Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/7/2021

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts ein. Ich will an dieser Stelle gleich den Versuch unternehmen, dieses Gesetz in einen etwas größeren Zusammenhang zu stellen, weil wir jetzt zum Ende der Legislaturperiode schon eine ganze Reihe von Sicherheitsgesetzen auf den Weg oder sogar zum Abschluss gebracht haben. Das gilt beispielsweise für das IT‑Sicherheitsgesetz 2.0, das gilt beispielsweise für das Bundespolizeigesetz, das wir in parlamentarischer Beratung haben, und das gilt eben auch für das Verfassungsschutzgesetz. Durch das Verfassungsschutzgesetz schaffen wir am Ende der Legislaturperiode die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen dafür, wofür wir schon zu Beginn der Legislaturperiode einen enormen Personalaufwuchs im Bereich der Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste erreicht haben. Das ist schlüssige Politik für mehr innere Sicherheit in Deutschland. Das ist das Ergebnis der Arbeit der Großen Koalition. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die gesetzlichen Rahmenbedingungen zusammenfasst, wenn man sich die einzelnen Gesetze genauer anschaut, dann wird man darin eine Quintessenz finden. Es geht im Kern darum, wie wir es schaffen, die Möglichkeiten, die Fähigkeiten, die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden, die diese im analogen Bereich haben, im Rahmen der digitalen Transformation für die Zukunft zu erhalten, und wie wir verhindern, dass deren Instrumente an Bedeutung verlieren, dass sie letztlich unwirksam werden für die Arbeit der Sicherheitsbehörden und der Dienste. Wir wollen verhindern, dass unser Verfassungsschutz, dass unsere Sicherheitsbehörden blind und taub in der digitalen Welt werden. Deshalb machen wir das. ({1}) Heute ist es eben nicht mehr so, dass Extremisten und terroristische Gruppen über die klassische Sprachtelefonie miteinander kommunizieren. ({2}) Kommunikation findet anders statt. Das sind verschlüsselte Dienste, das sind Chatforen, das sind Messengerdienste wie Facebook oder Whatsapp. Es ist niemandem zu erklären, warum beispielsweise der Verfassungsschutz nach einem aufwendigen Verfahren mit hohen Hürden ein Handy auslesen darf, SMS-Nachrichten ausleiten darf, das aber bei Whatsapp-Nachrichten, wenn per Whatsapp kommuniziert wird, nicht erlaubt ist. Das ist doch wirklich niemandem zu erklären! Das ist deshalb niemandem zu erklären, weil es grober Unfug ist. ({3}) Dieses Problem lösen wir mit diesem Gesetz. Dieses Thema gehen wir an. ({4}) In der Politik geht es immer auch darum, das Bestmögliche zu erreichen, in diesem Falle das Bestmögliche für unsere Sicherheit. Ich will ganz klar sagen, dass wir, wenn unsere Fraktion hätte alleine entscheiden dürfen, an dieser Stelle weitergegangen wären. ({5}) Wir hätten uns dafür entschieden, die Onlinedurchsuchung zu ermöglichen. Es geht doch darum, dass wir für Sicherheit sorgen müssen und dass wir Instrumente brauchen, mit denen wir auch in der digitalen Welt tatsächlich praktizieren können. ({6}) Es gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Bundesland, das in seinem Verfassungsschutzgesetz das Instrument der Onlinedurchsuchung verankert hat, nämlich Bayern. In Bayern gibt es ganz praktische Fälle, an denen man sehen kann, dass durch die Möglichkeiten der Onlinedurchsuchung Anschlagspläne tatsächlich vereitelt werden konnten und Extremisten in Haft genommen werden konnten. Das ist ein gutes Beispiel. Das ist Best Practice. ({7}) Das würden wir gerne auch im Bundesverfassungsschutzgesetz verankern, wenn das möglich wäre. Meine sehr verehrten Damen und Herren, an ganz vielen schlimmen Ereignissen haben wir gesehen, dass wir es dem Verfassungsschutz ermöglichen müssen, auch Einzelpersonen stärker in die Beobachtung nehmen zu können. Wenn man die Anschläge auf Utoya oder in Christchurch, Halle oder Hanau analysiert, dann kann man feststellen, dass sich die Täter im stillen Kämmerlein radikalisiert haben, dass das Radikalisierungen Introvertierter waren. Da brauchen wir für den Verfassungsschutz die Möglichkeit, dass er denjenigen – das ist schwierig genug bei solchen Täterprofilen – durch das Beobachten von entsprechenden Foren und dergleichen tatsächlich auf die Spur kommen kann. Das ist notwendig, das brauchen wir, und dafür müssen wir dem Verfassungsschutz auch die Möglichkeiten geben. ({8}) Ich will an dieser Stelle noch sagen: Man hätte bei diesem Gesetz durchaus noch etwas mehr Mut aufbringen können. Wir dürfen, auch wenn wir über Themen wie Speicherung von Daten Minderjähriger sprechen, eines nicht vergessen: Es geht nicht um Fragen der Strafverfolgung, es geht um Gefahrenabwehr, es geht um die Sicherheit in unserem Land. Dafür muss das Notwendige getan werden. Dafür legen wir die Grundlage mit diesem Gesetz. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Jens Maier, AfD. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf stellt einen weiteren Schritt dar in Richtung Totalüberwachung der Gesellschaft. Was hier als angebliche Reaktion auf die aktuellen Ereignisse im Bereich des Rechtsterrorismus verkauft wird, ist der Vorwand dafür, auf einfachere Weise als bisher Einzelpersonen gezielt in den Blick zu nehmen. Das heißt auf Deutsch: Jedermann kann jetzt jenseits der Strafverfolgung auf einfachere Weise in die Überwachung durch den Verfassungsschutz gelangen. Wenn denn der Verfassungsschutz wenigstens das wäre, was er in seinem Namen vorgibt zu sein: eine Behörde, die die Verfassung, das heißt die freiheitlich-demokratische Grundordnung, schützt. Bis zum würdelosen Abgang von Hans-Georg Maaßen wird man das im Großen und Ganzen sogar noch bejahen können. Mittlerweile ist der Verfassungsschutz aber zu einem reinen Regierungsschutz heruntergekommen. Seine Tätigkeit besteht unter anderem darin, Oppositionspolitiker auszuspähen, Oppositionsparteien zu denunzieren und im Zusammenspiel mit den Medien Diffamierungskampagnen zu unterstützen. ({0}) Dabei werden auch Kriterien, die das Gesetz nicht vorsieht, erfunden, wie zum Beispiel die Erklärung einer Partei als Prüffall. Bei seinem ersten Auftritt als neuer Präsident des Bundesamtes hat Herr Haldenwang, der oberste Verfassungsschützer, doch gezeigt, wie er es mit der deutschen Rechtsordnung hält: legal, illegal, völlig egal – Hauptsache, der Dienstherr ist zufrieden, Herr Seehofer. Das Verwaltungsgericht Köln musste damals eingreifen und auf Antrag der AfD Herrn Haldenwang und den Seinen wegen dieser Rechtsverletzungen einen Maulkorb verpassen. Es zeigt sich, dass der Verfassungsschutz eben nicht neutral und unabhängig operiert, sondern in das Ressort des Bundesinnenministeriums eingegliedert ist und offenbar zu liefern bereit ist, was man sich dort wünscht, Herr Seehofer. ({1}) Wenn man ein über 1 000 Seiten langes Gutachten anfertigen muss, um eine Partei zu einem Verdachtsfall abstempeln zu können, dann – das muss ich als ehemaliger Richter sagen – ({2}) spricht eine Vermutung dafür, dass an dem Verdacht nicht viel dran ist; sonst bedürfte es dieses Umfangs nicht. Seitdem Herr Haldenwang das Bundesamt leitet, ist die Maske gefallen. Der Verfassungsschutz hat seine Legitimation, sein Ansehen eingebüßt und das in ihn gesetzte Vertrauen verspielt. Er ist zu einem Unterdrückungsinstrument verkommen. ({3}) Am Umgang mit den Querdenkern kann man das besonders deutlich erkennen. ({4}) Der Verfassungsschutz ist dabei, sich Schritt für Schritt in eine Richtung zu entwickeln, die wir in Deutschland, vor allem aber in der ehemaligen DDR schon mal hatten. Darum sagen wir von der AfD: Es bedarf einer grundlegenden Reform des Verfassungsschutzes und seiner Reduzierung auf eng begrenzte Kernaufgaben. Es muss Schluss damit sein, dass sich der Verfassungsschutz politisch inszeniert. Es muss Schluss damit sein, dass der Verfassungsschutz das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht und aus Gründen politischer Gefälligkeit den Ruf anständiger Leute zerstört oder gefährdet. ({5}) Solange die Dinge so sind, wie sie sind, kann man einem Gesetzentwurf wie diesen, der weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz vorsieht, nicht befürworten. ({6}) Das erlaubte Auslesen von Messengerdiensten über die sogenannte Quellen-TKÜ bedeutet für den Bürger, der Whatsapp oder Ähnliches nutzt, dass nun der Verfassungsschutz mitlesen kann und bestenfalls auch darf. Die Telekommunikationsanbieter müssen sogar dafür sorgen, dass die Dienste ihre Überwachungsgeräte direkt neben ihren Servern anschließen können. Dabei ist die Grenze hin zur Onlinedurchsuchung von Smartphones und Computern fließend. Denn in der geplanten Änderung des § 11 des Artikel‑10-Gesetzes ist vorgesehen, dass nicht nur die laufende Kommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, sondern auch die Inhalte der Kommunikation, die ab dem Zeitpunkt der Anordnung hätten aufgezeichnet werden können, aber nicht aufgezeichnet worden sind. Das ist nichts anderes als ein Auslesen von Nachrichten, die in der Vergangenheit liegen, aber gespeichert worden sind. Das ist im Ergebnis nicht nur eine Quellen-TKÜ, sondern bereits eine Onlinedurchsuchung. Das halten wir für unverhältnismäßig. Daher lehnen wir es ab. Im Ausschuss wird hier noch einiges zu diskutieren sein. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Uli Grötsch, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In gewisser Weise kann ich an die Worte meines Vorredners anknüpfen und sagen: Noch nie war das Bundesamt für Verfassungsschutz mehr ein Frühwarnsystem für extremistische Bestrebungen als heute. Wie wichtig das ist, haben wir eben gehört bzw. anhand der Ausführungen meines Vorredners festgestellt. ({0}) Insbesondere die jüngste Entscheidung zur Beobachtung von Teilen der Querdenkerbewegung zeigt, dass die Behörde schnell auf neue Formen des Extremismus reagiert und meiner Meinung nach auch reagieren können muss. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist inzwischen top aufgestellt. Es hat nicht nur Islamismus und Linksextremismus, sondern eben vor allem Rechtsextremismus auf dem Radar. Es richtet seinen Blick nicht nur nach draußen, sondern auch in die Sicherheitsbehörden, um Verfassungsfeinde aufzuspüren. Das unterstützen wir als SPD ganz ausdrücklich. ({1}) Das zeigt mir auch, dass diese Behörde auf der Höhe der Zeit ist und aktuelle Herausforderungen fest im Blick hat. Sie genießt daher – das sage ich ganz ausdrücklich – mein Vertrauen, und zwar heute stärker, als es in der Vergangenheit der Fall war. ({2}) Das oberste Ziel der vorliegenden Novelle des Verfassungsschutzrechts ist die Bekämpfung des Rechtsterrorismus. Das steht gleich im ersten Satz. Dass Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus die größte Bedrohung für unsere Demokratie sind, hat der Bundesinnenminister erst diese Woche bei der Vorstellung der Statistik bezüglich politisch motivierter Straftaten in 2020 wiederholt. Herr Seehofer, für diese Vehemenz danke ich Ihnen. Ich hoffe sehr, dass das auch in Ihre Parteienfamilie hineinwirkt. ({3}) Deshalb ist es richtig, dass wir das Bundesverfassungsschutzgesetz an die jüngsten rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau oder in Christchurch, auf Utoya und anderswo anpassen, sodass die Verfassungsschützer auch gezielt Einzelpersonen im Vorfeld besser in den Blick nehmen können. Bislang war das Gesetz eher auf extremistische Gruppierungen ausgerichtet und nicht darauf, dass sich Einzelpersonen im stillen Kämmerlein radikalisieren. Das wollen wir mit diesem Gesetzentwurf ändern. Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss aber auch technisch auf die Höhe der Zeit kommen. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb maßvolle Befugniserweiterungen vereinbart; auch diese sind in diesem Gesetzentwurf enthalten. Dabei geht es um die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung, das heißt das Auslesen von Kommunikation etwa auf Smartphones; wir haben das schon gehört. ({4}) Es ist nun mal so – und das ist ja auch nicht neu –, dass Extremisten und Terroristen nicht per SMS oder Telefon, sondern eben per Messenger auf ihrem Smartphone kommunizieren. Ganz wichtig ist bei all dem, was in diesem Zusammenhang in diesem Gesetzentwurf steht: Es darf eben nur überwacht werden, was auch im öffentlichen Telekommunikationsnetz hätte überwacht werden können. Das halte ich für einen ganz, ganz wichtigen Punkt. ({5}) Ich weiß, das ist umstritten. Die Argumente reichen von: „Wir brauchen keinen Verfassungsschutz“, bis hin zu: Warum geben wir unseren Nachrichtendiensten nicht alles, was technisch möglich ist, also eine Art Blankoscheck? Dass diese Maßnahme aber nicht bei unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern eingesetzt wird, sondern bei Extremisten und Terroristen, von denen eine erhebliche, schwerwiegende Gefahr für unser Land ausgeht, wird in der Debatte manchmal verzerrt dargestellt, auch in dieser wieder, liebe Kolleginnen und Kollegen. Außerdem ist das jetzt auch kein Instrument – das ist ja auch ein wichtiger Punkt –, das massenhaft zum Einsatz kommt, sondern eines, das sehr maßvoll angewendet werden wird. Ja, das Auslesen von Kommunikation, auch aus Messengerdiensten, ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, der nur unter ganz engen Voraussetzungen und erst nach Prüfung und Anordnung vollzogen werden darf. Aber wir können von unseren Verfassungsschützern nicht erwarten, mit Instrumenten aus der Vergangenheit Anschläge in der Zukunft zu verhindern. Wer ein Frühwarnsystem will, der muss das Werkzeug mitliefern, und das wird den Verfassungsschutz als demokratisches Frühwarnsystem stärken. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten beschließen übrigens am Wochenende bei unserem Parteitag ganz ausdrücklich, dass wir den Verfassungsschutz als ein Frühwarnsystem in unserer Demokratie sehen, und wir machen damit deutlich, dass die SPD für Maß und Mitte steht. Das ist unser Auftrag, liebe Genossinnen und Genossen. ({6}) Wir erweitern mit Augenmaß und flankieren mit parlamentarischer Kontrolle. ({7}) So schaffen wir mit diesem Gesetz gleichzeitig die Voraussetzung für eine bessere und effektivere Kontrolle der TKÜ-Maßnahmen, zum Beispiel durch mehr Mitglieder in der G‑10-Kommission und zusätzlichen technischen Sachverstand. Hier bin ich übrigens der Meinung, dass wir auch den juristischen Sachverstand in der G‑10-Kommission noch ausbauen sollten; denn es kommt ja auch mehr Arbeit auf die G‑10-Kommission zu. Wir setzen hier die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um. Mehr Aufklärungsbefugnisse sollen mit mehr Kontrolle einhergehen. Das haben wir im März bei der BND-Novelle so gemacht, und ich bin froh, dass gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ein neues Kontrollregime für die Auslandsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes gerade sehr fruchtbar im Aufbau ist. Das gehört sich in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat so, und das unterscheidet uns wohltuend von der Mehrheit aller Länder der Welt. Maß und Mitte gilt für uns auch in Bezug – das sei noch erwähnt – auf die Reform des Bundespolizeirechts, die wir auch bald beschließen wollen: keine Onlinedurchsuchung und auch keine automatische Gesichtserkennung, keine Taser für die Bundespolizei, und die Quellen-TKÜ beschränken wir nur auf den Bereich Menschenhandel. ({8}) Das ist Maß und Mitte, und dafür steht die SPD. ({9}) Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gilt es immer, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu halten. Wegen dieser Balance war und ist die SPD der Meinung, dass wir die Befugnisse zur Quellen-TKÜ erst mal nur auf das Bundesamt für Verfassungsschutz hätten beschränken sollen. Das sieht der Bundesinnenminister, und das sieht unser Koalitionspartner anders, und jetzt bekommen eben auch die anderen beiden Nachrichtendienste diese Befugnisse. „Mehr ist mehr“, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ist meiner Meinung nach nicht immer das richtige Motto. ({10}) Aber einer Koalition ist das Prinzip des Kompromisses inhärent. Deshalb tragen wir das an dieser Stelle natürlich mit. Gleichzeitig sage ich aber für meine Partei – und damit komme ich zum Schluss –: Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode ein dauerhaftes, regelmäßiges und unabhängiges Monitoring unserer Sicherheitsgesetze und damit auch der Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Ich bin mir sicher: Auch in der Expertenanhörung zu diesem Gesetzentwurf in der nächsten Sitzungswoche wird es dazu noch Input geben. Darauf freue ich mich und auch auf die parlamentarischen Beratungen. Vielen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Benjamin Strasser, FDP, hat jetzt das Wort. ({0})

Benjamin Strasser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Genossinnen und Genossen! ({0}) Eines muss man dieser Großen Koalition ja lassen: Die Seehofer-Doktrin wird konsequent umgesetzt: Alle dürfen alles! Und Sie lassen dabei auch vollkommen außer Acht, dass Verfassungsschutz, Nachrichtendienste auf der einen Seite und Polizei auf der anderen Seite ganz unterschiedliche Aufgaben haben ({1}) und dass es in Deutschland so etwas wie ein Trennungsgebot gibt. Man steht wirklich fassungslos neben dieser Großen Koalition. ({2}) Herr Minister Seehofer, Herr Frei, ob Sie es glauben oder nicht: Jeder in diesem Haus will, dass bei Gefährdern und bei Terroristen Chats überwacht werden. Nur die Antwort auf die Frage, wie das denn technisch gehen soll, die lassen Sie seit Jahren offen. ({3}) Sie verschweigen den Leuten in diesem Land, dass eine „Quellen-TKÜ plus“ mit einem Staatstrojaner nur dann geht, wenn Sicherheitslücken bei allen Geräten aller Deutschen offen gelassen werden. Das verursacht nicht nur einen Milliardenschaden für die Wirtschaft in Deutschland; es ist quasi eine Einladung für Cyberkriminelle und für ausländische Nachrichtendienste. Ihre Politik ist ein Sicherheitsrisiko für Deutschland. ({4}) Und da machen wir doch mal den Praxistest – auch dazu, Herr Frei, habe ich heute nichts gehört –: Wo hätte denn bei den Anschlägen auf dem Breitscheidplatz, von Halle und von Hanau oder bei dem Mord an Walter Lübcke die Quellen-TKÜ diese Taten verhindert? Nirgends, nirgends! Im Gegenteil: Der Attentäter des Breitscheidplatzes hat über verschlüsselte Telegram-Chats kommuniziert. Die Sicherheitsbehörden hatten im Vorfeld diese Chats und haben sie erst nach dem Anschlag ausgewertet. Das zeigt das ganze Dilemma Ihrer Sicherheitspolitik. ({5}) Sie haben vor lauter Überwachungsdiskussionsorgien den Blick für das Wesentliche verloren. Und dabei gäbe es nach 16 Jahren unionsgeführter Innenpolitik durchaus große Baustellen. Wo ist denn die konsequente digitale Ausstattung in den Sicherheitsbehörden? Wo wird denn künstliche Intelligenz genutzt, um große Datenmengen auszuwerten? Wo ist denn die Überwachungsgesamtrechnung, die das Bundesverfassungsgericht fordert? Nicht nur gilt „Alles dürfen alle“, sondern bei Herrn Seehofer gilt auch: „Alle machen alles“. Wir haben zu viele Sicherheitsbehörden in Deutschland, die oftmals zu klein sind, um diese neuen Aufgaben anzugehen. Und deswegen braucht es eine Föderalismuskommission III, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) In den letzten vier Jahren ist aus der Großen Koalition eine müde Koalition geworden. Ihnen fehlen der Mut und die Kraft, diese Aufgaben anzugehen. Deswegen braucht es im Herbst einen Neustart in der Innen- und Sicherheitspolitik. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erhält das Wort der Kollege Dr. André Hahn, Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutschen Geheimdienste sollen neue, weitreichende Schnüffelbefugnisse erhalten. Dem fortwährenden Drängen aus dem Hause Seehofer zu erweiterten geheimdienstlichen Befugnissen hatte sich das SPD-geführte Bundesjustizministerium bereits im Herbst letzten Jahres zunächst inhaltlich gebeugt. Nun wurden laut Presseberichten letzte rein machtpolitische Widerstände innerhalb der SPD-Fraktion in einem Tauschhandel gegen das bis dato von der Union blockierte Unternehmensstrafrecht aufgegeben. Selbst Kanzlerkandidat Scholz soll persönlich in den Deal involviert gewesen sein, obwohl er von Geheimdiensten nun wahrlich keine Ahnung hat. Fakt ist: Es handelt sich um einen schlechten Tauschhandel zulasten der Bürgerrechte in diesem Land. Lieber Genosse Grötsch, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, wenigstens in diesem Punkt hätten Sie doch einmal auf Ihre Parteivorsitzende hören sollen. Mit dem Gesetz sollen das Bundesamt für Verfassungsschutz, aber auch die Verfassungsschutzämter der Länder sowie der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst zum Einsatz der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung, kurz TKÜ, ermächtigt werden. Anbieter von Kommunikationsdiensten müssen künftig nach einer entsprechenden Anordnung den vollständigen Datenstrom eines Betroffenen auf die Überwachungssysteme der Geheimdienste umleiten. Über einen Trojaner werden dann dessen digitale Endgeräte infiltriert, um anschließend heimlich darauf zugreifen und eigentlich verschlüsselte WhatsApp-Nachrichten oder Nachrichten anderer Messengerdienste direkt an der Quelle unverschlüsselt auslesen zu können. Das ist nicht nur aus Sicht der Linken ein schwerwiegender und völlig unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff. ({0}) Eine trennscharfe Abgrenzung zu Maßnahmen der sogenannten Onlinedurchsuchung, für die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes sehr strenge Auflagen bestehen, ist nicht möglich. Für beide Maßnahmen – der Kollege der FDP hat es eben gesagt – müssen Sicherheitslücken in den IT-Systemen genutzt werden, und niemand kann kontrollieren, dass die Grenze zwischen beiden eingehalten wird. Wer entscheidet eigentlich, was eine schwere Bedrohung für den Rechtsstaat darstellt, bei der die Quellen-TKÜ künftig zum Einsatz kommen soll? Zugleich wird die digitale Sicherheitsarchitektur aller Bürgerinnen und Bürger untergraben, indem staatliche Akteure Sicherheitslücken, anstatt diese zu schließen, ähnlich wie kriminelle Angreifer nutzen. Die Geheimdienste brauchen aus unserer Sicht keine zusätzlichen Befugnisse, sondern klare Grenzen für die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern und auch von Institutionen. ({1}) Deren Einhaltung muss auch durch parlamentarische Gremien wirksam kontrolliert werden. Das ist jetzt schon schwierig. Demnächst wird es nahezu unmöglich. Der Verfassungsschutz hat beim Thema NSU, beim Umgang mit den V‑Leuten oder in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nicht in Ermangelung von nachrichtendienstlichen Mitteln versagt, sondern aus systemischen Gründen. Er benötigt daher keine Quellen-TKÜ, sondern gehört in der jetzigen Form aufgelöst. Der vorliegende Gesetzentwurf sollte möglichst der Diskontinuität unterfallen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Freundinnen und Freunde! Der Verfassungsschutz ist dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet. Und die Bandbreite der Angriffe in dieser Zeit ist groß: von Fantasien über den Tag X bis zum Sturm auf den Reichstag, von Desinformationskampagnen bis zu IT‑Angriffen auf unsere Verfassungsorgane. Deswegen: Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist für unseren wehrhaften Rechtsstaat von herausragender Bedeutung, meine Damen und Herren. ({0}) Aber gerade weil das Bundesamt eine so wichtige und sensible Arbeit leistet, ist es zentral, dass es nach klarsten rechtlichen Vorgaben agiert, streng kontrolliert wird und Vertrauen genießt. Leider wurde jedoch genau dieses Vertrauen immer wieder durch den Umgang mit handfesten Skandalen massiv erschüttert. Auch die parlamentarische Kontrolle ist noch immer bei weitem nicht da, wo sie sein müsste. Die jetzige Hausspitze der Behörde leistet engagiert und glaubhaft ihren Teil und leitet überfällige Kurskorrekturen ein; das ist so. Das Agieren der Fach- und Rechtsaufsicht des BMI hingegen, Herr Seehofer, überzeugt nicht. Statt Rechtssicherheit auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhöhen, legen Sie dem BfV mit der Quellen-TKÜ gleich das nächste offen verfassungswidrige Ei ins Nest. Herr Kollege Frei, BKA und GBA haben kein einziges Mal die Quellen-TKÜ zum Einsatz gebracht – nicht ein einziges Mal! –, weil die Rechtsunsicherheit so groß ist. Wer das verschweigt, der baut hier einen Popanz auf, Herr Kollege. ({1}) Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen. Deshalb brauchen wir eine umfassende Reform des Verfassungsschutzes des Bundes und der Länder. Unsere Vorschläge dazu liegen lange vor. Statt des dringend notwendigen großen Wurfes legen Sie hier wieder den allerkleinsten gemeinsamen Nenner vor, auf dem diese GroKo noch agiert: ein bisschen mehr G-10-Kontrolle – mehr nicht. Das ist mangelhaft und unzulänglich; denn wir brauchen eine stärkere, besser ausgestattete Kontrolle des G-10-Bereichs durch einen weiteren Spruchkörper im Unabhängigen Kontrollrat. Und wir brauchen zwingend eine effiziente Kontrolle des völlig wildwüchsigen Einsatzes von V Personen, meine Damen und Herren. Der ganze Bereich ist Kraut und Rüben. Das ist eine Wurzel allen Übels: von den bis heute bestehenden Unklarheiten bei der Rote-Armee-Fraktion über den NSU bis zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Die faktisch nicht existente Kontrolle in diesem Bereich sowohl bei der Fach- und Rechtsaufsicht als auch aufseiten des Parlaments ist ein Sicherheitsrisiko ersten Ranges, meine Damen und Herren. ({2}) In allen Sachverständigenanhörungen der letzten Jahre und Monate war man sich einig: Das Nachrichtendienstrecht gehört grundlegend reformiert. SPD und Union sind dazu offenkundig nicht mehr in der Lage. Sie haben völlig abgewirtschaftet, auch innenpolitisch. Das ist schade. Ganz herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erhält das Wort der Kollege Alexander Throm, CDU/CSU. ({0})

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nicht erst seit dem Bericht des Innenministers in dieser Woche wissen wir, dass die politisch motivierte Kriminalität in nahezu allen Bereichen zunimmt. Wir haben eine nach wie vor hohe Gefährdungslage, und da brauchen wir unsere Sicherheitsorganisationen, da brauchen wir insbesondere den Verfassungsschutz. Wir stärken heute mit diesem Gesetz den Verfassungsschutz. Aber ich will auch gleich sagen, Herr Kollege von Notz: Ja, wir hätten uns als CDU/CSU mehr in diesem Gesetz gewünscht; beispielsweise die Onlinedurchsuchung. ({0}) Das war in der Großen Koalition mit der SPD, mit den Genossinnen und Genossen, leider nicht möglich. Aber, Herr Kollege von Notz, Sie haben ja heute quasi angekündigt, dass Sie noch nicht einmal bereit sind, diesem kleinsten gemeinsamen Nenner zuzustimmen, ({1}) und deswegen sind Sie ein Teil dieses Sicherheitsrisikos, wenn es darauf ankommt. ({2}) Der Redner von der AfD hat von Totalüberwachung gesprochen und die Quellen-TKÜ plus angesprochen, also die Frage, ob die in dem Zeitraum zwischen Anordnung und Installation der Maßnahme anfallenden Daten auch noch ausgelesen werden dürfen. Das ist die Kritik, die ich auch von der FDP und von den Grünen immer wahrnehme. Sie sollten sich mal überlegen, mit wem Sie hier gemeinsame Sache machen. ({3}) Das sind diejenigen, die wir nämlich gegebenenfalls auch durch den Verfassungsschutz beobachten müssen. Das fordern gerade die Grünen. ({4}) Aber in der Sache werfen Sie sich vor diejenigen hin, die betroffen sind, Herr Kollege von Notz. ({5}) Ein letzter Punkt. Ich bin Mitglied des Untersuchungsausschusses Breitscheidplatz, der Kollege Strasser und der Kollege von Notz ebenso. Wir fragen intensiv, ({6}) wir beklagen auch, warum es damals nicht möglich war, diesen schrecklichen Terroranschlag zu verhindern. Der Kollege Strasser ist derjenige, der Zeugen von unseren Sicherheitsbehörden immer nach dem Motto fragt: Hätte, wäre, wenn. Was wäre passiert, wenn? – Alles okay. Das ist unsere Aufgabe als Parlament. Aber diejenigen, die dort das große Wort führen, sind diejenigen, die sich dann, wenn es um die Konsequenzen daraus geht, verweigern. ({7}) Sie haben die Telegram-Chats angesprochen. Ja, die haben wir aber nur durch ausländische Geheimdienste bekommen. Sie sind zwar bereit, diese Erkenntnisse anzunehmen, ({8}) aber geben unseren Sicherheitsbehörden nicht die Möglichkeit, so etwas selbst zu ermitteln. ({9}) Keiner von uns, Herr Kollege Strasser, weiß, wie, wann und von wem eventuell der nächste Terroranschlag vorbereitet wird. Und keiner von uns weiß, ob bei der Verhinderung die Quellen-TKÜ eine entscheidende Rolle spielen kann. ({10}) Deswegen: Wenn Sie es ernst meinen mit der Terrorverhinderung, dann müssen Sie auch der Quellen-TKÜ zustimmen. Sonst sind Grüne, FDP, Linke und AfD ein Sicherheitsrisiko. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU, ist der voraussichtlich letzte Redner in dieser Debatte. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, dass uns nach dieser Debatte zwei Dinge einen müssen: zum einen, dass diese freiheitlich-demokratische Grundordnung geschützt werden muss vor den Feinden der Freiheit, und zum anderen, dass wir neuartige Bedrohungen haben und ein Rechtsstaat sich dieser Bedrohungen auch im Vorfeld annehmen muss, damit er wehrhaft bleibt. Wir haben mit den Anschlägen in Hanau, Halle und auch auf dem Breitscheidplatz gesehen, dass Täter sich auf der einen Seite heimlich radikalisieren, ohne in ein Netzwerk eingebunden zu sein, oder auf der anderen Seite konspirativ in einem Netzwerk an Anschlägen arbeiten, aber eben nicht mehr klassische Kommunikationskanäle benutzen, sondern in verschlüsselte Chats ausweichen. Darauf muss der Rechtsstaat eine kraftvolle Antwort geben, meine Damen und Herren. Es kann doch nicht sein, dass der Verfassungsschutz im Vorfeld bei einer drohenden Gefahr, bei Bestrebungen, die verfassungsmäßige Ordnung anzugreifen, Telefongespräche abhören darf, aber wenn dann über Telegram oder WhatsApp eine Anschlagsplanung erfolgt, dem Rechtsstaat die Hände gebunden sein sollen. ({0}) Das ist doch die entscheidende Lücke, die wir schließen müssen, meine Damen und Herren. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Strasser?

Benjamin Strasser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Ullrich. – Sie sind jetzt der dritte Unionsredner, der den uns einenden Konsens, dass wir bei Gefährdern und Terroristen die Kommunikation überwachen wollen, vorträgt. Deswegen die Frage an Sie: Wie stellen Sie es technisch sicher, dass mit einem Staatstrojaner ausschließlich auf Geräte von diesen Personen zugegriffen werden kann und nicht auf Geräte von allen anderen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern? Wie stellen Sie das technisch sicher? ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, da empfehle ich einen Blick in das Gesetz, das wir dem Bundestag jetzt vorgelegt haben. Wir wollen durch eine Verpflichtung bei den Telekommunikationsunternehmen sicherstellen, dass genau nur die Verbindungsdaten und Inhalte im Rahmen der Quellen-TKÜ weitergeleitet werden können, die den jeweiligen Gefährder betreffen. Das ist das eine. Und das Zweite ist – was hier bislang verschwiegen worden ist –: Es gibt eine starke präventive rechtsstaatliche Kontrolle. Die Anordnung der Quellen-TKÜ ist nämlich nur möglich, wenn die G 10-Kommission Ja sagt. ({0}) Das ist ein wichtiger rechtsstaatlicher Schritt. Der ist von vielen hier – ich glaube, aus ganz taktischen Grünen – verschwiegen worden. Aber ich kann Ihnen versichern: Diese technische Voraussetzung wird sichergestellt, und obendrein wird auch noch die rechtsstaatliche Frage beachtet, dass nur der überwacht werden kann, der tatsächlich eine Gefahr darstellt, und niemand anderer. ({1}) Wir wollen des Weiteren auch einen stärkeren Blick werfen auf Einzelpersonen, die sich radikalisieren. Bislang geht das nach dem Verfassungsschutzrecht nur, wenn diese Einzelpersonen eingebunden sind in ein Netzwerk oder Gewaltbereitschaft deutlich nach außen getragen haben. Aber das wird den vielfältigen Konstellationen nicht gerecht, wo jemand zu Hause sitzt, möglicherweise Manifeste verfasst und sich damit selbst radikalisiert. Hier muss der Rechtsstaat eine Antwort geben. Das tut er, indem gefährliche Einzelpersonen im Einzelfall stärker in den Blick genommen werden. Und ein letzter Punkt ist uns wichtig, nämlich dass der Datenaustausch, dass der Verbund der Verfassungsschutzbehörden stärker wird. Deswegen soll auch der MAD, der Militärische Abschirmdienst, zukünftig stärker in den Verfassungsschutzverbund integriert werden, damit dieser Verbund insgesamt durch den Datenaustausch stärker wird und Bedrohungen für die Freiheit frühzeitig erkannt werden können. Entscheidend ist – und das ist der Sinn und Zweck dieses Gesetzes –, dass der Rechtsstaat im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und durch geordnete Verfahren auf Bedrohungen reagiert, diese Bedrohungen abstellt und damit Bürgerinnen und Bürger schützt. Das ist unser Auftrag. Daran lassen Sie uns arbeiten. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den Stadtentwicklungsbericht 2020. Dieser Bericht zeichnet ein Bild unserer Kommunen und zeigt den Beitrag auf, den wir als Bund für eine positive Entwicklung unserer Kommunen leisten. Wir haben viele Förderprogramme aufgelegt. Eines davon feiert dieses Jahr den 50. Geburtstag, die Städtebauförderung. Dieses Programm haben wir in diesem Jahr neu strukturiert und neu entwickelt. Ich möchte mich in meiner Rede heute auf das Thema „Grün in der Stadt“ und den Klimaschutz beziehen, der ist nämlich in all den Programmteilen neu verankert worden. Ja, wir leben in einer Zeit, in der es viel Nachverdichtung gibt. Städte sind verdichtete Räume. Viele Menschen leben, wohnen und arbeiten auf engstem Raum. Genau das ist das Wesen einer Stadt. Grün wurde es in früheren Zeiten erst weit vor den Toren der Stadt. Aber das Idealbild einer Stadt ist in ständigem Wandel, und so gehört heute zum Idealbild der Stadt auch das Grün. Warum ist es heute so wichtig, dass Städte grün sind? Grünflächen, egal ob sie horizontal oder vertikal sind, ob sie am Boden, auf den Fassaden oder auf den Dächern sind, dienen dem Klimaschutz und der Klimaresilienz der Städte. Sie können helfen, die CO2-Bilanz zu verbessern. Natürlich helfen sie auch, die Folgen des Klimawandels für die Kommunen ein bisschen zu reduzieren. Sie sind Frischluftschneisen, sie speichern das Regenwasser, sie sind Temperaturregulatoren, und sie binden Staub und auch Luftschadstoffe. Aber die Funktionen der kommunalen Grünflächen erschöpfen sich nicht in der Klimakomponente. Sie sind auch Naherholungsgebiete und Bewegungsraum für Jung und Alt. Sie haben soziale Funktionen: Man trifft sich auf den Grünflächen in einer Stadt. Sie sind – man kann es so sagen – ein positiver Beitrag zur Gestaltung unserer Städte und Gemeinden geworden. All diese Aufgaben können unsere Grünflächen aber nur erfüllen, wenn sie nicht als Restflächen oder sogar als Kostentreiber gesehen werden, sondern als ein ganz wesentlicher Bestandteil einer modernen und vitalen Großstadt gesehen werden. Sie stehen deswegen auch nicht beliebig für andere Zwecke zur Verfügung. Sie müssen kontinuierlich geschützt und gepflegt werden. Das ist zum Glück mittlerweile Konsens bei allen Städten. Aber damit nicht genug. Wir müssen weitere Flächen für mehr Grün in unseren Städten ausbilden. Wenn wir Stadtentwicklung in Zukunft betreiben, dann müssen wir auch immer Grünentwicklung mit betreiben, ({0}) genauso wie wir an Schulen denken, an Wege denken und auch an die Nahversorgung immer denken, wenn wir an Stadtentwicklung denken. Das ist also kein Nice-to-have, sondern das ist ein wichtiger Bestandteil für gute Aufenthaltsqualität in unseren Städten und für ein gesundes Stadtklima. Genau darum geht es auch in dem vorliegenden Bericht. Ja, Kommunen können dabei sogar ein Alleinstellungsmerkmal erlangen. In meiner Heimatstadt Andernach haben wir die „Essbare Stadt“ gegründet, das heißt, auf öffentlichen Flächen, bei uns an der Stadtmauer wird Obst und Gemüse angepflanzt. Das wertet die Flächen auf. Es schafft auch neue soziale Kontakträume. Aber was viel interessanter ist: Das hat viele Touristen angezogen, und uns als Bewohner der Stadt hat es versöhnt und ein bisschen mehr stolz gemacht auf unsere eigene Heimatstadt. Dafür hat der Bund die Rahmenbedingungen geschaffen und auch hohe Fördermittel bereitgestellt. Ich bin stolz dadrauf, dass wir das getan haben. An dieser Stelle und als letzten Punkt möchte ich ein Dankeschön an die Bundesregierung und allen voran unseren Minister Horst Seehofer richten dafür, dass er immer vorangegangen ist und uns unterstützt hat. Ich gehe davon aus, dass die Zusammenarbeit mit dem Ministerium auch in Zukunft eine gute sein wird. Ich hoffe es zumindest; unter welchen Voraussetzungen auch immer. Danke schön. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Wilhelm von Gottberg, AfD. ({0})

Wilhelm Gottberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004730, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Herr Minister Seehofer! Meine Damen und Herren! Wir wollen hier und heute den vorgelegten Bericht zur Stadtentwicklung erörtern. Der Bericht ist ein Konvolut von 156 Seiten. Er ist eine Fleißarbeit. Aber wie soll ein derartig umfangreicher Bericht in wenigen Minuten Redezeit, die der Opposition zur Verfügung stehen, sachgerecht bewertet werden? Wir praktizieren hier parlamentarisches Alltagsgeschehen in eingefahrenen Gleisen. Eine verantwortungsbewusste Arbeit der Legislative geht anders, meine Damen und Herren. ({0}) Der Bericht enthält wesentliche Fakten und wissenswerte Informationen, aber auch Unwesentliches und Überflüssiges; was dem Bericht einen unnötigen Umfang gibt. Beispiele: Das Abkürzungsverzeichnis umfasst drei Seiten. Der Bericht enthält überdurchschnittlich viele Abbildungs- und Kartenverzeichnisse. Was soll beispielsweise ein Schaubild über die Antragsbestätigung für das Baukindergeld im Bericht? Wichtig und überraschend ist andererseits die Aussage im Bericht, dass die Bundesregierung Projekte der nachhaltigen Stadtentwicklung im sogenannten Globalen Süden mit mehr als 22 Milliarden Euro fördert. Das ist bemerkenswert. Die künftigen Vorgaben für die Stadtentwicklung in der EU sind in der Neuen Leipzig-Charta formuliert. Diese Charta wurde am 30. November von den zuständigen Ressortchefs der EU fortgeschrieben. Es ist zumindest zu hinterfragen, ob eine Stadtentwicklung in den ländlichen Regionen Nord- und Südeuropas nicht andere Schwerpunkte zu setzen hat, als dies im hochverdichteten Industriestaat Deutschland der Fall ist. Im Bericht auf Seite 148 heißt es in Bezug auf die Stadtentwicklung, dass sich die Rahmenbedingungen sowie die stadtpolitischen Herausforderungen seit 2007 deutlich gewandelt haben. Stichworte dazu: Klimawandel, Digitalisierung, demografischer Wandel, Globalisierung und verstärkte soziale Disparitäten. – Richtig, aber es ist eine jahrhundertealte menschliche Erfahrung: Alles ist ständig im Fluss. Zukunft ist nach vorne immer offen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Politik der vergangenen Jahre einen Großteil der sogenannten Probleme selbst verschuldet hat. ({1}) Einige dieser Entwicklungen wurden bereits im Stadtentwicklungsbericht 2008 angestoßen, Stichworte: Klimaschutz, Energiesparen und – besonders wichtig – Flächenreduzierung. Der Bericht lässt viele Fragen offen. Politik hat den Menschen und dem allgemeinen Wohl zu dienen. Die Bedürfnisse der Menschen sind zeitlos. Sie sind 2021 nicht anders als 2007 oder 1920. Dazu gehören vorrangig eine angemessene Wohnung bzw. angemessene Mieten auf dem Wohnungsmarkt. Ebenso bedeutsam ist der Wunsch, Wohneigentum zu erwerben; die vielen Hunderttausend Häuslebauer belegen dies. Sie haben jahrzehntelang Konsumverzicht geübt, um sich ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung anzuschaffen. Eigentum gewährt ein Stück weit Unabhängigkeit und Freiheit. Stadtentwicklung muss zum Ziel haben, den Menschen ein bezahlbares Angebot zum Erwerb von Wohneigentum zu machen. Neben anderen wichtigen Indikatoren muss Wohnen oberste Priorität bei der Stadtentwicklung haben. Wohnen ist ein Grundrecht. Wohnen ist Zu-Hause-Sein – das reicht vom Eigentum bis zum Mietobjekt. Weite Kreise der Bevölkerung streben auf ihre Weise danach. Schlussbemerkung. Eine den Menschen dienende Stadtentwicklung muss sich auch von der Warnung des großen Ökonomen Wilhelm Röpke leiten lassen – Zitat –: Der Aufbau des Sozialstaates bewirkt den Verlust des Freiheitsankers Privateigentum. Danke. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Bernhard Daldrup, SPD. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hallo, Karsten! Ich will zunächst mal sagen: Herr von Gottberg, Sie haben ja in Ihrer Rede ein oder mehrere schöne Beispiele dafür gegeben, was es alles an Überflüssigem geben könnte. Ihre Rede war selbst ein schönes Beispiel dafür; mehr ist nicht dazu zu sagen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sieht eigentlich die Stadt der Zukunft aus? Wie schaffen wir – angesichts von Pandemie, von Klimawandel, von Digitalisierung – Resilienz, also Widerstandsfähigkeit in Städten, die Hans-Jochen Vogel einmal als Stein gewordene Gesellschaftspolitik, aus deren Grundrissen man Wertordnungen ablesen kann, bezeichnet hat? Wie fördern wir eigentlich die „transformative Kraft der Städte“, wie es in der Leipzig-Charta heißt? Unser Grundgesetz verpflichtet uns zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in Deutschland. Wenn Sie alle wissen wollen, wie eigentlich die räumliche Seite des Sozialstaatsgebotes aussieht, dann lesen Sie den Stadtentwicklungsbericht. Er ist ein sehr gutes Dokument. Herzlichen Dank an die Autorinnen und Autoren. ({1}) Wohnen ist ein großes Thema. Wir verabschieden hier heute das BauGB, das Baulandmobilisierungsgesetz. Ich gehe darauf nicht weiter ein, aber ich will sagen: Die Städtebauförderung in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Deswegen haben wir auch allen Grund, zu feiern; denn am 19. Juni 1971, also vor fast 50 Jahren, trat das erste Städtebauförderungsgesetz in Kraft. Die Idee des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt war es, die Städtebauförderung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen zu organisieren. Der Hintergrund war der eminente Nachholbedarf in den Kommunen mit dem Konzept der Modernisierung der Volkswirtschaft. Das war ein ökonomisches und städtebauliches Programm. Es ging dabei nie alleine nur um Städte, sondern immer auch um Dörfer. Es ging immer auch um das Verhältnis von Stadt und Land und die Perspektive von Regionen. Es ging um Strukturpolitik, um das gute Leben. Deswegen ist auch unter dem Gesichtspunkt von Strukturpolitik – Herr Minister, Sie wissen das – die Forderung nach einem Altschuldenschnitt richtig. ({2}) Es ging nie alleine nur um Grün. Das Programm hat viele Etappen durchlaufen, und durch Entscheidungen dieser Großen Koalition stehen in drei Programmen Jahr für Jahr 200 Millionen Euro für den sozialen Zusammenhalt, 300 Millionen Euro für die Förderung lebendiger Zentren und 290 Millionen Euro für Wachstum und nachhaltige Entwicklung in den Städten und Gemeinden des Landes zur Verfügung. Ich bedanke mich bei dem letzten Sozialdemokraten – wie er sich selber nennt – in der CSU, und ich bedanke mich auch bei dem stärksten Sozialdemokraten in der SPD, Olaf Scholz, dafür, dass diese Mittel immer wieder zur Verfügung gestellt werden können. ({3}) 19 Milliarden Euro hat der Bund insgesamt aufgebracht für mehr als 9 300 Gesamtmaßnahmen. Die meisten Kolleginnen und Kollegen können über Projekte aus ihren eigenen Wahlkreisen berichten. Das ist übrigens nicht nur das Städtebauförderungsprogramm. Das sind auch die nationalen Projekte des Städtebaus. Es geht um Smart City, es geht um Klimapolitik durch Förderung von Park- und Grünanlagen, es geht um Sport, Jugend, Kultur, für die gerade 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden sind. Neben der immensen Bedeutung des Programms für die Stadterneuerung hat die Städtebauförderung auch eine sehr wichtige regionalwirtschaftliche Bedeutung. Jeder Euro aus der Städtebauförderung löst 8 Euro private Investitionen aus. Der Großteil der Investitionen verbleibt beim örtlichen Handwerk und bei der regionalen Wirtschaft. Das ist ein wichtiger Aspekt. Seit 2018 bewegt sich die Städtebauförderung mit 790 Millionen Euro seitens des Bundes auf einem Höchststand. Es ist gut, dass das heute so unumstritten ist zwischen den Fraktionen. Das war nicht immer so. „Rettet die soziale Stadt“ hieß es beim Städtetag vor zehn Jahren, also zum 40‑jährigen Bestehen, weil das Programm „Soziale Stadt“, das heute 190 Millionen Euro umfasst, fast auf null, aber immerhin noch auf 28,5 Millionen Euro – maßgeblich auf Betreiben der FDP in der schwarz-gelben Koalition –, zusammengestrichen werden sollte. Aber ich weiß, dass die FDP das heute auch anders sieht. Städtebauförderung ist eine zutiefst soziale Veranstaltung und nicht nur Kubikmeter umbauter Raum. ({4}) Wenn wir nicht erneut in eine solche Situation kommen wollen, müssen wir uns darum bemühen, die Städtebauförderung auch rechtlich vernünftig abzusichern, verfassungsrechtlich vernünftig abzusichern. Das ist eine dringende Aufgabe, damit wir den Anforderungen in der Zukunft gerecht werden und Städtebauförderung nicht zum Gegenstand von Konjunkturpolitik werden lassen. Der Zustand unserer Gesellschaft findet seinen Ausdruck in der Lebendigkeit der Städte und Gemeinden unseres Landes. Das sollte allemal unsere gemeinsame Aufgabe sein. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP, erhält als nächste Rednerin das Wort. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor uns liegt ein durchaus blumiger Bericht über die Stadtentwicklung und über die Bundesförderprogramme. Der Bericht bestätigt: Die Innenstädte verlieren ihre Individualität und damit Attraktivität. Die Menschen suchen Wohnraum, wollen flexibler arbeiten. Pendler und Verkehrsströme werden zu einer immer größeren Herausforderung. Sie führen in Ihrem Bericht, Herr Minister, unzählige Maßnahmen und Projekte an, durchaus auch interessante; aber die Frage muss erlaubt sein, inwieweit dieser Dschungel an Förderprogrammen wirklich hilfreich ist oder nicht ablenkt von den eigentlichen Problemen und Defiziten, die die Bundesregierung bis dato versäumt hat zu lösen, nämlich das ganze Thema der Digitalisierung, das uns ja gerade jetzt in Pandemiezeiten voll auf die Füße gefallen ist. ({0}) Meine Damen und Herren, wir müssen die kommunale Welt nicht nur aus der Großstadtperspektive betrachten. Wir müssen den ländlichen Raum mehr denn je in den Fokus nehmen; denn wer die Ballungszentren wirklich entlasten will, der muss jenseits der Städte Lebensalternativen anbieten. Die Voraussetzung ist der flächendeckende Breitbandausbau, und zwar bis in die hinterste Ecke der Republik. ({1}) Nur so werden Menschen wieder rausziehen, nur so sich Firmen niederlassen, nur so wird neues soziales Leben entstehen und nur so die kommunale Verwaltung in die Lage versetzt werden, Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern und Gewerbetreibenden digital, unkompliziert und zügig zu befrieden, auf allen Ämterebenen. ({2}) Nur 47 Prozent der Kommunen in Deutschland haben überhaupt eine Digitalisierungsstrategie, und sage und schreibe nur 7 Prozent der Gemeinden wären in der Lage, diese auch umzusetzen. Meine Damen und Herren, Herr Minister, Sie sprechen immer wieder von der Revitalisierung der Ortskerne und haben unzählige Projekte im Angebot. Abgesehen davon, dass der Begriff „Revitalisierung“ mehr an ein morgendliches Duschbad erinnert als an eine wirkliche kommunale Strategie – zu dieser gehört übrigens auch physische Erreichbarkeit durch ein entsprechendes Schienennetz –, werden Ihre Förderprogramme in den jeweiligen Kommunen in der Menge verpuffen. Das von Ihnen propagierte Onlinezugangsgesetz, welches die Interaktion zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Verwaltung schneller und effizienter machen soll, schleppt sich leider dahin. Die Kommunen merken unmittelbar, ob die Rahmenbedingungen für moderne Strukturen, für Mobilitätspolitik vom Gesetzgeber auf den Weg gebracht werden. Ja, einzelne Förderprogramme, oft komplex in der Handhabe, helfen alleine nicht weiter, weil sie die grundsätzlichen Defizite nicht kompensieren werden. Meine Damen und Herren, die Rathäuser kommen ihren Verpflichtungen den Menschen gegenüber nach; aber die Rahmenbedingungen muss der Bundestag auf den Weg bringen. Und schade, wirklich schade, dass die Bundesregierung in dieser Legislatur, wild gestartet mit großen Ambitionen, eben nicht den großen kommunalen Wurf auf den Weg gebracht hat! ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Caren Lay, Die Linke, erhält als Nächste das Wort. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die soziale Spaltung in unseren Städten nimmt dramatisch zu. Mietenexplosion und Wohnungsnot führen zur massenhaften Verdrängung von Menschen mit kleinen und durchschnittlichen Einkommen. Selbst in Kleinstädten kann man inzwischen von der Wohnadresse auf das Einkommen schließen. Das ist fatal! ({0}) Kleinen Geschäften droht eine Pleitewelle, die Zentren der Metropolen werden beherrscht von kalten Konsumtempeln und langweiligen Bürozeilen. Da ist es wirklich gut, dass die aktualisierte Leipzig-Charta das Gemeinwohl zum Leitbild der Stadtentwicklungspolitik erklärt. Stadtentwicklung soll sozial, integrierend und nachhaltig für das Gemeinwohl sein. Das wird höchste Zeit! ({1}) Vor allen Dingen müssen diesem neuen Leitbild auch endlich Taten folgen. ({2}) Ich muss schon sagen, dass von diesen blumigen Reden von „essbaren Gärten“ und der „Resilienz der Städte“ kein Mensch seine Miete bezahlen kann. ({3}) Sie haben es mit Ihrer Mietpreisbremse und diesen schwachen Gesetzen nicht geschafft, die Mietenexplosion zu stoppen. Wenn man das nicht hinkriegt, dann kann man sich diese schönen Worte hier, ehrlich gesagt, auch sparen. ({4}) Die Städtebauförderung ist ein wichtiges Instrument. Aber dafür haben wir gerade mal 790 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Der Erhalt der Lufthansa war Ihnen 9 Milliarden Euro wert. Hier stimmen die Verhältnisse nicht. Wenn Ihnen die Stadtentwicklungspolitik so wichtig ist, wie Sie heute sagen, dann muss auch endlich mehr investiert werden. ({5}) Ich freue mich, dass das Wohnen im Stadtentwicklungsbericht einen großen Stellenwert hat. Aber auch hier sind Ihrem eigenen Credo „Bauen, bauen, bauen“ ja gar keine Taten gefolgt. Am Ende der Legislaturperiode werden wir 160 000 Sozialwohnungen weniger haben als zu Beginn der Legislaturperiode. Gestern hieß es beim Wohnungsbautag, dass noch in diesem Jahr die Anzahl der Sozialwohnungen auf unter 1 Million fällt. Das ist Ihre Verantwortung. Sie haben hier zu wenig investiert. ({6}) Wir als Linke fordern ein Rettungsprogramm für den sozialen Wohnungsbau und wollen 10 Milliarden Euro investieren, um städtische und genossenschaftliche Wohnungen nach dem Wiener Vorbild zu bauen, damit bezahlbares Wohnen in den Innenstädten wieder möglich wird. ({7}) Wer Ja zum Gemeinwohl in der Stadtentwicklungspolitik sagt, der muss auch Ja zu einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit sagen; denn sonst bleibt es bei hohlen Worten. ({8}) Und schließlich: Dem Gemeinwohl stehen die Spekulation und das Profitstreben diametral entgegen. Wer Gemeinwohl will, muss die Spekulation mit Immobilien stoppen. Aber leider fehlt der Regierung hierfür der Mut. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erhält das Wort die Kollegin Daniela Wagner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Daniela Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004184, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die zurückliegenden Monate haben deutlich sichtbar werden lassen, dass die eindimensionale Ausrichtung unserer Innenstädte auf die Rolle von renditegetriebenen Shoppingmalls kein nachhaltiges Konzept ist. Ohne Shopping ist alles ziemlich öde in den Fußgängerzonen zwischen Flensburg und Füssen. Im Übrigen ist der öffentliche Raum dominiert vom Leitbild der individualmotorisierten Mobilität. Dagegen tut die Koalition zu wenig, auch angesichts der sehr grünen Reden, die Sie hier halten. ({0}) Was zu kurz kommt, sind alle anderen Funktionen, die Städte so haben oder zumindest mal hatten: als Orte der spontanen Begegnung, der Kommunikation, der Angebote für Jugendliche und Kinder jenseits des Konsums, der Kultur, des Handwerks, als Orte zum Verweilen. Nicht umsonst liegt das Augenmerk zurzeit ganz besonders auf den Städten; denn sie sind die Orte, an denen Fehlentwicklungen am ehesten und am deutlichsten erfahrbar werden: wenn Mieten explodieren, wenn gesellschaftlicher Zusammenhalt fehlt, wenn Familie nicht funktioniert, wenn Einsamkeit das Leben zu vieler Menschen prägt. Aber auch die permanente Verlärmung, zu viel Abgase und Feinstaub, zu wenig Grün, zu viele versiegelte Flächen, Hitze und schlechte Luft machen unseren Städten zu schaffen. Das wissen wir alles nicht erst seit dem Frühjahr 2020. Den sehr grünen Reden, die hier von der Koalition gehalten werden, stehen leider viel zu wenig Konsequenzen entgegen. ({1}) 77 Prozent der Menschen in unserem Land leben in Städten. Die Tatsache, dass die ländlichen Räume aktuell wieder mehr Anziehungskraft auf junge Menschen ausüben, ist ebenso positiv wie sie deutlich macht, dass interkommunale Zusammenarbeit, Digitalisierung und moderne Mobilitätsangebote das Gebot der Stunde sind. Städtisches Leben und ländliche Freiräume können und müssen sich ergänzen. Unsere Aufgabe hier im Hause ist es, dafür optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, und zwar durch eine vernünftige bodenseitige Mobilität. Die Neue Leipzig-Charta, die Klimaziele von Paris und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen müssen die Grundlage all unserer Entscheidungen hier im Hause werden, betreffend Städte, Gemeinden, aber auch allgemein und ganz grundsätzlich. Wir brauchen eine Gemeinwohlorientierung in der Boden- und Wohnungspolitik, eine faire Flächennutzungspolitik, ein Ende der renditegetriebenen Stadtentwicklung und ein Ende der Privilegierung der flächenverschlingenden Pkw-Infrastruktur. ({2}) Wir brauchen eine mit kommunalen Spitzenverbänden, Sozial- und Kulturverbänden, der Wissenschaft und weiteren Stakeholdern gemeinsam entwickelte und getragene Bundesstrategie „Orte des Zusammenhalts“. Meine Damen und Herren, das ist kein Wimmelbild, sondern überfälliges Neudenken unserer Städte inmitten der Klimakrise, der Coronakrise und des demografischen Wandels. Daran müssen wir alle Entscheidungen und auch alle Städtebauförderungsprogramme ganz grundsätzlich ausrichten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Karsten Möring, CDU/CSU, erhält jetzt das Wort. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Bernhard, vielen Dank für die Sonderbegrüßung. Ich habe mich immer gefragt: Wie schafft man es, besonders viel Beifall zu bekommen, wenn man zum Pult geht? Heute weiß ich es. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Stadtentwicklungsbericht dokumentiert eine wirkliche Erfolgsgeschichte, die man nicht nur anhand der Zahlen dokumentieren kann, sondern auch anhand der Beschreibungen unserer Projekte. Dieser Blick zurück zeigt nicht alles. Er zeigt aber, dass wir die Rahmenbedingungen bei der Stadtentwicklung den Notwendigkeiten angepasst haben, zuletzt geschehen dadurch, dass wir die Programme auf drei Kernprogramme konzentriert haben und in diese Kernprogramme auch das Thema „Grün in der Stadt“ integriert haben. Denn wir haben gesagt: Das soll kein eigenes Programm sein, sondern zwingend Bestandteil von allem, was in der Stadtentwicklungspolitik passiert. – Deswegen, liebe Kollegin Wagner, sind das nicht nur Worte. Es findet auch eine Umsetzung statt. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Bericht, der zurückblickt, verlangt auf dieser Basis aber auch den Blick voraus auf die Probleme, die vor uns liegen und die zu lösen sind. Ich komme aus Köln, ({2}) und ich weiß, zu welchen Konsequenzen Corona in den Innenstädten und bei unseren Läden geführt hat. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass ein Geschäft nach dem anderen schließt, vor allem kleine inhabergeführte Geschäfte, die Probleme haben, in dieser Situation zu überleben. Wir tun einiges dafür und hoffen, dass möglichst viele überleben. Wir wissen aber – das ist öfter gesagt worden –: Corona war nur der Brandbeschleuniger. Die Entwicklung, die dem zugrunde liegt, ist älter. Die große Konkurrenz des Onlinehandels ist es, die den kleinen und auch den großen Geschäften zu schaffen macht. In meiner Kindheit gab es einen Werbespruch der Firma Kaufhof; damals war das ein großer Warenhauskonzern, heute ist nicht sehr viel davon übrig geblieben. Der Werbespruch hieß: „Tausendfach – alles unter einem Dach“. Heute müsste der Spruch heißen: „Zehntausendfach oder hundertausendfach – alles im Netz“. Wenn ich mir angucke, welche Konsequenzen diese Entwicklung hat, dann glaube ich, dass es wichtig ist, dass sich die Einzelhändler, die einen Kern des Angebots in den Innenstädten und den Zentren ausmachen, überlegen, wie sie dem entkommen wollen. Ein Manager managt sein Einkaufszentrum, indem er dafür sorgt, dass ein Mix von Angeboten da ist, und das kann er dadurch steuern, dass er nicht von jedem dieselbe Miete nimmt, sondern je nachdem, was derjenige umsetzen bzw. verdienen kann, Mieten unterschiedlicher Höhe verlangt. So etwas muss auch in Einkaufsstraßen möglich sein. Die Vermieter müssen sich damit mal auseinandersetzen und sich zusammensetzen. Es ist Einbildung, wenn die Vermieter glauben, sie könnten im Rahmen der Konkurrenz ihrem Nachbarn immer noch den potenteren Mieter wegschnappen. Die Mieten in den Innenstädten werden sinken müssen. Das Angebot muss vielfältiger werden und kann dann auch nicht so stark renditegetrieben sein wie bisher. Das ist wichtig für die Zukunft. Die Vielfalt der Innenstädte ist etwas, worauf wir unser Augenmerk legen müssen. Wir werden nachher bei der Debatte zum Baulandmobilisierungsgesetz unter anderem beschließen, dass wir Klubs zu kulturellen Einrichtungen machen. Wenn wir sagen, dass wir mehr Kultur oder andere Nutzungen in die Stadt bringen und sie damit vielfältiger gestalten wollen, dann sind das Überlegungen, die vielleicht auch für Klubs interessant sind. In der Innenstadt ist der Lärm in der Regel ein nicht so starkes Problem wie in anderen Gebieten, in denen es bisher diese Schwierigkeit gibt. Mir ist insgesamt nicht bange, diese Herausforderung zu bewältigen, wenn wir alle anpacken und jeder seinen Part dazu beiträgt und nicht nur auf seinen eigenen Nutzen schaut. So werden wir lebendige Städte schaffen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ulli Nissen, SPD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute diskutieren wir den Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung. Die Städtebauförderung in Deutschland feiert ihren 50. Geburtstag. Gratulation! Seit 1971 unterstützt der Bund Städte und Gemeinden dabei, baulichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu begegnen. Der Bericht 2020 nennt acht zentrale Probleme der Städte, unter anderem den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, die Folgen der Coronakrise und den Klimawandel. Einige Themen davon finden sich auch in den Nachhaltigkeitszielen wieder. Für mich als Frankfurterin ist Mangel an bezahlbarem Wohnraum eng mit den Schicksalen von Menschen verbunden. Gut, dass wir in dieser Legislatur Wohnen zur zentralen Frage unserer Zeit erklärt haben. Wichtig: Der Bund bleibt in der Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau. Die Förderung bleibt auf hohem Niveau; 2020 sind es wieder 1,5 Milliarden Euro. Klar ist: Wir wollen diese Summe deutlich erhöhen. Unsere Maßnahmen im Mietrecht zeigen Wirkung. Die Mieten steigen deutlich geringer. Ein weiteres Kernstück der Wohnraumoffensive ist die Mobilisierung von Bauland; das ist der Hemmschuh beim Wohnungsbau. Ich bin glücklich, dass wir heute, quasi auf den letzten Metern dieser Legislatur, das Baulandmobilisierungsgesetz verabschieden werden. ({0}) Wir stärken die Kommunen beim Vorkaufsrecht von Grundstücken. Diese können künftig preislimitiert zum Verkehrswert ausgeübt werden. Das ist ein echter baupolitischer Meilenstein. Was mich auch sehr freut: Unter anderem wird die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen deutlich erschwert; das ist auch für Frankfurt sehr wichtig. Ein guter Tag für Mieter/‑innen, ein schlechter für Miethaie! Der Bericht nennt als zweite Herausforderung die Folgen der Coronakrise. Die Vitalität und die Vielseitigkeit der Städte müssen erhalten bleiben. Die Folgen von Corona sind in den Städten jetzt schon deutlich sichtbar: Immer mehr Geschäfte und Restaurants geben auf. Wir von der SPD lassen die Betroffenen nicht alleine, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Es gibt von uns ein großartiges Konzept zur Zukunft der Innenstädte. Leider habe ich nicht die Zeit, dieses ausführlich vorzustellen. Für mich ist klar: Die Profiteure der Krise wie Amazon müssen ihren finanziellen Beitrag leisten, um die Folgen der Krise zu bewältigen. Die Folgen für die Städte durch den Klimawandel sind deutlich sichtbar. Die Sommer werden immer heißer. Phänomene wie Starkregen und starke Trockenheit wechseln sich ab. Die Auswirkungen werden immer extremer. Klar ist: Wir brauchen mehr Grün in der Stadt. Dazu gibt es zahlreiche Förderprogramme wie „Zukunft Stadtgrün“. Seit 2020 sind Maßnahmen des Klimaschutzes Querschnittsaufgabe für alle Programme. Es gibt eine wichtige Studie aus dem Masterplan Stadtnatur. Hier wurde Stadtgrün in Kombination mit anderen Dimensionen von Umweltqualitäten im Quartier wie Lärmminderung, Luftreinhaltung und Klimaschutz integriert betrachtet, und Handlungserfordernisse wurden formuliert. Wir sehen: Die Städte stehen vor großen Herausforderungen. Diese müssen bewältigt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Kießling, CDU/CSU. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bund ist ein verlässlicher Partner für Länder und Kommunen. Frau Lay, Ihr Vergleich hinkt etwas. Wir geben den Kommunen 65,2 Milliarden Euro in 2021. Das ist, glaube ich, schon eine hervorragende Leistung, die der Bund den Kommunen gegenüber erbringt. Dafür auch meinen herzlichen Dank an unsere Regierung. Das ist keine Selbstverständlichkeit. ({0}) Mit zahlreichen Förderprogrammen unterstützen wir die nachhaltige Stadtentwicklung, und zwar seit vielen Jahren; so steht es im Stadtentwicklungsplan 2020. Allerdings blickt dieser Bericht vier Jahre zurück, und die Auswirkungen der Pandemie sind nur teilweise erfasst. Jede Stadt hat andere Strukturen und Herausforderungen. Dafür brauchen wir realistische und finanzierbare Ansätze. Einerseits müssen wir unsere Lebenszentren in ihrer bestehenden Form als multifunktionale Orte stärken; denn sie verbinden Sozial- und Arbeitsraum mit Angebot für Wohnen, Kultur und Handel. Das BMI handelt und hat den Beirat Innenstadt eingerichtet, der bis zum Sommer Strategien dazu erarbeiten soll. ({1}) Andererseits müssen wir Orts- und Stadtzentren neu denken. Die Stadt der Zukunft muss die vorhandenen Funktionen in kluger Weise mit neuen und veränderten Formen verknüpfen. Es geht um nachhaltige Stadtentwicklung, um Klima- und Ressourcenschutz, aber auch um Verkehr und Mobilität. Dafür nutzen wir die Digitalisierung. Im Rahmen der Modellprojekte „Smart Cities“ stellen wir in diesem Jahr 300 Millionen Euro zur Verfügung. Warum investieren wir diese Summen? Frau Strack-Zimmermann hat es angesprochen: 45 Prozent der Kommunen haben eine Digitalisierungsstrategie, aber nur 7 Prozent setzen diese um. Das liegt unter anderem an der Hürde der hohen Anschubfinanzierung, und daher denke ich, dass wir uns vermehrt darum kümmern müssen. Es ist richtig, dass wir mit diesem Programm Impulse setzen. Denn mit der Digitalisierung unserer Kommunen vernetzen wir Lebensräume, Arbeitsplätze und können effektiv zur Erhöhung der Lebensqualität beitragen. ({2}) Apropos „Erhöhung“ und damit zu den Anträgen der Grünen: Ihren Wunsch nach Fördermillionen zum Beispiel in der Städtebauförderung kann man durchaus nachvollziehen. Forderungen nach Erhöhungen kann natürlich jeder stellen; aber das muss realistisch und finanzierbar sein und darf nicht einfach dem Gießkannenprinzip folgen. Die grüne Wünsch-dir-was-Politik hängt mir nicht nur heute zum Hals raus. Mein Tipp ist: weniger Ideologie und Umverteilungsgedanken, dafür etwas mehr Realismus und Weitsicht. ({3}) Was gibt uns der vorliegende Bericht nun für einen Auftrag mit? Viele Förderprogramme sind ein Erfolg; deshalb müssen wir diese fortführen. Zusätzlich müssen wir diese an die aktuellen Herausforderungen anpassen. Daran arbeiten wir – um unsere Städte und Gemeinden zu beleben, deren urbane Resilienz zu stärken und eine nachhaltige Entwicklung unserer Lebenszentren zu ermöglichen. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufmerksamkeit möchte ich natürlich bekommen, ist ja klar. – Respektlosigkeit, Hass und Gewalt richten sich nicht nur gegen Politik, Polizei oder Rettungskräfte, sondern inzwischen auch gegen Journalisten. Das ist schlimm, liebe Kolleginnen und Kollegen. So kann und darf es nicht weitergehen! Hierzu vier Punkte: Erstens. Die Demokratie braucht freie Presse. Presse- und Informations- und Meinungsfreiheit sind elementar wichtig für unsere Demokratie. Wir alle sind darauf angewiesen, mithilfe eines verlässlichen und vielfältigen Informationsangebots unsere Meinung bilden zu können. An dieser Stelle können wir uns auch mal bei den Medien in unserem Land bedanken; sie haben es verdient. ({0}) Pressefreiheit ist genauso ein Grundrecht wie zum Beispiel Demonstrationsfreiheit. Pressefreiheit ist die Visitenkarte einer Demokratie. Sie gibt Auskunft über den Zustand eines Landes. Das ist nicht nur bloße Theorie. Im Coronajahr 2020 stieg das Informationsbedürfnis auf ein Rekordniveau. Neun von zehn Personen ab 14 Jahren haben sich täglich im Fernsehen, Radio, online oder in Printmedien über das aktuelle Pandemiegeschehen und seine Auswirkungen informiert. Zweitens. Angriffe auf Journalisten schaden der Pressefreiheit und natürlich auch der Demokratie. In dieser Zeit ist leider auch die Zahl gewaltsamer Angriffe gegen Journalisten gestiegen; das erreicht bei uns gerade eine ganz neue Qualität und Dimension. Daran dürfen wir uns nicht gewöhnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Reporter ohne Grenzen hat 2020 mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalisten gezählt, fünfmal mehr als im Vorjahr. Journalisten berichten uns von Einschüchterungsversuchen auf allen Ebenen, Morddrohungen, körperlichen Angriffen und Attacken in sozialen Medien. Vor allem die Berichterstattung von Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen ist für sie zu einer erheblichen Gefahr geworden. Es wird „Lügenpresse“ gebrüllt oder von „Systemmedien“ fabuliert, schlimmer: Sie werden bedroht oder gar tätlich angegriffen. Das ist eine Schande für unser Land! ({2}) In Deutschland ist es zum Glück nicht der Staat, der die Arbeit der Medien einschränkt; es sind Angriffe aus der Mitte der Gesellschaft, von rechts und von links, die die Pressefreiheit bedrohen. Aus Worten werden Taten, aus Hass wird Gewalt. Die Respektlosigkeit beginnt immer mit der Sprache. Als Abgeordnete müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. ({3}) Tun wir das? Ja, die große Mehrheit des Hauses tut das. ({4}) Meister sprachlicher Entgleisungen und Respektlosigkeit ist die AfD. ({5}) Im letzten Jahr gingen zwei Drittel aller Ordnungsaufrufe, Herr Gauland, auf das Konto der AfD – eine traurige Spitzenreiterposition! ({6}) Gerade gestern haben wir ein wunderbares Beispiel bekommen, wie respektlos Sie mit Kollegen umgehen. Der Kollege Dr. Christian Wirth, AfD, hat gesagt – Zitat –: „Ihr Tourettesyndrom in Ehren, Frau Kollegin; jetzt rede ich“. Wenn das nicht menschenverachtend ist, dann weiß ich nicht, was das ist. ({7}) Von Vorbildfunktion kann bei Ihnen leider keine Rede sein, Frau von Storch. ({8}) – Ja. – Das habe ich bei meiner letzten Rede zum Thema Sprache selbst erfahren. Einer Ihrer Abgeordneten, Uwe Schulz, so berichtet von dem Abgeordneten Jens Brandenburg, der allein es offenbar hören konnte, hat mich als „alte Schrulle“ bezeichnet. Es ist eine Ehre, wenn Sie mich kritisieren, aber das ist wirklich unverschämt! ({9}) Zum einen ist das Altersdiskriminierung und zum anderen Frauendiskriminierung, und dagegen verwahren wir uns in aller Form. ({10}) Dazu vielleicht Charles Reade, ein englischer Schriftsteller aus der Mitte des 19. Jahrhunderts: „Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen“. Drittens. Es besteht also Handlungsbedarf. Meine Fraktion hat im letzten Herbst ein Positionspapier zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten verabschiedet. Darin haben wir die Rolle der Polizei und der Sicherheitsbehörden besonders hervorgehoben. Die Herausforderung ist nicht neu; neu ist aber die Qualität der Angriffe. Daher brauchen wir erstens kontinuierliche Gespräche zwischen den Innenministerien der Länder, der Polizei und den Journalistenverbänden. Zweitens muss die Rolle von Medienvertretern Gegenstand der Polizeiausbildung sein, wie zum Beispiel in Sachsen und Bayern. Und drittens müssen die Sicherheitsbehörden die Angriffe auf Journalisten auch online verfolgen können. Es wird aber auch schon viel getan. Die Polizei schließt Journalisten bei Demonstrationen in die Einsatzkonzepte mit ein. Baden-Württemberg hat vor Kurzem einen Pressekodex für die Polizei eingeführt und dadurch Standards gesetzt. Auch die Branche selbst tut einiges: dpa, mehrere große Tages- und Wochenzeitungen sowie die Journalistengewerkschaften haben einen Schutzkodex für Medienschaffende erarbeitet; schlimm genug, dass das nötig ist. Dadurch bekommen Betroffene bei Dreharbeiten zum Beispiel Personenschutz und Begleitung durch Sicherheitspersonal. Schließlich – viertens – ein Blick auf die internationale Presse. In Deutschland wird die Lage der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen noch als zufriedenstellend bezeichnet – wir wurden leider herabgestuft –; international ist sie schlechter denn je. Ob Belarus, Brasilien, Russland, China oder die Türkei: Kritische Radiosender, Zeitungen oder Onlinemedien werden geschlossen oder auf staatliche Linie gebracht, unabhängige Journalisten inhaftiert und verfolgt. ({11}) Wir erleben es gerade in Russland. Autokratische Regime bedrohen die Pressefreiheit oder schaffen sie ganz ab. Leider geben auch einige Länder der Europäischen Union Grund zur Sorge; ich denke an Ungarn, Polen oder Slowenien. ({12}) Ich komme zum Schluss. Pressefreiheit ist ein hohes Gut unserer Demokratie. Sie zu bewahren, zu schützen und um sie zu kämpfen, ist unsere gemeinsame Pflicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({13})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Martin Renner, AfD, ist der nächste Redner. (Beifall bei der AfD

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Grüß Gott, Herr Präsident! Nur noch drei verbleibende Plenarwochen – nicht mehr so ganz viel Zeit –, also hat die FDP-Fraktion Themenschnipsel und sonstiges Liegengebliebenes zusammengefegt und mit schön klingenden Titeln in inhaltsleere Anträge gepresst. ({0}) Wir folgen hier der Beschlussempfehlung aller befassten Ausschüsse. In erster Linie will ich mich mit dem Antrag der Grünen beschäftigen, nämlich „Non-Profit-Journalismus als gemeinnützig anerkennen“. Hinter diesem sehr schönen und unschuldig daherkommenden Titel lugt schon die Fratze der grünen Ideologie; ({1}) es schlägt einem der Atem des Zerrbildes einer grün geprägten Gesellschaft entgegen: Hass auf Leistung, Hass auf Gewinne durch Leistung, Hass auf die Marktwirtschaft. Ihr Grünen – da Sie es offenbar nicht verstanden haben, helfe ich Ihnen gerne weiter –, wir haben doch schon einen Non-Profit-Journalismus, der heißt nur anders, nämlich öffentlich-rechtlicher Rundfunk, für den man als Bürger jährlich bereits 8 Milliarden Euro abpresst und bezahlen muss, weil er ja angeblich gemeinwohlorientiert sein soll und sein muss. Doch das reicht den Grünen offensichtlich noch nicht. Die ohnehin schon sehr weitgehende ideologische Gleichschaltung unserer Medien geht Ihnen nicht schnell genug voran. Die mit Steuergeldern des Bundes und der Länder latent geförderte ökosozialistische Dominanz in Kultur und Medien ist Ihnen noch nicht genug. Der von Ihnen betriebene und entfachte Kulturkampf in unserer Gesellschaft lodert Ihnen noch nicht hoch genug. Sie beklagen aufgrund der geltenden Rechtslage ein fehlendes finanzielles Engagement gemeinnütziger Stiftungen für Journalismus. Ich sehe jetzt schon, wie die ehemalige Stasi-IM „Victoria“ als Chefredakteur zukünftig massenhaft neomarxistische Ideologiepamphlete vorbereitet und verbreitet, ({2}) und dies dann als Ersatz für sinkende Auflagen im Pressewesen. Sie beklagen, dass ausgerechnet der Verein Correctiv nur über seine nebenbei betriebene Bildungsarbeit den Gemeinnützigkeitsstatus erhält. Verflixt, man muss also auch noch arbeiten und kann sich nicht ausschließlich seiner eigenen Berufung widmen, so als sozialistische Gesinnungs- und Zensurbehörde mit Anspruch auf Allwissen und einzig erlaubte Sichtweisen. Und schaut man dann in die Fußnoten Ihrer Antragsdokumentation, dann sieht man radikal-linke Köpfe dort: zum Beispiel Correctiv-, Attac- und Grüne-Jugend-Mitbegründer mit bestem Draht zum Campact-Verein. Übrigens: Sowohl Campact wie auch Attac wurde die Gemeinnützigkeit erst kürzlich entzogen. Dann folgte lautes, wütendes Kommunistengeheul, und jetzt ist das wieder umstritten. ({3}) Es geht in Ihrem Antrag nicht um Gemeinnützigkeit. Es geht nicht um eine angeblich weitere Stütze in unserer Demokratie. Es geht Ihnen hier ausschließlich um Meinungshoheit und um Deutungsdominanz in Medien, Presse und Internet. ({4}) Es geht Ihnen um die kulturelle Hegemonie, so ganz nach den Anweisungen des Erzkommunisten Antonio Gramsci aus dem letzten Jahrhundert, ({5}) der Ihnen genau vorgibt, wie diese kulturelle Hegemonie zur Durchsetzung der marxistischen Philosophie in das Alltagsbewusstsein der Bürgerlichen hineingekämpft werden kann. Es geht Ihnen also um die Befeuerung Ihres ökosozialistischen, neomarxistischen Kulturkampfes. ({6}) Aber Marxismus und Kommunismus haben auf dieser Welt weiß Gott schon mehr als genug Menschenleben gekostet. Wir sind angetreten und berufen, um Sie daran zu hindern. Und wir werden siegen. Venceremos! ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Martin Rabanus aus der SPD ist der nächste Redner. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Herr Renner eindrücklich unter Beweis gestellt hat, dass die AfD in keiner Weise Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist, wollen wir uns dem eigentlichen Thema wieder zuwenden. ({0}) Denn das Anliegen der demokratischen Oppositionsfraktionen ist ja ein richtiges. Es ist eines, das auf unsere Freiheit zielt, auf die Unabhängigkeit und die Vielfalt der Medien, die in unserer pluralen Gesellschaft Grundlage für die Willensbildung, für die Meinungsbildung jeder und jedes Einzelnen sind. So sind die Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit, die Presse- und Rundfunkfreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben und abgesichert, und das Demokratieprinzip in Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die SPD hat stets die Presse- und Meinungsfreiheit gegen ihre Gegner verteidigt und wird das auch zukünftig tun. ({1}) Dafür hat die SPD ein Aktionsprogramm für freie und unabhängige Medien beschlossen. Wir stehen zur dualen Rundfunkordnung. Ja, wir stehen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinem Auftrag, und wir stehen für gute Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten. Wir wollen, dass sie sozial abgesichert sind, dass die Medienschaffenden in unserem Land mehr Auskunfts-, Freiheits- und Schutzrechte bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Koalition eine ganze Menge auf den Weg gebracht; Frau Kollegin Motschmann hat darauf hingewiesen. Wir schützen Journalistinnen und Journalisten besser durch das Gesetz gegen Hass und Hetze. Auch die stärkere Zusammenarbeit der Medien mit der Polizei ist bereits benannt worden. Das ist wichtig. Wir stärken die Sicherheitsbehörden, beispielsweise durch das Bundespolizeigesetz. Ich will auch auf den stärkeren Schutz von Journalistinnen und Journalisten etwa bei Querdenker-Demos hinweisen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Rabanus, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Lötzsch?

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Wir fahren fort. Wir haben eine Stunde Debattenzeit, und es gibt ja die Gelegenheit, auf die unterschiedlichen Punkte einzugehen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stärken auch den Medienmarkt mit der Novelle des Urheberrechts. Auch das ist völlig zu Recht in einem der Anträge – ich meine, von der FDP – adressiert; das ist auch wichtig. Wir haben die sozialen Rahmenbedingungen für Medienschaffende verbessert, beispielsweise auch beim Zugang zum Arbeitslosengeld I. Wir haben zuletzt auch noch die Rechte der festen Freien im Medienmarkt durch das Bundespersonalvertretungsgesetz gestärkt. Aber natürlich ist noch eine ganze Menge zu tun. Ich will auch gar nicht verhehlen, dass wir bestimmte Dinge, die wir als Sozialdemokraten in der Koalition angehen wollten, mit der Union nicht haben umsetzen können, beispielsweise ein Gesetz über den Medieninformationszugang und die Auskunft im Bund. Alle Länder haben Informationszugangsgesetze, Transparenzgesetze – wir haben es leider nicht. Der SPD-Entwurf liegt seit 2019 vor. Das ist tatsächlich eine verpasste Chance für die Stärkung der Presse und der Medien in unserem Land. Mich ärgert auch, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, dass wir die Pressefreiheit nicht durch noch stärkeren journalistischen Quellenschutz weiter haben stärken können. Auch hierzu liegt ein Entwurf seit 2019 vor. Auch dieser Entwurf liegt bei dem Koalitionspartner, und wir kommen da nicht weiter. Aber sei’s drum. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben auch eine ganze Menge für die freien Medien erreicht. Das ist wichtig. Viele Punkte der Anträge der Opposition sind bereits umgesetzt oder in Umsetzung. Insofern werden die Anträge auch nicht unsere Zustimmung erfahren. Trotzdem ist es gut, dass wir diese Debatte hier heute führen können. Denn Presse- und Meinungsfreiheit sind keineswegs selbstverständlich, sondern sie müssen immer wieder neu erstritten werden. Das ist die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sie haben ja meine Zwischenfrage leider nicht zugelassen, Herr Kollege Rabanus. Darum möchte ich jetzt noch mal meine Position deutlich machen. Wir haben heute Morgen beim ersten Tagesordnungspunkt über die Aufgaben des Verfassungsschutzes diskutiert. Sie haben ja jetzt sehr wortreich dargestellt, dass Sie sich für die Rechte von Journalistinnen und Journalisten einsetzen. Warum sind Sie dann – oder vielleicht auch nicht – der Auffassung, dass der Verfassungsschutz die Tageszeitung „junge Welt“ zu Recht als „Organisation“ einstuft und beobachtet? Die „junge Welt“ hatte allen Fraktionen des Bundestages geschrieben. Lediglich eine Vertreterin der Grünen hat geantwortet. Unsere Fraktion hat dazu eine Kleine Anfrage gestellt. Ich sage ganz deutlich: Ich bin der Auffassung, die Beobachtung einer Tageszeitung durch den Verfassungsschutz ist nicht hinnehmbar. Wir als Linke können das nicht akzeptieren. Ich hoffe, dass das andere Fraktionen in diesem Bundestag auch nicht akzeptieren können. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Thomas Hacker, FDP. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alarmierend und beschämend ist der letzte Bericht zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Der Zustand der Pressefreiheit in unserem Land, in der Bundesrepublik Deutschland, ist nur noch „befriedigend“, herabgestuft von „gut“. Erst vor wenigen Tagen bedrängten und nötigten drei Männer ein Journalistenteam der „Welt“, als dieses live vor dem Kanzleramt berichtete. Diesmal konnte die Polizei eingreifen. Die Bundesregierung zeigte sich besorgt: Journalismus müsse ohne Angst ausgeübt werden können. Meine Damen und Herren, Demokratie kennt keinen Konjunktiv. Die aktuelle Lage für Journalisten in unserem Land ist eine gesamtgesellschaftliche Aufforderung zum Einschreiten. Journalismus muss ohne Angst ausgeübt werden können. ({0}) Der „Tagesschau“-Sprecher Constantin Schreiber brachte es letzte Woche treffend auf den Punkt – ich zitiere –: Wenn man nur noch mit Polizeischutz zu einer Demo fahren kann, was sagt das über den Zustand der Gesellschaft? Aber Rückzug ist keine Lösung. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Montag war der Internationale Tag der Pressefreiheit. Doch was hat uns dieser Tag gezeigt? Sind wir über die Momente des Wachrüttelns, der Empörung, der Mahnung und des Forderns hinausgekommen? Leider nein. Wir wissen nicht erst seit Beginn der Coronapandemie, dass die Hemmungen sinken, die Gewaltbereitschaft zunimmt und der gegenseitige Respekt nur noch ein Fremdwort im täglichen Miteinander ist. Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit hat festgestellt, dass die Angriffe auf Journalisten in Deutschland im letzten Jahr einen historischen Höchststand erreicht haben. 69 tätliche Angriffe wurden erfasst; 2019 waren es 14. In seiner aktuellen Nahaufnahme geht Reporter ohne Grenzen bei der Zahl der Angriffe von einer beträchtlichen Dunkelziffer aus. Wir sehen und wir kennen also nur die Spitze des Eisbergs. Berechtigte Kritik an Berichterstattungen muss es immer geben, aber Medienvertreter sind niemals Freiwild. Auf diese antidemokratischen Tendenzen müssen Politik und Justiz reagieren. Vor allem müssen die „Lügenpresse“-Krakeeler spüren, dass sie bestimmte Linien nicht ohne Konsequenzen überschreiten können. Reportagen und Berichte von Journalisten gefallen nicht jedem und müssen es auch nicht. Erst dann sind sie gut und wirkungsvoll. Erst dann können die Vertreter einer freien Presse als vierte Gewalt, als Korrektiv wirken und Missstände aufdecken. ({2}) Medienvertreter wissen, dass ihr Beruf kein leichter ist und auch nie war. Aber wenn für Kamerateams, Fotojournalisten oder Reporter der Einsatz in Kriegsgebieten statistisch sicherer ist als in großen deutschen Städten, dann haben wir ein grundsätzliches Demokratieproblem. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Freiheitsrechte konsequent stärken; denn sie sind für einen funktionierenden Rechtsstaat und eine lebendige Demokratie von grundlegender Bedeutung. Das schließt auch kritische Haltungen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen mit ein. Wir müssen entschieden die Situation der Presse- und Medienvertreter verbessern und uns schützend vor sie stellen. Die Gegner unserer Freiheit, unserer Demokratie müssen spüren, wenn sie rote Linien nur als Einladung verstehen, diese zu überschreiten. Zuletzt fanden viele der Übergriffe bei Demonstrationen statt. Hier müssen wir auch die Polizei und die Länder stärker in die Pflicht nehmen. Es braucht eine bessere Kommunikation, ein besseres Verständnis der gegenseitigen Arbeit, mehr Respekt und Schutz. Es darf keinen qualitativen Unterschied der polizeilichen Maßnahmen geben. Gefährdungen von Leib und Leben von Medienvertretern sind genauso ein Angriff auf den Rechtsstaat wie Volksverhetzung oder Plünderungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Zustand unserer Pressefreiheit mag es in diesem Jahr noch ein „befriedigend“ gegeben haben; für die zurückliegende Arbeit der Bundesregierung zur Stärkung der Pressefreiheit kann es nur ein „mangelhaft“ geben. Liebe Elisabeth Motschmann, Positionspapiere müssen auch überleitend zu Regierungshandeln führen. ({4}) Hören wir doch bitte auf, immer nur in Sonntagsreden die Pressefreiheit zu beschwören! Stellen wir uns schützend vor die Journalistinnen und Journalisten! Verbessern wir ihren Schutz und ihre Arbeitsbedingungen! Sensibilisieren wir die Polizei für die veränderte Lage bei Demonstrationen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Zeit, zu handeln. Jetzt! ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Doris Achelwilm, Die Linke, erhält als Nächste das Wort. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesrepublik ist in der Pressefreiheitsrangliste von Reporter ohne Grenzen zurückgefallen. Der Zustand gilt offiziell nicht mehr als „gut“. Ausschlaggebend sind vor allem die eskalierten Demos sogenannter Querdenker. Wir haben die erschreckenden Bilder bundesweit gesehen, sogar hier vor dem Reichstagsgebäude. Die Lage ist ernst. Journalistinnen und Journalisten werden bei ihrer Arbeit beschimpft, bedroht, aggressiv angegriffen. In Deutschland haben sich solche Vorfälle im vergangenen Jahr verfünffacht. Diese Situation darf nicht als neue Normalität hingenommen werden. Medientätige und Pressefreiheit müssen vor Übergriffen sicher sein. Dafür sind nicht nur die Länder zuständig, sondern auch dieses Haus. Ein Auftrag, dem die GroKo noch nicht ausreichend gerecht geworden ist. ({0}) Die bekannten Versammlungen und ihre Auswüchse sind aber nicht annähernd das Einzige, was uns medienpolitisch alarmiert. Lokaljournalismus kämpft vielerorts um seine Existenz. Die Fusionen von Verlagen, Redaktionen und Meinungsmacht nehmen beträchtlich zu. Der Markt der Zeitschriften und Zeitungen wird von wenigen Konzernfamilien und Verlagsgruppen dominiert. Die Umsätze fließen spitz nach oben, während sich aus Tarifverträgen immer mehr herausgezogen wird. Die Folgen für Demokratie, Medienversorgung und Journalismus müssen uns hier viel intensiver beschäftigen. ({1}) Während zu meinen Studienzeiten – das ist auch schon eine Weile her – noch viele beruflich irgendwas mit Medien machen wollten, ist längst fraglich, ob das heute noch so ist. Unterbezahlung und Geringschätzung prägen mittlerweile das Berufsbild. Es gibt trotzdem weiter absolut großartigen, notwendigen, wichtigen Journalismus, weil Medienschaffende dafür einstehen und arbeiten. Aber es muss für sie auch ein sicheres Auskommen geben, Unabhängigkeit, Schutz, Perspektiven. Was wir dafür tun können, haben wir als Linksfraktion in unserem Antrag zur Debatte dargelegt. ({2}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es kann uns nicht kaltlassen, dass Medienbesitzer Milliarden mehren, während der Beruf des Journalisten, der Journalistin ein soziales Wagnis darstellt. Es kann uns nicht kaltlassen, dass in den Redaktionen unter diesen Umständen kaum die Breite der Gesellschaft vertreten ist. Ein Arbeitsumfeld der standardmäßigen Befristungen und Taschengeldhonorare kann sich nur der Nachwuchs leisten, der von Haus aus finanzielle Polster und Vertrauen in eigene Aufstiegschancen hat. Das letzte Jahr hat diese Situation noch gravierend verschlechtert. Die Auftragseinbußen waren und sind enorm. Darauf hat die Bundesregierung keine Antwort gefunden, nicht strukturell für die Medienlandschaft, nicht individuell für Freiberufler, etwa in Form eines Unternehmer/‑innenlohns, der fehlende Einnahmen vernünftig kompensiert. Das muss sich immer noch ändern. ({3}) Mitunter wurde problematischen Entwicklungen sogar Vorschub geleistet. Das Konzept der Presseförderung, das den strauchelnden Printmedien unter die Arme greifen sollte, hätte vor allem großen Verlagen geholfen, weil die Mittel für technische Investitionen ausgerechnet nach Auflagenstärke verteilt werden sollten, frei nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“. Es kam jetzt, wie es kommen musste: Nach substanzieller Kritik hat das Wirtschaftsministerium den Plan verworfen. Ich hoffe, dass es bald, wie von uns gefordert, zu einer Lösung kommt, die Medienvielfalt auf der Höhe der Zeit unterstützt statt untergräbt. ({4}) In die sehr mittelmäßige medienpolitische Bilanz dieser Regierung reiht sich außerdem ein blockiertes Whistleblower-Schutzgesetz ein. Dabei bräuchten wir genau so ein Gesetz, das Menschen schützt, die gravierende Missstände in Wirtschaft oder Politik aufdecken. ({5}) Bei der Gelegenheit sei an Julian Assange erinnert, der seit über zwei Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis in London sitzt und maßlose Strafen fürchtet, weil er Kriegsverbrechen offengelegt hat. Das ist ein Exempel gegen jeden Journalismus, der sich mit den Mächtigsten anlegt. Wir fordern, dass sich für seine Freilassung von hier aus sichtbarer engagiert wird, wozu die Linksfraktion diverse Initiativen ergriffen hat, die wir auf jeden Fall fortsetzen. ({6}) Es darf nicht sein, dass die Bundesregierung dem Thema Pressefreiheit so wenig Beachtung schenkt, wie das in den letzten Jahren passiert ist, dass sich andererseits aber ein Bundesinnenminister nicht zu schade ist, gerichtliche Schritte gegen eine Kolumnistin anzudrohen. Und der Gesundheitsminister ist tatsächlich gegen Journalisten vorgegangen, die über seine Villa beim Grundbuchamt recherchierten. Was sind das für Signale? ({7}) Gerade nach diesem Jahr ist es an der Zeit, andere Weichen zu stellen, andere Botschaften zu senden. Wir brauchen Gesetze, die Medienvielfalt fördern und investigative Möglichkeiten der Kontrolle von Politik und Wirtschaft schützen, Schwerpunktstaatsanwaltschaften, damit angegriffenen Journalisten wirklich geholfen wird und die Verfahren nicht, wie so oft, bagatellisiert und eingestellt werden. „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein“, hat Marx gesagt und auch in der Sache bis heute recht. ({8}) Dieser Gedanke muss wieder mit neuen Konzepten gedacht werden, genauso wie deutlicher werden muss, dass Journalistinnen und Journalisten offensiv vor Gewalt und vor staatlichen Einschränkungen geschützt werden müssen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Margit Stumpp, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Margit Stumpp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004909, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Non-Profit-Medien wie Correctiv, Finanztip oder FragDenStaat sind nicht mehr aus unserer Medienlandschaft wegzudenken. Sie tragen zur Vielfalt der Berichterstattung bei, liefern wichtige Informationen für alle Lebensbereiche und leisten oft einen substanziellen Beitrag zur politischen Willensbildung. Ihr Beitrag stärkt unsere Demokratie und nützt der liberalen Gesellschaft. Daher rührt wohl auch der abgrundtiefe Hass der Rechten auf diese Medien. Allein auf die steuerrechtliche Anerkennung als gemeinnützig müssen Non-Profit-Medien verzichten, ganz im Gegensatz zu den Pfadfindern, zum Fußball oder zum Modellflug. Das klingt widersinnig, und das ist widersinnig. Denn wer außer den Verbal- und Rechtsextremen würde abstreiten, dass unabhängiger, nicht gewinnorientierter Journalismus einen wesentlichen Beitrag zur Funktion einer demokratischen Gesellschaft leistet. ({0}) Trotzdem müssen Non-Profit-Medien bisher ihre Gemeinnützigkeit durch andere Zwecke belegen wie zum Beispiel durch Volksbildung. Das heißt, sie müssen den größten Teil ihres Engagements anderen als gemeinnützig anerkannten Zielen widmen und sind dennoch in hohem Maße der Rechtsunsicherheit ausgeliefert – die örtlichen Finanzämter entscheiden. Das passt nicht mehr in die Zeit, gerade heute, wo die Medienvielfalt durch Konzentrationsprozesse und die Entwicklungen im Digitalen zunehmend bedroht ist. Deswegen fordern wir die Aufnahme von Non-Profit-Journalismus in den Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung. ({1}) In dieser steuerrechtlichen Anpassung sehen wir einen unkomplizierten und kostenfreien Beitrag zur Stärkung der Medienvielfalt. Wir Grünen sind überzeugt: Non-Profit-Medien können neben den etablierten öffentlich-rechtlichen und den privaten Medien zu einer weiteren wichtigen Säule in einer vielfältigen Medienlandschaft werden. ({2}) Medienvielfalt und Pressefreiheit sind eng miteinander verbunden. Das eine bedingt das andere. Wenn Medien unabhängig von Staat und Wirtschaft ihrer Arbeit nachgehen können, ist das eine gute Voraussetzung für die Sicherung von Pressefreiheit und einer vielfältigen Medienlandschaft. Zum Erhalt und zur Stärkung von qualitativ hochwertigem Journalismus müssen Bund und Länder gemeinsam die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Das ist wegen der gebotenen Staatsferne und Unabhängigkeit nicht einfach. Dazu bedarf es auch unterschiedlicher Instrumente. Die vorige Woche mit Ansage gescheiterte Presseförderung der Bundesregierung gehört nicht dazu. Das musste sich das Bundeswirtschaftsministerium nun auch selbst eingestehen. Wir haben diesen Ansatz von Beginn an als einseitig und falsch kritisiert und arbeiten mit der Unterstützung der Wissenschaft an einem verfassungsgemäßen Förderkonzept. Nächsten Mittwoch werden wir dazu das von uns in Auftrag gegebene Gutachten des Mainzer Medieninstituts zur Journalismusförderung vorstellen. Im Dialog mit den Bundesländern und den Medien wollen wir auf dieser Grundlage ein medienübergreifendes Fördermodell nach skandinavischem Vorbild erarbeiten. ({3}) Wie gesagt, das ist ein Instrument. Ein anderes unbürokratisches und unkompliziertes Mittel zur Stärkung der Medienvielfalt und der Pressefreiheit ist die Aufnahme des Non-Profit-Journalismus in den Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung. Dafür bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Axel Müller, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Jahrgang 1963. Das ist das Jahr, in dem Kennedy Berlin besuchte, aber auch das Jahr, in dem er ermordet wurde. Schon ein Jahr zuvor, 1962, ereignete sich in der Bundesrepublik Deutschland etwas, was mich später als politisch interessierten jungen Menschen und auch Jurastudenten ebenso sehr beschäftigt hat wie das tragische Schicksal des amerikanischen Präsidenten, etwas, von dem wahrscheinlich nur noch wenige in diesem Haus als Zeitzeugen berichten können; einer sitzt direkt hinter mir. Ich meine die „Spiegel“-Affäre. Dem Herausgeber des Magazins „Der Spiegel“ Rudolf Augstein, zeitweise Mitglied des Deutschen Bundestages, und seinem Kollegen Conrad Ahlers, später Regierungssprecher und Staatssekretär, wurde der Vorwurf des Landesverrates im Zusammenhang mit Veröffentlichungen um die Beschaffung des Kampfflugzeuges Starfighter und den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß gemacht. Es wurden Redaktionsräume durchsucht, Unterlagen beschlagnahmt. Ja, Ahlers und Augstein wurden sogar zeitweise in Untersuchungshaft genommen. Sie haben dann beim Bundesverfassungsgericht gegen diese staatlichen Maßnahmen Verfassungsbeschwerde erhoben. Das hat 1966 dann ein bahnbrechendes und auch mehr als ein halbes Jahrhundert später nach wie vor gültiges Grundsatzurteil erlassen. An dieses sollten wir uns gerade in Zeiten der Pandemie, in der wir die Presse als systemrelevant eingestuft haben, erinnern. Das Bundesverfassungsgericht hat eine klare Richtschnur für das Verständnis von Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 unseres Grundgesetzes vorgegeben, wo geschrieben steht: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Darüber gehen die Meinungen in diesem Haus, wenn ich nach rechts schaue, bekanntlich auseinander; aber das lasse ich jetzt mal dahingestellt. Kernsätze der erwähnten Entscheidung sind: „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates …“ Weiter heißt es in dieser Entscheidung: „In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“ Was folgt daraus? Das ist eine Institutsgarantie für eine freie Presse in einer privatwirtschaftlichen Struktur und die Verpflichtung des Staates, genau darüber zu wachen, dass es keine übermäßigen Konzentrationen am Meinungsmarkt geben darf, dass keine Informationsmonopole entstehen dürfen, aber auch, dass Übergriffe gegen die Medienvertreter in persona abzuwehren sind. All das tut die Bundesrepublik Deutschland bereits in vielerlei Hinsicht und an zahlreichen Stellen. Darauf will ich mit Blick auf die beiden Anträge von FDP und Linke kurz eingehen. Wir haben eine freie, privatwirtschaftlich agierende Presse, und wir unterstützen sie auch durch zahlreiche gesetzliche Regelungen und tatsächliche Leistungen. Zum einen macht es das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen möglich, Preisbindungen bei Presseprodukten festzusetzen und wirtschaftlich sinnvolle Fusionen zum Erhalt von Medienunternehmen zuzulassen. Zum anderen haben wir mit Blick auf den Transformationsprozess im Digitalen die Möglichkeit der Unterstützung geschaffen, indem wir 220 Millionen Euro bereitgestellt haben; allein im Nachtragshaushalt 2020 waren das 20 Millionen Euro. Die Linke kritisiert den Verteilerschlüssel. Dabei ist er, wie ich meine, durchaus transparent und plausibel. Er knüpft an Auflagenstärke sowie Verbreitungsgebiet an und setzt voraus, dass mindestens 30 Prozent redaktioneller Anteil bei einem Blatt bestehen muss. Auch den von der Linken geforderten Schutz in Bezug auf die Strafbarkeit sogenannter Datenhehlerei haben wir in § 202d StGB bereits geregelt. Ich weiß, Sie wollen die Gruppe der Journalisten auf eine weitere, nicht dieser Berufsgruppe zugehörigen Gruppe ausdehnen: auf die sogenannten Whistleblower. Wir haben einen Anfang gemacht – Stichwort „Verletzung von Geschäftsgeheimnissen“ –; da haben wir die Whistleblower geschützt. Zu weiteren Ausdehnungen sind wir, denke ich, bereit, und darüber muss man reden. Außerdem haben wir Journalistinnen und Journalisten nach § 53 der Strafprozessordnung davor geschützt, sich und ihre Informationsquellen preisgeben zu müssen, beispielsweise in einem Strafverfahren. Über die nationale Ebene hinaus hat die Bundesrepublik Deutschland die europäische Ratspräsidentschaft dazu genutzt, in einer von Kulturstaatsministerin Monika Grütters geführten Arbeitsgruppe festzuschreiben, wie ein pluralistisches und widerstandsfähiges Mediensystem von grenzüberschreitenden Angeboten national wie auch EU-weit geschaffen werden kann. Deutschland engagiert sich, was Pressefreiheit anbelangt, in der OSZE und in den Vereinten Nationen. Und: Deutschland hat die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert, wo in Artikel 10 ausdrücklich die Pressefreiheit normiert ist. Wir haben auch – um der Forderung der FDP nachzukommen und Ihrem Antrag Rechnung zu tragen – unsere Sicherheitsbehörden im Umgang mit Journalistinnen und Journalisten ausreichend geschult; die Kollegin Motschmann hat das, denke ich, ausführlich dargestellt. Es muss festhalten werden, dass im vergangenen Jahr mehr als drei Viertel der Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten oder Medienvertreter bei Demonstrationen stattgefunden haben, entweder auf oder am Rande von Coronademonstrationen oder – das hat die Kollegin Achelwilm leider vergessen – am 1. Mai. ({0}) Wir tun alles, um dem Einhalt zu gebieten. Unter anderem werden wir solche – von Ihnen zu Recht kritisiert – zahlenmäßig nicht erfassten Vorgänge in den Mittelpunkt rücken. Das tut der Bundesinnenminister, indem er diese Dinge selber in den Fokus nimmt und öffentlich ächtet. Das ist meines Erachtens oftmals mehr wert als eine weitere Statistik, ein weiterer Bericht, der irgendwo in einer Schublade verschwindet. ({1}) All das und noch viel mehr findet sich in einem wirklich lesenswerten Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion vom November 2020, ebenso die Forderung an das Auswärtige Amt, sich für einen UN-Sonderbeauftragten zum Journalistenschutz einzusetzen. Dazu gibt es auch einen entsprechenden Grundsatzbeschluss aus der 18. Wahlperiode. Ganz zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich etwas sagen zu der Klage beider Antragsteller, die ich genannt habe – sowohl von der FDP als auch von den Linken –, bezüglich Hass und Hetze im Netz, die leider auch vor Journalisten und Journalistinnen nicht haltmachen. Unserem entschiedenen Vorgehen dagegen, beispielsweise mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, wollte sich hier im Hause vonseiten der Oppositionsfraktionen niemand anschließen. Mit erheblicher Verzögerung ist es uns gelungen, das dann doch noch über den Vermittlungsausschuss im Bundesrat auf den Weg zu bringen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieses Gesetz gilt, und es wird wirken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächster Redner ist der Kollege Albrecht Glaser, AfD-Fraktion. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag wollen die Grünen einen sogenannten Non-Profit-Journalismus als gemeinnützig steuerlich subventionieren. Beklagt wird ein „Marktversagen“ hinsichtlich der „medialen Versorgung“ der Bevölkerung. Meine Damen und Herren, das könnte vielleicht auch das Relotius-Syndrom sein. ({0}) Der gemeinnützige, von steuerbegünstigten Spenden durch Karussellfinanzierung unterhaltene Non-Profit-Journalismus hat inzwischen in Deutschland eine große Szene, aus deren Lobbykonzeptpapier der Grünenantrag im Wesentlichen abgeschrieben worden ist. ({1}) Die tonangebende gemeinnützige Aktiengesellschaft PHINEO schleuste im letzten Berichtsjahr 24 Millionen Euro an steuerbegünstigten Spenden in ein breites Umfeld anderer steuerbegünstigter Einrichtungen. Sie tut dies in dem Verständnis – ich zitiere –, dass „der Journalismus … um seine orientierungsgebende Funktion in der Gesellschaft“ ringt, in Wahrheit also wohl eher um eine manipulative Vormundschaftsanmaßung, meine Damen und Herren. ({2}) Ringkämpfer auf diesem Feld ist unter anderem das Forum Gemeinnütziger Journalismus, dem die taz Panter Stiftung, die Augstein Stiftung, Belltower.News, Queer.de und Ähnliche angehören. Diesem Forum gehört auch die bekannte gemeinnützige Correctiv gGmbH an – bekannt auch deshalb, weil sie – wie etwa auch die dpa – im Auftrag des großen Mittelständlers Facebook gut bezahlte Netzkontrolle betreibt, um Regierungszensurvorgaben umzusetzen. ({3}) Der Geschäftsführer, der die Geschäftsidee „gemeinnütziger Journalismus“ erfunden hat, hatte 2015 ein gemeinnütziges Jahresgehalt von über 110 000 Euro. Die Zuwendungen an Correctiv kommen überwiegend aus der SPD-nahen Brost-Stiftung, die eng mit der Friedrich-Ebert-Stiftung kooperiert. Unter dem Etikett der Volksbildung wurde die Correctiv gGmbH als gemeinnützig anerkannt – nicht für ihren Journalismus. Ob es eine Betriebsprüfung der Steuerverwaltung je gegeben hat, um zu schauen, was tatsächlich unter dieser gGmbH passiert, ist nicht bekannt. Die Entscheidung eines Finanzamtes, dem Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit zu entziehen, wurde im Januar 2019 vom Bundesfinanzhof bestätigt. Seither findet ein Hauen und Stechen um den steuerlichen Status der Gemeinnützigkeit statt, der nach Rechtslage nur Körperschaften zugutekommen soll, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen. Linken politischen Gesinnungsjournalismus unter Gemeinnützigkeit subsummieren zu wollen, meine Damen und Herren, ist unlauterer Wettbewerb im Vergleich zu ehrlichem Journalismus, der um seine entgeltlichen Kunden werben muss. ({4}) Diesem Irrwitz setzt die Krone auf – ich komme zum Ende, Herr Präsident –, dass die Grünen dem linksradikalen Forum Gemeinnützigkeit Journalismus per Spenden-Siegel die Entscheidungsgewalt übertragen wollen, in welchen Fällen die Finanzverwaltung die Gemeinnützigkeit anerkennen soll und in welchen nicht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das Gegenteil von dem, was heute eigentlich Gegenstand der Diskussion sein sollte. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Glaser. ({0}) – Ja, Frau Kollegin, aber es passiert nicht nur Rednern der AfD. Das hatten wir heute Nacht beispielsweise auch bei Abgeordneten der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen. ({1}) Ich möchte jetzt keine Namen nennen, aber ich könnte es tun; ich habe das noch in Erinnerung. Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvan Korkmaz-Emre, SPD-Fraktion. ({2})

Elvan Korkmaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004790, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hat in ihrem Jahresbericht die zunehmende Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten festgehalten, auch hier bei uns in Deutschland. Pressefreiheit ist nicht nur auf Zensurfreiheit zu reduzieren, sondern betrifft auch die Sicherheit der Journalistinnen und Journalisten bei der Erfüllung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Aufgabe: der unabhängigen Berichterstattung. Jeder Fall von Einschüchterung, Bedrohung und Denunziation des freien Wortes ist ein Angriff auf die Demokratie. Er ist ein Angriff auf alle Demokratinnen und Demokraten, und deshalb verurteilen wir diese Gewalt aufs Schärfste. ({0}) Wir müssen diese Taten erfassen und verfolgen. Von der Freiheit der Presse hängt unser demokratisches Miteinander ab, und hier muss der Rechtsstaat mit aller Konsequenz vorgehen. Als Digitalpolitikerin weiß ich, dass wir hierin nicht weniger als die Spitze des Eisbergs sehen, das Symptom eines grundlegenden Strukturwandels der Öffentlichkeit in unseren westlichen Demokratien, ein Problem, das weit über Deutschland hinausreicht. Was ist denn passiert, dass wir wütende Menschen auf der Straße sehen, die offenkundig nicht zwischen Verschwörungstheorien und bewusster Propaganda auf der einen Seite und einer sachgerechten, unabhängigen Berichterstattung auf der anderen Seite unterscheiden können oder wollen? Es gehört zu den natürlichen Effekten der sogenannten sozialen Netzwerke, dass die angemessene Organisation von Information – früher nannten wir das mal „gesellschaftlichen Diskurs“ – systematisch infrage gestellt wird. Und diese Unternehmen haben keinerlei Interesse daran, die Freiheit des Wortes im Sinne der Demokratie zu fördern. Wir dürfen nicht vergessen: Dass vermeintlich jeder alles sagen darf, macht noch keine Freiheit und erst recht keine Demokratie. Gerade bei Twitter, Facebook und Co beleben Polarisierung und Spaltung sogar das Geschäftsmodell, und diese Logik ist mit der Demokratie nicht vereinbar. ({1}) Deshalb ist es richtig, dass der Bundestag im letzten Jahr das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität beschlossen hat. Deshalb ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag gestern die Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes beschlossen hat. Und deshalb ist es richtig, dass wir auf europäischer Ebene einen Digital Services Act und einen Digital Markets Act beschließen werden, mit denen wir endlich die digitalen Plattformen stärker regulieren. ({2}) Wir müssen die Gelegenheit nutzen, den öffentlichen Raum und insbesondere die digitale Öffentlichkeit wieder aktiv zu gestalten; denn gerade in der schönen neuen Welt werden die klassischen Medien eine zentrale Funktion übernehmen müssen. Zentrale Funktion der Medien ist und bleibt es, durch neutrale und unabhängige Berichterstattung die Selbstbeobachtung der Gesellschaft zu ermöglichen. Auch das Bundesverfassungsgericht schreibt ihnen eine wachsende Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund der Risiken, die von der Netz- und Plattformökonomie ausgehen, geht es darum, ein Vielfalt sicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden. In diesem Sinne: Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächste erhält das Wort die Kollegin Sandra Bubendorfer-Licht, FDP-Fraktion. ({0})

Sandra Bubendorfer-Licht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004956, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann den Eindruck gewinnen, wir leben von Krise zu Krise – erst die Euro-Krise, dann die Migrationskrise, nun die Coronakrise. Die eine Krise konnten wir vorerst mit Geld lösen, der anderen begegnen wir mit großer Menschlichkeit, und nun setzen wir unsere Hoffnung auf den Impfstoff. Für eine Krise in diesem Land aber ringen wir noch um eine Lösung. Es ist die Krise der Gefahr für freie und unabhängige Berichterstattung – eine freie und unabhängige Berichterstattung, die durch Gewalt, Bedrohung und Verrohung gefährdet ist. Seit Jahren wuchs in manchen Kreisen das Misstrauen. Bezeichnungen wie „Mainstream-Medien“ oder „Lügenpresse“ ebneten den Weg. Es folgten Gewaltfantasien, die nun in roher Gewalt gegenüber Journalistinnen und Journalisten gipfeln. Diese müssen nicht mehr in Kriegsgebiete reisen, um Gefahr für Leib und Leben zu spüren. Demonstrationen reichen, um bedrohliche Situationen zu schaffen. Der Maßstab bei manchen Menschen ist nicht mehr die reine Ablehnung der anderen Meinung; der Maßstab ist das Bekämpfen der anderen Meinung mit allen Mitteln. ({0}) Dieser Zustand ist – und das sage ich ganz klar – für alle Demokraten – –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ganz kleinen Moment, Frau Kollegin. – Herr Kollege Komning, wenn Sie durch den Saal schreiten, wäre ich dankbar, wenn Sie Ihre Maske aufsetzen würden. ({0}) Frau Kollegin, Sie können weiterreden. Ihre Redezeit ist angehalten worden.

Sandra Bubendorfer-Licht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004956, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke. – Der Maßstab bei manchen Menschen ist nicht mehr die reine Ablehnung der anderen Meinung; der Maßstab ist das Bekämpfen der anderen Meinung mit allen Mitteln. Dieser Zustand ist – das sage ich ganz klar – für alle Demokraten nicht tragbar, nicht tolerierbar und nicht entschuldbar. ({0}) Wir haben Menschen in diesem Land, die in einem kompletten informativen Paralleluniversum leben – ermutigt durch Fake News, bestätigt durch alternative Fakten, aufgehetzt durch die Verrohung der Sprache und geprägt von der Überzeugung, dass Gewalt ein Mittel der Auseinandersetzung sein darf. Wir nennen sie Querdenker, Reichsbürger, Rechtsextremisten, Linksextremisten, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker und Gewalttäter, und eins eint diese alle: der Hass gegen unsere Freiheit. ({1}) Jetzt liegt es an uns allen, dagegenzuhalten, unsere Freiheit, unsere Demokratie, unsere Lebensweise zu schützen, und es gibt keine Freiheit ohne eine freie und unabhängige Presse. ({2}) Dazu brauchen wir endlich eine Strafverfolgung, die konsequent und zeitnah aktiv wird, Ermittlungsverfahren, die rasch Klarheit schaffen, und eine Rechtsprechung, die auch schnell Recht spricht. Wir brauchen einen noch besseren Austausch zwischen den Journalistinnen und den Einsatzkräften vor Ort. Dazu müssen wir die Einsatzkräfte mehr sensibilisieren. Wir müssen überlegen, ob wir das Strafrecht anpassen, um deutlich zu machen, dass ein Angriff auf Journalistinnen immer ein Angriff auf unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat darstellt. Der Kern des Hasses und der Gewalt ist nämlich die Intoleranz – die Intoleranz gegen eine andere Meinung. Was für ein Trauerspiel in einem pluralistischen Land! ({3}) In einem Land, in dem sich Journalistinnen und Journalisten verstecken müssen, möchte ich nicht leben. Lassen Sie es uns niemals so weit kommen. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit über einem Jahr beobachten wir mit großer Sorge die Entwicklungen bei den „Querdenken“-Protesten. Seit über einem Jahr warnen wir vor den Vernetzungen ins rechtsextreme Spektrum, vor den Allianzen mit bekannten Reichsbürgen und Rechtsextremen, vor den völkischen Rechten und Holocaustrelativierern, die jede Woche in unterschiedlichen Städten angeblich für Friede, Freiheit und Demokratie eintreten, aber eigentlich das genaue Gegenteil im Sinn haben. Freie Medien als „Systempresse“ oder „Lügenpresse“ zu diffamieren, ist nicht neu; das kennen wir schon von Pegida. Und schon viel zu lange haben wir in diesem Parlament eine Fraktion, die ein fragwürdiges Bild von Pressearbeit hat, was sie auch hier gerade in dieser Debatte in zwei Reden sehr eindrücklich unter Beweis gestellt hat. Bei der AfD wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerne als „Staatsfunk“ bezeichnet, und es wird dort gerne von „gekauften Journalisten“ geredet. Auch ehemalige Verfassungsschutzpräsidenten befeuern bedauerlicherweise diese Kampagne. ({0}) Und selbst in der Union ist man nicht frei davon, dass Abgeordnete ihrer Fraktion hier an diesem Redepult davon sprechen, dass mit Blick auf das gesellschaftliche Klima angeblich ein Problem mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk besteht. Solche Aussagen haben Folgen und können das Vertrauen in unabhängige Medien nachhaltig schwächen, und das können wir als Demokratinnen und Demokraten nicht akzeptieren, meine Damen und Herren. ({1}) Die unabhängige Presse ist seit jeher der Feind rechtsextremer und demokratiefeindlicher Bewegungen. Angriffe auf die Pressefreiheit haben mit dem Aufkommen von „Querdenken“ eine neue Qualität bekommen. Und deswegen ist es wichtig, dass wir hier und heute dieses Thema auf die Tagesordnung heben, meine Damen und Herren. ({2}) Journalistinnen und Journalisten werden eingeschüchtert und bedroht, Kamera-Equipment wird zerstört, und sie werden daran gehindert, ihre Arbeit geschützt auszuüben. Die Angriffe hören aber nicht bei den Demonstrationen vor Ort auf: Reporterinnen und Reporter, die über „Querdenken“ oder Verschwörungstheorien berichten, werden auch außerhalb von Demonstrationen im Netz und sogar privat bedroht, angegriffen und mit Hassnachrichten geflutet. All das hat dazu geführt, dass Deutschland auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 13 abgerutscht ist. Die Lage der Pressefreiheit in Deutschland ist damit nicht mehr „gut“, sondern nur noch „zufriedenstellend“. Aber das kann uns doch nicht zufriedenstellen, meine Damen und Herren. ({3}) Auch die Kritik von Journalistinnen und Journalisten am teilweise mangelnden Schutz bei Demonstrationen muss dringend ernst genommen werden. Polizeiliche Einsätze, bei denen Medienschaffende nicht ausreichend geschützt werden konnten, müssen evaluiert werden, und Einsatzkonzepte müssen auch dementsprechend angepasst werden, damit die Presse gefahrlos ihrem grundrechtlich geschützten Auftrag nachkommen kann. ({4}) Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das eigentlich selbstverständlich gegeben sein sollte, aber leider jeden Tag aufs Neue verteidigt werden muss. Deswegen ist es unsere Pflicht, zu gewährleisten, dass Medienschaffende ihre Arbeit ungehindert wahrnehmen können. Ganz herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Mihalic. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Yvonne Magwas, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004346, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Montag haben wir den Welttag der Pressefreiheit begangen. Meinungsvielfalt, Meinungsfreiheit und publizistische Vielfalt sind die Grundpfeiler freier und offener Gesellschaften sowie der demokratischen Willensbildung. Leider sehen wir mit Desinformation und Hassrede vermehrt auch negative Aspekte unserer digitalen Welt. Sie gefährden die freie Meinungsbildung und den offenen Diskurs. Sie sind eine Gefahr für unsere Demokratie. Das spüren wir auch gerade jetzt in der Coronakrise. Im Internet, in den sozialen Netzwerken und auch auf den Plattformen kursieren gezielte Falschinformationen und Beleidigungen, die auf Manipulation und Verunsicherung abzielen, zum Beispiel beim Thema Impfen und Impfstoffe. Männer und Frauen sind dabei gleichermaßen von Hass und Hetze betroffen. Frauen sind aber überproportional häufig im sexuellen Kontext oder im Hinblick auf ihr äußeres Erscheinungsbild mit Hasskommentaren konfrontiert. ({0}) Dem gilt es mit aller Kraft entgegenzutreten. ({1}) Wir brauchen nationale und europäische Gesetze. Wir brauchen die Bündelung aller Kräfte aus Politik, Medien, Aufsicht, Justiz und Plattformbetreibern, damit sich die Menschen unseres Landes auch in Zukunft über vertrauenswürdige, verlässliche und unabhängige Medien informieren und damit sie frei ihre Meinung bilden können. Diese Forderungen finden wir auch im Antrag der FDP. Hier sind wir auf einer Linie. Wir haben hierzu in der Koalition aber bereits wichtige Maßnahmen umgesetzt oder auf den Weg gebracht. Einiges wurde schon genannt: Das ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches wir gestern erst nachgeschärft haben. Das ist das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Das sind aber auch auf europäischer Ebene die zentralen und umfassenden Regulierungsansätze des Digital Markets Acts und des Digital Services Acts. Auf nationaler Ebene haben wir mit dem Medienstaatsvertrag und einigen Änderungen im Kartellrecht ein modernes Regelwerk geschaffen. Es gibt aber auch auf Länderebene tolle Initiativen und Projekte, die wir unterstützen. Hierzu gehört unter anderem die Initiative „Gemeinsam gegen Hass im Netz“ von der Sächsischen Staatsregierung und der Sächsischen Landesmedienanstalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seriöser Journalismus und vertrauenswürdige Medien sind das beste Mittel gegen Desinformation. Die Medien können ihre Rolle als Vermittler recherchierter und im journalistischen Sinne neutral aufbereiteter Information nur dann nachkommen, wenn sie auf den Medienplattformen auch für den Nutzer auffindbar sind. Daher ist es wichtig, dass die im Rahmen der nationalen und europäischen Medienregulierung gefundenen Lösungen nicht durch die betroffenen Plattformen und Netzwerke mittels eigener Regelungen umgangen bzw. ausgesetzt werden dürfen. Das müssen wir klar ausschließen. ({2}) Es gehört aber auch dazu, dass die Menschen seriösen von unseriösem Journalismus unterscheiden können. Daher wollen wir zur weiteren Erhöhung der Medienkompetenz die bisherigen Projekte der digitalen Bildung in Kitas, in Schulen, im Bereich der Lehrerausbildung, bei Trägern der Erwachsenenausbildung sowie an Fachhochschulen und Universitäten fördern und weiterentwickeln. Das Schulfach Medienkompetenz könnte gerne auf den Lehrplänen auftauchen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist natürlich die Stärkung der lokalen Medien und unserer dualen Medienordnung. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass insbesondere die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Menschen und hier auch besonders die jüngere Generation als meistgenutzte Anbieter überzeugt haben. Gründe für die gestiegene Nutzung liegen vor allem in der Glaubwürdigkeit und der Vertrauenswürdigkeit hinsichtlich der Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender. Wir als Union stehen deshalb zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen erfolgreicher Weiterentwicklung, das Ganze natürlich eingebettet in einer starken dualen Medienordnung. Und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, wir sehen auch die Rolle der privaten Sender. Die privaten Rundfunkanbieter wurden durch den Bund in der Coronakrise mit 20 Millionen Euro unterstützt. Hinzu kommt, dass sie auch die Möglichkeit haben, vom steuerlichen Verlustrücktrag Gebrauch zu machen. Die entsprechenden Forderungen in Ihrem Antrag sind daher weitgehend überholt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den kommenden Jahren wird es weiter darum gehen, Medien- und Meinungsvielfalt zu stärken. Qualität muss in der digitalen Welt stärker gefördert werden. Dazu gehören eine beherzte Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Stärkung der Privatsender, die Unterstützung regionaler und lokaler Medien, die Stärkung der Medienkompetenz sowie die selbstregulatorische und, wo nötig, auch die regulierte Verantwortung der großen Konzerne – das alles für einen qualitativen, vielfältigen Journalismus und gegen Desinformation und Hassreden im Netz. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch.

Mario Mieruch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004822

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Pressefreiheit und Presseunabhängigkeit sind für eine Demokratie elementar. Nicht umsonst spricht man von der vierten Macht, welcher hinsichtlich Objektivität und Neutralität eine besondere Rolle zukommt. Und ja, die Pressefreiheit wird immer wieder angegriffen, und nein, das dürfen wir nicht hinnehmen. Mit der gleichen Konsequenz sollten wir aber auch auf die Presseunabhängigkeit achten. Als im letzten Jahr die Coronawerbefilme hohe Wellen schlugen, war das für mich Anlass, unseren Regierungssprecher Seibert zu fragen, wie viel Steuergeld unsere Regierung eigentlich an private Medienunternehmen zahlt. Die Antwort: von 2015 bis 2020 satte 220 Millionen Euro. Das ist eine nicht unerhebliche Summe angesichts rapide gefallener Auflagen vieler Zeitungen und Verlage. Gute 1,8 Millionen Euro kostete dabei die Coronakampagne, bei der man den Lockdown-gebeutelten Zuschauern empfahl, doch einfach auf der Couch sitzen zu bleiben. Konzipiert wurde das von der Hirschen Group, einem Schwergewicht im Marketing; sowohl die Grünen als auch die CDU pflegen gute Kontakte dorthin. Nun wollte ich von unserem Regierungssprecher wissen, an wie viele Medienunternehmen die Coronawerbefilme verteilt wurden und wie viel Steuergelder diese jeweils dafür bekamen. Das zu beantworten, verweigert er seit einem Jahr. Die Geschäftsgeheimnisse dieser Unternehmen seien hier höher zu bewerten als mein parlamentarisches Frage- und Kontrollrecht; so seine Einzelfallentscheidung. Was für eine Frechheit! Aber Seibert setzte noch einen drauf; denn ich gab mich damit nicht zufrieden. Ich wurde endgültig abgewürgt: Der Sachverhalt sei jetzt auch hinreichend erörtert. Da frage ich doch: Wo sind wir eigentlich hingekommen in diesem Land, wenn der Regierungssprecher entscheidet, was ich als Abgeordneter wann und wie tief fragen darf? Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren, der eine Organklage wahrlich verdient hat. Aber es gibt noch ein weiteres Beispiel. Am 12. Januar dieses Jahres luden Herr Seibert und Kanzleramtschef Braun Pressevertreter zu einem Hintergrundgespräch ein. Kurze Zeit später bestimmten die Coronamutanten die Schlagzeilen der Medien. Ich wollte also wissen, wer teilnahm, was besprochen wurde und noch einiges mehr. Die Antwort: Darüber führen wir keine Erhebungen. – Ja bitte, was? Seit einem Jahr muss jedes Restaurant eine Anwesenheitsliste führen – und das Ganze gilt im Kanzleramt und im Bundespresseamt nicht? Wen will man hier eigentlich für dumm verkaufen? Ich hakte also wieder nach, dass man binnen eines Monats doch kaum so vergesslich sein könnte. Die Antwort war, ich solle doch Verständnis haben, dass man dazu keine weiteren Informationen herausgibt. Nein, sage ich sehr deutlich und sehr laut, dafür habe ich kein Verständnis. Das, meine Damen und Herren, sind nicht nur Beispiele, wie das parlamentarische Fragerecht seitens der Regierung auf schamlose und skandalöse Weise ausgehebelt wird, nein, es stellt auch die Unabhängigkeit von Medien erheblich und begründet infrage. Denn wenn Medien Kampagnen fahren, die unter Umständen vorher mit der Regierung abgestimmt oder gar gemeinsam orchestriert wurden, und diese Medien den Bürgern verschweigen, dass sie ihre Infos aus dem Kanzleramt haben, dann haben diese Medien ihre Unabhängigkeit ganz freiwillig gegen Handlangertum getauscht. So wird aus Journalismus Propaganda. Auch dagegen muss sich eine Demokratie wehren. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mieruch. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Barbara Hendricks, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als zufriedenstellend haben Reporter ohne Grenzen die Lage der Pressefreiheit in Deutschland bezeichnet; nicht als gut, wie in den Jahren zuvor. Das Zeugnis, das Deutschland Ende April in der weltweiten Rangliste ausgestellt wurde, kann uns eben nicht zufriedenstellen. Platz 13 von 180 Plätzen hört sich dabei zunächst akzeptabel an. Aber wenn es um die Pressefreiheit geht, dürfen wir uns nicht erlauben, Abstriche zu machen. Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich rede hier nicht davon, dass unsere Pressefreiheit nicht funktionieren würde. Selbstverständlich können Medien in unserem Land in der Regel frei und unabhängig berichten; durch staatliche Maßnahmen, wie das in vielen Ländern leider traurige Realität ist, werden sie nicht eingeschränkt. Doch es gibt immer wieder Fälle, in denen Journalistinnen und Journalisten bedroht, in ihrer Arbeit behindert oder angegriffen werden. Im vergangenen Jahr stellt sich die Situation der Pressefreiheit schlechter dar als zuvor: 69 körperliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten, fünfmal mehr als im Vorjahr, zählte das European Centre for Press and Media Freedom. Etwa die Hälfte dieser Angriffe hatte einen rechten Hintergrund, 7 Prozent hatten einen linken Hintergrund. Auch die Tatorte wurden dokumentiert: 71 Prozent aller Angriffe fanden bei pandemiebezogenen Demonstrationen statt. Dabei sind es nicht nur die Reichsbürger und Rechtsextremisten, die bei den Demonstrationen zuschlagen. Die Hemmschwelle sinkt auch bei Menschen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Die Angreifer reihen sich damit ein in die Reihen der Demokratiefeinde der neuen Rechten, deren parlamentarischer Arm hier im Plenum sitzt. Auch wenn sich die Fraktionsvorsitzende Weidel im ZDF mehr schlecht als recht von den Coronaleugnern distanzieren wollte: Ihre Leute machen sich gemein mit den sogenannten Querdenkern. ({0}) Der Abgeordnete Hilse trug hier am Rednerpult des Deutschen Bundestages ein T‑Shirt der mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachteten sogenannten Querdenker. Der Abgeordnete Müller machte sich mit Verschwörungsideologen gemein, als er vor dem Brandenburger Tor die Menge mit seinem Gerede vom Ermächtigungsgesetz aufpeitschte. Der Grund für die Zunahme von Gewalt ist daher eindeutig: Die Leute, die von Diktatur und Lügenpresse reden, schränken gleichzeitig die freie Berichterstattung massiv ein. ({1}) Um der Gewalt auf Demonstrationen zu begegnen, hat die Polizei Hannover einen neuen Ansatz gewählt. Sie kündigte an, bei den Querdenkerdemonstrationen künftig spezielle Schutzzonen für Reporterinnen und Reporter zu schaffen. Dieser sicherlich gutgemeinte Vorschlag ist meines Erachtens aber nicht zielführend. Er erlaubt es dann zwar Medienvertretern, in einem geschützten Bereich ihrer Arbeit nachzugehen, nur bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass die Polizei den Schutz außerhalb dieser Zonen nicht gewährleisten kann. Das Recht auf eine freie und unabhängige Berichterstattung muss jedoch zu jeder Zeit und überall durch die Polizei gewährleistet werden. Sicherlich kennen Sie auch das Video der von mir geschätzten Journalistin Dunja Hayali, die sich im vergangenen Jahr bei ihrer Arbeit für das ZDF ausschließlich mit privaten Personenschützern auf einer Demonstration in Berlin bewegen konnte. Sie musste den Dreh dennoch abbrechen, weil die Anfeindungen und Bedrohungen ihre Sicherheit massiv einschränkten. Ich würde mir daher von der Polizei manchmal mehr Sensibilisierung für das Thema und auch neue Einsatzkonzepte wünschen. ({2}) Denn es ist der Staat, der die Pressefreiheit zu schützen hat. Gleichzeitig sind aber auch wir alle es, die mit unseren Werten vorleben müssen, dass andere Meinungen zu einer freien und pluralistischen Gesellschaft dazugehören. Vergessen sollten wir aber eines nicht: Bedrohung, Beleidigung und Gewalt sind keine Meinungen; es sind Straftaten. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Hendricks. – Damit schließe ich die Aussprache.

Torsten Schweiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir reden heute über eine Baugesetzbuchnovelle, die einen besonderen Namen hat, nämlich Baulandmobilisierungsgesetz. Dieses Gesetz setzt die Ergebnisse der Baulandkommission weitgehend um. Es ist aber kein Solitärgesetz, sondern Bestandteil der Wohnraumoffensive, die ein Hauptpunkt unserer Koalition in dieser Legislatur war. Wir haben den Instrumentenkasten des Baugesetzbuches an circa 20 Stellen erweitert und präzisiert. Teilweise sind aber auch eigentumsbeschränkende Elemente dabei. Daher war es wichtig, dass der Einsatz dieser Instrumente nicht wahllos, sondern zeitlich befristet und auch nur da erfolgt, wo die Länder durch eine Rechtsverordnung den angespannten Wohnungsmarkt festgestellt haben. Eine neue B-Plan-Kategorie ist hinzugekommen: der sektorale Bebauungsplan. Er wird, wenn die Notwendigkeit besteht, Möglichkeiten bieten, insbesondere für die Wohnraumschaffung Ziele im Bereich des sozialen Wohnungsbaus zu verankern. Die Umwandlung von Wohnungen wird begrenzt, ohne jedoch die Eigentumswohnung als Möglichkeit der Alterssicherung abzuschaffen. Daher war die Kleineigentümerklausel, wie wir sie verankert haben, auch so unwahrscheinlich wichtig. Auch der Vielfältigkeit und der Unterschiedlichkeit in den Ländern werden wir gerecht; denn durch die zeitlich befristete Rechtsverordnung können die Länder innerhalb eines Korridors abweichen. Besonders herausheben möchte ich auch eine neue Gebietskategorie: Das ist das dörfliche Wohngebiet. Hier denken wir, dass vielfältige Nutzungsmischungen, gerade im ländlichen Bereich, so einfach besser möglich sein werden. Aber auch das beschleunigte Verfahren für Bebauungspläne mit kleineren Grundflächen nach 13b BauGB werden wir beibehalten. ({0}) Denn die hierbei notwendigen, aber reduzierten Anforderungen haben in der Praxis durchaus gezeigt, dass keinesfalls eine missbräuchliche Nutzung erfolgt. Die Einbettung dieses Gesetzes in die Wohnraumoffensive ist konsequent und flankiert andere Maßnahmen, wie zum Beispiel das Baukindergeld, die erhöhte steuerliche Abschreibung oder auch die erfolgte Erhöhung und Dynamisierung des Wohngeldes. Jetzt wird es darauf ankommen, zu sehen, wie die Änderungen in der Praxis wirken und wie sie angenommen und genutzt werden. Gegebenenfalls muss man auch noch mal nachjustieren. Doch das wird sicherlich Aufgabe in der nächsten Legislatur sein. Zum Schluss meiner Rede möchte ich mich bedanken, insbesondere bei den Vertretern unseres Koalitionspartners, bei Claudia Tausend und bei Bernhard Daldrup. Der Regierungsentwurf musste nämlich noch über die sogenannte rote Linie gehoben werden. Das haben wir gemacht. Erst damit ist er zustimmungsfähig und nun von einem Regierungsentwurf zu einem echten Parlamentsgesetz geworden. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schweiger. – Nächster Redner ist der Kollege Udo Hemmelgarn, AfD-Fraktion. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über das Baulandmobilisierungsgesetz sprechen, muss man eines vorwegschicken: Es handelt sich wieder einmal um einen Etikettenschwindel dieser Regierung. Dieses Gesetz mobilisiert eines nicht: Bauland! Es verschärft die bestehende Krise des Wohnungsmarktes weiter. Dieser Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht gemacht und präsentiert das gesamte Sammelsurium an Maßnahmen, die kaum etwas bringen, den Bürger aber erheblich beeinträchtigen. ({0}) Die Bürger werden auf der Grundlage ausgesprochen schwammiger Formulierungen in ihren Rechten massiv beschränkt. Es wird Rechtsunsicherheit geschaffen, wo klare und sinnvolle Regelungen notwendig wären. Die Sachverständigen haben diesen Befund weitgehend bestätigt. Wie üblich, hört diese Bundesregierung nur auf die Stimmen, die in ihr Weltbild passen. Welche Ideen finden sich im Einzelnen in diesem Gesetzentwurf? Da ist zunächst einmal der sektorale Bebauungsplan. Hier werden neben den bestehenden Vorgaben für Bebauungspläne zusätzliche Anforderungen formuliert. Anstelle einer Deregulierung, die immer wieder gefordert wird, werden weitere Voraussetzungen geschaffen. Es ist klar, dass schnelleres Bauen so nicht erreicht werden kann. ({1}) Und es ist illusorisch, anzunehmen, dass man auf diese Art und Weise den Mangel an Wohnraum bekämpfen kann. ({2}) Ein weiteres Highlight des Entwurfs ist die Stärkung des gemeindlichen Vorkaufsrechts. Es kann jetzt auch bei wenig oder unbebauten Grundstücken ausgeübt werden, und auch die Frist zur Ausübung verlängert sich von zwei auf drei Monate. Für alle Beteiligten, insbesondere auch für die Mieter, bedeutet das eine längere Phase der Unsicherheit und des Stillstands. Man muss jetzt nicht nur auf das Grundbuchamt warten, sondern auch noch auf die Gemeinde. Von Beschleunigung der Prozesse keine Spur! Weshalb man es den Gemeinden nicht zumuten kann, das Vorkaufsrecht innerhalb von zwei Monaten auszuüben, und wie dadurch Bauland mobilisiert werden soll, ist das Geheimnis der Verfasser dieses Gesetzentwurfs. Im Ergebnis lädt die Stadt wieder einmal Verantwortung und mögliche Kosten beim Bürger ab. Ein weiteres wesentliches Element des Gesetzes betrifft die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, teilweise auch kurz „Umwandlungsverbot“ genannt. Mit der Neuregelung des § 250 Baugesetzbuch entscheidet sich die Bundesregierung gegen die Bildung und Förderung von Wohneigentum. Nur am Rande möchte ich darauf hinweisen, dass Deutschland schon jetzt die zweitniedrigste Quote an Wohneigentum innerhalb der OECD aufweist und das Medianvermögen der deutschen Haushalte unter dem von Spanien, Italien und sogar unter dem von Griechenland liegt. Wir wissen, dass von Links-Rot-Grün jetzt das Argument kommen wird, dass sich die meisten Mieter einen Kauf ihrer Wohnung überhaupt nicht leisten können. Das ist leider richtig. Sie können das nicht, weil die Mittelschicht und die unteren Einkommensgruppen durch die Politik des links-grünen Mainstreams seit über 20 Jahren an Einkommen und Vermögen verloren haben. Es ist aus unserer Sicht zynisch, wenn die gleichen Akteure jetzt auf diesen Umstand verweisen, um die Eigentumsbildung und damit den Aufbau von Vermögen zu erschweren. Wahrscheinlich will diese Regierung dem Bürger die Lust auf Wohneigentum vor dem „Great Reset“ noch so richtig vermiesen. Zusammenfassend kann man also sagen: Die Bundesregierung will die Probleme mit mehr Bürokratie, mit mehr Staat und weniger Privateigentum lösen. Erwartet da noch irgendjemand etwas Gutes? Nachdem man jetzt mehr als ein Jahr von Lockdown zu Lockdown gestolpert ist und nach einem halben Jahr des fast kompletten Impfversagens sollte jedem klar sein, was das für Folgen haben wird. Sehr geehrte Damen und Herren, das Erschreckende daran ist, dass die Union nicht einmal im Ansatz erkennt, wie weit sie den Weg sozialistischer Irrlehren schon mitgegangen ist. Mit dieser Vorlage zur Baulandmobilisierung versuchen Sie, Probleme zu lösen, die Sie selbst geschaffen haben. ({3}) Und selbst das können Sie nicht. Sie schaffen das eben nicht. ({4}) Die Änderungsanträge der FDP sind sicherlich gut gemeint. Am wesentlichen Inhalt und am Geist dieses Gesetzes können aber auch diese nichts ändern. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hemmelgarn. – Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol, SPD-Fraktion. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trinken, Essen, ein Dach über dem Kopf, das sind Grundbedürfnisse. Das Grundbedürfnis, ein Zuhause zu haben, das können sich viele Menschen in Deutschland aber kaum noch leisten, zumindest nicht in den Ballungsräumen dieser Republik. Hier muss etwas passieren. Deshalb bringen wir heute das Baulandmobilisierungsgesetz auf den Weg. Mit diesem Gesetz verabschieden wir das größte baupolitische Vorhaben dieser Legislatur. Es stärkt die Kommunen und den Mieterschutz. ({0}) Es ist kein Geheimnis, dass das in dieser Koalition kein leichtes Unterfangen war. Umso mehr freue ich mich, dass wir nun diesen wichtigen Schritt gemeinsam gehen. An erster Stelle möchte ich mich noch mal bei Vizekanzler Olaf Scholz bedanken. Mit seiner Expertise hat er den Regierungsentwurf maßgeblich geprägt. Wir haben gezeigt, dass die SPD für bezahlbaren Wohnraum und für die Interessen der Kommunen einsteht. ({1}) Ich bin aber auch dankbar, dass die Unionsfraktion dieses Gesetz trotz der anfänglichen Blockaden und internen Streitigkeiten mitträgt. Expliziter Dank gilt da meinem Kollegen Ulrich Lange. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Baulandmobilisierungsgesetz setzen wir den richtigen Rahmen. Erstens. Wir stärken die Kommunen bei ihrem Vorkaufsrecht. Wenn Grundstücke verkauft werden, haben sie künftig häufiger selbst die Chance, preiswert zu bauen. ({2}) Zweitens. Wir schieben der Spekulation mit Bauland einen Riegel vor. Derzeit gibt es in Deutschland 700 000 Baugenehmigungen, die offenbar nur beantragt wurden, damit Spekulanten auf steigende Preise setzen konnten. Hier bekommen die Kommunen mehr Spielraum. ({3}) Drittens. Wir geben den Kommunen mehr Mitspracherecht beim sozialen Wohnungsbau, damit auf Filetgrundstücken in Innenstadtlagen nicht nur Luxuswohnraum entsteht. ({4}) Und ja, dieses Gesetz ist auch ein Mieterschutzgesetz. Wir stoppen das Geschäftsmodell, nach dem ganze Mietshäuser in Einzeleigentumswohnungen umgewandelt werden. Dass Umwandlung angeblich hilft, Eigentum zu bilden, das ist doch pure Fantasie. Die überteuerten Eigentumswohnungen kann sich kaum ein bisheriger Mieter leisten. ({5}) Es geht um das schnelle Geld: einkaufen, umwandeln, modernisieren, weiterverkaufen. Damit ist jetzt Schluss. ({6}) Mit Blick auf die Opposition sage ich: Ihre Anträge haben mich enttäuscht. Entweder stehen da Dinge, die wir längst regeln, oder Sie versprechen das Blaue vom Himmel. Vielleicht sprechen Sie einfach mal mit Ihren eigenen Landesregierungen. ({7}) Liebe Grüne, dem Antrag zur Streichung des von Ihnen hier hochgezogenen § 13b BauGB haben weder Hessen noch Baden-Württemberg noch Schleswig-Holstein im Bundesrat zugestimmt. ({8}) Das ist nur ein Beispiel von vielen. Die SPD hingegen zeigt, dass wir unsere Versprechen einlösen und alles für Mieterinnen und Mieter rausholen. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte ich noch ein mietenpolitisches Thema ansprechen, das mir wirklich unter den Nägeln brennt. Wir müssen in dieser Legislatur die Verteilung der Lasten des CO2-Preises zwingend regeln. Aktuell würden die Mieterinnen und Mieter die gesamten Mehrkosten alleine tragen. Die Zahlen des Deutschen Mieterbundes zeigen: Das ist am Ende sozialer Wahnsinn. ({10}) Deswegen fordere ich euch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, aber auch den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf, endlich eine Entlastung zugunsten der Mieterinnen und Mieter mitzutragen. Ich glaube, das sind wir den Menschen schuldig. Ansonsten wird es nichts mit dem gemeinsamen Kampf für mehr Klimagerechtigkeit. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Bartol. – Nächster Redner ist der Kollege Daniel Föst, FDP-Fraktion. ({0})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Was soll ich sagen? ({0}) Das war wieder nix! Wohnkostensteigerungen sind für viele Menschen immer noch existenziell. Sie haben sich in der Großen Koalition über Monate hinweg bei dieser notwendigen Reform im Baubereich im internen Koalitionsstreit verkämpft, anstatt endlich große Linien aufzuzeigen und pragmatisch zu handeln. ({1}) Die Novelle des Baugesetzbuches und der Baunutzungsverordnung wäre wirklich eine Chance gewesen, den Wohnungsmangel in Deutschland ein Stück weit zu beheben. Baulandmangel ist ein Riesenproblem. Baulandmangel ist einer der Flaschenhälse beim Schaffen von günstigem Wohnraum. Aber statt Bauland jetzt zu mobilisieren, wird es umverteilt. ({2}) Hinzu kommt: Die ganzen Baugebote, die neuen Verbote, die zusätzlichen B-Pläne, die Fristenverlängerungen, die ganzen neuen Eingriffsrechte sind weitere Baubremsen und Bauverlangsamer. Sie hauen mit der Bürokratiekeule so hin, dass kein Gras mehr wächst. ({3}) Das Bittere ist: Sie haben die zahlreichen konstruktiven Vorschläge der Verbände, übrigens auch der Bundesländer und der Opposition, einfach ignoriert. Sie haben diese Vorschläge zur Mobilisierung und zur Umnutzung von Bauland in den Wind geschlagen. Deswegen ist es auch keine Reform, die Sie hier vorgelegt haben, sondern allerhöchstens ein laues Lüftchen. Wir Freie Demokraten haben deshalb einen ganzen Stapel an konkreten Vorschlägen gemacht, wie man das Baulandmobilisierungsgesetz noch retten könnte. Wir brauchen endlich mehr Bauland. Wir brauchen endlich digitale Verfahren, digitale Bauleitplanung. Wir brauchen endlich mehr Flexibilität beim Bauen. ({4}) Wir brauchen endlich eine stärkere Unterstützung der Kommunen. Nur so entstehen preisgünstige Wohnungen, die die Menschen brauchen. Übrigens: Ein Satz zu Ihrem Streit beim Umwandlungsverbot.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Föst, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion der SPD?

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das verlängert Ihre Redezeit auch deutlich. ({0})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, der Kollege redet auch gerne.

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Föst, Sie haben gerade ein bemerkenswertes Wortpaar gebraucht: preiswerten und bezahlbaren Wohnraum. Ich finde gut, dass Sie davon sprechen, aber Sie sprechen immer nur davon, wenn es um Neubau geht. Ich bin Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft. Wir sollten im Jahr 1999 verkauft werden, haben dann unsere Bestände im Jahr 2000 gekauft. Wir wären an einen sogenannten Aufteiler von Berlin verkauft worden. Wir haben uns gewehrt und haben unsere eigenen Bestände. ({0}) Es war kürzlich jemand bei mir in der Mietersprechstunde, der sich unsere Genossenschaft angeschaut hat. Er sagte: Herr Mindrup, ich bin Rechtsanwalt. Im Augenblick ist meine Wohnung noch bezahlbar. Das Haus ist in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden. Ich weiß, ich werde nach zehn Jahren die Eigenbedarfskündigung bekommen. Nicht mal als Anwalt in Prenzlauer Berg kann ich mir meine Wohnung leisten, und ich gucke jetzt schon, wohin nach Brandenburg ich ziehe. ({1}) Das ist doch absurd, weil es nämlich zeigt, dass preiswerter Wohnraum nicht nur neu gebaut werden muss, sondern auch gesichert werden muss und dass wir das Spekulationsgeschäft beenden müssen, weil wir doch gar nicht dagegen anbauen können, Herr Föst. ({2}) Wir haben 100 000 umgewandelte Wohnungen in Berlin. Diese Verwertungsspirale wollen wir stoppen. Meine Frage ist: Warum wehren Sie sich dagegen? ({3})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Ihr Kollege hat leider nicht recht. – Also, Herr Mindrup, vielen Dank für das Korreferat. Wir werden den Wohnkostenanstieg nur dämpfen können, wenn wir mehr, schneller und günstiger bauen und den ländlichen Raum nicht ausbluten lassen. ({0}) Es gibt einen Regelungsrahmen, Kappungsgrenze, Mietpreisbremse, die Reduzierung der Modernisierungsumlage. Das ist alles korrekt. Es gibt bis zu zehn Jahre Schutz vor Eigenbedarfskündigungen oder generell vor Kündigungen nach Umwandlungen. ({1}) Wir haben die Regierung gefragt, wir haben die Staatsregierung gefragt, wir haben die Kommunen gefragt: Wie viele Wohnungen werden umgewandelt? Das konnte uns keiner belastbar sagen. Wir haben sogar ein Gutachten in Auftrag gegeben. Es muss möglich sein, dass Menschen sich Eigentum zulegen. Was Sie machen, ist, ihnen diese Möglichkeit zu nehmen. ({2}) Da sind wir jetzt übrigens auch beim Umwandlungsverbot, das jetzt drin ist. ({3}) – Das Problem der normalen Menschen ist die Sorge, ihre Miete zahlen zu können. ({4}) Mit Ihrem Baulandmobilisierungsgesetz kommen Sie keinen Schritt weiter. Sie verhindern flexibles Bauen. Sie verhindern das Entstehen von weiterem Bauland. Sie hätten die Chance gehabt, Dachaufstockung, Dachausbau zu vereinfachen. Sie hätten die Chance gehabt, Eigentumsbildung voranzutreiben. Sie hätten viele Chancen gehabt in diesem Baulandmobilisierungsgesetz. Sie haben keine einzige genutzt, ({5}) obwohl die Vorschläge nicht nur von uns, sondern auch aus Ihren Ländern und aus den Verbänden vorlagen. Das ist dann leider auch das Problem. Vor dieser Legislaturperiode haben Millionen Wohnungen gefehlt, nach dieser Legislaturperiode werden Millionen Wohnungen fehlen, und die Leidtragenden sind die Menschen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist das baupolitische Erbe von CDU/CSU und SPD. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Föst. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz steht beispielhaft für die Wohnungspolitik der Großen Koalition. Monate-, jahrelanges Gezerre, und am Ende ist ein großer Murks dabei herausgekommen. Dieses Baulandmobilisierungsgesetz trägt einen tollen Namen, aber der Inhalt wird ihm nicht gerecht: ({0}) Ein schwaches Gesetz, das die Bodenpreise nicht begrenzen und den Ausverkauf der Städte nicht stoppen wird, ein zahnloser Tiger und eine verpasste Chance. ({1}) Es kommt selten vor, dass wir als Linksfraktion mit Horst Seehofer einer Meinung sind. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Oh, da freut er sich aber! Bei einem Ziel waren wir es, nämlich darin, die massenhafte Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu stoppen. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Hendricks?

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, sehr gerne. ({0}) – Ja, das stimmt. ({1})

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Lay, wie können Sie sich bei dieser fundamentalen Kritik, die Sie gleich zu Beginn äußern, erklären, dass der Berliner Wohnungsbausenator, der Ihrer Partei angehört, dieses Gesetz begrüßt? Der regiert und hat Erfahrung. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe mir sein Interview tatsächlich angesehen. Er äußerte sich zu einem Punkt, zu dem ich im Laufe der Rede auch noch gekommen wäre, dass nämlich tatsächlich die Preislimitierung des Vorkaufsrechts ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist. ({0}) Das begrüße ich ausdrücklich und finde es gut, dass Sie es als SPD durchgesetzt haben. Aber Sie haben es sich erkauft mit einem Haufen von Ausnahmen beim Umwandlungsverbot, was am Ende dazu führen wird, dass sich die Wirkung des Umwandlungsverbots in Milieuschutzgebieten sogar noch verschlechtern wird. Sie werden mit diesen Regelungen dafür sorgen, dass wir im ganzen Land einen Flickenteppich haben werden. Sie schieben die Entscheidung über das Ob des Umwandlungsverbotes faktisch auf die Bundesländer, und Sie überfordern Ihre eigenen Verwaltungen mit der Umsetzung. Das können wir als Linke nicht gutheißen. ({1}) Wie gesagt, es kommt selten vor, dass wir als Linksfraktion mit Horst Seehofer einer Auffassung sind. Wir wollten gemeinsam die Umwandlung wirkungsvoll stoppen. Leider haben wir an dieser Stelle die Rechnung ohne die Union gemacht, die dieses Vorhaben torpedierte und ihren eigenen Minister auflaufen ließ. Am Ende kommt jetzt eine Regelung heraus, die löchriger ist als jeder Schweizer Käse. Sie verschieben die Entscheidung über das Umwandlungsverbot auf die Länder und auf die Kommunen. Diese werden damit überfordert sein. ({2}) Es kann umgewandelt werden. Häuser mit bis zu 15 Wohnungen sind nämlich vom Umwandlungsverbot ausgenommen; das hat mit dem Schutz von Kleineigentümern überhaupt nichts mehr zu tun. Im Milieuschutz wird sich das Umwandlungsverbot tatsächlich noch verschlechtern; für mich eine herbe Enttäuschung. Und eine Verbesserung des Vorkaufsrechtes bleibt leider auf halber Strecke stehen. Wir bräuchten ja eine Ausweitung des Vorkaufsrechtes auf die sogenannten Share Deals; denn diesen fiesen Tricks der großen Wohnungskonzerne stehen die Kommunen bislang machtlos gegenüber. ({3}) Gegen die Bodenpreisexplosion, die das Bauen teurer macht, wird all das nichts helfen. Deswegen brauchen wir eine Besteuerung von Bodenspekulation und eine Bodenpreisbremse. ({4}) Zum Abschluss etwas Erfreuliches zum Schutz der Klubkultur. Im sogenannten Berghain-Urteil hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass es bei der Besteuerung von Kulturstätten keinen Unterschied machen darf, ob die Geige oder der Bass die erste Rolle spielt. Etwas Ähnliches werden wir heute im Baurecht tun. Klubs befanden sich bisher in der Schmuddelecke des Baurechts, waren auf einer Stufe mit Sexkinos und Bordellen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Klubs sind ein wichtiger und übrigens international bekannter Teil unserer Kultur. Es wird höchste Zeit, Klubs als Kultur anzuerkennen. ({5}) Das werden wir heute mit den Stimmen aller demokratischen Fraktionen gemeinsam tun. ({6}) Das wird ein wichtiger Meilenstein, um die bedrohte Klubkultur zu retten. Und das freut mich auch ganz persönlich.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte mich bei allen Abgeordneten aus dem Parlamentarischen Forum „Nachtleben und Clubkultur“ für die gute Zusammenarbeit bedanken. Schön, dass wir das gemeinsam hingekriegt haben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin!

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Jetzt bleibt es an der Regierung, diesen Beschluss bis September umzusetzen. Ich darf Sie daran gelegentlich erinnern. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lay. – Nächster Redner ist der Kollege Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frühere Baugesetzbuchnovellen haben sich dadurch ausgezeichnet, dass man dem besonderen Charakter dieses Gesetzes Rechnung getragen hat. In der Regel gingen dem, was man dann ins Baugesetzbuch geschrieben hat, aufwendige Planspiele und Simulationen voraus: zig Berichterstatterrunden, viele öffentliche Debatten und Anhörungen und eben kein politisches Klein-Klein, weil die Baunutzungsverordnung, das Baurecht, sich eben nicht für das parteipolitische Spiel eignet. In aufwendigen Verfahren wurden also die Baugesetzbuchnovellen vorbereitet. Wenn man sich nun das Verfahren der letzten vier Jahre anschaut, dann muss man einfach sagen: Dieses Verfahren war ein Trauerspiel. Das war nicht nur Corona geschuldet; vielmehr hat der Dauerstreit der Großen Koalition untereinander, der Streit zwischen CDU und Horst Seehofer, zwischen SPD und Union das Verfahren zur Novelle des Baugesetzbuches gelähmt. Dieses Verfahren war dem Baugesetzbuch unwürdig. ({0}) Weder von der Form her noch vom Inhalt her ist diese Novelle auf der Höhe der Zeit. Zum Inhalt will ich das an zwei Punkten deutlich machen. Erstens. Unser Hauptkritikpunkt ist die Wiederinkraftsetzung des § 13b – Bauen im Außenbereich – und zwar, Sören Bartol, ohne Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne Bürgerbeteiligung, ohne Ausgleichsflächen; das finden wir ungeheuerlich. Deswegen beantragen wir die Aufhebung. Ich sage es noch mal: Ohne Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne Bürgerbeteiligung und ohne Ausgleichsflächen ist es nun möglich, die Flächennutzungspläne zu umgehen. ({1}) Das bedeutet noch mal eins obendrauf auf den Flächenverbrauch – da bleibt mir echt die Spucke weg –, und das in einer Zeit, in der die SPD die Umweltministerin stellt. ({2}) Gehen Sie mal auf die Seite der SPD-Umweltministerin. Da steht – Stichwort „Nachhaltigkeitsstrategie“ –: Das Ziel ist die Reduktion des Flächenverbrauchs auf unter 30 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2030. – Das erreichen wir so nicht. ({3}) Das ist ein weiteres gebrochenes umweltpolitisches Versprechen der SPD. Das muss man sich klarmachen. ({4}) Jeden Tag wird eine Fläche von 73 Fußballfeldern versiegelt. Das ist zu viel. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, da möchte ich Ihnen eins sagen: Na, prost Mahlzeit! Sie handeln nach dem Motto „Wer seine Heimat liebt, versiegelt sie“. Da machen wir Grüne nicht mit. Deswegen gibt es heute dazu eine namentliche Abstimmung. ({5}) Zweitens zum Umwandlungsschutz. Es ist ja alles richtig, was Sie zum Umwandlungsschutz gesagt haben; den brauchen wir dringend. Und es ist gut, wenn die Kommunen hier mehr Rechte erhalten. Aber warum ermächtigen Sie die Länder, darüber zu entscheiden, ob eine Kommune den Umwandlungsschutz anwenden kann oder nicht? Das macht doch gar keinen Sinn. Damit bringen Sie ganz klar zum Ausdruck: Sie hegen ein Misstrauen gegenüber den Kommunen, und deswegen ermächtigen Sie die Länder. Wir Grüne wollen, dass die Kommunen selber, also ohne Landesverordnung, entscheiden können, dass Umwandlung gebremst wird. ({6}) Sie schmeißen den Konflikt, den Sie haben, den Ländern vor die Türe. Die Regelung zur Umwandlung wird zu einem Flickenteppich in Deutschland führen. Wir halten das grundsätzlich für falsch. ({7}) Wir lehnen die vorliegende Novelle ab, weil sie nicht das hält, was sie verspricht. Sie ist systematisch falsch. Und ich sage noch eins: Nicht nur der Umwandlungsschutz ist an diese Verordnung geknüpft, die Vorkaufsrechte auch, die Baugebote auch.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber der § 13b nicht. Das ist der Hohn dieser Gesetzesnovelle, und deswegen können wir nicht zustimmen. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kühn. Sie haben es ja richtig geschafft, Stimmung in den Plenarsaal zu bringen. ({0}) Nur zur Information, Frau Kollegin: Zwischenfragen können nicht mehr zugelassen werden, wenn die Redezeit bereits abgelaufen ist. ({1}) Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Lange, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese lebendige Debatte zeigt: Wohnraum lebt! Die Regierung rundet mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf ihre Wohnraumoffensive dieser Legislaturperiode ab: mit einem hartnäckigen und engagierten Bundesbauminister, mit 5 Milliarden für Sozialwohnungen, mit 330 000 Anträgen auf Baukindergeld, mit 300 000 neuen Wohnungen allein im Jahr 2020, mit einer Wohngeldreform und heute mit dem Baulandmobilisierungsgesetz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt wird gebaut in diesem Land, seitdem diese Regierung mit diesem Bundesbauminister hier am Ruder ist! ({0}) Wir schaffen genügend Bauland. ({1}) – Nein, es genügt! – Wir geben einen Instrumentenkasten an die Hand, der gezielt eingesetzt werden kann. Wir erleichtern die Anwendung für Kommunen – allerdings, auch das ist klar, ohne verfassungswidrigen Mietendeckel –, und wir ermöglichen weiter Bebauung am Ortsrand. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kommunalpolitiker aller Couleur haben uns aufgefordert, dafür zu sorgen, dass am Ortsrand weiterhin Baumöglichkeiten geschaffen werden können. ({2}) Wir verhindern einen Flickenteppich genau dadurch, dass wir den Ländern die Möglichkeit der Rechtsverordnung geben, damit eben nicht jeder macht, was er will, sondern damit das Ganze eine Struktur hat. Und dann haben die Kommunen in einem zweiten Schritt diesen großen Werkzeugkasten: Vorkaufsrechte, Baugebote, Befreiungen. All das brauchen wir, um weiter Bauland zu mobilisieren.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie – –

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Satz noch zur Umwandlung: Das ist ja schon abenteuerlich! Zwei Drittel der Wohnungen sind im privaten Besitz. Genau die Kleineigentümer, die gespart haben, um sich Wohnungen zu kaufen, schützen wir. Wir schützen nicht große Umwandlungsvorhaben. Liebe Kollegin Lay, drei bis 15 heißt der Korridor, und fünf steht im Gesetz. ({0}) Genau hier liegt dann wiederum die Verantwortung der Länder, in ihren Regionen entsprechend mit der Umwandlung umzugehen. ({1}) Ja, wir wollen die schützen, die sich eine Wohnung als Altersvorsorge gekauft haben, die eine Wohnung in der Familie weitergeben wollen. Die haben unseren Schutz verdient. Die haben gearbeitet und sich diese Wohnung erspart. Und die liefern wir nicht aus – auch nicht an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wir stärken die Kommunen mit dem kommunalen Vorkaufsrecht. Es gibt genügend Schrottimmobilien, auch in Berlin. Da haben Sie noch viel zu tun mit Ihrer linken Baupolitik, diese wiederzubeleben. ({3}) Wir geben den Kommunen Möglichkeiten, wir verlängern die Kauffrist für sie; auch das ist sicher richtig. Und die Festsetzung von Flächen für sozialen Wohnungsbau in Bebauungsplänen erleichtern wir. Ja, das machen wir für einen begrenzten Zeitraum. Auch das halten wir für gut vertretbar. Weil das Land auch Berücksichtigung finden soll in diesem Punkt, erlauben wir in Hofstellen künftig fünf statt drei Wohnungen. Auch das ist richtig; denn es gibt genügend Menschen, die nicht unbedingt ganz mittendrin im Ballungsraum wohnen wollen. Dieses Gesetz ist ein guter, ein starker Kompromiss einer handlungsfähigen Regierung.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sage allen, die mitgewirkt haben – von der Bundesregierung, vom Bundesbauminister über die eigenen Reihen bis hin zum Koalitionspartner –: Heute ist ein weiter wichtiger Schritt, damit in diesem Land gebaut werden kann. Bauen, bauen, bauen! Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lange. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat für die Kollegin Bayram eine Kurzintervention beantragt, der ich stattgeben werde, verbunden mit folgendem Hinweis: Die Geschäftsführer der Fraktionen haben sich auf die Redezeit geeinigt. Wir sollten auch darauf achten, dass diese Redezeitbegrenzung nicht dadurch ausgehebelt wird, dass man das durch eine Vielzahl von Zwischenfragen, Kurzinterventionen einfach verändert. Aber, Frau Kollegin Bayram, Sie haben das Wort.

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, in meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin gibt es Menschen, deren Häuser umgewandelt werden von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Sie haben gesagt, dieses Gesetz, das wir heute beraten, würde dazu führen, dass die Menschen, also die Mieter/‑innen, diese Wohnungen kaufen können, und Sie dafür diese Regelung eingeführt haben, dass ein gewisser Anteil an die Mieter verkauft werden muss, damit umgewandelt werden kann. Ist Ihnen denn bewusst und wollen Sie denn, dass die Mieter/‑innen, die sich das nicht leisten können bei den Preisen, die derzeit in Berlin für Eigentumswohnungen aufgerufen werden, an den Stadtrand ziehen? So, wie Sie das gesagt haben, ist anzunehmen, dass diejenigen, die sich einfach Stadtwohnungen in Friedrichshain-Kreuzberg oder Prenzlauer Berg nicht leisten können, der CDU und Ihnen egal sind. Denn mit diesem Gesetz wird die Umwandlung nicht verboten und nicht ausgehebelt. Und wie verhält es sich eigentlich dazu, dass Ihr Minister, der Herr Seehofer, sich hingestellt hat und den Mieterinnen und Mietern die Hoffnung gemacht hat, dass nicht umgewandelt werden kann? Jetzt ist es doch passiert und Sie feiern das hier auch noch ab. Schämen Sie sich, Herr Kollege! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, es ist nicht angemessen, bei einer Kurzintervention so zu argumentieren. – Herr Kollege Lange, Sie haben das Wort zur Antwort.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. ({0}) Das war jetzt eine Wahlkampfrede für Ihren Bezirk. ({1}) – Jetzt bin ich dran. – Das hat aber nichts mit dem zu tun, was ich gerade gesagt habe. Ich habe versucht, zu erklären – jetzt mache ich es noch mal –: Wir haben die Möglichkeit geschaffen, dass für Kleineigentümer das Genehmigungserfordernis nicht gilt. Von „nicht mehr als fünf Wohnungen“ ist im Gesetzentwurf die Rede; und dann haben wir einen Korridor eröffnet, den die Länder ausschöpfen können; in Berlin wird die Anzahl wohl bei drei, in anderen Bundesländern kann sie bei bis zu 15 Wohnungen liegen. Das ist die reduzierte Möglichkeit der Umwandlung. Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt. Ich kann nur empfehlen – so wie der Kollegin Lay auch, die behauptet hat, der Milieuschutz werde aufgeweicht; auch das ist nicht der Fall –: ({2}) Lesen Sie doch bitte erst das Gesetz, bevor Sie hier populistisch argumentieren. Danke schön. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächste Rednerin ist die Kollegin Claudia Tausend, SPD-Fraktion. ({0})

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben dieses Gesetz drei Jahre intensiv vorbereitet, lieber Christian Kühn, nicht im Planspiel, sondern in der Expertenkommission, unter Beteiligung auch der Länder und Fachverbände. Ich glaube, es ist uns ein gutes Gesetz gelungen. ({0}) Es gab nicht unberechtigte Zweifel daran, dass dieses Gesetz noch kommen würde – ich habe teilweise auch dazugehört –, aber ich habe die Gespräche mit der Koalition in guter Erinnerung und bedanke mich ausdrücklich bei meinem Kollegen Torsten Schweiger für die Sachorientierung und Problemlösung. Es ist uns hier wirklich ein gutes Gesetz gelungen. ({1}) Danke an das Ministerium und an den Herrn Minister, der diesem Gesetz jederzeit die Stange gehalten hat. ({2}) Sie haben das Thema Umwandlungsspekulation natürlich als bayerischer Ministerpräsident noch in schlechter Erinnerung. Also danke, dass Sie hier hart geblieben sind. ({3}) Kolleginnen und Kollegen, es ist die größte Änderung des Baugesetzbuches seit Bestehen, und sie war zielorientiert. Es ist gefragt worden: Was ist das Ziel, was ist der Plan? Der Plan ist – und wir haben das erreicht –: Wir schaffen und sichern mehr und bezahlbareren Wohnraum. ({4}) Denn es handelt sich hier halt nicht um ein Baulandmobilisierungsgesetz, sondern auch um ein Wohnraumsicherungsgesetz und um ein Kommunenstärkungsgesetz. Wir geben den Kommunen eine Vielzahl von neuen und geschärften Instrumenten für die schnellere und leichtere Ausweisung von Bauland an die Hand. Auch das Thema Dachgeschossausbau und Aufstockung ist angesprochen worden. Lieber Daniel Föst, gerade durch den § 31, durch die Möglichkeit von Befreiungen, ermöglichen wir Aufstockungen und Dachgeschossausbauten. ({5}) Wir kommen auch einem dringenden Wunsch der kommunalen Spitzenverbände nach mit dem erweiterten und dem preisgedämpften Vorkaufsrecht und damit einem Einstieg in das soziale Bodenrecht. Das gilt auch für den sektoralen Bebauungsplan für preisgedämpften Wohnraum. Ich glaube, dass wir hier an dieser Stelle wirklich einen Einstieg in ein soziales Wohnrecht geschafft haben. ({6}) Wir stoppen – das ist mehrfach angesprochen worden – das lukrative Geschäftsmodell der Verdrängung von Mieterinnen und Mietern ({7}) aus den angestammten Wohnquartieren durch Entmietung und Umwandlungsspekulation und tragen so zum sozialen Frieden nicht nur in Berlin, sondern in allen Großstädten mit angespannten Wohnungsmärkten bei. Die Sieben-Jahres-Regel, liebe Caren Lay, wird im Milieuschutzgebiet geschlossen. Damit wird das Umwandlungsgeschehen in Berlin drastisch gestoppt werden. ({8}) Die Praxis wird zeigen, dass wir hier gut gearbeitet haben. Die Länder sind am Zug; das ist gesagt worden. Ich glaube, es ist wichtig, noch mal festzustellen, welche Länder SPD-regiert werden; denn die von uns regierten Länder werden diese Länderverordnungen zügig umsetzen, ({9}) um den Kommunen und den Mieterinnen und Mietern zu helfen, allen voran die Stadtstaaten. Ich fordere auch alle anderen Länder auf, diese Länderverordnungen zügig umzusetzen. Letzter Satz zu der Entschließung zur Klubkultur. Danke an das Clubforum, an alle, die mitgearbeitet haben. Wir bringen heute gemeinsam diese Entschließung ein. Sie hilft nicht nur den Klubs und den Livemusik-Spielstätten, sondern auch den durch die Pandemie stark unter Druck geratenen Innenstädten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Claudia Tausend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004423, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde mich freuen, wenn zumindest diese Entschließung heute eine breite Mehrheit finden würde. Danke. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Tausend. – Wie viel letzte Sätze es geben kann, das ist einfach unglaublich. Und Handheben, Frau Kollegin Tausend, hilft eigentlich auch nicht. Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Mechthild Heil, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Blick mal weg von den Ballungsgebieten hin zu den ländlichen Räumen lenken; denn immerhin sind die ländlichen Räume die Räume, wo die meisten Deutschen leben und auch leben wollen. ({0}) Wir haben im Baulandmobilisierungsgesetz eine neue Baugebietskategorie, das dörfliche Wohngebiet, etabliert, aber eben auch eine erneute befristete Auflage des § 13b Baugesetzbuch vorgenommen, über den wir jetzt schon eine ganze Zeit gesprochen haben. Der neue § 13b hat lebhafte Diskussionen im Vorfeld ausgelöst; aber man sieht ja auch heute, wie heftig die Diskussion ist. Ich muss sagen: Mich wundert die Diskussion, vor allen Dingen, weil die Kritik immer von Menschen kommt, die gerade eben nicht im ländlichen Raum leben. ({1}) Für mich, für die CDU/CSU ist klar: Wir haben immer den Flächenverbrauch mit im Auge gehabt, und natürlich ist auch die Innenentwicklung für uns ganz besonders wichtig – auch bei der Neufassung des Baugesetzbuches. Für mich sind Innenentwicklung und Außenentwicklung aber wirklich kein Gegensatz. Wir brauchen die Neubaugebiete an den Rändern von kleineren Dörfern und von Städten genauso wie das Konzept „Jung kauft Alt“. ({2}) Und wer so tut, als ob das eine nichts mit dem anderen zu tun hätte, der lügt sich selber in die Tasche. ({3}) Klar ist aber auch: Wir müssen bei der Innenentwicklung viel mehr tun. Wir müssen viel mehr Geld, viel mehr finanzielle Mittel in die Hand nehmen und natürlich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen noch schärfen. Dieses Idyll des hübsch sanierten und vielleicht auch denkmalgeschützten Altbaus im Kleinstadtkern ist echt eine Zierde und vielleicht auch in irgendwelchen romantischen Filmen gut unterzubringen; aber das hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun. ({4}) Winzige Grundstücke, kleine Räume, niedrige Decken, wenig Licht und Luft, schmale Türen, schmale Treppen, nicht behindertengerecht, keine Chance, da Möbel hineinzubringen, kein Schallschutz, kein Trittschutz, keine Wärmedämmung, nicht winddicht, aber aufsteigende Feuchtigkeit, weil die Sperrschichten fehlen, die Haustechnik veraltet, die Decken und die Fundamente für zusätzliche Lasten nicht geeignet. Wenn ein Liebhaber ein solches altes Gebäude kauft und sanieren will, dann hat er weniger als einen guten Rohbau. Meine Kollegen von den Grünen, ich frage Sie: Wer hat denn die Kraft, wer hat die Zeit und wer hat die finanziellen Mittel, ({5}) sich auf ein solches finanzielles Risiko beim Kauf eines Altbaus einzulassen? ({6}) Ich lebe im ländlichen Raum. Ich kenne diese Häuser, und ich kenne auch die Bewohner, die in diesen Häusern leben. Sie finden keinen Käufer für ihre Immobilie, und sie bekommen auch nicht den angemessenen Preis dafür. Deswegen sage ich: Wir müssen auch alte Gebäude in solch schlechten Zuständen, die wir ja nun zu Tausenden in Deutschland haben, abreißen dürfen – nicht sanieren, sondern abreißen! Das müssen wir auch fördern.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nicht alles, was alt ist, ist auch erhaltenswert, ortsbildprägend oder denkmalwürdig.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, bitte!

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn wir die Probleme lösen, machen wir das anders, als es die Grünen machen. Wir wollen nicht – –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, ich entziehe Ihnen gleich das Wort, egal ob Sie die Hand heben oder nicht. Ich fordere Sie seit 30 Sekunden auf, zum Schluss zu kommen. Sie haben jetzt noch einen Satz.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir machen es anders als die Grünen und die Linken. Wir wollen die Hilfe zum Kauf, zur Sanierung und zum Abriss von Gebäuden stärken. ({0}) Dafür stehen wir als CDU/CSU, und darüber setze ich mich mit Ihnen auch gerne im Wahlkampf weiter auseinander. Danke, Herr Präsident. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir nähern uns der Entscheidung.

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier ein kleines, aber feines technisches Gesetz, das jedoch sehr viel bewirken kann: das Zeitverwendungserhebungsgesetz. Das klingt nach einem weiteren bürokratischen Monster, stellt aber die gesetzliche Grundlage für die Evaluierung unserer Familien- und Gleichstellungspolitik dar. ({0}) Seit den 90er-Jahren werden alle zehn Jahre die in Deutschland lebenden Menschen zu ihrer Zeitverwendung, also dazu, für welche Tätigkeiten sie wie viel Zeit am Tag verwenden, befragt. Die Zeitverwendungserhebung liefert uns Informationen darüber, wie viel Zeit Menschen für welche Aktivitäten aufwenden und wann im Tagesverlauf sie diese Aktivitäten ausüben. So erfahren wir etwas über die Arbeitsbelastung und die Arbeitsteilung in den Familien bei der Kinderbetreuung, bei der Pflege oder über das freiwillige Engagement aller Generationen. Wir lernen etwas darüber, wie viel Zeit Kinder und Jugendliche, Männer und Frauen in unterschiedlichen Lebenslagen für welche Tätigkeit aufwenden. Mit den gewonnenen Erkenntnissen bekommen wir einen guten Einblick, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Daraus wiederum können wir ablesen, ob unsere politischen Ansätze wirken und wenn ja, was sie bewirkt haben. Hat also beispielsweise die Einführung des Elterngeldes etwas gebracht im Hinblick auf gleichberechtigte Arbeitsaufteilung von Erwerbsarbeit und Care-Arbeit? Ja. Haben wir damit all unsere Ziele erreicht? Noch nicht ganz. Wir sollten also nachsteuern. Mit der Zeitverwendungserhebung erhalten wir aber auch Daten zu unbezahlter Arbeit wie Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und schlicht der Hausarbeit. Das sind alles Tätigkeiten, die die klassische volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu Wertschöpfung und Wohlstand außen vor lässt. Erst mit diesen Daten erhalten wir eigentlich ein umfassendes, nicht rein ökonomisches Bild unserer gesellschaftlichen Entwicklung. So erfahren wir, wie es um die Lebensqualität in unserem Land bestellt ist. ({1}) Wir erfahren, unter welchem Zeitdruck die Menschen stehen, welche Freiheiten sie bei ihrer Lebensgestaltung haben und wie sie ihre verfügbare Zeit verbringen. Wenn wir mehr Zeit für Eltern mit ihren Kindern wollen und feststellen, dass das bei den jetzigen Rahmenbedingungen nur schwer möglich ist, müssen wir etwas ändern. Zeitverwendungserhebungen sind also wichtig, um die Wirksamkeit unserer Politik zu bemessen. Warum müssen wir jetzt ein Gesetz machen, wenn bisher auch schon Erhebungen über die Zeitverwendung stattfanden? Die bisherigen Befragungen fanden nach § 7 des Bundesstatistikgesetzes statt. Dieses sieht eine Erhebung nur für einen kurzfristigen Bedarf vor und schließt nochmalige Erhebungen eigentlich aus. Eine kontinuierliche Erfassung der Zeitverwendungsdaten stellen wir nun mit diesem Gesetz sicher. Die Bundesländer, die einen Großteil der Kosten tragen, haben ein berechtigtes Interesse, bestimmte Daten dieser Erhebung zu erlangen. Mit unserem Änderungsantrag stellen wir sicher, dass den Ländern auf Anfrage Teildaten zur Verfügung gestellt werden können. Aus Sicht der Koalitionsfraktionen – so wie ich es verstanden habe, aber auch aus Sicht der demokratischen Fraktionen der Opposition – ist eine Erhebung in kürzeren Intervallen sinnvoll und wünschenswert, ebenso, dass die verschiedensten Familienkonstellationen, insbesondere auch Nachtrennungsfamilien, angemessen berücksichtigt werden. Dies haben wir mit unserem Entschließungsantrag noch einmal bekräftigt und verdeutlicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Zustimmung und danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schwartze. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Zuschauer! Grundsätzlich ist das Ansinnen Ihres Gesetzes über die statistische Erhebung der Zeitverwendung von Menschen zu begrüßen, vorausgesetzt man möchte darauf basierend Handlungsempfehlungen passgenau für die Jugend- und Familienpolitik, aber auch für andere Politikfelder ableiten. Zu begrüßen ist auch das Erfassen von Staatsangehörigkeiten, Migrationshintergründen und Muttersprachlichkeiten. Religionszugehörigkeiten oder die Abwesenheit einer solchen sollten zusätzlich erfasst werden. Die geplante Statistik trägt so zur Sichtbarkeit des Istzustands der Gesellschaft in Deutschland bei. Die Sinnhaftigkeit dieses Gesetzes und auch des Zehnjahresturnus wird allerdings erheblich belastet durch die zu erwartende Gegenüberstellung von pandemischen Zeiten, in denen die Zeitverwendung notwendigerweise eine andere ist, und – in Anführungsstrichen – „normalen“ Zeiten in Freiheit mit „normaler“ Zeitverwendung, also mit sozialen Kontakten, Engagement, Vereins‑, Kultur-, Erwerbs- und Freizeitleben. Der von Ihnen ständig verschärfte Lockdown bis hin zur Notbremse wirkt sich natürlich auf die Zeitverwendung in den Haushalten aus. Wird diese statistische Erhebung also in der Normalität oder in pandemischen Notlagezeiten stattfinden? Soll sie davon unabhängig stattfinden? Wenn ja, wie sollen so überhaupt wirksame Modelle für politisches Handeln für so unterschiedliche Situationen ersonnen und etabliert werden? Ist ein Sowohl-als-auch überhaupt mitgedacht? Wird es überhaupt ein Zurück zum Normal mit intakten Menschen- und Freiheitsrechten geben? Daran, meine Damen und Herren, habe ich langsam ernsthafte Zweifel. ({0}) Die gewonnenen Daten müssen einem besonders strengen Datenschutz unterliegen und dürfen selbstverständlich niemals zu Kontroll- oder Demokratieersatzzwecken eingesetzt werden. Bei meinen Recherchen zu Smart City stieß ich leider erst kürzlich auf die 108-seitige Broschüre „Smart City Charta – Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten“ vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit aus dem Jahr 2017. Dort heißt es auf der Seite 43 – ich zitiere wörtlich mit Erlaubnis des Präsidenten – zum Punkt „Post-voting society“: „Verhaltensbezogene Daten können Demokratie als das gesellschaftliche Feedbacksystem ersetzen.“ Meine Damen und Herren, wollen Sie die Demokratie ersetzen? ({1}) Die AfD tritt solchen Visionen von Demokratieabbau und der totalen Auslieferung des zunehmend gläsernen Bürgers an einen allmächtigen Verbots- und Kontrollstaat entschieden entgegen. Wir bezweifeln die Vereinbarkeit eines solchen Vorgehens mit unserem Grundgesetz. ({2}) Was aber wäre, wenn hier und europaweit – ja, weltweit – ein Umbau von Gesellschaft, Recht und Wirtschaft stattfände, der Deutschland vom Coronanotstand direkt in den Klimanotstand überführte? Was, wenn dieser Umbau freie Bürger in Zukunft zu allzeit kontrollierbaren, rechtlosen wandelnden Daten machte? Was, wenn Datensammlungen generell für diesen Umbau missbraucht würden? Breite Information und Diskussion in Medien und Öffentlichkeit über diese Visionen für einen hypervernetzen Planeten finden nicht statt. Alle Konzentration richtet sich sorgenvoll auf Corona. Ich persönlich habe langsam erhebliche Zweifel an der Redlichkeit aller am Notstandshype und Great Reset beteiligten Parteien inklusive der Regierung. ({3}) Wir werden uns insgesamt enthalten. Wir wollen Deutschland. Aber normal. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Höchst. – Nächster Redner ist der Kollege Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Josef Rief (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Politik für Familien ist seit jeher ein zentrales Anliegen für die Bundesregierung und vor allem für die CDU/CSU. Wir sind die Macher des Elterngeldes, die Förderer der Mehrgenerationenhäuser; wir entlasten Familien finanziell, beispielsweise durch die Erhöhung des Kindergeldes, den Kinderzuschlag, stecken enorme Mittel in den Ausbau der Kinderbetreuung und unterstützen besonders die Alleinerziehenden. ({0}) Dafür nehmen wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, viel Geld in die Hand; das wissen auch die Menschen im Land. Aber Familienpolitik ist kein Projekt, das mit ein paar Gesetzen abgeschlossen werden kann, sondern ein Prozess. Wir müssen immer wieder überprüfen: Wie wirken unsere Ideen und Maßnahmen? Kommen insbesondere die finanziellen Mittel da an, wo sie gebraucht werden? Bilden wir mit unserer Politik die Erwartungen der Bevölkerung, vor allem der Familien noch ab? Dabei fragen wir uns auch durchaus kritisch, was wir noch tun können: Geht es wirklich allen Familien so gut, wie wir es uns wünschen? Wie hat sich das Leben der Familien in unserem Land verändert? CDU und CSU sind wertkonservativ, aber eben gleichermaßen auch moderne Parteien. Dabei setzen wir uns verlässlich für die Familien ein. Eltern und Kinder sollen die Mittel und die Zeit zur Verfügung haben, den Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen, das von Vertrauen, Verlässlichkeit, Nestwärme, Liebe zwischen den Generationen, Vertrauen der Kinder zu den Eltern und Großeltern und umgekehrt gekennzeichnet ist. Das sind Werte, die das Fundament für unsere Gesellschaft bilden, ({1}) auf die unser Staatswesen übrigens aufbaut. Zeige mir, wie die Kinder sind, und ich sage dir, wie die Gesellschaft von morgen aussieht. Genau deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren – das sage ich auch an die AfD gerichtet –, brauchen wir entsprechende Daten, die uns die Familien übrigens freiwillig zur Verfügung stellen. Grundlage für die Daten – das ist schon gesagt worden – ist das Zeitverwendungserhebungsgesetz. Damit wir auch genau wissen, wofür die befragten Familienmitglieder ihre Zeit verwenden, brauchen wir Daten von Familien aus Biberach an der Riß, ebenso wie aus dem Riedlinger Raum, von Familien aus Alleshausen, Laupheim, Kiel oder Berlin. Wir werden insbesondere Alleinerziehende überproportional befragen lassen; denn es ist ja bekannt, dass der Mental Load, also die mentale Last, bei Alleinerziehenden besonders schwer wiegt. Als Vater von drei Kindern liegen mir die Mehrkindfamilien besonders am Herzen. Gott sei Dank gibt es jetzt wieder mehr davon. Daher bin ich auf die Ergebnisse der Erhebung ihrer Zeitverwendung gespannt; auch wenn sie – zu meinem Bedauern – nicht überproportional befragt werden. Mit der standardisierten Datenabfrage schnüffeln wir niemand aus; vielmehr können wir das Leben in den Familien in Deutschland mit der Situation der Familien in anderen Ländern vergleichen: Was läuft bei uns gut? Was läuft in anderen Staaten gut? Warum läuft es da gut? Was haben wir besser gemacht? Oder wo gibt es noch Potenzial, wo ist es in anderen Ländern besser? Gerade während der Pandemie, die hoffentlich bald zu Ende geht, wird auch vielfach im Homeoffice gearbeitet. Welche Konsequenzen das für Familien hat, ist, glaube ich, wichtig zu beleuchten. Des Weiteren ist, denke ich, wichtig: Wie teilen sich Männer und Frauen die sogenannte unbezahlte Care-Arbeit, also Familienarbeit, auf? Familien leisten viel; das ist bekannt. Mit der Befragung bekommt auch die Gesellschaft einen Einblick, was Mütter und Väter, was Familienmitglieder Tag für Tag füreinander leisten. Schon heute danke ich allen Familien dafür, und vor allen Dingen danke ich den Familien, die trotz dieser schwierigen Situation und trotz dieses Verhetzungspotenzials bei der Befragung mitmachen. Politik kann und darf den Familien weder die Verantwortung noch die Entscheidungen abnehmen; aber wir können mit unserer Politik die Weichen richtig stellen, damit Kinder und Jugendliche in unserem Land in einer vertrauensvollen, an ihren Bedürfnissen ausgerichteten Umgebung aufwachsen können, damit Familien in die Lage versetzt werden, das zu leisten, was sie für das Zusammenleben und das Aufwachsen ihrer Kinder für wichtig halten. Wir müssen weiterhin ein familienfreundliches Umfeld schaffen. Die unionsgeführte Bundesregierung stellt die Weichen richtig. Wir bringen die Züge aufs Gleis und lassen sie zum Besten der Familien fahren. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rief. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Bauer, FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alles hat seine Zeit; aber haben wir auch genügend Zeit für das, was uns wichtig ist, Zeit für Familie und Freunde, für Sport, Hobby und Ehrenamt – und all das neben dem Job und den beruflichen Ambitionen? Wie wir unsere Zeit verbringen, wie sehr wir selbst darüber bestimmen können, hängt eng mit den Verwirklichungschancen zusammen und auch mit der persönlichen Lebenszufriedenheit und dem gesellschaftlichen Wohlstand. Wir als FDP befürworten deshalb regelmäßige Befragungen über Zeitverwendungen. ({0}) Entscheidend für die Schaffung einer guten Datengrundlage ist: Sie muss zeitnah und aktuell sein, und auch die statistischen blinden Flecke müssen darin berücksichtigt werden. – Genau da sehen wir Verbesserungspotenzial, meine Damen und Herren. Nehmen wir also die Erhebungsmerkmale mal kritisch in den Blick. Sie sind nicht umfassend und auch nicht zeitgemäß. Wir leben in einer modernen, in einer digitalen Gesellschaft. Familienkonstellationen und Kommunikationsformen werden bunter und vielfältiger. Patchworkfamilien, internationale Familien, die Nutzung von Messengerdiensten und Social Media, all das muss viel differenzierter betrachtet werden. Das gilt auch für das Thema Homeoffice: Ein einfaches Ja oder Nein reicht nicht aus; das liefert keine Erkenntnisse über die Nutzung, über die Ausstattung und die Zufriedenheit. Unser Anspruch muss doch sein, dass wir die Ergebnisse der Erhebung tatsächlich nutzen können. Deshalb begrüßen wir auch den Änderungsantrag, diese Erhebung alle fünf statt zehn Jahre durchzuführen. Aufschlussreich wäre darüber hinaus, Personen über einen längeren Zeitraum, über den Lebensverlauf hin zu befragen: wie sich Verwirklichungschancen verändern, wie Sorge- und Erwerbsarbeit aufgeteilt wird und wie der Gender Pay Gap schließlich zu einem größeren Gender Pension Gap wird. Unbezahlte Care-Arbeit ist der springende Punkt. Deshalb muss der Mental Load statistisch erfasst werden. Diese unsichtbaren organisatorischen und emotional fordernden Tätigkeiten nehmen viel Raum und viel Zeit ein. Diese Aufgaben werden vor allem von Frauen getragen. Hier brauchen wir mehr Forschung und mehr Daten. ({1}) Dies gilt ebenso für die ausgelagerte Care-Arbeit, die Pflege von Angehörigen. Eine Herausforderung, gerade in der jetzigen Zeit und im Hinblick auf den demografischen Wandel! Eine gut gemachte Erhebung der Zeitverwendung ist unsere Grundlage, an der wir unsere Maßnahmen für eine nachhaltige und für eine moderne Familienpolitik ausrichten können, um damit tatsächlich individuelle Chancenverwirklichung in unserem Land zu ermöglichen. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Kollegin Bauer. – Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller, Fraktion Die Linke. ({0})

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 96 Milliarden Stunden Arbeit im Jahr wird in Familien im Haushalt und in der Sorgearbeit unbezahlt geleistet. Aber diese 96 Milliarden Stunden im Jahr, die unbezahlt in Familien als sogenannte Care-Arbeit geleistet werden, sind sehr ungleich verteilt. Wir wissen, dass Frauen 52 Prozent mehr Zeit für Sorgearbeit, für Erziehungsarbeit, für die Pflege von Angehörigen und für den Haushalt aufbringen als Männer. Wir vermuten – dafür gibt es erste Indizien –, dass im letzten Jahr gerade durch die Coronapandemie dieser Gender Care Gap sogar noch größer geworden ist, das heißt, dass Frauen für den Haushalt noch mehr Zeit aufbringen im Vergleich zu Männern. Frauen leisten im Schnitt täglich 1,5 Stunden mehr Arbeit im Haushalt und bei der Kindererziehung als ihre Partner – das sagen uns die bisherigen Erhebungen –, und im Gegenzug können sie weniger arbeiten gehen. Sie haben entsprechend geringere Einkommen, sie stecken eher in der Teilzeitfalle, und sie verdienen am Ende weniger. Woher haben wir all diese Daten? All diese Daten haben wir aus Zeitverwendungserhebungen, die das Statistische Bundesamt alle zehn Jahre durchführt. Ich finde es gut, dass wir diese Daten erheben, weil sie uns bei der politischen Auseinandersetzung helfen und weil sie Aufgaben klar beschreiben, nämlich diese Ungerechtigkeit abzubauen. Dagegen kann auch niemand mehr was sagen. Wir wissen: Das ist so. Und wir müssen es ändern. ({0}) Und deswegen ist es gut, dass der Deutsche Bundestag heute das Zeitverwendungserhebungsgesetz beschließen wird. Es kommt sehr technisch daher – der Kollege Schwartze hat darauf hingewiesen –, aber wir schaffen damit die rechtliche Grundlage, dass diese Daten in Zukunft weiterhin erhoben werden können. Die Anhörung hat klar ergeben: Es wäre sinnvoller, sie in deutlich kürzeren Taktungen als alle zehn Jahre zu erheben. Wir bräuchten sie viel öfter, damit wir zum Beispiel auf die Erfahrungen aus der Coronapandemie reagieren können. Die entscheidende Frage ist doch: Was machen wir eigentlich mit diesen Daten? Was machen wir mit diesen ziemlich brutalen Erkenntnissen? Ich möchte Ihnen in der noch verbleibenden Redezeit einige Punkte nennen, die, wie wir Linke finden, jetzt daraus resultieren müssen. Erstens. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit. ({1}) Deswegen haben wir – darüber können Sie in den nächsten Wochen hier im Deutschen Bundestag abstimmen – einen Antrag gestellt, mit dem wir zehn Tage Elternschutz für angehörige Partnerinnen oder Partner von gerade gebärenden jungen Müttern fordern. Das bietet die Chance, dass beide Elternteile nach der Geburt eines Kindes zehn Tage bezahlt zu Hause bleiben können. Das ist doch eine super Sache und würde sofort helfen. ({2}) Zweitens. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf familiengerechte Arbeitszeit für alle, die Verantwortung für Pflege und Erziehung im Haushalt tragen. Drittens. Wir brauchen eine bessere Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten bei der Rente. Es müsste doch längst eine Selbstverständlichkeit sein, dass diese Zeiten bei der Rente viel besser berücksichtigt werden und die Leute im Alter auch noch etwas davon merken. ({3}) Viertens. Diesen Punkt haben wir schon häufiger hier vorgeschlagen: Wir brauchen eine umfassende Elterngeldreform. Wir fordern zu diesen Bundestagswahlen einen Elterngeldanspruch von zwölf Monaten für jeden Partner, der zu Hause ist, damit sich beide Elternteile geschlechtergerecht um die Sorge ihrer Kinder kümmern können. Es darf nicht weiter so sein, dass die Väter in aller Regel arbeiten gehen und die Frauen die meiste Zeit zu Hause bleiben, weil sie das geringere Einkommen haben. ({4}) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Wir wollen mehr Zeit für Familien. Wir wollen dafür aber auch eine geringere Arbeitszeit. Wir sagen: Der erste Schritt ist die 35-Stunden-Woche. Perspektivisch brauchen wir ein neues Normalarbeitsverhältnis, wo niemand mehr als 30 Stunden die Woche arbeiten soll.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann bleibt mehr Zeit für Familie, und das müssen wir dann noch gerechter aufteilen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004951, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, in welchem Maße Menschen über ihre Zeit verfügen, ist für uns Grüne kein Randthema. Die Frage, wie viel Zeit sie den Menschen und Dingen widmen können, die ihnen wichtig sind, ist kein Nischenthema. Wer den Menschen in den Mittelpunkt stellt, rückt auch die Zeitpolitik ins Zentrum. ({0}) Für eine hohe Lebensqualität aller in unserer Gesellschaft ist gute Zeitpolitik essenziell; denn der Wohlstand und die Lebensqualität jeder und jedes Einzelnen bemisst sich nicht nur an volkswirtschaftlichen Statistiken, sondern gerade auch daran, wie viel Zeit ihr und ihm neben dem Beruf für Familie und Freizeit bleibt. Wohlstand definiert sich auch über Zeitsouveränität. ({1}) Endlich hat die Bundesregierung erkannt, dass es gesetzliche Grundlagen braucht, um regelmäßig zu erheben, wie die Ressource Zeit von Menschen verwendet wird. Daher begrüßen wir besonders, dass jetzt in der Endfassung des Gesetzes die Daten anstatt in einem Abstand von zehn Jahren nun alle fünf Jahre erhoben werden sollen. Damit haben wir eine bessere Chance, auf die dynamische Entwicklung von Zeitverwendung zu reagieren. Positiv zu bewerten ist auch, dass in Zukunft unterschiedliche Familienkonstellationen und Lebensweisen betrachtet werden. Neben vielen anderen Dingen hat die Coronapandemie klar gezeigt, dass es einen Bedarf an repräsentativen Statistiken besonders zur Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit und der Kinderbetreuung gibt. Viele, die sich um Familienangehörige kümmern, sind berufstätig; viele davon sogar in Vollzeit. Und es ist hinreichend bekannt, dass es nach wie vor überwiegend Frauen sind, die diese Sorgearbeit neben dem Beruf übernehmen. Wir müssen uns deshalb fragen: Wie können Erwerbsarbeitszeit und Betreuungszeit für Kinder besser vereinbart werden? Wie schaffen wir eine Vereinbarkeit von Angehörigenpflege und Beruf? Wie können wir durch mehr individuelle zeitliche Flexibilität die Lebensqualität erhöhen? Und wie kann die Geschlechtergleichstellung durch veränderte Zeitstrukturen verbessert werden? Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend zeitpolitische Veränderungen. ({2}) Und wir müssen akzeptieren, dass Flexibilität keine Einbahnstraße ist, die nur dem Einzelnen abverlangt wird. Genauso brauchen wir eine Flexibilität der Strukturen, damit die Einzelnen mehr Selbstbestimmung über ihre Zeit zurückerlangen. Wir brauchen umfassende politische Maßnahmen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familienzeit, Sorgearbeit und Beruf ermöglichen. Das Gesetz zur Zeitverwendungserhebung ist dazu ein erster Schritt. Sorgen wir dafür, dass darauf Handeln folgt, um die Einzelnen und die Familien stärker und freier zu machen. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Schneidewind-Hartnagel.

Leni Breymaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin Giffey! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Nacht haben wir hier die Erprobung eines Registerzensus beschlossen, und jetzt, heute Mittag, beraten wir das Zeitverwendungserhebungsgesetz. Wir wollen durch die Erhebung prüfen, ob und wie Politik konkret wirkt. Wir wollen aber auch Grundlagen für künftige Entscheidungen schaffen. Das Private ist politisch, und wir beraten hier quasi ein Frauengesetz, weil es immer auch um diese nicht sichtbare Care-Arbeit von Frauen geht. Mir ist eingefallen, dass ich mal ein Buch gelesen habe, das Erich Scheuermann vor etwa 100 Jahren geschrieben hat. Erich Scheuermann hat sich darin auch mit der Zeit befasst. Er hat in dem Buch die Reden des Südseehäuptlings Tuiavii an sein Volk niedergeschrieben. Dieser Häuptling bereiste auch Europa und befasste sich vor allem mit der Zeit. Er nannte die Weißen Papalagi und beschrieb seine Beobachtungen wie folgt: Der Papalagi liebt … vor allem aber auch das, was sich nicht greifen läßt und das doch da ist, die Zeit. Er macht viel Wesens und alberne Rederei darum. Obwohl nie mehr davon vorhanden ist, als zwischen Sonnenaufgang und Untergang hineingeht, ist es ihm doch nie genug. Der Papalagi ist immer unzufrieden mit seiner Zeit, und er klagt den großen Geist dafür an, daß er nicht mehr gegeben hat. Ja, er lästert Gott und seine große Weisheit, indem er jeden neuen Tag nach einem ganz gewissen Plane teilt und zerteilt. Er zerschneidet ihn gerade so, als führe man kreuzweise mit einem Buschmesser durch eine weiche Kokosnuß. Alle Teile haben ihren Namen: Sekunde, Minute, Stunde. Die Sekunde ist kleiner als die Minute, diese kleiner als die Stunde; alle zusammen machen die Stunden, und man muß sechzig Minuten und noch viel mehr Sekunden haben, ehe man so viel hat wie eine Stunde. ({0}) Das ist eine verschlungene Sache, die ich nie ganz verstanden habe, weil es mich übel anmacht, länger als nötig über solcherlei kindische Sachen nachzusinnen. Doch der Papalagi macht ein großes Wissen daraus. Es gibt aber auch große und schwere Zeitmaschinen, die stehen im Innern der Hütten oder hängen auf den höchsten Hausgiebeln, damit sie weithin gesehen werden können. Wenn nun ein Teil der Zeit herum ist, zeigen kleine Finger auf der Außenseite der Maschine dies an, zugleich schreit sie auf, ein Geist schlägt gegen das Eisen … Ja, es entsteht ein gewaltiges … Lärmen in einer europäischen Stadt … Nun, der Südseehäuptling würde sich sicher sehr wundern, wenn er wüsste, was wir heute beraten. Ich würde es ihm so erklären: Nur wenn wir wissen, wie viel Zeit eine Mutter mit dem Stillen ihrer Kinder verbringt, wie viel Zeit die Männer und Frauen mit dem Reinigen der Hütten, mit dem Fangen von Fischen, auf den Wegen, auf Rössern oder zu Fuß, der Beschaffung von Lendenschurz, dem Flechten von Matten, dem Kümmern um die Alten verbringen, dann kannst du, Häuptling, feststellen, ob es gerecht zugeht, und entsprechende Regeln geben. Weil aber diese komische Zeit heute viel schneller vergeht als vor 100 Jahren, sollte man solche Erhebungen wenigstens alle zehn, besser alle fünf Jahre durchführen. ({1}) Dazu gibt sich der Papalagi in einem großen Steinhaus unter einem riesigen Adler aus Metall Regeln, an die sich alle halten müssen. Das ist eine gute Sache, damit die Zeit zwischen den Menschen gerecht aufgeteilt werden kann. Meine Zeitmaschine hier an diesem Pult steht jetzt noch bei zehn Sekunden. Deshalb sage ich: Solche Erhebungen sind spannend für uns in der Politik, aber auch für die Leute, die sich an diesen Erhebungen beteiligen. Dann sehen die nämlich auch mal ganz individuell, wie und womit ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerfließt. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollegin Breymaier. – Als letzter Redner in der Debatte spricht Torbjörn Kartes von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Torbjörn Kartes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute kurz vor dem Wochenende das Zeitverwendungserhebungsgesetz. Das ist durchaus ein sperriger Begriff, wie wir heute ja schon mehrfach gehört haben, aber es steckt ein wirklich sinnvoller Ansatz dahinter. Es geht um die ganz grundsätzliche Frage: Was machen wir eigentlich mit unserer Zeit, und wie können wir dem wissenschaftlich nähertreten? Tatsächlich ist mir bei der Vorbereitung meiner Rede auch ein Buch in die Hände gefallen. Ich bin sehr froh, dass es nicht das gleiche gewesen ist. ({0}) Ich habe es vor längerer Zeit mal gelesen. Es ist von François Lelord und heißt „Hector und die Entdeckung der Zeit“. Es handelt von einem jungen Psychiater, der Hector heißt und der mehr und mehr Zeit damit verbringt, über die Zeit an sich nachzudenken: über ihren steten Fluss, die Jahre, die verfliegen, die Frage, warum alle immer zu wenig Zeit haben, obwohl sie ständig in Eile sind und obwohl doch jeder eine Menge Zeit spart, weil alles schneller geht als damals, als man sich noch lange Briefe geschrieben hat. Er stellt in seinem Buch fest: … Zeit zu definieren, … ist nicht gerade leicht, denn man kann die Zeit weder sehen noch berühren. Ebensowenig kann man aus ihr heraustreten. Es ist also gar nicht so leicht, am Ende zu wissen, womit man seine Zeit überhaupt verbracht hat. Eine ganz andere Frage ist im Übrigen noch, wie zufrieden wir eigentlich damit sind. Wir suchen dann im Reflex immer nach ökonomischen Kenngrößen wie zum Beispiel dem Bruttoinlandsprodukt, um das Wohlstandsniveau unserer Gesellschaft in irgendeiner Form zu messen. Das greift natürlich – das ist heute vielfach schon gesagt worden – viel zu kurz. Es geht vielmehr um die Frage, wie wir Lebensqualität auch dadurch bestimmen, wie die verfügbare Zeit verbracht wird, unter welchem Zeitdruck Menschen stehen, welche Freiheiten sie bei der Lebensgestaltung haben und wie sich das Verhältnis von bezahlter Arbeit, unbezahlter Arbeit und Freizeit gestaltet. Deswegen gibt es schon seit den 1990er-Jahren im Turnus von etwa zehn Jahren Daten und Erhebungen zum Thema Zeitverwendung. Ich glaube, das ist wichtig und richtig. Es konnten wesentliche Erkenntnisse über die Zeitverwendung unserer Bevölkerung gewonnen werden, die auch Datengrundlage für gesellschaftspolitische Maßnahmen waren. Um das künftig regelmäßig machen zu können, bringen wir heute dieses Gesetz auf den Weg. Es ist die Anordnung zur Erhebung einer Bundestatistik. Wir – das ist auch schon mehrfach gesagt worden; ich halte es auch für richtig – machen das jetzt zukünftig in kürzeren Abständen. Mindestens alle fünf Jahre sollten wir das tun; denn gerade die aktuelle Pandemie zeigt, wie schnell sich die Lebenswirklichkeit der Menschen in unserem Land verändert. Daher glaube ich nicht, dass man jetzt zehn Jahre warten sollte, sondern dass wir zeitnah immer wieder aktualisierte Datenbestände brauchen. Das ist im Übrigen nicht verfassungswidrig, und es will auch keiner die Demokratie abschaffen. Deswegen darf ich die Kollegen von der AfD beruhigen. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Für uns ist entscheidend, auch in Zukunft, dass wir keinem vorschreiben, wie er seine Zeit verbringen soll. Das ist völlig klar. Es geht darum, Trends zu erkennen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, zum Beispiel für bessere Rahmenbedingungen. Aber es geht eben nicht um Bevormundung. ({1}) Es geht zum Beispiel um die Frage, wie wir Beruf und Familie besser vereinbaren können, aber es geht nicht darum, den Menschen vorzuschreiben, was sie machen. Deswegen darf ich prognostizieren, dass wir über die Ergebnisse dieser Erhebungen mit Sicherheit wesentlich mehr streiten werden als über dieses Gesetz, das relativ unstreitig ist. Dafür darf ich Sie um Zustimmung bitten. Ich darf Ihnen eine gute Zeit und später ein schönes Wochenende wünschen und schenke Ihnen jetzt eine Minute Redezeit. Vielen Dank. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Wir bedanken uns bei Herrn Kartes. – Ich schließe die Aussprache.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat uns eine klare Botschaft auf den Weg gegeben: Wer das Klima schützt, schützt unsere Freiheit. – Klimaschutz ist nicht nur Umweltpolitik. Klimaschutz ist Sozialpolitik, Klimaschutz ist Industriepolitik, und Klimaschutz ist Sicherheitspolitik. ({0}) Es geht jetzt ums Ganze. Es geht jetzt darum, dass wir als Gesellschaft gemeinsam auf den 1,5-Grad-Pfad kommen. Und eigentlich hatten wir uns alle hier in diesem Hohen Haus, jedenfalls alle Demokratinnen und Demokraten, ({1}) schon einmal darauf verpflichtet, nämlich am 22. September 2016, als wir hier gemeinsam einstimmig das Pariser Klimaabkommen ratifizierten. Dass Sie jetzt nächste Woche, ein paar Jahre danach, ein Klimaschutzgesetz mit schärferen Zielen verabschieden wollen, ist gut und richtig. Aber nicht gut ist, dass Sie einfach nur Ziele formulieren. Der Weg dahin fehlt. ({2}) Wer einen Wald verspricht, der muss auch Bäume pflanzen. Wir brauchen jetzt konkrete Maßnahmen. Und es liegt alles auf dem Tisch. In den letzten Jahren wurden diese Maßnahmen erarbeitet: von Parteien, aber vor allen Dingen von Klimawissenschaftlern, von jungen Leuten und wahnsinnig vielen Unternehmen. Was jetzt fehlt, ist eine Politik, die Klimaschutz zum Kern jedes politischen Handelns macht, und zwar ressortübergreifend. ({3}) Daher schlagen wir Ihnen hier vor, jetzt gemeinsam ein Klimaschutzsofortprogramm auf den Weg zu bringen, ein Klimaschutzgesetz mit einem Klimaziel, das sich an Paris orientiert: minus 70 Prozent bis 2030, eine deutliche Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, den Abbau von umweltschädlichen Subventionen, den Kohleausstieg vorziehen, ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zulassen und vor allen Dingen ein Klimapakt zum Umbau unserer Industrie. ({4}) Wenn Sie jetzt sagen: „Das kriegen wir alles diese Woche nicht hin“, dann stimmt das. Wir werden solche großen Maßnahmen nicht jetzt diese Woche schaffen können, vielleicht auch nicht in den verbleibenden Wochen dieser Legislatur. Aber dann lassen Sie uns gemeinsam das anpacken, was wir heute hier schaffen können! CO2 sammelt sich an der Luft an. ({5}) Das verschwindet da nicht einfach nach ein paar Jahren. Genau das ist ja das Schwierige am Klimaschutz. Deswegen kommt es so stark auf jede Woche, auf jeden Monat, auf jedes Jahr an. Wir stoßen derzeit 740 Millionen Tonnen Treibhausgase pro Jahr aus. Wenn wir das jetzt jedes Jahr bis 2030 so weitermachen, ({6}) dann haben wir 2030 kein Budget mehr. Das ist die klare Botschaft des Bundesverfassungsgerichts. Das ist die klare Botschaft, dass wir im Hier und Heute handeln müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7}) Die Zeiten, in denen man sich einfach hinter hehren Zielen für 2030 oder 2040 oder 2050 verstecken konnte, diese Zeiten sind vorbei; so ehrlich müssen wir sein. Wir haben in den letzten fünf Jahren Zeit verplempert. Es ist jetzt kein Raum mehr für parteitaktische Spielchen. ({8}) – Ja, wir stehen vor dem Wahlkampf; ja, wir haben noch fünf Monate Zeit. Aber das entbindet uns nicht von unserem politischen Handeln im Hier und Heute. ({9}) Herr Dobrindt – er ist jetzt, glaube ich, nicht da, oder ich sehe ihn nicht – hat gerade vorgeschlagen: 45 Euro für die Tonne CO2 ab nächstem Jahr. Das sind nicht ganz die 60 Euro, die wir wollen. Aber lassen Sie uns das machen, liebe Union! Wir können das gemeinsam heute hier beschließen! ({10}) Oder: Matthias Miersch – du bist ja auch noch gleich dran –, du hast – jetzt rede ich gerade mit euch Sozialdemokraten; aber wenn ihr nicht zuhören wollt – für die SPD vorgeschlagen, jetzt den Erneuerbaren-Ausbau zu beschließen. Ja, gerne! Genau das müssen wir machen! Denn ohne Ausbau von Wind und Solar sind alle Klimaziele nichts. ({11}) Wir schlagen deswegen heute ganz konkret vor – und ich bin gespannt, ob ihr einschlagt, liebe Sozialdemokraten oder liebe Union –, § 4 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu ändern. Wir erhöhen heute hier gemeinsam den Pfad für den Ausbau der erneuerbaren Energien für das Jahr 2022 auf 64 GW; das ist heute unsere Aufgabe. Da geht es jetzt nicht um Opposition oder Regierung. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Es ist Staatsziel. – Es geht jetzt darum, die verfassungsrechtlich verbrieften Freiheitsrechte unserer Kinder gemeinsam hier zu schützen. ({12}) Und das ist eigentlich nichts Neues in unserer Geschichte. Der Wohlstand unseres Landes beruht darauf, dass in Zeiten des Umbruchs durch entschlossenes politisches Handeln wir gemeinsam als Gesellschaft einen großen Schritt vorangekommen sind. 1945 nach dem Krieg: gemeinsam gehandelt. In den 60er-Jahren die Sozialdemokraten: soziale Marktwirtschaft auf den Weg gebracht. Oder in den 90er-Jahren: die Wiedervereinigung und die europäische Integration. An einer solch historischen Wegscheide stehen wir heute wieder. Wir können gemeinsam den Ausstieg aus der fossilen Energie einleiten. So wie wir 1957 gemeinsam die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet haben, jetzt der Green New Deal für Europa und für Deutschland. ({13}) Ja, Sie können andere Vorschläge haben; ja, Sie können sagen: Wir erreichen das Klimaziel anders. – Lassen Sie uns darüber diskutieren! Das ist der Sinn und Zweck von Politik. Aber wo wir, wo ich nicht mitmache, ist: Klimaschutz weiter in Sonntagsreden. Wir als Gesetzgeber haben es in der Hand. ({14}) Lassen Sie es uns besser machen, und zwar gemeinsam. Herzlichen Dank. ({15})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollegin Baerbock. – Das Wort geht an die CDU/CSU-Fraktion mit Stephan Stracke. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Klimaschutz ist in der Verfassung festgeschrieben: Artikel 20a Grundgesetz. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat das bestätigt. Es ist unser Staatsziel, das wir uns gemeinsam gegeben haben. Es ist in diesem Bereich eine Initiative der Union gewesen. Deswegen fangen wir beim Klimaschutz nicht bei null an. Wir sind bereits wesentliche Schritte gegangen: Wir haben den Ausstieg hin zur Klimaneutralität bereits festgeschrieben. Ich finde, dass wir beim Klimaschutz, ja, mehr machen müssen. Das, was das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat, ist ein klares Signal und ein deutlicher Auftrag. Diesen deutlichen Auftrag nehmen wir ernst und beschleunigen unseren Fahrplan für den Klimaschutz. Das Bundesverfassungsgericht fordert mehr Klarheit und Verbindlichkeit über den Weg zur Klimaneutralität, das heißt mehr Tempo, mehr Ambition. Wir werden das Klimaschutzgesetz entsprechend verbessern, und genau das liefert diese Koalition im Rekordtempo. Wir erhöhen das nationale Klimaziel für 2030 deutlich von bisher minus 55 Prozent auf mindestens minus 65 Prozent. Das heißt, 2030 sind 20 Prozent weniger Emissionen erlaubt im Vergleich zu dem, was bisher erlaubt ist; das ist eine deutliche Verschärfung. Das zeigt: Wir nehmen Klimaschutz ernst. Wir verschärfen in dieser Weise das bestehende Klimaschutzgesetz. ({1}) Wir richten dabei die deutsche Klimapolitik bereits jetzt auf das neue, erst vor Kurzem final beschlossene EU-Klimaziel 2030 aus. Das liegt momentan bei minus 55 Prozent statt bisher bei minus 40 Prozent. Deutschland leistet damit offensiv einen Beitrag zum Gelingen des Europäischen Green Deal. Deutschland trägt als wirtschaftlich starkes Land damit auch in Zukunft mehr als andere zum Erreichen des EU‑Klimaziels bei. Wir schreiben ein klimaneutrales Deutschland für 2045 fest und stecken die Wegmarken dorthin klar ab. Das Klimaschutzgesetz wird damit deutlich ambitionierter und besser. Mehr Klimaschutz jetzt und Klarheit über den künftigen Kurs: Das sichert Generationengerechtigkeit und verbindet im Übrigen auch unser Wirtschaften und unseren Wohlstand mit dem Klimaschutz noch besser als zuvor. Das sind die Kernaufgaben, an denen wir uns messen lassen wollen. Die Richter haben im Bundesverfassungsgerichtsurteil ja in erster Linie moniert, dass wir unsere Klimaziele nach 2030 bislang nicht hinreichend konkretisiert haben. Sie haben das Ziel der Klimaneutralität, das wir uns längst gegeben haben, nicht infrage gestellt, sondern moniert, dass wir den Weg dorthin klarer beschreiben und einen klaren Planungshorizont eröffnen sollen, und genau das tun wir. Dabei bleiben wir nicht stehen, sondern lenken das Augenmerk auch auf das, was wir uns jetzt in der unmittelbar vor uns liegenden Zeit vornehmen können, nämlich bis 2030. Denn das, was wir jetzt tun, haben wir dann später schon geleistet. Klimaschutz braucht nicht nur Ziele. Es braucht natürlich auch ganz konkrete Maßnahmen. Wir wollen in der laufenden Wahlperiode möglichst viel hinbekommen. Darauf zielen all unsere Gespräche in der Koalition ab. Aber natürlich bleibt es eine Kernaufgabe für die künftige Bundesregierung, diese Ziele dann noch genauer zu buchstabieren. Entscheidend ist, dass wir bei all den Maßnahmen mit dem richtigen Kompass zu Werke gehen. Klimaschutz braucht Kosteneffizienz. Wir müssen Klimaschutz so gestalten, dass wir die eine Generationenaufgabe, nämlich den Klimaschutz, nicht dadurch erfüllen, dass wir bei einer anderen Generationenaufgabe, nämlich bei den Staatsfinanzen – Stichwort „Verschuldung der öffentlichen Hand“ –, eine tiefe Wunde aufreißen. Das gelingt uns nur, wenn wir bei allem, was wir auch an neuen, zusätzlichen Maßnahmen auf den Weg bringen wollen, möglichst kosteneffizient vorgehen. Mit jedem Euro, den wir einsetzen, müssen wir so viel Klimaschutz wie möglich schaffen. Das hat natürlich auch viel mit Akzeptanz und mit dem sozialen Ausgleich zu tun. Darauf achten wir. Klimaschutz braucht Kosteneffizienz, braucht Markt und Wettbewerb, Anreize und Innovation. Das wollen wir im Rahmen der anstehenden Gespräche miteinander in der Koalition bereden, möglichst auch darüber hinaus. Das ist unser gemeinsames Ziel. Herzliches Dankeschön. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Stracke. – Als Nächstes hat das Wort die AfD-Fraktion mit dem Kollegen Karsten Hilse. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! 7. Mai 2021: Schneeregen am Vormittag, und wir reden über Erderwärmung. Super! ({0}) Die grünen Kommunisten fühlen sich ermuntert, Klimaschutz jetzt zu propagieren, weil Richter des Bundesverfassungsgerichtes das Grundgesetz in seinen Kernelementen beerdigt haben. Sie übergaben die weiße Fahne der Selbstaufgabe an die grün-roten Kommunisten und ihre Mitläufer in allen Parteien, ({1}) die ihren schleichenden Staatsstreich seit nunmehr 30 Jahren zielstrebig betrieben und siegreich beendet haben. ({2}) Damit ist nach den als vierte Gewalt bezeichneten Medien, nach der Exekutive und der Legislative auch die Judikative – zumindest das oberste Gericht – offensichtlich zu einem großen Teil in der Hand derer, die Deutschland zu einem totalitären, antifreiheitlichen Staat umbauen wollen bzw. das zulassen. ({3}) Und Frau Merkel war von Anfang an dabei – nicht als Zuschauerin oder gar Opfer, sondern als Mittäterin. ({4}) Die Richter taten dies, indem sie das Föderalismusprinzip als Element der Gewaltenbeschränkung, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip mit inhaltslosen Klimaschutzbegründungen in die Tonne beförderten. Von jetzt an dürfen Regierungen wie beim Infektionsschutzgesetz nach Belieben Freiheitsrechte einschränken, weil – so die Richter; Zitat – künftig „selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein“ können. Sie erstellen damit einen Freibrief für alle bestehenden und noch geplanten „Klimaschutz ist jetzt“-Maßnahmen, die allein der Reduktion von CO2-Emissionen dienen und dafür grundgesetzlich garantierte Freiheitsrechte aushebeln. Gestern diente der beliebig manipulierbare Inzidenzwert dazu, morgen wird es das Pariser 2-Grad-Ziel sein. ({5}) Damit machen die Richter einfach mal so das bloße Staatsziel in Artikel 20a Grundgesetz durch Umdeutung zur Rechtfertigung für alle möglichen Arten der Freiheitsberaubung. Den Artikel 20a Grundgesetz als Begründung zu missbrauchen, ist vollkommen absurd; denn in ihm geht es nicht um Klimaschutz, sondern um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere. Gerade deshalb ist der Artikel 20a Grundgesetz eigentlich die stärkste Waffe, um die Verfassungswidrigkeit der mit Klimaschutz begründeten Energiewende und der damit einhergehenden Umweltzerstörung zu begründen. ({6}) Aber so, wie diese Regierung und ihre Helfershelfer den Menschen in Orwell’scher Art erzählen, dass Zwang Freiheit ist, dass Mangel Reichtum ist, dass Flatterstrom Versorgungssicherheit ist, dass Insolvenz Solidarität ist, dass Spaltung Einheit ist, so erzählen sie uns, dass Umweltzerstörung Umweltschutz sei. Was für eine Perversion! ({7}) Der Rechtswissenschaftler Professor Josef Franz Lindner sagt dazu – ich zitiere –: Das ist ein Hammer-Urteil, eine verfassungsrechtliche Bombe mitten in der Corona-Zeit. Ein Paukenschlag für die Einschränkung von Grundrechten in Deutschland! … Mit Corona und Klima werden Freiheitsbeschränkungen zum Narrativ der deutschen Politik. … Der Klimaschutz wird zum Superverfassungsgut erklärt, erhält durch dieses Urteil ein solches Gewicht, dass er nahezu jegliche Grundrechtseinschränkungen rechtfertigen kann. Und weiter: Bisher unvorstellbare Eingriffe wären somit juristisch legitimiert. Die Bundesregierung kann den Bundesbürgern zukünftig verbieten, in den Urlaub zu fliegen, Auto zu fahren oder Fleisch zu essen; selbst Eigentumsenteignungen werden möglich. ({8}) Alles auf Bestreben der Kommunisten in diesem Parlament und mit dem zukünftigen Segen des Bundesverfassungsgerichts. ({9}) Die beteiligten Richter geben den Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung klar zu verstehen – Zitat Professor Lindner –: Du kannst hier scharf vorgehen und Freiheiten der Bürger beschneiden, das würden wir akzeptieren. Und weiter: Was sich anhört wie eine Horrorszene unter fern geglaubten kommunistischen Regimen, könnte also auch hierzulande bald zum Alltag werden. ({10}) Liebe Landsleute, wenn Sie Freiheit und Demokratie wollen –

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– letzter Satz –, verhindern Sie, dass Kommunisten im September die Regierung übernehmen. Wählen Sie die Grünen und ihre potenziellen Koalitionspartner ab! ({0}) Vielen Dank. ({1})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke. – Das Wort geht an die Fraktion der SPD mit Dr. Matthias Miersch. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hilse, wenn es noch eines Beweises bedurft hat, dass Sie vom Verfassungsschutz beobachtet gehören, dann war das Ihre Rede. ({0}) Es ist unvorstellbar, mit welchen Worten Sie das oberste Gericht dieses Landes diskreditiert haben! ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Annalena Baerbock, zunächst hätte ich mir ein bisschen mehr Lob gewünscht. ({2}) Aber das ist in diesen Zeiten wahrscheinlich nicht drin. Vor anderthalb Jahren, als das Klimaschutzgesetz zur Diskussion stand, haben Sie mir hier eine Zwischenfrage gestellt. Sie haben gesagt: Das ist doch eigentlich alles unverbindlich. – Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich heute festhalten: Ich glaube, das Klimaschutzgesetz ist nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die größte energiepolitische Errungenschaft, die hier gesetzgeberisch geleistet worden ist. ({3}) Zukünftig wird keine Bundesregierung mehr der Messlatte entgehen können, ob die Ziele tatsächlich erreicht werden. Es gehört zum Zusammenspiel zwischen den Verfassungsorganen in einem demokratischen Rechtsstaat, gerichtlich überprüft zu werden und gegebenenfalls nachschärfen zu müssen. Deswegen sage ich allen Kommentatoren, die „Klatsche für die Regierung“ gesagt haben: Wir haben hier eine Grundlage geschaffen, anhand derer jeder sieht: Können wir die Ziele erreichen, ja oder nein? – Das ist gelebte Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Das Spannende ist ja der Weg. Ich finde es vollkommen richtig, dass wir versuchen sollten, so viel wie möglich gemeinsam zu machen. Für mich ist der Schlüssel zum Erreichen der Ziele der massive Ausbau der erneuerbaren Energien. Die SPD-Bundestagsfraktion hat, obwohl wir in dieser Großen Koalition ganz unterschiedlicher Auffassung waren, ganz viel in diesem Bereich durchgesetzt: Dass wir ein Mieterstrommodell haben, ist ein Erfolg; denn so stellt die Energiewende für alle eine Möglichkeit dar. ({5}) Dass wir Kommunen an Windparks beteiligen, dass wir dort steuerliche Änderungen vorgenommen haben, ist ein Riesenerfolg. ({6}) Wenn wir sehen, Frau Baerbock, wie die Situation in den von Ihnen mitregierten Ländern ist, dann erkennen wir, dass dort noch große Herausforderungen warten. Deswegen gibt es, glaube ich, keinen Grund, sich selbstgerecht zurückzulehnen. Das, was Baden-Württemberg in Bezug auf den Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten fünf Jahren geleistet hat, war ein Armutszeugnis. ({7}) Wir haben hier mit der CDU/CSU darüber streiten müssen, ob es bundesweite Abstandsregeln für Windräder gibt. In Hessen haben die Grünen bei solchen Abstandsregeln locker mitgemacht.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Krischer von Bündnis 90/Die Grünen?

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Miersch, ich finde es ja immer schön, wenn die SPD hier ankommt und verkündet, was man eigentlich alles tun müsste. Ich frage mich dann die ganze Zeit, wer hier regiert. Und es ist noch nicht so ganz lange her, da hat die SPD sogar den Wirtschafts- und Energieminister gestellt. Der hieß Sigmar Gabriel. Ich weiß: Daran erinnern Sie sich nicht mehr so gerne; der Name ist in der SPD nicht mehr so ganz populär. ({0}) Aber er hat hier Ausschreibungen bei erneuerbaren Energien eingeführt, bei denen ganz bewusst der Süden Deutschlands benachteiligt wurde. Und Sie können an den Ausbauzahlen in Baden-Württemberg und Hessen sehen, dass genau von diesem Zeitpunkt an Schluss war mit dem Ausbau. Dass wir bei der Windenergie so hängen, ist Ergebnis sozialdemokratischer Politik, ({1}) und es wäre ehrlich, mal zuzugeben, dass Sie da eine Verantwortung tragen. Sich hierhinzustellen und zu sagen, die SPD habe eine Menge geleistet, ein Mieterstromgesetz zu nennen, das in der Fachszene als Mieterstromverhinderungsgesetz bezeichnet wird, ({2}) das zeigt, ehrlich gesagt, Chuzpe. ({3}) Es hat nichts mit der Realität draußen zu tun. Wir erleben einen Zusammenbruch des Ausbaus der erneuerbaren Energien bei der Windenergie, und das ist das Ergebnis Ihrer Koalition, weil Sie am Ende hier nicht geliefert haben, weil Sie hier nicht die Grundlage geschaffen haben. Und deshalb haben wir die Probleme beim Klimaschutz, und deshalb werden wir in Deutschland international inzwischen abgehängt, Herr Miersch. Da würde mich mal interessieren, wie die SPD das anders machen will. ({4})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Krischer, ich weiß ja, dass das immer die Argumentation ist: Weil es bundesrechtliche Regeln gibt, gelingt es nicht. – Gucken Sie sich die Ausbauquote in Baden-Württemberg im Vergleich mit allen Ländern im Süden an. Sie werden feststellen: Es ist nicht geliefert worden von der grün geführten Landesregierung. ({0}) Wenn Sie hier sagen: „Es darf keine bundesweit geltenden Regeln für die Windkraft-Abstände geben“ – und es hat uns viel Kraft gekostet, das mit der CDU/CSU zu diskutieren und letztlich bundesweite Abstandsregeln zu verhindern –, dann müssen Sie sich auch angucken, wie Sie einfach in Hessen einen Haken drangemacht haben. Vergleichen wir die Worte mit den Taten, dann stellen wir fest: Sie sind in Hessen unglaubwürdig. ({1}) Und Sie könnten das sofort aufheben. Wo ist die Initiative? Gucken Sie nach Schleswig-Holstein, wo Herr Habeck Berechnungsmodelle gemacht hat – die rechnen heute noch –, gucken Sie sich den Ausbau der Windenergie in den letzten drei Jahren und jetzt im Norden an, Sie werden feststellen: Flaute. Insofern müssen Sie sich daran messen lassen. ({2}) Aber, Herr Krischer ({3}) – jetzt müssen Sie mich auch mal antworten lassen –, ({4}) Sie haben hier die Ausschreibung angesprochen. Das ist genau der Punkt, um den gerungen werden muss. Und wir haben hier eine Koalition. Deswegen sage ich Ihnen auch: So ist Politik. Und wir hatten, weil die EEG-Umlage kontinuierlich angestiegen ist, in den letzten Perioden auch eine Diskussion darüber, ob wir das Ganze begrenzen. ({5}) Insofern haben wir zum Beispiel auch in dieser Periode darum gefochten, ob es weiter einen Solardeckel geben soll, der den Photovoltaikausbau verhindert. Das wollte der Bundeswirtschaftsminister. ({6}) Es hat viel, viel Kraft gekostet, dass dieser Solardeckel endlich aufgehoben wurde. Dafür haben wir gekämpft. ({7}) Und Demokratie, Herr Krischer, heißt eben nicht: Man kann es einfach so machen. ({8}) Sie suggerieren, dass Sie hier alles locker mal umwandeln könnten. Zur Demokratie gehört auch das Suchen von Mehrheiten, und das ist in einer Koalition, wie Sie es überall da sehen, wo Sie mitregieren, eben nicht einfach. Deswegen sage ich Ihnen: Ich bin froh über das, was uns gelungen ist. Und der entsprechende Verband hat zum Mieterstrommodell gesagt: Es ist eine kleine Sensation, die uns da gelungen ist. ({9}) Insofern haben wir da meines Erachtens etwas geschaffen. Aber ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen: Das reicht alles nicht. ({10}) – Das ist noch meine Antwort. ({11}) Das können Sie jetzt nicht ertragen, oder? ({12}) Dass es eine große Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen braucht, um tatsächlich zu verbindlichen Ausbauzielen zu kommen, das steht fest. ({13})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende der Beantwortung der Frage von Herrn Krischer.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Einen Satz brauche ich noch. – Deswegen werden wir am Sonntag auch in unser Programm aufnehmen, dass wir in diesem Land einen Zukunftspakt brauchen, der aus verbindlichen Ausbauzielen besteht. Jedes Bundesland – und Sie könnten in den von Ihnen regierten Bundesländern damit anfangen – ({0}) braucht mindestens 2 Prozent der Fläche für den Windkraftausbau. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Baerbock, wir ringen weiter um den besten Weg. Aber einige Sachen in Ihrem Antrag – das will ich Ihnen sagen – gehen eben nicht, wenn Sie den großen Versöhner geben wollen: Erstens. Wir hatten im Dezember 2019 einen fraktionsübergreifenden Konsens bei der CO2-Bepreisung zwischen Grünen, CDU/CSU und SPD, weil wir wissen: Wenn ein Preis falsch festgelegt wird, kann er zu sozialen Verwerfungen führen. – Dass Sie das jetzt mal kurz über Nacht aufkündigen – nach nur anderthalb Jahren –, finde ich unredlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Zweitens. Dass Ihr Parteivorsitzender noch im Dezember sagt: „Wir brauchen aufgrund der EU-Entscheidung ein Klimaschutzziel von 65 Prozent bis 2030“ und Sie diesen Wert in Ihrem Antrag mal kurz auf 70 Prozent erhöhen, spricht, wie ich finde, auch eine deutliche Sprache, wenn es um Redlichkeit geht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Drittens. Das Letzte, was ich Ihnen sagen will, ist: Wenn Sie dann den Kohleausstieg mal kurz so wegstreichen, dann ist das genau die Gefährdung des Kompromisses, die wir nicht wollten. Denn dieser Kompromiss ist mit den Regionen, mit der Industrie, ({4}) mit den Gewerkschaften zusammen geschmiedet worden. Der Ausstieg kann aufgrund der Gegebenheiten früher stattfinden; aber der SPD ist es wichtig, nicht nur einfach eine Zahl zu setzen, sondern auch die Beschäftigten mitzunehmen, den Regionen eine Chance zu geben. Das unterscheidet uns. ({5}) Wir brauchen die gesamte Gesellschaft. Wir brauchen keine Spaltung, sondern Solidarität. Und dafür haben sich Leute bei uns vor 150 Jahren in der SPD zusammengetan. Eine Zukunft beim Klima geht eben nur mit Empathie für diejenigen, die Angst vor dem Wandel haben. Insofern bitte ich Sie wirklich, diesen Kompromiss jetzt nicht infrage zu stellen. Das schließt nicht aus, dass es deutlich schneller gehen kann; ({6}) aber es schließt aus, dass man die Vereinbarungen, die in Sachen Strukturhilfen, Anpassungsgeld etc. getroffen sind, infrage stellt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Miersch. – Bevor ich das Wort an Dr. Lukas Köhler gebe, möchte ich dem Abgeordneten Hilse von der AfD-Fraktion die Möglichkeit geben, eine Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung abzugeben. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin, für die Möglichkeit. – Ich möchte klarstellen: So wie ich das Bundespräsidentenamt achte und nur den Bundespräsidenten für eine Fehlbesetzung halte, ({0}) achte ich auch das Bundesverfassungsgericht. Ich stelle nur infrage, dass die Richter dort ein gutes Urteil gefällt haben. Einer meiner Hauptkritikpunkte war – und selbst Frau Baerbock hat es falsch zitiert –: In Artikel 20a Grundgesetz steht nichts von Klimaschutz, nicht ein Wort. Ich zitiere ihn für Sie: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Wo bitte steht hier das Wort „Klima“ drin? ({1}) Sie bringen mit Ihren Anträgen, mit Ihrer Klimaschutzpolitik, gestützt auf das Urteil einiger Richter des Bundesverfassungsgerichts, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr. Deswegen Sind Sie eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Es geht weiter in der Debatte mit Dr. Lukas Köhler von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, an dieser Stelle muss man mal ein bisschen mit dem, was das Bundesverfassungsgericht wirklich gesagt hat, aufräumen. Das Bundesverfassungsgericht hat ja die meisten Teile der Verfassungsbeschwerden abgewiesen. Aber im Kern kommen drei wichtige Beschlüsse, die das Bundesverfassungsgericht in den Vordergrund stellt, heraus. Es ergibt vielleicht Sinn, gerade bei so einem Riesenprojekt wie dem Klimaschutz, darüber nachzudenken, was dieses extrem wichtige Verfassungsorgan – ich würde es nicht so diskreditieren, wie die AfD es tut – unseres Rechtsstaats ganz genau beschlossen hat. Die drei Punkte sind relativ eindeutig, sehr, sehr klar. Zum einen spricht das Bundesverfassungsgericht ganz eindeutig über die sogenannte intertemporale Verantwortung – ein urliberaler Ansatz, zu sagen: Wir heute lebenden Menschen haben Verantwortung für kommende Generationen. Wir müssen heute dafür sorgen, dass die Freiheit kommender Generationen geschützt ist. – Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. ({0}) Der Kern, der daraus folgt – das ist übrigens auch die Ableitung aus Artikel 20a Grundgesetz; denn da geht es um Nachhaltigkeit –, ist die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen, die auch da und eindeutig hier im Klimaschutz belegt ist. Der zweite Punkt ist die Internationalität des Klimaschutzes. Das Bundesverfassungsgericht gibt uns den Auftrag, national zu handeln, aber vor allen Dingen in die internationale Ebene zu schauen, darauf zu schauen, wie wir das alles eigentlich umsetzen können. Der dritte Punkt – da würde ich gern mit Erlaubnis der Präsidentin das Bundesverfassungsgericht zitieren – ist die Technologieneutralität. Das Bundesverfassungsgericht führt aus: Allerdings wäre der Staat weder in der Lage noch ist es allein seine Aufgabe, alle technologischen … Entwicklungen … und den Ausbau hierfür erforderlicher Infrastrukturen selbst zu erbringen. Es könnte dem Gesetzgeber … kaum gelingen, die erforderlichen Entwicklungen konkret vorzugeben. Das ist ein ganz, ganz zentraler Bestandteil dieses Beschlusses. ({1}) Den kann man nicht einfach so wegwischen, auch nicht mit einem Antrag der Grünen. Wir können jetzt diesen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, vor allem aber den Klimaschutz auf unterschiedlichen Wegen umsetzen. Dafür gibt es gute Vorschläge aus allen Richtungen. Ich möchte mal zwei aufgreifen und lasse dabei das kopflose Agieren der Bundesregierung weg. Wir unterhalten uns ja hier über den Antrag der Grünen. Frau Baerbock, Sie haben, finde ich, sehr schön gesagt: Wer einen Wald verspricht, der muss auch Bäume pflanzen. – Aber: Wer einen Wald pflanzt, der darf ihn vor lauter Bäumen nicht aus den Augen verlieren. Und das ist das, was in Ihrem Antrag passiert. ({2}) Das ist das Problem Ihres Antrags. Sie haben 32 Maßnahmen vorgeschlagen. ({3}) Sie fangen an mit der Idee, das Klimaschutzgesetz zu reformieren und vor 2030 ein ambitioniertes Klimaschutzziel ins Auge zu fassen. Das Bundesverfassungsgericht gibt uns den klaren Auftrag, nach 2030 einen Senkungspfad aufzurufen. Das ist ein ganz zentraler Bestandteil. Man könnte jetzt argumentieren: Das Bundesverfassungsgericht sagt uns auch, wir müssen mit der Verantwortung heute so sinnvoll umgehen, dass kommende Generationen Handlungsoptionen haben, dass sie Chancen, dass sie Möglichkeiten haben. Das heißt: Im Kern ruft das Bundesverfassungsgericht uns dazu auf, eine Agenda aufzusetzen, die Technologien, die neue Möglichkeiten, die industrielle Entwicklungen, die wirtschaftliche Entwicklungen vorantreibt. Das ist das, was wir mit unserem Vorschlag vorlegen. Aber was machen die Grünen? Sie schlagen allein schon vier unterschiedliche Preismodelle vor. Sie haben zum einen eine CO2-Steuer, die Sie auf 60 Euro anheben. ({4}) Sie haben zum Zweiten einen Emissionshandel, den Sie anpassen wollen. Sie haben zum Dritten CfDs, die Sie einführen wollen, zusätzlich zu einem vierten Punkt, nämlich dem EEG. ({5}) Sie schaffen einen Wust an Maßnahmen, die alle einem Prinzip folgen, ({6}) und das ist das Problem: Dieser Maßnahmenmix folgt dem Prinzip „Hoffnung“. Das Prinzip „Hoffnung“ ist aber für den Klimaschutz das falsche Prinzip. ({7}) Es geht um das Prinzip „Sicherheit“. Wir stellen ein anderes Modell dagegen. Wir stellen das Prinzip „Sicherheit im Klimaschutz“ dagegen. ({8}) Wir sagen: Wir nehmen ein einheitliches Modell. ({9}) Wir nehmen ein CO2-Limit, und dieses CO2-Limit passen wir auf das 1,5-Grad-Ziel an. Damit sind wir sicher, dass wir das auch einhalten. Jetzt müssen wir um dieses CO2-Limit natürlich alle anderen Maßnahmen herum bauen. Das heißt: Wir brauchen ein einheitliches Modell des Klimaschutzes. Und das ist das Problem der Grünen. Sie machen schon so lange Klimaschutz. Sie haben schon so oft darüber diskutiert, welche unterschiedlichen Maßnahmen Sie einbringen wollen. Sie haben so viele Linke gegen eine Handvoll vernünftige Realos bei Ihnen antreten lassen, dass Sie Ihren eigenen Klimaschutz völlig verwässert haben. Niemand weiß mehr ganz genau, was Ihre Maßnahmen bringen. Und das ist das größte Problem dessen, was Sie hier heute vorgelegt haben. ({10}) Das größte Problem ist, dass Sie keine Ahnung haben, ob Ihr Klimaschutzmodell überhaupt irgendwas bringt. Hoffnung ist das einzige Prinzip. Ich bin ein hoffnungsfroher Mensch, ich hoffe auf viele Dinge; aber ich möchte eine Politik machen, die sicher ist, die sicher ausgestaltet ist. ({11}) Und das tun Sie mit diesem Modell nicht. Das ist das größte Problem, das ist der größte Vorwurf. Man könnte es anders regeln. Man könnte sagen – wir haben diverse Anträge dazu vorgelegt –: Wir legen ein CO2-Limit fest, sichergestellt, verhandeln dann den CO2-Preis über das Instrument, das der Menschheit bewiesen hat, dass es Knappheiten am effizientesten verteilt, und das ist der Markt. ({12}) Der Markt verteilt Knappheiten so effizient wie nichts anderes. Sie müssen die Knappheit schaffen; das machen wir politisch. Aber die Verteilung funktioniert exakt; Herr Trittin, Sie können noch was lernen. Diese Verteilung über den Markt funktioniert exakt; das beweist das Instrument ja auch. ({13}) – Das hat er sogar geteilt, Herr Hofreiter. Herr Lindner teilt meine Meinung, zum Glück. Sie haben ja keine einheitliche Meinung in Ihrer Partei. Wir haben ein klares Konzept, das funktioniert. ({14}) Wenn Sie das aufgerufen haben, dann können Sie dieses wunderbare, dieses funktionierende Instrument mit Industriemaßnahmen unterstützen. Dann können Sie für einen funktionierenden Carbon-Leakage-Schutz sorgen, dann können Sie auch darüber diskutieren, aus dem EEG auszusteigen – endlich –, und sie können das über einen CO2-Preis regeln. Dann können Sie von mir aus über CFDs diskutieren. Dann können Sie über Einzelmaßnahmen reden. Aber Sie brauchen doch erst mal einen Plan für den Klimaschutz, der klar aufzeigt, wie das funktionieren kann. Das ist es, was ich vermisse. ({15}) Das Bundesverfassungsgericht zeigt uns ganz deutlich auf, dass wir eine Verantwortung für die Handlungsoptionen, für die Chancen kommender Generationen haben. Und das verpassen Sie mit diesem Antrag. Das verpassen Sie mit Ihrem Klimaschutzmodell. Wir müssen dafür sorgen, dass die Handlungen von heute für mehr Technologien, für mehr Chancenräume, für mehr Möglichkeiten in der Zukunft sorgen. Und das funktioniert nur mit einem einheitlichen Emissionshandel, mit einem einheitlichen CO2-Limit, das wir auf das Pariser Abkommen abstimmen können. Meine Damen und Herren, das ist ein Weg in Richtung einer Technologieagenda, die sich gewaschen hat, in Richtung Klimaschutz, der funktioniert. Vielen herzlichen Dank. ({16})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Herzlichen Dank, lieber Kollege Köhler. – Das Wort geht an die Fraktion Die Linke mit Lorenz Gösta Beutin. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem Zitat von Nelson Mandela beginnen: Frei zu sein bedeutet nicht nur, seine eigenen Fesseln zu lösen, sondern ein Leben zu führen, das auch die Freiheit anderer respektiert und fördert. Ganz in diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Es gibt kein Recht, mit 200 km/h mit dem SUV über die Autobahn zu brettern, wenn die Zukunft der kommenden Generationen verheizt wird. Freiheit bedeutet, die Lebensgrundlagen unserer kommenden Generationen zu erhalten. ({0}) Das ist eine Absage an den kurzfristigen Profit, an ein neoliberales Freiheitsverständnis, an die Freiheit des Ellenbogens. Freiheit bedeutet eben, dass wir ganz klar sagen: Das geht nur mit Demokratie, das geht nur mit sozialer Gerechtigkeit, und das geht nur mit dem Erhalt der Lebensgrundlagen der Menschheit. – Darunter darf es dieser Bundestag nicht mehr machen. ({1}) Der Beschluss zum Klimaschutzgesetz besagt, dass Deutschland durch die Verfassung verpflichtet ist, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad ist eine Verantwortung, die Deutschland, die wir hier im Bundestag wahrnehmen müssen. Freiheit, Gerechtigkeit, internationale Verantwortung – seit Jahren macht sich die Linke genau dafür hier im Bundestag stark. In den Beratungen 2019 über das sogenannte Klimaschutzgesetz haben wir gesagt, dass diese Bundesregierung dieser Verantwortung nicht gerecht wird. Wir sind froh darüber, dass das Bundesverfassungsgericht unsere Einschätzung bestätigt hat. In einer Art wahlkämpferischer Panikattacke hat jetzt die Bundesregierung die Erhöhung der Klimaziele auf den Weg gebracht. Das ist nicht unterfüttert durch ausreichende Maßnahmen. Wir sehen, wie Söder in Bayern weiterhin daran festhält, die Windkraft auszubremsen. Wir sehen, wie Laschet weiterhin Dörfer abbaggern lässt, Menschen enteignet und vertreibt. In der Bundesregierung sitzen mit Herrn Altmaier und mit Herrn Scheuer weiterhin personifizierte Klimaschutzbremsen. Und in Brandenburg, liebe Annalena Baerbock, habt ihr zusammen mit CDU und SPD größere Windkraft-Abstände vereinbart: bis zu 1 500 Meter. ({2}) Das sind größere Windkraft-Abstände, als sie Herr Laschet in NRW vorschreibt. Man muss sich doch irgendwann entscheiden, zu welcher Politik man steht. Mit dieser Union ist kein Klimaschutz zu machen. Mit dieser Union ist keine soziale Gerechtigkeit zu machen. ({3}) CDU und CSU gehören auf die Oppositionsbank. ({4}) Was ist der Unterschied zwischen der Klimapolitik der Linken und der der anderen Fraktionen? Wir wollen ganz klar Klimagerechtigkeit. Wir sagen, wir brauchen einen grundlegenden Systemwandel. Wir wollen die Gesellschaft sozial und ökologisch gestalten. Wir wissen, dass es nicht reicht, den Kapitalismus nur grün anzumalen – man muss ihn ganz grundlegend überwinden. ({5}) Das Klima darf nicht wie bisher auf dem Rücken derer geschützt werden, die am Ende des Geldes noch viel zu viel Monat haben. Die Energiewende darf nicht weiter dazu führen, dass Millionen in Zahlungsschwierigkeiten geraten, wenn sie am Ende des Monats ihre Stromrechnung erhalten. ({6}) Ich darf als Beispiel anführen: Im letzten Jahr, auch während des Lockdowns, sind fast 300 000 Haushalten der Strom und das Gas abgestellt worden. Während des Lockdowns verhängt diese Bundesregierung Stromsperren und haut gleichzeitig die großen Konzerne raus. Ganz ehrlich: Ihre Aufgabe ist es, die Ärmsten und die Schwächsten dieser Gesellschaft zu schützen. Da haben Sie grundlegend versagt, und dafür sollten Sie sich schämen! ({7}) Seit Jahren steigen die Strompreise, auch weil Sie ohne Sinn und Verstand Fleischfabriken, große Konzerne von der Umlage zum Ausbau der erneuerbaren Energien ausnehmen. ({8}) Ihr neuester Coup: Sie wollen Mineralölkonzerne und Düngemittelhersteller und andere Unternehmen von der Zahlung des CO2-Preises entlasten. Das heißt, die größten Verschmutzer des Klimas wollen Sie von der Zahlung des CO2-Preises ausnehmen, während Sie auf der anderen Seite Mieterinnen und Mieter jetzt, während des Lockdowns, während der Coronakrise, mit dem CO2-Preis weiter belasten. Dieser CO2-Preis ist nicht nur unwirksam, er ist sozial ungerecht. Unserer Forderung, den CO2-Preis auf die Vermieterinnen und Vermieter umzulegen, wie es Deutsche Umwelthilfe und Deutscher Mieterbund fordern, ({9}) haben Sie hier im Bundestag eine Absage erteilt. Ihr Klimaschutz ist sozial ungerecht. Im September muss dem eine Absage erteilt werden, wenn wir die Zukunft der Menschheit erhalten wollen. Diese Bundesregierung hat keine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Kanzlerin Merkel hat gestern beim Petersberger Klimadialog gesagt, dass sie von Klimagerechtigkeit, von der besseren Finanzierung des Globalen Südens, nichts hält. Sie will einen globalen CO2-Handel. Ich meine, man braucht keine immer neuen CO2-Börsen. Da gibt es Zaubertricks, von denen vor allem die Anwälte, die Konzerne und die Beraterfirmen profitieren. Liebe Annalena Baerbock, es ist doch an der Zeit, dass man sich entscheidet an dieser Stelle. Es ist die Frage zwischen Opposition und Regierung. Es ist die Frage, ob wir mit mehr Markt oder ob wir mit sozialer Gerechtigkeit Klimaschutz machen. ({10}) Wir müssen Klimagerechtigkeit wagen. Wir müssen den sozialökologischen Umbau dieser Gesellschaft wagen. Nur so können wir die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erhalten. Vielen Dank. ({11})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Beutin. – Als nächster Redner der CDU/CSU-Fraktion spricht Andreas Jung. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir brauchen jetzt mehr Tempo beim Klimaschutz. Wir machen jetzt mehr Tempo beim Klimaschutz. Aber ich will dazu auch sagen: Wir können auf dem Erreichten aufbauen. Vor zwei Jahren haben viele gesagt: Ihr werdet eurer Klimaziel für 2020 nicht erreichen. Heute wissen wir: Wir haben es erreicht. ({0}) – Das lag ein bisschen, zu einem kleinen Teil, zu einem bestimmten Teil an Corona und der Krise; aber zum wesentlichen Teil, sagt das Umweltbundesamt, liegt es daran, dass unsere Klimapolitik, unser Klimapaket wirkt. ({1}) Es gab viele, die gesagt haben: Wenn jetzt die Krise da ist und Corona so im Mittelpunkt steht, dann besteht doch die Gefahr, dass Klimaschutz hintangestellt wird. – Wir haben das Gegenteil gemacht: Wir haben Pakete geschnürt – nicht nur für die Konjunktur, sondern auch für die Zukunft – und Milliarden investiert, beispielsweise in die Wasserstoffstrategie. Darauf müssen wir jetzt aufbauen. Und wir können auch aufbauen auf das Klimaschutzgesetz. Das müssen wir jetzt in einem Teil nachbessern, und da ist selbstverständlich – wir sind Rechtsstaatspartei –, dass wir für ein Gesetz, das unsere Regierung auf den Weg gebracht hat und das am Ende mit einer breiteren Mehrheit im Vermittlungsausschuss verabschiedet wurde, Verantwortung tragen und wir die Verantwortung für die Reparatur nicht der nächsten Regierung überlassen, sondern dass wir es jetzt tun, in dieser Legislaturperiode. ({2}) Und das werden wir kraftvoll tun. Wir werden das Ziel der Klimaneutralität 2045 verbindlich im Klimaschutzgesetz festschreiben. Es ist vor allem aber eine Vision, hinter der wir uns jetzt gemeinsam versammeln müssen. Das ist doch eine Aufgabe, bei der es nicht um Parteipolitik gehen kann, sondern bei der es um die ganze Gesellschaft gehen muss. Wir wollen diese Aufgabe mit Innovationen angehen. Innovationen sind für uns der Schlüssel, um den sozialen Ausgleich sicherzustellen, um die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, um gemeinsam voranzugehen mit den Potenzialen, die wir in unserem Land haben, mit Forschung und Entwicklung, mit den Menschen, mit den Ingenieuren, die im Mittelstand, in der Industrie an Lösungen arbeiten. Klimaschutz ist eine Menschheitsfrage. Aber Technologieführerschaft ist auch eine Überlebensfrage der deutschen Wirtschaft. Es geht jetzt darum, dass wir diese Vision gemeinsam verfolgen und die Ziele umsetzen. Dieser Aufgabe widmen wir uns nicht, weil wir es müssen – wegen Karlsruhe –, sondern weil wir es wollen; das entspricht unseren Werten und unserer Überzeugung. Diesen innovativen Weg wollen wir gemeinsam gehen. ({3}) Es wird immer gefordert: Orientiert euch an der Wissenschaft! – Das tun wir. Es ist in der letzten Woche ein umfangreiches Gutachten, eine Studie vorgestellt worden, an der viele Experten und Wissenschaftler gearbeitet haben, und die sagen: Ja, das Ziel, ein klimaneutrales Deutschland 2045, ist ehrgeizig; aber es ist möglich. – Und sie sagen: Das Ziel – das wir jetzt auch festschreiben in dem Gesetz –, bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 65 Prozent zu mindern, ist ein wesentlicher, wichtiger Meilenstein – so ist es dort formuliert – auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045. Und genau so werden wir es in diesem Gesetz festschreiben. ({4}) Es ist richtig: Das eine sind die Ziele, und wenn man höhere Ziele erreichen will, dann braucht man dazu Maßnahmen. Wahr ist aber auch: Wir werden jetzt nicht in wenigen Wochen schon den Masterplan bis 2045 oder 2030 in jedem Detail fixieren können. ({5}) Aber was wir jetzt machen müssen, ist ein Startpaket, ein Beschleunigungspaket, ({6}) eine Startrampe zur Erreichung der höheren Klimaziele, und dazu sind wir, will ich hier sagen, ganz ausdrücklich bereit, auch noch in dieser Legislaturperiode; wir sind bereit, an den Pfad der CO2-Bepreisung ranzugehen. Wir vertrauen in marktwirtschaftliche Instrumente. ({7}) Dass wir jetzt über mehr Ambitionen reden, liegt ja an Europa und an den Zielen, die während der deutschen Ratspräsidentschaft umgesetzt wurden. Wir wollen mehr Europa, wir wollen dort, aber auch in unserem Land marktwirtschaftliche Instrumente, die den Emissionshandel stärken. Deshalb wollen wir diesen Pfad straffer ausgestalten. Wir wollen früher den Markt erreichen. Wir wollen darüber sprechen, was wir jetzt noch für erneuerbare Energien tun können, welche Maßnahmen über alle Sektoren hinweg wir in einem solchen Beschleunigungspaket jetzt noch verankern können. Das ist unsere Botschaft. Wir müssen jetzt handeln, aber vor allem: Wir wollen handeln. Und diese Aufgabe gehen wir beherzt an. Herzlichen Dank. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Jung. – Das Wort geht mit Dr. Rainer Kraft an die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Geschätzte Präsidentin! Werte Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Herr Miersch: Wer das EEG, das Hunderte Milliarden Euro von unten nach oben unsozial umverteilt hat, als ganz großen Erfolg preist, der sollte das Wort „sozial“ vielleicht nicht mehr im Parteinamen führen! ({0}) Ganz kurz zum höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht. Ich sage nur: Es ist bemerkenswert, wenn das höchste deutsche Gericht sich intensiv mit den Freiheiten von Personen in ferner Zukunft an weit entfernten Orten auseinandersetzt, aber die aktiv geltenden massiven Freiheitseinschränkungen, die hier für das deutsche Volk gelten, total, geflissentlich ignoriert; das ist bemerkenswert für das höchste deutsche Gericht. ({1}) Zu Ihrem Wissenschaftsantrag, liebe Grünen. Gendersprache ist Idiotensprache. ({2}) Das zeigt Ihr Antrag ziemlich zielgerichtet. Ihre Fraktion will Wissenschaft und Forschung klimaneutral machen. Vorbei also die Zeiten, als Wissenschaft und Forschung nach Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes frei waren. Nun stehen sie unter Klimavorbehalt. Wissenschaft und Forschung haben unsere Gesellschaft zu dem gemacht, was sie ist. Durch die Anwendung von Logik und des wissenschaftlich nachweislichen Experimentes wurde die Welt erfasst. Sie wurde erklärt, und sie wurde zur besten aller Gesellschaften geformt, nämlich der freiheitlichsten, die wir jemals hatten. ({3}) Aber auch damit ist es offensichtlich vorbei; denn Freiheit steht jetzt unter Klimavorbehalt. Der vorliegende Antrag hat nicht die Absicht, irgendwelche Reduzierungen von Emissionen von gefährlichen Gasen zu erreichen. Nein, es geht um die Herrschaft an den Hochschulen und um das, was dort gelehrt wird. Dabei schreckt die grüne Fraktion nicht vor der typisch grünen Heuchelei zurück. Sie nehmen ein großartiges wissenschaftliches Experiment, nämlich die Polarforschung, und heften sich das ans Revers. Aber wie hat denn das Alfred-Wegener-Institut die MOSAiC-Expedition hinbekommen? Ich werde es Ihnen sagen: (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! mit mehreren Zehntausend Tonnen maritimem Dieselöl – das ist eine Technik, die Sie verbieten wollen –: Dieselöl, um das Schiff ins Nordpolarmeer zu fahren; Dieselöl, um die Generatoren zu betreiben, die monatelang das Schiff, die Besatzung und die Expeditionsteilnehmer mit Wärme, Strom und Licht versorgt haben; Dieselöl, das die Versorgungsschiffe, die die Expedition versorgt haben, versorgt hat. Und wären diese Dieselschiffe ausgefallen, dann wären nukleare Eisbrecher eingesprungen, eine Technik, die Sie verbieten wollen. ({4}) Ach ja, und die Versorgungsflugzeuge und den bordeigenen Helikopter, die alle mit CO2-Kerosin fliegen, hatte ich fast vergessen. Noch eine Technik, die Sie verbieten wollen. ({5}) Wir sehen also: Ihr Antrag strotzt vor purer Heuchelei. Sie heften sich ein wissenschaftliches Vorzeigeexperiment ans Revers, das nicht hätte stattfinden können, wenn wir Ihren wissenschaftlichen Antrag hier beschlossen hätten. ({6}) Deswegen stelle ich fest: Es ist hier gar nicht die zentrale Botschaft dieses Antrags, Klimaneutralität zu erreichen. Es geht nicht darum, Wissenschaft und Forschung klimaneutral – was auch immer das ist – zu machen. Es geht Ihnen darum, zu bestimmen, was an den Hochschulen in Ihrer öko-marxistischen Zukunftsdystopie gelehrt werden soll. Statt Natur- und Ingenieurwissenschaften wollen Sie dann Staatsbürgerkunde, Gender- und kritische Rassentheorie auf den Lehrplänen finden. Statt Forschungsgelder in, sagen wir, einen 3‑Gigawatt-Kurzpulslaser zu stecken, wollen Sie damit den Campusklimablockwart finanzieren. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Diesen Weg in die Unfreiheit, in ein Zeitalter der Gegenaufklärung lehnen wir aus tiefster freiheitlicher Überzeugung ab. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke, Kollege Kraft. – Das Wort geht an die Bundesregierung. Es spricht Bundesministerin Svenja Schulze. ({0})

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Klimaschutz, das ist jetzt Grundrechtsschutz; daran lässt unser oberstes Gericht überhaupt keinen Zweifel mehr. Wenn man die Rede hier gerade gehört hat, kann man ja nur froh sein, dass wir so ein unabhängiges oberstes Verfassungsgericht haben. ({0}) Jetzt ist es an uns, aus diesem Gerichtsurteil Schlussfolgerungen zu ziehen, nicht, es zu kritisieren oder zu sagen: „Das zählt alles nicht“, sondern Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Meine erste Schlussfolgerung ist: Das Klimaschutzgesetz ist genau das richtige Instrument. Das ist die CO2-Bremse, die wir brauchen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie das hier im Parlament diskutiert wurde. Mir wurde Planwirtschaft vorgeworfen. ({1}) Mir wurde vorgeworfen, ich würde die Republik lahmlegen. – Jetzt ist ganz klar: Das ist genau das richtige Instrument, um der Forderung nach Generationengerechtigkeit nachzukommen, ({2}) um künftige Generationen davor zu schützen, dass die Atmosphäre übernutzt wird. Das Gericht hat diesen Mechanismus ganz eindeutig bestätigt. Ich freue mich, dass jetzt hier im Parlament überwiegend Jubel ist – nach dem Streit, den wir damals hatten. ({3}) Das Zweite, was ich schlussfolgere: Das Gericht hat festgestellt: Das Klimaschutzgesetz hat die Entwicklung und die Entscheidung in der Klimapolitik zu stark in die Zukunft verlagert. – Auch das ist eine Bestätigung für das, was ich ursprünglich mal vorgelegt habe. ({4}) Die Ziele nach 2030 müssen noch mal stärker formuliert werden. Es muss genauer gesagt werden, wie wir klimaneutral werden wollen. Der Fahrplan nach 2030 muss gestärkt werden. Deswegen habe ich jetzt sehr schnell eine Überarbeitung vorgelegt. Wir sind uns darüber einig, dass wir das Gesetz jetzt anpassen müssen. Wir werden das Tempo, in dem wir die Treibhausgasemissionen reduzieren, jetzt noch mal anziehen; und das ist auch gut so. Dafür haben wir uns auf der europäischen Ebene eingesetzt. Jetzt können wir das auch sehr schnell hier in Deutschland umsetzen. ({5}) Das, was ich jetzt vorschlage, ist ein ambitioniertes Ziel; das muss man so auch hier erst mal sagen. Wir gehen in zehn Jahren 25 Prozentpunkte runter. 25 Prozentpunkte! Das ist eine Größenordnung, die vorher unvorstellbar war. ({6}) Wir haben für die ersten 40 Prozent 30 Jahre benötigt. Jetzt sagen wir: Wir schaffen 25 Prozentpunkte in zehn Jahren. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen für den Klimaschutz. Das ist ein sehr gutes Signal. ({7}) Aber wenn man solche Zahlen setzt, dann muss man sie ernst meinen. Ich bin davon überzeugt: Diese Zahlen können wir erreichen. Es ist ja nicht so, als hätten wir für den Klimaschutz noch nichts getan. Wir haben ein Maßnahmenpaket. Aber wir sagen jetzt: Wir wollen noch ehrgeiziger drangehen. – Und die SPD hat einen Plan dafür vorgelegt, wie wir das alles schaffen können, ({8}) wie wir erneuerbare Energien ausbauen können, ({9}) was wir beim Wasserstoff brauchen, dass wir Ladesäulen brauchen. Die SPD ist es übrigens, der wir dieses Klimaschutzgesetz zu verdanken haben. ({10}) Wir haben zehn Jahre in diesem Parlament dafür gestritten, dass es so was gibt. ({11}) Mit diesem klaren Plan geht die SPD nach vorne. Ja, es gibt jetzt einen Wettbewerb der Ideen. Ich finde, das ist doch erst mal gut. Das ist die zentrale Zukunftsaufgabe. Es gibt Seiten hier, die wollen Klimaschutz rein mit dem Markt machen. Es gibt Seiten, die wollen ihn gar nicht machen. Und es gibt welche, die sagen: Wir wollen es so machen, dass es sozial gerecht ist, dass es die Wirtschaft nach vorne bringt und dass das gleichzeitig CO2 einspart. – Das ist der Plan der SPD. Diesen Wettbewerb der Ideen finde ich gut. ({12}) Was mir wichtig ist – das ist die dritte Schlussfolgerung, die ich aus diesem Gerichtsurteil ziehe –: Wenn wir die Ziele anheben, dann müssen wir einen sozialen Ausgleich schaffen. Ohne das wird es nicht gehen. Das ist das, was mir als Sozialdemokratin wichtig ist. Ja, Klimaschutz muss für alle machbar sein. ({13}) Er muss auch für alle finanzierbar sein. Ich stehe weiterhin dazu, dass wir Alternativen schaffen müssen, bevor wir den Umstieg fordern. Die Leute müssen wissen, auf was sie umsteigen können. ({14}) Das gilt für zuverlässige Busse und Bahnen, das gilt für sichere und erschwingliche E-Autos, für Wärmepumpen, für Heizungen, und das gilt eben auch für bezahlbaren Wohnraum. Der Wohnraum ist eine ganz wichtige Stellschraube; das wissen wir. Deswegen hat ja die SPD vorgeschlagen, ({15}) dass es eine faire Lastenverteilung zwischen Mietern und Vermietern geben soll. ({16}) Nur die Vermieter können entscheiden, welche Heizung es gibt. Ich freue mich, dass die Unionsfraktion, dass der Wirtschaftsminister hier insgesamt so eine steile Lernkurve durchläuft. ({17}) Ich würde mich freuen, wenn wir das auch noch beim CO2-Preis für die Vermieter hinbekommen, weil die es sind, die am Ende darüber entscheiden, dass die Heizung ausgetauscht wird. Das ist was ganz Konkretes, was wir sehr schnell machen können. Wer den CO2-Preis als kaltes, als zudem unwirksames Marktinstrument ausgestalten will, der ist allerdings auf dem Holzweg, sowohl gesellschaftlich als auch klimapolitisch. Das wird nur gehen, wenn es sozial gerecht ist. ({18})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Not found (Minister:in)

– Ja. – Meine Damen und Herren Abgeordnete, wir haben jetzt die Chance, den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität wirklich zu gestalten. Wir können diese große internationale Dynamik jetzt nutzen. Ich komme ja gerade vom Petersberger Klimadialog. Da werden wir übrigens von allen enorm gelobt. ({0}) António Guterres hat uns dort gelobt. Viele, viele Länder sagen, dass sie gerne so weit wären wie wir.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Liebe Ministerin, bitte kommen Sie zum Ende.

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Auch diese internationale Sichtweise müssen Sie sich bitte einmal mit anhören. Ich glaube, dass es wichtig ist, diesen internationalen Spiegel zu haben. Vielen Dank. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Ich gebe das Wort an den Kollegen Trittin für eine Kurzintervention.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Schulze, ich habe eigentlich erwartet, dass Sie, die hier von der Präsidentin als diejenige angekündigt worden ist, die für die Bundesregierung spricht, eine Antwort auf die Vorschläge geben, die ja nicht nur Frau Baerbock gemacht hat. Frau Baerbock hat aufgegriffen, was aus den Reihen der Koalitionsfraktionen – aus beiden – an Vorschlägen gekommen ist. ({0}) Lieber Herr Miersch, Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen keinen kürzeren Kohleausstieg. Okay, das haben wir zur Kenntnis genommen. ({1}) – Ich bin jetzt am Reden. Sie können gleich weitermachen. Aber die beiden Fragen, die Frau Baerbock Ihnen gestellt hat, haben Sie hier nicht beantwortet. Sie haben nicht die Frage beantwortet, ob Sie bereit sind, das Ausbauziel konkret anzuheben. Das wird nötig sein, wenn Sie tatsächlich Ihre Ziele erreichen wollen. Dann reden wir davon, dass in den nächsten zehn Jahren so viel Kapazität bei den Erneuerbaren in Deutschland dazugebaut werden muss wie in den 20 Jahren, seitdem wir, Sozialdemokraten und Grüne, gemeinsam das EEG verabschiedet haben. Warum sagen Sie dazu nicht Ja oder Nein? Was ist Ihre Haltung zu der Forderung von Herrn Dobrindt, zu einem höheren CO2-Preis zu kommen? Die Diskussion über den CO2-Preis ist an Doppelmoral überhaupt nicht zu übertreffen. ({2}) Die FDP stellt sich hin und sagt:

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Lieber Kollege Trittin, die zwei Minuten für die Kurzintervention sind um.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie wollen das als einziges Instrument. ({0}) Dann kommt der CO2-Preis von 25 Euro. Dann sagt Herr Lindner in der „Bild“-Zeitung, er ist zu hoch. Soll ich Ihnen mal sagen, wie hoch der Markt zurzeit das CO2 bewertet? Stand von gestern, Leipziger Börse: 50 Euro. Letzte Bemerkung. Sie sagen, Sie wollen keine kalte Erhöhung an dieser Stelle. Sie sind seit zwölf Jahren an der Regierung. In diesen zwölf Jahren hat diese Bundesregierung zu verantworten: –

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kollege Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– die Vernichtung von 200 000 Arbeitsplätzen in den erneuerbaren Energien. Das ist praktizierte Deindustrialisierung und ein Schlag gegen den Klimaschutz gewesen. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Frau Ministerin, wollen Sie antworten?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich sehe ja, dass eine Wahl vor uns steht und dass es wichtig ist, diese Wahlauseinandersetzungen zu führen. Sie verlangen eine Antwort der Bundesregierung auf ein Urteil zum Klimaschutzgesetz, das letzte Woche gesprochen wurde. ({0}) Was wir jetzt tun, ist, dieses Urteil so schnell wie möglich umzusetzen. Das tun wir in einer Rekordgeschwindigkeit. Wir haben, ohne die Begründung dieses Urteils im Detail zu haben, sehr schnell reagiert und jetzt ein neues Klimaschutzgesetz vorgelegt. Das wird Mittwoch durch das Kabinett gehen, und dann wird es hier im Parlament diskutiert werden. Wir haben noch vor wenigen Wochen hier gesagt, wie wichtig es ist, sich ambitionierte Ziele zu setzen. Das ist jetzt das Erste, was wir tun: Wir setzen diese ambitionierten Ziele. Lassen Sie uns in den Wettstreit der Ideen gehen. Wir haben als SPD sehr deutlich gemacht, dass wir die erneuerbaren Energien ausbauen wollen. ({1}) Lassen Sie uns doch jetzt darüber reden: Wie schaffen wir das denn von Baden-Württemberg bis Schleswig-Holstein? Das wird jetzt der Wettstreit der Ideen werden. Wer schafft es denn real, die Infrastrukturen so auszubauen, dass wir die Erneuerbaren voranbringen, die Infrastrukturen zu schaffen für Wasserstoff, den Gebäudesektor wirklich CO2-frei zu kriegen? Das wird jetzt der Wettstreit der Ideen werden. Ich glaube, alle Parteien haben dafür – na ja, fast alle Parteien – Konzepte. Die SPD legt ihren Plan am Sonntag auf dem Parteitag vor. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Ich gebe das Wort an Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es besteht kein Zweifel: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von letzter Woche ist außergewöhnlich, es ist bemerkenswert, aber auch herausfordernd. Die Union steht zu den internationalen Vereinbarungen von Paris. Es ist unsere Aufgabe, dass wir den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad begrenzen. Deutschland hat bislang stets geliefert. Wir haben unser nationales Ziel, die Treibhausgase bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, erreicht, und wir werden auch die neuen Herausforderungen meistern. Entscheidend ist nun aber, wie wir einerseits dem Urteil gerecht werden und andererseits die noch höheren Klimaziele erreichen können. Die Union ist bereit für noch mehr Klimaschutz, wenn die Leitplanken richtig gesetzt werden und wir so die unterschiedlichen Interessen der gesamten Gesellschaft zusammenführen. ({0}) CDU und CSU sind bereit für mehr Klimaschutz, wenn er weiterhin europäisch und international abgestimmt ist. Die EU-Klimazielerhöhung hat natürlich Auswirkungen auf Deutschland und auf unser nationales Ziel für 2030. Also hätten wir das Bundesklimaschutzgesetz ohnehin ändern müssen. ({1}) Allerdings wird die EU erst im Juli neue Vorschläge unterbreiten, welche zusätzliche CO2-Reduktion der europäische Emissionshandel liefern soll und wie hoch die Emissionszuweisungen in den Sektoren Verkehr, Wärme und Landwirtschaft für die einzelnen Mitgliedstaaten sind. Das heißt konkret: Wir wissen noch gar nicht, wie die Lastenteilung innerhalb Europas aussehen wird. Wir brauchen also einen Anpassungsmechanismus im Bundesklimaschutzgesetz, der Reaktionen auf EU-Entscheidungen zulässt. CDU und CSU sind bereit für mehr Klimaschutz, wenn wir nicht bei einem Verkündungswettbewerb immer höherer Ziele stecken bleiben, sondern den Weg dorthin alsbald mit konkreten Maßnahmen unterfüttern. ({2}) Das gebietet schon allein die Transparenz, die wir den Bürgerinnen und Bürgern schuldig sind. ({3}) Wir sollten auch über die Kosten der einzelnen Maßnahmen Auskunft geben; denn eine immer mehr steigende Staatsverschuldung ist auch nicht im Sinne der zukünftigen Generationen. ({4}) Lassen Sie uns beispielsweise über eine ökologische Steuerreform reden, über weitere Beschleunigungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren, ({5}) über die Abschaffung der EEG-Umlage, über mehr Digitalisierung. ({6}) CDU und CSU sind bereit für mehr Klimaschutz, wenn wir das Prinzip der Technologieoffenheit endlich vollständig in die Praxis umsetzen. ({7}) Wenn wir unser Land wirklich klimaneutral aufstellen wollen, dann darf es keinen ideologischen Ausschluss von unliebsamen Technologien geben. ({8}) Wir müssen alle Register ziehen. Das heißt konkret: Eine Neubewertung der unterirdischen Speicherung von CO2, kurz CCS. Das bedeutet den Einsatz von nachhaltiger Bioenergie. ({9}) Das bedeutet noch mehr Anreize für Wasserstoff. Das bedeutet strombasierte Kraftstoffe, und das bedeutet Grüne Gentechnik. Wenn wir Klimaneutralität als Gesellschaft schaffen wollen, dann kommen wir um solche vielleicht unpopulären Debatten nicht herum. Auch das gehört zur Ehrlichkeit, die wir den Menschen in unserem Land schuldig sind. ({10}) CDU und CSU sind bereit für mehr Klimaschutz, wenn das Prinzip der Nachhaltigkeit beachtet wird. Klimaschutz ist und bleibt eine Querschnittsaufgabe und hat somit Auswirkungen auf viele Gesellschaftsbereiche. Natürlich entstehen durch neue –

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– Klimainnovationen auch neue Jobs – keine Frage –, aber es fallen auch an anderer Stelle Arbeitsplätze weg. Die Union steht für „Klimawohlstand“: die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Sicherung unseres Wohlstands, die Sicherung von Investitionen in den Klimaschutz und somit die Sicherung der öffentlichen Akzeptanz für eine ambitionierte Klimaschutzpolitik. Vielen Dank. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Ich lasse immer 20 Sekunden vor Ende einer Rede das Licht aufleuchten. Da frage ich nicht für einen Freund, ob die Redezeit zu Ende ist oder nicht oder ob Sie Ihre Rede beenden wollen oder nicht, sondern es soll einem die Möglichkeit geben, einen schönen Abschlusssatz zu bilden. Ich bitte, das an einem Freitagnachmittag zu berücksichtigen. Wir kommen zu Klaus Mindrup von der SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Annalena Baerbock! Wir waren ja gemeinsam in Paris auf der Klimakonferenz, als der berühmte Hammer fiel, und ich dachte, wir sind uns in vielen Punkten des Klimaschutzes einig. – Es wäre schön, wenn Sie mir zuhören würden. – Aber das, was jetzt hier passiert, irritiert mich schon. Ende Dezember forderte Ihr Co-Parteivorsitzender Robert Habeck 65 Prozent Absenkung als neues deutsches Klimaschutzziel für 2030. Dann setzen wir uns in der EU für eine Zielerhöhung ein. Dann nutzen wir den Rückenwind des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes. Unsere Umweltministerin Svenja Schulze legt in Rekordzeit ein Klimaschutzgesetz mit genau dem Ziel vor, das Robert Habeck vor fünf Monaten gefordert hat. ({0}) Und was passiert dann? Toni Hofreiter lässt sich in der Presse aus und sagt, dass er fassungslos sei, dass das alles nicht genug wäre und wir mindestens 70 Prozent Reduktion bräuchten. Sind wir hier denn Marktschreier, oder was ist das hier für eine Veranstaltung? ({1}) Es kommt doch am Ende darauf an, was wir umsetzen. Das ist das Entscheidende im Interesse der kommenden Generationen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie von den Grünen haben eben gesagt, dass es Ihnen auch um die Industrie geht. Uns droht nämlich eine weitere große Gefahr: Man kann die nationalen Klimaschutzziele durch Deindustrialisierung erreichen, weil der CO2-Fußabdruck von Importen nicht mitberechnet wird. Das ist ein großes Problem. Das müssen wir ändern. Aber wir müssen vor allen Dingen den Unternehmerinnen und den Unternehmern dabei helfen, dass sie Zeit für die Umstrukturierung haben und dass sie in neue Klimatechnologien investieren können. Als wir gemeinsam die CO2-Bepreisung eingeführt haben, gab es einen Entschließungsantrag aus der Koalition, genau das zu tun. Damals haben Sie von den Grünen dagegengestimmt, gegen unseren Industriestandort. Das zeigt, dass Sie in dieser Frage nicht ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Was mich komplett besorgt, ist, dass Sie in Ihrem Antrag den KfW-55-Standard für die Altbausanierung fordern. Wer sich damit nicht genau auskennt: Das ist ein höherer Standard, als beim Neubau in Deutschland gilt. Ich habe gestern noch mit einem Spezialisten gesprochen. Der sagt mir: Herr Mindrup, das kriegen Sie in Ihrem Prenzlauer Berg nur durch einen flächendeckenden Abriss geregelt. – ({4}) Das kann doch nicht wahr sein! Das ist unsinnig, das ist nicht nötig, das ist zu teuer, nicht bezahlbar und ist völlig unsozial. ({5}) Dann haben Sie in Ihrem Antrag geschrieben, Sie wollen – ich zitiere – „Transformationszuschüsse für Menschen mit niedrigen Einkommen“. Das ist doch nur weiße Salbe. Ich kann Ihnen nur sagen, was meine Nachbarn in der Genossenschaft wollen: Sie wollen erneuerbaren Strom, erneuerbare Wärme, erneuerbares Gas, und das zu bezahlbaren Preisen. ({6}) Und sie wollen das als Prosumer daheim, vor Ort, weitgehend herstellen. ({7}) Das ist etwas anderes, als Empfänger von Transferleistungen zu werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Ich kann es auch mit Papst Franziskus sagen – damit komme ich dann auch zum Ende –: Wir kommen nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, … um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde. Klimaschutz muss sozialpolitisch funktionieren. Der Grundgedanke der Solidarität muss vertreten werden, und das tut die SPD. Dafür bitte ich Sie um Unterstützung. Herzlichen Dank. ({9})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Mindrup. – Das Wort geht an die Abgeordnete Dr. Anja Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein klarer Auftrag. Diesen Auftrag werden wir annehmen und auch unabhängig von diesem Urteil unsere Klimaschutzpolitik konsequent fortsetzen und die Menschen dabei mitnehmen; denn das ist unser Ansatz. ({0}) Angela Merkel hat auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass das EU-Klimaziel von 40 Prozent auf 55 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2030 angehoben wird. Das bedeutet automatisch, dass das deutsche Klimaziel angepasst wird, ({1}) und genau das machen wir. Das stand ohnehin bevor, und das setzen wir jetzt konsequent mit dem Klimaschutzgesetz um. Womit setzen wir es um? Mit einem Dreiklang aus Förderinstrumenten, mit denen wir die Menschen mitnehmen ({2}) beim Umstieg auf klimafreundliche Technologien, mit der CO2-Bepreisung und mit mehr Verbindlichkeit durch den Kontrollmechanismus, der im Klimaschutzgesetz schon angelegt ist. Und ja, dieser Dreiklang wirkt; denn wir haben unser Klimaschutzziel 2020 allen Unkenrufen zum Trotz erreicht. Warum haben wir es erreicht? Nicht wegen Corona, ({3}) das sagt auch der UBA-Präsident: 39 Prozent plus/minus hätten wir ohne Corona. Also, es ist ein Märchen, dass man immer behauptet: wegen Corona. ({4}) Wir haben es erreicht; nicht die Grünen haben es erreicht, sondern die Regierungskoalition. Das gilt es an der Stelle auch mal festzustellen, meine Damen und Herren. ({5}) Mit welchen Instrumenten? Vor allem mit unserem Leitinstrument, das unser Konzept ist: Der marktbasierte Emissionshandel auf europäischer Ebene wirkt. Ja, er ist die erfolgreiche Antwort. Dadurch reduzieren wir kontinuierlich die CO2-Emissionen. Der Emissionshandel wird auf EU-Ebene jetzt noch mal verschärft. Er wird auch im Flugverkehr noch mal verschärft. Er wird auf den Schiffsverkehr ausgeweitet. Und in Deutschland haben wir genau dort, wo wir die CO2-Emissionen reduzieren müssen, einen eigenen Brennstoffemissionshandel nach diesem Modell eingeführt, ({6}) und damit sind wir ein Vorbild für ganz Europa. Die EU wird jetzt auch nachziehen. Auch das ist ein Erfolg unserer Klimapolitik. ({7}) Ja, CO2 ist die neue Währung. Der CO2-Preis zeigt, dass es ein Gamechanger ist, wenn wir auf die Bepreisung setzen. Und der entscheidende Schritt, der uns beim Klimaschutz nach vorne bringt, ist eben auch, die Strompreise zu senken. Das ist der Ansatz; denn wenn wir jetzt überall auf Elektromobilität, auf Wärmepumpe umsteigen, dann müssen wir die Strompreise senken ({8}) und mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel auf europäischer und auf nationaler Ebene die EEG-Umlage reduzieren; das ist auch schon in unseren bisherigen Beschlüssen angelegt. Diesen Weg müssen wir jetzt konsequent weitergehen; denn über die Senkung des Strompreises bekommen wir auch den Schub für Sektorkopplung und für mehr Klimaschutz, meine Damen und Herren. ({9}) Diese Instrumente wirken. Das sagen auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts. Sie sagen aber auch: Es geht um Generationengerechtigkeit. – Und die Antwort des Bundesverfassungsgerichts sollte man, ehrlich gesagt, auch mal auf andere Politikfelder anwenden, zum Beispiel in der Finanzpolitik. ({10}) Das Bundesverfassungsgericht fordert: Wir müssen bis 2030 ambitionierter werden, damit die Lasten für die kommenden Generationen reduziert werden, und wir müssen den Weg nach 2030 bis zu unserem Ziel der Klimaneutralität konkreter beschreiben. Genau das werden wir jetzt mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes machen. Wir werden ein Maßnahmenpaket vorlegen, bei dem die Themen Strompreissenkung und marktbasierte Instrumente im Mittelpunkt stehen. Wir setzen auf eine Verbindung aus Ökonomie und aus Ökologie, zusammen mit der Akzeptanz der Menschen und setzen nicht wie die Grünen auf ein „Höher, schneller, weiter“, die nur immer weiter die Ziele raufsetzen. ({11}) Wir brauchen die Grünen nicht. Wir machen selber eine gute Klimaschutzpolitik, meine Damen und Herren. ({12})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, liebe Kollegin Weisgerber. – Zum Abschluss der Debatte spricht Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mal versöhnlich anfangen. Mir gefällt Ihre Überschrift: „Klimaschutz ist jetzt“. Genauso ist es. Klimaschutz ist jetzt und in Deutschland, und das ziemlich gut. Deutschland ist da sehr ambitioniert, und das ist wirklich, ich sage mal, nicht ohne. Der Kollege Köhler hat es gerade in seiner Rede gesagt: Das Verfassungsgerichtsurteil hat nichts anderes gesagt, als dass das so in Ordnung ist. ({0}) – Das ist so. Wenn Sie das nicht glauben, dann hören Sie sich die Rede einfach noch mal an. Das, was Deutschland leistet, ist einzigartig. Zeigen Sie mir ein einziges vergleichbares Industrieland, das es besser macht als Deutschland, und das ohne Kernenergieerzeugung. Sie werden keines finden. Deswegen ist alles das, was Sie in Ihren Anträgen geschrieben haben, ziemlich – na ja, ich sage mal – ideologisch. Ihre Maßnahmen können auch ganz kurz zusammengefasst werden. Sie setzen auf blinden Ausbau – das haben Sie schon immer gemacht –, kein Wort zur Nutzung, kein Wort zur Verfügbarkeit. Sie setzen auf Verbote, kein Wort zu Anreizen, kein Wort zur Technologie. ({1}) Sie setzen auf Bevormundung, kein Wort zu Anreizen. Sie setzen auf Zwangssanierung von Einfamilienhäusern. Sie setzen auf das Verbot der Verbrenner, statt in dem Bereich Verbesserungen mitzutragen. Sie setzen auf einseitige Mobilität, anstatt die Vielfalt neuer, anderer Technologien auf den Weg zu bringen. Sie setzen auf das Aus von ganzen Industriezweigen. Sie setzen auf das Aus von Nord Stream 2. Sie setzen auf Protektionismus. Sie setzen auf Nationalismus, und zwar auf Klimanationalismus. ({2}) Sie müssten aber wissen, dass Klimaschutz nur – und zwar ausschließlich – global zu bewältigen ist und nicht anders. ({3}) Das, was Sie machen, ist Klimaschutz auf dem Papier und nichts anderes. Es geht weiter. Nächster Punkt: Das ist die Versorgungssicherheit. ({4}) Nichts davon ist zu lesen, nichts. Bezahlbarkeit spielt bei Ihnen überhaupt gar keine Rolle. Akzeptanz war noch nie ein grünes Thema, noch nie. Die Windräder stehen ja irgendwo im Wald, oder sie stehen irgendwo im ländlichen Raum, die PV-Anlagen stehen auf dem Acker und nicht im Prenzlauer Berg – das ist Ihnen alles völlig egal. ({5}) Nächster Punkt: Wind-onshore. Sie bleiben ohne eine Aussage zur Flächenverfügbarkeit; denn die ist schlicht und ergreifend nicht mehr da. Da können Sie die Ziele noch so hochschrauben: Sie werden keine Flächen mehr bekommen. Der nächste Punkt ist Wind-offshore – 35 GW und 20 GW; Sie kennen das alles –: Die Netzkapazität reicht jetzt schon nicht aus. ({6}) Und zum Kohleausstieg muss ich Ihnen sagen: Den haben Sie gefeiert; Sie haben sich feiern lassen auf den Straßen. Und jetzt, nach einem Jahr, ist da schon wieder Schluss. ({7}) Dieser Überbietungswettbewerb hilft niemandem. Wir brauchen bei dieser Mammutaufgabe, an der sich bis jetzt alle Regierungen die Zähne ausgebissen haben, Lösungen, statt monatlich neu zu beraten. Wir brauchen einen Wettbewerb der kreativen Ideen. Wir brauchen den internationalen Emissionshandel, der ausgebaut werden muss, statt die Komfortzone EEG. ({8}) Wir brauchen Versorgungssicherheit statt Abregelung.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und wir brauchen Technologieoffenheit, Technologieoffenheit und Technologieoffenheit. Aber das bringen Sie nicht zusammen. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Koeppen. – Ich schließe die Aussprache.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag der AfD hätte der Bundestag schon vor Jahrzehnten beschließen müssen, um endlich eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu schaffen. Im Klartext: CDU, SPD und Grüne schicken seit 30 Jahren deutsche Soldaten in aller Herren Länder, und im Grundgesetz steht dazu kein einziges Wort. 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sogenannte Out-of-Area-Einsätze mit Artikel 24 des Grundgesetzes legitimiert werden können – eine rechtliche Hilfskonstruktion, mit der der Bundestag jetzt schon fast 30 Jahre arbeitet. Out of Area, außerhalb des Gebiets, darum geht es. Die Bundeswehr – einige werden sich noch erinnern – ist eine Armee der Landes- und Bündnisverteidigung. Das ist ihr grundgesetzlicher Auftrag. Alles andere kann nur in sehr gut begründeten Ausnahmefällen zulässig sein. ({0}) Wenn ich an all die Reden zu Mandatsverlängerungen in den letzten dreieinhalb Jahren denke und diese ernst nehme, dann teilen die Abgeordneten der bequemen Mitte meine Ansicht. Man sei den Soldaten schuldig, ganz genau zu prüfen, in was man sie hineinschicke, heißt es immer wieder. Seit 1994 hat der Bundestag über 200-mal für die Verlängerung eines Mandats gestimmt, kein einziges Mal dagegen, 200-mal echte Gewissensprüfung also, Gewissensprüfung im Akkord. Die Wahrheit ist: Stecken die Parteien in der Regierung, wird überhaupt nichts mehr geprüft, weder Sinn und Zweck des Einsatzes noch Erfolgsaussichten noch völkerrechtliche Legitimation und schon gar nicht das eigene Gewissen. Da wird abgenickt; es werden keine lästigen Fragen gestellt. Das liegt auch an der fehlenden grundgesetzlichen Regelung. ({1}) Meine Damen und Herren, in diesen Tagen geht der gescheiterte Einsatz in Afghanistan zu Ende. Es war die bisher längste und blutigste Mission der Bundeswehr. Vor sechs Wochen hat die Regierungskoalition hier noch das Mandat verlängert. Und jetzt? Alles hinfällig. Innerhalb von nur sechs Wochen eine 180-Grad-Wende von „Wir müssen weitermachen“ zu „Wir müssen raus“. Echte politische Flexibilität! ({2}) Es ist gut, dass der Einsatz in Afghanistan jetzt zu Ende geht. Ziel muss es nun sein, alle deutschen Soldaten heil nach Hause zu holen; denn es gibt nichts mehr zu gewinnen, was ein Risiko rechtfertigen könnte. Das bringt mich noch zu einem aktuellen Aspekt. Die Verteidigungsministerin hat angewiesen, das Kommando Spezialkräfte zur Absicherung des Abzugs nach Afghanistan zu entsenden. Und ausgerechnet in dieser kritischen Phase belastet Annegret Kramp-Karrenbauer die Einsatzbereitschaft des KSK mit einer ausgemachten Affäre. Am Montag ließ die Staatsanwaltschaft das Diensthandy und den Laptop von Kommandeur Markus Kreitmayr beschlagnahmen. ({3}) Er steht in Verdacht, sich der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht zu haben. ({4}) Und die Ministerin behauptet immer noch, nichts von den illegalen Befehlen des Kommandeurs gewusst zu haben. ({5}) Um das hier einmal klar zu sagen: Ich bin davon überzeugt, dass Annegret Kramp-Karrenbauer in dieser Sache das Parlament belogen hat. ({6}) Das KSK hat eine Führung, gegen die die Staatanwaltschaft vorgeht und die das Vertrauen der unterstellten Soldaten komplett verloren hat. Das bedeutet, dass das KSK zurzeit keine Führung hat. Frau Ministerin, Ihr politisches Überleben steht zur Disposition; ({7}) das weiß ich. Aber jetzt geht es um das echte Leben von unseren Soldaten.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Handeln Sie angemessen! Danke schön. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Lucassen. – Das Wort geht an den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, Philipp Amthor. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem: Lieber Herr Kollege Lucassen! Sie sind ja ehemaliger Offizier der Bundeswehr. Daher könnte man das, was Sie hier heute vorgetragen haben, so auf den Punkt bringen: Es war ein argumentatives Scheingefecht, weiter nichts. Wir debattieren heute zwei Vorlagen, einen Antrag der Fraktion der AfD und einen Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke. Beide befassen sich mit verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen unserer Bundeswehr, einerseits mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen und andererseits – im Gesetzentwurf der Linken – mit der verfassungsrechtlichen Überprüfbarkeit unserer Entscheidungen für Mandatsgesetze. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen gleich vorweg sagen: Wir lehnen beide Vorlagen ab; denn damit tun Sie vor allem eines: Sie ziehen, und zwar ganz bewusst, die Grundlagen in Zweifel, auf denen unsere Soldatinnen und Soldaten verantwortungsvoll in der Welt für die Sicherheit unseres Landes und für unsere westlichen Werte streiten. ({0}) Sie wollen unsere Mehrheitsentscheidungen hier delegitimieren. Das können Sie als Opposition, aber bitte nicht auf dem Rücken unserer Soldatinnen und Soldaten. ({1}) Zum Antrag der AfD. Sie sind ja nicht wirklich inhaltlich geworden. Ich will Ihnen sagen: Man kann – das ist legitim – über die Grenzen von Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes, über kollektive Sicherheitssysteme, diskutieren. Man kann auch über das Verhältnis zu Artikel 87a Absatz 2 des Grundgesetzes diskutieren. Aber machen wir uns doch nichts vor: Sie wollen hier doch kein verfassungsrechtliches Proseminar, und Ihnen sind die verfassungsrechtlichen Fragen im Kern auch egal. Sie wollen einfach das Handeln der Bundeswehr in Zweifel ziehen. ({2}) Sie wollen unsere wohlabgewogenen Entscheidungen in Zweifel ziehen. Diesem Eindruck treten wir entschieden entgegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ich sage es in aller Klarheit: Alle aktuellen Bundeswehrmandate basieren auf einer verfassungskonformen Grundlage. Jeder Auslandseinsatz, für den sich dieses Parlament entschieden hat, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und mit der üblichen verfassungsrechtlichen Dogmatik. Es ist reichlich uninspiriert, dass Sie hier kein anderes Thema aufbieten können, um Generalkritik an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu üben. Im Übrigen will ich in Richtung der AfD sagen: Es ist vor allem scheinheilig, Artikel 24 Absatz 2 als Grundlage der Auslandseinsätze zu kritisieren, weil Ihre Fraktion ja selbst bekanntermaßen in großen Teilen genau auf der Grundlage von Artikel 24 Absatz 2 drei Auslandsmandaten zugestimmt hat: Horn von Afrika 2021, Südsudan 2021, Darfur 2019. Welchen Schluss lässt das zu? ({4}) Entweder Sie sehen das Problem nicht als Problem, oder es ist Ihnen egal, nach Ihrem Verständnis wissentlich verfassungswidrig abzustimmen. Beides ist peinlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Wenn wir dann noch in den Gesetzentwurf der Linkspartei schauen, sehen wir ein Stück weit ein ähnliches Muster. Auch da geht es darum, im Mäntelchen vermeintlicher Rechtslücken eine Generalkritik an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu üben. In Wahrheit geht es Ihnen doch nur darum, mit dem vorgeschlagenen Überprüfungsmechanismus die Entscheidungen in gewisser Weise nach Karlsruhe outzusourcen. Sie wollen das Bundesverfassungsgericht zu einem Akteur der Außenpolitik machen, ({6}) ihm eine Rolle geben, die dort gar nicht vorgesehen ist; denn über die Frage von Völkerrechtmäßigkeit entscheiden vor allem die Gerichte, die die Völkerrechtsgemeinschaft dafür vorsieht. Und vor allem: Für die Zweckmäßigkeit von Auslandseinsätzen entscheiden wir hier im Rahmen des Rechts. Das ist eine genuin politische Frage, und das soll auch in Zukunft so bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es hätte ja Themen zur verfassungsrechtlichen Lage der Streitkräfte gegeben, über die man hätte diskutieren können: Einsatz der Bundeswehr im Inneren in Krisenlagen, Cyberabwehr und entsprechende Fertigkeiten in diesem Zusammenhang.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dazu haben Sie hier nichts auf der Pfanne gehabt. Deswegen lehnen wir Ihre Vorlagen ab. Herzlichen Dank. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Amthor. – Das Wort geht an die Fraktion der FDP mit Frau Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin ganz irritiert, Herr Amthor, dass wir beide mal in einem Slot zusammen sind. Dabei geht es doch heute gar nicht darum, wie sich Bundestagsabgeordnete korrekt verhalten. ({0}) Aber kommen wir jetzt zum eigentlichen Punkt der Debatte, dazu, was die AfD uns hier heute serviert hat. Ich meine, wer Sie lange genug kennt, weiß, welche Einstellung Sie zu Einsätzen der Bundeswehr haben; meistens erleben wir das hautnah und maskenlos. Aber ich finde es schon spannend, dass die Begriffe „UN“, „NATO“ und „EU“ offensichtlich Fremdwörter für Sie sind. Jetzt wissen wir ja: Mit Fremden haben Sie es nicht so. Aber was ist denn die Alternative für Deutschland, Herr Lucassen? Abgeschottet, national, bündnislos, sich selbst genug; ({1}) der stramme deutsche Soldat an der deutschen Grenze schützt die deutsche Frau und das deutsche Kind. ({2}) Dieser Horizont ist wirklich zum Greifen nah. ({3}) Nun, alle Missionen und Einsätze abzulehnen – um da kein Missverständnis entstehen zu lassen –, das kann man selbstverständlich. Aber das wird Ihnen natürlich langweilig; auch den Linken wird das inzwischen langweilig. Also wird jetzt mal unterstellt, dass die Einsätze der Bundeswehr nicht wirklich grundgesetzkonform sind. In der Tat: Die Wehrverfassung aus dem Jahr 1956 ist nicht gesondert im Grundgesetz aufgeführt; sie teilt sich in viele Artikel auf. Dabei ist der Artikel 87a Absatz 1 Grundgesetz zentral: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Das umfasst die Landes- wie die Bündnisverteidigung auf der Grundlage des NATO-Vertrags. Darüber hinaus darf die Armee eingesetzt werden, sofern es das Grundgesetz zulässt. Und jetzt kommt Artikel 24 – zum Mitschreiben –: Dieser Artikel ermächtigt ausdrücklich Einsätze im Ausland, nämlich zur Wahrung des Friedens in einem System kollektiver Sicherheit. Und wieder kommen die bösen Worte „NATO“, „UN“, „EU“. Alles steht – das ist die gute Nachricht – unter Parlamentsvorbehalt. Wer sich wahrhaft um die Soldatinnen und Soldaten kümmern will, der spricht ihnen nicht die Legitimität ab, für uns, für unsere Freiheit und unseren Frieden in Einsätze zu gehen. Das gilt auch für die Linken. Normalerweise wäre jetzt Kollegin Hänsel dran, die ihre Ablehnung bei allem immer mit besonderer Betroffenheitsrhetorik und Empörung hier raushaut. Ihre Parteivorsitzende Hennig-Wellsow, lieber Kollege Neu, weiß zwar nicht, warum und wo die Bundeswehr so im Einsatz ist, aber – Zitat – es muss alles beendet werden. Es gibt gute Gründe, warum wir hier jedes Bundeswehrmandat diskutieren und auch die Materialfrage stellen: weil wir in der Tat Verantwortung für die Soldaten und Soldatinnen haben. Aber wenn man schon eine Änderung des Grundgesetzes will, liebe Kollegen und Kolleginnen der AfD, dann kommt das aus dem Parlament heraus – es ist nämlich eine Parlamentsarmee – und wird nicht an die Bundesregierung delegiert. Aber Sie wollen das gar nicht, und intellektuell können Sie es wahrscheinlich auch gar nicht. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollegin Agnes Strack-Zimmermann. – Das Wort geht an Dr. Fritz Felgentreu von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Strack-Zimmermann! Die AfD-Fraktion hat natürlich ein Problem, das es gar nicht gibt. Das haben wir auch an der Rede des Kollegen Lucassen gemerkt. Wenn er vom eigenen Antrag überzeugt gewesen wäre, hätte er zum Thema gesprochen. Hat er aber nicht. Es ist eigentlich ganz einfach: Für Existenz und Auftrag der Bundeswehr schafft das Grundgesetz das Fundament. In den 65 Jahren ihrer stolzen Tradition sind der Bundeswehr immer wieder neue Aufgaben übertragen worden, zum Beispiel die Auslandseinsätze. Ob Bundesregierung und Bundestag dazu berechtigt waren, wurde mehrfach dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Das Ergebnis ist eindeutig: Ja, meine Damen und Herren, im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit und mit einem Mandat des Deutschen Bundestages darf die Bundesregierung die Bundeswehr in Auslandseinsätze schicken. Das ist ein ganz einfacher Grundsatz; der ist leicht zu verstehen und leicht zu erklären. Die AfD meint aber nun, das müsse so auch im Grundgesetz stehen, sonst könnte es Soldatinnen und Soldaten verunsichern; so steht es in der Begründung. Meine Damen und Herren, ich habe eine gute Nachricht für Sie: Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen. Denn das, was Sie wollen, steht schon im Grundgesetz. Darum geht es ja gerade in den Entscheidungen aus Karlsruhe. Zu Verunsicherung besteht also überhaupt kein Anlass. Wenn Sie trotzdem verunsichert sind, denken Sie einfach noch mal darüber nach; dann legt sich das vielleicht. Die Linke hat, wie zuvor schon die Grünen, ein anderes Anliegen. Sie will erreichen, dass die Opposition gegen das Mandat für einen Auslandseinsatz vor dem Bundesverfassungsgericht klagen kann; denn ob ein Einsatz im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit erfolgt oder nicht, war in der Vergangenheit gelegentlich umstritten. Nun ist es heute schon so, dass Soldatinnen und Soldaten in Karlsruhe gegen ihren Einsatz klagen können, wenn sie Zweifel daran haben, dass die Bedingungen des Grundgesetzes erfüllt sind. Dieses Recht beansprucht nun auch die von einer möglichen Fehlentscheidung der Parlamentsmehrheit gar nicht betroffene Linke. Meine Damen und Herren, dieses Ansinnen trifft den Kern der Gewaltenteilung in unserer Demokratie; denn die Entscheidung über einen Auslandseinsatz ist eine zutiefst politische Entscheidung, die nicht an ein Gericht delegiert werden darf. Sinnvoll kann eine Klage in Karlsruhe höchstens dann sein, wenn die Rechtsgrundlage für einen Einsatz nicht eindeutig und zwischen Mehrheit und Opposition umstritten ist, wie zuletzt beim Kampfeinsatz gegen den „Islamischen Staat“. In allen anderen Fällen wäre eine Klage nur dazu da, den Einsatz zu verzögern und die Handlungsfähigkeit der Regierung zu lähmen. Das kann niemand wollen, der politische Verantwortung ernst nimmt. Aber in Wirklichkeit ist es auch in den Fällen, die juristisch nicht sonnenklar sind, gar nicht anders. Bundesregierung und Parlamentsmehrheit dürfen das Recht niemals brechen, auch in solchen Fällen nicht. Sie müssen also begründen, warum sie den Einsatz für verfassungsmäßig halten, und sie müssen es verantworten, wenn sie dabei einen Fehler machen sollten. Das ist ihre Aufgabe. Dafür sind Regierungen und Mehrheiten da. Und das ist auch zwingend und richtig; denn gerade in einer Notlage, die den Einsatz von Streitkräften erforderlich macht, muss die Regierung schnell und effektiv handeln können – nach Recht und Gesetz, versteht sich. Die Opposition hat die Aufgabe, ihre Kritik zu formulieren; dafür ist sie da. Aber sie darf das Handeln der Regierung nicht blockieren. Und schon gar nicht darf sie das Bundesverfassungsgericht vor ihren Karren spannen. Das Gericht wacht darüber, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger nicht verletzt werden. Das gilt auch für die Rechte der Staatsbürger in Uniform, unserer Soldatinnen und Soldaten. Deshalb bleibt Karlsruhe bei der juristischen Beurteilung einzelner Auslandseinsätze nicht außen vor. Aber das Gleichgewicht zwischen Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung würde empfindlich gestört, wenn wir die Grundsatzentscheidung über einen Einsatz aus dem politischen Raum in die Rechtsprechung verschieben. Beide Vorlagen sind abzulehnen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Felgentreu. – Das Wort geht an Dr. Alexander S. Neu von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundeswehr befindet sich derzeit in zehn mandatierten Auslandseinsätzen. Mehr als 150 000 Soldatinnen und Soldaten wurden in den letzten 30 Jahren durch Auslandseinsätze geschleust. Es gab über 100 tote Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten sowie unzählige getötete Zivilisten. Mindestens 25 Milliarden Euro an Steuergeldern wurden verbraten; für den Afghanistan-Einsatz waren es alleine 12,5 Milliarden Euro. Wie kürzlich bekannt wurde, haben wir den Krieg in Afghanistan verloren. Die Bundeswehr befindet sich im Rückzug. Da muss doch die Frage erlaubt sein, ob der eine oder andere Einsatz wirklich verfassungskonform ist. ({0}) Aber dieses Instrument gibt es nicht, sehr geehrte Damen und Herren. Dieses Instrument ist offensichtlich seitens der Bundesregierung auch nicht gewollt. Dabei ist doch unstrittig, dass der Bundestag oder irgendein anderes Parlament auch mal Gesetze erlässt, die verfassungswidrig sein könnten. Deshalb gibt es das Normenkontrollverfahren. So besteht aber eben auch die Möglichkeit – real geschehen –, dass der Deutsche Bundestag mit seiner Mehrheit einem Auslandseinsatz zustimmt, der grundgesetzwidrig ist. Ich denke da – das wurde gerade angesprochen – zum Beispiel an den Einsatz in Syrien – Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz –, ich denke da an den NATO-Angriff auf Jugoslawien unter Beteiligung der Bundeswehr, damals unter Rot-Grün, usw. usf. Angesichts dessen brauchen wir ein Instrument in Anlehnung eines Normenkontrollverfahrens, das selbstständig einzelne Auslandseinsätze auf ihre Verfassungskonformität überprüfen kann. Die juristische Überprüfbarkeit von politischen Entscheidungen, auch außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen, sehr geehrte Damen und Herren, nennt man schlicht „Unterordnung der Macht unter das Recht“, also Rechtsstaatlichkeit. ({1}) Die CDU/CSU, die SPD sowie Teile der Opposition werden das natürlich ablehnen. Warum? Wir haben es ja gerade gehört: Da werden juristische Nebelkerzen geworfen, man solle die Justiz nicht überfordern oder instrumentalisieren und so einen Blödsinn. Aber tatsächlich geht es natürlich um machtpolitische Interessen; das wurde gerade auch von Frau Strack-Zimmermann angedeutet. Die schwarz-rote Bundesregierung und Teile der Opposition wollen auf der internationalen Ebene militärische Handlungsfreiheit an der Seite der Vereinigten Staaten, und zwar unter Führung der USA und der NATO. Man kann jetzt festhalten: Die Bundesregierung, die sie tragenden Parteien und Teile der Opposition sind in der internationalen Arena und wollen dort das Recht des Stärkeren praktizieren. Das geht nur, indem erstens keine verfassungsrechtlichen Prüfungen von Auslandseinsätzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit stattfinden und zweitens das Völkerrecht geschickt zerlegt und durch eine ominöse regelbasierte Ordnung – das ist übrigens eine neue Wortkreation –, die die westliche Vorherrschaft absichern soll, ersetzt wird. Sehr geehrte Damen und Herren der Mitte, Ihr Verständnis von internationaler Politik im 21. Jahrhundert, im Nuklearzeitalter, ist das Faustrecht an der Seite der USA statt Rechtsstaatlichkeit zum Vorteil Deutschlands und Europas. Die Linke hingegen fordert innere und internationale Rechtsstaatlichkeit für Frieden und Stabilität. Das macht den Unterschied aus. Vielen Dank. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Kollege Neu. – Das Wort geht an Dr. Tobias Lindner von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will meine drei Minuten nicht nutzen, um über den Antrag der AfD, der ein Problem versucht zu lösen, das es gar nicht gibt, zu reden, sondern über ein tatsächliches Problem sprechen. Das ist sehr wohl die gerichtliche Überprüfbarkeit von Anträgen der Bundesregierung zu Auslandseinsätzen. Kollege Amthor, wir sind ja gar nicht so weit auseinander in der Ansicht, dass dieser Saal der zentrale Ort ist, an dem entschieden werden soll, ob wir Soldatinnen und Soldaten einer Parlamentsarmee in einen Auslandseinsatz schicken oder nicht. Und ja, da können wir unterschiedliche Meinungen haben; das sehen wir fast jede Sitzungswoche, wenn wir über Mandate beraten. Wir können inhaltlich zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ja, selbstverständlich. Es ist dann unsere Aufgabe, zu einer Entscheidung zu kommen, und wir entscheiden mit Mehrheit und Minderheit. Das will niemand in Zweifel ziehen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich die verfassungsmäßigen Grundlagen für Auslandseinsätze und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genau durchliest – ich spiele hier auf das Out-of-Area-Urteil von 1994 an –, dann ist klar, dass wir hier nicht im luftleeren Raum entscheiden können, sondern sehr wohl an völkerrechtliche und verfassungsmäßige Grundlagen gebunden sind. 1994 hat uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben, dass, wenn wir Streitkräfte im Ausland einsetzen, dies im Rahmen des Artikels 24 Absatz 2 Grundgesetz und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit geschehen muss. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ja wohl gerichtlich überprüfbar sein. ({0}) Ich will Ihnen ein einfaches Beispiel nennen: Der Einsatz der Bundeswehr im Irak – ich rede von Nordirak, von Erbil – geschieht in einer Koalition der Willigen. Wir können dann wieder über die Frage diskutieren: Ist das ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit? – Wir Grünen sagen Nein; deswegen konnten wir diesem Mandat auch nie zustimmen. Aber das muss doch am Ende des Tages sehr wohl überprüfbar sein. ({1}) Wenn wir uns zu Beginn der 90er-Jahre in Deutschland entschieden hätten, dass auf den Vorlagen, über die wir abstimmen, nicht „Antrag der Bundesregierung“ steht, sondern „Gesetz“ – in anderen Ländern werden Auslandseinsätze nämlich auch per Gesetz geregelt –, dann wäre das Ganze sehr wohl einer Normenkontrolle in Karlsruhe zugänglich. Und nichts anderes hat meine Fraktion im Jahr 2019 in diesem Hohen Haus beantragt. Wir Grünen haben beantragt – das haben Sie leider abgelehnt –, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu ändern, um klarzustellen, dass Anträge der Bundesregierung zu Auslandseinsätzen Gesetzen insofern gleichgestellt sind, dass sie einer Normenkontrolle zugänglich sind. ({2}) Die Linke will heute hier das Grundgesetz ändern. Das halten wir, ehrlich gesagt, nicht nur für einen wenig aussichtsreichen Weg, weil die Mehrheiten so sind, wie sie sind, sondern auch für einen untauglichen Weg, und deswegen, Kollege Neu, werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Maika Friemann-Jennert zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlich willkommen! ({0}) Ich trage noch nach: für die CDU/CSU-Fraktion.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, es kommt nicht häufig vor, dass man in seiner ersten Rede in diesem Hohen Hause ausgerechnet zum Thema Verfassung spricht, zu einem Antrag, der diese ernsthaft ändern will – wie abwegig. Wir fragen sehr wohl nach der Sinnhaftigkeit der Bundeswehrmissionen, und Sie führen hier maximal ein Wahlkampfgefecht. Und genauso abwegig ist der Gesetzentwurf der Linken, die nicht akzeptieren will, für ihren kruden Pazifismus einfach keine Mehrheit im Bundestag und damit bei den Menschen in unserem Land zu haben. ({0}) Es ist schon bizarr, dass wir heute Vorlagen von rechts und von links beraten müssen, gerade in Deutschland, wo die Kontrolle über Auslandseinsätze vorbildlich, demokratisch und transparent ist wie in keinem anderen Land der Welt. Einsätze der Bundeswehr basieren auf Artikel 24 Absatz 2 und auf Artikel 87a Absatz 2 des Grundgesetzes. Es gilt der sogenannte Parlamentsvorbehalt, also das zwingende Erfordernis der Zustimmung des Deutschen Bundestages, was seit 2005 mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz untermauert wird. Für die Einsätze der Bundeswehr hat jeder hier im Hohen Hause seine Hand gehoben oder auch nicht. ({1}) Es ist in Deutschland das Parlament und nicht die Regierung, das über die Auslandseinsätze entscheidet und damit auch die Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten übernimmt. Verteidigung ist nicht gleich Landesverteidigung, und Verfassungsrecht ist nicht gleich Völkerrecht. Die Regelungen sind kompliziert; aber sie haben sich über Jahrzehnte bewährt, und deshalb ändert man eine Verfassung nicht mal eben so. Die durch Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes gewährleistete Einbindung der Bundeswehr in kollektive Sicherheitsstrukturen würde gegebenenfalls verloren gehen, wenn künftig ausschließlich Artikel 87 herangezogen würde. Die Einbindung der Bundeswehr in kollektive Sicherheitsstrukturen ist Markenzeichen der deutschen Sicherheitspolitik und der Wehrverfassung des Grundgesetzes, die nicht aufgegeben werden darf. Von daher lehnen wir den Antrag der AfD ab, und den Gesetzentwurf der Linken lehnen wir ab, weil er die demokratisch gewählte Mehrheit im Bundestag faktisch daran hindern will, Entscheidungen zum Einsatz der Bundeswehr zu treffen. ({2}) Viel wichtiger, meine Damen und Herren, als abstrakte Rechtsdebatten ist aber die Gewissheit, dass wir uns auf unsere Bundeswehr verlassen können, ob hier bei der Coronabewältigung oder in den Auslandseinsätzen weltweit. ({3}) Ich bedanke mich bei den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr dafür, dass sie sich für unsere Sicherheit einsetzen, und ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ursprünglich hatte ich ein Redemanuskript und wollte mich mit verfassungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen, aber ich glaube, das lasse ich besser sein; denn wir wissen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass bei beiden Vorlagen – dem Gesetzentwurf der Linken und dem Antrag der AfD – weder im Deutschen Bundestag noch im Bundesrat eine verfassungsgebende Mehrheit zum Tragen kommt und deshalb beide nach dem heutigen Tag sowieso Geschichte sind. Ich erzähle eingangs meiner kurzen dreiminütigen Rede eine persönliche Geschichte, wie sie viele von Ihnen wahrscheinlich auch erleben. Als es noch keine Beschränkungen aufgrund der Coronapandemie gab, hatten wir zahlreiche Besuchergruppen von Schülerinnen und Schülern und Erwachsenen aus den Wahlkreisen. In der Regel haben zumindest meine Besucherinnen und Besucher immer die Frage gestellt: Herr Brunner, was ist für Sie die schwierigste Entscheidung im Deutschen Bundestag gewesen? – Und ich sage Ihnen, und ich bin stolz darauf: Die schwierigste Entscheidung für einen Abgeordneten, zumindest für mich, ist jedes Mal die namentliche Abstimmung über einen robusten Einsatz der Bundeswehr, einen robusten Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten; denn ich weiß, dass ich damit nicht nur eine politische, nicht nur eine rechtlich begründbare, sondern eine Entscheidung treffe, die gleichzeitig das Wohl und Wehe und das Leben von Menschen mitbeeinflusst. Deshalb ist das die wichtigste Entscheidung. Ich bin stolz darauf, dass dieses Parlament als quasi zweites Verfassungsorgan neben der Regierung die elementare Entscheidung trifft, wie, wann, wo und zu welchem Zeitpunkt die Bundeswehr zum Einsatz kommt. ({0}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die beiden Anträge sind diametral gestaltet: Die Linke geht auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Überprüfbarkeit ein; die AfD möchte die Einsätze gerne im Grundgesetz verankern. Um was geht es denn? Der AfD geht es darum, den Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz auszuhebeln, also aus kollektiven Sicherheitssystemen auszutreten, die Bundeswehr und Deutschland nur noch solitär zu sehen. Ich sage ganz deutlich: Das wollen wir nicht, weil das System der kollektiven Sicherheit ein Teil unseres Gens ist. ({1}) Und Die Linke, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, will mit ihrem Gesetzentwurf im Grunde genommen in die gleiche Richtung gehen, nämlich die Entscheidungen des Deutschen Bundestags lahmzulegen und keine entsprechenden Entscheidungen mehr herbeizuführen. Ich glaube, wenn wir diesen Anträgen wirklich nähertreten wollten, würden wir unsere Bundeswehr lahmlegen, das Regierungshandeln lahmlegen, aber auch viel von unserem Selbstverständnis und unserer Zuständigkeit als Abgeordnete aufgeben. Dies sollten wir in den Mittelpunkt stellen: die, glaube ich, weltweit einzigartige Situation, dass ein Parlament mit den Frauen und Männern, die ihm angehören, als Verfassungsorgan nach außen transparent sagt: Wir haben dafürgestimmt, wir übernehmen die Verantwortung! – Das sollte im Mittelpunkt stehen, und bitte keine Schaugefechte um die Verfassung, keine Schaugefechte um eine vermeintliche Überprüfbarkeit beim Bundesverfassungsgericht. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum kollektiven Sicherheitssystem und ein klares Bekenntnis zur Bundesrepublik Deutschland, unserer Verfassung und zu unserem Selbstverständnis. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Volker Ullrich das Wort. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In keinem anderen demokratischen Gemeinwesen auf der Welt werden Einsätze der Armee nach namentlicher Abstimmung im Parlament beschlossen und durchgeführt. Das zeigt die hohe Verantwortung des Bundestages und seiner Mitglieder für Auslandseinsätze der Bundeswehr, und das zeigt, dass im außenpolitischen Bereich eine besondere Konstruktion vorliegt, nämlich dass Bundestag und Bundesregierung gleichermaßen, mit gleicher und gleichwertiger Verantwortung, staatsleitend an der Außenpolitik beteiligt sind. Diese hohe Verantwortung des Parlaments haben die Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Jahren stets wahrgenommen durch Debatten und sorgfältige Prüfung. Ich möchte nicht, dass wir dieses austarierte Verhältnis aus Gründen, die nicht offenkundig sind, aus der Hand geben. Warum? Wenn man dem Gesetzentwurf der Linksfraktion folgen würde, dann würde eine Art Normenkontrollverfahren in Bezug auf Auslandseinsätze eingeführt. Nun ist es so, dass die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens ein Viertel der Mitglieder des Bundestages voraussetzt, also eine beachtliche Zahl. Nach Ihrem Entwurf genügt eine Fraktion, ja sogar eine Gruppe. Das heißt, am Ende des Tages könnten zwei oder drei Kollegen des Bundestages ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht eröffnen. Was wäre der Prüfungsmaßstab? Prüfungsmaßstab wäre, ob ein System kollektiver Sicherheit vorliegt oder eben nicht. Und damit würde das Bundesverfassungsgericht zu einem Akteur des Völkerrechts und damit auch zu einem wesentlichen Entscheider in außenpolitischen Fragen. Sie würden Kompetenzen von der direkt gewählten Volksvertretung abziehen und es einem Gericht überantworten, das sich ganz bewusst aus diesen Fragen heraushält und sagt, es möchte nicht völkerrechtsmäßig gestalten. Das wäre eine eklatante Schwächung des Deutschen Bundestages. Das würde auch dazu führen, dass wir unserer Verantwortung in der Welt nicht mehr in gewohntem Maße nachkommen können. Denn eine Bundesrepublik Deutschland, die sich im Rahmen der Vereinten Nationen und der NATO zum Zwecke der Friedenssicherung in der Welt beteiligt, könnte diese Einsätze ohne Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht dann nicht mehr durchführen und würde damit Verantwortung in der Welt abgeben. Das Gegenteil ist der Fall: Wir brauchen einen aktiven Einsatz für Freiheit und Frieden in der Welt – eine Bundeswehr, die in Einsatz gebracht wird nach gründlicher Überlegung durch die Bundesregierung und den Bundestag. Was nicht sein darf, ist, dass wir diese Verantwortung durch juristische Gefechte schmälern, bei denen am Ende auch die Handlungsfähigkeit unseres Staates geschmälert wird. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Dr. Birke Bull-Bischoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004688, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildungsföderalismus ist ins Gerede gekommen, und das sehr zu Recht. Denn Bildungsföderalismus in seiner heutigen Verfassung ist kein Zukunftsmodell mehr. Schon allein das Krisenmanagement der Länder während der Coronazeit war an sich kein Krisenmanagement, sondern eine der Krisen selbst. ({0}) Die Öffentlichkeit fragt sich: Was ist so schwierig daran, gemeinsame Vereinbarungen zu treffen, beispielsweise wie Schülerinnen und Schüler in der Krisenzeit möglichst gemeinsam und einheitlich weiterlernen können, aber auch wie Schule verändert werden muss, sodass sie als Lernort für junge Leute wirklich attraktiv ist? Neue Schule braucht das Land! Die soziale Schere in Sachen Bildungsgerechtigkeit zwischen den Ländern muss geschlossen werden. ({1}) Ich will das mal an drei Beispielen deutlich machen. Erstens. Es soll ja Länder geben, die sich gewissermaßen für etwas Besseres halten, allein schon deshalb, weil ihr Abitur deutschlandweit das bessere sei. Das ist eine Legende, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn man sich beispielsweise die Zugangsvoraussetzungen anschaut, die in Sachsen-Anhalt – da komme ich her – noch bis vor einigen Jahren gegolten haben, dann sieht man: Das waren die schärfsten bundesweit. Ich bin keine Freundin davon, aber gerecht muss es zugehen. ({2}) Im Moment geht es jedoch offenbar darum, wer die besten Geschichten von sich selbst erzählt. Was wir brauchen, ist Gerechtigkeit, gemeinsame Regeln für Bildungsabschlüsse, Transparenz und Verbindlichkeit, und zwar gesetzlich geregelt. ({3}) Zweitens. Gute Lehrerinnen und Lehrer sind das A und O; das wissen wir aus sehr vielen Studien. Dafür aber müssen sie in der Lage sein, gute soziale Beziehungen aufzubauen – ich will es ganz klar sagen –, insbesondere zu den Schülerinnen und Schülern, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens lernen. Deshalb braucht es eine hochwertige Ausbildung in staatlicher Verantwortung. Was müssen Pädagoginnen und Pädagogen können? Sie müssen zum Beispiel aus Verschiedenheit und Differenz Bildung gestalten. Sie müssen Medienkompetenz vermitteln, was deutlich mehr ist als Computer zu bedienen, sondern ein kritischer Blick auf Medien und die, die sie nutzen und die sie vor allen Dingen anbieten. Und Lehrerinnen und Lehrer brauchen eine starke pädagogische Ausbildung. Das muss man bundesweit regeln, und zwar in einem Rahmengesetz. ({4}) Drittens. Die soziale Ungleichheit zwischen den Ländern, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist einfach zu hoch, als dass sie nichts mit Bildungsföderalismus zu tun hätte. ({5}) Zum Beispiel ist die Chance, ganztags zu lernen, zwischen Bayern und Thüringen extrem unterschiedlich. Bei den Chancen für Arbeiterkinder, das Gymnasium zu besuchen, trennen Berlin und Bayern geradezu Welten. Die Verteilung der Mittel ist auch so ein Thema; das haben wir ja hier schon mehrfach diskutiert. Da, wo Kinder lernen, die auf die Mittel des Staates angewiesen sind, fließt vom Bund sehr viel weniger Geld als in die reichen Länder. Der Königsteiner Schlüssel ist dafür also komplett ungeeignet. Das ist ungerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist das Gegenteil von Bildungsgerechtigkeit. Das finden wir falsch. Das ist ein Skandal. Da muss endlich was getan werden. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildungsföderalismus hat nur dann eine Zukunft und Akzeptanz, wenn es gerecht zugeht. Davon sind wir momentan weit entfernt. Deshalb braucht es eine Reform des Bildungsföderalismus, und es braucht ein Bildungsrahmengesetz meinetwegen ähnlich dem Hochschulrahmengesetz; denn Bildungsgerechtigkeit muss bundesweit geregelt werden. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Setzen Sie bitte die Maske auf. – Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe mich auf diese Debatte gefreut, muss ich sagen. Nachdem ich den Antrag der Linken gelesen habe, nach dem Storytelling und der Rede von Frau Bull-Bischoff ist mir diese Freude ein bisschen vergangen. Wir haben hier ja schon viele Debatten zum Bildungsföderalismus geführt. Man muss den Antrag der Linken wirklich ein bisschen genauer lesen und vielleicht diese kämpferische Rede gerade ein bisschen ausblenden. ({0}) Bisher hat Die Linke die Verfassungswirklichkeit des kooperativen Bildungsföderalismus in Deutschland in unserem Grundgesetz immer ausgeblendet. Heute sehen wir den ersten Antrag der Linkspartei, ({1}) in dem sie die Verantwortung der Länder für die Schulbildung anerkennt und nicht die Schuld auf den Bund schiebt, der eben gerade nicht zuständig ist. Jahrzehnte hat Die Linke fälschlicherweise behauptet: Es gibt ein Kooperationsverbot. ({2}) Dieser Kampfbegriff befindet sich erstmals nicht mehr in dem Antrag der Linken. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, dass Die Linke mit diesem Antrag ihre Meinung im Positiven weiterentwickelt hat. Neben Forderungen nach einheitlichen und verbindlichen Bildungsstandards, die wir seit Langem fordern, erkennen Sie ausdrücklich das Versagen der Kultusministerkonferenz in vielen Bereichen an. Ich war zudem positiv über die Wortwahl der Linken überrascht – ich zitiere aus dem Antrag –: Vielfalt und Dezentralität sind auch künftig wichtige bildungspolitische Prämissen, regionale Identitäten sind prägend für erfolgreiche Bildung. Länderzuständigkeiten für bildungspolitische Entscheidungen sollen deshalb dem Grunde nach erhalten bleiben. Eine Zusammenarbeit in Sachen Bildungspolitik … ist heute nur auf eng begrenzten Wegen möglich. Ja, liebe Linksfraktion, Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. ({3}) Im Ergebnis fordern Sie wie wir eine Reform des Bildungsföderalismus. Als Weg schlagen Sie vor, Bildung als Gemeinschaftsaufgabe im Sinne eines kooperativen Föderalismus ({4}) grundgesetzlich zu verankern und politisch auszugestalten – ein interessanter Vorschlag. Sehr geehrte Damen und Herren, auch mit Blick auf den Koalitionspartner erlebe ich Bewegung. Der Vorsitzende des Bildungsausschusses, Kollege Rossmann, hat in mehreren Interviews und Gastbeiträgen auch für die SPD die Notwendigkeit der Reform des Bildungsföderalismus anerkannt. Auch die SPD erkennt die Verfassungswirklichkeit an, dass die Länder für Bildung zuständig sind und eben nicht der Bund. Vielleicht trägt die persönliche Nähe des Bundesfinanzministers zu der amtierenden KMK-Präsidentin zu diesen wichtigen Einsichten bei. Mit Blick darauf möchte ich festhalten, dass es inakzeptabel ist, mit der Verteilung von Umsatzsteuerpunkten zugunsten von Länderhaushalten ohne Gestaltungsmöglichkeit des Bundes Verbesserungen im Bereich der Bildung, namentlich der sogenannten Nachhilfe, zu erreichen. Ich erwarte diesbezüglich selbstverständlich klare Zielvereinbarungen in der noch abzuschließenden Bund-Länder-Vereinbarung. Meine Damen und Herren, zurück zum Bildungsföderalismus. Es freut mich, dass sich auch die SPD bei diesem Thema bewegt und Handlungsnotwendigkeit erkennt. Auch hier wird auf den Kurs der Union eingeschwenkt. ({5}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion macht seit Jahren sehr konkrete Vorschläge, ob in Form von Staatsverträgen, neuen Gremien oder Verfassungsänderungen. Die Ministerin hat die Notwendigkeit in mehreren Veröffentlichungen anerkannt, ebenso der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus; ich zitierte ihn schon in der letzten Debatte zu diesem Thema. Berechtigt wollen Sie nun von mir hören, wie die Union auf Ihre Vorschläge reagiert. Wie wir über unsere bisherigen Vorschläge hinaus den kooperativen Bildungsföderalismus effektiver und zukunftsfest machen möchten, werde ich jedoch nicht im Rahmen einer Debatte über Oppositionsanträge tun. ({6}) Vielmehr werden wir diese im Wahlprogramm ganz konkret formulieren. Sie müssen sich also noch ein bisschen gedulden. Meine Damen und Herren, ich freue mich aber, gerade auch mit Blick auf notwendige Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, dass viele Fraktionen die Ideen und Impulse der Union nunmehr ausdrücklich unterstützen. Lassen Sie mich abschließend festhalten, dass ich von der FDP enttäuscht bin. Eigentlich wollte ich sie gar nicht erwähnen. ({7}) Wer seinen Antrag an dieses Hohe Haus mit den Worten beginnt – ich zitiere –: „Deutschland leistet sich 16 unterschiedlichste Schulsysteme“, hat sich in dieser Debatte bereits selbst disqualifiziert. ({8}) Dass die FDP sich in der Öffentlichkeit immer als großer Verfechter unserer Verfassung präsentiert, aber das Bundesstaatsprinzip und die Zuständigkeitsregeln unserer Verfassung mit dieser verbalen Entgleisung so mit Füßen tritt, hat unser Grundgesetz nicht verdient. ({9}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erteile dem Kollegen Rossmann das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir jetzt nicht die Masken aufhätten, dann wäre das homerische Gelächter, das wir in der SPD-Fraktion, aber auch in den anderen Fraktionen auf diesen fulminanten Beitrag des Kollegen anstimmen würden, sicherlich noch größer. Ich nehme die Maske ab und will nur daran erinnern, dass es hier schon mal einen gab, der als geschulter Dialektiker eine historische Wende eingeleitet hat. Herr Schipanski, wenn ich Sie mit Herbert Wehner vergleiche, dann ist es der Ehre zu viel. Aber als er die Westorientierung der SPD, die Öffnung gegenüber der NATO und anderes hier eingeleitet hat, hat er, der jahrelang immer hier gesagt hat: „Es gibt kein Kooperationsverbot“, fast ein Vorbild für Sie gegeben. Dann hat Ihr Fraktionsvorsitzender die Revolution im föderativen System in Deutschland unter dem Gesichtspunkt „Bildung“ ausgerufen, und ganz schnell kamen hintan Herr Rupprecht und Herr Schipanski und haben gesagt: Das werden wir doch jetzt auch machen. Aber Sie haben nie gesagt, was Sie machen wollen, weil Sie nicht nur der einen Person, Ihrem Herrn Brinkhaus, folgen mussten, sondern Sie mussten auch der Ministerin folgen. Die Ministerin hatte ja schon im Februar gesagt, sie werde mit einem Vorschlag kommen, aber erst spät und auch erst mit der Perspektive 2024. Ich finde, es ist langsam an der Zeit, dass Sie Butter bei die Fische tun, wenn ich das mit Worten aus der Küstenregion sagen darf. So schwierig ist es auch nicht zu beantworten. Es ist zu fragen, ob man den investiven Bereich des Artikels 104c Grundgesetz so öffnet, dass es um kommunale Bildungsinfrastruktur für die ganze Bildungsbiografie geht, ob wir uns für Artikel 91d des Grundgesetzes öffnen, sodass man die Leistungsfähigkeit nicht nur feststellen, sondern sie auch fördern darf, oder ob man den revolutionären Sprung à la Brinkhaus macht und eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Bildung“ oder vielleicht eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Digitalisierung in der Bildung“ begründet. So schwierig ist es nicht. Deshalb vielleicht weniger nachgemachte Wehner-Wendereden, sondern nächstes Mal ganz konkrete Ansagen, damit man das parlamentarisch vorantreiben kann! Das ist die Bitte. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Rossmann, da fehlen einem fast die Worte. ({0}) Ich muss Ihnen in der Hinsicht sagen: Sie können mir ja zeigen, wo Die Linke in diesem Antrag irgendetwas von Kooperationsverbot erzählt; das gibt es nicht. Selbst die Linkspartei stellt heute erstmals hier im Plenum fest: Wir haben enge Grenzen der Kooperation. Selbstverständlich gibt es aber Kooperationsmöglichkeiten, und Sie wissen, wie wir die gemeinsam, auch in dieser Koalition, zugunsten der Bundesländer genutzt haben. Meine Fraktion hat sich immer für eine Weiterentwicklung des Bildungsföderalismus ausgesprochen. Wir haben selbst in den Koa-Verhandlungen verschiedenste Dinge durchgespielt: Wir haben Staatsverträge vorgeschlagen. Wir haben neue Gremien vorgeschlagen. Wir haben eine Verfassungsänderung vorgeschlagen. Und ich habe Ihnen ganz klar gesagt: Warten Sie doch ab, welchen konkreten Vorschlag wir präsentieren. ({1}) Es wird nicht das sein, was Sie jetzt gerade noch mal, weil sie heute keine Redezeit haben, aus Ihrem Interview zitiert haben. Das sind Ihre Ideen, Ihre drei Wege, die Sie vorschlagen; es gibt auch andere. Wir werden Sie zur rechten Zeit damit erhellen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz Frömming für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Schipanski, ich muss sagen, ich bin schon ein bisschen enttäuscht. Ich habe Sie eigentlich durchaus für einen aufrechten Vertreter des Bildungsföderalismus gehalten. Das Gelächter heute war berechtigt: Sie haben gesagt, es hätten sich die Linken oder die Grünen oder auch die FDP bewegt. Das stimmt natürlich nicht. Wir erleben einen historischen Moment: Die CDU hat sich heute bewegt. Aber, verehrter Kollege Schipanski, ich habe sogar ein gewisses Verständnis für Sie. Sie waren ja in der Zwickmühle; denn Ihre Ministerin Frau Karliczek ist ja vor einigen Monaten schon vorausgeprescht. „Die Welt“ zitiert sie sogar damit, dass sie den Bildungsföderalismus jetzt bekämpfen wolle. In ihren Worten heißt es dann natürlich „Weiterentwicklung“. Meine Damen und Herren, in dieser historischen Situation erkläre ich für meine Fraktion, die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag: Wir sind weiterhin der Anwalt des Föderalismus. – So ist unser Grundgesetz aufgebaut, und das ist gut so. Wir haben damit gute historische Erfahrung gemacht. ({0}) Es ist schon ein bisschen absurd, dass ausgerechnet ein Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, ({1}) mit dem Sie in dieser Frage ja auch über Kreuz liegen, lieber Herr Gehring, genau das sagt, was ich auch sagen würde, nämlich: Frau Karliczek springt hier viel zu weit; Frau Karliczek rüttelt an den Grundlagen unserer Verfassung. – Ich sage einmal mehr: Wir sind der Anwalt dieser Verfassung, und der Föderalismus ist ein Kernbestand dieser Verfassung. Wer daran rüttelt, ist ein Verfassungsfeind, Herr Gehring. ({2}) Jetzt kommen wir vielleicht mal wieder runter von dieser theoretischen Debatte und hin zu den Problemen, um die es wirklich geht. Denn reden über Strukturreformen, das bringt uns ja nicht wirklich weiter und lenkt von den eigentlichen Problemen doch nur ab. Meine Damen und Herren, wir müssen doch nicht wirklich an der Verfassung herumschrauben, wenn vor Ort in den Ländern die Schultoiletten kaputt sind. Das kann man auch heute schon lösen; dafür brauchen wir keine Verfassungsänderung, die sich wiederum ewig hinzieht. Ich möchte Ihnen stattdessen vorschlagen, was wir ins Gespräch bringen würden. Wir haben Ihnen mit unserem Antrag ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, das nicht an der Verfassung rumschraubt, sondern ganz konkrete Vorschläge macht, für die natürlich – richtig! – auch die Länder in der Pflicht stehen und zuständig sind. Trotzdem ist es wichtig, dass wir hier darüber sprechen. Ich versuche in der Kürze der Zeit, fünf davon herauszustellen. Erstens. Wir begrüßen es, dass die Bundesministerin ein bundesweites Nachhilfeprogramm auflegen will; die Familienministerin flankiert das ja. Wir meinen aber, 1 Milliarde Euro dafür ist zu wenig. Wir sind auf der Seite der Lehrerverbände, die hier eine Verdoppelung auf 2 Milliarden Euro vorgeschlagen haben. Der Bund hat mit dazu beigetragen, dass die Schulen geschlossen wurden. Das hat zu einem Bildungsdefizit geführt. Deshalb steht er jetzt in der Pflicht, das auch wieder zu reparieren. ({3}) Zweitens. Wir fordern eine sofortige Rückkehr zum Präsenzunterricht. Die Schulschließungen haben viel zu lange gedauert. Wir haben Ihnen prophezeit, welche Kollateralschäden das geben wird. Sie werden nun sichtbar, und Sie, liebe FDP, erkennen nun alle miteinander, dass Ihre hochgelobte Digitalisierung den Präsenzunterricht eben nicht ersetzen konnte. ({4}) Man kann auch vor dem Computer, im Internet sozial vereinsamen, und von psychischen Problemen erzählen uns die Ärzte ja genug. ({5}) Drittens. Wir lehnen eine Impf- und eine Testpflicht ab. Und auch an dieser Stelle hat die Frau Ministerin – sie ist heute leider nicht da – das Richtige gesagt; sie hat sich auch dagegen ausgesprochen. Wir begrüßen das ausdrücklich. Keine Test- und Impfpflicht an den Schulen! ({6}) Viertens. Wir brauchen eine massive Investition. Das könnten Sie ja längst machen. Reden Sie doch mit Ihren Kollegen in den Ländern. Wir brauchen eine Investition in Köpfe und auch in Räume. Wir haben zu große Klassen in zu beengten Räumen. Hier müssen wir dringend mehr tun, mehr Personal einstellen und auch die Gebäude endlich mal sanieren und auf einen menschenwürdigen Stand bringen. Fünftens. Schließlich wollen wir Ihnen auch etwas nahelegen, das wir hier überhaupt noch nicht diskutiert haben. Die Pandemie hat gezeigt: Viele haben zu Hause Probleme gehabt, ja. Aber einige Kinder haben sogar mehr als in der Schule gelernt, wenn die Eltern Zeit hatten, sich zu kümmern. Wir müssen mal darüber nachdenken, wieso es in Frankreich, Kanada oder den USA erlaubt ist, mit guten Gründen Kinder zu Hause zu unterrichten. Bei uns werden Kinder und Eltern kriminalisiert, wenn sie aus guten Gründen ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Frömming.

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir meinen, auch hier sollten wir aus den Erfahrungen der Pandemie lernen und mal über Konzepte des Hausunterrichts nachdenken. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. – Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Marja-Liisa Völlers für die SPD-Fraktion. ({0})

Marja Liisa Völlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004942, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Oppositionsfraktionen kritisieren in ihren Anträgen den Bildungsföderalismus und fordern eine Ergänzung, eine Abschaffung des föderalen Bildungssystems in Deutschland. Ich möchte meinen Kolleginnen und Kollegen, die dies fordern, Folgendes sagen: Zwar sind die Motive und Ziele der Kolleginnen und Kollegen der FDP, der Linken und der Grünen in Teilen löblich, sie sind aber aus meiner Sicht und aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion in weiten Teilen bereits in der Umsetzung. Was eine generelle Föderalismusreform angeht: Na ja, ich würde Ihnen empfehlen, sich vielleicht mal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern zu unterhalten, um abzuchecken, wie die das eigentlich so finden. Wir als SPD-Bundestagsfraktion setzen beispielsweise bereits auf einen kooperativen Bildungsföderalismus. Die Taten dieser Wahlperiode geben uns Recht. Wir haben seit 2018 – übrigens wie nie zuvor – in sehr guter Zusammenarbeit mit unseren Ländern im Bildungsbereich massiv investiert. Fangen wir damit an, dass wir das Grundgesetz, auch mit der Unterstützung von einigen demokratischen Fraktionen, geändert haben und damit das sogenannte Kooperationsverbot in der schulischen Bildung aufgehoben haben. Bund und Länder können seitdem enger zusammenarbeiten. Der Bund kann die Länder zum Beispiel mit finanziellen Mitteln in der Bildungsinfrastruktur unterstützen. ({0}) Das Ziel dabei war und ist übrigens ganz klar: Wir wollen durch den kooperativen Bildungsföderalismus gemeinsam Bildung noch besser machen und gleiche Bildungschancen ermöglichen. Zudem haben wir schon vor der Coronapandemie mit dem DigitalPakt Schule mit 5 Milliarden Euro seitens des Bundes die Länder und die Kommunen in der digitalen Ausstattung unserer Schulen unterstützt und durch die Pandemie die Gelder später auch noch mal aufgestockt und inhaltlich erweitert. Ein weiterer Punkt: Durch die Coronasoforthilfen hat zum Beispiel das Land Niedersachsen für den beschleunigten Ausbau des Ganztagsschulbereichs über 70 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt bekommen. Konkret heißt das beispielsweise für meinen Wahlkreis, dass es einen Zuschuss von 351 000 Euro für eine Mensa in der Grundschule in Estorf gibt. So haben 70 Kinder perspektivisch die Chance auf ein warmes Mittagessen. ({1}) Diese Woche, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde im Kabinett das Coronaaufholpaket in Höhe von 2 Milliarden Euro beschlossen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben sehr, sehr lange für diese 2 Milliarden Euro gekämpft und uns am Ende auch durchsetzen können. ({2}) Das Aufholpaket ermöglicht nicht nur Förderangebote für pandemiebedingt ausgefallenen Unterricht, sondern eben auch Unterstützung zur Bekämpfung der psychischen und sozialen Coronabelastung von unseren Kindern und Jugendlichen. Wir investierten in soziale Arbeit an Schulen und auch im außerschulischen Bereich. Das ist gut, und das ist richtig. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht für unsere Kinder um nicht weniger als um die Bildungs-, Lebens- und Zukunftsperspektiven. ({3}) Zudem sind wir hoffnungsvoll, dass das Projekt des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter noch in den nächsten Wochen hier im Deutschen Bundestag beschlossen werden wird, dann auch im Bundesrat die notwendigen Mehrheiten erhalten wird und wir an dieser Stelle unseren Familien, unseren Müttern und Vätern und den Kindern sehr weit entgegenkommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein kurzer Ausblick: Wir als SPD geben uns mit all dem Erreichten, was ich gerade skizziert habe, noch nicht zufrieden. Unser Ziel ist und bleibt es, dass kein Kind zurückbleibt. Daher verfolgen wir unter anderem weiter das Ziel, dass alle Schulen sowie alle Schülerinnen und Schüler erstklassig ausgestattet sind; allen muss zum Beispiel ein digitales Endgerät inklusive Internetzugang zur Verfügung gestellt werden. Wir werden – das werden wir am Wochenende auf unserem Parteitag in unserem Wahlprogramm beschließen – ein Modernisierungsprogramm des Bundes auf den Weg bringen, welches den Sanierungsbedarf sowohl der Schulgebäude als auch der digitalen Ausstattung umfasst. ({4}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Es gilt also, noch einiges auf den Weg zu bringen. Die SPD ist bereit. Gehen wir es gemeinsam mit den Ländern und Kommunen an, damit es jedes Kind packt. Ich bin gespannt, was die Kolleginnen und Kollegen der Union in ihrem Walprogramm formulieren werden, wenn es denn irgendwann mal verabschiedet wird. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Britta Dassler für die FDP-Fraktion. ({0})

Britta Katharina Dassler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004700, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen statt einer Ankündigungspolitik von Frau Ministerin Karliczek endlich mal ernstzunehmende Initiativen, die auf eine Verlässlichkeit bei der Bildung für unsere Kinder hinarbeiten, egal in welchem Bundesland sie wohnen. Wir brauchen endlich ein nationales Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, bei dem Länder und Bund als gleichwertige Mitglieder wirken können. Wir brauchen das IQB als eine nationale Instanz, die wissenschaftliche Empfehlungen für Aus- und Fortbildungsinhalte formuliert mit dem Ziel der Gewährleistung einheitlicher und zukunftsfähiger Standards bei der Ausbildung von Erziehungs- und Lehrpersonal für alle Bildungsstufen und für alle schulischen Abschlüsse. ({0}) Wir sprechen hier über dringend nötige Mindeststandards bei Fortbildungsinhalten und ‑frequenzen des edukativen Personals sowie des Digitalstandards. Wir brauchen einheitliche und zukunftsfähige Bildungsstandards für alle Schulfächer und alle schulischen Abschlüsse. Dazu gehört auch der Ausbau bei der Entwicklung bundesweiter Abschlussprüfungen für das Abitur und auch für die Mittlere Reife. Wir brauchen das IQB, um keine zufälligen Vergleiche zu haben. Wir brauchen ein systematisches, wissenschaftliches Monitoring des gesamten Bildungswesens, um Ursachen für die Leistungsunterschiede zwischen den Ländern zu ermitteln, die Wirksamkeit der Ansätze zur Sprachförderung in Deutschland zu bewerten und eine Bestandsaufnahme und Evaluierung von Maßnahmen und Förderprogrammen im Bildungswesen vorzunehmen. ({1}) Das IQB, meine Damen und Herren, muss zu einem beratenden Thinktank für die Bildungspolitik ausgebaut werden. Beratende Handlungsempfehlungen für die Bildungspolitik von Bund und Ländern müssen erstellt werden, insbesondere Bedarfsanalysen bildungspolitisch relevanter Themen mithilfe gesammelter Bildungsdaten. ({2}) Das erste IQB-Projekt, meine Damen und Herren, sollte eine kurzfristige Konzeption zur Durchführung und Auswertung bundesweiter Onlinetests zur Ermittlung der Lernrückstände und Kompetenzverluste von Kindern und Jugendlichen in der Coronakrise 2021 sein, um ein gemeinsames Bund-Länder-Chancenaufholprogramm aufzulegen. Das ist der Weg. Das IQB muss zur Agentur für Bildungsinnovationen werden, um innovative Schulen und Bildungsprojekte zu unterstützen, deren Wirksamkeit zu evaluieren und diese Einrichtungen mit Lehrern und Erziehern zu unterstützen. Wir brauchen Hilfe für diejenigen, die bessere Bildung für Deutschland anbieten wollen. Dazu gehört eine Wissenstransferstelle mit Praxishandreichungen, um Best Practice in ganz Deutschland zu ermöglich. Modernität in Didaktik, Mittel und Wirksamkeit an Schulen bedeuten eine deutliche Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufes. Freiraum für das Denken: Wie soll das Lernen in 20 Jahren aussehen? Bei all diesen Innovationen wollen wir alle Bildungsinstitutionen entlang der Bildungskette berücksichtigen, angefangen bei der frühkindlichen Bildung über die schulische Bildung hin zur akademischen oder Berufsausbildung. „Lebenslanges Lernen“ ist das Zauberwort. Wir brauchen, meine Damen und Herren, Mut zur Bündelung, Mut zur Standardisierung als Stütze, Mut zum innovativen Ausprobieren und Mut zum politischen Handeln. Unsere Kinder und unsere Jugendlichen sind es doch leid, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Dassler, kommen Sie bitte zum Schluss.

Britta Katharina Dassler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004700, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– der Verwaltung und der Politik zuzusehen, wie sie probieren, den Entwicklungen und neuen Anforderungen im Bereich der Bildung hinterherzulaufen. Handeln wir heute! Beweisen wir Mut, und packen wir es an! Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Margit Stumpp das Wort. ({0})

Margit Stumpp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004909, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland war schon vor der Pandemie das industrialisierte Land, in dem die Bildungschancen wie in keinem anderem Land vom Status des Elternhauses abhingen. Jetzt sind wir das Land, in dem die pandemiebedingte Bildungsschere so schnell aufgeht wie nirgendwo sonst. Beide Situationen haben fatale Folgen. Wir verlieren tagtäglich Kinder und Jugendliche auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben, und wir verlieren die kritischen und klugen Köpfe, die unsere Gesellschaft mitgestalten und zusammenhalten und mit ihrer Kreativität die Basis für die Bewältigung der vielen Herausforderungen, vor denen wir stehen – Eindämmung der Klimakrise, Schutz unserer Demokratie, Wahrung des Wohlstands –, bilden sollen. Beide Situationen haben dieselben Ursachen: Wir investieren insgesamt viel zu wenig Geld in Bildung. 2019 waren das nur 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; daran werden auch die pandemiebedingten Einmalausgaben wenig ändern. Der Schnitt der OECD liegt bei 5 Prozent. Die Kanzlerin hat gemeinsam mit den damaligen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten vor zwölf Jahren das Ziel „7 Prozent“ ausgerufen. Die Zahlen sprechen für sich. ({0}) Wesentlich in diesem Zusammenhang ist: Der Bund trägt von diesen unzureichenden Ausgaben nur 10 Prozent. Ursache ist Artikel 91b des Grundgesetzes, das Kooperationsverbot. ({1}) – Kollege Schipanski, das steht sogar wortwörtlich in Bayern im Koalitionsvertrag zwischen CSU und den Freien Wählern. Niemand bestreitet das. ({2}) Ursache ist das Kooperationsverbot; darüber sind wir uns ja auch inzwischen parteiübergreifend einig, ({3}) auch wenn Sie es so nicht benennen wollen. ({4}) Diese erst seit 2007 geltende Bildungsbremse muss wieder gelöst werden. Ob das allerdings ad hoc und auf die von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, vorgeschlagene Weise gelingt, ist zu bezweifeln. Klar ist aber: Wir brauchen eine Ermöglichungsverfassung. ({5}) Unstrittig ist: Die brauchen wir für einen bildungspolitischen Aufbruch, damit die nächste Krise nicht wieder auf Kosten der Schwächsten geht, damit das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung endlich wieder eingelöst wird, damit Schulen in einer digitalisierten und vernetzten Welt ankommen und die jungen Menschen auf die Zukunft vorbereiten, damit jedes Talent gefördert wird und Wertschätzung erhält, damit gleiche Bildungschancen Realität werden und Gerechtigkeit im Klassenzimmer selbstverständlich wird und, nicht zuletzt, damit junge Menschen zu selbstbewussten, kritischen und mündigen Demokratinnen und Demokraten werden. Wir legen dafür heute ein praktikables Konzept vor, damit Schulen dort gestärkt werden, wo sie im Moment am schwächsten sind, damit sie die Kinder und Jugendlichen angemessen begleiten können, die diese Begleitung am dringendsten brauchen. Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit Schulen in benachteiligten Quartieren und Regionen besonders gefördert werden. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Astrid Mannes für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Astrid Mannes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Tankred Schipanski hat zum Föderalismus und zu der Notwendigkeit einer Föderalismusreform in Bildungsfragen bereits ausgeführt. Ich werde mich daher auf die anderen Anträge konzentrieren. Die Grünen fordern ein Förderprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen. Ich stimme den Grünen in der Analyse durchaus zu. Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensaufnahme, sondern auch ein Ort der Persönlichkeitsentwicklung, der sozialen Teilhabe und bestenfalls auch ein Ort der Lebensfreude. Ein zentrales Problem ist – und das beklagen wir ja auch alle fraktionsübergreifend –, dass zu viele Jugendliche die Schule als funktionale Analphabeten verlassen. Sinnentnehmendes Lesen ist in viel zu vielen Fällen Fehlanzeige, wie uns immer wieder auch Studien belegen. Und um das Schreiben und die Mathematik ist es nicht besser bestellt. Natürlich betreffen diese Befunde in ganz besonderem Maße die sozial schwächeren Schülerinnen und Schüler, und auch wir von der Union sehen da dringenden Handlungsbedarf. Die Länder müssten angesichts der Bildungsmisere längst gezielter in die vorschulische Sprachförderung investieren und Schule so reformieren, dass die Schülerinnen und Schüler die Schule wenigstens mit solidem Basiswissen verlassen, auf dem die Ausbildungsbetriebe dann aufbauen können. ({0}) Ob wir dafür aber ein weiteres bundesweites Förderprogramm benötigen, wage ich zu bezweifeln. Das wäre dann das nächste Programm zu den vielen bereits vorhandenen, bei denen der Bund bezahlt, aber kaum bis wenig Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung hat. Zu Jahresbeginn ist bereits die Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“ gestartet, mit der die Bildungschancen von sozial benachteiligten Schülern an 200 Schulen verbessert werden sollen. Das ist ganz wichtig; denn wir alle wissen, dass gerade die Schüler, die unter schwierigen sozialen Bedingungen leben, durch die Coronapandemie noch mehr Gefahr laufen, den Anschluss zu verlieren. Dieses Programm zielt genau in die Richtung des Antrags der Grünen. Wir hoffen, dass wir mit diesem Programm den Schulen in Brennpunktgebieten und in sozial schwierigen Lagen die Unterstützung geben, die sich dann auch in den Entwicklungen und Leistungen der Schülerinnen und Schüler niederschlägt. In diesem Zusammenhang spielt auch das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“ eine Rolle, das dabei helfen soll, dass coronabedingte Lernrückstände aufgeholt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Mannes, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Bull-Bischoff?

Dr. Astrid Mannes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da wir in der Zeit schon so weit fortgeschritten sind und viele versuchen, noch die letzten Züge zu bekommen, würde ich gerne weitermachen. ({0}) Im Rahmen des Programmes macht der Bund mit 330 Millionen Euro den Weg für mehr Mentoren bei der Lernförderung, zusätzliche Schulsozialarbeit und Freiwilligendienstleistende in Schulen und Einrichtungen der Jugend- und Kinderhilfe frei. 150 Millionen Euro fließen in die frühkindliche Bildung. Der Bund hat also in diesem Jahr zwei Programme aufgelegt, um gezielt Schüler mit Lernrückständen bzw. Schüler aus sozial benachteiligten Gebieten zu unterstützen. Bevor wir jetzt das nächste ähnlich gelagerte Programm auflegen, sollten wir diese Programme starten, laufen lassen und dann in ein bis zwei Jahren dahin gehend auswerten, ob sie ihr Ziel erreichen. ({1}) Sind die Programme erfolgreich, dann sollten wir darüber beraten, wie lange sie laufen sollten, ob wir sie ausbauen können. Das muss natürlich dann auch mit den Ländern, in deren Kompetenz ja diese Programme fallen, gemeinsam geschehen. Abschließend zum Antrag der AfD. Herr Dr. Frömming hat vorhin das Hohelied auf den verfassungsmäßig verankerten Föderalismus gesungen und sich eigentlich gegen eine Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundes gewandt. Die AfD hat aber Anträge vorgelegt, die genau in diese Länderkompetenz fallen. Das passt nicht so ganz zusammen. Man sollte dann auch konsequent sein und hier auf der Bundesebene solche Anträge nicht beraten, sondern die Länderkompetenz akzeptieren, wenn man der Meinung ist, dass sich das so gehört. Damit wünsche ich allen ein schönes Wochenende. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dr. Birke Bull-Bischoff.

Dr. Birke Bull-Bischoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004688, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Dr. Mannes, es wäre eigentlich ganz einfach gewesen. Der geschätzte Kollege Schipanski war ja vorhin so bezuckert von unserem Antrag. Deshalb lese ich einen Satz aus unserem Antrag vor: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die notwendige Reform des Bildungsföderalismus auf den Weg zu bringen und einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, um das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung vollständig aufzuheben … Ich hätte gefragt: Stimmen Sie mir zu, dass in diesem Satz das Wort „Kooperationsverbot“ vorkommt? ({0})

Dr. Astrid Mannes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, die Antwort erübrigt sich. Sie haben das Wort vorgetragen, ja. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Karamba Diaby für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen Kinder endlich in den Mittelpunkt stellen. Es ist längst bekannt, dass Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien härter von der Coronapandemie getroffen wurden, und sie drohen immer weiter abgehängt zu werden. Ich finde, das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. ({0}) Als Bürger dieses Landes, als Vater dreier Kinder und als Bildungspolitiker kann ich nicht in meinen Wahlkreis zurückkehren, ohne zu wissen, dass dieses Parlament um die besten Lösungen ringt und alles dafür tut, dass es jedes Kind packt. ({1}) Mit Blick auf die beiden Abschlussjahrgänge droht sich die Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher zu verdoppeln. Die Landesjugendämter rechnen mit 210 000 statt 104 000 Abbrüchen. Ein Karriereknick ist immer schwierig. Doch in diesen jungen Jahren ist es kein Knick mehr, sondern ein Karriereschlag. Deshalb bin ich froh darüber, dass wir mit dem Corona-Aufholpaket mit Mitteln in Höhe von 2 Milliarden Euro eine wichtige Antwort auf diese Probleme geben: ({2}) Erstens. Wir schaffen mehr Förderangebote für die, die es brauchen. Zweitens. Wir fördern Jugendarbeit im Sport, Ausflüge, Ferienfreizeiten, außerschulische Angebote und Mehrgenerationenhäuser. Drittens. Kindern aus bedürftigen Familien wird außerdem noch einmal gezielt mit einem Kinderfreizeitbonus von je 100 Euro unter die Arme gegriffen. ({3}) Wir müssen natürlich noch mehr machen, meine Damen und Herren, zum Beispiel den Ausbau der Ganztagsbetreuung schnell im Parlament beschließen, damit der Rechtsanspruch endlich Realität werden kann. Die Kinderarmut beweist, dass Armut nichts mit persönlichem Verhalten zu tun hat. Deshalb müssen wir auch Tarifverträge stärken, und deshalb müssen wir auch den Mindestlohn von 12 Euro einführen, damit die Kinder nicht in Armut aufwachsen. Und wir müssen – was ich hier schon mehrfach betont habe – endlich Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen Kinder in den Mittelpunkt unserer Politik. Das Coronaaufholpaket ist dabei ein wichtiger Schritt. Weitere Schritte müssen folgen, und dafür setzt sich die Sozialdemokratie ein. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Es steht schlecht um die Meinungsfreiheit in Deutschland. Sie wird nicht nur nicht geschätzt, nein, sie wird mittlerweile mit Füßen getreten – von der Politik, von den Medien, von den Meinungsmachern in der Gesellschaft. Die falsche Meinung zu haben und auch noch den Mut zu besitzen, sie offen zu äußern, kann schnell das berufliche und gesellschaftliche Aus bedeuten. 78 Prozent der Deutschen stimmten daher auch in einer Umfrage der Aussage zu, man könne Meinungen zu bestimmten Themen nicht oder nur mit Vorsicht frei äußern. 78 Prozent! Was für eine Schande für unsere Demokratie, meine Damen und Herren! ({0}) Auch 53 Schauspieler mussten erleben, was es bedeutet, wenn man den Mund aufmacht. Sie wagten es, in ihrer Videoreihe die Coronapolitik der Bundesregierung zu kritisieren. Es dauerte nur wenige Stunden, bis die gesamte Empörungsmaschinerie auf Hochtouren lief, ({1}) die darin gipfelte, dass der aktuelle WDR-Rundfunkrat die Beendigung der Zusammenarbeit mit den Schauspielern forderte. „Tatort“-Verbot für Liefers! Was die Bürger davon hielten, haben Sie letzten Sonntag gesehen: eine Einschaltquote von 39,6 Prozent. 14,2 Millionen Zuschauer haben gezeigt, was sie von solch totalitären Aussagen halten, meine Damen und Herren. ({2}) Der Druck war allerdings so groß, dass einige Schauspieler ihre Videos zurückzogen, auch zum Schutz ihrer Familien; denn selbst vor Morddrohungen schreckten die aufrechten Vertreter der einzigen Wahrheit nicht zurück. ({3}) Meinungstotalitarismus mit Struktur, „1984“ als Gebrauchsanweisung: Das ist Merkel-Deutschland 2021. ({4}) Akzeptiert wird man nur noch mit der richtigen Meinung, der richtigen Haltung. Ja, man darf alles sagen, aber eben nicht ungestraft. Das kann schnell mal den Job kosten, die Pension oder das Ehrenamt. An was mich das erinnert? An das „Kahlschlag-Plenum“ des Zentralkomitees der SED, in dem die liberale Kulturpolitik schlichtweg beerdigt wurde. Auf genau diesem gefährlichen Weg befinden wir uns mittlerweile, meine Damen und Herren. ({5}) Bei einem Familienrichter, der es wagte, eine Anordnung gegen die Maskenpflicht zu erlassen, gab es eine Hausdurchsuchung; Handy und Laptop wurden beschlagnahmt. Bestrafe einen, erziehe Hunderte! So macht man das, damit die Richter in Zukunft die richtigen Urteile fällen. Professoren können an Universitäten keine Vorträge mehr halten, wenn ihre Meinung nicht zum politischen Mainstream passt. „Cancel Culture“ nennt sich das Phänomen, das freie Debatten an deutschen Universitäten aus ideologischen Gründen gefährdet. Wer sich dagegen wehrt, wird angefeindet und verleumdet. Kabarettisten wie Lisa Eckhart können nicht mehr auftreten, wenn es dem linken Mob nicht mehr passt. Demonstranten, die für ihre Grundrechte und ihre Freiheit auf die Straße gehen, werden als Rechtsextreme gebrandmarkt und mit Wasserwerfern verjagt. Ein Arzt, der mit der #allesdichtmachen-Kampagne in Verbindung gebracht wurde, soll jetzt seinen Mietvertrag verlieren. Denunziert hat ihn ausgerechnet eine Mitarbeiterin der SPD-Bundestagsfraktion. Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie sind stolz auf solche Mitarbeiter. ({6}) Auch die Mainstream-Medien stürzen sich auf jeden, der es wagt, aus der Konformität auszuscheren. Werte Presse, es ist nicht mutig, sich auf die Seite der Bundesregierung zu stellen und von dort auf alle einzuschlagen, die einfach eine andere Meinung haben. Als vierte Gewalt im Staat sind Sie dafür verantwortlich, der Regierung auf die Finger zu schauen und den Finger in die Wunde zu legen. ({7}) Natürlich sehen wir die gleichen Mechanismen auch im Internet: NetzDG, Uploadfilter, automatische Weiterleitung von Kommentaren an das BKA – alles Mittel, um die Meinungsfreiheit im Internet einzuschränken. Und wenn gar nichts mehr hilft, dann beobachtet der Verfassungsschutz sogar unliebsame Blogs. Irgendwie wird man die Selbstdenker schon still bekommen. Der Medienstaatsvertrag befördert die Landesmedienanstalten zu Kontrollgremien für Webseiten und Social-Media-Konten. Diese können nun gezielt das Löschen von Beiträgen verlangen. Kommt man dem nicht nach, drohen empfindliche Strafen. Einige Netzportale sind daher schon vom Netz gegangen. Das, meine Damen und Herren, ist staatliche Zensur, und die ist in Deutschland verboten. ({8}) Willfährige Helfer der Regierung sind die großen Onlineplattformen, die selbst einen Heinrich Heine zum Hassprediger machen und seine Zitate löschen. Werte Kollegen, eines der wichtigsten Elemente unseres Grundgesetzes ist die Meinungsfreiheit, der Meinungsstreit in der öffentlichen Debatte. Nur der Austausch verschiedener Meinungen gewährleistet und sichert den Pluralismus. Ja, nicht alle Meinungen sind bequem, aber sie auszuhalten, macht eine wirkliche Demokratie aus. ({9}) Hören Sie also auf, den Leuten Angst zu machen! Hören Sie auf, sie zu bevormunden und einzuschüchtern! Akzeptieren Sie andere Meinungen, andere Sichtweisen, Alternativen! Schaffen Sie wieder offene Debattenräume! ({10}) Liebe Bürger, denken Sie daran: Sie sind keine Befehlsempfänger, die einfach nur Anweisungen von oben akzeptieren müssen. Sie sind Teil der demokratischen Willensbildung; Sie können sie mitgestalten. ({11}) Meine Damen und Herren, Freiheit ist schnell verloren, aber nur ganz schwer wiederzuerlangen. Lassen wir es nicht so weit kommen! Verteidigen wir das, was am wichtigsten ist – gemeinsam! Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Philipp Amthor das Wort. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Frau Cotar, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie gibt Ihnen auch das Recht, hier ein Zerrbild der Gesellschaft zu zeichnen, ({0}) und sie gibt Ihnen auch das Recht, Unvernünftiges zu behaupten. Aber sie gibt Gott sei Dank uns auch das Recht und die Pflicht, diesem Unsinn an vielen Stellen zu widersprechen. Es ist nicht Zensur, sondern Ausdruck einer vernünftigen Debattenkultur, wenn sich am Ende Argumente und Fakten durchsetzen und nicht Ihr Populismus. ({1}) „Meinungsfreiheit schützen, Zensur verhindern – Debattenkultur bewahren“: Sie wollen hier wieder das Bild eines Landes zeichnen, in dem es keine Meinungsfreiheit gibt, in dem die Debatten- und Streitkultur bedroht sind. Und ausgerechnet Sie wollen sich inszenieren als die großen Retter der Meinungsfreiheit und der Debattenkultur. ({2}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns doch eigentlich alle einig: Diese Rolle nimmt Ihnen doch jetzt wirklich niemand mehr ab. So, wie Sie hier im Bundestag und in den Landesparlamenten auftreten, brauchen Sie uns gar keine Belehrung über Debattenkultur zu geben. Ich denke nur daran, mit wem Sie den Schulterschluss suchen – gerade in Zeiten der Coronapandemie –, ({3}) an die Parolen, die Sie skandieren – immer wieder dieselben –, an Ihr Verhalten hier in den letzten Wochen. Sie lassen Störer hier ins Parlament, Sie delegitimieren diesen Ort der Debatte, und Sie tragen zu einer Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses bei. Sie sind nicht die Retter der Meinungsfreiheit, sondern Sie träufeln Gift in den gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich einer anständigen Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Das ist aber auch typisch. Wir sind in den letzten Sitzungswochen dieser Legislaturperiode, und, klar, für Sie beginnt jetzt der Wahlkampf. Die alten Parolen werden jetzt recycelt. Das ist ja auch klar, weil Sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass bei Ihnen in den vier Jahren inhaltlich nicht viel rumgekommen ist – außer das Muster, dass Sie sich eben nicht auf Fakten berufen, das wir von Ihnen von Anfang an kennen. Auch hier reden Sie davon, dass der Staat in die Meinungsfreiheit eingreifen würde. Ich frage Sie: Wo beschränkt denn der Staat durch staatliches Handeln die Meinungsfreiheit? Das ist doch absolut daneben. ({5}) Wir müssen sehen: Die Meinungsfreiheit ist richtigerweise ein hohes Gut. Sie ist Nährboden für unsere Demokratie und deswegen durch Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz bewusst mit einem hohen Stellenwert grundgesetzlich geschützt. ({6}) Und ich sage Ihnen auch – das habe ich am Ausgangspunkt der Debatte schon einmal gesagt –: Natürlich schützt Artikel 5 nicht nur vernünftige Meinungen, sondern auch Unsinn, wenn man das möchte. Aber eines muss man deutlich sagen: Die Meinungsfreiheit gibt Ihnen nicht das Recht darauf, dass jede Meinung, die Sie äußern, auch unwidersprochen im Raume stehen bleibt. ({7}) Sie fordern: Zensur soll verhindert werden. – Wissen Sie, dafür braucht man in der Bundesrepublik Deutschland nicht die AfD. Auf diese gute Idee kamen auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes schon. Lektüre hilft! ({8}) Artikel 5 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes lautet: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Genau diese Grundrechte berücksichtigen wir auch bei unserer Gesetzgebung. Nur weil Ihnen in Debatten widersprochen wird, heißt das nicht, dass deswegen die Meinungsfreiheit gefährdet ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Es geht darum – und das verkennen Sie –, dass die Meinungsfreiheit natürlich auch Grenzen hat, so wie alle anderen Grundrechte auch, nämlich in den Grundrechten der anderen, im Recht der persönlichen Ehre, das jedem zusteht, der an Diskussionen teilhat, und die Grenzen im Strafrecht. Dass Sie es damit nicht so ernst nehmen, zeigt sich auch an der Art und Weise, wie Sie sich mit Pöblern und Hetzern gemeinmachen. Das ist nicht unser Stil, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Ich will Ihnen, damit ein bisschen was Konstruktives vom letzten Tagesordnungspunkt trotz Ihres schlechten Aufschlages bleibt, immerhin sagen: Ja, es ist für uns eine Herausforderung, dass wir die Meinungsfreiheit natürlich nicht nur im Verhältnis zwischen Staat und Bürger sehen müssen, sondern auch im Verhältnis der Bürger untereinander. Wie sieht es aus mit Diskurs- und Debattenräumen im Internet? Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Sie hier pauschal kritisieren, schafft dafür einen Rahmen, aber nicht, weil wir Ihre Meinungen im Internet verbieten wollen, sondern weil wir fest davon überzeugt sind, dass Ehre, Persönlichkeitsrechte und der Anstand für Einzelne auch im Internet geschützt werden müssen, und in diesem Geiste debattieren wir über die Meinungsfreiheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Ihre Beiträge sind nichts außer Populismus. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Konstantin Kuhle für die FDP-Fraktion. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Coronakrise hat zu massiven Grundrechtseinschränkungen geführt, und sie hat massive und hitzige Diskussionen in unserer Gesellschaft verursacht. Eine dieser hitzigen Diskussionen drehte sich in den letzten Tagen und Wochen um die Aktion #allesdichtmachen, bei der Künstlerinnen und Künstler auf die Situation von Kunst und Kultur aufmerksam machen und gleichzeitig Coronamaßnahmen ironisch begleiten wollten. Nun kann man sich darüber streiten, ob das in jedem Fall gelungen ist. Es ist sicherlich Geschmackssache, ob man diese Videos gut findet oder nicht. Aber eines ist klar: Wenn man sich an die Seite der sogenannten Querdenker-Bewegung stellt, dann leistet man den Grundrechten in Deutschland einen Bärendienst; ({0}) denn man muss sich nur mal anschauen, wie die Wertschätzung für die Grundrechte und insbesondere für die Meinungsfreiheit am Rande dieser Querdenker-Veranstaltungen aussieht. Versuchen Sie mal als Journalist, bei einer Querdenker-Veranstaltung ein Interview zu machen! Das ist nicht möglich und artet unmittelbar in Gewalt aus. ({1}) Schauen Sie sich die Bilder an! Schauen Sie sich die Videos an, ({2}) wie Polizisten dort bespuckt, bepöbelt und geschubst werden! Schauen Sie sich an, was die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim gestern gesagt hat. Bei „Zeit Online“ hat sie gesagt, dass sie sich ohne Personenschutz im Grunde nicht mehr aus dem Haus traut. Das alles sind massive Beeinträchtigungen der Grundrechte. Deswegen ist klar: Wer sich die Meinungsfreiheit zunutze macht, wer sich die Versammlungsfreiheit zunutze macht, um Angriffe auf die Polizei, auf die Wissenschaft, auf Institutionen der Demokratie oder auf andere Bürgerinnen und Bürger zu unternehmen, der hat mit dem Widerstand aller Demokratinnen und Demokraten zu rechnen, meine Damen und Herren. ({3}) Es ist ja spannend, zu beobachten, wie die AfD versucht, die Grundrechte in unterschiedliche Gruppen einzuteilen. Auf der einen Seite sind die schlechten Grundrechte – die Rundfunkfreiheit, die Pressefreiheit, die Wissenschaftsfreiheit –, auch die Aktivitäten der Parlamente und der Parteien. Das ist alles schlecht; das sind alles Feinde des Volkes. Und das Einzige, was gut ist, das ist die Meinungsfreiheit in der Lesart der AfD. ({4}) Der Punkt ist aber, dass man in einer freiheitlichen Demokratie die Meinungsfreiheit gar nicht von der Pressefreiheit trennen kann, von der Versammlungsfreiheit, übrigens auch nicht von der Religionsfreiheit, vom Eigentum, von der Gesamtdarstellung der freiheitlichen Meinungen in Deutschland. ({5}) Wer in dieser Situation versucht, die alte populistische Erzählung, dass es gute und schlechte Freiheiten, dass es Feinde des Volkes und die einzig wahren Vertreter des Volkes gebe, zu verbreiten, der versündigt sich an der Demokratie, statt sie zu unterstützen. ({6}) Deswegen ist es ganz klar, dass das, was Sie hier heute vorhaben, eben keine Verteidigung der Meinungsfreiheit ist. Übrigens, weil wir ja eben gerade schon – auch Kollege Amthor – über klassische staatliche Eingriffe gegen die Meinungsfreiheit gesprochen haben: Sie finden doch Viktor Orban super, oder? Viktor Orban ist doch gut? ({7}) – Sagen Sie doch mal! Viktor Orban ist doch Ihr großer Held, der das christliche Abendland gegen muslimische Einwanderer verteidigt. ({8}) Sagen Sie doch mal: Viktor Orban ist doch gut? Cooler Typ. Jetzt habe ich mal eine Frage: Können Sie mir sagen, auf welchem Platz bei der Pressefreiheit, beim World Press Freedom Index, Ungarn 2006 gewesen ist? Wissen Sie es, 2006, Ungarn? – Es war auf Platz zehn, vor Deutschland. Noch im Jahr 2006 war Ungarn bei der Pressefreiheit vor Deutschland. Wissen Sie, wo Ungarn bei der Pressefreiheit heute gelandet ist? Auf Platz 92 – durch staatliche, klassische Eingriffe gegen Medien, gegen die freien Medien, gegen die Opposition, gegen die Wissenschaft. ({9}) Das ist das, was in Europa heute passiert. Das sind die Angriffe, die heute auf die freiheitliche Demokratie auf unserem Kontinent passieren, und dagegen müssen wir uns verteidigen, an der Seite von liberalen Demokratinnen und Demokraten in Europa und in Deutschland. ({10}) Meine Damen und Herren, ich will aber auch sagen, dass ich mich über die Vehemenz der Reaktion auf die Aktion #allesdichtmachen gewundert habe. Denn seit wann ist es eigentlich die Funktion und die Aufgabe von Kunst und Kultur, für den öffentlichen Diskurs in Deutschland besonders bequem zu sein? Die Meinungsfreiheit ist kein bequemes Grundrecht. Wenn die Meinungsfreiheit dazu führt, dass Menschen sich wundern, dass Coronamaßnahmen der Regierung hinterfragt werden, dann ist das gerade ein Gebrauch der Meinungsfreiheit, und indem man Berufsverbote für Schauspieler fordert, die eine Meinung vertreten, mit der man nicht einverstanden ist, ({11}) versündigt man sich auch an der Meinungsfreiheit. Das hätte nicht passieren dürfen. ({12}) Ich werbe im Umgang mit solchen Aktionen für mehr Entspannung, für mehr Respekt für die Kontroverse ({13}) und für mehr Lust an den Diskussionen, übrigens, meine Damen und Herren, auch hier im Parlament. Deswegen möchte ich abschließend dafür werben, dass auch wir im Deutschen Bundestag unseren Beitrag dazu leisten, dass es hier mal ein bisschen mehr zur Sache geht und dass die Diskussionen draußen in der Bevölkerung wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Wir könnten mal damit aufhören, dass hier mittwochs die Parlamentarischen Staatssekretäre, die ich natürlich sehr schätze, stundenlang irgendwelche Zettel vorlesen, ({14}) wozu man die Fragen eine Woche vorher einreichen muss. Was hat das mit einer lebhaften Diskussionskultur zu tun? Wir könnten mal aufhören, so zu tun, als wäre es ein einmaliges Ereignis, wenn die Bundeskanzlerin sich mal bequemt, zu einer Regierungsbefragung hier in den Bundestag zu kommen. Das sollte eigentlich jede Woche der Fall sein, wie das in anderen Parlamenten in Europa der Fall ist. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kuhle, all diese Reformvorschläge müssen Sie jetzt an anderer Stelle einbringen. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das würde dazu beitragen, dass wir die Diskussionskultur auch in Deutschland stärken und auch etwas für die Meinungsfreiheit tun. In diesem Sinne: Schönes Wochenende! Und bleiben Sie gesund! ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es gehört schon eine gewisse Portion Chuzpe dazu, diese Tagesordnung heute so zu gestalten und von der AfD Belehrungen abzugeben, was Meinungsfreiheit und Pressefreiheit ist. ({0}) Sie haben eine gehörige Portion Chuzpe; denn wir wissen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland und die Pressefreiheit in unserem Land von Platz 11 im Jahr 2020 auf Platz 13 im Jahr 2021 verschlechtert hat, und zwar deshalb, weil dort unter anderem 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalisten eingerechnet sind, die sich in der überwiegenden Anzahl eben aus Ihrem Milieu, genau aus Ihrem Milieu als solchem gespeist haben, ({1}) von Leuten, die bei Journalistinnen und Journalisten von Lügenpresse, von gesteuerter Presse, von Staatspresse, von Merkel’scher Presse oder Ähnlichem sprechen, die bei Demonstrationen von Querdenkern und Ähnlichen Journalistinnen und Journalisten hemmungslos angehen, indem sie sie schlagen, treten, zu Boden stoßen, bespucken, bedrängen, beleidigen und bedrohen. Und Sie stellen sich dann hierher und tun so, wie wenn die Aktion der Künstlerinnen und Künstler als solches ein Zufallsprodukt gewesen wäre, das Ihre Unterstützung benötigt! Nein, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind in Artikel 5 unseres Grundgesetzes sehr wohl und sehr gut geschützt. Das ist ein wichtiges Gut in diesem Land. Aber Meinungsfreiheit und Pressefreiheit bedeuten auch, dass man ertragen muss, dass jemand eine Meinung sagt, und dass man ertragen muss, dass es Widerspruch gibt, starken Widerspruch aus der Gesellschaft. ({2}) Man muss auch ertragen, dass diese Meinungsfreiheit, diese Pressfreiheit ihre Grenzen dort hat, wo individuelle Rechte von Personen eingeschränkt werden. ({3}) Diese Grenze, verehrte Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, verehrte Damen und Herren, die zuschauen, zu überschreiten, dürfen wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht zulassen; denn das Individualrecht des Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit, darauf, nicht beleidigt zu werden, nicht bedroht zu werden, keine Angst in dieser Gesellschaft haben zu müssen, ist ein gleich, wenn nicht höher schützenswertes Gut als die Meinungsfreiheit. Wir haben viele Menschen in diesem Land, die sich inzwischen – das sagen Sie zu Recht – nicht mehr trauen, etwas zu sagen, aber nicht, weil es staatliche Gewalt gibt, sondern weil aus Ihrem Milieu etwas kommt, zum Teil gesteuert aus der Russischen Föderation, mit irgendwelchen Bots, mit irgendwelchen Trollen und Ähnlichem im Internet, wo es ja ganz einfach ist, mit einem Klick „Daumen nach oben“ oder mit einem Klick „Daumen nach unten“ zu machen. ({4}) – Nein, das sind keine Verschwörungstheorien. Das sind Tatsachen. ({5}) – Also, ich kann von mir sagen: Ich bin selbst – in Anführungszeichen – „Opfer“ von so was geworden. Ich kann damit leben, ich kann das abschütteln, weil ich sage: Das sind alles Spinner. Diese Republik wird die Spinner auch ertragen und wird sich von diesen Spinnern wieder befreien. Spinner haben immer nur eine gewisse Zeit in diesem Land. ({6}) Spinner brauchen wir nicht als solche in den Mittelpunkt zu stellen. Aber ich sage, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen in diesem Lande wehrhaft sein. Wir müssen unsere Pressefreiheit und unsere Meinungsfreiheit verteidigen. ({7}) Und wir müssen alle daran arbeiten, dass die Journalistinnen und Journalisten in diesem Land frei Bericht erstatten können, und zwar auch so, dass er uns mal nicht gefällt. Es gibt viele, die einen Pressebericht über sich gelesen und gesagt haben: O Gott, musste das sein? – Dann wird vielleicht der Redakteur angerufen, und man sagt anschließend: „Hättest du besser den Mund gehalten und nichts gesagt“, weil man es dadurch auch nicht unbedingt besser macht. Nein, wir müssen diese Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit dieses Landes ertragen. Aber wir müssen in diesem Land stark genug sein, unsinnige Aussagen, Verschwörungstheorien und etwa das, was uns Frau Cotar wie aus einem Lehrbuch über eine bizarre Republik vorgetragen hat, die ich nicht kenne, in der ich nicht lebe und in der ich nicht leben will, ({8}) von der Wahrheit und von der Realität zu trennen. In diesem Sinne darf ich Ihnen die letzten 45 Sekunden meiner Redezeit an diesem Nachmittag, der eh schon ein bisschen lang ist, schenken ({9}) und hoffe, dass wir alle miteinander auf gutem Wege sind, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit als solche zu schützen, zu erhalten und in den Mittelpunkt zu stellen. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anke Domscheit-Berg für die Fraktion Die Linke. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal sieht die AfD die Meinungsfreiheit in Gefahr und glaubt, man könne nicht mehr sagen, was man wolle. Es stört sie, dass Dritte manche Meinungsäußerungen als menschenfeindlich, rassistisch oder schlicht als Desinformation entlarven. Auch die existierenden Grenzen der Meinungsfreiheit – Beleidigungen, Drohungen, Glorifizierung von Gewalt oder Volksverhetzung – sind der AfD ein Dorn im Auge. Vielleicht wegen solcher Beispiele: Bodo Radtke, AfD-Stadtverordneter in Oranienburg, der Stadt, in der sich das KZ Sachsenhausen befand, wurde gerade diese Woche frisch rechtskräftig verurteilt wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung. Die AfD will auch Freiheit zum Schüren von Hass und Gewalt, weil ihr der Mord an Walter Lübcke keine Warnung ist, weil sie bewusst in Kauf nimmt, dass aus Worten der Gewalt Taten der Gewalt werden. Es ist eine Beleidigung der Mütter und Väter unseres Grundgesetzes, dass ausgerechnet die AfD so tut, als wolle sie Grundrechte verteidigen. ({0}) Ein anderes Beispiel. Ende 2020 verbreitete Uwe Wanke, Mitglied des Landtages in Baden-Württemberg für die AfD, einen ein Jahr alten Videoausschnitt einer Bundestagsrede eines CDU-Abgeordneten zur Masernimpfpflicht und schreibt darunter: „Wer sich nicht freiwillig impft – der wird zwangsweise geimpft.“ ({1}) In diesem Videoausschnitt sagte der CDU-Abgeordnete Folgendes: Meine Assoziation zur Impfpflicht ist: Ein Kind, dessen Eltern sich weigern, das Kind impfen zu lassen, bekommt Besuch von der Polizei, das Kind wird ihnen entzogen und wird in ein Gesundheitsamt gebracht und dort wird eine Pflichtimpfung durchgeführt. Das, was der CDU-Abgeordnete danach sagt, schneidet dieser Landtagsabgeordnete der AfD jedoch ab. Es ist der entscheidende Satz: Das ist nirgendwo in diesem Gesetzentwurf vorgesehen. Diese durch den Videoausschnitt absichtlich falsche Darstellung ({2}) wurde Tausende Male gelikt. ({3}) Darunter finden sich entsetzliche Kommentare, die sich direkt auf ein Mitglied dieses Hauses beziehen. ({4}) Ich entschuldige mich jetzt für die nun folgenden drastischen Zitate, aber so spricht man bei der AfD im Internet, und die Welt soll das wissen. ({5}) Da steht: Sofort erschießen, die Ratte. – So was gehört an die Wand oder noch besser an den Galgen. – Da hilft nur noch ein Kopfschuss. – Du dreckiges Stück Scheiße. – Dich sollte man aufhängen, du Fettsack. – Du Wichser, ich schneide Dir Deinen Kopf ab! – Dem sollte man den Schädel einschlagen. Diese widerwärtigen Mordfantasien gegen einen Bundestagsabgeordneten aufgrund einer gezielten Desinformation eines Landtagsabgeordneten der AfD stehen seit 27 Wochen ungelöscht dort. Das ist Kriegsführung im Informationszeitalter. ({6}) Der AfD ist jedes Mittel recht, um ihre Facebook-Kumpane gegen alle aufzuhetzen, die ihr nicht in den Kram passen. Sie kennt keine Grenzen, keine Scham und keinen Anstand und holt aus manchen Menschen leider das Schlechteste heraus. ({7}) Die AfD schürt auch Misstrauen in Demokratie, Institutionen und ihre Prozesse, um sie zu zerstören. ({8}) Sie schreit wie Trump: „Wahlbetrug“, wenn ihr ein Wahlergebnis nicht gefällt. Sie greift die Freiheit der Forschung an. Sie will Forscherinnen und Forschern vorschreiben, woran sie zu forschen haben, und diskreditiert Geschlechterforschung als Gender-Gaga. Dabei weiß inzwischen jeder: Der Einzige, der Gender-Gaga ist, ist die AfD. ({9}) Die AfD attackiert auch die Pressefreiheit. Ihre Mitglieder behaupten ständig, bei uns gäbe es nur noch gleichgeschaltete Lügenpresse. Deshalb brauchen Journalistinnen und Journalisten heute bei ihrer Arbeit Polizeischutz, wenn sie live von einer Demo berichten wollen. 60 Prozent Journalistinnen in Deutschland sagen jetzt, dass sie die Freiheit ihrer journalistischen Arbeit und ihre Unabhängigkeit in Gefahr sehen. ({10}) Diese Bedrohungen für Journalistinnen und Journalisten heizt die AfD aktiv an. ({11}) Dafür empfinde ich tiefste Verachtung. ({12}) Es gibt in Deutschland kein Problem mit der Meinungsfreiheit. Was wir haben, ist ein Problem mit verquer denkenden Faktenleugnern und mit Nazis, die davon träumen, den Reichstag zu stürmen, Medienhäuser zu besetzen und tatsächlich gleichzuschalten, Wissenschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen und diejenigen zu bestrafen, die ihren Hass nicht teilen wollen, sondern sich ihm entgegenstellen. ({13}) Wir als Linksfraktion werden nicht zulassen, dass Sie jemals damit durchkommen. Im Übrigen bin ich, wie immer, der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben. ({14}) § 219a gehört abgeschafft. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Tabea Rößner das Wort. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als gestern die AfD eine Aktuelle Stunde beantragte, war ich ja schon gespannt, welches brandaktuelle Thema die AfD heute wieder umtreibt. ({0}) Stattdessen die gleiche alte Leier, mit der Sie Legendenbildung betreiben! Ich weiß nicht, zum wievielten Mal die AfD beschwört, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Das ist, mit Verlaub, Blödsinn! ({1}) Allein die Tatsache, dass Sie Ihre Meinung hier so unverhohlen äußern können, zeigt doch, dass an Ihren Behauptungen nichts dran ist. Es wird auch nicht wahrer, je häufiger Sie das behaupten. ({2}) Es ist manchmal unerträglich, was Sie in diesem Hohen Haus an Unwahrheiten, Diffamierungen, Hass und Hetze verbreiten. Wenn Sie das unter Meinungsfreiheit verstehen, dann liegen Sie falsch. ({3}) Ich muss nicht betonen, dass die Freiheiten der Meinungsäußerung und der Information für eine Demokratie von essenzieller Bedeutung sind. Sie gewährleisten erst den freiheitlichen Prozess der Meinungsbildung, der den Motor der Demokratie bildet. Daher müssen wir diese kommunikativen Freiheiten schützen. Es wäre aber ein Missverständnis, anzunehmen, Freiheit hieße, man könne tun und äußern, was man wolle. Jede Freiheit hat ihre Grenzen. Ihre Ausübung darf nicht das Fundament untergraben, auf dem sie steht. Und dieses Fundament bildet unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, in deren Zentrum die Garantie der Menschenwürde steht. Die wechselseitige Achtung der Menschenwürde bildet auch die Grundbedingung eines demokratischen Diskurses. Das haben Sie in der Vergangenheit bisher noch nicht begriffen. ({4}) Aber die AfD begeht selbst immer wieder gezielte Tabubrüche, mit denen sie die verfassungsrechtlichen Grenzen überschreitet. Diese Grenzen sind aber nicht verhandelbar: weder im analogen noch im digitalen Raum. Das Internet darf nicht ein Ort werden, in dem sich Hass, Hetze und Lüge ungehemmt entfalten und Menschen um Leib und Leben fürchten müssen. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Wir müssen das Netz zu einem zivilisierten demokratischen Raum machen. Deshalb benötigen wir eine Gesamtstrategie gegen Hasskriminalität und gezielte Desinformation. Das gestern beschlossene NetzDG greift da zu kurz. Es geht darum, Menschen im digitalen Raum zu schützen und zu verhindern, dass Menschen sich aus dem demokratischen Diskurs zurückziehen. Obwohl Sie beim NetzDG wie viele andere am lautesten „Zensur“ schreien: Es ist doch so, dass diejenigen die Meldemechanismen der Social-Media-Kanäle missbrauchen, die für sie unangenehme Meinungen aus dem Diskurs drängen. ({5}) Das machen übrigens gerade die Anhänger/‑innen der AfD. Das hat mit Meinungsfreiheit überhaupt nichts zu tun. ({6}) Vor uns liegen zentrale Weichenstellungen für unser demokratisches Miteinander im digitalen Zeitalter. Internetgiganten darf nicht die Steuergewalt über den öffentlichen Raum überlassen werden. Das gilt auch für das willkürliche Sperren von Nutzer-Accounts. ({7}) Und es darf auch nicht sein, dass Profite von Internetkonzernen über dem Schutz der Grundrechte stehen. Das konterkariert einen freiheitlich demokratischen Meinungsbildungsprozess. Es gefährdet die Meinungsvielfalt und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das dürfen wir nicht länger dulden! ({8}) Den journalistisch arbeitenden Medien, insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, kommt heute und zukünftig eine umso bedeutendere Rolle zu. Der verfassungsgemäße Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dient dem Gemeinwohl. ({9}) Er muss eine gemeinsame Öffentlichkeit schaffen, und zwar im Netz, wo diese ja verloren gegangen ist. Ich kann eigentlich nicht begreifen, dass Sie diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer so bekämpfen; denn Sie kommen dort regelmäßig zu Wort, ({10}) Sie sitzen in den Rundfunkräten und haben deshalb natürlich – – ({11}) – Nein, ich rede mir die Welt nicht schön. ({12}) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine unabhängige Institution, die den öffentlichen Raum und die Öffentlichkeit gestaltet. Dass Sie das nicht begreifen, ist – – ({13}) Die demokratischen Prinzipien müssen aber auch bei den sozialen Netzwerken gelten, insbesondere für die mit hohen Nutzerzahlen, die Meinungsmacht entwickeln und die gesellschaftliche Meinungsbildung maßgeblich beeinflussen können. Zudem müssen wir Internetkonzerne stärker regulieren, vor allem, wenn sie Monopolstellungen haben und mit ihren algorithmischen Entscheidungssystemen darüber befinden, was wir sehen und was nicht, und wenn sie Profile von Nutzern und Nutzerinnen erstellen und ihre Gewinne mit personalisierten Daten maximieren. Der Medienstaatsvertrag der Länder geht da nicht weit genug.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Und auf der EU-Ebene wird zurzeit der Digital Services Act verhandelt. Hier muss mit Mut und Durchsetzungswillen eine Regulierung verfolgt werden, die den Internetgiganten die Stirn bieten kann. Laissez-faire war gestern, gestalten ist heute. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Rößner, Sie müssen jetzt den Punkt setzen.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir brauchen eine gemeinsame Öffentlichkeit, in der Menschen in gegenseitiger Achtung und auf der Basis von Vernunft und Wahrheit um das bessere Argument und die bessere Lösung ringen. Das stärkt unsere Demokratie. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Witz der Woche kommt tatsächlich um die Ecke in Gestalt dieses Tagesordnungspunktes. ({0}) Die AfD – das muss man sich einmal überlegen! – beantragt eine Aktuelle Stunde, in deren Überschrift steht: „Debattenkultur bewahren“. ({1}) Nun hat die Startrednerin der AfD in ihrer Youtube-Rede – es wird ja dann immer so gemacht, dass man schön Youtube-Schnitzel machen kann; auch so macht man Meinungen – leider vergessen, zu sagen, über welche Debattenkultur Sie eigentlich reden. Welche Debattenkultur wollen Sie denn bewahren? Ist es denn die Debattenkultur, wo von „Messermännern“ und „Kopftuchmädchen“ die Rede ist? Ist es die Debattenkultur, wo der frühere Vorsitzende des Rechtsausschusses aus Ihren Reihen sich tatsächlich hinstellt und von Menschen spricht, die in Synagogen herumlungern? Ist es die Debattenkultur, die vom Mahnmal der Schande spricht? Ist es die Debattenkultur, die Sie eindämmen wollen, indem Sie hier Störer ins Parlament reinlassen? Ist es denn die Debattenkultur, die Sie Schülern an die Hand geben wollen, indem Sie Meldeplattformen für Lehrer schaffen? Die Meinungsfreiheit ist bei uns ein hohes Gut. Die ist in diesem Land so gewahrt, dass sogar das Prinzip AfD funktioniert. Wie das Prinzip AfD funktioniert, haben wir in dieser Woche gemerkt. Man schaut sich eine Sachdebatte an und überlegt: Wo habe ich maximales Empörungspotenzial? Wo habe ich maximales Verhetzungspotenzial? Und wenn ich nichts finde, dann konstruiere ich halt was. ({2}) So komme ich dann zum Beispiel bei der Frage der Privilegierung für Geimpfte und Genesene ganz schnell zum mittelbaren Impfzwang. ({3}) Aber, meine Damen, meine Herren, ein Rechtsstaat muss regelmäßig leisten können, dass er sich als Daueraufgabe tatsächlich immer wieder Gedanken macht, wie es denn um die Meinungsfreiheit im Land tatsächlich bestellt ist. Da muss man ehrlich sagen: Es ist heute #allesdichtmachen angesprochen worden. Selbstverständlich muss man sich Sorge machen, weil die Debattenkultur in unserem Land an mancher Stelle abzugleiten droht in ein schlichtes Einteilen zwischen Schwarz und Weiß, ja, man möchte fast sagen: Gut und Böse. Nicht jeder, der Coronamaßnahmen kritisiert, ist gleich ein Coronaleugner. ({4}) Aber keiner, der Coronamaßnahmen kritisiert, sollte sich von Coronaleugnern instrumentalisieren lassen – im Übrigen auch ein Stilmittel von Ihnen. ({5}) Wir haben in dieser Woche auch über das NetzDG gesprochen. Eine Erfolgsgeschichte, ({6}) die wir fortgeschrieben haben und mit der wir sehr gut dokumentieren, was für ein hohes Gut die Meinungsfreiheit ist. Wir haben uns von Anfang an, ab dem Jahr 2017, diese Aufgabe nicht einfach gemacht. Wir haben Bedenken ernst genommen. Wir haben eine Evaluierung vereinbart. Die Erkenntnisse haben wir jetzt in Form gegossen. Bemerkenswert bei der Debatte um das NetzDG ist doch, dass Sie von Anfang an bis heute dieses Gesetz mit Feuer und Schwert bekämpfen: natürlich – das überrascht niemanden von uns –, weil es ja das Prinzip AfD, das ich vorhin beschrieben habe, gefährdet und unter Umständen nicht mehr zur Realisierung bringt. ({7}) Aber Sie sind doch unehrlich. Sie sind doch unehrlich auch sich gegenüber, wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: „Uns geht es um die Meinungsfreiheit; bekämpfen dann aber das NetzDG.“ Das NetzDG ist aber wieder dafür da, die Meinungsfreiheit gerade auch in der digitalen Welt zu schützen, weil wir im NetzDG zwei Dinge in Einklang bringen, nämlich das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und andererseits die Feststellung – das müssen Sie auch einmal verstehen und einsehen –, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist. ({8}) Wenn nämlich das Netz ein rechtsfreier Raum ist, funktioniert auch die Meinungsfreiheit nicht mehr. Denn wenn ich meine Meinung im Netz nicht äußern kann, ohne einen Shitstorm zu ernten, ohne Drohungen von Ihresgleichen zu bekommen, dann ist das Netz kein Raum mehr, in dem Meinungsfreiheit gewährleistet ist. ({9}) Solange Sie sich zu diesem Zusammenhang nicht öffentlich bekennen und nicht mal sachlich über Instrumente wie das NetzDG diskutieren können, diskreditieren und disqualifizieren Sie sich in diesen Debatten wieder und wieder. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gottfried Curio für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Thema heute: Meinungsfreiheit. Der Verfassungsschutz hat ein neues Beobachtungsobjekt entdeckt: ({0}) bestimmte Personen und Gruppen in der Querdenkenbewegung. Hier fällt zweierlei auf: Ein eigentlich gemeinter Personenkreis, dem staatsfeindliches Verhalten vorgeworfen wird, wird nicht wirklich kohärent beschrieben, aber die andere, viel größere Gesamtgruppe – hier: Querdenken mit ihren legitimen Protesten – wird mit in die Meldung hineingezogen, mitkontaminiert. In der Außenkommunikation wird durch diese Einbettung beim Bürger ein Generalverdacht erzeugt: eine Beobachtungsandrohung gegenüber der unbescholtenen größeren Gesamtgruppe. Regierungskritik wird so – entgegen den Beteuerungen des Verfassungsschutzes – diskreditiert durch Framing: Teile der Gruppe soundso jetzt unter Extremismusverdacht. – Was hängen bleiben soll, ist ebenso klar wie unredlich: Der demonstrationswillige Bürger wird eingeschüchtert. So fängt es an, meine Damen und Herren, und das darf nicht sein! ({1}) Für eventuelle Straftaten aus so einer Demo heraus sind im Übrigen Polizei und Gerichte zuständig. In dem Zusammenhang interessant: Laut einer Studie zu diesen Demonstrationen laufen da vornehmlich Leute, die Grüne und Linke gewählt haben. Der Verfassungsschutz spricht nun von der Verbreitung von Verschwörungstheorien. Wer definiert nun, was diese eigentlich sind? Haben wir endlich ein „Wahrheitsministerium“? Auf Nachfrage im Innenausschuss werden als Merkmale genannt: vereinfachende Erzählungen, die antagonistisch Gruppen gegeneinander stellen, das Ganze noch auf weltweite Dimensionen übersteigert. – Also wird da wohl an den Marxismus gedacht, ja? Arbeiter gegen Kapitalisten. ({2}) Michael Kretschmer twitterte am 5. Mai 2020: Auch die Behauptung, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen, ihre Grundrechte verlieren, ist absurd & bösartig. Das sei eine Verschwörungstheorie. – Nun, diese Woche so vom Bundestag beschlossen, meine Damen und Herren. ({3}) Und nun die eigens neu erfundene Kategorie „Delegitimierung des Staates“. Man kann alles darin sehen und nichts. Wo hört Kritik auf, und wo fängt Delegitimierung an? Kritik – gerade gesagt – gehört essenziell zu einem Staat, der sich noch als demokratisch verstehen will, und Demonstrationen erst recht. ({4}) Schließlich wird moniert, die Politik der Regierung werde verächtlich gemacht und mit Unrechtssystemen verglichen, daraus gar ein Widerstandsrecht nach Artikel 20 Grundgesetz abgeleitet. Hier offenbart sich ein gravierender Denkfehler des Verfassungsschutzes: Eine derartige Berufung auf das Grundgesetz, auch wenn sie fehlerhaft angewendet wird, setzt ja gerade den Willen zur Erhaltung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates voraus. Die Kritik des Verfassungsschutzes könnte sich allenfalls auf eine womöglich fehlerhafte Anwendung von Artikel 20 Grundgesetz beziehen. Man will also eigentlich sagen: Da bezeichnen doch wirklich Leute diese, unsere geliebte und treusorgende Regierung als Unrechtsregime. Unerhört! Demgegenüber ist festzustellen: Angegriffen wurde so aber gerade nicht „der Staat“ – soll suggerieren: das System der verfassungsmäßigen Ordnung –, sondern nur der aktuelle Träger der Regierungsgewalt, also diese konkrete Regierung, die sich jetzt begrifflich hinter „dem Staat“ versteckt. Man sieht: Die frisch erfundene Kategorie „Delegitimierung des Staates“ soll gar nicht dem Verfassungsschutz dienen, sondern dem Schutz der Regierung. Jeder soll aber auch weiterhin freimütig sein „Merkel muss weg!“ oder bald „Baerbock muss weg!“ rufen können, meine Damen und Herren! ({5}) Denn wirklich namhaft machen für eine tatsächliche Delegitimierung des Staates kann man eigentlich nur eine Kraft, nämlich denjenigen politischen Akteur, der die Grundlagen unseres Staates tatsächlich zur Disposition stellt: Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsfinanzen, Verfassung. Mit Souveränitätsabgabe zugunsten einer zentralistischen EU inklusive Schuldenunion und forcierter Massenzuwanderung und Masseneinbürgerung unternimmt diese Regierung in Wahrheit selber gerade das, was sie ihren Kritikern vorwerfen will. ({6}) Wir wären nicht in Deutschland 2021, wenn das Ganze schließlich nicht nur als Keule gegen kritische Querdenker genutzt werden soll, sondern auch – in Konsequenz – gegen die größte Oppositionspartei. Deshalb lohnt es sich, festzuhalten: Die Alternative für Deutschland steht an der Seite von jedem, der friedlich für die Grundrechte demonstriert, ist aber Gegner aller Parteien, die sich einsetzen für Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Grundrechte: Lockdown-Maßnahmen mit willkürlichem Grundrechtsentzug ohne Erforderlichkeitsnachweis, indirekte Impfpflicht, illegale Massenmigration, Schuldenunion, Great Reset, faktenfreie Klimahysterie. Wir sind und bleiben entschiedene Gegner derer, die im Amt die Verfassung brechen, Deutschland als Staat auflösen und unter Scheintiteln die Meinungsfreiheit aushöhlen. ({7}) Wer Verfassung und Rechtsstaat in Deutschland noch wirklich schützen will, das ist die Alternative für Deutschland. ({8}) Eine Stimme für die AfD ist eine Stimme für die Meinungsfreiheit, meine Damen und Herren. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Martin Rabanus für die SPD-Fraktion. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein besonderer Treppenwitz, dass ausgerechnet die AfD eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Meinungsfreiheit schützen, Zensur verhindern – Debattenkultur bewahren“ beantragt. Denn wenn Sie an das Redepult treten, dann treten Sie alles, was Ihnen nicht in Ihren kleinen ideologischen Vorgarten passt, mit Füßen. Das haben wir heute in beiden Redebeiträgen wieder eindrucksvoll erleben können. Sie beleidigen, Sie diffamieren, Sie unterstellen, Sie entwickeln vollkommen krude Kausalitätsketten und Begründungszusammenhänge. Das ist schon alles irre, wenn man sich das mal ansieht. Ich glaube, der beste Beitrag zur Bewahrung der Debattenkultur, den die AfD leisten könnte, wäre, einfach sitzen zu bleiben und solche Debatten nicht vom Zaun zu brechen. ({0}) Wenn Sie von Meinungsfreiheit sprechen, dann meinen Sie natürlich nicht Meinungsfreiheit. ({1}) Sie meinen, dass Sie unwidersprochen jeden Blödsinn erzählen können, den Sie erzählen wollen. ({2}) Sie haben Meinungsfreiheit, aber dann kriegen Sie auch Meinungsfreiheit ab, indem Sie eine Reaktion auf das kriegen, was Sie sagen. Das ist dann nämlich auch Meinungsfreiheit. Es gibt übrigens auch eine Mehrheitsmeinung – nicht nur in diesem Parlament, sondern in der Gesellschaft. ({3}) – Das passt Ihnen nicht, dass Sie nur einen kleinen Teil dieser Bevölkerung repräsentieren, ({4}) aber Fakt ist: Die Mehrheitsmeinung will Ihre populistischen, radikalen und beleidigenden Parolen einfach nicht haben. ({5}) Das müssen Sie schlicht und ergreifend auch einmal akzeptieren. Die überwiegende Mehrheit dieser Bevölkerung will alles, aber keine Politik der AfD. ({6}) Ich sage jetzt auch etwas zu der reichlich misslungenen Aktion der Filmschaffenden unter dem Hashtag #allesdichtmachen. ({7}) Ich habe das öffentlich bisher nicht kommentiert. Da bin ich bei dem Kollegen der FDP: Man kann das alles mit ein bisschen weniger Aufgeregtheit machen. Das ist ein bisschen die Abteilung: Jeder blamiert sich so gut, wie er kann. ({8}) Aber wenn diejenigen, die das machen, so machen, dann bekommen sie das Wort deswegen ja nicht abgeschnitten, und sie bekamen das Wort auch nicht abgeschnitten. Aber wer sich bewusst oder unbewusst einer gefährlichen rechtspopulistischen Erzählung annähert ({9}) und sich diese zunutze macht und sich da auch vor den Karren spannen lässt, ({10}) der muss dann auch mit der Meinungsfreiheit der anderen leben ({11}) und ertragen, dass man das für gefährlichen Blödsinn hält. Das ist auch bei mir der Fall. Es ist auch so, dass ein großer Teil derjenigen, die zunächst mitgemacht haben, gemerkt hat, ({12}) dass sie sich auf dem falschen Pfad bewegt haben. Das ist übrigens keine Einschränkung von Meinungsfreiheit ({13}) – hören Sie zu, dann werden Sie es erfahren –, sondern der Erkenntnisprozess bei denjenigen, die sich dort wieder zurückgezogen haben, ist aller Ehren wert. Denn die Wahrheit ist auch, dass dazu Mut gehört, ({14}) weil Sie es dann sind, die sich mit Druck, Hass und Hetze über die hermachen, die sich von dieser Sache distanzieren. ({15}) Ja, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind in unserem Land unter Druck. Sie sind aber unter Druck von Hass und Hetze, von Anfeindungen durch Institutionen und von Einzelpersonen – auch das haben Sie gerade wieder bewiesen –, durch die sogenannten Querdenker, Populisten und Extremisten. Dagegen stellen wir Demokratinnen und Demokraten uns entschieden auf. ({16}) Es ist auch richtig, dass es für den einen oder die andere, die sich durch menschenverachtende oder rassistische Äußerungen hervortun, Konsequenzen gibt. ({17}) Auch das ist richtig; denn das Wort ist – das ist schon gesagt worden – die Vorstufe zur Tat. Deswegen ist es wichtig, erst zu denken und dann zu reden. Ich will aber auch sagen: Es gibt viele gute und positive Beispiele in der Gesellschaft. Lassen Sie mich eins aus dem Sport benennen; weil ich Hesse bin, sehen Sie es mir nach, dass ich auf die Frankfurter Eintracht ({18}) und den Präsidenten Peter Fischer zurückkomme, ({19}) der 2017 bereits sagte – ich darf zitieren, mit Erlaubnis der Präsidentin –: Es kann niemand bei uns Mitglied sein, der diese Partei wählt, in der es rassistische und menschenverachtende Tendenzen gibt … Der Sport muss auch ganz klar politisch sein und seine Stimme erheben gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen … ({20}) Recht hat er! ({21}) In dem Sinne wünsche ich der Eintracht alles Gute auf der Zielgeraden zur Champions League, meine Damen und Herren. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Christoph Ploß für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christoph Ploß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004854, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich teile nicht Ihre Meinung, aber ich werde alles dafür tun, dass Sie die äußern dürfen. ({0}) Diese Worte, die dem Philosophen Voltaire in den Mund gelegt werden, sind der Maßstab für unsere demokratische Kultur, ({1}) und sie prägen bis heute unser Grundgesetz. Dass Meinungsfreiheit nicht aus der bürgerlichen Mitte heraus gefährdet wird, kann man doch wirklich jede Woche sehen. Ob Herr Gauland Unsinn bzw. schlimme Sachen erzählt wie „Der Nationalsozialismus ist ein Vogelschiss in der Geschichte“ oder viele andere Punkte – das dürfen Sie äußern. ({2}) Das heißt aber nicht – der Kollege Amthor hat es völlig zu Recht gesagt –, dass das ohne Widerspruch von der bürgerlichen Mitte hingenommen werden muss, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir dürfen aber trotzdem nicht die Augen vor gefährlichen Tendenzen verschließen. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass an Schulen, dass an Universitäten, dass in anderen Einrichtungen zumindest teilweise die Meinungsfreiheit vom linken Rand genauso wie vom rechten Rand gefährdet ist. Es gibt mittlerweile einige universitäre Veranstaltungen, die abgesagt werden, weil die Meinung einigen Studenten oder anderen Teilnehmern nicht gefällt. Es gibt auch von der rechten Seite Angriffe, wenn Personen aus dem linken politischen Spektrum reden, weil ihnen diese Meinung nicht gefällt. ({4}) Aber was unsere Demokratie und was gerade den Austausch an unseren Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen auszeichnet, ist, dass man nicht nur in einer Art Selbstkonformismus verharrt und andere Meinungen zulässt, sondern sich möglicherweise auch kritisch mit diesen auseinandersetzt ({5}) und andere Meinungen möglicherweise sogar als bereichernd empfindet. ({6}) Da gibt es viele Beispiele. Wenn der Historiker Helmut Bley nicht an einer Veranstaltung in Hannover teilnehmen soll, weil er weiß ist und weil sich angeblich nicht er mit Rassismus auseinandersetzen sollte, sondern nur diejenigen, die direkt betroffen sind, dann legen hier einige die Axt an das demokratische Fundament unseres Landes; denn was uns auch im Deutschen Bundestag auszeichnet und was unsere demokratische Debattenkultur auszeichnet, ist doch nicht, dass man sich nur dann an einer Diskussion beteiligen darf, wenn man einer gewissen Gruppe zugehört oder eine bestimmte Identität hat. Eine Grundvoraussetzung für einen guten demokratischen Diskurs ist doch, dass man sich in andere hineinversetzt und dass auch wir als Bundestagsabgeordnete nicht nur etwas für unsere eigene Gruppe, für unser Geschlecht oder für unsere Altersgenossen machen, sondern dass wir uns auch in alle anderen Menschen dieses Landes hineinversetzen. ({7}) So wie ich in Anspruch nehme, als Mann auch etwas für Frauen zu tun und als jüngerer Abgeordneter auch etwas für Senioren zu tun, so erwarte ich von weiblichen Kollegen, dass die auch etwas für Männer tun oder dass ältere Kolleginnen oder Kollegen auch etwas für die jüngeren Generationen tun. Das muss doch der Maßstab für unsere Debattenkultur und für politische Entscheidungen hier sein. ({8}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, daher müssen wir auch alles gegen Bestrebungen tun, die das gefährden. Wenn ich mir ansehe, dass die AfD diejenigen, die den – aus ihrer Sicht – völkischen Gruppen nicht entsprechen und die – aus ihrer Sicht – nicht zum Volk gehören, ({9}) von demokratischen Diskursen ausschließen möchte, dann kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen! Da müssen wir als bürgerliche Mitte alles dafür tun, dass das sich hier nicht ausbreitet. Wir müssen, meine Damen und Herren, all diese Tendenzen sehr ernst nehmen: an Schulen, an Universitäten, in anderen Bereichen. Es darf nicht sein, dass irgendwelche Meinungen gecancelt werden, zerstört werden. Es darf auch nicht sein, dass zum Beispiel eine Organisation wie die Neuen deutschen Medienmacher*innen sagen: Ein Wort wie „Einheimischer“ oder „Migrant“, das dürft ihr nicht mehr verwenden. ({10}) All dem müssen wir entgegenstehen. Das wird die große Aufgabe der bürgerlichen Mitte in diesem Land sein, ({11}) einer linken und einer rechten Identitätspolitik entgegenzutreten; denn das, was man schon nach dem Zweiten Weltkrieg konstatiert hatte, ist in diesen Tagen umso wichtiger: Die bürgerliche Mitte muss die offene Gesellschaft gegen all ihre Feinde verteidigen. Dafür werben wir als CDU/CSU-Fraktion gerade in diesen Tagen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) – Jetzt fühle mich fast an „Blockwart“ erinnert, wenn ich den Applaus gerade vernehme, aber das ist ja eine Tradition, in die Sie sich einordnen. Mit der Beantragung und dem Titel der Aktuellen Stunde haben Sie, was ich Ihnen nicht zugetraut hätte, jedenfalls Humor bewiesen. ({1}) „Meinungsfreiheit“ ist da das erste Stichwort. Sie sind ja die Antithese zu Meinungsfreiheit. ({2}) Sie sprechen – zweites Stichwort – über „Zensur verhindern“ und praktizieren diese regelmäßig auf Ihren eigenen Plattformen, wenn Ihnen sachliche Meinungen und andere Meinungen nicht gefallen. Das dritte Stichwort „Debattenkultur“ ist am schönsten; denn Sie haben weder Debatte noch Kultur. Glückwunsch! Das ist wirklich Humor, den Sie bewiesen haben. Sie haben ja auch großartige Kronzeugen, wie ich von Frau Cotar gehört habe. Sie versuchte ja, die SPD anzugreifen, indem sie einen Arzt erwähnte; er heißt, glaube ich, Herr Brandenburg. Es ist interessant, dass der Herr, wenn man sich das näher anguckt, auf seinen Plattformen selber betont, dass es wichtig wäre, dass man unterschiedliche Meinungen aushält und dass man es auch verurteilen müsse, wenn Andersdenkende öffentlich an den Pranger gestellt werden. Wenn man dann selbst Leute, die der eigenen Meinung offensichtlich nicht entsprechen, unter Missachtung ihrer Grundrechte an den Pranger stellt, dann ist das wirklich ein hervorragender Kronzeuge für Meinungsfreiheit. Und es wird noch besser: Dieselbe Person führt am 21. April 2021 in Bezug auf das Infektionsschutzgesetz aus, an diesem Tag habe das Parlament zum zweiten Mal im Reichstag die Demokratie verraten. – Also Gleichsetzung des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz. Zur SPD findet sich da ausgeführt: Beim ersten Mal hätte die SPD noch Herz und Hirn gehabt, nicht Mittäter zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Leute, auf die Sie sich berufen, machen die SPD verächtlich. Aber diese Sozialdemokratische Partei hat, anders als Sie es immer präsentieren, gegen die Diktatur gestanden. Viele Sozialistinnen und Sozialisten und Kommunistinnen und Kommunisten waren schon in den Konzentrationslagern, als wir hier als Sozialdemokraten für dieses Land und diese Demokratie gekämpft haben. ({3}) Das nicht „Mittäter“ zu nennen, ist eine Bagatellisierung, Verharmlosung ({4}) und Verächtlichmachung der Demokratie einerseits und eine Verharmlosung des Nationalsozialismus andererseits. Das verstehen Sie unter Meinungsfreiheit. Herzlichen Glückwunsch! ({5}) Aber wir haben uns wahrscheinlich geirrt. Wir haben einfach ein unterschiedliches Verständnis von Meinungsfreiheit. Man muss das umdefinieren. Meinungsfreiheit im AfD-Deutsch heißt dechiffriert „Hassfreiheit“, also Freiheit zum Hass; denn das ist es, worum es Ihnen geht. ({6}) Sie gehen ja mit Kalkül vor. Das ist ja letztlich auch Täterschutz, damit Sie Ihren Hass und den Ihrer Unterstützer auch ohne Sanktionen weiter praktizieren können. Das verstehen Sie darunter. Und Sie haben auch einen interessanten Habitus dabei. Ich würde das vergleichen mit einem Waffenhändler, der sich als Lebensschützer darstellt. ({7}) Sie sind Waffenhändler, die sich als Lebensschützer darstellen. Das muss man auch erst mal schaffen. Das hat entweder mit einem Mangel von Herz und Hirn zu tun – ich erinnere an mein Zitat eben – oder mit wirklich großem Humor. Sie können sich die Antwort aussuchen. Was Sie also machen, ist, hier das Thema Meinungsfreiheit vor das Tribunal zu stellen. Bei diesem Scheintribunal gibt es vermeintliche Opfer; das sind Sie. Sie sind keine Opfer, übrigens auch nicht Herr Liefers. Er war in jeder Talkshow, sein Vertrag wurde verlängert. Wahrlich ist er kein Opfer der Meinungsfreiheit; das soll er ja auch nicht sein. ({8}) Aber er erleidet kein Martyrium. Dann gibt es Täter in diesem Tribunal, tatsächliche Täter – das sind Sie und Ihre unterstützenden Bataillone –, ({9}) und es gibt tatsächliche Opfer. Darauf möchte ich jetzt auch mal zu sprechen kommen. Was ist denn mit der Meinungsfreiheit vieler, vieler Frauen, die durch die frauenfeindliche Hetze Ihrer Anhänger im Netz bloßgestellt und attackiert werden? ({10}) Was ist mit deren Meinungsfreiheit? ({11}) Und warum wünschen Sie sich Meinungsfreiheit für sich selbst oder Herrn Liefers und andere von „Alles dichtmachen“, aber interessieren sich überhaupt nicht für die Meinungsfreiheit etwa eines Vaters eines Opfers von Hanau, Herrn Kurtovic? Nein, das interessiert Sie nicht. Und was ist mit den anderen Opfern? Einige sitzen auch hier. Ich sehe hier Frau Künast; ich erinnere an Claudia Roth und an mich selbst. ({12}) Das muss mal benannt werden. Es betrifft auch viele andere hier im Raum. Es wäre nicht so tragisch, wenn wir hier einfach nur über Ihre völkischen Dummheiten, über Ihre dämlichen Anträge oder sonst was sprechen würden. Aber mit Ihrem Vorgehen machen Sie Menschen kaputt. Und ich sage es hier deutlich: Aus meiner Sicht hatten Sie Ihre Finger mit am Abzug in Hanau, mit am Abzug in Kassel und mit am Abzug in Halle! ({13}) Nichts anderes war der Fall. ({14}) Zum Abschluss –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lindh.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– weise ich mal darauf hin, was das konkret bedeutet, was Ihre Fans und die, die Sie anstiften, in die Welt blasen. Ich lese vor – –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lindh, Sie müssen das verkürzen. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie bitte?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie müssen das jetzt verkürzen und zum Punkt kommen.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, ich beschränke mich auf einen Satz: Ich passe dich in Wuppertal ab, fahre mit meinem E‑Scooter …, kann mit rechts Gas geben und mit links zuschlagen. Durch den Schlag wird deine abscheuliche Fresse zertrümmert. Vielleicht brechen ein paar Wirbel. Vielleicht kriegst du eine Gehirnerschütterung mit Blutungen und dein Neandertalergehirn schwillt an. … Sterilisation ist gar nicht nötig. … wer will schon so eine abscheuliche Missgeburt wie dich als Partner haben. Ja, Glückwunsch: Das sind die Geister, die Sie riefen! ({0}) Sie machen Menschen kaputt, Sie zerstören Leben. Sie sind die Letzten, die Meinungsfreiheit für sich beanspruchen können! Aber Sie sind erfolgreich darin, Hassfreiheit für sich zu beanspruchen. Glückwunsch! ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bereits im Januar 2021 hatten wir eine Aktuelle Stunde zu genau dem gleichen Thema. Damals ging es um Trump und die Sperrung seines Facebook-Accounts. Heute sollen wir hier im Parlament Kulisse für die Spitzenkandidatur von Frau Cotar für die bevorstehende Bundestagswahl sein. Das ist also alles sehr durchschaubar. ({0}) Regelmäßig versucht die AfD mit untauglichen Argumenten, die Meinungsfreiheit in unserem Land zu diskreditieren; das erleben wir auch wieder in dieser Aktuellen Stunde. Lassen Sie mich als letzten Redner in dieser Debatte die schlimmsten Falschaussagen hier kurz richtigstellen. Frau Cotar, von Ihnen kam der erste Redebeitrag. Sie sprachen von „Meinungsdiktatur 2021“. Völliger Blödsinn! ({1}) Die Meinungsdiktatur von rechts haben wir 1945 beendet – ich erinnere an den morgigen Tag der Befreiung, den die AfD natürlich bezeichnenderweise nicht begeht –, und die Meinungsdiktatur von links haben wir 1989 beendet. 2021 ist geprägt von Meinungsfreiheit und Demokratie. Philipp Amthor hat es richtig festgestellt: Widerspruch gegen eine Meinung ist keine Zensur und keine Begrenzung von Meinungsfreiheit, sondern einfach Ausdruck eines demokratischen Diskurses. Kollege Hoffmann hat in der Debatte das Prinzip der AfD dargestellt und ihre Stilmittel entlarvt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Meinungsfreiheit schützt nicht Hass und Hetze, sie schützt nicht Beleidigung und Verleumdung. Dafür, dass Betroffene ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht in diesem Bereich effektiv durchsetzen können, haben wir in Deutschland das Zivilrecht, das Strafrecht, das NetzDG und in Kürze auch den Digital Services Act; Kollegin Tabea Rößner hat darauf zu Recht hingewiesen. Die Meinungsfreiheit schützt keine unwahren Tatsachenbehauptungen, also keine Fake News. Es gibt kein Recht auf Fake News oder sogenannte alternative Fakten, wie es von der AfD immer wieder wahrheitswidrig behauptet wird. ({2}) Das, was die AfD diesbezüglich betreibt, ist schlichtweg Missbrauch der Meinungsfreiheit, und diesem begegnen wir gegenwärtig mit Medienkompetenz und Medienresilienz – beides ist ausbaufähig –; die Beispiele von Anke Domscheit-Berg haben das in dieser Debatte noch mal sehr eindrücklich gezeigt. Ich begrüße daher ausdrücklich den Europäischen Aktionsplan für Demokratie. Wir haben da drei Säulen: Stärkung der Medienfreiheit und des Medienpluralismus, Schutz der Integrität von Wahlen und die Bekämpfung von Desinformation. Schauen Sie sich das einfach mal an; das ist aus dem Dezember letzten Jahres. Meine Damen und Herren, die AfD ist digitaler Brandbeschleuniger von Fake News und Hass im Netz. Damit sich soziale Netzwerke nicht zu Handlangern dieser Brandstifter machen, haben wir nunmehr eine Forschungsklausel im NetzDG etabliert, die unseren Wissenschaftlern Auskunft über den Umfang dieser geistigen Brandstiftung und deren Art und Weise der Verbreitung gewähren. Die Behauptungen von der AfD, insbesondere heute von Frau Cotar und gestern von Herrn Brandner, dass Rundfunkräte oder gar Landesmedienanstalten die Meinungsfreiheit begrenzen, ist schlichtweg absurd, zumal man wissen sollte, dass in all diesen Gremien auch Vertreter der AfD zu finden sind. ({3}) Diese Einrichtungen sollen Meinungsvielfalt und Meinungspluralismus sichern – ein verfassungsrechtliches Gebot des Artikels 5 unseres Grundgesetzes. Dass die AfD Vielfalt bekämpft, ist in dieser Aktuellen Stunde mehr als deutlich geworden. ({4}) Sie fühlen sich in geschlossenen Benutzergruppen mit Echokammern wohl, wo Sie unwidersprochen Hass, Hetze und Unwahrheiten verbreiten können. ({5}) Ich verwehre mich gegen Verdrehungen der AfD, die die Gesetze zur Sicherung von Vielfalt und zum Erhalt von Meinungsfreiheit und der Pflege der Debattenkultur als Begrenzung der Meinungsfreiheit darstellen. Werte Kollegen der AfD, Sie erzählen hier, Jugendschutzvorschriften seien Zensur. Das ist schlichtweg schizophren, was Sie da behaupten. ({6}) Das GWB, das NetzDG, das Urheberrecht, der Medienstaatsvertrag: All diese Vorschriften sollen Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit stärken. Dafür treten wir als Unionsfraktion weiter ein. Das gilt insbesondere auch für die Wissenschaftsfreiheit. Ich bin dem Kollegen Ploß sehr dankbar, dass er das in dieser Debatte noch mal betont hat. Abschließend, liebe Frau Cotar: Ich lasse mir von der AfD nicht vorschreiben, ob ich am Sonntagabend einen „Tatort“ – und wenn ja, welchen – sehe. Der „Tatort“ aus Weimar ist mindestens so witzig wie der aus Münster. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende. ({7})