf die Beratungen im Herbst: In einer neuen Wahlperiode und mit anderen Mehrheiten ist dann wirkliche Barrierefreiheit möglich. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Corinna Rüffer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Ich habe das Gefühl, liebe Große Koalition, dass Ihr Gesetz nicht so gut ankommt, wenn ich die Debatte hier richtig verfolgt habe. ({0}) Gleich, nachdem wir abgestimmt haben, ist es amtlich: Barrierefreiheit können wir für diese Legislaturperiode – wir können ja mittlerweile Bilanz ziehen – vergessen; es ist einfach für die Füße! Da hat sich nichts nach vorne entwickelt. Das ist richtig schlecht für dieses Land; das muss man sagen. ({1}) Und seien Sie sich gewiss: Ganz viele Augen und vor allen Dingen auch große Hoffnungen waren auf dieses Gesetz gerichtet mit diesem vielversprechenden Titel: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Da erwartet man ja richtig was. Was dann am Ende rauskommt, ist Resignation und richtiger Ärger bei den Menschen. Ich finde, die Menschen sind zu Recht richtig wütend. ({2}) Frau Glöckner, Sie sind ja gleich dran und können darauf reagieren. Ich glaube, es war vorletzte Sitzungswoche: Da haben Sie uns wissen lassen, man könne Barrierefreiheit nicht in einer Hauruckaktion durchsetzen und man müsse die Menschen mitnehmen. Ich sage Ihnen: Ich bin auch der Meinung, dass man Menschen mitnehmen muss; da bin ich auch voll dabei. Aber ich bin vor allen Dingen voll dabei, dass man die Menschen mitnehmen muss, die keine Zeit haben, jahrelang, jahrzehntelang darauf zu warten, dass Barrierefreiheit umgesetzt wird. Sie brauchen heute Teilhabe und nicht morgen oder übermorgen. ({3}) Überhaupt verstehe ich das Argument nicht – ich habe viel darüber nachgedacht –; denn ich glaube nicht, dass die Menschen in diesem Land so unsolidarisch sind, dass sie irgendjemandem nicht gönnen, mitmachen zu können. Wo ist eigentlich der Punkt? Wer hat denn was gegen Barrierefreiheit? Ich bin es wirklich leid, dass die Dimension dieses Themas nicht erkannt wird. Wir leben in einer alternden Gesellschaft, die der Demografie unterliegt. Das bedeutet: Je länger wir damit warten, Barrierefreiheit umzusetzen, desto mehr Menschen schließen wir Tag für Tag von gesellschaftlicher Teilhabe aus. Das kann doch nicht der Plan sein! ({4}) Ganz pragmatisch: Wer von uns – sicherlich fast keiner hier im Raum – stört sich denn daran, Apples Siri zu benutzen? Das ist ein Barrierefreiheitstool; das ist als solches entwickelt worden. Natürlich hilft es insbesondere blinden und sehbehinderten Menschen, aber auch allen anderen Nutzerinnen und Nutzern Tag für Tag; das bringt richtig Gewinn. Und das, was wir hier tun, ist innovationsfeindlich im schlimmsten Sinne. Das verletzt die Menschenrechte ganz vieler Menschen. Das ist auch kein Wirtschaftsförderungsprogramm; Sie verstehen das Potenzial der Barrierefreiheit einfach nicht. Ich begreife das nicht! Ich muss nicht wiederholen, dass dieses Gesetz wirklich nur das Nötigste dessen umsetzt, was diese EU-Richtlinie fordert. Ich verstehe mittlerweile auch, warum wir um diese Uhrzeit hier darüber debattieren, warum das Verfahren so unterirdisch gelaufen ist: Es ist Ihnen doch, ehrlich gesagt, selbst peinlich. Wir machen Ihnen jetzt noch mal ein Angebot mit unserem Antrag.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Rüffer.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir versuchen, Ihnen zu erklären, welchen Pfad wir beschreiten müssen. Frau Glöckner, ich sage nur: Hau ruck! Ran! Setzen wir die Barrierefreiheit jetzt endlich um! Wir haben keine Zeit mehr und die Menschen noch viel weniger! Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Angelika Glöckner für die SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ja sehr schön, Frau Rüffer, dass Sie mich persönlich ansprechen. Ich glaube, das ist in der Tat ein sehr wichtiges Thema, das uns alle auch emotional sehr berührt. Wir wollen viel für Barrierefreiheit tun. Ich will für die Koalition noch mal betonen: Ich bin der Auffassung, wir tun etwas dafür. Es ist naturgemäß so, dass das der Opposition vielleicht nicht weit genug geht. Aber man muss doch einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass wir – das wurde heute mehrfach vorgetragen – in naher Zukunft etwas dafür tun, dass Dienstleistungen und Produkte barrierefrei werden. Frau Rüffer, Sie haben eben angesprochen, dass ich gesagt habe, man müsse die Menschen mitnehmen. Was ist der Grund, warum ich das in der letzten Debatte gesagt habe? Wir machen ja als Abgeordnete in unseren Wahlkreisen gewisse Erfahrungen. Wir kämpfen dafür, dass Bankfilialen vor Ort, in der Fläche erhalten bleiben. Ich habe die Erfahrung gemacht: Es schließen immer mehr Bankfilialen im ländlichen Raum. Wenn ich einer Bank sage: „Du musst einen Bankautomaten für 30 000 Euro kaufen“: Wissen Sie, was die einzige Bank, die in dem Ort, von dem ich gerade spreche, noch verblieben ist, macht? Sie schließt. Dann muss man sich doch mal überlegen: Was nutzt es den Menschen mit Behinderungen, wenn sie viel weitere Wege zurücklegen müssen? Diesen Punkt muss man doch auch mal mit in Erwägung ziehen. Diese Betrachtungen muss man sorgfältig gegeneinander abwägen. Diese Realitäten kann man nun nicht einfach ausblenden. ({0}) Herr Pellmann, Sie haben eben gesagt, das Ergebnis sei null. – Ich will noch einmal betonen: Wir schaffen Marktaufsichtsbehörden. Wir schaffen ein geordnetes Verfahren, bei dem entweder stichprobenweise Barrierefreiheit überprüft wird oder auf Antrag, wenn Verbraucher/‑innen meinen, ein Produkt sei nicht barrierefrei. Wer damit nicht einverstanden ist, der hat die Chance, dagegen Rechtsmittel einzulegen. Man kann sogar Verbandsklagerecht geltend machen. ({1}) Wir schaffen eine Schlichtungsstelle. ({2}) Das ist doch mehr als null. Das kann man doch nicht verschweigen. ({3}) Diesem Gesetzentwurf werden wir eine Entschließung beilegen. Das ist wichtig, zu betonen. ({4}) Wir wollen der Bundesregierung mit auf den Weg geben, dass sie in wichtigen Punkten in Kürze handeln muss, um das Beratungsangebot der Bundesfachstelle Barrierefreiheit in die Fläche zu tragen, um bauliche Barrieren bei Gebäuden durch zügige Umsetzung des Programms Barrierefreiheit der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ schnell abzubauen. Und wir wollen – das hat Herr Oellers auch schon gesagt –, dass Barrierefreiheit frühzeitig in den Köpfen implementiert wird: in der Ausbildung, in der Weiterbildung; das sind alles wichtige Punkte. Wir wollen die Menschen mit Beeinträchtigungen früh in das Verfahren der Marktüberwachung einbinden, weil sie die Expertinnen und Experten sind. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben als Koalition – das will ich auch noch mal sagen – auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners ein Ergebnis zustande gebracht. Wir sind damit zufrieden. Aber für uns als SPD-Fraktion – das will ich noch mal ganz klar betonen – sind die Punkte in dieser Entschließung, die ich eben genannt habe, ein Signal dafür, dass wir Tempo machen wollen bei der Herstellung von mehr Barrierefreiheit. ({5}) Die weiteren Änderungen im Gesetz – diese wurden bereits genannt – halte ich für wichtig. Ich bitte Sie unter diesen Vorzeichen, unserem Gesetzentwurf, unserer Entschließung und den dazugehörenden Änderungsanträgen zuzustimmen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Beitrag des Kollegen Peter Aumer nehmen wir zu Protokoll. ({0}) Ich schließe die Aussprache.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! „Qualität ist kein Zufall, sie ist immer das Ergebnis angestrengten Denkens“, bemerkte der englische Sozialökonom John Ruskin. Ein Qualitätsprodukt ist diese Neufassung des Produktsicherheitsgesetzes nicht. ({0}) Aber was will man auch von einer Regierung Merkel erwarten, die sich freiwillig selbst dezimiert, weil manches Mitglied lieber dem dreisten Abschreiben als dem angestrengten Denken frönt. ({1}) Dieser Entwurf der Bundesregierung war so fehlerträchtig, dass sich Verbände und der Bundesrat gezwungen sahen, mit mehrseitigen Fehlerkorrekturen und Änderungsanträgen zu antworten, und vielleicht hat auch deswegen der Kollege vor mir nicht gesprochen. An 21 Stellen ließ sich die Koalition von der Länderkammer korrigieren, sechs redaktionelle Änderungen gab es, und die Begründungen spotten jeder Beschreibung. Im Korrekturantrag standen dann Sätze wie: Die Weglassung dieses Satzes beruhte auf einem Redaktionsversehen. Oder: Es erfolgt die Korrektur eines offensichtlichen Schreibfehlers („Anordnungen“ statt „Anforderungen“) zur Erreichung des Gewollten. Meine Damen und Herren in der Bundesregierung, wir schreiben hier keinen Probeaufsatz in der Schule, sondern es geht um Gesetzentwürfe, die die Rechtslage in unserem Land ändern können. Ich erwarte hier mehr Sorgfalt, vor allem, wenn Sie zwei Jahre Zeit haben. Und Sie hatten zwei Jahre Zeit; denn schon im Juni 2019 hat die EU die Verordnung (EU) 2019/1020 veröffentlicht. An diese neuen EU-Vorschriften zur Produktsicherheit soll das deutsche Recht ja nun angepasst werden. Ich muss Sie in der Bundesregierung da aber schon fragen – ich glaube, jetzt ist niemand mehr vom Ministerium für Arbeit und Soziales da –: ({2}) Wie entschuldigen Sie eigentlich die zahlreich enthaltenen Fehler? Ist das Ministerium mit der Arbeit und mit der Anwesenheit im Plenum schlichtweg überfordert? Warum haben Sie sich mit den Ländern offenbar so schlecht abgestimmt, dass diese umfangreich über den Bundesrat intervenieren mussten? Warum wird dieser Gesetzentwurf gerade jetzt eingebracht, wo die EU diese Verordnung schon wieder überarbeitet? Sind denn diese neuen Anpassungen im Gesetzentwurf überhaupt berücksichtigt, oder wollen Sie uns bald mit einer abermaligen Änderung des deutschen Rechts beglücken? Kontinuität und Verlässlichkeit sehen anders aus. ({3}) Das größte Problem des Gesetzentwurfs ist aber die in Artikel 1 § 8 Absatz 2 vorgesehene Verordnungsermächtigung. Wortlaut: Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Beschränkung sowie das Verbot der Bereitstellung von Produkten zu regeln, die ein hohes Risiko für die Sicherheit oder Gesundheit von Personen, für Tiere, für Pflanzen, für den Boden, für das Wasser, für die Atmosphäre oder für bedeutende Sachwerte darstellen. Was ist ein „hohes Risiko“? In Artikel 1 § 2 Nummer 10 ist nur ein „ernstes“ Risiko definiert – und auch dieses völlig unscharf, weil es auf die Notwendigkeit des Eingreifens der Marktüberwachungsbehörden und nicht auf objektive Merkmale abstellt. Die Behörden können demnach auch selbst dann eingreifen, wenn – Zitat – „das Risiko keine unmittelbare Auswirkung hat“. Mal ganz ehrlich: Mit dieser Verordnungsermächtigung kann eine Bundesregierung nach Gutdünken Produkte verbieten, die ihr ideologisch nicht passen. Wer definiert denn letztendlich die Gefährlichkeit, die behördliches Handeln notwendig macht? Wer, wie manche politischen Kräfte, CO2 faktenfremd als erhebliches Risiko für die Atmosphäre erachtet, könnte mit einem Federstrich alle Autos, Verbrennungsheizungen oder gewisse Produktionsanlagen verbieten, und zwar ohne Einvernehmen mit diesem Parlament. Leider ist dieses Risiko nicht allzu weit hergeholt; denn im European Green Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist ja genau das vorgesehen. Und glauben Sie mir: Das hätte unmittelbare Auswirkungen. Festzuhalten ist: Die hier enthaltene Verordnungsermächtigung erfüllt in keiner Weise das grundgesetzlich vorgegebene Bestimmtheitsgebot, das heißt, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz genau bestimmt werden. Aus der Ermächtigung ist weder erkennbar noch vorhersehbar, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll. Damit ist sie nicht nur gefährlich, sondern schlichtweg verfassungswidrig. Das hat Ihnen auch der Handelsverband Deutschland ins Stammbuch geschrieben. ({4}) Ich appelliere an Sie zuletzt, sich endlich angestrengten Denkens zu befleißigen, um die Qualität von Gesetzestexten zu erreichen, die unser Deutschland verdient hat. Wir müssen nämlich die Bürger nicht nur vor gefährlichen Produkten schützen, sondern auch vor den gefährlichen Fehltritten dieser Bundesregierung. Haben Sie herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede des Kollegen Uwe Schummer, CDU/CSU, nehmen wir zu Protokoll. ({0}) Das Wort hat der Kollege Carl-Julius Cronenberg für die FDP-Fraktion. ({1})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kleinwächter, am 16. Juli 2021 tritt die Marktüberwachungsverordnung der EU in Kraft. Deshalb müssen einige Änderungen und Anpassungen im Produktsicherheitsgesetz vorgenommen werden. Die müssen Ihnen ja nicht gefallen. Das ist das Schöne an der parlamentarischen Demokratie: Sie können ja ablehnen. ({0}) Es hat mich trotzdem schon verwundert, dass der Gesetzentwurf zunächst eine Benachteiligung des stationären Einzelhandels gegenüber Plattformmarktplätzen vorsah. Das konnte zwischenzeitlich mit dem Änderungsantrag zwar geheilt werden, aber sie sollte in dieser Debatte dennoch nicht ganz unerwähnt bleiben. Der stationäre Einzelhandel bedeutet Lebensqualität und ist das Salz in der Suppe in unseren Innenstädten. Gerade in Coronazeiten ist der Einzelhandel besonders gebeutelt. Eine zusätzliche Bürokratiebelastung durch das Produktsicherheitsgesetz wäre nicht akzeptabel gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das Gegenteil ist dringend erforderlich: eine Entlastungsoffensive für den Einzelhandel. ({1}) Wir Freie Demokraten bedauern ebenfalls, dass der Gesetzentwurf in erster Lesung noch mit einem ebenso schädlichen wie überflüssigen Gold-Plating eingebracht wurde. Gold-Plating schafft Bürokratie und fragmentiert den Binnenmarkt. Es reicht eben nicht, sich in Sonntagsreden zum Binnenmarkt zu bekennen und ihn dann im Klein-Klein der konkreten Regierungsarbeit zu schwächen. ({2}) Warum müssen Sie eigentlich immer wieder draufsatteln? Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, einzelnen Unternehmen oder Branchen Steine in den Weg zu legen. ({3}) Es ist Ihre Aufgabe, sie zu fördern oder am besten in Ruhe zu lassen und gleichen Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt Sorge zu tragen. Nun haben Sie ja Gott sei Dank noch rechtzeitig die Kurve gekriegt und den Mangel geheilt. Wenden wir uns deshalb noch einmal dem ursprünglichen Ziel der Verordnung zu. Das Produktsicherheitsrecht sorgt dafür, dass am Markt nur sichere Produkte angeboten werden. Das Produkthaftungsrecht klärt, wer haftet, wenn ein Produkt doch Schaden verursacht. Beides zusammen gewährleistet wirksamen Verbraucherschutz. Mit zunehmenden Direktimporten gerät dieser zunächst klug angelegte Verbraucherschutz jedoch in Gefahr. Anbieter, die aus Drittstaaten über Plattformen direkt an Endverbraucher verkaufen, haben es leicht – um nicht zu sagen: zu leicht –, geltendes Produktsicherheitsrecht zu unterwandern. Zwar hat das Zollamt Hamburg kürzlich die Einfuhr von Raumluftreinigern mangels CE-Kennzeichnung gestoppt, aber das bleibt ein Zufallserfolg. Die Dunkelziffer unsicherer Produkte dürfte immens sein. Entsteht Schaden im Zusammenhang mit Direktimporten, ist es Endverbrauchern praktisch unmöglich, einen Haftungsanspruch gegenüber dem Verkäufer durchzusetzen. Produktsicherheitsrecht und Produkthaftungsrecht stoßen zunehmend ins Leere. Das ist ein eklatanter Wettbewerbsnachteil für europäische Anbieter, und der muss dringend behoben werden. ({4}) Dem vorliegenden Gesetzentwurf stimmen wir zu. Wer jedoch einen starken Einzelhandel in lebendigen Innenstädten und einen starken Verbraucherschutz auch für Onlinekunden will, der muss mehr anbieten als Gesetzestechnik. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Reden der Kollegin Jutta Krellmann für Die Linke und der Kollegin Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir zu Protokoll. ({0}) Ich schließe die Aussprache.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um die Verabschiedung des Gesetzes zur Veränderung, also zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungs-Quote, um sehr umfangreiche Änderungsanträge, die wir im parlamentarischen Verfahren noch entwickelt haben, und um einen wiederum sehr umfangreichen Entschließungsantrag. Ich möchte ganz zu Anfang meinem Kollegen Herrn Oliver Grundmann von der CDU/CSU-Fraktion für die sehr konstruktive Zusammenarbeit danken. Das ist ein sehr komplexes Gesetzeswerk. Wir haben sehr viele Stunden um eine Handhabung der unterschiedlichen Faktoren gerungen, die hier unter einen Hut zu bringen sind. Ich denke, wir haben auf Grundlage des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs auch noch einige Veränderungen, Verbesserungen erreichen können. ({0}) Mitten in den Beratungen ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil ergangen, womit klar war, dass jeder Sektor – und damit auch der Verkehrssektor, um den sich dieses THG-Gesetz, abgekürzt gesprochen, dreht – seinen Anteil bringen muss. Insofern haben wir uns auch darauf verständigt: Je mehr Anreize wir mit dem Minderungsgesetz schaffen können, desto mehr wird auch erreicht werden müssen. Ich stelle das insofern voran, weil ich weiß, dass auch vielfach Kritik in Richtung einer Erhöhung der Anreize gekommen ist bzw. jetzt kommt, die da lautet: Wenn man die Anreize zu hoch setzt, dann könnte das vielleicht bedeuten, dass das überhaupt nicht erfüllbar ist und einfach nur teuer wird. – Dem möchte ich gleich vorangestellt – nach dem Motto „Den Stier bei den Hörnern packen“ – auch noch mal entgegenhalten: Wenn man die Anreize erst gar nicht hoch genug setzt, dann muss man sich nicht wundern, wenn man die Klimaschutzziele nicht erreichen kann. ({1}) In diesem Sinne stehen wir als SPD-Fraktion gemeinsam in der Koalition dazu, dass wir die bis 2030 zu erreichende Minderungsquote von 22 Prozent, die im Regierungsentwurf enthalten war, nun auf 25 Prozent hochsetzen, was einem Anteil erneuerbarer Energien im Verkehrssektor von 32 Prozent entspricht, den wir bis 2030 erreichen wollen. ({2}) Es wären sehr viele Details zu thematisieren. Ich kann hier jetzt nur einige herausgreifen: Es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, zu betonen, dass wir es geschafft haben, die Ausphasung von Palmölprodukten zu verfrühen. Es war vorgesehen, das bis 2026 herauszuboxen, wir schaffen es jetzt schon bis Ende 2022. Das ist mit Blick auf die Lieferketten das Frühestmögliche, was abbildbar war, und das haben wir geschafft. Es stand in Rede, ob man das überhaupt im Gesetz regeln kann oder ob man das wegen der EU-rechtlichen Verknüpfung nur auf europäischer Ebene erreichen kann. Wir haben beides gemacht: Wir haben das im Gesetz verankert und mit dem Entschließungsantrag die Bundesregierung beauftragt, dass dies auch auf europäischer Ebene erreicht wird. Ich denke, das lässt sich wirklich sehen; das ist ein toller Erfolg. ({3}) Als Zweites haben wir zum Beispiel auch die Möglichkeit geschaffen – ich weiß, dass das auch in der Kritik steht; aber es ist etwas, was ich verteidigen möchte und was ich auch begründen möchte –, dass bei der Gewinnung von Wasserstoff solche Dinge wie Klärschlamm in kommunalen Einrichtungen, die Verwertung biogener Reststoffe einbezogen werden. Dadurch wird tatsächlich auch Wasserstoffgewinnung für den Straßenverkehr möglich; es gibt ja auch kommunale Fahrzeuge, die dann unmittelbar damit betankt werden können. Das ist auch etwas, wo man fragen kann: „Ist das überhaupt zeitgemäß? Es sind auch viele batteriebetriebene Fahrzeuge unterwegs. Passt das überhaupt in die Landschaft?“ – Ja, es passt, weil wir technologieoffen darangehen wollen. Wenn es diese Möglichkeiten gibt, werden Anreize vor Ort geschaffen, sich daran zu beteiligen. Deswegen ist es eine gute Sache, das mit aufzunehmen. ({4}) Zudem ist es uns gelungen, ein umfassendes Monitoring im Gesetz zu verankern. Falls sich herausstellt – möglicherweise konnte man das nicht voraussehen –, dass ein paar Weichenstellungen in die ein oder andere Richtung nicht optimal waren, dann kann man das in den nachfolgenden Jahren entsprechend begleiten und korrigieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Scheer, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der letzte Satz. – Ich konnte auf vieles leider nicht eingehen. Ich denke, es ist ein rundes, gutes Gesetz, und wir haben im parlamentarischen Verfahren viel erreicht. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Marc Bernhard für die AfD-Fraktion. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung behauptet, dass es für den von ihr beschrittenen Weg, der zur Rettung der Welt angeblich erforderlich ist, keine Alternativen gibt. Diese Aussage ist schlichtweg falsch. ({0}) Denn ganz bewusst verschweigen und boykottieren Sie die fortschrittlicheren, effizienteren und effektiveren Alternativen. Ihre gesamte Klimapolitik führt technologisch und gesellschaftlich in eine Sackgasse, egal ob Batterieautos, CO2-Steuer oder Ihre völlig vermurkste Energiewende. Selbst der Bundesrechnungshof hat klar und deutlich festgestellt: Ihre Batterieautopolitik funktioniert nicht, weil dafür gar nicht genügend Strom vorhanden ist. ({1}) Zudem ist die Umweltbilanz eine Katastrophe, und sie zerstört Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland. Auch Professor Dr. Weimann von der Otto-von-Guericke-Universität stellt fest, dass die Förderung von Elektroautos die – ich zitiere – „vermutlich ineffizienteste Form von Klimapolitik ist“. Denn wenn ein Batterieauto vom Band rollt und noch keinen einzigen Kilometer gefahren ist, wurde bereits so viel CO2 ausgestoßen wie bei einem Diesel nach sechs Jahren Fahrleistung. Trotzdem blockieren Sie die Technologieoffenheit und halten Sie an der systematischen Benachteiligung alternativer Lösungen fest. Dabei könnte der CO2-Ausstoß durch die Einführung synthetischer Kraftstoffe sofort um 65 Prozent reduziert werden. Die Bürger könnten ihre Autos ohne einen Umbau, ohne zusätzliche Kosten, völlig unverändert, über das bestehende Tankstellennetz weiter nutzen. Daran sieht man, dass es Ihnen eben nicht um die Reduzierung des CO2-Ausstoßes geht, sondern um das ideologische Durchdrücken der schmutzigsten Antriebsart überhaupt, nämlich der Elektromobilität. ({2}) Sogar Tesla-Chef Elon Musk prophezeit, dass sich der Stromverbrauch durch Batterieautos verdoppeln wird. Sie sollten den Menschen also lieber mal erklären, wie Sie angesichts Ihres Ausstiegs aus der Kohle und der Kernenergie die Stromversorgung in Deutschland überhaupt noch sicherstellen wollen. ({3}) Jetzt werden Sie auch noch die gerade erst eingeführte CO2-Steuer von 25 Euro pro Tonne auf satte 60 Euro pro Tonne erhöhen. ({4}) Seit Anfang des Jahres ist der Benzinpreis um 30 Cent pro Liter gestiegen. Mit dieser geplanten Erhöhung auf 60 Euro pro Tonne treiben Sie die Abzocke der Bürger dann endgültig auf die Spitze. Aber Ihnen können die Kosten ja gar nicht hoch genug sein. Deshalb verdoppeln Sie auch die Vorgaben der EU-Richtlinie für sogenannte instabile Energien für Deutschland völlig willkürlich. Ursprünglich waren 28 Prozent vorgesehen, jetzt wollen Sie sogar 32 Prozent. Dabei ist es Ihnen ganz offensichtlich völlig egal, ob das technisch machbar oder bezahlbar ist und welche Auswirkungen das auf die Menschen und ihre Arbeitsplätze hat. Selbst die eigenen Experten sagen der Bundesregierung, dass durch Batterieautos jeder zweite Arbeitsplatz in der Automobilindustrie vernichtet wird. ({5}) Spätestens jetzt muss jedem Bürger klar sein: Mit Ihrer Klimapolitik werden Sie über kurz oder lang ein CO2-Kontingent einführen, mit dem Sie den Bürgern vorschreiben werden, ob, wann und wie lange sie ihre Autos in Zukunft nutzen dürfen. Sie werden die Bewegungsfreiheit eines jeden Bürgers rationieren. Setzen Sie endlich die vorhandenen Alternativen um, und garantieren Sie die Freiheit und die Arbeitsplätze der Menschen in unserem Land! ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist relativ klar, dass es ein einheitliches System zum Klimaschutz gibt, das garantiert, dass wir Klimaschutz sinnvoll, effektiv und bestmöglich, vor allen Dingen aber sicher umsetzen können, und das ist der europäische Emissionshandel. ({0}) Wenn wir auf der grünen Wiese wären, wenn wir auf einem Whiteboard schreiben könnten, würde das auch reichen, bräuchte man keine anderen Maßnahmen, um Klimaschutz zu machen. Man müsste über soziale Fragen, über Carbon-Leakage-Schutz, über Industriepolitik nicht nachdenken. Aber es gibt keine grüne Wiese. Deswegen braucht es neben dem Rückgrat einer klaren, eindeutigen CO2-Bepreisung immer auch noch Dinge, die wir drumherum designen. Eine Treibhausgasminderungsquote wäre ein solcher Ansatz. Man könnte sagen: Ja, wir ersetzen unsere Treibstoffe durch Alternativen. Den Kosten, die im Verkehrsbereich entstehen und die zu hohen Veränderungsdrücken auch und gerade in der Industrie und in der Energieerzeugung führen würden, wenn wir einen einheitlichen CO2-Preis hätten – auch wenn dieser sehr effizient wäre –, könnte man etwas entgegensetzen: Man könnte dafür sorgen, dass nicht nur die deutschen Straßen, sondern auch die Straßen der ganzen Welt schneller CO2-frei werden, wenn wir zum Beispiel über synthetische Kraftstoffe sprechen würden. Aber dieser Gesetzentwurf wird dem nicht richtig gerecht; denn hier tut der Gesetzgeber etwas, was das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich abgelehnt hat und wozu das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich gesagt hat: Nein, es ist nicht die Aufgabe der Politik, vorauszusehen, vorauszusagen – das könne sie gar nicht –, welche Technologie die richtige ist. – Mit der Treibhausgasminderungsquote wird genau das versucht, und das ist der größte Fehler; das ist der Bilanzschwindel, den Sie hier eingeführt haben. Das Problem ist, dass Sie versuchen, über Mehrfachanrechnungen vorauszusagen, welche einzelne Technologie der richtige Weg ist. Ich weiß, nachher kommt das Argument: Die Wirtschaft – in Form eines einzelnen Konzerns – habe sich für die E-Mobilität entschieden. – Na ja, sie entscheidet sich nicht auf der freien Wiese. Es gibt viele Regulierungen, wie die Flottengrenzwerte, die die Unternehmen schon jetzt dazu zwingen, auf bestimmte Technologien zu setzen. Es ist doch Wahnsinn, mit einem solchen Instrument weiterzumachen, das explizit für etwas anderes designt ist, nämlich für den Markthochlauf alternativer Kraftstoffe, synthetischer Kraftstoffe, die wir im Flugverkehr, im Schiffsverkehr, bei den Lkws brauchen. Man kann sie auch bei den Pkws auf der Straße einsetzen, weil wir 1,2 Milliarden Fahrzeuge weltweit CO2-neutral machen müssen. Solange mir aber niemand erklären kann, wie er es schaffen will, den Flottendurchsatz über die nächsten 20 Jahre wirklich CO2-neutral zu machen, sofern wir nicht per Zauberhand in eine All-electric World wechseln können – was nicht gehen wird –, solange mir keiner ein Argument dafür liefern kann, wie das gehen soll, sagen Sie bitte nicht, dass Sie heute irgendwelche Technologieoptionen mit einer Mehrfachanrechnung der E-Mobilität und dem Minimieren von alternativen Kraftstoffen aufbauen wollen. Das ist doch Wahnsinn! Es ist doch Wahnsinn, diesen Weg zu gehen. ({1}) Deswegen, meine Damen und Herren: Folgen Sie dem Antrag der FDP! Wir haben Ihnen gezeigt, wie es gehen kann, wie es technologieoffen, effizient und gut funktioniert. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Cem Özdemir. ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Bundesverkehrsminister Scheuer auf Twitter folgt, konnte gestern Zeuge eines Vorgangs werden, den es nicht alle Tage gibt. ({0}) Dort widerspricht Andreas Scheuer dem Vorstandsvorsitzenden des größten deutschen Automobilbauers, und er sagt, er halte seine Konzernstrategie, auf E‑Mobilität zu setzen, für falsch. Das zeigt, dass mittlerweile einige hier die Realität in der Wirtschaft längst nicht mehr verfolgen. Ich würde dem Verkehrsminister zum nächsten Geburtstag vielleicht ein Abo des „Handelsblatts“ schenken – ich glaube, das wäre ganz angemessen –, damit Sie einfach mal sehen, was draußen gerade in Wirklichkeit passiert. ({1}) Das zeigt: Ihr bedingungsloses Festhalten am Verbrennungsmotor wird langsam absurd; Ihnen gehen die Verbündeten in der Automobilindustrie aus. ({2}) Technologieoffenheit – damit richte ich mich auch an Sie, liebe Kollegen von der FDP – heißt ja nicht, dass man so tun kann, als würden alle Kraftstoffe in beliebiger Menge und auf demselben Entwicklungsstand gegenwärtig zur Verfügung stehen. Das ist doch die Grundlage. ({3}) Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, haben wir übrigens in Baden-Württemberg in den Koalitionsvertrag mit der CDU richtigerweise reingeschrieben. In Ihrem Gesetzentwurf vergessen Sie, dass die wichtigste Ressource für die Erzeugung von Wasserstoff und auch von synthetischen Kraftstoffen ebenfalls Strom ist, und zwar sehr viel Strom. ({4}) Ich will das jetzt wegen der Redezeit nicht allzu sehr vertiefen, ({5}) aber wenn hier das flammende Plädoyer gehalten wird, dass der Strom nicht reichen würde für Elektromobilität, ({6}) dann muss man sich doch mal fragen: Wie rechnen Sie eigentlich? ({7}) Für synthetische Kraftstoffe brauchen Sie die zigfache Menge.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir müssen, glaube ich, zum Ende kommen. – Der Wirkungsgrad synthetischer Kraftstoffe/E-Fuels beträgt 10 bis 15 Prozent, beim Wasserstoff in Brennstoffzellenautos sind es 26 Prozent, und beim Strom in E-Autos kommen wir auf 70 Prozent. ({0}) Ich bitte Sie! Wer rechnen kann, kommt zu dem Ergebnis, dass die Messe beim Pkw gelesen ist. Die Automobilindustrie hat sich richtig entschieden. ({1}) Sie wissen es doch nicht besser als die Autobauer. Auf meine Frage hat die Bundesregierung vorgerechnet, dass die gesamte Stromproduktion verdreifacht werden müsste, wollten wir den heutigen Verbrauch an Benzin, Diesel, Kerosin auf E-Fuels umstellen. ({2}) Also: Ja, wir brauchen Wasserstoff und E-Fuels, aber wir brauchen sie bitte schön da, wo sie nicht ersetzbar sind, beispielsweise in der Stahlproduktion, beispielsweise beim Fliegen. Deshalb müssen wir auch die Beimischungsquote für E-Kerosin von 2 Prozent bis 2030 eher auf 10 Prozent erhöhen. ({3}) Wer das aber in den Pkw lenkt, der muss ehrlich sagen, dass wir dann nicht genug haben für die Stahlproduktion oder das Fliegen. Ich will aber, dass auch in Zukunft geflogen wird. Aber das muss halt umweltfreundlich, klimafreundlich sein; sonst geht es nicht. ({4}) Zum Schluss muss ich den Kollegen der SPD doch noch mal sagen: Sie haben recht, Sie haben die Regelungen zum Palmöl verbessert. Aber es ist doch ein Skandal, ({5}) dass wir wegen der Palmölbeimischung bis heute sozusagen immer noch Regenwald im Tank haben. Da hat es nichts verloren. Das muss sofort aufhören, wenn wir das Klima schützen wollen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Die weiteren Reden gehen zu Protokoll. Ich schließe die Aussprache.

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ja mal passieren. Kleine Korrektur: Es ist natürlich die letzte Rede und nicht die erste; aber man kann sich um diese Uhrzeit ja mal vertun. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über autonomes Fahren. Was ist das, und was haben wir da zu erwarten? Nähern wir uns dieser Frage mal mit der Betrachtung: Was gibt es denn davon schon? Ein paar Hundert Meter von hier, in der Charité, fährt ein kleiner Bus. Da ist kein Fahrender mehr drin, also keiner mehr, der lenkt, und dieser Bus fährt relativ sicher mit geringer Geschwindigkeit Menschen von A nach B. Im schönen Bayern, in Bad Birnbach, ({0}) fährt ein ähnlicher Bus Linie – ich gucke jetzt sozusagen mal nach Bayern –, und der fährt dort auch störungsfrei und hat im letzten Jahr 40 000 Fahrgäste befördert, vom Bahnhof des Ortes bis in die Innenstadt. Und im Rahmen des Projekts HEAT in Hamburg – das ist eine Abkürzung, ein Akronym – fährt in der HafenCity auch so ein kleiner Bus. Was kann also aus dem autonomen Fahren werden? Ich sehe die Vorteile im Moment in erster Linie im ÖPNV. Welche Vorteile hat es, wenn ich mir den ÖPNV unter der Überschrift „Mobility as a Service“ vorstelle, also einen ÖPNV, der kundenorientiert arbeitet? Dann sind solche Busse wirklich Gold wert, weil sie nämlich diese betriebswirtschaftliche Lücke schließen können, die es im Moment wirklich unmöglich macht, Tür-zu-Tür-Verkehre und On-Demand-Verkehre zu organisieren. Auch in der Logistik gibt es große Vorteile bei Hub-to-Hub-Verkehren, zum Beispiel auf der Autobahn, und es gibt auch bei der letzten Meile Vorteile; auch dort können solche Fahrzeuge eingesetzt werden. Nicht zuletzt gibt es natürlich auch so etwas wie Verkehrssteuerungsthemen, die damit verkoppelt werden können; das ist allerdings noch perspektivisch. Ich denke an Wegeoptimierung, an die Verbesserung der CO2-Bilanz des Verkehrs und natürlich auch an Car-to-Car-Kommunikation und anderes. Verkehrssicherheit ist auch ein Thema. So ein Fahrzeug hält sich immer an alle Regeln. Es wird niemals zu schnell fahren; es wird immer eine angemessene Geschwindigkeit fahren, weil es etwas anderes gar nicht darf und kann. Insofern kann man mit einem solchen Verkehr auch der Vision Zero ein Stück näherkommen. Auch das ist im Übrigen kein unwichtiges Thema. ({1}) Und nicht zuletzt ist das natürlich auch ein industriepolitisches Thema. Wir sind eines der weltweit führenden Länder in der Automobilindustrie, ({2}) und wir werden das auch bleiben. Deshalb machen wir jetzt ein solches Gesetz, damit im realen Verkehr diese Fahrzeuge mit diesen Fähigkeiten auch erprobt werden können. Das ist gut für die OEMs, die die Fahrzeuge herstellen; das ist auch sehr gut für die Tier-1-/Tier-2-Zuliefererbetriebe, die die Features bauen, die in diesen Fahrzeugen verwendet werden. Das heißt, wir holen das aus dem Labor in den eingehegten, geregelten Betrieb. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, und insofern ist das ein gutes Gesetz. ({3}) Dies ist ja meine letzte Rede hier in diesem Haus, und bei der letzten Rede, habe ich gelernt, muss man sich irgendwie verabschieden. Das fällt mir nicht so richtig schwer, ({4}) aber es ist auch ein bisschen Wehmut dabei. Ich bin von einer jungen Dame bei einem Girls’ Day gefragt worden, was denn mein größter politischer Erfolg sei. Ich habe ihr geantwortet: Den größten gibt es nicht, weil es nicht den großen Erfolg geben kann. Es sind solche Gesetze, die am Anfang relativ klein wirken, in der Summe des Aneinanderreihens von vielen richtigen Schritten aber ein großes Bild ergeben. – Ich bin dankbar, dass ich an solchen Gesetzen habe mitarbeiten können. Das sind die politischen Erfolge. ({5}) Mein Dank gilt natürlich meiner Fraktion, meiner AG. Herausheben will ich jetzt Kirsten Lühmann, mit der ich immer wunderbar zusammengearbeitet habe. Du hörst leider auch auf. Das ist, wie ich finde, ein ziemlicher Aderlass für die Fraktion, was Kompetenz angeht. ({6}) Die Fraktion wird es irgendwie ersetzen können. Mein Dank gilt allerdings auch meinem Koalitionspartner und den Leuten, mit denen ich in dieser Koalition gut habe zusammenarbeiten können. Björn Simon möchte ich hervorheben; denn beim Luftverkehr haben wir uns wunderbar verstanden, Björn. Das war übrigens eine Kontinuität von Heinz Peter Wichtel, deinem Vorgänger, bis zu dir, und ich wünsche dir alles Gute für das, was da noch kommen wird. ({7}) Und schlussendlich geht mein Dank natürlich auch an die Opposition, ohne die es keinen Parlamentarismus gibt. ({8}) Die, die immer Nein sagen und was kritisieren, sind ja sehr wichtig auf dem Weg. ({9}) – Ich nehme jetzt mal die, die da ganz rechts im Haus sitzen, explizit aus. ({10}) Ich rede von denjenigen mit dem konstruktiven Nein und dem konstruktiven dialogischen Widerspruch; ({11}) denn diese Demokratie beruht auf einer ganz einfachen Regel, nämlich dem „eigentümlich zwanglosen Zwang“ des besseren Arguments. ({12}) Diese Formulierung ist leider nicht von mir, sondern von Jürgen Habermas, einem der ganz großen noch lebenden Philosophen, der mich mein ganzes Leben sozusagen begleitet hat, bis zu seinem Riesenalterswerk. Den 1 700 Seiten kann ich mich jetzt eher widmen, wenn ich etwas mehr Zeit habe. Ich verabschiede mich mit den Worten – und ich zitiere ihn – eines Kollegen, den ich sehr schätze. ({13}) Er hat sich heute Morgen verabschiedet mit den Worten: „Es war mir eine Ehre.“ – Dem kann ich nichts hinzufügen. Danke. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Dr. Dirk Spaniel ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf zum autonomen Fahren soll ein Rahmen geschaffen werden, um das autonome Fahren juristisch abzusichern. Der technische Fortschritt ist für eine Industrienation grundsätzlich als positiv anzusehen, und demzufolge ist es die Pflicht der Bundesregierung, die Möglichkeit der Einführung solcher Systeme zu gestalten. Wir sehen hier jedoch gerade im Hinblick auf die jüngere Vergangenheit einige Probleme im Vorgehen. So konnte man zum Beispiel bei den staatlichen Vorgaben für den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen sehen, dass die Hersteller, die sich zum damaligen Zeitpunkt an die gültigen rechtlichen Vorgaben der Regierung gehalten haben, am Ende die Zeche dafür zahlten, dass diese Vorgaben unpräzise waren. Während es dort um wenige Mikrogramm an Schadstoffen ging, geht es beim vollautonomen Fahren im Zweifelsfall tatsächlich um Menschenleben. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob durch einen Softwarefehler im Steuergerät etwas Ruß aus dem Auspuff kommt oder ein Kind beim Einsteigen in einen vollautonomen Bus gegebenenfalls am Bordstein zerdrückt werden könnte. ({0}) So klingt die Vorstellung, dass Überwachungspersonen notfalls per Fernsteuerung in das fahrerlose System eingreifen können, in der Theorie zwar schön, in der Praxis wird das jedoch alleine schon an der katastrophalen Netzinfrastruktur hier in Deutschland scheitern. ({1}) Wenn das Bild- und Steuersignal des Fahrzeugs in Echtzeit in einer Überwachungszentrale ankommen soll, sind hierzu enorme Datenmengen notwendig. Leider ist das deutsche Wort „Funknetz“ auch im Jahr 2021 in Deutschland vor allem dadurch passend, dass es um die einzelnen Funkverbindungen jede Menge Löcher gibt. ({2}) Da diese Sicherung somit nur in der Theorie funktioniert, stellt sich also sofort die Frage nach der Haftung für das autonome Fahren. Diese soll nach dem vorliegenden Gesetzentwurf vor allen Dingen auf die Hersteller und die Betreiber abgewälzt werden. Unserer Meinung nach müssen sich die Industrie und die Unternehmen darauf verlassen können, dass sie, wenn sie eine gültige Zertifizierung haben, nicht dafür bestraft werden, wenn in Zukunft Fehler in dieser Gesetzgebung festgestellt werden. Dazu müssen die Regelungen klar und transparent sein, ({3}) und vor allen Dingen – das haben wir im Ausschuss auch diskutiert – fordern wir einen Zertifizierungskatalog, der verbindlich erfüllt werden muss, damit die Hersteller die entsprechende Sicherheit haben. Da der Gesetzgeber die Verantwortung mit diesem Paket zumindest vorläufig von sich schiebt und auch weitere Fragen nach der Datensicherheit und dem Datenschutz der Bürger nicht angemessen beantwortet werden, können wir diesem Gesetzentwurf in der derzeitigen Form leider nicht zustimmen. ({4}) Wir wünschen uns, dass diese Thematik seriös und nicht, wie jetzt, kurz vor knapp in der drittletzten Sitzungswoche vor den Wahlen mitten in der Nacht diskutiert wird. Das ist einfach hochgradig unseriös für so ein wichtiges Thema. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Kollege Oliver Luksic. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Klare, vielen Dank für Ihre vielen klugen Initiativen und Wortbeiträge hier im Parlament und die faire Zusammenarbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim vernetzten Fahren geht es heute um ein wichtiges Thema für den Automobilstandort Deutschland. Das vernetzte Fahren ist eine der zwei zentralen Herausforderungen. Die eine sind die alternativen Antriebe, die andere ist die Digitalisierung. Wir brauchen eben nicht nur eine Computersimulation, sondern auch im Echtzeitbetrieb die Möglichkeit, Erfahrungen und Daten zu sammeln, damit das Ganze eben ermöglicht wird. Es ist ja anders, als eben dargestellt. Wir sind hier schon ganz weit. Denken wir zum Beispiel an den People Mover von ZF und ganz viele andere Fahrzeuge, die das schon können. Wir brauchen jetzt diesen gesetzlichen Rahmen. Wir als Freie Demokraten wollen einen Innovationsschub für das autonome Fahren. ({0}) In dem Gesetzentwurf wird zu Recht geregelt, dass das Ganze in ausgewiesenen Bereichen und unter einer technischen Aufsicht stattfindet. Wir haben mit verschiedenen Vorschlägen versucht, das Ganze auf eine noch bessere Grundlage zu stellen: Zum Ersten geht es um die technische Aufsicht. In der Verordnung muss das praxistauglich ausgestaltet werden. Zum Zweiten dürfen die Projekte, die es bereits gibt, durch diese Regelungen natürlich nicht gefährdet werden. Zum Dritten – das hat vor allem auch die Anhörung ergeben – brauchen wir eine Evaluation und neben der Herstellererklärung auch eine stärkere Einbeziehung von technischen Diensten und unabhängigen Sachverständigen, damit das wirklich funktioniert. Wir wollen das autonome Fahren noch sicherer machen, damit es ein Erfolg für alle wird. ({1}) Wir haben auch einen Antrag zum Thema Fahrzeugdaten eingebracht, weil wir der Überzeugung sind, dass das mitgedacht und mitgeregelt werden muss. Da gibt es eine ganze Reihe an Aspekten, die unserer Meinung nach hier in das Plenum gehören: zum einen die Frage von Fahrzeugdatenschutz und der Sicherheit, zum anderen die Frage, wie wir wettbewerbsneutral offen ausgestalten, dass die berechtigten Interessen der Industrie, der Zulieferer, der Start-ups, wer zu welchen Datenpaketen Zugang bekommt, berücksichtigt werden; das ist notwendig. Ein weiterer zentraler Aspekt, der meiner Meinung nach noch geregelt werden muss, ist die Frage der Software-Updates. Denken wir an den Fall des Tesla-Autopiloten. Es ist nun mal so, dass die vielen Over-the-Air-Updates weder beim Inverkehrbringen bzw. der Typgenehmigung noch bei den laufenden Kontrollen der Hauptuntersuchung bisher Teil des Prüfungskatalogs sind. Weil wir wollen, dass es ein Erfolg wird, sollte das geregelt werden. Unsere Fraktion bringt heute einen Entschließungsantrag ein, der nicht nur wichtige Ergänzungen enthält, sondern auch Forderungen dazu, wie wir die vernetzte digitale Mobilität im 21. Jahrhundert gestalten. Wir wollen das Ganze mit einer Reihe von konstruktiven Vorschlägen besser machen, wozu ich um Ihre Zustimmung werbe. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Stefan Gelbhaar. ({0})

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Klare, auch von mir, von uns vielen Dank für die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit; das vielleicht vorneweg. ({0}) Autonomes Fahren braucht eine klare Vision, und vor allem braucht es Vertrauen. Die Technologie kann beim Klimaschutz und bei der Verkehrssicherheit nutzen. Sie kann, als ÖPNV gedacht, mehr Mobilität bei weniger Verkehr erreichen. Weniger Parkplätze und weniger Straßenfläche werden benötigt – also mehr Platz für Grünflächen und für Freiräume. Fahrerlose Fahrzeuge können zudem dort eingesetzt werden, wo mehr Mobilität benötigt wird, aber der öffentliche Verkehr an seine Grenzen stößt: in den ländlichen Räumen, als Zubringer, in den Randlagen. Auch wenn Menschen kein eigenes Auto haben oder gar nicht fahren dürfen: Wir wollen, dass alle Menschen, also auch die auf dem Land, mobil sein können. Das sind die Chancen von autonomem Fahren. ({1}) Wir müssen aber feststellen: Eine Mehrheit der Deutschen steht dieser Technologie – noch – skeptisch gegenüber. Daher stellt sich die Frage: Schaffen wir es, mit diesem Gesetz Vertrauen zu schaffen, oder gefährden wir das Vertrauen der Menschen? Erstens. Die ersten autonomen Fahrzeuge sollen bereits in den nächsten Monaten zugelassen werden. Die Expertinnen, Prüfstellen – TÜV, DEKRA – werden dabei aber nicht eingebunden. Geübte Routinen wegzulassen bei neuer Technik – warum? Vertrauen schaffen geht anders. Zweitens. Der Gesetzentwurf nimmt die Hersteller aus der Verantwortung. Das hat die AfD offensichtlich nicht ganz richtig verstanden. Beim Unfall soll der Halter haften. Dabei können diese allenfalls eingeschränkt eingreifen; es ist ja fahrerloses Fahren. Natürlich kann man jetzt argumentieren: Die Halter bringen das Fahrzeug in den Verkehr und müssen deswegen bei Schäden haften. – Das lässt aber eines außer Acht: Die Programmierung bestimmt der Hersteller. Der Hersteller bestimmt damit auch das Fahrgeschehen, und das wiederum bestimmt das potenzielle Unfallgeschehen. Verantwortung und Haftung sollten aber eng beieinanderliegen. Das ist hier nicht der Fall. ({2}) Das Verkehrsministerium hat diese Woche verlauten lassen, es vertraue da auf die Sicherheitskonzepte der Hersteller. Auch wenn die Entwicklung industriegetrieben ist: Das reicht nicht. Es ist die Aufgabe, gute Regeln zu schaffen, auch in Sachen Haftung. Da muss jetzt nachgebessert werden, um Vertrauen zu schaffen. Drittens. Für private Halter/-innen passen die Gesetzesvorgaben gar nicht. Die Regierung kann nicht sehenden Auges zulassen, dass die insbesondere privaten Halter bei Unfällen finanziell und persönlich belastet werden könnten. Hier braucht es eigene passgenaue Regeln, um Vertrauen zu schaffen. By the way: Die Anwendung im gewerblichen Bereich wäre sicherlich deutlich sinnvoller. Alles in allem: Dieser Gesetzentwurf weist handwerkliche Mängel auf; das ist schade. Denn, wie gesagt, autonomes Fahren kann einen gewissen Beitrag leisten, um sowohl die Mobilitätsbedürfnisse vieler Menschen als auch Klimaschutzziele besser zu erfüllen. Übrigens auch da: Wo sind die Aktivitäten der Bundesregierung, zum Beispiel beim autonomen Fahren auf der Schiene? So oder so: Die Chancen des autonomen Fahrens sind gegeben. Das Vertrauen in diese Technologie wird aber, und zwar ohne Not und wider besseres Wissen, gefährdet. Das heißt: Da ist eine Aufgabe; da müssen wir ran. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Die weiteren Reden gehen zu Protokoll.

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich habe Ihnen heute Abend etwas mitgebracht – das nennt sich Tachoscheibe –, um mal darzulegen: Wo kommen wir her, und wo gehen wir hin? Die Tachoscheibe war der erste Ansatz, automatisiert aufzuschreiben, wie lang die Arbeitszeiten waren, wie lang die Wegstrecke war, wie hoch die Geschwindigkeit eines Lkws war. Da wurde noch viel händisch eingetragen; die Manipulationsanfälligkeit war groß. Zum Beispiel konnte man ein kleines Schwämmchen zwischen der Nadel und dem Gehäuse einbauen, und dann war der Aufschrieb nicht über den erlaubten 80 km/h. Das hat auch die EU so gesehen und vor 15 Jahren für alle Neufahrzeuge den digitalen Tachografen eingeführt. Da geht das Ganze automatisch. Es werden auch automatisch bei den Kontrollen Listen aus dem Gerät ausgeworfen, auf denen steht, wie lang die Lenkzeit war, wie lang die Ruhezeit war. Man musste nicht mehr alles händisch zusammenzählen. Aber was diese Geräte nicht aufschreiben können, ist die Wegstrecke, die der Lkw gefahren ist. Warum ist das wichtig? Wir brauchen diese Angaben zur Kontrolle der Kabotage. Kabotage ist die Erbringung von Transportleistungen, zum Beispiel in Deutschland, durch eine ausländische Spedition. Das sollte im geeinten Europa eigentlich kein Problem sein, wenn wir nicht das Thema Sozialdumping hätten. Speditionen aus Ländern mit zum Beispiel geringeren Löhnen bieten ihre Leistungen in Deutschland zu Schleuderpreisen an. Daher hat die EU gehandelt und Regeln gemacht. Wenn zum Beispiel ein Lkw aus einem anderen Land nach Deutschland kommt, dürfen nach dem Abladen innerhalb von sieben Tagen noch drei Transporte in Deutschland durchgeführt werden, dann muss er wieder ausfahren. Die Regeln werden nächstes Jahr noch verschärft. Er muss dann vier Tage lang außerhalb Deutschlands bleiben, bevor er wieder zurückkommen darf. Das Problem dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Dokumentation des Grenzübertrittes ohne Grenzkontrollen, die wir ja sinnvollerweise abgeschafft haben. Hier greift unser Änderungsgesetz ein, indem es sagt: Wir haben die Daten doch. Bei der Mauterhebung werden genau diese Daten erfasst, zum Beispiel Zeit und Ort der ersten Mautstrecke hinter der Grenze. Allerdings haben wir gesagt: Wenn diese Daten genutzt werden sollen, brauchen wir da enge Grenzen. Es muss erst mal ein Verdacht vorliegen, bevor die Kontrollbehörden solche Daten anfordern dürfen. Auch sind die Befugnisse bis Ende 2025 begrenzt. Warum? Weil wir im September 2025 alle Lkws im grenzüberschreitenden Verkehr mit neuen digitalen Geräten umgerüstet haben müssen. Diese schreiben dann auch auf, wo der Lkw langfährt. Damit ist eine flächendeckende Kontrolle für Kabotageverstöße möglich, und unsere Scheibe hat dann endgültig ausgedient. Bis dahin aber helfen uns die neuen Regelungen, schwarze Schafe zu finden und ehrliche Speditionen zu schützen. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Dr. Dirk Spaniel. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf den ersten Blick liest es sich ja schön, was seitens der Koalition hier als Gesetz eingebracht wird: Die Bürokratie und die unterschiedlichen nationalen Regelungen zur Maut sollen auf europäischer Ebene vereinheitlicht werden, und das Ganze auch noch schön modern, sprich: digital. So weit die Theorie – mal abgesehen davon, dass man aus Erfahrung davon ausgehen kann, dass die Bürokratie dann, wenn Sie einen Bürokratieabbau ankündigen, am Ende meistens vergrößert wird. Hier entstehen auch noch andere fragwürdige Nebenwirkungen auf EU-Ebene. So sollen die persönlichen Daten der Verkehrsteilnehmer in Kombination mit dem EU-Führerschein in einer Datenbank für alle Staaten kombiniert werden. Doch welche persönlichen Daten sind das? Sind es nur Adresse, Name und Geburtsdatum des Fahrers oder vielleicht noch mehr? Man konnte ja schon bei der Lkw-Maut in Deutschland sehen, dass ein System etabliert wurde, bei dem automatisch alle Kennzeichen kontrolliert werden. Natürlich wurde damals bei Bedenken um den Datenschutz versichert, dass die Daten sofort und umgehend gelöscht würden und es keine Missbrauchsmöglichkeiten gäbe – außer als man zur Aufklärung einer Straftat plötzlich rückwirkend doch auf die Kennzeichenschilder zugreifen konnte. Da sind wir auch schon beim Gesetzentwurf der Linken. Es geht hier um ein Thema – schon immer die Wunschvorstellung der linken Utopisten – mit dem Rezept: zurück zur Reichsbahn, finanziert durch den Pool der zahlenmäßig immer weniger werdenden Autofahrer. Verschleiernd formulieren Sie „Aufhebung des Finanzierungskreislaufes Straße“. Haben Sie eigentlich auch Leute, die Ihre Visionen zu Ende denken? ({0}) Erst mal geht es ja darum: Sie wollen die Abgaben der Straßennutzer zukünftig nicht mehr für den Ausbau und Neubau von Straßenprojekten verwenden. Das Einzige, was Sie mit den Einnahmen dann noch machen wollen, ist, die Reparatur zu finanzieren. Der Rest soll zum Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel dienen. Damit stehen Sie nicht alleine – deshalb widme ich diesem Thema hier auch einen größeren Beitrag –: Ihre sozialistischen Brüder mit grüner Tarnfarbe kündigen es in ihrem Parteiprogramm sogar offen an. ({1}) – Damit sind nicht Sie gemeint; damit sind die Kollegen, die noch etwas weiter in der Mitte sitzen, gemeint. – Mit neuen Mobilitätskonzepten wollen die Grünen bis 2030 landesweit den Pkw- und Lieferverkehr um ein Drittel senken. Aha. Woher soll denn das Geld für den Mobilitätspass und den kostenlosen ÖPNV kommen? Genau: aus dem Geldbeutel der immer weniger werdenden Autofahrer. ({2}) Das können wir nicht zulassen. Das sind zum großen Teil nämlich die hart arbeitenden Arbeitnehmer, die auf das Auto angewiesen sind. Diese Leute haben jetzt mit der AfD-Fraktion endlich eine Stimme in diesem Parlament. ({3}) – Da können Sie lachen; wollen wir mal gucken, wer am Ende lacht! ({4}) Wir stehen für den Erhalt des bezahlbaren Autos. Der bezahlbare Individualverkehr ist der Kern einer modernen freiheitlichen Gesellschaft. ({5}) Wenn die Bürger in diesem Land kapieren, was Sie alle mit ihnen machen, dann ist es vorbei mit Ihrem Hype; das garantiere ich Ihnen. ({6}) Zu dem Gesetzentwurf der Koalition werden wir uns enthalten. Den Gesetzentwurf der Linken – wie gesagt: auch im Geiste das Programm der Grünen – werden wir ablehnen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident; es kommt ja nicht oft vor, dass man direkt zweimal hintereinander redet. ({0}) Das spricht im Übrigen gegen dieses Parlament. ({1}) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unter dem wohlklingenden Namen „Schnellladegesetz“ soll einmal mehr mit Steuergeld die staatlich orchestrierte Elektromobilität zum Erfolg hochsubventioniert werden. Knapp 2 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren soll dieses Projekt kosten. Trotzdem heißt es im Gesetzentwurf fast schon zynisch: Den Bürgerinnen und Bürgern entsteht durch dieses Gesetz kein Erfüllungsaufwand. Das ist ein Hohn. Vorab: Wie Sie wahrscheinlich schon wissen, bevorzugt die AfD – mittlerweile ist das ja eine breitere Basis in diesem Parlament –, solange es keine technischen Innovationen bei Elektrofahrzeugen gibt, die sie auch ohne Subventionen marktfähig machen, synthetische Kraftstoffe. Das erlaubt übrigens eine sofortige Senkung der CO2-Emissionen auch bei Bestandsfahrzeugen und spart unfassbare volkswirtschaftliche Kosten, die beim Aufbau eines Ladenetzes für E-Fahrzeuge entstehen. Es ist ja nicht nur der Aufbau der Ladesäulen, der hier zu Buche schlägt, es müssen ja dann auch die Stromkosten übernommen werden. Die Stromkosten für ein Fahrzeug der oberen Mittelklasse liegen bei circa 17 Euro pro 100 Kilometer bei Schnellladenutzung – nur für den Treibstoff! Bei einem vergleichbaren Dieselfahrzeug legen Sie für dieselbe Strecke ungefähr 11 Euro hin – trotz Ihrer gigantischen Steuer. ({2}) – Das ist so, Herr Donth. Machen Sie sich mal schlau! ({3}) – Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann gehe ich darauf ein. ({4}) Werfen wir mal einen Blick auf Ihren Versuch zur Verbesserung dieses Gesetzesvorhabens in der Beschlussempfehlung. Da steht drin: Daher kann im Normallfall bei Erreichung einer maximal fünfminütigen Wartezeit von einer Bedarfsdeckung ausgegangen werden; in den Ferienmonaten und während der Stoßzeiten sollte keine längere Wartezeit als 15 Minuten entstehen. 15 Minuten Wartezeit plus 30 Minuten Ladezeit zu Stoßzeiten sind völlig utopisch. Haben Sie schon mal mit Familie 45 Minuten Zwangspause eingelegt? Übrigens gelten die Angaben nur für 80 Prozent der Ladekapazität. Schon dieses kleine Rechenbeispiel zeigt, dass die Menschen bei Elektromobilität mit Elektroschnellladegesetzen wie diesem hier zukünftig ungefähr zehnmal so lange Tankpausen einplanen müssen, um 80 Prozent der Reichweite ihres Fahrzeugs herzustellen. Zehnmal so lange wie heute, das heißt: Wenn sich eine kritische Zahl von Elektroautos auf unseren Straßen befindet, dann werden wir nie dagewesene Bilder von unendlichen Schlangen an den Zapfsäulen bzw. dann Elektrotankstellen sehen. ({5}) Die Transformation zur Elektromobilität ist vor allen Dingen eine Transformation zum Verkehrskollaps. ({6}) Dazu passen auch die mittlerweile schamlos vorgetragenen Pläne der Kanzlerkandidaten von SPD und Grünen. Sie wollen die Kurzstreckenflüge entweder verbieten oder wesentlich teurer machen – und damit noch viel mehr Menschen für ihren Urlaub vom Auto abhängig machen. Das ist nämlich das Ergebnis Ihrer Politik. Herr Scheuer ist leider gerade nicht da; daher spreche ich Herrn Bilger an: Machen Sie sich doch endlich mal ehrlich und sagen Sie den Menschen, was auf sie zukommt: Der Familienurlaub mit dem Auto wird mit Ihrer Politik eben nicht mehr bis ans Mittelmeer führen. Leitgedanke der Politik der AfD ist es, den Wohlstand und die Freiheit für die Menschen in diesem Land bestmöglich zu erhalten. Daher sind solche Einschränkungen für uns als AfD-Fraktion nicht hinnehmbar. Vernünftige Politik unter erwachsenen Menschen bedeutet, dass man keine Steuergelder für Politik verwendet, die absehbar nicht funktioniert. Wir lehnen den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen aus diesem Grund ab. ({7})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu so später Stunde doch noch ein sehr wichtiges Thema: Der Conterganskandal in den 1960er-Jahren war einer der größten und erschütterndsten Arzneimittelskandale in der Bundesrepublik. Die Politik war sich seither zu jeder Zeit ihrer Verantwortung bewusst, und zu dieser Verantwortung stehen wir auch heute noch. Mit stetigen Verbesserungen in der Gesetzgebung passen wir das Conterganstiftungsgesetz an die neuen Herausforderungen an. Die Anliegen der Betroffenen stehen für uns stets an oberster Stelle. So werden auch mit dem Sechsten Änderungsgesetz neue Leitlinien gezogen und der Weg für eine Zukunft ohne finanzielle Sorgen geschaffen, immer im Sinne der Thalidomid-Geschädigten und im intensiven Austausch mit den verschiedenen Betroffenenvertretern; denn uns ist wichtig, dass die Contergangeschädigten nicht unnötig lange in Sorge um ihre wirtschaftliche Existenz leben müssen. Jedoch sind wir nun mit Problemen konfrontiert, dass die derzeit geleisteten jährlichen Sonderzahlungen nicht wie geplant bis 2033 gezahlt werden können. Die Festanlage des Stiftungsvermögens umfasst 43,5 Millionen Euro, durch deren Zinserträge derzeit die jährlichen Sonderzahlungen gewonnen werden. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik hat gezeigt, dass Contergangeschädigte glücklicherweise eine längere Lebenserwartung haben als zuerst angenommen. Dadurch ergibt sich jedoch ein unerwartet höherer Pflegebedarf. Starke körperliche Beeinträchtigungen, Schmerzzustände und eine enorme Einschränkung der Autonomie belasten zudem den Alltag. Bei einer Frühverrentung entstehen sogar noch erhebliche Einbußen bei der Altersvorsorge. Deshalb ist der einzig richtige Schritt, das Stiftungsvermögen nach den 2022 freiwerdenden Festgeldanlagen auszuschütten. Die Ausschüttung ist wie die zuvor jährlich geleisteten Sonderzahlungen nach Schadensklassen gestaffelt. Mit dieser Ausschüttung schaffen wir die so wichtige Möglichkeit, den Betroffenen noch zu Lebzeiten einen finanziellen Handlungsspielraum zur Verfügung zu stellen und damit für das Alter gezielt und individuell vorzusorgen. Die Unantastbarkeit des Kapitalstocks der Stiftung in Höhe von 6,5 Millionen Euro wird dabei zu Teilen freigemacht. Durch eine Flexibilisierung des Kapitalstocks in Höhe von 5 Millionen Euro wird eine rechtliche Grundlage geschaffen, um auch künftig eine dem Stiftungszweck angemessene Projektförderung zu ermöglichen. Mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes zeigen wir deutlich: Eine planbare Sicherheit und individuelle Vorsorge für das Alter muss gewährleistet sein. Mit dem Änderungsantrag gehen wir noch einmal im Speziellen auf die Wünsche der Betroffenen ein. Die Ausschüttung wird nicht – wie zuerst geplant – im Jahr 2023 erfolgen, sondern bereits zum 30. Juni 2022. Wir handeln schnell, gezielt und pragmatisch, um den Contergangeschädigten Sicherheit für die Zukunft zu geben; so können sie ihren verbleibenden Lebensweg möglichst sorgenfrei planen. Außerdem halte ich das Vertrauen der Leistungsberechtigten in ihre Leistungsansprüche für besonders schutzwürdig. Es benötigt daher eine Klarstellung, dass der Schutz der Leistungshöhe auch die Schadenspunkte umfasst. Bereits mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes konnten wir den Anspruch auf die Conterganrente sicherstellen, sobald sie bereits einmal bezogen wurde. Dadurch haben wir Sicherheit geschaffen. Die Betroffenen konnten sich auf die Anerkennung ihres Status und ihrer Leistungen verlassen. Zum Leistungsschutz kommt nun auch der Schutz der Schadenspunkte. Mit dieser Klarstellung wird Betroffenen die Höherstufung erleichtert. Darüber hinaus wurde damals auch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Förderung der Kompetenzzentren geschaffen – ein entscheidender und wichtiger Schritt; denn wir sehen, wie hilfreich die Kompetenzzentren für die Betroffenen sind. Mit der Gewährung pauschaler Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe wurde im Vierten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes eine enorme Erleichterung für die Geschädigten erzielt. An diese Erfolge knüpfen wir mit dem Sechsten Änderungsgesetz nun an. Ein herzlicher Dank geht an meine Mitberichterstatterin Frau Ursula Schulte von der SPD für die konstruktive, respektvolle und stets zielorientierte Zusammenarbeit. ({0}) Ebenfalls danke ich dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die stete und schnelle Unterstützung. In der Gesetzgebung sind wir zur Unterstützung für Thalidomid-Geschädigte in besonderer Verantwortung, beginnend damit, dass das Medikament Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid als rezeptfreies Schlaf- und Beruhigungsmittel verkauft wurde. Die Firma Grünenthal GmbH, die das Medikament Contergan entwickelt hatte, zahlte damals im Rahmen eines Vergleichs eine Entschädigung von 100 Millionen D-Mark in die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ ein. Im Gegenzug wurden spätere Ansprüche gegen die Hersteller in gesetzliche Leistungsansprüche umgewandelt. Da Contergan das Schicksal ganzer Familien bestimmt, sind wir in der Pflicht, unser Bestmögliches zu tun, um den noch lebenden Contergangeschädigten eine gute und zukunftsorientierte Perspektive zu geben. Das gelingt uns im Besonderen durch die Ausschüttung des Stiftungskapitals und die daraus entstehenden Möglichkeiten, zum jetzigen Zeitpunkt für das Alter zu investieren. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu diesem sehr wichtigen Gesetz für die Contergangeschädigten. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion die Abgeordnete Nicole Höchst. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes beinhaltet einige berechtigte Punkte. Es ist gar keine Frage: Die Schädigungen, die durch den Conterganwirkstoff Thalidomid eingetreten sind, sind äußerst vielfältig; sie sind vielfältig in ihren unmittelbaren Folgen ebenso wie hinsichtlich der langfristigen Schäden, die sich erst mit dem zunehmenden Alter offenbaren. Jede Behinderung ist anders, individuell; dies gilt insbesondere auch für Behinderungen, die durch Contergan verursacht wurden. Die staatliche Reaktion darauf – mit finanziellen und sozialen Kompensationsmaßnahmen – wird notgedrungen immer für viele unbefriedigend erscheinen; denn ein solches Gesetz kann niemals die Komplexität dessen widerspiegeln, was das Leben mit einer durch Contergan verursachten Beeinträchtigung ausmacht. Umso richtiger ist daher das Ziel einer vorzeitigen Auszahlung der zur Verfügung stehenden Mittel. Das zeigt das Vertrauen in die Betroffenen, damit autonom und selbstbestimmt so umzugehen, wie es ihren jeweiligen Bedürfnissen und Erfordernissen entspricht, und ermöglicht zugleich die individuelle Flexibilität, auf die eigenen Herausforderungen individuell zu reagieren. So trägt der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass in den allermeisten Fällen die Betroffenen selbst die besten Experten für den Umgang mit ihrer jeweiligen ebenso individuellen wie speziellen Einschränkung sind. In Deutschland leben heute noch circa 2 600 Geschädigte. Laut Bundesverband Contergangeschädigter treten jetzt, nach 50 Jahren, verstärkte Schäden auf. Die Contergankatastrophe entfaltet nach all der Zeit erneut ihre gesamte Wucht; denn zu den ursprünglichen, zum Teil bereits schweren Conterganschädigungen kommen nun durch die jahrzehntelange Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur Folgeschäden hinzu, die einen ständig steigenden Bedarf zum Beispiel an pflegerischen und therapeutischen Leistungen verursachen. Contergan wurde von 1957 bis 1961 verabreicht – das sind 48 Monate –, und es gab weltweit geschätzt 10 000 Geschädigte, davon allein in Deutschland geschätzt 5 000. Zum Vergleich: Die Covid-Impfung wird in Deutschland seit dem 29. Dezember 2020 verabreicht. In nur vier Monaten gab es laut Paul-Ehrlich-Institut 527 Tote und 4 900 schwerwiegende Fälle. Hochgerechnet auf 48 Monate ergäbe das nur für Deutschland 6 324 Tote und 58 992 schwere Fälle. ({0}) – Einfache Mathematik, Herr Kollege; das können Sie nicht; verstehe ich. ({1}) Der Unterschied zwischen damals und heute: Damals gab es kein Arzneimittelgesetz, keine Langzeitstudien ({2}) – hören Sie auf, zu pöbeln! –, ({3}) keine Richtlinien für die Entwicklung, Produktion und den Vertrieb, keine Verfahren für die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln und Impfstoffen. Heute haben wir geordnete, langwierige Verfahren – die derzeit unziemlich beschleunigt werden wegen einer Coronakrankheit, ({4}) einer Krankheit, die nachweislich keine Übersterblichkeit hervorruft. ({5}) Risiken wie schwere Schäden oder sogar Tod werden anscheinend in Kauf genommen. Menschen werden sanft zur Impfung gepresst und können sich freiimpfen lassen. ({6}) – Haben wir aus der Geschichte nichts gelernt, Herr Kollege? ({7}) – Ja. – Haben Sie nichts gelernt aus der Geschichte? ({8}) Das ist mehr als traurig ({9}) und für viele der Regierung vertrauenden Bürger potenziell fatal. Heute Nacht steht bereits die Frage im Raum, ob wir in ein paar Jahren neben der Conterganstiftung auch die Finanzen einer Coronastiftung für Impfgeschädigte diskutieren werden müssen. ({10}) Wir stimmen für den Gesetzentwurf und hoffen, dass wir nicht die Einzigen sind, denen die Parallelitäten auffallen, und dass man vom neuerlichen Irrsinn wieder zu Verhältnismäßigkeit und Normalität zurückfindet. Schönen Abend. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Grüne. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Ich hatte mich eigentlich vor dieser Debatte schon ein bisschen gefragt, was die AfD zu diesem Thema beizutragen hat. ({0}) Nun wissen wir es: Gar nichts. ({1}) Was Sie hier tun, ist, das Schicksal der contergangeschädigten Menschen auf eine total demagogische Weise zu instrumentalisieren. Und die Leute sehen das. ({2}) Jetzt möchte ich meine Redezeit gerne auf das eigentliche Thema verwenden. Es ist richtig, dass der Gesetzentwurf ein paar Verbesserungen bringt: den Bestandsschutz für die Schadenspunkte und die vorzeitige Ausschüttung des Sonderzahlungsvermögens; das ist völlig richtig, das haben die Vorredner/‑innen auch schon gesagt. Deswegen werden wir ebenfalls zustimmen. Aber – und ich finde, das muss heute Abend auch mal auf den Tisch – das Hauptproblem wird auch mit dieser Gesetzesänderung wieder nicht angepackt, nämlich dass die contergangeschädigten Menschen mit ihrer eigenen Stiftung fremdeln, dass sie den Eindruck haben, dass ihre eigene Stiftung, die Conterganstiftung, nicht für sie arbeitet, sondern, oftmals, gegen sie arbeitet. Das hat viele Gründe, und, ehrlich gesagt, nachdem ich jetzt seit vielen Jahren Berichterstatterin für das Thema bin, kann ich das auch nachvollziehen. Ich will es Ihnen jetzt nicht ersparen, noch einmal einen Rückblick auf den Herbst 2019 zu werfen – erinnern Sie sich vielleicht? –, auf den Sedalis-Skandal. Die Conterganstiftung wollte die Renten von 60 contergangeschädigten Personen, die insbesondere in Brasilien, aber auch in anderen Ländern lebten und seit 40 Jahren Renten aus der Stiftung bezogen, schlicht und ergreifend kürzen. Ohne das vorher geprüft zu haben, hat man diese Leute in ihrer Existenz bedroht. Die ganze Aktion ist eskortiert worden vom Bundesfamilienministerium. Das Parlament – Herr Pilsinger, Sie können sich noch gut daran erinnern – musste darauf reagieren und hat ein Gesetz geschaffen, um diese Menschen zu schützen vor der Conterganstiftung, die doch eigentlich für sie da sein sollte, und dem Familienministerium, das das Ganze eskortiert hat. Die Leute, die sich damit beschäftigt haben und sich vielleicht auch noch daran erinnern können, dass es Berichterstattung im „Spiegel“ und in anderen Medien gab, die wissen genau, wovon ich spreche. Dieses Vorgehen war so ungeheuerlich, dass wir uns hier am Pult gegenseitig versprochen haben, diesen Fall aufzuklären und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Jetzt muss man sagen: Das ist bis heute leider nicht passiert, wir haben nicht die Konsequenzen daraus gezogen. Die Hauptprobleme dieser Stiftung sind bis heute nicht gelöst. Herr Pilsinger, der sich wirklich jetzt noch einmal Mühe gegeben hat, § 15 Absatz 2 des Conterganstiftungsgesetzes anzugehen, um dafür zu sorgen, dass Menschen, die in anderen Staaten Leistungen bekommen haben, diese nicht angerechnet werden, ist auf Granit gestoßen, und zwar, wenn ich es richtig verstanden habe, bei der SPD. Ich finde es irgendwie ganz komisch, dass die SPD heute Abend dazu keine Stellung bezieht. Wir hätten nämlich sehr viel mehr machen können, als wir das heute tun. ({3}) – Sie können ruhig schreien; aber ich habe recht. Diese Stiftung muss endlich transparent aufgestellt werden, dass die Menschen, für die die Conterganstiftung eigentlich gedacht ist, in ihrer eigenen Stiftung auch etwas zu sagen haben.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, die Zeit ist zu Ende.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sage es noch mal: Ich werde nicht ruhen, bis wir das als Parlament endlich geschafft haben. Wir haben immer noch keinen Grund, uns hier gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Herzlichen Dank – und Entschuldigung für die Störung. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Pantel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur mitternächtlichen Stunde beraten wir heute die für die Betroffenen sehr wichtige Änderung des Conterganstiftungsgesetzes. Wir haben gerade viel Dissens gehört. Deshalb bin ich froh, dass man jetzt sehr wohl zu einer einvernehmlichen Lösung für die Betroffenen gekommen ist. Die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt sich seit nunmehr 60 Jahren mit dem Thema Contergan; die Conterganschäden betreffen die Geburtsjahrgänge Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre. Hinter der Geschichte der Contergankinder und deren Familien steht sehr viel Leid. Das Land Nordrhein-Westfalen hat in einer Studie vor fünf Jahren auf fast 700 Seiten festgehalten, dass der Conterganskandal ein Beispiel für unternehmerische Verantwortungslosigkeit und staatliche Hilflosigkeit war. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit führte dazu, dass die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu einem wichtigen Aspekt der Gesetzgebung wurde; denn dort, wo Frauen Unterstützung erhofften, wurde ihr Vertrauen enttäuscht und ihnen gesundheitlich geschadet. Ungeborene Kinder wurden getötet oder verletzt – dabei brauchen wir gerade in diesem Bereich besondere Sorgfalt und Schutz; der Opferschutz gilt hier deshalb auch noch 60 Jahre später. Die Conterganstiftung für behinderte Menschen erhält nun den ohnehin gebräuchlichen Namen: Conterganstiftung. Mit der Erneuerung des Conterganstiftungsgesetzes wurden die Conterganrenten bereits 2008 verdoppelt und im Jahr 2013 versechsfacht. Durch pauschale Leistungen kam es 2017 zu zusätzlichen Verbesserungen. In § 16 dieses Gesetzes ergänzen und formulieren wir nun verbessert, dass Schadenspunkte, die die Bewertungsgrundlage sind, zukünftig nicht mehr aberkannt werden können. Das ist gemeinsam in wirklich guter Arbeit gelungen. ({0}) Nun wird kein Betroffener mehr seine Rente verlieren, die er von der Conterganstiftung erhält. Der für die jährliche Sonderzahlung vorgesehene Fonds soll aufgelöst und direkt an die Contergangeschädigten ausgezahlt werden. Da dem nun nichts mehr im Wege steht, wird die Auszahlung auf nächstes Jahr vorgezogen. Im Durchschnitt sollen es 15 000 Euro pro Person sein. Ich hoffe, dass jeder damit auch wirklich etwas Gutes für sich tun kann. Die niedrigen Zinsen schmälern derzeit auch bei der Conterganstiftung die Erträge. Deshalb soll der Kapitalstock von 6,5 Millionen Euro auf 1,5 Millionen Euro herabgesetzt werden. Die 5 Millionen Euro Differenz sollen nun für die Projektförderung eingesetzt werden. Ich bin zuversichtlich, dass der nächste Deutsche Bundestag und die Stiftung selbst hier Vorschläge entwickeln, welche Projekte angestoßen werden sollen. Ich möchte mich bei den Mitarbeitern der öffentlich-rechtlichen Stiftung bedanken. Es war zwar ein langer Weg, aber es ist eben wichtig, dass man mit den Betroffenen einvernehmlich zu guten Lösungen kommt. ({1}) Parallel zum Conterganskandal gibt es einen ähnlichen Fall, bei dem die Opfer in Deutschland ihre entsprechende Anerkennung und Entschädigung noch nicht erhalten; es handelt sich um die Fälle, in denen während der Schwangerschaft das Mittel Duogynon eingenommen wurde, was zu einem Schwangerschaftsabbruch oder Missbildungen führte. Die Opfer fordern berechtigterweise auch hier Aufklärung und Anerkennung durch die Verantwortlichen. Das Gesundheitsministerium will eine Untersuchung über die Rolle unserer Behörden bezüglich dieses Präparats durchführen. Das Bundesgesundheitsministerium hat auch mir persönlich in einem Brief versprochen, dass Ergebnisse dazu noch im Laufe dieses Jahres vorliegen werden, und ich danke Herrn Pilsinger, dass er sich auch darum kümmern wird. ({2}) Hier sehe ich zukünftig auch die Rolle des Deutschen Bundestages – neben der Verabschiedung von guten Gesetzen –: den Betroffenen zu helfen und bei entsprechenden Ergebnissen für den notwendigen Opferschutz und die Entschädigung zu sorgen. Herzlichen Dank. ({3})

Josef Oster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004845, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten zu später Stunde ein wichtiges Gesetz, und ich muss zugeben: Ich bin ein bisschen begeistert, wie groß das Interesse heute Abend an diesem Gesetz hier noch ist. Das ist aber durchaus angemessen. ({0}) Denn es geht um nicht weniger als darum, unseren guten alten Personalausweis aufs Smartphone zu bringen; wir digitalisieren also den Personalausweis. Ich bin im Vorfeld immer wieder einmal gefragt worden: Wer braucht denn um Gottes willen so etwas? Da kann ich nur sagen: Das brauchen wir sogar sehr dringend. Das wird ein ganz wichtiger Baustein bei der Digitalisierung unseres Landes sein. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir die Digitalisierung ganz konsequent weiter vorantreiben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Der digitale Perso, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wird sozusagen die Eintrittskarte für nahezu alle staatlichen Dienstleistungen werden. Behördengänge werden schon bald Geschichte sein. Und der E‑Perso wird auch Voraussetzung für unser Onlinezugangsgesetz sein. Wichtig ist der E‑Perso aber nicht nur für öffentliche Angebote, auch die Privatwirtschaft wartet dringend darauf. Eine sichere Identifikation ist in vielen Bereichen von allergrößtem Interesse. Banken, Versicherungen, Vermieter, Arbeitgeber, alle benötigen eben Klarheit, wer am anderen Ende der Leitung sitzt. Und genau hier liefern wir, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Das Angebot, das wir jetzt hier etablieren, soll sich natürlich möglichst schnell und umfassend verbreiten. Das wird nur gelingen, wenn das Angebot sicher ist und wenn es einfach zu nutzen ist. Genau diese beiden Ziele erreichen wir mit diesem Gesetzentwurf. Auch wenn es heute Abend spät geworden ist: Uns als Koalition war es wichtig, auf jeden Fall noch in dieser Wahlperiode den E‑Perso auf den Weg zu bringen, und genau das ist heute Abend dann auch einmal eine Nachtschicht wert. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür! ({3}) Ich will zum Schluss noch ein Wort zum automatisierten Lichtbildabruf sagen, den wir ja in diesem Gesetz mit regeln. Wir haben das hier wieder erleben dürfen: Immer, wenn es um Sicherheitsfragen geht, erleben wir sozusagen eine Empörungsautomatik, insbesondere bei den Grünen, und das war bei diesem Gesetz nicht anders. Heute Abend muss ich feststellen: Wenn es ein bisschen um Ausdauer geht, dann scheinen die Grünen nicht so gut aufgestellt zu sein; es ist ja kaum noch jemand da. ({4}) Aber gut, auf jeden Fall sind diese Bedenken hier völlig unbegründet. ({5}) Wir schaffen die Möglichkeit, dass die Polizei digitalisiert auch Lichtbilder abrufen kann und das nicht mehr per Fax machen muss; so etwas ist schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß. Und wir schaffen die Option für die Bundesländer, hier auch eine zentrale Lösung auf Bundesländerebene zu schaffen. Das ist allemal besser, als diese Aufgabe 5 500 einzelnen Meldebehörden zu überlassen, und es ist auch sicherer. Das ist keine Erfindung, die wir gemacht haben, sondern das war die Forderung der Bundesländer, insbesondere auch von Bundesländern, die nicht unter Unionsführung stehen. Von daher schaffen wir hier eine Option; die Länder können sie nutzen, müssen das aber nicht. Auch das ist eine gute und sinnvolle Regelung, meine Damen und Herren. ({6}) Abschließend ein herzliches Dankeschön für die gute Zusammenarbeit an das Innenministerium, Staatssekretär Krings und an meinen Berichterstatterkollegen Lindh, der nicht mehr da ist. Ich kann nur eines feststellen und versichern: Wir werden, meine sehr geehrten Damen und Herren, weiter Tempo bei der Digitalisierung machen. Genau deshalb sollten wir heute Abend diesem Gesetz zustimmen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Tobias Peterka. ({0})

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Es ist ja beeindruckend, welches Tempo die Bundesregierung vorlegen kann, wenn es in den Endspurt geht, und sei es dadurch, dass Sie es nicht einmal mehr für nötig erachten, bei Gesetzesverabschiedungen ihre Reden dazu zu halten. ({0}) Natürlich leisten Sie auch jetzt keine sinnvolle Arbeit für dieses Land, sondern arbeiten nach Schema F den Koalitionsvertrag ab. Irgendwas soll ja für den Wahlkampf dabei noch rausspringen. ({1}) Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist genau so ein dreister Fall, versteht sich. Es hört sich erst mal gut an: In Zukunft soll jeder mit ein paar Touchscreenwischern seine Behördengänge erledigen können. Das klingt toll, das klingt nach Zukunft – zumindest für Deutschland; denn andere Nationen sind uns schon Meilen voraus. ({2}) Aber Moment! Es gibt ja schon etwas bei uns, nämlich den E‑Ausweis mit Kartenleser. Kaum ein Bürger benutzt den. Warum? Ist er zu teuer? Nein, er ist überraschend günstig. Ist er schwer zu bedienen? Nein, kinderleicht. – Der Kartenleser wird nicht benutzt, weil kaum eine Behörde mitmacht. Es gibt keine Nachfrage, weil es kein Angebot dazu gibt. Was machen Sie nun? Noch mehr innovative Wege zur Steuergeldverschwendung schaffen – ganz toll! Die eingesparten Stunden, die Sie angeben, sind sehr teuer erkauft. Und die für den Bürger optionale Zurverfügungstellung von digitalen Behördendienstleistungen ist eine Mammutaufgabe an sich. Da trauen Sie sich aber nicht wirklich ran – deshalb hier so ein Ablenkungsmanöver. Oder steckt vielleicht doch etwas anderes dahinter? Digitaler Ausweis über das Handy – digitaler Impfausweis vielleicht ebenfalls? Wäre ja nur ein kleiner Schritt. Diesen Umstand muss man ganz kritisch im Auge behalten. Die bisherige Erfahrung mit dieser Regierung im Panikmodus verspricht einfach nichts Gutes bei solchen Dingen. ({3}) Verdächtig ist nämlich in dem Zusammenhang auch der sehr hohe Sicherheitsstandard – vielleicht als Vorbereitung für die sensiblen Gesundheitsdaten, die so etwas ja gerade erfordern würden? Sicherheit ist klar zu begrüßen, natürlich. Aber nennen Sie dann bitte Ross und Reiter bei der ganzen Geschichte! Den Sicherheitsstandard Ihres elektronischen Identitätsnachweises erfüllt nämlich zurzeit nur ein einziger Hersteller von Smartphones, mit einer einzigen Premiummodellreihe. Sie erwarten anscheinend, dass Konzerne ihre komplette Sicherheitsarchitektur umbauen und die Deutschen reihenweise teure High-End-Geräte kaufen, nur damit sie den digitalen Ausweis der Bundesregierung nutzen können. Tut mir leid, das bezweifle ich jeweils. ({4}) Wahrscheinlicher ist, dass es sich hier erneut um einen Rohrkrepierer handelt, wenn denn nicht gleich das Projekt Impfpass hinterhergeschickt wird, das dann die entsprechende Angst als Anreiz vielleicht liefern könnte. Bei all diesen Sicherheitsstandards bleibt auch die Frage, warum bei dem großartigen Projekt ausgerechnet die Persodaten an sich dauerhaft auf dem Smartphone hinterlegt werden sollen, wenn die Übertragung doch schon durch das Dranhalten des Ausweises stattfindet. Warum das Smartphone nicht zum Lesegerät – zu einem hundertprozentigen Lesegerät – machen, dessen App man mit einer einzigen PIN dann zunächst entsperrt? Nicht nur hätte dann jeder Vorgang eine zusätzliche Sicherheitsstufe, auch Identitätsdiebstahl würde massiv erschwert. Was Sie hier machen, ist nicht durchdacht. Kurz gesagt: Ihr Gesetz löst ein Problem, das es nicht gibt, und selbst das noch schlecht; da helfen auch die Änderungs- und Entschließungsanträge nichts. Wir lehnen ab. Als bloßer Perso ist dieses Projekt nicht durchdacht, als Vorstufe für den digitalen Impfpass übergriffig. Vielen Dank. ({5})

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Hat auch so gehalten. Wissen Sie, ich würde es verstehen, wenn Sie Ihre Reden nachts um drei zu Protokoll geben, aber nicht schon um zwölf. ({0}) Hier redet jetzt kein Einziger außer mir zu diesem Tagesordnungspunkt. Es geht immerhin um ein Gesetz. ({1}) Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Raus aus dieser EU, ({2}) Dexit jetzt, das ist nun ein Teil des Wahlprogramms der AfD. ({3}) Die Union der Bürokratie und des Sich-in-die-Tasche-Lügens hat versagt; sie hat es nicht vermocht, die EWG, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, sinnvoll weiterzuentwickeln. Eine Zusammenarbeit unabhängiger Staaten in Bereichen, die allen einen Mehrwert bringen, das wäre ja auch zu schön gewesen. Was heute Nacht hier beschlossen werden soll – die Verbesserung des Europäischen Strafregisterinformationssystems –, ist sinnvoll und bringt den Bürgern durchaus etwas. Aber das hätte auch unter freien Staaten auf Augenhöhe – in einer EWG – zustande gebracht werden können. ({4}) Das digitale ECRIS-System besteht schon seit einer Weile und ermöglicht die gegenseitige Abfrage von Vorstrafen und ähnlichen Eintragungen unter den Mitgliedstaaten. Komplettzugriff auf die nationalen Datenbanken ist ausgeschlossen. Gut so! Nun soll ECRIS-TCN hinzukommen. TCN steht hier für Third-Country Nationals, also Bürger von Drittstaaten und Staatenlose. Informationen zu Vorstrafen von Staatenlosen und Drittstaatlern werden also nun endlich erfasst. Sehr gut! Klar machen Verbrechen nicht an Grenzen halt. Und natürlich muss eine Erfassung effektiv sein, wenn plötzlich die halbe Welt auf unserem Kontinent Hallo sagen möchte und dies auch noch so hingenommen wird. In der Strafprozessordnung soll nun eine weitere Grundlage für die Erfassung und Übermittlung von Fingerabdrücken verankert werden. Sinnvoll! Dass die Bewährungshilfe im Bundeszentralregistergesetz nun quasi unbeschränkt auskunftsberechtigt wird, könnte man noch abstufen, ist aber auch vertretbar. Dass Grenzbehörden jetzt Suchvermerke und nicht zeugnispflichtige Angaben abfragen dürfen, ist hingegen ein überfälliger Schritt. Übrigens überrascht es nicht, dass die mit Abstand häufigsten Anfragen an das alte ECRIS bisher stets von deutschen Staatsanwaltschaften und sonstigen Stellen kamen. Bei uns halten sich nun mal die meisten EU-Bürger bzw. auch Drittstaatler und Staatenlose auf. Das an sich mag ja noch nichts bedeuten – wir sind ja auch das größte Land mit der größten Wirtschaft. Aber wir müssen offensichtlich auch mit Abstand am meisten die Vorstrafen dieser Personen abfragen. Warum? Weil wir ein Land sind, in dem es sich gut und gerne leben lässt, eben auch für Verbrecher aus Drittstaaten und Staatenlose. ({5}) Hoffentlich wird die neue TCN-Komponente nun etwas besser von den südeuropäischen Staaten bedient; denn bei ECRIS konnte Deutschland auch schon mal Monate auf die Auskunft warten, bis es dann irgendwann grün oder schwarz wurde. Geschlechtsneutrales Umschreiben von Gesetzen, wie hier stolz mit verkündet und eben umgesetzt, lehnen wir ohnehin freilich ab. ({6}) Gute Nacht. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Peterka. – Die Kollegen Esther Dilcher, Dr. Jürgen Martens, Petra Pau, Canan Bayram und Axel Müller geben ihre Reden zu Protokoll. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Es ist ein verheerendes Zeichen für den Stand dieses Landes, wenn Debatten, die bis 6 Uhr angesetzt worden sind, hier durchgepeitscht werden und Abgeordnete der AfD die einzigen Redner zu den Tagesordnungspunkten sind. ({0}) Das ist eine Katastrophe für den Parlamentarismus in diesem Land, für die Demokratie, und es ist eine Verhöhnung des deutschen Volkes. – Das einmal vorweggeschickt. ({1}) Es ist heute der 21. Mai, 0.36 Uhr. Dieser Tagesordnungspunkt war eigentlich erst für 4.40 Uhr angesetzt. Die Kollegen der Altparteien halten es wohl nicht für nötig, hier zu reden, geben die Reden zu Protokoll. ({2}) Mal sehen, ob die noch jemand sieht! Dieses Hohe Haus berät heute – es hat heute Morgen um 9 Uhr angefangen, jetzt ist es 0.36 Uhr, durchgehende Debatte – ({3}) über Gängelungen der Taxiunternehmer. Bundesfinanzminister Scholz will seine politische Karriere offensichtlich noch mal mit einem Ausrufezeichen beenden. Meine Damen und Herren, Taxameter und Wegstreckenzähler sind Messgeräte und keine Kassen; sie werden es auch nicht. ({4}) Deshalb unterliegen Taxameter und Wegstreckenzähler auch völlig zu Recht bislang nicht der Kassensicherungsverordnung. Mit dieser Verordnung sollen nun auch Taxameter bestimmte Informationen ausgeben können, bei Fahrtende einen Beleg, auf dem wesentliche Angaben wie Tarif, Fahrpreis, Zeitpunkt des Fahrtendes, Transaktionsnummer und Prüfwert enthalten sein sollen. Damit soll laut Begründung der Steuervollzug vereinfacht werden. Wenn Sie mich fragen, werden hierdurch bloß hochdotierte Stellen im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig geschaffen. ({5}) Von einem Stellenabbau an anderer Stelle, der ja denklogisch nun auch erfolgen müsste, weil der Steuervollzug ja angeblich vereinfacht werden soll, ist allerdings nirgendwo mehr die Rede. Für Beschäftigung in der öffentlichen Hand ist also weiterhin gesorgt. Parkscheinautomaten und Kassenautomaten in Parkhäusern sowie Ladesäulen von E-Autos sind aus dieser Kassensicherungsverordnung herausgenommen worden. Sie als Altparteien feiern sich dafür. Ich sage: Wie kommt so ein Schwachsinn überhaupt erst in einen Gesetzentwurf hinein? Der hat da überhaupt gar nichts verloren. ({6}) Auf der anderen Seite belasten Sie Taxiunternehmer mit völlig überflüssigem und unnötigem Umrüstungsaufwand. Hier verdienen die Softwareentwickler, die neue Projekte ausrollen können. Dazu sagen wir als AfD Nein. ({7}) Taxiunternehmer sind in der Regel Kleinunternehmer und werden hier weiter gegängelt. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Unternehmertum und freie Bürger in diesem Land politisch gar nicht mehr gewollt sind. Was Sie hier machen, ist destruktive Standortpolitik. Das mögen Sie als Deutschland-Abschaffer toll finden. Wir als AfD sagen: Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen. ({8}) Wir brauchen freie Bürger und ein freies Unternehmertum. Nur durch die Innovation und die Leistungsbereitschaft in diesem Land kommen wir weiter nach vorne. Auch die Belegausgabepflicht für Registrierkassen ist für uns nicht nachvollziehbar. Diese wurde eingeführt. Was hat es in der Praxis bewirkt? Es stapeln sich hinter den Kassen riesige Berge von Belegen, die ausgedruckt werden müssen, die die Kunden nicht mitnehmen, gerade für Kleinbeträge in Bäckereien; sie werden hinterher entsorgt. Wir sagen: Dafür haben wir kein Verständnis. Wir können hier Papier einsparen. Wir können etwas für den Umwelt- und Naturschutz tun. Lassen Sie uns diesen Unfug abschaffen. ({9}) Es wird ausgedruckt, gesammelt und vernichtet. Wenn die Kunden für Kleinbeträge Kassenbons wünschen, dann sollen sie diese ausgedruckt bekommen – aber nicht pauschal ausdrucken und vernichten. Ich wünsche Ihnen an dieser Stelle einen geruhsamen Schlaf. In wenigen Stunden treffen wir uns hier schon wieder. Und im Sinne dieses Antrages sage ich nur: Gute Nacht, Deutschland! ({10})