Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/21/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben heute im Kabinett den Jahresabrüstungsbericht beraten und auch beschlossen, und ich würde Ihnen gerne die Haltung der Bundesregierung dazu erläutern. Das Sicherheitsumfeld hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Insbesondere Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim, der Konflikt im Osten der Ukraine, Nordkoreas gefährliches Streben nach Nu­klearwaffen sowie die Krise um den INF-Vertrag machen uns allen schmerzhaft bewusst, dass Themen der Abrüstung, der Nichtverbreitung und der Rüstungskontrolle heute wieder ganz oben auf der politischen Tagesordnung stehen und auch stehen bleiben werden. Das zeigt auch der Jahresabrüstungsbericht 2017, den wir heute Morgen beschlossen haben. Der Bericht trägt diesen Entwicklungen Rechnung, und er zeigt Handlungsfelder auf, in denen die Bundesregierung in dieser Zeit mit konkreten Maßnahmen und Projekten reagiert hat. Die Bundesregierung sieht die wachsende Attraktivität von Nuklearwaffen und die sich daraus ergebenden weltweiten Aufrüstungstendenzen sowie die Belastungen für die bestehende Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur nicht erst seit heute mit großer Sorge. Dafür will ich einige Beispiele nennen. Im nuklearen Bereich stehen wir vor allem in Europa vor der Gefahr einer erneuten Aufrüstungsspirale. Jüngst hat Präsident Putin neue Waffensysteme angekündigt, die Russlands Nuklearfähigkeiten weiter ausbauen sollen. Damit stellt Russland die nach Ende des Kalten Krieges geschaffene internationale Rüstungskontrollarchitektur zunehmend infrage, und sie wird damit, wie wir finden, auch unterlaufen. Deshalb werden wir Russland weiterhin dazu auffordern, die im Raum stehenden, ernstzunehmenden Vorwürfe einer Verletzung des INF-Vertrages auszuräumen; denn für Europas Sicherheit ist seine vollständige Einhaltung zentral. Dafür wird sich die Bundesregierung in der kommenden Zeit ganz besonders starkmachen. Nordkoreas völkerrechtswidriges Nuklear- und Raketenprogramm mit einer Vielzahl von Tests in 2017 bedroht den Frieden und die Sicherheit nicht nur in der dortigen Region, sondern, wie wir finden, auch weltweit. Sie stellen die bislang größte Krise des nuklearen Nichtverbreitungsregimes dar. Dass gegenwärtig die beiden Koreas beginnen, miteinander zu sprechen, und es womöglich sogar zu direkten Gesprächen zwischen den USA und Nordkorea kommt, begrüßen wir deshalb außerordentlich. Doch zugleich ist klar: Die Gespräche können nur dann erfolgreich sein, wenn Nordkorea ernsthaft bereit ist, über den Rückbau seines völkerrechtswidrigen Raketen- und Nuklearprogramms zu verhandeln. Das sehen wir im Moment noch nicht. Dass es möglich ist, Profilerationskrisen mit diplomatischen Mitteln zu lösen, hat zum Beispiel die Wiener Nuklearvereinbarung mit dem Iran gezeigt; deren Fortbestand ist allerdings aktuell gefährdet. Die USA stellen ihre fortgesetzte Teilnahme an der Vereinbarung offen infrage, auch wenn kein Zweifel besteht, dass der Iran sich an die Wiener Nuklearvereinbarung hält. Das ist ein Thema, mit dem wir uns ganz besonders beschäftigen. Wir setzen uns mit allem Nachdruck gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und unseren anderen EU-Partnern weiter für den Erhalt und die vollständige Umsetzung dieser Vereinbarung ein. Bei all unseren Bemühungen behalten wir das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt im Blick, auch wenn in der gegenwärtigen Zeit der Weg dorthin von vielen Hindernissen gesäumt ist und eher länger als kürzer zu werden scheint. Der Nichtverbreitungsvertrag, dessen 50. Jubiläum wir in diesem Jahr feiern, bleibt dabei mit seinen drei Säulen der zentrale Eckpfeiler und Kompass unserer Bemühungen. Im Rahmen unseres schrittweisen Ansatzes engagieren wir uns intensiv für tatsächliche und nachprüfbare Fortschritte im Bereich der nuklearen Abrüstung. Besondere Anstrengungen unternehmen wir, um Verhandlungen über ein Verbot der Herstellung von Spaltmaterial für Waffenzwecke und Instrumente zur Verifikation von nuklearer Abrüstung vorzubereiten. Meine Damen und Herren Abgeordnete, wir haben, wie Sie sicherlich auch, mit Entsetzen den international verbotenen Einsatz eines Nervengiftes in Großbritannien zur Kenntnis genommen. Die Einschätzung der britischen Behörden über Russland als mutmaßlich Verantwortlichen teilen wir. Das haben wir zu Beginn der Woche beim Rat in Brüssel deutlich gemacht. ({0}) Auch den wiederholten und ungeahndeten Einsatz chemischer Waffen in Syrien halten wir nach wie vor für unerträglich. Die Bundesregierung wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass Chemiewaffenangriffe aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Das haben wir gerade Anfang der Woche mit unseren französischen Partnern intensiv erörtert. Letztlich stehen wir gemeinsam in der Pflicht, dem Chemiewaffenübereinkommen zu universeller Geltung zu verhelfen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Minister. – Die erste Frage stellt der Kollege Bijan Djir-Sarai. Bitte.

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Sie haben eben das Atomabkommen mit dem Iran angesprochen. Es ist bekannt, dass der US-Präsident kein Freund dieses Abkommens ist. Er hat mehrmals darauf hingewiesen, dass dieses Abkommen problematisch und fehlerhaft ist. Neulich war den Medien zu entnehmen, dass die Europäische Union, vor allem Deutschland, Frankreich und Großbritannien, das Atomabkommen mit dem Iran retten will und dass überlegt wird, Sanktionen gegen das iranische Raketenprogramm zu verhängen. Meine Frage lautet: Welche Sanktionen sollen das werden? Was würden sie konkret bedeuten? Und vor allem: Welche Raketenreichweiten wären betroffen? Wäre dieser Weg aus Ihrer Sicht eine Lösung, auch das gesamte Atomprogramm zu retten? Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Einen kleinen Moment Geduld, Herr Minister. Wir haben heute außerordentlich viele Fragen zum Bericht des Herrn Ministers und auch zu den anschließenden Themen. Ich bitte daher, an die Verabredung zu denken, eine Minute zu fragen und auch eine Minute zu antworten. Wir haben dazu eine kleine optische Unterstützung: Sobald es rot blinkt, ist die Frage- bzw. Antwortzeit überschritten. Bitte, Herr Minister.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, über den wir gerade sehr engagiert mit den Partnern, die Sie eben erwähnt haben, im Gespräch sind. Am 15. März hat in Berlin ein hochrangiges Treffen mit Vertretern Großbritanniens, Frankreichs, aber auch der Vereinigten Staaten stattgefunden, bei dem wir nach Wegen gesucht haben, aus dieser Situation herauszukommen. Sie wissen, dass Herr Präsident Trump ein Ultimatum gestellt hat sowie Fragen, die beantwortet werden sollen. Spätestens nach diesem durchaus konstruktiven Treffen ist uns noch einmal klargeworden, dass ein gutes Stück Arbeit vor uns liegt, ohne Ihnen jetzt konkret und im Detail Ausführungen machen zu können, an welcher Stelle es noch einmal Veränderungen geben wird. Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass diese Vereinbarung seit über zwei Jahren erfolgreich umgesetzt wird und sich die iranische Seite an das hält, was in der Vereinbarung steht. Wir sind derzeit zugegebenermaßen über die Rolle des Irans in der Region in anderen Zusammenhängen eher besorgt. Das steht aber nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Vereinbarung. Wir haben am Montag im Rat in Brüssel auch darüber geredet, ob es notwendig sein wird, unabhängig von der Nuklearvereinbarung Maßnahmen gegenüber dem Iran zu ergreifen. Die können zum Beispiel darin bestehen, dass einzelne Gruppen, Einzelpersonen gelistet werden. Das ist ein Thema, mit dem wir uns – so haben wir es vereinbart – weiter beschäftigen wollen, weil wir dies auch innerhalb der Europäischen Union miteinander abstimmen wollen. Darüber hinausgehend kann ich –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Minister.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

– nicht konkreter werden, da wir uns im Moment in einer Phase befinden, in der vieles, so auch die Reichweite von Raketen, unkonkret ist. Aber all das wird sehr intensiv in dem Format, das ich eben beschrieben habe, weiter besprochen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Stefan Liebich.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Außenminister, Sie haben am Beginn Ihres Berichtes eine Reihe von Konflikten benannt, bei denen Abrüstung und Rüstungskontrolle aus Ihrer Sicht helfen können. Einen Konflikt haben Sie nicht benannt: den Krieg im Jemen. Da kann Deutschland ganz direkt etwas tun. Die Koalitionsfraktionen haben in Aussicht gestellt, dass sie künftig keine Waffen mehr an Länder liefern wollen, die unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Was uns brennend interessiert, ist: Welche Länder sind das denn? Wir haben bereits im Plenum danach gefragt. Ich habe Ihr Haus danach gefragt und keine Antwort auf die Frage bekommen: Welche Länder sind aus Sicht der Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar am Jemen-Krieg beteiligt?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Herr Abgeordneter, das ist ein Thema, mit dem wir uns in der Bundesregierung zurzeit sehr intensiv beschäftigen. Neben Saudi-Arabien sind in erster Linie die Vereinigten Emirate an Militäroperationen beteiligt. Darüber hinaus ist eine Reihe von Staaten in unterschiedlicher Art und Weise in den Konflikt einbezogen. Die Unterstützung reicht von ideeller Unterstützung bis zu substanzieller militärischer Beteiligung. Wir haben uns diese Frage vorgenommen. Wer aber am Schluss von uns als Beteiligter wahrgenommen wird, weil die geleistete Unterstützung ein bestimmtes Maß überschreitet, kann ich Ihnen – über die genannten Länder hinaus – im Moment nicht konkret sagen, weil wir die Lage noch nicht abschließend bewertet haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Brugger.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich teile ja alle Ihre Sorgen und Ausführungen zur Bedrohung durch die russische Seite mit Blick auf die Nuklearfrage. Nun ist gerade unter US-Präsident Donald Trump eine neue Nuclear Posture Review verabschiedet worden, die eine absolute Abkehr von dem, was Präsident Obama getan hat, bedeutet. Sie bedeutet eine Verschärfung und die Entwicklung neuer nuklearer Fähigkeiten. Auch das ist doch eigentlich Anlass zur Sorge und ein Beitrag zu einer nuklearen Aufrüstungsspirale. Daher meine Frage: Wie ist die Position der Bundesregierung dazu? Ich frage vor allem vor dem Hintergrund, dass im Zusammenhang mit dieser Strategie immer so getan wird, als seien die NATO-Partner damit einverstanden, und im Rahmen der nuklearen Teilhabe US-amerikanische Atomwaffen in Büchel gelagert sind, die jetzt mit einer nicht geringen Summe Steuergeld modernisiert werden sollen.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sie haben auf die Veränderungen, die es in den Vereinigten Staaten gibt, hingewiesen. Hintergrund dessen, was Sie angesprochen haben, ist, dass in den USA festgestellt wird, dass sich das sicherheitspolitische Umfeld erheblich verschlechtert hat. Die USA begründen ihre Nuklearstrategie mit dieser Veränderung der sicherheitspolitischen Lage und den neuen Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Für uns ergibt sich daraus die Frage: Wie gehen wir damit um? Wir sehen, dass das nicht unproblematisch ist, und wir befinden uns dazu in Gesprächen mit unseren Partnern. Wir sehen aber auch, dass sich die USA für eine Fortsetzung des Dialogs mit Russland zur Klärung offener Fragen einsetzen, etwa durch Nutzung bilateraler Kanäle wie die Gespräche zur strategischen Stabilität. Wir sind der Auffassung, dass die deutsche Bundesregierung darauf drängen soll, dass dieses Format unterstützt wird. Wir werden aber auch aktiv für konkrete Schritte bei der nuklearen Abrüstung eintreten. Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgelegt, und das werden wir auch gegenüber unseren amerikanischen Partnern deutlich machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich bin sehr froh, dass wir heute diesen Themenbereich behandeln. Erst in der vorletzten Sitzungswoche haben wir ja hier über die Krise des INF-Vertrages gesprochen. Unter anderem ist festgestellt worden, dass die Kündigung des Vertrages zur Begrenzung der Raketenabwehr ein Motiv für die Krise des INF-Vertrages sein könnte. Deswegen würde ich gerne überleiten zu einer Initiative, die der frühere Außenminister Steinmeier auf den Weg gebracht hat: die Überprüfung der Kontrolle der konventionellen Abrüstung und der Rüstungskontrolle. Das könnte, von Deutschland ausgehend, ein wichtiger Markstein für die Begrenzung der atomaren Waffensysteme sein. Wird sich die Bundesregierung weiter für die konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa einsetzen?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Die Bundesregierung wird dies tun, weil wir das nach wie vor für richtig und für notwendig halten. Aufgrund der Entwicklungen, die in dem Jahresabrüstungsbericht deutlich werden – wir befinden uns ja in Wahrheit eher in einer Phase der globalen Aufrüstung –, sind wir der Auffassung, dass wir unsere Initiativen auf unterschiedlichen Gebieten eher verstärken müssen. Wir müssen auch über neue Formate nachdenken, in denen wir etwa über die Initiative, die Sie angesprochen haben, noch einmal beraten können. Möglicherweise müssen wir auch neue Regeln und neue Regelwerke finden. Das ist eines der Themen, über die ich am Montag auf europäischer Ebene mit einigen Kolleginnen und Kollegen Außenminister gesprochen habe. Es gab da sehr viel Zustimmung. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass nicht nur wir als Bundesregierung, sondern wir gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union dieses Thema effektiv voranbringen können, was wir selbstverständlich auch wollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Hampel.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, Sie sind gerade auf die Ankündigung von Präsident Putin bezüglich einer Modernisierung seiner Nuklearwaffen eingegangen. Nun hat er uns unlängst einen Wink in die andere Richtung gegeben, indem er umfassende Abrüstungsvorschläge auch im nuklearen Bereich gemacht hat. Ist man in der Kabinettssitzung darauf eingegangen? Sehen Sie das nur als Propaganda, oder nimmt man das ernst in Ihrem Kabinett?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Jeder, der einen ernsthaften Beitrag dazu leistet, dass es zu weiteren Abrüstungsschritten kommt, wird ernst genommen, und wir würden den Ball auch gerne aufnehmen. Nachdem wir aber gesehen haben, dass neue Raketenarten vorgestellt wurden, sind wir relativ zurückhaltend bei der Bewertung der Ernsthaftigkeit einer solchen Initiative. Aber auch das wird in den kommenden Wochen und Monaten in Gesprächen sicherlich weiter zu eruieren sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Jürgen Hardt.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, Sie sind in Ihrem Bericht auf das Thema „Chemischer Kampfstoffeinsatz gegenüber einem ehemaligen Doppelagenten in Großbritannien“ eingegangen. Mich würde interessieren, welche konkreten Schritte auf zwei Ebenen geplant sind. Erstens ist ja die Frage, ob Russland tatsächlich hinter dem Anschlag steht – Klammer auf: Da ist die Beweislage sicherlich noch nicht ausreichend. Zum Zweiten geht es um die – mit Sicherheit – Verantwortung Russlands dafür, dass dieser chemische Kampfstoff, der ja eigentlich gemäß Chemiewaffenübereinkommen weder produziert noch gelagert werden darf, überhaupt in der Welt ist. Welche konkreten Schritte müssen jetzt von wem unternommen werden, etwa von der Aufsichtsbehörde in Den Haag oder von anderen internationalen Gremien, um an diesem Punkt für mehr Aufklärung zu sorgen und Russland gegebenenfalls auch international zur Kooperation zu zwingen?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Das ist ein Thema, das im Rat der Außenminister am Montag auf der Tagesordnung stand. Der britische Außenminister Boris Johnson hat dazu noch einmal vorgetragen, auch sehr detailliert, was die Beweislage angeht. Bei dem verwendeten Nervengift – das ist mittlerweile klar – handelt es sich um einen Kampfstoff, der in den 70er-Jahren in der Sowjetunion entwickelt worden ist und zu dem nachweislich bis in die 90er-Jahre geforscht wurde. Die russischen Verantwortlichen haben, nachdem sie von der britischen Regierung aufgefordert worden sind, sich dazu zu verhalten, zunächst einmal darauf hingewiesen, dass es in Russland keine Bestände mehr gebe. Dann ist darauf hingewiesen worden, dass es möglicherweise doch Bestände gebe, die irgendwo übrig geblieben seien. Insofern ist die Indizienlage so, dass wir im Moment davon ausgehen, dass es keine alternative plausible Erklärung dazu gibt, dass hier im Verantwortungsbereich von Russland zu suchen ist. Wir werden uns, zusammen mit dem britischen Kollegen, um weitere Aufklärungsschritte bemühen. Allerdings wird dies nur möglich sein, wenn die russischen Verantwortlichen und Behörden sich daran konstruktiv beteiligen. Davon kann bisher keine Rede sein. Solange dies aber nicht geklärt ist, wird es außerordentlich schwierig sein, über weitere Maßnahmen zu reden. Auch das ist im Rat in Brüssel diskutiert worden. Dort bestand aber die einhellige Auffassung, dass man noch etwas Zeit braucht, um die Beweislage zu verdichten. Deshalb gab es am Montag auch keinerlei Beschlüsse, weitere Maßnahmen zu ergreifen, sei es die Ausweisung von Diplomaten oder was auch immer; das ist dort auch gar nicht mehr aufgerufen worden. Vielmehr wollen wir die Beweislage weiter klären und behalten uns vor, uns dann, wenn diese geklärt ist, noch einmal damit auseinanderzusetzen, wie wir damit umgehen. Wichtig ist vor allen Dingen gewesen, dass es eine geschlossene Reaktion der Europäischen Union gegeben hat. Diese ist den Beschlüssen, die am Montag gefasst worden sind, eindeutig zu entnehmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind immer noch bei Fragen zu dem Themenbereich, zu dem berichtet wurde. Ich mache darauf aufmerksam, dass ich auch zu den anderen zwei Blöcken, die im Rahmen dieser Befragung auf der Tagesordnung stehen, schon zahlreiche Anmeldungen habe. Deshalb bitte ich sowohl die Fragesteller als auch die Antwortenden, Rücksicht auf unser Zeitregime zu nehmen. Die nächste Frage stellt die Kollegin Vogler.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, weiterhin das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt im Auge zu behalten. Auch Sie haben das gerade bei der Vorstellung des Jahresabrüstungsberichts noch einmal betont. Deshalb erstaunt es uns umso mehr, dass wir bisher noch keinerlei konkrete Schritte der Bundesregierung dahin gehend feststellen konnten, sodass wir bisher den Eindruck haben, dass Sie, wenn Sie über nukleare Abrüstung reden, immer nur die anderen meinen. Halten Sie das wirklich für eine kluge Strategie, nicht wenigstens die eigenen Schritte, die man machen könnte – zum Beispiel Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag, Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO, Abzug der Atomwaffen von deutschem Boden oder auch nur, als klitzekleiner Schritt, das Ende der Urananreicherung in der Bundesrepublik Deutschland –, zu gehen?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich habe in meinem Bericht eingangs eine Vielzahl von Initiativen angesprochen, die wir bereits ergriffen haben und die wir auch weiter fortsetzen werden. Ich will etwas zu der Frage sagen, warum wir den Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterzeichnen. Nach unserer Auffassung ist es effektiv sinnvoller, schrittweise Abrüstungsschritte mit dem Ziel zu gehen, den Nichtverbreitungsvertrag als Eckpfeiler der nuklearen Abrüstung und der Nichtverbreitungsarchitektur zu stärken. Ein sofortiges Atomwaffenverbot ohne absolut zuverlässige Verifikationsmechanismen – daran fehlt es ganz offensichtlich – wäre diesem Ziel nach unserer Auffassung nicht zuträglich. Ein Kernwaffenverbotsvertrag, der die Kernwaffenstaaten nicht einbindet – das ist ja das Problem an dieser Stelle – und damit auch das sicherheitspolitische Umfeld nicht berücksichtigt, ist nach unserer Auffassung nicht zielführend, und deshalb sind wir diesen Schritt bisher auch nicht gegangen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Ich knüpfe an die Frage von eben an. Wir teilen ja die Sorge um die Tendenz einer nuklearen Aufrüstung. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Bundesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag trotzdem komplett ignoriert. Sie war bei der Abstimmung nicht einmal als Gast anwesend. Eine Enthaltung hätte ja immerhin ein politisches Signal sein können. Der Grund für den Atomwaffenverbotsvertrag ist ja gerade, dass es eben keine kleinen Schritte in Richtung Abrüstung mehr gibt, sondern viel mehr Schritte in Richtung Aufrüstung. Deswegen haben wir alle ein Interesse an einem auch politischen Symbol. Ich frage Sie deshalb: Welche Ausstrahlungswirkung, glauben Sie, wird der Boykott dieses Atomwaffenverbotsvertrages auf Staaten haben, die möglicherweise beabsichtigen, sich Atomwaffen anzuschaffen oder Atomwaffen herzustellen? Vor allen Dingen: Wie will die Bundesregierung jetzt, da der Vertrag in der Welt ist, weiter damit umgehen? Will sie diesen Vertrag auch zukünftig komplett ignorieren? Was ist das für ein Zeichen in die Welt?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich kann nur wiederholen: Ein Verbotsvertrag wird ohne Beteiligung derjenigen, die im Besitz dieser Waffen sind, nicht zur Vernichtung eines einzigen nuklearen Sprengkopfes führen. Der Atomwaffenverbotsvertrag sieht keine Beschränkung zur Herstellung von spaltbarem Material für Waffenzwecke vor und fällt mit seinen überalterten und unzureichenden Inspektions- und Verifikationsmöglichkeiten weit hinter die aus Sicht der Bundesregierung geltenden Standards im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages zurück. Deshalb würden wir mit einem solchen Abkommen den Nichtverbreitungsvertrag eher schwächen, und das wollen wir nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Alexander Müller.

Alexander Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004828, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, wir haben mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass Sie beabsichtigen, den INF-Vertrag zu retten oder zumindest mit diplomatischen Aktivitäten zu unterstützen. Ich würde gerne konkret fragen: Welche Aktivitäten nimmt die Bundesregierung dafür in Angriff? Welche Pläne hat die Bundesregierung? Gibt es vielleicht auch Pläne zur Erweiterung des INF-Vertrages auf multilateraler Basis, das heißt, versucht man, Länder wie Indien, Pakistan und China hier mit hineinzunehmen, um den Vertrag noch mehr zu stärken?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Das würde ich durchaus als einen konstruktiven Weg begreifen. Wir haben insgesamt ein unmittelbares Interesse daran, dass dieser Vertrag voll und ganz eingehalten wird. Letztlich glauben wir, dass er Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa hat. Deshalb werden wir alle uns zur Verfügung stehenden Gesprächskanäle nutzen, um für eine Bewahrung und die Einhaltung des Vertrages zu werben. An dieser Stelle – auch das muss man sagen – ist insbesondere auch Moskau gefordert, sich auf einen ernsthaften Gesprächsprozess einzulassen und die im Raum stehenden Vorwürfe, dass nämlich der INF-Vertrag von der russischen Seite massiv verletzt wird, auszuräumen. Das ist für uns wichtig, bevor wir sozusagen den Kreis derjenigen, die sich damit befassen, erweitern wollen. Es ist für uns zentral, dass die Gespräche zur strategischen Stabilität zwischen den USA und Russland weiter stattfinden und die entsprechenden Gesprächskanäle auf beiden Seiten offen bleiben. Auch das ist kein Automatismus. Klar ist aber auch, dass diese Bereitschaft nicht unbegrenzt sein wird, sollten die Fortschritte ausbleiben. Deshalb werden wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten, die wir nicht überschätzen, aber die wir durchaus sehen, an diesen Gesprächen beteiligen und auch den Druck dort, wo es notwendig ist, aufrechterhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellte die Abgeordnete Heike Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, danke schön. – Herr Minister, nun hat ja die SPD im Wahlkampf immer beteuert, dass sie das 2-Prozent-Ziel der NATO, also das Aufrüstungsziel, nicht unterstützen wird. Ihr Vorgänger im Amt, Sigmar Gabriel, hat sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu diesen Aufrüstungsbestrebungen ganz kritisch geäußert. Er sagte, dass er es sich nicht vorstellen kann, dass die europäischen Nachbarstaaten mit einem 70-Milliarden-Euro-Haushalt der Bundesregierung im Rüstungs- und Militärbereich irgendwie beruhigt sein könnten. Meine Frage ist: Wie positionieren Sie sich jetzt als neuer SPD-Außenminister zu diesem NATO-Ziel? Im Koalitionsvertrag steht, es würde nach wie vor der NATO-­Korridor der Aufrüstung verfolgt. Wie sehen Sie das Aufrüstungsziel von 2 Prozent in dieser Legislatur?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Für die Bundesregierung ist es nicht in erster Linie eine Frage der Aufrüstung, sondern eine Frage der Ausrüstung der Bundeswehr. Dass wir dort Nachholbedarf haben, ist, glaube ich, unbestreitbar. Das ist ein Thema, mit dem wir uns auch in den Haushaltsberatungen, die bald stattfinden werden, intensiv beschäftigen werden. Für uns hat oberste Priorität, die Ausrüstung der Bundeswehr zu verbessern. Wir wollen uns nicht an Aufrüstungsspiralen beteiligen. Wir sind auch der Auffassung, dass die Korridore, die es innerhalb der NATO gibt, von uns berücksichtigt werden und dass das nicht damit gleichzusetzen ist, dass wir uns in Deutschland bei den Verteidigungsausgaben Vorwürfen, an einer Aufrüstungsspirale zu drehen, aussetzen würden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie schreiben in der Koalitionsvereinbarung, Sie wollten sich für nukleare Abrüstung einsetzen. Gleichzeitig erklären Sie, Sie würden die hier stationierten taktischen Atomwaffen und deren Trägersysteme modernisieren wollen. Sie sagen hier, Sie seien gegen Proliferation von spaltbarem Material. Aber Sie sehen zu, wie eine deutsche Firma namens Urenco Material zur Produktion von Tritium liefert, um die US-Atomwaffen zu modernisieren. Wenn ich das zusammenfasse, müsste ich das „bigott“ nennen. Aber wenn ich das, was Sie sagen, ernst nehme, dann muss ich doch die Frage stellen: Wenn Sie sich wirklich Sorgen um den INF-Vertrag machen: Sind Sie eigentlich bereit, zum Beispiel mit Russland über einen Deal zu sprechen? Also: Die NATO baut den Raketenabwehrschirm ab, und ihr, liebe Russen, unterlasst die Stationierung der Mittelstreckenraketen, die ihr vorhabt. – Das wäre doch auch im Sinne der Beidseitigkeit, die der Kollege Mützenich immer so betont, ein angemessener Deal.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Bei Deals mit Russland empfehle ich Vorsicht. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir mit Blick auf die Ziele der nuklearen Abrüstung nicht in erster Linie mit Einzelmaßnahmen, auch mit denen, die unser Land betreffen, weiterkommen werden, sondern dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten in der internationalen Gemeinschaft dafür werben und Druck machen müssen. Das tun wir – ich habe dafür viele Beispiele genannt – sowohl gegenüber den Vereinigten Staaten, weil sich dort die Dinge mit Bezug auf die veränderte Sicherheitslage im Moment verändern, als auch gegenüber Russland. Insofern werden wir unser Engagement in den internationalen Kontext einbetten. Mit einzelnen Deals mit anderen, glaube ich, werden wir zu keiner Lösung kommen, mit der das Ziel, das anscheinend alle verfolgen, nämlich eine Aufrüstungsspirale zu vermeiden und stattdessen tatsächlich abzurüsten, insbesondere bei den nuklearen Potenzialen, erreicht wird. Deshalb sagen wir: Wir agieren eher im internationalen Kontext und weniger mit bilateralen Initiativen, die die Sache eher erschweren würden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich habe jetzt noch vier Wortmeldungen zum Bericht des Herrn Bundesministers und zahlreiche Fragen zu sonstigen Themen der heutigen Kabinettssitzung und sonstige Fragen an die Bundesregierung. Sie wissen, ich kann die Zeit für die Befragung verlängern. Das geht aber auf Kosten der vereinbarten Zeit für die Fragestunde. Ich bitte also all diejenigen, die sich zu Wort gemeldet haben, für sich abzuwägen, welche Interessen sie da voranstellen. Die nächste Frage stellt die Kollegin Sevim Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Minister, Sie haben gesagt, dass Sie sich für nukleare Abrüstung einsetzen wollen. Dazu kann ich mich Herrn Trittin anschließen: Zu der Modernisierung der US-Atombomben in Deutschland, die die Bundesregierung ja unterstützt, würde ich Sie gerne fragen, wie die nukleare Teilhabe Deutschlands in Zukunft aussehen soll. Das Zweite ist: Laut Koalitionsvertrag sollen die Ausgaben für Rüstung und Militär bis zum Jahr 2024 auf dem Niveau von Russland sein. Sie haben letztes Jahr schon in der Großen Koalition die Ausgaben für Rüstung und Militär um 8 Prozent auf 37 Milliarden Euro pro Jahr erhöht. Diese Ausgaben sollen jetzt weiter steigen und bis 2024 auf ungefähr 70 Milliarden Euro – der damalige SPD-Kanzlerkandidat sprach sogar von 75 Milliarden Euro – erhöht werden. Insofern würde ich gerne wissen: Wie, glauben Sie, wird es international wahrgenommen, wenn Deutschland genauso viel Geld für Rüstung und Militär ausgibt, wie es die Russen tun?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ob Deutschland genauso hohe Militärausgaben hat wie Russland, wage ich mal zu bezweifeln. Es wird ganz sicherlich notwendig sein, in die Bundeswehr und in die deutschen Streitkräfte zu investieren. Das ergibt sich auch aus einem Investitionsstau, den es dort seit langen Jahren gibt. Das haben wir im Koalitionsvertrag so vereinbart, und das werden wir bei den jetzt anstehenden Haushaltsberatungen auch konsequent umsetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie haben den Schwerpunkt Ihres Berichts zum Jahresab­rüstungsbericht auf den nuklearen Teil gelegt und insbesondere auf multilaterale Möglichkeiten hingewiesen, gerade die nukleare Aufrüstung zu begrenzen. Sehen Sie gerade auch in der Bewerbung Deutschlands für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat eine Chance, für Abrüstung und Rüstungskontrolle in diesem wichtigen Weltgremium zu werben?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ja, das sehe ich sehr wohl. Deshalb haben wir schon vor vielen Jahren erklärt, dass wir uns in einem Abstand von jeweils acht Jahren um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bewerben werden. Dass wir dazu eine entsprechende Agenda haben, ist, glaube ich, allen bekannt, und dass das Thema Abrüstung dabei einen großen Stellenwert einnimmt, ergibt sich auch aus dem Koalitionsvertrag. Aufgrund der Tatsache, dass wir uns im Moment in einer Phase der globalen Aufrüstung befinden, wäre es umso notwendiger, als ein Staat im UNO-Sicherheitsrat vertreten zu sein, der dort diese Themen noch einmal besonders prominent platzieren könnte. Das würde auch dazu führen, dass viele Dinge, die hier angesprochen oder vorgeschlagen worden sind und die die Bundesregierung als Initiative übernehmen könnte, in einem solchen Gremium an prominenter Stelle platziert würden. Deshalb würden wir uns freuen, wenn wir den nichtständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat bekommen könnten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Brugger.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigen Sie, Herr Minister, aber ich werde jetzt ein bisschen ungeduldig. Sie haben davon gesprochen, dass die Bundesregierung eine nuklearwaffenfreie Welt will. Ich erinnere an die Ankündigungen im Koalitionsvertrag: Man will sich an der nuklearen Abrüstung beteiligen. Sie haben gesagt, Sie hätten so viele Beispiele dafür genannt. Ich habe kein einziges gehört. Im Gegenteil: Wir vernehmen hier, dass Sie zum Atomwaffenverbotsvertrag Nein sagen. Wir vernehmen, dass Sie auch zu anderen Vorschlägen hier immer Nein sagen. Es gab auch einen Bundestagsbeschluss, von dem sich die CDU/CSU, die SPD und auch die FDP verabschiedet haben. Damit wollten wir alle den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland als Beitrag zur nuklearen Abrüstung. Deshalb die Frage: Was sind Ihre konkreten Ideen? Was will Deutschland eigentlich wirklich tun? Und sind Sie, wenn Sie schon nicht den Abzug wollen, nicht wenigstens dazu bereit, die Modernisierungspläne für diese Atomwaffen einzustellen, vor dem Hintergrund, dass auch die USA sich an einer nuklearen Aufrüstungsspirale beteiligen? ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie die Antworten, die ich bisher gegeben habe, nicht zufriedenstellen. Das mag mit dem Inhalt der Antworten zusammenhängen; es ändert aber nichts daran, dass wir das, was wir in unserem Koalitionsvertrag beschlossen haben, und auch die internationalen Verpflichtungen, die wir übernommen haben, in Zukunft weiterhin respektieren werden. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir nicht durch eigene, einzelne oder bilaterale, Maßnahmen, durch Deals mit anderen wesentlich weiterkommen. Vielmehr wollen wir uns im Gefüge der Formate, die es gibt – vielleicht sogar auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen –, für diese Themen einsetzen. Das werden wir konsequent fortsetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage zum Bericht des Herrn Ministers stellt die Kollegin Keul. – Damit gehen wir – ich mache darauf aufmerksam – in die Verlängerung.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Maas, Sie haben nicht nur keine konkreten Schritte genannt, die die Bundesregierung gehen will. Vielmehr bezeichnen Sie jeden Ansatz und jede Initiative für einen Abrüstungsvertrag als Deal. Ich frage mich: Wie wollen Sie denn sonst Abrüstungsverträge schließen, wenn nicht mit einem Deal? ({0}) Vor allen Dingen, mit wem, wenn nicht mit Russland? Bekanntlich muss man Abrüstung mit seinem Gegner vereinbaren und nicht mit seinen Bündnispartnern. Deswegen wundere ich mich sehr, dass Sie hier jeden Deal ablehnen, und frage mich, ob das bedeutet, dass es keinerlei Vertragsinitiativen mehr geben soll. Das finde ich doch schon sehr erstaunlich. Der Kollege Trittin hat ge­rade einen Vorschlag gemacht: Gehen wir ein Stück zurück und machen zuerst Vorschläge, bevor wir Missile Defense abziehen. Wir bieten den Russen an, Missile Defense zu inspizieren und sich zu vergewissern, dass dieses Raketenabwehrsystem nicht, wie die Russen behaupten, mit Tomahawk-Raketen bestückt werden kann und den INF-Vertrag nicht verletzt. Umgekehrt bekommen wir von den Russen entsprechende Inspektionsmöglichkeiten. Das wäre doch einmal eine vertrauensbildende Maßnahme. Was halten Sie davon? ({1})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich bleibe dabei, dass wir eine Linie verfolgen werden, die darauf setzt, dass wir uns – im Übrigen auch im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – gemeinsam bewegen. Wir können nicht permanent Geschlossenheit in der Europäischen Union bei den großen politischen Herausforderungen einfordern und uns dann bei Einzelfragen bilateral committen. ({0}) Den Begriff des Deals habe nicht ich hier eingeführt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ein Deal, den Deutschland mit Russland schließen würde, nicht zu kontraproduktiven Ergebnissen etwa auf der amerikanischen Seite führen würde. Dass ein solcher Deal etwas in Bewegung bringt und dass auch die Vereinigten Staaten einer solchen Regelung folgen werden oder über bestimmte Dinge im Rahmen ihrer eigenen Nuklearstrategie erneut nachdenken, halte ich angesichts dessen, was wir gerade in den USA erleben, für nicht wahrscheinlich. Deshalb ist das für uns kein vernünftiger Weg. Wir werden uns in den Formaten bewegen, wie es bisher der Fall ist. Ich glaube, dass bilaterale Abkommen am Schluss eher kontraproduktiv sein könnten. Dieses Risiko werden wir nicht eingehen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen jetzt zu dem Bereich anderer Themen der heutigen Kabinettssitzung. Zur Fragestellung hat das Wort der Abgeordnete Hansjörg Müller.

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Herr Minister, zu den Wahlen in Russland sagen Sie: Die Ergebnisse haben uns ebenso wenig überrascht wie die Bedingungen, unter denen sie zustande gekommen sind. – Ich finde das interessant. Sie haben in Deutschland durch Ihr Zensurgesetz die Meinungsfreiheit abgeschafft und belehren Russland in Sachen Demokratie. In Ihrer Antrittsrede haben Sie noch eine Schippe draufgelegt: Sie sprechen von der angeblich völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der angeblich andauernden Aggression Russlands in der Ukraine. Warum blenden Sie aus, dass dem ein völkerrechtswidriger Putsch, der vom Westen organisiert und finanziert wurde, gegen den damaligen demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten Janukowytsch vorangegangen ist? Mit Ihrer antirussischen Rhetorik treiben Sie uns – das möchte ich Ihnen einfach einmal sagen – in einen Krieg gegen Russland. Das liegt nicht im deutschen Interesse, Herr Minister Maas. Deswegen frage ich Sie: In welchem Auftrag handeln Sie wirklich? Ist es die Atlantik-Brücke, oder ist es der German Marshall Fund? ({0}) Danke.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Das war keine Frage, sondern eher die Preisgabe eines etwas verqueren Weltbildes. ({0}) Ich weiß nicht, ob ich das beantworten muss. Nur so viel: Dass es sich bei der Krim um eine völkerrechtswidrige Annexion handelt, ist in der internationalen Gemeinschaft relativ unbestritten. Insofern ist es wichtig, dass wir, nachdem am vergangenen Sonntag der vierte Jahrestag dieser völkerrechtswidrigen Annexion war, das noch einmal sehr deutlich sagen, im Übrigen auch im Kreis der europäischen Außenminister. Nun zur Wahl. Dass das Ergebnis nicht ganz überraschend gewesen ist – da bin ich nicht der Einzige, der das so empfunden hat. Es ist zudem eine Tatsache, dass bestimmte Oppositionskandidaten gar nicht zur Wahl zugelassen wurden, weil sie sich nicht mehr in Freiheit befinden. Auch die OSZE hat auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Ich finde schon, dass es auch aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland richtig ist, darauf hinzuweisen; denn im Moment gibt es ja auch andere Dinge im Zusammenhang mit Russland. Ich erinnere an das, was in Großbritannien mit diesem Giftanschlag geschehen ist. Wir sind nicht bereit, das einfach so hinzunehmen oder so zu akzeptieren. Deshalb finde auch ich, dass in Richtung Russland gerade im Moment eine klare Sprache mehr als angesagt ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung stellt der Abgeordnete Leif-Erik Holm.

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Herr Minister, durch den Einmarsch der Türkei in Syrien sind derzeit 150 000 Menschen auf der Flucht. Allein in den letzten drei Tagen sind 50 000 hinzugekommen. Zahlreiche Zivilisten sind getötet worden. Wir haben gerade von der Krim gesprochen. Die Türkei redet hier von einer Selbstverteidigung. Man kann das aber mit guten Argumenten sicherlich auch als Angriff auf die territoriale Integrität Syriens begreifen. Bezeichnen Sie als Außenminister der neuen Bundesregierung ebenso wie die AfD-Fraktion den Einmarsch der Türkei in Syrien als völkerrechtswidrig?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Für uns haben oberste Priorität auch in diesem Zusammenhang die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Schutz von Leib und Leben der Zivilbevölkerung in Afrin. Hierbei ist auch die Türkei in der Pflicht. Was immer die Türkei unternimmt, muss sich im völkerrechtlichen Rahmen bewegen, und zwar im Rahmen des Erforderlichen und des Verhältnismäßigen. Dabei haben wir gerade in Anbetracht der jüngsten Entwicklung durchaus Zweifel. Sollte es darüber hinaus zu einer dauerhaften Besetzung kommen, würde dies eine neue Realität schaffen, auch hinsichtlich der Frage, inwieweit Völkerrecht verletzt ist oder nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich muss mich jetzt vergewissern: Herr Bystron, auch Sie sind Fragesteller zum zweiten Bereich – sonstige Themen der Kabinettssitzung –, und Sie wollen keine darüber hinausgehende Frage an die Bundesregierung stellen?

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut; dann haben Sie jetzt das Wort.

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Außenminister, Sie haben in Ihrem Vortrag gleich am Anfang ausgeführt, dass es eine große Gefahr gibt, dass es zu weiteren Eskalationen mit Russland kommt. Im zweiten Teil Ihres Vortrages haben Sie den Fall Skripal angesprochen, der ebenfalls zu einer weiteren Eskalation führen kann. Sie haben in diesem Zusammenhang aber erwähnt, dass sich die deutsche Bundesregierung sehr schnell der britischen Interpretation angeschlossen hat, dass Russland für dieses Attentat verantwortlich ist. Auf Anfragen von Kollegen haben Sie ausgeführt, der Beweis dafür, für diese Entscheidung, sei, dass das benutzte Nervengas zwischen den 1970er- und den 1990er-Jahren in der Sow­jetunion hergestellt wurde. Das wirft gleich mehrere Fragen auf, zum Beispiel: Wäre der Doppelagent mit einer amerikanischen Waffe getötet worden, würden Sie dann auch sofort sagen: „Die Amerikaner sind schuld“? Oder: Wäre es für Russland, wenn sie diesen Doppelagenten wirklich töten wollten, nicht einfacher, ihn auf eine andere Art und Weise umzubringen? Oder: Warum schießen Sie auf Russland, obwohl die Sowjetunion aus 15 Unionsrepubliken bestand, und nicht auf eine andere Nachfolgerepublik? Daher ist meine Frage – insbesondere an Sie als ehemaligen Justizminister –: Sollte es nicht „in dubio pro reo“ heißen? Sollte die Bundesregierung nicht im Sinne der Deeskalation erst einmal auf wirklich belastbare Beweise warten, bevor sie sich entschließt, den Engländern zu folgen? Danke schön. ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Also, ich schieße hier auf niemanden, sondern ich rede über den Jahresabrüstungsbericht. Ich kann Ihnen gegenüber nur wiederholen, dass uns die britischen Kollegen über die Informationen, die sie haben, sehr detailliert informiert haben, dass das eine sehr plausible Indizienkette ist, dass die russische Seite aufgefordert worden ist, zur Aufklärung beizutragen, und dass sie dies bisher nicht getan hat, sondern dass sie sich, wie ich finde, teilweise sogar sehr unangemessen geäußert hat. Es wäre relativ einfach: Wenn es Beweise dafür gibt, dass es keine russische Verantwortung gibt, dann müssen diese Beweise auch auf den Tisch gelegt werden. Das hat Russland bisher komplett unterlassen. Auch das muss in die Bewertung einbezogen werden. Deshalb ist die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in dieser Woche zu dem Ergebnis gekommen, dass wir nach dem, was wir bisher wissen, nach der Weigerung der russischen Seite, sich an einer weiteren Aufklärung zu beteiligen, uns in Schulterschluss zu der Regierung in Großbritannien begeben und das auch in Zukunft deutlich machen werden. Wenn die russische Seite entlastendes Beweismaterial hat, soll sie es endlich vorlegen. Wenn sie das nicht tut, scheint das auch einen Grund zu haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung stellt der Kollege Trittin, und dann kommen wir zu sonstigen Fragen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, war auf der Kabinettssitzung oder auch beim Rat der Außenminister das Vorgehen der Türkei in Afrin Thema? Ich frage das deshalb, weil Ihr Staatssekretär im Auswärtigen Ausschuss erklärt hat, dass, wenn es zu einer Belagerung in Afrin käme, die Grenze des Völkerrechts überschritten wäre. Nun sind wir mit der Situation konfrontiert, dass dort Zehntausende Menschen vertrieben worden sind, dass die türkische Regierung offiziell erklärt, dass sie nicht beabsichtige, dort wieder abzuziehen, sondern, im Gegenteil, beabsichtige, dort andere Menschen anzusiedeln. Es handelt sich um einen klassischen Fall ethnischer Säuberung. Halten Sie dieses Vorgehen für mit dem Völkerrecht vereinbar, oder beharren Sie auf der Position, dass der Vorgang als solcher nicht dem Völkerrecht widerspricht, sondern nur die Art und Weise, wie diese militärische Intervention umgesetzt wird? Die Frage ist dann ja nur: Halten sie sich an das humanitäre Kriegsvölkerrecht?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich habe eben darauf hingewiesen, dass, wenn es zu einer dauerhaften Besatzung käme, sich die Frage der Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht neu ergeben würde. Das ist genau das, was Staatssekretär Lindner auch im Auswärtigen Ausschuss gesagt hat. Mir sind keine Aussagen bekannt, dass die Türkei und türkische Einheiten dort dauerhaft verbleiben wollen. Ganz im Gegenteil: Der türkischen Außenminister hat vor kurzem zumindest angedeutet, dass die Maßnahmen, die es dort gegeben hat, wieder zurückgeführt werden sollen. Deshalb haben wir noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir davon ausgehen, dass dies auch der Fall sein wird; denn ansonsten würden sich die Fragen des Völkerrechts ganz sicherlich noch einmal neu stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen jetzt zu sonstigen Fragen an die Bundesregierung. Ich mache darauf aufmerksam, dass ich keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Komplex mehr entgegennehme. Diejenigen, die sich gemeldet haben – das sind insgesamt neun Kolleginnen und Kollegen –, bitte ich, sich an die Zeit zu halten oder mir auch zu signalisieren, wenn – das wäre dann zugunsten der Fragestunde – Fragebedarf nicht mehr besteht. Ich werde entsprechend den Verabredungen die Fragestunde, die gleich folgt, um 12.59 Uhr beenden. Die erste sonstige Frage stellt der Abgeordnete Olaf in der Beek.

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Herr Bundesminister, die Europäische Kommission hat in der letzten Woche bekannt gegeben, dass sie der Türkei erneut 3 Milliarden Euro zur Versorgung der sich in der Türkei befindlichen syrischen Flüchtlinge überweisen will. Gleichzeitig werden die Drohungen der Türkei, die völkerrechtswidrige Militäroffensive in Nordsyrien auch auf den Nordirak auszuweiten, jeden Tag spürbarer. Damit droht die Türkei nun auch Truppen, die nicht nur von den NATO-Partnern im Kampf gegen den IS unterstützt wurden, sondern insbesondere auch im Rahmen eines Bundeswehrmandats durch deutsche Soldatinnen und Soldaten ausgebildet wurden. Bisher hat die Bundesregierung nichts unternommen, um dem türkischen Vorstoß Einhalt zu gebieten. Sie beantworteten die Frage nach der für uns völkerrechtswidrigen Militäroffensive gerade etwas nebulös. Ich möchte daher fragen: Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um zu verhindern, dass die Türkei diese Offensive auf den Nordirak ausdehnt und damit gegen die bisher von Deutschland und anderen NATO-Partnern unterstützten Peschmerga in den Kampf zieht? Abschließend: Hält die Bundesregierung es für angemessen, dass die Europäische Kommission der Türkei ungeachtet des völkerrechtswidrigen Einmarsches in Syrien und der Drohung eines Einmarsches in den Nordirak weitere 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, und wie stellen wir sicher, dass dieses Geld nicht zweckentfremdet wird?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Was die Bundesregierung gegenüber der türkischen Regierung tut, habe ich eben schon einmal angedeutet. Wir haben darauf hingewiesen: Mit dem humanitären Völkerrecht, aber auch mit der UN-Resolution 2401, die darauf abzielt, die territoriale Integrität Syriens zu wahren, wäre es nicht vereinbar, dauerhafte ­Besatzungsregime zu etablieren. Das werden wir weiter beobachten. Die türkische Seite ist darüber informiert worden, wie wir die Dinge sehen und dass wir uns für die Einhaltung der entsprechenden Resolution weiterhin starkmachen werden. Was die Europäische Kommission angeht: Sie setzt Vereinbarungen um, die mit der Türkei getroffen worden sind. Wir gehen davon aus, dass bei der Zurverfügungstellung dieser Mittel auch sichergestellt wird, dass sie nicht zweckentfremdet verwendet werden können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Dr. Gero ­Hocker.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Frage richtet sich eigentlich an das Landwirtschaftsministerium; aber ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie darauf antworten. Im Hinblick auf die Verhandlungen, die die Bundesregierung gegenwärtig zur Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2020 führt, möchte ich gerne wissen, inwiefern sie sich dafür einsetzt, dass bürokratische Vorgaben für landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland reduziert und abgebaut werden.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Bundesregierung immer dafür einsetzen wird, unnötige bürokratische Vorgaben abzubauen. Im Detail kann ich diese Frage nicht beantworten. Ich weiß nicht, Frau Präsidentin, ob es möglich ist, den zuständigen Kollegen, der dazu mehr sagen kann, mit der Erteilung einer Antwort zu beauftragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sehr gern. – Herr Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Dass diese Frage eine ganz herausragende Bedeutung hat, wird die Bundesministerin am Freitag hier im Plenum im Rahmen ihrer Beteiligung an der Aussprache zur Regierungserklärung deutlich machen. Für uns ist ganz klar, dass die entsprechenden Bemühungen verstärkt werden müssen, weil wir wissen, wie Bürokratie wirkt und dass Bürokratie der Landwirtschaft nicht hilft, sondern ihr sehr große Schwierigkeiten bereitet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. – Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Martin Hess.

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe eine Frage an den Vertreter des BMI. Nach übereinstimmenden Presseberichten liegen dem Bundesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse darüber vor, dass die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu Anschlägen und Angriffen auf Kindergärten und Kinderkrankenhäuser in Westeuropa aufruft. Deshalb meine Frage an Sie: Wie bewertet die Bundesregierung diese Gefährdungslage insbesondere im Hinblick auf konkrete Anschlagspläne in Deutschland? Welche Maßnahmen trifft die Bundesregierung konkret, um die Schwächsten unserer Gesellschaft, unsere Kinder, zu schützen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Kollege, die Presseberichte haben wir zur Kenntnis genommen. Es handelt sich ja nicht um konkrete Anschlagsplanungen. Sobald unseren Sicherheitsbehörden irgendwelche Konkretisierungen vorliegen, werden wir natürlich auch konkrete Maßnahmen ergreifen. Es ist insgesamt betrachtet wohl offenbar ein Zeichen dafür, dass der IS international immer verzweifelter Aufforderungen und Aufrufe startet, weil er sieht, dass immer vehementere Aufrufe erfolgen müssen, um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erzeugen. Deshalb sollten wir nicht in Panik verfallen; aber wir nehmen das durchaus ernst. Allerdings gibt es keine Konkretisierungen an dieser Stelle. Insofern hat insbesondere der Verfassungsschutz die Aufgabe – die nimmt er auch wahr –, etwaigen Hinweisen nachzugehen und rechtzeitig dafür zu sorgen, dass solche konkretisierten Anschlagspläne – falls es sie geben sollte – unterbunden werden. Was wir sicherlich nicht vorhaben, ist, dass Bund und Länder flächendeckend in allen Einrichtungen, die Sie benannt haben, Polizisten aufstellen. Das wäre, glaube ich, nicht die richtige Maßnahme, nicht die richtige Antwort. Aber unsere Nachrichtendienste nehmen diese Hinweise natürlich ernst.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär Krings. – Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Carina Konrad.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Auch meine Frage richtet sich an das Landwirtschaftsministerium. Sie zielt speziell auf die Pflugregelung ab, die seit 2018 gilt und zu großen bürokratischen Belastungen in landwirtschaftlichen Betrieben führt, die ihr Dauergrünland nur zu Pflegemaßnahmen umbrechen wollen. Ich frage Sie ganz konkret, welche Vorschläge die Bundesregierung hat, um diese Regelung praxistauglicher zu gestalten, und wie sie sich auf EU-Ebene dafür einsetzen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Hier gilt das Gleiche. Natürlich sehen wir das; aber wir arbeiten erst seit ein paar Tagen mit der neuen Ministerin und den Staatssekretären zusammen. Wir werden das beraten und dann dem Bundestag entsprechend berichten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Gastel.

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mir geht es um die Abfindung, die die Deutsche Bahn an ihren früheren Bahnchef Rüdiger Grube gezahlt hat. Er hat über 2 Millionen Euro bekommen, obwohl er selber gekündigt hat. Da stellen sich natürlich Fragen von Moral und Anstand. Wo sind wir hingekommen, wenn wir jemandem eine Abfindung zahlen, der von sich aus gegangen ist, das Handtuch geworfen hat? Man hört die Bundesregierung Bonuszahlungen bei VW kritisieren; man hört aber relativ wenig von ihr zu den Abfindungszahlungen beim bundeseigenen Unternehmen Deutsche Bahn. Ich möchte von der Bundesregierung gerne wissen, wie sich die Vertreter der Bundesregierung, die Mitglied im Aufsichtsrat der Deutsche Bahn AG sind, dazu verhalten haben und ob in den Verträgen mit dem derzeitigen Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz und Herrn Pofalla ähnliche Regelungen zu Abfindungszahlungen enthalten sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wer antwortet für die Bundesregierung? – Bitte.

Steffen Bilger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004011

Herr Kollege Gastel, zu den Verträgen der Herren Lutz und Pofalla kann ich Ihnen nichts sagen. Die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat haben von der Thematik in der Aufsichtsratssitzung bzw. mit Erhalt der Unterlagen für die Aufsichtsratssitzung am 14. März Kenntnis genommen. Der Minister hat sich zu diesem Sachverhalt schon geäußert. Sie können sicher sein, dass wir solche Fragen bei der Neuaufstellung des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn, die ja vorgenommen wird, bewusst erörtern werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. – Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Marc Bernhard.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Frau Präsidentin. – Meine Frage richtet sich an das Umweltministerium. Das Bundesumweltministerium hat kürzlich eingeräumt, dass bislang nur ein einziger Forschungsauftrag zur Quantifizierung der durch Stickoxide bedingten Krankheitslasten existiert. In diesem Bericht ist von etwa 6 000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr die Rede. Aber bereits im nächsten Satz räumt das Bundesumweltministerium selber ein, dass die Evidenz, also die Kausalität, weniger gut belegt sei. Um es noch einmal umgangssprachlich zu sagen: Die Schlussfolgerung, dass die Einatmung von Stickoxiden für diese vorzeitigen Todesfälle ursächlich ist, ist, gelinde gesagt, wissenschaftlich weniger gut belegt. Auch namenhafte Wissenschaftler und Ärzte halten den Zusammenhang für an den Haaren herbeigezogen. Gleichzeitig wird diese Studie aber für eine Verteufelung des Dieselmotors herangezogen. Daher ist meine Frage an die Bundesregierung: Wie wenig gut belegt ist diese Hypothese denn nun wirklich, und gibt es denn zumindest einen Forschungsauftrag, der sich nicht nur mit der Quantität, sondern auch mit der Kausalität von Stickoxiden für diese angeblich vorzeitigen Todesfälle beschäftigt?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben uns zu dieser Thematik im Ausschuss ja schon mehrfach befragt. Wir haben eine UBA-Studie; Sie sprechen hier mehrere Studien an. Sie wissen ganz genau: Epidemiologische Studien können Kausalität nicht beweisen. International – auf Basis der WHO – wird sehr wohl gleich vorgegangen. Sie fragen nach weiteren Belegen. Ich kann Ihnen empfehlen, weitere Studien zu lesen. Weil Sie uns vielleicht als voreingenommen ansehen, empfehle ich Ihnen auch eine Schweizer Studie. In der Schweiz liegt der Grenzwert für NO X übrigens bei 30 Mikrogramm und nicht bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Ich kann Ihnen außerdem die Studie „Gesundheitliche Wirkungen der NO 2 -Belastung auf den Menschen“ empfehlen. Sie sind sicherlich mit mir einer Meinung, dass wir zum Beweis einer Kausalität Menschen nicht zu Versuchskaninchen machen, sondern – wie es auch bei anderen epidemiologischen Studien üblich ist – auf einen Zusammenhang hinweisen. Es ist keine deutsche Schlussfolgerung, sondern es ist weltweit durch WHO-Studien und auch durch die Zusammenfassung, die UBA-Studie, quasi eine Metastudie, belegt, dass es diesen Zusammenhang gibt. Wie gesagt: Ich empfehle Ihnen, die Schweizer Studie zu lesen. Auch dort werden vorzeitige Todesfälle belegt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zu den letzten zwei Fragen. Der Abgeordnete Karlheinz Busen fragt die Bundesregierung.

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. – Die Frage richtet sich entweder an das Umweltministerium oder an das Landwirtschaftsministerium. Dänemark hat vor einiger Zeit Warnhinweise herausgegeben, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Wälder schicken sollen, erst recht nicht in den Morgen- und Abendstunden, wegen der vom Wolf ausgehenden Gefahren. Gedenkt die Bundesregierung, ähnlich zu verfahren, gerade jetzt, in Zeiten, wo sich der Nachwuchs ankündigt und Wölfinnen ganz besonders aggressiv sind? Gibt es da entsprechende Vorkehrungen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wer kann für die Bundesregierung antworten? – Bitte, Frau Staatssekretärin.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrter Herr Kollege, wir hatten kürzlich hier im Plenum eine Aussprache zum Thema Wolf. Sie wissen, dass die Länder das Wolfsmanagement betreiben. Sie wissen auch, dass, wenn es Problemwölfe gibt, diese zum Abschuss freigegeben werden können. Wir sind uns dieses Sachverhalts sehr wohl bewusst und gehen damit sehr ernsthaft um. Sicherheit hat für uns oberste Priorität.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage stellt der Abgeordnete Benjamin Strasser.

Benjamin Strasser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Innenminister – der nicht anwesend ist –, wir durften am Wochenende in der Zeitung lesen, dass es ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums an den Haushaltsausschuss gibt, in dem steht, dass sich Ihre Regierung 200 Stellen mehr gönnt. Knapp die Hälfte der Stellen soll Herr Seehofer für die sogenannte heimatbezogene Innenpolitik bekommen. Wir finden es bemerkenswert, dass Ihre Regierung im Gegenzug darauf verzichtet, die offenen Stellen bei Zoll und Polizei nicht zu besetzen. Wir fragen uns hier als Parlament über Wochen, was eigentlich die Aufgabe des Ministeriums ist. Deswegen lautet meine Frage: Welche konkreten Aufgaben haben die knapp 100 neuen Beamten im Innenministerium? Welche Ministerien und Behörden haben das in der Vergangenheit erledigt? Und: Nehmen Sie dieser Logik entsprechend eine Personalreduzierung in den Ministerien oder Behörden vor, die diese Aufgaben bisher wahrgenommen haben, oder sollen die Aufgaben dann doppelt, dreifach oder vierfach erledigt werden? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär Krings.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Kollege, Sie haben formuliert, wir verzichteten darauf, die Stellen bei der Bundespolizei nicht wieder zu besetzen. Genau das tun wir aber; wir besetzen sie neu. Es gibt in anderen Bereichen einen viel größeren Zuwachs; das wissen Sie auch. Wir planen perspektivisch, 7 500 neue Stellen für die Bundespolizei einzurichten. Hier geht es in der Tat um etwa 100 Stellen im Bereich des Bundesministeriums des Innern für eine neu zu schaffende Abteilung für Heimat. Wie der genaue Titel, die genaue Position lauten wird, kann ich Ihnen heute selbstverständlich noch nicht mitteilen. Es wäre, glaube ich, auch etwas schnell geschossen, nach wenigen Tagen schon ein fertiges Konzept dafür zu haben. Die Abteilung Heimat basiert ganz zentral auf einer bereits bestehenden Aufgabe unseres Hauses, nämlich der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Ich glaube, dass die politischen Entwicklungen der letzten Monate und Jahre sehr dafür sprechen, diese Aufgabe durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen auszubauen. In diesem Zusammenhang gibt es eine große Schnittmenge zum Begriff Heimat. Es gibt durchaus Landesministerien – nicht nur in Bayern, sondern auch in anderen Bundesländern –, die diesen Begriff als eine ihrer Aufgaben bereits im Namen tragen. Für uns ist es wichtig, dass diese Abteilung auch Fragen der gleichwertigen Lebensverhältnisse behandeln wird. Es gibt in der Tat Themen, die aus Zuständigkeitsbereichen anderer Ministerien zu uns gelangen, aber mit Sicherheit auch eine Fülle neuer Aufgaben, wie wir den Gedanken von Heimat und Zusammengehörigkeit in unserem Lande stärken. Für diese Aufgaben werden Stellen neu geschaffen, also ohne woanders Stellen abzubauen, weil es eben ergänzte Aufgaben sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich nehme an, Sie bedauern, dass Sie nicht zwei Minuten später drangekommen sind. Dann hätten Sie den Herrn Bundesminister nämlich direkt befragen können. Aber jetzt ist es zu spät. ({0}) Als wirklich Letzte in dieser Runde hat die Abgeordnete Polat das Fragerecht.

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, jetzt könnte es vielleicht so weit sein. – Vor dem Hintergrund, dass für kommende Woche die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan geplant ist und der Lagebericht des Auswärtigen Amtes noch nicht vorliegt, ist meine Frage an die Bundesregierung, wann dieser vorliegen wird, ob die Sammelabschiebung verantwortbar ist und ob Sie ausschließen können, dass von den Bundesländern schutzbedürftige Personen angemeldet wurden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wer antwortet für die Bundesregierung? – Herr Staatssekretär Krings. ({0})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bislang war es so, dass die Bundesregierung entscheidet, wer für sie antwortet. Ich freue mich sehr, dass ich namens der Bundesregierung die Antwort geben kann. Zunächst einmal werde ich natürlich keine Aussagen über Abschiebungen, die eventuell in der Zukunft stattfinden, tätigen. Wir haben heute im Innenausschuss – Sie waren dabei – ausführlich darüber gesprochen, dass es kontraproduktiv ist, im Vorhinein über zukünftige Abschiebungen zu sprechen. Insofern kann ich auch nicht bestätigen, dass in den nächsten Tagen oder Wochen Abschiebungen geplant sind und um welchen Personenkreis es geht. Das machen wir aus gutem Grund ohne Vorankündigung. Ich möchte auf die Frage, ob wir ausschließen können, dass vulnerable Personen betroffen sind, wie Sie dargelegt haben, mit einem klaren Ja antworten. Diesbezüglich gibt es ein Verfahren. Im Innenausschuss wurde dargelegt, wie das auszuschließen ist. Das liegt in der Eigenverantwortung der Länder, und diese haben gesagt, dass sie genau das nicht tun wollen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder solche Abschiebungen vorgenommen, zu Recht. Innerhalb der Bundesregierung besteht Konsens, dass wir nicht alle ausreisepflichtigen Personen, die abschiebefähig sind, auch abschieben. Nach der geltenden Rechtslage könnten wir das tun. Wir haben allerdings davon abgesehen und, wenn man so will, hier in einigen Fällen Gnade vor Recht ergehen lassen aufgrund einer nicht ganz einfachen Lage, wie Sie es zu Recht beschrieben haben. Aus diesem Grunde sind es nur drei Personengruppen, die in Betracht kommen, wie wir Ihnen heute ausführlich im Ausschuss dargelegt haben. Aus diesen Personengruppen wird sich bei einer etwaigen neuen Abschiebung der Kreis der Abzuschiebenden speisen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich danke dem Bundesminister Maas und den Damen und Herren Staatssekretären für die Antworten und beende die Befragung der Bundesregierung.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor fast sechs Monaten, am 24. September 2017, wurde ein neuer Bundestag gewählt. Vor einer Woche wurde endlich die neue Regierung der Großen Koalition von CDU, CSU und SPD vereidigt. Gespräche zur Bildung einer sogenannten Jamaika-Koalition waren zuvor gescheitert. Der Regierungsbildungsprozess hat 171 Tage gedauert, so lange wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Schon allein diese schwierigen Umstände deuten darauf hin, dass sich in unserem Land ganz offenkundig etwas verändert hat, und das alles, obwohl unser Land gut dasteht, obwohl wir die höchste Zahl der Erwerbstätigen seit der Wiedervereinigung haben, obwohl die Arbeitslosigkeit nachhaltig sinkt, die Steuereinnahmen in Bund, Ländern und Kommunen steigen, obwohl die Investitionen zugenommen haben, wir in den vergangenen Jahren keine neuen Schulden aufgenommen haben und obwohl wir mehr Geld für Bildung und Forschung ausgeben. Obwohl unser Land also gut dasteht, ja mehr noch, obwohl es uns wirtschaftlich so gut wie noch nie seit der Wiedervereinigung geht, machen sich viele Menschen Sorgen um die Zukunft, ist der Ton der Auseinandersetzung rauer geworden, ist der Respekt vor unterschiedlichen Meinungen zurückgegangen, ({0}) ist die Angst vor falschen Informationen gewachsen, sind die Sorgen um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft größer geworden, den Zusammenhalt der Älteren und Jüngeren, von Ost und West, Stadt und Land, von Menschen, die über Generationen hier leben, und denjenigen, die als Migranten und Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Die Frage, wie gut unser Rechtsstaat eigentlich funktioniert, die Frage, ob die soziale Marktwirtschaft ihr Wohlstandsversprechen auch in Zukunft halten kann, bewegt viele Menschen. Das haben auch die Parteien, die die Regierung tragen, also CDU, CSU und SPD, durch erhebliche Verluste im Wahlergebnis der Bundestagswahl zu spüren bekommen. All das hat uns bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung umgetrieben. Uns hat während der Koalitionsverhandlungen die Frage beschäftigt, wie wir nach vier Jahren in der letzten Großen Koalition in dieser besonderen Situation unseres Landes die richtigen Antworten geben können. Es ist vollkommen unbestritten, dass unter den vielfältigen Herausforderungen der letzten Jahre – ich nenne nur die Probleme der Euro-Zone und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus – die vielen zu uns geflohenen Menschen vor allem aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan in den Jahren 2015 und 2016 unser Land in beispielloser Weise gefordert haben. Und nicht nur gefordert; vielmehr hat die Debatte über diese Entwicklung, die Debatte über den richtigen Weg, wie in einer akuten Situation zu handeln ist und wie wir langfristig die Integration bewältigen können, unser Land bis heute gespalten und polarisiert, und zwar so sehr, dass ein an sich unglaublich banaler Satz wie „Wir schaffen das!“, den ich im August 2015 gesagt habe und den ich zuvor mehr oder weniger wortgleich in meinem ganzen politischen Leben, auch privat, in allen möglichen inhaltlichen Zusammenhängen schon unzählige Male gesagt hatte, zu einer Art Kristallisationspunkt dieser Auseinandersetzung werden konnte. Der Streit um diesen eigentlich so banalen Satz steht seither geradezu symptomatisch dafür, was unser Land und wir gemeinsam schaffen können, und vor allem auch, was wir gemeinsam schaffen wollen, auch und gerade angesichts einer weltweiten Fluchtbewegung, der größten seit dem Zweiten Weltkrieg, und angesichts dessen, was unser Land ausmacht und was unser Land prägt. Führen wir uns noch einmal kurz vor Augen, was passiert ist. Vor sieben Jahren begann der so verheerende syrische Bürgerkrieg, ein Krieg, der Hunderttausende das Leben kostete, ein Krieg, der die Hälfte des syrischen Volkes zu Flüchtlingen gemacht hat. Hinzu kamen das Wüten des IS im Irak und in Syrien sowie der Zerfall der staatlichen Ordnung Libyens. Im Kern waren all das Folgen des zunächst mit so vielen Hoffnungen begleiteten Arabischen Frühlings. All das waren und sind Entwicklungen nicht irgendwo, sondern direkt vor der Haustür unserer Europäischen Union. Zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir – ich sage: auch ich – und viele unserer Partner in der EU und der NATO zu lange zu halbherzig reagiert oder einfach gehofft haben, dass uns diese Probleme nicht direkt betreffen werden. Das war eine Hoffnung, die in Zeiten weltumspannender digitaler Vernetzung nicht nur falsch, sondern im Rückblick auch naiv war; denn es war ja eigentlich immer klar, dass Außenpolitik und Innenpolitik nicht zu trennen sind. Zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir uns damals zu spät damit befasst haben, dass die Türkei bereits 3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hatte, dass wir viel zu lange auf ein auf dem Papier zwar schlüssiges, aber in der Praxis untaugliches Dublin-System gesetzt haben, ({1}) auch weil wir annahmen, dass wir als Deutsche in der Mitte Europas von den Fluchtbewegungen um Europa herum schon nicht so sehr betroffen sein würden. ({2}) Zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir zu spät erkannt haben, wie Millionen syrischer Flüchtlinge Zuflucht im Libanon und Jordanien fanden und nach Jahren mangelnder Mittel der internationalen Hilfsorganisationen weder genug zu essen noch zu trinken, geschweige denn Bildung für ihre Kinder hatten. Zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir zu lange weggesehen haben, dass im zerfallenden Libyen genauso wie in der Türkei, im Libanon und in Jordanien skrupellose Schlepperbanden auf dem Rücken der Flüchtlinge illegale Fluchtmöglichkeiten gefunden hatten, die diese Menschen in ihrer vollkommenen Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit genutzt haben. Das waren die Gründe für die große Zahl von Flüchtlingen, die über Griechenland und auch Italien zu uns kamen: nach fast 200 000 im Jahre 2014 schließlich 890 000 im Jahre 2015 allein zu uns nach Deutschland. Ja, und als sie kamen, haben wir diese Menschen aufgenommen und sie nicht abgewiesen. Jedem wurde ein Asylverfahren gewährt, entsprechend unseren Gesetzen und im Einklang mit europäischem und internationalem Recht. Die bei uns ankommenden Menschen konnten in ihrer übergroßen Mehrheit nichts dafür, dass die internationale Gemeinschaft sie fast vergessen hatte. Wir haben sie als Menschen in Not aufgenommen. ({3}) Ja, das war eine unglaubliche Bewährungsprobe für unser Land – für die Kommunen und die hauptamtlichen Mitarbeiter, für die vielen Freiwilligen und ehrenamtlichen Helfer, für die Bundeswehr, die Deutsche Bahn, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF, für die Beschäftigten in den Ländern und im Bund. Keine unserer Strukturen war auf diese Aufgabe ausreichend vorbereitet. Wie konnten sie das auch sein? Und trotzdem haben wir diese Aufgabe im Großen und Ganzen bewältigt. ({4}) Dafür werde ich allen, die daran mitgewirkt haben und auch heute noch mitwirken, immer dankbar sein, und unser Land kann stolz darauf sein. ({5}) Natürlich gilt auch: Das war eine humanitäre Ausnahmesituation. Eine solche Ausnahmesituation soll und darf sich nicht wiederholen, weil eine Wiederholung nur zeigen würde, dass wir nichts gelernt hätten, weder national noch europäisch noch international. Deshalb haben wir gehandelt, und deshalb müssen wir weiter handeln: Erstens. Um Schleusern und Schleppern das Handwerk zu legen, haben wir das EU-Türkei-Abkommen geschlossen und die Türkei bei der Versorgung der Millionen Flüchtlinge finanziell unterstützt. Die zweite Tranche von noch einmal 3 Milliarden Euro muss von der Europäischen Union in den nächsten Monaten bereitgestellt werden. Ich weiß, dass das EU-Türkei-Abkommen bis heute viele Gegner hat. Ich werde es jedoch immer verteidigen, ({6}) weil es allemal besser ist, als dem Sterben in der Ägäis und den Taten der Schlepper und Schleuser tatenlos zuzusehen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ähnliche Vereinbarungen versuchen wir in Kooperation mit der libyschen Regierung der nationalen Einheit zu schließen, allerdings unter weit schwierigeren Voraussetzungen als mit der Türkei. Zweitens. Nie wieder darf es passieren, dass die UN-Hilfsprogramme so dramatisch unterfinanziert sind wie vor zwei Jahren. ({8}) Deutschland hat deshalb in den letzten Jahren sowohl dem Welternährungsprogramm als auch dem UNHCR deutlich mehr Unterstützung zuteilwerden lassen. Hilfe vor Ort in der Nähe der Heimat ist eine zentrale Aufgabe. Denn wir müssen – drittens – Fluchtursachen umfassend und entschieden bekämpfen – durch politische Lösungen, und das ist ungeheuer schwierig, wie wir gerade sehen. Gerade in diesen Tagen erleben wir grauenhaftes Tun durch Bombardements zum Beispiel in Ost-Ghuta. Wir verurteilen diese Bombardements, zum Beispiel einer Schule, auf das Schärfste. Das sage ich in Richtung des Regimes von Assad, aber auch Russlands, das dem zusieht. ({9}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Bei allen berechtigten Sicherheitsinteressen der Türkei ist es inakzeptabel, was in Afrin passiert, wo Tausende und Abertausende von Zivilisten verfolgt sind, zu Tode kommen oder flüchten müssen. Auch das verurteilen wir auf das Schärfste. ({10}) Fluchtursachen wollen wir auch durch eine neue Partnerschaft mit Afrika bekämpfen. Sowohl mit einem Marshallplan für Afrika als auch mit unseren Compacts with Africa werden Deutschland und die ganze Europäische Union dies tun. Viertens. Europa kann seinen Raum der Freizügigkeit auf Dauer nur erhalten, wenn es gleichzeitig in der Lage ist, seine europäischen Außengrenzen zu schützen und zu sichern. Die Gründung einer gemeinsamen Grenzsicherungsagentur ist hier ein genauso wichtiger Schritt wie das Ein- und Ausreiseregister, das jetzt endlich aufgebaut wird. Ein Überblick, wer sich im Raum der Freizügigkeit, also im Schengen-Raum, aufhält, muss durch ein einheitliches Dateisystem in Zukunft jederzeit gewährleistet sein. ({11}) Wir brauchen eine solche Kontrolle; denn wir mussten ja auch erleben, dass unter den so vielen friedlichen und unbescholtenen Flüchtlingen auch islamistische Terroristen waren. ({12}) Die Zahl der Gefährder, solcher, die schon lange in Deutschland leben, und solcher, die seit 2015 zusammen mit den Flüchtlingen zu uns kamen, hat in den letzten Jahren zugenommen. Es hat furchtbare terroristische Anschläge gegeben, die nicht verhindert werden konnten: in Ansbach, in Würzburg und vor allem in Berlin am Breitscheidplatz. Wir gedenken der Toten. Wir versuchen, den Angehörigen und den Verletzten zu helfen. Wir danken dem Opferbeauftragten Kurt Beck, und wir werden in Zukunft einen hauptamtlichen Opferbeauftragten in der Bundesregierung haben. ({13}) Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ausdrücklich unseren Sicherheitsbehörden danken, die durch ihre Arbeit alles daransetzen, dass solche terroristischen Anschläge verhindert werden können. Ihre Arbeit verdient unsere gemeinsame Unterstützung, und das sollten wir auch zum Ausdruck bringen. ({14}) Und mehr noch: Unsere freiheitliche Gesellschaft wird sich unsere Art, zu leben, nicht durch Terroristen zerstören lassen. ({15}) Fünftens. Wir wollen und wir werden auch in Zukunft denjenigen Schutz geben, die in einer humanitären oder politischen Notlage sind. Das bedeutet dann aber auch, dass diejenigen, die keinen Anspruch auf Schutz haben, unser Land wieder verlassen müssen – ({16}) am besten über freiwillige Rückkehrprogramme mit einer Starthilfe im Heimatland, ({17}) notfalls auch durch staatlich angeordnete Rückführungen. ({18}) Über die Frage, wer einen Aufenthaltsstatus bekommt, wird zukünftig in sogenannten Ankerzentren schneller entschieden. Von dort sollen gegebenenfalls auch die Rückführungen erfolgen. Insgesamt brauchen wir ein europaweites gemeinsames Asylsystem, an dem wir mit Hochdruck arbeiten und das wir hoffentlich im Juni beschließen werden. ({19}) Sechstens. Wer einen Aufenthaltsstatus hat, muss schnell vor Ort integriert werden, das heißt die Sprache erlernen und Chancen für eine Ausbildung bekommen. Die Kinder sollen in Kindergärten und Schulen lernen können. Dabei unterstützt der Bund die Länder und Kommunen auch in den nächsten Jahren verlässlich. ({20}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige unserer wichtigsten Schlussfolgerungen, mit denen wir sicherstellen werden, dass sich eine Notlage wie die des Jahres 2015 nicht wiederholt – für niemanden, weder für Menschen, die zu uns kommen wollen, noch für unser Land. Mit diesem Maßnahmenpaket wollen wir Fluchtursachen bekämpfen und den Menschen Perspektiven vor Ort geben. Zugleich wollen wir erreichen, dass bei Einhaltung all unserer internationalen, europäischen und nationalen humanitären Verpflichtungen pro Jahr nicht mehr als 180 000 bis 220 000 Flüchtlinge in unser Land kommen. Das entspricht den langjährigen Erfahrungswerten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir ehrlich! Diese beschlossenen Maßnahmen alleine wären noch keine ausreichende Antwort auf die von mir eingangs beschriebene Situation in unserem Land: auf den teilweisen Verdruss, auf die Sorgen zu vieler um die Zukunft, auf die Polarisierung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Die Herausforderungen, die alle staatlichen Institutionen 2015 mit den so vielen ankommenden Flüchtlingen zu bewältigen hatten, haben vielmehr wie in einem Brennglas viele Themen und Probleme von Zuwanderung und Integration nur noch klarer zutage treten lassen, als sie es zuvor schon waren. Warum? Erstens. Es steht völlig außer Zweifel, dass in den 60er-Jahren in der alten Bundesrepublik Millionen Menschen aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und anderen Ländern durch ihre Arbeit und ihren Fleiß zum Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland beigetragen haben ({21}) und dass ihre Kinder und Enkel heute zum Wohlstand ganz Deutschlands beitragen. ({22}) Ebenso außer Zweifel steht aber auch, dass diese Menschen in Zeiten von Strukturumbrüchen immer die Ersten waren, die ihre Arbeit verloren, dass ihre Kinder im Durchschnitt schlechtere Bildungsabschlüsse haben, dass sich Parallelgesellschaften entwickelt haben und dass Menschen ohne Aufenthaltsstatus auch kriminelle Strukturen gebildet haben. Um das zu überwinden, müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam agieren. Unser Koalitionsvertrag gibt darauf wichtige Antworten. Zweitens. Bei meinem Amtsantritt habe ich 2005 sehr bewusst das Amt der Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration im Bundeskanzleramt angesiedelt, um damit die übergreifende Bedeutung dieser Aufgabe zu unterstreichen. Wir haben viele Fortschritte gemacht. Wir sind aber längst noch nicht da, wo wir sein wollen. Insbesondere das Zusammenleben der Religionen stellt uns vor große Herausforderungen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so heißt es in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Dieser Artikel beschreibt den Kern unseres Zusammenlebens. Er macht klar, dass Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus in unserem Rechtsstaat keinen Platz haben. ({23}) Die Menschen erwarten zu Recht, dass dies auch überall durch unseren Rechtsstaat durchgesetzt wird: auf dem Schulhof, in der U-Bahn, bei der Rechtsprechung; kurz: an jedem Ort in unserem Land. Deshalb ist es wichtig, dass wir in Bund und Ländern 15 000 neue Polizisten einstellen und einen Pakt für den Rechtsstaat schmieden werden. Das gilt für die Umsetzung von Recht und Gesetz im Allgemeinen genauso wie für die Garantie der Religionsfreiheit. ({24}) Dazu gehören auch der Respekt und die Achtung vor denen, die Recht und Gesetz in unserem Land durchsetzen: vor Polizisten, Zollbeamten, Richtern, Gerichtsvollziehern, Beamten, insbesondere in der Justiz, aber auch in den Ordnungsämtern und anderswo. ({25}) Die Fragen des Zusammenlebens und des Zusammenhalts gehen aber natürlich weit über die Durchsetzung von Recht und Gesetz hinaus. Viele Menschen fragen ganz grundsätzlich nach dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft, nach der Zukunft ihrer eigenen Heimat, nach dem, was unser Land in der Vergangenheit geprägt hat und was uns heute und für die Zukunft prägt. Religiöse und kulturelle Vielfalt, Globalisierung und Digitalisierung machen diese Fragen immer drängender. Deshalb – drittens –: Etwa 4,5 Millionen Muslime leben in Deutschland. Die große Mehrzahl dieser Menschen lehnt wie die Mehrheit aller in unserem Lande lebenden Menschen Radikalismus und islamistischen Terror ab. Viele von ihnen leben ihren Glauben, den Islam, friedlich, verfassungs- und gesetzestreu. Es steht völlig außer Frage, dass die historische Prägung unseres Landes christlich und jüdisch ist. Doch so richtig das ist, so richtig ist es auch, dass mit den 4,5 Millionen bei uns lebenden Muslimen ihre Religion, der Islam, inzwischen ein Teil Deutschlands geworden ist. ({26}) Ich weiß, dass viele ein Problem damit haben, diesen Gedanken anzunehmen. ({27}) Das ist ihr gutes Recht. Doch als Bundesregierung, meine Damen und Herren, haben wir eine übergeordnete Aufgabe, eine ganz bestimmte Verantwortung, nämlich die, alle Diskussionen so zu führen, dass am Ende durch konkrete Politik, durch konkrete Entscheidungen der Zusammenhalt in unserem Land größer und nicht kleiner wird, also der Zusammenhalt aller, die dauerhaft in Deutschland leben, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. ({28}) Wir haben im Übrigen inzwischen verstanden, dass es nicht ausreicht, dass unser Land Studiengänge für islamische Theologie und die Ausbildung von Religionslehrern anbietet, ansonsten aber die Arbeit in den Moscheen den Imamen überlassen wird, ohne dass wir uns ausreichend um die jeweiligen Strukturen kümmern. Religionsfreiheit und Staatskirchenverträge mit den christlichen Kirchen und dem Zentralrat der Juden sind heute selbstverständlich. Im Umgang mit dem Islam müssen Bund und Länder auch hier zukunftsfähige Strukturen finden. Dass wir uns Jahrzehnte darauf verlassen haben, dass für die sogenannten Gastarbeiter Imame aus der Türkei kamen, reicht als Modell für das 21. Jahrhundert nicht mehr aus. ({29}) Hier kann und muss die Islamkonferenz eine zentrale Rolle spielen, und hier müssen Bund und Länder zusammenarbeiten. Deshalb habe ich den Bundesinnenminister gebeten, darüber Gespräche mit den Innenministern der Länder zu führen. Ich werde auch selbst gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder diesen Prozess begleiten und unterstützen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts all dieser Herausforderungen zieht sich die Frage des Zusammenhalts wie ein roter Faden durch den gesamten innenpolitischen Teil unseres Koalitionsvertrags. Wir als Bundesregierung wollen Spaltungen unserer Gesellschaft überwinden: zwischen denen, die als Deutsche schon immer hier leben, und denen, die zu uns kommen, Spaltungen zwischen Ärmeren und Reicheren, zwischen Älteren und Jüngeren. Im Ergebnis wollen wir einen neuen Zusammenhalt schaffen. Wir wollen dazu beitragen, den leider vorhandenen Eindruck zu überwinden, dass in einer großen Notlage ganz schnell und umstandslos Fremden geholfen wird, die einheimischen Deutschen, die ebenfalls der Hilfe bedürfen, aber zurückstehen müssen. Deshalb wollen wir erreichen, dass der übergroße Wohlstand unseres Landes, die großartige wirtschaftliche Entwicklung, die unser Land seit 2005 genommen hat, allen zugutekommen kann und allen zugutekommen wird. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Zusammenhalt geprägt ist. ({30}) Zusammenhalt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird zuerst in der Familie gelebt. Hier lernen Kinder, was es heißt, den eigenen Weg zu finden und zugleich füreinander da zu sein. Wenn wir Familien stärken, stärken wir den Einzelnen und gleichzeitig die Gemeinschaft. ({31}) Deshalb ist die Entlastung und Stärkung der Familien eine der ersten Prioritäten der Bundesregierung. Wir erhöhen das Kindergeld, wir passen den steuerlichen Freibetrag an. Davon werden alle Familien profitieren. Wir entlasten insbesondere Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Wir erhöhen den Kinderzuschlag. Denn hier gibt es nichts zu beschönigen: Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist eine Schande, und wir müssen sie mit aller Kraft bekämpfen. ({32}) Wir sagen: Die, die täglich unser Land am Laufen halten, sollen mehr Gestaltungsmöglichkeiten für ihr eigenes Leben haben. Deshalb ist es richtig, dass die Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung und die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der Gesundheitsversicherung alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlastet. Für 90 Prozent der Steuerzahler werden wir außerdem den Solidaritätszuschlag abschaffen. Vor allem für Familien und Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen wird das eine gute Sache sein. Auch Generationengerechtigkeit schafft Zusammenhalt. Das zeigt sich zum Beispiel in soliden Finanzen. ({33}) Der Bund hat seit 2014 keine neuen Schulden mehr aufgenommen, und das wird auch in den nächsten Jahren so bleiben. Das ist gelebte Generationengerechtigkeit. ({34}) Ein eigenes Heim gibt Familien das Gefühl von Sicherheit und Schutz, und es ist auch eine gute Möglichkeit, Vermögen aufzubauen. Deshalb wollen wir mit einem Baukindergeld von 1 200 Euro für jedes Kind über zehn Jahre zur Bildung von Wohneigentum beitragen. Die Mehrzahl der Familien in Deutschland wohnt allerdings zur Miete. Es wird für viele immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deshalb werden wir die Wirksamkeit der Mietpreisbremse prüfen und vor allen Dingen eine Wohnraumoffensive starten, mit dem Ziel, 1,5 Millionen frei finanzierte Wohnungen und Eigenheime zusätzlich zu bauen. ({35}) Mindestens 2 Milliarden Euro werden wir zusätzlich in den sozialen Wohnungsbau investieren, obwohl im Zusammenhang mit den Bund-Länder-Finanzverhandlungen eigentlich ausgemacht war, dass nur noch die Länder für diesen Bereich zuständig sind. ({36}) Deshalb werden wir darauf achten, dass das Geld in den sozialen Wohnungsbau geht und nirgendwo anders hin. Das will ich ganz deutlich sagen. ({37}) Wir wollen außerdem, dass Familien in der intensivsten Lebensphase mit Kindern alles besser unter einen Hut bekommen. Deshalb werden wir nach dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz nun auch bis 2025 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen, und wir werden auch die Qualität des Lernens in den Kitas verbessern. Herkunft darf den Erfolg oder den Misserfolg in der Schule nicht bestimmen. ({38}) Zwar bietet der Bildungsföderalismus die Chance, dass sich die besten Ansätze in den Ländern herauskristallisieren. Aber seien wir ehrlich: Für viele Eltern ist der Bildungsföderalismus auch oft ein Ärgernis, wenn es um die Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen geht. Deshalb werden wir einen nationalen Bildungsrat einsetzen, der sich unter anderem mit der Vergleichbarkeit solcher Abschlüsse beschäftigt. Durch eine Änderung des Grundgesetzes wird es eine Investitionsoffensive für Schulen geben. ({39}) Hinzu kommen so zukunftsweisende Entscheidungen wie der Digitalpakt für die Schulen, wo wir uns um die Lerninhalte kümmern werden, um den Anschluss der Schulen und vor allen Dingen um die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Wir werden einen Berufsbildungspakt auflegen. Denn seien wir ehrlich: Wir haben uns jahrelang um den Ausbau der Hochschulen gekümmert, um die Verbesserung der Bedingungen für das Studium. Jetzt sind auch einmal die beruflichen Schulen dran und die berufliche Ausbildung, eine große Stärke unseres Landes. ({40}) Unsere sozialen Sicherungssysteme sind im weltweiten Vergleich gut. Trotzdem werden sie von vielen Menschen hinterfragt. Nehmen wir zum Beispiel die Pflege. Wir haben in den letzten vier Jahren einiges getan, vor allen Dingen die Leistungen für Pflegebedürftige deutlich verbessert und den Pflegebedürftigkeitsbegriff auch erweitert. Aber jeder spürt: Das reicht nicht. – Jeder unter uns kennt Freunde und Nachbarn, die Angehörige pflegen oder selbst in der Situation des Pflegenden oder des Pflegebedürftigen sind. Die größte Bürde tragen die Angehörigen, trägt die Familie. Aber die Pflegenden, ob in der Familie oder in einer Pflegeeinrichtung, sie alle sind die stillen Helden unserer Gesellschaft. ({41}) Sie leisten einen Beitrag zur Menschlichkeit unserer Gesellschaft; denn die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich am Anfang und am Ende eines Lebens. Angesichts der Dringlichkeit werden wir ein Sofortprogramm Pflege auflegen. 8 000 neue Pflegekräfte sollen ein erster Schritt der Entlastung sein. Ich weiß schon, dass viele sagen: Das ist bei rund 13 000 stationären Pflegeeinrichtungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. ({42}) Denen antworte ich: Das ist ein erster Schritt; dem werden weitere folgen müssen. Aber immerhin ist es ein erster, wichtiger Schritt. Den müssen wir erst einmal machen. ({43}) Pflegearbeit braucht Anerkennung. Deshalb werden wir die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege nach Tarif stärken, mit den Tarifpartnern enger zusammenarbeiten, um endlich zu flächendeckenden Tarifverträgen zu kommen. ({44}) Dann das Thema Gesundheit. Trotz eines der besten und leistungsfähigsten Gesundheitssysteme weltweit treibt die Menschen die Sorge um, ob eine flächendeckende Gesundheitsversorgung in Zukunft noch möglich ist. Das gilt für eine gleichermaßen gute Versorgung, unabhängig vom Wohnort, vom Einkommen und vor allem auch von der Art der Versicherung. Dafür werden wir in einem Sofortprogramm die Versorgung gesetzlich Versicherter verbessern: durch Terminservicestellen, Mindestsprechstundenangebote, regionale Zuschläge vor allen Dingen für Landärzte – da müssen wir endlich einen Paradigmenwechsel hinbekommen, sodass diejenigen, die später als Ärzte arbeiten wollen, Medizin studieren können und nicht nur diejenigen, die mit eins Abitur machen; das ist ganz wichtig –, ({45}) eine bessere Vergütung für Hausärzte und vieles mehr. Wir werden – ich sage: endlich – genauso wie in der Pflege das Schulgeld für die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen abschaffen; das ist ein Anachronismus. ({46}) Wir werden stattdessen eine Ausbildungsvergütung in den Sozial- und Pflegeberufen einführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rente ist der Lohn für Lebensleistung. Aber wie schaffen wir es, dass auch im Alter gilt: Wer lange gearbeitet hat, muss mehr haben, als wenn er nicht gearbeitet hat? Dazu gehen wir jetzt einen neuen Weg. Wir führen eine Grundrente für Menschen ein, die 35 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Sie wird 10 Prozent oberhalb der Grundsicherung liegen und von der Rentenversicherung ausgezahlt werden. ({47}) Altersarmut entsteht heute vor allem dort, wo Menschen wegen Krankheit ihre Erwerbstätigkeit aufgeben mussten, und ebenso dort, wo Eltern – zumeist Mütter – wegen der Kindererziehung Arbeit eingeschränkt haben oder gar nicht erwerbstätig waren. Wir werden daher zwei Dinge tun: die Erwerbsunfähigkeitsrente noch einmal verbessern und künftig für Eltern, die drei oder mehr Kinder erzogen haben, für Geburten vor 1992 auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente anrechnen. Um aber das Vertrauen in die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rente zu stärken, werden wir die gesetzliche Rente bis zum Jahr 2025 auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent festschreiben und sicherstellen, dass der Beitrag nicht über 20 Prozent steigt. Allerdings wissen wir, dass unser Rentensystem durch die längere Lebensdauer und die geringere Zahl von Kindern für die Zeit nach 2025, spätestens nach 2030, nicht nachhaltig ausgestaltet ist. Deshalb wird es – ich glaube, das wird eine der größeren Aufgaben der neuen Bundesregierung sein – in einer Rentenkommission zusammen mit den Tarifpartnern langfristig notwendig sein, ein generationsgerechtes und finanzierbares Rentensystem der Zukunft auszuarbeiten. Dieser Aufgabe stellen wir uns jetzt und nicht irgendwann. Jenseits der sozialen Sicherungssysteme fordern uns vor allem, und das in den letzten Jahren spürbar mehr, die unterschiedlichen Lebensbedingungen in Stadt und Land heraus. Rathäuser und Arztpraxen schließen. Die Schule ist weit entfernt. Der Bäcker findet keinen Nachfolger. Der Supermarkt ist nicht mehr im Ortskern, sondern nahe der Autobahnauffahrt, wo es Parkplätze gibt, wohin aber der Weg für Ältere viel zu weit ist. Bus und Bahn fahren nicht häufig genug. Ohne das Auto ist die Arbeitsstelle nicht zu erreichen. ({48}) Die Versorgung mit dem täglich Nötigen wird immer umständlicher, der Alltag immer beschwerlicher. Die jungen Menschen ziehen weg; denn sie finden keinen oder keinen gutbezahlten Job. Großeltern sehen ihre Enkel nur noch selten. Das fordert uns heraus. Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland schaffen, und dazu handeln wir strukturell und inhaltlich. Genau deshalb ist das Bundesinnenministerium um die Bereiche Bau und Heimat erweitert worden, und eine Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ wird unter Leitung des Innenministers die Programme aller betroffenen Ressorts bündeln, um mit Ländern und Kommunen Antworten auf die wirklich berechtigte Erwartung der Menschen an die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land zu geben. Dabei reagieren wir sowohl auf die demografischen Herausforderungen, die wir haben, die ja ländliche Regionen in besonderer Weise treffen, als auch auf den notwendigen Strukturwandel – ich denke zum Beispiel an die Braunkohleregionen in den neuen Ländern oder in Nordrhein-Westfalen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das, was wir uns für die Verbesserung der Lebensbedingungen in unserem Land vorgenommen haben, wird letztlich nur gelingen, wenn noch mehr Menschen als heute Arbeit haben. Deshalb wollen wir bis zum Jahre 2025 Vollbeschäftigung erreichen. Das bedeutet aber, dass wir uns mit großer Ernsthaftigkeit um die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Landes kümmern; denn die Wirtschaft schafft die Arbeitsplätze, die wir brauchen. ({49}) Unsere Wirtschaft, ob kleinere, mittlere oder große Unternehmen, steht heute gut da. Doch zugleich haben wir ein doppeltes Problem: Einerseits brauchen wir in allen Bereichen mehr Fachkräfte, und deshalb werden wir ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschieden. Erstmals bekennen sich alle Koalitionsparteien dazu. ({50}) Andererseits müssen wir die heute Arbeitslosen weiter befähigen, wieder in den Arbeitsmarkt hineinzukommen. Bei einigen Langzeitarbeitslosen wissen wir allerdings auch, dass wir dazu einen sozialen Arbeitsmarkt brauchen, den wir jetzt schaffen werden, ({51}) der allerdings auch durchlässig sein muss; denn er darf kein Ort der Aussichtslosigkeit werden. ({52}) Die hohe Zahl von Erwerbstätigen heute sagt allerdings wenig, um nicht zu sagen: gar nichts, über die Zukunft aus. Nehmen wir einmal das Beispiel Nokia. Im Jahre 2007 – das ist gut zehn Jahre her – verkaufte Nokia 50 Prozent aller Mobiltelefone weltweit. Zehn Jahre später, nachdem das Smartphone auf den Markt kam, liegt der Verkaufsanteil von Nokia noch bei 1 Prozent. Daran sehen wir, dass sich durch die rasante Digitalisierung aller Lebensbereiche, durch die wachsende weltweite Verflechtung des Wirtschaftens, durch aufstrebende Schwellenländer – ich nenne China –, durch die Herausforderungen des Klimaschutzes die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens rasant und qualitativ oft disruptiv verändern. Übrigens: Viele sagen mir, dass es ein Weiter-so in der neuen Legislaturperiode nicht geben dürfe. Stimmt! Ein Weiter-so kann es gar nicht geben; denn die Welt um uns herum ändert sich nicht einfach so, sondern sie ändert sich gerade epochal. Unsere Leitindustrien, namentlich die Automobilindustrie und ihre Zulieferer, aber auch die pharmazeutische Industrie, die Chemie und der Maschinenbau, sie alle sind davon betroffen. Es ist nicht garantiert, dass wir in fünf oder zehn Jahren wirtschaftlich so gut dastehen wie heute. ({53}) Fehler in einzelnen Branchen können sich sehr schnell zu systemischen Problemen entwickeln. Wie schnell das gehen kann, sehen wir beim Dieselthema. Deshalb wird sich die Bundesregierung – das wird eine der ersten Amtshandlungen sein – mit der Zukunft des Dieselantriebs befassen. Saubere Luft, intelligente innerstädtische Verkehrssysteme und Nutzung individueller Mobilität müssen in Einklang gebracht werden, ({54}) und zwar so, dass Arbeitsplätze nicht in Gefahr geraten, die Käufer von Dieselautos nicht die Dummen sind und wir trotzdem Luft und Klima schützen – ({55}) im Grunde eine Quadratur des Kreises. ({56}) – Ja, auch eine schöne Aufgabe. Flächendeckende Fahrverbote lehnen wir ab. Wir brauchen vielmehr maßgeschneiderte Lösungen für die von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Kommunen. Die allermeisten Kommunen – Jahr für Jahr sinkt ja auch der Stickoxidausstoß – werden in der Kombination von eigenen Luftreinhalteplänen, Förderprogrammen des Bundes und zwingend notwendigen Beiträgen der Automobilindustrie die Grenzwerte sehr bald einhalten können. Einige wenige Städte werden besondere Lösungen brauchen, und dabei nehmen wir die Automobilindustrie in die Pflicht. ({57}) Für die eigenen Fehler müssen die Hersteller geradestehen, und wir müssen dafür sorgen, dass ausreichend in die Mobilität der Zukunft investiert wird; auch das ist wichtig. ({58}) Verbrennungsmotoren sind eine Brückentechnologie, die wir zwar noch auf absehbare, relativ lange Zeit brauchen, aber die Zukunft gehört alternativen Antrieben. Hier setzt die Bundesregierung mit umfangreichen Förderprogrammen an. Deutschland braucht – da steht die Automobilbranche stellvertretend für viele – auch in Zukunft ein starkes industrielles Rückgrat. Deshalb entwickeln wir mit Frankreich ein modernes Unternehmensteuerrecht, auch als Antwort auf den globalen Wettbewerb. Deshalb investieren wir in Forschung und Entwicklung. Gemeinsam mit dem privaten Sektor wollen wir bis 2025 nicht nur 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Innovation investieren, sondern 3,5 Prozent. Wir werden für kleinere und mittlere Unternehmen eine steuerliche Forschungsförderung einführen. Da die Investitionszyklen kürzer sind, werden wir neue Abschreibungsmöglichkeiten einführen, Start-ups fördern und Bürokratie abbauen. Wir brauchen neue Schwerpunkte der Innovation. Ich nenne hier die künstliche Intelligenz – auch in deutsch-französischer Kooperation. Investitionen in die Infrastruktur – Straßen, Schienen, Breitbandausbau, Stromtrassen – werden in unserem Programm gestärkt. Aber vorrangig ist, so banal es klingen mag, die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Ansonsten können viele Projekte nicht realisiert werden; zwar ist das Geld da, aber die Planung zu langsam. ({59}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bezahlbare Energie ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Industriestandort. Bezahlbarkeit zu sichern und die Energiewende hin zu marktnahen erneuerbaren Energien voranzubringen, das entscheidet darüber, ob wir unsere Klimaschutzziele erreichen. Wir werden ein Klimaschutzgesetz verabschieden, um unsere Klimaziele 2030 zu erreichen und den Weg dahin verlässlich vorzuschreiben. Dazu gehört auch ein Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen sozialen und strukturpolitischen Begleitmaßnahmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den Treiber des Wandels unserer Arbeits- und Wirtschaftswelt gestalten, und das ist der digitale Fortschritt. Was immer digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden. Wo früher Massenproduktion stattfand, findet heute individuelle Produktion mit der Stückzahl eins statt. Daten werden zum Rohstoff des 21. Jahrhunderts, insbesondere Daten über das Verhalten und die Wünsche der Kunden. Hersteller, ihre Maschinen und ihre Produkte werden digital, und zwar global, vernetzt. Menschen und Maschinen – Maschinen, das heißt Roboter – arbeiten zusammen, und Maschinen können mithilfe der künstlichen Intelligenz zu lernenden Systemen werden. Alle diese Entwicklungen vollziehen sich in einem atemberaubenden Tempo. Die Geschwindigkeit des Handelns – man kann auch sagen: das Tempo des Handelns – wird zum entscheidenden Faktor unserer Zukunftsfähigkeit. Das bedeutet, die soziale Marktwirtschaft mit Ludwig Erhards Versprechen vom „Wohlstand für alle“ muss eine neue Bewährungsprobe bestehen. Was genau ist die Rolle der Politik unter diesen Umständen? Zunächst einmal muss die Politik wie vor 70 Jahren während der Anfänge der sozialen Marktwirtschaft Leitplanken setzen, den rechtlichen Rahmen schaffen, im Wettbewerbsrecht, im Steuerrecht und bei der Frage der Sicherung des Eigentums, eine der Kernfragen der sozialen Marktwirtschaft. Genau hier stellen sich die schwierigsten Aufgaben. Wenn Daten der Rohstoff der Zukunft sind, dann entscheidet die Souveränität des Menschen über diese Daten und damit auch über die Frage des Eigentums und damit der Teilhabe jedes Einzelnen. Wird der Einzelne auf neue Weise ausgebeutet, weil die Daten privaten Monopolen oder Staaten gehören? Oder schaffen wir es, ein faires System des Dateneigentums aufzubauen? Diese Fragen sind Herausforderung und Chance, nicht nur für Deutschland, sondern für die Europäische Union insgesamt. Die Frage, die uns in diesen Tagen im Hinblick auf Facebook beschäftigt, was da mit den Daten passiert ist, ist nur ein Ausschnitt aus der gesamten Frage. Deshalb haben Europa und Deutschland durch die Erfahrung mit der sozialen Marktwirtschaft die einmalige Chance, hier wieder ein gerechtes, den Menschen in den Mittelpunkt stellendes System der Teilhabe an der Souveränität der Daten zu schaffen. Aber bis dahin haben wir noch einen weiten Weg zu gehen. Die Datenschutz-Grundverordnung ist ein erster kleiner zaghafter Schritt. Hier müssen wir weitergehen, wenn wir es gerecht machen wollen. ({60}) Natürlich ist die Infrastruktur, das heißt der Ausbau von Breitband, eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Erfolg der Digitalisierung. Wir wollen, dass bis 2025 alle Zugang zu Breitbandnetzen haben. Wir wollen den Ausbau der 5G-Netze flächendeckend durchsetzen. Hierfür haben wir im Koalitionsvertrag den Weg vorgezeichnet. Wir brauchen ein einheitliches Vorgehen der Bundesregierung, um die IT-Systeme des Bundes zu bündeln. Das Kanzleramt wird hierbei seine koordinierende Funktion stärken. Wir brauchen eine digitale Verwaltung beim Umgang der Bürger mit ihrem Staat auf allen Ebenen. Dem dient die Schaffung eines Bürgerportals mit jeweils einem Zugang für jeden Bürger zu allen öffentlichen Stellen. Alle Ministerien werden ihre digitalen Kompetenzen verstärken: von Wirtschaft 4.0 über Arbeit 4.0 bis in den Forschungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftsbereich – um nur einige zu nennen. Wir werden einen Kabinettsausschuss Digitalisierung schaffen. Um die gesamte Breite der durch die Digitalisierung entstehenden neuen gesellschaftlichen Entwicklungen zu erfassen und zu durchdringen, werde ich einen Digitalrat mit Vertretern und Sachverständigen aller Bereiche gründen, der mich und die ganze Bundesregierung beraten wird; denn neue Erkenntnisse müssen wegen des rasanten Wandels natürlich möglichst schnell in politisches Handeln umgesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Digitalisierung und Abschottung sind zwei Pole, die sich nach unserem Verständnis besonders schlecht vertragen. Deshalb ist das 21. Jahrhundert eigentlich das Jahrhundert der multilateralen Lösungen und der multilateralen Institutionen. Das gilt ganz besonders für den Handel. Die Bundesregierung ist überzeugt, dass Abschottung am Schluss allen schadet. Deshalb werden wir uns in den anstehenden Diskussionen, derzeit mit der amerikanischen Administration, natürlich weiter für Gespräche einsetzen, notfalls aber auch unmissverständliche Gegenmaßnahmen ergreifen. Das wird auch ein Thema beim kommenden Europäischen Rat sein. Wolfgang Schäuble hat einmal festgestellt, dass die Europäische Union die beste Idee ist, die wir Europäer im 20. Jahrhundert hatten. ({61}) Man kann es trotz aller Schwierigkeiten und Mühsal kaum treffender beschreiben. Die Europäische Union hat sich seit ihrer Gründung als Glücksfall gerade für uns Deutsche erwiesen; ({62}) denn machen wir uns nichts vor: Die Welt um uns herum ist ungemütlich und unübersichtlich. Europa ist heute von großen Konflikten umgeben. Instabilität, Gewalt, die Verletzung völkerrechtlich anerkannter Grenzen – all das findet heute, und zwar vor unserer Haustür, statt. Europas wirtschaftliche Bedeutung hat sich durch den Aufstieg anderer Regionen relativiert. Auch wenn die Europäische Union als Ganzes endlich wieder Wirtschaftswachstum hat, sitzen viele der Lokomotiven der digitalen Weltwirtschaft nicht in Europa, sondern in den USA oder in Asien. Schon heute ist absehbar, dass eines Tages kein europäisches Land mehr als 1 Prozent der Weltbevölkerung stellen wird. Deshalb bin ich überzeugt: Unsere Zukunft liegt im Zusammenhalt Europas, ({63}) nicht in Kleinstaaterei, nicht im Rückzug auf sich selbst, nicht in nationalen Egoismen. Nur gemeinsam können wir unsere Souveränität, unsere Interessen und unsere Werte verteidigen. Nur gemeinsam werden wir in der Lage sein, unseren Wohlstand auf Dauer zu sichern. Und nur gemeinsam wird es uns gelingen, unseren Friedens- und Stabilitätsbeitrag in der Welt überhaupt leisten zu können. Deshalb werden wir beim morgigen Europäischen Rat über einige Themen sprechen, die für die zukünftige Entwicklung Europas entscheidend sein werden. Wir werden natürlich über die internationalen Handelsbeziehungen sprechen. Sie wissen, dass die Entscheidung der USA ansteht, ob Zölle auf Stahl und Aluminium auch für Europa eingeführt werden. Wir halten diese Zölle für rechtswidrig. Wir glauben, sie sind schädlich – ich habe das gesagt –; aber wir müssen die Entwicklung natürlich abwarten. Nachdem wir am Donnerstag beim Europäischen Rat gemeinsame Fragen der 28 Mitgliedstaaten besprochen haben werden, wird es am Freitag zwei Treffen geben: Zum einen kommen wir im Format der 27 – ohne Großbritannien – zusammen und werden über das zukünftige Verhältnis zu Großbritannien sprechen. Dafür liegen jetzt die entsprechenden Leitlinien auf dem Tisch. Wir wollen ein freundschaftliches, enges Verhältnis zu Großbritannien in möglichst vielen Bereichen. Aber natürlich wird das Verhältnis von Großbritannien zur Europäischen Union durch den Wunsch, weder dem Binnenmarkt noch der Zollunion anzugehören, nicht so eng sein können, wie es heute ist. Es geht also im Kern um ein sehr tiefgreifendes, detailliertes Freihandelsabkommen, das nach dem derzeitigen Stand der Dinge zu verhandeln ist. Es ist entscheidend, dass die Europäische Union der zukünftig 27 Mitgliedstaaten in den kommenden Monaten genauso gemeinsam auftritt, wie wir das bisher gemacht haben. Zum anderen werden wir am Freitag mit den 19 Mitgliedstaaten des Euro-Raums tagen und über die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion sprechen; denn nachdem die akute Krise des Euro bewältigt ist und auch Griechenland Chancen hat, sein Programm zu verlassen, nachdem alle Mitgliedstaaten des Euro-Raums wieder wachsen und die Arbeitslosigkeit sinkt, geht es jetzt um die langfristige Absicherung und Stabilität des Währungsraums, um eine Bankenunion, eine Kapitalmarktunion und eine abschließende Struktur der Zusammenarbeit im Euro-Raum. Dazu gehört die Weiterentwicklung des europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem europäischen Währungsfonds und die Frage, wie wir durch Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und gegebenenfalls zusätzliche Finanzmittel die wirtschaftliche Konvergenz im Euro-Raum verbessern. Denn wie das Wort schon sagt: Es handelt sich um eine Wirtschafts- und Währungsunion und nicht nur um eine Währungsunion. Von einer Wirtschaftsunion sind wir jedoch noch immer weit entfernt; denn eine Wirtschaftsunion ist viel mehr als nur der Binnenmarkt. Natürlich bleibt die zentrale Verantwortung für die wirtschaftliche Stärke dabei bei den Mitgliedstaaten. Haftung und Kontrolle müssen immer Hand in Hand gehen. ({64}) Wir haben erlebt, dass das Fehlverhalten eines Landes die Entwicklung aller in Gefahr bringen kann. Damit dies nicht wieder geschieht, brauchen wir eine Gesamtarchitektur der Euro-Zone. Die abschließenden Entscheidungen dazu sollen im Europäischen Rat im Juni gefällt werden. Wir werden im Juni auch über das Gemeinsame Europäische Asylsystem entscheiden. Außerdem brauchen wir neben der stärkeren und strukturierten Zusammenarbeit in Fragen der Verteidigung auch viel mehr Gemeinsamkeit in der Außenpolitik. Die anstehenden Probleme zeigen es. Das gilt neben der transatlantischen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada natürlich auch für unser Verhältnis zu China und Russland. Dabei muss Deutschland angesichts der vielen internationalen Krisen auch weiterhin ein verlässlicher Partner sein – nicht nur in der EU, sondern auch in der NATO. Im Koalitionsvertrag bekennen wir uns zu den Zielen des Bündnisses, also auch zu den finanziellen Beiträgen. Für uns ist ein vernetzter Handlungsansatz zentral. Deshalb werden wir die Ausgaben für Entwicklungshilfe und Verteidigung jeweils eins zu eins erhöhen, bis wir das 0,7-Prozent-Ziel bei der ODA-Quote erreicht haben. ({65}) Aber mit Blick auf die Verteidigungsausgaben gilt: Wir brauchen eine modern ausgerüstete und einsatzfähige Bundeswehr. Der letzte Bericht des Wehrbeauftragten zeigt überdeutlich, dass hier noch viel zu tun ist – obwohl wir in den vergangenen vier Jahren eine Wende bei den Ausgaben für Verteidigung vollzogen haben. Wir müssen in diese Richtung weiterarbeiten. Ich will Ihnen – vielleicht hier manchmal ein Geheimnis, aber eigentlich kein Geheimnis – verraten: ({66}) Es gibt in der NATO und in der EU nicht ein einziges Mitgliedsland, das der Meinung ist, dass Deutschland zu viel für seine Verteidigung ausgibt. Ängste vor Übermilitarisierung in Bezug auf Deutschland gibt es außerhalb Deutschlands nirgends. ({67}) Lassen Sie mich an dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst im In- und Ausland danken und ebenso denen, die für die Entwicklungszusammenarbeit für unser Land rund um den Globus unterwegs sind. ({68}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bewältigung internationaler Spannungen und Konflikte wird uns auch in den nächsten Jahren stark in Anspruch nehmen. Wie sehr, wird schon an wenigen Punkten deutlich. Beispielhaft für eine der akuten Krisen ist der Einsatz des schrecklichen Nervengifts in Großbritannien – einer verbotenen chemischen Substanz. Wir stehen an der Seite Großbritanniens und sind solidarisch. Viele Hinweise deuten auf Russland hin. ({69}) Deshalb ist Transparenz von Russland gefragt, um den Verdacht aus der Welt zu schaffen. ({70}) – Nicht „schon wieder“. Ich wäre froh, wenn ich an dieser Stelle Russland nicht nennen müsste, meine Damen und Herren. Aber wir können Evidenzen nicht auflösen, weil wir Russland nicht nennen wollen; so geht es ja nun auch nicht. ({71}) Es gilt, weiter an der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu arbeiten, um die Souveränität der Ukraine zu sichern und das Verhältnis zu Russland wieder auf eine neue Grundlage zu stellen. Der Irak muss stabilisiert werden. Das Sterben in Syrien muss ein Ende finden, und die politische Zukunft Syriens muss angegangen werden; ich habe dazu vorhin schon etwas gesagt. ({72}) Libyen muss stabilisiert und unterstützt werden. Die Arbeit für die Erhaltung des iranischen Nuklearabkommens wird uns in den nächsten Wochen zusammen mit Frankreich und Großbritannien sehr beschäftigen. Nicht zuletzt zum Verhältnis zu unserem europäischen Nachbarn und NATO-Partner, der Türkei: Das ist und bleibt schwierig. Uns verbindet viel mit der Türkei: Über 3 Millionen Menschen in unserem Land haben türkische Wurzeln; unsere Volkswirtschaften sind eng verbunden; wir stehen zusammen im Kampf gegen den Terrorismus; wir arbeiten verlässlich zusammen beim Thema Migration. Aber in der jüngsten Vergangenheit waren die Beziehungen unserer Länder größten Belastungen ausgesetzt – nicht nur wegen dem, was in Afrin passiert –; denken wir an die Verhaftungen von Deniz Yücel, Peter Steudtner, Mesale Tolu und anderen. Wir freuen uns, dass diese Menschen wieder in Freiheit sind; aber wir werden uns genauso entschieden für die Freiheit derjenigen einsetzen, die noch in Haft sind. ({73}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD muss nun mit großer Dringlichkeit in die Tat umgesetzt werden. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt allerdings, ({74}) dass wir zu Beginn einer Legislaturperiode bei weitem nicht alle Herausforderungen erahnen konnten, die wir in den folgenden vier Jahren bewältigen müssen. Inzwischen kennen Sie mich. Ich werde jeden Tag von morgens bis abends meine ganze Kraft und Energie nach bestem Wissen und Gewissen dafür einsetzen, das Beste für die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, für alle Menschen in unserem Land zu erreichen. Denn ich möchte alles dafür tun, dass die Menschen am Ende dieser Legislaturperiode sagen: Die in Berlin haben aus dem Wahlergebnis vom September 2017 etwas gelernt. ({75}) Die haben wirklich etwas verstanden und viel Konkretes und Gutes für uns erreicht. Ich möchte, dass am Ende dieser Legislaturperiode diese Bilanz gezogen wird: Unsere Gesellschaft ist menschlicher geworden, Spaltungen und Polarisierungen konnten verringert, vielleicht sogar überwunden werden, und Zusammenhalt ist neu gewachsen. Ich möchte, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode sehen können: Wir haben eine starke Dynamik entfaltet, und Deutschland hat ein gutes Stück des Weges in das digitale Zeitalter bewältigt. Ich möchte, dass am Ende dieser Legislaturperiode erkennbar ist: Wir haben einen neuen Aufbruch für Europa erreicht, und Europa steht gestärkt da. Ich lade alle, die an diesem Deutschland und Europa mitbauen und mitarbeiten wollen, ein, genau daran mitzuwirken. Dabei leitet mich heute wie am Anfang meiner Kanzlerschaft ein Ansatz, den ich am besten mit meinen eigenen Worten von damals beschreibe – ich darf dazu aus meiner ersten Regierungserklärung vom 30. November 2005 vor diesem Haus zitieren –: … fragen wir zuerst, was geht, und suchen wir nach dem, was noch nie so gemacht wurde … Überraschen wir uns also damit, was möglich ist, überraschen wir uns damit, was wir können! … ich bin überzeugt, Deutschland kann es schaffen. ({76}) Heute füge ich hinzu: Deutschland, das sind wir alle. Herzlichen Dank. ({77})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den deutschen Kinos läuft zurzeit der Film „Die dunkelste Stunde“ über den englischen Kriegspremier Winston Churchill. Es ist ein Lehrfilm über die Kraft des Wortes in einer fast ausweglosen Situation, als England sich mit fast leeren Händen und eben leidenschaftlichen Worten verteidigen musste. Nun liegt es mir fern, die Frau Bundeskanzlerin mit dem wortgewaltigen Winston Churchill vergleichen zu wollen, ({0}) aber ein bisschen mehr Pathos, ein bisschen mehr Tiefgang ({1}) oder auch das, was Helmut Schmidt einmal kritisch „Vision“ genannt hat, ({2}) hätte ich mir schon gewünscht, lieber Herr Lindner. ({3}) Sie, Frau Bundeskanzlerin, behaupten ja wieder, eine gespaltene Gesellschaft versöhnen zu wollen, auch mit der Kraft der Ansprache – die nicht mehr ganz so große Koalition sozusagen als Schmiermittel zur Integration der täglich neu Ankommenden in die Gemeinschaft der schon länger hier Lebenden. ({4}) Von Deutschen war bei Ihnen schon lange nicht mehr die Rede. Im Manuskript Ihrer Rede habe ich das Wort nicht gefunden, aber Sie haben das erste Mal wieder von Deutschen gesprochen. Das ist der Erfolg der AfD. ({5}) Ja, ich weiß, einmal in der Legislaturperiode schwören Sie einen Eid. Er gemahnt Sie an die Verpflichtung, Schaden vom deutschen Volk fernzuhalten. Dass Sie das aus unserer Sicht nicht tun, belegen die Koalitionsverhandlungen. ({6}) Die Masseneinwanderung, Frau Bundeskanzlerin, geht ungebremst weiter. Eine Obergrenze, gefordert einmal von Ihrem Innenminister, gibt es nicht. Allein der Zufall und die Wetterkonditionen auf dem Mittelmeer entscheiden über die Zahl der Neuankömmlinge. ({7}) „Herrschaft des Unrechts“ hat Ihr Innenminister es einmal genannt und wird darin von einem deutschen Obergericht, dem Oberlandesgericht Koblenz, bestätigt, das in der Begründung seiner Entscheidung vom 14. Februar 2017 die bemerkenswerten Sätze schrieb – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Zwar hat sich der Betroffene durch seine unerlaubte Einreise in die Bundesrepublik ... strafbar gemacht ... Die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik ist in diesem Bereich jedoch seit rund eineinhalb Jahren außer Kraft gesetzt und die illegale Einreise ins Bundesgebiet wird momentan de facto nicht mehr strafrechtlich verfolgt. ({8}) Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin: Rechtsbruch als Dauerzustand, und kein Ende abzusehen! ({9}) Wenn ich mir Ihren Koalitionsvertrag anschaue und mir die Leidenschaft vor Augen führe, mit der erstaunlicherweise besonders Sozialdemokraten den Familiennachzug subsidiär Geschützter, also von Menschen, die kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben, durchgesetzt haben – 1 000 pro Monat und Härtefälle obenauf –, frage ich mich, welche Verkäuferin in Dresden oder welcher Bandarbeiter in Wolfsburg daran auch nur das geringste Interesse nimmt. Aber Sie müssen ja wissen, für wen Sie Politik machen. ({10}) Weder im Wahlkampf noch im Koalitionsvertrag noch in der Regierungserklärung spielen Attentäter, Messermorde und Vergewaltigungen eine Rolle, auch nicht die Tatsache, dass die Kriminalitätsrate unter Migranten erheblich höher ist als unter Einheimischen, auch nicht die aberwitzigen Kosten – die kommen gar nicht vor – der illegalen Zuwanderung in Höhe von 50 Milliarden Euro jährlich, die das Institut der deutschen Wirtschaft berechnet hat. In dem Land, in dem Sie gut und gerne leben, Frau Bundeskanzlerin, bekommt ein Syrer mit zwei Ehefrauen und sechs Kindern in Pinneberg ein ganzes Haus und üppige Sozialleistungen geschenkt, während immer mehr Deutsche obdachlos werden – allein hier in Berlin gibt es 6 000 davon –, ({11}) immer mehr Rentner verarmt sind und ihr Essen von Lebensmitteltafeln holen müssen. Wenn das dann nicht zusammengeht, müssen sich die freiwilligen Helfer der Tafeln auch noch beschimpfen lassen – wie kürzlich in Essen. Ja, Frau Bundeskanzlerin, die Gesellschaft zerfällt. Sie selbst haben im Fernsehen vor No-go-Areas gewarnt. Sie haben gesagt – ich zitiere Sie –: … solche Räume gibt es. Die muss man dann auch beim Namen nennen und etwas dagegen tun. Wer, bitte schön, ist „man“, Frau Bundeskanzlerin? ({12}) Die Folgen Ihrer Politik der offenen Grenzen holen Sie aber nicht nur in der Innenpolitik ein; denn niemand in Europa will die Folgen dieser Politik tragen. Zu Recht sagen die Polen, Ungarn, Slowaken, Tschechen: Wenn Frau Merkel Menschen nach Deutschland holt, geht uns das nichts an. Wir haben die Einladung nicht ausgesprochen. – Recht haben diese Völker und deren Staatsmänner. Das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes umfasst natürlich auch das Recht, zu bestimmen, mit wem ich zusammenleben will und wen ich in meine Gemeinschaft aufnehme. Es gibt keine Pflicht zu Vielfalt und Buntheit. Es gibt auch keine Pflicht, meinen Staatsraum mit fremden Menschen zu teilen. ({13}) Indem Sie immer von neuem den Versuch machen, Frau Bundeskanzlerin, die Fehler Ihrer Politik anderen aufzubürden, spalten Sie Europa. Herrn Tusk haben Sie auf diesem Wege schon verloren, andere werden folgen. Das ruiniert aber schon im Ansatz Ihren Anspruch, die Europäer zusammenzuführen. Und da in der Welt staatlicher Interessen nichts umsonst ist, müssen Sie jetzt Herrn Macron weit entgegenkommen – mit allen möglichen finanzpolitischen Unverdaulichkeiten, die am Ende auf eine Transferunion mit neuen deutschen Lasten hinauslaufen. ({14}) Sie haben sich, Frau Bundeskanzlerin, in Europa mit Ihrer Flüchtlingspolitik so weit isoliert, dass Sie dankbar sein müssen, wenn der französische Präsident Ihre finanziellen Opfer huldvoll entgegennimmt. ({15}) Deutschen Interessen, meine Damen und Herren, dient das schon lange nicht mehr. Aber wir folgen ja auch nicht deutschem Interesse, sondern einem imaginären europäischen – wer immer das auch definiert. ({16}) Und so kann man die Bundeskanzlerin und ihren neuen Außenminister nur an eine Warnung – ja, lachen Sie jetzt gleich! – Otto von Bismarcks erinnern, der einmal feststellte: Ich habe das Wort „Europa“ immer im Munde derjenigen Politiker gefunden, die von anderen Mächten etwas verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu fordern wagten … ({17}) Vielleicht fragen Sie mal Ihren Kollegen, den Präsidenten Macron, nach diesem Zitat. Meine Damen und Herren, auch wenn Sie es anders sehen: Es hat sich in der Außenpolitik seit den Tagen ­Bismarcks eben nicht so viel geändert, und deswegen kann man sehr gut daran erinnern. ({18}) Danke. ({19})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der SPD, Andrea Nahles. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist unsicher – das ist kein Gefühl, das ist so –, und das hat konkrete Auswirkungen auf unser Leben. Wir haben diese Bundesregierung – ich spreche hier für die diese Regierung tragenden Fraktionen – gebildet, um die Konflikte, die es gibt, nicht noch weiter anzuheizen, sondern um sie zu lösen, Brücken zu bauen und auf dieser Basis auch deutsche Interessen zu vertreten. ({0}) Wenn wir darüber reden, was diese Welt unsicher macht, dann müssen wir über die militärischen Konflikte reden, die es derzeit gibt, zum Beispiel in Syrien, mit weitreichenden Konsequenzen auch für unser Land. Aber wir sind auch über das Verhalten unseres Bündnispartners Türkei besorgt. Für Staaten gilt das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen. Nur in Ausnahmesituationen kann diese Regel etwa durch das Recht zur Selbstverteidigung kurzfristig ausgesetzt werden. Es gibt berechtigte Zweifel, dass ein Angriff durch die syrischen Kurden auf die Türkei erfolgt ist oder eine direkte Bedrohung türkischen Staatsgebietes vorliegt. Weder von der Verhältnismäßigkeit noch von der Dauer her dürfte sich der Einsatz des türkischen Militärs mit dem Recht zur Selbstverteidigung begründen lassen. Dieses völkerrechtswidrige Verhalten halten wir deswegen nicht für akzeptabel. ({1}) Auch die bewaffneten Konflikte in Afghanistan, im Irak und in der Ukraine sowie die unsichere Lage auf der koreanischen Halbinsel erfüllen uns mit Sorge und erfordern umsichtiges Vorgehen, aber auch eine klare Haltung. Und ich sage hier: Wir haben einen funktionierenden Kompass. Das kann man leider nicht von allen Fraktionen in diesem Haus sagen, bestimmt nicht von der AfD, ({2}) die sich vom syrischen Diktator Assad für seine Propa­gandazwecke hat einspannen lassen. ({3}) „Pfui!“, sage ich dazu nur. Wenn ich sage, wir haben eine unsichere Welt, dann sage ich das durchaus auch vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Konflikte, die Sorgen machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Strafzölle sind nun mal Relikte aus dem 19. Jahrhundert. Sie stellen keine passenden Antworten auf die Probleme des 21. Jahrhunderts dar. ({4}) Unser Standpunkt ist klar: Wir brauchen freien und fairen Handel. Er ist gut für alle. Alles andere schadet, übrigens auch den USA. Davon bin ich fest überzeugt. ({5}) Ich bin Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier dankbar, dass sie den direkten Austausch gesucht haben. Aber ich bin der Meinung: Wenn es zur Erhebung von Strafzöllen kommt, dann müssen wir auch entschlossen darauf reagieren. Genauso entschlossen sollten wir auch an die weiteren Konflikte wirtschaftlicher Art, die es noch gibt, herangehen. Mit Sicherheit eine große Herausforderung stellt der chinesische Staatskapitalismus dar, bei dem man von betrieblicher Mitbestimmung weit entfernt ist. Auf der anderen Seite gibt es Monopole – Silicon Valley lässt grüßen –, die zwar mit Menschenrechtsrhetorik daherkommen, aber nicht bereit sind, hier Steuern zu zahlen und Arbeitnehmerrechte zu wahren. Deswegen sage ich: Es muss Antworten geben, und eine Antwort, die wir haben, ist ein starkes Europa. Das ist einer der wesentlichen Punkte, um die es gehen muss: dieses Europa zu stärken und die Zusammenarbeit in Europa zu verbessern. ({6}) Deswegen ist es ein gutes Zeichen, dass sowohl Sie, Frau Bundeskanzlerin, als auch Olaf Scholz, der Vizekanzler und Finanzminister, und auch Heiko Maas, der Bundesaußenminister, sofort nach Amtsantritt nach Paris geflogen sind und dort die Gesprächsfäden aufgegriffen haben; denn nur die Achse Deutschland-Frankreich kann den Zusammenhalt in Europa wirklich vorantreiben. ({7}) Es gibt Kräfte in Europa, die viel Zeit und Geld investieren, um Europa zu destabilisieren. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, müssen daher Zeit und Geld investieren, um Europa zusammenzuhalten. Das ist unsere Verpflichtung und unser Auftrag. Damit das gelingt, muss die Europäische Union gestärkt und reformiert werden; das ist keine Frage. Wir brauchen eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion – die Frau Bundeskanzlerin hat das eben sehr präzise beschrieben –, um die Europäische Union krisenfester und wachstumsfreundlicher zu machen. Wir brauchen aber auch den Aufbau einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist gerade für die Osteuropäer ein ganz entscheidender Punkt. Darüber hinaus brauchen wir eine weitere Angleichung der Lebensverhältnisse. Der nächste Haushalt der Europäischen Union muss ein Investitionshaushalt sein. Außerdem brauchen wir Mindeststandards sozialer Natur, damit dieses Europa zusammenhält. Das ist ein entscheidender Punkt, den wir auch im Koalitionsvertrag niedergelegt haben. ({8}) Ich habe gesagt, wir brauchen ein starkes Europa; denn das ist eine Antwort auf die Unsicherheit. Eine weitere Antwort darauf ist, uns selbst zu stärken, auch im Inneren. Stärke entsteht nach meiner Einschätzung durch Zusammenhalt. Den Zusammenhalt in unserem Land zu festigen und gute Perspektiven für die Zukunft aller in unserem Land zu eröffnen, das ist das große Ziel dieser Bundesregierung. Auch hier gilt: Wir wollen die Konflikte, die es in unserer Gesellschaft gibt, nicht noch anheizen, sondern sie lösen; und wir fangen damit bei den Alltagssorgen der Menschen an. Nehmen wir zum Beispiel eines der Themen, das mir zunehmend begegnet: Zusammenhalt. Das ist zum Beispiel gute Nachbarschaft, ein Zuhause, in dem man sich aufgehoben fühlt, die Nachbarschaft, in der man sich kennt und hilft, der Kiez, in dem die Kinder zur Schule gehen. Das ist Heimat im besten Sinne. Doch in den Ballungszentren steht diese ganz simple Sache Heimat unter Druck. In München-Schwabing in der Agnesstraße zum Beispiel haben Mieterinnen und Mieter das ganz konkret erlebt. Es beginnt damit, dass ein Schreiben ins Haus flattert, in dem Modernisierungsmaßnahmen angekündigt werden: Zentralheizung einbauen, neue Elektroleitungen installieren, Fenster austauschen, Aufzug einbauen, Kellerdecke und Dach dämmen, Balkone vergrößern. Die Mieterhöhung wird gleich mitangekündigt. Da vervierfacht sich die Miete von heute auf morgen von 560 Euro auf rund 2 100 Euro. Das mag ein extremes Beispiel sein, aber es ist real passiert. Es ist auch nicht der einzige Ort in Deutschland, wo so etwas passiert. Ich glaube, dass die Frage des bezahlbaren Wohnens eine der zentralen sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts geworden ist. ({9}) Ob in Berlin, in Frankfurt, in Düsseldorf oder in München: Bürgerinnen und Bürger werden durch Luxussanierungen und explodierende Mieten aus ihrer Heimat, aus ihrem angestammten Quartier gedrängt. Das ist absolut nicht akzeptabel. Deswegen wollen wir dagegen vorgehen. Wir wollen extreme Mieterhöhungen nach Modernisierung und Sanierung stoppen. Wir wollen mehr und vor allem bezahlbaren Wohnraum schaffen und jungen Familien mit dem Baukindergeld Unterstützung beim Kauf von Eigentum zukommen lassen. ({10}) Das ist das Paket, zu dem wir hoffentlich sehr bald Gesetzesinitiativen in diesem Haus beraten können. ({11}) Zusammenhalt brauchen wir auch dort, wo Menschen aufeinander angewiesen sind: Das betrifft für mich den Bereich der Pflege. Viele Pflegerinnen und Pfleger in unserem Land können davon berichten, was es heißt, in der Nachtschicht für 50 Patientinnen und Patienten – teilweise schwerkrank – allein verantwortlich zu sein, von der Angst davor, dass etwas passieren könnte, von der Erleichterung, wenn die Schicht ohne Katastrophe überstanden ist. Ja, die Aufgaben, die im Bereich Gesundheit und Pflege vor uns liegen, sind groß und erfordern die volle Konzentration des zuständigen Ministers, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Das Ministerium kann die Arbeit sofort aufnehmen; denn wir haben im Koalitionsvertrag zahlreiche konkrete Maßnahmen vereinbart, um die Situation der Pflegenden und der Pflegekräfte zu verbessern. Zu den Maßnahmen gehören mehr Geld für Pflegepersonal und eine Personalmindestgrenze; das zu betonen, ist sehr wichtig. Neben den 8 000 neuen Fachkraftstellen, die Frau Merkel erwähnt hat, geht es um bessere Löhne über einen Tarifvertrag Soziales sowie um unbürokratische Hilfe für pflegende Angehörige. Schon bald werden uns hier sicherlich erste Gesetzesinitiativen erreichen. ({13}) Zusammenhalt bedeutet aus meiner Sicht aber auch, dass wir das Ziel der Vollbeschäftigung anstreben. Das können wir, das werden wir hoffentlich – ich bin sehr optimistisch. Aber das gelingt nicht, wenn wir nicht auch denen endlich eine Perspektive geben, die schon seit vielen Jahren arbeitslos sind, den Langzeitarbeitslosen. Hier ist der entscheidende Punkt, dass wir den Leuten nicht Maßnahmen – das haben wir oft genug getan – für 6 Wochen oder 6 Monate anbieten. Wer das ein paarmal mitgemacht hat, empfindet das als demütigend. Was wir machen wollen, ist, den Menschen über den sozialen Arbeitsmarkt – ich bin sicher, dass Hubi Heil das auch sehr schnell anpacken wird – Arbeit zu geben und Arbeitsverträge mit ihnen abzuschließen. Arbeit ist Würde, und darum geht es hierbei! ({14}) Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir das gemeinsam verabreden und absichern konnten. Wir haben dies entsprechend finanziert und werden es in allen Jobcentern in Deutschland anbieten können. Zusammenhalt setzt aber auch einen funktionierenden Generationenvertrag voraus. Wir spielen nicht Jung und Alt gegeneinander aus, sondern schaffen für Jung und Alt Planungssicherheit. Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist ja vor allem für die Jüngeren eine gute Nachricht, die sich nämlich darauf verlassen können müssen ({15}) – ja, glauben Sie es mir, Herr Buschmann –, dass die gesetzliche Säule auch in Zukunft die zentrale Säule des deutschen Rentensystems ist, auf die alle, auch die Jüngeren, bauen können. Das ist der entscheidende Vorteil. ({16}) Und ich denke, dass im Bereich der Rente insbesondere die Grundrente für langjährig Versicherte ein wesentlicher Baustein zur Verhinderung von Altersarmut sein wird. Wenn wir über Zusammenhalt reden, heißt das aus meiner Sicht auch, dafür zu sorgen, dass in die Integration von neu zu uns kommenden Menschen investiert wird. Jede Investition in Sprache, in die Integration in den Arbeitsmarkt – die Bundesagentur für Arbeit ist da nicht erfolglos; über 250 000 Menschen sind bereits in den ersten Arbeitsmarkt integriert worden; das ist doch eine sehr positive Entwicklung, die wir weiter verstärken müssen –, ({17}) jeder Euro, den wir da investieren, ist eine Investition in unsere eigene Zukunft, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Situation unseres Landes. Was wir zudem dringend brauchen, ist ein Einwanderungsgesetz. ({18}) Wir wollen ein geordnetes Verfahren, wir wollen steuern; aber wir wollen auch Weltoffenheit, und vor allem brauchen wir die Menschen, die zu uns kommen. Deshalb ist es ja nun – nach vielen, vielen Jahren der Diskussion – ein gemeinsames Projekt geworden, wofür ich mich ausdrücklich bedanken möchte. ({19}) Es dürfte in diesem Haus unstrittig sein, dass der Bildungspolitik für die Zukunft unseres Landes eine enorme Bedeutung zukommt. Von der Verbesserung unserer Bildungslandschaft, und zwar von der frühkindlichen Bildung bis hin zur Weiterbildung, hängt es ab, ob wir in zehn Jahren ein starkes Land mit sicheren Arbeitsplätzen sind. Davon bin ich fest überzeugt. Die ersten Weichen werden in der Bildung früh gestellt. Franziska Giffey wird sich darum bemühen, die frühkindliche Bildung auch qualitativ weiter voranzubringen. Insgesamt investieren wir in dieser Legislaturperiode 11 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung, in Kitas, in digitale Ausstattung, in Ganztagsschulen, in Berufsschulen, in Studienplätze, in BAföG, in Meister-BAföG und in Weiterbildung – mit einer nationalen Weiterbildungsstrategie und dem Recht auf Weiterbildungsberatung. Ich sage an dieser Stelle: Wer die Digitalisierung anpackt, der muss das zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern machen. Das ist keine rein technische Sache. Wir brauchen auch hier die Gewerkschaften; denn nur so können wir aus meiner Sicht die Stärke unseres Landes auch für die Zukunft bewahren. ({20}) Deswegen müssen wir die Weiterbildungsstrategie zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf den Weg bringen. In der Koalition sind wir uns einig: Wir wollen das Grundgesetz ändern, um die Kommunen dabei zu unterstützen, die Bildungsaufgaben so zu organisieren, dass das Geld in den Schulen vor Ort ankommt. Wir wollen, dass diese Mittel direkt ankommen. Das ist eine große Herausforderung. Ich hoffe, dass wir in diesem Haus für dieses Vorhaben auch von anderen Fraktionen Unterstützung bekommen. Das ist notwendig; denn das ist ein wichtiges Anliegen für unser Land. ({21}) Wir müssen den Strukturwandel unserer Wirtschaft vorantreiben. Gerade hinsichtlich Digitalisierung haben wir nun genug angekündigt. Ich denke, jetzt geht es darum, das umzusetzen. Ich glaube, es ist uns allen klar: Wir brauchen Dynamik; die ist an dieser Stelle tatsächlich wichtig. Wir belegen im internationalen Vergleich auch gar keine so schlechten Plätze. Im Bereich Robotisierung zum Beispiel liegen wir weltweit auf Platz fünf. Unser aller Auftrag ist es nun, Potenziale zu heben, damit wir im weltweiten Vergleich auch in den Bereichen Spitzenniveau erreichen, in denen wir das noch nicht erreicht haben, und das Spitzenniveau in den Bereichen halten, wo wir es erreicht haben. Nichts weniger dürfen wir uns in diesem Sektor für die nächsten Jahre vornehmen; da bin ich mir ganz sicher. ({22}) Dynamik brauchen wir auch beim Klimaschutz. Ich will es ganz ehrlich sagen: Ich bin froh, dass wir im Jahr 2019 ein Klimaschutzgesetz beschließen werden; denn es geht darum, ganz konkrete Maßnahmen zu verabreden, wie wir die Klimaziele erreichen wollen. Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist auch das Thema Braunkohle wichtig. Noch in diesem Jahr wird die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ihre Arbeit aufnehmen und bis Jahresende einen Plan für die Strukturentwicklung in den Braunkohlegebieten vorlegen. Zugleich soll auch ein Datum für den endgültigen Ausstieg aus der Braunkohlenutzung vereinbart werden. Wir müssen hier für einen Interessenausgleich stehen: Auf der einen Seite müssen wir den Klimaschutz vorantreiben und auf der anderen Seite die betroffenen Regionen mitnehmen und weiterentwickeln. Für mich sind das gleichrangige Aufgaben. Die Aufgabe ist nicht klein, aber ich bin mir sicher, dass Peter Altmaier und Svenja Schulze das sehr gut machen werden; denn sie kommen beide aus Bundesländern, in denen Strukturentwicklung schon fast zur DNA der jeweiligen Regionen gehört. Deswegen ist das Thema bei ihnen sicher in guten Händen; gegebenenfalls werden wir da noch einmal genauer hinschauen müssen. ({23}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Zukunft, über Dynamik und über Aufbruch für unser Land reden, müssen wir auch klar sagen: Wir brauchen neue Mobilitätskonzepte. Ich sage an dieser Stelle ganz klar, dass ich noch nicht im Detail weiß, wie wir die Quadratur des Kreises hinbekommen können. Ich bin mir aber sicher, dass wir gemeinsam der Auffassung sind, dass wir die betroffenen Kommunen damit nicht hängen lassen können. Wir können auch – das müssen wir an dieser Stelle klar sagen – die betroffenen Dieselfahrerinnen und Dieselfahrer nicht hängen lassen. Hier gibt es eine Verantwortung der Automobilindustrie. Für mich ist auch klar, Fahrverbote müssen, so gut es geht, vermieden werden. Sie müssen die absolute Ausnahme bleiben. Deswegen sind alle anderen Maßnahmen prioritär. ({24}) Der Dieselskandal, aber auch die jüngsten Datenleaks bei Facebook zeigen, dass wir die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in dieser Legislaturperiode noch einmal neu gewichten müssen. Sie haben eine viel größere Bedeutung als in der Vergangenheit. Es wird viel mehr erfasst. Die Möglichkeiten der Konsumentinnen und Konsumenten sind riesig, aber auch die Manipulationsmöglichkeiten sind enorm. Deswegen ist es richtig, dass Katarina Barley als neue Bundesjustizministerin direkt die Initiative für eine Musterfeststellungsklage ergriffen hat. Es gehört für mich nämlich zu einer modernen digitalen Wirtschaft dazu, dass die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt und geschützt werden. ({25}) Für eine lebendige Demokratie ist auch die lebendige parlamentarische Arbeit – das geht uns alle hier an – zentral. Dazu werden wir auch das Parlament stärken, beispielsweise indem wir regelmäßige Orientierungsdebatten führen, in denen es jenseits des täglichen Geschäfts um grundsätzliche Fragen geht. Wir wollen auch eine regelmäßige Befragung der Bundeskanzlerin im Plenum durch die Abgeordneten einführen. ({26}) Ob das gelingt, liegt aber nicht an der Regierung und den die Regierung tragenden Fraktionen alleine. Deswegen laden wir alle hier dazu ein, sich daran zu beteiligen. ({27}) Denn ich denke, wir sind uns einig, dass der Bundestag der zentrale Ort der Debatte sein soll. ({28}) Die Ministerinnen und Minister können sich bei der Umsetzung der vielen guten Projekte des Koalitionsvertrages auf die SPD-Fraktion verlassen. Das will ich klar sagen. Wir werden das eng begleiten – füge ich hinzu. Im Parlament als Zentrale der politischen Debatte werden wir aber die Interessen und Stimmen der Bürgerinnen und Bürger aus unseren Wahlkreisen, den Verbänden und den Interessenvertretungen aufnehmen und sie in die Beratung der Gesetzentwürfe einbringen. Das führt dann eben manchmal dazu, dass diese Gesetzentwürfe noch einmal geändert werden. ({29}) Das ist die Arbeit dieses Parlamentes, die wir leisten müssen, und das ist auch unser Mandat. Für mich heißt diese Arbeit, jeden Tag zu beweisen, dass die parlamentarische Demokratie die beste aller Staatsformen ist. Das müssen wir uns immer klarmachen. Diesen Beweis jeden Tag neu anzutreten, das ist das gemeinsame Ziel dieses Parlamentes. Vielen Dank. ({30})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christian Lindner. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Helmut Kohl regierte 16 Jahre. Er war ein großer Kanzler, der sich um Europa und Deutschland historische Verdienste erworben hat. ({0}) Am Ende dieser Wahlperiode, Frau Bundeskanzlerin, werden auch Sie 16 Jahre regiert haben. Aber der Charakter Ihrer Kanzlerschaft ist offen, und Sie selbst sind dafür die beste Zeugin. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Regierungschefin gehört zu haben, die so oft gesagt hat: „Seien wir ehrlich“, „Sagen wir die Wahrheit“. Das wirft die Frage nach den vergangenen zwölf Jahren auf. ({1}) Der Charakter der Kanzlerschaft ist offen. Werden Sie Europa in der Sicherheits- und Migrationspolitik handlungsfähig machen oder neue Fliehkräfte durch falsche Weichenstellungen in der Währungsunion entfachen? Können Sie den durch Ihre Flüchtlingspolitik entstandenen Vertrauensverlust durch eine vernünftige Einwanderungs- und Integrationspolitik überwinden? Werden Sie die wirtschaftliche Stärke dieses Landes nur verbraucht haben oder die Wettbewerbsfähigkeit sichern? Werden Sie unsere Gesellschaft für die Zukunft gestärkt haben oder den Sozialstaat mit einer Hypothek übergeben? ({2}) Werden wir nach Ihrer Amtszeit das digitale Neuland betreten haben oder hinnehmen müssen, dass Südkorea und viele andere Gesellschaften uns abgehängt haben? Diese Fragen entscheiden über den Charakter Ihrer Kanzlerschaft. Nach Ihrer Regierungserklärung bleibt offen, ob Sie dereinst in einem Atemzug mit Kohl genannt werden oder mit Kiesinger, auf den die wirkliche Erneuerung des Landes folgen musste. ({3}) Frau Bundeskanzlerin, wir wünschen Ihnen und Ihrer Regierung bei Ihren Vorhaben im Interesse des Landes Erfolg. ({4}) Wir haben Spannendes gehört. Beispielsweise nannte Horst Seehofer Ihre Politik einst die „Herrschaft des Unrechts“. Nun ist er in Ihr Kabinett eingetreten. Er hat als Kabinettsmitglied angekündigt, dass er Abschiebungen forcieren will und dass er die Kontrolle der Grenzen sicherstellen möchte. Herr Seehofer, Ihr niedersächsischer SPD-Amtskollege Boris Pistorius ({5}) hat Sie einen „Anscheinerweckungspolitiker“ genannt. Ich kann Ihnen versichern: Wenn Sie das Recht durchsetzen wollen, dann werden wir Sie vor jeder Kritik der SPD in Schutz nehmen. Da dürfen Sie sich auf uns verlassen. ({6}) Aber das Ziel kann nicht die Rückkehr zu Schlagbäumen in Europa sein, sondern Ziel muss die Kontrolle der europäischen Außengrenze sein. ({7}) Diese Regierung, Herr Minister Seehofer, führt auf Ihre Initiative allerdings auch eine Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört. ({8}) Wem nützt diese Uneinigkeit? Was soll aus dieser Debatte tatsächlich folgen, aus welcher Antwort auch immer, für die Millionen Muslime, die seit Jahrzehnten in unserem Land leben? Herr Minister Seehofer, Sie könnten sich bleibende Verdienste erwerben, wenn die CSU sich endlich ihren eigenen Dämonen stellen würde. Machen Sie den Weg frei für ein wirklich weltoffenes Einwanderungsgesetz und eine Integrationspolitik, die Religionen nicht gegeneinander ausspielt, sondern die republikanischen Werte des Grundgesetzes ins Zentrum stellt! ({9}) Die erlauben keinen Rabatt; die sind aber eben auch nicht konfessionell gebunden. Der Gesundheitsminister Jens Spahn – auch das war spannend – hat eine Debatte eröffnet, um den Sozialstaat treffsicherer zu machen. ({10}) Dafür hat er Widerspruch erhalten, – ({11}) nicht nur Widerspruch von den Grünen, die die Gelegenheit genutzt haben, um sich vom Prinzip des Förderns und Forderns der Agenda 2010 zu verabschieden, und dokumentiert haben, dass sie in Fragen der Sozialpolitik – und das ist ja legitim – der Linkspartei näher stehen als der SPD, sondern Sie haben auch Widerspruch erhalten aus Ihren eigenen Reihen, der Union. ({12}) Was aber ist falsch an der Debatte, die Herr Spahn eröffnet hat? An der Debatte ist nichts falsch. Es stellt sich nur die Frage nach der Konsequenz. Denn in der Tat: Hartz IV sichert ein Existenzminimum. Sollte es das Existenzminimum nicht sichern, müsste man fragen, was Frau Nahles in den vergangenen vier Jahren gemacht hat. ({13}) Dennoch kann sich niemand mit Hartz IV zufriedengeben, und deshalb müsste die Regierung doch den Impuls von Herrn Spahn aufnehmen, den Sozialstaat aktivierend neu ausgestalten und dafür sorgen, dass sich jede Stunde zusätzlicher Arbeit für einen Hartz-IV-Empfänger auch wirklich lohnt. Das wäre ein Beitrag zur Leistungsgerechtigkeit. ({14}) Die neue Internetbeauftragte Dorothee Bär hat uns Flugtaxis versprochen. Auch das war spannend. Das ist auch eine wünschenswerte Vision für alle Staugeplagten in Deutschland. Andi Scheuer wäre auf einen Schlag alle Sorgen und Probleme los. ({15}) Aber wie wäre es, wenn wir zunächst mit den Basics beginnen würden, also schnellem Internet oder papierloser Verwaltung, und zwar nicht erst 2025? Dazu ist eine Bündelung von Kompetenzen, sind klare Zuständigkeiten, personelle Kapazitäten notwendig. Und das weiß die Regierung selbst, dass bei wichtigen, prioritären Vorhaben die Kräfte gebündelt werden müssen. Aber aus diesem Wissen hat die Regierung kein Digitalministerium gemacht, sondern das, was Horst Seehofer selbst ein „Heimatmuseum“ nennt. ({16}) Manchmal muss man nicht kritisieren, manchmal muss man nur zitieren. ({17}) Im Koalitionsvertrag gibt es indessen zweimal Positives zu würdigen – und das darf hier bei einer Regierungserklärung und der Aussprache nicht unerwähnt bleiben –: Erstens gibt es eine Bereitschaft zur Reform des Bildungsföderalismus. Das war am Veto des Grünen Winfried Kretschmann in einer traumatisierenden Phase meines Lebens im vergangenen Jahr gescheitert. ({18}): Oh!) Frau Nahles, ich will Ihnen sagen: Die Freien Demokraten werden die von der Großen Koalition geplante Änderung des Grundgesetzes natürlich unterstützen. ({19}) Aber klar ist: Das ist nur ein erster, zaghafter Schritt in die richtige Richtung. Deutschland braucht viel mehr Mobilität, mehr Vergleichbarkeit, mehr Qualität zwischen und in den 16 Bildungssystemen, um tatsächlich international Anschluss zu finden. Der Digitalpakt der Bundesregierung ist indessen noch nicht in trockenen Tüchern; das muss hier heute gesagt werden. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben bei der letzten Konferenz mit den Ministerpräsidenten am 1. Februar 2018 eingeräumt, dass die 3,5 Milliarden Euro für den Digitalpakt im Koalitionsvertrag noch nicht mit Haushaltsmitteln hinterlegt sind. Das muss man realisieren: Die Mütterrente kommt ganz sicher, die Bildung aber steht unter Finanzierungsvorbehalt. Sie haben gesagt, Sie wollten im Land Spaltungen verhindern und den Zusammenhalt stärken. Eine Politik, die die Großmütter gegen die Enkel ausspielt, die spaltet aber das Land. ({20}) Zweitens würdigen wir den neuen Klimarealismus der Koalition: Die Ziele des Jahres 2020 sind physikalisch nicht zu erreichen. Im vergangenen Jahr war dies umstritten. ({21}) Aber jetzt fehlt der notwendige nächste Schritt, nämlich innovative und realistische Wege, um wenigstens die Ziele des Jahres 2030 zu erreichen. Dazu ist eine Wende nötig. Statt Planwirtschaft am Reißbrett braucht unser Land einen marktwirtschaftlichen Weg. Also, statt Quoten, Verboten und Subventionen sollten wir den Innovationsmotor der sozialen Marktwirtschaft anwerfen. Welcher Antrieb der beste ist, das muss wieder eine Frage von Technikern werden und darf keine von Technokraten bleiben. ({22}) Über 200 Stellen schafft die Regierung für sich selbst im Regierungsapparat. Jenseits des parteipolitischen Bodenturnens charakterisiert das diese Koalition. Der SPD reichen die Mittel des ehemaligen Vizekanzlers Gabriel nicht aus, es muss aufgestockt werden. Horst Seehofer baut mit dem Heimatministerium ein zweites Vizekanzleramt. Das ist offensichtlich ein Ausdruck eines Misstrauens innerhalb der Regierung. Und es entlarvt, wie Sie Unterschiede überwunden haben: nicht durch Richtungsentscheidungen, sondern durch Geld. Peter Altmaier hat innerhalb von wenigen Wochen Milliarden aus dem Hut gezaubert. Gegenüber den Jamaika-Verhandlungen hat er innerhalb weniger Wochen Milliarden zusätzlicher Euro gefunden. Man wünscht ihn sich als privaten Vermögensverwalter. ({23}) Niemals zuvor hatte eine Regierung einen solchen Verteilungsspielraum wie Sie, und dennoch reicht er nicht, um alle Ihre Ausgabenwünsche zu finanzieren. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln beziffert das drohende Defizit im Jahre 2021 auf 20 Milliarden Euro. Wenn Olaf Scholz nicht aufpasst, dann wird er als der Finanzminister in die Geschichte des Landes eingehen, der es geschafft hat, den Staatshaushalt zu Boomzeiten zu ruinieren. ({24}) Wo sind die Antworten auf die neuen Herausforderungen? Wir begrüßen die neue Flexibilität am Arbeitsmarkt; wir begrüßen die Konzentration auf innovative Technologien und Bildung; wir begrüßen die spürbare Entlastung der breiten Mitte des Landes – in Frankreich. ({25}) Hierzulande geht es um Mietpreisbremsen, um die Einschränkung der Vertragsfreiheit am Arbeitsmarkt. Es geht um die Erhöhung der Abgeltungsteuer, die Verlängerung des Solidaritätszuschlags und, wie Sie selbst eingeräumt haben, die absehbare Steigerung des Rentenversicherungsbeitrags im nächsten Jahrzehnt. Also, die Bürokratie, die Macron abbaut, wird in Deutschland aufgebaut. Die Entlastungen, die Frankreich beschließt, die bleiben in Deutschland aus. 15 Jahre nach der Agenda 2010 kann man sagen: Frankreich ist dabei, deutscher zu werden, und Deutschland ist dabei, französischer zu werden. So haben wir uns die deutsch-französische-Annäherung aber nicht vorgestellt, Frau Bundeskanzlerin. ({26}) Europa ist ein Friedensprojekt – Sie haben es zu Recht betont –, auch angesichts der Herausforderungen durch China, die Türkei und Russland. Deshalb müssen die Fliehkräfte durch eine andere Migrations- und Sicherheitspolitik bewältigt werden. Die Gefahr aber besteht, dass durch falsche Entscheidungen in der Währungspolitik neue Fliehkräfte entstehen. Deutschland hängt hier an den Lippen Frankreichs. Der Weg von Wolfgang Schäuble wird absehbar verlassen. ({27}) Sie selbst haben davon gesprochen, der Euro-Raum benötige zusätzliche Finanzmittel für wirtschaftliche Konvergenz. Das ist eine diplomatische Umschreibung für Transferunion, für Finanzausgleich und Umverteilung. ({28}) Das ist wichtig, zu sagen; denn auch unsere Partner in den Niederlanden, in den skandinavischen Ländern und im Baltikum sehen diese Politik kritisch. Sie erinnern an die finanzpolitische Eigenverantwortung. Man möge nur das Interview des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte dieser Tage lesen. Das spaltet Europa, wenn die finanzpolitische Eigenverantwortung infrage gestellt wird. Und weil Sie über die Bankenunion gesprochen haben, Frau Merkel: Wenn Sie tatsächlich die Einlagensicherung beschließen und die Kunden von Sparkassen und Volksbanken in Deutschland für instabile Institute anderswo in Europa in Mithaftung geraten, ({29}) dann stärkt das den europäischen Gedanken nicht; dann trägt das vielmehr einen Spaltpilz in das europäische Einigungsprojekt. ({30}) Ich begrüße, dass Frau Nahles und die Frau Bundeskanzlerin über den Freihandel gesprochen haben. Also beschließen Sie doch das CETA-Abkommen! Ratifizieren Sie es! ({31}) Dann fahren Sie doch, Frau Merkel, nach Washington zu Herrn Trump und sprechen Sie über einen neuen Deal! Holen Sie TTIP aus dem Eisschrank heraus, und sorgen Sie dafür, dass es einen freien Handel gibt! ({32}) Man kann mit Trump sprechen. Man kann mit Herrn Trump Deals erzielen. Was die Nordkoreaner geschafft haben, das schaffen Sie schon lange, Frau Bundeskanzlerin. ({33}) Ich komme zu einem letzten, abschließenden Gedanken. Diese Koalition hat von sich gesagt, sie sei eine Koalition der kleinen Leute. – Herr Seehofer nickt. Ich kenne in diesem Land Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen. ({34}) – Warten Sie einmal ab! Ihre Reaktion spricht bereits Bände. – Ich kenne Bürgerinnen und Bürger, die bedürftig und auf Hilfe und Solidarität angewiesen sind. Aber wissen Sie, was es in unserem Land nicht gibt? Es gibt keine kleinen Leute, auf die eine Regierung von oben herabschauen kann. Die Bürgerinnen und Bürger sind der Souverän, und der verdient Respekt. ({35})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, das Wort. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Regierungskoalition – das wird nicht nur in diesem Haus, sondern auch von den Bürgerinnen und Bürgern erwartet – gibt Antworten auf die großen Herausforderungen, die vor uns stehen. ({0}) Für die großen Herausforderungen möchte ich einige Beispiele nennen. Die erste große Herausforderung ist Europa. Deshalb steht das Thema Europa auch ganz vorne im Koalitionsvertrag. Europa wird darüber entscheiden, ob wir eine gute Zukunft haben oder nicht. Darin sind wir uns ja einig. ({1}) Denn Europa ist für uns notwendig, um deutsche Interessen erfolgreich in der Welt zu vertreten. ({2}) Alleine werden wir das nicht schaffen. Deshalb kommt es jetzt darauf an, dieses Europa wieder dynamisch zu gestalten. Dazu hat Präsident Macron Vorlagen eingebracht, und wir geben darauf Antworten. Eine Antwort heißt: Ja, wir wollen, dass auch in Europa die Wachstumsimpulse gestärkt werden. Es hat sich in Europa einiges verändert. In Ländern, die große Probleme hatten, sehen wir eine gute Entwicklung. Das muss weiter unterstützt werden. Dieses Europa muss natürlich auch unsere Handelsinteressen vertreten. Wir werden in der Diskussion mit den Vereinigten Staaten für unsere Interessen keinen Erfolg haben, wenn dieses Europa nicht zusammensteht. Es darf auf keinen Fall passieren, dass ein europäisches Land versucht, andere Lösungen mit Amerika zu finden als wir miteinander. ({3}) Deshalb ist dieses Europa für uns von so zentraler Bedeutung. Einen Hinweis möchte ich dabei geben, nicht um einen Blick zurück zu werfen, sondern um uns für die Zukunft darin zu bestärken, die richtigen Dinge zu machen. Wir hätten manches Problem jetzt nicht, wenn wir bereit gewesen wären, Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten viel konsequenter zu verfolgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Das muss uns auch klar werden. Gerade bei dem, was zurzeit in Amerika geschieht, zeigt sich, wie Freihandelsabkommen einen auch schützen können. Deswegen bin ich der Meinung: Wir sollten nun CETA auf jeden Fall auf den Weg bringen und andere Gelegenheiten, Freihandelsabkommen zu schließen, nicht außer Acht lassen. Wir haben Antworten im Hinblick auf den Reformkurs in Europa gegeben. Aber eines will ich auch deutlich sagen: Ja, wir können uns vorstellen, dass aus dem ESM beispielsweise ein Europäischer Währungsfonds entsteht, wie es Macron formuliert hat, aber nur dann, wenn dies einen zusätzlichen Mehrwert bedeutet. Nur für eine Umfirmierung stehen wir nicht zur Verfügung. Des Weiteren werden wir nur dann einer neuen Entwicklung zustimmen – darauf legen wir in der Unionsfraktion großen Wert –, wenn die parlamentarischen Rechte in keiner Weise beschränkt werden. ({5}) Wir haben Beteiligungsrechte formuliert, und zwar so stark wie in keinem anderen nationalen Parlament in Europa. Auf diese werden wir aufsetzen. Diese Rechte müssen bei den Entwicklungen beibehalten werden. Schauen wir uns eine zweite große Herausforderung an. Wir müssen unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Bevor wir über soziale Fragen sprechen – darauf komme ich noch –, muss klar sein: Wir werden kein einziges soziales Problem wirklich lösen können, wenn wir die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes nicht erhalten. ({6}) Zuerst muss erwirtschaftet werden. Dann können wir auch an andere Dinge denken. Deswegen ist es richtig, dass wir Signale in die Wirtschaft aussenden; die Bundeskanzlerin hat das bereits angesprochen. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch Forschungsförderung stärken. Über viele Jahre hinweg haben wir immer wieder gefordert: Es muss eine steuerliche Forschungsförderung geben. – In dieser Legislaturperiode wird sie kommen. ({7}) Sie muss relativ rasch kommen. Das muss eine der ersten Maßnahmen sein, die wir in den nächsten Monaten beschließen. ({8}) Die Wirtschaft fördern bedeutet auch, die wahrscheinlich größte gesellschaftliche Herausforderung, die Digitalisierung, zu bewältigen. Wir müssen mit der Wirtschaft darüber sprechen, was jetzt getan werden muss. Aber das Wichtigste ist, dass wir die Infrastruktur schnell ausbauen; denn sie ist die Voraussetzung für die Digitalisierung. Jetzt erwähne ich etwas, was unser Land über viele Jahre hinweg leider Gottes auch ausgezeichnet hat – mit einer ganz großen Ausnahme –: In unserem Land geht vieles viel zu langsam voran. ({9}) Von der Entscheidung, eine Autobahn zu bauen, bis zum ersten Spatenstich vergehen im Schnitt 13 Jahre. Das ist für eine moderne Investitionspolitik entschieden zu lang. ({10}) Das haben wir damals, als die deutsche Einheit kam, verändert. Daran müssen wir wieder anknüpfen. Deswegen finde ich es wirklich gut, dass es gelungen ist, im Koalitionsvertrag ein Planungsbeschleunigungsgesetz zu vereinbaren. Wir haben zusätzlich beschlossen, ein paar wenige große Maßnahmen mit einem Maßnahmengesetz voranzubringen. Beide Punkte – Planungsbeschleunigungsgesetz und Maßnahmengesetz – müssen bis zum Ende des Jahres auf den Weg gebracht sein, damit wir die Projekte, die wir haben, auch umsetzen können. Wenn wir von der Förderung der Wirtschaft sprechen, dürfen wir das große Thema Fachkräftemangel nicht vergessen. Man kann natürlich mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz versuchen, das eine oder andere zu erreichen. Ich kann nur sagen: Den größten Teil der Fachkräfte, die wir in der Wirtschaft brauchen, werden wir für unser Land nicht aus dem Ausland bekommen. Diese Menschen müssen wir in unserem eigenen Land ausbilden. ({11}) Deshalb ist eine Bildungspolitik, die darauf einen Schwerpunkt setzt, von größter Bedeutung. Wir haben gesehen, was in Ländern passiert, die eine einseitige Akademisierung betreiben; Spanien ist dafür ein Beispiel. Insofern finde ich es richtig, dass wir, diese Regierungskoalition, gesagt haben: Wir werden einen Schwerpunkt auf die duale, sprich: auf die berufliche Bildung legen. Das ist ein wirklich guter Weg, Fachkräfte für unser Land zu gewinnen. ({12}) Da hoffe ich, dass wir hierüber mit den Ländern entsprechende Vereinbarungen erzielen können. Wenn wir über die Digitalisierung sprechen, ist auch klar: Das wird für die Menschen Veränderungen bedeuten. Ich habe von anderen Seiten dieses Hauses wenig darüber gehört, wie man damit umgeht. Insofern ist es völlig richtig, dass wir gesagt haben – da helfen wir der Wirtschaft auch –, dass wir bei der Digitalisierung alles daransetzen werden, dass niemand zurückbleibt. Dies heißt, dass wir Fort- und Weiterbildung in großem Umfang vorantreiben müssen. Daran werden wir uns auch finanziell beteiligen müssen. Sonst wird das vor allem der kleinere Mittelstand nicht schaffen. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, richtig ist auch, dass die Entwicklung in unserem Land auch davon abhängt, dass wir Sicherheit garantieren können. Wir von der Union reden immer auch davon, dass Freiheit ein zentrales Thema unserer Politik ist, etwa die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie man sein Leben führen will. Aber zur Freiheit gehört Sicherheit. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was wir im Koalitionsvertrag zum Thema Sicherheit miteinander vereinbart haben. Auch das gilt es jetzt ganz schnell umzusetzen. Jetzt kann man natürlich sagen, Herr Lindner: Bestimmte Themen braucht man gar nicht anzusprechen. Aber ich sage einmal: Es bedeutet für uns eine Herausforderung, dass es in den großen Städten unseres Landes kleinere Bereiche gibt, wo die Durchsetzung des Rechtsstaats und des Gesetzes nicht so ist, wie wir uns das vorstellen. Das Recht muss durchgesetzt werden, damit Sicherheit in unserem Land tatsächlich entstehen kann. ({14}) Dafür braucht man Personal, zum einen bei der Polizei, zum anderen aber auch bei der Justiz. Dazu sind alle nötigen Beschlüsse gefasst, sodass wir die entsprechenden Maßnahmen schnell auf den Weg bringen werden. Natürlich ist es richtig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat: dass wir den Menschen, die aus Bürgerkriegsregionen kommen und die ein Asylrecht haben, hier einen Aufenthalt genehmigen. Aber genauso richtig ist es – auch das ist nichts anderes als Ausdruck des Rechtsstaates –, dass diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht haben, unser Land schnellstmöglich verlassen müssen. ({15}) Wir haben gesehen, dass dies umso schwerer wird, je schneller Menschen in Gemeinschaften ankommen und dort Freundschaften pflegen; manche Menschen verschwinden auch einfach. Daher ist es richtig, dass wir sagen: Die Verfahren werden in sogenannten AnKER-Einrichtungen schleunigst vorangetrieben; Menschen, die kein Bleiberecht haben, gehen nach Hause. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das ist im tiefsten Sinne human. Ich habe mich einmal erkundigt, was den Flüchtlingen passiert ist, die auf dem Weg von der Subsahara endlich in Nordafrika angekommen sind: unmenschliche Geschehnisse, verantwortet von Schleuserbanden und von Banden, etwa in Libyen, die diese Menschen in Lagern quälen. Dazu kann ich nur sagen: Das Beste ist, wenn die Menschen erst gar nicht auf die Flucht geschickt werden, sondern wenn sie Zukunftsperspektiven in ihrer Heimat haben. ({16}) Dafür werden wir uns einsetzen, und wir werden nicht Schlepperbanden noch motivieren, ihre Aktionen auch in Zukunft fortzuführen. Ein letzter Punkt. Wir alle sind davon überzeugt, dass wir bei den außenpolitischen Herausforderungen nicht einfach zuschauen können. Ich finde, dass der NATO-Rat sich mit dem, was die Türkei im Augenblick unternimmt, beschäftigen muss. ({17}) Die NATO ist nicht nur ein Verteidigungsbündnis, sondern die NATO ist auch ein Wertebündnis, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({18}) Es kann doch unmöglich sein, dass wir zuschauen, wie ein NATO-Mitglied Menschenrechte verletzt, und genau das geschieht im Augenblick durch die Türkei. Das darf nicht unwidersprochen bleiben. ({19}) Ich weiß sehr wohl, dass dieser Satz einfach zu sagen ist. Wir wissen auf der anderen Seite aber auch, welche Gefahren lauern. Einer, der sich riesig darüber freuen würde, wenn die Türkei die NATO verlässt, wäre Putin. Genau das wollen wir auch nicht. Darin liegt eine gewisse Problematik: den Laden zusammenzuhalten und trotzdem das, was im Augenblick im Norden Syriens geschieht, nicht einfach hinzunehmen. Deswegen werden wir uns mehr auch mit diesen Themen beschäftigen müssen. Ich finde, eine entsprechende außenpolitische Debatte zu den Fragen würde uns gut anstehen. ({20}) Es besteht auch ein gewisses Problem, wenn wir sagen – ein Thema von mir –: Wir müssen uns natürlich auch für verfolgte Christen, für Jesiden und andere einsetzen. – Aber das, was dort in Afrin gerade passiert, hat mit dem Schutz von verfolgten Christen herzlich wenig zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({21}) Deswegen müssen wir uns schon die Frage stellen: Was kann unser Beitrag dazu sein? Wenn ich mir dies alles anschaue, dann muss ich sagen: Es hat lange gedauert. Wir haben ein halbes Jahr gebraucht, bis wir eine Regierung haben bilden können. Jetzt muss einiges an Zeit wieder hereingeholt werden, müssen schnell ein paar Dinge auf den Weg gebracht werden. Aber wenn ich mir anschaue, was wir im Koalitionsvertrag vorgelegt haben, dann bin ich ganz sicher: Darin stecken, wenn wir es jetzt richtig machen, alle Möglichkeiten, das Land dynamischer zu machen, einen neuen Aufbruch in Europa hinzubekommen und den Zusammenhalt in unserem Land zu stärken. ({22})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke spricht nun Dr. Dietmar Bartsch. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben seit sieben Tagen eine Regierung in Deutschland, und die hat sich in diesen sieben Tagen wirklich von ihrer charmantesten Seite gezeigt. Frau Merkel, Sie haben hier in Ihrer Erklärung davon gesprochen, dass Spaltungen überwunden werden sollen. Ich kann nur sagen: Das, was in der ersten Woche hier stattgefunden hat, war das blanke Chaos. Wegen der bayerischen Landtagswahl spielt der aus Bayern abgeschobene neue Innenminister hier den harten Hund und macht einen auf Verbalradikalismus. ({0}) Soll das die Art und Weise der Arbeitsteilung in den nächsten vier Jahren sein? ({1}) Herr Seehofer – im Übrigen gilt das Grundgesetz auch für Innenminister; vielleicht hat Ihnen das noch keiner gesagt, oder Sie waren zu lange weg; ich will es nur mal sagen –, ({2}) ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass Sie klar sagen, was nicht zu Deutschland gehört. Rassismus, Ausgrenzung und Menschenhass gehören nicht zu Deutschland. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({3}) Ich hätte mir auch gewünscht, dass alle neuen Ministerinnen und Minister klar sagen, dass wir Armut in unserem reichen Land nicht akzeptieren werden; denn Armut ist immer auch politisches Versagen. Dass Menschen zu Tafeln gehen müssen, ist politisches Versagen, meine Damen und Herren. ({4}) Niemand aus dem Bundestag sollte sich arrogant über die Menschen erheben, die dort etwas leisten, wo Regierungspolitik versagt hat. ({5}) Eines können wir festhalten: Wenn das so weitergeht, Frau Merkel, werden die letzten vier Jahre Ihrer Amtszeit chaotische Jahre; denn der Anfang war wirklich eine Katastrophe. Es war auch nicht so sehr viel anderes zu erwarten; denn es treffen sich ja hier die Wahlverlierer: Die Union hat 8,6 Prozent verloren, die SPD hat 5,2 Prozent verloren. Ja, das ist eine reine Notkoalition, die sich hier zusammentut. ({6}) Ich zitiere Heribert Prantl, der in der „Süddeutschen Zeitung“ so schön geschrieben hat: Autorität schafft man nicht dadurch, dass man das Wort „Weiter so“ einfach durch „Erneuerung“ ersetzt. Da hat der Mann völlig recht. ({7}) In dem Koalitionsvertrag steht viel Lyrik, aber entgegen aller Beteuerungen von heute: Er ist ohne Aufbruch und ohne Schwung. Wo Sie sehr schwungvoll waren, das war beim Personal und bei der Einstellungspolitik. Als erste Maßnahme wurden 35 Staatssekretäre und Staatsminister eingestellt, ({8}) so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Jeder Staatssekretär oder Staatsminister kostet circa eine halbe Million Euro. Das ist doch nicht normal. Bei der SPD ist ja jetzt jeder Staatsminister, Ausschussvorsitzender, Fraktionsvorsitzender, stellvertretender Fraktionsvorsitzender; jeder hat einen Posten bekommen, ({9}) mit Ausnahme von Sigmar Gabriel und Martin Schulz. ({10}) Als nächste Maßnahme werden dann überall erst einmal ordentliche Machtzentren geschaffen. Da werden bei Herrn Seehofer im Innenministerium 100 neue Stellen geschaffen. ({11}) Da werden bei Frau Merkel im Kanzleramt 39 neue Stellen geschaffen. Da werden bei Herrn Scholz im Finanzministerium 40 neue Stellen geschaffen. Diese Selbstbedienungsmentalität steht in keiner Relation zu Ihren Wahlergebnissen. ({12}) Der Koalitionsvertrag, den Sie hier referiert haben, ist in der Substanz ein Dokument des Weiter-so. Wenn man sich ihn anschaut und auch die heutige Regierungserklärung gehört hat, dann kann man da natürlich auch unterstützenswerte Vorhaben finden; das ist unbestritten. Ich habe zwei herausgesucht, die ich, zumindest was die Überschriften betrifft, für ausgesprochen begrüßenswert halte: Kinderarmut endlich entschlossen bekämpfen und beim Thema Europa: Abkehr von der Sparpolitik. Zur Kinderarmut. Zum ersten Mal steht Kinderarmut in dieser Form im Koalitionsvertrag und dass man in diesem Bereich etwas tun will. Das hat mich auch persönlich sehr gefreut. Seit zwei Jahren haben wir Linke ein Netzwerk gegen Kinderarmut; das hat offensichtlich ein bisschen Wirkung gezeigt. Ich freue mich auch, dass Kinderrechte ins Grundgesetz kommen sollen und über den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Insgesamt sollen 12 Milliarden Euro dafür ausgegeben werden. Das ist in Ordnung. ({13}) Ich möchte dennoch darauf verweisen, dass es 2,7 Millionen Kinder gibt, die arm oder von Armut bedroht sind. Das ist natürlich ein Riesenproblem. Da frage ich mich natürlich auch: Wer hat denn in den letzten Jahren die Regierungsverantwortung getragen? Irgendwer ist doch dafür zuständig, dass wir dahin gekommen sind. ({14}) Eines möchte ich noch ergänzen: Seit der Einführung von Hartz IV hat sich die Kinderarmut in Deutschland verdoppelt. So viel nur dazu, lieber Herr Spahn, lieber Herr Lindner, dass Hartz IV vor Armut schützen soll. Das ist nämlich nicht der Fall. Seit den Hartz-IV-Gesetzen hat sich die Kinderarmut verdoppelt. ({15}) Jetzt haben Sie unter anderem beschlossen, das Kindergeld um 25 Euro zu erhöhen. Zunächst einmal ist interessant, dass es 15 der 25 Euro erst im Jahr 2021, also im Wahljahr, und nicht etwa jetzt gleich geben soll. Das ist wirklich sehr durchsichtig. Außerdem möchte ich betonen: Wir Abgeordnete profitieren von der Kindergeld­erhöhung, aber bei der alleinerziehenden Mutter, die Hartz IV bekommt, wird die Kindergelderhöhung angerechnet. Meine Damen und Herren, das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Da fehlen mir beinahe die Worte. ({16}) Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Da müssen wir etwas machen. Das spüren die Leute doch, dass dadurch die soziale Spaltung in unserem Land eher verschärft wird. Ändern Sie das! Wir brauchen bei dem Thema Kinderarmut einen Systemwechsel. Eine Kindergrundsicherung wäre notwendig, die wirklich fundamental etwas bewegen kann. ({17}) Jedes Kind muss die Chance auf ein gutes Leben haben, und jedes Kind muss uns gleich viel wert sein. Ich möchte kurz etwas zu Europa sagen. Frau Merkel, Sie haben ja sehr viel dazu gesagt; im Koalitionsvertrag spielt dieses Thema eine noch größere Rolle. Ich möchte festhalten, dass es einen Punkt gibt, wo man die Unaufrichtigkeit deutlich sehen kann. Sie reden vom Ende der Sparpolitik. Olaf Scholz ist aber ein Verfechter der schwarzen Null überall in Europa. Im Kern ist es ja egal, ob die Null schwarz oder rot ist. Eine Null ist nun mal eine Null. Aber der Fetisch des ausgeglichenen Haushaltes hat halb Europa in den Abgrund getrieben. Aber Sie bleiben ja nicht bei der Null. Sie holen sich – und das ist symbolisch – als Staatssekretär Herrn Jörg Kukies ins Finanzministerium, ({18}) der von Goldman Sachs kommt. Die Älteren hier im Bundestag erinnern sich noch: Das ist die Truppe, die beim Bilanzbetrug Griechenlands federführend war, damit Griechenland in die Euro-Zone kommt. Die haben daran verdient. Das ist die Truppe, die fett an der Griechenland-Krise verdient hat. ({19}) Goldman Sachs hat auf die Finanzkrise gewettet, meine Damen und Herren. Was ist das denn für ein Symbol? Ich sage das selten, aber schämen Sie sich dafür nicht ein bisschen? ({20}) Man muss ja Angst kriegen, wenn Sie Europa höhere Aufmerksamkeit widmen wollen. Ergebnisse Ihrer Politik sind der Brexit und die Ergebnisse in Italien. Das hat doch alles auch etwas mit deutscher Politik zu tun. Was im Koalitionsvertrag gänzlich fehlt, ist das Thema Umverteilung. Ich glaube, das ist ein zentrales Thema. Offensichtlich kennen Sie das Wort nicht; denn im Koalitionsvertrag steht, dass Sie keine Steuererhöhungen planen – für niemanden, also auch nicht für die Superreichen in diesem Land. Die soziale Spaltung lässt sich aber nicht einfach hinwegwünschen, meine Damen und Herren. Die Steuerungerechtigkeit muss beendet werden. Wir haben ein Steuersystem aus dem vergangenen Jahrhundert, und es gibt da vielfältigen und sehr dringenden Reformbedarf. Es kann doch nicht sein, dass wir zusehen, wie die Zahl der Milliardäre und der Vermögensmillionäre in Deutschland steigt. Bei uns in Deutschland ist es besonders ungerecht: Die 45 reichsten Haushalte in Deutschland besitzen so viel wie die Hälfte der Bevölkerung. Das ist doch nicht normal, meine Damen und Herren; da muss man doch handeln. ({21}) Aber Sie trauen sich nicht, sich mit den Konzernen und den Superreichen anzulegen. Vermögensteuer – Fehlanzeige! Erbschaftsteuerreform – Fehlanzeige! Abbau des Mittelstandsbauchs – Fehlanzeige! Abbau der kalten Progression – Fehlanzeige! Finanztransaktionsteuer – noch butterweicher als im letzten Koalitionsvertrag. Das alles ist meines Erachtens ganz schlimm. Sie haben hier von der Quadratur des Kreises gesprochen; die ist bekanntlich unmöglich. Aber dabei will ich schon noch einmal das Beispiel Diesel nennen. Beim Thema „Diesel und Fahrverbote“ lässt sich Ihre Politik doch wunderbar erkennen. Es handelt sich dabei nicht nur um eine ganz gewichtige ökologische Frage, sondern es ist natürlich auch eine zentrale soziale Frage. ({22}) Weil Sie sich nicht trauen, die Autokonzerne in die Verantwortung zu nehmen, dürfen die Dieselbesitzer mit Fahrverboten rechnen. Das treibt die Leute im Alltag um, und Sie schauen de facto weg. VW verkündet Riesenrekordgewinne, und Sie schauen weg. Dass die Leute da wütend werden, ist doch logisch, meine Damen und Herren. ({23}) Sie haben jetzt tausendmal gesagt: Wir müssen in die Zukunft investieren. – Donnerwetter! Das ist völlig richtig; da haben Sie recht. Darüber reden Sie aber schon seit Jahren, und wir sind immer noch unterhalb des europäischen Durchschnitts. Ich möchte eine Zahl nennen: Sie wollen 5 Milliarden Euro in fünf Jahren in Schulen investieren. Donnerwetter! Wenn ich das aufteile, stelle ich fest, dass nicht einmal in jeder Schule eine Maurerkelle ankommt. Das ist viel zu wenig. Sie müssen endlich klotzen und nicht kleckern. ({24}) Das trifft ebenso für die digitale Infrastruktur zu. Das trifft für den Klimaschutz zu. Das trifft für die Pflege zu. Für das, was Sie vorschlagen, loben Sie sich auch noch. Das ist alles viel zu wenig; das weiß hier jeder im Haus. Sie versteigen sich in Flugtaxiträume, aber in den Schulen regnet es weiter durch. Das kann keine vernünftige Politik sein. ({25}) Eine nachhaltige Investitionsoffensive, öffentliche und private Investitionen wären notwendig. Außerdem gründen Sie auch noch Kommissionen ohne Ende. Der alte Satz „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“ bekommt hier völlig neue Dimensionen: Rente, Pflege, gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West und, und, und. Ihnen fehlt es am politischen Willen, etwas zu verändern. Das ist der Punkt. Lassen Sie mich eine Bemerkung zum Osten machen, der mir ja bekanntlich wirklich sehr am Herzen liegt. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben dazu heute – leider – gar nichts gesagt. Im Koalitionsvertrag kommt der Osten in der Präambel und sonst nur als Naher Osten und als Kosten vor. ({26}) Ich finde, das ist ein Problem. ({27}) Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn der Frust darüber besonders wächst. Auch hier wird das Problem nicht mit der Gründung einer Kommission gelöst, sondern es muss gehandelt werden. Lassen Sie mich auch ein paar wenige Bemerkungen zur Außenpolitik machen; denn es war erstaunlich, mit welcher selbstkritischen Komponente Sie hier agiert haben. Manches teile ich. Dass die UN-Hilfsprogramme gekürzt worden sind, ist ein Unding. Da hätten wir engagierter vorgehen müssen. Aber das Symbol, dass wir als Allererstes in dieser Woche sechs Auslandsmandate der Bundeswehr verlängern, sagt doch ganz viel aus. Sie werden einfach durchgewunken; da gibt es gar keine Diskussion mehr. Ihnen, Frau Merkel, nimmt Ihre Partei im Kern doch übel, dass Sie zu einem gewissen Zeitpunkt Menschlichkeit gezeigt haben. Ich frage mich: Wer trägt Mitverantwortung dafür, dass Menschen flüchten? Richtig, auch die Bundesregierung trägt Mitverantwortung – mit Waffenexporten, mit Kriegseinsätzen, mit obszönen Handelsüberschüssen und mit einer Bündnispolitik, die zum Haareraufen ist. ({28}) Die Türkei – ich bin dankbar, Herr Kauder, dass Sie sie überhaupt erwähnt haben – führt einen völkerrechtswidrigen Krieg und hat Afrin plattgemacht, aber mit deutschen Waffen. Durch Afrin fährt ein Leopard-Panzer. Dieses Symbol ist doch furchtbar für uns; es ist Symbol für ein Versagen der Politik auf diesem Sektor. ({29}) Herr Kauder, Sie haben das Wertebündnis angesprochen. Jawohl, stoppen Sie alle Rüstungsexporte dahin! In den letzten Wochen sind gegen andere Beteuerungen 20 Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 4,4 Millionen Euro genehmigt worden. Tun Sie als Fraktionsvorsitzender etwas! Lassen Sie es nicht zu, dass Ihre Regierung so einen Unsinn macht! ({30}) Meine Damen und Herren, von dieser kleinen schwarz-roten Koalition kann man festhalten: Es ist keine große – weder numerisch noch vom politischen Anspruch. ({31}) Es gibt keine großen Reformvorhaben, keine grundsätzlichen Änderungen sind geplant. Stattdessen: viele Kommissionen, Flickwerke und projizierter permanenter interner Zoff. Wir können uns auf turbulente Jahre einrichten, weil es weder eine Liebesheirat noch eine Zweckhochzeit ist. Es ist einfach zum Scheitern verurteilt. Seien Sie sich entgegen Ihrer Ankündigung nicht so sicher, dass es nach der nächsten Wahl überhaupt noch für diese Koalition reicht. Herzlichen Dank. ({32})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Dr. Anton Hofreiter spricht für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Ja, Sie haben recht, wir haben eine lange Regierungsbildung erlebt. Leider ist es so: Was lange währt, wird nicht automatisch gut. Aber ich glaube, dass trotzdem viele Menschen hier in Deutschland und im Ausland froh sind, dass die Unklarheit vorbei ist. Es kommt jetzt darauf an, was wir – die demokratischen Abgeordneten, die demokratischen Fraktionen – gemeinsam in Opposition und Regierung daraus machen. ({0}) Denn wir als demokratische Abgeordnete haben ein gemeinsames Interesse. Dieses gemeinsame Interesse ist, dass wir die Identifikation aller Menschen in diesem Land mit dem Rechtsstaat und der Demokratie massiv stärken. Das ist das Interesse der demokratischen Fraktionen hier im Deutschen Bundestag. ({1}) Wir Grüne werden uns mit der Regierung ganz hart auseinandersetzen; denn wir sind in vielen Punkten grundsätzlich anderer Meinung. ({2}) Wir sind grundsätzlich anderer Meinung bei der Klimapolitik. Wir haben eine grundsätzlich andere Position zu der Flüchtlingspolitik, wie Sie sie inzwischen betreiben. Wir haben auch in vielen Punkten im Bereich der Sozialpolitik eine grundsätzlich andere Haltung. Aber, ich glaube, dass es uns allen guttut, trotz aller heftigen Leidenschaft, die dazugehört, Respekt füreinander zu haben. Wir sollten bei aller eigenen Überzeugung trotzdem auf die Argumente der anderen hören und auf sie eingehen. Es würde dieser Großen Koalition verdammt guttun, wenn sie auch auf das eine oder andere Argument aus der Opposition eingehen und nicht wieder eine schwarz-rote Trutzburg bilden würde. ({3}) In der Kürze der Zeit kann ich nur auf ein paar wenige Punkte eingehen. Vorneweg eine kurze Anmerkung zu etwas, was vorhin gesagt worden ist. Herr Gauland, ich weiß nicht, in welchem Jahrhundert Sie leben, ({4}) aber um nur einen fundamentalen Unterschied zur Zeit von Bismarck zu nennen: Frankreich ist jetzt unser engster Verbündeter; wir führen keinen Krieg mehr gegen Frankreich. Ich glaube, das ist ein relevanter Unterschied, auch wenn Sie es vielleicht noch nicht verstanden haben. ({5}) Eine Anmerkung zu Herrn Lindner. Es tut mir ja leid, dass Sie die Zeit damals traumatisiert hat, aber es tut mir noch mehr leid, dass Sie, wie man Ihrer Rede angemerkt hat, Ihr Trauma leider noch nicht überwunden haben. ({6}) Jetzt zur Regierungserklärung von Frau Merkel. Wissen Sie, Frau Merkel, ich habe es sehr geschätzt, in der Regierungserklärung von Ihnen zu hören, dass Sie etwas tun wollen, um sowohl den sozialen als auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Land zu stärken. Dazu muss ich mir bloß anschauen, wie sich Ihr Kabinett in der vergangenen Woche präsentiert hat. Als ich Ihre Rede hörte, dachte ich spontan: Morgen wird Herr Seehofer entlassen, und übermorgen ist Herr Spahn fällig. Das wäre doch die Konsequenz aus Ihrer Regierungserklärung. ({7}) Was hat denn Herr Seehofer als neuer Innenminister gemacht, noch nicht verstehend, welche Verantwortung er trägt? Er hat dazu beigetragen, die Gesellschaft in diesem Land tiefer zu spalten. ({8}) Deshalb hat der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter recht: Wer solche Aussagen tätigt, ist ein Sicherheitsrisiko. ({9}) Herr Seehofer, Ihnen ist es mit Ihren Aussagen gelungen, sowohl dem ganz rechten Rand als auch den Islamisten einen Gefallen zu tun. Das ist wirklich nicht hilfreich. Wissen Sie, was ich von einem Innenminister, der verantwortungsvoll ist, erwarten würde? Von einem Innenminister würde ich erwarten, dass er sich um die realen Probleme kümmert, die es gibt. Nehmen wir zum Beispiel einmal die vernünftige Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden. Wir haben hier gemeinsam einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Warum haben wir ihn eingesetzt? Weil der Anschlag auf dem Breitscheidplatz wohl auch auf ein Versagen unserer Sicherheitsbehörden zurückzuführen ist. Wenn Sie sich darum kümmern würden, hätten Sie auch unsere Unterstützung. ({10}) Was wir überhaupt nicht brauchen, ist ein Gesundheitsminister, der glaubt, seine Karriere – er ist ja gar nicht konservativ; das ist ja eine Schande für die Konservativen – im rechten Flügel der Union auf dem Rücken der Schwächsten aufbauen zu können. ({11}) Herr Spahn, Sie wissen doch auch, dass die Sätze für das Arbeitslosengeld II seit zehn Jahren künstlich heruntergerechnet werden. ({12}) Herr Spahn, Sie wissen doch auch, dass man mit 2,77 Euro pro Tag ein Kind nicht vernünftig ernähren kann. Lassen Sie das doch, und kümmern Sie sich um Ihre eigenen Aufgaben! ({13}) Ein Beispiel, was man tun könnte, wäre, sich zu überlegen, was man wirklich bei der Pflege verbessern kann. Frau Merkel hat gesagt, 8 000 zusätzliche Stellen seien ein erster Schritt. Verdammt noch mal! Wir waren doch schon einmal weiter. Es war einmal von 25 000 zusätzlichen Stellen die Rede. Wenn Sie sich darum kümmern würden, dann hätten Sie unsere Unterstützung. ({14}) Was ich, ehrlich gesagt, bitter finde an der ganzen Geschichte, ist, dass man von der SPD, wenn die Schwächsten bei uns im Land so diffamiert werden, eigentlich nichts hört. ({15}) Frau Nahles, Herr Heil, ich finde es ja gut, wenn Sie sich darum kümmern wollen, dass mehr Menschen in Arbeit kommen, dass mehr Langzeitarbeitslose in Arbeit kommen. Der Vorschlag eines sozialen Arbeitsmarktes ist eine gute Sache. ({16}) Aber im Grundgesetz steht nicht: „Die Würde des arbeitenden Menschen ist unantastbar“, sondern: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ ({17}) Deshalb hätte ich erwartet, dass Sie die Ärmsten der Armen gegen Ihren Koalitionspartner verteidigen. Lassen Sie uns gemeinsam für ein Sozialsystem sorgen, das die Würde aller Menschen ins Zentrum stellt. Das wäre die Aufgabe, die ansteht. ({18}) Ganz kurz noch zur Klimapolitik. Das Problematische an der Klimapolitik, so wie Sie sie betreiben, ist, dass Sie massiv Vertrauen in unserer Gesellschaft zerstören. Erfolgreiche Klima- oder Umweltpolitik erfordert einen langfristigen Umbau. Sie ist etwas, worin Unternehmen investieren müssen, worauf sich Menschen langfristig einstellen können müssen. Deshalb ist das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik so wichtig. Mit dem Kippen des Klimaschutzziels 2020 haben Sie genau diese Verlässlichkeit zerstört. Indem Sie die Tricksereien der Autokonzerne haben durchgehen lassen, haben Sie genau diese Verlässlichkeit zerstört. Wie soll ein Unternehmer, der Millionen in Klimaschutz investieren will, das gegenüber seinen Investoren begründen, wenn sein Konkurrent sich darauf verlassen kann, dass die Durchsetzung der Klimaschutzziele immer und immer wieder verschoben wird? Wie soll denn ein Manager – es gibt auch progressive in der Autoindustrie – durchsetzen, dass endlich moderne, saubere Antriebe produziert werden, wenn Sie zulassen, dass die Tricksereien weitergehen? Ändern Sie das endlich! ({19}) Dadurch wird Ihre Klimapolitik auch noch eine richtig schlechte Wirtschaftspolitik. ({20}) Zum Abschluss noch eins, Herr Kauder. Man könnte noch zu vielen Dingen etwas sagen. Zu Europa müsste man dringend etwas sagen. Hören Sie endlich auf, Macrons Vorschläge immer als Transferunion zu diffamieren! ({21}) Herr Kauder, man müsste auch dringend etwas zu dem sagen, was Sie zur NATO, zu Afrin und zur Türkei gesagt haben. Verdammt noch mal: Sie haben ja recht. Aber was macht diese Bundesregierung? Dann muss diese Bundesregierung endlich einmal den NATO-Rat anrufen, anstatt in einer Tour weiter Waffen dorthin zu liefern. ({22}) Sie sagen hier das Richtige, und das Gegenteil wird von Ihrer Bundesregierung gemacht. Daher erwarte ich von Ihnen als Regierungsfraktionen, dass Sie sich durchsetzen. Deshalb zum Abschluss nur eines: In den ersten Wochen hat man erkennen können, dass die Koalitionsfraktionen und ‑parteien vor allem mit sich selbst beschäftigt sind: Herr Spahn gegen Annegret Kramp-Karrenbauer; Frau Nahles und die SPD waren sowieso mit sich selbst beschäftigt. Bei der CSU gibt es einen Wettbewerb zwischen Seehofer und Söder, wer am weitesten nach rechts ausschlägt. Hören Sie damit auf; denn wir brauchen dringend eine Regierung, die die großen Probleme dieses Landes anpackt. Tun Sie das! Das wünsche ich mir nicht nur als Opposition, das wünsche ich mir vor allem als Bürger dieses Landes. Vielen Dank. ({23})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich rufe für die SPD-Fraktion den Kollegen Christian Petry auf. ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hofreiter, ich denke, wir machen es gerne so, wie Sie es von uns erwarten. Es ist eine gute Auflage. ({0}) Es war im Übrigen ein Franzose, Charles Irénée ­Castel de Saint-Pierre, der erstmals vor 300 Jahren die Union européenne gefordert hat. Immanuel Kant beschwor in seiner Altersschrift „Zum ewigen Frieden“ die kosmopolitische Idee eines allgemeingültigen Rechtssystems, quasi das, was wir heute als Basis für Europa haben. Diese Idee ist heute Realität. Diese Idee hat sogar Riesenerfolge errungen, insbesondere weil es ein friedliches Europa ist. Ich nenne nur den Friedensnobelpreis 2012. Ich glaube, auf dieses Europa, in dem wir ein starker Teil sind, können und müssen wir stolz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Eine Wertegemeinschaft der offenen Demokratien, Gleichberechtigung in allen Bereichen – Mann und Frau oder auch Religion –, Freizügigkeit bei Personen oder Waren, freie Arbeitsplatzwahl, freie Wohnsitzwahl, freie Wahl des Schul‑, Ausbildungs- oder Studienortes – das sind doch Errungenschaften Europas, für die es sich lohnt; zu arbeiten. Der Koalitionsvertrag, den wir haben, bietet eine gute Basis, dass sich dieses Europa stark weiterentwickeln wird. Die Welt um uns herum ist bedauerlicherweise schwieriger geworden. Der Staatskapitalismus in China macht uns Schwierigkeiten, Machtansprüche in Russland bereiten uns Schwierigkeiten, Isolationsstreben in Amerika macht auch den Welthandel problematischer. Innerhalb Europas droht mit dem Brexit eine schwierige Zeit auf uns zuzukommen. Ich persönlich hätte mir natürlich gewünscht, es wäre nicht dazu gekommen und in Großbritannien wäre das Werben für Europa stärker gewesen als das Schlechtreden von Europa. Dies sollte uns aber hier in diesem Hause eine Warnung sein. Zeichnen wir doch ein positives Bild von Europa. Deutschland ist dasjenige Land in Europa, das pro Jahr am meisten von Europa profitiert und ihm entsprechend seinen Wohlstand verdankt. Darauf müssen wir stolz sein. Das müssen wir positiv hervorheben. ({2}) Wir fordern neue Aufgaben für Europa. Die soziale Säule Europas muss gestärkt werden. Wir wollen ein System europäischer Mindestlöhne, orientiert am Wohlstandsniveau, eine europäische soziale Absicherung, beispielsweise eine europäische Arbeitslosenversicherung. Das alles wollen wir mithilfe des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens finanzieren. Dabei soll nach dem Koalitionsvertrag die Förderung in der Landwirtschaft nicht zurückgefahren werden. Die EU-Strukturmittel sollen nicht zurückgefahren werden, Erasmus als Ausbildungsprogramm und Horizon 2020 sollen gestärkt werden. Herr Seehofer, Sie haben auch gesagt, die Außengrenzen müssen besser geschützt werden. Man rechnet, dass dazu etwa 100 000 Menschen benötigt werden, damit wir Verhältnisse wie zwischen Amerika und Kanada und zwischen Amerika und Mexiko haben. Das bedeutet Kosten in Höhe von 30 Milliarden Euro pro Jahr. Das muss irgendeiner bezahlen und finanzieren. Dies durch Umschichtung machen zu können, halte ich für fragwürdig. Von daher müssen wir bereit sein – und wir sind es gemäß Koalitionsvertrag –, ausreichende Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. Dass Deutschland dazu einen höheren Beitrag leistet, ist wegweisend für andere. Ich bin stolz darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir dies als Vorreiter in Europa so geäußert haben. ({3}) Es ist also noch viel zu tun, und es gäbe noch viel dazu zu sagen. Wir wollen ein Europa, das in den Herzen der Menschen verankert ist. Wir wollen ein Europa, das Frieden und Sicherheit ausstrahlt. Wir wollen auch ein Europa – ich blicke mal nach links –, das die Aufrüstungsspirale beendet und eine Abrüstungsspirale in die Wege leitet. ({4}) Auch das wollen wir erreichen. Wir wollen ein Europa der Sicherheit und des Wohlstandes. Lassen Sie uns dafür kämpfen. Glück auf! ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion erteile ich der Kollegin Dr. Alice Weidel das Wort. ({0})

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wenn man der Rede der Bundeskanzlerin so zuhört, dann hat man das Gefühl, als ob es die Kanzlerin der SPD und der Grünen wäre und nicht der CDU. Was ist bloß aus der CDU geworden, sehr geehrte Damen und Herren? ({0}) Wenn man sich das Regierungsprogramm mal so durchliest, denkt man auch, es wäre das Regierungsprogramm der SPD. ({1}) Und wenn man der Regierung insgesamt so zuhört, dann denkt man: Hier wird Politik nicht für Deutschland gemacht, sondern eigentlich primär für Macron und für Frankreich. ({2}) Sie haben es selbst erwähnt, Frau Bundeskanzlerin: Hinter uns liegt die längste Regierungsbildung in der Geschichte unseres Landes. Während immerhin 171 Tagen konnten wir das Schauspiel mit zuerst vier, dann drei Parteien erleben, die mit widerrufenen Wahlversprechen und Postengezerre den verwunderten Wähler regierungs- und fassungslos zurückgelassen haben. ({3}) Und nun erleben wir einen dritten Aufguss von Schwarz-Rot. Die Suppe wird immer dünner, die Qualität des Kabinetts – man muss es einfach so sagen – immer schwächer. Der Koalitionsvertrag liest sich auch dieses Mal gewohnt unkonkret. Auch die Entlastungen, die Sie angesprochen haben, sind vage und nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, insbesondere für das Rückgrat unserer Gesellschaft, nämlich die Familien, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin. Jeder spürt: Das reicht einfach nicht. Wenn man Ihnen zugehört hat, dann weiß man auch: Zuwendungen erhalten weniger die „Schon-länger-hier-Lebenden-und-Einzahlenden“, sondern die „Neu-Dazugekommenen“, die „Demnächst-Nachkommenden“ und auch die „Woanders-Lebenden“. ({4}) Ein neuer Aufbruch für Europa Eine neue Dynamik für Deutschland Ein neuer Zusammenhalt für unser Land Unter dieses Motto haben Sie Ihre Koalition gestellt. Doch wie sieht es eigentlich in der Praxis aus? Ihr Verhalten gegenüber unseren europäischen Nachbarländern und Ihre erzwungene Zuwanderungspolitik führten bereits zu tiefen Verwerfungen innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft. ({5}) Auch bei vielen Bürgern in Deutschland stößt Ihr eigenmächtiges Handeln auf massive Ablehnung. ({6}) Und Ihre Politik der Alternativlosigkeit lässt die Bürger zu Recht an den politischen Institutionen und damit an der Demokratie und den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit zweifeln. ({7}) Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, wir schaffen das. Und ich frage Sie: Schaffen Sie das eigentlich immer noch? ({8}) Sie haben gesagt, dass die Koalitionäre aufgrund des Wahlergebnisses entsprechende Schlüsse ziehen. Sie wollen erkannt haben, dass die Bürger ein starkes Bedürfnis nach Gemeinschaft, Sicherheit im Alltag, Bewahrung der kulturellen Identität und Stabilität haben. Ein schöner Schein – denn diese Aussagen werden unglaubwürdig, wenn man genauer hinschaut. Dies wird insbesondere bei der verschwurbelten Aussage über die sogenannte Obergrenze bei der Zuwanderung ersichtlich. Es steht dazu nämlich im Koalitionsvertrag – ich zitiere –, „dass die Zuwanderungszahlen … die Spanne von jährlich 180 000 bis 220 000 nicht übersteigen werden“. Maßnahmen, um die ungeregelte Einwanderung einzudämmen, werden überhaupt nicht genannt. Martin Schulz, der Ihr Koalitionspapier mitverhandelt hat, hat das ohne Umschweife zugegeben: Wenn 260 000 Menschen oder mehr kommen, dann kommen eben mehr. – Selten war ein Politiker der Regierungsparteien ehrlicher. Er hat zugegeben, dass es ihm eigentlich schlichtweg egal ist, was in einem Regierungsprogramm steht. ({9}) Beim Kapitel Europa wird hingegen ganz unverhohlen formuliert: „Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit.“ So steht es auf Seite 9. ({10}) – Sie rufen: Genau! – Was heißt das hier? Was heißt eigentlich „wir“? Die Bürger und Steuerzahler dieses Landes sind mit Sicherheit nicht dazu bereit. ({11}) Es ist nämlich ihr hart erarbeitetes Geld, das Schwarz-Rot nach Brüssel schicken will. Letztlich bedeutet das nichts anderes als: Die Koalition plant, die Kontrolle des deutschen Haushaltes nach Brüssel zu übertragen. ({12}) Das Königsrecht eines jeden Parlamentes, die Budgethoheit, wird von der Union und von der SPD bereitwillig aufgegeben, und das werden wir als AfD-Fraktion nicht widerspruchslos passieren lassen. Darauf können Sie sich verlassen. ({13}) Die europäische Schulden- und Haftungsunion wollen Sie nun endgültig manifestieren. Alle, wirklich alle vertraglich festgelegten Stabilitätskriterien von Maastricht sollen endgültig über Bord geworfen werden. Das Koalitionspapier sieht vor, dass der ESM, in dem sich mittlerweile eine Risikosumme in Höhe eines halben Bundeshaushalts angesammelt hat, in einen dauerhaften Europäischen Währungsfonds überführt wird, den EWF. Das ist für Sie kein Problem. Einlagensicherungen sollen ohne vorherigen Abbau der Risiken in Italien oder anderen Problemländern europäisiert werden. Auch das ist für Sie kein Problem. Die finanziellen Risiken für unser Land, für die Steuerzahler und Sparer sind unübersehbar, ({14}) aber Sie sagen es dem Bürger und Steuerzahler nicht. Wir verlangen, dass Sie ihm endlich die Wahrheit sagen. ({15}) Wir wissen aus der jüngeren Vergangenheit: Die Abgeordneten von Union und SPD stimmen auch Gesetzen zu, die offensichtlich verfassungswidrig sind. ({16}) Ich erinnere hier nur an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. ({17}) Im Koalitionsvertrag ist von einer „neuen Dynamik“ und einem „neuen Zusammenhalt“ in unserem Lande die Rede. So etwas erreicht man nur, sehr geehrte Damen und Herren, wenn man den Bürgern das verlorengegangene Vertrauen zurückgibt. Sie haben es jedoch regelmäßig mit falschen Versprechen und Irreführung missbraucht. Die Alternative für Deutschland ist mit dem expliziten Auftrag in den Bundestag gewählt worden, den Bürgern dieses Landes wieder ihre Stimme zurückzugeben. ({18}) – Ich finde es super, wenn Sie sich aufregen. Ihre Politik der Alternativlosigkeit – und daran werden Sie sich messen lassen müssen – hat die Menschen an den politischen Institutionen zweifeln lassen. Die AfD tritt dafür ein, den Bürgern, ({19}) dem Souverän, mehr Selbstbestimmung zu übertragen. Direkte Demokratie in Form von Volksinitiativen und Referenden fördert die Mitgestaltung der Politik unseres Landes, ({20}) sei es durch Initiativen aus der Bevölkerung heraus oder als Element, um Entscheidungen des Parlaments zu beeinflussen – ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen –; denn durch direkte Demokratie werden Parlament und Regierung ihrer ersten Aufgabe, dem Staatsvolk zu dienen, noch stärker verpflichtet. Die direkte Demokratie ist auch immer eine Kontrollinstanz der Bürger gegenüber den politischen Entscheidungsträgern. ({21})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, beachten Sie Ihre Redezeit!

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Instrumente der direkten Demokratie lassen Staaten verantwortungsvoller mit dem Geld ihrer Bürger umgehen. ({0}) Die Geldverschwendung und Staatsverschuldung fällt in Ländern mit hohem Demokratieanteil nämlich deutlich geringer aus. Darum stehen wir für direkte Demokratie als Alternative für Deutschland. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als nächster Redner hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Alexander Dobrindt. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat hat sich die Lage Deutschlands in der Welt in den letzten Jahren fundamental verändert. Die Globalisierung, der neue Wettbewerb zwischen Unternehmen, auch zwischen ganzen Staaten, die Digitalisierung, der grundlegende Wandel unseres Alltags, der Wirtschaft, der Gesellschaft, der damit verbunden ist, die internationalen neuen Krisenherde, die Konfrontationen zwischen Ost und West und der massive Migrationsdruck – all das stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir haben mit unserem Koalitionsvertrag in der Tat einen konsequenten Zukunftsplan für die Bewältigung dieser Herausforderungen geschaffen. Es gibt eben kein Weiter-so mit dieser Großen Koalition. Es wird Rekordinvestitionen und einen Modernisierungsschub geben. Wir sehen Rekordentlastungen vor, um Leistungsgerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu schaffen, und wir geben ein klares Bekenntnis zu einem starken Staat ab, und zwar verbunden mit der Förderung des sozialen Zusammenhalts. Das ist ein echter Aufbruch in vielen Bereichen. ({0}) Zu diesem Aufbruch gehören auch die Herausforderungen, die Europa zu bewältigen hat. In der Vergangenheit war die Europäische Union sehr stark mit den Themen aus ihrer Mitte konfrontiert; heute wird ein erheblicher Teil der Herausforderungen von außen bestimmt: durch die Krisenherde in unserer Nachbarschaft, durch die Konfrontationen zwischen Ost und West, durch die Migrationsthemen. Deswegen brauchen wir in der Tat ein neues Selbstverständnis für Europa. Die größte Aufgabe der EU kann nicht die ever closer union, die fortschreitende Integration sein. Die größten Aufgaben für Europa sind heute Sicherheit, Wehrfähigkeit, geschützte Grenzen und das gemeinsame Durchsetzen unserer wirtschaftspolitischen Interessen in der Welt. Das ist eine außenpolitische Strategie, die in Europa geteilt werden muss. ({1}) Wir müssen uns natürlich entscheiden: Wollen wir als Europa eine Rolle auf der Weltbühne spielen? Wollen wir gegenüber den USA, Russland und Asien auf Augenhöhe agieren oder die Spielwiese für andere sein? Meine Antwort ist klar: Wenn wir Europa als Friedens- und Freiheitsprojekt erhalten wollen, dann müssen wir bereit sein, auf dieser Weltbühne zu agieren. Internationale Verantwortung auf der Weltbühne heißt natürlich auch, sich stärker in der NATO zu engagieren, heißt auch für Deutschland mehr Investitionen in die Verteidigung, in Personal, in eine bessere Ausstattung und eine schlagkräftige Bundeswehr. Mein Ziel bleibt deswegen auch ganz klar, dass wir zukünftig die 2 Prozent bei diesen Investitionen erreichen. Da geht es nicht um Aufrüstung, wie die Linke immer gern formuliert. ({2}) Da geht es um moderne Ausrüstung für Soldaten, die unsere Sicherheit garantieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Zu dieser außenpolitischen Strategie gehört auch, dass wir unsere Außengrenzen endlich wirksam schützen. Europa muss seine Außengrenzen schützen und deshalb Frontex weiterentwickeln; eine echte europäische Grenzschutzpolizei ist das Schlagwort. Wir brauchen ein wirksames Mittel gegen Schlepper und Schleuser, gegen illegale Migration nach Europa. Das geht nur mit dem Schutz der Außengrenzen, und deswegen ist klar: Ohne sichere Außengrenzen kann es keine offenen Grenzen im Inneren geben, meine Damen und Herren. ({4}) Wir brauchen diese neue Dynamik auch in der Wirtschaft. In der Tat scheint die Digitalisierung für viele auch eine intellektuelle Herausforderung zu sein. Auch in vergangenen Zeiten gab es bei der Industrialisierung viele Skeptiker; die meisten kamen auch damals schon von links. Aber ohne Industrialisierung wären Wohlstand, Wachstum und Arbeit in Deutschland und in Europa so nie möglich gewesen. Wir haben jetzt die Chance auf ein Wirtschaftswunder 4.0, aber nur, wenn wir bereit sind, auch komplett zu digitalisieren. Dazu gehören die Netze. Dazu gehört ein Gigabit-Netz, dazu gehören 5G. Dafür nehmen wir 10 Milliarden Euro in die Hand. Meine Damen und Herren, denjenigen, die meinen, sie könnten sich über Schlüsseltechnologien, die wir in diesem Bereich entwickeln wollen, lustig machen, wie es gerade der Kollege Bartsch wieder getan hat, als er das Zitat mit dem Flugauto vorgetragen hat, sage ich: Wenn man bei den Technologien der Zukunft nicht Innovationsführer sein will, wenn man nicht einsehen will, dass heute Start-ups wie Lilium oder große Konzerne wie Airbus an diesen Zukunftstechnologien forschen, um sie dann in Deutschland zu entwickeln, um Arbeit, Wachstum und Wohlstand auch hier möglich zu machen, wenn man das alles nicht will, dann kann man sich gerne darüber lustig machen. Die Zukunft, die wir hier beschreiben, liegt aber nicht Jahrzehnte entfernt, sondern wird in wenigen Jahren Realität sein. Ich will, dass die Innovationen hier stattfinden und nicht irgendwo anders auf der Welt. ({5}) Lassen Sie sich sagen, lieber Kollege Bartsch: Sie haben nicht nur bei diesem Thema vollkommen danebengelegen. Sie haben ja auch vom „Fetisch des ausgeglichenen Haushalts“ gesprochen. ({6}) Nicht die soliden Finanzen, nicht der ausgeglichene Haushalt hat Europa finanziell an den Rand des Abgrunds gebracht, sondern Ihre Freunde, die eine hemmungslose linke Politik auf Pump betrieben haben. Der linke Schuldenfetisch hat Europa an den Rand des Abgrunds gebracht, lieber Herr Bartsch! ({7}) Ich bin sehr dafür, dass wir hier über diese Fragen diskutieren. Ich will auch, dass wir wieder mehr Debatte wagen in diesem Deutschen Bundestag. ({8}) Ja, wir müssen mehr Debatte wagen in diesem Deutschen Bundestag. Der Bundestag ist der Ort der Debatte und deswegen auch der Ort, an dem wir natürlich auch über das Wertesystem unseres Landes debattieren können. Es ist richtig: Ja, die Muslime, die hier leben und sich in unser Wertesystem integrieren wollen, sind Teil Deutschlands. Aber wir sind ein klar christlich geprägtes Land. Wir haben eine christlich-jüdische Tradition. Unsere Wurzel ist das christliche Wertefundament. Das anzusprechen, ist richtig, wenn man integrieren will, weil man denjenigen, die zu uns kommen, sagen muss, wohinein sie sich integrieren sollen. ({9}) Meine Damen und Herren, die überwiegende Mehrheit der Menschen in unserem Land will, dass Deutschland ein christlich geprägtes Land mit seinem Wertesystem und seiner Tradition bleibt. Und wir sind die Stimme dieser Menschen in diesem Deutschen Bundestag. ({10}) Und deswegen sage ich Ihnen auch: Der Islam gehört nicht zu Deutschland, meine Damen und Herren. ({11}) Ja, ich will, dass wir auch diese Debatte wagen. Selbstverständlich hat die Integrationsfähigkeit unseres Landes eine Grenze.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, Ihre Redezeit hat auch eine Grenze.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Wir haben auch bei der Essener Tafel direkt erlebt, dass die Integrationsfähigkeit unseres Landes eine Grenze hat. Deswegen kommt es jetzt darauf an, dass wir mit den Maßnahmen, die wir ergreifen, in der Lage sind, die Rückführung derer, die kein Bleiberecht in Deutschland haben, zu organisieren. Der Masterplan für Abschiebungen, wie ihn der Bundesinnenminister beschrieben hat, ist das richtige Element: AnKER-Zentren für schnelle Asylverfahren, um direkt wieder abschieben zu können. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sichere Herkunftsstaaten und ein besseres Rücknahmeabkommen: Wer als Herkunftsland aktiv kooperiert, der profitiert auch zukünftig von wirtschaftlicher Zusammenarbeit. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, die Zeit ist jetzt abgelaufen.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ansonsten profitiert man eben nicht davon. Diese Herausforderungen stellen sich, Herr Präsident, und deswegen debattieren wir auch in diesem Deutschen Bundestag darüber. Danke schön. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile als nächster Rednerin das Wort der Kollegin Dr. Frauke Petry.

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Bundeskanzlerin! Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Tat, nach über fünf Monaten Leidenszeit haben die Deutschen eine neue Regierung. Sie können von Glück sagen, dass unsere Landsleute, die Bürger, so geduldig sind. Es ist leider wieder nur eine GroKo, weil Sie nicht den Mut hatten, Demokratie in diesem Parlament zu leben, indem Sie sich für eine Minderheitenregierung entscheiden und damit dafür sorgen, dass Mehrheiten, die in diesem Parlament ohne Zweifel vorhanden sind, in demokratischer Debatte errungen werden. Trotzdem starten Sie mit erstaunlich viel Kredit. Sie starten mit Rekordsteuereinnahmen im Jahr 2018. Und was haben Sie als Programm zu bieten? Haben Sie eigentlich selbst gemerkt, dass Sie fast die Hälfte Ihrer Regierungserklärung damit zugebracht haben, Frau Merkel, zu erklären, was alles durch Sie selbst verursachte Probleme in diesem Land sind? Dazu gehören die sogenannte Flüchtlingskrise – wir reden über illegale Migration und nicht so sehr über eine Flüchtlingskrise; denn um die wirklichen Flüchtlinge könnten wir uns problemlos kümmern – und Ihre Ankündigung, dass 200 000 Menschen oder auch ein paar mehr pro Jahr kein Problem seien, auch wenn diese Zahl der Bevölkerung einer deutschen Großstadt entspricht. Ein Opferbeauftragter für die katastrophalen Folgen und Kollateralschäden Ihrer Politik ist Ihnen wichtig, anstatt den Bürgern zu erklären, dass Sie dafür sorgen werden, dass solche Anschläge nicht mehr stattfinden, Frau Merkel. Und dann gipfelt das Ganze in der Aussage: Wir schaffen einen „Pakt für den Rechtsstaat“. Ich frage mich, wann in den letzten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland es nötig war, das in der ersten Regierungserklärung einer neuen Legislatur zu betonen. Wenn Sie für den Rechtsstaat einen Pakt brauchen, heißt das nämlich nur eines: dass der Rechtsstaat erheblich gelitten hat und dass Sie offenbar noch kein Rezept haben, wie Sie ihn wiederherstellen. Zu allen wichtigen Themen, auf die wir gewartet haben – Bildung, Digitalisierung, Familien- und Lebensschutz oder eine zukunftsweisende Politik für den Mittelstand –, haben wir trotz Rekordsteuereinnahmen wenig gehört. Frau Merkel, wir haben mit Ihnen in den letzten Legislaturperioden genug Experimente erlitten: das Experiment Euro mit fast 1 Billion Euro TARGET2-Forderungen Deutschlands, die fortgesetzte ungesteuerte Zuwanderung, eine Energiewende auf dem Rücken der Bürger, Ihre erneute Kampfansage an Dieselmotoren. Sagen Sie: Wie viele Experimente wollen Sie den Bürgern dieses Landes noch zumuten? Nur eines von einer Chemikerin zu einer Physikerin: Ich frage mich wirklich, bei allem humanitären Verständnis, das ich für Sie aufbringe, ob beim Thema Zuwanderung oder auch bei der Vision von Verbrennungsmotoren auf Basis einer Brennwertzelle: Können Sie es tatsächlich mit Ihrem akademischen Niveau und Ihrem Gewissen als Naturwissenschaftlerin vereinbaren, sich heute hier hinzustellen und noch einmal vor allen Kameras und allen Parlamentariern das Ende der Verbrennungsmotoren zu verkünden? Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Sie das tun; aber das haben Sie geschafft. Frau Merkel, was wir in diesem Land tatsächlich brauchen, ist verlässliche Politik für die Bürger. Diese kann ich nach wie vor bei Ihnen nicht erkennen. Das Allerschlimmste kam zum Schluss: „Deutschland, das sind wir alle.“ Sie hätten bestimmt noch fünf Minuten bekommen, um uns zu erklären, wen Sie eigentlich meinen; ({0}) die Zeit hätten wir Ihnen gern gegeben. Aber das haben Sie nicht getan. Das ist bedauerlich; denn es beweist ein weiteres Mal, dass Sie nicht verstanden haben, für wen Sie eigentlich Politik machen. Ich wünsche mir, dass Sie das vielleicht in den nächsten vier Jahren, so Sie sie haben, noch herausfinden. Fangen Sie bitte endlich an, auf die Bürger zu hören. Machen Sie nicht wirklichkeitsentleerte Politik, sondern fragen Sie die Bürger, was sie wollen. Denn sie sind der Souverän; sie, Frau Merkel, die Bürger dieses Landes, sind Deutschland, und nicht ein diffuses Wir, das wir von Ihnen gehört haben. Die Bürger sind Deutschland, und sie haben es verdient, dass Sie endlich ihre Interessen vertreten. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Gunther Krichbaum, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Opposition ist es sicherlich Ihr gutes Recht, an der Bundesregierung herumzukritisieren. ({0}) Aber Fakt ist nun einmal, dass Europa sehr froh darüber ist, dass wir nun nach langer Wartezeit eine handlungsfähige, starke Regierung mit einer klar proeuropäischen Agenda haben. Es ist dieses Europa, das ein starkes Deutschland braucht, genauso wie wir umgekehrt ein starkes Europa brauchen. ({1}) Was die Herausforderungen angeht, wurde schon – auch Frau Nahles hat darauf Bezug genommen – viel gesagt. Der Europäische Rat, der jetzt bevorsteht, wird sich gezielt damit auseinandersetzen. Herr Bartsch, was natürlich überhaupt nicht sein kann, ist, dass Sie sagen, die Bundesregierung sei letztlich für den Brexit verantwortlich. Das kann so nicht stehen bleiben. So ein hanebüchener Unfug! ({2}) Man muss immer wieder unterstreichen: Nationale Regierungen haben über Jahre hinweg den Schwarzen Peter nach Brüssel geschoben und wollten für den eigenen Unfug nicht verantwortlich zeichnen. Es ist niemand anderem als Cameron höchstselbst zu verdanken, dass es überhaupt zu diesem Referendum kam. ({3}) Er hat die Leute nachher nicht mehr von der Palme heruntergebracht, auf die er sie selber getrieben hat. ({4}) – Nein, da liegen Sie völlig falsch, Herr Korte. Nächste Anmerkung. Es ist genauso Unfug, wenn Sie hier behaupten, dass die Budgets der internationalen Hilfsprogramme gekürzt worden seien. – Es ist zwar nicht viel besser, aber: Die internationale Gemeinschaft ist ihren Einlageverpflichtungen, gerade beim World Food Programme, nicht nachgekommen. Es waren diese Bundeskanzlerin und die vorherige Bundesregierung, die im Februar 2016 die bis dato größte Geberkonferenz in London mitorganisiert haben, was 11 Milliarden Dollar für Syrien und die Nachbarländer in die Kasse brachte, damit wir hier auf die Migration und die Herausforderungen in diesen Ländern entsprechend reagieren können. Genau dafür war Kanzlerin Angela Merkel international verantwortlich. ({5}) Zum Brexit selbst. Das Austrittsabkommen wird bis Oktober 2018 unter Dach und Fach sein. Danach wird es wohl die Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 geben, und auf dem Europäischen Rat wird jetzt auch schon darüber verhandelt werden – oder besser gesagt: gesprochen werden –, wie die künftigen Beziehungen aussehen sollen. Hier bleibt noch viel zu tun. Das betrifft im Übrigen auch die Austrittsfragen höchstselbst. Man denke beispielsweise nur an die Außengrenze zwischen Irland und Nordirland bzw. zwischen Nordirland und dem Vereinigten Königreich, die wir in Zukunft haben werden, wenn tatsächlich das umgesetzt werden sollte, was jetzt geplant ist, dass nämlich Nordirland fürderhin in der Zollunion und der Freihandelszone bleibt. Großbritannien möchte ja genau das vermeiden. Es hat bislang aber noch nicht gesagt, wie es sich das Ganze dann vorstellt. Fakt ist: Verlierer wird die Wirtschaft sein, und zwar vor allem die britische Wirtschaft. Wir reden hier ja auch über eine Deckungslücke in Höhe von 11 bis 12 Milliarden Euro für den europäischen Haushalt, und es wird immer so getan, als spare Großbritannien dieses Geld, wenn es aus der Europäischen Union hinausgeht. Die Wahrheit ist, dass Großbritannien in Zukunft wesentlich mehr dafür ausgeben muss, die Kosten dafür zu kompensieren, nicht mehr Teil des Binnenmarktes zu sein. Wenn wir schon beim Thema Binnenmarkt sind – die USA lassen grüßen –, ist in puncto Handelspolitik allen voran Peter Altmaier, unserem Wirtschaftsminister, für seinen engagierten Einsatz in den USA zu danken, um die größten Friktionen abzufedern. Allerdings muss sich auch hier im Hohen Hause so mancher schon fragen lassen, wo er bei den TTIP-Verhandlungen in der Vergangenheit stand; ({6}) denn wenn wir TTIP gehabt hätten, dann wären genau diese Kapriolen des US-Präsidenten Trump letztlich gar nicht möglich gewesen. ({7}) Zum Thema Türkei. Wir befinden uns hier im wahrsten Wortsinn in einem Spannungsverhältnis. Es wird sicherlich weniger auf dem Europäischen Rat als vielmehr auf dem Sondertreffen, dem Spitzentreffen, in Varna am 26. März 2018 darüber geredet werden. Es ist aber jetzt natürlich schon an der Zeit, klare Worte zu finden, dass das Vorgehen der Türken – gerade auch im syrischen Kurdengebiet – so nicht akzeptabel ist und verurteilt wird. Es ist geboten, deutlich darauf hinzuweisen, weil wir als Europäische Union eben auch eine Werteunion sind. Die NATO ist das aber auch, und da agiert die Türkei eben nicht im luftleeren Raum. Es sollte auch daran erinnert werden, dass sich nach wie vor viele Menschen in Haft befinden, vor allem über 150 Journalisten, die zum Großteil sogar noch auf ihre Anklageerhebung warten. Deniz Yücel war hier zwar eine Symbolfigur; aber nur durch die Beendigung seiner sozusagen staatlich verordneten Freiheitsberaubung ist das Problem bei weitem noch nicht gelöst. ({8}) Auch das Thema Außengrenzen und ihr Schutz bleibt auf der Agenda. Ja, Frontex muss weiter gestärkt werden. Ja, Frontex ist mit 1 000 Mitarbeitern viel zu gering besetzt. Es ist weiter im Aufbau. Es ist, historisch gesehen, nicht gerade hilfreich gewesen, dass man die Außengrenzen nationalisiert belassen und die Binnengrenzen europäisiert hatte. Die umgekehrte Reihenfolge wäre sicherlich hilfreicher und logischer gewesen. Zu der einen oder anderen Anmerkung in Richtung Bayern von heute sei in Klarheit gesagt: Kein anderes Bundesland hatte solche Herausforderungen wie Bayern zu bewältigen. Es ist ein großes Dankeschön an die vielen ehrenamtlichen Helfer und an die Landräte fällig, die alle geholfen haben, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Es war eine Ausnahmesituation; das sollte man sich immer wieder vor Augen halten. Ich glaube, gerade in dieser Ausnahmesituation hat die Bundesregierung Charakter bewiesen, Haltung bewiesen und das Richtige getan; denn dazu sind wir nicht nur durch die europäischen Verträge verpflichtet, sondern, „werte“ Vertreter der AfD, wir alle haben die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Daran sind wir und fühlen wir uns gebunden. (Beifall des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU] Das kann man drehen und wenden, wie man will: Man kann natürlich internationale Verträge in die Tonne treten. Aber wir lassen uns durch Sie nicht die Werte der Europäischen Union in die Tonne treten. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für den Themenbereich Kultur und Medien erteile ich das Wort der Staatsministerin Professor Monika Grütters. ({0})

Prof. Monika Grütters (Gast)

Politiker ID: 11003761

Jetzt zur Kultur. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als auf den Tag genau vor 147 Jahren, am 21. März 1871, um 13 Uhr, der erste gesamtdeutsche Reichstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkam, gab es weder das Reichstagsgebäude noch eine parlamentarische Demokratie, wie wir sie heute kennen. Und doch verdient, meine ich, dieser Jahrestag in der heutigen Generaldebatte Erwähnung, nicht zuletzt als Meilenstein in der Entwicklung einer demokratischen Kultur, einer demokratischen Debattenkultur. Um diese Debattenkultur ist es aktuell nicht immer zum Besten bestellt. Wir erleben es täglich: Der Ton – auch die Frau Bundeskanzlerin hat das gesagt – ist rauer geworden. Umso wichtiger ist es, in der Kultur- und Medienpolitik den Nährboden demokratischer Verständigung zu pflegen: die Freiheit der Kunst, die Lebendigkeit der Kultureinrichtungen, die Vielfalt und Unabhängigkeit der Medien. Auch deshalb haben wir den Haushalt des Bundes für Kultur und Medien trotz notwendiger Einsparbemühungen in den vergangenen Jahren stetig erhöht. ({0}) Deshalb unterstreicht der Koalitionsvertrag mit zahlreichen Vorhaben, zum Beispiel zur Förderung der kulturellen Angebote in ländlichen und strukturschwachen Regionen, einmal mehr, dass Union und SPD der Kultur- und Medienpolitik eine große, eine immense Bedeutung für die Demokratie und für die Verständigung beimessen. ({1}) Dafür steht auch, liebe Claudia Roth, das Humboldt Forum, Deutschlands größtes Kulturprojekt. Die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wir hier präsentieren wollen, bieten in Verbindung mit der benachbarten Museumsinsel und den dort verorteten Kulturschätzen des Mittelmeerraums – also Europa und Naher Osten – einmalige Einblicke in das kulturelle Erbe der ganzen Menschheit. Sie offenbaren, dass es ein Wir nicht nur innerhalb, sondern auch jenseits kultureller und nationaler Grenzen gibt. ({2}) Ich denke, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es sagt auch viel über das Selbstverständnis der Kulturnation Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts aus, dass wir im Herzen unserer deutschen Hauptstadt nicht uns selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern der Welt in Berlin ein Zuhause geben. Das heißt: das Eigene im Austausch mit dem Anderen definieren. Vor allem zeigt es, dass wir gelernt haben, mit den Abgründen unserer Geschichte, auch mit den Brüchen unserer Demokratie umzugehen. Statt also in reiner Selbstbezüglichkeit zu verharren, empfiehlt sich hier einmal mehr Deutschland als Partner in der Welt, als im besten Sinne treibende Kraft einer Kultur der Verständigung der Völker. ({3}) Das Humboldt Forum lädt dazu ein – das ist unsere Idee –, Weltbürger zu sein. Ich bin dankbar, dass wir diese Einladung dank des Koalitionsvertrags und eines großzügigen Finanzministers mit freiem Eintritt für die Dauerausstellung bekräftigen, so wie es im Sinne der kulturellen Bildung und Vermittlung auch immer unser gemeinsames Anliegen war. Als künftigen Intendanten – Sie haben heute die Zeitung gelesen – werde ich dem Stiftungsrat der Stiftung Humboldt Forum den bisherigen Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, den Kunsthistoriker Hartmut Dorgerloh, vorschlagen. Er ist einerseits Intellektueller, andererseits auch Umsetzer, ein richtig großer, erfolgreicher Praktiker mit hoher Vermittlungskompetenz, und er ist bestens vernetzt. Er begleitet das Projekt übrigens seit vielen Jahren und weiß also, worauf er sich einlässt. Ich bin überzeugt, er ist der Richtige, um das Humboldt Forum zu einem pulsierenden und strahlenden Veranstaltungsort mitten in Berlin zu machen. Die letzten Monate haben wir im Übrigen genutzt, um die künftige Leitungsstruktur verbindlich, einvernehmlich und, wie ich finde, auch sehr gut zu regeln. Die größte Herausforderung steht uns allerdings noch bevor. Mit der Eröffnung des Forums 2019 und dem Umzug vor allen Dingen der ethnologischen Sammlungen von Dahlem nach Mitte rücken auch viel zu lange verdrängte Vorgänge und auch das Unrecht der Kolonialzeit ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. ({4}) Das Ziel, Grundsätze für den Umgang mit diesem kolonialen Erbe in Sammlungen und Museen zu erarbeiten, hat deshalb in meiner zweiten Amtszeit als Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien höchste Priorität, auch verstanden als konsequente Fortsetzung einer Erinnerungspolitik, die großen Anteil am mittlerweile wieder hohen Ansehen Deutschlands in der Welt hat ({5}) und die ich in meiner ersten Amtszeit auch mit der massiven Stärkung der Provenienzforschungsmittel zur Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs vorangetrieben habe. Das heißt, wir können auf eine gute Politik aufbauen und sollten das jetzt mit der klaren Orientierung auch auf den Umgang mit dem kolonialen Erbe fortentwickeln. ({6}) Macron hat auf Twitter geschrieben: „Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein.“ Anknüpfend an seine denkwürdige Rede in Burkina Faso hoffe ich auf eine enge deutsch-französische Kooperation bzw. auf eine Art deutsch-französischen Motor bei diesem wichtigen Thema. Deshalb will ich meiner französischen Amtskollegin Françoise Nyssen bei einem Treffen in der Woche nach Ostern vorschlagen, gemeinsam eine internationale Expertenkonferenz einzuberufen. Ihre Impulse könnten der erste Schritt sein, um – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – Lösungen für den Umgang mit diesem kolonialen Erbe zu finden. ({7}) Auch das braucht, glaube ich, eine breite europäische Basis. Denn die Aufarbeitung der historischen Wahrheit ist immer die Voraussetzung für Versöhnung und Verständigung. Weil sich eine demokratische Kultur der Verständigung nicht nur in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern natürlich auch in der Gestaltung der Zukunft bewähren muss, noch eine abschließende Bemerkung zum Zukunftsthema Digitalisierung – auch wenn gleich Dorothee Bär noch dazu reden wird; es betrifft ja uns alle –: Auch im Internet müssen Regeln gelten, die eine demokratische Debattenkultur schützen und fördern. ({8}) Dazu gehört nicht zuletzt die Kunstfreiheit. Eine demokratische Errungenschaft, das geistige Eigentum, ist ein zivilisatorischer Gewinn, der gerade bei uns in Deutschland aus gutem Grund Verfassungsrang genießt. Künstlerinnen und Künstler müssen jetzt und auch künftig von ihrer Arbeit leben können. Deshalb werde ich mich weiterhin für den Schutz des geistigen Eigentums durch ein starkes Urheberrecht einsetzen. ({9}) Eine letzte Bemerkung: Im 21. Jahrhundert sollte es außerdem eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen und Männer in Kultur und Medien gleichermaßen Wertschätzung für ihre Leistung erfahren. ({10}) Dabei geht es nicht allein um Gleichberechtigung, sondern auch um künstlerische Vielfalt und um einen Gewinn an Perspektiven und Potenzialen. Lassen Sie uns deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, alles in unserer Möglichkeit Stehende tun, um die Gleichstellung in Kultur und Medien ebenso kontinuierlich zu verbessern, wie wir den Kulturetat in den vergangenen Jahren erhöht haben. Auch so stärken wir Verständigung und Zusammenhalt. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion erteile ich das Wort Dr. Marc Jongen. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Staatsministerin Grütters! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist weit mehr als das, worüber das Feuilleton berichtet. Kultur, das sind die elementaren Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Eben deshalb wäre es so wichtig, endlich eine hysteriefreie Debatte über die deutsche Leitkultur zu führen. Eben deshalb ist auch die sogenannte Willkommenskultur zwar gut gemeint, aber in ihrer grenzenlosen Naivität so gefährlich. ({0}) Angesichts des gewaltigen Migrationsdrucks von Hunderten Millionen kulturfremden Menschen auf Deutschland und Europa in den kommenden Jahrzehnten ({1}) ist nichts wichtiger als die kulturelle Selbstvergewisserung: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Eine verantwortungsvolle Kulturpolitik würde zur Debatte über die eigene kulturelle Identität ohne Denkverbote und permanente Nazikeule ermutigen, zentral geführt am Berliner Humboldt Forum, aber auch sonst überall im Land. Stattdessen kündigen Sie in Ihrem Koalitionsvertrag eine Agenda für Kultur und Zukunft an, die sich für Integration, Inklusion und Gleichstellung einsetzen und gegen den Populismus wenden will. Mit anderen Worten: Sie setzen die Ideologisierung der Kultur- und Medienpolitik fort, die das Kulturleben in den Dienst der allmählichen Schleifung unserer nationalen Identität stellen und diesen Verlust der Heimat propagandistisch begleiten will. ({2}) Ihre Politik, werte Kollegen von der GroKo und von der linksgrünen Pseudoopposition, ({3}) baut Deutschland Schritt für Schritt zum Jedermannsland um. Wie bewusst, ist nicht immer klar festzustellen. Aber das ist das Ergebnis. Und Sie haben damit einen Kulturkampf eröffnet, nicht die AfD. Wir reagieren darauf. ({4}) Werte Frau Grütters, wenn Sie in einem Vorwort zu 15 kulturpolitischen Thesen von der angeblich rassistischen „Ideologie des Eigenen“ sprechen und ihr Weltoffenheit und Vielfalt entgegensetzen, so erkennen Sie doch bitte das zutiefst Törichte einer solchen Verkürzung. Weltoffenheit ist schön und gut und richtig. Aber wer nur weltoffen ist, ohne Kern und ohne Identität, wird sich schon bald in nichts aufgelöst haben. ({5}) Dort, wo Sie konkrete Ziele formulieren, sind diese zumeist schädlich für Kunst und Kultur, weil ihnen ganz fremd und an sie herangetragen. Nicht eine als Geschlechtergerechtigkeit getarnte Frauenquote darf doch das Kriterium für Kunstförderung sein, sondern ausschließlich Originalität und künstlerische Qualität, ({6}) egal ob von Männern oder Frauen kommend. ({7}) Die AfD wird sich dieser Ideologisierung in der Kulturförderung wie auch dem überbordenden Einfluss der Parteien auf die öffentlich-rechtlichen Medien entgegenstellen. Sie wird sich zum Anwalt all der Kulturschaffenden machen, die an dem zunehmenden Verlust der geistigen Freiheit in diesem Land leiden und nach Luft zum Atmen ringen; das sind in diesem Land nicht wenige – Gott sei Dank. Vielen Dank, meine Damen und Herren! ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Rabanus. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weltoffenheit und kulturelle Identität sind alles andere als ein Widerspruch. Im Gegenteil: Weltoffenheit ist Teil unserer deutschen kulturellen Identität. Das ist gut so, und das müssen wir auch so erhalten. So muss das bleiben. ({0}) Wir leben in einer offenen Gesellschaft, die geprägt ist durch kulturelle Vielfalt. Unsere Grundwerte sind Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit und Vielfalt in Kunst und Kultur. Das sind unsere Grundwerte, unsere Festen, auf denen wir stehen und die es zu verteidigen gilt. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Vorstellung von einer offenen Gesellschaft hat auch etwas damit zu tun, dass wir einen offenen Kulturbegriff vertreten, dass wir an einen offenen Kulturbegriff glauben, der von Teilhabe ausgeht, nach dem Motto „Kultur für alle“ auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite auch nach dem Motto „Kultur von allen“. Das führt dazu, dass wir daraus einen Auftrag und eine Verpflichtung für kulturpolitisches Handeln entnehmen; denn wir müssen als Kulturpolitiker Räume schaffen, in denen sich Freiheit entfalten kann, in denen sich Kultur und Kunst entfalten können. Wir nehmen für uns nicht in Anspruch, Kultur selbst zu definieren; dafür sind vielmehr Kulturschaffende da. ({2}) Natürlich ist es auch so, dass sich der Kulturbegriff und die kulturelle Identität immer verändern. Sie unterliegen einem Wandel. Sie erleben viele Einflüsse, auch von außen. Das ist nicht immer bruchlos. Das ist auch nicht immer konfliktfrei; aber das halten wir als stabile Demokratie, als toleranter Rechtsstaat ohne Weiteres aus. Viele Einflüsse von außen ergeben sich auch deswegen, weil wir ein Deutschland in der Mitte Europas sind, weil wir ein Deutschland als globaler Akteur sind und weil wir dementsprechend natürlich auch in der Auswärtigen Kulturpolitik eine gewichtige Rolle zu spielen haben und auch spielen. Deswegen ist es wenig verwunderlich, dass wir mit Michelle Müntefering im Auswärtigen Amt eine Staatsministerin für internationale Kulturpolitik haben. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit auch in dieser Achse, Frau Staatsministerin. ({3}) Wir wollen Kulturpolitik in die Fläche bringen; das haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen. Wir wollen im Rahmen eines kooperativen Kulturföderalismus mit den Ländern zusammen die Herausforderungen anpacken. Wir wollen dabei ganz ausdrücklich nicht nur Hauptstadtkulturpolitik machen – das auch; wir stehen dazu; das sei an dieser Stelle adressiert –, sondern auch eine Politik, die weit darüber hinausgeht. Es ist klar, dass wir in der Medienpolitik ein klares Bekenntnis zur dualen Medienordnung aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privatem Rundfunk und zu einer vielfältigen Presse- und Medienlandschaft abgeben. Beide sollen stark erhalten bleiben. Dazu gehört in der Medienpolitik aber auch, dass wir natürlich für Presse- und Meinungsfreiheit eintreten, dass wir das Berufsgeheimnis und den Informantenschutz hochhalten. In der Koalition haben wir auch verabredet, dass wir ein Presseauskunftsgesetz beschließen werden. ({4}) Ich will an dieser Stelle noch auf die Deutsche Welle eingehen, die ein wichtiger Träger deutscher Kultur im Ausland ist, unser Leuchtturm, den wir dort haben. Wir wollen ihn finanziell stärker fördern und ausbauen. Viele Einzelprojekte aus dem Koalitionsvertrag könnte man jetzt noch nennen. Das wird aus Zeitgründen nicht mehr gehen. Deswegen abschließend, meine Damen und Herren: Wir haben uns im Kultur- und Medienbereich eine ganze Menge vorgenommen. Ich freue mich darauf, das mit Ihnen, aber vor allen Dingen auch mit den Akteuren aus Kultur und Medien umsetzen zu dürfen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner ist der Kollege Erhard Grundl, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrter Herr Präsident! Frau Staatsministerin Grütters! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Wesen der Kunst ist es, Neues zu schaffen, Altes gegen den Strich zu bürsten, zu überraschen, schillernd, hässlich oder auch konfrontativ zu sein. Kunst muss uns nicht gefallen. Es ist nicht an uns als Politiker, Kunst zu beurteilen oder sie gar durch Vorgaben einer sogenannten Leitkultur zu gängeln. ({0}) Die Älteren – ich möchte nicht sagen: die ganz Alten – können sich vielleicht an die letzte – in Anführungszeichen – „konservative Revolution“ erinnern, ({1}) die Mitte der 1980er-Jahre von CDU und CSU unter Kanzler Kohl in der Bundesrepublik als geistig-moralische Wende ausgerufen wurde. Recht viel mehr als das Privatfernsehen und die Schwarzgeldkonten hat sie für unser Land nicht gebracht, ({2}) und sehr viel mehr ist auch vom Begriff der Leitkultur nicht zu erwarten, ({3}) der inhaltlich bis heute wie „eine Flasche leer“ ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kulturpolitik muss die Voraussetzungen schaffen, damit Kunst entstehen kann – in all ihrer Vielschichtigkeit als Ausdruck unserer freien Gesellschaft. Gerade heute, da wir uns mit der Spaltung unserer Gesellschaft konfrontiert sehen, muss ein entscheidendes Ziel die kulturelle Teilhabe für alle sein. ({4}) Dabei muss auch der Kulturbetrieb raus aus der Wohlfühl­ecke und diese Aufgabe mit Lust und Freude annehmen. Der Koalitionsvertrag geht von einem offenen Kulturbegriff aus; das begrüße ich. Sie erkennen die Notwendigkeit, die soziale Lage von Kreativen zu verbessern. Allerdings soll der Bericht dazu erst im Laufe der Legislaturperiode kommen. Warum so spät? ({5}) Das erschließt sich nicht. Wie schon in Ihrem Koalitionsvertrag von 2013 kündigen Sie eine sachgerechte Anschlussregelung beim Arbeitslosengeld an. Wie diese Regelung ausgestaltet werden soll, bleibt nach wie vor offen. Mit dem jetzigen Koalitionsvertrag wecken Sie viele Erwartungen bei den Menschen, die im Kulturbetrieb tätig sind. Sie gehen damit eine große Verpflichtung ein. Wir als Opposition werden Sie kontinuierlich daran erinnern, dass dieser Vertrag mehr sein muss als schöne Worte auf Papier; ({6}) denn die Menschen, die im Kulturbetrieb tätig sind, brauchen ganz konkrete Verbesserungen. Was sie brauchen, ist die soziale Absicherung von Kreativen und Selbstständigen mit geringem Einkommen durch die Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme. ({7}) Wir brauchen hier mehr als Prüfabsichten der Regierung. Wir brauchen sozial-, arbeits- und vertragsrechtliche Mindeststandards, gerade dann, wenn Kreative nicht fest angestellt sind – und das alles brauchen wir schnell. ({8}) Die Kulturförderung muss transparenter und gerechter werden. Frauen sind in den Entscheidungsgremien des Kulturbetriebs noch immer deutlich unterrepräsentiert. Für die Kulturförderung muss die verbindliche geschlechtergerechte Quote gelten. ({9}) Meine Damen und Herren, Sie kennen das Schiller-Wort von der Kunst als „Tochter der Freiheit“. Wir wollen, dass Künstlerinnen und Künstler sowie Kreative sich einmischen. Wir wollen, dass sie uns andere Sichtweisen eröffnen und uns mit ihren Talenten bereichern. Wenn wir als Deutsche uns als Kulturnation verstehen und rühmen, dann müssen wir uns heute für die Freiheit der Kunst und gegen jeden Versuch der Normierung und Gängelung einsetzen. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wir kommen zum Themenbereich Digitalisierung. Ich erteile das Wort der Staatsministerin Dorothee Bär. ({0})

Dorothee Mantel (Gast)

Politiker ID: 11003586

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So viel Digitalisierung war nie in der Generalaussprache. Es freut mich sehr, dass sie so gut wie von jedem Redner hier heute schon angesprochen wurde. Aber bei einigen Beiträgen musste ich feststellen, dass an der einen oder anderen Stelle doch noch mehr Arbeit vor uns liegt, als ich es für möglich gehalten habe. Natürlich geht es um technische Herausforderungen – das ist mehrfach angesprochen worden –; aber noch viel mehr brauchen wir bei dem Thema ein Umdenken. Es muss sich in den Köpfen insgesamt etwas ändern. Deswegen finde ich es einfach schade – ich sage es ganz offen –, wenn jemand wie Christian Lindner – leider ist er nicht mehr hier, aber vielleicht kann Nicola Beer oder jemand anders ihm das weitergeben – sagt, dass er erst mal Basics haben möchte und keine Flugtaxis. ({0}) Wenn das von Dietmar Bartsch kommt – ich wollte das Thema eigentlich nicht ansprechen, aber nachdem es angesprochen wurde, gehe auch ich darauf ein –, ({1}) habe ich vielleicht noch ein bisschen Verständnis dafür; bei Christian Lindner wundert es mich deswegen, weil er, als er 18 und noch jung und wild war, mal den schönen Satz gesagt hat, dass Probleme nur dornige Chancen sind, und weil er im Wahlkampf Werbung damit gemacht hat, dass wir die Bedenken hintanstellen sollen: „Digital first. Bedenken second.“ Ich greife das deswegen als Beispiel auf, weil ich davon überzeugt bin, dass es in diesem Lande mit den Basics nicht reicht. ({2}) Natürlich braucht es diese Basics; das ist völlig klar. Wir brauchen dafür alle, und wir brauchen auch eine motivierte und engagierte FDP. Dazu möchte ich die Hand reichen; denn es wird nicht funktionieren, wenn wir so vorgehen: Wir machen einen Zehnpunkteplan und haken dann ab. Wir machen erst den Breitbandausbau, und dann reden wir über Flugtaxis, über künstliche Intelligenz, über Algorithmen. – So wird es nichts mit der Digitalisierung. Das muss alles parallel laufen und kann nicht der Reihe nach abgearbeitet werden. ({3}) Das zeigt ein großes Dilemma, das wir in der Digitalisierung haben. Für mich ist das größte Dilemma, dass es, egal wovon man spricht, immer Entweder-oder und nie Sowohl-als-auch heißt. Wenn man beispielsweise über Programmieren in der Grundschule spricht, sagt jeder sofort: Ja, aber das geht nicht, weil die Kinder lesen, schreiben und rechnen lernen müssen. – ({4}) Natürlich müssen Kinder lesen, schreiben und rechnen lernen; aber das heißt doch nicht, dass sie nicht auch programmieren können müssen. ({5}) Wenn Kinder programmieren, dann kommt sofort irgendjemand Besorgtes, einer der berühmten Bedenkenträger, die der Grund sind, warum wir diese Debatte überhaupt führen, und sagt: Kinder müssen auch auf Bäume klettern dürfen. – Ja, selbstverständlich müssen Kinder auf Bäume klettern dürfen! Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch gleichzeitig eine App benutzen dürfen, die ihnen erklärt, auf welchen Baum sie gerade geklettert sind. Das hätten ihnen ihre Eltern vielleicht nicht erklären können. ({6}) Für mich ist auch wichtig, dass Kinder die Technik beherrschen und nicht von der Technik beherrscht werden. ({7}) Was ich damit sagen will: Wir leben in einem Entweder-oder-Land und nicht in einem Sowohl-als-auch-Land. Das zu ändern, ist einer meiner Ansätze, den ich ganz wichtig finde. Wenn wir über telemedizinische Beratung sprechen, wenn wir über digitale Krankenakten sprechen, über die Digitalisierung des Impfpasses, dann kommt irgendjemand wieder ums Eck und sagt: Ich möchte meinen Arzt aber noch persönlich sehen. – Ja, das darf er auch. Natürlich darf er seinen Arzt noch persönlich sehen. Das hat doch nichts damit zu tun, dass es nicht auch eine Digitalisierung im Gesundheitswesen geben darf. ({8}) Also hier auch wieder: Entweder-oder statt Sowohl-als-auch. Wenn wir beim Entweder-oder bleiben, dann versündigen wir uns an unseren Kindern, die nämlich ganz selbstverständlich in diese digitale Welt hineinwachsen und die nicht in erster Linie negative Begleiterscheinungen sehen, sondern echte Chancen für unser Land. Diese Chancen sind wichtig. Das heißt natürlich nicht – auch hier wieder kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch –, dass Risiken ausgeblendet werden. Was ist das Wichtigste in der Welt? Was ist die wichtigste Währung? Das sind nicht die Bitcoins, das sind nicht die Einnahmen aus der Bannerwerbung, sondern das ist Vertrauen. Das sollten und müssen auch dringend – das wurde heute mehrfach angesprochen – gewisse soziale Netzwerke erkennen, die gerade dabei sind, ihren Ruf gänzlich zu verspielen. Was können wir als Staat tun? Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, zum Beispiel durch die Digitalisierung unserer Verwaltung, und zwar auf allen Ebenen. Auch hier möchte ich mit allen reden, die mir erklären, wie das geht, aber nicht mit denjenigen, die mit mir darüber diskutieren wollen, ob es überhaupt geht. Diese Ob-Diskussion an dieser Stelle kann ich nicht mehr hören. ({9}) Es geht nicht um „Wollen wir das?“ oder „Wollen wir das nicht?“ Denjenigen, die sagen: „Das Internet und die Digitalisierung gehen schon wieder weg“, sage ich: Nein, das tut es nicht. – Wenn man weiß, dass das so ist – das ist wieder überspitzt gesagt; da kann es wieder einen Shitstorm geben –, dann muss man froh sein, in dieser Zeit leben zu dürfen. Kann es uns nicht alle stolz machen, dass wir mitentscheiden und mitgestalten dürfen? Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen, um unser Land zukunftsfest zu machen, und zwar auf allen Ebenen. ({10}) Wir wollen mit unserer Politik im Bereich der Digitalisierung den Menschen das Leben erleichtern. Wir müssen beispielsweise das Once-Only-Prinzip einführen, das dafür sorgt, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Daten nur noch ein einziges Mal angeben müssen. Wir brauchen das Bürgerkonto – die Bundeskanzlerin hat es dankenswerterweise auch angesprochen –, wo jederzeit überprüft werden kann, wann, wo und wozu die Daten genutzt werden. Wir wollen echte Datensouveränität für unsere Bürgerinnen und Bürger. Natürlich müssen wir als Bundesregierung auch Antworten finden auf den Umgang mit komplexen Themen wie Algorithmen, künstliche Intelligenz und Blockchain, aber nicht nur in technischer Hinsicht, sondern – das ist mir besonders wichtig – auch in ethischer, in gesellschaftlicher und in wirtschaftlicher Hinsicht. ({11}) Das heißt, wir alle haben die Pflicht, die Chancen der Digitalisierung für unser Land zu nutzen und den Herausforderungen zu begegnen, und zwar ohne Wenn und Aber und vor allem auch ohne Zeitverlust. Wenn wir also in der Digitalisierung erfolgreich sein wollen, brauchen wir den Mut, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen, und wir dürfen selbstverständlich keine digitale Spaltung in unserem Land und unserer Gesellschaft zulassen. Mit „digitaler Spaltung“ meine ich gar nicht Stadt gegen Land oder Ältere gegen Jüngere. Bei digitaler Spaltung geht es besonders um diejenigen auf der einen Seite, die von der Digitalisierung profitieren, weil sie es können und es begriffen haben, und diejenigen auf der anderen Seite, die bislang noch nicht die Chance erhalten haben, davon zu profitieren. Nie war das Stichwort „lebenslanges Lernen“ so wichtig wie heute; denn es ist nirgendwo festgeschrieben, dass die erfolgreiche, wohlhabende Industrienation von heute auch eine erfolgreiche Digitalnation von morgen sein wird. Wir sind – das habe ich schon einmal gesagt und viel Kritik geerntet; aber ich sage es trotzdem noch einmal – leider an manchen Stellen zu satt, weil wir nicht die Notwendigkeit erkennen, uns jetzt anzustrengen, da es uns vermeintlich gut geht. Und wer glaubt, dass es uns in fünf oder in zehn Jahren genauso gut geht, der hat an der Stelle jetzt schon alles verschlafen. ({12}) Für unsere deutsche Wirtschaft entscheidet sich nämlich jetzt und in den nächsten Jahren, ob wir in den kommenden Jahrzehnten überhaupt noch mitspielen dürfen. Das gilt für den Mittelstand genauso wie für die Großindustrie. Deswegen braucht es eine Gesamtanstrengung. Jetzt wird viel über das Instrument gesprochen, das im Kanzleramt eingerichtet worden ist. Selbstverständlich macht eine Staatsministerin für Digitalisierung noch keinen Digitalstaat; das hat niemand behauptet, und das wird auch niemand behaupten. Es braucht dafür alle. Deshalb bitte ich darum, zusammenzuarbeiten, damit die Republik nicht von geschäftemachenden Angstmachern wie Spitzer und Konsorten gerockt wird. Mein Dank gilt den Digitalpolitikern in allen Fraktionen, die in den letzten Jahren durchgehalten haben, auch in Zeiten, in denen hier noch Kolleginnen und Kollegen der Meinung waren, Netzpolitik gäbe es gar nicht. Vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie sich in Ihren Fraktionen gegen Widerstände durchgesetzt haben zu einer Zeit, als das Thema noch als anrüchig und unsolide galt. Wir brauchen nicht – jetzt bin ich wieder beim Thema – ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Wir brauchen nicht nur eine Person, nicht nur eine Fraktion oder einen Ausschuss. Jeder Ausschuss muss ein Digitalausschuss sein; jedes Ministerium muss ein Digitalministerium sein. Wir brauchen 14 Digitalministerien. Alle müssen das als ihre größte Aufgabe ansehen. Wir benötigen den Dialog mit der Wirtschaft, mit der Wissenschaft, mit den Gewerkschaften und mit der Gesellschaft. Deshalb möchte ich am Schluss sagen – die Kanzlerin ist zwar nicht da, aber ich weiß, dass sie nichts dagegen hat, wenn ich das sage –, dass die Tür des Kanzleramts weit offensteht, ({13}) und zwar für all jene mit Ideen, Innovationen und Freude am Wandel. Ich glaube, dass wir alle gemeinsam unser Land zum Besseren verändern können. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Uwe Kamann hat das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Kamann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004772, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Digitalisierung ist in den Medien und in Ihren Willensbekundungen leider deutlich präsenter als in Form digitaler Anwendungen, die den Bürgern tatsächlichen Nutzen bringen. ({0}) Bisher haben Sie die Digitalisierung in der Gestaltung und Umsetzung sträflich verschlafen. Aber jetzt soll es richtig losgehen. Deutschland soll Leitmarkt für 5G werden: Glasfaser bis vor jeden Bauernhof und Gigabitnetze flächendeckend schon in sieben Jahren. Letzteres können Sie ja gut zusagen, liebe Koalition; denn 2025 sind Sie ja mit Sicherheit nicht mehr an der Regierung. ({1}) Doch auch für die übrigen Punkte gilt: Die Vorstellungen, mit denen Sie die Digitalisierung nun endlich auf den Weg bringen wollen, sind ein politisches Soufflé, genauso luftig von der Konsistenz her. Die Schwächen bei der Finanzierung haben wir mehrfach angesprochen. 10 bis 12 Milliarden Euro sind kaum mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die aktuelle infrastrukturelle Schwäche ist ja nur eines von vielen Problemen. Die Digitalisierung entwickelt sich weltweit in unglaublichem Tempo auch und gerade zum zentralen bildungspolitischen Thema und zu einer entscheidenden Frage über die künftige Rolle und Bedeutung der deutschen Volkswirtschaft. Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 stellt fest: Für die Einführung des Wahlfachs „Informatik und Programmieren“ in der Sekundarstufe I und II wären 4 000 zusätzliche Informatiklehrer notwendig. Für die Einführung eines Pflichtfaches Informatik von der Grundschule bis zur Sekundarstufe II nach britischem Modell wären es sogar 24 000. – Wenn Ihnen dieser Umbau nicht gelingt, ist selbst ihr E-Government infrage gestellt, das Sie bereits vollmundig versprechen. Wie wollen Sie diese Missstände abstellen, Frau Bär? Wie wollen Sie Breitbandausbau und Education Technology in die Schulen bringen, in die es hineinregnet, in denen Toiletten defekt sind und der Putz von den Wänden fällt, ({2}) wie ihr langjähriger Kollege Wolfgang Bosbach gestern in der „Bild“-Zeitung festgestellt hat. Recht hat Herr Bosbach! Der erfahrene Herr Bosbach scheint Sie, Frau Bär, als Staatsministerin auch nicht so ernst zu nehmen, wenn er über die nötige Schulausstattung wie folgt spottet – ich zitiere –: Und wenn dieses Werk geschafft ist, brauchen wir auch noch etwas zusätzlichen Parkraum. Für die Flugtaxis, mit denen unsere Kinder demnächst zu den tipptopp renovierten Lehranstalten gebracht werden, damit sie beim Fach Digitalkunde nicht zu spät kommen. Immerhin war Ihre Bemerkung über Flugtaxen, Frau Bär, Trending Topic bei Twitter. ({3}) Jetzt sind wir alle gespannt, wie eine Frau, die nur Politik gelernt hat, die Digitalisierung dieses Landes zum Fliegen bringen will. ({4}) Wesentlich, Frau Bär, wird sein, wie Sie das Wesen der Digitalisierung begreifen, ob Sie in der Lage sein werden, Prioritäten zu erkennen und sie durchzusetzen, und ob es Ihnen gelingt, die Komplexität zu durchdringen und die richtigen Schritte zu gehen. Wir haben da, mit Verlaub, unsere größten Bedenken. ({5}) Ohne das von uns geforderte Digitalministerium, ohne Apparat im Rücken und ohne echtes Empowerment bleiben Sie, wie das „Handelsblatt“ richtigerweise ausführte, eine politische Luftnummer. Recht herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Jens Zimmermann. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zu Beginn feststellen – das kann ich aus den Koalitionsverhandlungen bestätigen –: Mit Frau Staatsministerin Bär zusammenzuarbeiten, ist auf jeden Fall zielführender und erfreulicher als mit Ihnen, Herr Kollege. Da kommt man am Ende auch zum Ziel. ({0}) Der entscheidende Punkt ist: Uns allen ist klar, dass Deutschland in Europa auf den Gebieten an die Spitze kommen muss, wo wir es im Bereich der Digitalisierung noch nicht sind, dass wir an einigen Stellen aufholen müssen. Eines kann man definitiv feststellen: Noch nie war ein Koalitionsvertrag so digital wie dieser. ({1}) Die Digitalisierung betrifft viele Politikfelder. Natürlich gehört dazu auch die Infrastruktur. Wir brauchen eine Infrastruktur, die schnell ist, die flächendeckend ist, die sicher und vertrauenswürdig ist. Deswegen werden wir den Ausbau schneller Netze sowohl in den Städten als auch auf dem Land vorantreiben. 10 bis 12 Milliarden Euro stellen wir dafür alleine in dieser Legislaturperiode zur Verfügung. Das ist eine Verdreifachung der Mittel im Vergleich zur letzten Legislaturperiode. ({2}) Jetzt gilt es, dieses Geld auch wirklich unter die Erde zu bringen; denn daran ist es in der Vergangenheit immer wieder gescheitert. ({3}) Es geht an dieser Stelle nicht nur um die staatliche Beteiligung. In den Koalitionsverhandlungen haben wir auch einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet vereinbart. Das ist ein ganz wichtiges Ziel, das wir bis 2025 erreichen wollen. Hierfür wird Deutschland – da gibt es nichts zu beschönigen, aber auch nichts schlechter zu machen, als es ist – das Tempo in diesem Bereich erhöhen müssen. Das wird mit dieser Koalition auch geschehen, meine Damen und Herren. ({4}) Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten betrifft die Digitalisierung aber nicht nur die Wirtschaftspolitik, nicht nur die Infrastrukturpolitik, sondern auch die Gesellschaftspolitik. Deswegen wollen wir etwas für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Gründerinnen und Gründer und natürlich auch für die Familien tun, die dieses Thema umtreibt. Digitale Bildung ist hier der Schlüssel. Wir haben den DigitalPakt mit 5 Milliarden Euro unterlegt; dabei geht es darum, die Digitalisierung von der Kita über das Studium bis zur Berufsausbildung und zum Meisterabschluss zu unterstützen. Wir haben uns auch darauf geeinigt, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern an dieser Stelle zu verbessern. Wir gehen jetzt das Kooperationsverbot an. Auch das ist eine gute Vereinbarung, die wir hier getroffen haben. ({5}) Wir müssen aber auch betrachten – das ist mir besonders wichtig –, welche Veränderungen in der Arbeitswelt anstehen. Viele draußen fragen sich: Was wird die Digitalisierung mit meinem Arbeitsplatz machen? – Unser Ziel ist, dass möglichst alle Menschen optimistisch auf die Chancen der Digitalisierung schauen. Dazu müssen wir die Digitalisierung entsprechend gestalten. Wir müssen dafür sorgen, dass es einen ordentlichen Beschäftigtendatenschutz gibt. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Möglichkeiten des mobilen Arbeitens umgesetzt werden. Sonst heißt es immer, die Politik hindere die Unternehmen am flexibleren Arbeiten. Ich muss schon sagen: Mich hat gewundert, dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen nicht auf einen verbindlichen Anspruch auf mobiles Arbeiten einigen konnten. Am Ende hieß es: Oje! Dann will die Verkäuferin, dann will der Verkäufer das mobile Arbeiten nutzen. Das geht doch gar nicht. – Da müssen wir ran, damit die Bürgerinnen und Bürger die Chancen und den positiven Nutzen der Digitalisierung wirklich spüren. ({6}) Lassen Sie mich zum Abschluss eines ganz klar sagen: Wir haben mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem europäischen und dem internationalen Ausland gesprochen. Die Botschaft kann nur lauten: Wir brauchen nicht ein Digitalministerium, wir brauchen 14 Digitalministerien. Wir brauchen ein digitales Finanzministerium, wir brauchen ein digitales Arbeitsministerium, und wir brauchen auch ein digitales Justizministerium; denn überall dort wird die Digitalisierung dieser Gesellschaft gestaltet. Ich freue mich auf diese Gestaltung, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Nicola Beer das Wort. ({0})

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Digitalisierung und Kultur sind zwei Seiten derselben Medaille und der Schlüssel zu unserer Zukunft: Kultur als Identitätsstifter und als Kompass in Zeiten der rasanten Veränderung; Digitalisierung als Grundlage für unseren zukünftigen Wohlstand und gleichzeitig für mehr Selbstbestimmung, etwa als Arbeitnehmer, als Unternehmer, als Patient oder auch als Verbraucher. Die Digitalisierung bietet so vielfältige Chancen. Trotzdem sind sehr viele Menschen in unserem Land besorgt. Dem beugen Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, nicht vor. Auch ich bin für eine Chancengesellschaft, Frau Staatsministerin Bär. Sie aber füllen 13 Seiten im Koalitionsvertrag mit Digitalisierung und haben keine umfassende Strategie, wie das umzusetzen ist. ({0}) Die heutigen Reden, die der Bundeskanzlerin genauso wie die von Frau Staatsministerin Bär, waren eine gute Situationsanalyse, boten aber keine Lösungsansätze. Der Koalitionsvertrag ist eine Art Reparaturbericht dessen, was man in den letzten vier Jahren versäumt hat, allerdings ohne eine ausreichend gesicherte Finanzierung. So kommen wir nicht voran. ({1}) Wo, bitte schön, sind Ihre digitalen Zukunftsvisionen von Deutschland in 15 oder 20 Jahren? Wie sollen ein wirklich digital modernisiertes Bildungssystem für alle bis ins hohe Alter, ein neues Datenrecht, unsere neue Arbeitswelt, E-Government, E-Health oder auch die neuen Einsatzmöglichkeiten für künstliche Intelligenz jenseits eines Sowohl-als-auch aussehen, Frau Bär? Welche konkreten Ansätze verfolgen Sie? Ich gehe gerne gemeinsam mit Ihnen auf Überzeugungstour, zum Beispiel um Datensicherheit made in Germany zum Exportschlager zu machen. ({2}) Aber, sehr geehrte Frau Bär, dann müssen aus Visionen eben auch Realitäten werden. Dafür muss meines Erachtens erst einmal die digitale Transformation der Politik, des politischen Denkens in diesem Haus und in den 14 Ministerien gelingen. ({3}) Und da kann die Lösung nur lauten: eine zentrale Steuerung in einem Digitalministerium, ({4}) als Thinktank, als Accelerator, als eine zentrale Stelle, die die Durchsetzung einer Gesamtstrategie voranbringt und wo eben nicht über 14 Häuser quergeschossen wird. Doch was bekommen wir an diesem Punkt, wo wir angesichts dieser großen Umwälzung eine zentrale Stelle bräuchten? Wir bekommen eine Staatsministerin zusätzlich und noch mehr Staatssekretäre in den Fachministerien. Das ist keine schlagkräftige Truppe. Das reicht nicht für die Aufholjagd vom unteren Mittelfeld an die Welt­spitze der Digitalisierung. ({5}) Dabei hätten wir aufgrund unserer industriellen Stärke die Chance, in der Champions League der Digitalisierung mitzuspielen. ({6}) Aber wir dürfen, Herr Kauder, keine Zeit mehr verlieren. Ich gehe gerne mit Ihnen auf die Reise. ({7}) Sie wollen Taxen fliegen lassen. Das Problem ist aber, dass Ihre Ambitionen am Boden bleiben. Wenn in diesem Boden wenigstens Glasfaser liegen würde! ({8}) Schön, Sie haben erkannt, dass Internet zur Daseinsvorsorge gehört wie Strom und Wasser. Aber verglichen mit Ihrem Versprechen, dass noch in diesem Jahr flächendeckend 50 MBit verfügbar sind, sitzen zwei Drittel der Bevölkerung im ländlichen Raum im digitalen Dunkel. ({9}) Ein flächendeckender Ausbau, ein Rechtsanspruch bis 2025 ist nichts als eine vorbeugende Zielmarke der Gigabitgesellschaft. Wunderbar, Sie haben erkannt, dass Sie am Ende dieser Legislaturperiode besser nicht wieder ein uneingelöstes Versprechen haben wollen. Das ist ja auch klar; denn die vage Aussicht auf Versteigerungserlöse ist noch keine abgesicherte Finanzierung. ({10}) Sehr geehrte Kollegin Bär, ich gehe gerne mit Ihnen im Flugtaxi in die Höhe, gerade auch weil wir die Kulturpolitik auf eine ambitionierte Höhe bringen müssen. In Ihrem Koalitionsvertrag sind dazu leider keine Zukunftsvorstellungen vorhanden. Gerade in Zeiten großer Umbrüche brauchen wir Kultur, Kultur für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, aber bitte nicht Leitkultur, sondern Kultur. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin Beer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. – Aber auch hier sind keine Visionen vorhanden – Gespräche, Berichte, Orientierungsdebatten, runde Tische –, nichts, was konkretisiert ist in einer Zeit, in der wir die Kultur als Wurzel der Gesellschaft brauchen, damit wir mit den Flügeln der Digitalisierung aufbrechen können. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss zugeben, dass ich schon ein Stück weit stolz bin, dass wir hier in der Generalaussprache über Digitalisierung reden. Wie oft wir Digitalisierung in diesem Koalitionsvertrag verankern konnten, ist Ergebnis der Arbeit, die wir als Digitalpolitiker in den letzten vier Jahren gemeinsam erbracht haben. Mein Lob geht nicht nur an die neue Staatsministerin Dorothee Bär, die gleichzeitig auch die Erfüllung eines ersten Wahlversprechens ist, sondern auch an meine Kollegin Nadine Schön und viele andere aus dem Ausschuss Digitale Agenda. Wir können sagen: Digitalisierung ist in dieser Legislaturperiode Chefsache geworden. Dass der Chef BK selbst derjenige ist, der sich zu den Themen äußert und diese mit dem Gewicht seines Amtes vorantreibt, ist gut; denn Digitalisierung wird oft auf der Metaebene besprochen. Aber wir müssen natürlich auch zu konkretem Handeln kommen und dürfen nicht Diskussionen führen, wie sie hier schon eröffnet wurden, ob wir uns zuerst allen Schultoiletten widmen müssen, bevor wir anfangen, Digitalisierung in die Schulen zu tragen. ({0}) Da hat Dorothee Bär absolut recht. Es geht um das Sowohl-als-auch. Man darf nicht immer einen Grund finden, irgendetwas nicht zu tun. Wir haben in den letzten vier Jahren eine Menge gemacht, von dem vieles in dieser Legislaturperiode sichtbar werden wird. Ich fange einmal mit dem Breitbandausbau an. 4,4 Milliarden Euro hat die Regierung dafür zur Verfügung gestellt. Eine Menge ist zugesagt worden, eine Menge befindet sich gerade im Entstehen. Das neue Ziel mit 1 000 MBit, Frau Kollegin Beer, ist sehr realistisch, weil wir dafür in diesem Koalitionsvertrag weitere 10 Milliarden Euro vereinbart haben. ({1}) – Wir wollen einmal sehen, ob man die 10 Milliarden Euro überhaupt verbauen kann. Im Übrigen ist es Aufgabe nicht nur des Staates, sondern auch von privaten Unternehmen; denn seit 1996 ist die Telekommunikation keine Staatsaufgabe mehr. Wir haben auch das Thema E-Government in der letzten Legislaturperiode sehr weit vorangetrieben. So haben wir das Grundgesetz für einen Portalverbund von Bund, Ländern und Gemeinden geändert. Außerdem haben wir das Onlinezugangsgesetz eingeführt. Wir haben festgeschrieben, dass bis zum Jahr 2022 alle Leistungen des Staates auch online zur Verfügung stehen müssen. Wir müssen das jetzt umsetzen. Ich glaube, dabei ist ein Punkt ganz wichtig, und zwar die, wie es neudeutsch heißt, Usability. Wir haben bereits in der Vergangenheit gute Lösungen für elektronische Dienstleistungen gefunden; aber die waren unendlich kompliziert. Wenn für E-Government vollqualifizierte elektronische Signaturen mit komplexen Passwörtern installiert werden müssen, dann wird das die Menschen nicht begeistern. Deshalb ist es unsere Aufgabe, das Ganze ein bisschen sexy und gut nutzbar zu machen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode sehr viel in das Start-up-Ökosystem in Deutschland investiert: EXIST, der dritte High-Tech Gründerfonds, „INVEST – Zuschuss für Wagniskapital“. Die KfW investiert wieder. Mit Coparion haben wir einen staatlichen Venture-Capitalist. Der Europäische Investitionsfonds hat eine Wachstumsfazilität mit einem Volumen von 500 Millionen Euro aufgelegt. Es gibt neue Regelungen zu Verlustvorträgen bei Start-ups und viele andere Dinge. In dieser Legislaturperiode müssen wir schauen, dass auch private Mittel für Internet-Start-ups zur Verfügung gestellt werden. Wir haben gerade heute die Nachricht bekommen, dass unter anderem die Allianz, aber auch eine Reihe anderer Unternehmen 160 Millionen in eine neue Bank, in N26, investieren. Das ist das richtige Zeichen. Es gibt viel privates Kapital, das die Unternehmen, die jetzt im Silicon Valley existieren, überhaupt erst zu dem gemacht haben, was sie heute sind. Wir müssen mit einem Dachfonds unter der Führung des Bundeswirtschaftsministers dafür sorgen, dass das private Kapital viel stärker als bisher den Unternehmensgründern in Deutschland zur Verfügung steht. Beim DigitalPakt Schule und beim DigitalPakt#D geht es nicht nur um 5 Milliarden Euro; da geht es um die Schul-Cloud und um Inhalte. Wir haben hier im Übrigen die sehr konkrete Zusage, alle Schulen bis 2021 mit Glasfaser anzubinden. Was die großen Unternehmen aus den USA angeht, haben wir gerade gehört, was offensichtlich bei Facebook mit Daten passiert. Wir werden Facebook am Freitagmorgen in den Ausschuss für Digitale Agenda einladen, weil wir wissen wollen: Wie kann es eigentlich sein, dass aus 270 000 Zustimmungen 50 Millionen Datensätze werden, und welche deutschen Nutzerkonten sind da eigentlich betroffen? – Wenn Facebook dann nur sagt, das betreffende Unternehmen habe doch erklärt, dass es die Daten löscht, aber dies nicht kontrolliert hat, dann ist das nach meinem Verständnis nicht mehr compliant mit unseren Gesetzen. Gerade wenn ich mir angucke, mit welchen Strafen deutsche Unternehmen in den USA überzogen werden, finde ich: Wir müssen das, was in unseren Gesetzen steht, jetzt auch vollstrecken. ({2}) Die Datenschutz-Grundverordnung ist ein Gesetzeswerk, das dieser Tage viele Vereine und auch kleine Unternehmen in Aufruhr versetzt, weil sie sich fragen: Welche Bedingungen müssen wir erfüllen? – Wir müssen jetzt, verdammt noch mal, gucken, dass auch die großen Unternehmen wie Facebook diese Bedingungen erfüllen und lernen, dass es kein Spaß ist, wenn man mit den Daten der Nutzer so umgeht, wie sie es tun. Wir haben die E-Privacy-Verordnung, die jetzt gerade aus Brüssel kommt. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir mit der E-Privacy-Verordnung nicht ein Werk schaffen, das den großen amerikanischen Unternehmen eine unglaubliche Stärkung ihrer Machtposition bringt und unseren eigenen Mittelständlern den Boden unter den Füßen wegzieht. Deshalb haben wir in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass digitale Geschäftsmodelle erhalten bleiben müssen. Das gilt gerade auch für die Angebote der Verleger. Insofern empfehle ich dem einen oder anderen, vielleicht weniger auf ein europäisches Leistungsschutzrecht zu schauen, sondern mehr das Thema E-Privacy zu beobachten, ({3}) im Hinblick auf die Frage, ob die entsprechende Verordnung jedem Verleger in diesem Lande anschließend noch seine Geschäftsmodelle ermöglicht. ({4}) Daten sind nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Innovationsquelle. Insofern haben wir verabredet, eine Daten-Ethikkommission ins Leben zu rufen, die einerseits prüfen soll, wie wir unseren Datenschutz realistisch gestalten und die Bürger schützen können, aber andererseits schauen soll, wie wir eigentlich mit Daten tatsächlich Innovationen vorantreiben können. Da haben wir viel zu tun. Es gibt eine Reihe weiterer Themen: das deutsch-französische Zentrum für Künstliche Intelligenz, die Blockchain, die uns vor viele regulatorische Herausforderungen stellt. Ich glaube, wir sind da gut aufgestellt. Wir haben eine gute Struktur. Ich freue mich über die Unterstützung aus dem Kanzleramt – das gab es in der Form noch nie – und auf die gemeinsame Arbeit in den nächsten dreieinhalb Jahren. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke. ({0}) Ich bitte Sie, auch dieser Rednerin noch zuzuhören. ({1})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst Dorothee Bär zu ihrem neuen Amt beglückwünschen und hoffe, dass sie ihr Ziel, Deutschland bei der Digitalisierung von den letzten Rängen auf vordere zu bringen, auch erreicht. Sie wird es dabei allerdings aus zwei Gründen nicht leicht haben. Erstens zeigt sich immer noch ein gewisses Kompetenzwirrwar; denn kaum war sie als Staatsministerin für Digitalisierung ernannt, hieß es schon, dass sie dem Chef des Kanzleramtes nur zuarbeiten soll. Ihre Richtlinienkompetenz wurde damit schon zum Start mit einem Fragezeichen versehen, und das ist nicht nur für sie ein Problem. ({0}) Am deutlichsten erkennt man die Erreichbarkeit der Digitalisierungsziele im Koalitionsvertrag allerdings am Geld. Zum wiederholten Mal hat eine GroKo beschlossen, dass die öffentliche Verwaltung elektronisch werden soll. Vor meinem inneren Auge fährt der Bürgerbus an einem Markttag in einer kleinen brandenburgischen Stadt vor, in dem eine Beamtin alle Dienstleistungen vor Ort anbietet, bequem erreichbar und schön barrierefrei auch für den Opa, der mit Computern nichts am Hut hat. Das geht aber nur, wenn der Bürgerbus Internet hat und wenn es alle Verwaltungsdienstleistungen online gibt. 5 700 solcher Dienstleistungen gibt es. Laut Normenkontrollrat kostet es 1,7 Milliarden Euro, die häufigsten 60 dieser Dienstleistungen elektronisch bereitzustellen – 1,7 Milliarden Euro für 1 Prozent der Verwaltungsdienstleistungen! Laut Koalitionsvertrag soll eine halbe Milliarde Euro für 100 Prozent der Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden. Das sind 6 Euro pro Bürger bzw. Bürgerin, verteilt auf fünf Jahre, ein Vierhundertstel dessen, was pro Kopf für Militär ausgegeben wird. Damit ist die elektronische Verwaltung so wahrscheinlich wie die morgige Eröffnung des Flughafens BER. ({1}) Weder der DigitalPakt in der Bildung noch der Glasfaserausbau sind so finanziert, dass Ihre Ziele wirklich erreichbar sind. So wird es auch 2025 keinen Rechtsanspruch auf eine Gigabitleitung geben. Aber das kann dieser Regierung ja schnurz sein; denn 2025 ist sie schon ein paar Jahre nicht mehr im Amt. Ganz schön clever, sich Ziele zu setzen, für die man keine Rechenschaft ablegen muss! ({2}) Nein, das Digitalisierungsprogramm ist kein großer Wurf. Es fehlt am erkennbaren Umsetzungswillen, aber auch an einer übergreifenden Strategie, die die schlichte Frage beantwortet: In welcher Art digitaler Gesellschaft wollen wir eigentlich leben? Eine Regierung, der dafür die Vision fehlt, kann nur Stückwerk liefern, und genau das hat sie auch getan. So können digitale Monopole ungestört weiter unsere Demokratie gefährden, weil auch hier der Mut fehlt, das Gemeinwohl stärker zu vertreten und Technologie primär in den Dienst der Menschen und nicht der Wirtschaft zu stellen. An keiner Stelle wird die digitale Revolution mit einer sozialen verknüpft. Die langfristigen sozialen Folgen der Digitalisierung sind der Elefant im Raum, über den die GroKo nicht einmal spricht, und das weitere vier Jahre lang. ({3}) Im Übrigen gehören Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht ins Strafgesetzbuch. § 219a gehört abgeschafft. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatsministerin für Digitales, erst einmal herzlichen Glückwunsch! Schön, dass es Sie gibt, zumindest das Amt. ({0}) – Das war nett gemeint. – Ich bin gespannt, was Sie daraus machen. Aus Ihrer Rede bin ich nicht ganz schlau geworden. In der Start-up-Welt würde man sagen: Sie erhalten eine zweite Chance. Sie sind ja sozusagen eine Neugründung. ({1}) Das erste Unternehmen hieß – der Kollege sitzt hier vorne – „Glasfaserausbau versenken mit Alexander Dobrindt“ – hier waren Sie sehr erfolgreich –, und jetzt bekommen Sie eine zweite Chance. ({2}) Schauen wir nach München. Sie reden oft von der Champions League, Herr Dobrindt. Wir als Münchner kennen den FC Bayern. Er ist sehr erfolgreich. Auch Doro Bär ist Fan des FC Bayern. Wenn man sich aber die Kennzahlen bezüglich 5G, digitaler Verwaltung, Glasfaserausbau und IT-Sicherheit anschaut, stellt man fest: Wir sind nicht der FC Bayern. Wir sind maximal der HSV, und der kämpft gerade gegen den Abstieg. ({3}) Das hat nicht nur mit dem Klein-Klein der Digitalen Agenda zu tun. Das hat auch ganz viel damit zu tun, dass Sie Hausaufgabenhefte statt Visionen haben und kein ganzheitliches Konzept. Ich kann nicht sehen, wie sich das ändern sollte. Im Jahr 2018 gibt es wieder vollmundige Versprechen im Koalitionsvertrag: Recht auf schnelles Internet und – ich zitiere – „flächendeckende digitale Infrastruktur von Weltklasse“ mit Gigabitnetzen. Das klingt erst einmal gut; aber wir erreichen heute nicht einmal 50 MBit in der Fläche, Herr Dobrindt. Nichts ist daraus geworden. ({4}) Das Urteil des Bundesrechnungshofs ist – gerade, was Sie angeht – wirklich verheerend und vernichtend. Das ist Ihre Bilanz. ({5}) Zweiter Themenblock: Daten und Sicherheit. Am Freitag haben wir Vertreter von Facebook zur Sondersitzung geladen. Wir laden sie, Thomas Jarzombek, in den Digitalausschuss und auch in den Innenausschuss ein. Ich frage auch Sie, Frau Bär, angesichts Ihres Zitats, dass der Datenschutz so 18. Jahrhundert sei, ob Sie das wirklich ernst meinen angesichts der Tatsache, dass eine Firma namens Cambridge Analytica über 50 Millionen Facebookprofile benutzt hat, um damit schmutzige Geschäfte zu machen, und vielleicht sogar einen Präsidenten in den USA an die Macht gebracht haben, den wir nicht unbedingt prickelnd finden. Ist das Ihr Verständnis von Datenschutz? Wollen Sie das? ({6}) Oder würden Sie uns vielleicht Recht geben, die wir – Konstantin von Notz und viele andere – seit vielen Jahren darauf hingewiesen haben, dass eine starke Datensicherheit auch wichtig für unsere wirtschaftliche Stärke ist? Wir können Themen wie künstliche Intelligenz nicht entwickeln, wenn wir nicht gleichzeitig ein hohes Sicherheitsniveau in Deutschland haben. Wir können auch die Bundesregierung und uns anscheinend nicht schützen, wenn wir das nicht haben. Beides zusammen funktioniert also nicht. Wir brauchen hier ein klares Bekenntnis zum Datenschutz. Das ist kein Hemmnis, sondern ein Schritt nach vorn. Das müssen wir gemeinsam wollen. ({7}) Der letzte Punkt – darauf muss ich schon zu sprechen kommen –: Ich finde es gut, wenn in Deutschland und anderswo Flugtaxis gebaut werden; das ist schön. Aber die Vision ist nicht das Flugtaxi für alle, sondern ist zum Beispiel die digitale Stadt Darmstadt – von einem grünen Oberbürgermeister geführt. ({8}) Dort passiert Folgendes: dass man nämlich den Verkehrssektor, die Energieversorger, die Schulen und das Gesundheitswesen mit den neusten digitalen Technologien für die Bürger ausrüstet, damit die Bürger etwas davon haben. Die Technologien sind für die Menschen da, und nicht umgekehrt. ({9}) Darum geht es in der Digitalisierung. Wir müssen sie politisieren, wir müssen die Chancen nutzen. ({10}) Aber es geht nicht darum, irgendwelche Technik zu befördern, Herr Dobrindt, sondern solche, von der die Menschen etwas haben. Es geht nicht darum, dass Sie irgendetwas durchsetzen, das am Ende gar nicht hilft. Ich danke Ihnen und freue mich auf spannende digitalpolitische Debatten mit Ihnen in den nächsten Jahren und jetzt auf eine schöne Abstimmung. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dieter Janecek. – Schönen Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Weitere Debattenbeiträge liegen dazu nicht vor. Ich schließe die Debatte.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke, dass Sie sitzen geblieben sind; denn ich finde, wir reden jetzt über ein außerordentlich interessantes Politikfeld. Deutsche Außenpolitik ist dem Frieden verpflichtet … Mit diesen Worten beginnt das außenpolitische Kapitel des Koalitionsvertrages. Ganz bewusst haben wir diese Maxime an den Anfang gestellt; denn dies ist der Leitsatz unseres gesamten außen- und sicherheitspolitischen Handelns für diese Legislaturperiode. Er sollte es eigentlich auch darüber hinaus sein. ({0}) Die Debatte ist deshalb so wichtig, weil Frieden und Sicherheit so bedroht wie schon lange nicht mehr sind – in Europa genauso wie in unserer weiteren Nachbarschaft –, das zeigen die Konflikte etwa in Syrien, in Libyen oder im Jemen mit ihren schrecklichen humanitären Folgen. Die Beziehungen zu Russland, Europas größtem Nachbarn im Osten, sind mehr als angespannt. Der Gift­anschlag in Salisbury hat das Potenzial, uns weiter in diese Richtung zu entfremden und eine gefährliche Negativspirale auszulösen, aus der wir immer schwerer herauszukommen scheinen. Weltweites Wettrüsten, autoritäre und nationalistische Tendenzen allerorten, die immer stärkere Abkehr von multilateraler Zusammenarbeit – all das stellt die deutsche und genauso die europäische Außenpolitik vor große Aufgaben. Globalisierung, Migration, Digitalisierung und Terrorismus lassen dabei die Grenzen zwischen innen und außen immer weiter verschwinden. Die Wahrnehmung unserer Interessen beginnt längst zu Hause, und sie geht uns alle an. Außenpolitik dient dem Schutz von Frieden und Freiheit, dem Wohle Europas sowie einer freiheitlichen Gesellschaft. Lassen Sie mich hier noch einmal – weil das heute bei der Regierungsbefragung schon ein Punkt gewesen ist – mit Blick auf die Ereignisse in Afrin sagen: Oberste Priorität hat für uns – das wird so bleiben – die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Schutz von Leib und Leben der Zivilbevölkerung in Afrin. ({1}) Hierfür ist die Türkei in der Pflicht. Was immer die Türkei unternimmt, muss sich völkerrechtlich im Rahmen des Erforderlichen und des Verhältnismäßigen bewegen. Gerade in Anbetracht der jüngsten Entwicklung haben wir hier erhebliche Zweifel. Die dauerhafte Besatzung würde darüber hinaus eine neue Realität schaffen, auch hinsichtlich der Frage, ob Völkerrecht gebrochen wird. Deshalb gehen wir davon aus, dass es dazu gar nicht kommen darf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in keinem Feld der Politik ist die Planung einer Legislaturperiode so schwierig wie in der Außenpolitik. Ein kurzer Blick zurück mag das ganz einfach illustrieren. Die letzte Bundesregierung wurde im Dezember 2013 vereidigt. Schon im März 2014 erfolgte die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland, im Juni 2016 stimmten die britischen Bürger für den Brexit – zwei unerwartete Groß­ereignisse, die Europa von heute auf morgen verändert haben. Was lehrt uns das für die Außenpolitik? Wie ich finde, vor allen Dingen drei Dinge: Erstens gilt es, trotz aller Unwägbarkeiten die erkennbaren Risiken realistisch in den Blick zu nehmen und ihnen vor allen Dingen frühzeitig entgegenzuwirken, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen ist. Die Erosion der internationalen und regionalen Ordnung sowie das Infragestellen multilateraler Zusammenarbeit sind dabei an allererster Stelle zu nennen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Maas, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Kathrin Vogler von der Linken?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Bitte.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bitte schön.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Maas, dass Sie meine Zwischenbemerkung zulassen. – Ich stelle mir schon die ganze Zeit die Frage, warum es der Bundesregierung, obwohl es zwischen den Fraktionen in diesem Haus überhaupt keinen Dissens gibt und wir auch im Auswärtigen Ausschuss sehr einmütig diese Debatte geführt haben, so unendlich schwerfällt, im Falle von Afrin das zu tun, was ihr im Falle der Krim sehr leichtgefallen ist, nämlich den Einmarsch der türkischen Truppen mit den verbündeten islamistischen Milizen in der nordsyrischen Provinz Afrin als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich völkerrechtswidrig. Warum fällt es dieser Bundesregierung so unendlich schwer, diese klare Aussage zu treffen, auf die draußen im Land viele Menschen warten? ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich bin nicht der Auffassung, dass der Bundesregierung irgendetwas schwerfällt. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung die Ereignisse in Afrin verurteilt. Das ist, wie ich finde, eine sehr deutliche Sprache. ({0}) Bezüglich der Frage der juristischen Einordnung, also was das Völkerrecht und vor allen Dingen das humanitäre Völkerrecht angeht, befinden wir uns mit unseren europäischen Partnern im Gespräch. ({1}) Es gibt keine andere Regierung, die sich bisher in dieser Frage abschließend geäußert hat. Vielmehr sind alle der Auffassung – ich spreche von den Regierungen –, dass die Lage weiter beobachtet wird und dass, wenn es tatsächlich zu einer dauerhaften Besatzung käme, diese sicherlich nicht mehr im Einklang mit dem Völkerrecht wäre. ({2}) In dieser Frage den Druck auf die türkischen Verantwortlichen aufrechtzuerhalten, halte ich aus Sicht der Regierung für den besseren Weg. ({3}) Das Ziel ist, dafür zu sorgen, dass nach diesen Ereignissen keine türkischen Kräfte dauerhaft in Afrin verbleiben, und dies auch bei der türkischen Regierung mit allem Nachdruck einzufordern. Das tun wir in aller Deutlichkeit. Deshalb, finde ich, haben wir da auch keinen großen Erklärungsbedarf. ({4}) – Jeder kann das so bewerten, wie er will. Wir tun es so. Ich finde nicht, dass das sprachlich in irgendeiner Weise zweideutig ist. ({5}) Meine Damen und Herren, der Vertrag über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen, der wesentliche Baustein zur Verhinderung atomarer Anarchie, büßt mit der nuklearen Bewaffnung Nordkoreas weiter an Autorität ein, und das Nuklearabkommen mit dem Iran steht wegen der Aussagen aus den USA momentan in Frage, auch wenn wir Europäer versuchen, es zu retten. Die Regeln der internationalen Handels- und Klimapolitik werden mittlerweile ebenfalls in Zweifel gezogen, ganz zu schweigen von den Auswüchsen des internationalen Terrorismus, der sich ja vor allem in staatsfreien Räumen ausbreitet und festsetzt, sei es in Westafrika, Afghanistan, im Nahen oder Mittleren Osten. Es handelt sich also um eine Vielzahl von Konflikten, mit denen wir es zu tun haben. Diese sind nicht alleine mit gutem Zureden zu lösen. Es mag manchmal gelingen, zu überzeugen, aber wo es um Macht und Interessen geht, da darf man Machtfaktoren, militärische und ökonomische Hard Power, aber auch die Soft Power unserer freiheitlichen Gesellschaften nicht ausblenden. Wer nichts in die Waagschale wirft, der wird auch kein politisches Gewicht entfalten. Die deutsche Außenpolitik darf nie auch nur den Anschein von Überheblichkeit erwecken. Wir werden aber auch gebraucht, und wir werden dieser Verantwortung auch gerecht werden. Die Bundesregierung wird sich daher mit aller Kraft für den Erhalt und, wo immer möglich, für die Fortentwicklung multilateraler Zusammenarbeit in den wichtigsten Sicherheits-, Klima- und Handelsfragen einsetzen. Diese Dinge stehen schon längst auf der Tagesordnung. Mit unserem Ehrgeiz bei der internationalen Abrüstung und der Rüstungskontrolle ({6}) werden wir ebenfalls nicht nachlassen. Wir sind aber auch bereit und haben dies oft genug unter Beweis gestellt, unsere Ziele mit dem Einsatz wirtschaftlicher Sanktionen oder, wenn es gar nicht anders geht, mit militärischer Präsenz zu untermauern. Zweitens, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns gerade angesichts der schwierigen internationalen Lage unserer Verantwortung auch in der Weise bewusst sein – das habe ich gerade am Montag beim Rat in Brüssel erfahren –, dass es hohe Erwartungen gibt, die an uns gerichtet werden. Im Frühjahr bewirbt sich Deutschland um einen nichtständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat. Wenn die Kandidatur glückt, dann tragen wir gemeinsam ab Januar für zwei Jahre ein Stück Verantwortung für das, was die UN-Charta so anspruchsvoll „die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ nennt. Wer dort sitzt, wird schwierige Entscheidungen zu treffen haben, so wie 2003, als es um den Irakkrieg ging, und 2011, als es um den Einsatz in Libyen ging. Das ist der Preis der Verantwortung; wir erhalten aber auch die Möglichkeit, Dinge auf die Tagesordnung zu setzen und zum Richtigen zu wenden. Wegducken kann für ein Land unserer Größe, unserer Wirtschaftskraft, aber auch unserer Geschichte keine Option sein. Diese Aufgabe im europäischen Geist und in Abstimmung mit unseren Partnern auszuüben, ist aber sehr wohl eine Option, wie ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Drittens werden wir alle Kraft darauf verwenden, einen echten Aufbruch in Europa in Gang zu setzen, gerade auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, und das in einer für Europa und die Europäische Union entscheidenden Zeit. Wir werden nur dann weltweit weiter mitreden können, wenn wir auch Gehör finden. Gerade eine Handels- und Exportnation wie Deutschland hat daran größtes Interesse. Das muss uns gelingen, auch im europäischen Kontext. Deshalb wird das ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein. In einer Zeit, in der Europa für viele Gesellschaften keine Selbstverständlichkeit mehr ist und in der die europäische Idee von vielen Zweifeln durchsetzt wird, werden wir uns dafür einsetzen müssen, dass Europa und das, was ihm an Grundwerten zugrunde liegt, mehrheitsfähig in unseren Gesellschaften wird. Ansonsten wird es schwierig mit der europäischen Idee. Meine Damen und Herren, neben den Gesprächen, die ich bereits in Paris, in Warschau und in Brüssel geführt habe, sind und bleiben unser wichtigster Partner außerhalb Europas die USA. Bei allen Turbulenzen jenseits des Atlantiks sollten wir nicht vergessen, wie tief und breit Verbindungen in beiden Gesellschaften verankert sind – und das über Jahrzehnte. Europäischer zu werden und transatlantisch zu bleiben, beschreibt, wie ich finde, den richtigen Weg. Lassen Sie uns das transatlantische Verhältnis nicht allein von Twitter-Meldungen abhängig machen. Die deutsch-amerikanische Freundschaft besteht aus weitaus mehr als 280 Zeichen. ({8}) Meine Damen und Herren, dies ist nur ein Teil dessen, was uns in der Außen- und Sicherheitspolitik auf die Agenda geschrieben worden ist. Ich will einen letzten Punkt ansprechen, weil auch dieser mir ganz besonders wichtig ist und er im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Auch unsere Schulen, unsere Bildung und unsere Wissenschaft haben sich den Zielen und den Werten verschrieben, an die wir glauben. Unsere Mittler im internationalen Dienst leisten gerade in schwierigen Ländern unschätzbare Arbeit. Der Zugang zu Kultur und Bildung ist Hilfe zu einer menschlichen Gesellschaft hier bei uns, aber eben auch im Ausland. Dafür werbe ich ganz besonders um Ihre Unterstützung. ({9}) Unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik steht für Freiheit der Kunst und Freiheit der Wissenschaft und Freiheit der Meinung. Ohne Freiheit gibt es keine Menschenwürde, meine Damen und Herren. ({10}) All dies ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was uns bevorsteht und womit wir uns auseinandersetzen müssen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag in diesen Fragen. Herzlichen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heiko Maas. – Ich darf die Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen: Wenn vorne ein Licht blinkt, dann ist das nicht eine Lightshow zu der Debatte, sondern dann sind Sie aufgefordert, sich an die Redezeit zu halten. Ansonsten wird die Zeit bei Ihren jeweiligen Kollegen abgezogen. Der erste Fall tritt jetzt schon ein. Nächster Redner: Armin-Paulus Hampel für die AfD-Fraktion. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag! Es ist ja eine knallharte Aussage, Herr Maas, dass die Maxime der deutschen Außenpolitik heißt: Wir wollen dem Frieden dienen und fühlen uns ihm verpflichtet. – Ja, selbstverständlich! Was denn sonst? Wollen wir dem Krieg dienen? Natürlich will deutsche Außenpolitik dem Frieden dienen. Das ist doch selbstverständlich. Schon mit Ihrer nächsten Bemerkung, nämlich dass wir dem europäischen Frieden dienen, treffen Sie bei der AfD in einem Punkt auf Widerstand: Sie sind der deutsche Außenminister, Herr Maas, und haben erst einmal der Bundesrepublik Deutschland zu dienen und dann zu schauen, wie wir sie mit unseren europäischen Freunden und Partnern abstimmen. Das ist der Weg, wie deutsche Außenpolitik gestaltet werden muss. ({0}) Wenn ich an die Gespräche im Auswärtigen Ausschuss, im Verteidigungsausschuss, aber auch bei Ihnen im Auswärtigen Amt denke, dann habe ich immer den Eindruck, dass da Satzbausteine von einer Rede zur anderen, von einem Papier zum anderen geschoben werden. Die Inhalte kommen mir alle wahnsinnig bekannt vor; die habe ich schon viele Jahre lang gehört. Ich habe mich auch gewundert – da hat die Kollegin von der Linken recht –, dass Sie Tage gebraucht haben, um zu einer klar völkerrechtswidrigen Aktivität der Türken Stellung zu beziehen. Noch gestern hat Ihr Staatssekretär Lindner im Auswärtigen Ausschuss herumgeeiert, um eine entsprechende Verurteilung nicht vorzunehmen. Sie brauchten eine Bundeskanzlerin, die heute endlich, nachdem sich alle Fraktionen in diesem Hause dafür ausgesprochen haben, klipp und klar gesagt hat, dass das eine völkerrechtswidrige Handlung ist, ({1}) um endlich auch eine solche Formulierung zu benutzen. Ich habe auch den Eindruck, dass das, was wir unter Realpolitik verstehen, in Ihrem Hause immer als Moralpolitik angesehen wird. Wir sind davon überzeugt, dass Realpolitik im deutschen Interesse die Marschrichtung für die deutsche Außenpolitik sein muss. Die Moralpolitik – quasi nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ – machen Sie bei vielen Aktivitäten, auch bei militärischen, immer wieder geltend. Das führt für meine Begriffe zu einem Gutmenschenkolonialismus ({2}) – ja, es ist ein Gutmenschenkolonialismus, wenn es heißt: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ –, ({3}) weil die Welt eben nicht so ist, Herr Maas, wie sie scheint. Ja, wir wollen Menschenrechte, ({4}) wir wollen Demokratie, wir wollen Freiheit. Die haben wir in Europa. Aber in anderen Ländern ist das eben nicht der Fall. Trotzdem müssen Sie mit denen reden, mit denen Sie ab und zu nicht reden wollen. Das gehört zu den Grundelementen einer deutschen Außenpolitik. ({5}) Ich habe immer den Eindruck, dass Sie genau das vermeiden. Sie fahren nach Paris, aber Sie fahren nicht nach Amerika, wenn Trump für uns Strafzölle einführen will. ({6}) Und in Paris, lieber Herr Maas, hat Ihnen Herr Macron, wie Sie sagen, die Hand entgegengestreckt. Das haben Sie falsch gesehen. Er hat die Hand in Ihre Tasche gesteckt; denn das wollen die Franzosen: ihre Misere mit deutschen Finanzen beheben. ({7}) Kehren wir also zu dem zurück, was es vor der Existenz der AfD einmal gegeben hat: Da gab es eine andere FDP, da gab es Sie, Herr Hofreiter, auch noch nicht, da gab es einen deutschen Außenminister – darum ersuchen wir ja ausdrücklich –, der Realpolitik zum Ziel hatte. Realpolitik im deutschen Interesse – das ist in unserem Sinne Ihre unmittelbare Aufgabe. ({8}) Ich habe immer den Eindruck, Sie finden das nicht sehr attraktiv und haben es längst aus dem Blick verloren. Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen: Ich habe heute Morgen Ihre Anmerkungen zu Russland gehört. Mich verwundert nach wie vor: Die Modernisierung der russischen Nuklearwaffen wird angeführt, aber es wird völlig ignoriert, dass Herr Putin nach einem fulminanten Wahlsieg ({9}) – das müssen Sie leider mal so hinnehmen – eine Abrüstungsofferte gemacht hat. Das hat in diesem Hause keine Erwähnung gefunden. Wir sind der Meinung, auch das muss aufs Tapet, auch das muss diskutiert werden. Lassen Sie uns endlich die Russland-Sanktionen beenden und mit den Russen – im deutschen Interesse und im europäischen Interesse – zu einer friedlichen Verständigung kommen. Das wollen wir alle, und da sind wir ja auch bei Ihnen. Aber mit einer Sanktionspolitik, die allen und uns besonders schadet und keinem nützt, werden wir es nicht schaffen. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Bleiben Sie dabei, was Egon Bahr gesagt hat – die Sozialdemokraten müssen jetzt googeln –: Wandel durch Annäherung, nicht Wandel durch Sanktionen. – Das ist in der Tat der richtige Weg. Da kann sogar ich einmal sozialdemokratisch denken. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Hampel. – Nächster Redner: Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nicht auf alle Punkte Ihrer Rede, Herr Kollege Hampel, eingehen. ({0}) Aber so viel will ich sagen: Dass Sie, nachdem Abgeordnete der AfD die Dummheit besessen haben, bei den Wahlen auf der völkerrechtswidrig annektierten Krim aufzutreten, ({1}) meinen, den deutschen Außenminister daran erinnern zu müssen, dass er dem deutschen Volk verpflichtet ist, fällt auf Sie zurück. Sie sind als Abgeordnete dem deutschen Volk verpflichtet und haben nicht rechtswidrige Annexionen der Russen durch Ihre Anwesenheit zu legitimieren. Das hat dem deutschen Parlament geschadet. ({2}) Ich möchte diese Grundsatzdebatte nutzen, Herr Bundesaußenminister, um Ihnen namens der CDU/CSU-Fraktion die vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit anzubieten. Wir wünschen Ihnen alles Gute, Glück und Erfolg in diesen von Ihnen richtig beschriebenen schwierigen Zeiten. Ich denke, ich kann im Namen aller Kolleginnen und Kollegen der Koalition anbieten – es mag Ausnahmen geben –, dass wir den großen außenpolitischen Konsens, den es in diesem Hohen Haus in der Vergangenheit gab, versuchen aufrechtzuerhalten. Die Lage ist in der Tat schwierig. Obwohl sich die Welt wie auch Europa nach zwei Weltkriegen und nach weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen wie auf der koreanischen Halbinsel eigentlich besonnen hatte, sich zusammenzuschließen, die Vereinten Nationen zu bilden und Verträge zu schließen – die Europäische Union wurde geboren und Freihandelszonen sind entstanden –, scheinen wir in diesen Tagen mit dem Einsatz chemischer Kampfmittel und mit tagtäglich Tausenden Cyberangriffen wie auch schon mit der Annexion der Krim, die ich schon angesprochen hatte, in alte Zeiten zurückzufallen. Ich glaube, darauf braucht es eine klare Antwort. Der Bundesaußenminister hat es vollkommen richtig gesagt: Wir können die Legislaturperiode nicht vorherplanen, aber hier braucht es auch eine klare Strategie des Deutschen Bundestages und der Bundesrepublik Deutschland als wichtigem Land in Europa und in der Europäischen Union. Ich sage als Erstes: Wir müssen Regelverletzungen klar ahnden. ({3}) – Ja, das will ich gerne an beide Seiten gerichtet sagen; ich komme gleich zu dem Punkt, den Sie angesprochen haben. – Regelverletzungen sind Regelverletzungen. Russland hat viele Regelverletzungen begangen – die Annexion der Krim, die eindeutig völkerrechtswidrig ist, die militärischen Aktivitäten in der Ostukraine und vieles mehr –, ({4}) und deswegen sage ich nach der Wahl in Russland: Wir werden diese Regelverletzungen nicht akzeptieren. Der Koalitionsvertrag spricht von Achtsamkeit und Resilienz. Die Hand bleibt ausgestreckt, aber es ist an Herrn Putin, einen Kurswechsel herbeizuführen und zurückzukehren in die europäische Friedensordnung des Helsinki-Vertrages. Dazu sind wir bereit. Russland muss handeln. ({5}) Das Zweite ist: Es ist vollkommen richtig – das ist von der Bundeskanzlerin und auch vom Bundesaußenminister eindeutig angesprochen worden –, dass im Auswärtigen Ausschuss große Einigkeit darüber besteht, dass wir uns trotz der Mitgliedschaft der Türkei in der NATO, die ich nach wie vor für richtig halte – ich weise ausdrücklich darauf hin, dass wir damit nicht leichtsinnig umgehen sollten; wir sollten der Türkei keinen Anlass geben, unser Bündnis zu verlassen –, bei Regelverletzungen klar positionieren müssen. Es ist für mich keine Frage: Wenn die türkische Flagge in Afrin gehisst wird, dann hat das mit dem Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der VN-Charta nichts mehr zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. So etwas muss klar angesprochen werden. ({6}) Mich beschäftigt schon – und auch das Hohe Haus muss es beschäftigen –, dass die Jesiden, die schlimme Misshandlungen im Nordirak erlebt haben, jetzt ein ähnliches Schicksal erleiden könnten. Die Bilder und Nachrichten, die wir aus Afrin erhalten, belegen, dass sich dort auch wieder Extremisten herumtreiben, die nichts Gutes im Schilde führen, und dass dort wieder die jesidische Minderheit, insbesondere die Frauen, an Leib und Leben bedroht ist. Das darf uns nicht gleichgültig sein. ({7}) Deswegen müssen wir unseren NATO-Partner Türkei an dieser Stelle deutlich darauf hinweisen, umzukehren und die Sache zu ändern. ({8}) – Ich weise Sie, Herr Kollege, nur darauf hin: Seien Sie seitens der Linksfraktion doch in Sachen Krim-Annexion einmal genauso deutlich wie in Sachen Afrin! Seien Sie doch nicht auf einem Auge blind, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({9}) Entweder hat man Grundsätze oder man hat keine. Zu den Grundsätzen gehört, dass wir die Bündnisse, die wir haben, verteidigen müssen. Ich bin dem Bundesaußenminister ausdrücklich dankbar dafür, dass er die transatlantischen Beziehungen angesprochen hat. Sie sind älter und sind tiefer, als dass wir sie der Deutungshoheit des aktuell gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika überlassen dürften. Die USA sind die ältere Demokratie, da sollten wir als Deutsche mit Werturteilen vorsichtig sein. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben uns von der Naziherrschaft befreit. ({10}) Die Vereinigten Staaten von Amerika haben uns den Aufbau Deutschlands ermöglicht. Und wenn man in der Geschichtsbetrachtung ehrlich ist, ({11}) muss man sagen: Es waren entscheidend die Vereinigten Staaten von Amerika, die uns die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht haben, nachdem Herr Gorbatschow die Tür geöffnet hatte. Das sollten wir nicht vergessen. Deswegen: Freundschaft mit Amerika ist wichtig. Sie muss unsere Politik weiter bestimmen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Wadephul, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gern fortfahren, Frau Präsidentin. – Dazu gehört, dass wir auch manch Kritisches sagen können. Herr Maas hat zu Recht das Iran-Abkommen erwähnt. Es ist kein bilaterales Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Iran. Deswegen richten wir als ein Land, das dieses Abkommen mit ausgehandelt hat, auch die klare Aussage an Washington: Die Folge der Kündigung des Abkommens – die Saudis haben es angekündigt – wäre eine weitere atomare Aufrüstung. Dann fängt Saudi-Arabien auch noch an, aufzurüsten. Die Möglichkeiten via Pakistan haben sie gegebenenfalls. Deshalb das klare europäische Plädoyer: Dieses Atomabkommen wird, solange es von Teheran eingehalten wird, von Europa verteidigt. – Das muss auch Washington beachten. Es ist wichtig, und es ist neben dem Klimaschutzabkommen ein weiterer großer Erfolg, dieses Atomabkommen geschlossen zu haben. Für diesen Erfolg sollten wir in der internationalen Ordnung gemeinsam eintreten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Das bedeutet, dass auch der Iran wissen muss, dass er eine daraus erwachsende Verantwortung in der Region hat. Und natürlich hat das unmittelbaren Einfluss auf Israel. In dieser Debatte möchte ich auch sagen – das steht auch in unserem Koalitionsvertrag –: Wir haben aufgrund unserer Historie ein ganz besonderes Verhältnis zu Israel und eine besondere Verantwortung. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das wird in den nächsten Jahren auch schwierig werden. Es gibt manche Kritik an der aktuellen Regierungspolitik Israels – Stichwort Siedlungen –, die wir auch weiter werden üben müssen. Klar muss aber in den nächsten vier Jahren sein: Deutschland steht zum israelischen Staat. Deutschland steht hinter dem Existenzrecht Israels, und daher bleiben wir ein unverrückbarer Partner aller Menschen, die in diesem Staat leben. ({1}) Abschließend möchte ich sagen – der Bundesaußenminister hat gesagt, wir werden gebraucht; alle erinnern sich an die großen Reden, die auf der Münchener Sicherheitskonferenz gehalten worden sind –: Die außenpolitische Verantwortung Deutschlands ist gewachsen. Der müssen wir gerecht werden. Der müssen wir nicht zuletzt, weil Haushaltsberatungen anstehen, auch finanzpolitisch gerecht werden. Deswegen fand ich es richtig, dass die Bundeskanzlerin heute die ODA-Quote angesprochen hat; denn wir würden nicht ein einziges Problem in Afrika beispielsweise lösen und nicht eine einzige Fluchtursache beseitigen, wenn wir nicht an dieser Stelle Geld ausgäben. Deswegen sind die 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes gut ausgegebenes Steuergeld aus dem deutschen Haushalt. ({2}) Die Kehrseite der Medaille ist, dass wir auch Verteidigungsausgaben zusammenbringen müssen. Ich möchte an der Stelle ausdrücklich noch etwas weiter gehen als die Bundeskanzlerin in ihrer Rede vorhin. Seien wir uns alle gewiss: Auch wenn Präsident Obama eine weitere Amtsperiode gehabt hätte, hätte er uns mit gleicher Unnachgiebigkeit aufgefordert, unseren Verteidigungsverpflichtungen nachzukommen. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen unsere Verpflichtungen in der NATO erfüllen. Wir müssen unsere Zusagen von Wales einhalten. Auch das ist ein Beitrag zu Frieden und Freiheit in Europa. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Wadephul. – Nächster Redner: Alexander Graf Lambsdorff für die FDP-Fraktion. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Bundesregierung tritt ihr Amt an in einer Zeit, in der das, was wir die liberale Weltordnung nennen, in Gefahr ist. Diese liberale Weltordnung heißt nicht so, weil sie von Liberalen erfunden worden wäre. Sie heißt so, weil sie ein Prinzip zum Ausdruck bringt, nämlich die Bindung von Macht an Recht. Das ist die Kernidee des Liberalismus. Wir sehen im Moment tektonische Machtverschiebungen im internationalen System: mit einem aufsteigenden China, einem revisionistischen Russland und Vereinigten Staaten von Amerika, die sich zurückziehen als Garant dieser liberalen Weltordnung, als den wir sie in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Und das ist keine akademische Betrachtung. Solche Machtverschiebungen haben in der Vergangenheit immer Kriegsgefahr, Konfliktrisiken heraufbeschworen. Und die Institutionen, in denen wir solcher Gefahr begegnet sind, in denen wir solche Interessenkonflikte bearbeitet haben, an erster Stelle die Vereinten Nationen, die werden zurzeit dramatisch geschwächt – leider muss man das so deutlich sagen – durch das Verhalten der amerikanischen Administration, die sich aus einigen Organisationen der Vereinten Nationen zurückzieht. Ich denke an die UNESCO, ich denke an den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, ich denke an das Pariser Klimaabkommen. ({0}) Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, bei denen sich die Amerikaner anders als in der Vergangenheit aufstellen, und das führt zu großen Risiken. Was bedeutet das jetzt für Deutschland? ({1}) Deutschland ist zu groß, um sich wegducken zu können; aber Deutschland ist gleichzeitig auch zu klein, um unseren Werten und Interessen alleine Geltung verschaffen zu können. Deswegen ist es unser zentrales nationales Interesse, diese liberale Weltordnung zu verteidigen. Nur so können wir Werten und Interessen Deutschlands Geltung verschaffen. ({2}) Was heißt das konkret? Konkret heißt das, dass, wenn wir eine widerrechtliche Annexion sehen wie bei der Krim oder eine Intervention wie in der Ukraine, natürlich Sanktionen verhängt werden müssen gegen Russland. Lieber Armin-Paul Hampel, das Abrüstungsangebot von Wladimir Putin habe ich gehört. Aber ich antworte mit Lenin: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. ({3}) Sobald wir da etwas Tatsächliches sehen, können wir mit den Russen gerne über Abrüstung reden. Ich hätte es zum Beispiel schön gefunden, sie hätten die Verpflichtungen aus dem Wiener Dokument bei ihrem Riesenmanöver Sapad neulich eingehalten und OSZE-Beobachter eingeladen. ({4}) Stattdessen haben sie ein unbeobachtetes Manöver veranstaltet. Meine Damen und Herren, wir brauchen Kontrolle. Nur so kann Vertrauen wieder entstehen. Zur Türkei. Natürlich ist der Einmarsch in Afrin völkerrechtswidrig. Aber was folgt daraus für die deutsche Außenpolitik? Deutschland hat engste Verbindungen in die Kurdengebiete, nach Erbil, in die Südosttürkei. Warum versuchen wir nicht, eine aktive Vermittlerrolle einzunehmen? Wir dürfen eines nicht vergessen: Der kurdisch-türkische Konflikt spielt sich in vielen Städten und Gemeinden unseres Landes ab. Das heißt, wir haben ein nationales Interesse daran, diesen Konflikt zu befrieden. Was bedeutet das für unsere Rolle in den Vereinten Nationen? Deutschland ist, ehrlich gesagt, in den Vereinten Nationen ein zweit-, ein drittklassiger Staat. Aber wir könnten doch viel mehr machen, konzeptionell, finanziell, personell, und den Ausfall der Amerikaner an der einen oder anderen Stelle gemeinsam mit den anderen Europäern kompensieren. In der UNESCO fehlen 150 Millionen Euro für zwei Jahre. Wenn man das gemeinsam in Europa macht, kann man das schon stemmen. Beim Bevölkerungsfonds, der sich um die Müttergesundheit kümmert, um Frauen, um die weibliche Selbstbestimmung, gerade was die Familienplanung angeht – und wir haben ein großes Interesse daran, dass das gefördert wird –, da fehlen nur 30 Millionen. Das können wir doch kompensieren. Da können wir reingehen. Wir könnten ganz konkrete Maßnahmen ergreifen. ({5}) Was Sie, Herr Maas, zur Europäischen Union gesagt haben, fand ich ein bisschen dünn. Wir müssen uns schon fragen: Was folgt aus dem Brexit? Was folgt aus den Vorschlägen von Macron? Unsere Antwort als Freie Demokraten ist ganz klar: Wir wollen Europa stärken. Wir freuen uns, dass es gelungen ist, PESCO auf den Weg zu bringen, die europäische Verteidigungsunion. Wir wollen Europol stärken und auch die Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung verbessern. Mein letzter Punkt. Lieber Herr Maas, Sie übernehmen ein Haus, das nicht genug Beachtung erfährt. Ich habe heute mit Erstaunen gehört, dass sich die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung bei unseren Soldaten bedankt hat und bei unseren Entwicklungshelfern. Das tun wir als Freie Demokraten auch. Ich finde aber, es ist an der Zeit, dass man sich auch einmal bei den deutschen Beamtinnen und Beamten in Erbil oder in Peking oder in Bamako oder in Dhaka bedankt, die sich für die Rohingya einsetzen, für deutsche Wirtschaftsinteressen, für die Stabilität des Sahel. Das sind keine Traumposten. All diese Menschen führen kein Luxusleben. Da geht es um Kultursachbearbeiter, um Konsularbeamtinnen, um technische Hausmeister, um Wirtschaftsattachés. Es geht um die Wahrnehmung deutscher Interessen auf internationaler Ebene.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und jetzt geht es definitiv um Ihre Redezeit.

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir danken ausdrücklich den Bediensteten des Auswärtigen Amtes für ihre Arbeit auf der ganzen Welt. Herzlichen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Graf Lambsdorff. – Nächste Rednerin: Heike Hänsel für Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sich als SPD-Außenminister bis heute windet, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei auch als völkerrechtswidrig zu benennen, der braucht das Wort Völkerrecht überhaupt nicht mehr in den Mund zu nehmen. ({0}) Sie bleiben in der Beurteilung dieses Angriffskrieges sogar noch hinter der Kritik der CDU-Kanzlerin Angela Merkel zurück, die diesen Krieg heute immerhin als „inakzeptabel“ bezeichnet hat. Aber ich muss sagen: Auch das ist eine Schande und sehr, sehr bitter, dass die Kanzlerin sich heute – nach zwei Monaten Krieg, Belagerung, Gräueltaten, der Vertreibung von Hunderttausenden –, wo es zu spät ist, wo die Massaker stattfinden, hier hinstellt und sagt, das sei inakzeptabel. Für mich ist das wirklich eine politische und moralische Bankrotterklärung der deutschen Außenpolitik. ({1}) Zum Völkerrecht will ich nur sagen: Die Linke hat jeden Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt: die Übernahme der Krim und den Angriffskrieg der Türkei, aber auch die US-Invasion im Irak und den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Jugoslawien. ({2}) Bauen Sie hier keine Pappkameraden auf! Von Ihnen habe ich das nicht gehört, weder zum Irak noch zu Jugoslawien. Das bleibt ein Teil Ihrer Geschichte. ({3}) Welche Konsequenzen zieht denn jetzt eigentlich die Bundesregierung aus ihrer – immerhin – Kritik an dem Krieg? Gar keine. Die Waffen werden weiterhin an Erdogan geliefert, die Rüstungsexporte gehen weiter, und auch die EU-Finanz- und ‑Kredithilfen für Ankara sprudeln weiterhin üppig. Da frage ich mich angesichts der Verurteilung dieses Krieges durch die Fraktionen dann schon: Warum unterstützen die SPD- und die CDU/CSU-Fraktion nicht hier einen Antrag, die Rüstungsexporte zu stoppen? ({4}) Es gab genügend Anträge der Opposition. Noch haben Sie eine Mehrheit im Bundestag; Sie könnten die Rüstungsexporte also sofort stoppen. Es ist wirklich eine Schuld von historischem Ausmaß, die die Bundesregierung hier auf sich lädt. Wir brauchen deswegen in jedem Fall dringend eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik. ({5}) Das gilt nicht nur für die Türkei und den Nahen Osten. Deutsche Außenpolitik muss endlich wieder Friedenspolitik werden. ({6}) Denn Ihre Außenpolitik, die Außenpolitik der Bundesregierung, heißt Aufrüstung, Rekord an Rüstungsexporten und noch mehr Kriegseinsätze weltweit. Und dann spricht die Kanzlerin heute allen Ernstes von der Bekämpfung von Fluchtursachen. Die Außenpolitik, die Sie hier betreiben, schafft Fluchtursachen! ({7}) 13 Bundeswehreinsätze im Ausland, die jetzt verlängert, erweitert, ausgebaut werden; allein diese Woche werden sechs Auslandsmandate der Bundeswehr durch das Parlament gejagt, zum Beispiel in Afghanistan. Dort ist die Bundeswehr bereits seit 17 Jahren, und es ist kein Ende in Sicht. Was ist das für eine Außenpolitik! ({8}) Die Linke hat diese Auslandseinsätze immer abgelehnt. Sie sind kostspielig und abenteuerlich. Ich will nur eine Zahl nennen: Die sechs Mandate, deren Verlängerung in dieser Woche von Ihnen beschlossen wird, kosten fast 700 Millionen Euro. Da frage ich mich: Wie wollen Sie eigentlich 2,5 Millionen Kindern in Armut und 2 Millionen Rentnern in Armut erklären, dass Sie weiterhin solche kostspieligen Abenteuer hier beschließen? ({9}) Außerdem wollen Sie jetzt nicht nur Deutschland aufrüsten – wir haben es gehört: das 2-Prozent-Ziel der NATO in Sachen Aufrüstung wird natürlich angestrebt, auch wenn die SPD immer etwas anderes erzählt hat; das heißt bis zu 70 Milliarden Euro für Militär –, sondern auch die EU soll zu einer Militärunion umgebaut werden. Am Ende wird dann eine EU-Armee stehen. Das bedeutet noch mehr Geld für Rüstungsprojekte und noch mehr Militäreinsätze. Friedenspolitik sieht anders aus. Deshalb wollen wir raus aus diesen militärischen Strukturen der EU. ({10}) Diese Aufrüstungspolitik von NATO und EU hat einen Hauptgegner: Russland. Die ganze Zeit wird hier jetzt versucht, uns einzureden, wie groß die russische Bedrohung ist. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann erkennt man aber, dass es genau umgekehrt ist: Die USA geben 600 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus, die gesamte NATO über 900 Milliarden US-Dollar und Russland 60 Milliarden US-Dollar. Die USA geben also das Zehnfache Russlands aus. Wir finden die gesamte Aufrüstung zu viel, aber die Dimensionen sind genau umgekehrt. Deswegen finden wir es auch sehr gut, dass es jetzt ein Angebot von Präsident Putin für Abrüstung in Europa gab. Nehmen wir ihn doch beim Wort, und starten wir gemeinsam eine Abrüstungsinitiative! Das würde mehr zu europäischer Sicherheit beitragen. ({11}) Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen aber leider alles dafür getan, dass sich das Verhältnis zu Russland weiter verschlechtert. Wenn wir uns den ganzen Umgang mit dem Giftgasangriff in England anschauen, ({12}) dann sehen wir, dass auch vonseiten der Bundesregierung sofort eine Vorverurteilung Russlands erfolgte. Frau Merkel sagte heute in der Regierungserklärung, es gebe Evidenzen – was immer sie damit meint. Wenn sie aber Evidenzen hat: Wie wäre es, wenn sie hier mal auf den Tisch gelegt würden? ({13}) Die Bundesregierung enthält dem Bundestag noch immer irgendwelche Beweise, die sie angeblich besitzt, vor. Jeden Tag gibt es aber neue Beschuldigungen, mehr Propaganda und Hetze gegen Russland und seine Menschen. Ich muss sagen: Angesichts der Geschichte von zwei Vernichtungskriegen gegen Russland ({14}) ist hier angesagt, dass wir kein neues Feindbild „Russland“ aufbauen. Das sehen übrigens 60 Prozent der Bevölkerung auch so. Frieden beginnt nämlich mit dem Abbau von Feindbildern. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heike Hänsel. – Nächste Rednerin in der Debatte: Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue alte Große Koalition spricht in ihrem Koalitionsvertrag von Deutschlands Verantwortung für Frieden, Freiheit und Sicherheit in der Welt, und sie kündigt einen neuen Aufbruch in Europa an. Ich muss sagen: Das klingt erst einmal sehr schön. Ich muss das auch anerkennen. Auch Ihr Europakapitel liest sich nicht schlecht. Der Realitäts-Check kommt jetzt aber schneller, als Ihnen lieb sein kann. Beispielsweise beginnt morgen der Europäische Rat. Mit Blick auf Ihre hehren Ziele frage ich mich schon: Wo ist denn die deutsch-französische Initiative für diesen neuen Aufbruch? Sie ist nicht in Sicht. Im Bundesrat beharken und blockieren sich gerade die SPD- und die unionsgeführten Bundesländer beim sogenannten Nikolauspaket. Das sind die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion. Nichts ist von dem zu sehen, was Sie uns in Ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben. Trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es noch immer keine wirksamen Instrumente, um die nächste Erschütterung zu verhindern oder zumindest besser abfedern zu können. Die Vorschläge liegen hier doch längst auf dem Tisch. Sie führen aber nach wie vor eine Pseudodebatte über die Gefahren einer Transferunion, statt endlich zu handeln. ({0}) Wir brauchen einen Europäischen Währungsfonds mit einer starken Kontrolle durch das Europäische Parlament und dessen Mitsprache sowie eine vertiefte Bankenunion mit Backstop. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das Vertrauen der Menschen in die Europäische Union und in die Politik doch nur stärken und zurückgewinnen können, wenn wir jetzt endlich einmal verhindern, dass die Bürgerinnen und Bürger bei der nächsten Krise die Banken mit ihrem Steuergeld retten müssen. Jetzt wende ich mich an alle überzeugten Europäerinnen und Europäer – ich bin mir sicher, es gibt sie bei uns, bei der GroKo, aber auch in den Reihen der FDP und der Linkspartei –: In vielen Ländern legen Rechtspopulisten die Axt an unser gemeinsames Europa. Ihrem Hass und ihrer Hetze müssen wir gemeinsam entgegentreten. Ich würde mir wünschen, dass wir uns für eine solidarische Europäische Union einsetzen, die die Menschenrechte und die Freiheit verteidigt, eine Europäische Union, die den Bürgerinnen und Bürgern und nicht den Konzernen dient, eine Europäische Union, die den Alltag der Menschen besser macht und in ihre Zukunft investiert. ({2}) An die Adresse der Großen Koalition: Das bedeutet eben auch, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um den deutschen Beitrag zum EU-Haushalt zu erhöhen. Es geht nicht nur darum, die Lücke zu schließen, die der Brexit reißt, sondern es geht auch darum, Zukunftsinvestitionen auf den Weg zu bringen: für Klimaschutz, für unsere Schienen- und Breitbandnetze, für Forschung und ein soziales Europa. Bei Pulse of Europe gehen seit vielen Monaten viele Menschen für diese gemeinsame europäische Idee auf die Straße. Ich finde, ihnen sollten wir dankbar sein. Das ist doch für uns Politikerinnen und Politiker eine Riesenchance. Es ist aber auch zu Recht eine Erwartung an uns. Unser Europa, das ist unser Zuhause. Unser Europa, das ist unsere Zukunft. Weil wir Europa so lieben, wollen wir Grüne es unbedingt besser machen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Beispiel für ein besseres Europa, sondern ein ziemlich trauriges Bild konnten wir bei der Münchner Sicherheitskonferenz beobachten. Da haben sich Regierungsmitglieder von EU-Mitgliedstaaten geweigert, gemeinsam auf einer Bühne zu diskutieren. Die Probleme dieser Welt warten doch nicht. Der Krieg in Syrien, der Ukraine-Konflikt, Klimawandel, Terrorismus, Migration: All das sind Herausforderungen, denen heute kein Staat mehr alleine begegnen kann. Es muss endlich Schluss sein mit diesem nationalen Klein-Klein. Wir brauchen eine starke, eine handlungsfähige Europäische Union als starke Stimme für das Völkerrecht, für die Vernunft und für die Menschenrechte in der internationalen Politik. ({4}) Lieber Außenminister Maas, ich hätte für Sie eine Idee. Sie haben von dem Sitz im Sicherheitsrat gesprochen, den Deutschland anstrebt. Wir Grüne fänden es richtig und gut, wenn das ein europäischer Sitz und kein deutscher werden würde. ({5}) Nicht nur die Wahlen in Russland, bei denen sich Putin erneut zum Präsidenten hat wählen lassen, stehen für einen gefährlichen Trend in der internationalen Politik. Immer mehr Staaten entscheiden sich für eine giftige Mischung aus außenpolitischer Aggressivität und innenpolitischer Repression. Und so unterschiedlich die Herren auch sein mögen: In einer Welt der Putins, Trumps und Erdogans ist doch unsere weltweite Friedensordnung unter Beschuss und sind unsere gemeinsamen Werte in Gefahr, ob durch Tweets oder Taten, ob durch Rhetorik oder Raketen. China ist immer stärker dabei, seine wirtschaftliche und politische Macht auf der Welt von Tag zu Tag auszubauen. Was tut die Bundesregierung? Sie hat keine Antworten auf diese fundamentalen Herausforderungen. Der türkische Präsident verletzt in Afrin das Völkerrecht. Er richtet unendliches Leid an. Es kommt zu Vertreibungen, Plünderungen, zu brutaler Gewalt. Aber das ist ihm noch nicht genug. Er droht, weiter nach Ostsyrien zu gehen. Er droht vor allem, auch im Irak einzumarschieren. Es gab ja heute auch schon den ersten Beschuss. Da fragt man sich: Warum duckt sich hier die NATO weg? Warum gibt es nicht mal ein klares Statement? ({6}) Gerade hat das Treffen der EU-Außenminister stattgefunden. Dazu haben wir von Ihnen, Herr Außenminister, nichts gehört. Wir haben heute im Bundestag wieder gesehen, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, dieses Vorgehen als Völkerrechtsbruch zu klassifizieren. Da muss man doch sagen: Sprechen Sie endlich auch hier einmal die Wahrheit aus, und seien Sie an dieser Stelle klar! ({7}) Was hält eigentlich die Bundesregierung davon ab, endlich die Waffenlieferungen an die Türkei zu stoppen? Dafür ist es doch wirklich höchste Zeit. ({8}) Normalerweise gibt man einem neuen Minister 100 Tage im Amt, bevor man die Samthandschuhe auszieht. Mir fehlt aber das Mitleid für Sie, Herr Maas, wenn ich daran denke, dass Sie bei den letzten verantwortungslosen Waffendeals mit am Tisch in den Hinterzimmern des Bundessicherheitsrates saßen. Wir können nur hoffen, dass Sie in Ihrer neuen Rolle als Außenminister bei Rüstungsexporten mehr Wert auf die Menschenrechte legen und dafür sorgen, dass die Bundesregierung ihre eigenen Regeln endlich einhält. Vielen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Agnieszka Brugger. Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich oben auf der Tribüne den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit seinen Stellvertretern begrüßen. Seien Sie uns herzlich willkommen. ({0}) Der nächste Redner ist Dr. Nils Schmid für die SPD-Fraktion. – Herr Schmid, bitte. ({1})

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Welt ist komplizierter und unberechenbarer geworden. In diesen unübersichtlichen Zeiten ist es Aufgabe der Außenpolitik, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes Orientierung zu geben. Ich finde, wenn man die letzten Tage Revue passieren lässt, wenn man die Rede von Bundesminister Maas heute Abend zur Kenntnis nimmt, dann muss man sagen: Heiko Maas tut genau dies. Das ist gut so für Deutschland und für den Bundestag. Für die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag sind zwei Punkte für die zukünftige außenpolitische Arbeit der Bundesregierung besonders wichtig. Gerade weil wir mit Russland und anderen Ländern in schwierigen Partnerschaften verbunden sind und gerade weil in den Beziehungen zu anderen Ländern Vertrauen verloren gegangen ist, sind die bewährten Systeme der Rüstungskontrolle und der damit verbundenen vertrauensbildenden Maßnahmen besonders wichtig. Natürlich ist es schön, wenn Präsident Putin neue Abrüstungsvorschläge macht. Wir wären aber schon froh, wenn es uns erst einmal gelänge, die bestehenden Rüstungskontrollsysteme in Europa aufrechtzuerhalten. Deshalb haben CDU/CSU und SPD gemeinsam einen Antrag eingebracht, um das bestehende INF-Vertragswerk im Sinne des Schutzes von Europa und der Rüstungskontrolle in Europa zu stabilisieren. ({0}) Die zweite wichtige Aufgabe ist es, nicht nur über die Frage der Militärausgaben zu philosophieren oder gar Spiegelfechtereien durchzuführen. Ich glaube, es ist viel zielführender, zu überlegen, wie stabilisierungspolitische Engagements Deutschlands und der EU in Zukunft aussehen können. Das ist das, was Herfried Münkler jüngst als strategische Intelligenz bezeichnet hat. Denn es geht darum, die Bundeswehr ausreichend auszustatten, und das macht man nicht, indem man irgendwelche 2-Prozent-Ziele festschreibt, sondern indem man konkret – Haushalt für Haushalt – Rüstungsausgaben so gestaltet, dass unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgestattet sind. Genau das haben wir im Koalitionsvertrag auch vereinbart, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Bundeswehr kann sich auch in diesem Punkt – nämlich der guten und ausreichenden Ausstattung – auf die SPD verlassen. ({1}) Aber darüber hinaus geht es um Konfliktprävention, Konfliktvermeidung, humanitäre Hilfe und, ja, auch um den Wiederaufbau in Konfliktgebieten. Gerade in diesen Bereichen haben wir in den letzten Jahren die Mittel deutlich verstärkt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in den kommenden Haushaltsberatungen die Mittel und Möglichkeiten deutschen und auch europäischen Engagements in diesen wichtigen Feldern ausweiten können. Konfliktprävention und Wiederaufbauhilfe sind genauso wichtig wie militärische Präsenz. Deshalb wird die SPD in Zukunft ein besonderes Augenmerk auf diese Aufgabe richten. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Schmid. – Nächster Redner: Dr. Harald Weyel für die AfD-Fraktion. ({0}) – Jetzt hat der Kollege das Wort. – Herr Dr. Weyel, bitte.

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich greife eine heutige Anregung der Kulturstaatsministerin auf und gratuliere dem Deutschen Reichstag, respektive dem, was davon übrig geblieben ist, zum 147. Geburtstag, ebenso meiner Tochter zum 17. ({0}) „Europa, Europa, Europa“ war ja nüchtern betrachtet immer nur eine Ersatzaußenpolitik und ein Versteckspiel Deutschlands: vor 1990 und leider auch danach. Aber selbst die scheinbaren westeuropäischen Gewinner des Zweiten Weltkrieges wie auch des Kalten Krieges sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Ich rede hier von England und Frankreich. Lachende Dritte waren nach 1945 mehr denn je doch eher nur die Amerikaner und Russen. Und sogar Asiaten, Araber und Afrikaner konnten den westeuropäischen Siegern dann endgültig die relative Entkolonialisierung abtrotzen. Trotzdem kam schon damals keine europäische Armee zustande, die nun ausgerechnet heute aus der Mottenkiste geholt werden soll. Mehr als eine US-Hilfstruppe war da doch nie zu erwarten – auch heute nicht. Ein bescheidenes außenpolitisches Erwachsenwerden Deutschlands, so sollte man meinen, wäre aber schon mit dem Beitritt der beiden deutschen Staaten zur UNO möglich gewesen, 1973 also. Willy Brandt sagte damals in New York: Wir sind nicht hierhergekommen, um die Vereinten Nationen als Klagemauer … zu betrachten oder um – unerfüllbare – Forderungen zu stellen. … Wir sind vielmehr gekommen, um … weltpolitische Mitverantwortung zu übernehmen. Man soll die UNO aber auch nicht überhöhen, wie es heute in der Regierungserklärung und den Worten des Ministers wieder geschehen ist. Denken wir nur daran, dass 1979 das Massaker an der eigenen Bevölkerung in Kambodscha nicht durch die UNO und durch irgendwelche Beschlüsse beendet worden ist, sondern durch die vietnamesische Volksarmee: mit einem selbsterteilten Zerschmetterungsmandat. ({1}) In der Tat war Deutschland damals fähiger, gewisse Probleme zu lösen, als heute. Eine der Problemlösungen lautete zum Beispiel GSG 9 als unmissverständliche Antwort auf den Terror. ({2}) Eine weitere Antwort lautete Anwerbestopp für Gastarbeiter, weil schon damals Massenmigration als Integrationsverhinderung erkennbar wurde. Trotzdem ließ man damals wie heute als nicht klassisches Einwanderungsland die durch jede globale Krise befeuerte unqualifizierte und wilde Migration in den Sozialstaat zu. Innen- und außenpolitisches Versagen gehen in Deutschland Hand in Hand. Deutsche Politik legte nie ihre Zwangsjacke ab. Auf dem einen Ärmel steht NATO und auf dem anderen EU. Diese Ärmel werden ohne Not immer enger geschnallt. Die verkümmerten Ärmchen des zweiten Nachkriegsdeutschlands sind nunmehr nicht geeignet, die eigenen Probleme, die Probleme der Welt oder auch nur die Europas effektiv anzupacken, erst recht nicht, wenn Letzteres als EU-topia veranstaltet wird, das immer teurer und nutzloser wird. ({3}) Nichts anderes will Ihre Regierungserklärung. Deutschland betreibt eine immer haltlosere Nichtaußenpolitik. Der gefühlte Urlaub von der Geschichte ist für viele eben noch immer nicht abgeschlossen. Während die anderen pokern, spielt Deutschland Mau-Mau, und man wundert sich, dass man ständig verliert und draufzahlt. Eine selbstinteressenverleugnende Flucht in den pseudohaften Internationalismus ist aber keine aufgeklärte Politik. Ich will Ihnen gerne sagen, was normale Deutsche von Deutschland und einer zurechnungsfähigen Regierung wollen. ({4}) Sie wollen Normalisierung, eine Bearbeitung nationaler wie internationaler Probleme, und zwar mit handwerklich-pragmatischen Lösungen, unabhängig davon, ob diese gewissen Leuten im Ausland oder im Inland passen oder nicht. Sie wollen keine immer irrere Flucht in den verantwortungslosen und verschleiernden Pseudomultilateralismus. Nichts anderes ist das ganze Gemurksel mit EU, NATO und UNO. Ein ubiquitärer Menschenrechtsuniversalismus wird dabei nur bemüht, wenn es passt. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an die Redezeit!

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Man selbst möchte als Moralweltmacht daherkommen, während unsere Staatsbürgerrechte vor die Hunde gehen. In der Regierungserklärung wie in den ministeriellen Extras sehe ich nichts anderes als ein „Weiter so“ in dem letztlich unaufgeklärten, unbewährten und schädlichen Verfahren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Würden Sie an Ihre Redezeit denken! ({0})

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich ende sofort. – Werden Sie endlich aktiv für das eigene Volk, und auch der Rest der Welt wird profitieren sozusagen nach fast 100 Jahren Pause –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit!

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– von einem intakten statt kaputtgemachten Deutschland. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner in der Debatte, die im Deutschen Bundestag stattfindet, im ehemaligen Reichstagsgebäude – den Reichstag gibt es seit 1945 nicht mehr –, ist Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Weyel wäre wohl besser auf die Geburtstagsfeier seiner Tochter gegangen. Aber lassen wir das. ({0}) Das Thema und die Entwicklung um uns herum sind ernst. Führen wir uns nur die Ereignisse in den letzten Tagen vor Augen. Der amerikanische Präsident droht offen mit einem Handelskrieg und dem Abschied vom multilateralen Welthandelssystem. Der chinesische Präsident lässt die Verfassung ändern, um sich die Option auf weitere Amtszeiten zu erhalten, und zwar in Richtung unendlich. In Russland wird Präsident Putin mit rund 77 Prozent – das ist bemerkenswert – im Amt bestätigt. Aber der einzige chancenreiche Gegenkandidat war zu den Wahlen nicht zugelassen. Diese Ereignisse zeigen, dass wir in einer Zeit leben, in der der Wind in der Weltpolitik rauer weht, in der autoritäre Staatsmodelle, nationalistische Strömungen und aggressive Außenpolitik Schule machen. Das muss uns Europäern klarmachen: Wir können unser europäisches Modell der freien und der demokratischen Ordnung und unsere soziale Marktwirtschaft nur verteidigen, wenn wir alle zusammenstehen. Europa muss einig sein und muss stark sein. Nur dann kann es auch frei sein. Angesichts der autoritären Herausforderungen müssen wir in der EU einig sein. Bislang ist uns das zum Beispiel bei unserem geschlossenen Auftreten und der Reaktion betreffend die aggressive russische Außenpolitik gut gelungen. Die Sanktionen zeigen, dass wir zum Völkerrecht stehen. Sie sollen natürlich gelockert und irgendwann aufgehoben werden, wenn wir endlich Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen erreichen werden. Davon kann bislang aber leider nicht die Rede sein. Im Gegenteil, nicht nur in der Ukraine gibt es eher Rückschritte als Fortschritte, sondern auch in Syrien steht Russland fest an der Seite des menschenverachtenden Regimes. Auch beim Giftanschlag auf Skripal sind wir einig. Wir stehen hier klar an der Seite Großbritanniens. Das Königreich ist nicht nur ein Freund und Partner wie andere auf der Welt, es ist und bleibt Teil der europäischen Familie. Uns und sehr vielen Menschen auf der Insel macht dieser Fall erneut bewusst: Die Entscheidung zum Brexit war ein Fehler. Nicht die EU ist der Gegner Großbritanniens; hier sind vielmehr seine engsten Freunde versammelt. Doch wir müssen ganz im britischen Geiste pragmatisch bleiben und jetzt das Beste aus dieser Situation machen. Wir müssen einen Brexit mit einem fairen Interessensausgleich gestalten, der uns enger Partner bleiben lässt, allerdings ohne Rosinenpickerei. Innerhalb der EU müssen wir dafür sorgen, dass es eine faire Lastenteilung gibt, was die Kosten des Brexits betrifft. Es kann nicht allein Deutschlands Aufgabe sein, finanzielle Löcher zu stopfen. Unsere Stärke in der EU sind die Einigkeit und der Ausgleich zwischen den großen und den kleinen Mitgliedstaaten, zwischen denen im Norden und denen im Süden, zwischen den alten und den neuen. Das gilt auch für die Notwendigkeit des Dialogs in der Migrationspolitik, beispielsweise mit den Visegradstaaten. Das gilt schließlich auch für die anstehende EU-Reform. Es bleibt richtig, dass die EU die deutsch-französische Initiative von Zeit zu Zeit braucht, um Impulse zu bekommen, um Anstöße zu geben. Aber das darf eben nicht heißen, dass sich Deutschland und Frankreich einigen und dass die anderen dann folgen müssen. Die neue Bundesregierung sollte also durchaus die Hand des französischen Präsidenten ergreifen und engagiert gemeinsam an Reformplänen arbeiten. Das machen wir ja auch in unserem Koalitionsvertrag deutlich. Aber gerade im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion oder bei der Planung des künftigen Finanzrahmens müssen auch die vorsichtigen Stimmen gehört werden. Acht nordische Staaten haben sich recht eindeutig positioniert, mit, wie ich finde, guten und bedenkenswerten Argumenten. Wir müssen also einig sein, und wir müssen stark sein. Die dramatische Weltlage, Terror und Krieg an unseren Grenzen, aber auch die strategische Herausforderung durch Russland zeigen: Wir brauchen eine bessere europäische Abwehrbereitschaft. Das haben die 25 EU-Staaten zum Anlass genommen, sich auf den Weg in eine europäische Verteidigungsunion zu machen, als Ergänzung zur NATO, als starke europäische Säule der NATO. Stärke heißt auch starker Schutz unserer gemeinsamen Außengrenze. Der Ausbau von Frontex ist dabei der richtige Weg. Mit gemeinsamem Grenzschutz zeigen wir, dass wir die Länder am Außenrand der EU nicht alleinlassen, und wir zeigen, dass wir wissen wollen, wer in die EU kommt, und dass wir entscheiden wollen, wer kommen darf und wer nicht. Wenn wir also einig sind und wenn wir stark sind, dann können wir Europäer auch frei sein. Einigkeit und Stärke in der Handelspolitik werden erforderlich sein, um den freien Welthandel zu erhalten. Wir Deutsche sind darauf mehr als andere angewiesen. Die EU muss ihr Gewicht als Handelsblock in die Waagschale werfen, um die USA von unüberlegten Schritten abzuhalten. Freiheit heißt Unabhängigkeit. Einigkeit und Stärke in Europa machen uns geostrategisch unabhängiger von den Machtspielen der Türkei, von chinesischer Einflussnahme, von Russland im Energiebereich, aber auch von unseren transatlantischen Partnern. Nur eine einige und starke EU kann unabhängig und damit frei sein. Gelingt es unseren Gegnern, uns zu spalten und zu schwächen, werden wir Nationalstaaten allein unsere Unabhängigkeit früher oder später verlieren. In der heutigen Weltordnung ist die europäische Zusammenarbeit nicht Feind unserer Souveränität und Unabhängigkeit; sie ist deren Voraussetzung. Herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Florian Hahn. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, würde ich Ihnen gerne die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der Wahlen vorlesen. Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des Grundgesetzes: abgegebene Stimmen 655, gültige Stimmen 655. Mit Ja haben gestimmt 562 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 60. Enthalten haben sich 33. Die Kollegin Andrea Lindholz hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 355 Jastimmen erreicht und ist damit als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt. Ergebnis der Wahl von zwei Mitgliedern des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung: abgegebene Stimmen 652. Patricia Lips hat erreicht 583 Jastimmen, 32 Neinstimmen und 33 Enthaltungen; ungültige Stimmen 4. Marcus Bühl hat erhalten 317 Jastimmen, 243 Neinstimmen, 80 Enthaltungen; 12 ungültige Stimmen. Mit der erforderlichen Mehrheit von 355 Jastimmen ist die Kollegin Patricia Lips in das Gremium gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung gewählt. Der Abgeordnete Marcus Bühl hat die erforderliche Mehrheit nicht erreicht. Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes (Bundesfinanzierungsgremium): abgegebene Stimmen 654. Auf Rüdiger Kruse entfielen 579 Jastimmen, 34 Neinstimmen, 37 Enthaltungen; 4 ungültige Stimmen. Es entfielen auf den Abgeordneten Swen Schulz 573 Jastimmen, 47 Neinstimmen, 25 Enthaltungen; 9 ungültige Stimmen. Albrecht Glaser hat erhalten 268 Jastimmen, 298 Neinstimmen, 76 Enthaltungen; ungültige Stimmen 12. Volker Münz hat erhalten 336 Jastimmen, 226 Neinstimmen, 83 Enthaltungen; 9 ungültige Stimmen. Mit der erforderlichen Mehrheit von 355 Jastimmen sind die Abgeordneten Rüdiger Kruse und Swen Schulz in das Gremium gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes gewählt. Die Abgeordneten Albrecht Glaser und Volker Münz haben die erforderliche Mehrheit nicht erreicht. Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes: abgegebene Stimmen 655, ungültige Stimmen keine, also gültige Stimmen 655. Mit Ja haben gestimmt 285 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 284 Kolleginnen und Kollegen, Enthaltungen 86. Der Abgeordnete Peter Boehringer hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 355 Jastimmen nicht erreicht und ist als Mitglied des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes nicht gewählt. Ergebnis der Wahl von zwei stellvertretenden Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes: abgegebene Stimmen 655. Auf Uwe Feiler entfielen 575 Jastimmen, 40 Neinstimmen, 38 Enthaltungen; 2 ungültige Stimmen. Auf die Kollegin Dr. Birgit Malsack-Winkemann entfielen 313 Jastimmen, 241 Neinstimmen, 97 Enthaltungen; 4 ungültige Stimmen. Mit der erforderlichen Mehrheit von 355 Stimmen ist der Abgeordnete Uwe Feiler gewählt. Die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann hat die erforderliche Mehrheit nicht erreicht. Es geht weiter in der Debatte. Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Bijan Djir-Sarai. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Außenminister für die neue Aufgabe alles Gute wünschen. Wir werden Ihre Arbeit, Herr Minister, selbstverständlich kritisch begleiten. In Anbetracht der Vielzahl an Krisen in der Welt und vor der Haustür Europas muss die Bundesregierung nicht nur diplomatisches Geschick beweisen, sondern auch eine klare Haltung zeigen. Dabei wünschen wir Ihnen, Herr Minister, viel Erfolg. Ich will an dieser Stelle – auch mit Blick auf Ihre Rede – einige außenpolitische Herausforderungen kurz erwähnen und kommentieren. Derzeit ist das Schweigen der Bundesregierung zur Lage in Nordsyrien ohrenbetäubend. Die türkische Armee ist mit deutschen Panzern in Afrin einmarschiert und hat die Region inzwischen völkerrechtswidrig besetzt. ({0}) Wurden die Rüstungsexporte an die Türkei deswegen gestoppt? – Nein! Gab es dazu jemals eine klare Haltung der Bundesregierung? – Nein! ({1}) Es heißt immer nur: Wir verurteilen das Verhalten der Türkei aufs Schärfste. – Oder: Das Verhalten der Türkei ist inakzeptabel. – Das ist, meine Damen und Herren, definitiv zu wenig. Hier muss die Bundesregierung eine glasklare Position beziehen. ({2}) Das gilt auch im Hinblick auf das russisch-syrische Vorgehen in Ost-Ghuta. Täglich sterben dort Hunderte Menschen. Zuletzt sind bei einem Bombenanschlag auf eine Schule viele Kinder ums Leben gekommen. Die Bundesregierung muss darauf hinwirken und dazu beitragen, dass Europa mit einer Stimme auf die Verbrechen in Syrien antwortet und eine gemeinsame Haltung entwickelt. Der Krieg in Syrien ist kein Bürgerkrieg mehr. Es ist ein Stellvertreterkrieg auf Kosten des syrischen Volkes. Dieses sinnlose Töten muss dringend beendet werden. ({3}) Auch im Umgang mit Russland muss Europa geschlossen auftreten. Im Rahmen der Präsidentschaftswahl hat die ganze Welt über Russland und die Politik in Russland gesprochen. Wir müssen in einem kritischen Dialog mit Russland bleiben, dessen Ziele vor allem die Rückkehr des Landes zum Völkerrecht und zur regelbasierten Politik sowie die Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens sein müssen. Wenn Russland seine jetzige Außenpolitik nicht ändert, sollten auch Sanktionen bestehen bleiben. Einen Fakt dürfen wir bei jeglicher Kritik an Russland aber nicht ignorieren: Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland. Ohne Russland keine nachhaltige Sicherheit in Europa. ({4}) Ein letzter wichtiger Punkt, den ich heute ansprechen möchte, sind die transatlantischen Beziehungen. Die Wahl von Präsident Trump hat viele politische Fragen aufgeworfen; das ist hier aber nicht mein Thema. Wichtig ist: Aus der veränderten amerikanischen Außenpolitik darf kein Nachteil für Europa und für Deutschland entstehen. Besonders in diesen Zeiten ist es wichtig, dass Deutschland sich zu einer starken transatlantischen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten bekennt. Unabhängig von der aktuellen politischen Lage: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind und bleiben der wichtigste Partner für Europa. Dies gilt nicht nur auf Handelsebene, sondern auch im Bereich der Sicherheit und im Rahmen der NATO-Partnerschaft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist Michael Brand. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inferno in Syrien, Krieg im Jemen, die Situation in der Ostukraine, humanitäre Krisen, Gewalt gegen Minderheiten, aktuell wieder gegen die Jesiden in den kurdischen Gebieten Syriens, gegen Muslime, gegen die Rohingya in Myanmar, gegen Christen weltweit, die massive Einschränkung von Religions- und Meinungsfreiheit, von bürgerlichen Rechten in der Türkei, in Russland, in China und anderswo. Wo soll man eigentlich zuerst hinschauen? – Die weltweit größte humanitäre Krise spielt sich seit Jahren vor den Augen der Welt im Jemen ab – seit über 1 000 Tagen mit Tausenden von Toten und Millionen von vertriebenen Menschen. Deutschland leistet viel Unterstützung im Jemen, aber auch anderswo. Viele, die bedroht sind, setzen ihre Hoffnung auf unser Land mit seiner großen Menschlichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu lange wurde auch bei uns ignoriert – die Bundeskanzlerin hat das heute in ihrer Regierungserklärung gesagt –, dass die Krisen der Welt sehr schnell vor unserer Haustür landen. Die Mittel für die humanitäre Hilfe wurden innerhalb der letzten fünf Jahre auf mittlerweile 1,7 Milliarden Euro aufgestockt. Eine andere Zahl lässt einem das Blut in den Adern gefrieren: Der Bedarf an humanitärer Hilfe hat sich seit dem Jahr 2000 von 2 Milliarden US-Dollar auf über 20 Milliarden US-Dollar mehr als verzehnfacht. Die Zahlen zeigen, dass es nie mehr Menschen auf diesem Planeten gab, die auf Hilfe zum Überleben angewiesen waren. Es waren vor über zehn Jahren über 30 Millionen Menschen, und heute sind es mehr als 125 Millionen Menschen. Über 65 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Das sind so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Hinter diesen nackten Zahlen verbergen sich das bittere Schicksal von Frauen, Männern und Kindern und ein Elend biblischen Ausmaßes. Herr Schmid hat die finanziellen Mittel und auch das, was uns in den Haushaltsberatungen bevorsteht, angesprochen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Trotz dieser enormen Anstrengung wird unser Einsatz nicht ausreichen. Das gilt erst recht für andere Länder. Deshalb will ich warnen: Die humanitäre Hilfe darf nicht zum Alibi der Staatengemeinschaft verkommen, Konflikte nicht zu lösen. Das ist nämlich die Aufgabe der internationalen Politik. ({0}) Wenn Menschen sich auf den Weg machen, dann hat das Gründe. Schon viel zu lange werden die Zustände in Syrien, Russland und der Türkei akzeptiert. Schauen wir in die Türkei: Was die Truppen Erdogans gerade in Syrien anrichten, ist eindeutig ein Bruch des Völkerrechts. ({1}) Dabei spielt es keine Rolle, wie lange sie dort sind und ob Erdogan die Drohung wahrmacht, auch woanders einzumarschieren. Im Übrigen: Ich habe aktuell mit Opfern, die jetzt gerade in Afrin sind, mit Jesiden, gesprochen. Sie sagen: Auch die YPG nimmt uns als Schutzschild, wir können nicht hinein und nicht hinaus. – Wir dürfen bei Menschenrechtsverletzungen nicht auf einem Auge blind sein. Wir müssen beides für die Opfer ansprechen. ({2}) Im Übrigen, Frau Hänsel: Ihre Rede wird Putin sehr gefallen haben. Wie krank ist das eigentlich, dass Sie die Frage zum Giftanschlag in Großbritannien an uns richten, dass Sie diese an uns, Deutschland, sowie Großbritannien und Frankreich adressieren? An Russland müssen Sie diese Frage adressieren. ({3}) Das ist doch eine völlig verkehrte Sicht, die Sie hier präsentieren. Die UN hat gestern einen Türkei-Bericht veröffentlicht und wirft der Erdogan-Regierung dramatische Verletzungen der Menschenrechte, die massive Einschränkung der Versammlungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit, die Verantwortung für willkürliche Festnahmen, Misshandlungen und Folter vor. Mitglieder – mal zuhören – des Sicherheitsapparates prügelten Gefangene, drohten mit sexueller Gewalt, vergewaltigten ihre Opfer und quälten Menschen mit Elektroschocks und dem sogenannten Waterboarding; das hat die UN gestern in ihrem Bericht veröffentlicht. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte berichtet sogar von Inhaftierungen von rund 100 schwangeren Frauen sowie von Müttern, die frisch entbunden haben. Die meisten Frauen sind im Übrigen aufgrund von Vorwürfen gegen ihre Männer in Haft. Vielfach wurden sie von ihren Kindern getrennt. Ich sage: Krasser geht es nicht! Es braucht Konsequenzen im Zusammenhang mit der Türkei. Es reicht nicht aus, zu sagen: Das ist ein Bruch des Völkerrechts. Der Europäische Rechnungshof hat in dieser Woche deutlich gemacht, dass die EU-Kommission mit den Geldern nicht ordentlich umgeht, dass Bedingungen nicht gestellt werden. Deshalb müssen wir bei den Heranführungshilfen – diesen Hebel versteht Erdogan – sehr deutlich machen, ({4}) dass wir das Geld nicht an die Regierung geben. Wir dürfen aber auch die Tür nicht zuschlagen und müssen gerade in dieser Phase die Zivilgesellschaft unterstützen. ({5}) Deswegen darf das Geld nur zielgerichtet in Projekte zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz, der Pressefreiheit und der Zivilgesellschaft gegeben werden. Ich will noch einen Punkt nennen. Es wäre sehr naiv, zu glauben, dass, wenn wir an diesen Punkten, die ich gerade genannt habe, zurückweichen, Afrin der letzte Fall sein wird. Vielmehr wird unsere Schwäche einladen. Ich will eine letzte Bemerkung zur Delegationsreise der AfD machen. Herr Weyel, Sie haben über die „Reisegruppe Damaskus“ nichts gesagt. Diese Bezeichnung hört sich plakativ an, aber das, was Sie sich dort geleistet haben, möchte ich ansprechen. Herr Gauland hat gesagt: Na ja, das ist ja eine Privatreise. – Das muss man sich einmal vor Augen halten. Eine Privatreise von Landtags- und Bundestagsabgeordneten nach Syrien! ({6}) Herr Baumann, Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, hat diese Reise heute im Innenausschuss verteidigt. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie nicht dahinter stehen würden! ({7}) Ich sage Ihnen: Wer, während in Syrien bombardiert wird, Giftgas eingesetzt wird ({8}) und Menschen abgeschlachtet werden, zu diesem Regime, zur Täterclique, fährt (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir fahren nicht zu dem Regime! Wir gucken uns das an! Ihr beschließt Dinge, die ihr gar nicht seht! und sich wie Schuljungen neben einen radikalen Großmufti lächelnd vor das Bild von Assad, das an der Wand hängt, stellt, –

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– zieht den guten Namen Deutschlands, unseres Landes, in den Dreck. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist weit überschritten. Sie müssen jetzt zu Ende kommen. Sprechen Sie bitte Ihren letzten Satz.

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich schließen: Ich freue mich – ich sage das für die CDU/CSU – im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Bundesaußenminister und mit dem wiedergekehrten Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Lassen Sie uns gemeinsam streiten für eine werteorientierte Politik, ({0}) für Menschenrechte, die universell gelten – nicht, wie Sie es gesagt haben, nur für die, die Ihnen passen. Menschenrechte gelten universell. Lassen Sie uns gemeinsam etwas daraus machen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will am Anfang etwas zur Bedeutung Malis sagen. Schaut man sich die geografische Lage und die Verbindungen, die Mali zu seinen Nachbarstaaten hat, an, wird relativ schnell deutlich, warum dieses Land so zentral für die Stabilität ist – nicht nur für die gesamte Sahelregion, sondern auch für uns und für unsere Nachbarschaft. Ich glaube, wir müssen in Zeiten einer zunehmend globalisierten, zusammenwachsenden Welt den Begriff „Nachbarschaft“ breiter definieren und diskutieren. ({0}) Ich will daran erinnern, warum wir heute überhaupt über die Operation MINUSMA miteinander diskutieren und am Ende der Debatte eine Entscheidung treffen werden. Mali, meine sehr verehrten Damen und Herren, stand 2012 kurz vor dem Kollaps. Islamistische Gruppierungen waren kurz davor, ihre Ziele zu erreichen und das Land und seine Regierung unter Kontrolle zu bringen. Es war eine Entscheidung von wenigen Tagen, vielleicht sogar von wenigen Stunden, wie Europa darauf reagieren würde. Ich will das an dieser Stelle noch einmal sagen: Ohne den beherzten Einsatz vor allem unserer französischen Freunde und die Bereitschaft der damaligen französischen Regierung, ein politisches Risiko einzugehen, wären Mali und seine Regierung in die Hand der Islamisten gefallen. ({1}) Das konnte verhindert werden. Es ist gut, dass diese Entscheidung damals so getroffen wurde. Ich will auch daran erinnern – das gerät manchmal ein bisschen in den Hintergrund –, dass das auf Bitten der malischen Übergangsregierung stattgefunden hat. Ich bin froh, dass die Bundesregierung diese Entscheidung damals unterstützt hat. ({2}) Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren – das darf ich Ihnen heute vortragen –, hat sich die Bundesregierung dafür entschieden, diesen Einsatz und die Unterstützung, die wir der malischen Regierung gewähren und die wir im Rahmen einer breiten internationalen Bemühung leisten, fortzusetzen. Wir tun das in dem vollen Bewusstsein der Verantwortung, die wir für Leib und Leben, für die Gesundheit unserer Soldatinnen und Soldaten haben. Denn – auch das muss man sagen – der Einsatz in Mali ist einer der gefährlichsten Einsätze, die die Bundeswehr zurzeit ausführt. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns die Zeit nehmen und miteinander eine ausführliche und angemessene Diskussion darüber führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will darauf hinweisen, dass wir es mit der Auseinandersetzung zwischen der malischen Regierung und den bewaffneten Rebellen zu tun haben.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel von der AfD?

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Bitte.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Staatsminister, könnte es sein, dass die Franzosen, die Sie gerade so lobend erwähnt haben, mit ihrem raschen Eingreifen einiges verhindert haben, aber dass das vielleicht mit Blick auf die Maghreb-Staaten, die durch die Lage in Mali bedroht sind, ein Eingreifen der Franzosen im nationalen Interesse war? Die Franzosen haben einfach eines gemacht: Sie haben ihre Interessen in Afrika wahrgenommen. ({0})

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Nein, ich glaube, die französische Regierung hat – ich habe darauf hingewiesen – eine Entscheidung getroffen in einer extremen Situation, von der jeder wusste, dass man, wenn man die Entwicklung laufen lassen würde, billigend in Kauf genommen hätte, dass dieses Land in die Hand der Islamisten gefallen wäre. Ich sehe auch überhaupt keinen Widerspruch darin, im Interesse Europas und auch im nationalen französischen Interesse zu handeln. Die französische Regierung hat sich unmittelbar nach dieser Entscheidung an die Verbündeten und Partner gewandt, unter anderem auch an die Bundesregierung. Insofern, glaube ich, muss man da keinen Widerspruch herstellen, wo es keinen Widerspruch gibt. ({0}) Ich will darauf hinweisen – das war der Punkt, an dem ich vorhin stehen geblieben bin –, dass es auch eine Verbindung zur organisierten Kriminalität gibt. Wir reden heute über Mali. Aber es ist wichtig, dass wir auch über die Stabilität im gesamten Sahelraum miteinander diskutieren und dass die Frage der ökonomischen Perspektiven für diese Region bei allen Debatten über die militärische Stabilisierung nicht in den Hintergrund gerät. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist entscheidend. Das ist auch entscheidend für die etwa 50 Nationen, die sich an dieser Operation beteiligen. Es gibt ein wichtiges Element, auf das ich ebenfalls hinweisen möchte: Es ist eine Operation, die nicht alleine durch Frankreich angestoßen und dann quasi von außen organisiert und geführt wurde. Es gibt einen Friedensprozess in Mali, es gibt ein Friedensabkommen. Das unterscheidet die Lage in diesem Land von vielen anderen Konflikten, über die wir hier im Deutschen Bundestag miteinander diskutiert haben. Das heißt: Wir haben eine Grundlage für unser Handeln. Insofern ist es wichtig, dass wir an dieser Stelle auch über das Problem der Perspektivlosigkeit, gerade der jungen Menschen, reden. In Mali haben etwa 300 000 Menschen keinen Zugang zum Bildungssystem und gehen nicht zur Schule. Wir kennen das aus anderen Konfliktregionen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist natürlich ein riesiges Potenzial für die Rekrutierung islamistischer Terroristen, aber auch für die organisierte Kriminalität. Gerade weil wir in Mali ein Friedensabkommen haben, ist es wichtig, dass wir auch darüber sprechen, was wir tun können, und darüber, was wir schon tun, um diesen Prozess zu unterstützen. Aber dies ist verbunden mit dem ernstgemeinten Appell an die Regierung in Mali, ihren eigenen Verpflichtungen nachzukommen und das Friedensabkommen entschlossen und entschieden umzusetzen. Das gilt für alle Konfliktparteien: Das gilt für die Regierung, das gilt für die Rebellen. Ich will schon sagen, dass wir an der einen oder anderen Stelle enttäuscht sind, weil es am politischen Willen fehlt. Es ist kompliziert, denn Mali ist ein großes Land mit einer komplexen politischen Landschaft bzw. Situation; das wissen wir alles. Aber am Ende kann die internationale Gemeinschaft über die Frage, ob Mali dauerhaft stabilisiert und zu einer friedlichen Lösung geführt werden kann, nicht für die Menschen und die Regierung in Mali entscheiden. Das müssen die politischen Akteure in Mali schon selber tun. Aber wir können das tun, was wir im Moment leisten: mit hochprofessionellen Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Einsatz tätig sind, aber auch mit den anderen Missionen, die wir dort unterstützen. Ich will daran erinnern: Es geht um Ausstattungshilfe, es geht um das Engagement im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Seit vielen Jahren können wir auch auf Partnerstrukturen zurückgreifen. Es gibt eine EU-Ausbildungs- und Polizeimission und vieles mehr. Trotzdem hat es in diesem Prozess – das muss man ganz offen ansprechen – in den letzten Jahren und Monaten auch Rückschläge gegeben. Es gibt Probleme, vor denen wir uns nicht drücken. Wir stellen uns diesen Problemen. Aber es geht darum, dass dieser Friedensvertrag, dieser vereinbarte Prozess von den Partnern, die ich schon angesprochen habe, zügig und vollständig umgesetzt wird, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Sicherheitssituation im Land insgesamt bleibt in weiten Teilen durchaus prekär. Die Entwaffnung und die Reintegration der Rebellen schreitet voran, aber aus meiner Sicht deutlich zu langsam. Auch dort müssen wir als internationale Gemeinschaft mehr tun. Aber es gibt eben auch wichtige Fortschritte, und ich will über diese Fortschritte reden, weil sie mit der Arbeit der deutschen Soldatinnen und Soldaten, der entsandten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NGOs zu tun haben, die sich in und für Mali engagieren. Diese Fortschritte sind es, die uns Mut machen, Ihnen heute zu empfehlen, dieses Mandat zu verlängern. Ich will einige Punkte nennen. Die überwiegende Mehrheit der Binnenvertriebenen ist inzwischen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Das sagt auch etwas darüber aus, dass sich die Räume der Sicherheit vergrößert und verbreitert haben. Die Zentralregierung und die bewaffneten Gruppen des Nordens halten sich in letzter Zeit überwiegend an den Friedensvertrag. Es gibt inzwischen sogar gemischte Patrouillen in Gao. Ich glaube, dass das ein gutes und ein mutmachendes Zeichen ist. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission – das möchte ich hier benennen – hat einen ganz zentralen Anteil an der Versöhnung, insbesondere mit Blick auf die Opfer, die wir in diesem Land zu beklagen haben. Auch das unterstützen wir. Mir ist es wichtig, dass wir als Bundesregierung politisch, aber auch dort, wo es mit anderen Möglichkeiten und finanziellen Ressourcen möglich ist, auch die schon angesprochene Zusammenarbeit der Staaten in der Sahelzone – Stichwort: Zusammenschluss der G 5 – unterstützen. Meine Damen und Herren, eine stabile und vertrauensvolle Zusammenarbeit, gerade auch in Sicherheitsfragen, ist in europäischem, aber auch in unserem nationalen Interesse. Ich will schließen mit einem Dank – ich will das noch einmal unterstreichen und wiederholen – an die Soldatinnen und Soldaten. Ich will auch daran erinnern, dass wir alle miteinander gemeinsam den Verlust von zwei Hubschrauberpiloten zu beklagen hatten, die bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommen sind. Ich denke, es ist der richtige Augenblick, in dieser Debatte auch an die Verluste zu denken. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Rüdiger Lucassen von der AfD. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Vor fünf Jahren stimmte der Bundestag zum ersten Mal für eine Beteiligung deutscher Soldaten an der Stabilisierungsmission in Mali. Seitdem wurde die Zahl der eingesetzten Soldaten immer wieder erhöht, und die Aufgaben wurden erweitert. Die Verteidigungsministerin vergleicht die Bundes­wehr gern mit einem Unternehmen, machte konsequenterweise auch eine Unternehmensberaterin zur Staatssekretärin. Mit dem Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz wollte es Frau von der Leyen bei der Personalwerbung sogar mit den großen DAX-Konzernen aufnehmen. Nun, Frau Ministerin, in einem DAX-Konzern gibt es jedes Jahr eine Hauptversammlung. Auf dieser Hauptversammlung müssen die CEOs – und das sind Sie dann in gewisser Weise – den Anteilseignern – das sind dann wir, das Parlament – Auskunft über den Gewinn der geschäftlichen Aktivitäten und Investitionen geben. Fünf Jahre investieren Sie nun schon in Mali. Höchste Zeit für eine Gewinnermittlung. Eine solche Gewinn­ermittlung – und sei es auch nur ein Zwischenstand – ist natürlich nur möglich, wenn es einen Business­plan gibt. Und den haben Sie für Mali nicht. ({0}) Natürlich ist die Bundeswehr kein Geschäft. Es verbietet sich, den Beruf des Soldaten mit anderen Berufen gleichzusetzen. ({1}) Einen Plan zur Erreichung der definierten Ziele brauchen Streitkräfte aber genauso wie ein erfolgreiches Unternehmen. Wie so etwas geht, können Sie sich in Norwegen abschauen. In einer detaillierten Aufarbeitung von Auslandseinsätzen im Auftrag der norwegischen Regierung heißt es unter dem Punkt „Strategische Prinzipien, Planung und Ansatz“ – ich zitiere –: Die Ziele für den Einsatz müssen klar definiert und dem Parlament und der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Das umfasst auch die eigenen Ziele, die wiederum internationale Ziele ersetzen oder ergänzen können. – Und weiter: Eine Exit-Strategie muss zwingend entwickelt werden. Ständige Abweichungen von den Missionszielen sind zu vermeiden. Die Bundesregierung hätte es für den Einsatz in Mali besser machen können. Es scheint einzig der Wille zu fehlen, aus den Erfahrungen zu lernen. Mali ist deswegen auf dem Weg zur nächsten Endlosgeschichte, wie Afghanistan. Das sollten Sie als Abgeordnete nicht zulassen. Prüfen Sie Ihr Gewissen, bevor Sie die Hand heben. Auch auf der operativen Ebene des Mali-Einsatzes liegt vieles im Argen. Ein Beispiel: Schon in drei Monaten will das Verteidigungsministerium die Hubschrauber des Typs Tiger und NH90 aus dem Einsatzgebiet abziehen. Die Kampfhubschrauber sollen durch Hubschrauber aus El Salvador ersetzt werden. Um Ersatz für die Transporthubschrauber hat man Jordanien gebeten. Die haben ihre Zusage allerdings zurückgezogen. Bisher ist noch kein Ersatz in Sicht. Ohne Transporthubschrauber jedoch bricht auch die lebenswichtige Rettungskette für unsere Soldaten weg. Damit würde sich der Einsatzradius auf 40 Kilometer um das Feldlager in Gao reduzieren. ({2}) Was soll dann noch erreicht werden? Ich fasse also zusammen: Dem Einsatz in Mali fehlt eine nationale Strategie und eine tragfähige Planung. Es fehlen Hubschrauber, die unsere Soldaten im Notfall evakuieren können, und es fehlt der Bundesregierung der Wille, die Mängel abzuschaffen. Die Fraktion der AfD lehnt den Einsatz in Mali daher ab. Wie ich allerdings vor drei Tagen in der „Bild am Sonntag“ lesen konnte, mangelt es dem deutschen Kontingentführer in Mali nicht an der Zeit, sich über die deutsche Innenpolitik Gedanken zu machen. In einem Interview mit der Zeitung sagte der Oberst wörtlich, er wollte sich „gar nicht ausmalen, was passiert, wenn Marie Le Pen in Frankreich, Wilders in Holland und die AfD in Deutschland noch mehr Prozentpunkte zulegen würden. „Man wolle doch nicht, dass sich die Zeiten der Weimarer Republik wiederholen“. ({3}) Abgesehen davon, dass sich der ranghöchste Soldat im Einsatzland auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren sollte, liegt hier ein klarer Verstoß gegen seine Pflicht zur politischen Neutralität vor. ({4}) – Nur für Sie: § 15 Soldatengesetz. – Ich gehe davon aus, Frau Ministerin, dass Sie diese Einschätzung teilen und entsprechend tätig werden. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Dazu kann die Ministerin gleich etwas sagen; denn sie ist die nächste Rednerin. – Frau Dr. von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Lucassen, was – erstens – unseren Kommandeur in Mali angeht: Er ist ein hervorragender Kommandeur und Soldat, der die Gelegenheit genutzt hat, als Staatsbürger in Uniform seine Meinung zu sagen. Ich kann nur sagen: guter Mann, hervorragend! ({0}) Zweitens. Ich war doch beeindruckt, dass Sie ungefähr die Hälfte Ihrer Redezeit benutzt haben, um Dinge zu analysieren – ich konnte gar nicht alles mitschreiben –: Sie haben vom CEO, von der Gewinnermittlung, vom Businessplan, von der Hauptversammlung, vom Plan für erfolgreiche Unternehmen gesprochen. ({1}) Herr Lucassen, dann haben Sie auch noch gesagt, das sei etwas, was ich gerne machen würde. Nein, Herr Lucassen, Sie sollten nicht von sich auf andere schließen. ({2}) Das, was Sie da eben vorgetragen haben, war eindeutig. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Recht reden wir heute Nachmittag und heute Abend viel über die Region, in der der Einsatz, über den wir hier debattieren, stattfindet. Ich möchte den sehr treffenden Analysen des Kollegen Niels Annen noch zwei Zahlen hinzufügen, die zeigen, wie wichtig es ist, dass wir in dieser Region Stabilität haben: Während das Durchschnittsalter in Europa 43 Jahre beträgt, beträgt das Durchschnittsalter in Mali und Niger gut 14 Jahre. Das heißt, es macht einen großen Unterschied, wie wir uns heute dort, in unserer Nachbarschaft, engagieren und welche Weichen wir heute stellen. Denn wir alle wissen, dass Gewalt und Extremismus vor allem dort florieren, wo Politik und Regierung versagen, wo sie untätig sind, wo sie ausgrenzen. Wir wissen, dass die Treiber der Hoffnungslosigkeit Armut und Korruption sind. Wenn es keine Perspektiven oder Zukunft gibt, wenn Gewalt und Extremismus an der Tagesordnung sind, dann bringt das diese jungen Menschen zur Verzweiflung. Es liegt auch an uns, die richtigen Weichen zu stellen, damit diese jungen Menschen in ihrer Heimat Perspektiven finden, Hoffnung schöpfen, Teilhabe erleben und Arbeit finden. Genau das ist das Ziel des gemeinsamen Engagements in Westafrika. ({3}) Dabei ist es wichtig, dass die Regierung mitmacht. Bei der malischen Regierung ist Luft nach oben, was die Aktivität und die Intensität angeht, den Friedensprozess umzusetzen. Wir brauchen mehr Diplomatie, wir brauchen Entwicklungszusammenarbeit, gerade im Hinblick auf die wirtschaftlichen Perspektiven, und wir brauchen militärischen Schutz. Eines dieser Instrumente ist die Mission MINUSMA der Vereinten Nationen. Auch hier gilt: Die Vereinten Nationen sind nur so stark, wie wir sie machen. Deshalb sind wir bereit, einen substanziellen Beitrag bei MINUSMA zu leisten. Wir haben den Staffelstab von den Niederländern übernommen, die diese Mission drei Jahre ganz entscheidend geprägt haben. 15 000 Soldatinnen und Soldaten sind insgesamt vor Ort im Einsatz. Die Niederlande waren der Dreh- und Angelpunkt der Hochtechnologie, die sie ins Land gebracht haben. Wir haben den Staffelstab übernommen. Seit November 2016 haben wir mit der Aufklärungsdrohne Heron 1 den ganzen großen Norden Malis überwacht. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, Herr Lindner, dass diese Drohne seit dieser Zeit unbestritten fliegt. Ich wünschte, gelegentlich würde auch einmal darüber berichtet. ({4}) Sie funktioniert. Ich kann den Soldatinnen und Soldaten nur meinen Respekt dafür aussprechen. Ja, wir decken die Rettungskette ab: über den MedEvac, den NH 90 und den Tiger. In der Tat trauern wir mit den Familien der Piloten, die bei dem schrecklichen Absturz im Sommer ums Leben gekommen sind. Das führt uns wieder vor Augen, dass dieser Einsatz ein gefährlicher ist und der Dienst eines Soldaten oder einer Soldatin kein Beruf wie jeder andere ist. Wir sind den Soldaten und Soldatinnen zu tiefstem Dank verpflichtet, dass sie bereit sind, ihr Leben und ihre Gesundheit für unsere Freiheit und für unsere Sicherheit einzusetzen. ({5}) Wir stellen die Rettungskette. Mein Dank und mein Gruß geht an dieser Stelle in Richtung Tribüne zum Inspekteur Sanität und den Kameraden, die bei ihm sitzen. Die Rettungskette – das höre ich immer wieder bei meinen Besuchen in Gao und in Niamey – ist nicht nur unglaublich wichtig für unsere Soldatinnen und Soldaten, sondern auch für die gesamte internationale Gemeinschaft vor Ort. Wir sind vor einem Dreivierteljahr mit Hubschraubern reingegangen. Weil wir bei den Niederländern erlebt haben, wie schwierig es ist, eine Ablösung zu finden, haben wir die Vereinten Nationen gebeten, in ein Rotationssystem überzugehen. Herr Lucassen, wenn Sie einigermaßen à jour wären und die Nachrichten, die unser Fach betreffen, verfolgt hätten, dann hätten Sie seit Montag wissen können, dass die Kanadier dankenswerterweise bei den Vereinten Nationen angezeigt haben, dass sie im August dieses Jahres mit Chinook und Griffon einspringen und dort für uns den Staffelstab übernehmen und weitertragen werden. Sie hätten sich besser informieren können. Das Parlament weiß es bereits. Wir sind dankbar und froh, dass uns die Kanadier an diesem Punkt ablösen. ({6}) Gleichzeitig haben sich einige wenige Anforderungen verändert. Wir werden von den Niederländern im Camp Castor in Gao, wie verabredet, die gesamte Lagerverantwortung übernehmen. Das heißt, wir werden Bereiche wie Kantine und Feldpost – eminent wichtig –, aber auch Schutzaufgaben übernehmen. Deshalb bitten wir, die Obergrenze des Mandats um 100 Soldatinnen und Soldaten anzuheben. Schließlich und endlich: Wir werden dieses Mal das Mandat um 13 Monate verlängern; ich bin sehr dankbar, dass dies im politischen Raum entsprechend aufgenommen worden ist. So werden wir im nächsten Jahr, im Mai 2019, alle die Einsätze, die in dieser Region von uns bestritten werden und die für uns politisch und strategisch wichtig sind, gemeinsam diskutieren können. Dabei geht es um die zivile EU-Mission EUCAP Sahel sowie um MINUSMA, aber es ist auch um die europäische Trainingsmission EUTM Mali und eine Vielzahl von Aktivitäten, die das BMZ dort im vernetzten Ansatz nach vorne bringt. Meine Damen und Herren, wir haben über ein Teilstück des vernetzten Ansatzes, MINUSMA, diskutiert. Ich bitte um die Unterstützung für dieses Mandat. Vielen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Ich darf ganz herzlich die deutsche U18-Rugby-Nationalmannschaft auf der Tribüne des Deutschen Bundestages begrüßen ({0}) und selbstverständlich auch die Soldaten der Bundeswehr. ({1}) So spät abends haben wir nicht so viele Besucher. Deshalb begrüße ich sie gerne. Der nächste Redner ist der Kollege Ulrich Lechte von der FDP. ({2})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Es freut auch mich ganz besonders, die U18-Rugby-Nationalmannschaft hier zu haben. Die Entscheidung über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der UNO-Mission in Mali ist keine leichte Entscheidung. Es handelt sich um einen der wichtigsten und gefährlichsten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Mit 155 getöteten Blauhelmsoldaten seit 2013 ist MINUSMA die derzeit verlustreichste UNO-Mission. Für Deutschland beklagen wir dabei den Verlust der zwei Besatzungsmitglieder des Tiger-Kampfhubschraubers, der im Juli 2017 abstürzte. Angesichts dieser Umstände muss der Einsatz sehr gut begründet sein. Das ist nach Auffassung der FDP-Fraktion der Fall. Im Januar 2013 stand das Land kurz davor, ein Failed State zu werden. Ein Bündnis aus Islamisten und Tuareg-Rebellen war im Begriff, die Hauptstadt Bamako zu erobern. Unsere französischen Partner konnten das durch ihr schnelles Eingreifen verhindern. Deutschland hat ab dem Frühjahr 2013 als Teil der internationalen Gemeinschaft seinen Beitrag zur Stabilisierung Malis geleistet. Seitdem gab es erhebliche Fortschritte. Die malischen Konfliktparteien haben 2015 ein Friedensabkommen geschlossen. Die Mehrzahl der Binnenflüchtlinge konnte in ihre Städte und Dörfer zurückkehren. Es gibt erkennbare Ergebnisse bei politischen Reformen zur Dezentralisierung und der Machtteilung mit den Regionen. Doch gibt es weiterhin viel zu tun. Beispielsweise gibt es die gemischten Patrouillen aus Angehörigen der Rebellengruppen und der malischen Armee, die im Friedensvertrag vorgesehen sind, bisher nur in Gao – eine Stadt, die unter anderem von unseren deutschen Soldaten geschützt wird. Die anderen Regionen hinken hinterher. Schleppend voran geht zudem die Entwaffnung und Wiedereingliederung der ehemaligen Kämpfer. Die Korruption hat Mali – wie in weiten Teilen Afrikas leider üblich – immer noch zu sehr im Griff. Die Regierung Malis hat noch einige schwierige Aufgaben vor sich. Zudem gibt es bei der Sicherheitslage leider einige Rückschläge. Die verbliebenen Gegner des Friedensprozesses arbeiten seit 2017 wesentlich enger zusammen. Im März 2017 erfolgte der Zusammenschluss mehrerer islamistischer Gruppen zur Terrorallianz JNIM. Seitdem nimmt die Zahl der Anschläge auf MINUSMA-Truppen zu. Die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft zur Stabilisierung Malis dürfen daher nicht nachlassen. Wir dürfen nicht erlauben, dass der internationale islamistische Terrorismus in dieser Region weiter Fuß fasst, sie destabilisiert und damit auch uns in Europa bedroht. ({0}) Es ist daher gut, zu sehen, mit welch breiter Unterstützung die internationale Gemeinschaft hinter diesem UNO-Mandat steht. An dieser Stelle möchte ich aber auch betonen, wie wichtig es ist, dass unsere Soldaten die nötige Unterstützung und vor allem Ausrüstung bekommen, damit sie diese schwierigen Aufgaben in Mali ausführen können. ({1}) Es war beschämend zu lesen, dass am 15. Februar dieses Jahres circa 150 Bundeswehrsoldaten auf dem Rückweg aus ihrem Einsatz in der Hauptstadt Bamako gestrandet waren. Eine Luftwaffenmaschine konnte sie wegen eines Defekts nicht abholen, beschämend deshalb, weil wir keine eigene Ersatzmaschine hatten – ein weiterer Beweis für die mangelhafte Ausrüstung der Bundeswehr und den dringenden Handlungsbedarf. Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin, fehlende Wintermäntel für Litauen, mangelhafter Diesel in Afghanistan, wüstenuntaugliche Geländewägen, keine Ersatzteile überall – diese Nachrichten zur Bundeswehr müssen endlich der Vergangenheit angehören. ({2}) Es muss Schluss sein mit Beschönigungen und politischer Verklärung. Wir brauchen unabhängige Kontrollen, die nicht von dem System abhängig sind, das sie kontrollieren. Die Probleme sind jahrzehntelang bekannt, die Lösungen auch. Wir fordern beherztes Handeln der zuständigen Ministerin und der Bundeswehrführung, damit unsere Zustimmung nächstes Mal leichter fällt. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten mehr als schuldig. Vielen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Danke. – Nächste Rednerin ist Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Die Bundesregierung beantragt heute, das Mandat für den Bundeswehreinsatz in Mali zu verlängern und aufzustocken. Mali gilt als gefährlichster unter den 16 Auslandseinsätzen. Auch wir trauern um die zwei Männer, die im letzten Jahr bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen sind. Demnächst sollen nach dem Willen der Bundesregierung in Mali bis zu 1 100 Soldaten und Soldatinnen stationiert werden. Weil wir hier im Bundestag verantwortlich sind, diesen Einsatz zu beschließen, sollten wir uns, wie ich finde, einigen kritischen Fragen stellen. Was macht denn die Bundeswehr eigentlich in Mali? In aller Kürze kann man sagen, dass die Mission MINUSMA das Chaos eindämmen soll, das die NATO mit ihrem militärischen Eingreifen in Libyen 2011 ausgelöst hat. ({0}) Damals war nach dem Sturz des libyschen Diktators Gaddafi die Sahelregion quasi mit Waffen und versprengten Milizen aus Libyen geflutet worden. Auch militante Islamisten breiteten sich aus, besonders im Norden Malis, und schließlich gab es eine brutale Militärintervention der früheren Kolonialmacht Frankreich. Man muss schon einmal sagen: Das geschah nicht nur aus Verbundenheit mit Mali, sondern auch aus Sorge um den Zugang zu den Uranminen im benachbarten Niger, die das Atomprogramm Frankreichs speisen. ({1}) Wir sehen hier einen Dominoeffekt: Der Westen greift irgendwo militärisch ein, um ein unliebsames Regime zu beseitigen, und wie die Dominosteine in einer langen Reihe fallen, so breiten sich der Konflikt, die Waffen, die Milizen und die Islamisten in der ganzen Region aus. Wie es jetzt gelingen soll, die Probleme, die durch den Einsatz eines falschen Mittels geschaffen wurden, durch noch mehr von demselben Mittel zu beseitigen, erschließt sich uns von der Linken nicht. ({2}) Die aktuelle Entwicklung – die Konflikte sind keineswegs mehr auf den Norden beschränkt, vielmehr kommt es immer häufiger auch in Zentralmali zu Anschlägen und Kämpfen – zeugt doch nicht gerade von der Wirksamkeit dieser militärischen Mittel. Eines sage ich Ihnen: Solange die Mehrheit der Bevölkerung in Armut und Perspektivlosigkeit leben muss, solange es keine wirklichen Fortschritte im politischen Friedensprozess gibt, werden auch noch so starke und noch so gut ausgerüstete Militärmissionen den Sahel nicht nachhaltig stabilisieren können. ({3}) Möglicherweise werden Sie noch ein paar weitere Dominosteine umwerfen, ohne zu wissen, wie viele andere damit auch umgeworfen werden. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Vogler, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der FDP?

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gerne, Herr Kollege.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Bitte sehr.

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Frau Kollegin Vogler, Sie gestatten, dass ich nachfrage, ob ich Sie richtig verstanden habe: Die Franzosen haben ja in Mali eingegriffen, weil man verhindern wollte, dass Islamisten und Rebellen vor Ort diesen Staat übernehmen können. Dieser Einsatz hat nicht, wie Sie gerade angedeutet haben, zu einer Destabilisierung des Staates geführt. Der Eingriff und der folgende Bundeswehreinsatz dienten ja gerade dazu, die malische Regierung zu stabilisieren. Das wurde bei Ihnen nicht deutlich.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, da haben Sie mich offensichtlich falsch verstanden oder hinsichtlich der Reihenfolge nicht genau aufgepasst. Ich habe gesagt: Auslöser war der Sturz Gaddafis in Libyen, verbunden mit einer Militärintervention des Westens. Dies hat dazu geführt hat, dass sich die versprengten Truppenteile mit Stämmen der Tuareg verbündet haben. Sie sind mit den ganzen schweren Waffen, mit denen sie ausgerüstet waren, nach Mali geflohen, weil sie aus Libyen verdrängt worden sind. Das war der erste Dominostein, der gefallen ist. Dieser Dominostein hat dann die Krise im Norden Malis ausgelöst. Dann haben die Franzosen interveniert. Das hat dann weitere Dominosteine zum Umfallen gebracht. Das können wir heute in Zentralmali und in den Nachbarländern beobachten. Ich sehe nicht, dass die Bundesregierung eine Antwort auf diese Krise, auf diese Fragen, auf diese Entwicklung hat. Im Grunde laufen wir der Entwicklung immer nur hinterher. – Danke. ({0}) Im Grunde kennt auch die Bundesregierung den Dominosteineffekt. Sie verweist in ihrer Mandatsbegründung auch auf Maßnahmen der humanitären Hilfe, der Konfliktbearbeitung, der Stabilisierung und der Entwicklungszusammenarbeit, die sie in Mali ebenfalls unterstützt. Aber so gut das alles auch ist – einige der Projekte finden wir richtig überzeugend –: Die Maßnahmen der Krisenprävention und Stabilisierung fördert die Bundesregierung mit 27 Millionen Euro, während der Bundeswehreinsatz das Zehnfache kostet. Es gibt natürlich auch nicht nur edle Motive für einen so großen, gefährlichen und teuren Militäreinsatz. Er ist für Deutschland und Frankreich auch das Testfeld für die Militarisierung der EU, auf die sowohl Merkel als auch Macron drängen. ({1}) Das bedeutet weitere Aufrüstung. Dazu sagen wir als Linke ganz klar Nein. ({2}) Investieren Sie die vielen Hundert Millionen Euro besser darin, allen Menschen auf diesem Planeten ein lebenswürdiges Leben und eine Perspektive für sich und ihre Familien zu geben. Bekämpfen Sie nicht die Flüchtenden – was ja dieser Militäreinsatz auch tut –, sondern die Ursachen, die die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Damit täten Sie nicht nur etwas für Stabilität und auch nicht nur in Mali, sondern Sie täten auch etwas für den Frieden. ({3}) Holen Sie, Frau von der Leyen, die Soldaten aus diesem gefährlichen Einsatz zurück! ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die Vereinten Nationen die Verantwortung für die Stabilisierung der Lage in Mali übernommen haben und mit großem Einsatz dort aktiv sind, ist gut. Man muss darauf hinweisen, dass es Frankreich war, das in einem Noteinsatz al-Qaida im nördlichen Maghreb und Ansar al-Din auf dem Vormarsch in den Süden Malis gestoppt hat. Frankreich hat gesagt: Wir wollen diesen Einsatz internationalisieren. Wir wollen, dass die Vereinten Nationen die Verantwortung übernehmen. Wir wollen, dass die Europäische Union dort mit uns gemeinsam Politik macht. – Ich glaube, es ist richtig, dass Deutschland Frankreich dabei intensiv unterstützt. ({0}) Meine Fraktion trägt deshalb diesen Einsatz der Bundeswehr mit. Man muss sich wirklich klarmachen, dass der islamistische Terror von al-Qaida im nördlichen Maghreb existiert. Das ist keine Fiktion; die Terroristen sind immer noch da und immer noch schlagkräftig. Es ist außerordentlich schwierig, dort Frieden zustande zu bringen. Die UNO hat das versucht. Es gibt ein Friedensabkommen. Es gibt aber schwere Rückschläge dabei. Wir müssen die Lage sehr ernsthaft analysieren und uns intensiv damit beschäftigen, diesen Friedensprozess wieder auf den Weg zu bringen. Aber das geht eben nur, wenn die UNO ihre Stabilisierungsmission fortsetzt. Denn die UNO ist die einzige Kraft, die alle Konfliktparteien zusammenbringen kann. Deswegen geht es darum, die UNO zu stärken und sie nicht, indem man ihr Kräfte entzieht, zu schwächen. ({1}) Aber zur Analyse der Situation gehört eben auch, dass man feststellen muss, dass sich die Lage in der Mitte und im Süden Malis in den letzten Jahren verschlechtert hat und dass es so nicht weitergehen darf. Es muss Druck auf die malische Regierung ausgeübt werden, damit endlich die inneren Reformen und der Kampf gegen die Korruption an die erste Stelle gesetzt werden. Dabei ist die Stärkung der malischen Zivilgesellschaft absolut zentral. Nur die malische Zivilgesellschaft kann und muss der Motor für die Durchsetzung der notwendigen Reformen sein. Das ist die politische Kraft, die wir stärken müssen. Das sind die politischen Aufgaben für deutsche und europäische Politik. Da muss man sehr deutlich sagen – das möchte ich auch ansprechen, Staatsminister Annen –: Ich glaube, dass wir unserem Partner Frankreich gegenüber deutlich machen müssen, dass man hier auf eine klare politische Akzentsetzung hinarbeiten muss. Die alten Eliten aus der Zeit von Françafrique haben abgewirtschaftet. Die Menschen im Land empfinden das auch so. Aber unsere französischen Freunde halten an diesen Eliten nach wie vor in einem politischen Ausmaß fest, das absolut kontraproduktiv ist. ({2}) Sosehr ich dafür eintrete, dass wir Frankreich unterstützen, und sosehr ich mich hier für eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit einsetze – deswegen tragen wir diesen Militäreinsatz mit; es ist gut, dass er von der deutschen Politik intensiv gestützt wird –, muss ich aber auch sagen: Wenn man die innenpolitische Situation in Mali nicht in Richtung eines Reformprozesses treiben kann, dann wird das politisch eine ganz schwierige Sache. Ich denke, Frankreich muss klargemacht werden, dass man diesen Prozess nicht so blockieren darf, wie er im Augenblick weiterhin blockiert wird. Zum Abschluss möchte ich noch eine Bemerkung zum Einsatz der Bundeswehr machen. Frau von der Leyen, ich habe genau zugehört. Sie haben gesagt, die Kanadier stellen jetzt Hubschrauber, wenn unsere Hubschrauber abgezogen werden. Ich hoffe, dass das in ausreichendem Maße nicht nur auf die MedEvacs, sondern auch auf die Kampfhubschrauber zutrifft. Das wäre gut; das ist auch meine Aufforderung an Sie. Das muss sichergestellt werden; denn sonst macht dieser Einsatz in den nächsten Monaten in der Tat nur wenig Sinn. Wir unterstützen diesen Einsatz. Danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Damit kommen wir mit dem Kollegen Thomas Erndl von der CDU/CSU zum letzten Redner in dieser Debatte. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Einsatz der Bundeswehr in Mali in Afrika: Was machen wir da? Muss das sein? – Das sind Fragen, die wir in der Diskussion mit Bürgern im Wahlkreis hören. Eine Antwort kann sein: Wir müssen für einigermaßen stabile Verhältnisse sorgen, damit sich nicht noch mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen. – Eine bessere Antwort ist: Afrika ist der Kontinent der Chancen, für Europa, für uns, und natürlich sollte er es in erster Linie für die Menschen vor Ort sein. Chancen und Perspektiven für junge Menschen können aber nicht in Kriegsgebieten, nicht im Chaos und nicht in Regionen ohne staatliche Strukturen entstehen, in Regionen, in denen Kinder nicht zur Schule gehen können. Deswegen ist es wichtig, dass die Regierung eine Verlängerung unseres Engagements in Mali im Rahmen von MINUSMA eingebracht hat. Unsere Bundeswehr ist bisher mit bis zu knapp 1 000 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Diese Zahl soll jetzt noch weiter erhöht werden. Zusammen mit der Ausbildungsmission der EU leisten unsere Soldaten dort einen hervorragenden Dienst. Ich habe anfangs die Frage von Bürgern wiedergegeben, was wir in Afrika machen. Dabei kann ich auch auf Bürger in meinem Wahlkreis verweisen, nämlich auf Staatsbürger in Uniform, die in den letzten Monaten ihren Dienst in Mali geleistet haben und Gott sei Dank alle wohlbehalten zurückgekehrt sind. Sie treten morgen zum Rückkehrerappell an, bei dem ich wegen der Generaldebatte und der Abstimmungen leider nicht dabei sein kann. Deshalb möchte ich an dieser Stelle meine Anerkennung und meinen größten Respekt ausdrücken und allen Soldaten hier auch einmal ausdrücklich Danke für ihren Dienst sagen. ({0}) Ich weiß, was es bedeutet, wenn man seine Frau bzw. seine Partnerin das letzte Mal umarmt, bevor es in den Einsatz geht. Auch ich habe als Soldat diese Erfahrung gemacht. Deshalb an dieser Stelle nochmals ein Dankeschön. Unsere Gedanken sind immer bei den Familien der Kameraden, die nicht mehr zurückgekehrt sind. Die Soldaten, mit denen ich gesprochen habe, bestätigen: Ohne die Friedensmission und ohne unseren Beitrag wäre die Lage in der Region weitaus schwieriger. – Sie bestätigen natürlich auch, dass es ein gefährlicher Einsatz ist – das müssen wir uns immer wieder ins Bewusstsein rufen – und dass die Fortschritte natürlich nicht immer sichtbar und sofort erkennbar sind. Es wird nicht jeden Tag irgendwo ein Brunnen gebaut und sofort sichtbar, dass es den Menschen besser geht. Hier sind natürlich die militärischen Führer gefordert, zu erklären, dass zum Beispiel viele mühsame Aufklärungsfahrten erst nach der Zusammensetzung der Informationen ein Gesamtbild liefern, das wertvoll und wichtig ist, um die Aufgaben bewältigen zu können. Für diese Aufgaben brauchen militärische Führer, Herr Kollege Lucassen, Rückhalt aus der Heimat und keine Kritik. Unsere Bundeswehr ist sehr professionell unterwegs; das will ich hier einmal darstellen. ({1}) Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitslage in Mali hat sich trotz der Anwesenheit der UN-Friedenstruppe insgesamt noch nicht so verbessert, wie wir uns das wünschen. Deshalb betone ich noch einmal: Ohne die intensive Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und ohne unsere Beteiligung an diesem Mandat sind der Schutz der Zivilbevölkerung und auch der Wiederaufbau nicht denkbar und nicht realisierbar. Frau Kollegin Vogler, ich habe die Geschichte mit den Dominosteinen nicht verstanden. Mir erschließt sich nicht, wie man mit den islamistischen Mörderbanden hätte umgehen sollen, ohne dass man eingegriffen hätte. Meine Damen und Herren, wir müssen für kleine Fortschritte dankbar sein, aber wir müssen realistische Erwartungen haben. Es geht am Schluss um Hilfe zur Selbsthilfe. Ohne MINUSMA, ohne die Präsenz der Vereinten Nationen und der Europäischen Union wird es keine friedliche Zukunft in Mali geben. Wir sind die Vereinten Nationen. Das ist unser Beitrag für die Zukunftsperspektive in Afrika. Daher unterstützen wir natürlich diesen Antrag der Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/1098 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? – Das ist so. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank, Herr Präsident. – Zu Beginn einer Legislaturperiode steht immer eine Bestandsaufnahme an. Im Bereich der Sicherheitslage fällt sie ernüchternd aus. Die Welt ist seit 2014 unberechenbarer und unsicherer geworden. Das wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern. Die Stichworte sind heute zuhauf gefallen: Terrorismus, Bürgerkriege, instabile Staaten an der Peripherie Europas, aber auch die provokative und teils offene Machtprojektion Russlands bis hin zu weitreichenden Raketen- und Waffenvernichtungswaffen in den Händen eines Mannes wie Kim Jong Un. Eines haben wir in den vergangenen Jahren aber gespürt: Europa kann sich dieser Weltlage nicht entziehen. Europa muss sich diesen Herausforderungen stellen: dem Terror, der Unsicherheit, den Cyberattacken, aber auch den subtilen Versuchen der Destabilisierung unserer Gesellschaften. Dabei ist Deutschlands Beitrag unverzichtbar. Uns leiten vier Maximen. Erstens: Glaubwürdigkeit. Ein Land von der Größe und von der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands muss den Anspruch haben, auch am scharfen Ende Verantwortung zu übernehmen, dort, wo es Krisen und Konflikte gibt, wo es keine schönen Bilder mehr gibt, wo es kein Lob und keinen Applaus mehr gibt. Aber wir müssen uns nach Kräften einsetzen, für die eigene Sicherheit, die eigenen Werte und auch die eigenen Interessen, wobei wir dabei auch unsere Grenzen kennen. Die Grenzen bedeuten nämlich, dass wir nie alleine unterwegs sind, sondern immer nur in Bündnissen. Aber wir stehen fest an der Seite unserer Partner, auch wenn es schwierig und gefährlich wird, sei es in Mali, in Afghanistan oder im Kampf gegen den IS. Zweitens: Verlässlichkeit. Wir stehen selbstverständlich ohne Wenn und Aber zu unseren Verpflichtungen und Zusagen in den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und auch in der NATO. ({0}) Wir dürfen nicht vergessen: Das sind die Bündnisse, denen Deutschland mehr als 70 Jahre Frieden, Freiheit und Wohlstand verdankt. Deswegen gehört für mich zur Verlässlichkeit dazu, dass für Deutschland auch bei schwierigen Debatten, etwa wenn es um unser Verhältnis zu Russland geht, jederzeit und bei aller Bereitschaft zum Dialog, die wir haben, klar ist, wo wir stehen, auf welcher Seite des Tisches wir sitzen. Wir sind auf der Seite der offenen und der freiheitlichen Gesellschaften des Westens, in denen die Meinungsfreiheit respektiert wird, Bürgerrechte herrschen und die internationalen Regeln des Völkerrechtes beachtet werden. ({1}) Drittens. Wir wollen transatlantisch bleiben, aber wir wollen auch europäischer werden. Ja, Europa muss mehr Verantwortung übernehmen. Denn es ist völlig klar, dass niemand für uns unsere eigenen Probleme wegräumen wird. Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir auf einem gewachsenen Fundament aufbauen, das die freien, demokratischen Gesellschaften Europas und Nordamerikas verbindet. Dieses gilt es zu stärken und immer wieder unermüdlich auch zu erneuern, allen Differenzen zum Trotz. Denn gerade in einer multipolaren Welt, in der die autokratischen Gegenentwürfe jeden Tag unsere demokratischen Errungenschaften herausfordern, wäre es fatal, wenn wir dieses Fundament infrage stellen würden. Deshalb bleibt die Wertegemeinschaft der NATO unverzichtbarer Anker unserer Sicherheit. Der NATO gehören 29 Länder an; aber von denen sind 22 europäische Länder. Das heißt, es ist ein ganz starker europäischer Kern, für den wir uns auch weiterhin mit großer Kraft im Bündnis engagieren und den wir verteidigen werden. Zugleich wollen wir aber mit aller Energie daran arbeiten, dass Europa auch in Fragen der Sicherheit und Verteidigung eigenständiger und handlungsfähiger wird. Wir haben deshalb in den vergangenen zwei Jahren zusammen mit Frankreich viel bewegt. Wir haben die europäische Verteidigungsunion aus der Taufe gehoben. Das war ein historischer Schritt. Jetzt gilt es, das mit Leben zu füllen und ganz pragmatisch die Zusammenarbeit weiter nach vorne zu bringen. Wir wollen kräftig daran arbeiten, dass wir das Ziel einer Armee der Europäer weiter nach vorne bringen, womit wir ja bereits begonnen haben. Das sieht man ja daran, wie eng wir mit den Niederländern und den Franzosen zusammenarbeiten. Dieses weiterzuentwickeln, das ist unser gemeinsames Ziel. ({2}) Die vierte Maxime ist: Sicherheit ist mehr als körperliche Sicherheit. Es ist umfassende Sicherheit. Nur der kluge Mix der Instrumente von der Diplomatie über die Entwicklungszusammenarbeit bis hin zum Einsatz militärischer Mittel bringt nachhaltigen Erfolg. Das heißt auch, dass wir unsere militärischen Mittel klug und sinnvoll nutzen, ob es im Einsatz sei oder auch zur Ertüchtigung von Partnern in Krisenregionen, damit diese vor Ort auch selbstständiger ihre eigene Sicherheit verteidigen können. Dabei ist und bleibt die Bundeswehr unverzichtbarer Teil unserer Sicherheitspolitik. Die Soldatinnen und Soldaten sind gefordert wie selten zuvor, und sie leisten ihren Dienst für unser Land hier in der Heimat, aber auch in anderen Ländern der Welt mit bewundernswertem Engagement und mit großem Erfolg und hoher internationaler Anerkennung, trotz aller Anstrengungen, trotz aller Entbehrungen und Gefahren. Dafür zollen wir ihnen Respekt und Anerkennung. Vor allem aber sind wir ihnen aus vollstem Herzen dafür dankbar. ({3}) Aber ich will auch sehr deutlich sagen: Das ist von unserer Seite nicht genug. Das ist das Mindeste, aber es ist nicht genug. Denn die Bundeswehr agiert in einem breiten Spektrum von Einsätzen auf drei Erdteilen und zwei Weltmeeren: Afrika, Mittelmeer, Balkan, Indischer Ozean, Irak bis hin nach Afghanistan. Das ist die große Palette der einsatzgleichen Verpflichtungen im Rahmen der Bündnisverteidigung. Das sind eben nicht nur die regelmäßige Teilnahme am Air Policing im Baltikum oder unser Schutz in Litauen, sondern das sind auch die vielen bündnisgemeinsamen Übungen überall in Europa, die sich allein in den letzten zwei Jahren in der Anzahl und Intensität verdoppelt haben. Zurzeit sind knapp 18 000 Soldatinnen und Soldaten gebunden, alleine ungefähr 10 000 in der Bündnis- und Landesverteidigung und etwa 3 500 in den mandatierten Einsätzen. Die Vielfalt der Aufgaben verlangt von der Bundeswehr, eine enorm breite Palette an Fähigkeiten vorzuhalten, sodass wir sehr flexibel reagieren und uns mit großem Tempo auf die unterschiedlichen Herausforderungen einstellen können. Wir werden diese Aufträge erfüllen. Aber zur ganzen Geschichte gehört auch, dass wir nicht verkennen dürfen, woher die Bundeswehr kommt. Natürlich war die Verkleinerung der Armee der Einheit nach der Wiedervereinigung und am Ende des Kalten Krieges richtig und geboten. Aber das lief alles unter dem Eindruck – der damals auch richtig war –, dass es um uns herum immer friedlicher wird. Das Stichwort „Friedensdividende“ kennen wir alle. Spätestens aber seit der Finanzkrise im Jahr 2008 und in den fortfolgenden Jahren gingen die Kürzungen und die Reduzierung der Bundeswehr an die Substanz, sozusagen unter die Grasnarbe. Eine solche Entwicklung hat übrigens alle europäischen Streitkräfte betroffen, nicht nur die Bundeswehr. Das heißt, aus der Not sind hohle Strukturen entstanden, mit denen wir noch heute zu kämpfen haben. Wir hatten Panzerbataillone ohne Panzer. Gerät wurde quasi kannibalisiert, damit Ersatzteile zur Verfügung stehen. Es wurde in Massen weggegeben; das passiert bis heute. Obergrenzen für das Material und das Personal wurden eingezogen, keine Obergrenzen, die man von unten nicht überschreiten darf, sondern starre Obergrenzen, auf die man von oben herunterschrumpfen muss, und zwar möglichst bis unterhalb dieser Grenzen. Dann kamen 2014 die Annexion der Krim durch Russland, der Siegeszug des IS und die Destabilisierung Afrikas. Damals wurde klar, dass wir nicht nur in Krisen- und Konfliktmanagement mehr gefordert sind, sondern auch in der Landes- und Bündnisverteidigung und gleichzeitig die Modernisierung schaffen müssen. Deshalb haben wir umgesteuert. Die Bundeswehr wächst wieder. Wir haben von Anfang an Transparenz geschaffen. Wir haben die Probleme der Bundeswehr offengelegt, damit wir systematisch, Schritt für Schritt, wieder wachsen können. Wir haben mit dem Weißbuch eine gemeinsame strategische Grundlage gelegt, auf der wir die Trendwenden bei Material, Personal und Finanzen herbeigeführt haben. Wir haben die große Phase der Trendwenden begonnen. Aber jetzt beginnt die Zeit der Umsetzung. Wir müssen stetig dabeibleiben. Was 25 Jahre lang gekürzt wurde, holt man nicht in zwei Jahren nach. Keine einzige große Organisation würde es schaffen, in zwei bis drei Jahren sich strategisch neu auszurichten, ihre Personalstrategie komplett umzustellen, ihren Materialbestand im Wert von über 200 Milliarden Euro in weiten Teilen zu erneuern oder zu modernisieren und weiterhin auf hohem Niveau bei der Digitalisierung nach vorne zu schreiten. Das heißt, die Richtung stimmt, in die wir uns bewegen. Aber das Ganze braucht Geduld, es braucht Zeit, und es braucht vor allen Dingen auch Geld. Wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein wollen. Aber bei den 53 Hauptwaffensystemen, die allein auf eine Bestandsgröße von über 5 000 Stück kommen, liegt inzwischen die mittlere Einsatzbereitschaft bei 70 Prozent. Gelegentlich wird die Frage gestellt, ob man nicht mit der Beendigung der Auslandseinsätze auf einen Schlag die Einsatzbereitschaft verbessern könnte. Das ist absoluter Unsinn. Es sind nicht die Einsätze, die uns belasten, sondern es ist vor allem die Landes- und Bündnisverteidigung, der in der Vergangenheit nicht genügend Beachtung geschenkt wurde, weil es immer friedlicher wurde. Die Landes- und Bündnisverteidigung sowie die großen Übungen, die angesetzt sind, stellen eine große Belastung für die Truppe und das Material dar. Das heißt, ein Ende aller Einsätze wäre überhaupt kein Befreiungsschlag. Im Gegenteil: Es wäre eine Gefahr für unsere Sicherheit und die europäische Sicherheit. Es wäre zudem politisch verheerend. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Ministerin, Sie müssen zum Ende kommen. Ich kann Sie nicht daran hindern, weiterzureden. Aber ich muss dann die Zeit bei Ihren Kollegen abziehen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich muss dennoch sagen, dass mir in dieser Legislaturperiode sechs Punkte wichtig sind. Erstens. Wir wollen den Weißbuchprozess weiter ausdifferenzieren. Wir werden jetzt die Konzeption für die Bundeswehr vorlegen. Wir werden das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr daran ausrichten. Zweitens. Wir werden das Rüstungswesen weiter modernisieren. Das bedeutet die Umsetzung der Überjährigkeit im Finanzwesen, die Verbesserung des Vergaberechts und die Untersuchung der Beschaffungsorganisation im BAAINBw. Dieses Bundesamt leistet hervorragende Arbeit. Aber es ist an seiner Grenze angekommen. Es braucht mehr Ressourcen und neue, flexiblere Instrumente. Drittens wird die Agenda „Nutzung“ Fahrt aufnehmen, damit wir die materielle Einsatzbereitschaft nachhaltig erhöhen. Viertens wollen wir Chancen der Digitalisierung für die Bundeswehr nutzen. Die Digitalisierung ist auch für uns das Megathema in dieser Legislaturperiode. Wir werden fünftens die Trendwende beim Personal vorantreiben. Wir müssen uns als moderner Arbeitgeber weiter verbessern. Wir haben die richtigen Schritte in der Agenda „Attraktivität“ gemacht. Aber jetzt geht es in die zweite Runde. Wir werden ein Gesetzespaket schnüren. Dabei geht es um die Zulagen sowie die Gehalts- und Besoldungsstrukturen, eine verbesserte soziale Absicherung und ein flexibleres Dienstrecht. Sechstens. Wir wollen die Trendwenden durch die Agenda „Ausbildung“ ergänzen. Der Militärische Führungsrat hat zu Recht gesagt: Insbesondere die Ausbildung im Heer muss aus der Zentralisierung herausgenommen und in die Truppe zurückverlegt werden, damit sie lebensnah, persönlicher und praxistauglicher wird. Schlussendlich bleibt aber die entscheidende Frage: Was ist uns das alles wert? Meine Antwort lautet: Es wird mehr werden müssen. Der 51. Finanzplan ist eine tragfähige Ausgangsbasis, nicht mehr und nicht weniger. Deswegen ist es gut, dass der Koalitionsvertrag wichtige weitere Aussagen trifft, nachdem der Verteidigungshaushalt zusammen mit den Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Krisenprävention weiter gestärkt werden kann. Das ist dringend nötig für alle drei Ressorts. Es geht damit los, dass weder die ODA-Quote noch die NATO-Quote sinken dürfen. Wir wollen die ODA-Quote mit 0,7 Prozent erreichen. Wir werden uns im NATO-Zielkorridor aufwärtsbewegen. Das sind alles trockene Zahlen. Dahinter steht aber: Wenn unsere Soldatinnen und Soldaten, diese Männer und Frauen, für uns den Kopf hinhalten, bereit sind, ihre Gesundheit und ihr Leben für uns einzusetzen, dann haben sie nicht nur unseren Dank und unsere Anerkennung verdient – das haben sie auch –, dann haben sie vor allem verdient, dass sie bestmöglich ausgerüstet und ausgestattet werden. Vielen Dank. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die AfD ist Rüdiger Lucassen. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat seit 1990 eine lange Reise hinter sich. Die Steuerleute – acht Verteidigungsminister, sechs von der CDU bzw. CSU – wussten auf dieser Reise meist weder, wo sie waren, noch, wohin sie wollten. Nach der deutschen Wiedervereinigung und der Niederlage des Ostblocks begann für uns Deutsche eine Zeit des Ausatmens. Der Druck der Konfrontation fiel von uns ab. Die innerdeutsche Grenze war weg. Die Sowjetunion war weg. Sicherheitspolitik wurde zur Friedenspolitik. Wozu noch tapfer sein? X Reformen haben unsere Streitkräfte seitdem über sich ergehen lassen müssen. Im Kern liefen alle auf das Gleiche hinaus: Es wurde gestrichen, geschlossen, privatisiert und aufgelöst. Sicherheitspolitisch gipfelte diese Reformwut in der Entscheidung des Sozialdemokraten Struck, der die Landes- und Bündnisverteidigung an die dritte Stelle der Aufgaben unserer Bundeswehr rückte. Das war fahrlässig und mit Blick auf das Grundgesetz unverantwortlich. Heute, im Jahr 2018, stellen wir fest, dass wir zu lange ausgeatmet haben. Der Krieg als Mittel der Politik ist nicht verschwunden. Ganz im Gegenteil, die Welt ist gefährlicher geworden, weil sie unberechenbarer ist. Hinzu kommt: An der Peripherie Europas sind die brutalen, aber eben auch verlässlichen Machthaber verjagt worden. An ihre Stelle ist nicht der Frühling, sondern das Chaos getreten. Und was macht die Bundesregierung? Sie starrt paralysiert auf das Trümmerfeld und schiebt die Verantwortung auf die dysfunktionale EU ab. ({0}) – Oh Gott. – Deutschland muss anfangen, zu handeln, und sollte nicht moderieren. ({1}) Was ist zu tun? Erstens. Wir brauchen eine nationale Sicherheitsstrategie. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien und das Weißbuch sind eine Diskussionsgrundlage – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Eine Strategie muss Ziele und Aufgaben klar definieren. Sie muss die sicherheitspolitischen Forderungen des Landes klar formulieren, damit Streitkräfte und Politik wissen, was sie zu tun haben. Zweitens. Die Bundeswehr muss entsprechend ihrer heutigen Organisationsstruktur voll ausgerüstet werden. Zurzeit verfügt sie nur über 70 Prozent des Geräts. Von diesen 70 Prozent fährt, fliegt und schwimmt wiederum nur ein Bruchteil. Eine Panzerbrigade, die über acht einsatzbereite Panzer verfügt, ist nicht länger hinnehmbar. ({2}) Ein neues Transportflugzeug, dessen Auslieferung 139 Monate Verzug hat, ist nicht länger hinnehmbar. 139 Monate, das sind über elf Jahre. ({3}) Drittens. Die Rüstungsbeschaffung muss neu organisiert werden. ({4}) Die deutsche wehrtechnische Industrie muss die Rahmenbedingungen bekommen, um Schlüsseltechnologien und Kernfähigkeiten national vorhalten zu können. ({5}) Kooperationen mit Partnerstaaten sind willkommen, wenn sie im Zeitplan liegen; wenn nicht, müssen Ausrüstungslücken zukünftig durch Käufe am freien Markt geschlossen werden. ({6}) Viertens. Wir brauchen die allgemeine Wehrpflicht zurück. ({7}) Die Aufgabe dieser konservativen Grundposition war ein Fehler, der zu den heutigen Personalproblemen in der Bundeswehr geführt hat. Zudem brauchen wir ein Reservistenkonzept, das trainierte Kräfte für Aufgaben im Rahmen der Amtshilfe im Inland bereitstellt. ({8}) Ein solches Reservistenkorps sollte sich an der amerikanischen Nationalgarde orientieren. ({9}) Fünftens. Auslandseinsätze müssen sich künftig ausschließlich am nationalen Interesse orientieren. ({10}) Nur auf Basis einer klaren Definition des eigenen Interesses kann den entsendeten Soldaten auch eine klare Strategie an die Hand gegeben werden. Zur Verdeutlichung: Frieden in der Welt ist ein Wunsch, aber keine Strategie. Zudem sollten wir unsere Kräfte in Zukunft bündeln und auf wenige Einsatzgebiete konzentrieren. Jeder Einsatz bindet das Drei- bis Fünffache an Führungs- und Unterstützungspersonal. In Zukunft sollten wir uns in Abstimmung mit unseren Partnern in weniger Einsätzen engagieren, dafür aber mit mehr Verantwortung. Warum brauchen wir eine Neuordnung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik? ({11}) – Ja. Erstens. Die Bundesrepublik ist Mitglied in der NATO. Das Bündnis ist das sicherheitspolitische Rückgrat des deutschen Staates. Allein durch seine Mitgliedschaft hat sich Deutschland verpflichtet, in diesem Bündnis einen angemessenen Beitrag zu leisten. Auf dem Gipfel von Wales 2014 wurde dieser Beitrag konkret beziffert. Er beträgt 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Verträge sind einzuhalten. ({12}) Ich fordere von der Bundesregierung einen klaren Fahrplan zur Umsetzung des 2-Prozent-Ziels von Wales. ({13}) – Warum nicht? – Wenn die Regierung diese Vereinbarung nicht umsetzen will, soll sie es offen sagen. In dem Fall muss sie dem Parlament und den Bündnispartnern eine Alternative bieten. Zweitens. Unsere Verfassung verpflichtet die Bundesregierung, Streitkräfte vorzuhalten, die die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland sicherstellen können. Eine Auslagerung dieser Fähigkeiten auf ein nicht existentes europäisches Verteidigungskonzept ist nicht zulässig. ({14}) Eine Armee der Europäer ist nicht nur eine Schimäre; sie ist auch grundgesetzwidrig. ({15}) Zudem zeigt keiner unserer potenten Partner ernsthafte Absichten, die eigene Verteidigung in gemeinschaftliche Hände zu legen. Wenn wir die Einzigen sind, die das wollen, ist es eine Sackgasse. Der dritte und wichtigste Grund ist jedoch folgender: Die Verantwortung für unser Land und unser Volk gebietet es, möglichen Gefahren – und mögen sie noch so unwahrscheinlich sein – verantwortungsvoll entgegenzutreten. Die Risikobewertung in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unterscheidet sich dabei wesentlich von der in anderen Politikfeldern. Mag das Risiko eines bewaffneten Konfliktes auf Landes- und Bündnisgebiet auch noch so gering sein: Wenn es passiert, dann steht unter Umständen die Existenz des Staates auf dem Spiel. Es gibt dann keinen zweiten Versuch, es besser zu machen. Meine Damen und Herren, die Friedensdividende ist längst aufgebraucht. Der Umbruch der Welt hat schon lange begonnen. Alte Gewissheiten erodieren. Wir müssen unser Land in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik so aufstellen, dass es für stürmische Zeiten gerüstet ist. Der Grundsatz muss lauten: Deutschland ist für seine Verteidigung selbst verantwortlich. Allein auf dieser Grundlage werden wir wieder ein verlässlicher und ernstgenommener Partner im Bündnis. Danke. ({16})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist Fritz Felgentreu für die SPD. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, auch die Debatte heute macht uns deutlich: Der Sicherheits- und Verteidigungspolitik kommt in unseren Tagen eine neue Bedeutung zu. Ich sage das ohne jede Genugtuung; denn Zeiten, in denen wir intensiv über Sicherheit und Verteidigung reden müssen, sind keine guten Zeiten für Europa und die Welt. Umso mehr verbinde ich meinen Dank für Ihre Worte, Frau Dr. von der Leyen, mit der Bitte und mit der Erwartung an die Bundeskanzlerin, dass auch sie frühzeitig in ihrer neuen Amtsperiode an diesem Pult in einer eigens dafür bestimmten Regierungserklärung ihre Position zur Sicherheitslage der Bundesrepublik darlegt und zur Diskussion stellt. Die Formulierung unserer Verteidigungspolitik ist zu einer Führungsaufgabe geworden, um die das Kanzleramt nicht länger einen Bogen machen darf. ({0}) Meine Damen und Herren, aus Sicht der SPD-Fraktion muss der Ausblick auf die Aufgaben, die die Koalition in der 19. Legislaturperiode zu bewältigen hat, drei zentrale Begriffe ins Auge fassen: Vertrauen, Einsatzbereitschaft und strategische Geduld. Sie hängen eng miteinander zusammen. Wir müssen nüchtern feststellen, dass wir es mit einer Vertrauenskrise zu tun haben. Das Vertrauen der Bevölkerung in die deutsche Verteidigungspolitik und in die Bundeswehr ist geschwächt. Wer unseren Soldatinnen und Soldaten zuhört, wird sich der Einsicht nicht verschließen, dass auch das Vertrauen der Truppe in die Politik erschüttert ist. Ganz unterschiedliche Faktoren haben dazu beigetragen. Ohne zu tief in die Ursachenforschung einzusteigen, sei hier an erster Stelle auf eine jahrzehntelange Politik der Einsparungen verwiesen, die sich jetzt mit gestiegenen Anforderungen und Erwartungen überschneidet. Die Folgen nicht nur für technisch anspruchsvolle Waffensysteme sind gravierend. Im dienstlichen Alltag führt es nicht nur zu Enttäuschung und Ärger, wenn Fahrzeuge, Hubschrauber, Flugzeuge oder U-Boote für Ausbildung und Übung fehlen, sondern es sind auch die scheinbar kleinen Dinge, die Vertrauen aushöhlen: der verzögerte Rückflug aus dem Einsatz, die unzweckmäßige Schutzweste, das Nachtsichtgerät, das das eigene Bataillon abgeben muss, damit ein anderes seinen Auftrag erfüllen kann. Wollen wir wirklich weiter hinnehmen, dass Soldaten sich ständig ihre Ausrüstung für den Gefechtsdienst privat anschaffen? Beim Personal hat auch die Arbeitszeitverordnung vorhandene Ressourcen weiter verknappt. Neben die vielen als unnötig und ungerechtfertigt empfundenen Belastungen, mit denen sich die Truppe im Alltag herumschlägt, trat in den letzten anderthalb Jahren eine öffentliche Debatte über den Geist der Bundeswehr, die viele Soldatinnen und Soldaten als einen kränkenden Generalverdacht erlebt haben. Das war umso schmerzlicher, weil sich dieser auch auf die Kommunikation der politischen Führungsebene stützen konnte. Dabei muss uns doch allen klar sein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die perfekte Armee kann und wird es nicht geben. Aber die Bundeswehr ist nach wie vor eine sehr gute Armee, zu deren Stärken es gehört, dass sie den Blick vor Schwächen nicht verschließt, sondern daraus lernt. Auch dafür muss übrigens die politische und die militärische Führung das Vorbild sein. An dieser Stelle möchte ich den Angehörigen des, wie wir heute wissen, im vergangenen Jahr durch Fehler in der Ausbildung in Munster zu Tode gekommenen Soldaten im Namen meiner Fraktion unser Beileid und seinen geschädigten Kameraden unsere Solidarität und unser Mitgefühl aussprechen. Ich versichere allen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr: Die Abgeordneten dieser Volksvertretung haben eine klare Vorstellung davon, was Sie jeden Tag leisten. Ihr Beruf ist nicht wie jeder andere. Und wir wissen, was wir Ihnen auch immer wieder zumuten. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir unsere Anforderungen erst nach sorgfältiger Abwägung an sie richten und dass sie zur Erfüllung ihres Auftrages nicht nur das notwendige Gerät, sondern auch ausreichend Personal in allen Verwendungen und moralischen Rückhalt von uns bekommen. ({1}) Wo das bisher noch nicht gelingt, wird sich die Bundesregierung daran messen lassen müssen, wie effektiv sie Defizite überwindet. Sie haben dabei unsere volle Unterstützung, Frau Ministerin. Das entscheidende Qualitätskriterium unserer parlamentarischen Arbeit im Bereich der Verteidigungspolitik wird also die Steigerung der Einsatzbereitschaft sein. Die Koalition hat sich viel vorgenommen, um dieses Ziel zu erreichen. Geld spielt dabei selbstverständlich eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle. Weniger Bürokratie und bessere Verfahren gehören dazu. Die Debatte über das 2-Prozent-Ziel der NATO ist insgesamt zu akademisch. Deutschland muss sich in einem angemessenen Verhältnis zu seiner Größe und seiner wirtschaftlichen Kraft an den Anstrengungen der NATO und der Europäischen Union beteiligen; das ist unstrittig. Auch das hat etwas mit Vertrauen zu tun – und im Falle der EU auch mit dem Nutzen von Chancen, die aus der Einsicht erwachsen, dass Europa mehr für die eigene Sicherheit tun muss. Wie viel Geld wir dafür brauchen, sollten wir lieber anhand konkreter Vorhaben diskutieren als anhand von Rechengrößen, die wenig aussagen. ({2}) Das Etappenziel der SPD ist die Vollausstattung der Bundeswehr mit Personal, Waffen und Gerät. ({3}) Wir werden es nicht von heute auf morgen und nicht ohne große Anstrengungen erreichen. Wenn sich herausstellt, dass darüber hinaus weitere Schritte notwendig sind, werden wir uns auch neuen Aufgaben stellen, als zuverlässiger Verbündeter und als integraler Bestandteil der Wertegemeinschaft und der Sicherheitsgemeinschaft des Westens. Aber bei alledem wollen wir die Bundeswehr nicht um ihrer selbst willen stärken, sondern weil sie eine Aufgabe hat. Sie dient einer Politik, die auf Stabilität und Frieden ausgerichtet ist und auf eine Weltordnung, die sich auf die Menschenrechte und internationales Recht gründet. Diese Politik, von der manche geglaubt haben, sie werde sich nach dem Ende der Blockkonfrontation von ganz alleine durchsetzen, wird heute von ihren Gegnern und Feinden grundsätzlich infrage gestellt und bekämpft, auch hier in Europa, wo Russland strategisch an das 19. Jahrhundert anknüpft und wieder dazu übergegangen ist, die eigenen Interessen mit militärischer Gewalt durchzusetzen. ({4}) Wenn der Westen gegen die Gewaltbereitschaft autokratisch geführter Länder – übrigens auch im eigenen Lager –, gegen den internationalen Terror und seine korrupten Profiteure bestehen will, werden wir nicht nur Diplomatie, Entwicklungsperspektiven und die Bereitschaft zu Abrüstung und Vertrauensbildung brauchen, sondern auch Entschlossenheit und Beharrungsvermögen. Meine Damen und Herren, wer heute behauptet, einen Masterplan für eine schnelle Lösung der großen Konflikte unserer Zeit in der Tasche zu haben, macht sich selbst und anderen etwas vor. Im Umgang mit Russland ebenso wie bei der Stabilisierung von Afghanistan oder Mali, beim Kampf gegen den Terror und bei der Abwehr von Angriffen aus dem Cyberraum kommt es auf eine nüchterne Gefahrenanalyse, auf Festigkeit und Flexibilität in der Reaktion, auf verlässliche Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten und auf strategische Geduld an. Dass all das irgendwann Früchte tragen kann, lehrt uns die Erfahrung des Kalten Krieges. Für eine Politik des langen Atems allerdings und für ihren Erfolg ist das Vertrauen der Bevölkerung und der Truppe die unabdingbare Voraussetzung. Danke schön. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Für die FDP spricht jetzt Alexander Graf Lambsdorff. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Felgentreu, ich habe Ihnen gut zugehört. ({0}) Ich höre Ihre Worte, aber mir fehlt der Glaube. Sie haben gesagt, die SPD stehe hinter einer verantwortungsvollen Sicherheitspolitik, die dafür sorgt, dass die Bundeswehr besser ausgestattet wird. ({1}) Gleichzeitig sagten Sie, bei dem 2-Prozent-Ziel, das ein Parteifreund von Ihnen, Herr Steinmeier, in Wales unterschrieben hat, handele es sich um eine akademische Debatte, man solle doch lieber auf die Projekte gucken, um die es geht. Bei der ODA-Quote jedoch, bei der es um die Entwicklungszusammenarbeit geht, weicht Ihre Fraktion keinen Millimeter von den 0,7 Prozent ab, und das ist dann nicht akademisch. Wie Ihre Fraktionsvorsitzende machen Sie sich die Welt, wie sie Ihnen gefällt, gerade so, wie es kommt. ({2}) Meine Damen und Herren, das ist keine seriöse Debatte. Dabei waren wir schon einmal weiter. Ministerin von der Leyen hat gerade das Jahr 2014 angesprochen. Ich erinnere mich sehr gut an Ihre Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz; aber auch, an die Rede Ihres Parteifreundes, Herr Felgentreu, des damaligen Außenministers Steinmeier, und an die Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Sie alle haben in München einen breiten politischen Konsens definiert: Deutschland ist ein wichtiges Land in der Europäischen Union. Deutschland ist ein wichtiges Land im Nordatlantischen Bündnis. Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen. – Das war der Punkt, an dem unsere Partner merkten: Mensch, die Deutschen machen endlich ernst. – Und was passierte dann? Herr Steinmeier schwadronierte vom Säbelrasseln, als die NATO ein nach allen Regeln des Völkerrechts angekündigtes Manöver durchführte. Herr Gabriel weichte das 2-Prozent-Ziel als nicht verbindlich auf. ({3}) – Ja, die Linkspartei findet das super; aber wir finden das nicht super, und die Soldatinnen und Soldaten finden das auch nicht super. ({4}) Wir haben Verantwortung im Bündnis, und wir haben Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten. Herr Lucassen, ich höre Ihnen vonseiten der AfD immer aufmerksam zu. ({5}) – Herr Dehm, was haben Sie denn wieder geraucht? ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

So genau wollen wir das gar nicht wissen. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist wahr. Das könnte Probleme geben. – Herr Lucassen, wenn Sie sagen, Deutschland solle für seine Verteidigung vollständig selbst verantwortlich sein, dann müssen Sie als AfD so konsequent sein und den Zwei-plus-Vier-Vertrag kündigen; denn darin steht eine völkerrechtlich verbindliche Obergrenze von 370 000 Soldatinnen und Soldaten. Meinen Sie, wir können mit 370 000 Soldatinnen und Soldaten die Verteidigung Deutschlands ganz alleine organisieren, ohne Bündnisse? Herr Lucassen, meinen Sie im Ernst, eine Armee der Europäer – das ist eine semantische Weiterentwicklung der europäischen Armee; das haben wir verstanden, Frau von der Leyen – sei grundgesetzwidrig? Haben Sie einmal in Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes geschaut? Deutschland kann sich kollektiven Sicherheitssystemen anschließen, um den Frieden zu sichern. ({0}) Das haben wir mit der NATO gemacht, das machen wir mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. Lesen Sie das Grundgesetz, lesen Sie den Zwei-plus-Vier-Vertrag! Meine Damen und Herren, als wir heute über Außenpolitik diskutiert haben, konnte man noch sagen: Herr Maas ist neu im Amt. – Frau von der Leyen, das sind Sie natürlich nicht mehr. Sie haben gesagt, die Soldatinnen und Soldaten hätten einen Anspruch darauf, mit dem bestmöglichen Material in ihre lebensgefährlichen Einsätze geschickt zu werden. Dem schließt sich die Fraktion der Freien Demokraten voll an. ({1}) Gleichzeitig erleben wir aber in den letzten Wochen, dass die Mängelmeldungen Schlag auf Schlag kommen. In Mali sitzen die Soldatinnen und Soldaten fest, weil die Transall einen Rotorschaden hat. ({2}) Die Auslieferung des letzten A400M verzögert sich um weitere sechs Jahre. Wir haben 9 statt 44 Kampfpanzer für die Very High Readiness Joint Task Force der NATO. Wir haben von sechs U-Booten sechs, die nicht schwimmen. ({3}) Das ist in meinen Augen eine Bilanz, bei der man beim besten Willen nicht behaupten kann, dass die Nutzungskonzepte der Bundeswehr in Ordnung sind. Letzter Punkt: Es ist richtig, dass unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz das bestmögliche Material zur Verfügung gestellt bekommen sollen. Aber eines ist klar: Die Ausbildung zu Hause leidet dramatisch darunter. Sie haben das im Bericht des Verteidigungsministeriums zur materiellen Einsatzbereitschaft selber dargelegt. Darin sprechen Sie von „ungenügender Einsatzbereitschaft“; die Schulnote 6 stellen Sie sich da – das muss man respektvoll anerkennen – selber aus. Meine Damen und Herren, es wird höchste Zeit, dass die Trendwenden gerade beim Material und bei der Nutzung endlich ernsthaft angegangen werden. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächstes spricht Tobias Pflüger für Die Linke. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung war nur geschäftsführend im Amt, und was hat sie gemacht? Sie hat ein Projekt auf den Weg gebracht, die sogenannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Militärbereich der Europäischen Union, PESCO, und dafür war sie nicht legitimiert. Wir halten PESCO für ein falsches Projekt, weil die Europäische Union damit zu einer Militärunion wird, und das wollen wir nicht. Wir als Linke lehnen das ab. ({0}) Die Europäische Union muss ein ziviles Projekt bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kaum ist die Bundesregierung im Amt, müssen wir hier über sechs Auslandseinsätze beschließen, darunter Einsätze in Afghanistan und Mali, die beide ausgebaut werden, und der Irakeinsatz, der vollkommen neu ist und bei dem sogar Soldaten vor der neuen Ausrichtung warnen. Offensichtlich will man jetzt die Zuständigkeit des Einsatzes auf den gesamten Irak beschließen. Wir sagen: Diese Auslandseinsätze sind falsch. Wir wollen, dass die Soldaten zurückgeholt werden. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist immer wieder die Rede davon, dass bei der Bundeswehr dieses und jenes nicht funktioniert. Das Interessante ist, dass kaum jemand davon redet, wer das eigentlich verursacht hat. Das ist die Rüstungsindustrie. ({2}) Von ihr wird vieles geliefert, was überhaupt nicht brauchbar ist; das muss man einmal in dieser Deutlichkeit sagen. ({3}) Um das noch anzufügen: Wir haben die konkrete Situation, dass die Rüstungsbeschaffung in der letzten Zeit enorm zugenommen hat. Es sind allein in den letzten vier Jahren Rüstungsprojekte im Umfang von 32 Milliarden Euro genehmigt worden, allein am Ende der letzten Legislaturperiode, in der vorletzten Sitzungswoche, Projekte im Gesamtvolumen von 14 Milliarden Euro. Es gibt den Investitionsplan über 130 Milliarden Euro mit 1 500 konkreten Einzelprojekten, von der Schutzweste bis zum Panzer. Hier findet eine Aufrüstung statt, und diese Aufrüstung wollen wir nicht. Wir sagen: Abrüstung ist das Gebot der Stunde und nicht Aufrüstung. ({4}) Wenn wir uns jetzt konkret anschauen, was im Moment bei der Bundeswehr diskutiert wird, dann muss man sagen, dass es eine ganze Reihe von Hausaufgaben gibt, die gemacht werden müssten. Es gibt inzwischen 400 Verdachtsfälle im Bereich Rechtsextremismus; die Zahl hat sich fast verdoppelt. Auch die Verdachtsfälle sexueller Belästigungen haben zugenommen. Da muss endlich einmal rangegangen werden. ({5}) Heute haben wir erfahren, dass bei dem Marsch in Pfullendorf Rekruten offensichtlich absichtlich überfordert wurden. Es fand ein sogenannter Selektionslauf statt. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Punkte, die das Ministerium, die die Ministerin angehen müsste. Ich habe den Eindruck, da ist wirklich etwas im Argen. Wir sagen: In diesem Bereich dürfen keine weiteren Gelder ausgegeben werden, wie es im Moment im Zuge der Erfüllung des 2-Prozent-Ziels geplant ist. Die Bundeskanzlerin hat sich klar dazu bekannt – leider. Wir sagen: Es sollten nicht 2 Prozent für Aufrüstung ausgegeben werden. Dieses Geld, das in den Militärbereich gesteckt wird, muss in andere Bereiche gesteckt werden, wo es dringend notwendig ist, zum Beispiel in den Sozialbereich. ({7}) Frau Ministerin, dann haben Sie von einer Wertegemeinschaft NATO gesprochen.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. ({0}) Ich kann nur sagen: Wenn eine Wertegemeinschaft NATO einen brutalen Angriffskrieg, wie ihn die Türkei auch mit Waffen aus Deutschland führt, zulässt, ist das eine Wertegemeinschaft, die sehr problematisch ist. Wir sagen: Dieser Angriffskrieg der Türkei gegen Afrin muss endlich beendet werden. Er wird auch mit deutschen Waffen geführt, und das ist ganz schlimm. Vielen Dank. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächstes spricht Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist in der Debatte schon vielfach angeklungen: Nicht nur Sie, Frau Ministerin, sind jetzt vier Jahre im Amt. In den letzten vier Jahren hat auch das Thema Sicherheitspolitik – das kann man völlig neutral sagen – einen anderen Stellenwert bekommen. Die Lage auf diesem Planeten und für unsere Soldatinnen und Soldaten hat sich verändert. Wir haben zwar absolut gesehen weniger Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz, aber die Zahl der Einsätze hat zugenommen. Sie sind komplexer, vielschichtiger, in Teilen auch gefährlicher geworden. Natürlich hat sich vor allem in Europa die Bedrohungslage verändert. Wir können in diesem Haus zu Recht darüber streiten, was eine kluge Antwort auf diese neue sicherheitspolitische Lage in Europa ist. Wir Grünen sagen: Das ist kein neuer Krieg, den wir vor uns haben; das ist eine Bedrohung. Aber weil es kein neuer Kalter Krieg ist, helfen auch nicht die Instrumente des Kalten Krieges, hilft keine Aufrüstungslogik. Vielmehr braucht es kluge Antworten, um auf diese Lage zu reagieren. ({0}) Weil sich in den letzten vier Jahren die Lage so geändert hat, wäre es gut gewesen, Frau Ministerin, wäre es gut gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition – da blicke ich beide Fraktionen an –, wenn wir mehr Debatten über diese Situation an diesem Pult geführt hätten. Ich habe heute noch einmal nachgeschaut, wann wir uns hier jenseits von Mandaten über Sicherheitspolitik unterhalten haben. Das war bei Ihrer ersten Regierungserklärung, Frau von der Leyen, und bei den jährlichen Haushaltsdebatten. ({1}) Was uns fehlt, ist, dass wir hier in diesem Haus aus der Nische heraustreten, dass wir im Deutschen Bundestag eine ehrliche und offene Debatte über die Möglichkeiten, aber auch über die Grenzen von Sicherheits- und Verteidigungspolitik führen. ({2}) Frau von der Leyen, ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn Sie transparent darlegen, was am Ende die Rechnung ist, wenn man der Bundeswehr diesen oder jenen Auftrag gibt, wenn man die Bundeswehr in diesen oder jenen Einsatz schickt, wenn man Bündnispartnern dieses oder jenes zusichert. Nur fallen diese Aufträge ja nicht vom Himmel. Wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, sind es, die angesichts der Parlamentsarmee darüber diskutieren und streiten müssen, was wir von unseren Streitkräften verlangen und – ich füge als Grüner ausdrücklich hinzu – was wir von ihnen nicht verlangen, weil es eben andere, zivile Instrumente gibt, die Vorrang haben. ({3}) Beim Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik hätten Sie die Chance dazu gehabt; denn bei dessen Erstellung haben Sie einen transparenten öffentlichen Prozess gewählt – das sage ich durchaus anerkennend –, wie er in der Vergangenheit kaum vorgekommen ist. Aber nach Beschlussfassung im Kabinett wäre es doch sinnvoll gewesen, hier im Bundestag über die Ergebnisse zu debattieren. Das hat nicht stattgefunden. Wir fordern Sie auf, spätestens dann, wenn die Konzeption der Bundeswehr vorliegt, nicht nur im nichtöffentlich tagenden Verteidigungsausschuss darüber zu reden, sondern hier in diesem Haus. ({4}) Ich will einen weiteren Aspekt ansprechen, und zwar die Auslandseinsätze, auch weil wir morgen wieder über fünf Mandate entscheiden. Meine Partei hat es sich nie einfach gemacht, wenn es darum geht, bewaffnete Truppen ins Ausland zu entsenden. ({5}) – Es machen sich viele nicht einfach. Das will ich auch niemandem unterstellen. Vielleicht machen es sich manche einfach, die immer klar Ja oder Nein sagen können. Wer uns kennt, weiß, dass wir meistens nicht klar Ja oder Nein dazu sagen. ({6}) – Frau Strack-Zimmermann, ({7}) der Humor an dieser Stelle ist, glaube ich, falsch angebracht. ({8}) Wichtig für uns ist: Wenn wir über solche Mandate reden, brauchen wir eine ehrlichere Debatte uns selbst gegenüber. Wenn es dazu kommt, dass wir ein Mandat bewilligen müssen, dann ist doch meistens präventiv etwas schiefgelaufen. Wenn Militär für uns wirklich die Ultima Ratio ist, das äußerste Mittel, dann müssen wir uns doch fragen: Was können wir das nächste Mal anders machen, damit es nicht so weit kommt? – Wenn wir Streitkräfte entsenden, dann sollten wir klar darüber sprechen, welche Ziele wir damit verfolgen, nicht, welche Interessen, Herr Kollege Lucassen. Wenn Sie über Interessen reden, muss ich an Deutschland vor 1918 denken, das uns in tiefste Abgründe gestürzt hat. ({9}) Wir sollten offen darüber reden, welche politischen Ziele wir mit einem Bundeswehrmandat verfolgen, und wir sollten genauso ehrlich evaluieren, wenn wir über eine Mandatsverlängerung diskutieren, ob wir diese Ziele erreicht haben oder woran es gelegen hat, dass wir sie nicht erreicht haben. Nur wenn wir das tun, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir unserer Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten gerecht. ({10}) Hier sind die Stichworte „Verantwortung“ und „Münchner Sicherheitskonferenz“ gefallen. Für uns Grüne ist klar: Verantwortung muss von Anfang an gemeinsam gedacht werden. Ein Mandatstext beschreibt heutzutage lediglich das, was rechtlich vorgeschrieben ist. Vorgaben sind völkerrechtliche Legitimationen, verfassungsrechtliche Grundlagen, einzusetzende Fähigkeiten. Aber politisch ist das bei weitem nicht ausreichend. Seien wir doch einmal ehrlich! Wenn wir einen Mandatstext vorlegen, müsste eigentlich enthalten sein, was wir zivil machen, welchen Rahmen wir für humanitäre Hilfe, für Entwicklungszusammenarbeit, für den Aufbau von Polizeikräften schaffen wollen. ({11}) – Mir geht es nicht um verletzte Sicherheit, Frau Kollegin. Wenn Sie es wirklich ernst nehmen und nicht pauschal sagen: „Alles, was mit Militär zu tun hat, ist per se böse“, dann müssen wir doch, wenn wir Militär in einen Einsatz entsenden, auch über die zivilen Komponenten diskutieren, und zwar von Anfang an. Das sollten wir in den kommenden vier Jahren tun. ({12}) Meine Damen und Herren, wir Grüne haben es uns beim Thema Bundeswehr nie einfach gemacht, und wir werden es uns nie einfach machen. Aber wir werden auch in dieser Legislaturperiode immer verantwortungsbewusst damit umgehen. Sie können sicher sein, dass wir das Thema nicht nur kritisch, sondern vor allem konstruktiv begleiten werden und dass wir schauen werden, was die Truppe braucht, um Aufträge erfüllen zu können. Wir werden aber auch darüber diskutieren, was ein angemessener, ein verantwortbarer Auftrag für unsere Streitkräfte ist. In diesem Sinne vielen Dank. ({13})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Es geht weiter mit Henning Otte für die CDU/CSU. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Welch ein Glück, wir leben in Frieden und Freiheit. Aber es ist eben nicht nur Glück; wir müssen in der Politik auch die notwendigen Entscheidungen treffen. Wir stellen fest, dass sich die sicherheitspolitische Lage dramatisch verändert hat. Da macht es einen schon sehr nachdenklich, wenn auf der einen Seite die Fraktion Die Linke davon spricht, dass die Ausrüstung für unsere Soldaten mit Verantwortungsbewusstsein eine pure Aufrüstung ist, und die AfD auf der anderen Seite ein Bild malt, das 2005 oder 2006 vielleicht tragbar war, aber verkennt, dass sich die Lage komplett verändert hat. Wenn ein Antrag gestellt wird, mit dem man offensichtlich versucht, nachträglich den Völkerrechtsbruch im Zusammenhang mit der Annexion der Krim zu legitimieren, indem man sagt, dass die Sanktionen abgebaut werden sollen, und Die Linke und die AfD in vertrauter Einigkeit zustimmen, ({0}) wenn also die beiden Extrempole des Deutschen Bundestages so etwas miteinander beschließen wollen, dann irritiert uns das doch. ({1}) Wir sind überzeugt davon, dass es Werte bedarf, dass es Souveränität bedarf. Wir sind nicht dafür, die Souveränität von Ländern zu verletzen. Das ist alte Sowjetdoktrin, der Sie von der Linken anhängen – offensichtlich die AfD auch. ({2}) Was mich dann aber komplett irritiert, ist, dass ich heute in einer Pressemitteilung lese: „FDP-Vizechef für Lockerung von Sanktionen ohne Vorleistung Moskaus“. ({3}) Das bitte ich zu klären, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP. Es gibt eine Friedensgarantie, meine Damen und Herren, und das ist das vereinte Europa; ({4}) es ist das Bündnis der NATO, dem wir unsere Freiheit zu verdanken haben. Wir wollen den europäischen Pfeiler in der NATO zu einer sogenannten PESCO weiterentwickeln, und wir wollen die vernetzte Sicherheit – sowohl zivile Entwicklung als auch militärische Unterstützung – weiter voranbringen, um Länder zu stabilisieren, deren Souveränität und Stabilität bedroht zu sein scheinen. Darum geht es auch morgen bei der Mandatsverlängerung. Sie bauen geradezu ein Dämonenbild von einer Militarisierung der Gesellschaft auf. Nein, es geht darum, Länder stabil zu halten, damit Fluchtursachen bekämpft werden, damit die Menschen in ihrer Heimat sicher leben, zur Schule gehen und sich gut entwickeln können. ({5}) Es ist eine Doppelmoral, wenn man immer sagt, die Bundeswehr sei schlecht ausgerüstet, und dann nicht genügend Geld zur Verfügung stellen will. Wir als Union, CDU und CSU, sagen ganz klar: Wir sind bereit, das Geld auszugeben, das die Bundeswehr braucht, und wir halten unsere Verpflichtungen gegenüber der NATO ein. Deswegen stehen wir auch zum 2‑Prozent-Ziel. ({6}) Meine Damen und Herren, wir sagen ganz deutlich: Wir müssen die Trendwende voranbringen – finanziell, materiell, personell. Deswegen ist es gut, dass wir die notwendigen Maßnahmen noch schneller umsetzen, dass wir, Union und SPD zusammen, im Koalitionsvertrag dargestellt haben, dass wir das Haushaltsrecht anpassen, die Vergabeverordnung flexibilisieren und die Beschaffungsstrukturen verbessern wollen. Damit machen wir deutlich: Wir wissen, was wir unseren Soldatinnen und Soldaten zu verdanken haben, und wir statten sie mit dem notwendigen Material aus. Wir geben ihnen die politische Rückendeckung, weil wir wissen: Die Bundeswehr ist ein Garant für Sicherheit, Freiheit und Verantwortung. Deswegen stehen wir zu unserer Bundeswehr. Herzlichen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Danke. – Frau Dr. Marie Strack-Zimmermann hat für die FDP das Wort. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der aktuellen Debatte zur Bundeswehr habe ich mit Spannung darauf gewartet, was die Frau Bundeskanzlerin uns heute zu erzählen hat. Sie hat immerhin 38,4 Sekunden dafür verwendet, um der Bundeswehr zu danken – das ist die gute Nachricht – und um zu sagen, dass es mehr Geld gibt, was auch sehr erfreulich ist. Offensichtlich ist endlich im Kanzleramt angekommen, dass dringend gehandelt werden muss; denn das war bei Frau Merkel bisher, bei allem Respekt, nie populär. Um im Bild zu bleiben: Sie ist immer schön in Deckung geblieben. Wir von den Freien Demokraten erwarten, dass die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ihre Verteidigungsministerin vorschickt, sondern dass sie selber eine ganz klare Aussage macht, wohin sie mit der Bundeswehr will, was sie will. ({0}) Meine Damen und Herren, es geht um 179 345 Soldatinnen und Soldaten, die in ganz vielen Bereichen eingesetzt sind. Es geht darum, wohin wir sie schicken, aber auch darum, unter welchen Bedingungen sie hier vor Ort arbeiten. Es ist geradezu absurd, wenn Soldatinnen und Soldaten von Mali aus nach Hause wollen und das Flugzeug nicht abhebt. Was ist das für ein Bild von uns in der Welt? Es geht aber auch um die vermeintlich kleinen, persönlichen Dinge. Wie erklären Sie, dass die Weihnachtspost erst im Januar ankommt, nur weil Bürokratie und Zoll die Zustellung verhindern? Oder ist es nicht völlig absurd, dass Soldatinnen und Soldaten privat im Adventure Shop ihres Vertrauens Schutzausrüstung und Bekleidung kaufen müssen, weil die Bundeswehr nicht mehr in der Lage ist, ihnen das geeignete Material zukommen zu lassen? ({1}) Wenn wir wollen, dass die Bundeswehr attraktiv ist, und sie mit entsprechend Personal ausstatten wollen, dann müssen wir an dieser Stelle Gas geben. Einsatzbereitschaft bedeutet Attraktivität. Dazu gehören nicht nur Worte, sondern auch Material und eine Bundesregierung, die das mit aller Ernsthaftigkeit durchsetzt. Heute gab es eine Regierungserklärung. Das heißt, heute wurde die Lippe gespitzt, und wir werden darauf achten, dass auch gepfiffen wird. ({2}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Frau Ministerin, Sie haben bedauerlicherweise der kompletten Bundeswehr ein Haltungsproblem vorgeworfen. Ich weiß nicht, wie Sie das dadurch verlorengegangene Vertrauen je wiedergewinnen wollen. Aber eines ist klar: Die Bundeswehr ist ein Teil dieser Gesellschaft, so wie dieses Parlament. Es gibt zwar Probleme, aber die allermeisten sind Gott sei Dank hervorragende und anständige Menschen. Angesichts der Debattenbeiträge der einen oder anderen Partei heute hier im Parlament könnte man der Logik zufolge glauben, dass auch der ganze Bundestag ein Haltungsproblem hat; aber dem ist nicht so. ({3}) Meine Damen und Herren, die FDP dringt darauf, dass hier etwas passiert. Ich sage bewusst zur CDU/CSU und zur SPD: Sie hatten jahrelang Zeit. Jetzt jubeln Sie und sagen, entsprechend handeln zu wollen. Wir werden Sie daran messen, ob Sie Ihre Vorhaben umsetzen. Nur das gilt. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Jetzt kommt Wolfgang Hellmich für die SPD. ({0})

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gute bei einer solchen Debatte ist, dass sie sich entwickelt. Noch besser ist, dass man die Zettel, die man zuvor geschrieben hat, einfach wegschmeißen kann. ({0}) Das ist das Beste daran. Ich beginne mit Herrn Lucassen. Herr Lucassen, Frieden ist im Grundgesetz als Auftrag formuliert. Frieden ist ein hohes Ziel und braucht eine Strategie. Konflikt und Krieg sind weder ein Ziel noch eine Strategie. Das ist der Unterschied. Wir orientieren uns an dem, was im Grundgesetz als Auftrag steht, nämlich Frieden zu schaffen in konfliktreichen Situationen, in denen unsere Soldatinnen und Soldaten gemeinsam mit anderen Verbündeten, mit anderen Soldatinnen und Soldaten, mit zivilen Organisationen, mit NGOs und vielen anderen an den Konfliktlinien stehen. Es geht darum, durch diese Einsätze dafür zu sorgen, dass Frieden hergestellt und gewahrt wird. Das ist ein hohes Ziel. ({1}) Das ist es, was wir unseren Soldatinnen und Soldaten erklären müssen. Herr Lindner, Sie haben formuliert, wir sollten klar sagen, was wir von den Soldatinnen und Soldaten erwarten und was nicht. Wir erwarten von ihnen, dass sie mit Leib und Leben in jeden Konflikt gehen, und wir erwarten von ihnen, dass sie andere Menschen töten. Das erwarten wir von ihnen. ({2}) – Sie erwarten das wahrscheinlich nicht; aber sie wissen ganz genau, dass das Teil des Auftrags sein kann. Sie erwarten es wahrscheinlich nicht, wissen aber ganz genau, dass ein solches in Auftrag gegeben worden ist. Sie wissen ganz genau, was das in der Konsequenz bedeutet: dass das mit eine Begründung dafür ist, dass wir ihnen den besten Schutz und das beste Material sowie die beste Ausbildung geben und dafür sorgen, dass sie in diesen Konflikten – gemeinsam mit anderen Verbündeten in Europa, in der EU, in der NATO und in der UN – auch bestehen können. ({3}) Wir müssen ihnen klarmachen, dass sie mit diesem Auftrag, mit diesen Erwartungen, die wir an sie richten – Sie hatten Zeit genug –, auch mitten in diese Gesellschaft gehören. Wir Abgeordneten müssen an ihrer Seite stehen. Was lesen sie? Herr Lambsdorff hat es gerade wiederholt, auch andere haben es in großer Breite wiederholt: Sie lesen, was es alles an Defiziten gibt. Ja, darüber reden wir seit einiger Zeit: Rüstungsboard und vieles andere. Worüber sich hier aber auch zu reden lohnt, ist die Frage: Wie stellen wir denn diese Punkte ab? Was tun wir eigentlich, um genau das, was wir politisch formulieren, umzusetzen, damit die Soldatinnen und Soldaten gut ausgebildet und ausgestattet sind, und das in einem überschaubaren Zeitraum? Wir steigen hier und mit dem, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, in einen Fahrplan ein, der weit über diese Legislaturperiode hinausreichen wird. Wir sagen auch unseren Bündnispartnern, dass wir mit dem, was wir hier tun, verlässlich an ihrer Seite stehen und sie sich auf uns verlassen können. Nach innen wird es sehr wichtig sein, dass der Eid, den die Soldatinnen und Soldaten leisten, auch den Dienstherren ihr Leben lang verpflichtet und bindet. Der Eid endet nicht mit der Dienstzeit; das steht auch im Koalitionsvertrag. Das bedeutet in der Konsequenz für diejenigen, die im Bereich PTBS und Verwundung sowie Wehrdienstbeschädigung ihr Leben lang damit zu tun haben, dass das Sorgen der Bundeswehr für sie nicht mit dem Ende der Dienstzeit aufhört, sondern dies eine gegenseitige Verpflichtung ein Leben lang ist. Das müssen wir den Soldatinnen und Soldaten klarmachen. ({4}) Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass wir in Richtung einer europäischen Armee oder einer Armee der Europäer – in dem Begriff bin ich sehr flexibel – so weit kommen, wie wir es heute sind. Mit der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit, mit CAT und dem zivil-militärischen Hauptquartier haben wir ganz entscheidende Schritte getan, um auch das Fundament einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa nicht nur zu stärken, sondern voranzubringen. Wenn Frau Mogherini ankündigt, bis zum Ende dieses Jahres eine Initiative zur Stärkung der zivilen GSVP nach der Logik der Ständigen Srukturierten Zusammenarbeit auf den Tisch zu legen, dann können wir das nur sehr begrüßen; denn beides zusammen atmet den Geist, den wir auch in unserem Koalitionsvertrag verankert haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass noch ein ­PESCO-Projekt dazukommt, nämlich die Stärkung der Rechte der Soldatinnen und Soldaten in ganz Europa; denn so, wie sie in unserer Bundeswehr als Staatsbürger in Uniform organisiert sind, hätten das andere Länder auch gern. Das wäre ein gutes PESCO-Projekt, das wir noch voranbringen könnten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Hellmich. – Als Nächstem erteile ich zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Dr. Lindner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Hellmich, ich will keine unnötige Schärfe in diese Debatte bringen, will aber auch vermeiden, dass hier Missverständnisse entstehen, die ich für meine Fraktion nicht unwidersprochen stehen lassen könnte. Sie haben eben zu Recht erwähnt: Wenn wir über den Auftrag reden, den das Parlament unseren Streitkräften gibt – damit meinen Sie mit Sicherheit auch Auslandseinsätze, über die wir hier ja regelmäßig abstimmen –, erwarten wir im Zweifel und in letzter Konsequenz von den Soldatinnen und Soldaten, dass sie mit ihrem Leben für diesen Auftrag einstehen. Deswegen haben sie es verdient, die bestmögliche Ausrüstung für ihren Auftrags zu erhalten. Ich will Ihnen nur, da wir uns ja seit vier Jahren auch aus der Zusammenarbeit im Verteidigungsausschuss kennen und dort das ein oder andere miteinander abgestimmt haben, in Erinnerung rufen, dass meine Fraktion bei Beschaffungsvorhaben immer sehr wohl abgewogen hat, wenn es um Schutzkomponenten für Soldatinnen und Soldaten ging. Vor allem wenn es um gepanzerte Fahrzeuge, wenn es um Schutzwesten und solche Dinge ging, haben wir den Beschaffungsvorlagen in der überwiegenden Zahl der Fälle zugestimmt, obwohl wir Opposition sind, obwohl es auf unsere Stimmen nicht ankommt und obwohl wir an der einen oder anderen Vorlage mit Sicherheit auch unsere Kritik hatten. Wir haben sehr wohl differenziert, ob wir Beschaffungsprojekte ablehnen, weil sie uns nicht in die politische Zielsetzung passen, und dann zugestimmt, wenn es genau um das ging, was Sie hier ansprechen, nämlich um den Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Das im Namen meiner Fraktion klarzustellen, ist mir sehr wichtig. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Danke sehr. – Kollege Hellmich, möchten Sie antworten? – Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich als nächstem Redner dem Kollegen Matthias Höhn von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich halte Ihre sicherheitspolitische Agenda für ein Sicherheitsrisiko. ({0}) Das Zweite, was Ihre bisherige vierjährige Amtszeit kennzeichnet – ich habe nicht den Eindruck, dass das besser wird –, ist ein unverantwortlicher Umgang mit Steuergeld. Zu diesem Punkt will ich als Erstes etwas sagen. Sie haben heute wieder gesagt, wie viele Jahre lang wie viel Geld gekürzt worden ist, wie viel gespart worden ist. Was Sie heute nicht gesagt haben, ist – ich will das noch einmal in Erinnerung rufen –, dass der Verteidigungshaushalt in den letzten vier Jahren um 20 Prozent gestiegen ist. Der Verteidigungshaushalt hat inzwischen ein größeres Volumen erreicht – er wird in dieser Legislaturperiode weiter wachsen – als jeder andere Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren. ({1}) 20 Prozent Steigerung in vier Jahren – andere Haushalte, liebe Kolleginnen und Kollegen, würden sich über solche Wachstumsraten freuen. ({2}) Jetzt schauen wir einmal, was Sie mit diesem Geld gemacht haben. Wir haben ja in dieser Woche den Rüstungsbericht vorgelegt bekommen. Ich will zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel ist das Projekt Eurofighter. Der Eurofighter ist wahrscheinlich zwölf Jahre später fertig als geplant und kostet 6,7 Milliarden Euro mehr. Das zweite Beispiel ist der A400M. Er ist wahrscheinlich elf Jahre später fertig als ursprünglich geplant und kostet 1,2 Milliarden Euro mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie reden hier gerne über Haushaltsdisziplin und die schwarze Null. Beim Verteidigungshaushalt scheint das alles kein Problem zu sein. Ich halte das für unverantwortlich. ({3}) Frau Ministerin, Sie reden gerne über Trendwenden. Ich würde mich über die Trendwende hin zur Sparsamkeit im Verteidigungsetat freuen. Das wäre einmal ein echter Fortschritt. ({4}) Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema Sicherheitsrisiko machen. Sie haben auf die Friedensdividende der 90er-Jahre hingewiesen. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass sich die Sicherheitslage verändert habe, spätestens seit 2014. Dazu will ich Folgendes sagen: Die Großprojekte, über die ich gerade gesprochen habe, aber auch andere wie zum Beispiel der Puma – wir könnten die Liste fortsetzen –, diese Großprojekte, die so unendlich ins Geld gehen, wurden lange vor dieser sicherheitspolitischen Veränderung geplant und in Auftrag gegeben, zu einer Zeit, als wir uns noch über die Friedensdividende gefreut haben. Sie sind nicht das Ergebnis einer veränderten sicherheitspolitischen Lage, sondern wurden lange vor dieser Veränderung geplant. Also begründen Sie diese Projekte bitte nicht mit einer veränderten sicherheitspolitischen Lage. ({5}) Letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, stellt sich die Frage, ob wir wieder in eine Periode kommen, in der wir uns wieder über eine Friedensdividende freuen können. Natürlich ist es richtig, dass nicht nur die ­NATO-Staaten ihre Militäretats hochfahren, sondern auch China, Russland und andere Staaten dieser Welt. Es stellt sich doch die Frage, wie wir das beenden wollen. Ich glaube nicht, dass wir das beenden können, indem wir alle immer so weitermachen und noch mehr drauflegen. ({6}) Ich glaube, dass irgendjemand den ersten Schritt unternehmen und sagen muss: Wir kürzen unseren Verteidigungsetat; wir machen bei dieser Spirale nicht mit. ({7}) Wenn wir die Einzigen in diesem Hause sind, die das fordern, sage ich: Noch sind wir die Einzigen. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Höhn. – Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute einen Jahrestag: Am 21. März 2014 wurde im Russischen Föderationsrat der Vertrag über die Annexion der Krim ratifiziert. Wir haben uns die Situation nicht ausgesucht. Ehrlich gesagt haben wir das auch nicht vorhergesehen. Wir hatten kurz vor diesem Zeitpunkt einen Koalitionsvertrag unterschrieben, dessen Russland-Kapitel die Überschrift trug: „Offener Dialog und breitere Zusammenarbeit mit Russland“. Meine Damen und Herren, mir wäre es lieber, wir hätten diese Situation nicht. Aber wir haben sie nun einmal, und wir haben darauf reagiert. Wir haben in den letzten vier Jahren die Weichen in der Bundeswehr wieder auf Landes- und Bündnisverteidigung gestellt. Was bedeutet das konkret für die Bundeswehr? Die Bundeswehr wurde bei der Neuausrichtung 2011 nicht darauf ausgerichtet, im Jahr 2017 Truppen in Bataillonsstärke voll gefechtsbereit nach Litauen zu verlegen. Die Bundeswehr machte es trotzdem, und zwar in dem Wissen, dass dieses Manöver an anderen Stellen zu Engpässen führt. Sie nimmt dabei zum Beispiel in Kauf, dass dafür Material durch ganz Deutschland gekarrt werden muss und dass Material, das jetzt in Litauen ist, nicht an anderer Stelle eingesetzt werden kann. Die Bundeswehr muss sich dafür jetzt viel Kritik anhören. Aber das ist mir viel lieber, als dass wir unseren Bündnispartnern gesagt hätten: Wir können jetzt nicht; wartet mal zehn Jahre, dann sind wir vielleicht so weit. – Das ist nicht meine Vorstellung von Bündnissolidarität. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben die Weichen gestellt; die Ministerin ist darauf eingegangen. Wir sind 2013 in die letzte Legislaturperiode mit einem Finanzplan von 32 Milliarden Euro für die Bundeswehr bis zum Jahr 2017 gestartet. Rausgekommen sind wir bei 37 Milliarden Euro. Das heißt, wir haben in vier Jahren 5 Milliarden Euro mehr investiert. Wir haben heute 4 000 Soldaten mehr als 2016. Wir haben in der letzten Legislaturperiode im Haushaltsausschuss Beschaffungsaufträge in einem Umfang von 30 Milliarden Euro freigegeben. In der Legislaturperiode davor waren es 6 Milliarden Euro. Das entspricht Faktor fünf. ({1}) Das ist die Trendwende. Das sind die Weichenstellungen, die wir vorgenommen haben. ({2}) Aber das Material ist nun einmal nicht im vollen Umfang bei der Truppe. Es gibt Schlimmeres, als an diesem Pult Vorwürfe von den Linken zu hören, dass man zu viel Geld in die Bundeswehr investiert. Meine Damen und Herren, diese Vorwürfe nehme ich gern in Kauf; denn unser Auftrag ist – so verstehen wir ihn –, die Bundeswehr für ihren Auftrag bestmöglich auszurüsten. Darauf kann sie sich verlassen. Die CDU/CSU-Fraktion steht hinter unserer Truppe. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brandl. – Damit ist die Aussprache zum Themenbereich Verteidigung beendet.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir übernehmen Verantwortung in der Welt, und das mit einem vernetzten Handlungsansatz: Außen, Sicherheit und Entwicklung. Ich bedanke mich bei der Bundeswehr, bei den Sicherheitspolitikern, bei den Außenpolitikern für unser gemeinsames Auftreten in der Welt. Es gilt: keine Entwicklung ohne Sicherheit. Entwicklungspolitik hat in der heutigen Zeit einen vollkommen neuen Stellenwert bekommen. Die Flüchtlingskrise zeigt uns ganz klar: Lösen wir die Probleme nicht vor Ort, kommen die Menschen zu uns. Als reiches Industrieland haben wir eine humanitäre Aufgabe. Ich komme gerade von einer Veranstaltung mit Afrikanerinnen und Afrikanern. Ich sehe Dunkelheit, Not und Elend, wenn ich nach Äthiopien in die Dürreregionen blicke. Wenn heute ein sogenannter Experte schreibt, liebe Claudia Roth, die Entwicklungshilfe habe versagt, weil, durch den Klimawandel ausgelöst, Hunderttausende, Millionen Menschen aufgrund des Wassermangels in Somalia und in Äthiopien in Not sind, dann hat dieser sogenannte Experte die Zusammenhänge nicht verstanden. Nicht die Entwicklungshilfe hat versagt, sondern der Klimawandel ist schuld, den wir mit auslösen. ({0}) Wir sind an einem Punkt, an dem ich sage: Wir dürfen nicht wegsehen. Ich möchte in dieser Debatte auf das Leid in Teilen der Welt hinweisen. Wenn wir uns in diesem reichen Deutschland beklagen, wie schlecht es uns doch geht, sollten wir an das unbeschreibliche Leid der Menschen in und um Syrien, zum Beispiel in Ost-Ghuta, denken. Meine Damen und Herren, wir können, wir dürfen und wir werden nicht wegsehen. Wir leben heute in einem globalen Dorf. Alles hängt mit allem zusammen. Deshalb müssen wir Verantwortung in der Welt übernehmen, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Alles hängt mit allem zusammen, und unser Wohlstand baut auf dem Rücken und den Ressourcen der Entwicklungsländer auf. ({1}) Ja, viele glauben das, aber es ist klar: Ihr Handy funktioniert nicht ohne Coltan aus den Mienen des Kongos. Oder denken Sie an unsere Autos. Jeder – auch Herr Dobrindt, unser ehemaliger Verkehrsminister – redet hier über die Zukunft der Elektromobilität. Die Elektromobilität funktioniert nur mit Lithium und den Rohmaterialien der Afrikaner, und die Chinesen haben sich diese Ressourcen gesichert. Die Entwicklung unseres Wohlstandes in der Zukunft darf nicht auf dem Rücken von Sklavenarbeitern in den Minen Afrikas aufgebaut werden. ({2}) Deshalb haben wir faire Lieferketten als eines der Koalitionsziele festgeschrieben. Lassen Sie mich aber noch grundsätzlich etwas sagen, bevor wir ins Detail gehen. Wir stehen am Anfang einer Legislaturperiode. Zusammen mit meinem Staatssekretär Norbert Barthle und meiner Staatssekretärin Maria Flachsbarth – herzlich willkommen im BMZ; ich freue mich auf die neue Mannschaft und bedanke mich auch bei meinen Staatssekretären, die ich leider abgeben musste – sind wir ein tolles Team, und wir stehen für eine wertegebundene Entwicklungspolitik, nach der ein Leben in Würde für alle ein universelles Menschenrecht ist. Auch das Mädchen im Sudan oder in Äthiopien hat genauso wie unsere Kinder hier in Berlin ein Recht auf Leben. ({3}) Deshalb sage ich Ihnen: Wir gestalten und ich gestalte Politik in Verantwortung vor Gott und vor dem Nächsten zum Erhalt der Schöpfung, jetzt und für kommende Generationen. Das gilt auch für andere Politikbereiche. Ein Menschenleben hier auf diesem Planeten ist nur ein Flügelschlag in der Geschichte. Dieser Verantwortung für kommende Generationen müssen wir uns klar werden. ({4}) Es ist mir ein Bedürfnis, heute Professor Hans Küng zu gratulieren, der gestern seinen 90. Geburtstag gefeiert hat. Sein Projekt „Stiftung Weltethos“ hat mich schon vor 30 Jahren inspiriert. Das zeigt, es gibt gemeinsame, weltweit verbindliche Werte, die uns über die Religionen, Rassen und Völker hinweg verbinden, nämlich die Menschenrechte, und auf diesen Menschenrechten bauen wir einen neuen weltweiten Dialog auf. ({5}) Dazu brauchen wir in diesem globalen Dorf in allen Politikfeldern einen Paradigmenwechsel in unserem Denken und Handeln. Nachhaltigkeit muss das Prinzip allen Tuns sein – ökonomisch, ökologisch, sozial und kulturell. Hier stehen wir an einer Weggabelung. Die Wissenschaft und die Technik geben uns heute alle Möglichkeiten, die Herausforderungen des Hungers und der Epidemien zu bewältigen. Durch die Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik wurden große Erfolge erzielt. In den letzten 30 Jahren verzeichneten wir eine Halbierung des Hungers in der Welt. Wir haben Ebola, Cholera und viele andere Epidemien ganz und Aids nahezu gestoppt. Sehen wir also diese Chancen und Möglichkeiten! Nutzen wir unser Wissen! Dann können wir die großen Herausforderungen meistern. Wir können an dieser Weggabelung aber auch einfach so weitergehen und den anderen Weg einschlagen, hin zu einer Weltgemeinschaft, die sich für Konsum und eine Wirtschaft ohne Grenzen entscheidet und die Menschheit an den Rande der Apokalypse führt. Hier möchte ich des großen, eben verstorbenen Astrophysiker Stephen ­Hawking gedenken. Wir müssen ihn widerlegen; denn er sagte – ich zitiere –: Mit unserer Gier und unserer Dummheit werden wir uns eines Tages selbst ausrotten. Das müssen wir verhindern, und dazu haben wir alle Möglichkeiten. Es geht um das Überleben im 21. Jahrhundert. ({6}) Hier geht Deutschland voran. In der Kürze der Redezeit kann ich nur ein paar Stichpunkte nennen: Im Koalitionsvertrag setzen wir klare Signale für den Haushalt. Ich danke der Bundeskanzlerin, die das 0,7-Prozent-Ziel dick unterstrichen hat. ({7}) Wir verstärken den Haushalt. Wir setzen neue Rahmenbedingungen für private Investitionen. Erstmals werden wir ein Entwicklungsinvestitionsgesetz auf den Weg bringen. Wir werden verbindliche Standards bei internationalen Lieferketten umsetzen, vom Baumwollfeld bis zum Bügel. Die Agenda 2030 und der Pariser Klimavertrag dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Sie müssen Richtschnur unseres Handelns in allen Politikbereichen sein. ({8}) – Ja, das sage ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen. Wir wollen Globalisierung gerecht gestalten. ({9}) Deshalb sage ich den wichtigen Satz: Nicht der freie Handel ist das Ziel, sondern der faire Handel ist das Ziel. ({10}) Der faire Handel – da greife ich einen Punkt heraus – sind beispielsweise die Kapitalmärkte. Ich bedanke mich beim Bundesfinanzminister, ({11}) der das Thema Finanztransaktionsteuer wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat. ({12}) Meine Damen und Herren, keiner der Finanzpolitiker hier ist von einer Finanztransaktionsteuer, ({13}) einer Abgabe von 0,01 Prozent auf internationale, in Europa gehandelte Derivate betroffen. Dadurch könnten wir aber in einem Jahr 50 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen für den europäischen Haushalt akquirieren und in Entwicklung investieren. ({14}) Ich komme zum Schluss. Aber ich möchte wenigstens einige Handlungsfelder andeuten, die uns aufgegeben sind. Fluchtursachen bekämpfen – ich nenne es so –, das ist eine gewaltige Aufgabe. Andere Stichworte sind hier das neue Programm „Perspektive Heimat“ und der Marshallplan mit Afrika. Die weltweite Bevölkerungsexplosion erfordert neue Antworten auch durch Familienplanung und durch eine Bildungs- und Ausbildungsoffensive, die wir starten werden. Ich sage auch: Wir brauchen, meine Damen und Herren, eine neue globale Wachstumsphilosophie. Das weltweite Wachstum hat angesichts der steigenden Weltbevölkerung Grenzen. ({15}) Die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht weiter auseinandergehen. ({16})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Ja, ich bitte darum.

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich fand es sehr gut, Herr Minister, dass Sie gerade den Punkt Bevölkerungsexplosionen benannt haben; ihn hatten wir heute schon einmal. Die USA haben ihre Zahlungen in den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen eingestellt. Dadurch ist eine Finanzierungslücke entstanden. Wird die Bundesregierung entweder alleine oder mit europäischen Partnern diese Finanzierungslücke schließen, um ganz konkret gegen die Bevölkerungsexplosion in Afrika südlich der Sahara vorzugehen?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Die weltweite Bevölkerungsexplosion, insbesondere in Afrika, bedarf neuer Antworten. Sie wird uns herausfordern. Meine Damen und Herren, jedes Jahr werden auf diesem Planeten 80 Millionen Menschen geboren, die ernährt werden müssen, die eine Zukunft, Jobs und Arbeit brauchen. Schaffen wir gemeinsam keinen Erfolg für das globale Dorf, haben diese Menschen keine Zukunft. Sie werden dann zu uns kommen. ({0}) Deshalb bedauere ich außerordentlich, dass die Amerikaner Folgendes machen: Sie erhöhen den Rüstungsetat in diesem Jahr – das haben sie angekündigt – um über 50 Milliarden Dollar, reduzieren den Beitrag für die Außen- und Entwicklungspolitik um 25 Prozent und steigen aus den UN-Organisationen aus. Wir können das leider nicht ausgleichen. Aber der Weg, den die Amerikaner an dieser Stelle gehen, ist der absolut falsche Weg. ({1}) Ich sage an dieser Stelle in Richtung der Amerikaner, Graf Lambsdorff, noch Folgendes: In der Debatte um eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – ein NATO-Ziel –, was mehr Rüstung bedeutet, müssen wir sehen, dass die Amerikaner 0,17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklung und humanitäre Hilfe ausgeben. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt zumindest ansprechen und mit Ihnen diskutieren – da sehe ich auch in skeptische Gesichter –, was meine Aufgabe ist. Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik. Ich sage Ihnen: Der Irrsinn einer weltweiten Rüstungsspirale muss gestoppt werden. ({2}) Herr Präsident, ich bin sofort am Ende. – Allen, die Entwicklungspolitik kritisieren und immense Anforderungen und Bedingungen stellen, sage ich: 1 600 Milliarden Dollar für Rüstung stehen 160 Milliarden Dollar weltweit für humanitäre Hilfe und Entwicklungsmaßnahmen – ein Verhältnis von 1 : 10 – gegenüber. Das kann so nicht weitergehen. ({3}) Deutschland setzt auf Frieden, Entwicklung und Gerechtigkeit, und ich setze auf fraktionsübergreifende Unterstützung im Haus. Ich danke Tausenden von Ehrenamtlichen und NGOs hier und in der Welt, die jeden Tag in diesem Sinne unterwegs sind. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Müller. Sie können so lange reden, wie Sie wollen, weil das von der Redezeit der CDU/CSU-Fraktion abgezogen wird. Die CDU/CSU hat zwei Minuten weniger Redezeit. Als nächster Redner erhält der Kollege Dietmar Friedhoff von der AfD das Wort zu seiner ersten Parlamentsrede. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eines gleich vorweg: Entwicklungspolitik beginnt für die AfD-Fraktion hauptsächlich aus der Perspektive der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zum Nutzen der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Kommen wir nun, Herr Minister zu dem Koalitionspapier und zu Ihren Vorstellungen eines Afrikas bis zum Jahr 2063. Es besteht, wie so oft, aus einer Anreihung von blumigen Ideen und den aus Ihrer Politik bekannten Worthülsen. Erstens. Das Ganze startet schon mit der Worthülse „Marshallplan“. Sie soll beim Zuhörer positive Emotionen erzeugen. Die Bilder, die dabei entstehen, lassen sich aber leider nicht in die Realität Afrikas überführen; denn dazu bedarf es stabiler und nicht fragiler Staaten. Es bedarf rechtlich regulierter Finanzsysteme und der Abschaffung von Handelsbarrieren, so wie es die Vorgaben der Amerikaner letztendlich auch an Europa waren. Aber wie bitte soll das auf einem Kontinent geschehen, der weder über ein gemeinsames Wertesystem verfügt noch Verwaltungsstrukturen kennt, zumal Afrika durch Handelsbarrieren nach Europa mehr Geld verliert, als durch Entwicklungshilfe zurückfließt? Das Ganze wird zusätzlich eingerahmt von einer Gemengelage, in der bekannte Großmächte wie Frankreich und Amerika Konflikte in dieser Region forcieren, um die Hand auf diversen Ressourcen zu behalten. ({1}) Zweitens: Ihre Aussage zu der von der Bundesregierung umgesetzten Vernetzung von Entwicklung, Frieden und Sicherheit. Sie, Herr Minister Müller, sagten dazu, Deutschland gehe voran; denn Europa sei noch nicht so weit. Herr Müller, Deutschland als Großmacht? Sie tun gerade so, als ob wir die Regeln in und für Afrika vorgeben. Wir gehen nicht voran, sondern wir trotten nach. 800 deutsche Unternehmen zu 10 000 chinesischen in Afrika zeigen doch hier ein klares Bild. Aber in einem gebe ich Ihnen recht: ohne Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung keine Sicherheit. Nur haben wir das nicht in der Hand, Herr Minister. 2 Prozent wollen Sie zukünftig für Entwicklungshilfe ausgeben. Berechnet man die Rücküberweisungen der in Deutschland lebenden Migranten mit ein, könnte das Ziel der 2 Prozent schon bald erfüllt sein. ({2}) Man kann nur geben, wenn man etwas hat, und man kann nur helfen, wenn man sich nicht selber vorsätzlich in Gefahr begibt. Das bedeutet für Deutschland, die eigenen Grenzen zu schützen und illegale Migration zu unterbinden, um den Wirtschafts- und Sozialstandort zu schützen und eben nicht auszuhöhlen. ({3}) Liebe deinen Nächsten – das stimmt –, aber wie dich selbst! Drittens. Die Bevölkerung Afrikas wird sich in den nächsten 32 Jahren verdoppeln. Sie wächst also um 1,2 Milliarden Menschen auf circa 2,4 Milliarden Menschen an. Jeden Tag wächst damit die Bevölkerung Afrikas um über 100 000 Menschen. Jeden Tag! Und Ihr Ziel ist: 80 Prozent der Menschen in Afrika sollen Zugang zu Bildung, digitaler Infrastruktur, Gesundheitsvorsorge und Energie bekommen – berechtigterweise; aber jetzt kommt es: All das, was wir uns hier vornehmen, wollen wir tun, ohne die Umwelt zu zerstören. Dass das nicht geht, wissen wir doch alle hier. ({4}) Deswegen zurück zum Anfang: Ein zusätzlicher Aspekt des Marshallplanes war es doch, der boomenden amerikanischen Wirtschaft zusätzliche Absatzmärkte zu generieren. ({5}) Der Beschreibung der Eckpunkte des Marshallplans für Afrika kann man Folgendes entnehmen – das kann man übrigens in dem Prospekt nachlesen, den Sie herausgegeben haben –: … Ziel ist ein Afrika, das „in puncto Lebensqualität weltweit zur Spitzengruppe gehört“ … und dessen – nun kommt die entscheidende Stelle – „Humankapital als ... Ressource voll entwickelt“ ist. Ergo: Es braucht neue Verbraucher, damit unsere Wirtschaftssysteme nicht straucheln.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Die Industrienationen werden also munter weiterproduzieren und werden somit eine neue Migration erschaffen, auf die wir vorbereitet werden: die Klimaflüchtlinge.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte!

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir, die Industriestaaten, werden dafür haften.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum letzten Satz, bitte!

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Bis 2050 werden rund 700 Millionen Menschen auf der Welt unterwegs sein, ein Großteil davon auf dem Weg nach Europa. Es ist ein Kampf um Absatzmärkte und Ressourcen, nicht nur um Öl und Trinkwasser, sondern auch um die Konsumenten. Deswegen sagen wir: Ehrlicher und fairer Handel statt Almosen! Herr Minister, schaffen Sie endlich Ihre versprochenen Leuchttürme, die durch Afrika strahlen, aber immer mit dem Blick auf die Realität und dem Mut zur Wahrheit! Beides fehlt uns bei Ihrem Ansatz leider gänzlich. Ich bedanke mich. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, da ich Sie in Ihrem Redefluss bei Ihrer ersten Rede nicht bremsen konnte, muss ich Ihrer Fraktion mitteilen, dass Ihr nachfolgender Redner leider nur noch zwei Minuten dreißig zur Verfügung hat. ({0}) – Jetzt, der nächste Redner. ({1}) – Das mag sein, aber Sie dürfen auch bei Ihrer ersten Rede die Redezeit nicht überziehen. Das ist bedauerlicherweise so, auch wenn mir und Ihnen das leidtut. Der nächste Redner der AfD hat noch zwei Minuten dreißig. Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Gabi Weber von der SPD. ({2})

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir nach der langen Phase der Regierungsbildung nun endlich in die weitere Gestaltung der Entwicklungszusammenarbeit einsteigen können. Vor uns liegen die gleichen großen Herausforderungen, mit denen wir die letzte Legislaturperiode beendet haben. Ich nenne davon einige. Das Hauptthema ist die Umsetzung der Agenda 2030. Wir haben noch zwölf Jahre, um das alles umzusetzen. Dazu gehören die Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten, die Erreichung des 0,7-Prozent-ODA-Ziels, die Unterstützung der am wenigsten entwickelten und fragilen Staaten, Friedensstärkung – danke, Herr Minister, dass Sie das noch einmal unterstrichen haben –, gute Arbeit weltweit, fairer Handel, die Anpassung an den Klimawandel, die Zusammenarbeit mit unseren Partnerländern auf Augenhöhe sowie die Stärkung der Zivilgesellschaft in Entwicklungsländern und die Verhinderung weiterer Beschränkungen ihrer freien Entfaltung. ({0}) All diese Themenfelder tragen dazu bei, Fluchtursachen erst gar nicht entstehen zu lassen und sie mittel- bis langfristig zu verhindern. Genau das ist die Aufgabe unserer Entwicklungspolitik, also auch des BMZ, und nicht der schnelle, aber wenig nachhaltige Effekt. Entwicklung braucht Zeit. In diesem Zusammenhang ist mir noch etwas sehr wichtig: die Finanztransaktionsteuer. Auch hier bin ich für die entsprechende Bemerkung dankbar. Für diese Steuer trete ich schon lange mit Nachdruck ein und hoffe nun mit unserem Bundesfinanzminister auf eine zügige Umsetzung. Wir brauchen diese Einnahmen zur Finanzierung der von mir genannten Aufgaben. ({1}) Erstaunlich ist: Frankreich hat diese Steuer bereits eingeführt, wenn auch nur im nationalen Bereich. Ich hoffe endlich auf eine europäische Lösung. Die französische Botschafterin hat mir dazu gestern die Unterstützung Frankreichs signalisiert. Hier haben wir eine gute Handhabe, um dieses Ziel zu erreichen. In den anstehenden Haushaltsberatungen geht es für meine Fraktion darum, den Einzelplan 23 so auszustatten, dass wir die bilaterale und die multilaterale Entwicklungspolitik solide finanzieren. Zentral ist dabei – auch das haben wir im Koalitionsvertrag verankert –, das drohende Absinken der ODA-Quote in diesem Jahr unbedingt zu verhindern. ({2}) Die Kanzlerin hat sich heute in ihrer Regierungserklärung ebenfalls darauf bezogen und gesagt, dass sie so lange nicht ruhen wird, bis das 0,7-Prozent-Ziel der ODA-Quote erreicht ist. Ich hoffe, dass wir das in dieser Wahlperiode auch tatsächlich erreichen. ({3}) Wir benötigen aber auch den Beitrag privaten Kapitals. Der Einsatz staatlicher Mittel zu dessen Mobilisierung und Absicherung kann nur dann gewährt werden, wenn die Vorhaben überprüfbar im Einklang mit den international anerkannten Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards stehen; auch das gibt unser Koalitionsvertrag her. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zum Chancenkontinent Afrika. Ich begrüße es, dass sich der Blick auf diese Region der Welt zunehmend wandelt – auch wenn man das hier nicht unbedingt gehört hat –, weg von einem Bild, das von Krisen, Armut und Hunger dominiert ist. Jetzt gilt es, unsere Afrika-Politik gut zwischen den einzelnen Ministerien abzustimmen. Das ist in meinen Augen noch nicht der Fall. Wir haben den „Marshallplan mit Afrika“, den „Compact with Africa“, die „Initiative Pro! Afrika“. Alle befassen sie sich mit Afrika, sind aber leider nicht immer abgestimmt. Wir wollten die Erarbeitung einer einheitlichen Strategie im Koalitionsvertrag verankern. Das war mit der Union vorerst leider nicht möglich. Aber trotzdem habe ich einen großen Wunsch an die Kanzlerin: Aus drei mach eins: eine Afrika-Strategie für die gesamte Bundesregierung. – Das wäre dann ein großes Ding. Afrika hätte es verdient, dass wir das wirklich zusammenbinden. ({4}) Die Kanzlerin sprach heute Mittag auch von einer neuen Partnerschaft mit Afrika. Ich hatte diese Woche die Gelegenheit, mit sehr vielen Botschafterinnen und Botschaftern Afrikas über ihre Sicht auf diese Partnerschaften zu sprechen. Was sie sich wünschen, ist langfristig ausgerichtete Kooperation auf Augenhöhe unter Berücksichtigung der Agenda 2063 der Afrikanischen Union, Unterstützung bei der beruflichen Bildung auch und gerade im Handwerk, trilaterale Partnerschaften und die Stärkung innerafrikanischer Kooperation, Finanzie­rungsinstrumente, die die Afrikanische Entwicklungsbank eng einbinden, und unsere Partnerschaft nicht auf Migrationsverhinderung zu reduzieren. ({5}) Ein Bild, das mir die Diplomaten und Diplomatinnen dazu mitgaben, lautet: Stülpt uns keinen Anzug über, der uns nicht passt, sondern nehmt zur Kenntnis, was wir bereits selbst in Afrika erarbeitet haben. Das, denke ich, ist ein hervorragender Gedanke; den kann ich nur weitergeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Afrika-Fokus darf nicht zur Vernachlässigung anderer Partnerländer weltweit führen. Das gelingt am besten mit multilateralen Lösungen und in enger Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen, zum Beispiel den UN-Organisationen. Auch das hat die Kanzlerin heute betont. Herr Minister, ich möchte noch auf Ihren neu ausgerufenen Schwerpunkt eingehen, den Sie als „Perspektive Heimat“ beschreiben. Hinter diesem Titel sollen sich Rückkehrerprogramme verbergen. Was in Ihrem Haus dabei umgesetzt werden soll, ist in unseren Augen nicht unbedingt das ureigene Geschäft des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. ({6}) Es sind Pflaster für die deutsche Innenpolitik. Entwicklungspolitik hat stattdessen die Aufgabe, Fluchtursachen erst gar nicht entstehen zu lassen. ({7}) Da haben wir die Aufgabe, in den Partnerländern eine starke Grund- und berufliche Bildung und gute Arbeit, die eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung nach sich zieht, zu schaffen. Das bedeutet, Perspektiven in der Heimat der Menschen zu schaffen und nicht darauf zu warten, dass sie unterwegs sind. ({8}) Herr Minister, Sie haben Sonderinitiativen ins Leben gerufen, um schnell auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Das kann sinnvoll sein. Entwicklungszusammenarbeit ist aber globale Strukturpolitik, die Zeit braucht. Wenn Sie das Instrument der Sonderinitiativen weiterführen wollen, darf das Kerngeschäft des BMZ, der Aufbau von nachhaltigen Strukturen, darunter nicht leiden. Dazu gehört auch, die große Vielfalt zivilgesellschaftlicher Organisationen und Projekte sicher und langfristig zu finanzieren. Das gilt für kleine und große Projekte. Diese leisten als Botschafter für die Notwendigkeit der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele einen unverzichtbaren Beitrag. Herr Minister, ich freue mich auf die nächsten Jahre der Zusammenarbeit und hoffe, dass wir zu guten Ergebnissen für die Menschen in anderen Teilen der Welt kommen. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Weber. – Als Nächstes erhält das Wort der Kollege Dr. Christoph Hoffmann für die Freien Demokraten. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Minister, und auch Frau Staatssekretärin Flachsbarth und Herrn Staatssekretär Barthle zu Ihren neuen Ämtern ganz herzlich gratulieren. Ich wünsche Ihnen stets eine glückliche Hand bei Ihren nicht ganz einfachen Aufgaben. ({0}) Sie werden ja durch drei neue Stellen in Ihrem Haus wichtige Unterstützung bekommen: durch einen Beauftragten für Religionsfreiheit inklusive zweier Mitarbeiter. Braucht’s des wirklich? ({1}) Für internationale Verhütungskonzepte, die Sie eben angedeutet haben, vielleicht. ({2}) Aber insgesamt stockt die Bundesregierung den Regierungsapparat bekanntlich um 209 Stellen auf. Parkinson hatte also recht: Verwaltung wächst. – Ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesbürger nicht allzu viel Verständnis für eine solche Verwaltungsaufstockung haben. Ich glaube, es ist Aufgabe dieses Hauses, von innen heraus überbordende Bürokratie einzudämmen. Ich habe von Ihnen, Herr Minister, in der Rede nichts gehört, aber auch im Koalitionsvertrag nichts gelesen zu Instrumenten, um in der Entwicklungszusammenarbeit Bürokratie abzubauen und damit schneller, flexibler und günstiger, also insgesamt effizienter, zu werden. ({3}) Sollten Sie nicht den UN, der Weltbank oder EU-Programmen mehr Gelder zukommen lassen? Wäre das nicht vielleicht effizienter und auch wirksamer? Vielleicht ist Effizienz auch dadurch zu erreichen, dass nicht jedes Projekt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit allen Themen und mit Superstandards überfrachtet wird. Im Koalitionsvertrag insgesamt lässt sich kein klares Konzept erkennen. Es ist eher ein Flickenteppich. In dem kleinen Abschnitt zur Entwicklungspolitik ist 17-mal von Wollen die Rede, also von guten Willenserklärungen und Schlagworten, die alles, aber auch nichts bedeuten können. China setzt sein Konzept „One Belt, One Road“ – die neue Seidenstraße – konsequent um. Eine europäische Antwort darauf fehlt bisher. Ihr Marshallplan mit Afrika klingt für die deutsche Öffentlichkeit gut, aber die Entwicklung Afrikas erfordert meines Erachtens eine ganz andere Dimension, als der Marshallplan einst hatte. Wir brauchen hier einen starken multilateralen Ansatz, um das stemmen zu können. Der Marshallplan ist also eher Symbolpolitik, zumal er parallel zu anderen Einzelinitiativen der Bundesregierung läuft. Aber grundsätzlich begrüßen wir, dass Afrika als Kontinent vor der Haustür im Koalitionsvertrag nun höhere Beachtung bekommt. Bisher waren es nur 20 Prozent der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, die nach Afrika geflossen sind. Es müssten eigentlich um die 50 Prozent werden. Außerdem ist gut, sehr geehrter Herr Minister, dass insgesamt mehr Geld in die Entwicklungszusammenarbeit fließen soll. Aber Geld oder erfüllte Haushalte sind nicht alles. Allein die Ergebnisse zählen. ({4}) Vielleicht noch ein Hinweis an die AfD. Ihr Redner hat gerade gesagt, die ODA-Quote liege bei 2 Prozent. ({5}) Nein, wir wären schon froh, wenn wir bei 0,7 Prozent angekommen wären. Wir Freien Demokraten fordern mehr vorausschauende, präventive Konzepte und eine höhere Effizienz sowie eine performanceorientierte Entwicklungszusammenarbeit, die sich strikt an die Sustainable Development Goals der Agenda 2030 anlehnt. Wir Freien Demokraten stehen für Freiheit und Menschenrechte weltweit. Das heißt ganz klar: keine Zusammenarbeit mit korrupten Regimes, keine Zusammenarbeit mit Diktatoren, die Vermögen außer Landes schaffen, sondern besser direkte Hilfe vor Ort für die Menschen. ({6}) Wir müssen neu denken, auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Wir müssen wirtschaftlich in Zyklen denken. Es ist zunächst entscheidend, dass die Produktivität im Agrarsektor für die Eigenversorgung erhöht wird. Dann müssen Gewerbe und der industrielle Zyklus in Gang gebracht werden. Grundvoraussetzung ist ein fairer freier Handel, der heute nicht gegeben ist, und daran sollte die Bundesregierung intensivst arbeiten. ({7}) Hunger und Durst dürfen uns nicht egal sein. Den milliardenschweren Fehler der mangelnden Unterstützung von UN-Programmen und die daraus resultierenden Probleme hat die Kanzlerin heute angesprochen. Auch wenn der Entwicklungsetat steigt, wird letztlich nur die Mobilisierung von privatem Kapital in Form von Investitionen die immens großen Probleme der Entwicklungsländer lösen können. Hieran muss sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit letztlich messen lassen. Wir müssen konzeptionell umschalten: vom Geberland zum Investorenland. ({8}) Parallel müssen wir natürlich auch die Stärkung der inneren Verwaltung in den Entwicklungsstaaten vorantreiben. Zum Beispiel ist die Schaffung von Grundbüchern oder Katastern eine grundsätzliche Voraussetzung für Eigentum. Ohne Eigentum keine Rechte und ohne Rechte keine Entwicklung. Für uns Freie Demokraten haben folgende Ziele Priorität. Erstens. Grundbildung ist der Schlüssel gegen Armut, und sie muss in den Mittelpunkt der nächsten vier Jahre gerückt werden, und zwar auch in den ärmsten Ländern. Die Grundbildung muss auch Frauen zugänglich sein; das ist ein sehr wichtiger Eckpfeiler für Wohlstand in diesen Staaten. ({9}) Zweitens. Auch in den ärmsten Ländern muss die Grundversorgung stärker gefördert werden, also Wasser, Strom, Telekommunikation, aber zum Beispiel auch Straßenbau; denn nur mit Straßen kann der bisher kaum existierende innerafrikanische Handel überhaupt erst stattfinden. Gleichzeitig müssen wir dabei helfen, Verwaltungsstrukturen auf kommunaler oder staatlicher Ebene zu dezentralisieren und durch unsere Expertise zu stärken. Drittens. In Sachen Klimaschutz muss aus unserer Sicht ebenfalls mehr getan werden. Ein verstärktes Engagement zum Schutz verbliebener tropischer Wälder sowie die Wiederaufforstung großer Flächen sind existenziell für unseren Planeten. ({10}) Wälder binden CO 2 und schaffen Einkommen vor Ort. Daher fordern wir: mehr Klimaschutz durch Wald. Deshalb brauchen wir Aufforstung. Viertens. Wir Freien Demokraten setzen auf Partnerschaften mit kleinen und mittleren Unternehmen. Das schafft neue Wirtschaftskreisläufe, Einkommen und steigert den Wohlstand; und Wohlstand ist das beste Mittel für Frieden und gegen Flucht und Migration. Investitionen privater Firmen in den Entwicklungsstaaten bergen Risiken. Wenn wir mehr private Investitionen wollen, dann müssen wir dieses Risiko abfedern. Wir brauchen eine Risikoabsicherung, und wir müssen auch die Kapitalkraft der Entwicklungsbanken stärken. Nur so wird es gelingen, privates Kapital mehr in diese Aufgabe zu bringen; und das ist das Wichtige. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sehen also, Herr Minister Müller: Wir werden hier keine Fundamentalopposition machen. Uns liegt sehr viel an einer erfolgreichen Entwicklungszusammenarbeit. Sie dient letztlich der Zukunftssicherung von uns allen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Hoffmann. – Als Nächstes erhält das Wort zu ihrer ersten Parlamentsrede die Kollegin Helin Evrim Sommer von der Linkenfraktion. ({0})

Helin Evrim Sommer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004897, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1980 musste meine Familie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Türkei nach Deutschland fliehen. Als Gewerkschaftler stand mein Vater auf der Todesliste der türkischen Militärjunta. Ich weiß also, was Flucht bedeutet. Jetzt bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages und sitze im Entwicklungsausschuss. Das ist für mich eine Herzensangelegenheit. ({0}) Die Bundesregierung rühmt sich damit, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungsarbeit auszugeben. Doch das ist Augenwischerei; denn ein Viertel der deutschen Entwicklungsgelder wird für die Versorgung von Geflüchteten in Deutschland eingesetzt. Rechnet man diese Summe heraus, betragen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit nur noch 0,5 Prozent. Das ist ein Armutszeugnis. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie mir eine kurze Unterbrechung. Ich bitte die Kollegen der AfD-Fraktion, die Diskussion schon aus Höflichkeitsgründen zu unterlassen und entweder der Rednerin zuzuhören oder die Diskussion nach draußen zu verlagern. ({0})

Helin Evrim Sommer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004897, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. – Wir Linke wollen die Entwicklungszusammenarbeit neu ausrichten. Die Bedürfnisse der Menschen in den Partnerländern müssen im Vordergrund stehen und nicht die sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen der Geberländer. ({0}) Die Entwicklungspolitik – vor allem die linke Entwicklungspolitik – baut auf drei Säulen auf. Wir wollen erstens einen gerechten Welthandel, zweitens den Klimawandel bekämpfen und drittens eine friedliche Außenpolitik. Eine gerechtere Welt muss auf einem gerechten Welthandel beruhen. ({1}) Man kann doch nicht sagen: Fein, du bekommst Unterstützung, aber nur, wenn du unsere Produkte kaufst. – Das ist doch keine Hilfe, die die wirtschaftliche Situation in den betroffenen Ländern nachhaltig verbessert. Deswegen lehnt die Linke solche neoliberalen Abkommen strikt ab. ({2}) Eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit muss den Klimawandel wirksam bekämpfen. Ich hoffe, Sie konnten heute alle schön duschen, Kaffee trinken, sich die Hände waschen. Das finde ich auch ganz gut. ({3}) Jeder von uns verbraucht etwa 120 Liter Wasser täglich. Es ist unvorstellbar, dass es Menschen gibt, die 24 Stunden zu Fuß unterwegs sind, um Wasser zu holen. In den meisten Fällen ist es verseuchtes Wasser. Jeden Tag sterben fast 1 000 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von schmutzigem Wasser. Schuld daran sind auch wir, die den Klimawandel verantworten und nichts dagegen tun. Übrigens ist morgen der internationale Weltwassertag. Vielleicht denken Sie einmal daran, wenn Sie sich die Hände waschen. ({4}) Last, but not least kann eine erfolgreiche Entwicklungspolitik nur mit einer friedlichen Außenpolitik funktionieren. ({5}) Meine Damen und Herren, ich habe Freunde in den umkämpften Gebieten in Syrien, und sie berichten mir Schreckliches. Sie sind Opfer des Staatsterrors des ­Assad-Regimes in Ost-Ghuta oder des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der Türkei gegen die Kurden in ­Afrin. Und was macht die Bundesregierung? Sie militarisiert ihre Entwicklungspolitik. Sie koppelt die Ausgaben für Rüstung an die Ausgaben für Entwicklung: je mehr Rüstungsausgaben, desto mehr Geld für Entwicklungshilfe also. Das hat doch mit einer friedlichen Außenpolitik gar nichts zu tun, meine Damen und Herren. ({6}) Die Bundesregierung finanziert Kriege und will dann den Opfern scheinheilig helfen, um das eigene Gewissen gewissermaßen zu erleichtern – mehr ist das nicht –, und dann liefert Deutschland munter weiter Waffen an Konfliktparteien. Ausgerechnet das Volumen der Genehmigungen für Rüstungsexporte in Entwicklungsländer hat sich 2017 auf über 1 Milliarde Euro verdoppelt. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung redet oft und gern von westlichen Werten, von Demokratie, von Frauenrechten. Ja, die Kurden stehen für diese Rechte. Die Bundesregierung aber bekämpft die Kurden, unsere Partner, die für die westlichen Werte stehen und in der Anti-IS-Koalition gegen den IS kämpfen, indirekt. Das ist paradox, und die Bundesregierung sollte sich dafür eigentlich schämen. ({7}) Das sagt übrigens eine, die selbst vor einem mörderischen Militärregime aus der Türkei flüchten musste. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Sommer. – Lieber Herr Kollege Ulrich, da ich Ihre Zwischenbemerkung, die witzig war, natürlich gehört habe – ich will sie jetzt nicht wiederholen –, möchte ich darauf hinweisen, dass man vielleicht auf Körperpflege nicht unter Hinweis auf Wassermangel verzichten sollte. ({0}) Als Nächstes hat der Kollege Uwe Kekeritz von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({1})

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller, sicherlich erinnern Sie sich noch daran, wie Sie hier vor vier Jahren zum ersten Mal als Minister standen. Sie haben es damals geschafft, Ihre eigene Fraktion in eine Schockstarre zu versetzen. Heute gelingt Ihnen das nicht mehr, aber damals war das so. Wir Grüne haben damals applaudiert, und ich habe Ihnen damals geantwortet: Das, was Sie erzählen, ist ja wirklich fantastisch. Reine grüne Programmatik, weiter so! – Allerdings haben wir Ihnen dann auch mitgeteilt, dass wir Sie natürlich nicht an den Worten, sondern an den Taten messen werden. Und was ist dann in den letzten vier Jahren passiert? Es gab sehr viele Ankündigungen. Ich nenne als Beispiel das Textilbündnis. Wenn wir heute nach Bangladesch schauen, dann werden wir heute kaum eine Näherin finden, die tatsächlich unter besseren Arbeitsbedingungen arbeitet als vor Gründung des Textilbündnisses. Ein weiterer Bereich der großen Ankündigungen betraf die Landwirtschaft. Der Erfolg Ihrer Ideen zu Wertschöpfungsketten, die wir für richtig halten, und auch zu den grünen Zentren ist doch – das kann man sagen – sehr überschaubar. Ankündigungen und Umsetzungen, Herr Minister, gehören einfach zusammen. Damit haben die Regierung und Sie offensichtlich Probleme, weshalb wir vermutlich im Koalitionsvertrag zum Kapitel Entwicklungspolitik keine wirklich brauchbaren Ankündigungen finden. Im Gegenteil: Der Vertrag verschiebt Fragen wie Fluchtursachenbekämpfung und Kohleausstieg in eine Kommission. Dabei können wir es uns wirklich nicht mehr erlauben, zu warten. Wir müssen gerade bei diesen Fragen heute handeln. ({0}) Was mich sehr besorgt, ist Ihre neueste Ankündigung, die Rückführung zu einem entwicklungspolitischen Schwerpunkt zu machen. Ich diskutiere jetzt mit niemandem über Rückführungen, aber eines muss doch klar sein: Rückführung kann kein entwicklungspolitischer Schwerpunkt sein. Wer das versucht, ist zynisch. ({1}) Schon in den vergangenen Jahren haben Sie, Herr Minister Müller, stets daran mitgewirkt, dass immer mehr Gelder des Entwicklungshilfeetats für Grenzmanagement und andere Fluchtabwehrmaßnahmen missbraucht werden. Wir hätten gehofft, dass Sie Armutsbekämpfung vorantreiben. Stattdessen wurden Deals mit Diktatoren, wie im Sudan, in Tschad, in Eritrea, geschlossen. Das ist ein Offenbarungseid entwicklungspolitischer Art. ({2}) Noch vor gut zwei Jahren haben Sie, Herr Minister, völlig zu Recht vertreten, dass Entwicklungspolitik zivil sein muss und dass sie nicht zur Finanzierung von Sicherheitspolitik verwendet werden darf. Dazu haben Sie heute noch unsere Unterstützung. Aber die Zeiten ändern sich. Wer heute Entwicklungsminister werden will, der muss den Koalitionsvertrag mittragen; das ist doch selbstverständlich. Aber was steht im Koalitionsvertrag zum Thema Entwicklung? Allein die Tatsache, dass sie unter der Überschrift „Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ subsumiert wird, zeigt uns doch ganz klar, in welche Richtung Entwicklungspolitik gelenkt werden soll. Das ist etwas, was wir nicht akzeptieren können. Dass die SPD das mitmacht, halte ich für nicht erklärbar. Ich sehe die Unabhängigkeit Ihres Ministeriums mehr und mehr schwinden. Die Entwicklungspolitik wird immer mehr in den Dienst der Grenzsicherung – die Grenzen werden nach Afrika verlegt – und in den Dienst von Privatinvestoren gestellt. Herr Minister, wir hatten doch in den letzten Jahren genügend Auseinandersetzungen. Es gab aber auch viele Punkte, bei denen wir gemeinsame Ziele verfolgen könnten. Selbstverständlich – es ist heute schon ein paarmal gesagt worden – stehen wir Grünen Ihnen bei, wenn es darum geht, für eine faire Handelspolitik einzutreten, weil fairer Handel eine ganz zentrale Funktion für globale Gerechtigkeit hat. ({3}) Sie haben es aber versäumt, die EPAs zu einem fairen Abkommen zu entwickeln, obwohl sie in Brüssel den Verhandlungshut für diese Regierung aufhatten. Heute sind die EPAs in West- und Ostafrika gescheitert. ({4}) Man glaubt es nicht: Die EPAs sind gescheitert, und plötzlich erscheinen sie wieder im Entwurf des Cotonou-Vertrages, so als ob es niemals eine Kritik an den EPAs gegeben hätte; das darf doch wohl nicht wahr sein. ({5}) Als federführender Minister für den Cotonou-Vertrag bitte ich Sie, das Thema „fairer Handel“ am Kabinettstisch noch einmal aufzurollen und sich in Brüssel dafür einzusetzen, dass dieser Entwurf grundlegend überarbeitet wird. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen, warum dieser Vertrag so gefährlich ist. In diesem Vertrag steht drin, dass sowohl die europäischen als auch die afrikanischen Länder ihre Agrarexporte gegenseitig erhöhen sollen. Was für ein Irrsinn! Wir wissen doch genau, was die Zerstörung von ländlichen Strukturen in Entwicklungsländern bewirkt, wie viele Existenzen vernichtet werden und dass die Entwicklungschancen für ganze Regionen einfach schwinden. Darum, Herr Minister, sorgen Sie bitte in Brüssel und im Kabinett dafür, dass dieser Vertrag überarbeitet wird. ({6}) Sie sollten sich auch für die gemeinsame EU-Agrarpolitik einsetzen, die zurzeit neu gestaltet wird. Sie kommen aus diesem Bereich, Sie wissen, welche Gefahren damit verbunden sind; also machen Sie das bitte. Auch beim Thema Lieferketten gibt es die Chance, bessere Produktionsbedingungen für die globale Lieferkette zu erzielen. Bringen Sie die Bundesregierung endlich dazu, sich aktiv am UN-Binding-Treaty-Prozess zu beteiligen! Deutschland muss aufhören, auf der Bremse zu stehen. Dieser Vertrag ist und bleibt ein historisch einmaliger und höchst entwicklungsrelevanter Prozess.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, das war doch ein schönes Schlusswort, würde ich sagen.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist mein Schlusswort. – Meine Schlussforderung lautet: ({0}) Nutzen Sie die Restentscheidungsbefugnis Ihres Ministeriums, und denken Sie daran, Herr Müller, es gibt nur eines: –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ende der Rede. ({0})

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– Es gibt nichts Gutes, außer du tust es. Danke. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Kekeritz. – Als Nächster für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Volkmar Klein. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister hat eben ziemlich eindrucksvoll die Aufgabe umrissen, die vor uns liegt. Ich freue mich, dass Gerd Müller weiterhin seine erfolgreiche Arbeit – seine erfolgreiche Arbeit, Uwe Kekeritz – fortsetzen kann. ({0}) Uns ist Entwicklungszusammenarbeit sehr wichtig. Aus zwei Gründen sind wir an einem großen Erfolg interessiert: Auf der einen Seite ist Entwicklungszusammenarbeit ein ethisches Gebot, ein Gebot der Nächstenliebe; auf der anderen Seite liegt sie in unserem ganz praktischen Interesse. Denn wir werden in Deutschland auf Dauer nicht in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können, wenn jenseits unserer Grenzen bittere Armut herrscht. Genau deswegen hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung heute Morgen gesagt – ich zitiere –: Für uns ist ein vernetzter Handlungsansatz zentral. Deswegen werden wir die Ausgaben für Entwicklungshilfe und für Verteidigung jeweils eins zu eins erhöhen … ({1}) – Das ist gut für Entwicklungszusammenarbeit; man muss ja realistisch sein. Damit bin ich bereits bei dem ersten von drei Punkten, bei dem Dreiklang, den wir zu Beginn des Kapitels zur Entwicklungszusammenarbeit für den notwendigen Erfolg festgeschrieben haben: erstens öffentliche Mittel, zweitens Privatinvestitionen und drittens fairer Handel. Erstens. Mehr öffentliche Mittel werden gebraucht; das habe ich gerade gesagt. Prioritär werden weitere Spielräume für diesen Bereich genutzt. Deswegen müssen wir ein Interesse daran haben, durch eine gute wirtschaftliche Entwicklung weitere Spielräume zu bekommen. Zweitens: Privatinvestitionen. Dabei müssen wir an zweierlei denken. Es bedarf nicht nur deutscher Investitionen in Entwicklungsländern. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten, dass die DEG-Instrumente weiterentwickelt werden müssen, um besser Garantien geben zu können, dass Fondslösungen geschaffen werden, damit mehr investiert wird. Aber aus meiner Sicht ist es noch viel wichtiger – auch das steht im Koalitionsvertrag –, Start-up-Programme, Mittelstandsprogramme in den Entwicklungsländern zu fördern. Denn wir können uns doch nicht damit abfinden, dass meinetwegen im Osten Kongos – ich habe mir das im letzten Jahr selber anschauen können – 95 Prozent der Absolventen einer Hochschule, alle Agraringenieure, arbeitslos sind. Da ist doch genug zu tun. Da werden Unternehmer gebraucht, und wir müssen sie in die Lage versetzen, auch unternehmerisch tätig sein zu können. Drittens: fairer Handel. Wir müssen mehr Barrieren abbauen, damit es mehr Handel gibt, aber auch damit es mehr zu handeln gibt. Wir haben im Koalitionsvertrag die „Stärkung afrikanischer Angebote“ festgehalten. Es muss auch etwas aus Afrika geliefert werden können. Da gibt es bisher noch ganz erhebliche Defizite. Grundvoraussetzung für das Gelingen dieses Dreiklangs – auch das haben wir im Koalitionsvertrag stehen – ist ein vierter Punkt: gute Regierungsführung in den entsprechenden Partnerländern. Meine Damen und Herren, eine Zahl hat mich in den letzten Tagen total erschüttert. Ich habe mir einmal die Liste der volkswirtschaftlichen Steuerquoten der unterschiedlichen Länder angeschaut. Nigeria liegt mit 2,9 Prozent gemeinsam mit Somalia und dem Südsudan, zwei Failed States, auf dem letzten Platz. Nigeria ist aber ein reiches Land. Selbst ärmere Länder in Westafrika – Burkina Faso hat pro Kopf ein Bruttoinlandsprodukt, das nur ein Fünftel von dem Nigerias ausmacht – haben schon 15 Prozent. Wenn es in Nigeria aber nur 2,9 Prozent sind, dann steht das doch einerseits dafür, dass es ein Unvermögen gibt, Steuern zu erheben, und andererseits wahrscheinlich dafür, dass es ziemlich viel Korruption gibt. Da können wir helfen. ({2}) Da können wir zum einen einfordern, die Korruption besser zu bekämpfen; zum anderen können wir solche Länder in die Lage versetzen, selbst mehr Steuern einzunehmen. ({3}) Genau das ist das, was uns der ghanaische Präsident Nana Akufo-Addo vor drei Wochen bei seinem Besuch mit seiner Vision „Ghana Beyond Aid“ mit auf den Weg gegeben hat. Ich sage einmal, das muss sich auf ganz Afrika beziehen: Afrika Beyond Aid. Ich würde mir wünschen, dass wir alle gemeinsam an dieser tollen Vision für Afrika arbeiten. Dazu laden wir als Koalition Sie und euch alle ganz herzlich ein. Danke sehr. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Markus Frohnmaier von der AfD-Fraktion zu seiner ersten Parlamentsrede. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kollegen! Wenn wir über Entwicklungspolitik sprechen, hört man in diesem Hohen Hause von der Bundesregierung bis dato nur einen einzigen Ansatz: Brunnen bohren, Mädchenschulen bauen, den CO 2 -Ausstoß in Hungergebieten senken und Gender Mainstreaming im Königreich Lesotho fördern. ({0}) Nehmen wir das Beispiel Madagaskar, eines der Hauptzielländer im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Wie effektiv war sie in den letzten 30 Jahren? ({1}) Jahrzehntelanger Geldregen hat den Wald dort nicht zum Wachsen gebracht, die Müllberge hingegen schon. Von insgesamt acht Entwicklungszielen der internationalen Gemeinschaft wurde kein einziges erreicht. ({2}) Es gibt aber auch einen Gegenentwurf zu Ihrer Politik, die nach meiner Empfindung verfehlt ist. Die Volksrepublik China ist in den letzten beiden Jahren zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen, jedoch mit einer für uns negativen Handelsbilanz von 14,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Die chinesische Regierung investiert Rekordsummen in Firmenübernahmen und Beteiligungen. Bekanntheit erlangten die Übernahme des deutschen Roboterherstellers Kuka sowie der Einstieg bei Daimler und der Deutschen Bank. ({3}) Unter dem Strich heißt das: Deutschland verliert gegenüber China immer mehr Konkurrenzfähigkeit – gegenüber China, an das wir bis Ende des Jahres immer noch Entwicklungshilfe zahlen. ({4}) Hinzu kommt ein schleichender Substanzverlust durch den Ausverkauf strategisch wichtiger Unternehmen und deutscher Schlüsselindustrie. Bereits im Jahre 2014 besuchte der chinesische Staatspräsident die Stadt mit dem größten Binnenhafen Europas, Duisburg. Die Stadt hat seitdem eine Güterzugverbindung mit der industriellen Herzkammer Chinas, der 30-Millionen-Menschen-Metropole Chongqing. Damit ist Duisburg auch ein Knotenpunkt des ehrgeizigen Seidenstraßenprojekts der chinesischen Führung. Sie sehen also: China hat offensichtlich eine wirtschaftspolitische Entwicklungsstrategie, die funktioniert. ({5}) Sie funktioniert in China, sie funktioniert in Afrika, sie funktioniert in Europa und, ja, meine Damen und Herren, sie funktioniert auch in Duisburg. Ihre Entwicklungsstrategie, Herr Müller, funktioniert hingegen nirgendwo. ({6}) Wir brauchen keinen Marshallplan für Afrika. Was wir brauchen, das ist ein Deutschlandplan, ein Deutschlandplan, der neue Märkte für unsere Wirtschaft erschließt und die Wohlfahrt des deutschen Volkes fördert. ({7}) In diesem Fall kann man sagen: Von China lernen heißt siegen lernen. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Frohnmaier. Das war eine Punktlandung, um das noch einmal zu wiederholen. – Als Nächster hat der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gehört sich ja, dass man Contenance wahrt, wenn einer seine erste Rede hält. Nachdem Sie sich über unsere bildungspolitischen Anstrengungen in den Entwicklungsländern lustig gemacht haben, Herr Frohnmaier, würde ich mal sagen: Anstatt eines Deutschlandplanes täte Ihnen vielleicht ein Bildungsplan hinsichtlich entwicklungspolitischer Fragestellungen ganz gut. ({0}) Wir werden es sicherlich noch im Ausschuss mit Ihnen diskutieren. Ich lasse es also einfach dabei bewenden und komme von Duisburg zurück zu unserem Thema, nämlich zu unserem Anliegen, Menschen in Entwicklungsländern Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Wir haben heute im Ausschuss sehr schlimme Berichte zum Beispiel über die Lage im Osten des Kongos gehört. Sie, Herr Minister, haben das vorhin auch angesprochen. Wir haben außerdem von jemandem, der vor Ort war, geschildert bekommen, dass er live miterlebt hat, wie dort Zehntausende Kinder in den Bergbauminen arbeiten, Zehntausende Kinder als Soldaten missbraucht werden, wie Kinder ausgebeutet werden, damit wir mit den neuesten Handys telefonieren können, mit Elektroautos fahren können. Ich sage: Da dürfen wir nicht wegschauen. Die Tränen dieser Kinder dürfen nicht der Schmierstoff unserer Wirtschaft sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Wir haben als großes Wirtschaftsland in der Mitte Europas natürlich eine besondere Verantwortung, genau hinzuschauen, unter welchen Bedingungen die Rohstoffe abgebaut werden, die wir beziehen. Wir haben es, nachdem es in der damaligen Bundesregierung sehr kontrovers diskutiert worden ist, im letzten Jahr geschafft – ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass ich dazu beitragen konnte –, dass es jetzt eine EU-Verordnung zum Thema Konfliktmineralien gibt, die zumindest Zinn, Tantal, Wolfram und Gold betrifft. Bislang ist es ja so, dass man selbst dann, wenn man einen Trauring kauft, der ja eigentlich ein Zeichen der Liebe sein sollte, nicht sicher sein kann, ob das Material nicht in illegalen Minen zum Beispiel im Kongo abgebaut wurde, wo Kinder in dunkle, kleine Schächte reinkrabbeln müssen oder mit Quecksilber vergiftet werden, wenn sie Gold schürfen. Es ist gut, dass es diese Verordnung jetzt gibt. Wir haben auch in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben, dass wir sie zügig in nationales Recht umsetzen wollen; es gibt für die Mitgliedstaaten eine Frist bis zum Jahr 2021. Ich zitiere den Koalitionsvertrag: Die EU-Verordnung zum Handel mit Konfliktmineralien werden wir zügig in nationales Recht mit starken Durchsetzungsbestimmungen umsetzen und uns auf europäischer Ebene für die Abschaffung der Freigrenzen und Ausweitung auf die gesamte Lieferkette einsetzen. Das ist auch sehr wichtig. Wir haben aber heute Morgen beim Bericht aus dem Kongo gesehen, dass wir die Regelungen dazu anpassen müssen, welche Mineralien als Konfliktmineralien einzustufen sind. Zum Beispiel wird Kobalt eines der Schlüsselmineralien sein, wenn wir in Zukunft die Elektromobilität ausweiten wollen. Mehr als die Hälfte des weltweiten Kobaltbedarfs kommt zurzeit aus dem Kongo. Deswegen sollten wir uns, Herr Minister, gemeinsam dafür einsetzen, dass wir Kobalt in die Regelungen zu Konfliktmineralien mit aufnehmen, damit Unternehmen verpflichtet sind – gesetzlich und nicht nur freiwillig –, nur noch Rohstoffe zu verwenden, die aus sauberen Minen mit anständigen Arbeitsbedingungen für die Menschen gefördert wurden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Die Demokratische Republik Kongo erhält im Rahmen des Präferenzsystems und der Regelung „Everything But Arms“ – also „Alles außer Waffen“ – einen zollfreien Zugang zur EU. Es kann eigentlich nicht sein, dass wir Ländern zollfreien Zugang gewähren, die Menschenrechte verletzen, obwohl sie sich eigentlich verpflichtet haben, sie einzuhalten. Herr Minister Müller, Sie haben zu Recht gesagt, die Menschenrechte sollen Richtschnur unserer Entwicklungspolitik sein. Das muss dann aber auch für unsere Handelspolitik gelten. Wir können die Länder, in denen sich Präsidenten und Regierungsarmeen an diesem illegalen, dreckigen Geschäft beteiligen und Kinder versklavt werden, nicht auch noch belohnen, indem wir sagen: Das, was ihr da fördert, kann zollfrei auf unsere Märkte kommen. – Das sorgt auch für Wettbewerbsverzerrung gegenüber den Ländern, die sich an Standards und Menschenrechte halten. Deswegen sage ich: Wir müssen die EU-Kommission auffordern, die Instrumente, die es beim Präferenzsystem gibt, endlich auch anzuwenden und nicht weiter zuzuschauen, wenn mit dem Blut der Kinder Geschäfte gemacht werden und die entsprechenden Produkte auch noch zollfrei nach Europa kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Insofern ist die Diskussion auf europäischer Ebene über die künftige Architektur der Freihandelsabkommen so entscheidend. Die Diskussion läuft momentan. Am 22. Mai soll der Rat darüber befinden, wie wir künftig mit allen Ländern der Erde Freihandelsabkommen abschließen. Im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitskapitel, das die Menschenrechte, die Umweltstandards und auch die ILO-Kernarbeitsnormen, die Arbeitnehmerrechte, betrifft, geht es darum, dafür zu sorgen, dass es – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr ausreicht, wenn sich Länder lediglich schriftlich zur Einhaltung der Standards bekennen. Vielmehr brauchen wir konkrete Beschwerde-, Überprüfungs- und Reaktionsmechanismen, damit bei Nichteinhaltung der Standards entsprechende Sanktionen erfolgen können. Ich bin froh, dass wir uns einig waren und in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dass wir solche konkreten Beschwerde-, Überprüfungs- und Reaktionsmechanismen vereinbaren wollen. Jetzt muss aber auch unser neuer Wirtschaftsminister gemeinsam mit unserem Entwicklungsminister in Brüssel tätig werden; denn in vier Jahren brauchen wir uns über dieses Thema nicht mehr zu unterhalten, wenn die Europäische Kommission im Mai dieses Jahres das erst einmal so beschlossen hat, wie sie es vorhat. Frau Malmström hat ja leider gesagt, dass sie weiter auf ein reines Dialogverfahren setzen will. Der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange, hat sich zu Recht darüber beschwert, weil das Europäische Parlament Resolutionen zu einem Durchsetzungsmechanismus, einem Sanktionsmechanismus eingebracht hat. Auch Frankreich, Italien und Deutschland sprechen sich dafür aus. Es kann von daher nicht sein, dass Frau Malmström ziemlich zynisch und kalt sagt, sie wolle jetzt einen Schlusspunkt unter die Debatte setzen, es solle alles so bleiben, wie es ist. Es darf nicht sein, dass sich die Europäische Union hier schuldig macht. Wenn wir fairen statt freien Handel wollen, dann müssen wir jetzt dafür sorgen, dass das in den künftigen Handelsverträgen der Europäischen Union umgesetzt wird. ({4}) In diesem Sinne bitte ich das ganze Haus und auch unsere Bundesregierung um Unterstützung. So können wir dafür sorgen, dass wir in vier Jahren, wenn wieder eine Debatte zu einem Regierungsprogramm hier im Bundestag ansteht, nicht mehr darüber reden müssen, dass wir unsere Handys, unsere Autos, unser Gold und unseren Schmuck aus solchen dreckigen Quellen beziehen, sondern uns darüber freuen können, dass die Gewinne der Globalisierung endlich bei den Menschen ankommen und nicht nur bei den Großkonzernen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dr. Raabe, herzlichen Dank für Ihren Beitrag. – Als nächster und letzter Redner spricht zu uns der Kollege Matern Freiherr Marschall von Bieberstein. ({0})

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Herr Präsident, das war ausgesprochen ausführlich. ({0}) Ich danke Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und auch den Zuschauern auf der Tribüne, dass Sie zu dieser späten Stunde noch ausharren. Ich freue mich auch, dass ich eine Minute kürzer reden kann, nachdem Bundesminister Müller die wichtigsten Dinge schon vorab gesagt hat. ({1}) Ich danke auch den zahlreichen Staatssekretärinnen und Staatssekretären, dass sie zu dieser späten Stunde noch anwesend sind. ({2}) Ich möchte, da ich hier auch den Kollegen Silberhorn sehe, schon einmal klarmachen, dass sich der vernetzte Ansatz, von dem wir reden, auch personell niederschlägt. Der Kollege Silberhorn ist ja als Parlamentarischer Staatssekretär vom Entwicklungsministerium ins Verteidigungsministerium gewechselt. Es ist völlig unabweisbar, dass die Verbindung zwischen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik absolut notwendig ist. Das gilt zumal, wenn wir nach Afrika schauen. ({3}) In Afrika sind nicht nur wir Deutsche, sondern auch wir Europäer gefordert; denn den Herausforderungen, denen Afrika und damit auch wir in naher bzw. unmittelbarer Zukunft ausgesetzt sind, kann selbstverständlich nur durch unsere eigenen Anstrengungen begegnet werden. Der Kollege Graf Lambsdorff, der gerade freundlicherweise noch einmal zurückgekehrt ist, ({4}) hat neulich im Namen der FDP eine Initiative auf den Weg gebracht, um einen gemeinsamen europäischen Ansatz in der Außen-, der Sicherheits- und der Verteidigungs-, aber eben auch in der Entwicklungspolitik auf den Weg zu bringen. Die Europäische Union hat auf ihrem Gipfel mit der Afrikanischen Union in Abidjan im November des vergangenen Jahres ja Leitlinien festgelegt und Grundlagen dafür gelegt, dass wir diesen Weg zusammen gehen. Europäische Entwicklungspolitik – auf diesen Punkt will ich mich konzentrieren – muss ein neues Vertragsverhältnis mit Afrika auf den Weg bringen. Sie sollte übrigens parallel dazu nicht die Nachbarschaftspolitik mit den Maghreb-Staaten aussetzen; diese brauchen wir als ein davon getrenntes Element. Die südliche europäische Nachbarschaftspolitik ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig. Schauen wir weiter in den Süden in die Sahelzone. Dort gibt es die G-5-Sahelinitiative. Wir verfolgen mit ihr zunächst einen sicherheitspolitischen Ansatz, indem wir den Aufbau einer gemeinsamen Armee dieser fünf Staaten stärken. Aber dem folgt natürlich ein entwicklungspolitischer Ansatz, für den wir Mittel in beträchtlicher Höhe zur Verfügung stellen. Hierbei geht es selbstverständlich wie auch anderswo darum, dass wir gerade den jungen Menschen in Afrika eine Perspektive für eine Zukunft in ihren eigenen Ländern bieten. In sehr vielen Ausbildungsberufen können wir dort Chancen eröffnen. Auch die Landwirtschaft ist dort ganz wichtig – in diesem Zusammenhang schaue ich auf den aus dem Entwicklungsministerium ausgeschiedenen und ins Landwirtschaftsministerium gewechselten Kollegen Hans-Joachim Fuchtel –, auch deswegen, weil ich finde, dass wir tatsächlich – und das gilt nicht nur für den Maghreb – von der Europäischen Union aus endlich eine Öffnung unserer Märkte für die Agrarprodukte aus Afrika auf den Weg bringen müssen. Wir können nicht immer nur davon reden, dass wir dort investieren, sondern sollten die Produkte aus Afrika auch in unseren Ländern annehmen. Das ist eine wichtige Forderung, die wir auf den Weg bringen müssen. ({5}) Zum Schluss noch – Kollege Raabe, Sie haben es erwähnt – ein Blick ganz weit nach Süden, in den Kongo. Da ist noch viel zu tun; ich erwähne zum Beispiel das Textilbündnis. Auch die Initiative für faire Schokolade sei in Erinnerung gerufen. Aber wenn wir auf die kritischen Metalle schauen, insbesondere auf Kobalt, das wir ja für die E-Mobilität brauchen, die wir stark fördern wollen, dann sehen wir genau daran – und das bitte ich alle Fraktionen je nach ihrem politischen Schwerpunkt zu beachten –, welchen Zielkonflikt es zwischen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten geben kann. Das kristallisiert sich eben in einer solchen Frage: Wie können wir dieses für E-Mobilität notwendige Metall in großem Stile nach Europa importieren – hoffentlich zum Wohle der exportierenden afrikanischen Länder –, ohne dabei gleichzeitig Grundlagen in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht für diese Länder zu unterlaufen? Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege von Marschall. – Das Präsidium kann bestätigen, dass Graf Lambsdorff den Plenarsaal nicht verlassen hatte, sondern seinen Weg zur Regierungsbank gesucht hat. Ich bedanke mich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung angekommen. Ich bedanke mich bei Ihnen wirklich für das Durchhaltevermögen, für die teilweise aufmerksame, konzentrierte und empathische Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. März 2018, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 22.22 Uhr)