Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/26/2021

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine Damen und Herren! Bisher hat jede meiner Reden zu den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses mit strafenden Worten an die Konsensparteien und an die Regierung begonnen, weil wir als AfD als immerhin stärkste Oppositionsfraktion in diesem Hause bisher von diesen Vorgesprächen zum Vermittlungsausschuss immer ausgeschlossen waren. Wir waren nicht einbezogen. Aber offenbar trägt meine intensive Schelte der letzten Jahre gute Früchte. Deshalb vorab mein ehrlicher Dank an Staatssekretär Krings – er ist heute nicht da; aber Sie mögen es ihm ausrichten – für das faire Verfahren, die AfD hier erstmalig von Anfang an einzubeziehen, auch in die stundenlangen Telefonkonferenzen zu nächtlicher Stunde. Ich frage mich: Warum nicht immer so? Es geht doch. Also vielen Dank zunächst an Staatssekretär Krings. ({0}) Im Ergebnis können wir allerdings dem Vermittlungsvorschlag nicht zustimmen, obwohl er – das ist zuzugeben – viel Wichtiges und auch einiges Richtiges enthält. Unsere Abwägung zwischen den Belangen der Sicherheitsbehörden und der inneren Sicherheit auf der einen und dem Inkrafttreten des gänzlich inakzeptablen, weil verfassungswidrigen Lambrecht’schen Hass- und Hetzegesetzes – Frau Lambrecht ist ja Gott sei Dank da – auf der anderen Seite führt für uns von der AfD zu einem klaren Nein zu diesem Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Warum, will ich Ihnen kurz erläutern, wobei wir uns zunächst einmal die Geschichte dieses Reparaturgesetzes, das im Zusammenhang mit dem Lambrecht’schen Hass- und Hetzegesetz steht, anschauen müssen. Letzteres – also das Hass- und Hetzegesetz von Frau Lambrecht – offenbart noch immer eindrucksvoll die Fehlbesetzung des Justizministeriums mit dieser Dame, die mit Justiz offenbar nichts am Hut hat, dafür aber umso mehr mit Genderquatsch, bunten Träumereien, Einflussnahme auf die Besetzung von Gerichtsspitzen und dem Krampf gegen rechts beschäftigt ist. Ihr Scheitern bei diesem Gesetz war also nicht nur der Idee zu diesem Gesetz geschuldet, sondern auch der Machart. Dieses Gesetz wird verfassungswidrig bleiben. Und das sage nicht nur ich als Stephan Brandner von der AfD hier vorne, das stellte sogar – oh Wunder – auch Bundespräsident Steinmeier fest, der es ja, wie allgemein bekannt, gelegentlich an präsidialer Distanz insbesondere zu linksradikalem und gewaltverherrlichendem Gedankengut – Stichwort „Feine Sahne Fischfilet“ und „KIZ“ – fehlen lässt. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Brandner, bitte kritisieren Sie unser Staatsoberhaupt nicht. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich lobe es jetzt sogar. – Dennoch verweigerte sogar Herr Steinmeier dem Hass- und Hetzegesetz von Frau Lambrecht seine Unterschrift – eine Klatsche für Frau Lambrecht. Das hätte in jeder funktionierenden Demokratie zu einem Rücktritt als Justizministerin geführt, nicht so aber in Deutschland – leider. Und überhaupt, dass ein Bundespräsident ein Gesetz nicht unterzeichnet, ist seit 1949 erst ein paar Mal vorgekommen. ({0}) Und weil Justizministerin Lambrecht so krachend versagt hat, beauftragte man auch nicht etwa sie mit dem Reparaturgesetz, sondern das Innenministerium – also eigentlich die nächste Klatsche. ({1}) Trotzdem – und das muss uns Frau Lambrecht vielleicht einmal erklären – zeigt sie sich nun erfreut über dieses Gesetz, ist sehr dankbar, dass nun endlich der Weg für ihr Traumpaket gegen rechts und Hass frei sei. Aber seien Sie gewiss – das sage ich Ihnen von hier vorne; Sie können es gerne überprüfen –: Auch das nun beabsichtigte Gesetz wird vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben. Es verstößt nämlich gegen Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes, weil es eben kein allgemeines Gesetz ist. Es wird zwar behauptet, es sei gegen Hass und Rechtsextremismus ausgerichtet, es ist aber nichts anderes als ein Zensurgesetz gegen alles Bürgerliche und gegen alles Vernünftige. ({2}) Einig sind wir uns, meine Damen und Herren, dass gegen Rechtsextremismus vorgegangen werden muss – und ja, auch intensiv vorgegangen wird. Warum Sie aber nicht – wie allein die AfD – gegen sämtliche Arten des Extremismus, also auch gegen den linken und vor allem auch gegen den höchstgefährlichen religiösen, also islamistisch motivierten Extremismus vorgehen können, vorgehen wollen oder vorgehen dürfen, das bleibt Ihr Geheimnis. ({3}) Wir werden das als AfD weiterhin tun, wir werden weiterhin gegen jede Art von Extremismus vorgehen, egal ob Frau Lambrecht ihre Gesetze in die Welt setzt oder nicht. Jetzt kann man sagen, gut, das sei die öffentliche Nörgelei der AfD als Oppositionspartei, aber im Vermittlungsausschuss haben wir festgestellt: Keine einzige Oppositionsfraktion hier in diesem Hause wird heute diesem Reparaturgesetz zustimmen. ({4}) Ich sage insoweit: AfD wirkt! ({5}) Abschließend bedanke ich mich bei den Linken, bei den Grünen und bei der FDP für die konstruktive Zusammenarbeit im Kampf gegen dieses Reparaturgesetz. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort nach § 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses der Kollege Stefan Müller, CDU/CSU. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandner wollte ja eigentlich die Gelegenheit nutzen, sein Abstimmungsverhalten zu erklären. Davon war jetzt nicht allzu viel zu hören. Aber dafür gibt es Gründe; dazu komme ich gleich gerne. Gut ist, dass wir heute dieses Gesetz zur Bestandsdatenauskunft beschließen können – auch, weil damit ein weiteres wichtiges Gesetz in Kraft treten kann, nämlich das zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz. Dem vorausgegangen sind intensive Beratungen, die in einer Arbeitsgruppe stattgefunden haben, die der Vermittlungsausschuss eingerichtet hat. An dieser Arbeitsgruppe haben Vertreter der Bundesregierung teilgenommen, aber auch Vertreter der Länder und aller Bundestagsfraktionen. Deswegen will ich zunächst die Gelegenheit nutzen und mich herzlich bedanken bei allen Kolleginnen und Kollegen, die sehr intensiv in dieser Arbeitsgruppe mitgewirkt haben und mit dafür gesorgt haben, dass heute dieses Gesetz und in Folge dann eben auch ein weiteres Gesetz in Kraft treten kann. Vielen Dank für diese gute Zusammenarbeit! Ich sage das deswegen, weil es sich um ein ganz reguläres Verfahren gehandelt hat. So kommen wir immer zu Vermittlungsergebnissen. Der Vermittlungsausschuss wird angerufen, dann tagt er und soll anschließend einen Vermittlungsvorschlag präsentieren. Ich finde, dieser Hinweis ist deswegen so wichtig, weil sich Herr Brandner, wie er gerade selber eingeräumt hat, sonst immer hierhinstellt und sagt, das sei in irgendwelchen Kungelrunden ausgemauschelt worden. ({0}) Herr Brandner, ich gratuliere Ihnen herzlich zu der Einsicht, dass alles, was Sie bisher gesagt haben, offensichtlich nicht korrekt war. Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Einsicht gekommen sind, aber nur für den Fall, dass Sie vielleicht Zweifel bekommen, dass es regulär zustande gekommen sein könnte, habe ich Ihnen etwas mitgebracht, nämlich eine Gesetzessammlung. Darin enthalten sind das Grundgesetz, die Geschäftsordnung des Bundestages und auch die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses. Ich habe der Einfachheit halber die einschlägigen Stellen schon einmal markiert, damit Sie nachschauen können. Also, ich stelle sie Ihnen sehr, sehr gerne zur Verfügung. ({1}) Auffallend ist, dass die AfD sich hier immer mit besonders wortreichen Erklärungen hervortut, sich in den Arbeitsgruppensitzungen aber umso stummer verhält. ({2}) Die Vertreter meiner Fraktion jedenfalls sagen mir, dass der anwesende AfD-Vertreter sich an der eigentlichen Sacharbeit nicht beteiligt hat. ({3}) Ich glaube, das Einzige, was er geäußert hat, war eine Bemerkung zur Frisur einer Kollegin, die es wohl noch nicht geschafft hatte, zum Friseur zu gehen. Das war der einzige Sachbeitrag. Man kann zusammenfassen: Wie so oft blasen Sie hier groß die Backen auf, aber wenn es um die Sacharbeit geht, sind Sie ein Totalausfall. ({4}) Die Sache selbst ist aber natürlich schon bemerkenswert: Sie lehnen den Gesetzentwurf heute ab, obwohl Sie doch sonst immer behaupten, die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden, die ja durch dieses Gesetz gestärkt werden, sei Ihnen ja so total wichtig. ({5}) Das kann ich auch deswegen nicht erkennen, Herr Brandner, weil es nicht glaubwürdig ist. Immer dann nämlich, wenn es darum geht, die Arbeit unserer Polizeibeamtinnen und ‑beamten zu würdigen, fallen Sie ja aus: Vertreter Ihrer Fraktion provozieren öffentlich Polizeibeamte und brüsten sich anschließend damit. ({6}) Wenn es darum geht, hier Polizeibeamte zu würdigen, die den Sturm auf den Reichstag verhindert haben, verweigern Sie diese Würdigung. Was Sie sagen, ist nicht glaubwürdig. Die Tatsache, dass Sie dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen, spricht für sich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Dass Sie das Gesetz vor allem deshalb ablehnen, weil damit effektiver gegen Hass und Hetze im Netz vorgegangen werden kann, ist nachvollziehbar; denn es ist ja gerade die AfD, die sich durch Hass und Hetze im Netz besonders hervortut, wenn es darum geht, Andersdenkende zu diffamieren, politische Gegner anzugehen oder unsere demokratischen Institutionen zu diskreditieren. ({8}) Insofern kann ich nur sagen: Sie sind genau der Grund, weshalb es solche Gesetze braucht. Sie sind die geistigen Brandstifter für vieles, was in diesem Land und was im Internet an Hass und Hetze passiert. ({9}) Abschließend möchte ich Josef Schuster zitieren, den Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland. In einem Gastbeitrag im „Handelsblatt“ schreibt er: Dem Ausschuss bietet sich am Mittwoch die letzte Chance, das Gesetzespaket gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Gelingt das nicht, hätten die Betroffenen von Hass und Hetze im Netz den Schaden. Die Juden darüber hinaus auch ganz real, wenn sie weiter damit leben müssten, dass der gegen sie gerichtete Hass sich nicht ausdrücklich in der Strafbemessung widerspiegelt. In Zeiten rechten Terrors wäre ein Scheitern des Gesetzespakets ein wahrhaft fatales Signal. Dem ist nichts hinzuzufügen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Müller, das Buch muss desinfiziert werden, bevor Sie es übergeben. – Ja, man kann auch durch Berührung das Virus übertragen. ({0}) Zu einer weiteren Erklärung nach § 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses hat das Wort die Kollegin Dr. Lötzsch, Die Linke. ({1})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, um mich ganz klar vom ersten Redner zu distanzieren und mich dagegen zu verwahren, dass der Kollege oder das Mitglied der AfD es sich herausnimmt, für die gesamte Opposition zu sprechen. ({0}) Das tut er nicht. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Ihnen und uns, das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Es gibt natürlich auch einen Unterschied im Abstimmungsverhalten. Sie haben ja suggeriert, wir würden hier alle gemeinsam mit Ihnen stimmen. Das ist mitnichten so. Wir werden uns enthalten. Wir anerkennen, dass in der Arbeit der Arbeitsgruppe, an der ich ja auch beteiligt war, Fortschritte erreicht worden sind. Die Fortschritte sind für uns aber nicht ausreichend. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen, das uns besonders auf der Seele brennt: Wir finden, dass der Schutz von Berufsgeheimnisträgerinnen und ‑trägern, zum Beispiel von Journalistinnen und Journalisten, durch die Gesetzesänderung nicht ausreichend gewährleistet ist. Das ist für uns ein wichtiger Punkt; darum werden wir uns enthalten. Hier wurde gesagt, es gebe Extremismus auf allen Seiten. Daher will ich noch mal in aller Deutlichkeit sagen: Wir, Die Linke, stehen gegen Rechtsextremismus. ({1}) Wir stehen gegen die AfD, und ich verwahre mich dagegen, dass Sie hier im Bundestag, vor den Augen der Öffentlichkeit versuchen, den Eindruck zu erwecken, wir würden mit Ihnen zusammenarbeiten. Das tun wir nicht. ({2}) Wir versuchen, alles dafür zu tun, dass eine Partei wie die Ihre im nächsten Deutschen Bundestag keinen Platz mehr finden wird. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Monika Grütters (Gast)

Politiker ID: 11003761

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In normalen Zeiten hätte die Novelle des Filmförderungsgesetzes in den vergangenen Monaten sicherlich die Hauptrolle in der Filmpolitik gespielt. In der Coronakrise, die Filmkünstlerinnen und ‑künstler wie auch Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht, hat die Bundesregierung das Drehbuch für die Filmförderung ein wenig umschreiben müssen. Die Hauptrolle spielt im Moment immerhin – und zum Glück – unser Zukunftsprogramm NEUSTART KULTUR. Mit diesem Programm haben wir die deutsche Filmförderlandschaft bisher mit Coronahilfen in Höhe von 180 Millionen Euro unterstützt, insbesondere durch einen mit 50 Millionen Euro unterlegten Ausfallfonds. Das sind Absicherungshilfen pandemiebedingter Produktionsrisiken. Für die Filmförderungsanstalt, die FFA, haben wir 19 Millionen Euro bereitgestellt, damit sie ihren gesetzlichen Auftrag überhaupt weiterhin erfüllen kann. Von diesen und weiteren Coronahilfen profitieren dann auch alle anderen Filmförderbereiche, Kreative, Produktionen, Kinos und Verleih. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Filmförderungsgesetzes steht natürlich im Zeichen der Pandemie. Er ist deshalb als Übergangsgesetz mit kurzer Laufzeit konzipiert und stellt mit der Flexibilisierung der Fördervoraussetzungen, Mittelverwendung und den Sperrfristen vor allem die Handlungsfähigkeit der FFA in Krisensituationen sicher. Eine große Novelle ist derzeit keine Option, weil wir wegen der Auswirkung der Coronakrise auf die Filmwirtschaft einfach keine belastbare Datengrundlage haben, aus der sich die weitere Marktentwicklung ablesen ließe. Damit fehlt auch die Basis für wesentliche Änderungen an der Förder- und Abgabestruktur. Einige notwendige gesellschaftspolitische Veränderungen wollten wir aber zumindest auch in dieses Übergangsgesetz hineinschreiben, Stichwort „Klima- und Umweltschutz“. Die Filmbranche muss hier Vorbild sein; das will sie auch. Deshalb verpflichtet der Regierungsentwurf die Filmwirtschaft, bei der Filmproduktion ökologische Maßnahmen umzusetzen und auch eine Klimabilanz zu erstellen. Stichwort „Gleichstellung“: In sämtlichen Gremien der FFA sollen künftig weitgehend zu gleichen Teilen Frauen und Männer vertreten sein. ({0}) Weitere Schritte für mehr Diversität und Inklusion stehen auf der Agenda für die nächste FFG-Novelle 2024, die wir noch 2021, also in diesem Jahr, mit einer Branchenanhörung einleiten wollen. Dann werden wir natürlich auch über die Weichenstellungen für die Förder- und Abgabestruktur diskutieren, in der Hoffnung, dass wir den Flurschaden, den diese Pandemie da angerichtet hat, dann ein bisschen besser beziffern können. Zumindest für die nächsten Monate werden die NEUSTART-Hilfen – ich habe sie eben erwähnt – aber noch die Hauptrolle in der Filmförderung spielen, unter anderem für die Wiedereröffnung der Kinos. Im Rahmen des Zukunftsprogramms „Kino III“ – die Zukunftsprogramme I und II gab es schon – stehen aktuell noch mal 50 Millionen Euro für Betriebskostenzuschüsse bereit; denn Kino hat Qualitäten, die man sich selbst mit einem neuen 65-Zoll-Bildschirm nicht nach Hause auf die Couch holen kann. Kino macht dann doch Filmstoff zu Gesprächsstoff und bringt Menschen miteinander in Berührung. Deshalb tun wir alles dafür, damit es nach einem für die Filmwirtschaft niederschmetternden Jahr nun endlich wieder aufwärts geht. Jedenfalls danke ich Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihre Unterstützung in dieser Ausnahmesituation und hoffe auch bei der FFG-Novelle 2022 auf Ihre konstruktive Begleitung. Vielen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Marc Jongen, AfD. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein amerikanischer Produzent ist pleite, wenn sein Film floppt. Ein deutscher Produzent stellt den nächsten Förderantrag. So brachte der „Spiegel“ das Elend der deutschen Filmförderung auf den Punkt. Über die Jahrzehnte hat sich eine Maschinerie entwickelt, die sich in erster Linie selbst reproduziert und quasi nebenbei auch noch Filme abwirft, etwa 250 im Jahr, von denen der Großteil unter der Wahrnehmungsschwelle und damit auch defizitär bleibt. Der renommierte Filmkritiker Georg Seeßlen sprach von einem zombihaften System, das strukturell unfähig ist, hochwertige originelle Filme hervorzubringen, die das Publikum auch sehen will. Stattdessen: politische Korrektheit und öde Vorhersehbarkeit im sogenannten Gremienfilm. Um gefördert zu werden, muss ein Film nämlich nicht mehr publikums- und marktorientiert sein, sondern den Erwartungen der Fördergremien entsprechen. ({0}) Eine besonders unrühmliche Rolle spielt in diesen Gremien der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der das Niveau der Filme durch das ständige Schielen auf ein fiktives Fernsehpublikum herabdrückt. ({1}) Das führt dazu, dass „die Guten ihr Talent nicht mehr einbringen können“, wie das ehemalige Vorstandsmitglied des Verbands Deutscher Drehbuchautoren Knut Boeser feststellt. Eine relativ kleine Gruppe einflussreicher Leute bestimmt über die Vergabe von in Bund und Ländern zusammengerechnet rund 450 Millionen Euro jährlich. Oft herrschen Interessenkonflikte, weil die Jurymitglieder zugleich selbst Antragsteller sein können. Das darf nicht so bleiben, meine Damen und Herren. ({2}) Die Mentalität in diesen Kreisen kann man beispielhaft daran ablesen, dass der Geschäftsführer der Hessischen Filmförderung, Hans Joachim Mendig, nach einem privaten Treffen mit AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen von seinem Posten zurücktreten musste. Was für eine selbstgerechte Engstirnigkeit! ({3}) Von alledem ungerührt verkündeten Sie, Frau Kulturstaatsministerin Grütters, vor Kurzem, wie erfolgreich die deutsche Filmförderung trotz der Coronapandemie angeblich sei: es würden hohe volkswirtschaftliche Effekte erzielt, das Einkommen von Kreativen werde gesichert. Damit haben Sie unfreiwillig bestätigt, dass dieses Fördersystem offensichtlich nur eines garantiert, nämlich staatlich gesponserte Arbeitsplätze. Welche Auswüchse dieses System abhängiger Staatskünstler hervorbringen kann, das zeigt beispielhaft der Antifa-Film „Und morgen die ganze Welt“, in dem eine fiktive faschistische Partei unzweideutig mit der einzigen echten Opposition in unserem Land, nämlich der AfD, assoziiert wird. Die Regisseurin will in ihrem Propagandastreifen die guten Seiten und das Wertvolle der Antifa betonen, wie sie sagt. ({4}) Der Film schied als deutscher Beitrag im Rennen um den Auslands-Oscar bereits in der Vorauswahl aus – eine Ohrfeige für die Jury, die ihn vorgeschlagen hat. ({5}) Die Filmförderpraxis in Deutschland muss also grundlegend reformiert werden. Wir fordern ein Verfahren der Mittelvergabe, in dem neben künstlerisch-ästhetischen Kriterien die ökonomischen Erfolgsaussichten eines Films viel deutlicher als bisher einbezogen werden. Es sollten weniger, dafür erfolgversprechende Filme mit mehr Mitteln gefördert werden, damit auch die notorische Unterfinanzierung der Filme aufhört, und die Beiträge privater Investoren sollten den Beteiligungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gleichgestellt werden. ({6}) – Wir fordern das, Herr Grundl. Die völlig enttäuschende Gesetzesnovelle der GroKo kennt nur ein „Weiter so“ und stellt darüber hinaus die Weichen in Richtung von mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität; wir haben es eben von Frau Grütters gehört. ({7}) Diese ideologischen Zielvorgaben werden die künstlerische Qualität und die Kosteneffizienz des deutschen Films garantiert nicht heben, meine Damen und Herren. ({8}) Diese gesellschaftspolitischen Auflagen sind ein direkter Angriff auf die Kunstfreiheit wie auch die unternehmerische Freiheit. Dass Sie von der FDP jetzt in Ihrem Antrag in dasselbe Horn von Geschlechtergerechtigkeit und Diversität stoßen, ist eine Bankrotterklärung für eine ehemals liberale Partei und verdirbt Ihren ansonsten in Teilen sehr guten Antrag. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Martin Rabanus, SPD. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat heute den Entwurf der Novelle für das Filmförderungsgesetz vorgelegt. Herzlichen Dank dafür an die BKM, herzlichen Dank auch schon an meine Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition für die konstruktive Erarbeitung dieses Entwurfs. Herzlichen Dank sage ich insbesondere an Johannes Selle, den ich sehe, aber auch an Yvonne Magwas. Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollten wir eine umfangreichere Novelle vorlegen; das ist deutlich geworden. So hatten wir als Koalition den Prozess mit einem gemeinsamen Eckpunktepapier auch angelegt. Aber dann hat uns Corona da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn durch Lockdown, fortwährende Schließungen der Kinos und die gesamten Einschränkungen in der Filmbranche ist auch die Evaluierung aus 2019, die Grundlage der FFG-Novelle sein sollte, Makulatur. Aktuell geht es vorrangig nach wie vor um den Gesundheitsschutz einerseits und um die Existenzsicherung in der Filmbranche andererseits. Deswegen unterstützen wir als Koalition und als Bundesregierung auch die Branche umfangreich mit Überbrückungshilfen, mit den verschiedenen Systemen – der Novemberhilfe, der Dezemberhilfe, aber auch der Neustarthilfe –, und später werden Wirtschaftlichkeitsbeihilfen und Ausfallabsicherungen hinzutreten müssen. Dabei ist immer die Perspektive des Rückwegs des Kulturbetriebs aus dem Lockdown heraus unser Ziel. Deshalb haben wir auch das Programm NEUSTART KULTUR aufgelegt und mit einer zweiten, weiteren Milliarde in diesem Frühjahr für 2021 ausgestattet. ({0}) Ich will an dieser Stelle Danke an alle Kultur- und Medienschaffenden sagen, herzlichen Dank auch für Ihre Geduld. Auch wir im Parlament hätten uns gewünscht, dass die Auszahlung der Hilfen schneller stattfindet. ({1}) Herzlichen Dank aber vor allen Dingen auch für Ihre Kreativität und Ihre Mitarbeit bei der Frage, wie Öffnungskonzepte erarbeitet werden können. Es liegen viele gute Hygiene- und Öffnungskonzepte für Kultureinrichtungen – auch für Kinos – vor. Mein herzlicher Appell an die Bundesregierung, insbesondere an das Bundeskanzleramt, aber auch an die Staatskanzleien der Länder lautet, diese Dinge aufzugreifen und nun auch tatsächlich produktiv werden zu lassen. ({2}) Nun liegt also in Notzeiten nur eine schlanke Version eines Filmförderungsgesetzes vor. Es ist ein Übergangsgesetz. Wir werden es nicht wie üblicherweise auf fünf Jahre befristen, sondern nur auf zwei Jahre, und wir werden eine neue Grundlage brauchen, eine neue Evaluierung, um dann eine umfangreichere Novelle machen zu können. Dennoch wollen wir auch mit diesem schlanken Gesetzentwurf den deutschen Film als Wirtschafts- und Kulturgut stärken. Deswegen ist der Schwerpunkt, dass wir zunächst natürlich am Herzstück festhalten, an der Filmabgabe, die im Filmförderungsgesetz abgesichert ist. Das solidarische System, das kurz gesagt heißt: „Jeder, der von einem geförderten Film profitiert, gibt auch etwas wieder zurück in die Förderung für nächste Produktionen“, ist gut und hat sich im Kern bewährt. Wir werden natürlich etwas an den Abgaben verändern, sie marktgerecht anpassen, insbesondere im Bereich Bezahlfernsehen. Aber wichtig sind mir die inhaltlichen Punkte, die wir auch in dieser Novelle mit absichern. Es sind die fairen Arbeitsbedingungen, die wir stärken wollen. Es ist die Stärkung der Belange von Menschen mit Behinderung. Es sind – ja, tatsächlich – die Aspekte von Diversität und Geschlechtergerechtigkeit, auch in der FFA, die wir mit diesem Gesetzentwurf stärken wollen. ({3}) Wir können uns als SPD-Fraktion da auch noch weitere Schritte vorstellen. Lassen Sie uns das im parlamentarischen Verfahren einfach in aller Ruhe miteinander besprechen. Es ist ja so: Wer soll denn gegen faire Arbeitsbedingungen sein? Wer soll denn etwas dagegen haben, dass Filmschaffende vor und hinter der Kamera die gleichen Chancen haben, egal welches Geschlecht sie haben, egal wie alt sie sind, egal welche Hautfarbe sie haben und auch egal, welche anderen Merkmale sie haben? Ich weiß, die AfD hat etwas dagegen; das hat Herr Jongen ausgeführt, und das steht auch in ihrem Antrag. Das disqualifiziert sich aber selbst. – Und Zwischenfragen lasse ich keine zu. ({4}) Wir wollen den Film auch nachhaltiger machen. Wir werden deswegen die Produktionen stärker dem Klimaschutz verpflichten und eine Reihe von weiteren Maßnahmen treffen, um das Filmfördersystem krisenfester zu machen, als wir es jetzt erlebt haben. Aber es ist so: Es ist ein Übergangsgesetz; es ist ein schlankes Gesetz. Es ist richtig, wie auch Frau Staatsministerin ausgeführt hat, im Grunde schon jetzt in die Debatte über die große Novelle einzutreten. Wir sind für die Beratungen bereit. In vielen Anträgen der Oppositionsfraktionen ist richtig adressiert, dass wir Fragen haben, die wir klären müssen. Natürlich ist im Zentrum die Frage: Wie bekommen wir die Qualität des deutschen Films in der Breite weiter gehoben? Wie bekommen wir es hin, dass wir angemessene Budgets haben, dass wir uns auf Produktionen konzentrieren können, die am Ende erfolgversprechend sein können? Wir müssen die Fördersysteme von Filmförderungsanstalt, Bund und Ländern noch besser aufeinander beziehen, noch wirksamer machen. Ich will daran erinnern, dass der Bund rund 200 Millionen Euro im System für Filmförderung hat, und Landesmittel in etwa gleicher Höhe treten hinzu. Das muss produktiv gehoben werden. Wir müssen natürlich auch berücksichtigen, wie sich die verändernden Seh- und Konsumgewohnheiten in der digitalen Welt auswirken. Schlussendlich müssen wir sicherstellen, dass der Kulturort Kino erhalten bleibt, insbesondere in der Fläche. Wir müssen schauen, was gegebenenfalls staatlicherseits zu besorgen ist. Es ist völlig klar: Auch Stadt- und Staatstheater schreiben keine schwarze Null nur durch Ticketverkäufe. Auch hier müssen wir klar überlegen, wie wir das machen. Diese und viele andere Fragen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen an; die wollen wir diskutieren. Jetzt gehen wir ins parlamentarische Verfahren zum Übergangsgesetz. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Thomas Hacker, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Ende des Jahres läuft das Filmförderungsgesetz aus. Als es 2016 verabschiedet wurde, war es noch problemlos möglich, Filme ohne Maskenpflicht am Set zu produzieren, als Zuschauer Oscar-Gewinner im Kino zu genießen und nicht zuerst auf dem Handy oder am Fernseher. Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Eine große Reform der Filmförderung wurde angekündigt; aber erst fehlte es der Großen Koalition an Ideen, und dann liefen ihr der Elan und die Zeit davon, sodass jetzt ein Minireförmchen übrig geblieben ist. Im Kern: Sie verlängern die bestehenden Regelungen um zwei Jahre. Dabei bräuchte die Filmindustrie nach 15 Monaten Pandemie Klarheit und Perspektive, bräuchten die Kulturschaffenden und die Kinos gerade jetzt neuen Mut, Hoffnung und einen Weg, der ihnen das Überleben und den Neustart sichert. Deutschlands Kampf gegen die Pandemie ähnelt aber eher einem grotesken Stummfilm als einem vielversprechenden Blockbuster. Seit Monaten sind Kinos geschlossen, laufende Produktionen wurden gestoppt, weltweit erwartete und schon produzierte Filme wurden aus Angst vor weiteren wirtschaftlichen Schäden zurückgezogen. Die Kino- und Filmlandschaft kämpft mit dem Aus, genauso wie der Rest der Kulturbranche. Der Wunsch nach einer nachvollziehbaren wie greifbaren Öffnungsperspektive ist für die Branche genauso groß wie für uns alle. Das Kino braucht ein breites Filmangebot und Zuschauer, um bestehen zu können. Kino ist mehr als zwei Stunden Ruhe auf samtbezogenen Sesseln – nein, es ist ein wichtiger Teil eines kreativen Wirtschaftszweigs. ({0}) Filmverleiher können nicht immer wieder aufs Neue Filme bewerben, deren Kinostart mit der nächsten MPK schon wieder einkassiert wird. Sie brauchen effektive Unterstützung. Diese finanzielle Abwärtsspirale ist nicht endlos – das muss uns doch klar sein. Wir reden immer ehrfürchtig und leidenschaftlich von der großen Leinwand, dem Kulturort Kino. Wir freuen uns genauso auf die Internationalen Hofer Filmtage wie auf die Berlinale. Warum profitieren dann aber mittelständische und größere Kinobetriebe nicht vom Zukunftsprogramm Kino Ill? Kurios ist auch die Anpassung der FFG-immanenten Sonderabgabe; denn höhere Abgaben zahlt nur ein Unternehmen, nämlich Sky. Als Lehren aus der Pandemie, Frau Grütters, planen Sie Flexibilisierungen in Fällen höherer Gewalt. Richtig! Doch diese Regelungen greifen erst im nächsten Jahr. Was macht die Branche bis dahin? Die Zeit bis zur richtigen Reform darf nicht ungenutzt bleiben. Stellen wir doch die richtigen Fragen für die Zukunft des Films: Nach den Veränderungen des digitalen Zeitalters und der Konsumgewohnheiten: Ist da die Verengung der Förderungen auf Kinofilme noch zeitgemäß? Ist unsere Förderung im europäischen Rahmen wettbewerbsfähig? Ist unser Rechtsrahmen europäisch vergleichbar, oder schadet er eher unserem Standort? Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es Planbarkeit, Rechtssicherheit und einen vergleichbaren Rechtsrahmen. Es braucht die Bereitschaft zu Neuem. Der Gesetzentwurf zum Urheberrecht bietet genau das alles nicht. Der dort vorgeschlagene deutsche Sonderweg schreckt internationale Produktionen ab; wir diskutieren das im Anschluss. Geld allein gleicht Standortnachteile nicht aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schaffen wir Zukunft für großes Kino – reformieren wir die deutsche Filmförderung in einem europäischen Kontext! Mit unseren Anträgen – letzter Satz, Herr Präsident – haben wir Freie Demokraten Ideen für die nächsten Beratungen in einer neuen Bundesregierung geliefert. Das Popcorn für die Beratungen bringen wir dann gerne mit! ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Doris Achelwilm, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Filmförderungsgesetz ist ein ziemlich verkrustetes Werk mit einem Fundament aus den 1960ern. Es braucht wirklich eine grundlegende Reform. ({0}) Filmschaffende kämpfen mit bürokratischen und teils ungerechten Regelungen. Entsprechend groß waren die Erwartungen an die Politik, dass die jetzt anstehende Novelle des Filmförderungsgesetzes ab 2022 ein stark verbessertes Gesetz mit sich bringt. Der Entwurf der Bundesregierung ist nun aber leider eine sehr kleine Lösung geworden. Als Grund dafür wird die Pandemie angegeben: viel los; wir machen bei der nächsten Novelle dann mehr. – Wir haben es gehört. Wir brauchen aber gerade jetzt einen Aufbruch und keinen Aufschub wirklich notwendiger Neuerungen. ({1}) Die Zeiten sind auch im Filmwesen sehr hart. Während die großen Streaminganbieter ihren Umsatz letztes Jahr deutlich steigern konnten, mussten die Kinosäle und ‑kassen leerbleiben. Der Umsatz brach um 70 Prozent ein. Wir als Linke fordern in unserem Antrag, der hier neben unserem Kinorettungsantrag vorliegt, eine Solidaritätsabgabe der Streamingdienste. ({2}) Ausnahmesituationen erfordern Ausnahmemaßnahmen, und Krisengewinner müssen einen Ausgleich leisten; sonst kommen wir hier nicht vernünftig durch. ({3}) Weil die Krise auch die Filmfördertöpfe belastet, muss sichergestellt werden, dass nicht noch mehr auf explizit kommerzielle Stoffe, Personen und Formate gesetzt wird. Als Linke freut es mich natürlich, dass ein Film über ein kommunistisches Känguru letztes Jahr zum großen Kinoerfolg wurde, ({4}) aber auch weniger populäre Stoffe und der filmische Nachwuchs müssen Raum bzw. Mittel bekommen. ({5}) Für gerechtere Arbeitsbedingungen ist nun vorgesehen, dass die Filmförderungsanstalt Selbstverpflichtungen anstößt. Auf Freiwilligkeit zu setzen, ändert aber erfahrungsgemäß sehr wenig an prekären Arbeitsverhältnissen, wie sie in der Filmbranche massiv verbreitet sind. Hier braucht es mehr Offensive statt nur Appelle. ({6}) Die Lohnunterschiede und Hierarchien zwischen den Geschlechtern sind beim Film sehr hoch. Nur jede zweite Absolventin einer Filmhochschule arbeitet anschließend in ihrem Beruf. Das Bündnis „Vielfalt im Film“ hat gerade über 6 000 Filmschaffende über Diversität in ihrer Branche befragt. Acht von zehn Frauen haben berichtet, im Arbeitskontext bereits sexuell belästigt worden zu sein. Zwei Jahre nach #MeToo ist hier offenbar erschreckend wenig passiert. Gegen diesen strukturellen Sexismus muss eben auch das Filmförderungsgesetz aktiver werden als bisher. ({7}) Geschlechterparitätische Gremien reichen da nicht aus. In Schweden werden Fördergelder geschlechtergerecht vergeben; das muss auch hier möglich sein. Kurzum: Wir wollen, dass die Beratungen zu einer umfassenden Verbesserung des Filmförderungsgesetzes wieder aufgenommen werden. Diese Vorlage wird den Anforderungen nicht annähernd gerecht. Vielen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Filmbranche geht es schlecht. Seit Monaten lebt sie in Ungewissheit und im Wechselbad der Gefühle – zwischen Hoffnung auf Filmstarts in wiedergeöffneten Kinos und Enttäuschung über die Verlängerung der Beschränkungen und ausbleibende Coronahilfen, und das, obwohl sie gute Hygienekonzepte entwickelt und in Filteranlagen investiert hat. Meine Anerkennung gilt daher der gesamten Branche für ihr Durchhaltevermögen. ({0}) Aber es wäre zu einfach, alles auf die Pandemie zu schieben. Wir diskutieren heute über Änderungen der Filmförderung, allerdings coronabedingt in homöopathischer Dosis. Dabei war schon die letzte FFG-Novelle ziemlich unmutig. Die Förderung dient laut § 1 der kreativ-künstlerischen Qualität des deutschen Films als Voraussetzung für seinen Erfolg im In- und Ausland. Dann folgen 171 Paragrafen, die diese Idee eher konterkarieren. Wir brauchen daher kein Reförmchen; wir brauchen eine echte Reform. ({1}) Dass die große Reform erst kommen soll, wenn klar ist, was die Branche nach der Krise braucht: Geschenkt! Wir müssen dann aber die nächsten zwei Jahre sinnvoll nutzen, die Filmförderung neu und zukunftsfest auszurichten. Immer wieder wird kritisiert, dieses Fördersystem bringe zu viel Mittelmaß hervor. Was wir brauchen, sind mehr anregende, wertvolle und vor allen Dingen mutige Filme. Der Film ist nicht tot. Das sehen wir aktuell. Allabendlich schauen Menschen aller Altersgruppen vom heimischen Sofa aus so viele Filme wie nie. Streaminganbieter schießen durch die Decke, während die Kinobranche ums Überleben kämpft. Wieso geht man hier eigentlich nicht auf die Streamingdienste zu und fordert einen Solidarbeitrag ein? Das wäre doch mal eine echte Maßnahme. ({2}) Apropos Streaming. Über Auswertungsfenster von Filmen werden wir in den nächsten Jahren intensiv diskutieren müssen. Doch Pandemie hin oder her, manches kann eben nicht warten: mehr Chancengerechtigkeit zum Beispiel, damit vielfältige Perspektiven im Film zu sehen sind. Und es reicht nicht, die Gremien quotiert zu besetzen. Wir brauchen bei der Fördermittelvergabe Zielquoten für einen höheren Frauenanteil. ({3}) Und: Wir brauchen mehr Plätze für Kreative in den Fördergremien. Die prekäre Lage vieler Filmschaffenden muss angegangen werden. Soziale Standards beginnen eben bei einer fairen Förderung. Wir müssen die Stoffentwicklung stärker in den Fokus nehmen und das Referenzpunktesystem fairer gestalten. Was wir auf jeden Fall machen müssen: Wir müssen diejenigen deutlich stärker unterstützen, die ihren ökologischen Fußabdruck auch im Film verkleinern wollen. Dafür gibt es viel mehr Vorschläge, als jetzt im Gesetzentwurf vorhanden. Machen Sie bitte mehr daraus! ({4}) Unabhängig vom FFG: Zahlen Sie die Coronahilfen endlich aus, und verstetigen Sie die! Denn bei der Filmkultur geht es nicht um irgendwelches Chichi –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– ich komme zum Schluss –,

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

sondern es geht um unseren gesellschaftlichen Resonanzrahmen. Den werden wir nach der Krise deutlich stärker brauchen als zuvor. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erhält das Wort der Kollege Johannes Selle, CDU/CSU. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Selten sprechen wir hier über das Filmförderungsgesetz. Dem steht gegenüber, dass Millionen Menschen täglich Filme schauen und in der Filmbranche 125 000 Menschen beschäftigt sind. Deutschland ist Filmland. Das begann in der Geschichte, und in den letzten Jahren haben wir uns mit deutschen Filmen auch immer besser präsentiert. Deutschland ist beliebter Filmproduktionsstandort, nicht nur in den Zentren, sondern auch im Kindermedienland Thüringen. Die Gültigkeit des aktuellen Gesetzes endet am 31. Dezember dieses Jahres; denn seine Laufzeit ist auf fünf Jahre begrenzt. Der deutsche Film bedarf der Förderung, so wie es in den anderen europäischen Ländern auch ist. Deshalb brauchen wir ein fortentwickeltes Filmförderungsgesetz. Denn auch die Erhebung der Abgaben und damit die Grundlage der Finanzierung würden enden. Demgegenüber steht nun, dass wir nicht, wie es eingeübte Praxis war, aus den aktuellen Erfordernissen das Gesetz in Abstimmung mit den Filmschaffenden novellieren können. Die Branche ist von den Einschränkungen, die durch Corona notwendig sind, mit am meisten betroffen. Allein der Filmförderungsanstalt fehlen 2020  20 Millionen Euro an Einnahmen. Die gesamte Filmbranche erleidet einen Einbruch von 70 Prozent, circa 7 Milliarden Euro. Zusätzlich erhöhen sich die Kosten durch Hygieneauflagen, dann, wenn ein ganzes Set in Quarantäne gehen muss, Schlüsselpositionen ausfallen, die Premieren nicht stattfinden können und in der Folge auch keine Einnahmen generiert werden. Deshalb trägt dieser Gesetzentwurf den Charakter einer Brücke hin zu gewohnten Verhältnissen. Es gilt, die Einnahmen zu sichern und flexible Bedingungen zu schaffen, zum Beispiel dadurch, dass anstatt einer Premiere im Kino die Erstaufführung über Streamingdienste erfolgt, aber die Kinos an den Erträgen beteiligt werden. Mit den vorliegenden Gesetzesänderungen werden Flexibilisierungen und die Ausnahmen möglich gemacht, die wir in diesen Krisenzeiten brauchen. Dazu muss die Rechtssicherheit geschaffen werden. Ebenso bedarf es Bestimmungen, die die Besetzung und die Zusammensetzung von Gremien, zum Beispiel der Förderkommissionen, regeln, wenn die Berufung turnusgemäß enden würde. Die Branche zeigt uns, dass sie mit guten Hygienekonzepten Filme produzieren und auf die Leinwand bringen kann. Die Politik ist angehalten, diesen Anstrengungen Rechnung zu tragen; denn im Kino kann zum Beispiel ein größerer Abstand für zwei Stunden leichter sichergestellt werden als in der Bahn. Zu den notwendigen und strengen Einschränkungen gehört auch der Mut, mit Augenmaß und in der Vergleichbarkeit mit ähnlichen Sachverhalten Öffnungsschritte zu wagen. ({0}) Das befördert die Akzeptanz in Gänze. Das Kino wird schmerzlich vermisst. Kino und Restaurant rangieren gleichauf bei den Sehnsüchten der Menschen nach Normalität. Ich rufe dazu auf, dass in der nächsten Runde der Ministerpräsidenten erste Öffnungsschritte dazu beschrieben werden, und verstärke damit, was Kollege Rabanus vorhin schon eingebracht hat: Wir wollen, dass Deutschland Filmland bleibt, dass es unseren Filmschaffenden ermöglicht wird, ihr Können zu zeigen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zeit für den Film ist im Augenblick noch schwierig, und es ist nicht ganz absehbar, wie sich das weiterentwickelt. Wir wollen – heute ist die erste Lesung – das Filmförderungsgesetz für weitere zwei Jahre fortführen, um damit der Unsicherheit zu begegnen. Aber ganz generell: Filme sind mit die wirkmächtigste Kunst- und Kulturform. Sie sind ein Spiegel der Gesellschaft und halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Die Kunst ist frei, und Filme kann man nicht allein in ökonomischen Dimensionen messen. Wir brauchen auch die Förderung für Film, so wie wir eine Förderung von Kunst und Kultur insgesamt in unserem Kulturstaat anstreben. Die Coronapandemie hat den Film in eine Krise gebracht. Es sind Produktionen abgedreht, die nicht sofort ins Kino kommen können. Die Frage ist aber, ob sie auf Streamingdiensten tatsächlich wirkungsvoll zur Geltung kommen können oder ob das das richtige Format ist, vielleicht auch, weil der Dialog und die Begegnung nach dem Film fehlen. Ich bin überzeugt: Der Film braucht das Kino. – Aber ein Aspekt ist ebenso wichtig: Ohne Lichtspielhäuser fehlt etwas in unseren Städten. ({0}) Das ist ein wichtiger Aspekt der sozialen Begegnung, des Diskurses und der Kultur. Ich will allen in dieser Branche zurufen, dass wir hohen Respekt haben vor den Hygienemaßnahmen, vor den Regelungen und vor den Vorsichtsmaßnahmen, die diese Branche eingeführt hat. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass bei einer Teilbesetzung, mit Luftfilteranlagen und Schnelltests eine Ansteckungsgefahr in den Kinos gering ist, dann müssen auch Kinos wieder in den Öffnungsplan aufgenommen werden; denn auch Kultur ist etwas, was den Menschen Perspektive und Hoffnung gibt. ({1}) Ich will noch auf einen Aspekt in diesem Gesetzentwurf eingehen, der mir wichtig ist: Neben den entscheidenden Themen Geschlechtergerechtigkeit und Klimaschutz geht es auch um faire Arbeitsbedingungen. Das ist, glaube ich, etwas, was die Menschen, die an den Filmsets arbeiten, erwarten können: dass sie sich nicht nur von prekärem Engagement zu prekärem Engagement hangeln müssen, sondern dass sie auch ein Stück weit mehr Planungssicherheit haben. Wir müssen eines deutlich machen in der Gesellschaft: Auch diejenigen, die Kunst und Kultur schaffen, müssen von ihrer Arbeit gut leben können. – Das muss eine Gesellschaft auch wertschätzen, meine Damen und Herren. ({2}) Lassen Sie uns mit diesen Gedanken das Filmförderungsgesetz jetzt fortführen und dann in der Zukunft über die große Novelle sprechen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute Morgen eine sehr besondere Reform, nämlich die Reform des Urheberrechts. Sie erinnern sich: 2019 haben das Europäische Parlament und der Rat die DSM-Richtlinie beschlossen – ein längst überfälliges Update für das europäische Urheberrecht. Diese Richtlinie setzen wir jetzt um. Ich kann Ihnen sagen: Das ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Viele von Ihnen erinnern sich vielleicht noch an die Bilder aus 2019, als Nutzerinnen und Nutzer, als viele aufgeregte Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gegangen sind, gekämpft haben, weil sie Sorge hatten, dass genau diese Richtlinie dazu führen wird, dass die Meinungsfreiheit im Netz eingeschränkt wird, ihr Verhalten im Netz reglementiert wird. Deswegen müssen wir zum einen dafür sorgen, dass diese Freiheit der Kommunikation im Netz erhalten bleibt – beispielsweise die Freiheit des Zitats, die Freiheit der Karikatur, die Freiheit der Parodie –, aber wir müssen zum anderen auch dafür sorgen, dass Kreative und Kreativwirtschaft besser an der Wertschöpfung im digitalen Raum beteiligt werden, meine Damen und Herren. Das zusammenzubringen, ist eine große Herausforderung. Wir sind sie angegangen, und ich bin der Meinung: Mit unserem Gesetzentwurf, den wir vorlegen, ist es uns auch gelungen. ({0}) Unser Gesetz wird die Position der Kreativen und der Kreativwirtschaft stärken und gleichzeitig die Freiheit im Netz bewahren und auch in Einklang stehen mit den europäischen Vorgaben. Große Uploadplattformen wie Youtube und Facebook sind künftig für alle Inhalte, die sie zugänglich machen, urheberrechtlich verantwortlich. Das heißt ganz konkret: Wenn Plattformen geschützte Inhalte wiedergeben, dann müssen sie von den Rechteinhabern diese Lizenzen erwerben – absolut neu, aber absolut notwendig. Wenn Rechteinhaber mit der Wiedergabe ihrer Werke nicht einverstanden sind, dann müssen die Plattformen verhindern, dass diese geschützten Inhalte abrufbar sind. Für die Kreativen und die Kreativwirtschaft bringt diese Regelung eine echte Verbesserung; denn sie stärkt ihre Verhandlungsposition gegenüber diesen sehr mächtigen Plattformen. ({1}) Zugleich behalten wir auch die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer im Blick; denn die neuen Pflichten für die Plattformen dürfen nicht dazu führen, dass auch erlaubte Inhalte blockiert werden. Auf einer Linie mit der der Europäischen Kommission haben wir deshalb, wie ich finde, ein sehr innovatives Konzept entwickelt, nämlich das Institut der mutmaßlich erlaubten Nutzungen. Wie soll das aussehen? Geringfügige Nutzungen fremder Werke dürfen die Plattformen nicht vorsorglich schon blockieren. Diese Inhalte müssen zuerst einmal ins Netz gehen. Das Gleiche gilt für Inhalte, die von Nutzerinnen und Nutzern beim Hochladen als erlaubt gekennzeichnet werden. Ich finde, das ist eine ausgewogene Lösung, die zwischen diesen unterschiedlichen Positionen die Balance hält und auch in Europa auf großes Interesse stößt. Darüber hinaus enthält unser Entwurf noch weitere wichtige Regelungen. Dazu gehört, dass Urheberinnen und Urheber in Zukunft einen Direktvergütungsanspruch gegenüber den Plattformen erhalten. Ein Direktvergütungsanspruch! Das bedeutet, es darf nicht sein, dass ausgerechnet die Kreativen – wir haben in der Debatte davor gehört, wie angespannt die Situation dort ist – auf der Strecke bleiben, wenn die Verwertungsketten lang und kompliziert sind. Gerade bei digitalen Verwertungen ist das extrem der Fall. ({2}) Darüber hinaus passen wir noch das Urhebervertragsrecht an. Wir sorgen da nämlich für mehr Transparenz, mehr Fairness und bessere Rechtsdurchsetzung, und wir stärken den urheberrechtlichen Schutz der Presseverlage. Wir erleichtern den Zugriff auf vergriffene Bücher, und wir stellen sicher, dass die Verwertungsgesellschaft WORT fortbestehen kann. Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, dass wir unser Urheberrecht an die veränderten technologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen. Ich sage es ganz offen: Manche unserer Regelungen stammen noch aus der Steinzeit des Internets. – Mit diesem Entwurf haben wir jetzt ein Update vorgelegt, einen fairen Kompromiss. Ich freue mich auf konstruktive, auf spannende Diskussionen, die sicherlich anstehen werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Joana Cotar, AfD. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Vorneweg drei Zitate: „Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern … lehnen wir als unverhältnismäßig ab.“ Koalitionsvertrag von der Union und der SPD, März 2018. – „Uploadfilter müssen verhindert werden.“ Jens Zimmermann, SPD, März 2019. ({0}) „Es wird in der nationalen Umsetzung keine Uploadfilter geben.“ Paul Ziemiak, CDU, März 2019. – Und was machen wir heute? Wir debattieren den Regierungsentwurf zur Urheberrechtsreform. Und was enthält er? Uploadfilter! Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, klarer kann man ein Wahlversprechen nicht brechen. ({1}) Die Abgeordneten, die sich vor einiger Zeit so vehement gegen diese Filter ausgesprochen haben, stehen nun am Mikrofon und verteidigen sie. Liebe Kollegen, wir haben in der letzten Sitzungswoche über verlorenes Vertrauen in die Politik gesprochen. Vertrauen verliert man nicht nur durch Maskendeals und Selbstbereicherung; Vertrauen verliert man auch mit gebrochenen Versprechen. ({2}) Und jammern Sie jetzt bitte hier nicht rum, dass es nicht anders möglich wäre, man müsse nun die ungewollten Vorgaben aus der EU umsetzen. Ihre Parteien haben auf EU-Ebene zugestimmt. Es lag in Ihrer Hand, die Uploadfilter zu verhindern. Ein einfaches Nein hätte genügt. ({3}) Aber Ihnen sind die Proteste der jungen Leute, die zu Zehntausenden auf die Straße gegangen sind, um für ihr freies Netz zu protestieren, einfach egal. Stattdessen schieben Sie sich jetzt gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Liebe CDU, wenn Sie das lockerer handhaben wollten als die SPD, warum ist dann der Regierungsentwurf, der im Moment vorliegt, härter als der Diskussionsentwurf aus dem SPD-geführten Justizministerium? Ihr jetziger Entwurf gefährdet die Grundrechte auf Meinungsfreiheit in diesem Land, meine Damen und Herren. Sie haben zum Beispiel die Bagatellgrenzen, also die Ausschnitte, die ein User hochladen darf, ohne dass sein Beitrag sofort gefiltert und geblockt wird, weil die Rechtefrage nicht geklärt ist, noch einmal heruntergeschraubt: für Film und Ton maximal 15 Sekunden, für Fotos und Grafiken maximal 125 KB und für einen Text maximal 160 Zeichen. 160 Zeichen! Das ist weniger als ein Tweet. Selbst der Name dieses Gesetzes ist länger. Wie weltfremd kann man denn sein? Ihr Gesetzentwurf übertrifft mit seinen Einschränkungen deutlich die Vorgaben der EU-Richtlinie. Gut, gesetzlich erlaubt – wir haben es gehört – sind nun Parodien, Karikaturen und Pastiches, aber nur „sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.“ Was der besondere Zweck ist, das kann noch nicht einmal das Justizministerium beantworten. Das sollen irgendwann mal die Gerichte klären. Meine Damen und Herren, so macht man doch keine Gesetze. Generell nicht geschützt sind Werke, die mehr als 50 Prozent von einem anderen Werk enthalten. Das heißt Memes, Mashups, Fan Art sind nicht mehr per se sicher. Auch sie können eingeschränkt werden; auch hier haben Sie nicht Wort gehalten. Der Europäische Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass eine Durchleuchtung aller Uploads auf etwaige Urheberrechtsverletzungen die Meinungs- und Informationsfreiheit und die unternehmerische Freiheit der Plattformanbieter ungebührlich einschränkt. Polen klagt jetzt gegen diese Richtlinie, ausgerechnet Polen, das Land, auf das Sie so gerne mit dem Finger zeigen. Vielleicht retten die ja auch die Meinungsfreiheit in Deutschland, wenn diese Regierung sie schon abschaffen möchte. ({4}) Meine Damen und Herren, im vorliegenden Entwurf fehlt die Balance zwischen Nutzerrechten und den Rechten der Urheber, und er greift tief in die Grundrechte ein. Die AfD hat daher einen Antrag vorgelegt, der eine digitalfreundliche Regulierung des Urheberrechts fordert, ohne Uploadfilter, der von einer Vergütungspflicht für Zitate absieht, kleine Diensteanbieter wirksamer schützen will und der die Bagatellgrenzen so ausweiten will, dass eine Beschneidung der Meinungsfreiheit und Overblocking ausgeschlossen werden. Neben einer Transparenzpflicht der Diensteanbieter wollen wir auch einen ordentlichen Pre-Flagging-Mechanismus für die User und einiges mehr. Denn eines steht fest: Die AfD steht für ein freies Internet und für die Meinungsfreiheit – ohne Netz-DG, ohne Uploadfilter und ohne Zensur. Bitte helfen Sie uns dabei, und stimmen Sie unserem Antrag zu. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ansgar Heveling, CDU/CSU, hat jetzt das Wort. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor zwei Jahren hat das Europäische Parlament die DSM-Richtlinie, die Richtlinie zum digitalen Binnenmarkt, verabschiedet. Nun, zwei Jahre später, beginnt die finale Phase der Umsetzung in unser nationales Recht. Erklärtes Ziel der EU ist es, mit der Richtlinie Anpassungen des Urheberrechts an die neuen Realitäten vorzunehmen, Rechteinhaber besser zu schützen und eine Zersplitterung des Urheberrechts in den Mitgliedstaaten zu verhindern. Stichworte in diesem Zusammenhang sind: die Förderung von Lizenzen und das Schließen des sogenannten Value Gaps, der Wertschöpfungslücke bei digitaler Verwertung. Unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag ist es nun, das Umsetzungsgesetzeswerk daran zu messen, ob es diesen Zielen der Richtlinie gerecht wird. Die Bundesregierung hat ein umfangreiches Gesetzeswerk eingebracht, um die Richtlinie in deutsches Recht zu transformieren. Es ist deutlich erkennbar und anzuerkennen, dass sie mit dem Gesetzentwurf die unterschiedlichen Rechte auszutarieren versucht. Dafür gilt der Bundesregierung der herzliche Dank. ({0}) Schauen wir uns nun die Ziele der Europäischen Union an, und stellen wir sie als Fragen an den Gesetzentwurf: Werden durch das Gesetz Anpassungen an die neuen Realitäten vorgenommen? Eindeutig ja. Mit den Regelungen etwa für Text- und Data-Mining wird ein Rechtsrahmen für neue Entwicklungen geschaffen. Mit dem Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz wird neben das Urheberrechtsgesetz und das Verwertungsgesellschaftengesetz ein neues Gesetzeswerk gestellt, das spezielle Regelungen für das Urheberrecht im Zusammenhang mit dem Internet enthält. Hier ist es wichtig, dass wir darauf achten, dass trotz unterschiedlicher Gesetze ein Rechtsrahmen bestehen bleibt. Geistiges Eigentum muss überall gleichermaßen rechtlich geschützt sein, egal ob die geistigen Schöpfungen in der realen oder der digitalen Welt ihren Niederschlag finden. ({1}) Werden durch die gesetzlichen Regelungen Rechteinhaber besser geschützt, und wird das Value Gap geschlossen? Hier ist auf jeden Fall zunächst einmal positiv festzuhalten, dass durch das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz erstmals Ansprüche auf Vergütung im Netz konstituiert werden. Insofern: Ja, es gibt Ansätze, das Value Gap zu schließen, und das Schutzniveau wird insgesamt erhöht. Aber gleichzeitig wird natürlich auch mit den mutmaßlich erlaubten Nutzungen eine neue Kategorie von Recht geschaffen. Das Urheberrecht wird zwar materiellrechtlich nicht verändert, aber es wird eine mutmaßliche Erlaubnis konstruiert. Diese ist zwar vergütungspflichtig, aber es findet ohne Zweifel eine Beschränkung von Exklusivrechten dadurch statt. Hier stellt sich zum einen die Frage nach dem Urheberpersönlichkeitsrecht; denn für die Dauer der Vermutung wird das ausschließliche Recht des Urhebers natürlich beschränkt. Zum anderen ist die Frage, ob sich daraus eine Kollision mit dem erklärten Ziel der Förderung von Lizenzen ergeben kann. Ziel muss es sein, ein Gesetz zu verabschieden, das die kritische Masse erzeugt, die etwa Plattformen zum Abschluss von Lizenzen bewegt. Das ist aber auf jeden Fall in dem Gesetz angelegt. Schließlich: Wird eine Zersplitterung des Urheberrechts in den Mitgliedstaaten verhindert? Hier ist die Antwort wohl eher nein; denn das deutsche Umsetzungsgesetz wählt andere Wege als das anderer europäischer Länder. Das kann eine Richtlinie aber auch nicht grundlegend verhindern, lässt sie eben doch immer Spielraum für nationale Regelungen. Da die Richtlinie umfassende Veränderungen im Urheberrecht vornimmt, geschieht dies auch im deutschen Umsetzungsgesetz. Schlagworte seien genannt: Urhebervertragsrecht, Presseleistungsschutzrecht, Verlegerbeteiligung und vieles mehr. Uns stehen also intensive Beratungen in den nächsten Wochen bevor. Nutzen wir die Zeit, und haben wir dabei stets das besondere Ziel der Richtlinie im Auge, den Schutz der Rechteinhaber zu verbessern. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist dafür aber eine gute Grundlage. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Roman Müller-Böhm, FDP. ({0})

Roman Müller-Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004833, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir die Modernisierung des Urheberrechts in der digitalen Welt, wie ich finde, ein ausgesprochen wichtiges Thema. Es ist gut, dass wir nun endlich dazu kommen. Aber, liebe Bundesregierung, ich muss mich dann schon fragen – damit kommen wir direkt zum ersten Thema, das die meisten Leute ja auch so bewegt –: Wie haben Sie das eigentlich geschafft? Sie haben sich in Ihrem Koalitionsvertrag – damals, vor drei Jahren – explizit gegen die Einführung von Uploadfiltern bei Plattformen ausgesprochen. Dann haben Sie sich vor zwei Jahren im Beratungsprozess auf der EU-Ebene noch einmal dafür starkgemacht, und auch hier im Plenum haben Sie damals große Reden gehalten, dass Sie es verhindern wollen, dass solche Instrumentarien eingeführt werden. Nun wissen wir es besser. Heute wissen wir ganz eindeutig: Es werden Uploadfilter kommen. Das ist schlecht. Da haben Sie klar das Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gebrochen. ({0}) Ich gestehe Ihnen zu: Eine ausdrückliche Verpflichtung für Plattformen, Uploadfilter zu verwenden, ist im Gesetzentwurf nicht enthalten. ({1}) Allerdings – da können Sie auch jeden aus der Praxis fragen – ist es schwer vorstellbar, wie denn Uploadfilter umgangen werden sollen nach der Konstruktion, die Sie nun vorgelegt haben. Deswegen können wir klar konstatieren: Es werden Uploadfilter kommen. – Also haben Sie das Versprechen gebrochen. ({2}) Wir Freien Demokraten stehen dazu, dass natürlich auch im Internet die Urheberrechte geschützt werden müssen. Es ist nur leider so, dass nach Ihrem Gesetzentwurf jeder hochgeladene Inhalt grundsätzlich erst mal einem Generalverdacht unterstellt wird und dass auch die bloße Behauptung, dass etwas urheberrechtlich geschützt sei, schon zu einer Sperrung führen kann. Genau diese ungerechtfertigte Beeinträchtigung der Kunst- und Meinungsfreiheit im Internet lehnen wir als FDP klar und entschieden ab. ({3}) Ich würde gerne noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der nämlich quasi genau das Gegenteil darstellt: Auf der einen Seite versuchen Sie, die Nutzung von Inhalten, die von Kreativen geschaffen worden sind, irgendwie künstlich zu erschweren, teilweise auch gerechterweise zu erschweren, auf der anderen Seite machen Sie es aber auch den Kreativen schwerer, indem Sie jetzt nämlich die Einführung eines Direktvergütungsanspruches planen, der so in der Form auf europäischer Ebene eigentlich gar nicht gedacht war. Also bemängeln wir an der Stelle nicht nur, dass er überhaupt kommt, sondern vor allem auch den nationalen Alleingang. Er ist wahrscheinlich auch in der aktuellen Ausgestaltung verfassungswidrig, weil es nämlich ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit und in die Urheberpersönlichkeitsrechte ist, der aus unserer Sicht aktuell nicht gerechtfertigt ist. ({4}) Wir werden die Beratungen natürlich konstruktiv begleiten, haben allerdings nicht viel Hoffnung auf Verbesserung durch Sie. Deswegen werden wir auch noch weitere Vorschläge im Beratungsverfahren selbst einbringen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Petra Sitte, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat die Bundesregierung die EU-Urheberrechtsreform einerseits mitgetragen, andererseits eine Protokollerklärung hinterlegt. Mein Kommentar dazu damals: Die Bundesregierung hat mit ihrer ausschlaggebenden Stimme den Weg frei gemacht für Uploadfilter. Niemand wird in Zukunft behaupten können, Union und SPD hätten es nicht so gewollt … ({0}) Das Feigenblatt einer Protokollerklärung ändert daran nicht viel. ({1}) Dem habe ich heutzutage nichts hinzuzufügen. Wissend, dass Plattformen verpflichtet werden, Uploadfilter einzusetzen, hat die Bundesregierung versprochen, diese Uploadfilter weitestgehend unnötig zu machen. Das Versprechen haben Sie aber nicht nur gebrochen, nein, jetzt werden Uploadfilter sogar erweitert eingesetzt. Es ist völlig klar, dass es daran auch heftige Kritik gibt, vor allem von jenen, die damals zu Tausenden in Europa protestiert haben. Drei Vorläufer hatte der heutige Gesetzentwurf. Man kann deshalb sehr gut sehen, welche Lobbyisten erfolgreich waren, nämlich die Plattformvertreter und die Verwerterindustrie. So sorgt nun die Bundesregierung unter Verletzung der EU-Richtlinie nicht dafür, dass die Sperrung erlaubter und entsprechend gekennzeichneter Inhalte durch automatisierte Filter verhindert wird. Diesen Missstand kann die Union nun nicht mehr wegdiskutieren. Und wie haben Sie – das fand ich ja sehr putzig – darauf reagiert? Nicht etwa mit Korrektur, nee, nee. Ihre erste Reaktion war, frühere Versprechen gegen den Einsatz von Uploadfiltern von Ihrer Homepage zu löschen. Liebe Freunde des Widerstandes, soweit es öffentliche Blamagen betrifft, hat die Union derzeit einen richtig guten Lauf. ({2}) Nicht genug damit: In der Protokollerklärung waren auch angemessene Vergütungen für Kreative versprochen. Nun sind die neuen Transparenzregeln und Direktvergütungsansprüche von Urheberinnen und Urhebern gegenüber Plattformen also durchaus sinnvolle Ansätze. Dennoch wird am Kern des Problems nichts geändert. Kreative bekommen zu wenig, weil sie Verwertern und Plattformbetreibern in den Verhandlungen eben nicht auf Augenhöhe gegenüberstehen. Einzeln hat man eh keine Chance, und wenn man klagt, ist man raus, bekommt keine Angebote bzw. Aufträge mehr. Das muss aufhören. ({3}) Daher muss das Urhebervertragsrecht dringend gestärkt und erweitert werden, mehr als im Gesetz. Wir brauchen das Verbandsklagerecht und verbindliche allgemeine Vergütungsregeln, damit Kreative ihre Rechte kollektiv durchsetzen können. ({4}) Meine Damen und Herren, leider bleibt mir keine Zeit, zu den von der Bundesregierung nicht berücksichtigten Erfordernissen von Bibliotheken, Bildungs-, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen zu sprechen. Sie haben für dieses Gesetz – Frau Lambrecht hat selber gesagt, dass es eine sehr besondere Reform ist – 30 Minuten Debatte vorgesehen. Ich habe das Gefühl, Sie wollen damit Kritik ausblenden; „Fluchtverhalten“ nenne ich das. Stellen Sie sich öffentlich der Debatte, indem angemessene parlamentarische Zeiten für diese Debatten vorgesehen werden. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Jahre und viele Entwürfe hat es gedauert, bis der Gesetzentwurf zur EU-Urheberrechtsreform auf dem Tisch lag. Dass die Diskussion darüber gerade wieder sehr emotional und nicht immer ganz sachlich geführt wird, ist vor allem ein Verschulden dieser Bundesregierung. Sie haben die Kulturschaffenden in der Krise im Regen stehen lassen. ({0}) Damit schaden Sie dem wichtigen Anliegen, das Urheberrecht für das digitale Zeitalter fit und fair für alle zu gestalten. Als Kultur- und Netzpolitikerin betone ich, dass vom neuen Urheberrecht in erster Linie die Kreativen profitieren müssen. Aber genauso wenig dürfen die Rechte der Nutzer/-innen auf der Strecke bleiben. Die Informations- und Meinungsfreiheit darf im Netz keinen Schaden nehmen. ({1}) Wir Grüne wollen eine angemessene Vergütung der Urheber/-innen. Dazu haben wir immer wieder Vorschläge, gerade zum Urhebervertragsrecht, vorgelegt. Deshalb begrüßen wir auch, dass nun erweiterte Kollektivlizenzen und eine Auskunftspflicht samt Geltendmachung durch Verbände eingeführt werden. In einigen wichtigen Punkten gelingt der ausgewogene Interessenausgleich allerdings nicht, und das ist die Folge Ihres unsäglichen Rumgeeieres zum Artikel 17. ({2}) Erst wollten Sie die Uploadfilter verhindern, dann dampfen Sie ausgerechnet die Instrumente, die Missbrauch und Overblocking abwenden, wie zum Beispiel das Pre-Flagging, auch noch wieder ein. Sie haben Ihr Versprechen gebrochen, und das muss man hier auch ganz deutlich sagen. ({3}) Statt Internetgiganten einzuhegen, werden diese begünstigt, weil sie mit ihren Filtersystemen ihre Marktmacht jetzt auch noch ausbauen können. Zudem befürchten 19 renommierte Professorinnen und Professoren einen Dammbruch mit unüberschaubaren Risiken für die Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit, wenn der über 50 Jahre alte Konsens zum Umgang mit Zitaten, Parodien, Karikaturen aufgekündigt wird und diese nun vergütet werden sollen. Dies kann weder im Sinne der Kreativen noch unseres Rechtsstaats sein, der sich aus dem freiheitlichen Meinungsbildungsprozess speist. ({4}) Auf gar keinen Fall darf der Direktvergütungsanspruch wegfallen. Dieser ist notwendig, damit auch Bands und Filmurheber/-innen angemessen vergütet werden, egal an welcher Stelle sie in der Lizenzkette stehen. Er sollte daher auf die ausübende Kreativbranche begrenzt werden. Verwerter brauchen diesen Schutz nämlich nicht. Die vorgesehene Verbandsklagemöglichkeit muss zudem prozessrechtlich nachgebessert werden, damit die Kreativen ihre Rechte auch wirklich durchsetzen können. Zum Presseleistungsschutzrecht – das ist ja in Deutschland krachend gescheitert – nur ein Satz: Wenn es jetzt über die EU wiederkommen muss, dann bitte so, dass die Urheber/-innen mit einer Mindestquote daran partizipieren. ({5}) Skandalös ist die Verwässerung der Wissenschaftsschranke. Die vollständige Entfristung ist für Bibliotheken, Bildungs- und Forschungseinrichtungen wichtig. Das sehen wir gerade in Zeiten von Corona. Unser Fazit: Die aktuelle Schieflage muss beseitigt werden. Wir werden dazu Änderungsanträge einbringen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Tankred Schipanski, CDU/CSU. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Novelle wollen wir das Urheberrecht in das digitale Zeitalter führen. Jede Urheberrechtsnovelle – wir erleben das ja auch in dieser Debatte – ist mit einer lauten Begleitmusik unterlegt. Seit Monaten sind wir selbstredend mit den Betroffenen im Dialog. Im Urheberrecht – das hat Ansgar Heveling dargestellt – geht es um einen Interessenausgleich. Der vorliegende Kompromissvorschlag ist ein solcher Interessenausgleich, ein Ausgleich von Interessen von Nutzern, von Urhebern, also den Rechteinhabern, und den Plattformen. Nutzer bekommen Rechtssicherheit bei der Frage, wann und wie sie geschützte Inhalte nutzen und veröffentlichen dürfen. Bagatellausnahmen und das Pre-Flagging ermöglichen es, Uploads als legal zu kennzeichnen und die erlaubte Nutzung von geschützten Inhalten sicherzustellen. Autoren, Künstler, Kreative, Musiker, Journalisten und andere Urheber können ihr geistiges Eigentum wesentlich besser und einfacher schützen und ihr Recht durchsetzen; denn sie haben einen Anspruch auf faire Vergütung ihrer Leistung auch in der digitalen Welt. Die Plattformen werden als dritter Player in die Pflicht genommen und erhalten gleichzeitig selbst Rechtssicherheit. Sie müssen einen fairen Anteil ihrer Gewinne an die tatsächlichen Urheber weitergeben. Auf Urheberrechtsverletzungen aufgebaute unfaire Geschäftsmodelle werden unterbunden. Die Rahmenbedingungen für diese Reform kommen aus Brüssel. Nicht alle haben sich über diese Vorgaben aus Brüssel gefreut. Daher bin ich dankbar, dass die Bundesregierung seinerzeit, im Frühjahr 2019, eine Protokollerklärung zur Verabschiedung der Richtlinie abgegeben hat und klarstellt, dass wir insbesondere die Nutzerinteressen anerkennen und die Wirkung von Uploadfiltern verhindern wollen. Ich denke, von dieser Maxime wird auch die Entscheidung des EuGH zu der Urheberrechtsrichtlinie, die wir für Sommer erwarten, geprägt sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Anliegen, Uploadfilter komplett unnötig zu machen, konnten wir nicht vollständig umsetzen; ja, das ist so. Aber das ist doch kein gebrochenes Versprechen. Es ist uns gelungen, die Wirkung von Uploadfiltern weitgehend zu verhindern. Wir vermeiden mit diesem Gesetzentwurf das befürchtete Overblocking, also das Blockieren von legalen Inhalten. ({0}) Daher gehen die Vorwürfe mit Blick auf die Meinungsfreiheit und Ähnliches völlig fehl. Ich kann nur uns gemeinsam raten, allen voran denen, die hier diese Begleitmusik machen, das ohne Kampfrhetorik zu tun. Worte wie „Beschränkung der Meinungsfreiheit“, „Enteignung der Rechteinhaber“ oder gar „das Leugnen von Nutzerinteressen im Netz“ tragen zu dieser Debatte nicht bei. ({1}) Lassen Sie mich noch mal ausdrücklich feststellen: Jede Schrankenregelung wird entschädigt. Dies gilt auch für die mutmaßlich erlaubten Nutzungen, durch die wir insbesondere die Netzkultur erhalten werden. Jeder Gesetzentwurf erfährt Verbesserungen im parlamentarischen Verfahren, so auch dieser; davon bin ich überzeugt. Insofern freue ich mich auf die bevorstehenden Beratungen, die wir selbstverständlich, Frau Kollegin Sitte und Frau Kollegin Rößner, auch mit der Opposition intensiv führen werden. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Florian Post, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Florian Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es hier mit einem äußerst komplexen Gesetzesvorhaben zu tun. Es geht um nichts anderes – die Frau Ministerin und viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon betont – als um die Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter. Fast jeder von uns ist in irgendeiner Art und Weise von diesem Urheberrecht betroffen, sei es als Rechteinhaber, sei es als Nutzer. Mit diesem Gesetzesbeschluss und ‑vorhaben findet ein Paradigmenwechsel statt. Das ist auch die Grundlage für eine faire und angemessene Vergütung. Die Plattformen werden erstmals verpflichtet, Lizenzen zu erwerben, und Kreative erhalten einen Direktvergütungsanspruch. Auch Kollege Schipanski von der Union hat es gerade betont: Overblocking wird verhindert; damit wird auch die Kommunikations- und Meinungsfreiheit gesichert. Alle Behauptungen, dass durch den Einsatz sogenannter Uploadfilter dies nicht der Fall wäre, entsprechen nicht den Tatsachen. Geringfügige Nutzungen für nutzergenerierte Inhalte werden erlaubt, und die urheberrechtliche Schrankenregelung wird um Karikatur, Parodie und Pastiche erweitert. Gleichzeitig – das ist wichtig zu betonen – müssen aber auch diese Nutzungsformen von den Plattformen vergütet werden. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, zu betonen, dass es explizit auch Inhalt und Zielsetzung der EU-Richtlinie ist, die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer auf der einen Seite, aber auch der Rechteinhaber auf der anderen Seite, also beide Seiten, im Blick zu haben, was oftmals in der Debatte vergessen wird. Es ist kein Geheimnis, dass insbesondere die SPD hier natürlich die Künstlerinnen und Künstler, die Kreativen, also die eigentlichen Urheber, im Blick hat und sicherstellen will, dass diese tatsächlich ein angemessenes und faires Stück vom Kuchen abbekommen. ({0}) Durch den Direktvergütungsanspruch – das wurde ja gerade von der Linken kritisiert – werden Kreative gestärkt. Es gibt einen Direktvergütungsanspruch, und das ist auch zu begrüßen. Natürlich – das gebe ich zu, wir sind ja hier in der ersten Lesung, und wir finden diesen Gesetzentwurf prima und hervorragend – gibt es auch einige Punkte, bei denen wir noch Beratungsbedarf haben und versuchen werden, nachzubessern. Es muss gewährleistet sein, dass der Direktvergütungsanspruch den unterschiedlichen momentan vorherrschenden Lizenzierungsmodellen nicht entgegensteht. In den Transparenzvorschriften muss sichergestellt sein – das wurde in der Debatte auch schon betont –, dass über die gesamte Verwertungskette Transparenz herrscht, wenngleich ich wiederum den Einwand von Sendern, auch öffentlichen, die sich an uns gewandt haben, verstehe, dass man hier auch auf Angemessenheit und Praktikabilität achten muss. Das wird uns aber gelingen. Wir haben das im Blick. Wir sind hier auf einem guten Weg. Es ist ja, wie gesagt, erst die erste Lesung, und wir sind hier noch im parlamentarischen Verfahren. Zum Schluss möchte ich noch auf das Verbandsklagerecht eingehen. Es ist wichtig für die Rechtsdurchsetzung. Wir brauchen hier ein echtes Verbandsklagerecht. Das heißt, die Vereinigungen müssen auch im eigenen Namen klagen können. Ich habe heute früh in einem dpa-Ticker gelesen, dass hier eine Zwangskollektivierung drohe. Das ist nicht der Fall. Auch hierzu werden wir noch mal unseren Standpunkt deutlich machen und im weiteren Verfahren darüber reden. Im Übrigen werden wir auch über die Ausgestaltung des Red Buttons reden, um Missbrauch zu verhindern. Auch Verbesserungen für Wissenschaft und Forschung haben wir im Blick. Hier sind wir in guten Beratungen auch mit der Opposition. Ich glaube, wir sind hier auf einem sehr, sehr guten Weg. Danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Urheberrechtsschutz ist Eigentumsschutz. Geistiges Eigentum ist in diesem Land genauso werthaltig und schützenswert wie Sacheigentum. ({0}) So wie jemand bei der Schöpfung einer Sache muss eben auch ein Autor, ein Musiker, ein Künstler vom Erfolg seines geistigen Eigentums profitieren können. Dieser Schutz des geistigen Eigentums gilt in der digitalen Welt ebenso wie in der analogen Welt. Aber es gibt Besonderheiten im Netz, und dieser Gesetzentwurf soll genau diesen Besonderheiten gerecht werden. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Ich bin begeisterter Karnevalist, war Karnevalsprinz. Mein Karnevalsverein macht dreimal im Jahr eine Veranstaltung. Da treten Büttenredner auf, Musiker, Garden, Männerballett. Oftmals ist das hinterlegt mit einer Musik, die nicht lizenzfrei ist. ({1}) Mein Karnevalsverein löst diese Lizenzrechte wie selbstverständlich ab, weil er ja davon profitiert. Er betreibt eine Bar, er verkauft Essen, er verkauft Getränke, er legt ein Abendprogramm auf, das mit Annoncen finanziert wird. Wenn aber dann die Jugendgarde, die bei dieser Veranstaltung auftritt, ein paar Wochen später privat entscheidet: „Unser Tanz war so toll, alle haben sich gefreut, wir nehmen den auf und stellen ihn auf Youtube“, dann muss die Jugendgarde damit rechnen, dass, wenn der Rechteinhaber der Musik bei Youtube anklopft und sagt: „Da ist meine Musik auf deiner Plattform gestreamt“, Youtube den Rechteinhaber zur Jugendgarde schickt und sagt: Die Jugendgarde vom RCC Retzbach ist zuständig, setz dich mit denen auseinander. Da sagen wir ganz klar: Das ist eine Schieflage. Das können wir nicht hinnehmen, weil der Satz gelten muss: Der, der profitiert – das ist Youtube in dem Fall –, muss sich doch auch bitte um die Rechteverwertung kümmern. ({2}) Wir haben im Netz eine Schieflage. Über 80 Prozent aller Uploads von Musik und anderen künstlerischen Darbietungen finden auf den großen Plattformen statt: Youtube, Google, Facebook, Instagram. Bis heute lösen diese Plattformen nur einen marginalen Bruchteil der tatsächlichen Lizenzrechte ab. Wenn wir Marktmacht durch Alleinstellungsmerkmale verhindern wollen – wie das gelingt, hat Australien kürzlich demonstriert –, dann ist dieser Gesetzentwurf die einzig richtige Antwort. Ich will zu Uploadfilter noch etwas sagen. Sie sind nicht vorgeschrieben. Eine kleine Plattform schafft es locker ohne Software, diesen Sorgfaltsanforderungen gerecht zu werden. Wenn Sie aber jetzt mit Feuer und Schwert gegen Varianten kämpfen, die Youtube, Facebook, Google zurate ziehen müssen, um dieser Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, dann machen Sie Politik für die großen Plattformen, ({3}) und dann müssen Sie sich schon fragen lassen, wie ernst Sie Urheberrechte, Autorenrechte, Künstlerrechte in diesem Land nehmen. ({4}) Ich freue mich auf die Beratungen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grüß Gott, liebe Gäste, zu Hause am Fernsehgerät und vor allem auch an unsere Bauern draußen auf der Straße! Seit mittlerweile zwei Jahren sind die deutschen Bauern regelmäßig auf der Straße, um gegen die bauernfeindliche Agrarpolitik der schwarz-roten Bundesregierung zu protestieren. Diesen Dienstag waren wieder Hunderte Bauern in Berlin. In der „Tagesschau“ wurde das übrigens schon wieder verschwiegen. An dieser Stelle einen freundlichen Gruß an alle Bauern, die es am Dienstag nach Berlin geschafft haben, und an alle, die in Berlin bleiben, um weiter zu demonstrieren. Haltet durch, wir stehen an eurer Seite! ({0}) Es war mir und meiner Fraktion deshalb eine Herzensangelegenheit, die heutige Debatte im Deutschen Bundestag zu beantragen und gleich vier wichtige Anträge zur Stärkung der deutschen Landwirtschaft einzureichen. Sehr geehrte Damen und Herren, worum geht es eigentlich bei den Bauernprotesten? Es geht um die fehlende Zukunftsperspektive. Die bäuerlichen Familienbetriebe sind seit Jahren einem massiven wirtschaftlichen Druck ausgesetzt, und das Problem ist leider hausgemacht. Sie, liebe Kollegen von der Bundesregierung, lassen sich seit Jahren von Kampagnen der millionenschweren Umwelt-NGOs vor sich hertreiben und belasten die Bauern in immer kürzeren Abständen mit neuen Auflagen und Verboten. Erkennen Sie denn gar nicht, dass es diesen NGOs gar nicht um wissenschaftliche Fakten und Umweltschutz geht? Es ist ein Geschäftsmodell. Mit Fake News und emotionalen Schauermärchen lassen sich nun mal sehr viel mehr Spendengelder abgreifen. Deutschland ist aber keine abgeschottete Insel, meine Damen und Herren. Während Sie mit Ihren Verboten die landwirtschaftlichen Produktionskosten immer weiter in die Höhe treiben, müssen sich unsere Bauern dem internationalen Wettbewerb stellen. Sie müssen mit billigen Dumpingimporten konkurrieren, bei deren Erzeugung Umweltschutz, Tierschutz und Arbeitsschutz in der Regel keine Rolle spielen. Das ist nicht fair, meine Damen und Herren! ({1}) Viel zu hohe Kosten und viel zu niedrige Erlöse bedeuten niedrige Gewinne. Kein Wunder also, dass jedes Jahr Tausende landwirtschaftliche Familienbetriebe ihre Hoftore für immer schließen müssen. Das wollen wir ändern. Helfen Sie uns dabei, die bäuerlichen Familienbetriebe zu retten! Wir müssen weg von planwirtschaftlichen Ansätzen und Verbotspolitik und uns wieder auf die soziale Marktwirtschaft zurückbesinnen. Wir fordern weniger Bürokratie, größere unternehmerische Entscheidungsspielräume und europäische Wettbewerbsgleichheit. Die Kosten müssen runter, und gleichzeitig müssen wir die Vermarktung heimischer Lebensmittel mit marktwirtschaftlichen Instrumenten stärken. Eine große Mehrheit der Deutschen wünscht sich heimische Lebensmittel, kann die Herkunft im Supermarkt aber meist gar nicht erkennen. Deshalb fordern wir eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung aller Lebensmittel. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass nachhaltiger Umweltschutz, Tierschutz und Artenschutz nur gemeinsam mit wirtschaftlich starken bäuerlichen Familienbetrieben möglich ist, die ihre eigene Scholle bewirtschaften. Helfen Sie uns dabei, die deutsche Landwirtschaft zu schützen und bäuerliche Familienbetriebe zu erhalten. Vergessen wir bitte nicht: Stirbt der Bauer, stirbt das Land! Danke schön, meine Damen und Herren. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Artur Auernhammer, CDU/CSU. ({0})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es gibt Bauerndemonstrationen. Es gab sie auch in den letzten Jahren; es gab sie schon immer. Auch ich war vor meiner Zeit im Deutschen Bundestag öfter aktiv an solchen Demonstrationen beteiligt, und ich stehe dazu. ({0}) – Bevor Sie sich richtig aufregen: Ich sage jetzt nicht, gegen wen oder wofür ich demonstriert habe. In diesem Jahr waren an einem Tag, an dem wir hier im Deutschen Bundestag der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte gedacht haben, dem Holocaust-Gedenktag, auch Landwirte unterwegs – mit fragwürdigen Symbolen an ihren Traktoren. Sie fuhren am Holocaust-Mahnmal vorbei. Sie fuhren an der Stelle vorbei, wo die Neue Reichskanzlei stand. Sie fuhren dort laut hupend vorbei. An der Seite dieser Demonstranten stehe ich nicht; ich will mich klipp und klar von solchen Demonstrationen distanzieren. ({1}) Ich hatte schon immer ein Problem damit, wenn mit der ehrlichen Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern populistische Politik gemacht wird, egal von welcher Seite oder welcher Fraktion dieses Hauses. Unsere Bäuerinnen und Bauern arbeiten fleißig und ehrlich, und sie haben unseren Respekt und unsere Anerkennung verdient. Das vermisse ich. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Auernhammer, der Kollege Protschka würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, bitte nicht noch mehr. ({0}) Man bringt Anträge in den Deutschen Bundestag ein, die schön klingen und sich draußen vielleicht gut vermarkten lassen, die aber mit der Realität wenig am Hut haben. Es ist schön, wenn man soziale Marktwirtschaft verlangt. Gut, wir haben die soziale Marktwirtschaft eingeführt. ({1}) Aber auch die Marktpreisentwicklung hat ihre eigene Dynamik. ({2}) Und wo wir hinkommen, wenn wir zu sehr in Marktsysteme eingreifen, haben wir in der Vergangenheit gesehen: Milchseen, Butterberge, volle Fleischlager. Diese Dinge müssen wir anders regulieren. Wenn die AfD hier Anträge einbringt, ist das ihr demokratisches Recht. Aber ich will schon sagen: Es sollte auch inhaltlich richtig sein. ({3}) In einem Ihrer Anträge steht, der Deutsche Bundestag habe das Insektenschutzgesetz bereits beschlossen. Nur mal so zum demokratischen Ablauf: Die Bundesregierung bringt einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein. Wir beraten diesen in erster Lesung, dann in den Ausschüssen, machen vielleicht noch eine öffentliche Anhörung dazu und beschließen dann darüber in zweiter und dritter Lesung. Das alles machen wir in diesem Fall nach Ostern. Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage des Bundeskabinetts zum Insektenschutzgesetz noch nicht beschlossen. Das zu Ihrer Information. ({4}) Ich glaube, man muss hier auch mal das eine oder andere klarstellen. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, es wäre wunderschön, wenn der deutsche Verbraucher nur deutsche Lebensmittel kaufen und essen würde. Es wäre auch schön, wenn die Menschen in Niederbayern nur die niederbayerischen Autos und keine anderen Autos kaufen würden ({6}) und wenn keine niederbayerischen Autos zum Beispiel nach Mittelfranken exportiert würden. Wäre das wirklich so schön? Also bitte, ich habe daran Zweifel. ({7}) Es gehört auch dazu, dass wir in Deutschland eine Vielfalt an Nahrungsmitteln haben. Wir können dankbar sein für diese Vielfalt. Wenn wir hier zu wenig Obst und Gemüse anbauen, hat das vielleicht auch damit zu tun, dass Südfrüchte und Zitrusfrüchte wie Bananen und Orangen noch nicht in Deutschland wachsen. Gut, jetzt leugnen Sie den Klimawandel; vielleicht ändert sich daran noch etwas. Aber Bananen und Orangen haben auch einen Migrationshintergrund. Wahrscheinlich haben Sie deswegen ein Problem damit. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, ich weiß auch um das wahnsinnige Bürokratiemonster. Wenn man Landwirtschaft betreibt, dann sitzt man verdammt noch mal viel zu lange am Schreibtisch und zu wenig auf dem Traktor oder ist zu wenig im Stall unterwegs, um sich um seine Tiere zu kümmern. Daran muss sich etwas ändern. Dafür brauchen wir Bagatellgrenzen, gerade für klein- und mittelbäuerliche Betriebe, die ehrlich arbeiten. Da brauchen wir wirklich effektive Erleichterungen. ({9}) Ich wäre froh, wenn alle, die in den letzten Tagen die Verhandlungen bei der Agrarministerkonferenz blockiert haben, etwas mehr Sachverstand und weniger Emotionen in die Diskussion einbringen würden. Dann wären wir mit der Entscheidung zur Gemeinsamen Agrarpolitik schon wesentlich weiter und hätten schon eine wesentlich bessere Grundlage für die Zukunft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir, gerade nach dieser Coronapandemie, ein hohes Interesse an einer guten Selbstversorgung mit Lebensmitteln, aber auch anderen Produkten in Deutschland haben, dann müssen wir gerade unsere bäuerliche Landwirtschaft stärken. Dafür müssen wir die Instrumente in die Hand nehmen, die uns die Gemeinsame Agrarpolitik gibt. Ich bin zuversichtlich, dass uns das in nächster Zeit, in den letzten Tagen dieser Legislaturperiode, noch gelingen wird. Diskussionen zur Agrarpolitik sind immer sehr leidenschaftlich. Das ist gut so; denn unsere Bäuerinnen und Bauern arbeiten auch mit Leidenschaft. Danke schön. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gero Hocker, FDP. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD fordert ja immer, dass man sich mit ihren Anträgen fachlich und inhaltlich auseinandersetzt. Ich verspreche Ihnen, dass ich genau dies in den kommenden Minuten tun werde und sehr deutlich machen werde, dass das, was Sie fordern, den landwirtschaftlichen Praxistest zu keiner Sekunde besteht und dass das, was Sie hier aufgeschrieben haben, Herr Kollege Protschka, diametral den Forderungen entgegensteht, die die AfD sonst hier erhebt. Ihnen geht es darum, sozusagen wie ein Staubsauger all diejenigen, die zu Recht mit der Landwirtschaftspolitik dieser Bundesregierung unzufrieden sind, einzusammeln. Aber ich sage Ihnen: Die Landwirte in Deutschland sind viel zu schlau, um diesem rückwärtsgewandten Irrsinn auf den Leim zu gehen. ({0}) Sie widmen einen ganzen Antrag der Frage, wie man es erleichtern kann, dass Saisonarbeitskräfte aus Südeuropa und Osteuropa – Stichwort „Arbeitsmigration“ – nach Deutschland kommen, hier untergebracht und eingesetzt werden können. Ausgerechnet Sie, die Sie sonst keine Gelegenheit auslassen, Arbeitsmigration nach Deutschland zu diskreditieren, und immer wieder behaupten, dass es die Ausländer sind, die für alles, was in unserem Land vielleicht nicht ganz gerade läuft, verantwortlich sind! Ausgerechnet Sie, die Sie in Ihrem Programm fabulieren, dass Grenzen umgehend geschlossen werden sollten, um Massenmigration in unser Land und seine Sozialsysteme durch überwiegend beruflich unqualifizierte Asylbewerber sofort zu beenden! Ausgerechnet Sie, wo doch Ihr Kollege Curio noch vor zwei Tagen, als wir hier die Bundeskanzlerin über das pandemische Geschehen in Deutschland befragt haben, insinuiert hat, dass die steigenden Inzidenzen darauf zurückzuführen sind, dass es zu viele Ausländer in Deutschland gibt! Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage es hier in aller Öffentlichkeit: Hier macht sich der Bock selber zum Gärtner. ({1}) Herr Kollege Protschka, es ist doch quasi die DNA Ihrer Partei, den Leuten weiszumachen, man müsse nur zurück ins Jahr 1954 – Sie haben es eben selber noch mal gesagt –, als der deutsche Bauer seine Scholle bewirtschaftet und sich selber versorgt hat, am Samstag auf den Wochenmarkt gefahren ist und das verkauft hat, was er übrig hatte, und vielleicht noch einen Hofladen hatte. Das würde Lebensmittelautarkie in Deutschland erwirken. Was für ein Irrsinn, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind in Deutschland darauf angewiesen, dass Menschen zu uns kommen, die den Spargel ernten oder die Erdbeeren vom Feld holen, weil das eine gesellschaftliche Bereicherung ist und weil es eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit ist. Das, was Sie propagieren, gehört ins vorletzte Jahrhundert und hat nichts in diesem Deutschen Bundestag zu suchen. ({2}) Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Unsere Aufgabe ist es nicht, über nationalstaatliche Lösungen zu fabulieren und darüber, dass Grenzen wieder geschlossen werden müssen. Es ist ja gerade ein Problem, dass wir zu viel Nationalstaatlichkeit in Deutschland haben und wir häufig auf all das, was aus Europa kommt, noch etwas obendrauf setzen. Im Gegenteil, unsere Aufgabe ist es, dafür zu streiten, dass es in einem europäischen Binnenmarkt zu einer Angleichung von Wettbewerbsstandards kommt. Gegenwärtig haben wir die Situation, dass der Landwirt aus Südeuropa oder aus Osteuropa zu viel niedrigeren Standards produzieren kann und deswegen natürlich einen Wettbewerbsvorteil hat. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, im europäischen Kontext, aber auch bei Freihandelsabkommen wie Mercosur dafür zu sorgen, dass es ein fairer Wettbewerb ist. Es kann doch nicht sein, dass wir Rinderhälften aus Südamerika importieren und dafür der Regenwald abbrennt. Hier müssen wir verhandeln. Mit Ihrer Agrarpolitik – das haben Sie von der AfD heute wieder sehr deutlich gemacht – propagieren Sie geschlossene Grenzen, was eigentlich niemand will, am allerwenigsten die Landwirtschaft in Deutschland. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Schulte, SPD. ({0})

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute verschiedene Anträge der AfD und der Grünen, die sich alle mit dem Thema „Ernährung und Landwirtschaft“ befassen. Ich will mich auf den Antrag zum Thema Lebensmittelverschwendung konzentrieren, erstens weil das, wie ich finde, ein wichtiges Thema ist, zweitens weil mir das Thema am Herzen liegt und drittens weil ich – in Anlehnung an die Rede von Artur Auernhammer – eine gewisse Leidenschaft für dieses Thema entwickelt habe. Ich denke, Sie werden mir alle zustimmen, wenn ich sage, Lebensmittelverschwendung dürfte es eigentlich nicht geben. Lebensmittelverschwendung ist ein großes Problem, und zwar eines, das viel zu lange von uns allen vernachlässigt wurde. ({0}) Je nach Studie landen in Deutschland pro Jahr zwischen 12 und 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll und damit genau dort, wo sie ganz bestimmt nicht hingehören. Da sehr viel Obst und Gemüse weggeworfen wird, spiegelt sich darin auch die Wertschätzung für die Arbeit der Landwirte wider. Das, denke ich, ist ein besonderes Argument, um gegen die Lebensmittelverschwendung anzugehen. Dieser Zustand ist aus mehreren Gründen nicht hinnehmbar. Zum einen ist eine Gesellschaft, in der einwandfreie Nahrungsmittel massenhaft weggeworfen werden, ethisch auf dem falschen Weg. Man muss sich doch vor Augen halten, dass 700 Millionen Menschen auf der Welt hungern – Tendenz steigend, auch bedingt durch die Coronapandemie –, während wir in Deutschland Brot aussortieren, weil es vom Vortag ist, oder Tomaten, weil sie eine Macke haben. Was für ein Luxus, was für eine Verschwendung! Zum anderen verursacht Lebensmittelverschwendung hierzulande etwa 4 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen und befeuert damit den Klimawandel. In jedem produzierten Lebensmittel stecken wertvolle Ressourcen: Wasser, Boden, Energie, Arbeitskraft. Das alles war sozusagen für die Katz, wenn das Lebensmittel am Ende nicht konsumiert, sondern weggeschmissen wird. Was müssen wir also tun, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren? Zum einen brauchen wir verlässliche Daten. Wir haben zwar seit 2019 mit der sogenannten Baseline-Studie des Thünen-Instituts eine Grundlage, anhand derer wir künftige Erfolge messen können. Doch selbst die Autoren der Studie gestehen ein, dass vieles auf Schätzungen beruht, deren Aussagekraft eben begrenzt ist. Deshalb muss sich die Datenlage verbessern, auch durch mehr Transparenz der Unternehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Daten sind das eine. Wir müssen aber vor allem entlang der gesamten Wertschöpfungskette Lebensmittelverluste reduzieren oder, wenn möglich, vermeiden. Das fängt auf dem Acker an und hört bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern auf. Jede und jeder Einzelne von uns kann da etwas tun, indem er überlegter einkauft, besser lagert und Reste verwertet. Verschwendung im eigenen Haushalt wird so vermieden. Der gute alte Einkaufszettel – analog oder digital – kann da sehr hilfreich sein. Allerdings, finde ich, macht man es sich zu einfach, wenn man die Schuld nur bei den privaten Haushalten sucht. Stattdessen müssen auch alle anderen Bereiche in die Verantwortung genommen werden, ({1}) von der Primärproduktion über die Verarbeitung bis hin zum Handel und zur Außer-Haus-Verpflegung. Mit der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung hat die Bundesregierung deshalb einen Ansatz entwickelt, der alle Stufen der Wertschöpfungskette umfasst. Das ist gut. Ich will auch nicht in Abrede stellen, dass von Dialogforen und freiwilligen Zielvereinbarungen – das sind die wesentlichen Säulen der Strategie – Impulse ausgehen können. Erfahrungen aus anderen Zusammenhängen zeigen aber klar und deutlich, dass mit freiwilligen Selbstverpflichtungen a) die Ziele in der Regel nicht erreicht werden und b) zu viel Zeit ungenutzt verstreicht. ({2}) Beispielhaft genannt seien hier Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, unlautere Handelspraktiken oder die Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten. Deshalb plädieren wir als SPD für entschlossenere Schritte. So sollten wir auch endlich aufhören, den vielen engagierten Lebensmittelretterinnen und ‑rettern die Arbeit unnötig zu erschweren. Wir müssen dringend haftungsrechtliche Hürden für die Weitergabe von Lebensmitteln abbauen, etwa indem gemeinnützige Organisationen, die Lebensmittelspenden entgegennehmen, als Endverbraucher definiert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt komme ich zu einem etwas heiklen Thema: Die Tafeln brauchen finanzielle Unterstützung für den Aufbau ihrer Infrastruktur. Dabei – und das ist mir ganz wichtig – sollen sie nicht die Defizite des Sozialstaates ausgleichen. ({3}) Kein Mensch sollte so arm sein, dass er auf den Gang zur Tafel angewiesen ist. Anfangs stand bei der Tafelbewegung auch nicht die Bekämpfung der Armut im Vordergrund, sondern die Lebensmittelrettung. Die Tafeln sind für mich die Kompetenzzentren in Sachen Lebensmittelrettung schlechthin. Und ich wünsche mir, dass auch die Kundinnen und Kunden der Tafel ein anderes Selbstbewusstsein entwickeln. Schließlich bewahren sie Jahr für Jahr über 260 000 Tonnen kostbare Lebensmittel vor der Vernichtung und tun damit Gutes für die Umwelt und für das Klima. Wir sollten vielleicht einmal gemeinsam schauen, wie wir diesen Aspekt stärker in den Vordergrund rücken können, ohne den Kampf für soziale Gerechtigkeit aufzugeben. ({4}) Ohne die Tafeln – davon bin ich zutiefst überzeugt – werden wir unser Ziel, die Lebensmittelverschwendung zu halbieren, nicht erreichen. Deswegen ärgert es mich auch maßlos, dass immer wieder ganze Lkw-Ladungen mit gespendeten Lebensmitteln abgelehnt werden müssen, weil es den Tafeln an Lager-, Kühl- und Transportmöglichkeiten fehlt. Im Haushalt 2021 haben wir deshalb auf SPD-Initiative Mittel bereitgestellt, um die Tafeln hier zu unterstützen. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zu weniger Lebensmittelverschwendung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider kann unser derzeitiger Lebensabschnittsgefährte dem gesetzlichen Wegwerfstopp für Lebensmittel, wie ihn Frankreich 2016 eingeführt hat, nichts abgewinnen, dabei ist das Gesetz durchaus positiv zu bewerten. Das finde ich sehr schade. Das werden wir natürlich, wenn wir die Wahlen gewinnen und dann an der Regierung beteiligt sind, wovon ich fest ausgehe, ändern. ({5}) Wer etwas wegwirft oder Sachen unbrauchbar macht, sollte Strafe zahlen. Das ist unsere Losung. Es gibt noch viele weitere Stellschrauben. Obwohl ich sieben Minuten Redezeit hatte, läuft mir die Zeit davon. Ich will nur an die eco-Plattform und an eine Studie zum sogenannten Lebensmittelcoaching erinnern. Auch intelligente Verpackungen unterstützen wir schon finanziell. Und zum Mindesthaltbarkeitsdatum mache ich noch einmal darauf aufmerksam, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchsdatum oft verwechseln. „Zu gut für die Tonne!“ ist ein wunderbares Mittel, um noch mehr Wertschätzung für die Lebensmittel zu erreichen. Auch die EU-Vermarktungsnormen sind wir schon angegangen. 26 Vermarktungsnormen sind 2009 abgeschafft worden. Auch das sprechen Sie in Ihrem Antrag an. Mein Fazit: In dieser Legislaturperiode haben die Bundesregierung und die sie tragende Koalition sehr viel im Bereich Lebensmittelverschwendung auf den Weg gebracht. Davon bin ich total überzeugt, und darauf bin ich auch ein bisschen stolz. Ich möchte mich vor allem bei den vielen Helferinnen und Helfern der Tafel, aber auch der anderen Initiativen bedanken. Hier sind es vor allen Dingen junge Frauen, die sich dem Thema Lebensmittelrettung verschrieben haben. Wir würden einiges gerne noch verbindlicher regeln, aber wie gesagt: Dafür brauchen wir andere Mehrheiten. Ich finde, der AfD-Antrag ist überholt. Viele der 15 Forderungen sind schon abgearbeitet oder auf den Weg gebracht. Wir werden den Antrag also ablehnen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Agrardebatten – das wurde schon gesagt – sind aktuell sehr emotional und polarisiert. Aber es geht auch um viel, zum Beispiel um die Zukunft vieler Agrarbetriebe. Viele Konflikte spitzen sich gerade gleichzeitig und deswegen auch bedrohlich zu, auch weil Probleme viel zu lange ausgesessen wurden, und das muss sich ändern. ({0}) Je nach Hintergrund der Diskutierenden ist einmal die Klimakrise, einmal die biologische Vielfalt oder die soziale Krise in der Landwirtschaft vorrangig. Dabei wird oft übersehen, dass sich diese Krisen nicht nur gegenseitig bedingen, sondern sogar verstärken. Alle diese Krisen haben eine gemeinsame Ursache, nämlich ein System der ruinösen Konkurrenz auf Kosten von Mensch und Natur. Aber es darf doch nicht dabei bleiben, dass zum Beispiel wenige Lebensmittelkonzerne oder landwirtschaftsfremde Investoren in diesem System gewinnen, aber viele Agrarbetriebe verlieren. Der Druck, möglichst billig zu produzieren, führt doch gerade zur Belastung von Boden, Luft und Wasser und gefährdet damit nicht nur unsere Lebensgrundlage, sondern auch die Produktionsgrundlage der Landwirtschaft. Wer das ausblendet, riskiert das Scheitern, und das darf nicht passieren. ({1}) Die sozialen Probleme in der Landwirtschaft dürfen aber gleichzeitig keine Ausrede sein; denn Zögern beim Schutz des Klimas oder der biologischen Vielfalt wäre genauso fatal. Auf Bundesebene gibt es gleich zwei Gremien, die sich mit den Zukunftsfragen in einem breiten Dialog beschäftigen: die Zukunftskommission, die gerade den Zwischenstand öffentlich diskutiert hat, und die so genannte Borchert-Kommission, die Vorschläge zum Umbau der Tierhaltung vorgelegt hat. Solche Gremien werden aber nur erfolgreich sein, wenn alle bereit sind, erstens die Herausforderungen wirklich ernst zu nehmen, zweitens auf Augenhöhe miteinander zu diskutieren und drittens die Ergebnisse auch umzusetzen. ({2}) Deshalb ist es zumindest irritierend, wenn der Verbraucherzentrale Bundesverband am Ende das Ergebnis der Borchert-Kommission nicht mittragen konnte oder aktuell Greenpeace die Zukunftskommission verlassen hat. Das gilt vor allem, wenn die Kritik auch von Beteiligten geteilt wird, die in den Gremien verblieben sind. Deshalb dürfen die Ausstiegsgründe eben nicht ignoriert werden, selbst wenn man die Entscheidung selbst falsch findet; denn Scheitern ist hier verboten. ({3}) Unbeantwortete Zukunftsfragen lösen sich doch nicht von allein, sondern sie spitzen sich weiter zu, und das muss verhindert werden. Natürlich gehört dazu, dass möglichst viel Geld aus der EU-Agrarförderung – zukünftig möglichst alles – für nachhaltige Landwirtschaft zur Verfügung steht. Aber es muss doch auch da ankommen, wo es dringend gebraucht wird, und Maßnahmen unterstützen, die Probleme wirklich lösen. ({4}) Dafür haben die Landschaftspflegeverbände mit der Gemeinwohlprämie, wie ich finde, einen sehr guten Vorschlag gemacht. Aber für wirkliche Dynamik bei den notwendigen Veränderungen müssen die Agrarbetriebe zwingend zu Verbündeten werden. Das gelingt umso leichter, je mehr richtiges Handeln belohnt wird. Und wenn diese Belohnung wirklich gegen internationale Handelsregeln verstoßen sollte, dann wird es höchste Zeit, diese Handelsregeln zu ändern. ({5}) Aber auch kostendeckende Erzeugerpreise müssen Teil der Lösung sein, wie auch lebendige ländliche Räume, gleichwertige Lebensbedingungen, mehr regionale Verarbeitung und Vermarktung, mehr Tierschutz usw. Agrarförderung muss eben zwingend sozial, ökologisch und klimaschützend wirken. ({6}) Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“ formuliert seine Empfehlung in einem aktuellen Landwendegutachten sehr drastisch: Im Zentrum soll stehen, die Zerstörung der Ökosysteme zu Land zu beenden. – Wir hatten dazu vorgestern im Ausschuss eine sehr interessante Diskussion mit den beiden Vorsitzenden des Beirats, den Professorinnen Pittel und Schlacke. Mehrgewinnstrategien für die Landwirtschaft sind einer ihrer Lösungsvorschläge. Aber im Streit um die besten Lösungen darf nicht vergessen werden, dass eine Destabilisierung der Ökosysteme und des Klimas eben auch schwerwiegende soziale Folgen hat, auch für die Landwirtschaft. Wachsende Ernterisiken durch Extremwetter sind doch längst durchlittene, existenzbedrohende Realität – nach einem Binnenhochwasser 2017 und Dürre und Spätfrost in allen drei darauffolgenden Jahren. Wer weiter davon träumt, dass ein deregulierter Weltagrarmarkt die soziale, ökologische und Klimakrise löst, der muss schnell aufwachen. Sonst wird das für uns alle zum Albtraum. ({7}) Der Beirat spricht sich übrigens ausdrücklich für solidarische und kooperative Lösungen aus. Das unterstützt Die Linke natürlich sehr. Nur, das aktuelle Wirtschaftssystem funktioniert doch nach dem Prinzip „Teile und herrsche“. Kooperation gelingt doch nur, wenn man solidarisch oder wenigstens auf Augenhöhe agiert, und hier stößt man eben an Systemgrenzen. Die Duldung der Übermacht von Lebensmittelkonzernen muss deshalb aufhören, auch die Duldung der Landnahme durch landwirtschaftsfremdes Kapital, das Agrarbetrieben ihre Produktionsgrundlage, den Boden, entzieht. ({8}) Der Kampf für eine zukunftsfähige EU-Agrarförderung ist wichtig, aber längst nicht ausreichend. Mehr Bereitschaft zu Solidarität und Kooperation ist aber auch innerhalb der Landwirtschaft dringend notwendig. Solange zum Beispiel Milchviehhaltende hoffen, dass die Nachbarn schneller scheitern als sie selbst, scheitern am Ende viele. Auch die Afrikanische Schweinepest muss solidarisch bewältigt werden. Freilandhaltungen sind doch keine Verhandlungsmasse zur Sicherung von Exportinteressen. ({9}) Meine Fraktion hat deshalb diese Woche einen runden Tisch zur Zukunft der Freiland- und Weidetierhaltung beantragt; denn diese Tierhaltung gehört zur zukunftsfähigen Landwirtschaft. Wir werden diesen Antrag in der kommenden Ausschusssitzung diskutieren. Aus linker Sicht bleibt am Ende: Landwirtschaft muss wieder versorgen und nicht möglichst billig Waren produzieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort hat geht an Harald Ebner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Reden wir doch einmal über den weißen Elefanten hier im Raum: Zur Stunde tagt die Agrarministerkonferenz zur Gemeinsamen Agrarpolitik, und die Union hinterlässt ein agrarpolitisches Desaster. ({0}) Was wir jetzt brauchen, ist ein Aufbruch, der das Insekten- und das Höfesterben aufhält. Wir müssen jetzt die Gemeinsame Agrarpolitik so gemeinwohlorientiert ausrichten, dass naturverträgliche Landwirtschaft endlich tatsächlich und wirklich auskömmlich wird. ({1}) Aber Frau Klöckner hat in Brüssel das Gegenteil davon verhandelt. Sie will weiter den Großteil der Gelder für die Fläche bezahlen, obwohl ihre wissenschaftlichen Beiräte zu einem Systemwechsel raten. Genau diesen Systemwechsel blockiert sie. ({2}) Green Deal, Ökolandbau und Pestizidreduktion hat sie links liegen gelassen. ({3}) Ausgerechnet diesen schlechten Deal will sie jetzt in aller Eile noch schnell vor der Bundestagswahl in nationales Recht gießen. Das hilft weder Verbraucherinnen und Verbrauchern noch Bäuerinnen und Bauern noch der Umwelt. ({4}) Diese plötzliche Hast ist ja auch ganz neu in der Amtszeit von Frau Klöckner: Die Düngeverordnung hat sie erst nach angedrohter Strafzahlung angepackt. Die Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau ihres Vorgängers hat sie die ganze Legislatur in genau der Schublade liegen lassen, in die sie Christian Schmidt hineingelegt hat, und beim Glyphosatausstieg wartet sie, bis die EU es endlich irgendwann verbietet. ({5}) Überall da hatte sie Zeit; aber mit dem vorgezogenen nationalen Strategieplan zur GAP drängt sie nun die Länder seit Wochen dazu, das Weiter-so in der Agrarpolitik zu zementieren, Kollege Stegemann. Sie wollte maximal 28 Prozent der Gelder für ökologische Leistungen festschreiben. Zum Glück ist diese Rechnung bis heute nicht aufgegangen. ({6}) Hätten die grünen Agrarministerinnen diesem Deal vor Wochen schon zugestimmt, stünden wir heute richtig schlecht da. Gut, dass sich jetzt eine deutlich bessere Einigung in Richtung der Hälfte der Gelder fürs Gemeinwohl abzeichnet und sogar eine Weidetierprämie dabei ist! Das ist gut so. Wir verlangen, dass Frau Klöckner und Sie von der Koalition die Weidetierprämie und diese Einigung dann auch umsetzen. ({7}) Das ist noch nicht das, wo wir hinmüssen, aber es ist ein himmelweiter Unterschied zu dem, was von Frau Klöckner und den A- und B-Ländern vorgelegt wurde. Wir werden uns weiter für eine gemeinwohlorientierte Agrarpolitik einsetzen. Wir wollen mindestens 50 Prozent Gemeinwohlziele bis Ende der Förderperiode erreichen und mit der höchstmöglichen Umschichtung von Mitteln aus der ersten in die zweite Säule sicherstellen, dass Agrarumweltmaßnahmen und der Ausbau des Ökolandbaus auch wirklich finanziert werden können. Seien Sie sich sicher, dass wir das anpacken werden. Danke schön. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Dieter Stier von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dieter Stier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004168, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Zeit Landwirt zu sein, das erfordert nicht nur Geduld, sondern auch viel Optimismus und Beharrlichkeit. Ich weiß, von unseren Landwirten wird gegenwärtig viel erwartet, ständig etwas Neues gefordert und immer mehr abverlangt. Der Anpassungsdruck ist hoch und oft an der Schmerzgrenze des Zumutbaren; die abermaligen Proteste in dieser Woche zeigen das. Wir wissen sehr wohl, mit welchen Belastungen Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe zu kämpfen haben. Dass sie sich dennoch täglich diesen Herausforderungen stellen, dass die Regale in unserem Land trotzdem voll sind, jetzt auch noch erschwert durch die Coronapandemie, das verdient höchsten Respekt und unser aller Dank und Anerkennung. ({0}) Bei persönlichen Gesprächen mit Landwirten erlebe ich den Frust über die Politik und die noch größere Enttäuschung über die oft verzerrte Darstellung der Landwirtschaft in der Gesellschaft. Der Landwirt soll es allen recht machen: der EU, den Tierschützern, den Klima- und Umweltaktivisten, und nie ist es genug. Zu allem Überfluss hört man noch, da sei wohl viel mehr möglich – sagt zum Beispiel der Kollege Ebner –, wenn man den Bauern endlich einmal härter rannehmen würde. ({1}) Nein, meine Damen und Herren, an dieser Eskalation sollten und dürfen wir uns nicht beteiligen. Deswegen sage ich: Die heute vorliegenden Oppositionsanträge sind wenig hilfreich, und sie sind erst recht kein Beitrag zur Beruhigung der aktuellen Lage. ({2}) Jetzt zu den Anträgen. Beim Blick in den AfD-Antrag fallen mir viele Schlagworte auf, die bei den meisten Landwirten, mich eingeschlossen, sofort breite Zustimmung finden könnten: Deregulierung, Freiwilligkeit, Planungssicherheit, weniger Produktionskosten, mehr Gewinn für bäuerliche Familienbetriebe. Das klingt alles super. Doch das Fatale ist, dass Sie den grotesken Eindruck vermitteln, man könne das alles ganz einfach mit einem Federstrich über Nacht und ohne Probleme lösen, wenn man es denn nur will. Das ist falsch, das geht nicht, und das wissen Sie genau. Trotzdem sind Sie sich nicht zu schade, auf diesen Effekt zu setzen. Komplexe, über Jahre gewachsene Rechtsvorschriften auf nationaler und europäischer Ebene binden uns. Sie stehen einfachen Lösungen, die jeder, auch ich, sehr gerne hätte, gleich vielfach entgegen. Das nur am Rande: Seit Jahren setzen wir Agrarpolitiker der Unionsfraktion uns permanent dafür ein, den Bürokratieabbau voranzubringen und für mehr Praxisnähe bei den Vorschriften zu sorgen. Wir kämpfen auch regelmäßig dafür, dass der Ministerialbürokratie nicht die Pferde durchgehen, wenn es lediglich darum geht, die Eins-zu-eins-Umsetzung einer EU-Richtlinie auf den Weg zu bringen. ({3}) Lassen Sie mich ein paar Worte noch zu den Anträgen der Grünen sagen. Auch hier wurde mit diversen Vorschlägen nicht gespart. Liest man das alles, so findet man leider die alten Parolen. Auffällig ist: Sie kultivieren Ihr wohlbekanntes Feindbild von der industriellen Landwirtschaft, dem ganz großen Übel. Die schnelle Lösung zur Beseitigung haben Sie auch gleich parat: Man solle doch einfach alle nur denkbaren Möglichkeiten des Europarechts ausnutzen, um eine radikale Agrarwende herbeizuführen, also noch mehr Regulierung, noch mehr Bürokratie, noch mehr Kosten aus Brüssel; das ist Ihre Antwort! ({4}) Niemand, meine Damen und Herren, bezweifelt ernsthaft die Notwendigkeit von Natur-, Umwelt- und Artenschutzmaßnahmen. Das ist heute Konsens; das ist unverrückbar. ({5}) Eine radikale Agrarwende, wie Sie sie wollen, die eine moderne Landwirtschaft unmöglich machen soll – das sage ich Ihnen mit Blick auf die großflächigere Landwirtschaft bei uns in den neuen Ländern und die anstehenden Beratungen zur GAP –, wird meine Zustimmung nicht finden, vor allem deshalb, weil eine moderne, digitalisierte Landwirtschaft noch viel besser und präziser sein wird. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss und möchte Ihnen eines noch mit auf dem Weg geben: Wer mit alten Parolen in die Debatte einsteigt, der kann nicht ernsthaft erwarten, unser Dialogpartner für die Zukunft zu sein. ({6}) Die vorliegenden Anträge lehnen wir entsprechend der mehrheitlichen Empfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ab. Ich wünsche uns und Ihnen, dass Sie auch in Zukunft noch einige heimische Produkte genießen können. Essen Sie einmal ein Ei vom Landwirt von nebenan. ({7}) Frohe Ostern heute schon, weil wir ja vor Ostern nicht noch einmal zusammenkommen, und Ihnen allen einen schönen Tag! ({8}) – Na klar.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke schön. – Das Wort geht an Franziska Gminder von der AfD-Fraktion. ({0})

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland zurück, die wir nachhaltig reduzieren wollen. In Deutschland – wir haben es schon von Frau Schulte gehört – landen jährlich circa 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von 25 Milliarden Euro im Müll. Davon entsteht allerdings circa die Hälfte, 48 Prozent, bereits auf dem Acker, bei der Ernte, bei der Verarbeitung, beim Transport und bei der Lagerung in Landwirtschaft, Industrie, Handel und Gastronomie. Der Verbraucher allein hat auf diese Hälfte der Verluste nämlich so gut wie keinen Einfluss. In unserem Antrag zeigen wir Möglichkeiten auf, wie gemeinschaftliche Bemühungen den beim Verbraucher entstehenden Verlust verringern können. Wir begrüßen die nationale Strategie von Februar 2019 „Zu gut für die Tonne“. Unsere Wunschliste wäre: eine Förderung unserer Landwirte durch eine landwirtschaftliche Direktvermarktung. Kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher und zu Hofläden sind unumgänglich. Eine Renationalisierung der Landwirtschaft zur Selbstversorgung, um uns unabhängiger von Importen und Lieferketten zu machen, ist wünschenswert. Plastikverpackungen bleiben aus hygienischen Gründen und zur Verlängerung der Haltbarkeit verderblicher Nahrungsmittel weiter in Verwendung, bis Alternativen zur Verfügung stehen. Auf EU-Ebene wünschen wir uns eine Abschaffung der Mindesthaltbarkeitsdauer für langlebige Lebensmittel unter Beachtung der Produktsicherheit. Die Bundesregierung sollte zusammen mit den Ländern noch stärker die Ernährungsbildung in den Schulen fördern und damit die Wertschätzung der Lebensmittel erhöhen. Die Förderung der KI-Technologien würde eine bessere Warenbedarfsplanung der Supermärkte ermöglichen und eine deutliche Reduzierung der ablaufenden Lebensmittel bewirken. Wir halten es für zielführend, die Haftungsrisiken bei Lebensmittelspenden zu reduzieren. Für deren richtige Lagerung sollten nicht die Spender verantwortlich sein, sondern die empfangenden Wohltätigkeitsorganisatoren, wie zum Beispiel die Tafeln. Dabei muss aber auch eines klar sein – im Gegensatz zu Frau Schulte –: Die Förderung der Tafeln ist aus unserer Sicht keine ideale Lösung auf Dauer. Wir wollen keine von Lebensmittelspenden abhängige Gesellschaftsgruppe heranziehen, sondern anständige Renten für unsere alten Bürger, und wir wollen den freien Bürger, der in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten, ohne durch die höchsten Steuern in Europa geschröpft zu werden. ({0}) Als Mitglied der unmittelbaren Nachkriegsgeneration habe ich eine völlig andere Wertschätzung für Lebensmittel entwickelt, im Gegensatz zur heutigen Wohlstandsgeneration, die keinen Hunger mehr kennt – Gott sei Dank – und leicht bereit ist, Lebensmittel zu verschwenden und wegzuwerfen. Ich danke Ihnen. ({1}) Darf ich noch einen Satz sagen, Frau Präsidentin? Ich möchte gerne einen Appell an die Frau Bundeskanzlerin richten: Sie möge sich doch bitte die Ministerpräsidentin von Neuseeland, Ardern, zum Vorbild nehmen und mitsamt ihrem ganzen Kabinett für die nächsten sechs Monate, bis zum Ende der Legislaturperiode, auf 50 Prozent ihrer Diäten verzichten. ({2}) Das hätte eine bessere Wirkung als ihre Entschuldigung. Ich werde dies auch so handhaben und hoffe, dass es einige von den Parlamentariern ebenfalls machen werden. Vielen Dank. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke. – Das Wort geht an Rainer Spiering von der SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Lebensmittelverschwendung. Ich fordere das BMEL nachdrücklich auf, mir, dem Parlament und der deutschen Bevölkerung angesichts der hohen, der massenhaften Verschwendung von Lebensmitteln endlich die Zahlen hierzu mitzuteilen, die Sie mir seit drei Jahren schuldig sind. Wie viel Energie geht verloren, wie viel Wasser geht verloren, wie viel Substanz in der Energiewirtschaft geht verloren dadurch, dass Lebensmittel verschwendet werden? Geben Sie mir nach drei Jahren endlich die Zahlen! ({0}) Zur AfD und Herrn Protschka. Ich bin Artur Auernhammer zutiefst dankbar über die Richtigstellung, die er gemacht hat. Sie propagieren die schwarze Fahne der Landvolkbewegung. Artur Auernhammer war nicht ganz korrekt: Das war nicht 1954, das war 1927 mit der darauffolgenden Politik. Die schwarze Landvolkfahne mit rotem Schwert in schwarzem Boden steht für „Blut und Boden“. Und so etwas propagieren Sie in einem international geachteten Land! Das ist rückwärtsgerichtet auf die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. ({1}) Zu Ihrem Umgang mit den Menschen, die Sie für die Ernte hierhin holen wollen. Hier zeigen Sie, wessen Geistes Kind Sie sind. Sie zeigen Ihre Missachtung gegenüber diesen Menschen, von denen Sie annehmen, dass sie nicht deutschen Geblütes sind, und sagen, wie Sie mit ihnen umgehen wollen. Sie lassen mit diesem Antrag Ihre Maske fallen! ({2}) Zur Wissenschaft. Ich habe Sie schon mehrfach darauf hingewiesen: Seien Sie vorsichtig im Umgang mit Wissenschaft. Sie verstehen das nämlich nicht. Wir haben am Mittwoch einen Vortrag zum Anthropozän gehört, in dem die Wissenschaftlerinnen gesagt haben, es solle eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft stattfinden, Agrarsubventionen sollten immer an ökologische Verbesserungen geknüpft werden, Direktzahlungen sollten in Zahlungen für Ökosystemleistungen umgewandelt werden. Wer Wissenschaft anführt, wer Wissenschaft zitiert, der sollte zumindest in der Lage sein, Wissenschaft zu verstehen. Sie sicherlich nicht! ({3}) Zu dem Ergebnis der Agrarministerkonferenz zur Agrarwende – das hat eben Harald Ebner angeführt – und zu dem, was Wissenschaft in diesem Zusammenhang anführt. Wir haben heute Morgen um 4 Uhr die Agrarministerkonferenz beendet. ({4}) Zwischenmeldung: Geeint sind die Agrarminister dabei, leider durchaus nicht mit Zustimmung der Bundesministerin: Konditionalität als Voraussetzung in Höhe von 5 Prozent; gekoppelte Zahlungen, und zwar auch Mutterkuhprämien, in Höhe von 2 Prozent, Ökoregelungen in Höhe von 25 Prozent und Umschichtung aus der ersten in die zweite Säule bis 2027 auf 15 Prozent. Wir haben als SPD Anfang Januar 2021 genau diese Zahlen eingefordert. Wir kommen mit diesen Zahlen auf eine Umschichtung von 47 Prozent bis 2027, also etwa innerhalb von fünf Jahren. Das haben wir als Ziel proklamiert und haben es aufgrund der Weisheit aller Agrarminister heute Morgen um 4 Uhr erreicht. Jetzt liegt es tatsächlich an der Bundesministerin, das, worauf sich die Agrarminister geeinigt haben, in nationale Politik umzusetzen. Ich sage Ihnen: Nach der neuen EU-Verordnung ist das möglich. Wir haben nämlich in der EU den Spielraum, genau das in der nationalen Gesetzgebung zu machen. Wenn die Bundesministerin die Kraft hat, das gegen die Verbände umzusetzen, und zwar gegen die wirtschaftlichen Verbände wie Raiffeisen-Genossenschaften, wie Agravis, wie BayWa, dann werden wir eine veränderte Agrarpolitik in Deutschland haben, dann werden Ökosystemleistungen in diesem Land endlich honoriert und bezahlt. ({5}) Zu den Grünen. Das, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, haben wir 2018 als Bundestagsfraktion bereits verabschiedet. ({6}) Insofern geht es völlig in Ordnung, dass Sie das schreiben. Ein Hinweis sei mir aber gestattet, weil Sie in Ihrem Antrag direkt auf Digitalisierung eingehen. Dabei machen Sie einen großen Fehler. Sie schreiben dort nämlich, dass man sich bitte nicht auf die technische Präsenz verlassen sollte, sondern in Details etwas löst. Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Nur durch Digitalisierung, nur durch das Erfassen von Daten, nur durch das Beherrschen von Daten bekommen wir Bürokratie in den Griff, und zwar gut. Wir müssen die Landwirtinnen und Landwirte ausstatten, sowohl mit der Soft- als auch mit der Hardware. Wir müssen die Bildungsinstitute und die wissenschaftlichen Institute stark machen, um das zu liefern; ich nenne nur die Leibniz-Gemeinschaft, das Fraunhofer-Institut, die Helmholtz-Gemeinschaft. Wir haben das alles. Aber wir müssen Lösungen den Bäuerinnen und Bauern auch tatsächlich zur Verfügung stellen. Dann wird ein Schuh daraus. Dann wissen wir anhand der Datenlage, wo was wann auf den Acker gebracht wird. Dann wissen wir anhand der Datenlage, wo wann wie Antibiotika verabreicht werden. Alles das können wir unter Kontrolle bringen. Wir werden eine Landwirtschaft haben – das ist meine feste Überzeugung –, die im besten ökologischen Sinne, aber auch im besten soziologischen Sinne den Zukunftsbeitrag für diese Nation leisten wird. Vor allen Dingen: Sie kann es, sie will es! Wir müssen ihr dabei helfen. Heute Nacht sind Grundlagen dafür geschaffen worden, die mich sehr hoffnungsfroh machen. Schlussbemerkung: Machen Sie die Digitalisierung nicht klein, machen Sie sie groß! Machen Sie mit der Digitalisierung deutsche Landwirtschaft stark! Vor allem: Machen Sie deutsche Landmaschinentechnologie wettbewerbsfähig in der Welt! Herzlichen Dank. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke sehr. – Das Wort hat Nicole Bauer von der FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen wir doch einmal die Landwirtschaftspolitik der letzten dreieinhalb Jahre Revue passieren. 2017: das Ende der Ferkelkastration. Das wurde von der Bundesregierung komplett verschlafen. Selbst jetzt gibt es noch Betriebe, die keine zufriedenstellende Lösung haben. 2018: Gemeinsame Agrarpolitik, GAP. Weniger Bürokratie wurde den Landwirten versprochen. Fehlanzeige! 2019: das Agrarpaket. Ich dachte, dass die Herumeierei der Union bei der Ferkelkastration schon die Spitze gewesen war. Aber nein, Sie haben noch einmal eines draufgesetzt! Erinnern Sie sich noch an die bundesweiten Bauernproteste, damals vor Corona? Dann 2020: die Düngeverordnung. Mit wissenschaftlicher Erkenntnis hatte Ihr Gesetzentwurf wirklich nicht das Geringste zu tun. ({0}) Wettbewerbsfähigkeit, Unabhängigkeit, Planungssicherheit, Zuverlässigkeit, nichts, aber auch gar nichts davon findet sich in Ihren Gesetzen. Und jetzt 2021 der neueste Schildbürgerstreich der Bundesregierung: Insektenschutzprogramm – ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage, ohne Mehrnutzen weder für die Biene noch für den Bauern. Mir fehlen echt die Worte. ({1}) Sie wollen diesen Berufsstand ruinieren, anders kann ich mir Ihre realitätsferne Politik nicht vorstellen. Und nur so nebenbei: Ich kann Ihnen versichern, werte Kollegen der Union, dieses grüne Mäntelchen steht Ihnen nicht. ({2}) Ihre Heuchelei ist – wo ist Artur Auernhammer? – geht mir gegen den Strich: Hier im Bundestag beschließen Sie das Agrarpaket, und zu Hause im Wahlkreis geben Sie dann den Landwirten recht. Oder noch besser: Bei den Bauerndemos wettern Sie gegen die Düngeverordnung, und zugleich stimmen Sie bei der namentlichen Abstimmung für die Düngeverordnung. Das ist scheinheilig! Wort geben und Wort halten, das wäre angebracht, meine Damen und Herren. ({3}) In Bayern ist die Landwirtschaft noch ein fester Bestandteil des täglichen Lebens und das Rückgrat des ländlichen Raums, ein Produzent von hervorragenden Lebensmitteln, und das zu höchsten Standards. Viele Familien führen ihren Betrieb von Generation zu Generation fort und entwickeln ihn weiter. Wollen Sie das wirklich kaputt machen? Wollen Sie die Lebensmittelerzeugung ins Ausland jagen? Wollen Sie unsere Heimat, unseren ländlichen Raum zerstören? Ich sage es einmal ganz deutlich: Hoamat, des is ned nur ein Wort, sondern a Gfui! A Lebensgfui, a Lebensraum – aber ned mit Ihrer Politik! ({4}) Deshalb: Wir brauchen ganz klar einen Neuanfang. Mit uns Freien Demokraten wird es zukünftig eine wettbewerbsfähige, eine zukunftsfähige Landwirtschaftspolitik geben, in der wissenschaftlich fundiert gearbeitet wird, die ergebnisorientiert ist sowohl beim Insektenschutzprogramm als auch bei der Düngeverordnung. Tierwohl müssen wir europäisch statt national denken. Bürokratieabbau müssen wir vorantreiben, unabhängig davon, ob das beim Grünlandumbruch ist oder bei der Direktvermarktung. Neue Technologien, Digitalisierung müssen wir fördern und müssen zeitnah auch Pflanzenschutzmittel zulassen. Denn das brauchen unsere Bauern –

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– im ganzen Bundesgebiet. Dafür machen sich die Freien Demokraten stark. Herzlichen Dank. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort hat Ingrid Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten über verschiedene Anträge der AfD- und der Grünenfraktion. In ihren Anträgen bemühen sie sich darum, den landwirtschaftlichen Berufsstand zu stärken. Da sind wir natürlich gern dabei; gar keine Frage. Die Frage ist allerdings, wie. Durch überzogene Vorgaben wird die Stärkung der Landwirtschaft kaum gelingen. Ein gutes Beispiel, wie sie gelingen kann, möchte ich Ihnen heute liefern. Ich komme aus Niedersachsen. Dort haben Akteure der Landwirtschaft, von Naturschutzverbänden und Politik gezeigt, dass es gehen kann, nämlich gemeinsam. Sie haben in einem – zugegebenermaßen mühsamen – Prozess eine vorbildliche Allianz für mehr Natur-, Arten- und Gewässerschutz, für mehr Biodiversität geschlossen. Das ist der sogenannte niedersächsische Weg. Dieser zeigt, dass es möglich ist, durch gemeinsame Beschlüsse einer gesellschaftlichen Forderung nachzukommen, voranzugehen und gleichzeitig die wirtschaftliche Seite nicht zu vergessen. Dieser niedersächsische Weg kann ein Beispiel für andere Bundesländer sein; Bayern und Baden-Württemberg haben Ähnliches auf den Weg gebracht. Es geht um vertraglich gesicherte Anstrengungen für den Umweltbereich, gepaart mit einem finanziellen Ausgleich für Ertragseinbußen. Das ist der richtige Weg. Dieser Weg ist zukunftsweisend. Er baut gegenseitiges Vertrauen und Verständnis auf. Diese Kooperation gilt es nun zu schützen, und dafür setze ich mich auch hier in Berlin ein. Deswegen unterstütze ich auch einen Gesetzesantrag Niedersachsens – die Initiative ging von der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast aus –, der heute im Bundesrat behandelt wird. Die Ministerin strebt an, eine absolut wasserdichte Rechtssicherheit für kooperative Länderlösungen für mehr Insektenschutz zu schaffen. Es geht darum, dass Ordnungsrecht nicht länderspezifische Regeln untergräbt. Der kooperative Weg ist ein Baustein, um landwirtschaftlichen Familien zukünftig mehr Verlässlichkeit, Anerkennung und auch Sicherheit bei der Finanzierung ihrer zusätzlichen Umweltleistung zu geben. Und, liebe Frau Bauer, die Düngeverordnung haben wir hier im Bundestag überhaupt nicht verabschiedet; das nur als Hinweis. ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren, ein weiterer Antrag, der heute vorliegt, befasst sich mit der Gemeinsamen Agrarpolitik, der GAP. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert einen ziemlich radikalen Umbau des nationalen Strategieplans. Sie glauben mit Ihrem Plan die Landwirtschaft zu retten. Doch dieser wird in der vorliegenden Form, so wie Sie sich das vorgestellt haben, nicht wenigen Betrieben die Grundlage nehmen und ihre Verunsicherung noch weiter verstärken. Der Berufsstand ist momentan zutiefst verunsichert. Schon heute sprechen mich Junglandwirte an und fragen: Was soll ich eigentlich machen? Soll ich überhaupt noch weitermachen? – Was soll ich diesen motivierten jungen Leuten denn erzählen? Sie brauchen langfristige und vor allen Dingen verlässliche Rahmenbedingungen. Es sind die grünen Agrarminister der Länder gewesen, die eine ambitionierte, fristgerechte Ausgestaltung der GAP bislang auf nationaler Ebene blockiert haben. Die von CDU/CSU, SPD, FDP und den Linken geführten Länder haben gute Angebote auf den Tisch gelegt, auch Kompromisslinien aufgezeigt. Die Grünen beharrten aber bislang auf Maximalforderungen. Bereits zwei Sonderagrarministerkonferenzen sind an den Grünen gescheitert. Noch läuft der dritte Versuch, eine Einigung zu erreichen. Ich kann nur hoffen, dass das im Interesse der landwirtschaftlichen Betriebe auch gelingt. ({1}) Abschließend noch ein paar Worte zu einem weiteren wichtigen Thema, das heute auch zur Debatte steht: die Problematik der Lebensmittelverschwendung. Angesichts der Unmengen an Lebensmitteln, die jedes Jahr immer noch weggeworfen werden – immerhin sprechen wir von 75 Kilo pro Person –, müssen wir die ganze Lebensmittelversorgungskette in den Fokus nehmen. Das tut die Bundesregierung mit vielfältigen Maßnahmen. Eine wichtige Rolle dabei spielen auch digitale Technologien und intelligente Verpackungen. Dazu wird mit Bundesmitteln auch kräftig geforscht. Bausteine wie die Aktion „Zu gut für die Tonne“, die „Beste Reste-App“, die praktische Rezepttipps zur Verwertung übriggebliebener, aber noch guter Nahrungsmittel liefert, wie auch die Beste-Reste-Boxen für Restaurants, in denen Gastronomen ihren Gästen deren Reste mitgeben sollen, sind da gute Beispiele. Ein weiteres Beispiel ist die Errichtung von etlichen Modellbetrieben der Außerhausverpflegung, die es in ihrem Bereich immerhin schon geschafft haben, ihre Lebensmittelverschwendung um 25 Prozent zu reduzieren. Das sind wichtige Komponenten im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung. Das ist alles richtig und gut. Eines ist mir bei diesem Thema aber besonders wichtig – seit Langem formuliere ich diese Forderung in diesem Haus auch immer wieder –: Wir müssen auch die Ernährungsbildung in unserer Gesellschaft vorantreiben. Wir müssen Ernährungsbildung auch in den Schulen stärken. Hier sind natürlich auch und eigentlich sogar vorrangig die Länder gefragt. Der Bund bietet wirklich schon vielfältige Unterstützung an. Was wir neben unserer verstärkten Wertschätzung der Lebensmittel brauchen, ist ganz einfach fundiertes Wissen. Das ist Voraussetzung, um Einkaufsentscheidungen treffen zu können, Mindesthaltbarkeitsdaten von Verfallsdaten zu unterscheiden und auch wieder zu lernen, seinen eigenen sensorischen Fähigkeiten zu vertrauen. Auch das ist verloren gegangen. Noch – das dürfen wir nicht vergessen – fällt mehr als die Hälfte der Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten an. Das sind über 50 Prozent.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Regulatorische Maßnahmen auf Bundesseite sind eines. Selbst mit der nötigen Umsicht und breitem Wissen und Können mit Nahrungsmitteln umzugehen, das ist die andere Seite der Medaille, und da haben wir absoluten Nachholbedarf. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort geht an Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss noch mal auf den weißen Elefanten zurückkommen, den Harald Ebner hier eben angesprochen hat. Ich finde, es sollte im Jahr 2021 eigentlich eine absolute Selbstverständlichkeit sein, dass die Milliarden, die wir aus Brüssel für die Agrarpolitik bekommen, an Klima- und Umweltstandards gekoppelt werden und nicht dem Klima- und Umweltschutz zuwiderlaufen; denn das tun sie bis heute. ({0}) Dass die Agrarministerkonferenz unterbrochen, abgebrochen und vertagt werden musste, weil acht Agrarminister, die übrigens nicht Bündnis 90/Die Grünen angehören, blockieren und sich an die Seite von Julia Klöckner stellen, die bestenfalls ein Viertel der Mittel für Umwelt- und Klimastandards bieten will, empfinde ich als Skandal. ({1}) Kollege Spiering, die SPD hat ja noch einen Agrarminister – zu mehr reicht es ja nicht mehr –: Till Backhaus. ({2}) Der steht in der Einheitsfront der Agrarminister von CDU/CSU, FDP, Sozialdemokratie und Linken gegen die Grünen und gegen mehr Klima- und Umweltschutz. Ein Skandal ist, dass das, was Sie hier als Erfolg verkauft haben, gegen die SPD erreicht worden ist und nicht dank der SPD. Es muss an der Stelle mal klar gesagt werden, wer hier die Erfolge erzielt hat. ({3}) Frau Tackmann, ich höre Ihre Reden hier immer sehr gerne; da ist oft vieles Richtige dabei. Aber ich war, ehrlich gesagt, fassungslos, als ich gesehen habe, dass Ihr Agrarminister in Thüringen – er nennt sich Hoff – eine gemeinsame Position mit den drei anderen in der Einheitsfront vertritt, indem er sich in der Agrarministerkonferenz an die Seite von Julia Klöckner, an die Seite der Blockierer und Verhinderer stellt, die sich gegen die Grünen durchsetzen wollen. Wenn der danach auch noch eine Pressemitteilung herausgibt und die Kampagne der Umweltverbände mit der Unterschriftenkampagne von Herrn Koch zur doppelten Staatsbürgerschaft aus dem Jahre 1999 vergleicht, dann müssen Sie sich ehrlich fragen, wo Sie eigentlich stehen. ({4}) Ich möchte klar und deutlich sagen: Es sind Bündnis 90/Die Grünen, die hier dafür kämpfen – und das ist unser Ziel –, dass endlich das Insekten- und das Höfesterben aufhören. Darum geht es. ({5}) Wir brauchen eine Agrarpolitik, die nachhaltig wird, die die Umwelt schützt, die das Klima schützt und die den Landwirten eine Perspektive gibt. ({6}) Dafür kämpfen wir hier im Deutschen Bundestag und auf Länderebene in der Agrarministerkonferenz, und es ist bedauerlich, dass alle anderen Parteien das offensichtlich ganz anders sehen. Gestatten Sie mir, zum Schluss noch etwas in Richtung Union zu sagen – auch das muss mal deutlich zum Ausdruck kommen –: Armin Laschets Frau für die Agrarlobby, das ist Ulla Heinen-Esser, die ich sonst auch sehr schätze. Sie hatte zu dem Thema nichts anderes zu sagen, als dass Klima- und Umweltschutz „Bullerbü“ sind. Da steht die Union ganz offensichtlich. Sie haben im Jahr 2021 immer noch nicht verstanden, worum es geht, was die Herausforderung der Zukunft ist. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie verlieren zu Recht an Rückhalt auch im ländlichen Raum. Danke. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Zum Abschluss der Debatte spricht Kees de Vries von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Kees Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004435, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise reagiere ich nicht. Aber, Herr Krischer: Auch wenn Sie noch lauter werden, wird es nicht wahrer, und vielleicht müssen Sie sich damit abfinden, dass Ihre Meinung immer noch nicht gesellschaftlich mehrheitsfähig ist. Das ist das Problem. ({0}) Über die vorliegenden Anträge ist, glaube ich, alles gesagt. Mir machen sie klar, dass die Kompetenz für verantwortungsvolle Landwirtschaftspolitik eigentlich nur bei der CDU/CSU-Fraktion zu finden ist ({1}) und dass deshalb die Aufgabe, die Zukunft unserer Betriebe zu sichern, bei uns in den besten Händen ist. Gerne will ich diese Debatte nutzen, um meine Sicht auf eine zukunftsfähige Landwirtschaft für Deutschland und Europa zu skizzieren. Durch die hervorragende Arbeit unserer Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner haben wir aktuell in mehreren Bereichen spannende Gestaltungsmöglichkeiten. Anfangen möchte ich mit den Chancen, welche die GAP-Verhandlungen bieten. Wichtig dabei ist natürlich, dass überall in Europa bei Produktions- und Umweltstandards gleiche Bedingungen gelten. Es war dann auch ein richtiger Schritt vorwärts, dass sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben, von den Direktzahlungen mindestens 20 Prozent für Eco-Schemes, also Umweltmaßnahmen, zur Verfügung zu stellen. Ich finde, das war ein riesiger Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft. ({2}) Dabei ist unsere deutsche Landwirtschaft gut beraten, den von unserer Gesellschaft geforderten und von Ministerin Klöckner eingeleiteten Systemwechsel weiter voranzutreiben. Dem Prinzip „öffentliche Gelder für öffentliche Aufgaben“ müssen wir gerecht werden. Ich glaube fest daran, dass ein Teil der Lösung ein neuer Produktionszweig „Umweltleistungen“ für unsere Betriebe sein wird. Voraussetzung dafür ist jedoch, einen finanziellen Anreiz für die Landwirte zu schaffen, und zwar über eine einfache Entschädigung hinaus. Nur so können wir landwirtschaftliche Einkommen stabilisieren, die gesellschaftlichen Wünsche erfüllen und der Landwirtschaft eine sichere Zukunft ermöglichen. ({3}) Das Produkt „Umweltleistungen“ kann vielfältig sein, zum Beispiel der von Kollegin Pahlmann vorgeschlagene niedersächsische Weg, ebenso die Agroforstsysteme, die Gemeinwohlprämie oder, wie in Sachsen-Anhalt, das Projekt „Kooperativer Naturschutz“. Wichtig ist, dass solche Maßnahmen auch wirklich kommen und dass sie in Zusammenarbeit mit den Landwirten umgesetzt werden. ({4}) Denn nur so werden erforderliche Maßnahmen zum Schutz von Natur, Artenvielfalt und Insekten erfolgreich sein können. Aber auch hier ist die Voraussetzung, eine ausreichende Kompensation für die finanziellen Nachteile der Landwirte sicherzustellen. Nur dann wird eine ausgewogene Balance zwischen Ökologie und Ökonomie erreicht. Eine weitere Chance hat die Landwirtschaft mit den Vorschlägen der Borchert-Kommission. Diese Vorschläge sind eine einmalige Möglichkeit, die Tierhaltung langfristig zukunftsfähig zu machen. Entscheidend für die Akzeptanz der Landwirte wird auch hier sein, ob es gelingt, dafür zu sorgen, dass die Mehrkosten für die gesellschaftlich geforderten Anpassungen durch die Gesellschaft getragen werden. ({5}) Die Zustimmung der Menschen in unserem Land zur Übernahme dieser Kosten werden wir erhalten, wenn wir die Tierwohlstufen glaubwürdig gestalten und nicht nur auf ein Maßband, auf bestimmte Maße in den Ställen reduzieren. Die Dauer der Nutzung von Milchkühen zum Beispiel sagt sehr viel über das Tierwohl aus. Meine letzte Bemerkung. Wenn wir wirklich eine langfristig gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft wollen, dann muss auch über Strukturen gesprochen werden. Ich kann mich hier nur wiederholen: Nachhaltige Landwirtschaft heißt für mich Kreislaufwirtschaft. Wenn wir das wirklich realisieren wollen, dann müssen wir es schaffen, den Tierbestand in Deutschland besser über Deutschland zu verteilen. ({6}) Nicht zuletzt im Sinne der Bodengesundheit bedeutet das, Stallneubau in Ostdeutschland zu unterstützen, ja zu forcieren. – Ich bin gleich fertig. Sie sehen, die Landwirtschaft hat viele Chancen und Möglichkeiten, und gerade stehen die Fenster für politische Entscheidungen offen. Ich hoffe, dass viele diese Chancen nutzen wollen, um die Landwirtschaft in Deutschland und Europa zukunftsfähig aufzustellen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Kerstin Griese (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003440

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine inklusive Gesellschaft, das ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten und das wir immer wieder mit Leben füllen müssen. Der Entwurf des Teilhabestärkungsgesetzes enthält eine Vielzahl von gesetzlichen Änderungen, mit denen wir die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Alltag verbessern werden. Damit kommen wir dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft ein gutes Stück näher. ({0}) Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf folgende Maßnahmen zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen vorgesehen: Erstens. Mit einer Änderung des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen wird explizit geregelt, dass Menschen mit Behinderungen mit ihrem Assistenzhund Zutritt zu öffentlichen und privaten Räumlichkeiten bekommen. Neben den Blindenhunden, die schon bekannt sind und deren Führung gesetzlich geregelt ist, werden damit auch andere Assistenzhunde zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen anerkannt. Außerdem unterstützen wir die Ausbildung von 100 Assistenzhunden finanziell. Damit werden Barrieren abgebaut. ({1}) Zweitens. Menschen mit Behinderungen sind einem erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt, besonders Mädchen und Frauen. Deshalb müssen künftig die Erbringer von Teilhabeleistungen geeignete Maßnahmen treffen, um den Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Gewalt zu gewährleisten. Mit dieser Gewaltschutzregelung setzen wir auch eine Verpflichtung aus Artikel 16 der UN-Behindertenrechtskonvention um. Drittens. Wir erweitern das Budget für Ausbildung, das denjenigen, die in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, eine Berufsausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt ermöglicht. Ein solches Budget für Ausbildung und damit eine Berufsausbildung wird künftig auch für die im sogenannten Arbeitsbereich tätigen Menschen möglich sein. ({2}) Unser Ziel ist, mehr Menschen mit Behinderungen in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Das ist ein guter Schritt dafür. Viertens. Menschen, die arbeitslos und gleichzeitig auf Rehabilitation angewiesen sind, haben bei der Wiedereingliederung in Arbeit mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen als andere. Mit diesem Gesetz verbessern wir die Betreuungssituation für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden in den Jobcentern spürbar. Sie erhalten jetzt zum Beispiel auch Hilfen wie Schuldnerberatung und Suchtberatung. Vor allem können sie die Möglichkeiten der aktiven Arbeitsförderung nutzen. Damit werden die Eingliederungschancen für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden in den Arbeitsmarkt erhöht. ({3}) Fünftens. In den Leistungskatalog zur medizinischen Rehabilitation werden digitale Gesundheitsanwendungen aufgenommen. Unser Ziel ist, die Digitalisierung im Bereich der medizinischen Reha in Zukunft stärker zu nutzen und die Versorgung um diese wichtige Komponente zu ergänzen. Sechstens. Sprache prägt das Bewusstsein, auch die Sprache in unseren Gesetzen. Deshalb wollen wir im Gesetz die Wortwahl für die Menschen mit Behinderungen, die zum leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe gehören, verändern. Bisher stehen noch Begriffe im Gesetz, die von den Betroffenen als diskriminierend empfunden werden. Das ändern wir. Wir orientieren uns dabei am modernen Verständnis von Behinderung, das die Teilhabe an der Gesellschaft zum Ziel hat. ({4}) Jeder Mensch ist zur Teilhabe fähig, und wir müssen die Bedingungen dafür schaffen und Behinderungen und Barrieren abbauen. Neben der Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wird mit dem Gesetzentwurf zudem das Bildungs- und Teilhabepaket in der Sozialhilfe gesichert. Das ist aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts nötig. Zu guter Letzt: Der pandemiebedingt starke Anstieg der Anzahl von Anträgen auf Kurzarbeitergeld hat zu einer hohen Arbeitsbelastung bei den Arbeitgebern und der Bundesagentur für Arbeit geführt. Um das Antragsverfahren zu beschleunigen und eine Entlastung zu erreichen, kann die Übermittlung der Anträge auf Kurzarbeitergeld zukünftig auch elektronisch über die bestehenden Meldeverfahren erfolgen. ({5}) Lassen Sie mich zusammenfassen: Dieses Gesetz hilft vor allem Menschen mit Behinderungen. Es bedeutet mehr Inklusion im Alltag. Darüber hinaus leistet es einen weiteren Beitrag zur Stärkung und Modernisierung unseres Sozialstaats. Ich bitte Sie deshalb um gute Beratung und um Unterstützung des vorliegenden Gesetzentwurfs, damit wir dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft einen guten Schritt näher kommen; denn die Pandemie darf nicht zur Inklusionsbremse werden. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Uwe Witt von der AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Kollege. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Wieder einmal bin ich über einen vorgelegten Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales enttäuscht. Hier trifft mal wieder soziale Augenwischerei auf nicht vorhandene Kompetenz, wie leider üblich im Hause Heil. Mit diesem sogenannten Teilhabestärkungsgesetz wird die Situation für Menschen mit Behinderungen nicht gravierend verbessert, geschweige denn die Teilhabe gestärkt. Ich sehe hier eine technokratische Umsetzung längst gefasster und daher endlich umzusetzender Beschlüsse und Verordnungen, die zwar Rechtssicherheit in manchen Teilbereichen geben werden, aber für tatsächliche Teilhabe oder gar Inklusion in allen Lebensbereichen keinen großen Schritt vorwärts darstellen. Lassen Sie mich auf einzelne Teilpunkte eingehen, zum Beispiel auf die lückenhafte Verbesserung im Umgang mit Assistenzhunden. Die Einführung eines Qualitätsstandards für die Ausbildung von Assistenzhunden ist zu unterstützen. Gut, dass Assistenzhunde dann auch dort Zugang erhalten, wo ansonsten allgemeines Hundeverbot herrscht. ({0}) Als ein klares Manko sehe ich allerdings, dass keine klare Regelung für die Ermöglichung und Finanzierung eines Assistenzhundes getroffen wurde. Während der Blindenhund anerkannt und größtenteils auch problemlos finanziert wird, sieht das für andere Behinderungen ganz anders aus. Assistenzhunde zum Beispiel für Epileptiker oder für Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1 helfen, lebensgefährliche Anfälle oder Unterzuckerung zu vermeiden. Dennoch wird die Kostenübernahme durch die Krankenkassen in der Regel abgelehnt. Bei Kosten von circa 10 000 Euro aufwärts ist die Finanzierung für die Betroffenen natürlich unerschwinglich. Da wünsche ich mir mehr Weitsicht aus dem Bundessozialministerium; denn in der Kosten-Nutzen-Rechnung schneiden Assistenzhunde positiv ab. In diesem Zusammenhang muss ich den Antrag der Fraktion der FDP zu einem Assistenzhundegesetz positiv hervorheben und vollumfänglich unterstützen. Mit der geplanten Ausbildungsförderung für Menschen mit Behinderung in Werkstätten sowie der Verbesserung der Betreuung von Rehabilitanden in SGB II und SGB III wurden wieder einmal kleinschrittige Veränderungen vorgenommen, die in der realen Arbeitsvermittlung von Menschen mit Behinderungen allerdings mal wieder keine deutlichen Verbesserungen nach sich ziehen werden. ({1}) Eines hat Sozialminister Heils Haus allerdings völlig außer Acht gelassen: die Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Das letzte Jahr mit dem ersten Lockdown und dem inzwischen zum Dauerzustand gewordenen zweiten Lockdown hat gerade die Menschen mit Behinderungen besonders hart getroffen, die in Werkstätten gearbeitet haben oder in besonderen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen leben. Seit einem Jahr können diese Menschen weder ihrer für sie so wichtigen Arbeit nachgehen, noch gibt es irgendwelche Lohnersatzzahlungen für einen sowieso schon am Existenzminimum angesiedelten Hungerlohn. Sämtliche sozialen Kontakte sind auf einem Nulllevel eingefroren. Doch welche Anstrengungen unternimmt Herr Heil für unsere Mitbürger mit Behinderungen? – Die gleichen wie für unsere obdachlosen Mitbürger, nämlich fast keine. Das Einzige, was an der SPD noch sozial ist, ist die Verstrickung mit Sozialverbänden und Gewerkschaften, wenn es um die lukrative Verteilung von Posten und Ämtern für die Genossen geht. ({2}) Herr Heil, Sie wissen genau, dass die Uhr für Ihren Job als Arbeits- und Sozialminister tickt. Sie haben noch genau sechs Monate. Nutzen Sie die Zeit, echte Teilhabe zu ermöglichen, statt 76 Seiten Bundestagsdrucksache für ein Gesetz zu produzieren, dessen Verbesserung und Stärkung der Teilhabe nicht das Papier wert ist, auf dem es steht. Danke schön. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort geht an Wilfried Oellers von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meiner Bürgersprechstunde im Wahlkreis erhalte ich des Öfteren Besuch von einer jungen Dame. Die junge Dame ist in Begleitung eines Hundes, der Hündin Hilda. Sie bildet mit der Hündin Hilda gemeinsam ein „Team“ – so nennt sie es immer –, und die Hündin Hilda hilft ihr, ihr Leben zu gestalten, weil die junge Dame an einem Asperger-Syndrom leidet und daher Unterstützung braucht, um im gesellschaftlichen Leben mitwirken zu können. Aber das Team steht immer vor einer Schwierigkeit: Weil Assistenzhunde nicht so bekannt sind, wie es bei Blindenhunden der Fall ist, und weil es für Assistenzhunde keine Regelung gibt. Da machen wir heute den ersten Schritt – ich bin sehr dankbar dafür, dass wir diesen Schritt gehen können –, indem wir für Assistenzhunde Regelungen schaffen, damit diese in der Gesellschaft akzeptiert werden und Bekanntheit erlangen, sodass Probleme, die im öffentlichen oder privaten Raum entstehen, zum Beispiel durch Besuche von Restaurants oder Cafés mit Assistenzhund, beseitigt werden können. Ich danke daher ganz herzlich Herrn Minister Heil und Frau Staatssekretärin Griese – Sie sind hier, aber ich darf meinen ganz herzlichen Dank auch der Kollegin Kramme ausrichten, die dieses Thema intensiv mitbegleitet hat –, dass wir heute diesen ersten Schritt im Teilhabestärkungsgesetz gehen können. Was machen wir? Wir werden regeln, dass Assistenzhunde Zutrittsrechte haben. Wie es für Blindenführhunde bereits anerkannt ist, werden wir die Ausbildung regeln, also die Qualifikation und die Standards der Ausbildung für diese Hunde, damit auch die Akzeptanz in der Gesellschaft vorhanden ist. Das, was wir heute leider nicht regeln, ist die Finanzierung; der Punkt klang bereits an. ({0}) Aber da setze ich große Hoffnung in die geplante Studie, ({1}) die Aufschluss über die Kosten für Anschaffung, Ausbildung und Haltung von Assistenzhunden liefern soll, sodass wir dann entsprechend nachlegen können. Ein weiterer Inhalt des Gesetzes ist – ein in meinen Augen ebenfalls ganz besonders wichtiges Thema – das Budget für Ausbildung. Das Budget für Ausbildung werden wir attraktiver gestalten, indem wir dieses Budget auf Menschen im Arbeitsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen ausweiten und auch andere Leistungsanbieter über das Budget für Ausbildung verfügen können, um entsprechend ein lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Verbesserungen wird es auch bei der Betreuung von Rehabilitanden in Jobcentern geben, und zwar insbesondere bei der speziellen Förderleistung von Jobcentern neben Rehabilitationsleistungen und ‑verfahren. Es soll auch eine bessere Koordinierung der Leistungen zwischen den Rehabilitationsträgern auf der einen Seite und den Jobcentern auf der anderen Seite erfolgen, damit diese Leistungen optimiert werden können. Das ist verbunden mit der Möglichkeit, die aktiven Arbeitsförderungen für Rehabilitanden insgesamt auszubauen. Damit werden wir für Rehabilitanden eine größere Eingliederungschance in den ersten Arbeitsmarkt erreichen. Dafür bin ich an dieser Stelle sehr dankbar. ({2}) Im SGB IX werden wir – Frau Staatssekretärin Griese hat es bereits angesprochen – dafür sorgen, dass Leistungsträger Gewaltschutzmaßnahmen für behinderte Menschen einführen, damit diese bei der Erbringung von Teilhabeleistungen entsprechend geschützt sind, so wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert. ({3}) Darüber hinaus stellen wir die gesetzliche Grundlage für den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe klar und passen diesen an die Definition der UN-Behindertenrechtskonvention an. Dazu ergänzen wir aber auch den Leistungskatalog zur medizinischen Rehabilitation um digitale Gesundheitsanwendungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, aber auch um digitale Pflegeanwendungen aus dem Bereich der Pflegeversicherung im Bereich „Hilfe zur Pflege“. Ein parlamentarisches Verfahren ist dafür da, einen Gesetzentwurf der Bundesregierung noch besser zu machen. Deswegen wollen wir auch im weiteren gesetzgeberischen Verfahren schauen, dass wir im Bereich des Budgets für Ausbildung noch weitere Verbesserungen erzielen können, um Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen mit Blick auf die Coronasituation wirtschaftlich besserzustellen. Als letzten Punkt nenne ich die Einrichtung einer Lotsenstelle und Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung, damit sie auf dem ersten Arbeitsmarkt besser Fuß fassen können und die Unternehmen besser beraten und begleitet werden können. Ich denke, alles in allem ein guter Entwurf. Ich freue mich auf die Beratung. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort geht an Jens Beeck von der FDP-Fraktion. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Heil! Frau Staatssekretärin Griese! Auch ich vermisse Frau Staatssekretärin Kramme, weil das ja ein Thema ist, das sie immer sehr interessiert hat. Immerhin – sechs Sitzungswochen haben wir noch – das erste Gesetz aus dem Hause Heil, das nicht durch internationale Vereinbarungen oder als Reparaturgesetz für das Bundesteilhabegesetz versucht, in der Teilhabe etwas zu machen. Das kommt spät, aber wir nehmen hier mal den guten Vorsatz dazu. Was dieses Gesetz dann allerdings erreicht, darüber kann man lange streiten; das werden wir in der Anhörung und in der Ausschussberatung noch tun. Es werden ohne Frage wichtige Themen adressiert. Dazu gehört insbesondere der Gewaltschutz. Vergegenwärtigen wir uns einmal die Anklage, die aktuell im Raum steht, gegen mehr als 140 Beschuldigte im Kreis Minden-Lübbecke, die über lange Zeit strukturelle Gewalt, etwa durch den Einsatz von Pfefferspray, gegen Menschen in einer Eingliederungshilfeeinrichtung ausgeübt haben sollen. Wenn sich das bewahrheiten sollte, dann ist das Staatsversagen in diesem Land. ({0}) Da nützt es auch nichts, in dieses Gesetz zu schreiben: Die Leistungserbringer müssen Vorkehrungen treffen. – Vielmehr brauchen wir hier klare Vereinbarungen mit den Ländern und klare Zuständigkeiten der staatlichen Aufsichten an dieser Stelle. Wenn wir die Schwächsten in der Gesellschaft, die in unserer Obhut sind, nicht schützen können, dann machen wir unseren Job hier falsch. ({1}) Adressiert wird auch – das haben Sie angesprochen – das Budget für Ausbildung. Das ist, Herr Kollege Oellers, tatsächlich eine sehr positive Entwicklung. Warum aber nicht zeitgleich das Budget für Arbeit mit angefasst wird, erschließt sich mir überhaupt nicht. Auch hier müssen wir endlich zu dem kommen, was in der ganzen Diskussion um das Bundesteilhabegesetz 2016 im Grunde Konsens gewesen ist: Personenzentriertheit unserer staatlichen Leistung. Wir nehmen den Menschen mit Behinderung in den Blick und orientieren uns an seinen Bedürfnissen, sodass er in den Genuss voller Teilhabe kommt. Wenn wir das ernst nehmen, müssen wir die Leistungen zusammenführen und nicht immer neue Hürden aufbauen, sodass man entweder nur das eine oder das andere machen kann und sich entscheiden muss. Also hier ist auch für die Beratung im Ausschuss noch viel Luft nach oben. ({2}) Dann freue ich mich sehr, dass sich jetzt auch die Linken, nachdem die FDP-Fraktion im Jahr 2019 beantragt hat, ein Assistenzhundegesetz umfassend auf den Weg zu bringen, dem anderthalb Jahre später angeschlossen haben und nun auch das Ministerium dieses Thema in den Blick nimmt. Die Regelungen bleiben allerdings weit hinter dem zurück, was erforderlich ist: Die 100 Hund-Mensch-Gemeinschaften, die Sie finanzieren wollen, sind weniger als das, was jedes Jahr ehrenamtliche Vereine und Verbände leisten. Das ist nicht mal ein Zehntel dessen, was die Bundeswehr ihren versehrten Soldaten regelmäßig zur Verfügung stellt. Da brauchen wir viel mehr. Der Weg ist richtig, aber wir müssen an dieser Stelle viel mehr aufs Tempo drücken. Wir müssen zur Anerkennung von Assistenzhunden als Teilhabeleistung kommen, zu einer klaren Finanzierung. Bei der Evaluierung – Frau Präsidentin, ich komme zum Ende – dürfen wir eben nicht nur den Blick darauf richten, was so ein Assistenztier eigentlich kostet. Dass das in unser aller Interesse liegt, wird deutlich, wenn wir zeitgleich in den Blick nehmen, was ein solches Tier dem Sozialstaat an anderer Stelle einspart. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dann zu der Erkenntnis kommen, dass jeder Assistenzhund in Deutschland im Laufe seines Lebens 100 000 Euro einspart. Vor diesem Hintergrund wird es uns allen viel leichter fallen, diese Tiere auch zu finanzieren. Frau Präsidentin, herzlichen Dank. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Sören Pellmann von der Fraktion Die Linke. ({0})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum heutigen zwölften Geburtstag der UN-Behindertenrechtskonvention ({0}) hätte ich mir in einem solchen Gesetzentwurf tatsächlich mehr Inhalt gewünscht. ({1}) An diesem heute zu beratenden Gesetzentwurf erkennt man, dass die Legislaturperiode langsam zu Ende geht und die Koalition versucht, sich noch irgendwie bis ans Ziel zu retten. Wie steht es um die Teilhabe denn im tatsächlichen Leben? Bei der letzten Pressekonferenz der Bundeskanzlerin nach der Ministerpräsidentenkonferenz war zum Beispiel hinsichtlich Barrierefreiheit völlige Fehlanzeige. Auf zwei positive Dinge will ich zu Beginn eingehen: Erstens. Die Erweiterung der Leistungsberechtigten des Budgets für Ausbildung und die Regelung zum leistungsberechtigten Personenkreis begrüßen wir ebenso wie zweitens die minimalen Verbesserungen bei der Betreuung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden im SGB II und III. Bis zur Beschlussfassung, Herr Oellers – ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie es schon angeführt haben –, gibt es noch viele Punkte, wo nach unserer Auffassung nachgesteuert werden muss. ({2}) Hubertus Heil kündigte zum Beispiel im Dezember des vergangenen Jahres an, die Erhöhung der Ausgleichsabgabe zu formulieren. Im vorliegenden Entwurf? Fehlanzeige! Verpflichtende und verbindliche Regelungen für Leistungserbringer und Rehaträger beim Gewaltschutz? Leider nicht vollumfänglich erfüllt. Umfassende Verbesserung und barrierefreie Beratung und Vermittlung, die einheitlich durch die Bundesagentur für Arbeit zu erfolgen hat? Fehlanzeige! Barrierefreiheit bei den geplanten digitalen Gesundheitsanwendungen im SGB IX? Fehlanzeige! Und etwas geht gar nicht: Das Zwangspooling hat weiterhin Bestand. – Das geht so nicht! Wo wird hier Teilhabe gestärkt? ({3}) Die Linke fragt daher bei der Erarbeitung ihrer Anträge auch: Wie sieht denn die Realität der Betroffenen aus? Beispiel Assistenz: Betroffene berichten vom Hickhack bei der Mitnahme von Assistenzkräften in Krankenhäuser, zur Reha oder in Hospizeinrichtungen. Erstens. Assistenzen kennen die Betroffenen am besten und können insbesondere in lebensbedrohlichen Situationen Sicherheit vermitteln. Zweitens. Die Zuständigkeiten zwischen Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesministerium für Gesundheit müssen sofort geklärt werden. Lösung könnte sein, die Finanzierung wie bei anderen Assistenzleistungen über das SGB IX zu formulieren. ({4}) Zu häufig endet Teilhabe leider an der falschen oder fehlenden Infrastruktur. Erstens. Wir wollen flächendeckend in eine soziale, inklusiv ausgestaltete Infrastruktur investieren. Zweitens. Inklusive und barrierefreie Wohnangebote und öffentliche Räume müssen vorranging gefördert werden. Das wäre echte Teilhabestärkung. ({5}) In dem Zusammenhang verweise ich zumindest schon einmal auf unseren Teilhabeantrag. Zum Schluss noch etwas zu unserem tierisch guten Antrag. Wir begrüßen die Regelungen zu den Assistenzhunden. Leider wird die Finanzierung erneut nicht gesichert. Und dass in der Studie nur 100 Hunde berücksichtigt werden sollen: Das ist deutlich zu wenig. ({6}) Ebenso bleiben die Qualitätsstandards im Gesetz unklar. Assistenzhunde retten Leben und machen die Bewältigung des Alltags erst möglich; deswegen sind sie zu fördern – nicht nur 100 Hunde, sondern deutlich mehr. ({7}) Abschließend: Es muss grundlegend, flächendeckend und themenübergreifend teilhabeorientiert gedacht werden. Meine Empfehlung, liebe Koalition: Nutzen Sie die Zeit bis zum Beschluss hier im Hohen Hause! Reden Sie mit Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern! Da geht noch eine Menge. Als Geburtstagsversprechen zum heutigen zwölften wäre es ein erster Anfang. Vielen Dank. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Präsidium würde sich tierisch freuen, wenn sich alle an ihre Redezeiten halten würden. Das Wort geht an Corinna Rüffer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Wenigstens Sören Pellmann hat es erkannt: Heute vor zwölf Jahren war ein großartiger Tag in diesem Land! Es war die Geburtsstunde der Verpflichtung zu einer menschenrechtsorientierten Politik für Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Die UN-BRK hat damals eine enorme Wucht entfaltet. Sie hat Menschen mit Behinderungen, ihre Freunde und Familien dazu ermutigt, sich endlich offensiv für ihre Rechte einzusetzen. ({0}) Nun stehen wir heute in diesem Hohen Haus, mitten in der Pandemie, in der Menschen mit Behinderungen weitgehend vergessen und, ja, auch ignoriert worden sind. Viele von ihnen haben die letzten 13 Monate in absoluter Isolation verbracht, weil sie schwere Verläufe von Covid-19 befürchten mussten – und sie warten bis heute auf eine Impfung. ({1}) Von Inklusion also in dieser Zeit wirklich keine Spur. Nix Teilhabestärkung! Sämtliche Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, sind in den letzten 13 Monaten über ihre Köpfe hinweg gefällt worden. Nichts mit dem zentralen Leitmotiv der Konvention: Nichts über uns ohne uns! Angesichts dieser Tristesse, hätte ich heute zu gerne über ein Gesetz gesprochen, das etwas Reue erkennen lässt, das wirklich die Mängel des Bundesteilhabegesetzes in den Blick nimmt und jetzt beherzt die Lösungen angeht und schlicht ein Versprechen einlöst: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz. – Stattdessen erkenne ich aber nur zaghafte Schritte. Es geht zwar nicht in die völlig falsche Richtung; aber es geht eben nicht beherzt in die richtige Richtung, und das wäre jetzt nötig. ({2}) Es gibt ein paar Punkte, die auch ich gut finde, zum Beispiel dass das Budget für Ausbildung weiterentwickelt wird, damit die jungen Menschen nicht in Werkstätten festhängen, sondern einen richtigen Platz in dieser Gesellschaft bekommen. Die Leute wollen das. ({3}) Aber wo bleibt die spürbare Anhebung der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die trotz Verpflichtung keinen einzigen Menschen mit Behinderung einstellen? ({4}) Sie haben es versprochen, Herr Heil. Sie lösen es nicht ein. Warum findet sich keinerlei Ansatz, die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit zu verpflichten? Das fordern alle großen Verbände. Warum passiert das nicht? ({5}) Warum müssen Menschen mit Behinderungen weiterhin mit ihrem Einkommen und Vermögen einstehen für die Assistenz, die sie brauchen und auf die sie ein Recht haben? Wie sollen behinderte Menschen sich ehrenamtlich engagieren, auch in der Politik, wenn sie die Unterstützung nicht bekommen, die sie brauchen? Und warum stellen wir nicht klipp und klar fest, dass jeder Mensch – auch mit Behinderungen – selbstverständlich ein Recht darauf hat, zu entscheiden, wo und mit wem er lebt? ({6}) Alle hier im Haus wissen ganz genau, dass Mädchen und Frauen mit Behinderungen Schutz brauchen, da sie so sehr von Gewalt bedroht sind. Legen Sie endlich ein konsequentes Konzept vor, das diese Menschen schützt! Und ganz zum Schluss: Das Geschacher um die Assistenz im Krankenhaus finde ich mittlerweile unerträglich. Ich sage Ihnen heute: Wir werden nicht ruhen, bis dafür im Laufe diese Legislaturperiode eine Lösung gefunden wurde.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Kommen Sie bitte zum Ende.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Denn diese Menschen schweben in Lebensgefahr, weil ihnen dieses Recht nicht gewährleistet wird. Herzlichen Glückwunsch zum zwölften Geburtstag der UN-Behindertenrechtskonvention! Vielen Dank. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke. – Das Wort geht an Angelika Glöckner von der SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung das Teilhabestärkungsgesetz. Ich finde, dieses Gesetz hat den Namen auch verdient. ({0}) Wir bringen viele Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen in vielen Lebensbereichen auf den Weg, wir stärken Teilhabe. Mein Dank geht dabei an Hubertus Heil, der es ermöglicht hat, dass wir heute darüber beraten können, und an das gesamte Haus für die Vorlage dieses Gesetzentwurfs. Frau Staatssekretärin Griese hat bereits die umfassenden Verbesserungen ausgeführt. Ich möchte mich auf drei Punkte beschränken. Erstens. Wir erweitern das Budget für Ausbildung. Herr Beeck, für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten steht immer eine qualifizierte Ausbildung im Vordergrund. Natürlich muss das auch für Menschen mit Behinderungen gelten. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir da einen wesentlichen Schritt vorankommen. Wenn sich Menschen in Werkstätten oder bei sogenannten anderen Leistungsanbietern dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuwenden wollen, indem sie eine qualifizierte Ausbildung machen wollen, dann ermöglichen wir ihnen das; und zwar ist das ganz im Sinne lebenslangen Lernens, wenn Menschen eben erst später zu der Einsicht kommen, dass sie eine Ausbildung machen wollen. Das ist ein Riesenfortschritt. Das Glas ist aus Ihrer Sicht halb leer, aber aus unserer Sicht halb voll. ({1}) Ich will auch noch mal betonen, was hier von keinem der Rednerinnen und Redner bisher gesagt wurde: Wir stärken die Ausbildung natürlich auch dadurch, dass es uns gelungen ist, Ausbildungsvergütungen über die gesetzlich festgelegte Mindestausbildungsvergütung hinaus dann zu unterstützen, wenn im Betrieb gute Tarife gezahlt werden. Das ist ein richtiger Fortschritt ({2}) und ein Riesenanreiz für die jungen Menschen, um die es überwiegend geht. Das bietet auch Perspektiven, gerade in diesen schwierigen Zeiten, die wir haben. Weil das Assistenzhundegesetz angesprochen wurde, was Sie im Sinn haben, will ich noch mal sagen: Wir schaffen jetzt klare Vorgaben und stärken die Regelungen für Assistenzhunde. Das ist ein Riesenfortschritt. Assistenzhunde sind wichtige emotionale Begleiter im Leben von Menschen mit Behinderungen. Und natürlich erhöhen sie auch die selbstbestimmte Mobilität. Das ist ein toller Fortschritt, wenn es uns so gelingt, Zutritt zu ermöglichen. Dann müssen sich die Menschen nämlich nicht mehr mit Gesetzen bzw. Gerichten herumärgern bezüglich der Frage, wo sie mit dem Assistenzhund Zugang haben und wo nicht. Wir nehmen das den Menschen ab. Das ist ein richtig großer Fortschritt. Ich jedenfalls bin sehr stolz darauf. ({3}) Ich will auch noch einmal betonen: Natürlich stärken wir auch den Gewaltschutz. Darum geht es doch insbesondere. Denken wir an Frauen und jungen Mädchen mit Behinderungen. Es ist doch ein wichtiger Punkt, wenn wir die Leistungserbringer, die diese Teilhabeleistungen anbieten, jetzt dazu verpflichten, weitergehende Konzepte aufzulegen, damit wir hier einen ganz deutlichen Schritt nach vorne kommen. ({4}) Ich will aber auch sagen: Für uns als SPD-Fraktion – und hier stehe ich als Vertreterin der SPD-Fraktion – gibt es bei diesem Thema noch offene Punkte. Wir beraten heute in erster Lesung. Ich würde mir wünschen, dass wir beim Thema Krankenhausassistenz einen Riesenschritt vorankommen. Ich will an der Stelle auch mal sagen: Das BMAS bemüht sich seit Monaten regelrecht um gute Gespräche und Konzepte mit dem Bundesministerium für Gesundheit; ({5}) aber es gehören nun mal – das ist eben Realität, wenn man in der Regierung ist – mehr als nur eine Regierungsfraktion dazu; das ist nun mal so. Ich wünsche mir sehr, dass es uns gelingt, hier zu Fortschritten zu kommen. ({6}) – Das sage ich einfach so, weil das so ist; Sie müssen sich auch mal dazu bekennen. – Das ist ein wichtiger Punkt. Dafür kämpfen wir. Wir haben gute Chancen, im Zuge der Beratungen zu guten Lösungen zu kommen. Herzlichen Dank. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Als letzten Redner hören wir in dieser Debatte Stefan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleiche Chancen und gleiche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen der Gesellschaft ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Wir sind mit dem Bundesteilhabegesetz bereits einen großen Schritt gegangen: mehr individuelle Selbstbestimmung, mehr Hilfen aus einer Hand, stärkere individuelle Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben. Mit dem Teilhabestärkungsgesetz knüpfen wir daran an und wollen den nächsten Schritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft beschreiten. Ja, das Ziel haben wir sicherlich noch lange nicht erreicht; aber die Strecke, die wir auf dem Weg dorthin zurückgelegt haben, finde ich doch beachtlich, denn es ist ermutigend, dass mehr Menschen mit Behinderungen einen Job haben; es ist ermutigend, dass die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen bis zum Beginn der Coronapandemie gesunken ist, und es ist auch ermutigend, dass beispielsweise Barrieren in Bus und Bahn deutlich geringer geworden sind. Das ist auch das zentrale Ergebnis des Dritten Teilhabeberichtes über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, den das Bundeskabinett vor drei Wochen beschlossen hat. Also hat sich in den letzten Jahren vieles positiv bewegt – natürlich liegt noch viel Wegstrecke vor uns –; daran knüpfen wir jetzt mit dem Teilhabestärkungsgesetz an. Ein wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht die gesetzliche Neudefinition des leistungsberechtigten Personenkreises. Wir haben ja alle noch die Diskussion beim Teilhabestärkungsgesetz in den Knochen. Da wurde zu Recht deutlich gemacht, dass es erhebliche Zugangseinschränkungen gegeben hätte, wenn das, was das Bundesarbeitsministerium damals vorgelegt hat, Realität geworden wäre. Deswegen haben wir das gemeinsam, Union und SPD, vom Tisch genommen. Das, was jetzt vorliegt, sorgt tatsächlich für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. Die notwendigen Detailregelungen zur Konkretisierung der Leistungsberechtigung werden jetzt zusammen mit den Ländern getroffen und werden auch vorab evaluiert. Ich finde, das ist ein wesentlicher Fortschritt hin zum Konsens, zum Miteinander und nicht zur Konfrontation, die entstanden wäre, wenn das, was das Bundesarbeitsministerium ursprünglich einmal vorhatte, Realität geworden wäre. Mit dem Budget für Arbeit und dem Budget für Ausbildung haben wir bereits die Chancen für Menschen mit Behinderungen ausgebaut, um ihnen den Start im bzw. den Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das Budget für Ausbildung wird noch wenig genutzt. Das wollen wir ändern. Wir bauen es jetzt für diejenigen aus, die im Arbeitsbereich einer Werkstätte sind. Das ist sicherlich gut. Wir brauchen auch noch einen stärkeren Bewusstseinswandel in den Betrieben. Es gibt hier immer noch Bedenken und Unsicherheiten gegenüber Menschen mit Behinderungen. Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen geht nur zusammen mit den Betrieben, nicht gegen sie. Deshalb wollen wir die bestehenden Beratungs- und Unterstützungsangebote verbessern. Wir stellen uns hier einheitliche Ansprechstellen vor, die aktiv auf die Arbeitgeber zugehen, die Lotsen durch die Bürokratie sind, durch den Wust an Antragsformularen, den es da oftmals gibt. Hierzu sind wir, glaube ich, innerhalb der Koalition in guten Gesprächen, um uns das vielleicht auch gemeinsam vornehmen zu können. Wir wollen zudem die Betreuungssituation in den Jobcentern verbessern, um zukünftig allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die gleichen Fördermöglichkeiten zukommen zu lassen. Auch der digitale Fortschritt soll natürlich möglichst allen zugutekommen. Wir schaffen Anreize, die Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen auszubauen. Die Potenziale des digitalen Fortschritts sollen auch Menschen mit Behinderungen im Bereich der medizinischen Rehabilitation und im Rahmen der Hilfe zur Pflege zugänglich gemacht werden. Der digitale Fortschritt muss für alle nutzbar sein. Dafür sorgen wir entsprechend vor. ({0}) Assistenzhunde sind für viele Menschen mit Behinderungen ein notwendiger Begleiter im Alltag. Sie helfen dabei, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wir stärken das Recht der Betroffenen auf Begleitung durch einen Assistenzhund. Das ist richtig und auch ein wichtiges Thema in diesen Bereichen.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Kollegin Rüffer?

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. – Herzlich gerne, Frau Kollegin.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Weil ich Sie entsprechend einschätze, würde ich Ihnen gerne eine Frage stellen, die mir sehr am Herzen liegt. Wir haben gerade in der Rede der Kollegin Glöckner gehört, dass die SPD ein echtes Interesse daran hat, die Assistenz im Krankenhaus endlich so gesetzlich zu regeln, dass diejenigen, die diese Unterstützung brauchen, um im Krankenhaus behandelt werden zu können, sie auch bekommen. Das ist eine ganz existenzielle Frage. Sie ist im Zweifelsfall wirklich überlebenswichtig – gerade in der Pandemie, aber nicht nur in der Pandemie. Sie wissen, wie die Zugänge im medizinischen System sind: Sie sind nicht barrierefrei, im Gegenteil. Menschen werden abgewiesen, es wird zur Voraussetzung gemacht, dass sie die Assistenz mitbringen. Diese Leute brauchen die Assistenz auch, um das Vertrauen zu haben, dass sie gut behandelt werden, und um verstehen zu können, wie sie behandelt werden. Jetzt frage ich Sie: Dürfen wir, die wir mindestens ein Jahrzehnt an dieser Frage herumdoktern, Hoffnung haben, dass in den nächsten Monaten endlich eine Lösung für dieses Winzproblem gefunden wird und die Menschen diese wichtige Sicherheit bekommen? ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, das, was Sie hier ansprechen, ist in der Tat ein ganz wichtiges Thema. Das ist kein Thema der SPD, das ist ein Thema der gesamten Regierung und der gesamten Koalition. Wir gehen das gemeinsam an. Derzeit finden dazu Gespräche auf Ebene der Regierung statt. Ich glaube, diese Gespräche verlaufen konstruktiv. Auch ich erhoffe mir, dass jetzt Ergebnisse in dem Bereich vorgelegt werden. Auch wir als Union wollen eine Lösung in diesem Bereich, weil wir die Thematik sehen, dass Menschen mit Behinderungen auf Hilfen angewiesen sind. Deswegen streben wir hier eine Lösung an. Das ist ein gemeinsames Thema der gesamten Koalition ({0}) und nicht nur der SPD, wie das hier vorhin dargestellt wurde. – Deswegen danke ich Ihnen ganz herzlich für die Gelegenheit zur Klarstellung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das jetzige Gesetzesvorhaben legt viele Regelungen auf den Tisch. Ich glaube, das sind gute Regelungen, die wir uns jetzt vorgenommen haben. Ich freue mich auf weitere konstruktive Vorschläge aus dem parlamentarischen Raum im Rahmen der Beratungen. In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön! Ich glaube, wir haben hier einen guten Aufschlag vor uns. ({1})

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Gleichstellung. Wir machen uns in der Politik ja ständig Gedanken darüber, wie wir Verbesserungen für unser Land erreichen können, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, in welchem Land wir leben wollen und wie wir dazu beitragen können. Wir haben kürzlich im Ministerium eine Umfrage zum Thema Gleichstellung gemacht, die zum Ergebnis hatte: Eine breite Mehrheit ist davon überzeugt, dass tatsächliche Gleichstellung unserer Gesellschaft nützt. Frauen und Männer wollen und sollen gleichberechtigt, selbstbestimmt leben können. Aber die Befragten sagen auch, dass wir noch nicht am Ziel sind. Nur 14 Prozent haben geantwortet, dass die Gleichstellung bisher tatsächlich erreicht ist – nur 14 Prozent. Die anderen, die deutlich sehen, wo noch Unterschiede sind, haben auch recht. Frauen erhalten immer noch einen um 18 Prozent niedrigeren Bruttolohn pro Stunde. ({0}) Sie leisten eineinhalb Mal so viel familiäre Sorgearbeit wie Männer, und sie sind viel seltener in Führungspositionen zu finden. Sie haben aufgrund der geringeren Löhne und häufigeren Arbeit in Teilzeit auch ein geringeres Alterseinkommen. Die Rentenlücke liegt bei etwa 53 Prozent. Wir haben in den letzten Jahren viel unternommen, um genau dagegen anzugehen. Ich erinnere an das Entgelttransparenzgesetz, das Zweite Führungspositionen-Gesetz, den großen Ausbau der Anzahl der Kinderkrankentage, den Ausbau des Elterngeldes und des Partnerschaftsbonus und an all die Flexibilisierungen, die zur Gleichstellung beitragen sollen. Wir setzen uns aktuell ein für eine bessere Bezahlung von Frauen und Männern in systemrelevanten sozialen Berufen, im Kampf gegen Gewalt und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das sind Fragen der Gleichstellung, aber auch von mehr Partnerschaftlichkeit. Wir haben zum allerersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Gleichstellungsstrategie auf den Weg gebracht, die alle Ressorts verpflichtet – nicht nur das Frauenressort –, sich um dieses Thema zu kümmern. Und heute gehen wir mit der Bundesstiftung Gleichstellung den nächsten Schritt nach vorne. Daran haben Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, tatkräftig mitgewirkt. Sie haben die Grundsatzentscheidung getroffen, diese Stiftung zu gründen, und mein Haus um eine Formulierungshilfe gebeten. Ganz viele engagierte Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben dafür gekämpft, dass wir heute hier sein können. Dafür möchte ich Ihnen allen ganz besonders danken. ({1}) Wir verfolgen mit dieser Stiftung drei Ziele. Erstens. Wir wollen zeigen, wo es noch mehr Gleichstellung braucht. Wir wollen gute Lösungen dafür entwickeln. Zweitens. Wir wollen Engagierte für die Gleichstellung vernetzen und unterstützen. Drittens. Wir wollen das Wissen über Gleichstellungsfragen vergrößern und auch mit Bürgerinnen und Bürgern eine Diskussion dazu anstoßen. Konkret soll das gelingen, indem die Stiftung es Interessierten eben einfach leichter macht, sich zu informieren, ins Gespräch zu kommen. Wir haben unseren Gleichstellungsatlas, der anhand von 41 Indikatoren einen guten Überblick über die Gleichberechtigung in Politik, Arbeitswelt und Gesellschaft gibt. Ziel ist, darüber zu sprechen. Wir wollen Fortschritte machen. Wir wollen mehr Tempo beim Thema Gleichstellung. Wir werden mit der Stiftung auch andere unterstützen, ihre eigenen Aktionspläne für mehr Gleichstellung voranzubringen, egal ob das in der Zivilgesellschaft ist, in der Wirtschaft oder in der Verwaltung und Politik. Wir werden Innovationswettbewerbe anschieben können, um so gute Ideen für mehr Gleichstellung zu unterstützen, damit diese Schule machen, überall im Land. Es gibt viele Ideen, es gibt viele Menschen, die dieses Thema wichtig finden. Ein Erfolg der vergangenen Jahre ist auch, dass gerade in der jungen Generation dieses Thema als sehr wichtig eingestuft wird. Die Gleichstellungsstiftung des Bundes wird ein Forum sein, um diese Themen voranzubringen, ein Ort der gegenseitigen Unterstützung und Vernetzung. Wir schaffen ein Haus für die Gleichstellung, und Sie alle haben dazu beigetragen. Es ist ein weiterer Schritt, damit eben Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, ihr Leben nach ihren Wünschen selbstbestimmt und frei, gleichberechtigt, so wie es unsere Verfassung vorsieht, auch gestalten zu können. ({2}) Für eine offene und vielfältige Gesellschaft. Deshalb vielen Dank, und ich freue mich auf die Beratungen. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Thomas Ehrhorn von der AfD-Fraktion. ({0})

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Der hier vorliegende Gesetzentwurf zeigt wieder einmal in eindrücklicher Weise, wie weit sich diese Bundesregierung im Allgemeinen und wie weit sich die Sozialdemokratie im Besonderen von jeglicher Lebenswirklichkeit und den tatsächlichen Problemen der Menschen in diesem Lande entfernt hat. Wir befinden uns doch gerade in einer Situation, in der der Dauer-Lockdown die finanziellen Reserven von Hundertausenden Gewerbetreibenden in diesem Land vernichtet hat. ({0}) Wir befinden uns in einer Situation, in der diese Menschen nach Ende des Lockdowns feststellen werden, dass sich ihre Existenz, für die sie jahrelang gearbeitet und geschuftet haben, über Nacht in Luft aufgelöst hat. Aber damit nicht genug: Diese Bundesregierung hat ja auch noch die Gunst der Stunde genutzt, um im Schatten von Covid-19 ein lange geplantes Projekt umzusetzen, welches unter anderen Bedingungen niemals möglich gewesen wäre, nämlich die Weichenstellung für die endgültige und totale Vergemeinschaftung europäischer Schulden, für deren Tilgung man den deutschen Steuerzahler in Zukunft weiter und weiter enteignen wird. ({1}) Mit anderen Worten: Diese Bundesregierung hat gerade die eigene Bevölkerung so schnell über den Tisch gezogen, dass so mancher die dabei entstehende Reibungshitze möglicherweise sogar als Nestwärme empfinden wird. ({2}) Fast könnte man sagen, dass es dann in diesem Kontext auf ein paar weitere Millionen für feministische Ideologieprojekte auch nicht mehr ankommt, ({3}) Projekte wie die Bundesstiftung Gleichstellung. Aber das Problem liegt doch schon darin, dass man gleich am Anfang Begrifflichkeiten wie „Gleichberechtigung“ und „Gleichstellung“ in völlig unzulässiger Weise, und zwar offenkundig absichtsvoll, miteinander vermengt, dass man nicht einsehen will oder kann, dass die im Grundgesetz garantierte Chancengleichheit eben nicht zur Ergebnisgleichheit führen kann und muss, ({4}) also nicht zu einer 50-prozentigen Parität an jeder Stelle und überall. ({5}) Will man sich nun der Frage nähern, welches nun eigentlich der Sinn dieser sagenumwobenen Stiftung ist, findet man immer wieder den gleichen Satz – hören Sie gut zu –: ({6}) Die Stiftung wird ein offenes Haus werden, so heißt es, in dem sich Menschen treffen, vernetzen und bestärken. – Na, das ist doch mal was Tolles. Das sollte doch dem deutschen Steuerzahler einen zweistelligen Millionenbetrag in den nächsten Jahren wert sein. ({7}) Es heißt weiter: Es ist ein Ort, an dem sich wissenschaftlich fundiert der gerechten Partizipation von Frauen in der Gesellschaft gewidmet wird. – Man will also den immer gleichen Sud von angeblichen gläsernen Decken, strukturellen Benachteiligungen, von Ähnlichkeitsprinzip und Gender Pay Gap und sonstigen pseudowissenschaftlichen Halb- und Unwahrheiten immer weiter aufkochen, um dann diesen grünen Brei einer möglichst ahnungslosen Bevölkerung unterzujubeln, ({8}) das allerdings natürlich erst, nachdem man sich in einem Stuhlkreis darauf geeinigt hat, ob Bürgersteige nicht in Zukunft „Bürger/-innensteige“ heißen müssten. ({9}) Der „Focus“ schreibt dazu: Tatsächlich soll „die ‚Stiftung Gleichstellungʼ feministische Lobbygruppen mit Macht und Geld“ ausstatten. ({10}) Man könnte auch sagen: Hier werden weitere Versorgungsposten für arbeitslose linke Geschwätzwissenschaftler geschaffen. Sei’s drum. Kümmern Sie sich weiter um Gendersternchen und darum, deutsches Volkseigentum in Europa zu verteilen! Wir, die AfD, haben andere Prioritäten; denn wir sind die Partei der arbeitenden Menschen. Vielen Dank. ({11})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort geht an Silvia Breher von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe überlegt, was ich zu der Rede der AfD sagen kann; aber mir fällt einfach nichts ein. ({0}) – Das lassen wir. Ich würde sagen: Heute ist Endspurt. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart: Wir wollen eine Bundesstiftung gründen, die sich wissenschaftlich fundiert insbesondere Fragen der gerechten Partizipation von Frauen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft widmet. Es hat ein bisschen gedauert, aber heute kommen wir zum Endspurt und zur ersten Lesung. Denn unser Grundgesetz gibt uns in Artikel 3 vor: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Das ist richtig. Rechtlich haben wir unser Ziel erreicht. Aber tatsächlich, im Alltag, im normalen Leben – jeder wird es bestätigen – haben wir eben immer noch Unterschiede. Männer und Frauen haben es unterschiedlich schwer oder leicht, ihre Wünsche und Träume zu verwirklichen. Frauen treffen oftmals auf Vorurteile und Hindernisse. Ein paar Stichworte sind auch von der Frau Ministerin schon genannt worden. Immer noch liegt der größere Teil der Fürsorge, der Hausarbeit, der Familienarbeit bei den Frauen. Wir haben noch immer die Lohnlücke und daraus folgend Altersarmut vor allem bei den Frauen. Die Führungspositionen sind in der Regel männlich besetzt; das zieht sich durch sämtliche Bereiche unserer Gesellschaft. Sexismus ist im Alltag noch immer präsent, und Gewalt gegen Frauen ist ein großes Thema. Ich bin eigentlich immer ein sehr, sehr positiver Mensch. Deswegen sage ich nicht, was wir alles nicht erreicht haben, sondern: Wir haben bei diesen Themen schon ganz, ganz viel erreicht. Aber oft ist eben nicht der große gesetzgeberische Wurf erforderlich, sondern, dass wir auf Zwischentöne, auf die leisen Töne hören müssen, wenn wir etwas ändern wollen. Solange wir noch nicht alles erreicht haben, müssen wir weitermachen. Denn unser Grundgesetz verpflichtet uns in Artikel 3: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung …“ – nicht nur die rechtliche, sondern die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung – „und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Wir wollen nicht nur die rechtliche Gleichberechtigung auf dem Papier; wir wollen auch die tatsächliche Gleichberechtigung. Dazu machen wir mit dieser Stiftung den nächsten Schritt. Die Stiftung soll die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland stärken und fördern. Auf den ganz verschiedenen Ebenen passiert schon viel, aber – und das ist entscheidend – die Zusammenführung fehlt. Das soll am Ende mithilfe dieser Stiftung erfolgen. Die Aufgaben der Stiftung lassen sich wie in einem Vier-Säulen-Modell wie folgt aufsplitten: Sie soll erstens Informationen bereithalten, also Daten und Fakten zusammentragen und für die Öffentlichkeit aufbereiten – der Gleichstellungsatlas wurde schon genannt –, Forschungslücken aufdecken – sie soll also nicht selber forschen – und gegebenenfalls ergänzende Forschung in Auftrag bringen. Zweitens soll diese Stiftung Gleichstellung vor Ort in der Praxis stärken, also Beratung von Zivilgesellschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft anbieten, als Bindeglied zwischen diesen Akteuren fungieren und einen Dialog herstellen. Drittens. Sie soll innovative Ideen für die Gleichstellungspolitik entwickeln und deren Umsetzung begleiten. Viertens. Sie soll ein offenes Haus der Gleichstellung sein, also Akteuren, die schon aktiv sind, aber auch neuen einen Raum für Vernetzung und einfach eine Möglichkeit der Begegnung und der Zusammenführung von allem geben. On top werden wir die Geschäftsstelle für die Gleichstellungsberichte, die bislang im Ministerium angesiedelt ist, in diese Stiftung überführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gleichstellungspolitik, unser Ansatz beruht auf Artikel 3 im Grundgesetz. Gleichstellung bedeutet für uns die Herstellung gleicher Chancen, nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich. Es heißt eben nicht Gleichmacherei und im Ergebnis 100 Prozent Gleichheit in allen Punkten, sondern tatsächlich die Durchsetzung von wirklicher Chancengleichheit. Alles andere würde unserem Menschenbild nicht entsprechen. Was wir wollen, ist nicht nur die Gleichheit nach der Rechtslage, sondern eine tatsächliche Chancengleichheit. In diesem Sinne werden wir die Stiftung – so ist es im Direktorium angelegt – auch paritätisch besetzen, mit einem Mann und mit einer Frau. Das Parlament soll durch Vertreter im Stiftungsrat die Stiftung in ihrer Arbeit eng begleiten. Wir sind davon überzeugt, dass diese Stiftung einen wesentlichen Beitrag für die Gleichstellung, für die Weiterentwicklung der Gleichstellungspolitik in Deutschland liefern wird. Der erste Gesetzentwurf liegt vor. Wir gehen in die Beratung. Wir werden noch eine Anhörung haben. Aber ich glaube, wir haben alle gemeinsam gut vorgearbeitet, und ich freue mich auf diese weiteren Beratungen. Wir werden in Kürze auch zur zweiten und dritten Lesung kommen; davon bin ich – ich gucke mal meine Kollegin Frau Ortleb an – und sind wir überzeugt. Ich freue mich auf die weiteren Gespräche zu diesem Thema. Vielen, vielen Dank. ({1})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Nicole Bauer von der FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werte Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Formal genießen Frauen und Männer in Deutschland gleiche Rechte. Die großen Meilensteine für die Gleichberechtigung haben wir gesetzt. Aber das allein ist nicht genug. Gleichberechtigung muss erlebbar sein und auch gelebt werden, ganz konkret für jede und jeden im Alltag. Die Bundesstiftung Gleichstellung soll hierzu einen Beitrag leisten. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir heute genau das diskutieren. Wir Freie Demokraten haben ganz viele Ideen, wie wir Chancenverwirklichung für jede und jeden ermöglichen können, wie wir zukunftsweisende Ansätze und Initiativen aus den verschiedensten Bereichen des Zusammenlebens zusammenbringen und wie wir Veränderung tatsächlich gestalten können. Ich stelle mir dabei aber etwas ganz Lebendiges vor, etwas, das atmet, das pulsierend ist. Umso mehr finde ich den Vorschlag, der vorgelegt wurde, etwas einfallslos, etwas starr und ernüchternd. Wir setzen hingegen auf etwas Neues, auf etwas Agiles, auf etwas Mutiges: auf so etwas wie einen Innovationsinkubator für echte Chancenverwirklichung, ({0}) auf einen Innovationsinkubator für Vielfalt und Perspektivenwechsel. Noch bei der Gleichstellungsstrategie haben Sie sich damit gerühmt, dass das Ganze als Querschnittsaufgabe zu begreifen ist. Doch ein Jahr später ist davon nichts mehr zu sehen. Bei der Besetzung des Stiftungsrats ist keine Rede mehr von unterschiedlichen Ministerien oder einem wechselnden Vorsitz. Wir wollen doch genau das Gegenteil. Wir wollen raus aus der Blase, rein in verschiedene Blickwinkel und Verantwortlichkeiten, meine Damen und Herren. Wir wollen einen chancenpolitischen Innovationsinkubator, der Erfolgsmotor mit Wechselwirkung ist. Wir wollen Bewegung hineinbringen. ({1}) Dazu brauchen wir aber Visionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und vor allem den richtigen Treibstoff. Es braucht den Austausch, die Vernetzung und die gegenseitige Inspiration. Es braucht den Transfer von Ideen, Methoden und Konzepten und ein ständiges Voneinander-Lernen und Weiterkommen. So bringen wir tatsächlich die PS gelebter Gleichberechtigung auf die Straßen und in den Alltag, meine Damen und Herren. Wir brauchen einen chancenpolitischen Innovationsinkubator, der wirkt – und zwar messbar. ({2}) Deshalb plädieren wir ganz klar für Evaluationskriterien mit Zielgrößen von Anfang an: Wo geht die Reise hin? Was wollen wir erreichen? Und an welchen Kennzahlen wollen wir denn das messen? Denn wir sind nur dann erfolgreich, wenn der Erfolg tatsächlich messbar wird. Hierbei muss definitiv nachgebessert werden. Was wir brauchen, ist auch mehr Diversity, mehr Durchlässigkeit im System, damit wir echten Fortschritt gestalten können. Schaffen wir die Form, die es dafür braucht, nämlich einen Innovationsinkubator für echte Chancenverwirklichung. Herzlichen Dank. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke sehr. – Ich gebe das Wort an Doris Achelwilm von der Fraktion Die Linke. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesstiftung Gleichstellung wird schon sehr lange gefordert, geplant und hinter den Kulissen vorbereitet. Aber die konkrete Ausgestaltung blieb in dieser Legislaturperiode dann doch ein Mysterium. Der heute debattierte Gesetzentwurf kam vor drei Tagen und belässt sehr vieles im Ungefähren. Mehr parlamentarische und öffentliche Auseinandersetzung über enge Zirkel hinaus wäre sehr sinnvoll gewesen, auch weil das ganze Unterfangen eine breite Rückendeckung und dafür Transparenz und Klarheit braucht. ({0}) Was kann und muss diese Gleichstellungsstiftung leisten? Laut Koalitionsvertrag von 2018 soll sie sich wissenschaftlich fundiert Fragen der gerechten Beteiligung von Frauen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft widmen. Beackern soll dieses weite Feld nun eine Einrichtung, die das BMFSFJ, seine Verwaltung und gleichstellungspolitische Netzwerke berät. Eine eigenständige, tonangebende Rolle, eine Anwaltsfunktion der Bundesstiftung für Gleichstellungsfragen wird nach meiner Leseweise nicht eingeräumt, es geht eher um Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation im Sinne des zuständigen Ministeriums. Der erste Eindruck ist: Das Ganze soll aus GroKo-Sicht ein wichtiges überfälliges Signal setzen, aber auch nicht wehtun, kein Hebel sein, der Regierungshandeln im Sinne einer ernsthaften Selbstkontrolle unter Druck setzt. Ich finde, hier sollte geschaut werden, die Kompetenzen zu schärfen. ({1}) Es braucht für diese Stiftung und ihren dienstleistenden Charakter eine politischere Zielsetzung. Sie muss zum Beispiel stärker darauf ausgerichtet werden, Gesetzgebung zu begleiten und mit einer systematischen Folgenabschätzung Handlungsbedarfe deutlicher herauszustellen. Wenn es so was gäbe, wäre das zahnlose Entgelttransparenzgesetz vielleicht schon erneuert oder ergänzt worden, und das wäre ja tatsächlich sehr gut. Was nicht passieren darf: dass künftig bei Aufgaben, die mit F wie Frauen oder G wie Gender anfangen, automatisch an die Stiftung verwiesen wird. Sie darf kein Nebengleis werden, um zentrale Gleichstellungsaufgaben dorthin zu delegieren oder kreisen zu lassen, während der Rest weitermacht wie bisher. ({2}) Sie muss alle Frauen im Blick haben, vor allem Prekarisierte, mehrfach Benachteiligte. Sie muss kritisches, feministisches Wissen und dessen Umsetzung fördern. Viele Fragen sind offen, etwa, für welche Gleichstellungsthemen eigenständige Referate eingerichtet werden sollen. Was ist mit Stiftungsrat, Stiftungsbeirat? Wer gibt was vor? Wie werden Forschungslücken und Prioritäten identifiziert? Ausreichend Zeit zu beraten, bleibt leider nicht. Umso wichtiger, dass sie für Überarbeitung und Antworten auf berechtigte Fragen intensiv genutzt wird. Nach der Ausschussberatung wissen wir mehr, und darauf freue ich mich auch. Vielen Dank. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke sehr. – Das Wort geht an Ulle Schauws von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie sinnvoll es ist, eine Bundesstiftung Gleichstellung zu begründen, darüber kann es hier wohl keinen Zweifel geben. Denn solange Macht, Geld und Zeit unterschiedlich zwischen den Geschlechtern verteilt sind, ist der Auftrag des Grundgesetzes, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung durch den Staat zu fördern, nicht erfüllt. Eine Bundesstiftung, die diese Förderung unterstützt, ist notwendig. ({0}) Aber, meine Damen und Herren – jetzt kommt ein dickes Aber –: Was in diesem Gesetzentwurf aufgeschrieben wurde, darüber muss man doch nicht drei Jahre nachdenken. Die Bundesstiftung hätte direkt zu Beginn der Legislaturperiode gegründet und mit Aufträgen gefüllt werden können. Das haben Sie, Frau Giffey und Sie von der Koalition, versäumt. Längst hätte dies Ihrem Regierungshandeln in der Gleichstellungspolitik neue Impulse verleihen können. Sie hätten das heute gute oder starke oder wie auch immer Gleichstellungspolitik nennen können. Haben Sie aber nicht, und das kritisieren wir. ({1}) Denn, meine Damen und Herren, diese Krise hat doch unübersehbar harte und negative Auswirkungen gerade auf Frauen – Stichwort „Retraditionalisierung“. Die ist im Alltag von Frauen und Männern längst angekommen. Die Bundesstiftung hätte die Auswirkungen der Pandemie auf die Geschlechtergerechtigkeit unter die Lupe nehmen und Ihnen für ein Entgegenwirken längst Empfehlungen geben können. Das versäumen wir gerade, und das ist ärgerlich. ({2}) Empfehlungen wären auch an anderer Stelle notwendig gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn die Bundesregierung hat sogar versäumt, in der Krise von Anfang an beratende Gremien divers zu besetzen und geschlechtersensible Aspekte zu diskutieren. Wir Grüne begrüßen die Idee des offenen Hauses für Gleichstellung ausdrücklich. Aber eine intersektionale Dimension gehört doch selbstverständlich dazu. Ohne den Blick auf Mehrfachdiskriminierung und Vielfalt von Frauen kann eine chancengerechte Gleichstellung nicht gelingen. Ohne echte Diversität auch nicht. Allein diese Gedanken fehlen hier schon; da muss dringend nachgebessert werden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stiftung sollte mutige Konzepte für wirksame Veränderungen aufnehmen: von Verbänden, von Wissenschaftlerinnen etc. Wir möchten weiterkommen bei flexiblen Arbeitszeitmodellen für Frauen und Männer, bei den Auswirkungen geschlechterspezifischer und digitaler Gewalt, bei der vollständigen Umsetzung der Istanbul-Konvention und den Auswirkungen der Einschränkung reproduktiver Selbstbestimmung von Frauen. Wir Grüne wollen eine Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt, selbstbestimmt und solidarisch miteinander leben. Eine Bundesstiftung, die mehr Wissen, mehr Aktion und mehr Innovationen bringt, ist überfällig. Aber die Diskussion darüber, wie die Besetzung und das Verfahren dazu laufen sollen, sollte klar und deutlich unter mehr Beteiligung aller Akteurinnen erfolgen; darüber wird zu reden sein. Dazu geben Sie sich, dazu geben Sie uns kaum Zeit; das ist sehr bedauerlich. Ich finde, das ist wirklich unprofessionell. ({4}) Den Beginn einer guten Idee hätten wir Grüne uns anders gewünscht. Deswegen kann ich nur sagen: Gut, dass wir es machen, aber schade, wie es läuft. ({5})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke sehr. – Das Wort geht an Josephine Ortleb von der SPD-Fraktion. ({0})

Josephine Ortleb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004844, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die junge Schülerin, der empfohlen wird, statt dem Mathekurs den Kunstleistungskurs zu belegen, die Verkäuferin, die aufgrund tradierter Rollenbilder zu Hause bleibt, um sich um den Haushalt zu kümmern, der Familienvater, dem mit Kündigung gedroht wird, falls er sich für eine längere Elternzeit entscheidet, die Journalistin, die ihr ganzes Berufsleben auf eine Führungsposition hinarbeitet und dann an der gläsernen Decke scheitert, und die ehemalige Köchin, die aufgrund jahrzehntelanger geringerer Bezahlung heute unter einer kleinen Rente leidet – diese Lebensrealitäten zeigen uns: Die Gleichstellung in Deutschland ist unvollständig. ({0}) Klar ist aber auch: Benachteiligungen treffen vor allem Frauen: in allen gesellschaftlichen Bereichen, auf allen Ebenen, im Privaten wie im Beruf. Dabei sind es nicht die Frauen und ihre individuellen Entscheidungen, es sind die Strukturen unserer Gesellschaft, die diese Ungleichheiten erzeugen. Das zeigt uns die Coronapandemie auch noch mal ganz besonders. Wegen dieser Lebensrealitäten und für diese Menschen brauchen wir diese Bundesstiftung Gleichstellung; denn mit ihr setzen wir den strukturellen Benachteiligungen eine strukturelle Antwort entgegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es freut mich wirklich besonders, dass wir heute mit der Umsetzung dieses Herzensprojekts der SPD starten können. ({1}) Mit viel Druck haben wir vor knapp vier Jahren die Gründung dieser Stiftung in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Mit demselben Druck haben wir in den bisherigen Verhandlungen dafür gesorgt, dass die Bundesstiftung auch wirklich gegründet wird. Und nun sind wir auf der Zielgeraden, endlich eines der wichtigsten gleichstellungspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrags umzusetzen. Mit der Gründung der Bundesstiftung durch die Koalitionsfraktionen bekennen wir uns als Parlament zum Staatsauftrag in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz und senden damit ein klares Zeichen: Wir lassen uns nicht aufhalten, wenn es um die vollständige Gleichstellung der Geschlechter geht. ({2}) Wir überwinden die Hürden der strukturellen Benachteiligung, indem wir das vorhandene Wissen darüber, wie dringend notwendig Gleichstellung ist, in die Köpfe aller Menschen bringen – wobei ich mir angesichts der Aussagen von Herrn Ehrhorn nicht sicher bin, ob wir das bei allen schaffen –, ({3}) indem wir dort, wo die Strukturen besonders verhärtet sind, beraten und Lösungen finden – das gilt für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft – und indem wir zentrale Akteurinnen und Akteure miteinander vernetzen und in den Austausch bringen. Deswegen ist es gut, dass die Stiftung ihren Sitz in Berlin haben wird; denn die Vernetzung muss dort stattfinden, wo die politischen Entscheidungen gefällt werden. Wir wollen aber auch eine Vernetzung vom Bund bis in die Kommune, also von Berlin bis zum Beispiel in meine Heimatstadt Saarbrücken. Das stärkt die wichtige Arbeit vor Ort; denn wir wissen: In der Praxis entstehen oft die innovativsten Ideen. Wir wollen genau das: dass mutige Initiativen eine Chance haben und Innovationen verwirklicht werden. Auch dabei wird die Stiftung unterstützen. Gleichstellungspolitische Erfolge sind immer Erfolge einer gesamten Gesellschaft, Erfolge, die innerhalb und außerhalb des Parlamentes vorbereitet und umgesetzt werden. Deswegen geht ein großer Dank an die vielen Vertreter/-innen der Zivilgesellschaft, die mit großem Einsatz, Engagement und Expertise für diese Bundesstiftung gekämpft haben. Ich möchte mich zudem bei meiner Kollegin Silvia Breher für die gute Zusammenarbeit sowie bei Franziska Giffey und ihrem Haus für die Unterstützung bedanken. Ich freue mich nun auf die Anhörung und würde mich freuen, wenn wir nach der Anhörung diese Stiftung mit einer großen parlamentarischen Mehrheit auch wirklich gründen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Martin Patzelt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Martin Patzelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004372, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin Giffey! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in den Debatten hier sehr häufig der Letzte in der Runde, und deswegen wechsle ich mal die Perspektive; denn über die Stiftung wurde ja schon genug informiert. Vor etwa 8 000 Jahren wurde in den Schöpfungsbericht – nach heutiger Übersetzung – Folgendes geschrieben: Und Gott schuf die Frau als eine ebenbürtige Gefährtin des Mannes. – Ebenbürtig! 8 000 Jahre hat es gedauert, und wir haben mit dieser Ebenbürtigkeit immer noch nicht genug angefangen, obwohl die großen monotheistischen Religionen – das Judentum, der Islam und auch das Christentum – sich genau auf dieses Buch berufen. Damit, die Ebenbürtigkeit zu erkennen, haben wir aber tatsächlich immer noch große Probleme. Ich hebe das Erkennen deshalb hervor, weil wir in unserer Perspektive immer sehr von Geld und von Macht geprägt werden. Wenn wir die Macht und das Geld teilen – so sind ja auch viele unserer Vorlagen und Bemühungen –, dann denken wir immer, wir hätten für die Frauen schon das Beste getan. Frauen wollen aber nicht Männer werden. ({0}) Genauso wie ich es als Mann schwer habe, mich in meiner neuen Rolle zurechtzufinden ({1}) – lassen Sie mich mal ausreden; hören Sie einfach mal zu; das tut Ihnen gut –, ({2}) so müssen wir auch einmal die Leistungen der Frauen über die vielen Jahrhunderte hinweg sehen. Wenn Frauen sich verweigern würden, wenn sie keine Kinder mehr zur Welt bringen würden, wenn sie nicht mit dem hohen Maß an Empathie ausgestattet tatsächlich Gesellschaft und Welt zusammenhalten würden, ({3}) was wäre denn dann? ({4}) Daran sehen wir, dass Frauen über die lange Zeit der Geschichte eine unerhörte Leistung erbracht haben. Ich denke, genau daran müssen wir uns jetzt ausrichten. ({5}) Wir müssen der Frau die Rolle zuerkennen in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben, die ihr gebührt, und diese auch anerkennen. Dafür ist die Stiftung ein gutes Instrument, denke ich; denn sie kann durchaus, Frau Bauer, genau dieses atmende System sein. Die Satzung, so wie sie jetzt ist, gibt ihr durchaus die Möglichkeit. Ich halte sie für ein Signalsystem, das tatsächlich am Puls der Gesellschaft aufnimmt: Wo haben wir Handlungsbedarf? In einem großen Kommunikationssystem verortet, kann sie dann auch die Kommunikation zwischen Regierung und Parlament immer wieder herstellen. Der Gleichstellungsbericht wird dort verortet sein, und es soll nicht nur ein Bericht sein, sondern ein lebendiges Bemühen, dass die Frauen das sind, was ich mir wünsche und Gott sei Dank immer erfahren habe: ({6}) eine wunderbare Gefährtin in meinem Leben. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu spät, Kollegin Schauws. Ich konnte nicht ahnen, dass der Kollege Patzelt seine Redezeit nicht ausschöpft. – Ich schließe die Aussprache.

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mitglied dieses Hohen Hauses zu sein, ist Ehre und Verpflichtung zugleich. Wer dieses Mandat ausüben darf, muss sich dabei allein am Nutzen für das Gemeinwohl orientieren. Haltung, Anstand und Integrität sind unverzichtbare Voraussetzungen für die Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter, eine Tätigkeit im Übrigen – auch das muss man an dieser Stelle sagen –, die angemessen und vor allem ausreichend bezahlt ist. Für die ganz überwältigende Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion kann ich sagen, dass sie diesen Anspruch lebt und sich tagtäglich mit viel Einsatz im besten Sinne für das Wohl unseres Landes engagiert. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass einige frühere Mitglieder unserer Fraktion ({0}) diesem Anspruch nicht gerecht geworden sind und das Vertrauen, das Wählerinnen und Wähler in sie gesetzt haben, schwer enttäuscht haben. Dass die Menschen in unserem Land darüber empört sind, kann ich gut nachvollziehen. Ich kann Ihnen versichern: Mir und den anderen Mitgliedern meiner Fraktion geht es genauso. Schlimm ist, dass es auf alle abfärbt – auf die Anständigen, auf die Politik insgesamt, auf die Institution Bundestag. Deshalb sollte man das Fehlverhalten Einzelner auch nicht als systemisch darstellen. Wir alle nehmen dann in unserer Demokratie noch mehr Schaden. ({1}) Aber – auch das gehört zur Wahrheit – ich hätte mir das, was jetzt bekannt geworden ist, beim besten Willen nicht und nicht in diesem Ausmaß vorstellen können. ({2}) Ich habe eben beschrieben, was ich von einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages erwarte. Für mich ist das eigentlich selbstverständlich. Daher bedurfte es bisher auch keiner gesetzlichen Regelung dafür. Leider musste ich mich, mussten wir uns eines Besseren belehren lassen. Wir haben jedenfalls verstanden, dass wir ohne deutliche und klare Gesetzesverschärfungen nicht mehr auskommen. Es gilt, jetzt diese Dinge schnell und entschieden anzugehen und zu lösen. Daher haben wir als Union früh – das heißt, kurz nach Bekanntwerden der ersten Fälle – eine Transparenzoffensive beschlossen. ({3}) Die Koalition hat sich, wie Sie vielleicht schon den Medien entnehmen konnten, auf dieser Grundlage auf einen gemeinsamen Maßnahmenkatalog verständigt, den wir jetzt zeitnah in einen gemeinsamen Gesetzentwurf gießen wollen. Was ist unser Maßstab? Erstens. Transparenz ist kein Selbstzweck. Es geht darum, mögliche Interessenkonflikte bei Tätigkeiten von Abgeordneten offenzulegen bzw. auszuschließen. Allerdings sind dabei die Freiheit des Mandats und die Berufsfreiheit, also Artikel 38 und Artikel 12 Grundgesetz, zu beachten. Zweitens. Wenn es einen politischen und gesellschaftlichen Konsens gibt, dass eine bestimmte Art von Geschäften der Abgeordneten per se unmoralisch und mit Blick auf damit verbundene Interessenkonflikte gefährlich ist, ist es nur logisch und konsequent, diese auch gesetzlich zu verbieten und Verstöße hart zu sanktionieren. Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Union ist stolz darauf, dass Freiberufler, Unternehmer, Ärzte, Landwirte und Handwerker in unseren Reihen im Bundestag sind. Was wir nicht wollen, ist ein reines Beamtenparlament oder nur noch Politiker, die aus dem Hörsaal, vielleicht über den Umweg der Mitarbeit bei einem Abgeordneten, im Plenarsaal landen. ({4}) Worauf haben wir uns mit der SPD konkret verständigt? Wir wollen in Zukunft anzeigepflichtige Einkünfte aus Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen betragsgenau auf Euro und Cent veröffentlichen. Einkünfte sind nicht anzuzeigen, wenn sie im Monat unter 1 000 Euro bzw. in der Jahressumme unter 3 000 Euro liegen. Beteiligungen an Aktiengesellschaften und Beteiligungen an sonstigen Gesellschaften sollen ab 5 Prozent angezeigt und veröffentlicht werden. Einkünfte aus anzeigepflichtigen Unternehmensbeteiligungen, zum Beispiel Dividenden und Gewinnausschüttungen, sollen ebenfalls anzeige- und veröffentlichungspflichtig werden. Auch Aktienoptionen unterfallen der Anzeige- und Veröffentlichungspflicht, und zwar unabhängig von der Frage, ob sie einen bezifferbaren Wert haben. Das soll auch für vergleichbare Finanzinstrumente gelten. Ein zentraler Punkt, bezogen vor allem auf die inkriminierten Fälle, wenn ich so sagen darf: Bezahlte Lobbytätigkeit von Abgeordneten für Dritte gegenüber der Bundesregierung oder dem Bundestag soll gesetzlich verboten werden. Es ist klar, dass wir im Einzelfall noch genaue Abgrenzungsarbeit zu leisten haben, damit wir zum Beispiel Tätigkeiten im ehrenamtlichen Bereich gegen Aufwandsentschädigung nicht grundsätzlich ausschließen. Der Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zu geschäftlichen Zwecken ist heute schon unzulässig. Wir wollen das aber gesetzlich verbieten und mit Sanktionen versehen. Auch Honorare für Reden und Vorträge von Abgeordneten sollen verboten werden. Das ist eine Kerntätigkeit, die mit dem Mandat verbunden ist, für die wir keine zusätzliche Bezahlung und Honorierung erwarten können. ({5}) Wir wollen die Möglichkeit der Abschöpfung verbotener Einnahmen schaffen. Wer aus unzulässigen Geschäften Einnahmen hat, muss diese abführen; zusätzlich kann ein Ordnungsgeld verhängt werden. Schließlich wollen wir den § 108 e Strafgesetzbuch verändern. Hochstufung zum Verbrechen ist das Stichwort. Auch die Entgegennahme von Geldspenden durch Abgeordnete soll in Zukunft verboten werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, an die Opposition gerichtet will ich sagen: Sie sehen, unsere Vorschläge gehen noch einmal über das hinaus, was Sie vorgelegt haben. Wir werden unsere Vorschläge in der Koalition jetzt zügig umsetzen und einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeiten. Ich lade alle demokratischen Fraktionen ausdrücklich ein, sich daran konstruktiv zu beteiligen. Wir sind für Gespräche immer offen. Ich denke, unsere Vorschläge innerhalb der Koalition sind die richtige Antwort auf die Vorfälle, die in den letzten Wochen bekannt geworden sind. Sie können dazu beitragen, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und für die Zukunft sicherzustellen, dass so etwas möglichst nicht mehr passiert. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Seitz für die AfD-Fraktion. ({0})

Thomas Seitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004891, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich bin von den Ausführungen des Kollegen sehr angetan gewesen, aber ich will das erst einmal schwarz auf weiß sehen und abwarten, ob nicht, wie gestern beim Lobbygesetz, nachher eine Regelung kommt, die mehr verdunkelt als erhellt. Meine Damen und Herren, meine gestrige Warnung vor der Kripo im Plenarsaal erfolgte nicht ohne Grund. Im Verfahren gegen MdB Nüßlein und MdL Sauter erging der erste Haftbefehl, zwar nur gegen einen Geschäftspartner, aber die Einschläge kommen näher. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der erste Haftbefehl gegen ein Mitglied des Hohen Hauses folgt. Anträge für strengere Regeln werden – so war es in der Vergangenheit – durch die Bank abgelehnt – auch durch die Regierungsbank. Aber warum eigentlich? Können Sie das den redlichen Abgeordneten in Ihren Reihen überhaupt erklären? Leider scheint deren Zahl ja permanent zu schrumpfen. Zuletzt wurden über den CDU-Abgeordneten Joachim Pfeiffer verstörende Einzelheiten berichtet. So sei sein Wahlkreisbüro auch Telefonzentrale für zwei der drei von ihm neben dem Mandat gegründeten Unternehmen und so bessere er sein Tageshonorar von 3 000 Euro netto mit der Untervermietung seines Wahlkreisbüros auf. Angesichts der jüngsten Ereignisse bin ich einfach schockiert, und ich bin zornig: schockiert, dass der Saustall noch viel schlimmer ist, als ich mir je träumen ließ, und zornig, weil der Bürger dieses Gebaren seit Jahren ohnmächtig beobachten muss. ({0}) Jetzt noch zu drei wesentlichen Gesichtspunkten der heute debattierten Anträge. Erstens. Bei der Veröffentlichung der Nebeneinkünfte ist es nicht entscheidend, dass diese auf den Cent genau angegeben werden. ({1}) Ich hätte kein Problem damit – null ist null, egal wie veröffentlicht wird –, aber notwendig ist es nicht. Die Stufenregelung in den Verhaltensregeln ist im Grunde sinnvoll, nur müsste ab Stufe sieben unbedingt nachgebessert werden. Selbstverständlich hört Transparenz nicht bei 250 000 Euro auf, wie es bisher der Union genügt hat. Das sind wir den Bürgern schuldig. ({2}) Zweitens. Mit der Lobbytätigkeit von Abgeordneten muss Schluss sein. Jeder muss sich entscheiden, ob er sich als Mietmaul verdingen oder ob er Vertreter unseres Volkes sein will. Beides geht nicht. ({3}) Drittens. Aktienoptionen als Entgelt für Tätigkeiten von Abgeordneten müssen verboten und das Halten von Optionen muss veröffentlichungspflichtig werden. Warum? Anders als bei einem fixen Geldbetrag steht der Wert von Optionen nicht exakt fest und kann beeinflusst werden. Als ich anlässlich der Affäre um Philipp Amthor in der Rechtstellungskommission das Thema Optionen angesprochen habe, hat der verstorbene Vizepräsident Thomas Oppermann der kruden Unionsthese, die damals noch vertreten wurde, dass Optionen ja gar keinen Wert hätten, zu Recht heftig widersprochen und gerade Optionen wegen der Gefahr des damit verbundenen Moral Hazard als besonders problematisch bezeichnet. Auch das Halten von Optionen im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung ist nicht unproblematisch, da aufgrund der Hebelwirkung eine Beeinflussung des Kurses hochlukrativ ist und nicht mit der normalen Renditeerwartung von Wertpapieren im Verhältnis zum eingesetzten Kapital vergleichbar ist. ({4}) Der Bürger hat deshalb ein Recht, zu wissen, welcher Abgeordnete Aktienoptionen auf Hersteller von Windkraftanlagen erworben hat. Abschließend noch eine Anmerkung: Sie können es sich sparen, so wie gestern, zur Ablenkung Fehler im Umgang mit Spenden bei der AfD zu zitieren. Eine falsche Behandlung von Sachspenden ist der Unerfahrenheit einer jungen Partei geschuldet gewesen ({5}) und nicht im Ansatz mit Geldkoffern von Waffenhändlern zu vergleichen. Oder was meint Herr Schäuble dazu? Die dubiosen Überweisungen aus der Schweiz betreffen ein laufendes Verfahren. Sollte es sich gerichtlich bestätigen, dass es sich um eine unzulässige Parteispende gehandelt hat, habe ich keine Zweifel, dass die Verantwortlichen die notwendigen Konsequenzen ziehen. ({6}) Das ist für die AfD als Rechtsstaatspartei selbstverständlich. ({7}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Seitz, setzen Sie bitte die Maske auf. – Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern Abend gegen 22 Uhr nach langer Beratung im Bundestag das Lobbyregister beschlossen. Es gilt ab den nächsten Tagen: Wer in Deutschland lobbyiert gegenüber dem Bundestag und auch der Bundesregierung und so Einfluss nimmt, muss dies offenlegen. Diese Form der Transparenz ist entscheidend, um Vertrauen in die Demokratie zu erhalten und in Teilen zurückzugewinnen. ({0}) Heute kommen wir zu einem zweiten Punkt. Aufgrund eines Antrags der Linksfraktion debattieren wir über Fragen, die uns Abgeordnete selbst betreffen: Was steht im Mittelpunkt unseres Mandats? Was sind möglicherweise Nebentätigkeiten, die von Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Gründen ausgeübt werden? Gibt es darüber Transparenz? Wir hätten uns als SPD-Fraktion vorstellen können, dies transparent zu machen, uns schon sehr viel früher darüber zu einigen und es auch dem Bundestag vorzulegen. Das war bisher mit der Unionsfraktion nicht möglich. Ich bedauere sehr, dass das erst jetzt gelingt. Aber ich habe Ihre Rede, Herr Kollege Schnieder, gehört und auch sehr ernst genommen. Ich will grundsätzlich meinen Respekt dafür zollen, dass Sie sich als Fraktion sehr eindeutig und schnell entschlossen haben, sich von den Kolleginnen und Kollegen zu trennen, ({1}) die wahrscheinlich korrupt waren oder in einer Aasgeiermanier mit der Krise Geschäfte gemacht haben, wie es moralisch nicht anständig ist. Von daher will ich nur sagen: Gut, dass das jetzt gelingt, gut, dass wir einen Schritt gehen können! Ich bestätige hiermit die Einigung, die Sie eben genannt haben, zu den Fragen der Transparenz, der Offenlegung von Nebentätigkeiten. Ich empfinde es – das will ich auch mal klar sagen – als eine große Ehre, als Abgeordneter hier sein zu dürfen. Meinen Wahlkreis, Erfurt und Weimar, hier vertreten zu dürfen, ist eine große Ehre; aber ich begegne dem auch mit Respekt. Ich habe immer verteidigt, dass wir eine die Unabhängigkeit sichernde Bezahlung bekommen, nämlich 120 000 Euro im Jahr brutto als Diät, also sehr viel Geld. Damit gehören wir zu den Top 10 Prozent der Verdiener in Deutschland; das muss man wissen. Und dann, finde ich, ist es nur angemessen, wenn die Bevölkerung klar weiß, dass – erstens – das Mandat im Mittelpunkt steht und – zweitens – niemand sonst noch Einfluss auf den Abgeordneten oder die Abgeordnete nimmt. ({2}) Das gehört zusammen. Aus diesem Grunde haben wir uns geeinigt: Wir werden in der nächsten Sitzungswoche einen Gesetzentwurf vorlegen, der das Abgeordnetengesetz neu strukturiert und die verschiedenen Verhaltensregeln, die wir haben, unter einen Hut bringt, sie transparenter macht. Wir werden eine niedrige Grenze von 1 000 Euro im Monat oder 3 000 Euro im Jahr festlegen, bei deren Unterschreitung man nur den Auftraggeber angeben muss. Ansonsten wird die Forderung, die wir von Anfang an hatten, nämlich eine Pflicht, auf Heller und Cent offenzulegen, woher Nebeneinkünfte kommen, umgesetzt. Das ist wichtig, und dafür danke ich. Ich glaube, wir werden dafür eine große Mehrheit hier im Hause finden. ({3}) Es geht hierbei auch um den Punkt einer möglichen Unternehmensbeteiligung. Ich komme aus Thüringen; der Fall des ehemaligen Abgeordneten Hauptmann geht durch die Republik. Man sieht mit Entsetzen, wie er wirklich schamlos an der Krise verdient hat, und zwar über die Beteiligung an einem Unternehmen. Er hatte die Ehrenerklärung der Unionsfraktion unterschrieben. Das ging nur, weil der Gewinn des Unternehmens verschleiert wurde. Von daher ist für uns entscheidend, dass wir eine Anzeigepflicht für den Fall einführen, dass ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete an einem Unternehmen beteiligt ist, und zwar ab einer Beteiligungsquote von 5 Prozent. Das heißt: Sind sie an einer AG, einer GmbH, einer GbR, einer OHG oder woran auch immer beteiligt, müssen sie es offenlegen. Das ist auch ein Schritt zur Transparenz, der für uns zwingend notwendig ist, weil sonst über Thesaurierung natürlich auch Gewinne verschleiert und erst nach dem Ende der Abgeordnetentätigkeit ausgezahlt werden könnten. Das wollen wir nicht. Wir wollen ein Verbot der Lobbytätigkeit von Bundestagsabgeordneten neben ihrem Mandat. Wir wollen die Einstufung der Abgeordnetenbestechung als Verbrechen. Das alles sind notwendige Schritte, die hoffentlich dazu führen, dass die Verfehlungen Einzelner, der verlorene moralische Kompass Einzelner, nicht auf das ganze Haus abfärben, sondern das ganze Haus letztendlich die Reputation zurückgewinnen kann, die durch Abgeordnete der Unionsfraktion leider in Mitleidenschaft gezogen wurde. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Marco Buschmann für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schwere Verfehlungen hat es gegeben. Deshalb ist es gut, dass wir die Dinge aufbereiten. Dass sich allerdings die Abgeordneten der AfD im Zusammenhang mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren hier als Saubermänner gerieren, entbehrt doch nicht einer gewissen Komik; denn wenn man allgemein zugängliche Quellen zurate zieht, dann erkennt man, dass die einsamen Spitzenreiter bei den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren Ihre Kollegen sind, Herr Seitz. Das gehört auch zur ganzen Wahrheit. ({0}) Viele Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben zu allem Möglichen gesprochen, nur nicht zu dem Antrag, der uns vorliegt. Deshalb erlaube ich mir auch, kurz etwas zu dem Antrag zu sagen, der uns vorliegen sollte. Die Fraktion Die Linke hat einen Gesetzentwurf erstellt. Man muss diesem Gesetzentwurf nicht in jedem Punkt zustimmen, man kann ihn sogar ablehnen. Aber wenn man hier über Transparenz spricht, dann hätte die Öffentlichkeit die Transparenz darüber verdient, wie man in der Sache steht. ({1}) Diesen Gesetzentwurf intransparent zu versenken, wird dem Transparenzanspruch nicht gerecht. ({2}) Damit nicht zu viel Harmonie zwischen FDP und Linke aufkommt, ({3}) will ich zum Antrag in der Sache hier eines sagen: Dass der Bundestagspräsident ohne Ausnahme demnächst dafür sorgen soll, dass beispielsweise auch Anwälte die Branchen ihrer Mandanten angeben, ist vermutlich in 90, vielleicht sogar in 99 Prozent der Fälle in Ordnung. Da, finde ich, kann man das auch machen. Aber Sie erinnern sich: Vor dem Bundesverfassungsgericht sind genau diejenigen Fälle verhandelt worden, in denen die Angabe einer bestimmten Branche, die oligopol- oder monopolartig strukturiert ist, im Prinzip das Mandatsgeheimnis aufhebt. Deshalb wäre beispielsweise eine Sollregelung besser gewesen als eine Mussregelung, und deshalb lehnen wir Ihr Anliegen ab. Das Anliegen im Kern ist gut, man muss es aber handwerklich besser machen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({4}) Wir haben diesem Haus auch einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der eines der vielen Probleme hier angeht – es ist verschiedentlich angesprochen worden –: das Thema der Aktienoptionen. Was die Aktienoptionen angeht, gibt es Gott sei Dank Einigkeit; denn in der Tat ist die Option verführerischer als ein fixer Geldbetrag. Wir sollten aber nicht nur punktuell die Probleme, die jetzt aufgetaucht sind, lösen, sondern das gesamte Problemgebiet angehen. Es gibt nicht nur Aktienoptionen; es gibt auch andere sogenannte incentivierende Finanzderivate – so würden es die Fachleute sagen –, die Anreizmechanismen auslösen. Deshalb haben wir Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der nicht nur die Aktienoptionen regelt, sondern auch andere Derivate wie Future-Kontrakte. Wir lösen das Problem umfassend und nicht nur punktuell. Ich werbe deshalb um Zustimmung für unseren Gesetzentwurf. ({5}) Was das Gesamtthema angeht, ist hier schon viel Kluges und Richtiges gesagt worden. Es ist unerträglich, wenn einige hier, manchmal sogar ohne Beruf und ohne Geschäft, in den Bundestag kommen und dann aus der Gewährung politischen Zugangs einen Beruf oder ein Geschäft machen wollen, um ihr Mandat zu versilbern. Das ist heute schon ein Verstoß gegen die Verhaltenspflichten, und wenn das nicht ausreicht, finde ich es auch richtig, die Regeln zu verschärfen und auch zu sanktionieren. Solche Kollegen schaden dem Ansehen des Deutschen Bundestages. ({6}) Wir müssen aber am Ende auch auf eines aufpassen: Es gibt genauso – und das ist die große Vielzahl – Kollegen, die selbstständige Handwerksmeister sind, die eine Freiberuflerpraxis haben, die Unternehmer sind, die sich vor dem Einzug in den Bundestag anständig und legal einen eigenen Geschäftsbetrieb aufgebaut haben. Ich will in Erinnerung rufen: Die durchschnittliche Verweildauer des Abgeordneten in diesem Haus beträgt acht Jahre. Einige glauben ja, es sei irgendwie erstrebenswert, hier erst im Pensionsalter rauszugehen, aber die Wahrheit ist: Die durchschnittliche Verweildauer beträgt acht Jahre. Nach diesen acht Jahren kehrt der Beamte auf seinen alten Dienstposten zurück, und das ist auch richtig und gut so. Nach diesen acht Jahren kehrt der Angestellte in seine alte Position zurück; das ist richtig und gut so. Deshalb muss auch der anständige Selbstständige, der anständige Handwerksmeister, der anständige Unternehmer eine Möglichkeit haben, nach acht Jahren in seinen aufgebauten Geschäftsbetrieb zurückzukehren, und deshalb muss er die Möglichkeit haben, ihn am Leben zu erhalten, meine Damen und Herren. ({7}) Wir haben nicht zu viel unternehmerischen Sachverstand in diesem Haus, wir haben zu wenig. Deshalb verbitte ich mir jede pauschale Diskriminierung und Inkriminierung unserer Kollegen, die einen anständigen Geschäftsbetrieb aufgebaut haben. ({8}) Diese Kollegen stellen übrigens in ihrer ganz großen Mehrheit das Mandat in den Mittelpunkt; ich habe das früher in der Fraktion erlebt, ich erlebe das jetzt. Ein ehemaliger Kollege von mir war Bäckermeister. Er hat einen anderen Bäckermeister angestellt. Da blieb am Ende des Jahres nicht viel übrig, aber der angestellte Bäckermeister hat den Betrieb am Leben erhalten und hat dafür gesorgt, dass die Angestellten noch einen Job hatten. Der Kollege hat sich ganz dem Mandat gewidmet. Das erkennt man an den Nebeneinkünften nicht. Zur Belohnung darf der Kollege die Umsätze angeben; ich finde, das ist in Ordnung. Wir sollten aber aufhören, mit dem Finger auf die bloßen Umsätze zu zeigen und daraus einen Rückschluss auf den Anstand der Kolleginnen und Kollegen zu ziehen. ({9}) Wer Sauereien betreibt, der gehört angeprangert, aber nicht pauschal. Meine Damen und Herren, es gibt ja nicht nur dieses Beispiel. Die Kollegen der Union haben viel Prügel eingesteckt, deswegen will ich ein lobendes Beispiel bringen: Der Kollege Marian Wendt ist Ehrenämtler. Er ist Präsident der Bundesvereinigung des THW, und ich finde es gut, dass das so ist; ich will nicht, dass sich das Parlament von der Gesellschaft entkoppelt. Dieser Kollege hat bei der Befragung der Bundeskanzlerin Fragen, die auch das THW betreffen, gestellt. Das kann man als Lobbyismus bezeichnen, aber er hat es transparent vor aller Öffentlichkeit gemacht. Ich finde, wir müssen bei allen Regeln, die jetzt notwendig sind, aufpassen, dass wir nicht das Ehrenamt und die Selbstständigkeit systematisch aus diesem Parlament vertreiben; das jedenfalls ist mit den Freien Demokraten nicht zu machen. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute einen Antrag vorgelegt. Herr Buschmann, ich lade auch Sie ein – mach mit, mach’s nach, mach’s besser –, dass wir hier handwerklich noch etwas Besseres hinbekommen; aber immerhin haben wir heute etwas vorgelegt, über das wir entscheiden können. Ich möchte etwas Grundsätzliches zu der Situation sagen, in der wir über dieses Thema diskutieren. Es ist entscheidend, zu verstehen, warum das Thema in der Öffentlichkeit solche Wellen schlägt. Man muss einordnen, was gesellschaftspolitisch gerade in diesem Land passiert. Wir haben auf der einen Seite, bedingt durch Corona, gerade das Impfdesaster, das Testdesaster und schwerste persönliche Einschränkungen, die die Menschen in Kauf nehmen und in Kauf nehmen müssen, sowie ein völliges Chaos in der Bundesregierung; so nehmen die Leute die Situation wahr. Auf der anderen Seite nehmen sie im selben Zeitraum wahr, dass der Bundesgesundheitsminister auf einem Spendendinner abhängt und dort zufällig alle Gäste 9 999 Euro an seinen Kreisverband spenden. Man muss wirklich sagen: Da stimmt der Kompass vollständig nicht. ({0}) Während sich Pflegekräfte, Ärzte und Kassiererinnen und Kassierer im wahrsten Sinne des Wortes krummmachen, und das jeden Tag, und Menschen in Kurzarbeit nicht wissen, wie sie durch den Monat kommen, gibt es einige Abgeordnete – insbesondere die CDU/CSU ist hier auffällig geworden –, die sich ohne Ende die Taschen vollstopfen: Hauptmann, Löbel, Nüßlein, Pfeiffer, Sauter. Ich habe eben gelesen, dass sich auch der ehemalige Kollege Peter Gauweiler noch nebenbei ein kleines Taschengeld dazuverdient hat, während er hier Abgeordneter gewesen ist. Das kriegen die Menschen mit. Dass das alles wahrscheinlich nur Einzelfälle sind? – Ich glaube mittlerweile nicht mehr daran. Sie müssen überlegen: Wie wirkt das auf die Menschen? Und vor allem: Wie wirkt das auf die Menschen in dieser Situation? Deswegen kann man sich keinen schlanken Fuß machen, sondern man muss sagen: Jetzt ändern wir mal irgendwas. Seit Jahren, Legislaturperiode um Legislaturperiode, werden hier entsprechende Verbesserungen vorgeschlagen, und es ist immer wieder an Ihnen gescheitert. Das ist die Wahrheit, und das muss so ausgesprochen werden. ({1}) Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, müssen Sie, wenn Sie für diese wirtschaftlichen Verquickungen gar kein Gespür mehr haben, für die Unmengen an Kohle, die dort fließen – es ist für normale Menschen überhaupt nicht vorstellbar, um was für Beträge es geht –, einfach mal darüber nachdenken, in was für einer Umgebung Sie sich eigentlich aufhalten. Das scheint wirklich abzufärben. Das ist, glaube ich, ein ganz großes Problem. ({2}) Ich will jetzt nicht auf irgendwelche Positionspapiere zu sprechen kommen, wie sie jetzt hier gerade von Carsten „Genosse“ Schneider großartig vorgetragen worden sind. Die kommen immer, wenn wieder irgendetwas gewesen ist; das kennen wir schon. Ich glaube erst daran, dass etwas passiert, wenn hier etwas schwarz auf weiß vorliegt. ({3}) Kollegin Haßelmann hat es letztens deutlich gesagt: Geschwätzt wurde genug. Legt jetzt auch endlich was vor! Wir haben einen Antrag vorgelegt; dem können Sie heute zustimmen. Sie könnten sich die ganzen komischen Runden abends um 22 Uhr sparen, indem Sie einfach zustimmen; denn der Inhalt unseres Antrags entspricht ja offensichtlich Ihrer Intention, wie auch Kollege Schnieder hier vorgetragen hat. ({4}) Genau das liegt heute zur namentlichen Abstimmung vor: die Nebeneinkünfte auf Euro und Cent auszuweisen und vor allem Branchenangaben einzuführen. Das können wir heute hier beschließen. ({5}) Sparen Sie sich Zeit und Ärger. Und vor Ostern wäre das das richtige Signal an die Bürgerinnen und Bürger. In dem Zusammenhang will ich etwas gegenüberstellen, damit man einfach mal versteht, wie das wirkt; das ist, finde ich, nämlich eine ganz zentrale Frage. Von jedem Hartz-IV-Empfänger erwartet man – und man setzt es durch –, dass er alles offenlegt. In der „Berliner Zeitung“ war dazu ein wirklich guter Artikel – ich möchte daraus vortragen, damit man sieht, worüber wir hier reden –: Von denen, die am wenigsten haben, wird aus Gründen der Kontrollierbarkeit die größtmögliche Transparenz verlangt – während man denjenigen, die das Volk im Parlament vertreten, offenbar zutraut, mit Nebeneinkünften verantwortungsvoll umzugehen. Die Erfahrung der letzten Wochen zeigt: Es ist vielmehr umgekehrt. ({6}) Das ist der Kern, um den es hier geht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen sollten wir heute hier handeln. ({7}) Jetzt will ich noch mal eines deutlich sagen – das hat der Kollege Buschmann hier angesprochen –: Glauben Sie nicht, dass Sie hier einfach so rauskommen. Ein großes blaues Auge wird bei Ihnen bleiben. Wir als Linksfraktion haben vor Wochen einen eigenen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht mit dem Ziel, bezahlte Lobbytätigkeit von Abgeordneten schlicht zu verbieten. Seit Wochen liegt der im Parlament. Wir haben in den letzten beiden Sitzungswochen, Kollege Sensburg, darum gebeten, im Geschäftsordnungsausschuss und im Rechtsausschuss endlich eine Beschlussempfehlung zu formulieren, damit wir heute – wir hätten sogar schon letzte Woche darüber entscheiden können – entsprechend abstimmen können. Sie sind ja jetzt offenbar dafür. ({8}) Zweimal – das müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen, damit sie einordnen können, was hier für Reden gehalten werden – wurde er, und zwar mithilfe der SPD – das ist übrigens besonders bitter –, von der Tagesordnung des Geschäftsordnungsausschusses genommen, und zwar nur aus einem Grund: damit wir hier und heute nicht darüber entscheiden können. ({9}) Das ist das Allerletzte, das ist schäbig. So geht es nicht. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({10}) Sie haben, finde ich, eine große Chance vertan. Wir haben Ihnen sozusagen eine kleine Hilfestellung gegeben, und wir hätten gemeinsam eine Regelung verabschieden können. Ich habe im Übrigen vor zwei Wochen an Ihre Fraktion, an alle Fraktionen, einen Brief geschrieben, und gefragt, ob wir uns nicht interfraktionell einigen könnten; denn ich weiß, dass Sie sehr ideologisch sind ({11}) und grundsätzlich selbst den klügsten Anträgen der Linken nicht zustimmen, weil „Die Linke“ draufsteht. ({12}) Ich habe in einem Brief an Sie, an die SPD und die CDU/CSU, geschrieben, dass wir bereit wären, unseren Antrag – weil Sie mit dem Einreicher ideologische Probleme haben – zugunsten einer gemeinsamen Regelung zurückzuziehen, die wir hier und heute hätten beschließen können. Ich habe von beiden Fraktionen nicht mal eine Antwort bekommen. ({13}) Das ist schlechter Stil! ({14}) Da wir höfliche Menschen sind, Kollege Schnieder: Sie haben uns, die demokratischen Fraktionen, eben eingeladen, dass wir gemeinsam etwas machen können. Wir nehmen die Einladung sehr gerne an und werden konstruktiv mitarbeiten. ({15}) Mal gucken, ob es wieder nur Geschwätz ist oder was da kommt. In diesem Sinne. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich knüpfe an die Rede von Herrn Korte an. Auch wir haben der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU/CSU, der Fraktion der FDP und der Linken geschrieben. Wir haben die Generalsekretäre und die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer angeschrieben – schon vorletzte Woche, nach Bekanntwerden der ersten Skandale – und darum gebeten, dass wir im Parlament gemeinsam etwas beschließen, weil durch die Bestechung, durch die Korruption, durch die Geschäftemacherei Einzelner eine tiefe Vertrauenskrise entstanden ist. Diese Vertrauenskrise hat das ganze Parlament getroffen. Deshalb haben wir Sie angeschrieben, genau wie die Linken. Wir haben von Ihnen noch nicht einmal eine Antwort erhalten, meine Damen und Herren! So ist die Lage. Und dann sagen Sie heute mit großer Geste: Wir laden Sie alle ein. Kurz vor der Debatte haben wir das Eckpunktepapier an die „Tagesschau“ lanciert. – Ich hätte anderes erwartet nach dem Gesprächsangebot, das wir Ihnen gemacht haben. ({0}) Am Dienstag in der Geschäftsführerrunde haben wir noch einmal insistiert, noch einmal gefragt, ob wir nicht reden sollen. Der Kollege Schneider hat nach dreimaliger Aufforderung geantwortet. Herr Grosse-Brömer hat uns erklärt, nein, jetzt mit uns zu reden, ginge auf keinen Fall, das würden sie erst in der Koalition, dann kämen sie irgendwann auf uns zu. So sieht Zusammenarbeit aus? Ich habe davon eine andere Vorstellung, vor allen Dingen in einer solch kritischen Frage. ({1}) Nun weiter in der Sache. Nüßlein, Löbel, Hauptmann, Sauter, allesamt von der CDU/CSU, bereichern sich persönlich im Rahmen der Maskenaffäre und betreiben Geschäftemacherei in und durch die Coronakrise, während gleichzeitig so viele Menschen, Unternehmen, Familien und Kinder unter der Pandemie leiden. Das ist zutiefst unanständig, und das spüren die Menschen. Das ist schäbig, meine Damen und Herren! ({2}) Eduard Lintner von der CSU, Axel Fischer, Tobias Zech, allesamt sind sie in die Aserbaidschan-Affäre verstrickt. Auch das wissen die Menschen inzwischen. Die Menschen nehmen das wahr. Das sind keine Einzelfälle. Gauweiler, bis 2015 CSU-Bundestagsabgeordneter, hat während seiner Zeit im Bundestag in den Jahren 2008 bis 2015 Beraterhonorare in Höhe von 11 Millionen Euro kassiert. Es gab offenbar – so die Presseberichterstattung – regelmäßig Rechnungen über vereinbarte Pauschalhonorare von oder an einen gewissen Herrn Finck. Der Name Finck kam uns zuletzt im Zusammenhang mit dem Parteispendensumpf der AfD unter. Da wurde der Name Finck genannt, und jetzt bei Gauweiler wieder. Im Übrigen hat die AfD aus meiner Sicht längst jede Glaubwürdigkeit in dieser Frage verloren, ({3}) ja, sie hat sie nie gehabt. 500 000 Euro Strafzahlungen haben die Herren und Damen von der AfD bisher entrichtet. Weitere Verfahren sind in Prüfung. Also, Leute, die sich nicht an Recht und Gesetz halten, haben hier dem Parlament keine Ratschläge zu erteilen, meine Damen und Herren. ({4}) Alfred Sauter, CSU, offenbar tief verstrickt in die Maskenaffäre, blickt auf eine 40-jähige Parteikarriere in der CSU. Es reicht! Politiker Ihrer Partei machen sich den Staat zur Beute, mitten in der Pandemie. Es geht längst nicht mehr nur um Transparenz und Offenlegung von Lobbyarbeit, es geht um das Vertrauen in unsere Demokratie, es geht um das Ansehen von Politik insgesamt, und es geht verdammt noch mal auch um Anstand. ({5}) Hören Sie endlich auf, meine Herren und Damen von der CDU/CSU, von Einzelfällen zu reden. Das wäre der erste Anknüpfungspunkt für Besserungen. Das wäre der erste Anknüpfungspunkt für Änderungen. Die CDU/CSU hat ein strukturelles Problem, und das wissen Sie ganz genau. ({6}) Ein Blick in die Vergangenheit und ein Blick in die Gegenwart machen das deutlich: Schwarze Kassen, Amigo-Affäre, Affäre um Scheinselbstständigkeit von Verwandten, Amthor-Affäre, Aserbaidschan-Connection, Maskengeschäftemacherei, Vorwürfe zu Bestechung, Korruption und Bereicherung, die im Raum stehen, politische Landschaftspflege als Alltagsmodell sowie Vetternwirtschaft. Das ist ein strukturelles Problem, das hat System, und das haben Sie geduldet. Sie haben das mindestens geduldet. ({7}) Sie haben ein massives Problem bei der Frage des Verhältnisses von wirtschaftlicher Macht, Geld, Einfluss zu sauberer Politik und Gemeinwohl. Das müssen Sie erkennen. Warum haben Sie denn die letzten Jahre geschwiegen? Sie wussten doch, dass es solche Abgeordneten gibt wie den Kollegen Pfeiffer, die 15 Nebenjobs haben und mehr. Da kann man doch nicht sagen, es ginge um Berufstätigkeit Einzelner! Auch wir sind dafür; denn nicht alle sind im öffentlichen Dienst gewesen, und vielleicht will der eine oder andere in seinen Beruf zurückkehren. Aber bei 15 Nebeneinkünften und mehr hört es auf! ({8}) Oder nehmen Sie die Beratungshonorare, meine Damen und Herren. Die Höhe der Beratungshonorare von Herrn Ramsauer beträgt 500 000 Euro. Finden Sie das normal? Nein, ich finde es nicht normal, dass man neben seinem Abgeordnetenmandat hier im Bundestag, das im Mittelpunkt der Tätigkeit steht, so viel Geld verdient. ({9}) Wir können so weitermachen. Gauweiler war in der letzten Legislaturperiode bei über der Hälfte der namentlichen Abstimmungen nicht da. Hat Sie das interessiert? War das einmal Thema in Ihrer Fraktion? Tun Sie doch bitte nicht so, als seien das Einzelne, die jetzt aus Ihrer Partei ausgetreten sind. Sie haben da ein Problem. Was wir jetzt nicht brauchen, sind ein freiwilliger Verhaltenskodex, eine Ehrenerklärung. Das sehen Sie ja daran, dass auch Herr Hauptmann eine Ehrenerklärung unterschrieben hat. Ja, er hat vor zwei Wochen noch eine Ehrenerklärung unterschrieben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir brauchen jetzt konkrete Initiativen. Entgeltliche Lobbyarbeit muss endlich gestoppt werden, und wir brauchen viele weitere Punkte zur Verschärfung der Parteienfinanzierung. Dazu haben wir heute einen Antrag vorgelegt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Haßelmann, es tut mir leid. Sie müssen zum Schluss kommen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wissen Sie, dass wir heute darüber abstimmen? Wir haben einen Antrag hier vorliegen, über den wir sofort abstimmen können, der sämtliche Forderungen zu Transparenz und Veröffentlichungspflichten enthält.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die können bitte bis zur Abstimmung noch nachgelesen werden, aber nicht mehr vorgetragen werden.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darüber können wir heute abstimmen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt nichts zu beschönigen: Es ist eine schwierige Situation. Ich verstehe die Wut und die Empörung vieler Menschen über grobes Fehlverhalten. Es ist richtig und angemessen, dass die betroffenen Kollegen Konsequenzen gezogen haben. Von denjenigen, deren Konsequenzen noch nicht hinreichend bestimmt genug sind, also Mandatsniederlegung und Parteiaustritt, fordern wir, dass sie diese Konsequenzen auch noch ziehen. Wer sich in einer Notsituation persönlich bereichert, handelt ohne Anstand und ist dieses Bundestages unwürdig. ({0}) Im Interesse der parlamentarischen Demokratie insgesamt bitte ich aber auch darum, sich immer daran zu erinnern, dass es keinen Generalverdacht und keine Mithaftung gibt. Das Fehlverhalten mancher darf nicht zum Vertrauensverlust aller führen. ({1}) In jeder Fraktion gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich mit großem Einsatz ({2}) und hohem persönlichen Commitment für das Mandat im Wahlkreis und im Bundestag einsetzen. Das muss betont werden, weil wir nicht wollen, dass durch diese Vorkommnisse das Vertrauen in die Demokratie insgesamt zerstört wird. Es ist wichtig, dass jetzt Konsequenzen gezogen werden. Ausgangslage ist das Grundgesetz. Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen. ({3}) Aber man muss sich eben auch vor seinem eigenen Gewissen prüfen, wie stark man sich für das Mandat einsetzt. Wer immer die Ehre hat, hier im Deutschen Bundestag als Abgeordneter dienen zu dürfen – ich betone das Wort „dienen“ –, der sollte das mit Respekt und Dankbarkeit tun, der sollte nicht daran denken, was er nebenher verdienen kann, sondern wie er sich Verdienste um die Bevölkerung erwerben kann, meine Damen und Herren. ({4}) Entscheidend ist, dass das Mandat absolut im Mittelpunkt steht. Eine Vermischung des Mandats mit eigenwirtschaftlichen Interessen ist künftig zu unterbinden. Wir wollen und werden einen Gesetzentwurf vorlegen zum Verbot bezahlter Interessenvertretung. Einkünfte aus Nebentätigkeiten sollen abgesehen von denen unter einer Bagatellschwelle komplett auf Euro und Cent angegeben werden müssen. Wir wollen diese Transparenz, damit klar und deutlich wird: Wer immer etwas neben dem Mandat hinzuverdient, muss darüber Rechenschaft ablegen – vor dem Bundestag und vor der Öffentlichkeit. Durch diese Transparenz stellen wir Vertrauen wieder her. Und es ist auch nicht unzumutbar. Im Europäischen Parlament und im Europarat ist das übrigens auch nach der Aufarbeitung der Aserbaidschan-Affäre mittlerweile gang und gäbe. Es ist richtig, dass jeder sieht, was sich ein Kollege dazuverdient. ({5}) Klar ist aber auch: Wir wollen Nebentätigkeiten nicht ganz verbieten, weil wir ein Parlament für alle sein wollen. Wenn im Deutschen Bundestag nur noch Angehörige des Öffentlichen Dienstes säßen, dann hätten wir hier nur Abgeordnete, die mittelbar zu der Exekutive gehören – der Öffentliche Dienst wird ja der Exekutive zugeordnet –, die sie am Ende ja selbst kontrollieren wollen. Wir wollen hier auch Selbstständige, Ärzte und Handwerker haben, die sich selbstverständlich um ihr Mandat kümmern. Wichtig ist aber, dass wir kein reines Beamten- und Angestelltenparlament sind, sondern eine Vertretung des gesamten deutschen Volkes. ({6}) Entscheidend ist auch, dass wir über die Abgeordnetenbestechung sprechen, und zwar über den Tatbestand und über die Strafrahmenhöhe. Ich meine, es ist angemessen, dass wir deutlich machen: Wer einen Abgeordneten besticht, begeht ein Verbrechen, Mindeststrafe ein Jahr. Es geht darum, dass wir die Integrität des parlamentarischen Verfahrens insgesamt schützen. Wir müssen auch über den Tatbestand sprechen. Bei der Beamtenbestechung geht es nur darum, dass man einen Vorteil annimmt; das genügt. Bei Abgeordneten handelt es sich um einen ungerechtfertigten Vorteil. Vielleicht kann man das angleichen, sodass die Voraussetzungen wesentlich schärfer werden. Das alles wollen wir in einem Gesetzespaket vorstellen. Dahinter steckt eine klare Erwartung an uns selbst und an das Parlament. Wir wissen um die Vorfälle und um unsere Pflicht, diese aufzuarbeiten. Wir werden aber auch deutlich machen, worauf es ankommt: auf Respekt, Integrität und Anstand, auf die Würde des Hauses und auf Vertrauen in die Demokratie. Das werden wir durch ein kraftvolles Paket wiederherstellen und stärken, damit klar und deutlich wird: Es ist eine Ehre, hier im Deutschen Bundestag arbeiten zu dürfen. Das sollte man mit seiner ganzen Kraft tun, vom ersten bis zum letzten Tag seines Mandats. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Brandner für die AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Korruption kommt heute meistens subtiler daher als früher. Früher waren es 100 000 Mark im Koffer, heute geht es anders. Heute bekommt man lukrative, einflussreiche Posten oder Pöstchen für systemkonformes Verhalten oder postpolitisches Schweigen: die Präsidentenstelle beim Bundesverfassungsgericht, einen Vorstandsposten bei der Deutschen Bahn, oder man wird Präsidentin einer Bundesanstalt; dazu fallen einem gleich die Namen Harbarth, Pofalla und Nahles ein. Aber auch die Grünen, Frau Haßelmann, lassen sich nicht lumpen und gerne einkaufen: fliegende Wechsel zu Lobbyverbänden von Ihren früheren Vorsitzenden Gunda Röstel und Kerstin Andreae; Letztere wurde Hauptgeschäftsführerin bei einem Bundesverband. Das gehört ebenso zum guten grünen Ton wie die Wechsel des ehemaligen Staatssekretärs Berninger in die Süßwarenindustrie oder der ehemaligen Staatssekretärin Tritz in den Bereich der Dämmstoff- und Zigarettenindustrie. Und wer einen Lobbyjob nicht erreicht, intellektuell oder mental, wer aber trotzdem viel Geld braucht, der borgt es sich bei dubiosen Darlehensgebern; ich sage nur Cem Özdemir. ({0}) So weit die Vergangenheit. Nun hängt die Korruption, meine Damen und Herren, seit einigen Wochen wie ein Damoklesschwert über den Parteien, zuvörderst über CDU und CSU. Spötter sagen bereits, das C stünde für Clankriminalität. Aber stimmt das? Sind Amthor, Nüßlein, Spahn, die Familien Laschet und Baumüller-Söder, Sauter, Löbel, Fischer, Bareiß, Gauweiler, Zech, Pfeiffer – mit drei f –, Frau Hohlmeier – die Strauß-Tochter –, Frau Tandler – die Tochter des ehemaligen bayerischen Finanzministers –, Herr Hauptmann aus dem engsten Thüringer Mohring-Umfeld, Herr Lintner, Herr Caffier, Herr Imhoff, Herr Straub, Herr Rieger und wie sie alle heißen tatsächlich nur Einzelfälle, die gar nichts mit Korruption zu tun haben? Ich tendiere zu der Auffassung, dass es keine Einzelfälle sind; denn Korruption und Bestechlichkeit sind typisch für ein System, in dem immer die Gleichen irgendwo regieren und an den Schaltstellen der Macht sitzen. ({1}) Jahrzehntelange immer gleiche Regierungsbeteiligungen wecken Interessen bei Bestechern und Begehrlichkeiten auf der anderen Seite. Meine Damen und Herren, wir sehen an diesen Geschichten: Die Maxime „Dem deutschen Volke“, die draußen am Reichstag steht, gilt für Sie nicht mehr. Für Sie gilt die Maxime: „Wer wird Millionär?“ Und das ist verdammt schäbig, das sage ich Ihnen von hier vorne. ({2}) Interessant ist ja: Bei den ganzen Korruptionsfällen in diesem System, die jetzt bei den Jungspunden und Hinterbänklern aus CDU/CSU herauskamen, sind Millionenbeträge geflossen. Mich persönlich würde mal interessieren: Wie sieht es denn mit den Leuten aus, die vorne sitzen, die bei Ihnen tatsächlich Einfluss haben? Geht es da um sechs- oder um siebenstellige Summen? Da wird noch einiges zutage kommen; davon bin ich überzeugt. Zum Antrag selber. Um diesen Missständen beizukommen, helfen gesetzliche Vorschriften nur bedingt, und Ehrenerklärungen – ich sage nur: Hauptmann – helfen schon mal gar nicht. Gegen solche Auswüchse, gegen kleptokratische Anwallungen helfen nur ein grundlegender Politikwechsel und viele Jahre der Altparteien in der Opposition. Daran, meine Damen und Herren, arbeiten wir. Dafür arbeiten wir jeden Tag, von hier vorne und auf den Straßen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss es ja mal aussprechen: Die Skandale in der CDU und vor allem in der CSU haben auch ihr Gutes. Die von der linken Seite dieses Hauses immer schon erhobenen Forderungen nach mehr Transparenz bei Abgeordneten finden nun endlich Gehör. ({0}) Das ist schön und traurig zugleich. Es bedarf eben immer irgendwelcher Skandale; das haben wir auch beim Lobbyregister gesehen. Die Gespräche dümpelten zunächst so vor sich hin. Erst der Fall Amthor beschleunigte das Ganze ungemein, und die Maskenaffäre war dann ein regelrechter Turboverstärker für die Einigung. Das Gleiche gilt für die Abgeordnetentransparenz. Die SPD hat hier vor zwei Wochen einen Zehnpunkteplan vorgelegt. Daraufhin hat die CDU einen Zehnpunkteplan vorgelegt, und dann kam auch die CSU mit einem Zehnpunkteplan. Das war ein richtiger Überbietungswettbewerb, großartig! Man ist geneigt, zu sagen: Es geht doch. Heute haben wir es beschlossen, und die Pläne werden umgesetzt. Die Nachricht des Tages ist – man kann es nicht oft genug wiederholen –: Wir haben uns bei der Anzeigepflicht für Nebentätigkeiten geeinigt. Einkünfte aus Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen müssen künftig beitragsgenau auf Euro und Cent veröffentlicht werden, ({1}) und zwar dann, wenn sie den Betrag von 1 000 Euro im Monat oder bei ganzjährigen Tätigkeiten den Betrag von insgesamt 3 000 Euro übersteigen. Also: Jeweils 1 000 Euro im Januar, Februar, März, April sind schon zu viel und müssen angezeigt werden. ({2}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine geradezu revolutionäre Veränderung, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Die nächste gravierende Veränderung: Unternehmensbeteiligungen müssen künftig ab 5 Prozent der Gesellschaftsanteile veröffentlicht werden, egal ob es sich um Kapital- oder Personengesellschaften handelt. Ganz wichtig: Auch die daraus resultierenden Einkünfte müssen angezeigt und veröffentlicht werden. Herr Buschmann, Sie haben recht: Einkünfte sind nicht Umsätze; die derzeitige Regelung ist nicht gut und muss geändert werden. Wir werden sie auch ändern. ({3}) Aktienoptionen werden künftig anzeige- und veröffentlichungspflichtig sein. Das gilt unabhängig von der Frage, ob sie einen bezifferbaren Wert haben. Man sieht, der Fall Amthor hatte auch sein Gutes. Bezahlte Lobbytätigkeiten von Bundestagsabgeordneten gegenüber Bundesregierung oder Bundestag werden gesetzlich verboten. Fälle, in denen Abgeordnete ihre Mitgliedschaft missbrauchen und dadurch Einnahmen erzielen, wird es bald nicht mehr geben; denn diese Einnahmen müssen künftig an den Bundestag abgeführt werden. Ach, hätten wir diese Regelung doch bloß schon vorher gehabt! Den Missbrauch der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zu geschäftlichen Zwecken werden wir gesetzlich verbieten. In dem Zusammenhang wollen wir auch Honorare für Vorträge untersagen. Da fallen mir spontan mindestens zwei Abgeordnete ein, deren Geschäftsmodell dadurch schwer ins Wanken geraten dürfte. ({4}) Wir werden die Mindeststrafe bei Abgeordnetenbestechung auf ein Jahr erhöhen. Abgeordnetenbestechung und Abgeordnetenbestechlichkeit sind damit Verbrechen. Manche Abgeordnete haben Bestechung ja in der Vergangenheit ganz offenbar als Kavaliersdelikt angesehen. Die Zeiten sind nun endgültig vorbei. Wir werden dabei schauen, ob wir uns nicht auch einmal den objektiven Tatbestand des § 108 e Strafgesetzbuch angucken. Wenn er nämlich wirklich greifen soll, dann muss er ein schärferes Schwert werden. Ich habe mich gefreut, dass das in der gestrigen Debatte auch bei einigen Unionsrednern angeklungen ist. Lieber Herr Korte, Sie werden es verstehen, dass wir Ihrem Antrag nicht zustimmen werden. ({5}) Er ist einfach nicht weitgehend genug. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend will ich sagen: Gestern das Lobbyregister, heute die Transparenzregelung – ich finde, das war eine richtig gute Woche. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Patrick Sensburg das Wort. ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute über Nebeneinkünfte, Einkünfte, Verhaltensregeln, Ändern des Abgeordnetengesetzes und der Geschäftsordnung und die Transparenz reden. ({0}) Und ich kann auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, verstehen, dass Sie das auf die Tagesordnung gesetzt haben wollen. ({1}) Es ist auch gut, dass wir heute alle das kritisiert haben, alle Fraktionen, was als Verhalten in den letzten Wochen völlig inakzeptabel war. Da war Konsens in diesem Haus, und das ist gut so. Es ist auch gut so, dass die Kollegen, die das gemacht haben, die Konsequenzen gezogen haben. Das war das richtige Zeichen, das war das zwingende Zeichen, und das ist auch gut so. ({2}) Ich würde mir, meine Damen und Herren von der Fraktion der AfD – ich will auf Ihre Anträge und Ihre Ausführungen gar nicht groß eingehen; aber Sie haben ja gerade pauschal über alle Parteien, über alle Fraktionen die Kritik ausgeschüttet –, dann auch wünschen, dass dies als Selbstkritik mal in der eigenen Fraktion ankommen würde. Sie haben nämlich in vielen Fällen auch viele Fehler gemacht, und dann ist es manchmal auch gut, wenn man sich selbst mal im Spiegel betrachtet und Selbstkritik übt. ({3}) Es ist auch gut, dass wir zeitnah – der Kollege Bartke hat es gerade gesagt – eine sehr umfassende, eine sehr detaillierte Regelung bekommen werden, die noch über den Antrag oder die Anträge der Fraktion Die Linke und auch über die Anträge der anderen Fraktionen hinausgeht; das ist zu begrüßen. Zweimal – Herr Kollege Korte, das ist völlig richtig – war es im Geschäftsordnungsausschuss. Es ist allerdings nicht von der Tagesordnung abgesetzt, sondern vertagt worden; das ist ein kleiner Unterschied. ({4}) Wir haben es diskutiert. Der Unterschied liegt darin, dass die Koalition in der Sitzung mehrmals gesagt hat: Es wird Vorschläge geben; bitte lassen Sie uns doch die Vorschläge der Koalition mit einbeziehen. – Und es ist, glaube ich, auch wichtig, dass man die Dinge gemeinsam diskutiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Korte?

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. – Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Also, das will ich jetzt schon noch mal von Ihnen detailliert hier dargestellt bekommen. Wir haben – man kann uns als Opposition gut finden oder blöd finden; das ist ja jedem unbenommen – unsere Arbeit gemacht und vor Wochen einen Gesetzentwurf eingebracht, was zur Arbeit von Parlamentariern und Fraktionen gehört. Und wir haben zweimal darum gebeten, diesen Gesetzentwurf im Geschäftsordnungsausschuss zu diskutieren und über ihn dann hier abstimmen zu lassen. Und jetzt will ich Sie mal fragen – denn Sie müssen den Leuten jetzt noch mal genau sagen, ob Sie das wirklich so meinen –: Nur weil Sie es nicht hinbekommen, nur weil Sie seit 20, 30 Jahren hier rumpennen und Ihre Geschäftemacher schützen wollen, hindern Sie die Opposition an ihrer Arbeit, einen Gesetzentwurf hier einzubringen? Sie verhindern also die Arbeit. Und das erklären Sie doch jetzt mal allen Ernstes. Nur weil Sie ankündigen, vielleicht mal irgendwann was vorzulegen, sorgen Sie dafür, dass über einen Vorschlag – den kann man gut finden oder schlecht finden – hier nicht abgestimmt werden kann. Das ist wirklich durch und durch volle Kanne daneben. Das erklären Sie mal bitte. ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Korte, das ist nicht voll daneben. ({0}) Es ist gut, wenn mehrere Fraktionen Vorschläge haben, die Fraktionsvorschläge auch gemeinsam beraten und diskutieren zu können, nicht einen vorab zur Abstimmung zu bringen. ({1}) Wir werden vielleicht Expertenanhörungen haben, wir werden vielleicht über alle Vorschläge – – ({2}) Auch die anderen Fraktionen haben übrigens Ideen und Vorschläge – hören Sie ruhig zu; vielleicht interessiert es ja –, und dann macht es auch Sinn, gemeinsam diskutieren zu können und vielleicht gemeinsam das Beste daraus machen zu können. ({3}) Vielleicht zu meiner Antwort noch, wenn es Sie interessiert: Ich habe ja mit Interesse wahrgenommen, dass Sie „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser“ mit Adi – Sie kennen es vielleicht noch; deswegen haben Sie es auch gerade angesprochen – zitiert haben. Die Schulolympiade der DDR, die war interessant sonntagmorgens im Fernsehen. Ich habe sie übrigens auch ab und zu mal gesehen. ({4}) Aber von Transparenz war da überhaupt nichts, da war gar nichts. ({5}) Das war intransparent, da wurde im Hintergrund gekungelt, wenn Sie wissen, wie es mit Adi war. Also, von daher: Das jetzt als Beispiel zu bringen, kann ja nur der Schluss gewesen sein: Mach’s besser. ({6}) Und Ihr Antrag – ich komme gleich darauf; denn der ist ja Gegenstand – ist, es in vielen Punkten besser zu machen. Aber die Logik kann doch nicht sein: „Jetzt stimmen wir dagegen, beziehen es gar nicht ein“, sondern sollte sein, doch besser alle vorgelegten Anträge gemeinsam zu diskutieren. – Das war die Intention, so wurde auch im Geschäftsordnungsausschuss diskutiert. Und die Argumente, wenn Ihr Antrag so gut ist, können Sie ja weiter aufrechterhalten. ({7}) So weit die Antwort. ({8}) Und dann kommen wir doch mal zu dem Antrag der Fraktion Die Linke. Da ist ein wesentlicher Punkt drin; das ist die genaue Ausweisung der Einkünfte. Gut, das scheint ja Konsens zu sein. Das ist schon mal gut. Das Zweite sind die Berufsgeheimnisträger. Dazu, dass Sie da in Ihrem Antrag sehr ungenau sind, bestimmte Dinge gar nicht einbeziehen und andere Dinge zu tief einbeziehen, hat der Kollege Buschmann schon relativ viel gesagt. Über die Berufsgeheimnisträger werden wir noch mal nachdenken müssen. Aber auch der Entwurf der Fraktion der FDP ist nicht perfekt; er geht über eine konkretere Definition in § 44 a Abgeordnetengesetz nicht hinaus. ({9}) Da müssen wir, glaube ich, deutlich mehr machen. Und ich glaube, wir können auch an vielen Punkten einen Konsens finden; denn wir wollen Nebentätigkeiten nicht gänzlich verbieten. Aber wir möchten schon gerne, dass das, was wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, nie wieder stattfindet. Und dann komme ich zum Antrag und auch zu den Ideen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Sie vermischen in Ihrem Antrag immer noch – ich hatte es mehrmals gesagt, auch zum Thema Lobbyregister – ({10}) die Themen „Lobbyregister“, „legislativer Fußabdruck“, „Verhaltensregeln“ und „Regeln in dem Abgeordnetengesetz und der Geschäftsordnung“. Wir haben gestern das Lobbyregister geregelt. Das ist gut so. ({11}) Wir regeln heute – wir haben die Vorschläge gerade auf den Tisch gelegt, Kollege Schnieder hat es gemacht –, ({12}) die Verhaltensregeln, die Nebeneinkünfte und, und, und; ich will nicht alles wiederholen, was Kollege Schnieder und Kollege Dr. Bartke gesagt haben. ({13}) Und wir werden auch weiter darüber debattieren, ob wir einen legislativen Fußabdruck wollen. Ich hatte es bei meiner Rede zum Lobbyregister angesprochen. Das wird ein Thema sein, bei dem wir alle zusammenarbeiten können. Aber wenn, dann bitte richtig und nicht nur als exekutiver Fußabdruck, nicht nur dann, wenn es in der Regierung und im Parlament ist. Vielmehr müssen wir grundsätzlich darüber diskutieren und auch die Arbeit schon mit Beginn von Koalitionsverhandlungen anfangen lassen. Dazu bin ich gerne bereit. Ich glaube, das ist auch notwendig. Ich glaube, dass wir heute mit den ersten Vorschlägen wirklich gute Vorschläge gemacht haben. ({14}) Die genaue Ausweisung nach Euro und Cent ist Konsens, habe ich den Eindruck. Die Beteiligung an Gesellschaften ist ein wesentlicher Punkt. Ich nenne die Einkünfte aus anzeigepflichtigen Unternehmensbeteiligungen. Wir gehen auch da weiter: beispielsweise nicht nur Aktienoptionen; das geht bis hin zu Derivaten und anderen Erscheinungen. Wir wollen ja nicht beim nächsten Mal wieder sagen: Das haben wir nicht geregelt. – Da gehen wir also deutlich weiter. Die bezahlte Lobbytätigkeit wird verboten werden. Das ist ein guter Ansatz. Und weil es eben auch schon vom Kollegen Buschmann erwähnt worden ist: Es ist auch gut, dass wir ehrenamtliche Tätigkeit beibehalten können; denn so haben wir die Verbindung in die Gesellschaft, die wir auch haben wollen. Ein wesentlicher Punkt – und dann komme ich auch zum Schluss – ist, dass es bei Missbrauch auch die Möglichkeit gibt, verbotene Einnahmen abzuschöpfen – so bleibt auch nichts mehr – und dann noch als Zusatz ein Ordnungsgeld zu verhängen. Dadurch wird wirklich verhindert, dass so etwas noch einmal vorkommt. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen und Debatten, die sich jetzt anschließen werden, dies im Konsens machen. Und wenn sich das wiederfindet, was Sie in Ihrem Antrag haben, dann können Sie ja sogar zustimmen – so hatte ich Sie eben verstanden; das haben Sie ja sogar angekündigt; ({15}) die AfD wird nicht zustimmen –, und das unterscheidet dann vielleicht auch von der AfD. Ich hoffe, dass wenigstens Die Linke zustimmt. Bei der AfD sehe ich da keine Hoffnung. Danke schön. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der fraktionslose Abgeordnete Marco Bülow. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Viele schöne Reden, die wir hier hören. Ich bin jetzt 18 Jahre im Bundestag und hätte mir gewünscht, von solchen Reden mehr gehört zu haben. Ich frage mich: Wie glaubwürdig sind diese Reden, wenn in diesen 18 Jahren nichts passiert ist, ({0}) wenn alles blockiert worden ist an Anträgen, was zum Beispiel von den Grünen und den Linken gekommen ist, und wenn jede Offensive, jede Petition immer nur abgelehnt worden ist? Und wenn Ihnen der Antrag nicht weit genug geht, Herr Dr. Bartke, dann stimmen Sie doch heute zu und machen dann noch einen besseren Antrag! ({1}) Aber das werden Sie nicht tun. Sie könnten heute beweisen, wie ehrlich Sie es meinen. Das wird aber wieder nicht passieren. Schauen wir uns das noch mal an. Wie glaubwürdig ist es denn, das Thema Lobbyregister zum Beispiel nach dem Fall Amthor auszugraben und es dann wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen, um es jetzt mit den Korruptionsfällen auf einmal wieder aufs Tableau zu setzen? Wie glaubwürdig ist das, vor allen Dingen, wenn dieser Herr Amthor Platz eins der Landesliste besetzt und sozusagen Spitzenkandidat wird? Wo ist denn dann die Glaubwürdigkeit? ({2}) Wenn Sie Regeln schaffen wollen, dann müssen Sie die auch anwenden! Wir haben gestern über das Lobbyregister gesprochen. Wie glaubwürdig ist es, wenn da zum Beispiel Sachen fehlen wie die Finanzierung der Lobbyisten? Und dann sagte ein Unionskollege gestern bei der Debatte: Ja, damit können wir nicht ankommen bei den Ministerien; was das für eine Bürokratie ist, wenn wir alle unsere Lobbytermine auflisten und dann auch noch sagen, wer das finanziert. Da ist die Bürokratie zu viel, aber wenn Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen belastet und mit einem riesigen bürokratischen Apparat kontrolliert werden, dann ist das völlig in Ordnung, auch wenn es nur um einige Cents geht! ({3}) Auch das ist eben nicht glaubwürdig. Wenn man es denn wirklich ernst meint, dann sollte man insgesamt eine Diskussion führen. Ich glaube, diese Diskussion sollte eine Bürger/-innenversammlung führen; denn wenn man seine eigenen Regeln macht, dann ist man immer befangen. Wenn wir also eine Bürger/-innenversammlung brauchen, dann zu diesem Thema – eine Versammlung, die Vorgaben macht. Ich glaube, dann haben wir eine Chance, hier wirklich etwas umzusetzen, über Parteigrenzen und über Fraktionsgrenzen hinweg. Das ist das nächste Problem. Wenn es nicht wieder nur um Parteitaktik gehen würde, dann würden Sie heute diesem Antrag zustimmen oder den anderen Anträgen, die von den Grünen und von anderen Fraktionen gekommen sind. Es geht aber wieder nur um Parteitaktik, um möglichst über den Wahlkampf zu kommen. Und das ist eben keine Glaubwürdigkeit. Stimmen Sie den anderen Anträgen zu! Stimmen Sie auch den Petitionen zu! Es gibt mittlerweile fünf oder sechs Petitionen genau zu diesem Thema, die schon über 50 000 Unterschriften haben. Dann beschäftigen Sie sich mal mit diesen Petitionen und mit diesen Gruppen! Warum haben Sie nicht den Parteikodex unterschrieben, den ich mit dem Kollegen Schick vor sieben Jahren ausgearbeitet habe? Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, dann machen Sie bei den Initiativen mit und reden hier nicht so schön, sondern handeln endlich! Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dirk Wiese für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der gestrigen Verabschiedung des Lobbyregisters und der heutigen Einigung der Koalitionsfraktionen hin zu mehr Transparenz, hin zu mehr Veröffentlichungspflichten, auch für anzeigepflichtige Einkünfte, ist das, glaube ich, heute ein guter Tag. Ich muss sagen, dass ich gerade dem Kollegen Matthias Bartke und dem Kollegen Schnieder wirklich dankbar bin, dass wir nicht nachgelassen haben. Ich will hier aber anmerken, lieber Kollege Schnieder: Ich hatte in den Verhandlungen manchmal den Eindruck, ({0}) dass der eine oder andere Kollege in den Fraktionen Sie in den letzten Wochen und Monaten manchmal auch ein bisschen bremsen wollte. Ich glaube aber, dass sich die Hartnäckigkeit – dabei schaue ich zum Kollegen Bartke – wirklich ausgezahlt hat und dass wir durch diese Eckpunkte hier in der nächsten Zeit etwas Gutes auf den Weg bringen werden. Eines hat mich aber ein bisschen gestört bei Ihrer Rede: Diese paar Fälle, über die wir heute reden und aus denen wir Konsequenzen ziehen, sind nicht erst seit einigen Wochen da, sondern die gibt es schon länger. Da wurde lange Zeit nichts unternommen und nichts getan, und das muss sich die Unions-Bundestagsfraktion heute auch vorhalten lassen. ({1}) Ansonsten warten wir die Gespräche ab. Das Team Merz hat aus meiner Sicht noch nicht getwittert oder erneut eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Von daher werden wir uns das mal genau anschauen. Der Kollege Seitz hatte gestern Abend zum Lobbyregister eine relativ substanzlose Rede gehalten. Ich war überrascht, als er vorhin anfing mit: Haftbefehl, Festnahmen, Aufdeckung des Spendensumpfs usw. Ich hatte die ganze Zeit gedacht, er rede über den Landesverband der AfD in Baden-Württemberg. ({2}) Wenn das Ihre Redeintention gewesen wäre, dann hätte ich gesagt: Hut ab! Selbsterkenntnis – richtig gut. Leider war das auch an dem Punkt wieder verfehlt. Herr Kollege Buschmann, wir beide hatten gestern Abend schon zum Lobbyregister eine kleine Diskussion. Ich finde einen Punkt richtig, den Sie angesprochen haben: nicht nur auf Aktienoptionen zu schauen, sondern auch auf andere Unternehmenswerte, die sich auf Derivate und andere Konstellationen beziehen. Das haben wir auch in unseren Eckpunkten mit aufgenommen; das ist vollkommen richtig. Ich hoffe da auch auf Ihre Zustimmung, wenn es in die konkreten Verhandlungen geht. Ich hätte mir allerdings von Ihnen gewünscht, dass Sie auch etwas dazu sagen oder es vielleicht auch gut finden, dass wir Honorare für Vorträge untersagen. Wer Abgeordneter des Deutschen Bundestages ist, der hält Reden. Hierfür bekommt er eine Abgeordnetendiät; das ist viel, viel Geld. ({3}) Das System Ihres Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner ist dadurch gefährdet; das ist mir vollkommen bewusst. Aber noch mal: Wer Reden hält, der bekommt eine Abgeordnetendiät, und das muss es letztendlich sein. ({4}) Dazu hätte ich mir von Ihnen einige Ausführungen gewünscht. Stattdessen haben Sie dazu nichts formuliert. Lieber Kollege Korte, ich habe Ihren Antrag gelesen. Ich finde das gut, und das ist richtig, was Sie da auf den Weg gebracht haben. Aber ich habe bei Ihnen den Eindruck – und darum stimmen wir heute Ihrem Antrag nicht zu –: Das fehlt auch bei Ihnen. – Ich weiß nicht, was da bei den Beratungen bei Ihnen stattgefunden hat. ({5}) Genosse Korte sitzt in seinem Büro, will mehr Transparenz. Genosse Gregor klopft an die Tür und sagt: Lieber Jan, bei Vorträgen, Honoraren, da machst du lieber nichts; da wollen wir keine Transparenz. – Darum stimmen wir Ihrem Entwurf heute nicht zu. ({6}) – Lieber Kollege Korte, ich freue mich, wenn Sie mit Genosse Gregor darüber sprechen, dass Vortragshonorare zukünftig nicht mehr zulässig sind. Ich halte das für richtig, und wir werden das umsetzen. ({7}) Liebe Kollegin Haßelmann, ich stimme Ihnen in allen Punkten zu, die Sie heute gesagt haben. Das ist ja nicht immer so bei unseren Debatten, die wir hier haben. Ich finde einen Punkt ganz besonders gut, nämlich den Punkt 13 in Ihrem Antrag, wo Sie sagen: Beschränkung von Spenden an Parteien auf natürliche Personen mit einer jährlichen Obergrenze von 100 000 Euro pro Person. Ich finde es gut, dass Sie sicher gleich den Pharma-Erben Antonis Schwarz anrufen, der Ihrer Partei 500 000 Euro als Einzelspende hat zukommen lassen. ({8}) Ich denke, diesen Betrag, also die 400 000 Euro Differenz, wird die Partei Bündnis 90/Die Grünen bis Montag zurücküberweisen, damit Sie Ihre Glaubwürdigkeit behalten. ({9}) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Während das Pult vorbereitet wird, ein Hinweis an den Kollegen Korte, der mir bitte mal seine Aufmerksamkeit schenkt: Es entspricht nicht ganz den parlamentarischen Gepflogenheiten, Kollegen hier mit „Sie Vogel“ anzusprechen. ({0}) Sollte sich das wiederholen, werde ich das entsprechend sanktionieren. ({1}) Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine große Ehre, dem Deutschen Bundestag angehören zu dürfen, und es ist ein Privileg, für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger arbeiten zu können. Es ist klar, dass die Vorfälle der vergangenen Woche einen enormen Vertrauensverlust, insbesondere für unsere Fraktion, bedeutet haben, aber auch für die parlamentarische Demokratie insgesamt, für die Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse und ihre Legitimität. Es ist notwendig, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, um dieses Vertrauen, das verloren gegangen ist, zurückzugewinnen. Genau dem dienen unsere Vorschläge, und zwar in mehreren Schritten. Ich will auch noch mal sagen, dass in dieser Debatte vieles durcheinandergekommen ist. Wir haben gestern Abend abschließend das Lobbyregistergesetz verabschiedet für entgeltliche Interessenvertretung, nicht nur beim Deutschen Bundestag, sondern auch bei der Bundesregierung. Wir haben es darüber hinaus verpflichtend gemacht und sanktionsbewehrt – ein gutes Gesetz, wie ich finde, das sich auch im internationalen Vergleich absolut sehen lassen kann. Lieber Herr Bartke, ich hatte nicht den Eindruck, dass sich die Gespräche hingeschleppt hätten. Wir haben ja bereits im letzten Sommer gemeinsam, in Übereinkunft in der Koalition zu diesem Thema gefunden, haben das der Öffentlichkeit auch gemeinsam gesagt. Das darf man, glaube ich, nicht hintanstellen. Dass wir es jetzt noch besser gemacht haben, ist nicht zuletzt auch Ihnen zu verdanken, Herr Dr. Bartke. – Vielleicht erspare ich Ihnen damit den Zwischenruf. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja deutlich geworden, dass wir nicht nur Einzelfälle unter die Lupe nehmen möchten, sondern dass wir letztlich umfassend sicherstellen möchten, dass es in Zukunft nicht mehr möglich ist, bestehende Regelungen zu umgehen. Und das bedeutet eben insbesondere, Aktienoptionen oder auch Derivate so wie Einkünfte zu behandeln. Das bedeutet, klarzustellen, dass man dann, wenn man hier im Deutschen Bundestag arbeitet, nicht gleichzeitig für bestimmte Gruppen entgeltlich tätig sein kann. Also, die entgeltliche Interessenvertretung durch Abgeordnete geht nicht. Auch die Vermischung von Abgeordnetenmandat und persönlichen wirtschaftlichen Interessen darf es nicht geben, darf es auch heute schon nicht geben. Wir werden es aber sanktionsbewehrt machen, und wir werden Abschöpfungsmöglichkeiten schaffen. Damit ist sichergestellt, dass diese Umgehungsmöglichkeiten zukünftig nicht mehr existieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Frei, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Rottmann?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege Frei, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich möchte an dieser Stelle in der Debatte einmal den Blick weiten. Es sind ja nicht nur die Abgeordneten, die bestechlich sind, sondern es gibt auch Bestecher. Es gibt Menschen in der Wirtschaft, die zu diesem Instrument greifen. Wir warten seit vielen Wochen auf das Unternehmenssanktionsgesetz. Es ist vom Kabinett verabschiedet. Es steht im Koalitionsvertrag. Es taucht aber nicht im Rechtsausschuss auf. Wir warten auf die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie. Viele dieser Skandale sind durch Hinweisgeber aufgedeckt worden. Sehen Sie es ebenfalls so, dass es zur Glaubwürdigkeit gehört, dass die Union auch da die Bremsen löst, um diejenigen, die dieses Instrument auf der anderen Seite benutzen, also die Abgeordnetenbestechung, endlich unter Kontrolle zu bringen? ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Dr. Rottmann, schauen Sie einmal: In § 108e Strafgesetzbuch geht es um die Abgeordnetenbestechlichkeit und die Abgeordnetenbestechung. Wir weiten natürlich diesen Blick: Wir packen diesen Paragrafen an, um ihn wirklich wirkungsvoll zu machen – darauf ist eingegangen worden – und das zukünftig als Verbrechen zu bestrafen. Das heißt, wir schauen in beide Richtungen: auf diejenigen, die bestechen, und auf diejenigen, die bestechlich sind. Ihrem Anliegen ist damit Genüge getan. Sie haben zwei weitere Themen angesprochen: das Unternehmenssanktionsrecht und die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie. An diesen Punkten arbeiten wir. Aber Sie wissen ganz genau, dass es in der Politik nicht ausreicht, Schlagworte in den Raum zu werfen; wir müssen es auch gut machen. Sinn und Zweck müssen erfüllbar sein. Es muss umsetzbar sein, und zwar nicht nur – das wird man jetzt gleich dazwischenrufen – im Bereich der Wirtschaft, sondern auch in den Landesjustizverwaltungen muss das umsetzbar sein. Uns reicht es nicht, Schlagworte in den Raum zu werfen, Dinge ins Schaufenster zu stellen, ({0}) aber in Wahrheit am Ende nicht liefern zu können. Deswegen werden wir es richtig machen. Deshalb beraten wir diese Themen in der Koalition. Seien Sie versichert: Es wird am Ende in jedem Fall zu einem guten Ergebnis führen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Frei, es gibt einen zweiten Wunsch nach einer Frage oder Bemerkung, nämlich vom Kollegen Straetmanns. Das wäre dann allerdings die letzte, die ich innerhalb Ihres Redebeitrags zulassen würde, wenn Sie sie zulassen.

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

An mir soll das nicht scheitern, Frau Präsidentin, wenn Sie damit einverstanden sind.

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr, dass Sie die Bemerkung zulassen; mein Dank geht auch an die Frau Präsidentin. – Ein kurzer Punkt. Die GRECO, die Staatengruppe gegen Korruption, der Deutschland auch angehört, hat Deutschland wiederholt angemahnt, weil es nämlich seinen eigenen Verpflichtungen aus diesem Bündnis nicht nachkommt, mehr gegen Korruption von Abgeordneten zu tun. Führend in der Blockadehaltung ist ja der jetzt nicht anwesende Herr Grosse-Brömer – zumindest sehe ich ihn nicht –, der hier massiv interveniert hat. Ich will noch mal ganz bewusst den leider verstorbenen Kollegen Thomas Oppermann erwähnen, der sich im Ältestenrat und in der Rechtsstellungskommission mit Herrn Grosse-Brömer sehr angelegt hat. Sein Ziel teilen wir: GRECOs Forderungen müssen erfüllt werden, und zwar von uns, von Deutschland, keinem anderen. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Straetmanns, ich will es in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit kurz machen. Ich glaube, dass wir vieles unternehmen, um genau diese Punkte zu adressieren und umzusetzen. Ich habe vom Lobbyregistergesetz gesprochen. Wozu ich jetzt noch gar nicht gekommen bin, ist, auch darüber zu sprechen, dass wir die Transparenz- und Antikorruptionsregeln entsprechend verschärfen und anpassen. Wir werden diesen Weg konsequent gehen. Sie werden sehen, dass wir dem Deutschen Bundestag auch entsprechende Vorschläge machen werden. Damit, glaube ich, tun wir alles, um Glaubwürdigkeit sicherzustellen, um Integrität und damit auch die Verlässlichkeit der parlamentarischen Demokratie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sicherzustellen; das ist unser Maßstab. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist darüber gesprochen worden, dass wir in vielen einzelnen Punkten Transparenz- und Antikorruptionsregeln entsprechend anpassen werden. Ich will an dieser Stelle vor allen Dingen noch mal darauf hinweisen: Was sind die leitenden Prinzipien bei dieser Frage? Worum geht es im Wesentlichen? Es geht darum, Transparenz zu schaffen. Es geht darum, klarzulegen, dass eine Vermischung von persönlichen Interessen einerseits und Mandatsinteressen andererseits nicht möglich ist. Das heißt, wir möchten die Unabhängigkeit der Abgeordneten sicherstellen. Auf der anderen Seite – das muss auch vollkommen klar sein; darauf ist der Kollege Dr. Buschmann eingegangen –: Wir möchten am Ende nicht ein Parlament haben, das mit der Lebenswirklichkeit und der Gesellschaft in Deutschland nichts mehr zu tun hat. Deswegen kommt es tatsächlich auch auf die Einzelheiten an. Deswegen muss man ganz genau schauen, wo man ansetzt. Wir brauchen diejenigen, die auch jenseits des Staates Geld verdient haben. Wir brauchen auch diejenigen, für die nicht das persönliche Modell gilt: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. ({1}) Wir brauchen diejenigen, die auf andere Art und Weise in ihren normalen zivilen Berufen ihr Geld verdienen. Wir brauchen auch deren Expertise für die Gesetzgebung; das will ich ganz ausdrücklich sagen. Deswegen muss es auch zukünftig möglich sein, dass ein Landwirt hier im Deutschen Bundestag Landwirtschaftspolitik betreibt. Es muss auch zukünftig möglich sein, dass ein Rechtsanwalt Rechtspolitik betreibt. Und es muss auch zukünftig möglich sein, dass ein Physiotherapeut und Sportwissenschaftler im Gesundheitsausschuss sitzt und dort seine Arbeit macht, dort seine Expertise einbringt. ({2}) Wir möchten Transparenz – um das klarzustellen –, aber wir möchten auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Und wir möchten nicht ein Parlament, das nur aus Beamten besteht oder aus solchen, die zeit ihres Berufslebens nicht aus dem Bannkreis einer Partei herausgetreten sind und sich damit natürlich auch in Abhängigkeiten befinden. Das möchten wir nicht. Ich bin davon überzeugt, dass es gelingen wird, einen klugen Weg zu finden, und dass wir entsprechend diesem Ziel den Menschen immer glaubwürdig klarmachen können: Wir arbeiten für das deutsche Volk, für die Menschen in Deutschland, für dieses Land. Darum geht es, und das muss die Zielsetzung bleiben. ({3}) Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Sarah Ryglewski (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004622

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist in der Tat schade, dass so viele Kolleginnen und Kollegen den Raum verlassen haben. Es ist ein Gesetz, bei dem es sich lohnen würde, wenn mehr Kolleginnen und Kollegen zuhören würden, vielleicht auch diejenigen, die sich nicht originär mit Finanzpolitik beschäftigen. ({0}) Der Fondsstandort Deutschland hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Aber im europäischen Vergleich liegen wir noch zurück, und wir schöpfen auch nicht alle Potenziale, die wir haben, aus. Deshalb wollen wir mit dem jetzt vorliegenden Gesetz vorhandene Barrieren weiter abbauen und den Standort Deutschland noch wettbewerbsfähiger und attraktiver machen, ohne dabei das vorhandene Schutzniveau abzusenken. Das gehen wir mit dem jetzt vorgelegten Fondsstandortgesetz an – mit regulatorischen, aber eben auch mit steuerlichen Maßnahmen. Worum geht es? Wir wollen Mitarbeiterkapitalbeteiligungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere von Start-ups attraktiver machen und damit die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Start-ups im internationalen Vergleich stärken. Viele junge Unternehmen sind häufig in der Anfangsphase in der Konkurrenz um gute Mitarbeiter noch nicht in der Lage, so hohe Löhne zu zahlen wie bereits etablierte Unternehmen. Wir wollen mit der Mitarbeiterkapitalbeteiligung ein attraktives Angebot gerade für junge Unternehmen schaffen, damit sie in der Konkurrenz besser bestehen können. ({1}) Um den Fondsstandort Deutschland für junge innovative Unternehmen gezielt zu fördern, soll eine Erweiterung der Umsatzsteuerbefreiung auf die Verwaltung von Wagniskapitalfonds zur Finanzierung von Start-up-Unternehmen erfolgen. Mit dem Gesetz wollen wir außerdem die Richtlinie zum grenzüberschreitenden Fondsbetrieb umsetzen sowie Anpassungen an die Offenlegungs- und Taxonomieverordnungen aus dem Sustainable-Finance-Aktionsplan der EU-Kommission vornehmen. ({2}) Darüber hinaus schaffen wir mehr Gestaltungsmöglichkeiten für Fondsverwalter, erweitern deren Produktpalette und unternehmen weitere Schritte zur Entbürokratisierung. Das führt zu Kostenersparnissen bei Investmentfondsanlegern. Darüber hinaus fördern wir mit diesem Gesetz auch die Digitalisierung der Finanzaufsicht. ({3}) Sie sehen: ein Gesetz, das es in sich hat. Wie ich vernommen habe, haben sich die Koalitionsfraktionen heute auch noch darauf verständigt, eine Regelung mit aufzunehmen, wo es um steuerliche Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien geht. Durch eine Gewerbesteueränderung erleichtern wir für Wohnungsunternehmen die dezentrale Erzeugung von Mieterstrom aus erneuerbaren Energiequellen. Das ist etwas, was bisher ein großer Hemmschuh war. Ich finde es gut, dass es gelungen ist, sich darauf zu einigen. ({4}) Auch ein weiterer Aspekt soll noch mit in die Beratungen eingebracht werden, nämlich die Frage, wie wir die Akzeptanz von Windparkanlagen erhöhen. Das soll insbesondere dadurch geschehen, dass Standortkommunen einen höheren Gewerbesteueranteil aus dem Betrieb von Windrädern erhalten. ({5}) Aber noch mal zurück zum Thema „Fondsstandort und Mitarbeiterkapitalbeteiligungen“, also zu dem, was den Kern des Gesetzes darstellt. Hier geht es, wie gesagt, darum, Mitarbeiterkapitalbeteiligungen attraktiver zu machen. Das erreichen wir insbesondere durch die Anhebung des steuerfreien Höchstbetrags. Und wir lösen das Problem des sogenannten Dry Income. Die Problematik besteht aktuell darin, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Vermögensbeteiligung am Unternehmen auf den Arbeitnehmer übertragen wird, Steuer fällig wird, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch kein Zufluss passiert, noch keine Liquidität vorhanden ist. Wir sagen: Das macht das Ganze unattraktiv. Dem begegnen wir, indem wir die Besteuerung nach hinten schieben; in der Regel wird das der Zeitpunkt der Veräußerung sein. Das heißt, dann, wenn wirklich Geld zufließt, wird besteuert. ({6}) Wir glauben, dass das im Wettbewerb um internationale Arbeitskräfte – in diesem Wettbewerb stehen halt auch Start-ups – eine erhebliche Verbesserung darstellt. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Frage der Finanzierung von Start-ups. Deswegen haben wir vor, im Umsatzsteuergesetz die Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von Sondervermögen auf Wagniskapitalfonds auszudehnen. Damit wollen wir einen weiteren Anreiz setzen, dass zukünftig mehr Wagniskapitalfonds in Deutschland gegründet werden, die Start-ups in Deutschland und Europa mehr privates Kapital zur Verfügung stellen. Das wollen wir nutzen. Wir haben schon eine gute Finanzierungsszene in Deutschland. Durch Banken und Sparkassen ist sie in Deutschland ein bisschen anders aufgestellt als in anderen Ländern. Hiermit wollen wir zusätzliches, weiteres privates Kapital reinholen. Das halten wir für wichtig für die Attraktivität unseres Standorts. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich habe einen kleinen Einblick in das gegeben, was wir hier machen wollen, und das Thema auf die Agenda gehoben. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Beratungen. Wir sind ja schon tief eingestiegen, auch wenn das heute die erste Lesung ist. Ich bin mir sicher, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kommen, das unsere Start-up-Szene wirklich voranbringt. ({8}) Vielen Dank. ({9})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat hat der Gesetzentwurf einen sehr sperrigen Text. Als ich ihn zum ersten Mal las, habe ich bei „grenzüberschreitendem Vertrieb von Organismen“ gedacht, es gehe vielleicht um den Handel mit Tierorganen oder so was. Aber das ist alles nicht der Fall. Das Abkaufen von Bürgerwiderstand gegen Windräder steht bisher noch nicht im Gesetzentwurf, Frau Staatssekretärin. Das ist ein völlig neuer Gesichtspunkt, der bisher noch gar nicht auf der Agenda ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht tatsächlich um Kapitalanlagemöglichkeiten in Deutschland. Das ist ein Artikelgesetz mit über 100 Einzelziffern; das kann man hier flächendeckend in vier Minuten erörtern, das ist gar kein Problem. Es wird behauptet, der deutsche Standort sei im europäischen Vergleich zurückgeblieben und würde sein Potenzial nicht ausschöpfen. Barrieren sollten abgebaut werden, alles sollte irgendwie besser gemacht werden zum Zweck eines nachhaltigen Steigerns des Wirtschaftswachstums. Ob das damit geschieht, lassen wir mal dahingestellt sein, das ist sicher besser, als eine Schuldenpolitik zu betreiben, die dem Wirtschaftswachstum ganz sicher entgegensteht. Aber ob das Ziel mit dem, was wir hier auf dem Tisch haben, erreicht wird, ist fraglich. Wir lassen uns aber überraschen, vor allen Dingen wollen wir die Anhörung abwarten. Dem Ziel als solchem kann man sich natürlich nicht verschließen. Dem werden wir mit Wohlwollen gegenüberstehen. Ein weiteres großes Thema ist die steuerliche Förderung von Mitarbeiterbeteiligungen an Kleinstunternehmen und mittelgroßen Unternehmen. Das ist politisch in der Tat ein interessanter Punkt. Man plant die Verdoppelung der steuerbegünstigten Vermögensbeteiligung – von 360 auf 720 Euro – sowie die Einführung der nachgelagerten Besteuerung für diese Beteiligungen im Falle von jungen Unternehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Steuerfreibeträge, die hier aufgerufen werden, sind immer noch weit geringer als im westeuropäischen Normalmaß, vor allem verglichen mit unseren Nachbarn in Europa, wo es um einige Tausend Euro geht. Wir könnten uns eine weit höhere Beteiligung von Mitarbeitern an Unternehmen vorstellen. Wir sollten bei dieser Gelegenheit diesen Weg gehen und nicht nur so eine zögerliche Anhebung von 360 auf 720 Euro vorsehen. Rechnen Sie das hoch, rechnen Sie das auf ein Erwerbsleben von 30 Jahren hoch; schauen Sie, was Sie dann für ein Kapital haben und was Sie damit für Ihr Alter erreichen können. Das ist ein kleines Spiel. ({0}) Mehr Mut wäre gut. Die Nachlagerung der Besteuerung ist richtig, damit die Steuerzahlung erst ausgelöst wird, wenn der Mitarbeiter tatsächlich Erlöse aus der Veräußerung seines Vermögens erzielt. Das sollte man so tun. Trotzdem ist bei der Verzahnung von Arbeitsentgelt und Kapitalvermögen immer große Sorgfalt anzuraten, um Mitnahmeeffekte zu verhindern und nicht Lohnzahlungen als Vermögensbeteiligungen zu verschleiern, zu verkaufen, umzuetikettieren. Ob mit dem Gesetz auch innovative Beteiligungsformen gefördert werden, wie es im Begründungstext des Gesetzentwurfs heißt, werden wir erst im Rahmen der öffentlichen Anhörung herausfinden müssen. Das können wir im Moment so nicht feststellen. Das gilt auch für andere Fragen, wie zum Beispiel: Wie kann man Mitarbeiter nicht nur durch entsprechende Zuwendungen durch den Arbeitgeber am Unternehmen beteiligen, sondern auch über ihr eigenes Geld? Ein hochinteressanter Aspekt, den man bei der Gelegenheit aufrufen muss. Wie können Mitarbeiterbeteiligungen an Unternehmen gefördert werden, die nicht Aktiengesellschaften sind? Das dürfte sogar in den meisten Fällen, wenn man sich die Zahl der Mitarbeiter anschaut, so sein. Also, dort muss irgendwie eine Lösung gefunden werden, die jenseits der Welt der Aktiengesellschaft funktioniert. Muss die steuerbegünstigte Mitarbeiterbeteiligung für alle Mitarbeiter in gleicher Weise angeboten werden, oder schränkt man dadurch die Flexibilität gerade von kleinen Unternehmern ein? Eine sehr sensible und sehr heikle Frage. Die muss sauber gelöst werden. Im Moment sehen wir das nicht. Weshalb gilt die nachgelagerte Besteuerung nur für Unternehmen, die nicht älter als zehn Jahre sind? Das erschließt sich uns überhaupt nicht. Genauso wie wir den Vermögensaufbau im Bereich der Wohnimmobilien unterstützen, so liegt uns natürlich auch der Vermögensaufbau im Bereich der Unternehmensbeteiligung sehr am Herzen. Mit privatem Engagement etwas Wirksames für die eigene Altersversorgung zu tun, ist ein hohes Ziel. Wir sollten alles tun, dass wir das wirkungsvoll erreichen. In diesem Sinne werden wir weiter an den Beratungen teilnehmen. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Fritz Güntzler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir leben mitten in der Pandemie, und diese Pandemie hat Auswirkungen auf das volkswirtschaftliche Einkommen, auf die Wirtschaftsleistung unseres Landes. Die Hilfestellungen, die wir geben, in Milliardenhöhe, wirken – zum Glück –, sodass die Auswirkungen nicht so fatal sind, wie sie sonst eigentlich wären. Dennoch ist es gut, darüber nachzudenken, wie wir den Neustart wirtschaftlich hinbekommen. Von daher ist es wichtig, hier steuerlich flankierend tätig zu werden. Wir müssen zurückkehren zu einem Wachstumspfad. Dieses Fondsstandortgesetz kann meines Erachtens einen guten Beitrag dazu leisten. ({0}) Es geht um die Stärkung des Fondsstandorts Deutschland, um den Abbau von Bürokratie bei Fondsanlagen, um die Ausweitung der Angebotspalette, insbesondere um die Ausweitung von Infrastrukturfonds. Wichtige Investitionen in unsere Infrastruktur sollen also besser möglich gemacht werden. Es geht um die Steigerung des Innovations- und des Wachstumspotenzials der deutschen Wirtschaft. Dazu tragen im entscheidenden Umfang auch die sogenannten Start-ups bei, Unternehmen, die neu am Markt sind, die mit viel Risikobereitschaft an den Markt gehen, meist mit viel Engagement, mit wenig Kapital, aber mit einer tollen Idee. Sie setzen die richtigen Impulse für unser gesamtes wirtschaftliches Leben. Wir haben Nachholbedarf beim Wachstumskapitalmarkt. Von daher ist es richtig, dass wir einen Zukunftsfonds aufgelegt haben – mit mittlerweile 10 Milliarden Euro –, um diese Unternehmen in deren Wachstumsphase zu unterstützen, in der dieser hohe Kapitalbedarf besteht. Also: Wir zeigen auch in diesem Punkt Verantwortung, meine Damen und Herren. ({1}) Aber neben dem öffentlichen Geld geht es auch darum, dass wir privates Geld mobilisieren, das in diesen Markt investiert wird. Von daher ist es richtig, dass wir die umsatzsteuerlichen Hindernisse ausräumen und dass wir die umsatzsteuerliche Befreiung für die sogenannten Verwaltungsleistungen für Wagniskapitalfonds schaffen, damit diese Wagniskapitalfonds nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland aufgelegt werden. Ein wichtiger Beitrag für den Fondsstandort Deutschland, meine Damen und Herren. ({2}) Ein weiterer wichtiger Punkt, den die Kollegen schon angesprochen haben, ist die Mitarbeiterbeteiligung. Start-ups brauchen diese Mitarbeiter, um sich zu entwickeln. Sie haben meistens nicht das Geld, um die Mitarbeiter gleich angemessen zu bezahlen. Die Mitarbeiter haben ein Interesse daran, an dem Unternehmen mitzuwirken, es zu entfalten und ihren Beitrag zum Geschäftswert zu leisten. Von daher ist es wichtig, dass wir da was tun. Der „Deutsche Startup Monitor 2020“ hat ermittelt, dass 28 Prozent der Start-ups sagen: Das ist das wichtigste Thema. – Von daher ist es richtig, dass dieses Gesetz es adressiert. Wir haben hier wirklich gute Ansätze; aber ich glaube, wir sollten noch mal etwas näher hingucken, ob es nicht noch besser und zielgenauer in manchen Punkten geht. Wir haben zwei Wegbereitungen: Das eine ist der Freibetrag; das ist angesprochen worden. Die Koalition hat sich mittlerweile darauf verständigt, diesen Betrag von 360 Euro zu vervierfachen auf 1 440 Euro, auch ein klares Signal. Es kann immer ein bisschen mehr sein – der Vergleich mit dem Ausland zeigt, dass es auch andere Beträge gibt –; aber ich sage mal: Die Anteilsübertragung an den Mitarbeiter ist ja eigentlich ein Surrogat für normalen Arbeitslohn. Wir haben also auch eine Gerechtigkeitsdebatte zu führen, ob der Liquiditätszufluss als Arbeitslohn tatsächlich so viel schlechter behandelt werden kann als eine Beteiligung. Auch da müssen wir einen Ausgleich zwischen den Mitarbeitern finden. ({3}) Zweitens haben wir das sogenannte Dry Income; die Frau Staatssekretärin hat darauf hingewiesen. Wir wollen verhindern, dass der Zufluss von Beteiligungen direkt zu einer Besteuerung führt. Das ist gut angelegt in dem Gesetz. Da gibt es so ein paar Kleinigkeiten, an die wir herangehen müssen, damit – so sagt man umgangssprachlich – dieses Gesetz auch fliegt. Wir haben da nämlich noch Hürden aufgebaut beim Zeitpunkt, wann denn die Besteuerung anfängt. Es ist mittlerweile zwingend nach zehn Jahren vorgesehen. Da könnten wir uns längere Zeiträume vorstellen. Es geht darum, welche Beteiligungsformen wirklich gefördert sind, wie die Bewertung stattzufinden hat. Es sind also noch einige Stellschrauben, die wir drehen könnten. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen und darauf, dass wir aus diesem guten Gesetzentwurf ein noch viel besseres Gesetz machen. Herzlichen Dank. ({4})

Andreas Pinkwart (Minister:in)

Politiker ID: 11003610

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich gut, dass wir die Fonds usw. stärken wollen und dass der Staat hier auch zusätzliche Impulse setzt. Aber es macht alles nur dann Sinn, wenn wir gute Start-up-Unternehmen haben. Das ist die Kernvoraussetzung. Unternehmertum ist gefragt. Und wann haben wir gute, schnell wachsende, erfolgreiche Start-ups? Wenn wir gute Ideen haben, gute Köpfe und das notwendige Chancenkapital, und das muss gerade am Anfang auch von privater Seite zur Verfügung gestellt werden. Das haben wir gerade bei BioNTec, das haben wir bei CureVac, das haben wir bei all den anderen Unternehmen, die wir jetzt feiern, gesehen. Ohne private Initiative hätten wir die Erfolge hier nie feiern können, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Damit das in der Aufbauphase besser gelingt, wo Start-ups Fach- und Führungskräften eben noch nicht die Spitzengelder zahlen können, sollte ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, sie am Unternehmen besser zu beteiligen. Dann gewinnen sie beides: Köpfe und Kapital. Darauf sind wir im internationalen Wettbewerb angewiesen. Deutschland hat hier nicht viel zu bieten. Nun kommt die Bundesregierung und will das ändern. Das ist schon mal sehr gut. Aber was sie vorlegt an der Stelle, ist ein Rohrkrepierer; das muss man ganz klar sagen. ({1}) Selbst wenn Sie jetzt beim Freibetrag noch mal nachbessern: Ja, was sind denn 1 440 Euro, wenn Österreich zwischen 4 500 und 7 500 Euro und Spanien 12 000 Euro zu bieten hat? Wie wollen wir denn da mithalten, liebe Bundesregierung? ({2}) Hier muss man schon etwas mehr tun. Aber viel wichtiger als der Freibetrag selbst ist die Frage, ob der Staat gleich noch mit vorgeben muss, an wen denn diese Beteiligung alles ausgereicht werden muss. Das regeln Sie dann über § 3 Nummer 39 des Einkommensteuergesetzes und legen fest, dass die Unternehmen alle Mitarbeiter beteiligen müssen, ob sie das wollen oder nicht; sonst kommen sie gar nicht in den Genuss dieser Regelung. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist komplett praxisfern. So wird kein Start-up-Unternehmen das nutzen können. ({3}) Das Gleiche gilt auch für die Dry-Income-Thematik. Das wollten Sie auch lösen. Sie lösen es nur bei den Steuern, und Sie lösen es nur bis zu zehn Jahre, obwohl Sie wissen, dass viele Unternehmen danach erst ihren Exit haben. Das können Sie an Ihrem eigenen High-Tech Gründerfonds sehen. Da haben Sie eine Haltedauer, die darüber hinaus reicht. Ferner werden die Sozialversicherungsbeiträge auch sofort fällig. Hier müssen Sie beim Dry Income wirklich noch nachbessern: beim Betrag und bei der freien Wahl der Ausreichung von Beteiligungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind in einer schwierigen wirtschaftlichen Phase. Wir müssen schnell aus dieser Krise wieder herausfinden. Wir müssen mehr auf Chancen setzen. Wir müssen mehr daraufsetzen, dass Unternehmen sich auch entfalten können. Hier können wir doch von anderen lernen. Wenn wir uns mal die Erfolgsstory von PayPal anschauen, dann sehen wir, dass frühere Mitarbeiter im PayPal-Team wie Peter Thiel oder Elon Musk danach mit ihrem Beteiligungskapital, das sie als Mitarbeiter erworben haben, selbst wieder Unternehmen gegründet haben. Sie haben ein Ecosystem ausgebaut. Und heute freuen wir uns darüber, dass Elon Musk in Brandenburg Zigtausende hochqualifizierte Arbeitsplätze bereitstellt. ({4}) Wir brauchen diese Start-up-Unternehmer auch in unserem Land, und wir brauchen Mitarbeiter, die so viel Erfolg in ihrem Unternehmen erzielen können, dass sie selbst dann auch wieder Unternehmer werden können. Ich glaube, an dem Entwurf muss noch manches nachgebessert werden. Der Bundesrat beteiligt sich gerne daran. Herzlichen Dank. ({5})

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Schöne bei so einem Sammelgesetz ist ja: Es kann sich jeder was raussuchen. Ich fange mal mit dem großen Einstieg an: Dieses Gesetz steht in der unrühmlichen Tradition des Standortwettbewerbs und der Finanzstandortideologie: Deutschland müsse immer noch attraktiver für internationales Kapital werden. ({0}) Weitgehend ausgeblendet bleiben dabei die zunehmenden Risiken, die von immer weiter wachsenden Finanzmärkten und deren immer weiter wachsender Komplexität ausgehen. Finanzstandort zu sein, ist und darf kein Selbstzweck sein. ({1}) Mit dem Gesetz soll die Palette der laut Kapitalanlagegesetzbuch zulässigen Immobilienfonds erweitert werden. Die klassische Unterscheidung zwischen geschlossenen und offenen Fonds wird durchbrochen und neue Fondstypen wie geschlossene Sondervermögen oder offene Infrastruktursondervermögen zugelassen. ({2}) – Ja, da kommen wir jetzt zu. – Die Einführung der geschlossenen Sondervermögen geht auf den Zentralen Immobilien Ausschuss, ZIA, der Immobilienwirtschaft zurück. Jochen Schenk, Vizepräsident des ZIA, begründet das so: Der Kunde will Convenience. Das ist das englische Wort für Bequemlichkeit. Das ist das Stichwort unserer Zeit. Gut, das lassen wir jetzt mal so stehen. Daher wollen wir ein Vehikel anbieten, das in die Beratungslandschaft der Banken passt und digitalfähig ist. Das Problem ist nur: Die Bequemlichkeit der einen kann leicht zum Risiko für das Gesamtsystem werden. ({3}) Unter Risikogesichtspunkten ist zum Beispiel die Anhebung der zulässigen Kreditaufnahme bei Immobilienspezialfonds von 50 auf 60 Prozent kritisch. Zusammen mit dem bereits bestehenden Überangebot an Finanzinstrumenten, dem stets sich erweiternden Angebot an Fonds und dem Bestreben, diese auch noch immer größer zu machen, schafft diese erweiterte Kreditaufnahme makroökonomische Risiken und gefährliche Spekulationsblasen. Das wollen wir nicht. ({4}) Hinzu kommt: Offene Immobilienfonds, die andere Seite sozusagen, betreiben keinen Neubau, sondern legen ihre Gelder nur im Bestand an. Das treibt eher die Immobilienpreise nach oben und verstärkt den Druck auf Mieten; denn die Anleger wollen für ihr eingesetztes Geld ja eine Rendite erhalten. Das führt jedenfalls nicht zu mehr Wohnungsbau. ({5}) Positiv ist immerhin, dass nach dem Gesetzentwurf Fondsmanager verpflichtet werden, über die Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken ihrer Anlagen zu informieren. Das hat in den Prospekten zu erfolgen, die zur Information der Anleger und der Öffentlichkeit erstellt werden. Auch die Jahresberichte müssen Angaben zu sozialen und ökologischen Aspekten sowie zu guter Unternehmensführung enthalten. Schön. Lassen Sie uns doch lieber, so mein Vorschlag, einen Wettbewerb darüber entfalten, wer den stabilsten Finanzplatz organisiert und wer die gerechteste Vermögensverteilung auf den Platz kriegt, anstatt Finanzstandort um jeden Preis zu werden. Vielen Dank. ({6})

Dr. Danyal Bayaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Moin, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kluger Mensch hat mal gesagt: „Wer einen Fehler gemacht hat und nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“ Was die Kanzlerin diese Woche offenbar begriffen hat, muss dem Kanzlerkandidaten noch lange nicht einleuchten. Andernfalls kann ich nicht verstehen, warum das Finanzministerium die vielen Verbesserungsvorschläge zu diesem Gesetzentwurf bislang ignoriert hat. Es gab viele Hinweise aus der Anhörung. Man muss ja nicht alles übernehmen; aber Sie haben quasi nichts Relevantes übernommen. Deswegen muss man sagen, dass das Gesetz leider seinen Zweck verfehlt, meine Damen und Herren. ({0}) Wir wollen Start-ups eine Heimat geben, in der sie wachsen können, und da ist die Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein wichtiges Thema. Das hat übrigens auch etwas mit der Demokratisierung von Unternehmen zu tun. Ich möchte an der Stelle mal sagen: Ich würde mir wünschen, Herr Pinkwart, dass diejenigen, die immer gerne über Mitarbeiterbeteiligung sprechen, auch über betriebliche Mitbestimmung in Start-ups sprechen. ({1}) – Nicht zu früh klatschen! Also die in der Mitte, ja! Die anderen nicht zu früh. – Diejenigen, die gerne über betriebliche Mitbestimmung sprechen, sollten sich auch über das Instrument der Mitarbeiterbeteiligung Gedanken machen. Beides gehört zur sozialen Marktwirtschaft, und über beides müssen wir sprechen, meine Damen und Herren. ({2}) Wir kennen Beteiligungsmodelle aus Ländern wie den USA, wie Frankreich, wie Israel. Leider liegt Deutschland da im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. Und ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz eben nicht aufholen werden. Ich möchte Ihnen dafür drei Gründe nennen, meine Damen und Herren. Erstens. Die Anteile sollen nach zehn Jahren besteuert werden oder eben dann, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Das soll verhindern, dass sie für ihre Anteile Geld bezahlen müssen. Aber auch nach zehn Jahren sind viele Unternehmen eben noch nicht verkauft, gerade die erfolgreichen. Das alte Problem bleibt also bestehen. Die Steuern fallen dann an, wenn beispielsweise Menschen das Unternehmen verlassen. Das zwingt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter quasi dazu, ein Leben lang im selben Unternehmen zu bleiben. Das sind ja genau die Karrierewege aus dem letzten Jahrhundert. Machen Sie sich also darüber Gedanken, korrigieren Sie das, und besteuern Sie wirklich erst dann, wenn die Menschen die Anteile verkaufen und zu Geld machen, meine Damen und Herren! ({3}) Zweitens. Sie wollen nur Start-ups steuerlich fördern, die jünger sind als zehn Jahre. Aber man muss ja wissen, dass neun von zehn dieser Unternehmen scheitern. Gerade die, die sich langfristig bewähren, die nachhaltig am Markt erfolgreich sind, gehen an der Stelle also leer aus. Das wird doch gerade dann fatal, wenn Unternehmen stark expandieren, international wachsen wollen und skalieren wollen. Deswegen: Korrigieren Sie das, und verzichten Sie auf die zeitliche Begrenzung! ({4}) Dritter Punkt. Die Erleichterungen gelten nur für sogenannte echte Anteile an Unternehmen. Drei von vier Start-ups beteiligen aber ihre Mitarbeiter mit sogenannten virtuellen Anteilen. Für die gibt es überhaupt keine Förderung. Das heißt, diese Regelung geht an der großen Mehrheit der Unternehmen vorbei. Auch das sollten Sie korrigieren. Berücksichtigen Sie auch virtuelle Anteile, meine Damen und Herren! Wir wollen weltweit –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Danyal Bayaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– ein Standort für mehr Talente sein. Deswegen sollten wir mit diesem Gesetz auch einen Beitrag dazu leisten. Da wird aktuell eine wichtige Chance vertan. Zum Stichwort „Fehlerkultur“, das wir aus der Start-up-Welt kennen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Danyal Bayaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das sollte auch für die Politik gelten. Korrigieren Sie das! Machen Sie das Gesetz besser! Dann können wir das gerne unterstützen. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bayaz. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Wiebke Esdar, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Wiebke Esdar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das „t3n“-Magazin beschrieb das moderne Start-up-Märchen kürzlich so – ich zitiere –: Statt kräftigen Konzernlöhnen bekommen Mitarbeiter in Start-ups Anteile am Unternehmen, die Idee geht durch die Decke, es kommt zum Verkauf oder Börsengang – und alle machen ordentlich Kasse. Was das Magazin in blumigen Worten beschreibt, hat prominente internationale Vorbilder. Es soll zukünftig auch in Deutschland gelten, und zwar durch eine bessere steuerliche Förderung von Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Chefinnen und Chefs, die ihre Mitarbeitenden mit Anteilen am Unternehmen beteiligen, profitieren dabei doppelt: Sie können auf der einen Seite Kapital beschaffen, und sie können die Motivation im Unternehmen steigern. ({0}) Für die Beschäftigten wiederum bringt die Kapitalbeteiligung die Chance auf Teilhabe am Unternehmenserfolg. Diese mögliche Win-win-Situation wollen wir zukünftig besser steuerlich fördern. Das ist gerade für Start-ups und kleine KMUs in der Gründungsphase entscheidend, um sich bei der Suche nach hochqualifizierten Fachkräften im Wettbewerb durchsetzen zu können. ({1}) Das Fondsstandortgesetz enthält darum zwei wesentliche Maßnahmen, um Mitarbeiterkapitalbeteiligung attraktiver zu machen. Erstens wird mit Wirkung zum 1. Juli 2021 der steuerfreie Höchstbetrag für Vermögensbeteiligungen von 360 Euro auf 1 440 Euro vervierfacht. Ich bin sicher, dass das schon mal einen großen Effekt haben wird. Zweitens kümmern wir uns um das Problem des sogenannten trockenen Einkommens, des Dry Income. Derzeit liegt nämlich ein Problem darin, dass Mitarbeitende ihre Anteile bereits versteuern müssen, wenn sie die Unternehmensanteile bekommen; aber die entsprechenden Geldmittel fließen dann ja noch gar nicht. Darum sollen zukünftig Vermögensbeteiligungen an Unternehmen zunächst nicht besteuert werden, sondern erst dann, wenn die Beteiligung veräußert wird, oder nach zehn Jahren oder bei einem Arbeitgeberwechsel. Meine Damen und Herren, uns ist klar, dass Verbände und Unternehmen noch deutlich weiter gehende Vorschläge im Bereich der Mitarbeiterkapitalbeteiligung haben. Die sollten wir auch im parlamentarischen Verfahren diskutieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir noch die eine oder andere Verbesserung zum Entwurf bekommen. Nur, Kollege Bayaz, wie ein Ministerium eine Anhörung, die in Zukunft stattfinden wird, schon vorab in der ersten Lesung berücksichtigen soll, ist mir an dieser Stelle nicht klar. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Anhörung. ({2}) Für ein ehrliches Gesamtbild sollten wir aber neben den Chancen auch die möglichen Risiken im Blick behalten; denn die Realität bei Start-ups ist, auch wenn viele es nicht hören wollen: Neun von zehn Start-ups scheitern. Im Falle der Insolvenz ist dann nicht nur der Arbeitsplatz der Beschäftigten, sondern eben auch die Unternehmensbeteiligung vernichtet. Das ist das doppelte Risiko für die Beschäftigten. In diesem Sinne freue ich mich auf eine ehrliche Debatte, auf den weiteren Austausch mit Ihnen und den Verbänden in der Anhörung, die noch kommt. Lassen Sie uns gemeinsam das moderne Start-up-Märchen in die Realität holen, indem wir die Chancen verwirklichen, ohne die möglichen Risiken aus dem Blick zu verlieren. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat eine tolle und agile Start-up-Szene. Gerade die Bereiche „künstliche Intelligenz“ und „digitale Prozesse“ haben im vergangenen Jahr im Zuge der Pandemie noch einmal erheblichen Schub bekommen. Im internationalen Vergleich liegen wir aber trotz des Wachstums in den vergangenen Jahren, insbesondere im Bereich B2B, gegenüber den USA, China und anderen europäischen Ländern noch weit zurück. In einer aktuellen Studie von McKinsey, die über 120 000 Start-ups in den letzten fünf Jahren untersucht hat, konnten drei wesentliche Standortvorteile im europäischen und vor allem im deutschen Markt herausgearbeitet werden: Erstens. Wir verfügen über hervorragende Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Zweitens. Wir haben eine hohe Industrieexpertise. Und drittens. Deutschland hat eine hohe Kapitaleffizienz, also das, was aus einem eingesetzten Euro herauskommt. Die Kapitaleffizienz ist 2,4-mal so hoch wie in anderen Ländern, insbesondere in den USA. ({0}) Aber zahlreiche Finanzinvestoren, die in deutsche Start-ups investieren, kommen nicht aus Deutschland, sondern aus dem Ausland. Deswegen muss Deutschland neben den bestehenden Förderinstrumenten – der Kollege Güntzler hat den Wagniskapitalfonds angesprochen – und anderen Möglichkeiten für Start-ups noch attraktiver werden. Das wollen wir mit dem Fondsstandortstärkungsgesetz erreichen. Wir brauchen zwei Dinge. Wir brauchen erstens eine Erleichterung und Verbesserung der Finanzierung für Start-ups. Dafür sorgen wir mit den gesetzlichen Anpassungen: Wir vereinfachen, wir schaffen digitale Prozesse, wir entbürokratisieren, und zusätzlich gibt es mehr Möglichkeiten bei den sogenannten Spezial-AIFs, also den alternativen Investmentfonds. Zweitens wird die Mitarbeiterbeteiligung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Start-ups deutlich verbessert, und zwar in zwei Bereichen. Erstens erfolgt eine Anhebung des Freibetrages – das wurde schon diskutiert –; denn der Erfolg dieser jungen und tollen Unternehmen hängt davon ab, Mitarbeiter zu gewinnen. Zweitens schaffen wir in § 19a Einkommensteuergesetz Regelungen für das sogenannte Dry Income, also für Einkünfte aus der Übertragung von Kapitalbeteiligungen ohne Geldfluss; denn Geld fließt erst, wenn die Kapitalbeteiligung verkauft wird. Bislang beträgt der Zeitraum, ab wann versteuert werden muss, zehn Jahre. Auch die Regelungen bei Arbeitgeberwechsel sind für meine Begriffe derzeit noch zu streng. Hier müssen wir in der parlamentarischen Diskussion noch nacharbeiten. Wir brauchen eine bessere Perspektive. Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen und hoffe, dass wir das für die jungen Unternehmen schaffen. Wir brauchen diese jungen Unternehmen in Deutschland; denn die jungen Unternehmen von heute sind die großen Unternehmen von morgen. Lassen Sie es uns gemeinsam angehen! Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich der Kollegin Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Olaf Scholz hat im Herbst, als er die Regelung zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung vorgestellt hat, gesagt: Eine blühende Start-up-Szene ist wichtig für unser Land, sie stärkt die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft. So weit, so gut und auch so richtig. Allerdings: Wenn man blühende Landschaften haben will, wenn man Blumen haben will, dann muss man diese Blumen auch gießen. Bei Minister Scholz hat man eher den Eindruck, er steht auf dem Gartenschlauch. Wir als Unionsfraktion müssen ständig versuchen, ihn mit Leibeskräften von diesem Gartenschlauch wegzubewegen. ({0}) Auch wir wollen blühende Start-up-Landschaften und haben dafür in dieser Legislaturperiode auch einige Instrumente auf den Weg gebracht; der Zukunftsfonds ist bereits genannt worden. Es war Ralph Brinkhaus, der das in die Koalitionsverhandlungen eingebracht, auf dem Koalitionsgipfel gefordert und auch durchgesetzt hat. Nur deshalb stehen jetzt 10 Milliarden Euro zur Verfügung, die wir mit privatem Kapital auf gut 30 Milliarden Euro heben wollen. Auf dieses Wachstumskapital warten die Start-up-Unternehmen in unserem Land. Damit gießen wir dieses Ökosystem und bringen es zum Blühen. ({1}) Es war die Union, die auch die Mitarbeiterkapitalbeteiligung gefordert hat. Allerdings ist das, was aus dem Finanzministerium kommt – das wurde in der Debatte von vielen angesprochen –, wirklich nur ein dünnes Rinnsal. Wir müssen hier nachbessern. Die Start-up-Szene sagt das ganz deutlich. Die Kollegen haben die Einzelheiten ausgeführt; wir müssen hier wirklich nachbessern, damit es auch ein Erfolg wird. Eine tolle Überschrift bringt nichts, wenn dann nur gekleckert wird. Wir müssen klotzen, damit aus den jungen innovativen Unternehmen in unserem Land große erfolgreiche Unternehmen werden. Sie sind die Wachstumsmotoren der Zukunft, sie sichern unseren Wohlstand in der Zukunft, sie sichern Arbeitsplätze und sorgen dafür, dass wir unser Land als Ganzes modernisieren. ({2}) Leider stehen das Finanzministerium und teilweise das Justizministerium auch in anderen Bereichen auf der Bremse. Als Fraktion haben wir 2019, vor zwei Jahren, die Forderung nach digitalen Wertpapieren gestellt. Dann hat es erst einmal ewig gedauert, bis etwas vorgelegt wurde, und auch das ist leider nicht ausreichend. ({3}) Um die Reihe fortzusetzen: Im August letzten Jahres hat sich die Koalition mit den Ländern darauf verständigt, 90 Millionen Euro in einen digitalen Bildungsraum, in Bildungskompetenzzentren zu investieren; denn wir sehen doch alle, wie wichtig die digitale Bildung in unserem Land ist, wie wichtig es ist, dass wir alle Menschen in unserem Land, nicht nur die Schülerinnen und Schüler, im Bereich der digitalen Bildung fitmachen. Deshalb haben wir als Bund entschieden, noch mal richtig Geld in die Hand zu nehmen. Das war im August 2020. Im November 2020 stand das Geld dann haushalterisch zur Verfügung, doch bis heute hat der Finanzminister das Geld nicht freigegeben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, achten Sie auf die Zeit.

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Konzept des BMBF liegt dafür vor. Wir warten darauf, dass das Geld jetzt auch für den Innovationsstandort Deutschland nutzbar gemacht wird. Ich freue mich auf die Beratungen zum Fondsstandortgesetz, damit wir dieses besser machen können. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Schön. – Mit diesen Worten beenden wir die Aussprache.

Torsten Schweiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Innenstädte haben in den letzten zwei Jahrzehnten einen Transformationsprozess durchlaufen und mussten sich an veränderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen anpassen. Diese Anpassungen sind in der Vergangenheit nicht immer gut gelungen. Zudem erhöht der rasant wachsende Online- und Versandhandel den Druck auf den stationären Einzelhandel. Immer mehr Menschen lassen sich ihre Produkte bequem nach Hause liefern. Als Folge davon hat sich der Einzelhandel mit inhabergeführten Fachgeschäften stark verringert; stattdessen sind zunehmend die einschlägig bekannten Filialunternehmen zu finden. Zusätzlich zu den bereits laufenden Veränderungsprozessen wirkt die Pandemie geradezu wie ein Brandbeschleuniger. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch die Coronamaßnahmen haben die Herausforderungen, mit denen die Innenstädte schon vor der Krise zu kämpfen hatten, extrem verschärft. Allein der Online- und Versandhandel verzeichnete im letzten Jahr ein Wachstum von über 30 Prozent. Es ist zu erwarten, dass dieser Anteil auch in Zukunft deutlich über dem Niveau vor der Pandemie liegen wird. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und das Bundeswirtschaftsministerium haben verschiedene Initiativen zur Stärkung der Innenstädte gestartet und die Innenstadtentwicklung zu einem deutlichen Schwerpunkt gemacht. Dazu gehört zum Beispiel die Initiative Nationale Stadtentwicklungspolitik. Dazu gehört auch die Städtebauförderung, die als laufendes Instrument ein Erfolgsgarant auch für die Innenstädte ist. Auch das Programm „Lebendige Zentren“ erfährt einen Aufwuchs und ist im Moment sehr beliebt. Das Programm „Anpassungen urbaner Räume an den Klimawandel“, ein relativ neues Programm, hat ebenfalls dazu beigetragen, hier einiges auf den Weg zu bringen. Und nicht zu vergessen: Der zweiten Projektaufruf „Smart Citys“ hat inzwischen stattgefunden. Besonders hervorheben möchte ich den 2020 vom BMI eingerichteten runden Tisch zum Thema „Innenstadt- und Zentrenentwicklung“ mit dem Beirat Innenstadt. Hier kommen viele Akteure zusammen und erarbeiten Handlungsstrategien, um gemeinsam mit den Kommunen die richtigen Konzepte zu finden. Die vorliegenden Anträge durchzieht die Forderung nach mehr Geld für Sonder- und sonstige Förderprogramme. Pauschal ausgereichte Gelder werden, denke ich, das Problem nicht lösen; das ist nicht zielführend. Die Mittel müssen zielgenau dort ankommen, wo sie gebraucht werden, um zukunftsfähige Strukturen zu fördern. Darüber, wo das ganz konkret ist, werden wir sicherlich gemeinsam noch sehr ausgiebig diskutieren und möglicherweise auch streiten. Städte und Gemeinden in Deutschland sind unglaublich vielfältig. Die Probleme sind extrem unterschiedlich, sodass man ganz genau hinschauen muss, um zu erkennen, welche Bereiche gestützt und gefördert werden sollen. Eine Lösung für diese spezifischen Probleme kann nur auf kommunaler Ebene gefunden werden; da sind wir uns sicher. Das Prinzip Gießkanne wird also hier nicht funktionieren. Doch wie werden die Innenstädte und Zentren zukünftig aussehen? Ich bin davon überzeugt, dass die Marktplätze der Zukunft weniger vom Handel geprägt sein werden, sondern viel mehr von der Gastronomie, der Kultur, vom Tourismus, von medizinischen Angeboten und Dienstleistungen. Die Innenstadt der Zukunft wird ein Ort der Begegnung, der Gastronomie, der Naherholung und des Erlebens sein. Bereits vor der Pandemie lag ein Schwerpunkt auf der Revitalisierung der Innenstädte. Jetzt geht es darum, zusätzlich zu diesen Herausforderungen die pandemiebedingten Schäden zu reparieren. Damit ende ich und sage: Viel getan, aber vieles bleibt zu tun. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schweiger. – Nächster Redner ist der Kollege Udo Hemmelgarn, AfD-Fraktion. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Wir haben an dieser Stelle zuletzt im November letzten Jahres über die deutschen Innenstädte gesprochen. Die Lage war schon damals schwierig. Sie hat sich durch die dilettantischen, unausgegorenen Coronamaßnahmen dieser Bundesregierung noch mal dramatisch verschlechtert. ({0}) Die Bundesregierung ist offenbar fest entschlossen, dem Mittelstand, dem Kleingewerbe und damit auch den Innenstädten endgültig den Garaus zu machen. Gastronomie, Hotels und weite Teile des Einzelhandels in unserem Land sind durch die Maßnahmen dieser Bundesregierung an den Rand des Ruins und darüber hinaus getrieben worden. ({1}) Gleichzeitig machen Internetkonzerne wie Amazon, Apple, Google und Facebook traumhafte Gewinne, für die sie in Deutschland praktisch keine Steuern zahlen. Wo ist hier das Konzept der Bundesregierung für mehr Steuergerechtigkeit? ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, während ein großer Teil der Coronahilfen nicht bei den Betroffenen ankommt, die sie wirklich brauchen, zahlt diese Regierung die Hilfen großzügig an Betrüger aus, unter den Letztgenannten wahrscheinlich nicht wenige, die man schon vor Jahren hätte abschieben müssen und die hauptberuflich vermutlich Teil der sogenannten Party- und Eventszene sind. Ein Stück aus dem Irrenhaus! ({3}) In dieser Zeit machen korrupte Unionsabgeordnete mit Maskendeals Kasse, der Gesundheitsminister sitzt in seiner Millionenvilla oder ist gerade bei einer Spendengala, während der Einzelhändler um seine Existenz fürchtet. Paradox! Die Auswirkungen dieser katastrophalen Politik sieht man in den Innenstädten immer deutlicher. Den Bürgern unseres Landes wird immer mehr bewusst, dass mit den Innenstädten ein großer Teil ihrer Lebensqualität verloren geht. Wir haben Ihnen in unseren Anträgen erklärt, was zur Rettung der Innenstädte notwendig ist: Handel, Gastronomie, ein gutes Citymanagement, Erreichbarkeit auch und gerade mit dem Auto, Parkmöglichkeiten, Sicherheit, Ambiente, Atmosphäre und vor allen Dingen Kultur. Die vorliegenden Anträge der Linken, der Grünen und der FDP bieten davon nichts. Der Antrag der FDP ist ein Etikettenschwindel, weil er zur eigentlichen Problematik kaum etwas sagt, sondern in erster Linie eine Förderung des freien Unternehmertums fordert. Sicherlich richtig! Für die Wiederbelebung der deutschen Innenstädte ist das aber viel zu wenig. Interessant ist auch: Eine stärkere Besteuerung der Internetkonzerne fordert die FDP gerade nicht. ({4}) Die Änderungen des Baurechts sind eher punktueller Natur und wohl kaum der große Durchbruch. Das Grundproblem liberaler Politik unserer Tage ist: Wer gedanklich im Mainstream des Great Reset mitschwimmt, der wird dieses Land und vor allem unseren Mittelstand nicht erhalten können. Die Anträge der Linken und der Grünen ähneln sich. Mietendeckel oder Mietpreisbremse wird gefordert, jetzt auch für Gewerbemieten. Das Vorkaufsrecht der Kommunen soll weiter gestärkt werden, wobei die Linken das Vorkaufsrecht natürlich so verstehen, dass die Kommunen nur noch einen sozialverträglichen Ertragswert zahlen sollen – also faktisch eine Enteignung mit dem Feigenblatt einer Entschädigung. Wenn man das liest, fragt man sich, ob die Stadtplanung von Linken und Grünen demnächst in Nordkorea entworfen wird. ({5}) Weiterhin möchten die Grünen in den Innenstädten gemeinnützige Institutionen ansiedeln, natürlich mit 500 Millionen Euro Steuergeld. Man kann sich das bunte Treiben am Seniorentreff lebhaft vorstellen, gerade wenn man die Innenstadt nur mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreichen kann. All das entfernt sich immer weiter von der seit Jahrhunderten bestehenden Funktion der Innenstädte als Orte des Handels, der Dienstleistungen, des sozialen Austauschs. Das alles scheint politisch gewollt. Innenstädte leben von ihrer Besucherfrequenz. Keiner der vorliegenden Anträge von Linken, Grünen oder FDP nimmt das zur Kenntnis. Sie alle huldigen einer vermeintlichen neuen Nach-Corona-Ära. Wie diese insgesamt aussehen soll, sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht. Sehr geehrte Damen und Herren, sicher ist: Wenn sich die Vorschläge zur Rettung der Innenstädte nicht an den Bedürfnissen, sondern an ideologischen Wunschvorstellungen orientieren, werden unsere Innenstädte schon in wenigen Monaten leer und verödet sein. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hemmelgarn. – Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wie immer: Hemmelgarn reimt sich auf Seemannsgarn. ({0}) Das ist alles, was man dazu sagen muss, ehrlich gesagt. Mehr lohnt nicht. Wir haben hier eine ganze Reihe von Anträgen, fünf in der Summe, die ich nicht alle im Einzelnen ergründen will. Das wird jeder für sich tun. Jedenfalls ist allen Anträgen gemeinsam, dass sie Hilfen für die Innenstädte wollen. Das ist im Grunde genommen auch okay. Wir haben uns angewöhnt, das Bild der Innenstädte mehr und mehr in düsteren Farben zu malen. Das wird durch die Ankündigung des Handels von über 50 000 Insolvenzen eher noch unterstützt. Corona – das ist vom Kollegen Torsten Schweiger eben schon gesagt worden – wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Aber die Debatte über die Lage der Innenstädte ist mindestens so alt wie die Einweihung einer der ersten Fußgängerzonen in Kiel vor fast 50 Jahren. Mit anderen Worten: Filialisierung und Banalisierung der Innenstädte, Verlust von Bildungseinrichtungen, des Handwerks oder des Wohnens, die Überlastung des öffentlichen Raums durch Pkw, fehlende Flächen für den Umweltverbund, das alles ist überhaupt nicht neu. Tatsächlich neu hinzugekommen sind weitere Anforderungen, beispielsweise das Verhältnis von Online- und stationärem Handel, die Digitalisierung, die Notwendigkeit, die Innenstädte barrierefrei zu machen, der Klimawandel usw. und damit eben auch der ökonomische Druck, der durch Konzentration im Handel und gleichermaßen im Immobiliensektor entsteht. Diese Liste lässt sich problemlos verlängern. Dennoch will ich an dieser Stelle sagen: Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Städten sind die Innenstädte in Deutschland lebendig. ({1}) Sie sind nicht dem Untergang geweiht. Entgegen allen Unkenrufen: Handel ist Wandel. Daran müssen wir immer denken. Ich will festhalten: Ja, Corona ist nicht nur Brandbeschleuniger, sondern hat viele Existenzen tatsächlich bedroht, und die Lage der Kommunen hat sich verschlechtert. Nach all dem, was Herr Hemmelgarn eben an Unsinn gesagt hat, will ich hier sagen: Der Bund – bei aller Kritik im Detail – hat geholfen, massiv und fortgesetzt, und die Hilfen sind angekommen – ich weiß, wovon ich rede; ich habe das überprüft – wie in keinem anderen Land. ({2}) Torsten Schweiger hat auf unterschiedliche Programme hingewiesen, mit denen zum gegenwärtigen Zeitpunkt geholfen wird. Was müssen wir also tun? 50 Jahre lang Städtebauförderung, von Willy Brandt in der Zeit seines ersten Kabinetts begründet, mittlerweile sind Hilfestellungen in Höhe von 19 Milliarden Euro geflossen. Dies zeigt, dass wir auf Bundesseite den Kommunen helfen, wenn es um Strukturwandel geht. Das machen wir. Wir wissen, Innenstädte sind die Visitenkarte einer Stadt. Deswegen gibt es dafür auch in diesem Jahr 790 Millionen Euro. Das ist eine Rekordsumme und nicht so selbstverständlich, wie die Kollegin Wagner das geglaubt hat. Ganz im Gegenteil, es ist das Ergebnis politisch wichtiger Entscheidungen. ({3}) Wenn sich Strukturwandel beschleunigt, dann stehen wir an der Seite der Kommunen. Ich will an dieser Stelle sagen: Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Koalitionspartner im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes noch einmal über die Frage diskutieren werden, wie wir den Innenstädten durch Förderung konkret helfen können. ({4}) Aber wenn wir das tun, dann darf das kein Strohfeuer werden, dann darf nicht temporäre Anmietung, um Leerstände zu überbrücken, allein sinnvoll sein, sondern es muss mit der Debatte um das Gewerbemietrecht verbunden werden. ({5}) Wir müssen Mut zum Experiment haben. Deswegen haben wir im Haushalt 25 Millionen Euro für Reallabore zur Verfügung gestellt, um innovative Impulse mit Kreativ- und Digitalwirtschaft, mit Start-ups, mit sozialen Initiativen zu ermöglichen und daraus zu lernen. Wir brauchen wieder mehr Gemeinwohl in den Städten. Das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt ({6}) für Klimaschutz, Stadtgrün, Umweltverbund. Dass der öffentliche Raum wieder Geltung bekommt, ist dabei wichtig. Wir brauchen auch eine größere Vielfalt. Handel, Wohnen und Arbeiten gehören in die Stadt und nicht vor die Stadt. Auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. ({7}) Ja, finanzielle Förderung ist wichtig – das ist überhaupt gar keine Frage; Programme auch –, aber wir müssen auch fragen, ob unsere gesetzlichen Instrumente ausreichen: vom Baugesetzbuch bis hin – das ist schon richtig – zu der Frage, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– wie der Onlinehandel und der stationäre Handel so zusammengeführt werden können, dass auch die großen Plattformen ihre Beiträge zur Infrastruktur mitfinanzieren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist eine wichtige Aufgabenstellung. Wir werden über die Stadt der Zukunft weiter diskutieren. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Daldrup. – Die Menschen in Schleswig-Holstein würden es mir nicht verzeihen, wenn ich Sie nicht darauf hinweisen würde, dass die Holstenstraße nicht erst seit 30 Jahren, sondern seit 1957 Fußgängerzone ist. ({0}) – Ja, das hat doch mit mir nichts zu tun. Also, das hat nichts mit meinem Alter zu tun. ({1}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Fraktion. ({2})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ob das die Fußgängerzone besser macht, weiß ich nicht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Hallo?

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Die Verödung der Innenstädte ist kein neues Phänomen. Das Problem hat sich seit Jahren kontinuierlich entwickelt und hat aus vielen individuellen Einkaufsstraßen mit Lokalkolorit fade austauschbare Orte gemacht, in denen sich vor allem viele Tauben wohlfühlen. In den Fußgängerzonen die gleichen Ketten, gleiche Schaufenster, gleiche Gerüche, Handyladen, Trinkhallen, Fastfood und in der dunklen Jahreszeit ab 17 Uhr tote Hose. Zuerst gingen die Kaufhäuser als Ankermieter, dann folgte der Einzelhandel, und jetzt bekommen die Innenstädte durch die desaströse Coronapolitik der Bundesregierung den Rest, weil sie seit November trotz ausgefeiltem Hygienekonzept keine Chance haben, zu öffnen. ({0}) Meine Damen und Herren, lebendige Ortskerne sind essentiell für unser gesellschaftliches Miteinander. Warum fühlen sich eigentlich Menschen zum Beispiel in Oberitalien auf den Plätzen so wohl? Weil der historische Städtebau Handel, Wohnen und Gastronomie gepaart mit toller Architektur zu einem Erlebnisraum gemacht hat. Angesichts des Innenstadtsterbens ist es auch völlig falsch und rückwärtsgewandt, wenn, wie zum Beispiel in Berlin, die Grünen die Vergangenheit beschwören. Meine Damen und Herren, Erinnerung an Vergangenheit erinnert auch daran, um 18.30 Uhr in den Laden zu hetzen, weil er gleich schließt. Das will nicht nur keiner mehr, es entspricht auch nicht dem heutigen Einkaufsverhalten. ({1}) Meine Damen und Herren, Menschen kaufen vor Ort und online. Das werden die Geschäfte überleben, die attraktive Produkte auf beiden Vertriebswegen anbieten. Der kleine Musikladen nebenan überlebt nicht, weil wir ihn wichtig finden, er überlebt, wenn wir dort auch regelmäßig einkaufen. Wir als Gesetzgeber im Bund und in den Ländern sollten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Rathäuser handeln können, um die lokalen Probleme zu lösen, denn die Kommunen wissen selbst am besten, wie sie mit den Problemen umzugehen haben. ({2}) In der Krise liegt die Chance, neu zu denken. Deswegen brauchen wir Gesetzesinitiativen, insbesondere ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz, für einen Abbau von Bürokratie für Handel – übrigens auch für Handwerk –, die vollständige Abschaffung des Solis, um Personenunternehmen, wie sie übrigens gerade auch im Fachhandel vorkommen, zu entlasten und ihnen so wieder zu mehr Liquidität für Investitionen, Technologie, Ausstattung und Personal zu verhelfen. ({3}) Wir müssen gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die raumordnende Anforderung an Sortimente bei der Ansiedlung von Einzelhandel mit dem Ziel einer großen kommunalen Planungshoheit überarbeiten. Die Baunutzungsverordnung gehört endlich auf den Prüfstand mit dem Ziel, dass Gemeinden lokal, bedarfsgerecht und flexibel Flächengrößen von Handelsbetrieben anpassen können. ({4}) Wir sollten eine Experimentierklausel zur technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm einführen, welche eine stärkere Durchmischung bestehender Quartiere möglich macht. Es stehen Verhandlungen zur Verhaltensvereinbarung Städtebauförderung an. Beim Programm „Lebendige Zentren und Quartiere“ müssen wir darauf drängen, dass Kommunen in Zukunft flexibler auf Veränderungen reagieren können und die gesamte Abwicklung der Städtebauförderung auch alleine managen können. Lassen wir zu, dass Startups und traditioneller Einzelhandel sich vernetzen und Prozesse endlich digitalisiert werden können. Meine Damen und Herren, es wird Zeit, die kommunale Selbstverwaltung zu paaren mit kommunaler Eigenverantwortung. Unsere Pflicht ist es hier und in den Ländern, bestehende Regeln zu entrümpeln. Nur so werden Städte und Gemeinden die Herausforderungen bestehen, und nur so verhindern wir auf Dauer die Zerstörung der Innenstädte. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich habe die letzte Wahlkreiswoche dafür genutzt, mich mit den Händlerinnen und Händlern in meinem Wahlkreis auszutauschen. ({0}) – Verehrte Frau Strack-Zimmermann, mit Sicherheit nicht das erste Mal. ({1}) Ich glaube, angesichts des Lockdowns sind wir alle in der Verantwortung, uns in dieser schwierigen Situation mit den Menschen, mit den Händlerinnen und Händlern regelmäßig auszutauschen. ({2}) Sehr viele trifft der Lockdown, trifft die Pandemie hart. Viele klagen über ausbleibende Hilfszahlungen, über hohe bürokratische Hürden. Die Zustimmung zur Coronapolitik der Bundesregierung befindet sich in einem dramatischen Sinkflug. Die schnelle Öffnung erscheint vielen leider als der einzige Ausweg. Herr Altmaier, Herr Scholz – beide leider nicht anwesend –, aber das ist auch Ihr Werk. Die verfehlte Coronapolitik stürzt Tausende Händler/-innen tiefer in die Krise, und das ist wirklich ein Trauerspiel. ({3}) Ein ganz entscheidendes Momentum sind die Gewerbemieten. Das Bautzener Kornmarkt-Center in meinem Wahlkreis hat die Mietzahlung im Lockdown freiwillig um 50 Prozent reduziert. Das ist vorbildlich. Aber nicht jeder hat das Glück, solch faire Vermieter zu haben. Viele Gewerbetreibende müssen staatliche Hilfen bekommen und sie quasi vollständig für die Gewerbemiete weiterreichen, oder sie müssen vor Gericht ziehen. Wir haben gesehen: Auf der jetzigen Rechtsgrundlage unterscheiden die Gerichte unterschiedlich. Gleichzeitig bleibt vielen Händlerinnen und Händlern kein Geld, ihre eigene Miete zu zahlen oder ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist nicht gerecht. Wir brauchen Klarheit. Wir brauchen einen Mietenschnitt! ({4}) Und ja, die Krise der Innenstädte begann schon lange vor der Pandemie. Insbesondere in ostdeutschen Kleinstädten stehen viele schöne Ladenlokale in den Innenstädten leer. Alles fährt raus zur neugebauten Mall am Stadtrand. In den Großstädten können sich nur noch Ketten und Filialen die Miete leisten. Tante Emma muss für Starbucks weichen. Immer mehr Innenstädte veröden zu herzlosen Konsummeilen. Das ist das Ergebnis von Spekulation und einer verfehlten Stadtentwicklungspolitik. Lassen Sie uns das endlich ändern! ({5}) Wenn jetzt das Innenministerium einen Beirat Innenstadt gegründet hat, dann ist das natürlich gut. Aber wenn die Immobilienlobby gleich mit mehreren Sitzen im Beirat vertreten ist, aber die Seite der Mieterinnen und Mieter gar nicht, dann kann das nicht gut gehen, meine Damen und Herren. ({6}) Wir, Die Linke, fordern ein Kündigungsmoratorium für Ladenbesitzer/‑innen in der Pandemie. Wir wollen ein soziales Gewerbemietrecht für danach. Wir wollen ein ausgeweitetes und preislimitiertes Vorkaufsrecht für die Kommunen und, ja, auch Geld, damit die Kommunen leerstehende Ladenlokale erwerben und sozial vermieten können. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zu guter Letzt, meine Damen und Herren: Es kann nicht sein, dass einige große Konzerne sich an der Krise eine goldene Nase verdienen und nicht dafür besteuert werden. Amazon und die anderen Gewinner dieser Krise müssen endlich besteuert werden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auch das ist ein Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit und dafür, dass Tante Emma bleiben kann. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lay. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Wagner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Daniela Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004184, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krise der Innenstädte ist weit älter als Corona; das wissen wir alle. Corona hat sie lediglich offengelegt und beschleunigt. Und die Bundesregierung hat bis heute keine Impf- und Teststrategie auf die Beine gebracht, die irgendwie geholfen hätte. Das ist das Problem. ({0}) Was wir jetzt brauchen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die Einrichtung eines Städtebaunotfallfonds, wie er auch richtigerweise von Handel und kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagen wurde, der mindestens mit einer halben Milliarde Euro ausgestattet sein muss. ({1}) Wir brauchen neue rechtliche Instrumente wie Kultur- und Gewerbeschutzgebiete – Fehlanzeige, machen Sie nicht –, eine substanzielle Erhöhung der Städtebauförderung für die krisenbedingten städtebaulichen Herausforderungen – auch Fehlanzeige. Wir brauchen dringend eine Entbürokratisierung der Hilfsprogramme und eine Senkung der Antragshürden und einen Unternehmerlohn. ({2}) Wir brauchen Nutzungsvielfalt, die rechtlichen Voraussetzungen für Nutzungsvielfalt in den Innenstädten jenseits des reinen Shoppings. Wir brauchen nichtkommerzielle Nutzungen, die Kinder und Jugendliche adressieren. Wir brauchen Kleingewerbe, Kultur, Handwerk, Wohnen, Stadtgrün, faire Gewerbemieten. Das bringt weit mehr gegen Verödung als verkaufsoffene Sonntage, die sowieso nur die großen Filialisten durchstehen. ({3}) Wir brauchen Mittel für innovative digitale Projekte, zum Beispiel in der Städtebauförderung verankert, wenigstens 290 Millionen Euro. Sie helfen dem Einzelhandel nämlich, hybrid zu arbeiten, online und stationär. Das ist entscheidend, damit er gegen die großen Onlinehändler bestehen kann. Wir brauchen Platz und Sicherheit für alle Menschen, die im öffentlichen Raum unterwegs sind, durch neue Mobilitätskonzepte, weniger motorisierten Individualverkehr, mehr Platz für öffentliche Verkehrsmittel, für Räder. So erreicht man Aufenthaltsqualität – und nicht, wie die AfD behauptet, indem man noch mehr Autos in die Stadt holt. Das ist völlig aus der Zeit gefallen. ({4}) Ja, attraktive Innenstädte sind lebenswerte Orte mit hoher Aufenthaltsqualität. Von dem Stadtplaner und Architekten Jan Gehl ist das Zitat überliefert: Eine lebenswerte Stadt ist wie eine gute Party – man will nur kurz vorbeschauen und verweilt viel länger als geplant. – Lassen Sie uns darangehen, unsere Städte in eine gute Party zu verwandeln. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Wagner. ({0}) – Moment, Frau Kollegin Zeulner, noch rufe ich auf. ({1}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der SPD, Sie haben jetzt gehört: Die Kollegen von den Grünen fordern auch mehr Handwerk in der Innenstadt. Das heißt dann automatisch, dass wir bei der TA Lärm noch einmal liefern müssen. Das betrifft das Umweltministerium, das liegt in Ihrer Verantwortung, und ich freue mich, wenn es noch vor Ende der Legislatur geschafft wird, eine Reform der TA Lärm ins Kabinett einzubringen. Ich würde das sehr begrüßen. ({0}) Was muss das Ziel für unsere Innenstädte sein? Das Ziel – das wurde hier vielfach besprochen – muss Aufenthaltsqualität sein. Wir müssen in unseren Städten Lebensoasen schaffen. Wir wollen keine zugepflasterten Städte der Zukunft, wir wollen keinen Donuteffekt, dass außenherum alles passiert und die Mitte leer bleibt. Deswegen sind die Antworten, die wir geben und die wir von Bundesseite her unterstützen müssen, immer regional, sie sind immer vor Ort verankert, und die Kommunen sind der Schlüssel. Deswegen bin ich dankbar, dass wir nach fast vier Jahren sagen können – und zwar mit Stolz –: Diese Große Koalition trägt hier im Parlament eine Regierung, die die Kommunen so sehr unterstützt hat wie keine Regierung vorher. ({1}) Die Forderungen sind klar: Wir wollen mehr Natur in unseren Innenstädten, wir wollen ein Miteinander von Handel, von Handwerk, von Arbeit, von Wohnen, von Gastronomie ermöglichen. Wir wollen aber auch ein Miteinander der Generationen. Das heißt, neben der Natur muss die Barrierefreiheit eines der zentralen Themen sein. ({2}) Wir wollen dafür aber eben auch ganz tief gehen und müssen Strukturen verändern. Das heißt, Strukturpolitik ist neben der kommunalen Verankerung einer der Schlüssel. Beispielsweise haben wir in meiner Heimat, in Oberfranken, in den letzten Jahren zwei Hochschulstandorte aus den Ballungsgebieten heraus verlagert und somit das geschaffen, was Innenstädte zwingend brauchen, nämlich Leben – durch zusätzliche Studenten, aber auch durch zusätzliche Arbeitsplätze. Dafür brauchen wir aber meiner Meinung nach nicht zwingend irgendwelche neuartigen, großen Strukturen. Wir haben sehr viele Programme, die gut sind. Der Schlüssel zu diesem Thema ist und bleibt die Städtebauförderung; denn das Schöne an der Städtebauförderung ist im Vergleich zu manch anderen Programmen, dass sie eine breite Akzeptanz findet – das haben wir hinbekommen – und das vor allem auch die Mittel in großem Maße abgerufen werden. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass jeder Euro, der in die Städtebauförderung investiert wird, mittlerweile 7 Euro weitere private Investitionen auslöst. Das finde ich bemerkenswert und zeigt: Wenn alle Ebenen gut zusammenarbeiten, auch die Öffentlichkeit und der private Sektor, dann können Dinge gut gelingen. ({3}) Mir ist es ein großes Anliegen, zu betonen, dass die große Herausforderung für unseren kleinen Einzelhandel natürlich der Onlinehandel ist. Der Umsatz ist in den letzten zehn Jahren auf das Dreifache gestiegen, von 20 Milliarden auf jetzt 60 Milliarden Euro. Deswegen muss unser Ziel in diesem Bereich eine faire Besteuerung sein – denn so, wie es jetzt angelegt ist, hat unser kleiner Einzelhandel keine Chance –, und da wollen wir hingehen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen freue ich mich, dass wir in einem Land leben, in dem die Herausforderungen im Bereich der Innenstädte erkannt sind, in dem wir miteinander Lösungen finden, in dem wir Stadt und Land zusammen betrachten und nicht gegeneinander ausspielen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen freue ich mich auf die weitere Beratung zu diesem wichtigen Thema. Vielen Dank, meine Damen und Herren und Herr Bundestagsvizepräsident. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie wissen, ich schätze Sie sehr; aber Aufrufe sollten Sie vielleicht doch befolgen.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Na ja, wegen der Sache mit der Kanzlerin bin ich schon noch ein bisschen sauer auf Sie. Das muss ich jetzt schon sagen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich habe es nicht ganz verstanden. ({0}) – Sie ist sauer auf mich? ({1}) Ich habe ihr doch gar nichts getan. Ich war im Gegensatz sogar sehr großzügig, Frau Zeulner. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothee Martin, SPD-Fraktion. ({2})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, viele Innenstädte und Einkaufsstraßen stehen aktuell kurz vorm Herzinfarkt, und wir müssen da jetzt den Defibrillator ansetzen. Mir ist bei der ganzen Diskussion wichtig – das kommt mir bislang doch zu kurz –, dass wir eben nicht nur auf die Eins-a-Lagen in den Großstädten schauen, sondern uns auch um die vielen kleineren Städte und ganz besonders um die Stadtteilzentren und lokalen Einkaufsquartiere kümmern. ({0}) Denn das sind nicht nur Orte der Nahversorgung; das sind wichtige soziale Treffpunkte, das sind Orte, die ganz entscheidend für die Lebensqualität sind, und das sind eben auch Orte, an denen es noch den inhabergeführten Einzelhandel gibt, den wir uns doch alle so wünschen. ({1}) Gerade kleine Händlerinnen und Händler sowie Gastronomen in den Quartieren – ich habe ungefähr 20 davon in meinem Wahlkreis im Hamburger Norden – benötigen doch jetzt schnelle Hilfe jenseits von langen Gesetzgebungsprozessen, sie benötigen jetzt Perspektiven. Sie wollen wir als SPD ganz besonders unterstützen. ({2}) Was braucht also etwa der Kinderspielzeugladen bei mir um die Ecke oder die Buchhandlung oder das Café? Ich möchte als Anregung einige konkrete Maßnahmen zur Stärkung von solchen kleinen Einkaufsquartieren nennen, an denen wir auf Landesebene gerade in Hamburg arbeiten bzw. die wir auch schon umsetzen. Es wird dort ein Neustartfonds aufgelegt, aus dem die Interessengemeinschaften der Quartiere Gelder für Aktionen, Veranstaltungen oder auch Marketing erhalten. Zur Vermeidung von Geschäftsleerstand wird es städtische Mietzuschüsse bei lokaler, kultureller oder kreativer Zwischennutzung geben, es wird die Nutzung von Außenflächen für Gastro und Verkauf erleichtert, und auch die Gebühren fallen weg. Das ist schon eine große Hilfestellung. Vor Kurzem ist ein Programm „Hamburger Digitalbonus“ gestartet worden, mit dem kleinere Unternehmen beim Ausbau ihrer digitalen Angebote finanziell unterstützt werden; das sind nur einige Beispiele an Maßnahmen. Durch sie wird schnelle Hilfe geleistet und Perspektiven geschaffen. Aber dazu gehört noch mehr – es wurden eben schon ein paar Punkte genannt –: Natürlich brauchen wir auch eine attraktive Platzgestaltung, Barrierefreiheit, gute Erreichbarkeit, vor allem mit ÖPNV, oder auch ein eigenes Quartiersmanagement. ({3}) Kurzum: Es gibt weiterhin sehr viel zu tun. Wir alle – ich glaube, da sind wir uns einig – wollen lebendige Städte, Marktplätze und Quartiere. Wir wollen, dass sie Treffpunkte bleiben. Deswegen sind alle gemeinsam gefordert, anzupacken und nicht gegeneinander zu arbeiten: Bund, Länder, Kommunen, Immobilienbesitzer, Akteure vor Ort und auch die Zivilgesellschaft. Wir als SPD – das sagte mein Kollege schon – wollen konkrete, schnell umsetzbare Hilfe und Unterstützung im Nachtragshaushalt des Bundestages verankern. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für uns. ({4}) Ein Appell zum Schluss: Die Zukunft unserer Städte wird nicht allein von uns in der Politik, von den Händlern oder von den Immobilienbesitzern entschieden. Sie wird auch ganz klar von den Bürgerinnen und Bürgern entschieden; denn jeder und jede kann mit dem eigenen Einkaufsverhalten dazu beitragen, dass es auch in Zukunft lebendige Quartiere gibt.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Buy local – das gilt mehr denn je. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Martin. – Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Eckhard Pols, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will das Gesagte aufgreifen. Es ist schon viel Richtiges gesagt worden, aber als Handwerksmeister muss ich dazusagen: Das Handwerk, das Sie wieder in die Stadt holen wollen – wenn es nicht schon verloren ist –, das ist nicht nur der Schuster oder der Schneider, sondern das ist auch der Tischler, das ist der Glaser; das sind auch andere Handwerke. Ich kann aus meiner Erfahrung sagen: Durch die Innenstadtentwicklung meiner Heimatstadt wurde ich aus der Innenstadt gejagt. ({0}) Ich konnte mich in der Innenstadt einfach nicht mehr entwickeln. Das sind negative Entwicklungen, denen wir entgegenwirken müssen; denn wir sind ein Teil der Daseinsvorsorge. Wenn ich oder meine Mitarbeiter mit dem Firmenfahrzeug nicht mehr in die Innenstadt kommen bzw. ich mir teure Ausnahmengenehmigungen von der Stadtverwaltung erkaufen muss, dann geht das nicht nur zulasten meines Einkommens, sondern auch zulasten der Kunden, die wir bedienen. Ganz so einfach ist es also nicht. Wir müssen uns sehr gut überlegen, wie wir das am besten lösen. Ich höre immer: „böse Vermieter“. Dreiviertel des öffentlichen Lebens findet in Kleinstädten und auf dem Lande statt. In den Kleinstädten gibt es den Privatvermieter. Ein Geschäftshaus ist auch eine Altersvorsorge für diese Bürger. Wenn wir die Miete kürzen – einfach gesetzlich sagen: der Bund muss hier etwas machen; wir kürzen die Miete meinetwegen um die Hälfte, um ein Drittel, wie auch immer; das ist völlig egal –, dann kann der Privatvermieter am Ende seinen eigenen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten, Frau Lay, und auch sein Gebäude nicht mehr erhalten. Dann haben wir irgendwann eine Entwicklung – das sage ich jetzt ein bisschen bösartig –, wie wir sie in der ehemaligen DDR hatten. Damals sind die Häuser verkommen, weil es nicht mehr rentabel war, sie zu unterhalten; ganz einfach, so ist es. Viele Kollegen, die aus den neuen Bundesländern kommen, wissen ganz genau, wie die Innenstädte ausgesehen haben. Wir wollen keine solche Entwicklung. Wir wollen schöne Innenstädte, in denen die Bürger sich wieder wohlfühlen, in denen sich die Bürger gerne aufhalten. ({1}) Dazu braucht es Gastronomie und mit Kultur – das ist alles richtig gesagt worden –, aber trotzdem muss man auch die andere Seite betrachten. Natürlich haben sich die Gewerbemieten in den vergangenen Jahren schlecht entwickelt, so will ich einmal sagen. Deswegen ist auch viel in die Ketten gegangen. Aber noch einmal: Wir leben in Deutschland vielfach in Klein- und Mittelstädten. Es geht um Vielfalt, das ist gerade das Schöne daran. Ich komme aus der Stadt Lüneburg, einer 75 000-Einwohner-Stadt mit einer tausendjährigen Geschichte. Das atmet sie auch. Sie hat Charme. Das wollen wir erhalten; aber dazu brauchen wir Vermieter, die ihre Gebäude unterhalten können. Was wir noch brauchen: Wir brauchen wieder Leben in der Innenstadt. Wir wollen Licht nicht nur unten, wo der Laden drin ist, während der erste oder der zweite Stock oder vielleicht das Dachgeschoss dunkel sind. Wir wollen nach 18 Uhr oder nach 18.30 Uhr keine „dunklen Augen“ haben, ({2}) sondern wir wollen, dass dort auch wieder gewohnt wird, dass wieder Leben in den Innenstädten ist, dass die Leute nach dem Feierabend in die Stadt gehen und Leben in die Innenstadt bringen, meine Damen und Herren. Hier muss viel getan werden. Vielleicht ist es das Einzige, was Corona Positives gebracht hat: Wir merken, wie sich der Strukturwandel, den wir schon seit 25 Jahren haben, auswirkt.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nun müssen wir endlich in Gang kommen, dass wir wieder lebendige Innenstädte bekommen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Pols. – Damit schließe ich die Aussprache.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich werde den Titel auch nicht wiederholen. – Nicht erst in Coronazeiten schließen Verbraucherinnen und Verbraucher mehr und mehr Verträge über das Internet ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Internet eröffnet uns einen schnellen und direkten Zugang zu einer großen Vielfalt an Angeboten. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Meer von Möglichkeiten den Überblick behalten, brauchen wir mehr Transparenz auf Onlinemarktplätzen, Vergleichsplattformen und bei anderen Vermittlungsdiensten. Gleichzeitig müssen wir – und das gilt nicht nur für das Internet – die Verantwortlichkeit der Unternehmen für ihre Werbeaussagen stärken. Hierfür sollen die beiden Gesetzentwürfe, die wir Ihnen heute vorlegen, sorgen. Dabei setzen wir zu einem Großteil die Vorgaben der sogenannten Modernisierungsrichtlinie um, setzen aber auch eigene wichtige verbraucherschützende Akzente. Ob Bücher, Schuhe oder Reisen: Onlinemarktplätze, Buchungs- und Vergleichsplattformen bieten sich im Internet als scheinbar neutrale Wegweiser zu dem für uns besten Angebot an. Aber warum eigentlich taucht ein bestimmtes Produkt ganz oben im Ranking auf? Handelt es sich um ein besonders beliebtes oder qualitativ hochwertiges Produkt, oder zahlt der Anbieter für seine Topposition im Ranking? Und die begeisterten Verbraucherbewertungen? Wurde geprüft, ob es sich um echte Empfehlungen oder nur um gekaufte Fake-Bewertungen handelt? Die neu geschaffenen Transparenzpflichten stellen sicher, dass Verbraucherinnen und Verbraucher über solche und andere relevante Punkte in Zukunft besser informiert sind. Für Transparenz und Rechtssicherheit sorgt der Gesetzentwurf auch im Hinblick auf das Influencer-Marketing. Der Entwurf stellt klar, in welchen Fällen Beiträge von Influencerinnen und Influencern als Werbung gekennzeichnet werden müssen. Aber, meine Damen und Herren, Transparenz allein genügt nicht. Greifen Unternehmen zu unlauteren Methoden, um ihre Produkte zu bewerben, müssen sie auch Verantwortung übernehmen, wenn Verbrauchern hieraus ein Schaden entsteht. Deshalb schaffen wir einen neuen, individuellen Schadensersatzanspruch für Verbraucher. Missbräuchliche Verkaufspraktiken finden aber nicht nur – das wissen wir – im Internet statt. Immer noch kommt es viel zu häufig vor, dass Seniorinnen und Senioren auf sogenannten Kaffeefahrten über den Tisch gezogen werden. Hier erweitern wir nicht nur die Anzeige- und Informationspflichten der Veranstalter, sondern verbieten auch den Verkauf von Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln und erhöhen die maximale Bußgeldhöhe für gewerberechtliche Verstöße um das Zehnfache, meine Damen und Herren. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein modernes und durchsetzungsstarkes Verbraucherschutzrecht bedarf ständiger Überarbeitung und Fortentwicklung. Dazu sollen diese Gesetzentwürfe ihren Beitrag leisten. Ich setze auf Ihre Unterstützung der beiden Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Lothar Maier, AfD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzgeber ergänzt und präzisiert in diesem Gesetzentwurf zur Änderung des BGB – ich sage mal so: würde ich den vollen Namen verlesen, würde mich das meine halbe Redezeit kosten; der Herr Präsident hat es mir ja auch schon abgenommen – in Umsetzung einer EU-Richtlinie eine Reihe von verbraucherschützenden Bestimmungen. Die Richtlinie entspricht dem Prinzip der Vollharmonisierung, das aus unserer Sicht nur akzeptabel ist, wenn ausreichende Spielräume für nationale Modifikationen in Gestalt von Öffnungsklauseln vorgesehen sind. ({0}) Das scheint hier nur sehr eingeschränkt der Fall. Immerhin wird im Gesetzentwurf darauf verzichtet, die neuen EU-Regelungen auch dort anzuwenden, wo etablierte und bewährte deutsche Strukturen im Verbraucherschutz bestehen, so besonders im Bereich der außergerichtlichen Streitschlichtung. Unklarheiten über Zuständigkeiten und Abläufe bestehen dennoch. So ist zum Beispiel der Kompetenzbereich des neuen Bundesamts für Justiz nicht klar genug beschrieben. Soll es nur einzelne, sektorale Funktionen im Verbraucherschutz übernehmen, oder soll es zur Verbraucherschutzbehörde im eigentlichen Sinne werden, die dann auch Aufgaben der Marktüberwachung übernimmt? Dem Bundesrat ist zuzustimmen, wenn er eine Debatte über diese Frage vermisst. Aus Verbrauchersicht bedeutsam sind vor allem folgende Bestimmungen. Zunächst stellt die neue Regelung des Widerrufs eine absolute Verschlimmbesserung dar. Der neue § 357a BGB ist so formuliert, dass zum Beispiel Handwerker keinen Anspruch auf Wertersatz haben, wenn auch nur eine der folgenden drei Voraussetzungen erfüllt ist: Erstens. Der Verbraucher hat von dem Unternehmer nicht ausdrücklich verlangt, vor Ablauf der Widerrufsfrist mit der Arbeit zu beginnen. Das aber ist im Baugewerbe, wenn der Vertrag auf der Baustelle mündlich geschlossen und über ein Widerrufsrecht gar nicht gesprochen wurde, der Regelfall. Zweitens. Der Verbraucher hat den Auftrag nur mündlich und nicht schriftlich bzw. in Textform erteilt. Genau das geschieht auf der Baustelle normalerweise aber. Drittens. Der Unternehmer hat den Verbraucher nicht durch eine Musterwiderrufsbelehrung informiert. Das ist abwegig, weil hochgradig praxisfremd und ‑feindlich gegenüber den KMU. ({1}) Hiergegen hat die AfD schon bei der letzten Änderung einen eigenen Änderungsantrag eingebracht – leider auch damals erfolglos. Das sind Regelungen, die den Zweck haben, den Leuten das Leben schwerzumachen – sonst nichts. Die Informationspflichten der Anbieter sind im Gesetzentwurf umfangreich geregelt. Das ist zwar wünschenswert, aber der Gesetzentwurf weist noch einige Schwachstellen auf. Zu begrüßen ist, dass bei Angeboten für Waren und Dienstleistungen, die online auf Marktplattformen und Vergleichsportalen angeboten werden, irreführende Rankings nicht mehr zulässig sein sollen und Ergebnisse für Suchanfragen, die durch bezahlte Produktplatzierungen entstanden sind, nur noch dann zulässig sein sollen, wenn dies den Verbrauchern auch mitgeteilt wird. Es dürfte allerdings nicht lange dauern, bis die betreffenden Portale diese Informationen so formulieren, dass der Missbrauch nicht mehr erkennbar ist. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung ein weiterer Baustein ist, durch den das Verbraucherschutzrecht im BGB und im EGBGB eigentlich kaum noch überschaubar wird. Ich würde mich sehr wundern, wenn irgendein Amtsrichter in Deutschland durch diesen Wust an Spezialregelungen und Verweisungen noch durchsieht. Für Juristen ist es zu zersplittert, für Unternehmen kaum noch beherrschbar und für Verbraucher sowieso zu kompliziert. Aus diesem Grunde werden wir nicht zustimmen können. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Maier. – Als weiteren Redner rufe ich auf den Kollegen Sebastian Steineke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Steineke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004417, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Verträgen auf Onlinemarktplätzen, bei Vergleichsportalen, bei Werbung von Influencern und beim leidigen Thema Kaffeefahrten: Überall stellt sich seit Jahren eine Vielzahl von verbraucherschutzrechtlichen Fragen. Wir beraten daher heute gleich zwei Gesetzentwürfe, deren Titel ich glücklicherweise auch nicht mehr vorlesen muss und die Verbesserungen in diesen Bereichen für den Verbraucherschutz vorsehen. Da ist zunächst die Umsetzung der Modernisierungsrichtlinie. Die Richtlinie sieht Anpassungen an die EU-Verbraucherschutzrichtlinie vor. Die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen klare und deutliche Entscheidungshilfen für ihren Vertragsabschluss auf den Onlinemarktplätzen. Ein paar Punkte möchte ich dazu näher skizzieren. Der wesentliche Inhalt bei diesem Thema – das hat der Herr Staatssekretär Lange schon gesagt – sind die Transparenzpflichten für die Onlinemarktplätze. Die Informationspflichten für die Betreiber beziehen sich nunmehr vor allen Dingen – das ist, glaube ich, ganz wichtig – auf die Offenlegung der Hauptparameter für die Rankings – man will ja auch wissen, warum ein Produkt oben steht oder eben nicht –, auf Angaben über die Unternehmereigenschaft und die Unternehmer, die dort Waren und Dienstleistungen anbieten, und auf die Anwendbarkeit des Verbraucherschutzrechts. Daneben werden die Betreiber aber eben auch zu Informationen über Umstände verpflichtet, die für die Entscheidung über den Vertragsabschluss durchaus von Bedeutung sein können, und da gibt es ein Thema, das, glaube ich, relativ wichtig ist, nämlich die Frage der Verflechtung zwischen dem Onlinemarktplatz und dem anbietenden Unternehmen. Ich glaube, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Verbraucher auch wissen muss, ob da eine Beteiligung und, wenn ja, in welcher Höhe besteht. ({0}) Bei Vergleichsportalen wollen wir natürlich auch wissen, wie bei der Erstellung des Angebots für den Verbraucher vorgegangen wird, und bei Ticketbörsen – ich glaube, das ist auch eine nicht ganz unwichtige Geschichte – wollen wir wissen, wie der Originalpreis für die Eintrittskarte gewesen ist. Ich glaube, wir alle wissen, über welche Größenordnungen wir da zum Teil reden, wenn wir dann wieder in der Zeit sind. Es gibt noch ein paar weitere Regelungen, die in dem Gesetzentwurf mit umfasst sind: Sanktionen, Einführung von Informationspflichten bei Preispersonalisierung. – Der Spielraum ist nicht so groß, aber ich denke, wir werden im Rahmen des Prozesses und der Anhörung noch gucken, ob man hier noch ein klein wenig weiter schärfen muss. Der zweite Teil betrifft die Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht und sieht hier insbesondere im Kontext digitaler Geschäftsmodelle noch weitere Schärfungen vor. Dabei geht es noch mal um das Thema Onlinemarktplätze, Rankings, Verbraucherbewertungen. Wir haben ja gerade gehört, dass die Frage von sogenannten Fake-Bewertungen eine große Rolle spielt. Es muss durch die Unternehmen offengelegt werden, ob und in welcher Form es sich tatsächlich um ehrliche Verbraucherbewertungen handelt. ({1}) – Da hat der Kollege Ullrich recht: Das ist ganz wichtig. Auch wenn Vermittlungsplattformen Verbrauchern die Suche nach Waren oder Dienstleistungen verschiedener Anbieter ermöglichen, wird das Thema Ranking noch einmal relevant. Wir haben eben schon darüber gesprochen, dass Verbraucherbewertungen ein wesentliches Thema sind. Ein Thema, das in Deutschland vielleicht nicht immer eine so große Rolle spielt, aber von dem man immer wieder aus anderen Ländern hört und das deswegen auch mitgeregelt wird, ist das Dual-Quality-Verbot. Es soll sicherstellen, dass Produkte, insbesondere im Lebensmittelbereich, gleiche oder vergleichbare Wertigkeiten aufweisen, und die Frage klären, ab wann es sich um Irreführung handelt, wenn ein Produkt mit unterschiedlichen Aufbereitungen im gleichen Kontext vermarktet wird. Als Beispiele seien da bestimmte Nussnugatcremes oder Fischstäbchen genannt. Auch das regeln wir. Am Ende des Tages wird es auch noch die Einführung eines individuellen Schadensersatzanspruches im UWG geben, ergänzend zu den bestehenden Regelungen. Ein relativ wichtiger Punkt – der Kollege Ullrich wird ihn gleich noch aufgreifen – ist das Thema der Influencer und Blogger: Wie und wann müssen bestimmte Beiträge von ihnen als kommerziell markiert werden? Da gibt es eine unterschiedliche Rechtsprechung. Ich glaube, eine Klarstellung unsererseits ist hier relativ wichtig und wird von den Verbraucherinnen und Verbrauchern erwartet. Wir beschäftigen uns in unserem Gesetzentwurf aber auch mit einem etwas analogeren Thema, nämlich mit den Kaffeefahrten. Diese sind zurzeit nicht so das große Thema, weil es keine Fahrten gibt; aber trotz vieler Warnungen in den letzten Jahren fallen immer noch und immer noch viel zu viele, vor allem – das muss man leider sagen – ältere Verbraucherinnen und Verbraucher auf zum Teil durch verbrecherische Art und Weise erzielte Verkäufe bestimmter Produkte herein, von Kaffeedecken bis zu vielen anderen Dingen. ({2}) – Ja, abwarten! Deswegen will der Gesetzgeber hier ja auch handeln. Es gibt dazu auch einen Entwurf aus Bayern; er liegt dem Bundesrat vor. Er sieht eine Verschärfung in diesem Bereich schon vor. Wir reden über Kaffeefahrten zu sogenannten Wanderlagern; das ist auch so ein schöner Begriff aus dem Gewerberecht. Wir erweitern die Anzeigepflicht, insbesondere bei Fahrten ins Ausland. Es gelten verschärfte Informationspflichten und – das ist jetzt schon vorgesehen – ein Verbot für den Vertrieb von Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln. Auch in Bezug auf diesen Gesetzentwurf gibt es noch weitere Wünsche; die muss man sich angucken. Die Entwürfe haben viele Facetten. Ich glaube, da können wir in der öffentlichen Anhörung im April noch eine Menge mitnehmen und kommen dann hoffentlich zügig zu guten Ergebnissen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Steineke. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Katharina Willkomm, FDP-Fraktion. ({0})

Katharina Kloke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004783, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den vorliegenden Entwürfen soll der Verbraucherschutz im digitalen Raum verbessert werden. So im Grundsatz ist das ganz prima. Anders als die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten wissen die Verbraucherinnen und Verbraucher die Vorteile des Internets, von Apps und Onlinemarktplätzen zu nutzen. Sie nutzen sie sogar aus eigenem Antrieb, zum Beispiel, um schnell und günstig Coronaselbsttests zu kaufen. Dementsprechend wächst der E-Commerce, und Onlineunternehmen wie Delivery Hero steigen in den DAX auf. Wir Freien Demokraten sehen im Digitalen immer mehr die Chancen statt die Bedenken: ({0}) Chancen für eine bürgernahe Verwaltung, eine bessere Produktauswahl für Verbraucher und innovative Geschäftsmodelle von Start-ups. Deshalb sehen wir hier auch, dass dieses Gesetz zwar Hoffnung auf einen besseren Verbraucherschutz weckt, aber auch mehr Bürokratielast für die Unternehmen garantiert. Aber klar: Je mehr Menschen online Tickets buchen, einkaufen oder daten, desto mehr Gelegenheit gibt es, Verbraucher online zu täuschen oder zu betrügen. Wir alle kennen Berichte über gekaufte Amazon-Sterne oder feuerfangende Teddybären aus China – und selten ist ein Händler greifbar. Insofern ist es sinnvoll, wenn Betreiber von Onlinemarktplätzen Verbrauchern nicht nur aus Kundenfreundlichkeit mitteilen, wie sie zu erreichen sind, und die Unternehmen nennen, für die sie tätig werden. Es wäre sinnvoll, wenn Betreiber nicht nur Telefonnummer und E-Mail-Adresse nennen müssten, sondern wenn Chatdienste auch so anzubieten sind, dass die Korrespondenz auf einem Dauerdatenträger gespeichert werden kann. Das Gleiche gilt auch für Informationen über Lieferbedingungen, Personal Pricing und Gesamtpreise. Es ist gut, dass nun zumindest ein Gesamtpreis angegeben werden muss; das kommt unserem Antrag auf Angabe eines Durchschnittspreises bei Dauerverträgen sehr nah. ({1}) Denn Transparenz und Erreichbarkeit sind wichtige Voraussetzungen, damit mündige Verbraucher ihre Rechte kennen und durchsetzen können. Man könnte hier viel mehr Punkte aufzählen, wie die Pflichtangaben zum Ranking von Produkten oder über Unternehmereigenschaften eines Anbieters. – Für all das ist jedoch nicht der Bundesregierung zu danken; denn sie setzt nur das um, was der europäische Gesetzgeber ihr vorschreibt. ({2}) Auf der anderen Seite ist der Bundesregierung vorzuwerfen, dass ein Onlinehändler bei Verstößen mit drastischen Bußgeldern von bis zu 4 Prozent seines Jahresumsatzes rechnen muss; denn diese Bundesregierung hat im Rat der EU dieses Damoklesschwert gerne mitgeschmiedet. Das kommt dabei heraus, wenn man Unternehmerinnen und Unternehmern grundsätzlich misstraut und das Internet immer noch Neuland geblieben ist. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Willkomm. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze, Fraktion Die Linke. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit den zwei vorliegenden Gesetzentwürfen möchte die Bundesregierung europäisches Recht in nationales Recht umsetzen. Grundsätzlich bewertet Die Linke beide Gesetzentwürfe positiv. So wird nun endlich ein allgemeiner Schadensersatzanspruch eingeführt, wenn einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher Nachteile durch Rechtsverletzungen erleiden. Das war überfällig und ist dringend erforderlich. ({0}) Auch die neu eingeführten Informationspflichten für Betreiberinnen und Betreiber von Onlinemarktplätzen werden zu einer Verbesserung des Verbraucherschutzes führen. Wir wären jedoch keine gute Opposition, wenn wir hier so einfach alles durchwinken würden. Bedauerlicherweise nutzt die Bundesregierung den Spielraum, der ihr hier geboten wird, nicht aus, sondern belässt es beim Klein-Klein. Auch wenn die Rede des Staatssekretärs etwas emotionaler war, hat man ein bisschen das Gefühl, dass der ein oder andere auf der Regierungsbank etwas regierungsmüde ist. Wieso ist es denn weiterhin nicht möglich, einen Vertrag, der durch unlautere Geschäftspraktiken zustande gekommen ist, einfach zu beenden? Wir alle kennen doch die Berichte von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die versehentlich in eine vertragliche Abhängigkeit gerutscht sind. ({1}) Sie werden dann zu immer mehr und höheren Zahlungen aufgefordert. Mitunter geben die vermeintlichen Unternehmer/-innen, die schlichtweg Betrüger sind, sich auch gerne als Polizei aus, um Geld zu erpressen. Eine unkomplizierte Beendigungsmöglichkeit würde den schützenswerten Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gerecht werden. ({2}) Sie würde auch dazu führen, dass es Anbieterinnen und Anbietern nicht mehr möglich ist, Geschäftspraktiken mit der Absicht anzuwenden, Vorteile aus unrechtmäßig angebahnten Vertragsverhältnissen zu ziehen. Leider macht die Bundesregierung zudem keinen Gebrauch von der Möglichkeit, die Widerspruchsfrist für Verträge zu verlängern. Derzeit beträgt sie 14 Tage. Eine Verlängerung auf 30 Tage wäre möglich. Bestimmte Gruppen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, beispielsweise ältere Menschen, brauchen beim Widerruf eines Vertrages oft Unterstützung. Dafür benötigen sie genügend Zeit, um die Verträge kündigen zu können, ohne unter Druck gesetzt zu werden. Gerade wenn es um die Wahrung der Selbstbestimmung geht, bedarf es einer Verlängerung dieser Widerspruchsfrist von 14 auf 30 Tage. ({3}) Nichtsdestotrotz sind die vorliegenden Gesetzentwürfe eine deutliche Verbesserung im Verbraucherschutz. Wir werden auch wegen der genannten Kritikpunkte als Linksfraktion leider nicht zustimmen können; wir werden uns enthalten. ({4}) Trotzdem wünsche ich ein schönes Wochenende und ein herzliches Glückauf! Danke schön. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lutze. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Tabea Rößner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Komfort, Zeitersparnis, Bequemlichkeit und Corona, das sind Gründe, warum der digitale Handel boomt. 57 Millionen Menschen in Deutschland kaufen online ein. Der Umsatz von Waren im E-Commerce ist im vergangenen Jahr um 14,6 Prozent auf über 83 Milliarden Euro explodiert. Krisengewinnler sind Unternehmen wie Amazon, ausgerechnet die Plattformen, die bereits über eine immense Marktmacht verfügen. Seit Jahren bestehen hier gravierende Mängel im Verbraucherschutz. Aber genau diese Mängel werden nicht behoben – ein Trauerspiel für den Verbraucherschutz. ({0}) Transparenzverstöße, falsche Bewertungen, Schleichwerbung, dieser Realität hinken EU-Richtlinie und Ihr Gesetzentwurf deutlich hinterher. Die neuen Transparenzverpflichtungen für Onlinemarktplätze, zu Rankings und Bewertungen sind längst überfällig. Vor allem sind sie ausbaufähig. ({1}) Es reicht eben nicht, wenn Verbraucher/-innen lesen können, dass Provisionszahlungen Einfluss auf Rankings haben. Sie sollten sich darauf verlassen können, dass Rankings nur nach objektiven Kriterien zustande kommen. ({2}) Plattformen sollten verpflichtet werden, gegen Fake-Bewertungen vorzugehen und Prüfmechanismen einzuführen, damit Falschdeklarationen und Irreführungen unterbunden werden. Das alles kann jedenfalls nur ein Anfang sein. Der Digital Services Act bietet nun die Chance, Plattformen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Ich fordere die Bundesregierung auf: Setzen Sie sich auch auf EU-Ebene mit Nachdruck für starke Verbraucherrechte ein! ({3}) Verbesserungen gibt es endlich bei den Kaffeefahrten, auch wenn der Gesetzentwurf aus Bayern schon seit Jahren vorliegt und nichts getan wurde. Doch hier springt die Bundesregierung auch wieder zu kurz. Gut wäre es, wenn auch Finanzdienstleistungen und Pauschalreisen nicht auf Kaffeefahrten vertrieben werden dürften. Die haben da auch nichts zu suchen. ({4}) Ein fortlaufendes Ärgernis für viele Verbraucher/-innen sind Überrumpelungen an der Haustür, gerade in Coronazeiten. Aber gegen aggressive Haustürgeschäfte unternehmen Sie nichts. Wenigstens eine verlängerte Widerrufsfrist oder eine Deckelung bei Sofortzahlungen hätten hier drin sein müssen. ({5}) Ganz und gar nicht im Sinne des Verbraucherschutzes ist die Rolle rückwärts beim neuen Schadensersatzanspruch, wenn Unternehmer Verbraucher/-innen in die Irre führen. Wenn ich an Haftungsfälle von Onlineplattformen oder Anlagebetrug denke, sehe ich: Bei Massenschäden läuft dieses Rechtsmittel bei sechs Monaten Verjährungsfrist weitgehend leer. Der Dieselskandal sollte uns allen da doch eine Lehre sein. ({6}) Im Koalitionsvertrag hatten Sie klare Regeln für die digitale Welt versprochen. Am Ende der Legislaturperiode sind da noch ganz schön viele Leerstellen. Bessern Sie also nach im Sinne eines Verbraucherschutzes, der diesen Namen auch wirklich verdient hat. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nicht erst seit den Coronazeiten kaufen die Bürgerinnen und Bürger vermehrt online ein, informieren sich vermehrt über Vertragsgestaltungen und Angebote. Deswegen ist ganz klar, dass wir für mehr Fairness und für mehr Transparenz bei Onlinegeschäften sorgen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das machen wir mit diesem Gesetz. ({0}) Denn wenn man sich im Internet nach solchen Angeboten erkundigt, dann stößt man oft auf Rankings. Studien zeigen, dass die Rankings einen ganz erheblichen Einfluss auf das Konsumverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher haben: Je höher ein Angebot steht, desto eher wird es geklickt und angenommen. Deswegen ist eines ganz klar: Wir brauchen faire und transparente Regeln, wie diese Rankings zustande kommen. Insbesondere müssen wir verhindern, dass sich Anbieter ein Ranking erkaufen können, dass also das Ranking manipuliert ist. Es muss ganz klar sein, ob für ein bestimmtes Ranking Geld geflossen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Und wir sorgen auch dafür, dass wir bei den Onlinetickethändlern, wo einiges im Argen liegt, mehr Transparenz bekommen. Kleines Beispiel: Gestern, 17 Uhr, startete der Vorverkauf für die „Die Ärzte“-Tournee – die beste Band der Welt, wie wir alle wissen – für nächstes Jahr. Um 17 Uhr ging es los, und 10 Minuten später war alles ausverkauft. Und 13 Minuten später wurde auf der Plattform viagogo das Ticket, das eigentlich 40 Euro gekostet hätte, für fast 7 000 Euro angeboten. Bei solchen Preisexplosionen können alle Musikfans und Sportfans nicht zuschauen. Da haben sie zu Recht die Erwartung, dass wir regulieren, und das tun wir. ({2}) Wir verbieten, dass softwareunterstützt diese Tickets aufgekauft werden können. Ich finde, wir sollten noch einen Schritt weitergehen und auch einen Deckel einziehen, sodass diese Tickets nur zu einem bestimmten höheren Prozentsatz weiterverkauft werden dürfen. Und es muss auch angegeben werden: Wo kommen diese Tickets eigentlich her? Das werden wir tun; diesem Treiben werden wir ein Ende bereiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Es mag etwas skurril anmuten, dass wir uns hier angesichts der Inzidenzzahlen und der Auslastung des Gesundheitswesens über Kaffeefahrten unterhalten. Aber die EU-Richtlinie sieht dies eben vor, und es ist auch richtig, dass wir das in Deutschland umsetzen. Hoffentlich bald werden wir alle wieder Kaffeefahrten machen können, ({4}) und dann muss dafür Sorge getragen werden, dass dort keine Abzocke stattfindet. ({5}) Das Entscheidende ist, dass wir dort insbesondere bei einem Punkt für Verbraucherschutz sorgen; denn oftmals ist es ja so, dass die Veranstalter von Kaffeefahrten keine Adresse angegeben haben, nur ein Postfach. Das war das entscheidende Manko. Das ändern wir jetzt. Die Veranstalter von Kaffeefahrten werden zukünftig eine zustellungsfähige Adresse angeben müssen. Wer hier die Verbraucher, gerade die Seniorinnen und Senioren, abzockt, der kann sich nicht mehr hinter einem Postfach im Ausland verstecken. Die Seniorinnen und Senioren, die abgezockt wurden, können zukünftig in Deutschland ihren Schadenersatz einklagen. Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt bei den Kaffeefahrten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Einen Punkt möchte ich auch noch nennen. Wir werden das Influencer-Marketing stärker regulieren. Denn oft ist es ja so, dass gerade junge Follower sehen, dass hier Influencer/Influencerinnen Produkte anbieten. Dann sollte schon klar sein: Ist es nur ein Tipp, ein gutgemeinter Ratschlag, oder stecken finanzielle Interessen dahinter? Ist es Marketing? Ist es bezahlte Werbung? – Deswegen ist es gut, dass wir hier jetzt für Influencer und Influencerinnen eine Kennzeichnungspflicht regeln. Sie müssen zukünftig darstellen, ob sie bei ihren Produkthinweisen bezahlte Werbung machen. Auch das, glaube ich, ist ganz wichtig, gerade für die jüngeren Followerinnen und Follower. ({7}) Ich finde, wir sollten noch einen Schritt weitergehen und bei den Gesetzesberatungen prüfen – letzter Gedanke –, ob wir nicht auch kennzeichnungspflichtig machen, wenn nicht für ein Unternehmen, sondern etwa für einen bestimmten Staat geworben wird, wenn etwa Länder, wo es offensichtlich Menschenrechtsverletzungen gibt, dann von Influencern gegen Bezahlung viel zu positiv dargestellt werden. Auch das soll uns in den weiteren Beratungen beschäftigen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, alles in allem ein sehr gutes Gesetz für den Verbraucherschutz. Verweisen wir es in die Ausschüsse, und stimmen wir dem dann zu. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Fechner. – Vielleicht sollten wir bei den von Ihnen genannten Ticketpreisen für den Auftritt der „Ärzte“ darauf hinweisen, dass das nicht mit einer Impfung verbunden ist. – 7 000 Euro? ({0}) Jetzt kommt der letzte Redner in dieser Debatte. Das ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute werden zwei Gesetze zu mehr Verbraucherschutz in den Deutschen Bundestag eingebracht. Es geht um die Frage der Umstände eines Vertragsschlusses. Nach unserer Rechtsordnung sollen diejenigen, die einen Vertrag schließen, alle wesentlichen Elemente über den Vertrag kennen. Das ist eine Frage von Objektivität und Fairness. Überall dort, wo diese Informationen nicht vorliegen, sprechen Ökonomen von sogenannten Informationsasymmetrien. Liegen Informationsasymmetrien vor, liegt auch nach der reinen Lehre Marktversagen vor. Gegenüber Marktversagen muss die Ordnungspolitik tätig werden, und das werden wir. Es geht zum einen um die Frage: Welche Produkte werden auf Onlinemarktplätzen dargestellt? Meist ist es so, dass man, schon aus Bequemlichkeit, gar nicht durch die zig Seiten blättert, sondern zu den ersten Angeboten greift. Aber die Frage ist erlaubt: Wie kommen denn die Produkte auf die ersten Seiten? Was liegt dem zugrunde, dass manche Produkte vorne und manche hinten gerankt sind? Da müssen die Verbraucher klar und deutlich wissen: Stecken da weitere, auch finanzielle Kriterien dahinter? Nach welchen Maßstäben werden Produkte gerankt? Das ist eine Sache von Klarheit und Wahrheit, und die werden wir jetzt deutlich regeln. Es geht zum anderen um die Frage: Wie werden denn Bewertungen zukünftig betrachtet? Wir alle kennen es aus dem alltäglichen Leben: Meistens stellt man sich doch bei der längeren Schlange an; denn da, wo bereits viele Menschen stehen, kann es ja nicht so schlecht sein, und dort, wo niemand kauft, ist es vielleicht schwierig. Ähnlich verhält es sich mit den Sternen im Internet. Bei einer Bewertung mit viereinhalb oder fünf Sternen wird eher gekauft als bei einer mit drei oder zwei Sternen. Aber die Frage muss doch erlaubt sein: Wie kommt es zu den vier oder fünf Sternen? Welche finanziellen Interessen stecken dahinter? Wie werden diese Ratings ermittelt? Verbraucher haben einen Anspruch darauf, das zu wissen. Das werden wir jetzt regeln, und das ist ein wesentlicher Fortschritt beim Verbraucherschutz. Entscheidend ist auch, dass wir die Frage der Kaffeefahrten angehen. Ich finde, es ist nach wie vor ein Skandal, wenn hier vor allen Dingen ältere Menschen im wahrsten Sinne des Wortes abgezockt werden. Ich meine, man sollte die Freuden an einer Kaffeefahrt niemandem nehmen, aber es muss deutlich gemacht werden, dass keine wirtschaftliche Übervorteilung auf solchen Fahrten mehr zugelassen wird. Deswegen bin ich dafür, dass wir die Palette der Produkte, die auf Kaffeefahrten nicht mehr angeboten werden können, weil sie nicht preistransparent genug sind, ausdehnen. Nahrungsergänzungsmittel und Medizinprodukte sind ein wichtiger Anfang, aber lasst uns das doch noch ausweiten auf Finanzprodukte und Ähnliches. All das, wobei Intransparenz möglich ist, sollte nicht auf Kaffeefahrten angeboten werden dürfen. ({0}) Ein letzter Satz zum Thema Influencer-Marketing. Ich glaube, hier müssen wir auf der einen Seite Rechtssicherheit schaffen, gerade auch für solche Menschen, die ohne wirtschaftliches Interesse aus einer reinen Äußerung von Meinung heraus über ein Produkt reden. Für sie darf das Wettbewerbsrecht, wenn sie kein finanzielles Interesse haben, nicht in gleichem Maße gelten. Da dürfen wir gerade auch junge Influencer nicht unter einen Generalverdacht stellen. Auf der anderen Seite aber müssen all diejenigen, die in einem starken Maße davon wirtschaftlich profitieren und auf Hunderttausende junge Menschen Einfluss haben, stärker vom Wettbewerbsrecht kontrolliert werden. Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf regeln. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Dr. Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache.

Sarah Ryglewski (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004622

Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank auch dafür, dass Sie noch einmal den genauen Titel des jetzigen Tagesordnungspunktes vorgelesen haben. Wie Sie sehen, beraten wir hier einen ganzen Schwarm von Gesetzen und europarechtlichen Vorgaben, die wir in nationales Recht umsetzen wollen. Und wie das so ist bei einem Schwarm: Jedes einzelne Element ist wichtig, aber erst zusammen sind sie wirksam. Im Vordergrund – auch das wird aus dem Titel des jetzigen Tagesordnungspunktes deutlich – steht die europäische Verordnung über Schwarmfinanzierungsdienstleistungen. Und weil sich vielleicht nicht jeder unter diesem Begriff etwas vorstellen kann, noch einmal zur Einordnung: Schwarmfinanzierung ist eine alternative Finanzierungsform, bei der eine Vielzahl von Investoren Kapital für einzelne Projekte, die meistens über eine Plattform oder ein Onlineportal angeboten werden, bereitstellen. Wir sind hier also bei einem ähnlichen Thema wie vorhin beim Fondsstandortgesetz. Auch hier geht es darum, wie wir Kapital gerade für jüngere und wachstumsstarke Unternehmen zur Verfügung stellen. Das Ganze ist ein hochdynamischer Markt, und deswegen muss hier immer wieder regulatorisch nachgesteuert werden. Mit der Verordnung werden einheitliche Aufsichtsbestimmungen für diese Plattform geschaffen. Die Erbringung dieser Dienstleistung ist künftig EU-weit unter Nutzung des sogenannten Europäischen Passes möglich. Dadurch verbessern sich einerseits die Finanzierungsmöglichkeiten vor allem kleinerer Unternehmen; zugleich werden aber auch neue Anlagemöglichkeiten eröffnet. Wie Sie sehen, konzentrieren wir uns beim Thema Start-up-Förderung und Unternehmensförderung nicht nur auf ein Gesetz, sondern die Bundesregierung hat schon in der Vergangenheit mit einer Vielzahl von Gesetzen proaktiv reagiert und tut es auch heute wieder. ({0}) Wir behalten aber auch den Anlegerschutz im Blick. Ich glaube, dass beide Punkte untrennbar miteinander verbunden sind; denn nur, wenn man der Meinung ist, dass man sicher investieren kann, nimmt man diese Angebote auch wahr. Inhaltlich verpflichtet die europäische Verordnung über Schwarmfinanzierungsdienstleistungen dazu, solche Dienstleistungen nur auf der Grundlage einer Zulassung anzubieten. Zum Schutz der Anleger werden Informations- und Offenlegungspflichten für ein Anlageinformationsblatt festgeschrieben. Zugunsten der Anleger besteht eine Haftung für dort gemachte Angaben. Das halte ich auch für richtig; denn es geht darum, dass man mit diesem Produktinformationsblatt, das im Bereich der Schwarmfinanzierung häufig das einzige Informationsmedium ist – die Prospektpflicht ist hier ja teilweise eingeschränkt –, überprüfen kann, ob die Angaben richtig sind. ({1}) Der Gesetzentwurf enthält zudem Regelungen, die die Verordnung über ein Paneuropäisches Privates Pensionsprodukt, das sogenannte PEPP, ausführen. Bei PEPP handelt es sich im Wesentlichen um ein Produkt, mit dem wir auch die Mobilität innerhalb Europas stärken wollen. Man kann seine Altersvorsorge dann ohne Probleme beim Umzug in einen anderen Mitgliedstaat mitnehmen. Hiermit wollen wir langfristiges Sparen fördern und europaweit dazu beitragen. Dafür werden hier noch Sanktionsregelungen festgelegt, wenn gegen die Verordnung, die das Ganze organsiert, verstoßen wird. Außerdem beinhaltet der Gesetzentwurf Anpassungen der Vorschriften zur Sanierung und Abwicklung von zentralen Gegenparteien im Sanierungs- und Abwicklungsgesetz an europäische Vorgaben. Zentrale Gegenparteien nehmen eine Schlüsselfunktion auf den Finanzmärkten ein, indem sie bei Transaktionen mit verschiedenen Finanzinstrumenten als Intermediäre zwischen die Vertragsparteien treten. Im Falle einer Krise kommt es also darauf an, dass eine zentrale Gegenpartei saniert und abgewickelt werden kann, ohne dass Störungen des Finanzsystems verursacht werden. Die europäischen Vorgaben sorgen nun für einen einheitlichen Rahmen innerhalb der Europäischen Union. ({2}) Der Gesetzentwurf sieht – neben Änderungen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz – außerdem gesetzliche Anpassungen vor, die die Aufsicht über Factoring- und Leasinginstitute stärken sollen. Wir haben in der jüngsten Vergangenheit gesehen, dass hier Nachjustierungsbedarf besteht. Wir alle sind immer davon ausgegangen, dass Factoring ein relativ risikoarmes Geschäft ist, haben aber gesehen, dass auch das nicht vor Missbrauch und Betrug gefeit ist. Deswegen wollen wir hier die Aufsicht verschärfen. Durch die Anwendung von Regelungen, die unter anderem bereits für Kreditinstitute gelten, zum Beispiel das Vieraugenprinzip, sollen Schadensfälle früher erkannt und Gefahren besser abgewehrt werden können. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hinaus wollen wir mit diesem Gesetzentwurf noch ein paar andere Punkte in das Gesetzgebungsverfahren einbringen, worüber wir mit den Koalitionsfraktionen schon in gutem Austausch stehen. Dazu werden sicherlich gleich die Kollegen noch etwas sagen. Es wird aber deutlich, glaube ich, dass das ein wichtiges Gesetz zum einen für die Stärkung des unternehmerischen Schaffens in Deutschland, zum anderen aber auch für die Finanzmarktregulierung und einen wirksamen Anleger- und Verbraucherschutz ist. Ich freue mich auf die Beratung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Stefan Keuter, AfD-Fraktion. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Schwarmfinanzierung, auch Crowdfunding genannt. Das ist ein ziemlich altes Finanzierungsinstrument, das es eben nicht nur in der neuen Form über das Internet gibt. Es gibt verschiedene Arten der Schwarmfinanzierung: für Spenden, für Eigenkapital und für Darlehen. Dann gibt es noch ein paar Sonderformen, auf die ich nicht eingehen will. Dieses Instrument ist also nicht neu: Bereits im 18. Jahrhundert ist der Aufbau der amerikanischen Freiheitsstatue durch 160 000 Einzelspenden ermöglicht worden. Eine sehr frühe Form des Crowdfundings. Was sind die Vorteile? Es gibt bei diesen Produkten häufig eine bessere Rendite, als wenn ich ein Produkt über eine Bank erwerbe. Das liegt einfach daran, dass hier teure Intermediäre ausgeschaltet werden. Außerdem habe ich es mit kleineren Einzelrisiken zu tun. Ein praktisches Beispiel: Wenn ein Unternehmer eine bahnbrechende Idee hat, für die Finanzierung dieser 10 000 Euro braucht, wird er, wenn er die entsprechenden Sicherheiten nicht hat, diese 10 000 Euro von einer Bank schwerlich bekommen. Für Venturecapital-Gesellschaften ist diese Summe viel, viel zu klein. Hier bietet es sich an, 100 Personen zu finden, die auch an diese Geschäftsidee glauben, und von denen jeweils 100 Euro einzusammeln. Damit sind wir bei 10 000 Euro. Das funktioniert also. Wir haben es also, wie der Bänker sagt, mit einem für alle Seiten sehr positiven Delta zu tun; einer Win-win-Situation. Wie funktioniert diese Anbahnung und Abwicklung heutzutage? Wie die Staatsekretärin es eben versucht hatte zu erklären: meistens über Internetplattformen. Hier finden Kapitalsuchende und Kapitalgeber zusammen. Das erfordert heute schon sehr viel Papierkram und Bürokratie. Natürlich müssen bestehende Gesetze auch heute schon im Internet eingehalten werden. Das Kreditwesengesetz, das Wertpapierhandelsgesetz, die Verbraucherschutzgesetze: Wir sind also schon sehr, sehr gut reguliert. Aber diese Plattformen haben die Rechnung ohne Brüssel gemacht. Die EU in ihrer gnadenlosen Regulierungswut hat hier eine EU-Richtlinie und eine EU-Verordnung erlassen, die die Bundesregierung jetzt mit diesem Gesetzentwurf in nationales Recht umsetzen möchte. Was möchte die EU machen? Sie möchte die Plattformen zulassungspflichtig machen. Sie möchte sie unter eine europäische Aufsichtsbehörde stellen, und sie möchte die Informations- und Offenlegungspflichten erweitern. Wir als AfD sind ganz eindeutig gegen diesen Regulierungswahn. Wir als Parlament sehen uns nicht in der Rolle, diese Regulierungen aus Brüssel und die Gesetze, die dort auf den Weg gebracht worden sind, hier nur noch durchzuwinken. ({0}) Außerdem sehen wir die riesige Gefahr, dass das Markteintrittsrisiko für zusätzliche Plattformen erschwert wird, dass Marktanbieter verschwinden, und wir sehen die Gefahr der Oligopolbildung. Hier sind wir ganz klar dagegen. ({1}) Ich möchte aber inhaltlich nicht tiefer auf dieses Thema eingehen. Wir sind hier in der ersten Lesung. Wir werden dieses Thema in den Ausschüssen noch beraten. Damit soll es hier gut sein. Wir haben dann noch einen von den Grünen dazugestellten Antrag über Restschuldversicherungen. Was das inhaltlich mit Schwarmfinanzierungen zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Gut, da der Antrag von den Grünen dazugestellt ist, möchte ich darauf noch kurz eingehen. Dies ist ein ganz klarer ideologischer Antrag. Ihre Strukturvertriebsrhetorik in dem Antrag stört uns ganz gewaltig. Sie haben offensichtlich als Grüne den Schuss nicht gehört. Die deutsche Wirtschaft fährt vor die Wand, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als sich mit einem ganz kleinen Nebenprodukt von Krediten zu beschäftigen, ({2}) nämlich den Restschuldversicherungen. ({3}) Wir als AfD sind gegen den staatlichen Eingriff in Märkte. Wir wollen diese Risikoprämien nicht reguliert wissen. Ja, aus subjektiver Sicht mögen Restschuldversicherungen vielleicht schon mal teuer erscheinen. Sie decken allerdings auch ein sehr hohes Risiko ab, nämlich das Ausfallrisiko. Wenn ein Kreditnehmer ausfällt oder arbeitslos wird, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– dann decken diese Versicherungen dieses Risiko ab. ({0}) An dieser Stelle bleibt mir nur noch, Ihnen ein frohes Osterfest und ein schönes Wochenende zu wünschen. Vielen Dank und alles Gute. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Keuter. – Nunmehr erhält das Wort Dr. Carsten Brodesser, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Brodesser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004684, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank erst mal für den tosenden Applaus am Freitagnachmittag – sicherlich nicht für mich, sondern als Vorschusslorbeeren für den vorliegenden Gesetzentwurf. Wir werden im Laufe der parlamentarischen Beratung feststellen, ob die Vorschusslorbeeren auch gerechtfertigt sind. Wir beraten in erster Lesung den Entwurf eines Schwarmfinanzierung-Begleitgesetzes. Wie der Name vermuten lässt, geht es um Schwarmfinanzierung. Der Entwurf umfasst aber auch einen ganzen Schwarm diverser EU-Rechtsakte aus verschiedenen Bereichen zur nationalen Umsetzung und weitere wichtige Regelungen. Alle geplanten gesetzlichen Regelungen haben aber eins gemeinsam: Sie machen die Finanzplätze in Deutschland und in ganz Europa leistungsfähiger und sicherer für den Verbraucher. Gerade in Bezug auf die steigende Zahl von Start-up-Unternehmen, die sich oftmals durch sogenannte Schwarmfinanzierungen auf den Weg machen, ist eine europaweit einheitliche Regelung elementar wichtig. Kernbereich der EU-Verordnung sind Crowdinvesting-Dienstleistungen, die sich mit der Vermittlung und dem individuellen Portfoliomanagement von Krediten sowie der Anlagevermittlung und der Platzierung von übertragbaren Wertpapieren befassen. Mit der Verordnung wird vor allem im Bereich des Wertpapierhandelsgesetzes eine zivilrechtliche Haftung der Dienstleister eingebaut, wenn sie gegenüber ihren Kunden irreführende oder sogar unrichtige Informationen abgegeben haben; darauf hat die Parlamentarische Staatssekretärin bereits verwiesen. Wir dürfen aber nicht verkennen, dass viele dieser jungen Unternehmen nicht nur auf deutschen, sondern auch auf europäischen Finanzierungsplattformen unterwegs sind, um sich Kapital zu besorgen. Neben ihrem Herzblut stecken sie meist auch schon mit ihren Ersparnissen in diesen Projekten, sodass wir aufpassen müssen, nicht durch eventuelles Gold-Plating den Haftungsbogen zu überspannen. Ansonsten würden uns in Deutschland nämlich viele innovative Ideen und Unternehmen durchs Netz gehen. Wir regeln in dem Begleitgesetz aber auch die nationale Umsetzung der Verordnung beim Paneuropäischen Privaten Pensionsprodukt, kurz PEPP. In der Verordnung soll die zuständige Aufsichtsbehörde – bei uns ist das die BaFin – in ihrer Schlagkraft gestärkt werden. Sie umfasst die Regelung verwaltungsrechtlicher Sanktionen und anderer Maßnahmen bei Verstößen gegen die PEPP-Verordnung. Was finden wir denn noch in diesem Schwarmfinanzierungsnetz? Da wäre unter anderem noch die Umsetzung der Verordnung zur Einführung von Sondervorschriften für die Sanierung und Abwicklung von zentralen Gegenparteien. Ferner finden wir Anpassungen im Wertpapierübernahmegesetz sowie Änderungen zum Börsengesetz und anderer damit verbundener europarechtlicher Finanzmarktvorschriften. Der Gesetzentwurf zeigt aber auch, wie zeitnah wir als Gesetzgeber auf Krisen reagieren können, indem er die Stärkung der Factoring- oder Leasingaufsicht als Reaktion auf Aufsichtsdefizite vorsieht, die sich für uns aus der AvP-Insolvenz ergeben haben; darauf wird der Kollege Brehm später noch eingehen. Dadurch sollen Schadensfälle und Schräglagen frühzeitiger identifiziert werden können. Einen wichtigen Beifang, wenn ich mal in diesem Bild bleiben darf, den wir ebenfalls mit dem Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz abfischen wollen, ist die Regelung der Provisionen bei Restschuldversicherungen. Restschuldversicherungen sichern die Ratenzahlungen bei Verbraucherdarlehen im Falle des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder der Arbeitslosigkeit des Darlehensnehmers ab. Verbraucherschützer beklagen aber schon seit Jahren zu Recht überhöhte Provisionen in den Beiträgen zur Restschuldversicherung. Die BaFin hatte selbst in zwei Marktuntersuchungen festgestellt, dass einzelne Anbieter Abschlussprovisionen von weit über 50 Prozent, in der Spitze sogar 79 Prozent, aufweisen. In vielen Fällen standen Vermittlungsleistung und Vergütung in keinem realistischen Verhältnis, und am Ende musste der Verbraucher die Zeche zahlen. Wir hätten uns diesen ordnungspolitisch sicherlich diskutablen Eingriff in die freie Preisbildung gerne erspart. Wir hätten es auch als besser empfunden, wenn die Anbieter auf die Marktuntersuchungen reagiert und im Rahmen einer Selbstverpflichtung angemessene Abschlusskosten kalkuliert hätten. ({0}) Ferner hätten wir es als angebracht angesehen, wenn die BaFin im Rahmen ihrer Möglichkeiten gemäß § 48a VAG eingegriffen und die schwarzen Schafe oder, um wieder in dem Bild zu bleiben, die faulen Fische aus dem Markt bzw. dem Netz genommen hätten. Da aber weder das eine noch das andere passiert ist, haben wir als Union im Sinne der Verbraucher eine gesetzliche Regelung angemahnt, die nun Teil dieser Beratung ist. Wir konnten in der Koalition eine grundsätzlich konsensfähige Regelung finden, die sicher noch nicht jeden glücklich macht, aber einen gangbaren Weg aufzeigt. Hier haben wir, um in der Bildsprache zu bleiben, das Netz engmaschiger geknüpft und einen Provisionsdeckel für den Abschluss von Restschuldversicherungen vorgenommen. Dabei darf die zu beschließende Regelung jedoch nicht dazu führen, dass entsprechende Versicherungen zukünftig nicht mehr angeboten werden oder der Versicherungsschutz ausgehöhlt wird. Schließlich gibt es im vorliegenden Gesetzesschwarm noch eine Regelung, welche die Pensionskassen, also die betriebliche Altersvorsorge, betrifft. Dort werden ganz wichtige und richtige Vorschläge unterbreitet, um die sicherlich schwierige Situation der Pensionskassen etwas zu erleichtern. Meine Damen und Herren, ich freue mich daher auf die weiteren Beratungen dieses Gesetzesnetzes. Über die Größe der Maschen und den unerwünschten Beifang müssen wir allerdings noch reden. Lassen Sie uns im parlamentarischen Verfahren etwas Vernünftiges daraus machen! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und frohe Feiertage schon an dieser Stelle. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brodesser. – Nunmehr erhält das Wort der Kollege Frank Schäffler, FDP-Fraktion. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz ist eher ein Sammelsurium an Gesetzen und weniger ein Schwarm, der in die richtige Richtung geht. Es ist vielmehr eher ein Hühnerhaufen. Erstens geht es um die Schwarmfinanzierung an sich, so wie es der Name schon sagt. Hier müssen wir aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern dass es gleiche Haftungsregeln für diese Kreditplattformen gibt und darüber hinaus nicht diese wichtigen Instrumente der Unternehmensfinanzierung in Deutschland im Keim erstickt werden. ({0}) Das Zweite ist: Die grenzüberschreitenden Altersvorsorgeprodukte sollen stärker geregelt werden. Das ist bislang ein großer Rohrkrepierer in Europa; denn dafür fehlen die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen und auch die steuerlichen Voraussetzungen, dass es diese Produkte überhaupt gibt. Drittens geht es um die Folgen der AvP-Pleite, der Pleite des Apothekenfinanzierers. Auch hier müssen wir, finde ich, aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Denn wenn Sie, wie Sie es vorhaben, hier verbindlich zwei Geschäftsführer für Factoring-Unternehmen einführen, führt das zu einer ganz massiven Marktbereinigung. 80 Prozent der Factoring-Unternehmen in Deutschland sind Klein- und Kleinstunternehmen. Wenn Sie denen einen zweiten Geschäftsführer aufs Auge drücken, dann werden die vom Markt verschwinden, obwohl sie überhaupt nicht systemrelevant sind, zugleich aber in der Branche eigentlich eine ganz wichtige Funktion – auch der Unternehmensfinanzierung – erfüllen. Viertens. Sie regeln das Thema Restschuldversicherung. Das ist eigentlich, finde ich, das wirklich Problematische an diesem Gesetz; denn Sie machen etwas, was völlig unnötig ist. ({1}) Unnötig deshalb, weil das alles schon gesetzlich geregelt ist. ({2}) – Nein, leider nicht. Es hat leider nicht geklappt. Es hat deshalb nicht geklappt, weil die BaFin, die dafür zuständig ist, nicht einschreitet. Herr Brodesser hat es richtigerweise gesagt: § 48a VAG regelt, dass die BaFin bei der Vertriebsvergütung, wenn sie falsche Anreize setzt, heute schon eingreifen kann. – Sie hat es nie gemacht, obwohl sie es hätte tun können. Da frage ich mich: Passt das nicht in die große Geschichte, die die BaFin in den letzten Wochen und Monaten in Deutschland dargelegt hat? ({3}) Dass sie eben im entscheidenden Moment nicht eingreift, nicht handelt. Wir brauchen deshalb nicht ständig neue Gesetze, sondern wir haben vor allem ein Vollzugsdefizit, unter anderem bei der BaFin. Sorgen Sie dafür, dass die BaFin da entsprechend tätig wird, dann brauchen wir nicht diese tiefen Markteingriffe, die Sie hier vorschlagen. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schäffler. – Nächster Redner ist der Kollege Jörg Cezanne, Fraktion Die Linke. ({0})

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schwarmfinanzierungen haben nichts mit der vielerorts betriebenen Schwarmintelligenz zu tun. Crowdfunding – der vielleicht verbreitetere englische Name – kann allerdings vor allem im Anfangsstadium eines Start-ups oder eines Projektes eine nützliche alternative Finanzierungsquelle sein. Für solche Start-ups oder kleine und mittlere Unternehmen sind Bankkredite oft schwer zu bekommen. Deshalb ist hier eine verlässliche Regulierung gut und wichtig. Es geht in der Regel aber nicht um die Finanzierung eines Dorfladens, sondern um Beträge in Millionenhöhe – in diesem Gesetzentwurf bis zu 5 Millionen Euro; es gibt auch noch größere Investitionen. Und weiter: Investitionen im Bereich der Schwarmfinanzierung sind riskant, weil ohne Einlagenfinanzierung eigentlich immer ein Totalverlust droht. Auf dem deutschen Markt kam es von 2011 bis 2019 zu kumulierten Ausfallraten von 30 Prozent – ein weiterer Grund für eine gute Regulierung. Aus unserer Sicht sollte am besten ein präventives Instrument – sagen wir mal: ein Plattform- oder Projektträger-TÜV – eingeführt werden. Zumindest aber muss die BaFin, über die die Zulassung läuft, laufende Tragfähigkeits- und Mittelverwendungskontrollen durchführen. Das gilt insbesondere für noch größere Emissionen als die hier in diesem Gesetz geregelten. Ein weiteres Thema – die Frau Staatssekretärin hat es auch angesprochen – ist die sogenannte Europarente, PEPP genannt, womit eine private, kapitalgedeckte Altersvorsorge europaweit attraktiv gemacht werden soll, ein Europa-Riester sozusagen. Im Vergleich zu bisherigen Produkten hat dieses Modell sogar einige Vorteile. Es gibt ja tatsächlich Menschen, die keinen Zugang zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rente haben; für sie wäre so etwas hilfreich. Trotzdem ist auch PEPP letztlich vor allen Dingen ein Goldesel für die Versicherungsbranche: In der EU werden Vorsorgeprodukte in Höhe von gut 700 Milliarden Euro verwaltet. Bis 2030 soll dieser Wert mithilfe der PEPP auf bis zu 2,1 Billionen Euro steigen, also eine Verdreifachung erfahren. Gerade die großen Kapitalorganisatoren wie BlackRock oder Vanguard versprechen sich hier ein Riesengeschäft. Das wird zu weiteren Ungleichgewichten auf den Finanzmärkten führen – eine problematische Entwicklung. ({0}) Und zahlreiche Untersuchungen zeigen die Schwächen privatwirtschaftlicher Altersvorsorgeprodukte: hohe Kosten, geringe Rendite, fehlender sozialer Ausgleich sowie eine starke Abhängigkeit von konjunkturellen und spekulativen Schwankungen. Da helfen auch die zusätzlichen Regelungen im Detail in diesem Gesetzentwurf nicht. Danke schön. ({1})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Stefan Schmidt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz wurde jetzt schon eine ganze Reihe von wichtigen Details benannt. Schwarmfinanzierungsdienstleister sollen in Zukunft unkompliziert EU-weit tätig sein dürfen. Das ist gut, und zwar nicht nur für junge, innovative Unternehmen, die neue Finanzierungswege suchen. Das ist auch gut für Anlegerinnen und Anleger, die ihr Geld grenzüberschreitend in crowdfinanzierte Projekte stecken wollen. Ich frage mich aber – das müssen wir in der Anhörung sicherlich noch vertieft diskutieren –: Reichen die Schutzmechanismen aus, um insbesondere weniger erfahrene Anlegerinnen und Anleger ausreichend zu schützen? Denn gerade bei risikoreichen Vermögensanlagen sollten wir genau hinschauen und ordentlich prüfen. ({0}) Das sind wir den vielen Anlegerinnen und Anlegern schuldig. ({1}) Wir diskutieren nicht nur das Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz, sondern die Koalition hat da auch noch das Thema Restschuldversicherung drangehängt. Sie müssen jetzt aufpassen, Herr Keuter; dann lernen Sie noch ein bisschen, wie die parlamentarischen Prozesse so sind. Bereits vor zwei Jahren gab es schon mal einen Referentenentwurf zur Deckelung von Abschlussprovisionen. Der verschwand dann lange Zeit in der Schublade. Jetzt kommt er wieder raus – zum Glück, sage ich. Allerdings: „Was lange währt, wird endlich gut“, trifft hier nicht ganz zu. Da fehlt es noch ein bisschen. Denn ein Provisionsdeckel von 2,5 Prozent der Darlehenssumme ist aus unserer Sicht zu hoch und begrenzt nur unzureichend, dass falsche Anreize für Versicherungsvermittler gesetzt werden. Für uns ist klar: Für echten Verbraucherschutz reicht ein Provisionsdeckel bei Restschuldversicherungen allein nicht aus; es braucht noch mehr. Das will ich kurz darstellen: Erstens. Wir brauchen ein doppeltes Preisschild. Wir haben das in unserem Antrag näher ausgeführt. Zweitens. Kredit und Restschuldversicherung müssen zeitlich voneinander entkoppelt werden. Derzeit wird der Versicherungsvertrag oft zusammen mit dem Kreditvertrag abgeschlossen. Da wundert es doch wirklich niemanden, dass viele den Eindruck haben, dass es den Kredit nur zusammen mit der Restschuldversicherung gibt. Dass Restschuldversicherungen freiwillig sind, das müssen wir allen Menschen klarmachen. ({2}) Der dritte Punkt, der fehlt: Die Restschuldversicherung sollte nicht aus dem Kredit finanziert werden, sondern durch einen monatlichen Versicherungsbeitrag. Das entlastet die Verbraucherinnen und Verbraucher, weil für die Versicherungsbeiträge keine Zinsen anfallen. Restschuldversicherung und Kredit, das sind doch zwei Paar Stiefel, und die müssen auch so behandelt werden. ({3}) All diese wichtigen Forderungen müssen neben dem Provisionsdeckel erfüllt sein. Sie können sich in unserem Antrag bedienen; da haben wir das, glaube ich, im Wesentlichen sehr gut auf den Punkt gebracht. Dann müssen Sie die Restschuldversicherung auch nicht mehr so ein bisschen verschämt hinter dem Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz verstecken. Ich freue mich auf die Beratungen. Ich danke Ihnen. Schönen Tag, schönes Wochenende und schöne Feiertage! ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort hat Ingrid Arndt-Brauer von der SPD-Fraktion. ({0})

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Schwarmfinanzierung-Begleitgesetz – das wurde von vielen Vorrednern schon erwähnt – ist die Umsetzung verschiedener EU-Rechtsakte. Die zivilrechtliche Haftung der Dienstleister in der Schwarmfinanzierung soll eingeführt werden. Ich finde das ganz wichtig. Wenn irreführende oder unrichtige Informationen gegeben worden sind oder es unterlassen wurde, Informationen mitzuteilen, die für sinnvolle Anlageentscheidungen erforderlich sind, dann wird es eine zivilrechtliche Haftung geben. Ich finde, das ist eine sehr wichtige Regelung, die wir schaffen werden. ({0}) Auch soll die Factoring- und Leasingaufsicht gestärkt werden. Darüber hinaus dient der Gesetzentwurf der Umsetzung weiterer EU-Rechtsakte im Bereich Finanzmarktrecht; das ist schon angesprochen worden. Das Schwarmfinanzierungsgesetz ist eine Finanztechnologielösung, die kleinen und mittleren Unternehmen, vor allem Start-ups und expandierenden Unternehmen, einen alternativen Zugang zu Finanzmitteln bieten soll. Wir wissen alle, dass sich Banken immer mehr rausziehen aus der Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen. Ich denke, es ist wichtig für diesen Bereich, dass wir da eine Lösung schaffen. ({1}) Wir müssen bei der Haftungsfrage vielleicht ein bisschen aufpassen, dass wir die Intention des Gesetzes nicht konterkarieren. Wir wollen nicht, dass die Haftung so gestrickt ist, dass es für Firmen unattraktiv wird, sich hier in Deutschland niederzulassen und hier zu agieren; das ist ganz klar. Aber ich denke, da werden wir in der Beratung alle drauf achten. Am Ende einer Legislaturperiode ist es üblich, dass man Restanten, die man noch irgendwo hatte, draufpackt; alle, die länger hier sind, wissen das. Deswegen haben wir drei Restanten draufgepackt: Erster Zusatz. Wir werden den Provisionsdeckel für die Restschuldversicherung anfassen und die Abschlussprovision auf 2,5 Prozent der Vertrags- und Darlehenssumme begrenzen. Ich finde, das ist ein wichtiges Vorhaben. Der zweite Zusatz. Wir werden den Pensionskassen die Möglichkeit eröffnen, durch eine Satzungsänderung die Rahmenbedingungen für Unterstützungszahlungen – Nachschüsse – von Arbeitgebern zu verbessern. Last, not least soll als dritter Zusatz eine Änderung des Zahlungskontengesetzes eingebracht werden, und zwar dahin gehend, dass die BaFin mit dem Betrieb einer staatlichen Vergleichswebseite für Zahlungskonten beauftragt wird. Wir haben hier schon mehrmals darüber diskutiert, dass es ohne vergleichende Zahlungskontenwebseite für die Verbraucher schwierig ist, Kredite zu vergleichen, Kreditsituationen zu vergleichen und sich die Kredite entsprechend zu verschaffen. Deswegen ist es gut, dass wir das hier regeln. Ich denke, alles in allem haben wir einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Wir werden ihn im Rahmen der Beratungen vielleicht noch verbessern können. Deswegen bin ich sicher, wir werden am Ende ein sehr gutes Gesetz für die Verbraucherinnen und Verbraucher zuwege bringen. Vielen Dank. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Als letzten Redner in der Debatte hören wir Sebastian Brehm von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für alle Start-ups in Deutschland. Gerade vor einer Stunde haben wir mit der ersten Lesung das Fondsstandortgesetz in das parlamentarische Verfahren gegeben. Dabei geht es um Finanzierungsformen für institutionelle Anleger und Venturecapital-Fonds, also Wagniskapitalgeber. Jetzt geben wir mit der ersten Lesung das sogenannte Schwarmfinanzierunq-Begleitgesetz in das parlamentarische Verfahren. Wir regeln jetzt die Finanzierung von kleinen Vorhaben über viele Beteiligte, das sogenannte Crowdfunding. Schwarmfinanzierung ist – das haben wir heute schon gehört – nichts anderes als Crowdfunding. Crowdfunding ist Neudeutsch: Das ist das Einsammeln von Kapital über Internetplattformen für viele kleine Projekte bei vielen Kleinanlegern. Diese Finanzierungsmöglichkeiten bestehen abseits von konventionellen Banken und Kapitalmarktmöglichkeiten und abseits vom klassischen Kreditgeschäft. Wir brauchen diese mutigen Start-up-Unternehmer, und wir brauchen genauso diese mutigen Investoren, die hier investieren; denn die jungen Unternehmen von heute sind vielleicht die großen Player von morgen. Deswegen müssen wir auch am Standort Deutschland sicherstellen, dass es auf diese Art und Weise einen Zugang zu Eigenkapital gibt. Herr Kollege Keuter, Sie haben gesagt, es wird alles komplizierter. Sie haben, glaube ich, den Gesetzentwurf nicht zu 100 Prozent gelesen. Wir setzen mit diesem Gesetzentwurf zahlreiche EU-Richtlinien um und schaffen Klarheit durch Bürokratieabbau, durch ergänzende Klarstellungen, durch bessere Kontrollmöglichkeiten, aber natürlich auch durch entsprechende Straftatbestände und konsequente Strafen bei Missbrauch. Aus meiner Sicht ist das ein wichtiger Punkt in diesem Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie. Aufgrund dieser relativ jungen Branche liegen die Herausforderungen eben in einer sinnvollen, gleichzeitig bürokratiearmen, aber dennoch notwendigen Regulierung. Der Gesetzentwurf setzt dieses um. Deswegen führen wir auch die zivilrechtliche Haftung für die Angaben im Basisinformationsblatt zu Anlageprodukten ein und entsprechende Bußgeldtatbestände, wenn dort Angaben fälschlich aufgeführt sind. Es ist notwendig, dass wir von Anfang an für Vertrauen in diese Finanzierungsformen sorgen. Das tun wir heute mit dem Gesetzentwurf. Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen. Worüber wir, glaube ich, noch diskutieren müssen, ist die bisherige Höchstgrenze von 5 Millionen Euro als Gesamtinvestment und die bisherige Ausklammerung von GmbH-Anteilen in dieser Form. Darüber müssen wir, glaube ich, noch mal diskutieren, weil das den Markt unnötig beschränkt. Deswegen würden wir im parlamentarischen Verfahren darüber noch einmal reden wollen. Ein weiteres, den Gesetzentwurf begleitendes und aus meiner Sicht sehr wichtiges Vorhaben ist die Stärkung der Factoring- und Leasingaufsicht. Hier gab es ja in der jüngeren Vergangenheit einige Fälle, nicht zuletzt die Insolvenz der Apotheken-Abrechnungsstelle AvP. Wir wollen die Erfahrungen aus genau diesem Verfahren, aus der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters AvP, durch die die Apothekerinnen und Apotheker einen erheblichen Schaden erlitten haben, in die Beratungen einbringen und für die Zukunft ein sicheres System schaffen. Dafür sind drei Schritte notwendig: erstens die Einführung eines Vieraugenprinzips, also zwei Geschäftsführer oder Geschäftsleiter, zweitens die Erweiterung der Instrumente zur Aufsicht durch die BaFin und drittens die Prüfung, in welchen Bereichen Treuhandkonten für die Kunden geführt werden müssen. Aber hier ist – der Herr Kollege Schäffler hat richtigerweise darauf hingewiesen – Augenmaß gefragt. Wir wollen nicht alle Formen von Leasing, alle Formen von Factoring und alle Gesellschaften in einen Topf werfen, sondern wir tun das dort, wo das notwendig ist, dort, wo zu regulieren ist. Deswegen müssen wir im parlamentarischen Verfahren entsprechende Möglichkeiten schaffen. Gleichzeitig müssen wir aber auch Missbrauch verhindern, damit so was wie bei der AvP nicht mehr passiert. Ich habe noch 45 Sekunden, die verschenke ich. ({0}) Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und im Vorgriff schon mal ein gesegnetes Osterfest. Vielen Dank. ({1})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Wir danken auch. Herzlichen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tierquälerei gehört erstens überhaupt und zweitens strenger bestraft. Wir reden ja in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel über Tierwohl. Aber dabei wird ganz oft übersehen, dass der grundlegende Tierschutz oftmals gar nicht gewährleistet ist. Wir reden auf der einen Seite über die Borchert-Kommission und in dem Zusammenhang über die Honorierung besonderer Arbeit, eines besonderen Aufwandes; und das ist richtig. Die andere Seite der Medaille ist aber: Wer in Deutschland in der Nutztierhaltung oder beim Schlachten Tiere quält, kann immer noch ziemlich sicher sein, dass er oder sie dafür von amtlichen Stellen nicht zur Rechenschaft gezogen wird, und das wollen wir ändern. ({0}) Unser Vorschlag ist deshalb, den Straftatbestand der Tierquälerei aus dem Tierschutzgesetz tatsächlich in das Strafgesetzbuch, also in das Kernstrafrecht, zu überführen und für einige Fälle einen höheren Strafrahmen vorzusehen, meine Damen und Herren. Es vergeht ja im Augenblick kaum ein Monat, in dem wir nicht von massiven Verstößen gegen den Tierschutz hören. Ich will zwei, drei Beispiele nennen: Das eine ist der ganze Bereich der Tiertransporte; das haben wir auch im Ausschuss mit vielen Fachleuten besprochen. Wir haben Fälle, in denen, sagen wir mal, 136 Rinder – gerade wieder bekannt geworden – im Lkw von Aurich bis nach Marokko geschickt werden mit nur einem Fahrer, wo eigentlich zwei hingehören und wo die Rinder am Ende in der Hitze der Wüste enden, ohne dass auf der Fahrt die Tierschutzregeln eingehalten werden, was Fütterung, Kühlung usw. betrifft. Ein zweites Beispiel ist die illegale Schächtung, meine Damen und Herren. Ein Fall in Nordrhein-Westfalen wurde Anfang der Woche gerade öffentlich, wo auf einem Schlachthof Rinder und Schafe bei lebendigem Leib an einer Kette aufgehängt und bei vollem Bewusstsein ausgeblutet werden. Das ist nicht zulässig. Es ist bekannt, dass diese kriminelle Energie in diesem Schlachtbetrieb vorherrscht, und es wird nichts getan, meine Damen und Herren. Angeblich wird regelmäßig kontrolliert. Das darf so nicht weitergehen. ({1}) Es gibt auch einen Schlachthof in Biberach, in dem Rinder kaum betäubt wurden, minutenlang Höllenqualen aushalten mussten, unter Angst und Panik litten, und die Amtsveterinärin hat offenbar nicht eingegriffen, meine Damen und Herren. Ein letztes Beispiel wären die Stallbrände. Sicher kann hier oder da mal die Technik komplett ausfallen. Aber die, die die Ställe mit der entsprechenden Software herstellen, sagen uns: Dann kriegst du die Meldung, dass der Kontakt verloren gegangen ist. – Meine Damen und Herren, es gehört aber zur Fürsorgepflicht, in einem solchen Fall auch hinzugehen und zu gucken, was los ist. 5 000 Brände jedes Jahr in landwirtschaftlichen Betrieben! Hunderte von Tieren, die sterben! Meines Erachtens muss das strafrechtlich geahndet und mindestens als grob fahrlässig eingestuft werden. ({2}) Unser Vorschlag zur Durchsetzung des Tierschutzes, meine Damen und Herren, ist, dass wir erstens den Grundtatbestand des § 17 Tierschutzgesetz nehmen und ins Strafgesetzbuch überführen, damit er wirklich Teil des Kernstrafrechts und für jeden Staatsanwalt und jede Staatsanwältin in der gesamten Ausbildung sichtbar ist. Zweitens muss das Strafmaß erhöht werden. Wenn Sie den Strafrahmen von drei Jahren mit vielen anderen Regelungen vergleichen, sehen Sie, dass er zu niedrig ist, meine Damen und Herren. Wir sagen diesen Menschen: Ihr dürft Tiere halten, auch Hunderte oder Tausende – wir nennen diese Tiere auch „Mitgeschöpfe“; sie brauchen artgerechte Haltung –, aber wir stellen auch Anforderungen und sagen: Du kannst nicht mit Tausenden von Tieren so umgehen. – Deshalb ist unser Vorschlag: Der Strafrahmen muss auf fünf Jahre hochgesetzt werden. ({3}) Ich möchte sagen, für welche Fälle das gelten soll – es soll nicht der Normalfall sein –: Für Amtsträger oder Tierhalter, die solche Straftaten begehen, muss der Strafrahmen auf fünf Jahre hochgesetzt werden. Das Gleiche gilt, wenn sie bandenmäßig oder gewerbsmäßig begangen werden. Wir brauchen auch eine Bestrafung der Fahrlässigkeit. Manche fragen an dieser Stelle – das ist mein letzter Gedanke, Frau Präsidentin –: Ist das ein Misstrauen gegenüber den Tierhalterinnen und Tierhaltern? Nein, meine Damen und Herren, das ist die andere Seite der Borchert-Idee. Wenn wir auf der einen Seite sagen: „Gute Haltung und Aufwand werden honoriert“, dann muss auf der anderen Seite auch klar sein, dass die, die mit Tieren strafbar umgehen, ein Entdeckungs- und Verurteilungsrisiko eingehen, statt wie bis heute einen Wettbewerbsvorteil zu haben. Deshalb bitten wir um Zustimmung. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke schön. – Das Wort geht an Silvia Breher von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesen Worten möchte ich zunächst mal Danke sagen und meinen Respekt allen Landwirtinnen und Landwirten aussprechen, die im Stall und auf dem Acker jeden Tag für unsere Lebensmittel arbeiten, und das mit höchster Qualität und nach höchsten Standards. ({0}) Frau Künast, Sie können es einfach nicht lassen. Tierschutz ist nicht teilbar! Sie aber teilen ihn immer und immer wieder. Sie müssen differenzieren, statt Keile zu treiben. In Ihrer Begründung führen Sie aus: Die landwirtschaftliche Tierhaltung und die gewerbliche Tierhaltung, unsere Bäuerinnen und Bauern sind uns allesamt gleich viel wert, egal ob sie viel oder wenig Fläche haben und ob sie Tiere halten; sie alle verdienen unseren Respekt. Sie wollen jetzt § 17 des Tierschutzgesetzes in das Strafgesetzbuch überführen. Nach Ihren Ausführungen habe ich ja gedacht, Sie wollen die Strafverschärfung nur für die landwirtschaftliche Tierhaltung und die gewerblichen Tierhalter. Und wissen Sie was? Ich denke das immer noch. Wenn ich aber Ihren Gesetzentwurf lese, zeigt sich etwas anderes: In der Begründung steht nämlich drin, dass das selbstverständlich für alle Bürgerinnen und Bürger gilt. – Natürlich gilt das Strafgesetzbuch für alle Bürgerinnen und Bürger. Darüber sollten Sie vielleicht noch mal ganz kurz nachdenken und es klarstellen. ({1}) Sie wollen jetzt erstens § 17 des Tierschutzgesetzes in § 141 Absatz 1 des Strafgesetzbuches überführen. Zunächst einmal ist es rechtssystematisch schlichtweg falsch, Spezialrecht in die Grundnormen zurückzuholen. Ich frage mich aber, warum Sie es wollen. Jetzt habe ich Ihren Gesetzentwurf hier und lese Ihre Begründung bzw. Ihre Problembeschreibung. Es stimmt: Wir haben in der gewerblichen und in der landwirtschaftlichen Tierhaltung ein Problem, und zwar im Vollzug. ({2}) Wir haben Kontrolldefizite, Vollzugsdefizite. ({3}) Sie versuchen nicht mal, sich dem Problem zu nähern. Sie versuchen es nicht mal im Ansatz. Sie haben keine Idee, keinen Lösungsvorschlag, ({4}) und ich sage Ihnen auch, warum: weil es Ländersache ist. Der Vollzug ist Ländersache. ({5}) An dieser Stelle muss ich mal sagen, liebe Grünen: Sie werden Ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht. Ich habe einen Ausdruck von Ihrer Internetseite. Da steht: Wir wollen das Strafrecht ausschließlich zu seinen eigentlichen Zwecken einsetzen: Strafrecht als schärfster Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte darf nur letztes, nicht erstes Mittel der Politik sein. ({6}) Vielleicht denken Sie mal ganz kurz nach und werden Ihrem eigenen Anspruch gerecht. Sie, Frau Künast, wünschen sich zweitens Strafverschärfungen und in § 141 Absatz 2 dann entsprechend für Tierhalter, Tierbetreuer und Amtsträger eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und Geldstrafen. Unabhängig davon, dass Sie dann Tierquälerei der Körperverletzung gleichstellen, denke ich tatsächlich, dass es Ihnen nicht um die Sache geht. Es ist eine Abrechnung. Es ist wieder eine Anklage. ({7}) Es ist wieder eine Anklage der landwirtschaftlichen Tierhaltung. ({8}) Noch mal, Frau Künast: Sie fordern Strafverschärfungen. Jetzt messen Sie sich mal an Ihren eigenen Worten. Wir haben in dieser Woche hier im Haus Strafverschärfungen vorgenommen, und zwar für den Bereich der Kinderpornografie und des Kindesmissbrauchs. ({9}) Ihre Worte, Ihre eigenen Worte, Frau Künast, als es im vergangenen Jahr darum ging, lauteten – ich zitiere Sie –: „Das reflexhafte Rufen nach mehr Strafen im Gesetzbuch hat noch kein Kind geschützt.“ ({10}) Mir sind in diesem Fall die Kinder mehr wert. ({11}) Sie fordern hier mehr Strafen, und an anderer Stelle lehnen Sie es ab. ({12}) Überlegen Sie mal ganz kurz: Halten Sie sich an Ihre eigenen Aussagen? ({13}) Wir gehen tatsächlich einen anderen Weg. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, und die Agrarministerkonferenz folgt dem. Wir wollen nämlich die Kontrollen vor Ort verbessern. Wir wollen die Länder in ihren Zuständigkeiten bestärken, ({14}) damit wir tatsächlich zu besseren Kontrollen kommen. Und warum machen wir das? Aus einem komplett anderen Grund als dem, aus dem Sie es machen. Schauen Sie in Ihren Gesetzentwurf; da steht der entscheidende Grund. In Satz 2 der Problemdarstellung steht: Die Recherchen investigativer Journalisten und Tierschutzorganisationen nehmen wir zum Anlass – sozusagen als Kronzeugen – für eine Strafverschärfung. Wir versuchen, die Kontrollen zu verbessern und die Vollzugs- und Kontrolldefizite zu beseitigen, um genau dem, nämlich Einbrüchen und Hausfriedensbruch von Tierrechtsaktivisten, die Grundlage zu entziehen. Ihren Gesetzentwurf lehnen wir ab. ({15})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke. – Das Wort an geht Wilhelm von Gottberg von der AfD-Fraktion. ({0})

Wilhelm Gottberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004730, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zum Tierschutz konstatiert erhebliche Mängel bei der Einhaltung der Tierschutzbestimmungen. Das ist die Sichtweise der grünen Partei und ihrer Mitglieder. Die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag hat eine andere Sichtweise. Die Wertschätzung der Landwirtschaft, insbesondere die der tierhaltenden Betriebe, leidet allgemein unter den Einzelfällen, bei denen es zu Verstößen gegen geltendes Tierschutzrecht kommt. Bei einer Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2017 wurden von knapp 30 000 kontrollierten Betrieben 4 Prozent auffällig. Aber das waren nicht Bauern, das waren Hobbytierhalter. Deswegen wollen wir bei dieser Debatte den Hunderttausenden Bauern danken, die sich tagtäglich um ihre Tiere kümmern und durch ihr erwirtschaftetes Einkommen eine tierschutzgerechte Nutztierhaltung dauerhaft ermöglichen. ({0}) Aber klar ist auch: Um Tierschutz zu ermöglichen, müssen die ökonomischen Rahmenbedingungen in der Nutztierhaltung vorhanden sein. Es ist anzuerkennen, dass Frau Klöckner mit dem Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung diesen Aspekt im Auge hat. ({1}) Die behördlichen Kontrollen hinsichtlich Tierschutz haben einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Die Bediensteten der Kreisveterinärbehörden sind qualifiziert und erledigen diese Aufgabe zufriedenstellend. Verehrte Antragsteller der grünen Partei, wir können nicht erkennen, dass dieser Gesetzentwurf einen tatsächlichen Mehrwert in der Sache bringen würde. Sie tragen doch in Ihrem Entwurf selbst vor, dass Sie im Grunde lediglich § 17 des Tierschutzgesetzes in den derzeit unbesetzten § 141 Strafgesetzbuch überführen wollen. Mit der Verbannung des Straftatbestandes der Tierquälerei aus dem Nebenstrafrecht Tierschutzgesetz und dessen Aufnahme in das Strafgesetzbuch betreiben Sie vor dem Hintergrund des Artikels 20a Grundgesetz mehr Deklarationspolitik als Kreaturschutz, meine Damen und Herren. ({2}) Wir können uns jedenfalls nicht vorstellen, dass potenziellen oder tatsächlichen Tierquälern durch die von Ihnen angedachte Maßnahme der Überführung in das Strafrecht die Knie schlottern, zumal Sie den Strafrahmen im Grundtatbestand des § 141 Absatz 1 dieses Entwurfs unverändert aus dem Tierschutzgesetz übernehmen. ({3}) Inhaltlich diskutieren am vorliegenden Entwurf kann man die neu zu schaffenden Absätze 2 bis 6, aber bitte im Kleid des Tierschutzgesetzes. ({4}) Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf suggeriert, dass bei Aufnahme des Tierschutzes in das Strafgesetzbuch Tierschutzverletzer von ihren Missetaten abgehalten werden. Das ist eine blauäugige Illusion. Glauben Sie doch bitte nicht, dass der hier in Rede stehende Personenkreis ständig mit dem Strafgesetzbuch unter dem Arm herumlaufen wird! Der frühere FDP-Bundesinnenminister Maihofer wusste schon vor 40 Jahren, dass der Verfassungsminister nicht jeden Tag mit der Verfassung unter dem Arm herumlaufen kann. Der Gesetzentwurf beinhaltet Detailversessenheit, Staatsgläubigkeit und Misstrauen gegenüber unseren Tierhaltern. Er würde zu weiterem Bürokratieaufwand führen. Je mehr der Staat in die Hand nehmen will, desto krasser werden die Schwächen allen staatlichen Handelns offenbar. Ziel muss es sein, eine Mehrbelastung bei den Betrieben zu verhindern und die bestehenden Kontrollsysteme effektiver zu nutzen. Effizienzsteigerung, Freiheit und Vertrauen sowie Stärkung der Eigenverantwortlichkeit sind unsere zielführenden Ansätze. Danke. ({5})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke schön. – Das Wort geht an Susanne Mittag von der SPD-Fraktion. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tierquälerei ist durch gar nichts zu rechtfertigen, ist mir persönlich zuwider, und ich denke, so ziemlich allen hier dürfte es genauso gehen. Aber es geht nicht nur um das Quälen durch Taten, sondern es geht auch um das Quälen durch Unterlassen. Da gibt es eine riesige Bandbreite, und es ist nicht klar definiert, wo Quälen anfängt. Ich kann auch, ehrlich gesagt, die Ausreden nicht mehr hören: „Ich habe das nicht gesehen“, „Das wollte ich nicht“, „Ich habe die Übersicht verloren“ oder „Es war eine Verkettung von ganz unglücklichen Umständen“. Die Frage stellt sich: Welche effektiven Stellschrauben haben wir hier im Bundestag, Tierquälerei im Vorfeld zu verhindern oder zu ahnden? Das Strafmaß vielleicht? Dazu gibt es ja einen Vorschlag. Oder Kriterien? Was ist eigentlich Tierquälerei? Zum Beispiel ist „Tierwohl“ gar nicht rechtlich definiert; da kann jeder alles hineininterpretieren. Strafverfolgung? Das ist aber Landessache; das dürfte auch hier bekannt sein. Rechtsprechung? Das wäre natürlich schön, wenn man mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften in den Ländern hätte und auch eine Beschulung der Justiz stattfinden würde, um das Empfinden zu schärfen. ({0}) Wir haben ungefähr 700 bis 800 Verurteilungen wegen Tierquälerei in Deutschland jährlich. Das ist nicht viel angesichts der großen Anzahl von Tieren, die wir in ganz Deutschland haben, von ganz klein bis riesengroß. Bei gut 80 Millionen Einwohnern und einem Mehrfachen an Tieren stellt sich aber die Frage: Wird eigentlich Tierquälerei ausreichend angezeigt? Wird weggeschaut? Wird ignoriert? Wird mal bewusst nicht wahrgenommen, weil sie von Freunden begangen wird, von Bekannten, von Nachbarn, von Verbands- und Arbeitskollegen? Es ist aber auch möglich, dass Behörden weggucken. Um das noch mal an Zahlen von 2012 bis 2016 zu verdeutlichen – neuere Zahlen gibt es nicht, aber großartig verbessert haben dürften die sich nicht –: Die Täter wurden in 90 Prozent der Verfahren mit einer Geldbuße belegt. In 90 Prozent der restlichen Verfahren gab es eine Bewährungsstrafe. Also gab es bei 1 Prozent Freiheitsstrafen. In keinem Falle ist der Rahmen von drei Jahren Freiheitsstrafe ausgeschöpft worden. Die Erhöhung der möglichen Freiheitsstrafe auf fünf Jahre reißt es nicht wirklich raus, wenn in den früheren Jahren nicht mal drei Jahre verhängt worden sind. Selbst wenn es inzwischen ein-, zweimal passiert ist, scheint das nicht das richtige Mittel zu sein. Tierhaltungsverbote wurden viel zu wenig und viel zu kurzzeitig ausgesprochen. Auch da hätte man mehr machen können. Was kann man zur Verbesserung der Lage tun? Jedenfalls geschieht das nicht mit diesen Vorlagen, denke ich mal. Die Kontrollintervalle erhöhen – das wurde erwähnt. Ja, schön, aber es dürfte ja wohl allen bekannt sein, dass Kontrollen Ländersache sind. Das Prinzip der Konnexität dürfte auch allen bekannt sein: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch. Wenn wir also mehr Kontrollen wollen, müssen wir auch den Ländern die Möglichkeiten geben. Dass es in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird, wissen wir auch. Im Rahmen Ihrer politischen Beteiligung an den Landesregierungen – in einigen Bereichen ist das ja so – haben Sie auch die Möglichkeit, darauf hinzuwirken. Das passiert unterschiedlich und auch mit unterschiedlichem Erfolg. Ich weiß, wie schwierig das ist; die lassen sich nicht gerne was vom Bund sagen. Aber die Möglichkeiten gibt es. Wir können aber trotzdem noch einiges verbessern – und die Anträge zeigen natürlich den Willen, noch einiges zu verbessern –, und zwar mit gesetzlichen Festschreibungen, mit einem echten, vollständigen Tierwohllabel mit Kennzeichnungspflicht für alle Haltungsformen – Haltung, Transport und Schlachtung –, damit man weiß, wie Tierwohl überhaupt stattfindet – die Borchert-Kommission dürfte inzwischen allen ein Begriff sein –, mit der Einrichtung einer bundesweiten Tiergesundheitsdatenbank mit einem Auswertungstool, gespeist mit vorhandenen Daten für zielgerichtete Kontrollen, mit einer weiteren Kontrolle in der zweiten Ebene. Das würde auch die Veterinäre vor Ort stärken. Das ist kein extra Aufwand, wie immer gerne gesagt wird, sondern die Daten liegen alle vor, aber sie müssen systematisiert und kontrolliert werden. Dann wüsste man auch, wo man zielgerichtet kontrollieren kann. Das wäre sogar hilfreich für die Länder. Man kann etwas verbessern mit gesetzlichen Vorgaben zur Videoüberwachung in Schlachthöfen und bei Tiertransporten. Auch diese Daten gehören dann in eine Tiergesundheitsdatenbank. Nicht nur Bedauern zeigen, wenn es mal wieder Filme im Fernsehen gibt, die zeigen, wie schrecklich die Verhältnisse sind! Wir könnten sie hier ändern, wenn denn alle mitmachen. ({1}) Die gesetzliche Umsetzung der Exopet-Studie – sie wurde vom Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben und ist längst beendet – wäre wunderbar. Inzwischen kann man in Deutschland fast alle möglichen exotischen Tiere halten und keiner weiß, welche wo sind. Damit wäre eine Reglementierung, eine Rückverfolgbarkeit möglich. Wir warten auch auf gesetzliche Regelungen gegen den illegalen Welpenhandel: Nicht nur Gespräche führen und Betrübnis äußern nach Sicherstellungen. Wir können das gesetzlich regeln. ({2}) Wir brauchen gesetzliche Vorgaben zur Tierhaltung in Zirkusbetrieben – viele EU-Länder sind erheblich weiter; aber hier findet immer noch nichts statt – und natürlich eine stringentere Umsetzung der EU-Richtlinie zu Tierversuchen. Wir haben in diesem Haushalt den ersten Einstieg zur Förderung der tierversuchsfreien Forschung gemacht; darüber bin ich richtig froh, und darauf bin ich stolz. Aber da ist noch richtig Luft nach oben. Auch könnte man nicht nur das Minimum dieser EU-Richtlinie umsetzen, sondern vielleicht auch mal ein bisschen draufpacken. ({3}) Das wäre effektiv. Das wäre sehr präventiv, um Tierleid erst mal zu verhindern, bevor wir es strafrechtlich verfolgen müssen. Sinn der Sache ist doch, dass es gar nicht erst dazu kommt. Das alles ist noch bis zur Sommerpause umsetzbar. Wir haben noch offene Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag – die habe ich gerade alle aufgeführt –, es gibt einen Entschließungsantrag; da steht das auch alles drin. Allerdings muss ich sagen: Es erfordert noch einiges an Bewegung bei unserem Koalitionspartner. Darauf hoffe ich. Und bei der Landwirtschaftsministerin Frau Klöckner muss auch noch einiges passieren. Wir können das alles noch schaffen und umsetzen. ({4}) Es wäre natürlich auch schön, wenn Sie alle diese Maßnahmen unterstützen würden, dass sie von einer großen Mehrheit getragen werden. Das wäre gut! Es hilft nicht weiter, nur endlos zu prüfen, zu problematisieren, zu verschleppen und als nicht umsetzbar zu deklarieren. Wir können das hinkriegen, und das wäre Verhinderung von Tierquälerei, das wäre echter Tierschutz. Und falls es noch nicht allen klar ist: Tierschutz ist inzwischen Staatsziel. Das sollte doch wohl hinzukriegen sein. Herzlichen Dank. ({5})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Gero Clemens Hocker von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Künast, ich bin, sage ich Ihnen ganz ehrlich, von der Fantasielosigkeit Ihres Antrags überrascht und erstaunt; denn üblicherweise sind es ja gerade Sie von den Grünen, die zu Recht – das sage ich ganz ausdrücklich – bekennen, dass eine Verschärfung des Strafmaßes nicht dazu führt, dass Straftaten gar nicht erst passieren. Deswegen habe ich den Eindruck, dass es Ihnen hier sechs Monate vor der Bundestagswahl vor allem darum geht, sich in ein rechtes Licht zu rücken. ({0}) Mein Eindruck ist: Das ist alles Populismus, verehrte Frau Künast. ({1}) Ich glaube nicht, dass nur ein einziger Fall von Tierschutzvergehen und Nichtakzeptanz von Tierschutzgesetzgebung in den vergangenen Monaten oder Jahren dadurch verhindert worden wäre, dass man ein höheres Strafmaß verabschiedet hätte. Ganz im Gegenteil: Wenn wir wirklich die wenigen schwarzen Schafe unter den Tierhaltern herausfiltern wollen – das wollen wir –, dann braucht man nicht ein höheres Strafmaß. Frau Künast, man sollte übrigens auch auf keine – ich sage mal – höchst fragwürdigen Organisationen, NGOs wie PETA oder andere hören, die auf illegale Weise zustande gekommenen Filme oder Fotos gerne an Fernsehsender weitergeben, anstatt Tierschutzverstöße unmittelbar an die Behörden zu melden. Das wäre der richtige Weg. ({2}) Denen sollten Sie nicht auf den Leim gehen, werte Frau Künast. Ich sage es Ihnen ganz ausdrücklich: Diese verfolgen ein Geschäftsmodell, das darauf basiert, Dramatisierung und Skandalisierung zu betreiben. Und es lässt tief blicken, sehr verehrte Frau Kollegin, wenn die sonst so staatsgläubigen Grünen hier solchen privatwirtschaftlichen Organisationen das Feld bereiten. Sie leisten damit einen Beitrag zur Privatisierung des Rechts, und das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({3}) Nach Ihrer Logik, Frau Künast, würde künftig nicht mehr die Polizei die Geschwindigkeitskontrollen durchführen, sondern vielleicht der Verkehrsverein. Nach Ihrer Logik würde der Betrieb von Windkraftanlagen nicht mehr durch den Landkreis genehmigt werden, sondern vielleicht von Betreibern von Kohlekraftwerken, ({4}) die eventuell ein Interesse daran haben, dass keine zusätzlichen Windmühlen gebaut werden. ({5}) Und nach Ihrer Logik, Frau Kollegin Künast, würde das Verkehrszentralregister in Flensburg nicht mehr die Verstöße gegen Verkehrsregeln nachhalten, sondern diejenigen, die am schnellsten Auto fahren können. Das kann nicht in Ihrem Interesse sein. Wir brauchen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, keine höheren Strafen, und wir brauchen auch keine anderen als die bisher existierenden Strukturen bei Tierschutzkontrollen, die weitestgehend funktionieren. Sie müssen aber effizienter, besser aufeinander abgestimmt werden. Wir müssen aussagekräftigere Kontrollen durchführen. Meine Fraktion hat übrigens Anfang des Jahres bei unseren Haushaltsvorschlägen einen entsprechenden Antrag eingebracht, der 140 Millionen Euro vorsah, um genau das herbeiführen zu können. Wer hat dagegengestimmt? Die grüne Bundestagsfraktion und andere, meine Damen und Herren. ({6}) Ich sage Ihnen – das ist mein letzter Satz, verehrte Frau Präsidentin –: Populistische Anträge auf Strafverschärfung, die allerdings keinen Beitrag dazu leisten, dass es nur einem Tier in Deutschland besser geht, sollten Sie als Grüne auch in einem Wahljahr aus Ihrem Repertoire streichen. Vielen Dank. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Frau Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte geht es darum, wie das Staatsziel Tierschutz endlich besser durchgesetzt werden kann. ({0}) Das ist für mich als Tierärztin natürlich ein sehr, sehr wichtiges Thema. Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht mehr, wie oft ich darauf hingewiesen habe, dass es Regelungs- und Vollzugsdefizite gibt, und zwar nicht nur bei Nutztieren, sondern auch im Heim- und Haustierbereich. Spätestens mit einer Studie des Thünen-Instituts – das ist Politikberatung der Bundesregierung – von 2015 waren die Probleme auch sehr klar benannt. Für diese Studie wurden damals zwei Gruppendiskussionen von Amtstierärztinnen und Amtstierärzten und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ausgewertet. Übereinstimmend wurden die Probleme benannt: Tierschutzverfahren werden zu oft eingestellt, sie dauern zu lange, und die Strafmaße sind zu gering. Als entscheidende Faktoren für die Ablehnung von Verfahren durch Staatsanwaltschaft und Richterschaft wurden genannt: wenig Engagement und Interesse am Tierschutz, geringes Wissen zum Fachrecht oder zu den Bedürfnissen und Schmerzempfinden von Tieren, die schlechte personelle Ausstattung, die zu Arbeitsüberlastungen bei Staatsanwaltschaft und Richterschaft oder auch zu Mängeln bei Gutachten und Dokumentationen von Veterinärämtern geführt hat. ({1}) Gefordert wurden damals vom Thünen-Institut ein besserer Informationsaustausch zwischen Veterinärämtern und Justiz, Wissensaufbau bei den Juristinnen und Juristen, Schwerpunktstaatsanwalt- und Richterschaften. Tierschutz soll aus dem Nebenstrafrecht ins Strafgesetzbuch – das ist Politikempfehlung – geschrieben werden. ({2}) Hinzu kommen höhere Strafen, und Fahrlässigkeitsdelikte sollen strafbar gemacht werden. Zu dieser Studie habe ich damals ein Fachgespräch im Agrarausschuss initiiert. Das war auch sehr interessant; bloß geändert hat sich danach eben nichts. Damit werden aber die Defizite weiter auf dem Rücken der Tiere ausgetragen, der vernünftigen Tierhaltenden und auch der Vollzugsbehörden. Ich finde, das kann so nicht weitergehen. ({3}) Aber Vollzugsdefizite sind ja nur ein Teil des Problems. Es gibt auch Regelungslücken: Ganze Tierarten sind von gesetzlichen Regelungen gar nicht erfasst, ein echtes Qualzuchtverbot fehlt weiterhin. Weil Tiertransporte in Drittländer immer noch nicht verboten sind, müssen ganze Schiffsladungen von Rindern nach einer Odyssee durch das Mittelmeer notgetötet werden. Statt das Töten männlicher Küken aus Legelinien mit Zweinutzungshuhn-Rassen oder Bruderhahn-Initiativen zu beenden, wird weiter auf Geschlechtsbestimmung im Ei gesetzt. Der Tiefpunkt falscher Entscheidungen im Bundestag ist für mich: Die Koalition ließ es zu, dass die Schlachtkonzerne den Ausstieg aus der chirurgischen Ferkelkastration boykottieren, entgegen den ausdrücklichen Empfehlungen aus der Politikberatung der Bundesregierung. Dafür wurde gleich noch das Narkoseprivileg der Tierärzteschaft geschliffen. Ich finde, das tierschutzpolitische Sünderregister der Koalition ist lang, und das ist beschämend. ({4}) Als Linke werden wir weiter alles unterstützen, was dem Vollzug des Tierschutzes stärkt. Und wir werden für ein Tierschutzrecht kämpfen, das den Namen auch wirklich verdient. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Zum Abschluss der Debatte spricht Hans-Jürgen Thies von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Jürgen Thies (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004915, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bewahrung der Schöpfung ist eines der Kernanliegen der Unionsparteien. Tiere sind unsere Mitgeschöpfe. Deshalb ist eine Förderung und Verbesserung des Tierschutzes selbstverständlich eine Herzensangelegenheit für die Unionsfraktion. ({0}) Die AfD und die FDP fordern in ihren Anträgen mehr staatliche Kontrollen in Nutzbetrieben. In der Tat gibt es da Vollzugsdefizite auf Länderebene. Hierüber haben wir schon wiederholt auch im Ernährungsausschuss debattiert. Ich möchte näher eingehen auf den Gesetzentwurf der Grünen. Der Entwurf sieht vor, die strafrechtlichen Bestandteile aus dem Tierschutzgesetz in das Strafgesetzbuch und damit aus dem Nebenstrafrecht in das Kernstrafrecht zu überführen. Außerdem sollen vermeintliche Strafbarkeitslücken geschlossen und Strafschärfungen eingeführt werden. Interessant ist die Begründung der Grünen. Sie sagen nämlich, dass sie sich auf Recherchen investigativer Journalistinnen und Journalisten sowie von Tierschutzorganisationen stützen. Die Ergebnisse solcher Recherchen werden allerdings in der Gesetzesbegründung überhaupt nicht erwähnt. Genauso werden keine Quellen angegeben. Man stützt sich sozusagen auf Rechtstatsachen, die als solche überhaupt nicht benannt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie wandeln hier auf sehr dünnem Eis. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. ({1}) Machen Sie sich hier bitte nicht zur Speerspitze einer militanten Gruppe von zum Teil kriminell handelnden Tierschutzaktivisten ({2}) und von fragwürdigen Skandalreportern! Sie bereiten sonst den kriminellen Stalleinbrechern den Boden und geben diesen Elementen, die in Wirklichkeit mit dem Tierwohl überhaupt nichts im Sinn haben, ({3}) eine vermeintlich politisch-moralische Rechtfertigung. Das sollten Sie nicht tun. ({4}) Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Grünen ist rechtspolitisch und rechtsdogmatisch eine ganz dünne Suppe. Es ist eine ganz dünne Suppe, was Sie da rechtsdogmatisch und rechtspolitisch auf den Weg bringen wollen. ({5}) Wenn Sie das Tierschutzstrafrecht aus dem Schattendasein befreien wollen, indem Sie einen § 141 Strafgesetzbuch einfügen und diesen einbetten wollen zwischen dem § 140, der die Billigung von Straftaten beinhaltet, und dem § 142, der Fahrerflucht beinhaltet, ({6}) frage ich mich: Wie weit sind Sie von der Rechtswirklichkeit entfernt? Ich bin entsetzt, muss ich ganz ehrlich sagen. ({7}) Eine alte Weisheit sagt: Die Strafe muss auf dem Fuße folgen. Wir haben in den §§ 2 bis 16 Tierschutzgesetz ganz dezidierte Regelungen zu den Ge- und Verboten. ({8}) Da steht genau drin, wie wir als Menschen mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, umzugehen haben. ({9}) Dann ist es ganz logisch und konsistent, wenn dann in den §§ 17 und 18, unmittelbar anschließend, die Sanktionen geregelt sind, sodass man genau weiß: Wer gegen die vorgenannten Verbote verstößt, hat die und die Sanktionen und Strafen zu erwarten. ({10}) Das ist konsequent, nicht aber, es in ein anderes Gesetz zu verlagern. Das ist eine rechtssystematische Irrfahrt. ({11}) Das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen. ({12}) Auch inhaltlich kann ich Ihrem Entwurf überhaupt nichts Gutes abgewinnen. Wer meint, staatliche Kontrolldichten dadurch zu erhöhen, dass man amtlichen Veterinären eine Beschützergarantenstellung sozusagen zuweist und deren Untätigkeit strafschärfend auch noch pönalisiert, der irrt gewaltig. Noch viel mehr verschreckt man die Amtsveterinäre, wenn man, wie es im Gesetzentwurf der Grünen vorgesehen ist, bereits deren fahrlässige Untätigkeit unter Strafe stellt. Tierquälerei ist rechtsdogmatisch ein Erfolgsdelikt. Deshalb war bisher der bloße Versuch straffrei. Das wollen Sie jetzt gern ändern. Das wirft aber in der Rechtspraxis ganz schwierige Abgrenzungsfragen auf. Wo soll im Tierschutzstrafrecht denn bei Unterlassungshandlungen von Garanten der strafrechtliche Versuch beginnen? Machen Sie sich dazu mal Gedanken! Bereits die nicht artgerechte Haltung oder Fütterung eines Tieres könnte somit künftig schon ein strafbarer Versuch sein. Der Gesetzentwurf der Grünen würde künftig jeden Tierhalter in Deutschland, egal ob privat oder gewerblich, mit einem Bein ins Gefängnis stellen. Das geht uns entschieden zu weit. Das wollen wir nicht. ({13}) Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab wie auch die Anträge von FDP und AfD. Vielen herzlichen Dank und Ihnen allen ein schönes Osterfest. ({14})