Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/5/2021

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir brauchen mehr Gleichstellung – gerade jetzt. ({0}) Warum gerade jetzt? Warum gerade während der Pandemie? Frauen haben im Homeoffice nicht die gleichen Bedingungen wie Männer. ({1}) Die Pandemie verstärkt alte Rollenverteilungen. ({2}) Frauen verdienen immer noch strukturell weniger als Männer. Frauen stehen in der Krisenbewältigung in vorderster Reihe, aber leider nicht, wenn es um Führungsverantwortung in der Wirtschaft geht. Ich finde, diese Muster müssen wir durchbrechen. ({3}) Der Kampfauftrag an uns alle lautet: Für einen Kulturwandel sorgen, in Deutschland und in unseren Unternehmen! Schauen Sie doch mal nach Skandinavien: Da geht Führung in Teilzeit dank kluger Anreize für partnerschaftliche Vereinbarkeit. Das können wir doch auch. Deutschland kann mehr. Wir haben so viele tolle talentierte Frauen, und doch sitzen die Männer in den Machtpositionen, weil Hans lieber Hänschen fördert als Anna. ({4}) Diesen Zustand können wir nicht hinnehmen. Lassen Sie uns mehr Ehrgeiz wagen. ({5}) Quote her! Weg von dieser Präsenzkultur, von diesem Wichtigmachen durch Anwesenheit. ({6}) Kluge Entscheidungen reifen in einem erholten Kopf. Also rufe ich drei große Ziele aus: Erstens. Ich will, dass die 2020er-Jahre das Jahrzehnt der Frauen werden. ({7}) Wir müssen in allen Bereichen unserer Gesellschaft den Gleichstellungsturbo zünden. ({8}) Zweitens. Ich will, dass wir bis 2030 Parität in der Politik erreichen. Wir brauchen mehr Frauen in allen Parlamenten, vom Gemeinderat bis zum Bundestag. Es darf keinen zweiten Bundestag wie diesen geben mit so wenig Frauen. ({9}) Drittens. Wir brauchen gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch bei der Arbeitsteilung in den Familien. ({10}) Und die SPD – das wissen Sie –: Wir reden nicht nur, wir handeln. Also haben wir in dieser Koalition vorgelegt: Durch den Kinderbonus unterstützen wir in der Krise insbesondere Familien. Wir haben mit dem Gute-KiTa-Gesetz Milliarden in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf investiert. ({11}) Mit unseren Ministerinnen Franziska Giffey und Christine Lambrecht führen wir endlich die erste Vorstandsquote in der Geschichte dieses Landes ein. Nächste Woche bringen wir die Gleichstellungsstiftung auf den Weg. ({12}) Aber Gleichstellungspolitik ist für uns nicht nur Frauensache. Heiko Maas macht feministische Außenpolitik. ({13}) Hubertus Heil ({14}) bringt konkret die Grundrente auf den Weg und kämpft für ordentliche Löhne und Perspektiven in der Pflege. Olaf Scholz kämpft mit uns für einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro. Von all dem profitieren vor allem Frauen. ({15}) Dieser Weg ist für uns Verpflichtung. Schließlich hat unsere Partei vor über 100 Jahren das Frauenwahlrecht erkämpft. Kommen Sie! Gehen Sie mit uns diesen Weg – Schritt für Schritt zu echter Gleichstellung. ({16})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Mariana Harder-Kühnel, AfD. ({0})

Mariana Iris Harder-Kühnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004736, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie in jedem Jahr bietet der Weltfrauentag Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. ({0}) Was hat sich für die Frauen und Mädchen in Deutschland verändert, was zum Guten und was zum Schlechten? Die Coronakrise hat wie so viele Krisen, Kriege und Naturkatastrophen zuvor gezeigt, dass Frauen unverzichtbare Leistungsträger sind. Wenn man von linker Seite hört, Corona habe zu einem Rückfall in alte Rollenbilder geführt, dann ist das eine untragbare Abwertung der Leistung der Frauen und Mütter in Deutschland. ({1}) Genau das Gegenteil ist der Fall. Frauen sind die Heldinnen von Corona. Sie haben nicht nur in systemrelevanten Berufen, zum Beispiel in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kindergärten und im Lebensmittelhandel, ihre Frau gestanden. Sie haben es auch geschafft, die Doppelbelastung durch die Betreuung ihrer Kinder zu Hause und die Berufstätigkeit zu stemmen. Sie und nicht die Regierung haben das Land am Laufen gehalten, und zwar zusammen mit tollen Männern und Vätern. ({2}) Das ist eine Meisterleistung der Frauen, der Männer und der Familien in Deutschland und ganz gewiss kein Rückfall in alte Rollenbilder. ({3}) Als katastrophalen Rückfall in alte Zeiten muss man vielmehr den schleichenden Verlust der Freiheiten der Frauen in Deutschland bezeichnen, Freiheiten, die zuvor über Jahrhunderte erkämpft wurden: die Freiheit, sich jederzeit angstfrei ohne männliche Begleitung und in jedem beliebigen Stadtteil aufhalten zu können, allein joggen zu gehen, sich kleiden zu dürfen, wie man möchte, und nicht schon als kleines Mädchen verschleiert zu werden; die Freiheit, sich seinen Ehemann selbst auswählen zu dürfen, nicht zwangsverheiratet zu werden oder ihn mit x Ehefrauen teilen zu müssen; die Freiheit, keiner häuslichen Gewalt durch einen tyrannischen Patriarchen ausgeliefert zu sein; die Freiheit, zu entscheiden, ob und welchen Beruf man ergreifen möchte, ob man sich seinen Lebensunterhalt selbst verdient oder nur zum Einkaufen in männlicher Begleitung als unbezahlte Vollzeitdienerin verschleiert aus dem Haus gelassen wird. Dass diese Freiheiten der Frauen im Deutschland des 21. Jahrhunderts in Gefahr sind, das liegt an Ihrer Politik der unbegrenzten Migration aus archaischen Kulturkreisen. ({4}) Durch Ihr politisch-korrektes kultursensibles Schweigen machen Sie sich mitschuldig – mitschuldig daran, dass die über Jahrhunderte hart erkämpften Freiheiten und Rechte der deutschen Frauen gefährdet sind. ({5}) Kommende Generationen werden Ihre Politik ganz gewiss nicht bejubeln. Aber statt sich um die wahren Probleme der Frauen in Deutschland zu kümmern, führten Sie auch in 2020 lieber Phantomdebatten: Debatten über die gendergerechte Verhunzung der deutschen Sprache, über Unisextoiletten und immer wieder das leidige Thema Frauenquote. Sie machen Frauen dort zu Opfern, wo sie gar keine sind, und Sie schweigen dröhnend laut dort, wo sie zunehmend zu Opfern werden. ({6}) Und irgendwie kann ich das sogar verstehen, weil Sie andernfalls Ihre Existenzberechtigung verlieren würden, weil Ihre linken Utopien wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen würden – die Utopie, dass der Kampf für Frauenrechte und der Kampf für Massenmigration kompatibel sind. Feministischer Multikulturalismus, das ist wie ein vegetarischer Schlachthof: fern jeder Lebenswirklichkeit. ({7}) Stattdessen sollten Sie sich an die wahre Bedeutung des Weltfrauentages erinnern, an den guten und richtigen Kampf echter Frauenrechtlerinnen und an die Erfolge dieses Kampfes: Freiheit, Schutz vor Gewalt, Gleichberechtigung. Damit haben Sie im Deutschland des 21. Jahrhunderts leider genug zu tun; denn all das steht im Zuge der von Ihnen beförderten Massenmigration auf dem Spiel. Also öffnen Sie endlich die Augen für die wahren Probleme der Frauen in Deutschland, und handeln Sie entsprechend! Vielen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Nadine Schön, CDU/CSU. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz zu meiner Vorrednerin: Natürlich gelten Frauenrechte und Gleichberechtigung für alle Frauen in unserem Land, und natürlich fordern wir sie ein – für die Frauen, die schon lange hier leben, genauso wie für die Frauen, die jetzt neu zu uns kommen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März werfen wir heute natürlich den Blick auf die Frauen in der Krise. Frauen in der Krise, das sind die Superheldinnen, die Job, Schule, Pflege der Schwiegermutter und das Schrubben der Töpfe vom Mittagessen miteinander vereinbaren, alles zusammen, gleichzeitig und von allem immer noch ein bisschen mehr – und das seit einem Jahr. Frauen in der Krise, das sind die, für die wir klatschen, die in den Heimen, in den Pflegeeinrichtungen, in den Krankenhäusern Menschen betreuen, pflegen, heilen und leider auch viel zu oft sterben sehen. 75 Prozent der Angestellten im Gesundheitssektor sind Frauen; im Pflegebereich sogar 85 Prozent. Frauen in der Krise, das sind, ja, auch die ausgebremsten Mütter, die in vielen Fällen mehr Betreuungsaufgaben übernommen haben als die Väter – wobei natürlich auch die eine Menge geleistet haben – und die sich – und das ist interessant – laut Studien des Jobportals LinkedIn derzeit deutlich weniger auf lukrative Stellen bewerben, als es Männer tun. Und das sind Tatsachen; die muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Frauen in der Krise, das sind teilweise auch die Zukurzgekommenen, nämlich unglaublich viele Minijobberinnen, die ja keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben. Frauen in der Krise, das sind oft auch Opfer, die den Frust der Partner abbekommen. Wir sehen beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ einen Anstieg der Anrufe von 20 Prozent, und das sind auch nur die, die sich trauen, sich tatsächlich Hilfe zu suchen. Frauen in der Krise, das sind auch die Seniorinnen, die Witwen, die Alleinstehenden, die viele Wochen und Monate auf Umarmungen, ({1}) auf einen Händedruck, auf ein gutes Gespräch verzichten mussten. Frauen werden nun mal im Schnitt fünf Jahre älter als Männer. Also gibt es auch viel mehr ältere Frauen, viel mehr Witwen, die besonders unter dieser Krise leiden. Für uns alle, für Männer wie Frauen, war das letzte Jahr sehr hart. Aber wenn man sich die Zahlen im Vergleich anschaut, muss man schon sagen: Für Frauen war es besonders hart und besonders anstrengend. Warum sage ich das? Weil ich will, dass am Montag, dem Weltfrauentag, besonders laut gejammert werden darf, weil ich will, dass wir Mitleid bekommen? Nein. Ich sage das heute hier im Hohen Hause, weil ich finde, dass wir hier im Bundestag, in der Regierung und all diejenigen, die in diesem Land an verschiedenen Stellen Verantwortung tragen, in Wirtschaft und Gesellschaft, diejenigen, die Entscheidungen treffen, daraus Lehren ziehen müssen und dafür Verantwortung haben. ({2}) Wir haben gemeinsam die Verantwortung, dass wir die Situation für Frauen in unserem Land besser machen, und dafür, dass die Krise eben nicht zum Rückschritt wird. Lasst uns doch Arbeit neu denken! Lasst uns Vereinbarkeit möglich machen, nicht mit starren Modellen wie dem von Hubertus Heil, sondern mit Kreativität, Flexibilität und neuen Lösungen. Vertrauensarbeitszeit, Homeoffice, Flexibilisierung: Das hilft vor allem Frauen, ihre Arbeit mit Familie besser zu vereinbaren. Wir haben doch gesehen, dass vieles möglich ist. Lassen wir nicht zu, dass dieses Jahr für Frauen dauerhaft zum Karriereknick wird! Die Frauen sind ja nicht weg. Sie hatten nur andere Prioritäten. Deshalb: Sorgen wir gemeinsam dafür, dass Kind und Karriere sich nicht ausschließen durch die Möglichkeit von Führen in Teilzeit, durch bessere und flexiblere Kinderbetreuung! Wir haben das Gute-KiTa-Gesetz auf den Weg gebracht, und wir fordern auch den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Grundschulkinder. Unser Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen bringen wir schnell auf den Weg, und wir unterstützen „Stay on Board“. ({3}) Schaffen wir Räume und Zeiten auch der Erholung durch Kuren für Mütter und Frauen und andere Möglichkeiten der Entlastung! Kämpfen wir weiter für eine bessere Bezahlung in der Pflege, der Hauswirtschaft und der Erziehungstätigkeiten! Und: Tun wir etwas gegen Einsamkeit im Alter! Wir haben viele Projekte, Modellprojekte und auch die Mehrgenerationenhäuser auf den Weg gebracht. Aber das reicht uns nicht. Wir wollen einen Aktionsplan gegen Einsamkeit und flächendeckende, ganz konkrete Maßnahmen. Sorgen wir dafür, dass Opfern von häuslicher Gewalt schnell geholfen wird! Wir haben in dieser Legislaturperiode mit dem Programm für die Frauenhäuser und die Beratungsstellen 120 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und den runden Tisch geschaffen. Hier wollen wir weiterarbeiten, etwa auch beim Thema Prostitution. Und: Vergessen wir die Frauen weltweit nicht, diejenigen, die dafür, dass wir schöne T-Shirts oder günstige Rosen haben, auf den Feldern oder in den Textilfabriken schuften müssen unter schlechten Bedingungen. Auch hier haben wir eine Verantwortung, dass es auch diesen Frauen besser geht. ({4}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir wollen nicht jammern. Wir wollen kein Mitleid. Wir wollen Strukturen ändern und Gewohnheiten. Wir wollen, dass Frauen zu Gewinnerinnen der Krise werden. Dann kann die Krise tatsächlich zu einer Chance für Frauen in unserem Land werden. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Nicole Bauer, FDP. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich 16 war, war es nicht klar, ob ich Abitur mache. Ich war wissbegierig, ich wollte lernen und mir Türen öffnen. Ich wollte meine Zukunft gestalten. Später entschied ich mich fürs Ingenieursstudium, weil mich Technik und Innovation faszinierte, weil ich neue Antriebe entwickeln wollte, weil ich unsere Zukunft gestalten wollte. Und als ich mich mit Anfang 20 entschied, in die FDP einzutreten, wollte ich mitreden, mitentscheiden. Ja, ich wollte erneut unsere Zukunft gestalten. So wie es mir geht, geht es unzähligen jungen Frauen und Mädchen da draußen, hierzulande und anderswo. Wir Frauen wollen unsere Zukunft mitgestalten: in der Politik, ({0}) in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in vielen anderen Bereichen. Wir Frauen wollen selbstbestimmt Entscheidungen treffen, wann wir wie viele oder ob wir überhaupt Kinder bekommen. Wir wollen unsere Träume und Chancen verwirklichen, den Aufstieg in eine Spitzenposition, vielleicht sogar als Mama und Managerin. Wir wollen unsere Talente einbringen: in die künstliche Intelligenz, in die Programmierung von Algorithmen und in den digitalen und technologischen Wandel. Meine Damen und Herren, unsere Zeichen stehen ganz klar auf Neuausrichtung. ({1}) Wir als Liberale sind überzeugt davon, dass es nicht die Frauen sind, die sich anpassen müssen an längst Überholtes. Es ist an uns, an uns als Gesellschaft, als Parlament, als Arbeitgeber, neue Formen, neue Rahmen zu setzen für faire und beste Startchancen, Verwirklichungschancen und Aufstiegschancen. Denken wir also neu! Denken wir für ein Miteinander in Vielfalt, für einen Kulturwandel in Parteien und Unternehmen! Ermöglichen wir mehr Flexibilität durch neue Formen wie Jobsharing und Topsharing! Sorgen wir endlich für weltbeste Bildung in Kitas und Schulen, unabhängig vom Elternhaus! ({2}) Also: Blicken wir nach vorn! Verabschieden wir uns von der Zeit, in der sich Frauen von Männern erklären lassen mussten oder immer noch müssen, was ihre Aufgaben sind, oder in der sie ungefragtes Feedback zu ihrem Auftreten, zu ihrem Aussehen oder zu ihrer Stimme bekommen! Begegnen wir uns endlich auf Augenhöhe! Frauen haben nicht erst in der Coronapandemie bewiesen, dass Augenhöhe und Respekt definitiv angebracht sind: Respekt vor den vielen Frauen an den Supermarktkassen, in den Kitas, Krankenhäusern und Altenheimen, die jeden Tag während der Pandemie ihren Einsatz brachten; Respekt vor den Frauen, die jeden Tag den Spagat zwischen Arbeit, Lehrerersatz und Kinderbetreuung im eigenen Zuhause oder im Betrieb meistern; Respekt vor den Frauen wie Jacinda Ardern, die ihr Land hervorragend durch die Pandemie geführt haben; Respekt vor den Influencerinnen und anderen Frauen in der Öffentlichkeit – in Kunst, Kultur, Ämtern und Medien; Respekt vor den Frauen, die an der Entwicklung von Impfstoffen beteiligt oder Chefvirologinnen sind; Respekt vor den beiden Nobelpreisträgerinnen der Chemie; Respekt vor all den Frauen, die unsere Zukunft mitgestalten. Sie alle sind meine persönlichen Heldinnen dieses Jahres. ({3}) Es gibt unzählige, und es gäbe weitaus mehr, wenn wir endlich den Kurs ändern, damit wir alle unsere Talente verwirklichen können. Deshalb: Setzen wir unsere Segel neu! Hier und heute ist der richtige Zeitpunkt für diesen Wandel. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Cornelia Möhring, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Cornelia Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004111, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Gleichstellung und damit Gerechtigkeit müssen erkämpft werden. Sie werden uns nicht gegeben. Soziale und demokratische Rechte sind das Ergebnis langer Auseinandersetzungen. Gegner der kämpfenden und streikenden Frauen waren immer besonders der Adel, das männliche Bürgertum sowie Konservative und Nationalisten. Auch heute ist es die politische Rechte, sind es die konservativen Kräfte, die die Gleichstellung in dem Moment ablehnen, wo sie die eigene Macht bedroht. Der Widerstand gegen die Parität und gegen Quoten zeugt von dieser Angst. Auch heute ist es die politische Rechte, die sich gegen eine der grundlegendsten Gleichstellungsforderungen stemmt: das Recht, über den eigenen Körper, die Sexualität und Fortpflanzung selber zu entscheiden. Solange Ärztinnen und Ärzte nicht selber über ihre medizinischen Leistungen informieren dürfen, solange Frauen nicht das Recht haben, über den Abbruch oder die Austragung einer Schwangerschaft selber zu entscheiden, wird es keine wirkliche Gleichstellung geben. ({0}) Der 219a und der 218 müssen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Und weil es die letzte Frauentagsdebatte in dieser Wahlperiode ist, eine Bemerkung zu meinen eigentlich sehr geschätzten SPD-Kolleginnen und -Kollegen: Es gibt ein paar Punkte, die ich Ihnen wirklich übelnehme, besonders aber den halbgaren Kompromiss zum 219a. Sie haben der Gleichstellung damit einen Bärendienst erwiesen. Das hat auch gestern die Debatte zur sexuellen Selbstbestimmung erneut gezeigt. Ich hoffe sehr, dass Sie – und andere in diesem Hause auch – es bis zur Bundestagswahl merken, dass mit der Union keine wirkliche Gleichstellung möglich ist und es auch zukünftig nie sein wird. ({1}) Gleichstellung, soziale Gerechtigkeit und Solidarität gehören nämlich zusammen. Und weil sich heute der 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg jährt, schließe ich mit einem Teil eines Zitates von ihr: „… alles andere ist Quark.“ ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute erleben wir voraussichtlich die letzte Debatte zum Internationalen Frauentag mit Angela Merkel als Kanzlerin. Heute hätte ein Tag sein können, an dem Sie als Kanzlerin und Sie als Bundesregierung sich hätten dafür feiern lassen können, dass Sie es waren, die mit verkrusteten Strukturen aufgeräumt und der Gleichberechtigung einen richtigen Schub nach vorne hatten geben können, so wie es in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes gemeint ist mit dem Auftrag des Staates. Auch wenn ich der Opposition angehöre: Ich hätte Ihnen diesen Erfolg gegönnt – für die Frauen und Mädchen in unserem Land. Denn wir müssen so dringend vorankommen in Deutschland. Das sehen wir jetzt so deutlich wie nie. Die Pandemie zeigt uns als Gesellschaft schmerzhaft auf, dass der Weg zu echter Gleichberechtigung noch weiter ist. Dieser Stillstand bei den Geschlechterverhältnissen kann frustrieren. Dabei brauchen wir die vielen Frauen, die sich in unserer Gesellschaft, in den vielen Frauenorganisationen, aber auch in der Kultur und überall jeden Tag neu engagieren und für Gleichberechtigung kämpfen. ({0}) Wir sollten ihren Kampf hier abbilden und als Politik entschlossen handeln. Denn was getan werden muss, ist ziemlich klar, meine Damen und Herren. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem. Diese Verhaltensstarre geht auf Kosten der Frauen. Damit muss Schluss sein! Was zu tun wäre, können Sie aktuell auch wieder im Wahlprogramm der SPD lesen und in den Zeitungen der letzten Tage. Dort steht etwa, dass Sie das Ehegattensplitting abschaffen wollen und dass Sie § 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen wollen. Das lesen wir. Absolute Zustimmung zu diesen Forderungen, aber warum erst jetzt, Frau Giffey? ({1}) Sie sind in der Regierung, Sie hätten das seit drei Jahren angehen können. ({2}) Statt Taten erleben wir viele Verzögerungen, zum Beispiel beim lange angekündigten Gleichstellungsinstitut, das gerade in der aktuellen Coronakrise hätte so wichtig sein können ({3}) Das kommt jetzt auf den letzten Drücker. Das ist schade; denn die Forderung, Frauen von Anfang an in der Pandemiekrise an den Tisch zu holen, haben Sie weder für sich selber noch für andere Frauen, zum Beispiel die Forscherinnen, gefordert. Das war ein echter Fehler. ({4}) Oder nehmen wir die Frage der Repräsentanz von Frauen in der Politik. Der aktuelle Frauenanteil liegt bei unter einem Drittel: bei 31 Prozent. Das ist beschämend niedrig und verlangt gesetzliche Maßnahmen. Auch hier: nichts passiert. Noch nicht mal eine Kommission, die sich über Jahre mit dieser Frage auseinandersetzen soll, wurde bisher eingesetzt. Wir Grünen wollten eine Kommission genau für die Parität, und die haben Sie abgelehnt. Wir als Grüne wissen aus unserer eigenen Arbeit, was es heißt, paritätische Strukturen zu haben, und wir werden nicht nachlassen, dafür zu kämpfen, dass Parität auch in allen Parlamenten kommt. ({5}) Meine Damen und Herren, was es braucht, ist eine feministische Regierung, die Gleichstellung als zentrales Demokratiethema versteht und es durchgängig im Regierungshandeln umsetzt. Dazu gehören konsequentes Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting, wie wir es in unserem Grünenantrag „Geschlechtergerecht aus der Corona-Krise“ schon lange gefordert haben. Wie das konkret aussehen kann, zeigt die neue Biden/Harris-Administration: Das Weiße Haus macht Gleichstellung jetzt zur Chefsache und schafft einen Gender Policy Council. In jedem Haus gibt es Verantwortliche, die über ihre messbaren Anstrengungen für die Weiterentwicklung von Gendergerechtigkeit innerhalb der Ministerien dem Gender Policy Council Bericht erstatten. Darüber liegt ein Plan zur Bekämpfung geschlechterbasierter Gewalt. Und es gibt ebenso einen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Frauen. Was ich bemerkenswert finde: Ein besonderer Fokus liegt auf der Finanzierung von Care-Arbeit bei der Umsetzung des Programms zur wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie. Mit diesem Plan werden Care-Berufe in der Form ernst genommen, wie sie es in den USA, aber auch weltweit verdient hätten. ({6}) Ich frage Sie: Wo ist Ihr Plan zur Begleitung des Strukturwandels nach der Coronakrise? Was sind Ihre Antworten auf die Frage, wie wir verhindern können, dass Frauen zu Verliererinnen dieser Pandemie werden? Es ist so bitter für die Frauen nach all diesen Versprechen, aber ich erkenne: Ihnen fehlt der Wille, solche Pläne zu haben und umzusetzen. Hier klafft eine ganz große Lücke, und das ist echt frustrierend für die Frauen in diesem Land. ({7}) Meine Damen und Herren, eine unserer Antworten als Grüne auf die drängenden Fragen in den letzten Jahren und besonders unter Corona lautet: „Don’t fix the women, fix the system!“, also: Repariere nicht die Frauen, repariere das System! Denn darum geht es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir werden alles dafür tun, die strukturellen Hindernisse, die es noch gibt, aus dem Weg zu räumen: Wirksame Entgeltgleichheit statt Entgelttransparenz, wirksame Frauenquoten statt unverschämte Zielgrößen null oder „Thomas-Kultur“, Parität in den Parlamenten, der Wirtschaft, der Kultur statt mutlosem Stillstand, Modelle für Arbeitszeiten, die die Vereinbarkeit für Frauen und Männer ermöglichen und nicht behindern, und endlich Schluss mit dem Selbstverständnis, Frauen die Zuständigkeit bei der Sorge von Kindern und Pflege zuzuschreiben! Die Zeit für überkommene Rollenbilder und die Zeit, in der über Frauen hinweggegangen werden kann, ist vorbei. Es ist die Zeit für einen großen Wurf. ({8}) Wir müssen ran ans Patriarchat. Es gibt viel zu gewinnen, und zwar für alle. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey. ({0})

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Schauws, ich muss kurz auf Ihre Rede eingehen; denn Sie haben etwas gemacht, was Sie in diesen Debatten immer gern tun: Sie greifen diejenigen an, die sich am meisten dafür einsetzen, dass wir Verbesserungen erreichen, ({0}) und richten nicht den Scheinwerfer auf die, die Verbesserungen verhindern. Sie fragen uns, wo unser Plan ist. Ich will lhnen ganz klar sagen: Wir haben zum allerersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie verabschiedet, die genau diesen Plan beinhaltet. ({1}) Und wenn Sie über Gender Policy Council in Amerika sprechen, dann würde ich doch empfehlen, auch einmal zu schauen, was unsere Gleichstellungsbeauftragten in allen Ressorts – in allen Bereichen, auf allen Ebenen – schon heute erreichen. ({2}) Sicher: Wir haben immer noch Entwicklungspotenziale; das ist doch gar keine Frage. Aber wir setzen uns dafür ein, dass Dinge besser werden. Ich will heute noch mal den Fokus darauf legen, was wir schon erreicht haben. Wir wollen Anerkennung für die Frauen, weil es unheimlich viele Frauen gibt, die die Menschheit, die unsere Gesellschaft voranbringen und vorangebracht haben. Gerade jetzt, in der Pandemie ist das sichtbar: Frauen halten an vielen Stellen den Laden am Laufen, egal wo. Sie verdienen Respekt; das ist ganz klar. Wir haben vieles erreicht, aber vieles ist auch noch zu tun. Sie haben heute die Aufwertung der sozialen Berufe, bessere Löhne und Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sowie den Kampf für Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen angesprochen. Das sind konkrete Dinge, mit denen wir uns im Ministerium intensiv beschäftigen. Zum Kampf gegen Gewalt an Frauen. Zum allerersten Mal überhaupt gibt es seit dieser Legislatur ein Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen, ausgestattet mit finanziellen Mitteln, um eine Länderaufgabe zu unterstützen, nämlich den Ausbau der Frauenhäuser und der Beratungsstellen. ({3}) Wir wollen auch die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen, indem wir sie in die Entscheidungspositionen des Landes bringen; indem wir nicht einfach akzeptieren, dass nur 10 Prozent Frauen in den Vorständen der großen Unternehmen sind und wir auch viel zu wenige Frauen in den Körperschaften des öffentlichen Rechts, in den Behörden und an vielen Stellen der Zivilgesellschaft haben. Deshalb bringen wir den Entwurf des Zweiten Führungspositionen-Gesetzes ein; das ist ein Beitrag dazu. ({4}) Wir haben gesehen: Freiwillig tut sich hier nichts. Es braucht gesetzliche Vorgaben. Sie wünschen sich ein Bundesinstitut für Gleichstellung. Dazu sage ich Ihnen noch mal: Wir werden nächste Woche die Formulierungshilfe für die Bundesstiftung Gleichstellung im Kabinett beschließen; die wird kommen. Man muss jetzt nicht klagen, dass es sie noch nicht gibt, sondern kann sich mal freuen, dass sie kommt. ({5}) Ich freue mich jedenfalls darauf, und ich finde es richtig. Seit über 100 Jahren kämpfen Frauen für Gleichberechtigung, und wir hatten ganz andere Ausgangsbedingungen, nämlich kein Wahlrecht. Wir hatten Männerklubs, die sich gegen die Frauenemanzipation gegründet haben. Wir haben sie vielleicht auch heute noch, nur nicht offiziell; ich weiß es nicht. ({6}) Wissen Sie, wir müssen doch auch mal sehen, wie viel schon geschehen ist. Wir arbeiten an diesem Weg weiter. Wir wollen eine moderne partnerschaftliche Gleichstellungspolitik, die auf Vereinbarkeit setzt, die darauf setzt, dass Mädchen und Jungen sich gleichermaßen für den Weg, den sie leben wollen, entscheiden können. – Leider sind meine drei Minuten um. – Wir kämpfen dafür. Lassen Sie uns das gemeinsam tun mit Zuversicht und Tatkraft! Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nicole Höchst, AfD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frauenrechtlerinnen haben in den vergangenen Jahrhunderten die Gleichberechtigung erstritten, und Männer haben sie in den Parlamenten gewährt. Dafür kommt ihnen für immer der Dank der nachfolgenden Generationen zu. Leider ist in unserer ach so buntisierten Gesellschaft aus dem Kampf für die Frau längst ein Kampf gegen die biologische Frau geworden – multikulturell, aber vor allem auch ideell. ({0}) Zur Bigotterie der Reinstallation des gewalttätigen Steinzeitpatriarchats in Deutschland wurde alles gesagt. Nichts scheint heutzutage verachtenswerter als eine klassische Familie, in der die Frau einfach nur treusorgende Mutter ist. ({1}) Dabei ist dies ein urgewaltiger Topos in Kunst, Literatur und Religion, der im Innersten der meisten Menschen liebevoll im Gedanken an die eigene Mutter widerhallt. ({2}) Für die schöne neue Welt der amtierenden Frauenrechtlerinnen muss das Bild der Mutter weichen, und zwar dem Bild von Frauen und anderen gebärfähigen Personen, die bei Schwangerschaft Körper, Körperflüssigkeiten oder Körperteile für mindestens neun Monate zur Verfügung stellen, wie es gestern im Antrag der Linken unter großer Zustimmung von SPD und Grünen propagiert wurde. Für die Marxisten aller Couleur gilt anscheinend: Die Mutter ist tot! Es lebe der gebärfähige Körper! – Das, meine Damen und Herren, ist zutiefst frauenfeindlich. ({3}) Frauen wohnt die Gnade inne, Leben schenken zu können und die tiefsten und innigsten Beziehungen und Bindungen stiften zu können, die es auf der Welt gibt, nämlich die zwischen Müttern und ihren Kindern. Diese sollen zugunsten einer unbedingten Beruflichkeit überwunden werden. Die Lissabon-Strategie der EU besagt bereits: Frauen, die nicht lohnabhängig erwerbstätig sind, sind steuerlich schlicht ungenutztes Humankapital. – Wenn diese von ihrer eigenen Natur zutiefst entfremdeten Leute an der Macht bleiben, werden aus Frauen langfristig Körperteile und Körperflüssigkeiten mit Steuernummern, immer dazu verdammt, mit Männern gleichgestellt werden zu müssen – ein humanistischer Offenbarungseid. ({4}) Und weil sie in den Augen ihrer eigenen Geschlechtsgenossinnen grundsätzlich benachteiligt und anscheinend zu doof sind, ihre eigenen Füße zu finden, beschert Frau ihnen die Quote. Ein Bärendienst! Aber auch die Quotendebatte und das Busenzählen sind virtuose Schattenboxkämpfe von Feministinnen, die spüren, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Neue, wertkonservative Frauenrechtlerinnen braucht das Land. Sie treten mit allem, was sie haben, für das Frauenrecht ein, nicht ständig mit Männern konkurrieren zu müssen und die Wahlfreiheit zu haben, ob sie erwerbstätig und/oder Hausfrau und Mutter sein wollen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Staatsministerin im Kanzleramt, Annette Widmann-Mauz. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Gast)

Politiker ID: 11003259

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Internationale Frauentag entstand vor mehr als hundert Jahren, um Frauen eine Stimme zu geben. Ich bin stolz darauf, dass es hier im Deutschen Bundestag und überall in unserem Land starke, selbstbewusste Frauen gibt, die ihren Weg gehen und ihre Rechte einfordern. ({0}) Das ist auch bitter nötig, wenn ich gerade in Ihre Richtung blicke: ({1}) Sie von der AfD liegen doch mit Ihrem Frauenbild mehr als hundert Jahre zurück. ({2}) Es mag ja noch Länder geben, in denen Sie sich mit diesem Weltbild zu Hause fühlen, aber es werden, Gott sei Dank, von Jahr zu Jahr weniger. ({3}) Dennoch bleibt auch bei uns noch einiges zu tun, zum Beispiel wenn es um die Gewalt gegen Frauen geht. Seit Jahren sind die Zahlen hier auf einem hohen Niveau. Sexualisierter Hass und frauenfeindliche Hetze sind im Netz gegenwärtig, im Übrigen auch gegenüber Kolleginnen hier im Hohen Haus. Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Einige sind den Kampf dagegen ja auch bereits erfolgreich angegangen und haben geklagt. Das gelingt aber nur dann, wenn der Täter sich ermitteln lässt. Ohne Kenntnis der IP-Adresse ist das im Netz oft gar nicht möglich. Die Bundesregierung hat das Gesetz gegen Hasskriminalität auf den Weg gebracht. Allerdings verhindern Grüne und FDP im Bundesrat, dass es auch in Kraft treten kann. Geben Sie Ihre Blockade im Vermittlungsausschuss bei der Bestandsdatenauskunft endlich auf! Datenschutz wird sonst zum Täterschutz, und das wollen Sie doch ernsthaft nicht. ({4}) Ich bin unserem Innenminister dankbar, dass er unsere Initiative aufgenommen hat, frauenfeindliche Straftaten in den Polizeistatistiken hervorzuheben. Wir müssen Gewalt gegen Frauen erkennen, sie benennen und bekämpfen. Auch hier gilt: Mehr Transparenz hilft. Wir brauchen insgesamt mehr Sichtbarkeit der Lebenswirklichkeit von Frauen. Das hat uns Corona schonungslos gezeigt. Als im letzten Jahr die Bordelle schließen mussten, zeigte sich doch einmal mehr das ganze Elend von Frauen in der Prostitution. Die große Mehrheit dieser Frauen gerät aus purer Armut, Drogenabhängigkeit oder durch Loverboys in diesen Teufelskreis. Viele sind Migrantinnen, unter falschen Versprechungen hierhergelockt, verschleppt, gehandelt wie Ware, aber nicht behandelt wie Menschen mit Würde. Nur Einzelnen gelingt es, auszubrechen. Die meisten schweigen aus Angst und leiden ihr Leben lang unter den psychischen und gesundheitlichen Folgen. Wir in der Unionsfraktion wollen das nicht länger hinnehmen. Wir verschließen unsere Augen nicht. Wir wollen Prostituierte besser schützen, Zwangsprostitution gezielt bekämpfen und effektive Ausstiegsangebote machen. Dafür haben wir konkrete Vorschläge erarbeitet. Lassen Sie uns doch noch wirksame Maßnahmen gegen die schlimmsten Auswüchse auf den Weg bringen! Lassen Sie uns doch effektive Ausstiegsangebote machen! Der Weltfrauentag wäre dafür der ideale Startpunkt. Er steht für Handeln gegen Gewalt, für Gerechtigkeit und für die Gleichberechtigung von Millionen von Frauen. Wir wissen: Gesetze sind das eine. Entscheidend ist, dass sie etwas in dem Bewusstsein unserer Gesellschaft anstoßen, ein gleichberechtigtes, wertschätzendes Miteinander befördern. Das gilt im Übrigen für den Umgang im Parlament genauso wie in der öffentlichen Debatte, in der Unternehmenskultur und in den Familien. Wer partnerschaftlich und fair miteinander umgeht, der kommt auch besser durch schwierige Zeiten. Wir wollen keine Rolle rückwärts bei der Aufteilung von Sorgearbeit und Erwerbsarbeit in den Familien. Wir wollen Familien stärken und ein gleichberechtigtes, ein starkes Miteinander. Deshalb haben wir den Partnerschaftsbonus beim Elterngeld verbessert. Deshalb setzen wir auf die Kinderbetreuung, und wir bauen sie weiter aus. Wir setzen auf einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen. Und ja, für die Frauen in der CDU steht fest: Auch die Steuerklasse V muss abgeschafft werden, damit Frauen nicht nur mehr Netto vom Brutto, sondern auch in der Krise mehr Arbeitslosen-, Kurzarbeiter-, Kranken- und Elterngeld erhalten. Mehr Leistungsgerechtigkeit bringt auch mehr Sicherheit. Hier müssen wir ran; denn es lohnt sich, diese Gesellschaft auf gleichberechtigte Schultern zu stellen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Gyde Jensen, FDP, ist die nächste Rednerin. ({0})

Gyde Jensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004941, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich noch an die Debatte hier vor einem Jahr erinnern: Wir haben da über ein Rollback gesprochen, darüber, dass wir als Gesellschaft Rückschritte in Sachen Gleichberechtigung machen. Damals sprachen wir über dieses Rollback als einen subtilen, schleichenden Prozess, eine langsame Trendwende, die man umkehren muss. Doch die Pandemie hat diesem Rollback einen Zeitraffer verpasst. Laut einer aktuellen Studie des DIW hat sich der Anteil der Familien, in denen die Mutter sich quasi alleine um die Kinder kümmert, fast verdoppelt. Krankenschwestern, Pflegerinnen, Kassiererinnen haben in systemrelevanten Berufen in erster Reihe im Kampf gegen die Pandemie gestanden und sich nach der Schicht noch um Homeschooling und Haushalt gekümmert. Das letzte Jahr hat uns dramatisch vor Augen geführt, dass nicht nur die Errungenschaften der Gleichberechtigung langsam erodieren können, sondern auch viel von dem, was mutige Frauen in den letzten Jahrzehnten für uns erstritten haben, für mich erstritten haben, mit einem Mal zerbrechen kann. Das führt uns diese Pandemie gerade hart vor Augen. ({0}) Die Frage ist doch jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Akzeptieren wir das? Ich sage Nein; wir Freie Demokraten sagen Nein. Wir sagen: Jetzt erst recht müssen wir uns dafür einsetzen, für Gleichberechtigung zu kämpfen. ({1}) Glücklicherweise aber hat das vergangene Jahr nicht nur die Pandemie zu uns gebracht, sondern auch neue Ikonen hervorgebracht, und zwar weltweilt. Mit Kamala Harris gibt es erstmals eine Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten. Swetlana Tichanowskaja und Marija Kolesnikowa haben einem Diktator vor Augen geführt, was es heißt, wenn man Kontrahentinnen unterschätzt, und den Willen einer Zivilgesellschaft verdeutlicht, in Belarus für Freiheit zu kämpfen. ({2}) Am 1. März dieses Jahres trat Ngozi Okonjo-Iweala das Chefinnenamt der Welthandelsorganisation an. In Saudi-Arabien setzt sich Loujain al-Hathloul weiter für die Rechte ihrer Mitbürgerinnen ein, nicht nur fahren zu können, sondern viel, viel mehr zu dürfen, obwohl zwar erst vor Kurzem ihr tausendtägiges Martyrium als politische Gefangene endete, sie aber nach wie vor ihr Land nicht verlassen darf. Schließlich hat die deutsche Spitzenwissenschaftlerin Özlem Türeci der Welt den ersten Coronaimpfstoff beschert. ({3}) Doch es gibt nicht nur diese großen Ikonen, die in der Öffentlichkeit stehen. Jeder von uns kennt sie, die Heldinnen und Vorbilder unseres Alltags. Für mich sind das zum Beispiel Frauen wie Grit Petzold, die bei uns in Schleswig-Holstein ein Pflegeheim für Demenzkranke leitet und den Menschen mit viel Kreativität und Hingabe ein größtmögliches Maß an Freiheit und Würde bietet. Für mich sind das Frauen wie die Erzieherinnen in der Kita in Kiel, die sich liebevoll um meine Tochter kümmern und dazu beitragen, dass sie ein selbstbewusster Mensch wird. Und es sind für mich Frauen wie meine Mutter, die in der Notambulanz in Husum arbeitet, teilweise in Arbeitsquarantäne, und dennoch jedem einzelnen Patienten hundertprozentige Aufmerksamkeit schenkt. ({4}) Sie alle, meine Damen und Herren, haben etwas gemeinsam: Sie alle inspirieren Menschen um sich herum, und sie alle zeigen das Potenzial, das in unserer Gesellschaft liegt, das Potenzial von Frauen, große, aber auch kleine Veränderungen anzustoßen. Unser Job hier im Bundestag ist es, jeder Einzelnen von ihnen zu ermöglichen, genau dort zu wirken, wo sie ihr Potenzial sieht. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Männer und Frauen sich einsetzen für Frauen, wenn Männer und Frauen Seite an Seite für Frauen kämpfen, dann gewinnen nicht nur die Frauen, sondern wir alle. Ich glaube, das ist ein Ziel, das alle von uns einen sollte. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Katja Kipping, Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor 150 Jahren wurde Rosa Luxemburg geboren. Ihr Wirken zeigt ganz klar, dass man sozialen Fortschritt nicht auf dem Silbertablett präsentiert bekommt, sondern ihn sich erkämpfen muss. Von Luxemburg stammt der Begriff der „sozialen Garantien des Lebens“. Die Coronakrise hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, wie wichtig heute, im 21. Jahrhundert, soziale Garantien sind, die alle sicher vor Armut schützen. ({0}) Natürlich sind alle Geschlechter von Armut betroffen, doch wir wissen: Frauen besonders. Nicht nur am Frauentag sagen wir Linken deshalb: Im Bedarfsfall darf kein Mensch, kein Mann und keine Frau, im Monat unter 1 200 Euro fallen. Da lassen wir nicht locker; denn wir wollen eine Welt frei von Armut. ({1}) Immer noch besetzen Männer einen Großteil der überbezahlten Spitzenjobs, und Frauen tragen einen Großteil der unbezahlten Familienarbeit bzw. der unterbezahlten Sorgearbeit zum Beispiel in der Pflege. Für ihre Aufopferung werden sie dann mit niedrigeren Renten im Alter und mit weniger Einfluss auf Entscheidungen in Politik und Wirtschaft bestraft. Das müssen wir ändern. Es ist höchste Zeit für eine Mission „fifty-fifty“, also für den Aufbruch in eine Gesellschaft, wo die verschiedenen Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern gerecht verteilt sind, die Spitzenjobs wie die wunderbare Familienarbeit. ({2}) Die gute Nachricht ist – egal was jetzt von rechts kommt –: Wir Feministinnen und Feministen haben den Wind der Geschichte in unseren Segeln. All jenen, die mit dieser Zeit noch etwas fremdeln, rufe ich zu: Die Geschlechtergerechtigkeit wird kommen. Wollt ihr dann wirklich an der Seitenlinie der Geschichte stehen bleiben? Wir Feministinnen laden alle ein, wir laden euch ein, euch auch mit all euren Bedenken produktiv einzubringen und an diesem Fortschritt mitzuwirken. Es ist ein Fortschritt, der nicht aufzuhalten ist; denn wir werden ihn uns erkämpfen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Leni Breymaier, SPD. ({0})

Leni Breymaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin Giffey, wir haben in diesem Jahr mehrere Landtagswahlen und auch die Bundestagswahl. Bezüglich der Zusammensetzung dieser Parlamente rechne ich im Jahr 2021 nicht mit Wundern. Der Anteil der Frauen in den neu zusammengesetzten Parlamenten, die dieses Jahr gewählt werden, wird sich nicht spürbar erhöhen. Und doch bin ich perspektivisch hoffnungsvoll – warum? –, erstens weil Katja Mast das Jahrzehnt der Frauen ausgerufen hat ({0}) und zweitens weil ich sicher bin, dass wir auf der Strecke dieser zehn Jahre ein Paritätsgesetz auch für den Deutschen Bundestag schaffen, und zwar verfassungsfest. Ich bin mit dem jüngsten Beschluss in Karlsruhe sehr zufrieden, weil er mich in dieser Position bestärkt hat. Das Gericht hat nicht, wie regelmäßig von der rechten Seite des Hauses eingeworfen wird, gesagt, Paritätsgesetze widersprächen dem Grundgesetz. Übrigens geht es in Thüringen und Brandenburg um die Landesverfassungen. ({1}) Und diese Entscheidungen liegen auch in Karlsruhe zur Überprüfung. Das Bundesverfassungsgericht hatte jüngst Anträge verworfen, in denen Zweifel an der Legitimität der Bundestagswahl 2017 angeführt wurden. 2017, so das Gericht, gab es keinen Verstoß gegen aktuell bestehende Vorschriften. Doch das Bundesverfassungsgericht sagt sehr klar und erfreulich ausführlich: Die Ausgestaltung des Wahlrechts hat der Verfassungsgeber offengelassen und dem Bundesgesetzgeber überlassen. ({2}) Die Art, wie der konkrete Auftrag aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz – „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ – an den Gesetzgeber beim Wahlrecht erfüllt wird, obliegt dem gesetzgeberischen Ermessen. – Was heißt das? Wenn wir uns hier für ein Paritätsgesetz entscheiden, kann man davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht – und ich habe keinen Zweifel, dass es dort landen wird – dann sagt, dass der Gesetzgeber hier seinen Job gemacht hat. ({3}) Also sorgen wir dafür, dass zum jüngsten Beschluss kein dummes Zeug verbreitet wird und zuerst in der Wahlrechtskommission und dann im gesetzgeberischen Verfahren die Grundlagen dafür gelegt werden, dass der Frauenanteil im Deutschen Bundestag dem Frauenanteil in der Bevölkerung entspricht. Warum eigentlich? Weil der Alltag, die Erfahrungen und das Leben der Frauen mehr in unsere Debatten und unsere Entscheidungen einfließen müssen. Wir brauchen alle Talente. Mehr Frauen in die Parlamente! ({4}) Jetzt noch ein kleiner aktueller Nachtrag, weil wir letzte Woche eine komische Entscheidung der Caritas und eine Nichtentscheidung der Diakonie zur Kenntnis genommen haben. Ich finde es wirklich schwierig, wenn wir ein Jahr lang die Heldinnen des Alltags, die Heldinnen der Pflege bejubeln und dann Caritas und Diakonie verhindern, dass wir im Bereich der Altenpflege einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag bekommen. ({5}) Ich sage ausdrücklich als Mitglied der Evangelischen Kirche: Ich erwarte von meiner Kirche etwas anderes. Besten Dank für die Aufmerksamkeit und einen kämpferischen Frauentag. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sabine Zimmermann, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum begehen wir den Internationalen Frauentag? Nicht nur für Politikerinnen und Aufsichtsrätinnen, sondern für Millionen Frauen mit ganz normalen Arbeitsverhältnissen – für sie haben die Sozialistinnen und Sozialisten 1911 den Internationalen Frauentag ins Leben gerufen. ({0}) Und für die Interessen dieser großen Mehrheit der Frauen setzen wir uns ein. Dafür kämpft Die Linke. ({1}) Damals ging es vor allem um das Frauenwahlrecht, heute geht es ums Ganze. Deshalb fordern wir: Gleichstellungspolitik darf nicht am Werkstor aufhören, meine Damen und Herren! ({2}) Was heißt das ganz konkret? Jede vierte Frau arbeitet zum Niedriglohn. Es geht aber nicht nur um gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Es geht darum, dass Arbeit, die mehrheitlich von Frauen verrichtet wird, in unserer Gesellschaft weniger wert ist. Pflege, Erziehung, Dienstleistungen – was man von Frauen umsonst erwartet, wird auch im Arbeitsleben schlecht bezahlt. Diesem überholten Denkmuster sagen wir den Kampf an, liebe Frauen. ({3}) Selbst die Bundesregierung hat erkannt: Nicht Bankvorstände und Wirtschaftsbosse, sondern Pflegerinnen und Pfleger, Erzieherinnen und Erzieher, Verkäuferinnen und Verkäufer sind systemrelevant. Aber warum haben sie dann solche niedrigen Löhne und Gehälter, meine Damen und Herren? Warum besteht ihr Arbeitsleben aus Dauerstress und Arbeitseinsätzen auf Zuruf? Die Linke fordert: Mit dieser Ausbeutung muss endlich Schluss sein. ({4}) Wir fordern mehr Anerkennung in Euro und Cent. Daran werden wir bei jeder Tarifauseinandersetzung erinnern. Wir fordern einerseits eine kürzere Vollzeit, andererseits Schluss mit unfreiwilliger Teilzeit, planbare Arbeitszeiten in der Praxis, nicht nur auf dem Papier, kurz: Arbeit, die 2021 zum Leben passt, für Frauen und für Männer. Gleichstellung und Arbeitsmarkt, 8. März und 1. Mai – das gehört zusammen. Genau dafür steht Die Linke, meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen allen einen kämpferischen 8. März. Danke schön. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Marcus Weinberg, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich ist in dieser Zeit eine Bestandsaufnahme wichtig. Kollegin Jensen hat gesagt: Jetzt erst recht. – Wenn man hier die eine oder andere Rede hört, muss man tatsächlich in Sorge sein, welche Entwicklung wir möglicherweise vor uns haben. Bei der Bestandsaufnahme geht es um zwei Dinge. Wir machen das, weil wir einen Auftrag haben. Wir haben einen grundgesetzlichen Auftrag. Nach Artikel 3 sind wir nämlich verpflichtet, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern. Das ist der Auftrag unseres Handelns. Es ist aber auch ein moralischer Auftrag. Dafür muss man eine Haltung, ein Menschenbild und ein Frauenbild haben. Ich glaube, dass sich heute in dieser Debatte wieder bewiesen hat, dass einige noch ein Haltungsproblem haben. ({0}) Richtig ist: Bei den Rahmenbedingungen, liebe Kollegin Schauws, haben wir in den letzten Jahren aufgrund des Koalitionsvertrags vieles verändert: Das Thema „Gewalt gegen Frauen“ wurde neu aufgerufen; auch heute haben wir in der Debatte zu dem Thema Prostitution gehört. Die Gleichstellungsstiftung wird kommen, und wir werden den Anteil von Frauen im Zweiten Führungspositionen-Gesetz verankern. Aber richtig ist auch, dass wir noch vieles vor uns haben. Und wenn ich sage, das habe etwas mit Haltung zu tun, dann muss man auch gewisse gesellschaftliche Gruppen in die Pflicht nehmen; denn Schein hat immer noch mehr Buchstaben als Sein. Und Ankündigungen der Wirtschaft sind zunächst einmal nur Ankündigungen. Da muss man sich fragen: Was wurde denn geliefert? Man muss Dinge wollen und dann auch tun. Wenn 78 Prozent der Unternehmen eine Zielgröße von null formulieren, dann ist das keine vernünftige Haltung mit Blick auf die Förderung von Frauen in Führungspositionen. ({1}) Wenn Sie sagen, Frau Kollegin von der AfD, wir machten Frauen bei diesen Debatten zu Opfern, dann müssen wir uns auch die reale Lebenssituation anschauen. Nehmen Sie die Gesundheitsbranche! 75 Prozent der Mitarbeiterinnen dort sind Frauen. Schauen Sie sich die Vorstände in diesem Bereich an! Bei den zehn größten Krankenkassen sind von 24 Posten zwei mit Frauen besetzt. Das ist eine Schieflage, die für uns nicht akzeptabel ist. ({2}) Deswegen sage ich ganz deutlich – Stichwort „Quoten und Quoren“ –: Ich bin kein überzeugter Anhänger von Quoten. Aber Quoten haben eine Aufgabe und das Ziel, sich eines Tages selbst abzuschaffen. Und solange wir diesen Auftrag aus dem Grundgesetz nicht erfüllt haben, müssen wir darüber nachdenken – und das tun wir –, auch Quoten einzuführen. ({3}) Man muss einmal mit gewissen Mythen aufräumen. Der erste Mythos ist, Leistungsquoten wären nicht leistungsfördernd. Wissen Sie, wir reden gerade mit Blick auf das Thema „Frauen in Führungspositionen“ über 26 Unternehmen. Der Anteil von Frauen in Vorständen beträgt dort 14,8 Prozent. Will mir einer ernsthaft sagen, dass Frauen mit Blick auf die kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten diese 14,8 Prozent verdient haben? Nein! Deswegen werden wir jetzt die Quote auch im Bereich „Frauen in Führungspositionen“ einführen und umsetzen. ({4}) Der zweite Mythos ist der Mythos „branchenspezifisch“. Ich kann mich erinnern, dass mir, als wir über Frauen in Aufsichtsräten diskutiert haben, gesagt wurde: Aber, Herr Weinberg, in der Stahlindustrie sind das alles Stahlbauer. Das können nur Männer, das können doch keine Frauen sein. – Wenn man sich ansieht, was diese Männer im Aufsichtsrat für einen Beruf haben, dann stellt man fest: Das waren Juristen und nichts anderes. ({5}) Deswegen muss man auch mit diesem Branchenmythos einmal aufräumen. ({6}) Das Gleiche gilt sicherlich für den Verhinderungsmythos, gerade auch in der Politik; da können wir uns an die teilweise sehr große eigene Nase fassen. Auch uns in der Politik ist es teilweise noch nicht gelungen, das Thema richtig anzugehen. Da heißt es: Eine Quote würde ja dann verhindern, dass die guten Männer des jeweiligen Distriktes, Ortsverbandes oder wo auch immer nicht zum Zuge kommen. Ja, wir kümmern uns darum, dass Oberunterberg, Unteroberberg, Oberoberberg und Unterunterberg alle gut vertreten sind. – Das ist das Regionalprinzip, die Regionalquote. ({7}) Eine Quote bei den Frauen wäre dann kein Quatsch mehr. Auch mit diesem Mythos muss man einmal aufräumen. Auch da brauchen wir etwas stringentere Vorgehensweisen. ({8}) Zum Schluss, Herr Präsident, sicherlich der fatalste Mythos, der Vereinbarkeitsmythos. Für wahr: Die Freiheit, die Freiheit der Familie, schützen wir. Aber wir müssen Rahmenbedingungen setzen, damit Freiheit auch wirklich existiert. Die haben wir erst dann, wenn wir weiter daran arbeiten, die Kindertagesbetreuung auszubauen, die Ganztagsbetreuung auszubauen, wenn wir die Rahmenbedingungen für Familien insgesamt verbessern. Dann werden wir hoffentlich eines Tages das erreichen, was übrigens Norwegen erreicht hat – ein Sieger der Krisenzeiten. Norwegen meistert Krisen am besten. In Norwegen hat man seit 2006 eine Quote. 41 Prozent der Positionen in der Wirtschaft sind mit Frauen besetzt, und 44 Prozent der Positionen in den Parlamenten sind mit Frauen besetzt. Das war für Norwegen erfolgreich. Denn das ist das, was wir auch in Deutschland brauchen: endlich die Umsetzung des Artikel 3 des Grundgesetzes. Dafür werden wir auch weiter kämpfen mit vielen kleinen Maßnahmen, einer klaren Haltung und guten Rahmenbedingungen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesaußenminister Heiko Maas. ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während die Welt gegen das Coronavirus kämpft, ist etwas im Gange, was bei den Vereinten Nationen als „Schattenpandemie“ bezeichnet wird: Das ist der weltweite Rollback von Frauenrechten. Wir haben in der Debatte von Franziska Giffey und anderen jetzt schon viel darüber gehört, was das in unserem eigenen Land bewirkt. Rollenbilder kommen wieder auf, auch andere Themen gibt es in verstärktem Maße wieder, etwa häusliche Gewalt. Wenn man sich ausmalt, wie das, was bei uns geschieht, in Entwicklungsländern oder Konfliktgebieten wirkt, wo Frauen und Mädchen dem völlig ungeschützt ausgesetzt sind, dann muss man feststellen: Dort geht es nicht um Selbstverwirklichung, sondern dort geht es ganz banal um Leben und Tod. ({0}) Frauenrechte haben eine internationale Komponente, deshalb heißt es ja auch Internationaler Frauentag. Wir haben unsere weltweite Unterstützung für Frauen und Mädchen noch einmal intensiviert, und zwar ganz konkret. Sie reicht von Safe Houses für Menschenrechtsverteidigerinnen in Afghanistan über Verhandlungstrainings für Politikerinnen in Khartum bis hin zu Frauennetzwerken in Afrika und in Lateinamerika. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben wir dafür gesorgt, dass sexualisierte Gewalt in Konflikten schärfer verfolgt wird, als das bisher bei den Vereinten Nationen der Fall gewesen ist, und dass die Rolle von Frauen in der Krisenprävention und bei Friedensverhandlungen, wo man auch zu selten Frauen trifft, obwohl es gerade dort um deren Rechte in der Nachkonfliktära geht, gestärkt wird. Nicht zuletzt haben wir in der letzten Woche im Kabinett den Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ verabschiedet – erstmals mit ganz verbindlichen Indikatoren, um Fortschritte messen zu können. Das muss man sich bei der internationalen Komponente wirklich noch einmal deutlich vor Augen führen. International, in vielen Regionen dieser Welt geht es gar nicht darum, Frauenrechte auszubauen, sondern es geht ganz banal darum, dafür zu sorgen, dass es in der Realität überhaupt welche gibt. Deshalb hat das nichts damit zu tun – so wie das hier zeitweise zu verstehen gewesen ist –, dass es sich um ein „ideologisch getriebenes Wohlfühlthema“ handelt oder dass es darum geht, dass eigenständige Kulturen und gewachsene Strukturen dauerhaft verändert werden sollen. Ja, Letzteres ist so. Es ist im Übrigen, wie ich finde, eine dauerhafte Aufgabe jeder Gesellschaft, Strukturen und Kulturen zu überwinden. Wenn das nicht der Fall wäre, würden wir alle noch in der Steinzeit leben. ({1}) Meine Damen und Herren, ich sage ganz offen: Ja, wir wollen auch bestimmte Kulturen überwinden, wenn das bedeutet, dass Frauen und Mädchen nicht mehr als Kriegswaffe eingesetzt werden, dass Genitalverstümmelungen endlich aufhören, dass Vergewaltigungen nicht länger ein Instrument der Kriegsführung sind. ({2}) Das hat nichts mit Interventionismus oder Ideologie zu tun. Es ist nichts anderes, als die universellen Menschenrechte ernst zu nehmen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Yvonne Magwas, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004346, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr. Wir begehen den Internationalen Frauentag inmitten einer weltweiten Pandemie. Die Bewältigung der Coronapandemie ist ein Kraftakt für unser Land, und zwar in allen Bereichen. Aber Frauen und Familien sind davon in besonderer Weise betroffen. Für Frauen steht Corona synonym für eine Mehrfachbelastung. Aber Frauen sind Meisterinnen darin, solche Belastungen auch erfolgreich zu bewältigen, beispielsweise Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung gleichzeitig. Aber mit zunehmender Dauer der Pandemie geraten auch Frauen und ihre Familien an die Grenzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen tragen entscheidend dazu bei, dass unser Land im Vergleich zu anderen Ländern besser durch die Krise kommt. Wo wären wir ohne die klugen Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen, die erfolgreich das Virus bekämpfen. Ich denke dabei an Özlem Türeci, Kathrin Jansen, Melanie Brinkmann oder Dr. Carola Holzner, besser bekannt als Doc Caro. Sie sind Beispiele von sehr vielen. Ihnen und allen anderen Frauen sagen wir am Internationalen Frauentag Danke! ({0}) Wir sind aber jetzt auch an einem Punkt in der Pandemie, wo wir in die Zukunft schauen müssen, uns fragen müssen: Welche Lehren ziehen wir aus Corona? Welche Chancen nutzen wir? Wir sollten die Krise nutzen, um bei strukturellen Benachteiligungen von Frauen zu Lösungen zu kommen, sei es beim Verdienst, bei der sozialen Absicherung oder auch bei der Anerkennung der Care-Arbeit. Zwei Beispiele möchte ich nennen. Zum einen – es wurde heute schon oft gesagt – sind die sozialen Berufe oft Frauenberufe und in unserem Land systemrelevant. Faire Bezahlung ist hier oft nicht selbstverständlich. Wir müssen uns deshalb die Lohnstrukturen und – Leni Breymaier hat es gesagt – die Tarifbindung in diesem Bereich anschauen. Beides muss im Sinne der Frauen gestärkt werden. Zum anderen müssen wir auch die soziale Absicherung von Selbstständigen verbessern. Viele Soloselbstständige, gerade im Kultur- und Medienbereich, sind Frauen. Für sie ist die Krise besonders prekär, und die Eigenversorgung blieb oft auf der Strecke. Die gefundene Lösung des erleichterten Zugangs zur Grundsicherung trägt oft nicht. Familien sind damit oft die Leidtragenden. Deshalb müssen wir für Selbstständige den Zugang zur Arbeitslosenversicherung vereinfachen. In Krisenzeiten sollen auch sie Kurzarbeitergeld erhalten können. Ich könnte dies mit vielen weiteren Beispielen fortführen, sei es im Hinblick auf den Arbeitsplatz Haushalt, der attraktiver gestaltet werden muss, oder auch auf den Mutterschutzanspruch für Vorstandsfrauen. Viele Beispiele wurden dazu heute schon angeführt. Die Coronapandemie hat aber auch etwas Positives bewirkt. Binnen kurzer Zeit wurden Veränderungen möglich: Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, neue Formen der Zusammenarbeit und Kommunikation. Hier liegen Chancen, und zwar Chancen, die wir für die Gestaltung einer attraktiven, zukunftsorientierten Arbeitswelt auch in Zukunft weiter nutzen sollten. Die Nutzung digitaler Formate erleichtert zum Beispiel ganz erheblich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und somit auch die Teilhabe von Frauen. Lasst uns dies auch nach Corona weiterführen. Lasst uns die Krise nutzen, um Fehlentwicklungen zu korrigieren und die Gleichberechtigung in unserem Land weiter voranzubringen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Silke Launert, CDU/CSU. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Malaika, zwölf Jahre alt, wohnhaft in Somalia. Malaika kann weder lesen noch schreiben. In wenigen Tagen soll sie einen Mann heiraten, der fünf Jahrzehnte älter ist als sie. Sophie, zwölf Jahre alt, wohnhaft in Deutschland. Sophie geht in die sechste Klasse. Auf die Frage, was sie einmal werden möchte, lautet ihre Antwort: Ärztin oder Polizistin. – Zwei Mädchen, zwei Leben, zwei Welten. Den eigenen Lebensweg frei wählen, über den eigenen Körper selbst bestimmen, ja, die eigene Meinung frei äußern: Das sind Wünsche bzw. Forderungen, die für uns hier in Deutschland auf den ersten Blick alle ganz selbstverständlich sind. Es sind Wünsche, die bei uns im Grundgesetz Rechte sind; ich liste sie nicht im Detail auf. Die Situation von Malaika und vielen anderen Mädchen und Frauen weltweit – wir haben heute die Debatte zum Internationalen Frauentag – ist eine völlig andere. Das Kinderhilfswerk UNICEF schätzt, dass jährlich etwa 12 Millionen Mädchen in eine Kinderehe gezwungen werden. Darüber hinaus gibt es rund 200 Millionen Frauen und Mädchen, die Opfer von Genitalverstümmelung werden, und 34 Millionen Mädchen im Grundschulalter, die keine Schule besuchen. Das sind Zahlen, die fassungslos machen und die uns vor Augen führen, welches Glück wir haben, dass wir hier in Europa, in Deutschland leben dürfen. Ja, auch hier ist nicht alles perfekt. Aber im Großen und Ganzen können wir dankbar sein, dankbar, dass wir hier leben können. Es ist übrigens ein Leben, das wir uns nicht verdient haben. Es ist ein Geschenk gewesen, dass wir hier geboren worden sind und diese Chancen hier haben. Am Weltfrauentag müssen wir uns dieser Unterschiede und auch dieser Errungenschaften der letzten Jahrzehnte bewusst werden. Ich habe es gerade schon anklingen lassen: Auch hier in Deutschland ist nicht alles gut. Es gibt mehrere Bereiche – von vielen Kollegen sind diese schon angesprochen worden –: Der eine Bereich ist die Gewalt gegen Frauen. Es erschreckt mich immer wieder, aber fast jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Expartner getötet. Ich freue mich, dass es von der Frau Ministerin angesprochen wurde; denn wir haben nicht nur das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ eingerichtet, sondern sind das erste Mal auch in die Förderung von Frauenhäusern eingestiegen. Es ist nun einmal so: Dies ist keine Bundessache. Man hat das erste Mal gesagt: Wir nähern uns diesen Themen an. – Ich persönlich bin immer noch ein großer Fan davon, nicht nur die Frauenhäuser zu stärken, sondern auch die psychologische ambulante Beratung. Das halte ich für einen noch besseren Schritt. Aber auch das ist Ländersache, und auch da ist bei den Ländern nicht ansatzweise alles perfekt. Aber es ist auch unsere Aufgabe, immer wieder darauf hinzuweisen und Druck zu machen, dass sich das verbessert. Wir haben Strafbarkeiten geändert. So gab es eine Verschärfung beim Stalking – von mir aus könnte das ruhig noch ein bisschen mehr sein – und die Einführung der Strafbarkeit beim Upskirting; die Justizministerin ist ja da. Auch das sind Bereiche, wo wir beim Thema „Gewalt gegen Frauen“ einen wesentlichen Beitrag leisten. Von dem unschätzbaren Beitrag der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe will ich gar nicht erst sprechen. Das gibt es in ganz, ganz vielen Ländern der Welt nicht. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Gleichstellung; da wurde heute auch schon vieles angesprochen. Das Führungspositionen-Gesetz II haben wir letzte Woche beraten. Die Reform des Elterngeldes hatten wir erst vor wenigen Wochen. Da geht es um mehr Flexibilität, mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr partnerschaftliche Teilhabe. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist angesprochen worden. Für das Gute-KiTa-Gesetz wurde ein Riesenbetrag zur Verfügung gestellt. An sich ist der Bund auch dafür nicht zuständig. Trotzdem haben wir das auf den Weg gebracht, und das – das müssen wir auch sehen – ermöglicht erst die Wahlfreiheit. Wir wollen den Anspruch auf Ganztagsbetreuung. Ganz ehrlich, ich verstehe es beim besten Willen nicht. Wir wollen es die ganze Zeit, und auch der Bund, der für die Finanzierung des Unterhalts gar nicht zuständig ist, will es – den Ausbau fördert er ja deutlich- und ist wieder einmal bereit, mehr zu geben, aber Baden-Württemberg und Hessen blockieren es. Ich verstehe nicht, warum die Medien nicht voll davon sind, ({0}) dass hier ein ganz wesentlicher Beitrag für die Mütter, für die Frauen zur Wahlfreiheit verhindert wird und wieso da nicht Druck auf die zuständigen Ministerpräsidenten gemacht wird; die wollen doch wiedergewählt werden. Das ist unverständlich. ({1}) Wir von der CSU wollen außerdem in einem Gesamtpaket die Vereinbarkeit insgesamt in Angriff nehmen. Wir fordern zwei Elterngeldmonate extra, wenn der Vater vielleicht vier Monate zu Hause bleibt. Wir wollen außerdem eine Höchstarbeitszeit nicht pro Woche, sondern pro Tag, damit es für die Frauen flexibler ist. Wir fordern außerdem die volle Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzter Satz. – Sie sehen: Wir widmen uns dem Thema. Wir wollen Frauen stärken, und das nicht nur am Weltfrauentag, sondern auch zu anderen Zeiten. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Antrag wollen wir das Impfmanagement in Deutschland digitalisieren und damit verbessern. Ich weiß, was Sie jetzt sagen werden: Impfen ist Sache der Länder. – Das ist richtig. Das wollen wir auch gar nicht ändern. ({0}) Denn zum Beispiel in meinem Heimatbundesland Schleswig-Holstein läuft es mit dem liberalen Gesundheitsminister Heiner Garg sehr gut. ({1}) In anderen Bundesländern ist das leider nicht so. Es geht hier, meine Damen und Herren, auch gar nicht um Zuständigkeiten, sondern es geht um einen schnellen Weg aus dieser Pandemie, und das wollen wir doch hier alle. ({2}) Die Bevölkerung ist es leid, dass immer dann, wenn es nicht rund läuft oder etwas schiefläuft, die anderen zuständig und schuld sind. Aber das ist ja in dieser Regierung nichts Neues. Erst vollmundig Schnelltests zum 1. März versprechen, und wenn es dann nicht klappt, dann sind halt die Länder zuständig für die Bestellung. So läuft es nicht, meine Damen und Herren. ({3}) Wir müssen schleunigst dafür sorgen, dass wir uns nicht sehenden Auges von einem Impfstoffmangel zu einem Impfstau bewegen. Es ist doch beschämend, dass in dem Land, wo der erste zugelassene Impfstoff entwickelt wurde, bis Ende Juni erst die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger ein Impfangebot erhalten, und das ist noch optimistisch, meine Damen und Herren. ({4}) Ich frage mich, wann die Bundesregierung endlich aufwacht. Wir sind uns doch alle einig: Impfen, Schnelltests sind der entscheidende Weg raus aus der Pandemie. Es muss geimpft werden und vor allen Dingen schnell und rund um die Uhr. In Israel kann man bei Ikea und in Bars geimpft werden. Das liegt natürlich auch daran, dass Israel bei der Impfstoffbestellung klüger war als Deutschland und Europa. Als wir noch verhandelt haben, hat Israel schon gehandelt. Außerdem – das ist der entscheidende Punkt – sind Länder wie Israel bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens Deutschland meilenweit voraus. ({5}) Und wir? Wir schlagen uns mit geplatzten Impfterminen, die auf Zetteln und in Excel-Tabellen verwaltet werden, mit übriggebliebenen Impfdosen, mit unprofessionellem Impfterminmanagement, mit ungenutzten Impfdosen und mit unterbrochenen Lieferketten herum. Das muss ein Ende haben! ({6}) Man fragt sich: Warum läuft das bei uns so langsam? Warum läuft das bei uns so bürokratisch? Unser Ziel – das ist das Ziel unseres Antrages – muss sein, mit smarten Lösungen und Schnittstellen die Verteilung der Impfstoffe zielgenau zu optimieren, meine Damen und Herren, und zwar schnell und unbürokratisch. ({7}) Selbstverständlich muss die notwendige Flexibilität vor Ort erhalten bleiben; wir wollen keine starren Vorgaben. Aber ein digitales Impfportal hilft den Ländern und den Landkreisen, zu entscheiden, wie viel Erstimpfstoff sie verimpfen können, ohne in einen Engpass bei der Zweitimpfung zu geraten. Ein nationales Impfportal – das ist unser Vorschlag – listet alle verfügbaren Impfstoffe auf, steuert die Verteilung auf Impfzentren, auf mobile Teams, in die Arztpraxen und zu den Betriebsärzten. Damit ist für jeden Akteur ersichtlich, wo und in welcher Menge wie viele Impfungen pro Tag und Woche durchgeführt werden können. Kurzum: ein digitales nationales Impfmanagement, das schnelles und zielgenaues Impfen ermöglicht, meine Damen und Herren. ({8}) Aber die Bundesregierung hat wieder einmal geschlafen. Bayern zum Beispiel arbeitet an einer eigenen digitalen Lösung. Dabei ist es doch besser, einen bundeseinheitlichen Rahmen zur Verfügung zu stellen. Legen Sie ein nationales Impfportal vor! Kommen Sie aus Ihrem einjährigen Reaktionsmodus heraus und machen Sie endlich vorausschauende Politik! Ein nationales Impfportal hätten Sie bereits im Sommer entwickeln können und müssen. Wieder einmal muss die FDP-Bundestagsfraktion hier in Vorleistung gehen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Rudolf Henke, CDU/CSU. ({0})

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kritischer Geist ist immer gut, weil man nur aus kritischem Geist heraus Situationen verbessert; aber zwingender Teil des kritischen Geistes ist auch selbstkritischer Geist. Verehrte Frau Aschenberg-Dugnus, ich darf mich auf den eben genannten schleswig-holsteinischen Gesundheitsminister beziehen; wir als Union wissen natürlich, dass wir in Schleswig-Holstein auch mit in der Miete sind. Im Reaktionsnetzwerk Deutschland ist am 3. März zu lesen: ({0}) AstraZeneca-Impfstofflager werden immer voller. Die Impfzentren stehen leer. – Man müsse ja auch Impfdosen für die Zweitimpfung zurückhalten, hieß es bislang entschuldigend von der Landesregierung in Schleswig-Holstein. Jetzt wird bekannt: CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn riet den Ländern schon Mitte Februar, alle AstraZeneca-Impfdosen so schnell wie möglich für Erstimpfungen auszukehren. In Schleswig-Holstein sorgten aber vor allem Computerprobleme des Kieler Gesundheitsministeriums dafür, ({1}) dass der Impfstoff trotzdem liegen blieb. So weit das Reaktionsnetzwerk Deutschland vor wenigen Tagen. ({2}) Kritik ist gut, aber Selbstkritik ist auch gut. Ich stelle einen bemerkenswerten Kontrast fest zwischen dem, was ich von Ihnen höre, und dem Beschluss, den die Gesundheitsministerkonferenz der Länder am 6. November letzten Jahres mit 16 : 0 gefasst hat. Der Beschluss war einstimmig: einschließlich Schleswig-Holstein, einschließlich Rheinland-Pfalz, einschließlich dem dritten Bundesland, in dem die FDP an der Regierung beteiligt ist, Nordrhein-Westfalen. Dieser Beschluss lautete – ich zitiere: Das BMG erarbeitet derzeit zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf Basis des bestehenden Systems der Terminvergabe der Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen ein standardisiertes Modul zur Terminvereinbarung für alle Impfzentren einschließlich mobiler Impfteams. Was ist dann passiert? Die Bundesländer wollten doch lieber ihre eigenen Wege gehen – jedes Bundesland für sich. Das gilt für Rheinland-Pfalz – dort wird ein eigenes vom Ministerium getragenes System angewendet –; das gilt, wie wir eben gehört haben, für das Gesundheitsministerium in Schleswig-Holstein, und das gilt auch zum Beispiel für Baden-Württemberg, wo ebenfalls ein eigenes vom Sozialministerium entwickeltes System genutzt wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Henke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aschenberg-Dugnus?

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Frau Kollegin. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Henke, dass Sie die Frage zulassen. – Stimmen Sie mir zu, dass zum Beispiel SORMAS – ein System, das allen Bundesländern offenstand – sehr zögerlich in Anspruch genommen wurde? Jetzt ist die Schnittstellenproblematik gelöst, das heißt, das System wurde verbessert, und jetzt geht es weiter. Also, sind Sie allgemein dagegen, den Ländern etwas zur Verfügung zu stellen, oder nur im Hinblick auf den Antrag der FDP? Stimmen Sie mir zu, dass Ihr eigener CDU-Chef Laschet gesagt hat, dass wir einen Digitalisierungsschub brauchen? Stimmen Sie mir zu, dass bei der Bund-Länder-Konferenz jetzt beschlossen wurde, zum Beispiel Apps – ich nenne Luca als Beispiel – voranzubringen, damit sich die Gesundheitsämter aller Bundesländer mit SORMAS verbinden können? Warum machen Sie hier diese Unterschiede? Das ist wieder nur typisch. Wir wollen doch Lösungen haben. Den Ländern muss etwas zur Verfügung gestellt werden. Sie sagen: Da läuft etwas schief. – Ja, dann brauchen wir doch Lösungen! Verweigern Sie sich doch nicht diesen Lösungen. ({0})

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, mein Eindruck ist, dass Sie mit dieser ausführlichen Frage ein ganz kleines bisschen ablenken wollen. ({0}) SORMAS ist ein Thema des Meldewesens im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Wir unterstützen die Aussage Armin Laschets uneingeschränkt, dass die Digitalisierung ausgebaut gehört und dass es zu den großen Erkenntnissen der Pandemie gehört, anzuerkennen, wie viele Schwächen wir immer noch im digitalen Bereich haben. ({1}) Ich stimme Ihnen komplett zu, dass es gut ist, dass viele Gesundheitsämter ihr Schnittstellenproblem bei den Meldungen in SORMAS gelöst haben. Das ist ein wichtiger Schritt. Daran haben aber alle mitgearbeitet; das ist nicht parteipolitisch auszubeuten. Ich stimme Ihnen auch zu, dass die Luca-App Fähigkeiten hat, aus der wir großen Nutzen werden ziehen können, sobald das Testen um sich greift. Aber das entschuldigt nicht, dass Sie mit Ihrem Antrag Monate später etwas anderes fordern, ({2}) als die GMK beschlossen hat. ({3}) Die Bundesländer – das ist nicht nur ein Problem der FDP, sondern der Bundesländer – haben sich inzwischen anders entschieden, weil ihnen das System 116117 dann doch nicht länderspezifisch genug war – sie haben gesagt: da könnte es zu Modulen kommen, die wir nicht so genau kennen – und weil jedes Bundesland sein eigenes System haben wollte, und auch manche Kreise und kreisfreien Städte eigene Systeme haben wollten. Das ist verschüttete Milch. Deswegen ist Ihre Idee heute, jetzt marsch umzukehren ({4}) und wieder zu zentralisieren. Aber die Länder haben ihre Systeme jetzt aufgebaut, aus ihren Schwächen gelernt. Ich höre zum Beispiel von dem Gesundheitsamt in meiner Heimatregion, der Städteregion Aachen, dass sie jetzt in der Tat in der Lage sind, die Terminwünsche superschnell zu bedienen, dass sie für 90 Prozent des AstraZeneca-Impfstoffs die Termine für die kommende Woche vergeben haben. Da wäre es ein Treppenwitz, wenn wir jetzt sagen würden: Wir machen jetzt ein neues, bundesweites Impfmanagement und liefern allen noch mal ein neues System. Wenn wir beschleunigen wollen, dann dürfen wir uns an der Stelle jetzt nicht in die Irre führen lassen. Ich verstehe den Ansatz grundsätzlich ganz gut; ich hätte es schön gefunden, wenn das im November so gemacht worden wäre. ({5}) Aber jetzt, wo wir davorstehen, die niedergelassenen Ärzte, die Betriebsärzte einbeziehen zu können, wo wir in Nordrhein-Westfalen beispielsweise jetzt davorstehen, Praxen auszuweisen, die den Auftrag erhalten, ihre älteren, über 80-jährigen Patienten zu Hause aufzusuchen und damit die Impfgeschwindigkeit zu steigern, wo wir in Hamburg erleben, dass beispielsweise ein Auftrag an die onkologischen Praxen gegangen ist, die Krebspatienten jetzt schon zu impfen, „Kehrt marsch!“ zu sagen und mit einem neuen System wieder eine Warteschleife einzubauen, ({6}) hat das mit einer Beschleunigung des Impfgeschehens nichts zu tun. ({7}) Das hat nur etwas mit dem Wunsch der FDP zu tun, in diesen Debatten vorzukommen, was ja auch begrüßenswert ist – weil es uns dann die Gelegenheit gibt, zu sagen, wie es richtig ist: ({8}) Da geht es um die Beschleunigung des Impfgeschehens, ({9}) da geht es um die Einbeziehung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in das Impfgeschehen, da geht es darum, das Angebot der Betriebe und der Betriebsärzte zu nutzen, um das Impfgeschehen zu beschleunigen. Wenn wir die Ankündigung der Lieferung von Dosen betrachten, dann wissen wir, dass wir für das zweite Quartal mit 76,9 Millionen Dosen, für das dritte Quartal mit fast 100 Millionen Dosen rechnen können. Und deswegen sind wir sehr gut mit Impfstoff versorgt, gerade auch nach der Entscheidung, den Impfstoff von AstraZeneca jetzt doch auch für die 65-Jährigen und Älteren freizugeben. Ich glaube, das kann gelingen. Wir brauchen dazu jetzt nicht noch mal ein Bundesmonstrum, das nachentwickelt wird. Dafür ist es leider, muss ich sagen, zu spät. ({10}) Jetzt lassen Sie uns auf dem Weg weitermachen, der verabredet ist. ({11}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ulrich Oehme, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Ulrich Oehme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004843, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Beginn von Corona wurde die Lösung dieser Krise von Bundesregierung und Teilen der Opposition auf nur eine Möglichkeit der Beendigung verengt: das Allheilmittel Impfung. Und die Bevölkerung wird immer weiter mit PCR-, Schnell- oder Antigentests auf unbestimmte Zeit gequält. Wann fangen Sie endlich an, Ihre Strategie auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen? Und wie wollen Sie wissen, welche Herdenimmunität inzwischen erreicht ist? Viele Bürger brauchen möglicherweise gar nicht geimpft zu werden, da sie Antikörper entwickelt haben. Wir müssen endlich eine wissenschaftlich basierte Strategie entwickeln. ({0}) Das, was die Bundesregierung uns anbietet, ist ein unerträgliches Chaos. ({1}) Jeder Gesetzentwurf oder Antrag wird auf das gleiche wackelige wissenschaftliche Fundament gestellt und stur an dieser einen Lösung ausgerichtet. ({2}) Anscheinend versuchen auch noch Kollegen dieses Hauses, daraus monetären Profit zu schlagen. Große Teile der Bevölkerung sind mehr als skeptisch gegenüber den Analysen, Bewertungen und abgeleiteten Maßnahmen. Deren Unmut wird seit dem letzten Sommer aber ignoriert. Dass jetzt ein Herr Lauterbach, einer der führenden Corona-, Test- und Lockdown-Eiferer, für eine schnelle Beendigung dieses Zustandes ist, ist eine mehr als durchschaubare Ablenkung. Wer damals Wasserwerfer gegen friedliche Protestanten forderte, braucht jetzt nicht zu denken, dass die Menschen auf einmal alles vergessen haben. ({3}) Erinnern Sie sich noch an die Schweinegrippe von 2009/2010? Von den damals gelieferten 34 Millionen Dosen wurden nur knapp 5,7 Millionen Dosen verimpft. Der Rest musste vernichtet werden. 28,3 Millionen Dosen eines Wunderstoffes wurden einfach vernichtet. Warum? Weil – erstens – die Bevölkerung nicht gewillt war, als Versuchskaninchen genutzt zu werden, und – zweitens – die getroffenen Quarantänemaßnahmen ausreichten, um des Ausbruchs Herr zu werden. „Schweinegrippe“ heißt jetzt „Covid-19“, geändert hat sich nichts. ({4}) Hier kommt nun der Antrag der FDP ins Spiel. Auch jetzt schon ist die Impfbereitschaft der Bevölkerung nicht sehr hoch, ({5}) vor allem, weil wieder ein angeblicher Wunderimpfstoff nicht die versprochene Wirkung erzielt. Und gleichzeitig häufen sich die Meldungen nach Nebenwirkungen, Problemen der Verträglichkeit und sogar Todesfällen, die nicht untersucht werden. Und warum macht Pfizer eine Übung zum Rückruf seines Impfstoffes? ({6}) Und trotzdem halten Sie stur an dieser einen Lösung fest. Der Antrag klingt gut. Er ist jedoch nicht die Lösung. Da die Pandemie kurzfristig alleine ausklingen könnte, müssten möglicherweise abermals Millionen von ungenutzten Impfdosen vernichtet werden. ({7}) Anstatt zum Nachweis von Erregern sollten wir zum Nachweis von Antikörpern testen. ({8}) Der Test nach Erregern sollte nur bei Menschen mit schweren Symptomen gemacht werden, nicht bei jedem. ({9}) Das wäre wesentlich kostengünstiger, längerfristig aussagefähiger und plausibler für den Bürger. ({10}) Es sei nochmals daran erinnert, dass der Europarat in der Resolution 2361 aus diesem Jahr festgehalten hat, dass es keinen Impfzwang geben darf und dass niemand aufgrund der Nichtimpfung diskriminiert werden darf. ({11}) Es gärt in der Bevölkerung; das Gebälk des Staates ächzt unter dieser unnötigen Last. Öffnen Sie die Käfige, geben Sie den Bürgern ihre gesetzlich verbrieften Freiheitsrechte zurück, entketten Sie die Wirtschaft von Sanktionen, und lassen Sie dieses Land wieder ohne Masken atmen. Vielen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Martina Stamm-Fibich, SPD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Martina Stamm-Fibich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004413, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Manchmal fällt es schwer, den Einstieg zu finden. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Haus bereits mehrfach über die Impfkampagne gegen Covid-19 gesprochen. Seit dem letzten Mal hat sich allerdings etwas verändert, sodass wir das Thema heute unter umgedrehten Vorzeichen diskutieren müssen. ({0}) Ja, so mancher reibt sich verwundert die Augen: Aus einer Knappheit an Impfstoff ist innerhalb von zwei Wochen ein Überfluss an Impfstoff geworden. Stand gestern sind an die Länder knapp 9 Millionen Impfstoffdosen ausgeliefert worden. Das bedeutet, dass nach Abzug der zurückgehaltenen Impfdosen noch immer 1 Million Impfdosen in den Kühlschränken der Länder lagern. Aktuell werden rund 200 000 Menschen pro Tag geimpft, und wir erwarten in den nächsten Wochen Lieferungen von jeweils 2 Millionen Impfdosen pro Woche. Wenn man die Zahlen zusammennimmt, dann kann man sich schon mal die berechtigte Frage stellen, wieso das Ministerium davon ausgeht, dass die Zahl der Impfdosen erst im April die Impfkapazität der Zentren übersteigt. ({1}) Mir scheint, dass das bereits jetzt der Fall ist. ({2}) Ansonsten fällt es mir schwer, eine Erklärung dafür zu finden, weshalb aktuell – und ich sage es noch einmal – über 1 Million Impfdosen in den Kühlschränken der Länder liegen. Ich kann dann auch die vielen Bürgerinnen und Bürger verstehen, die aktuell Kontakt zu meinem Büro aufnehmen und sich über die Zustände wundern. Und viele von ihnen würden gerne, obwohl sie nicht priorisiert sind, den Impfstoff nehmen, der übrig ist. ({3}) Ganz ehrlich: Ich wundere mich. Wenn die zeitnahe Impfung jetzt schon nicht hinhaut, wie soll die Situation dann aussehen, wenn der Impfstoff von Johnson & Johnson noch dazukommt? ({4}) Jetzt haben sich aus der Verwunderung heraus noch keine Probleme von selbst gelöst. Was muss jetzt also folgen, damit sich die Situation zeitnah entscheidend verbessert? Erstens müssen die Länder dafür sorgen, dass alle Kapazitäten wirklich voll ausgeschöpft werden. ({5}) Es darf nicht sein, dass beispielsweise ältere Menschen aus Mobilitätsgründen nicht geimpft werden. Wer selbst nicht zum Impfzentrum kommt, der muss eben abgeholt werden. ({6}) Wenn Termine abgesagt werden, dann muss es ein flexibles Terminmanagement geben, das die Neuvergabe der Termine verlässlich regelt. Das kann eine Software sein, wie es etwa in Duisburg der Fall ist. An Softwarelösungen mangelt es in diesem Land nicht. Zur Not kann ich mir aber auch Lösungen vorstellen, die analog zur Personalaufstockung bei der Kontaktverfolgung in den Gesundheitsämtern funktionieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir eben wieder Bundeswehrsoldaten oder Studierende bitten, Telefonlisten abzuarbeiten. In unserer derzeitigen Situation muss uns alles recht sein, um die Zahl der Impfungen zu erhöhen. ({7}) Jede Region ist anders, deshalb brauchen wir flexible Lösungen; das wissen wir alle. Es gibt kein Schema F. Wir haben den Ländern genug Freiraum gegeben, um vor Ort nach individuellen Lösungen zu suchen. In vielen Regionen klappt das auch gut. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass mancherorts eher eine Verwaltungsmentalität zu herrschen scheint, die ein dynamisches Reagieren auf die aktuellen Herausforderungen eher behindert. Damit muss Schluss sein. ({8}) Wenn bereits jetzt abzusehen ist, dass die Kapazitäten trotz alledem weiterhin nicht ausreichen – wovon ich ausgehe und viele andere auch –, dann darf die Lösung auch eine Nummer größer sein. Da reicht ein Blick in unsere Nachbarländer. Dort kann man sich 24 Stunden, 7 Tage die Woche impfen lassen, und da impft man auch schon mal in einem Stadion. Wenn es politisch gewollt ist, geht viel in diesem Land. Man muss es nur wollen. ({9}) Zweitens muss jetzt endlich die Ausweitung der Impfkampagne auf die niedergelassenen Ärzte erfolgen. Wir haben in Deutschland über 50 000 niedergelassene Hausärzte, die schnellstmöglich in die Impfstrategie mit eingebunden werden müssen. Ich befürworte daher ausdrücklich, dass die Hausärzte ab Mitte März durch die Länder beauftragt werden können, und mahne gleichzeitig an, dass das auch wirklich geschieht. ({10}) Wenn bürokratische Kleinkariertheit und Diskussionen über Vergütungen, digitale Impferfassung, seitenlange Dokumentationen oder Sonstiges zu weiteren Verzögerungen führen, dann wäre das für alle Beteiligten peinlich. Zum Abschluss noch zwei Punkte zum Antrag der FDP. Wann und in welcher Größe die Lieferung der Impfstoffe in die Logistikzentren der Länder erfolgt, ist den Landesbehörden bekannt. Die Verteilung aus den Logistikzentren in den Ländern erfolgt dann nach strategischen Gesichtspunkten, welche die Länder selbst festlegen, und das ist auch gut so. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie eine bundeseinheitliche Meldeplattform dazu beitragen soll, hier bessere Abläufe zu schaffen. Es liegt letztendlich in der Hand der Länder, mit den einzelnen Städten und Landkreisen klar zu kommunizieren. Ebenfalls schleierhaft ist mir, wie ein nationales Impfportal bei der regionalen Vergabe von Impfterminen behilflich sein soll. Ich bin ja froh, dass die Terminvergabe sich jetzt so langsam eingependelt hat. Jetzt noch ein System einzuführen und alle anderen ersetzen zu wollen bzw. dafür zu sorgen, dass das System migrationsfähig ist, halte ich auch vor dem Hintergrund, dass die Zeit knapp ist, für absolut utopisch. ({11}) Wenn wir eines zum jetzigen Zeitpunkt nicht gebrauchen können, dann ist es noch mehr Verwirrung, noch mehr Bürokratie und noch mal eins drauf, um das, was gerade anfängt, zu funktionieren, zu zerstören. Wir lehnen den Antrag ab. ({12}) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erhält das Wort der Kollege Dr. Achim Kessler, Die Linke. ({0})

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Wir bleiben dabei: Es muss schnellstmöglich Impfangebote für alle geben, um das Virus und seine neuen Varianten einzudämmen. ({0}) Zusammen mit ausreichend Testmöglichkeiten ist das die zentrale Voraussetzung für sichere Öffnungen. Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, endlich alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Produktion von Impfstoffen, aber auch von Schnelltests zu erhöhen. ({1}) Aber zur erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie reicht es nicht aus, alle Menschen in Deutschland zu impfen. Wir müssen auch an die Menschen in den europäischen Nachbarländern denken. Ja, wir müssen weltweit denken und handeln, ({2}) sonst warten die Menschen in den Ländern des Globalen Südens noch jahrelang auf Impfstoffe, und das Virus kommt in Form von Mutationen zu uns zurück. Schon jetzt gibt es Varianten des Virus, gegen die die vorhandenen Impfstoffe nicht ausreichend schützen. Deshalb müssen jetzt endlich alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausweitung von Impfungen voranzutreiben. Dazu gehören auch – ich wiederhole es gerne – die Freigabe der Lizenzen und der entsprechende Technologietransfer. ({3}) Bis Mitte Februar wurden weltweit 138 Millionen Impfdosen verabreicht – über drei Viertel davon, nämlich 100 Millionen Impfdosen, in den 10 reichsten Ländern. Dagegen haben 130 Länder mit insgesamt 2,5 Milliarden Menschen keine einzige Dosis erhalten. Meine Damen und Herren, das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. ({4}) Anfang dieser Woche hat die Generalversammlung der Welthandelsorganisation über den Antrag Südafrikas und Indiens beraten, den Patentschutz für Coronaimpfstoffe auszusetzen, solange die Pandemie andauert. Der Antrag wird von über 100 Regierungen und dem Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation unterstützt. Mit Deutschland und den übrigen EU-Ländern wäre die erforderliche Zweidrittelmehrheit möglich. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben – im Interesse der Menschen in den armen Ländern, aber auch in unserem eigenen Interesse. ({5}) Wir hören aus vielen Bundesländern, dass es Probleme mit der Vergabe von Impfterminen und mit der Verteilung der Impfstoffe gibt. Die FDP schlägt in ihrem Antrag eine softwaregestützte Lösung vor, um die Lieferungen mit der Vergabe von Impfterminen zu koordinieren. Es stimmt: Wir brauchen bessere Schnittstellen zwischen den verschiedenen Softwaresystemen, die die Bundesländer und die Bundesregierung beim Impfmanagement nutzen. Es sollte ebenso eine Selbstverständlichkeit sein, dass alle Impfzentren Softwarelösungen erhalten. Aber der Antrag der FDP geht wie fast immer am Kern des Problems vorbei; denn die Probleme der Impfzentren bei der Organisation der Impfungen verweisen auf ein viel grundsätzlicheres Problem, nämlich auf den jahrzehntelangen Staatsabbau, den CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP in wechselnden Regierungskoalitionen gemeinsam durchgesetzt haben. ({6}) Meine Damen und Herren, durch die Pandemie zeigen sich die verheerenden Folgen dieser Politik. Lernen Sie daraus! ({7}) Überall fehlt es an personellen, finanziellen und anderen Ressourcen, auch und gerade im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Dazu zählen natürlich auch vernünftige Softwarelösungen; das bestreite ich gar nicht. Die Koalition rühmt sich, dass keine andere Regierung so viel Geld für den Öffentlichen Gesundheitsdienst ausgegeben hat. Meine Damen und Herren, das stimmt. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass das nur deshalb nötig war, weil Sie vorher den Öffentlichen Gesundheitsdienst mit einer verantwortungslosen Kürzungspolitik ruiniert haben. ({8}) Am Ende gab es in vielen Gesundheitsämtern überhaupt keine Ärzte mehr. Das sind doch untragbare Zustände. Den Gesundheitsdienst zuerst zu zerstören und sich dann selbst auf die Schulter zu klopfen, weil man in der Krise einen Teil der Kürzungen zurücknimmt und die Ressourcen wieder aufstockt, das ist wirklich ein starkes Stück. Glauben Sie nur nicht, dass die Leute das nicht durchschauen. ({9}) Die FDP hat dazu beigetragen, eine Stimmung zu schaffen, die öffentliche Behörden und Einrichtungen als Ursache allen Übels diffamiert. Durch die Verkleinerung, Zerlegung und Privatisierung wichtiger Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wurde die Fähigkeit des Staates geschwächt, soziale Prozesse demokratisch zu lenken. Damit haben Sie auch die Fähigkeit des Gesundheitssystems geschwächt, auf Krisen wie eine Pandemie zu reagieren. Das zeigt sich jetzt deutlich bei der Impfstoffbestellung und bei der Impfstoffverteilung. Aber diese Probleme lassen sich nicht mit Digitalisierung allein lösen. ({10}) Eine gut ausgestattete öffentliche Daseinsvorsorge, ein gut ausgestatteter Öffentlicher Gesundheitsdienst sind kein unnützer Ballast; vielmehr ist das der Sinn eines funktionierenden Sozialstaats. ({11}) So zeitgemäß der Antrag der FDP auf den ersten Blick auch erscheinen mag, er kaschiert doch nur die tatsächlichen Probleme. Der Ruf nach Digitalisierung ist eine Pseudolösung, solange nicht zugleich in mehr Personal investiert wird. ({12}) Die notwendigen Daten müssen eingegeben werden, sie müssen ausgewertet werden. Vor allem sind es aber Menschen, die anschließend handeln und die notwendigen Schritte gehen müssen. ({13}) Leider war Digitalisierung bisher oft eine Kürzungspolitik durch die Hintertür. Wir können uns jedoch keine weiteren Kürzungen der öffentlichen Daseinsvorsorge leisten, nicht jetzt, mitten in einer Pandemie, und auch nicht in Zukunft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer kritischen Phase der Coronapandemie. Wir alle wollen unsere Rechte und unsere Freiheiten zurück, und gleichzeitig steigt die Zahl der Infektionen mit Virusmutationen. Wir haben einen weiteren MPK-Beschluss, der, wie alle seiner Vorgänger, mehr zur Verwirrung als zur Problemlösung beiträgt. Warum? Deswegen, weil diese Regierung seit Monaten einen interdisziplinären wissenschaftlichen Beirat, einen Pandemierat, verweigert und weil wir eine Bundesregierung haben, die seit einem Jahr nicht in der Lage ist, vorausschauend und rechtzeitig zu planen und zu handeln. ({0}) Es gibt immer noch keine Teststrategie. Stattdessen gibt es seit vorletzter Nacht, seit der Nacht vom 3. auf den 4. März 2021, einen Arbeitskreis, an dem sieben Ministerien beteiligt sind unter Führung von zwei Ministern, von denen mindestens einer wegen des Mautskandals längst hätte entlassen werden müssen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, wie viel Vertrauen Sie allein mit dieser einzelnen Entscheidung bei der Bevölkerung verspielt haben. ({2}) Wir werden die Pandemie nur in den Griff bekommen, wenn die Menschen eine Perspektive haben, wenn sie Vertrauen haben und wenn die Bevölkerung weiter bereit ist, bei den AHA+L+A-Regeln mitzuwirken. Aber wir brauchen eben auch digitale Kontaktnachverfolgung, testen, testen, testen, auch mit Schnell- und Selbsttests, und impfen, impfen, impfen. ({3}) Und wir brauchen eine Regierung, die vorausschauend diese Schritte vorbereitet. Deswegen ist es richtig und dringend, sich auch mit der Verbesserung der Impfkampagne zu befassen. Wir haben die Impfzentren, und wir haben die mobilen Impfteams. Wir haben eine steigende Zahl von Impfstoffen; weitere werden hoffentlich bald durch die EMA zugelassen. Wir haben die Entscheidung der STIKO, dass mit AstraZeneca jetzt auch ältere Menschen geimpft werden können. Wir haben den MPK-Beschluss, dass Ende März, Anfang April endlich auch in den Arztpraxen mit dem Impfen begonnen werden soll – soll! Ich sage „endlich“, weil Arztpraxen seit vielen Jahren regelmäßig und routinemäßig Impfungen planen und durchführen. ({4}) Und sie kennen auch die chronisch Kranken, die in ihre Praxen kommen. ({5}) Meine Damen und Herren von der FDP, die Einrichtung eines nationalen Impfportals mag eine gute Idee sein, aber Sie kommen damit ein halbes Jahr oder mindestens ein Vierteljahr zu spät. Was wir jetzt brauchen, ist ein bundespolitischer Rahmen für Hausärzte, Fachärzte und Betriebsärzte, damit sie schnell mit dem Impfen loslegen können. ({6}) Es geht um Vergütung, es geht um Lieferstruktur, es geht um Dokumentation usw. usf. Das sind die Sachen, die jetzt anstehen. Die Verteilung erfolgt durch die Länder, und sobald mehr Impfstoff da ist, wird es dann auch losgehen; aber die Voraussetzungen müssen doch hier, auf Bundesebene, geschaffen werden. Aber da liegt uns schon wieder nichts vor. ({7}) Jetzt werden Sie sagen: Was ist mit den Impfzentren? – Aber auch da ist das Problem nicht das fehlende nationale Impfportal, sondern dass ab Mitte März die Impfzentren in der Lage sein müssen, unter Volllast Tag und Nacht zu impfen. Darum geht es. Sie müssen in die Lage versetzt werden, sofort loszulegen mit jedem Impfstoff, der in diesem Impfzentrum eintrifft. Da muss die Bundesregierung die Länder unterstützen, pragmatisch und ab sofort. ({8}) Meine Damen und Herren, wir müssen mehr und wir müssen schneller impfen, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Dass über 1 Million Dosen AstraZeneca auf Halde liegen, ist doch ein Skandal. Aber die Gründe hierfür liegen nicht in fehlenden Regelungen oder in der Logistik, sondern sie liegen vor allem im Versagen, in der katastrophalen Aufklärung dieser Regierung über die Impfstoffe. ({9}) Herr Minister Spahn, wo ist denn eigentlich die Kommunikationskampagne, die breite Kampagne, die über die verschiedenen Impfstoffe aufklärt, über die Vor- und Nachteile? Und ich rede jetzt nicht von den Internetseiten der BZgA, sondern ich rede davon, dass die Informationen dort platziert werden, wo die Leute tatsächlich an sie herankommen, wo sie sie täglich sehen können. Wir hatten die Idee, statt „Börse vor acht“ „Gesundheit vor acht“ zu senden. Wegen meiner können wir auch Sie als „Kontaktbörse“ nutzen – so haben Sie sich heute Morgen in der Pressekonferenz genannt –, als ministerielle Kontaktbörse – egal. Aber wir müssen endlich dazu kommen, dass die Menschen wissen, womit sie es zu tun haben, welche Probleme es geben könnte, worauf man achten soll, was man tun soll, wohin man sich wendet. Das sind die Informationen, die den Menschen im Moment fehlen. Es ist ein Desaster, dass diese Regierung von Beginn an kein Verständnis für die Kommunikation in Richtung Bevölkerung hatte. ({10}) Deswegen fordere ich Sie auf, Herr Minister, nicht nur zu reden. Tun Sie endlich alles, was nötig ist, um diese Impfkampagne in den nächsten Tagen und Wochen zu beschleunigen. Wir Grünen fordern seit, ich glaube, April, Mai, Juni letzten Jahres interdisziplinäre, wissenschaftlich unterlegte Maßnahmen – die haben wir in dieser Breite immer noch nicht – durch einen Pandemierat – ich habe ihn schon am Anfang erwähnt – und einen Perspektivstufenplan mit klaren Verantwortlichkeiten, mit klaren Regeln, mit klarer Kommunikation, die von allen zu verstehen ist, von uns allen, damit wir unsere Freiheiten und unsere Rechte wiederbekommen können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Claudia Schmidtke, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. ({0})

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Von unseren drei Säulen der Virusbekämpfung, also den AHA-Regeln, den Tests und den Impfungen, sind die Impfungen die mächtigste Waffe. Sie sind absolut und abschließend. Ihre nachhaltige Wirkung ermöglicht uns die vollständige Rückkehr in die Normalität. Wichtiger: Nur die Impfungen ermöglichen unseren alten Menschen, den Gebrechlichen, den chronisch Kranken endlich wieder ein Leben in Sicherheit und ohne Angst vor schweren Verläufen einer Covid-19-Infektion. ({0}) Ich möchte zum vorliegenden Antrag der FDP heute drei Punkte feststellen und auch eine Bitte formulieren: Feststellung Nummer eins. Dass wir impfen können, das ist das Beste, was uns in dieser Pandemie passiert ist. ({1}) Dass ausgerechnet das jetzt zu den meisten politischen Verwerfungen führt, ist aufgrund der Knappheit der Vakzine verständlich, aber auch doppelt ärgerlich; denn das nimmt uns die Zuversicht und bringt uns zusätzlich gegeneinander auf. Der Bund könnte alle Vorwürfe, die hinsichtlich der Impfstoffbeschaffung an ihn gerichtet waren, jetzt an die Länder zurückgeben, die bei der Verimpfung hängen. Das gilt auch für das FDP-geführte Ministerium in Schleswig-Holstein; Herr Henke hat ausführlich darauf hingewiesen. Ich will das aber schon deshalb nicht machen, weil wir nur gemeinsam vorankommen. Unser Ziel muss eine möglichst breite Impfbereitschaft sein. Das werden wir nur erreichen – das hat uns das Impfquoten-Monitoring, COVIMO, gezeigt –, wenn das Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft stark ist. Die Gemeinschaft, meine Damen und Herren, sollte sich jetzt nicht zerstritten präsentieren, sondern entschlossen, die epidemische Lage in Deutschland endgültig zu beenden. Feststellung Nummer zwei. Natürlich ist auch das Vertrauen in die Impfstoffe entscheidend für die Impfbereitschaft. Es ist gut, dass die fälschlichen Schlagzeilen zum Vakzin von AstraZeneca vom Beginn der Impfkampagne mittlerweile weitgehend richtiggestellt sind. Die Studienmanuskripte von Schottland und England enthalten sogar sehr gute Nachrichten. Wenn das Risiko über 80-jähriger Empfänger für eine stationäre Covid-19-Behandlung bereits nach der ersten Dosis um 81 Prozent sinkt, dann ist das schlichtweg ein fantastischer Impfstoff. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Dr. Ullmann? ({0}) – Ach so, gut, also aus der FDP-Fraktion.

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie hat heute schon so viel geredet; jetzt rede ich mal ein bisschen weiter.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja oder nein?

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) – Wir können uns ja später unterhalten, Christine. ({1}) Für diesen fantastischen Impfstoff müssen wir dankbar sein. Es ist gut, dass er nun auch für Ältere freigegeben ist. Feststellung Nummer drei. Die Impfkampagne ist eine logistische Herausforderung, die mehr oder minder gut umgesetzt wird. Sie wird erschwert durch den weiterhin vorhandenen grundsätzlichen Mangel an Vakzinen, weshalb wir sinnvollerweise eine Priorisierung zugunsten der gefährdetsten Gruppen einhalten, und in vielen Fällen auch durch unzureichende, teilweise sehr frustrierende Terminvergabesysteme der Länder. Insofern muss ich der FDP-Fraktion völlig recht geben, wenn sie dieses Problem adressiert ({2}) und hierfür vorvorgestern einen für ihre Verhältnisse ungewöhnlich detaillierten Antrag eingebracht hat, auch wenn die Quellenangaben keinen wirklichen wissenschaftlichen Wert haben. Doch muss ich dem schon entgegenhalten: Warum hat sich die FDP – das haben auch Herr Henke und andere gesagt – nicht rechtzeitig dafür eingesetzt, und warum kommen Sie erst jetzt auf die Idee, dass die Terminvergabe zentral und nicht über die Länder erfolgt, in denen Sie ja auch an den Regierungen beteiligt sind? ({3}) Das war der Wunsch von vielen von uns. Ausgerechnet jetzt, jetzt, wo es anfängt zu laufen, kommen Sie mit diesem Antrag – jetzt, da die Anfangsschwierigkeiten, die immer noch bestehen, schrittweise abgestellt werden und dazugelernt wird. ({4}) Mittlerweile werden fast 200 000 Impfungen pro Tag vorgenommen. Die Länder haben 300 000 zugesagt. Jetzt werden schrittweise die Hausärzte eingebunden. Auch bei dieser Einbindung hoffe ich, dass die Länder, die noch keine Konzepte haben, von denen lernen, die bereits welche erarbeitet haben. Best Practice im Föderalismus.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, darf ich Sie noch mal kurz unterbrechen? Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Maria Klein-Schmeink?

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich mache mal weiter. – Meine Damen und Herren, nun ende ich mit meiner Bitte. Wir alle spüren eine große und natürlich teilweise auch berechtigte Unzufriedenheit mit dem Impftempo. Dass die Politik im Bund und in den Ländern hierfür den Rücken geradehalten muss, ist in Ordnung. Dafür sind wir gewählt. Aber ich möchte jetzt einmal ganz klar diejenigen in Schutz nehmen, die sich mit viel Empathie und Engagement für uns einsetzen: in den Verwaltungen, in den Gesundheitsämtern, in den Impfzentren, die vielen Ehrenamtler. Diese Pandemie ist nicht nur eine starke Belastung für alle Menschen in unserem Land; sie ist es auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien, im Bund, in den Ländern, in den Gesundheitsämtern, in den Kassenärztlichen Vereinigungen. Es wird Tag und Nacht und an den Wochenenden gearbeitet, und nach einem Jahr mit hoher Schlagzahl ist auch in den Verwaltungen die Kraft teilweise am Ende. Es wäre gut, wenn wir bei der künftigen Auseinandersetzung darauf achten, dass wir gut und rücksichtsvoll auch in diesem Bereich miteinander umgehen, – ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– klar in der Sache und auch klar im Dissens, wo es sein muss, aber immer mit Achtung gegenüber denjenigen, die im Hintergrund jeden Tag für uns viel leisten. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Claudia Schmidtke. – So, wir haben jetzt zwei Kurzinterventionen. Die lasse ich hintereinander zu, und Sie, Frau Schmidtke, können dann darauf antworten mit ein bisschen mehr Zeit. – Die erste Kurzintervention: Christine Aschenberg-Dugnus.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Kollegin aus Schleswig-Holstein, dass Sie jetzt Schleswig-Holstein bashen, finde ich schon ein bisschen daneben. Sie hatten in Schleswig-Holstein die schnellsten Impfungen, waren an zweiter Stelle. ({0}) – Man hört mich auch mit Maske, oder? ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wenn Sie reden, können Sie die Maske absetzen.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, das war aus Sicherheitsgründen. – Insofern wurden auch die zweiten Dosen zurückgehalten, weil das dem Stand der Wissenschaft entsprach. Man wollte eben diese Zeit nutzen für eine bessere Wirksamkeit der Impfung. Sie sind ebenfalls schleswig-holsteinische Abgeordnete; deswegen verwundert es mich doch sehr, dass Sie das in Ihren Äußerungen nicht mit berücksichtigen. Es spricht doch gerade für eine digitale Lösung, dass man bei anstehenden Änderungen zum Beispiel sagen kann: Man braucht nur noch eine Impfung, oder man kann den Zeitraum zwischen erster und zweiter Impfung verlängern. Durch smarte Lösungen auf solche Situationen flexibel reagieren zu können, das ist doch der Sinn unseres Antrages. Das haben Sie natürlich überhaupt nicht berücksichtigt. Wenn Sie dann sagen, unser Antrag komme zu spät – Entschuldigung, aber das ist ja wohl ein Treppenwitz! Wer ist denn hier in der Regierung? Wer muss denn für solche Lösungen sorgen? Das sind doch Sie in der Regierung! ({0}) Ich bin ein überaus positiver Mensch: Deswegen glaube ich immer noch, dass die Regierung irgendwann mal aufwacht und mit eigenen Anträgen hierherkommt. Aber wenn Sie das nicht tun, dann ist die Opposition eben gezwungen, das selbst zu machen. Dass Sie uns dann vorwerfen, es komme zu spät, das ist wirklich eine Unverschämtheit! Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Jetzt Maria Klein-Schmeink.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Dr. Schmidtke, ich würde Sie gerne als Patientinnen- und Patientenbeauftragte ansprechen; denn ich habe sehr vermisst, dass Sie hier am Pult die Perspektive der Patientinnen und Patienten einnehmen und uns darlegen, was Sie unternehmen, um den vielen, vielen Risikopatienten und ‑patientinnen, die entweder zur Priorisierungsgruppe 1 oder zur Priorisierungsgruppe 2 gehören und die verzweifelt auf einen Termin warten, die damit konfrontiert sind, dass ihre Kinder jetzt wieder in die Schule gehen, also Risiken nach Hause tragen, zu helfen. Was tun Sie dafür, dass diese Patientinnen und Patienten Informationen erhalten, wie sie an einen Termin kommen, wie sie ein Zeugnis darüber erhalten, dass sie zur Risikogruppe gehören? Und wie stellen Sie durch eine Kampagne sicher, dass diese Gruppen tatsächlich schnellstmöglich geimpft werden können? Das wäre Ihre Aufgabe aus meiner Sicht. Es ist sehr, sehr kleinteilig, hier über die regionalen politischen Auseinandersetzungen zu reden; aber es geht ja darum, die Perspektive aller Patientinnen und Patienten einzunehmen. Das ist Ihr Job, den Sie extra erhalten haben aus den Reihen des Parlamentes. Von daher würde ich erwarten: Sagen Sie uns: Was unternehmen Sie ganz konkret, um diese Menschen besser und schneller zu impfen? ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Frau Dr. Schmidtke.

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Aschenberg-Dugnus, Sie kommen noch mal zurück auf Schleswig-Holstein. Ja, es ist so, es hat sich etwas geändert bei der Impfdosierung. Es ist so, dass der Bundesgesundheitsminister Spahn die Länder Mitte Februar darauf hingewiesen hat. Dann kann ich Ihnen sagen: In Kiel wollte man sich aber absichern und wollte das gerne schriftlich haben. Dr. Garg selber hat Spahn deshalb aufgefordert, das Schreiben zu verfassen. Das heißt, man hat gewartet, bis es ein Schreiben gibt, wobei das vorher wirklich schon kommuniziert war. Das ist schon sehr komisch. Herr Henke hat es ausgeführt: Es gibt den GMK-Beschluss, der einstimmig gewesen ist. Dann hat es eine Umstellung der Software gegeben. Diese Softwareumstellung hat eine Woche gedauert, und damit sind 58 000 Dosen liegen geblieben. Das ist sehr wohl ein Verschulden des Gesundheitsministeriums. Also, die Umstellung auf Digitalisierung hat dort nicht so wirklich gut geklappt. Die Antwort auf Ihre Frage, Frau Klein-Schmeink: Auch ich bin Abgeordnete, und es ging hier um den Antrag der FDP, der sehr konkret ist. Selbstverständlich bin ich mit vielen Patienten und mit vielen, die verantwortlich sind für die Impfreihenfolge, stets und ständig in Gesprächen. Ich habe mich eingesetzt für diejenigen, die schwerst chronisch krank sind, damit sie in der Priorität weiter nach vorne kommen. Es läuft einfach auch sehr viel Arbeit, ohne dass man jeden Tag darüber redet, aber täglich bin ich damit beschäftigt, und selbstverständlich setze ich mich für die Patientinnen und Patienten ein. Mit denen bin ich auch immer in einem sehr guten Austausch. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Kolleginnen. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Paul Viktor Podolay. ({0})

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bürger haben längst den Überblick verloren, wer wann und wie geimpft werden soll. Deutschland, einst Weltmeister der Organisation und Ordnung, scheint unter Bundeskanzlerin Merkel im Chaos zu versinken. Sie hat uns hier mittlerweile die DDR 2.0 installiert. ({0}) Aber auch die FDP scheint schon lange den Überblick darüber verloren zu haben, was die Aufgabe einer echten Oppositionspartei ist. ({1}) Zu Beginn der Krise zeigten Sie stets Linientreue, als Bundesminister Spahn und RKI-Chef Wieler von der Kanzel aus neue Maßnahmen, Gebote und Angst gepredigt haben. AfD-Anträge wie der Antrag zur Aufhebung der epidemischen Lage, den die AfD bereits im Mai letzten Jahres eingebracht hat, haben Sie konsequent abgelehnt und sind auf der Panikwelle mitgeritten, bis Sie eben diesen Antrag schlussendlich kopiert und im Juni selber in den Bundestag eingebracht haben, meine Damen und Herren, ({2}) aber auch erst, als die FDP-Umfragewerte in den Keller gerasselt sind. Ist Ihnen das nicht peinlich? ({3}) „Jetzt ist der Staat als Anker gefragt“, so äußerte sich nicht etwa Jens Spahn, sondern Christian Lindner von der mutmaßlich marktliberalen FDP. Olaf Scholz’ potente Bazooka hat die FDP wohl ins Staunen gebracht. Die Kehrtwende kam erst, als Sie realisierten, dass Sie Ihre eigene Wählerschaft verraten haben, all die Unternehmer, den Mittelstand und vor allem die niedergelassenen Ärzte, die zu den größten Verlierern der Spahn’schen Gesundheitspolitik gehören. Und jetzt wollen Sie ein nationales Impfportal und eine Software entwickeln – in diesem Land, ({4}) in dem nicht einmal eine Hotline funktioniert. Wann fängt das Impfen laut Ihrem Zeitplan denn so richtig an? Ab 2025? ({5}) Portale, Apps und Register werden Deutschland in dieser Krise genauso wenig voranbringen wie die unrealistischen Inzidenzwerte der Kanzlerin. ({6}) Meine Damen und Herren, wir brauchen jetzt pragmatische Lösungen, die Zulassung von Covid-19-Medikamenten zur Behandlung und das schnelle unbürokratische Impfen aller Interessenten, und das auch in regulären Arztpraxen. Hören Sie auf, zu diskutieren, und befreien Sie die Menschen aus der Geiselhaft! Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Viktor Podolay. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Sabine Dittmar. ({0})

Sabine Dittmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Corona geht uns allen gehörig auf die Nerven. Es ist anstrengend und kräftezehrend. ({0}) Es ist daher nicht nur ein wirklicher Segen, sondern ein gigantischer Erfolg unserer Wissenschaft und Forschung, dass wir mittlerweile drei hochwirksame Impfstoffe gegen das Coronavirus zur Verfügung haben und diese nach aktuellen Erkenntnissen auch gegen seine Mutanten wirken. Impfungen sind eine der größten Errungenschaften der modernen Medizin und ein wirkungsvolles Mittel, um schwere und tödliche Erkrankungen zu verhindern. Daher erfüllt es mich mit großer Dankbarkeit, dass sich laut einer neuen Forsa-Umfrage 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sicher und 12 Prozent höchstwahrscheinlich gegen Corona impfen lassen wollen. Von Impfmüdigkeit kann also keine Rede sein. ({1}) Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass sich bis zum Sommer jede und jeder impfen lassen kann, der das will. Aber, meine Damen und Herren der FDP, was wir jetzt wirklich brauchen, sind mehr Schnelligkeit und mehr Flexibilität. Wir brauchen pragmatische Entscheidungen vor Ort und den Mut, diese auch zu verantworten und umzusetzen. ({2}) Was wir sicherlich nicht brauchen, sind Entwicklungsaufträge und Ausschreibungen für Onlineportale, Softwarelösungen, Schnittstellen und eine Zentralverwaltung. ({3}) Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dass wir zu Anfang bei knappen Impfstoffmengen priorisieren und die Menschen mit einer Impfung schützen, die von einem schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf bedroht sind. Zwischenzeitlich befinden sich die meisten Bundesländer auch in einem fließenden Übergang zur zweiten Priorisierungsgruppe. Von Bundesland zu Bundesland ist es allerdings unterschiedlich in der Registrierung – das ist schon festgestellt worden; es ist ein Ärgernis, dass der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz nicht umgesetzt worden ist –: telefonisch, online, per Einladungsschreiben oder auch, wie bei mir, direkt in der Kommune. Das führt zu Verunsicherung und Ärger; das kann ich nachvollziehen. Aber jetzt eine Änderung vorzunehmen, das ist einfach zu spät. Man hätte sich im November an seine eigenen Beschlüsse halten müssen. Stand heute, Kolleginnen und Kollegen, dürften knapp 11,5 Millionen Impfstoffdosen an die Bundesländer ausgeliefert und bis heute Abend dann davon auch über 7 Millionen verimpft sein. Das heißt aber auch, dass noch 4 Millionen Impfstoffdosen in Kühlschränken und Logistikcentern liegen. Und auch wenn die Hälfte davon für die Zweitimpfung reserviert ist, stellt sich mir nach wie vor die Frage: Warum sind nicht schon 1 Million Menschen mehr in Deutschland geimpft? ({4}) Und eines ist für mich auch klar: Das von der FDP vorgeschlagene Impfportal wird dieses Dilemma nur bürokratisch verwalten, aber nicht lösen; denn das, was wir jetzt brauchen, ist mehr Drive beim Impfen, ist das Einlegen des Turbos, und in meinen Augen sind da folgende Aspekte zu berücksichtigen: ({5}) Erstens. Wenn ein bestimmter Impfstoff abgelehnt wird, was mir unerklärlich ist, wird er selbstverständlich und sofort den Impfberechtigten der nächsten Priorität angeboten. Menschen mit chronischer Erkrankung, pflegende Angehörige oder auch Beschäftigte in Behinderteneinrichtungen warten sehnlichst darauf, und wir wissen, dass der Impfstoff von AstraZeneca beim Verhindern von schweren Krankheitsverläufen in der gleichen Liga spielt wie die Messenger-RNA-Impfstoffe von BioNTech und Moderna. Erfreulicherweise hat ja auch die STIKO gestern ihre Empfehlungen angepasst. ({6}) Zweitens. Wir müssen die Impfintervalle zwischen erster und zweiter Impfung auf das zugelassene Maximum ausdehnen, und wir müssen das Zurückhalten von Impfstoffdosen für die zweite Impfung auf eine geringe Sicherheitsreserve einschmelzen. So können wir in kurzer Zeit sehr, sehr viel mehr Menschen impfen. – Das alles sind Empfehlungen, die schon seit einigen Wochen existieren und nun auch endlich in den Ländern umgesetzt werden müssen. ({7}) Wir erwarten im zweiten Quartal – Stand heute, und das ist noch ohne die zu erwartenden Zulassungen von Johnson & Johnson und CureVac – über 60 Millionen Impfstoffdosen. Klar ist doch, dass die Länder ihre Impfzentren, ihre Kapazitäten massiv ausbauen müssen. Die angekündigten Kapazitätssteigerungen auf 300 000 bis 500 000 Impfungen am Tag müssen jetzt auch zügig erfolgen. ({8}) Drittens – das ist für mich ein ganz zentraler Punkt für den Erfolg der Kampagne – sind jetzt die Haus- und Facharztpraxen und auch die Betriebsärzte zügig mit einzubeziehen. Dass unsere niedergelassene Ärzteschaft das kann, stellt sie Jahr für Jahr unter Beweis, wenn innerhalb von wenigen Wochen mehr als 20 Millionen Menschen gegen die Grippe geimpft werden. Ich bin fest davon überzeugt, meine Damen und Herren, dass die Einbeziehung der Haus- und Fachärzte den entscheidenden Unterschied im Kampf gegen Corona ausmachen wird. ({9}) Eine Registrierung ist dann auch nicht mehr notwendig, da die Terminvergabe am sinnvollsten direkt und wie gewohnt in der Arztpraxis erfolgt. Der Arzt kennt seine Patienten und kann auch vor Ort eine qualifizierte Entscheidung zur Priorisierung treffen. In Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg werden schon jetzt Schwerpunktpraxen in die Impfkampagne integriert. In Rheinland-Pfalz, das übrigens mit seiner Impfquote mit an der Spitze liegt, läuft seit einigen Tagen ein Modellprojekt mit Hausärzten, die bettlägerige Patientinnen und Patienten impfen. Und auch in Brandenburg impfen Hausärzte im Modellprojekt. Eine flächendeckende, regelhafte und nicht nur modellhafte Einbeziehung unserer ambulant tätigen Ärzte erfordert aber auch entsprechende Regelungen in der Impfverordnung. Da brauchen wir jetzt, lieber Herr Minister Spahn, wirklich zügig die angepasste Verordnung aus Ihrem Hause. Die Fragen zur Logistik, zur Verteilung und natürlich auch zur Vergütung, aber vor allem die Fragen der eigenständigen Datenmeldung an das Robert-Koch-Institut für den ambulanten Bereich müssen geklärt werden. Die Haus- und Fachärzte stehen in den Startlöchern und warten darauf, mit dem Impfen zu beginnen. Das alles wird uns schneller und sicherer ans Ziel bringen als die Etablierung eines weiteren bürokratischen Monsters. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Und bleiben Sie gesund! ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sabine Dittmar. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Andrew Ullmann. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zweieinhalb Monaten hat Bundesminister Spahn zu Beginn der Impfkampagne gesagt – ich zitiere –: Es wird am Anfang ruckeln ... Wir sind bestmöglich vorbereitet, aber jetzt wird’s konkret. Ja, Herr Spahn, jetzt wird es konkret. Wann hört das Ruckeln endlich auf? Das ist hier die Frage. Frau Dittmar, ja, Sie haben recht: Impfgeschwindigkeit ist jetzt essenziell. Doch Impfstoffe auf Halde und langsame politische Fahrt auf Sicht werden zu einem Crash führen, auch bei der SPD. Denn noch ist die SPD in der Regierung. Sie regieren mit, Sie sind mit dabei. Das vergessen Sie immer wieder. ({0}) Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Betriebsärzte sind schon seit Monaten bereit, Impfungen durchzuführen. Jetzt wird es endlich Zeit, zu planen, und zwar weitsichtig, nicht kurzsichtig und übrigens, Herr Henke, nach vorne blickend, nicht rückblickend. Wir bieten wieder einmal eine Lösung an. Ein Impfportal wäre ein weiteres Werkzeug, um der Pandemie besser zu begegnen. Ein Wort des Dankes an die Serviceopposition wäre jetzt eine gute Geste. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Dr. Ullmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Dittmar?

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, von meiner Nachbarin immer gerne.

Sabine Dittmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Herr Kollege Ullmann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben zu Recht bemerkt, dass meine Fraktion, meine Partei, die SPD, mit in der Regierung ist. Aber Sie haben den Ausführungen entnehmen können, dass das Impfen natürlich auch in der Verantwortung der Bundesländer liegt. Das ist ganz klar vereinbart. Ich hoffe doch sehr oder frage Sie, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass all die Regionen, die bereits jetzt modellhaft mit Arztpraxen und ambulanten Praxen arbeiten, in Ländern sind, die unter sozialdemokratischer Führung stehen? ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Würden Sie bitte stehen bleiben, Frau Dittmar? Danke schön. – Herr Ullmann.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich müsste schon mit der Lupe suchen, in welchen Ländern genau das so ist. Denn es gibt viele Modellmöglichkeiten, und ein Modell ist übrigens auch die Digitalisierung. Sie haben das als bürokratisches Monster dargestellt. Faxe sind bürokratische Monster. ({0}) Digitalisierung hilft, besser zu koordinieren. Es geht hier klar um mehr Management und nicht darum, welches Land unter welcher Führung jetzt hier besser ist. Das ist hier eine gesamtpolitische Aufgabe der Bundesländer wie auch der Bundesregierung. Das ist meine Kritik, unsere Kritik daran. Sie sind mit in der Verantwortung, und Sie üben hier Oppositionspartei innerhalb der Regierung. Das ist sehr überraschend. ({1}) Frau Schmidtke, Sie haben gesagt: Es läuft alles glatt. – Das stimmt einfach nicht. Ein Beispiel aus einem Land: Ältere Menschen, Prioritätsgruppe 1, standen minutenlang in der Kälte, bis man festgestellt hat, dass es einen Softwarefehler gab, und man sie wieder nach Hause geschickt hat, weil sie nicht dran waren. Ein anderes Beispiel gestern aus einer deutschen Großstadt: Es hat geregnet. Etwa 70 bis 100 Menschen standen vor einem Impfzentrum und warteten darauf, dass sie geimpft werden. – Das sind Managementfehler, und diese kann man natürlich durch Digitalisierung abstellen und nicht durch Faxe und Excel-Tabellen. Das wollen wir erreichen. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Entschuldigung. Das ist dann aber die letzte Frage. Wollen Sie eine Frage von Dr. Schmidtke zulassen?

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Natürlich, von einer Kollegin aus Schleswig-Holstein immer gerne. ({0}) – Ich habe ja nicht „Lieblingskollegin“ gesagt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt bitte keine Psychoprobleme. ({0}) So, jetzt.

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte es nur noch mal korrigieren, weil Sie, lieber Kollege, es hier falsch zitiert haben. Ich habe nicht gesagt, dass alles rundläuft. Ich würde es mir wünschen, dass alles rundliefe und dass wir alle ein bisschen freundlicher miteinander wären.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedanke mich für die Korrektur. Ich freue mich, dass Sie die gleichen Ziele verfolgen wie die FDP: dass wir die Impfkampagne endlich ins Rollen bringen und nach vorne bringen für die Menschen, für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Herzlichen Dank dafür.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So, und jetzt kommen Sie wieder zu Ihrer Rede.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jetzt versuche ich mal, meine Rede fortzusetzen. Ich verliere hier vollständig den Faden. ({0}) – Wahrscheinlich. – Der Pandemie, meine Damen und Herren, können wir nur mit klaren Hygieneregeln begegnen, mit Kontaktverfolgung, mit Testungen, mit Impfungen, und das kann nur bei entsprechendem Management erfolgreich funktionieren. Aber Management gilt ja nicht nur für Impfungen. Wie sieht es mit den Schnelltests aus? Ab Montag soll jeder hier in Deutschland die Möglichkeit haben, sich einmal pro Woche einem Schnelltest zu unterziehen. Viele Kolleginnen und Kollegen aus der Ärzteschaft und aus der Bürgerschaft haben mich darauf angesprochen. Viele glauben nicht mehr an diese Konzepte. Das Vertrauen verschwindet. Das ist ein schlechtes Zeichen, meine Damen und Herren. Hier müssen wir Vertrauen zurückgewinnen und das mit einem guten Managementkonzept voranbringen. Da ist unser Vorschlag für ein Impfportal eine gute Sache. ({1}) Wenn sich jeder einmal pro Woche testen lassen kann, bedeutet das 320 Millionen Testmöglichkeiten pro Monat. Aber immerhin hat die Regierung bisher 150 Millionen gesichert; das reicht gerade mal für zwei Wochen. Was ist denn mit dem Memorandum of Understanding, einer Absichtserklärung, mit Diagnostikfirmen? Gibt es nachhaltig genug Schnelltests? Oder steuert die Bundesregierung auf ihr nächstes Fiasko zu, diesmal mit den Schnelltests? Hier kann ich nur empfehlen, noch heute Klarheit zu schaffen. Was macht die Regierung aber stattdessen? Die Regierung setzt eine Corona-Taskforce ein. Theoretisch eine gute Idee, aber was für ein Traumpaar: Jens Spahn und Andreas Scheuer. ({2}) Die beiden sollen das richten. Offensichtlich plant die Bundeskanzlerin, den beiden Herren bald ihr vollstes Vertrauen auszusprechen. Herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Andrew Ullmann. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Erwin Rüddel. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir leben im Föderalismus, und ich bin der FDP sehr dankbar, dass sie heute einmal die Rolle der Länder in der Pandemiebekämpfung in den Mittelpunkt stellt. Ich habe in den letzten Wochen das eine oder andere Mal kritisiert, dass die Länder ihren finanziellen Verpflichtungen bei den Hilfsmaßnahmen, die der Bund auf den Weg bringt, nicht nachkommen und die Maßnahmen nicht unterstützend begleiten. Heute haben wir die Möglichkeit, darüber zu reden und zu diskutieren, wo die organisatorischen Mängel bei den Ländern liegen. Der Bund ist nicht verantwortlich für Telefonhotlines, die nicht funktionieren. Der Bund ist nicht verantwortlich, wenn Menschen der Altersgruppe ab 80 keinen Termin bekommen, und davon gibt es sehr viele. Der Bund ist auch nicht dafür verantwortlich, wenn ältere Menschen unnötig verunsichert werden. Das liegt auch nicht an den Impfzentren, die die Kommunen betreiben – das machen die sehr hervorragend –; das ist eindeutig die Verantwortung der Landesregierungen. Ich komme aus Rheinland-Pfalz. Auch in meinem Heimatland warten viele Menschen auf Impftermine. Hier gibt es also ein Impfchaos. Soviel ich weiß, regiert in Rheinland-Pfalz die FDP mit, und da könnte man ja auch der Landesregierung eine gewisse Hilfestellung geben. ({0}) Das Gleiche gilt auch für die Grünen, die hier sehr viel kritisiert haben. Aber kennt jemand ein Bundesland, wo die Grünen nicht mitregieren? Oft ist auch die FDP mit an der Regierung beteiligt. ({1}) Es wäre hilfreich, wenn die Hilfestellungen, die wir jetzt hier bekommen, auch in den Bundesländern ankommen würden, wo man selber Verantwortung trägt. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Rüddel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der FDP-Fraktion? Ich glaube, das ist Dr. Hoffmann.

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin dankbar, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Ja, Sie haben gerade nach einem Bundesland gefragt, in dem die Grünen auch mitregieren, und das ist Baden-Württemberg. Da komme ich her. Ich kann Ihnen sagen: Das Impfportal dort funktioniert auch nur für U-60-Jährige, weil sich ältere Menschen damit eigentlich nicht zurechtfinden können. Es ist auch ein Chaos. Meine Frau zum Beispiel hat sich als Lehrerin angemeldet. Die wohnt im Kreis Lörrach und sollte dann nach Tuttlingen fahren. Das sind über 100 Kilometer. Das ist auch ein Chaos, was dort stattfindet. Dort sind die Grünen in der Koalition mit der CDU. Also, da ist auch Chaos. Was ich Sie eigentlich fragen wollte: Wir haben ja im Augenblick sehr viele AstraZeneca-Impfdosen auf Halde liegen, die nicht verimpft werden. Wie kann es sein, dass zum Beispiel in Baden-Württemberg – im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern – kein Pilotprojekt stattfindet, um die Hausärzte einzubinden, um diese Impfdosen schnell an den Mann zu bringen? Die Hausärzte kennen ganz genau die prioritären Fälle in ihren Praxen, die Menschen, die es ganz dringend brauchen.

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Sie bestätigen ja, dass in den Ländern die Impforganisation – und das ist deren ureigenste Aufgabe – in der Regel nicht funktioniert. Deshalb ist es wichtig, den zweiten Aspekt anzusprechen: dass wir so schnell wie möglich dazu kommen müssen, dass in den Arztpraxen geimpft wird; denn die entsprechende Dynamik, glaube ich, werden wir nur über die Praxen erreichen. Die Kollegin Sabine Dittmar hat eben angesprochen, dass es in Rheinland-Pfalz vier Pilotpraxen gibt. Das heißt also: Es können zwar alle machen, aber es machen nicht alle. – Und damit ein entsprechender Anreiz gegeben wird, ist ja auch vorgestern in der Runde der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Auftrag erteilt worden, Praxen einzurichten, die über die Länder mit Impfstoff versorgt werden, damit Menschen aus der Priorisierungsgruppe 1 und 2 entsprechend geimpft werden können. Ich sage jetzt mal so: Wir geben hier in Berlin die Richtung vor und geben Anstöße, damit die Länder endlich agieren. Aber wir sind nicht für die Umsetzung verantwortlich und auch nicht für die Fehler, die die Länder bei der Umsetzung machen. Ich wäre froh, wenn all diejenigen, die in den Ländern mitregieren, ihren Ländern die Hilfestellung geben würden, die man uns hier in Berlin geben will, allerdings mit der Absicht, uns in Berlin die Schuld zuzuschieben für Dinge, für die wir keine Verantwortung tragen – weder der Minister noch der Bundestag. ({0}) Ich halte das angesprochene Tool für überflüssig. Wir brauchen andere Lösungen; ich habe es gerade angesprochen. Außerdem können wir nicht so ohne Weiteres ein Tool auf den Weg bringen; denn dafür müssten die Länder Kompetenzen abgeben, ob sie sie nun ausfüllen oder nicht. Dazu, glaube ich, sind die Länder nicht bereit. ({1}) Darum ist das hier nach meiner Meinung auch eine Scheindebatte. Wir müssen sehen, dass wir beim Impfen vorankommen. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn man genau hinsieht, stellt man fest: So schlecht sieht es gar nicht aus. ({2}) Die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen sind weitestgehend geimpft. Das merkt man auch an den Belastungen im Krankenhaus und an den Todeszahlen. In einigen Bundesländern ist die Mehrheit der Menschen über 80 geimpft. Das Coronarisiko der Hochbetagten ist deutlich reduziert worden; Frau Dittmar hat es eben angesprochen. Bis Ende der Woche werden wir den Ländern über 11 Millionen Impfdosen zur Verfügung gestellt haben. Wir werden bald erleben, dass erste Impfzentren an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Deshalb müssen wir jetzt neben den Hygieneregeln und dem baldigen Einsatz von weiteren Schnell- und Eigentests mit allem Nachdruck auf eine zweigleisige Impfstrategie setzen. Das heißt: Die Impfzentren sind weiterhin, auch über Ostern hinaus, das Portal für die priorisierten Gruppen. Parallel dazu muss durch die Impfverordnung gesichert werden, dass die Länder auch Arztpraxen mit der Impfung beauftragen. Mit Blick auf die rasch steigenden Impfstoffmengen kommt es entscheidend darauf an, die Arztpraxen insgesamt regelhaft in die Impfkampagne einzubinden. Mit anderen Worten: Wir müssen demnächst massiv über die Praxen impfen, so viel Impfstoff raushauen, wie es eben möglich ist. Nach Ostern sollten wir perspektivisch ohne strenge Priorisierung über die Arztpraxen impfen. Ich sehe hier auch keine Probleme, dies über die bewährten Logistikstrukturen des Apothekengroßhandels zu organisieren. Bei der Grippe funktioniert das ja hervorragend. Im letzten Jahr sind fast 30 Millionen Menschen über die Arztpraxen geimpft worden, ohne dass man in der Logistik und der Versorgung großartig etwas davon gemerkt hat. Wir brauchen mehr Flexibilität. Wir brauchen Flexibilität mit Prinzipien. Ich bin sicher, dass die Hausärzte, da sie ihre Patienten kennen, auch das Richtige tun. Deshalb können wir die Priorisierung da etwas zurückfahren. Ich glaube, wir haben den richtigen Fahrplan, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es schaffen, bis zum oder im Sommer die Pandemie zu beherrschen, –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege.

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und dass wir zu unserem normalen Leben zurückkommen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Erwin Rüddel. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Dr. Anna Christmann.

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Kollege, ich möchte da gerne noch einmal aushelfen; denn die Frage zu einem Pilotprojekt in Hausarztpraxen in Baden-Württemberg hatten Sie eben nicht spezifisch beantwortet. Auch Baden-Württemberg startet natürlich am Montag ein breitangelegtes Pilotprojekt in Hausarztpraxen. In den meisten Landkreisen wird eine Hausarztpraxis im Rahmen dieses Pilotprojekts zuständig sein. Baden-Württemberg geht da also sehr zügig voran. ({0}) Das wollte ich hier noch mal darstellen. Das gilt im Übrigen auch für die Zulassung weiterer Gruppen, zum Beispiel für die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff. Da war Baden-Württemberg Vorreiter. Es hat als erstes Land auch Lehrkräfte für die Impfung zugelassen, sodass es dort jetzt auch zügiger laufen kann. Leider läuft es nicht so zügig in Bereichen, wo der Bund einfach die Voraussetzungen schaffen muss, wie zum Beispiel bei den Schnelltests. Baden-Württemberg hatte 7 Millionen bestellt und bekommt jetzt die Nachricht, dass sie leider erst im April verfügbar sein werden. ({1}) Es ist natürlich schwierig, wenn der Bund diese Voraussetzungen nicht schafft. Deswegen noch eine Frage an Sie: Was glauben Sie, wie erfolgreich wird diese Taskforce sein, um die Schnelltestproblematik zu lösen? ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Rüddel, bitte.

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin ja dankbar, dass hier so viele Beispiele gebracht werden, die belegen, dass wir in dem Impfprozess insgesamt weiterkommen, indem wir uns gegenseitig informieren und Impulse geben. ({0}) Ich glaube, dass wir in diesem Wettstreit für die Bürger viel Gutes erreichen werden. Deshalb bin ich froh über jedes Projekt, das umgesetzt wird; denn wir müssen das gemeinsam machen. Vielleicht ist diese Debatte auch der Impuls und der Anstoß dafür, dass es nicht hilft, auch den Bürgern draußen nicht, wenn wir uns gegenseitig die Schuld zuweisen. Vielmehr müssen wir die Herausforderung dieser Pandemie, die es vorher noch nie gegeben hat und die wir hoffentlich zu unseren Lebzeiten nicht noch einmal erleben müssen, gemeinsam bewältigen. Wir sind auf einem guten Weg. Wir kommen mit dem Impfen voran. Ich glaube, in drei Monaten wird sich diese Debatte erübrigt haben. Parallel begleitet wird das durch die Teststrategien. Wir haben Tests für viele Menschen. Wir sind ja erprobt im Testen, weil wir das schon seit Monaten in den Pflegeeinrichtungen, in den Krankenhäusern und im Gesundheitssystem machen. Das ist für uns nichts Neues. Deshalb wird auch hier mit bewährten Kräften daran gearbeitet. Ich bin dem Minister sehr, sehr dankbar, dass er seine Kompetenzen einbringt, damit wir in der Pandemiebewältigung weiter vorankommen. Er hat Großartiges in den letzten Monaten geleistet. ({1}) Wir sollten froh sein, dass wir einen so dynamischen, fähigen, kreativen, durchsetzungsstarken Minister haben. ({2}) Davon können manche Landesministerinnen und ‑minister noch etwas lernen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So, Herr Rüddel, danke schön. Die letzte Rednerin in dieser Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Emmi Zeulner. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss dieser Debatte kann ich festhalten, dass man manchmal fast den Eindruck hatte, als hätten wir in unserem Land noch nie geimpft. ({0}) Wir haben im letzten Jahr in Arztpraxen 30 Millionen Menschen gegen Grippe geimpft, und es hat gut funktioniert. Deswegen finde ich diese Debatte insgesamt sehr, sehr abstrakt. Ich glaube, auch sehr viele Mediziner aus der Praxis tun das. ({1}) Zum Thema der Impfdosen, die zurückgelegt wurden. Das ist natürlich eine Wochenbetrachtung. Wir müssen natürlich schnell sein. Wir wollen sie verimpfen. Aber zum Beispiel gab es von unserem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu schon am 15. Februar ein Schreiben, in dem er ganz konkret empfohlen hat, den AstraZeneca-Impfstoff im Februar und März vollständig für die Erstimpfung zu nutzen. Das ist nur ein Beispiel, wo wir als Bund vorangehen. Wir wollen Leitplanken für die Länder setzen, und das haben wir in diesem Fall auch getan. Nichtsdestotrotz kann ich aber auch verstehen, wenn in der Praxis der eine oder andere ein Stück weit zurückhaltend ist und erst mal guckt, wie es mit der Zweitimpfung läuft und wie die Lieferungen laufen. Denn wir sind einfach in der Situation, dass wir nur eine begrenzte Menge haben. Deswegen kann ich das ganz grundsätzlich an der einen oder anderen Stelle erst mal nachvollziehen. Nichtsdestotrotz, wie gesagt: Wir haben eine Wochenbetrachtung, und in der nächsten Woche wird die Betrachtung sicherlich eine andere sein als heute. Zu der Forderung, dass wir Impfungen so schnell wie möglich in den Arztpraxen ermöglichen sollen: Das ist natürlich der Matchwinner und wird die ganze Situation verändern; davon bin ich fest überzeugt, weil die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Vertrauenspersonen in unserer Gesellschaft sind. Und ich bin froh, dass wir in diesem Bereich ein so hervorragendes System haben. Zum heutigen Zeitpunkt muss man dazu aber sagen: Wenn wir dies heute vom Fleck weg machen würden und die Verteilung über den Großhandel organisieren würden, wie dies auch bei den Grippeimpfstoffen der Fall ist, dann wären wir bei vier Impfungen am Tag für die Arztpraxen. Das ist eine Zahl, bei der ich sage: Das macht zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn. Bitte lasst uns noch für die nächsten zwei, drei Wochen die Luft haben! Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dann mit den 50 000 Arztpraxen in unserem Land gut vorankommen werden und flächendeckend Impfungen organisieren können, die dann aber auch von der Anzahl her sinnvoll sind. ({2}) Es wurde schon angesprochen: Die verschiedenen Modelle laufen. Bei uns in Franken zum Beispiel ist es die Stadt Fürth, in der das Modellprojekt für Bayern läuft. Dort wird natürlich geschaut, dass wir dann, wenn es so richtig losgeht, auch in den Arztpraxen durchstarten können. Ich bin da insgesamt sehr zuversichtlich. Zum Antrag der FDP möchte ich sagen – es wurde schon vielfach angesprochen –: Er ist überholt. Zum jetzigen Zeitpunkt haben die Länder ihre Portale und EDV-Systeme aufgebaut. Bei uns in Bayern läuft es bereits, in anderen Bundesländern auch. Deswegen kommt dieser Antrag ein Stück weit zu spät. Aber sie sind Service-Opposition, und ich bin Service-Union. Ich gebe Ihnen einfach ein Beispiel, wie Sie beim nächsten Antrag das ganze Thema vielleicht noch mal von der anderen Seite aufzäumen können. Denn die Idee hinter Ihrem Antrag ist ja nicht grundlegend falsch. Aber wir müssen meiner Meinung nach da ein Stück weit tiefer einsteigen. Meiner Meinung nach ist durch diese Pandemie deutlich hervorgetreten, dass wir ein besseres Wissensmanagement brauchen, das als Grundlage für die Politik dient, aber auch für jedermann, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, nicht nur auf das Impfen beschränkt sein sollte. Denn da ist natürlich die Frage: Wo fangen wir an? Wo hören wir auf? Brauchen wir nicht auch Portale für chronische Erkrankungen, für Diabetes oder für Kinderkrankheiten? Da würde mir und mit Sicherheit auch Ihnen noch einiges einfallen. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir – auch mit Blick auf den Herbst; das ist mir ein großes Anliegen – darüber diskutieren müssen, ob wir zukünftig nicht wie andere Länder zum Beispiel auch eine National Library of Health, eine nationale Bibliothek für Gesundheit, einrichten. Denn wenn im letzten Jahr eines deutlich geworden ist, dann doch, dass wir beim Thema über das Wissen von Daten, Zahlen und Fakten über die Gesundheitssituation in unserem Land noch gut nachsteuern können. Auch das Thema Transparenz muss bei einem Portal oder einer Bibliothek für Gesundheit eine zentrale Rolle spielen. Transparenz insgesamt im Gesundheitswesen ist für mich auch ein Matchwinner, bei dem wir wirklich nachsteuern müssen. Wir haben das zum Beispiel mit dem Pflegebudget getan. Wir wissen zukünftig, wie viel Geld für die Pflege in Krankenhäusern tatsächlich aufgewendet wird. Wir brauchen meiner Meinung nach ein solch großes Portal auch, um die Frage zu beantworten: Wer kümmert sich um das richtige Wissen zur richtigen Zeit für die richtigen Leute? Die Notwendigkeit dazu hat die Pandemie gezeigt. Denn wenn man in Unternehmen fragt, wer für Personal oder Finanzen zuständig ist, dann weiß jeder sofort Bescheid. Aber wenn die Frage kommt, wer für Wissen zuständig ist, gibt es häufig große Fragezeichen. Deswegen sind für mich gerade im Gesundheitsbereich Investitionen in das Wissen um den Umgang mit Zahlen, Daten, Fakten eine Investition in die Menschen und eine Investition in die Zukunft. Lassen Sie uns deswegen über ein solches größeres Portal sprechen. Ich freue mich auf die weitere Diskussion zu diesem wichtigen Zukunftsthema. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Emmi Zeulner. – Damit schließe ich die Aussprache.

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute eines der bedeutendsten Gesetzesvorhaben im Verkehrsbereich in dieser Legislaturperiode. Und es war auch ohne Zweifel das aufwendigste. Vor ungefähr zwei Jahren haben die Gespräche zur Novelle des Personenbeförderungsgesetzes begonnen. Zeitgleich fanden in vielen Teilen unseres Landes Proteste und Autokorsos statt. Eine überparteiliche Findungskommission wurde von Bundesminister Scheuer eingerichtet. Diese Kommission hat über ein Jahr getagt und gute Ergebnisse geliefert. Es wurden zahlreiche Gespräche geführt und Experten gehört. Es wurde leidenschaftlich und gut diskutiert – noch bis zuletzt. Unser gemeinsames Ziel war, ein modernes und attraktives Personenbeförderungsrecht zu schaffen, das Innovationen ermöglicht und Bewährtes erhält. Dabei haben wir versucht, die zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen und Forderungen aus den verschiedensten Branchen miteinzubeziehen. Ich bin überzeugt: Es war eine Gemeinschaftsleistung, und es ist auch gelungen. Wir sorgen dafür, dass neue, digitalbasierte Mobilitätsangebote und Geschäftsmodelle rechtssicher ermöglicht werden. Wir sorgen auch dafür, dass keine Wettbewerbsnachteile für die bisherigen Anbieter entstehen. Die Länder und Kommunen erhalten dazu entsprechende Steuerungsmöglichkeiten. ({0}) Eine zentrale Neuerung ist, dass es künftig im Personenbeförderungsgesetz die Mobilitätsform „Pooling“ geben wird – innerhalb und außerhalb des ÖPNV. Bedarfsgesteuerte Pooling-Dienste erfüllen für die Verkehrswende eine wichtige Funktion an der Schnittstelle zwischen Individualverkehr und ÖPNV. Bisher konnten Pooling-Anbieter wie zum Beispiel MOIA oder CleverShuttle nur auf Grundlage von Ausnahmegenehmigungen fahren. Ohne eine rechtssichere Grundlage für ihre Zulassung wäre es für sie schwierig geworden, und sie hätten Ende des Jahres den Betrieb einstellen müssen. Im Mietwagenbereich zum Beispiel bleibt die Rückkehrpflicht für auftragslose Fahrzeuge bestehen. Das ist unter anderem ein Teil des Kompromisses in der Findungskommission. Aber in flächenmäßig großen Kommunen sind die Kommunen etwas freier bei der Ausgestaltung der Rückkehrpflicht. Sie können anstelle nur eines Betriebssitzes mehrere geeignete Abstellorte für Mietwagen zulassen. Was es nicht geben wird, ist eine Vorbestellfrist für Mietwagen. Dies wäre eine zusätzliche Belastung des Mietwagenverkehrs. Das Recht, Kunden spontan aufzunehmen, bleibt den Taxen vorbehalten. Das betrifft den sogenannten Wink- und Wartemarkt. Im Bestellmarkt lockern wir für die Taxen die Tarifpflicht; das heißt, Kommunen können hier einen Tarifkorridor mit Mindest- und Höchstpreisen festlegen – oder Festpreise für bestimmte Strecken, zum Beispiel zum Flughafen oder zum Bahnhof. Auch die Ortskundeprüfung für Taxifahrer entfällt. Sie ist in Zeiten von guten Navigationssystemen und anderen digitalen Systemen einfach nicht mehr zeitgemäß. Mit dieser Novelle schaffen wir auch eine Grundlage dafür, dass Anbieter von Personenbeförderungsleistungen und Plattformbetreiber Mobilitätsdaten zu ihren Dienstleistungen bereitstellen müssen. Diese Datenbereitstellungspflicht gilt aber nur für den klassischen Linien- und Gelegenheitsverkehr; dies haben wir auch klargestellt. Schüler- und Theaterfahrten, aber auch Ausflugsfahrten und Fernzielreisen sind davon nicht betroffen. Dies gilt auch für Einzelunternehmer. Insgesamt, meine Damen und Herren, bin ich überzeugt, dass wir mit dieser Gesetzesnovelle einen fairen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Mobilitätsplattformen schaffen. Die Menschen vor Ort werden von den neuen und auch bedarfsgerechten Angeboten profitieren, nicht nur im städtischen Bereich, auch im ländlichen Bereich. Das war uns immer wichtig. ({1}) Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich mich noch ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die an dieser Gesetzesnovelle mitgewirkt haben. Ich habe es eingangs schon gesagt: Es war eine große Aufgabe, eine Mammutaufgabe. Deshalb hat diese Novelle viele Mütter und Väter – ein herzliches Dankeschön an alle Berichterstatterinnen und Berichterstatter in den Fraktionen! –, vor allem auch bei der SPD ({2}) – ja, Sie dürfen gerne klatschen –, bei der CDU/CSU-Fraktion, bei den Ländern, bei den Kommunen. Ein herzliches Dankeschön geht an die Grünen, die hervorragend mitgewirkt haben, und auch an die FDP, wenn wir auch nicht immer einer Meinung waren; das ist auch okay. Es ist ein wichtiges Gesetzespaket, das wir zusammen schnüren konnten. Ein ganz, ganz großer Dank gilt dem Ministerium, geführt von Minister Andreas Scheuer. Ein großer Dank geht auch an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktion; denn es war wichtig, dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten, die uns dauerhaft unterstützt haben. Es war ein langer und mühevoller Weg, aber es hat sich gelohnt, und es ist gut, wenn wir heute im Deutschen Bundestag das PBefG verabschieden können. Ich freue mich auch, wenn der Bundesrat dem zustimmen wird. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alois Rainer. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Dirk Spaniel. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Rainer, Sie haben ja jetzt umfassend allen Leuten, allen Fraktionen im Plenum gedankt. ({0}) – Fast allen Fraktionen. Unserer Fraktion haben Sie nicht gedankt; das werden Sie das nächste Mal tun. Der hier von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachte Gesetzentwurf zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts ist unserer Ansicht nach alles in allem Flickschusterei. Er ist auch geprägt von politischer Feigheit; denn immer dann, wenn es darum geht, politisch Farbe zu bekennen, verschieben Sie diese Entscheidung auf die kommunale Ebene. ({1}) Ich kann hier zweierlei voraussagen: In der nächsten Wahlperiode wird das Gesetz mit Sicherheit überarbeitet, und die AfD-Fraktion wird diesen Gesetzentwurf hier auch ablehnen. ({2}) Zentral geht es hier um die Zukunft des Taxigewerbes. Ja, auch wir wollen den wirtschaftlichen Schutz für das Taxigewerbe. Wir können aber nicht verhindern, dass neue Angebote aufkommen und dass die Menschen diese neuen Angebote wahrnehmen. Deshalb streben wir Chancengleichheit zwischen den traditionellen Taxiunternehmen, den Vermittlungsdiensten wie Uber und generell auch dem ÖPNV-Angebot an. Wir wollen, dass der Kunde letztendlich frei entscheiden kann, und wir wollen, dass wir bei Vermittlungsdienstleistern trotz allem gewisse Sozialstandards halten. Wir sind aber nicht in der DDR, wo der Staat durch reduziertes Angebot von Verkehrsmitteln alles vorschreiben kann. ({3}) Ich weiß, dass mindestens die Hälfte dieses Plenums in diesen Sozialismus zurück will. Wir wollen das aber nicht. Deshalb haben wir einige Verbesserungsvorschläge in Form eines Entschließungsantrages hier eingebracht. ({4}) – Ja, ja, hören Sie mal zu! Die AfD-Fraktion schlägt vor, dass erstens digitale Vermittlungsplattformen einen gewerblichen Versicherungsschutz für Fahrer und Fahrgäste zu gewährleisten haben, zweitens onlinevermittelte Fahrzeuge kennzeichnungspflichtig werden, um eine einfache und schnelle Identifikation zu ermöglichen, drittens der Erwerb des Personenbeförderungsscheins an das Sprachniveau B1 Deutsch gebunden wird, um eine zuverlässige und qualitativ angemessene Kommunikation zwischen Fahrgast und Fahrer zu gewährleisten ({5}) – das ist eine unqualifizierte Bemerkung, auf die ich nicht eingehe –, viertens die Rückkehrpflicht für alle Personenbeförderungsleistungen ersatzlos gestrichen wird, damit preistreibende und umweltbelastende Leerfahrten der Vergangenheit angehören – diesen Punkt haben Sie übrigens aus politischer Feigheit übergangen –, fünftens der Umsatzsteuersatz für alle Personenbeförderungsleistungen auf 7 Prozent gesenkt wird, um die steuerliche Benachteiligung von Taxifahrern oder Mietwagenunternehmen mit Fahrern im ländlichen Raum zu beenden. Letzteres ist der zentrale Punkt. Haben die Menschen in Ballungsräumen noch die Möglichkeit, Nachtbusverkehre zu nutzen, steht dieses Angebot den Menschen auf dem Lande in der Regel nicht zur Verfügung. Wir wollen, dass die Taxifahrer im ländlichen Bereich einfach die Möglichkeit haben, Taxifahrten entscheidend günstiger zu gestalten, damit die Bewohner des ländlichen Raumes das nutzen können, und dass auch Vermittlungsdienstleister günstigere Fahrten anbieten können – wettbewerbsfähig mit dem ÖPNV. Hiermit entstünden rund ein Zehntel geringere Kosten. An der Ablehnung unseres Vorschlags im Ausschuss können Sie erkennen, dass nun offensichtlich auch CDU und CSU den ländlichen Raum in diesem Punkt für sich abgeschrieben haben. ({6}) Dass die SPD in Hessen das Autofahren in Gänze abgeschrieben hat, konnten wir hier vor zwei Tagen im Plenum feststellen. ({7}) Die SPD-Kollegin Nissen berichtete ja von rot angepinselten Fahrradspuren in ihrer Heimatstadt Frankfurt und empfahl den Komplettumstieg vom Auto aufs Fahrrad. Vielleicht schlägt die hessische SPD den alten Menschen auf dem Land demnächst auch die Benutzung des Fahrrads statt des Taxis vor. Die AfD ist die Partei der individuellen Mobilität – gerade auch auf dem Land. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Sören Bartol. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Begriff Personenbeförderungsgesetz klingt für die meisten Menschen eher technisch und trocken und wenig alltagsnah. Aber hinter diesem Begriff verbirgt sich das zentrale Gesetz für den Personenverkehr in unseren Städten und Regionen. Manche nennen es daher das Grundgesetz der Personenbeförderung. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute eine Novelle des Personenbeförderungsgesetzes beschließen, die sich sehen lassen kann und die vor allem notwendig ist. Die letzte Reform hat lange gebraucht; dieses Mal haben wir sie in rund zwei Jahren abgeschlossen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist überhaupt nicht trivial angesichts dessen, was wir jetzt neu regeln. Im Vergleich zum Zeitpunkt der letzten Reform haben wir heute eine dynamische Veränderung des Mobilitätsmarktes und des Verkehrsangebotes. Der Mobilitätsbereich hat sich durch die Digitalisierung und die klimapolitischen Herausforderungen extrem gewandelt. Die Digitalisierung eröffnet komplett neue verkehrspolitische Möglichkeiten und ist Treiberin der Mobilitätswende. Gleichzeitig sind neue, unregulierte Verkehrsangebote entstanden, die die etablierten Verkehrsformen und damit einen funktionierenden Personenverkehrsmarkt bedrohen. Wir brauchen einen Innovationsschub bei den Stadt- und Regionalverkehren; aber ohne eine neue Regulierung des Marktes würden wir in eine kaum kontrollierbare Konkurrenz für den klassischen ÖPNV und den Taxibereich hineingeraten. ({0}) Das würde am Ende auch ein hohes Risiko für die Beschäftigten durch Dumpingangebote bedeuten, indem soziale Standards unterlaufen werden. Daher ist diese Reform dringend nötig. Unser Ziel sind faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den verschiedenen Verkehrsformen. Wir wollen eine faire Ausgestaltung des Marktes. Mit der Novelle eröffnen wir dem Pooling und den Plattformverkehren die Tür. Aber wir öffnen sie kontrolliert und schützen so den ÖPNV und auch das Taxigewerbe. ({1}) Wir setzen privaten neuen Anbietern Leitplanken, damit sie ihre Ideen ausprobieren können. Aber es geht mit dieser Novelle ausdrücklich nicht um die Verteidigung von neuen Geschäftsmodellen, sondern in erster Linie um einen funktionierenden Personenverkehr. Wir kommen den Wünschen vieler Menschen nach neuen, App-basierten Mobilitätsformen nach, aber wir setzen dafür klare Regeln und verhindern, dass neue Angebote Gewinne auf Kosten sozialer Standards oder zulasten eines funktionierenden Verkehrsmarktes machen. In einer zentralen Rolle sind jetzt die Kommunen. Sie bekommen mit diesem Gesetz weitreichende Steuerungsmöglichkeiten bei Genehmigungen und Kontrollen. Das Gesetz enthält umfassende Regelungskataloge für die unterschiedlichsten Verkehrsarten. Neu und gleichzeitig zentral ist dabei die Erhebung von Mobilitätsdaten. Dadurch werden auch Kontrollen einfacher und damit auch die Sanktionen einfacher möglich, bis hin zum Entzug von Genehmigungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Novelle schaffen wir einen fairen Rechtsrahmen für den Personenverkehr. Dumping und einem regellosen Markt schieben wir mit diesem Gesetz einen Riegel vor. Wir ermöglichen einen Innovationsschub für die Mobilitätswende. Aber die neuen Unternehmen müssen jetzt ihren Mehrwert auch beweisen. ({2}) Ein letztes Wort zu den Sozialstandards im ÖPNV. Ich persönlich – ich denke, ich spreche da auch für meine Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion – hätte mir eine klarstellende Formulierung zu den Vorgaben für Sozialstandards im ÖPNV gewünscht. Es ist kein Geheimnis, dass es dazu unterschiedliche Meinungen in der Koalition gab. Umso mehr ist es wichtig, dass die Regierung jetzt ein Gutachten in Auftrag gibt, welches diese Frage noch einmal genauer beleuchtet und klärt, inwieweit es eine Klarstellung im Gesetz bei den Regelungsmöglichkeiten braucht. Insofern: Nach der Novelle ist vor der Novelle. Wir bleiben auch da weiter am Ball. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sören Bartol. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Torsten Herbst. ({0})

Torsten Herbst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004746, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Vorhaben war ambitioniert. Der Verkehrsminister hat am Anfang des gesamten Verfahrens erklärt, er wolle einen modernen Rechtsrahmen für alle Bereiche der Personenbeförderung schaffen, ganz gleich, ob klassischer ÖPNV, ob Taxi oder neue Anbieter wie Uber, Free Now, MOIA und viele andere. Aber was wir hier vorgelegt bekommen haben, ist kein Aufbruch ins 21. Jahrhundert. Es ist kein Aufbruch ins Digitalzeitalter. Diese Novelle atmet eher den Geist, der die Faxgeräte in deutschen Amtsstuben am Leben erhält. ({0}) Das Gesetz, das Sie hier vorgelegt haben, ist völlig überbürokratisiert. Es ist wettbewerbsfeindlich. Es zementiert Besitzstände und unterdrückt Innovationen. Es ist ein Gesetz der verpassten Chancen. Damit werden wir in Deutschland garantiert nicht zum europäischen Leitmarkt für digitale Mobilitätsdienstleistungen. ({1}) Es gibt einige wenige Gewinner, aber einen großen Verlierer. Der große Verlierer sind die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Ihnen wird etwas vorenthalten, was im europäischen Ausland längst gängig ist: neue Angebote, mehr Auswahl, besserer Service und lukrativere Preise. All das, was die Menschen vielleicht überzeugt, das eigene Auto auch mal stehen zu lassen, enthalten Sie ihnen vor, weil Sie in der Vergangenheit verharren, statt die Zukunft zu gestalten, meine Damen und Herren. ({2}) Weil sich die SPD gerade so schön aufregt, möchte ich Ihnen die Rückständigkeit an einigen hanebüchenen Details zeigen. Das eine ist die Rückkehrpflicht für gewerbliche Mietwagen. Das heißt, wenn am Ort A eine Person einsteigt und sich zum Ort B befördern lässt, muss dieser Mietwagen leer zu seinem Betriebssitz zurückfahren. ({3}) Das ist ökonomisch unsinnig, weil der Verbraucher dann nämlich für den doppelten Weg zahlt, obwohl er nur eine Strecke fährt. Und es ist ökologisch unsinnig, liebe Grüne. Wenn Sie wirklich für Klimaschutz wären, müssten Sie doch ein Interesse haben, dass in Deutschland in jedem Jahr Millionen Leerfahrten vermieden werden. ({4}) Diese Regelung allein wird dafür sorgen, dass diese modernen Mobilitätsdienstleistungen gerade im ländlichen Raum nicht angeboten werden können.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Dr. Spaniel?

Torsten Herbst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004746, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber sehr gern. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Herbst, Sie haben zu Recht einige Punkte kritisiert. Jetzt haben wir ja unterschiedliche Mehrwertsteuerregelungen für Leistungen, hier Personenbeförderungsleistungen. Es war zentraler Teil unseres Antrags, dass wir sagen: Wir wollen eine Einheitlichkeit. – Das heißt, wir wollen einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz; wir haben den auf 7 Prozent gesenkten Steuersatz genommen. Wie erklären Sie denn, dass die FDP das in ihrem Antrag so nicht fordert und unterschiedliche Mehrwertsteuersätze da sind?

Torsten Herbst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004746, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir sind grundsätzlich eine Partei, die immer für Steuersenkung ist. Wenn es die Möglichkeit gibt, die Steuer für Beförderungsdienstleistungen niedriger zu gestalten, sind wir sehr dafür. Wir sagen aber auch: Es muss einen Gleichklang zwischen Rechten und Pflichten geben. Wenn es diesen Gleichklang nicht gibt, gibt es eben auch unterschiedliche Mehrwertsteuersätze. Aber wir haben überhaupt nichts dagegen, Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten. ({0}) Ich bin bei dem zweiten Punkt, der die Rückständigkeit zeigt. Sie wollen eine Option einführen, dass erfolgreiche Anbieter auf 25 Prozent Marktanteil begrenzt werden. Wenn man das mal auf die TV-Streaming-Branche übertragen würde, würde das bedeuten: Wenn Netflix sehr erfolgreich ist, viele Abos verkauft, gibt es irgendwann einen Verkaufsstopp, und die Kunden würden darauf verwiesen, dass sie doch bitte jetzt die schönen Filme bei ARD und ZDF anschauen sollen. Meine Damen und Herren, glauben Sie ernsthaft, dass wir so den Digitalstandort Deutschland voranbringen? ({1}) Ein letzter Punkt. Sie haben in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag, liebe SPD, liebe Union, versprochen, dass die Taxi- und Mietwagenbranche entlastet wird. Jetzt führen Sie einen Fachkundenachweis neu ein, der Zehntausende Fahrer betrifft, gerade in den ländlichen Regionen. Mir leuchtet nicht ein, warum Sie die jetzt mit neuer Bürokratie belasten, statt sie endlich zu entlasten. ({2}) Dieses Gesetz ist nicht nur verbraucherfeindlich; es ist auch ein Ausdruck der digitalen Selbstverzwergung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. ({3}) Wenn wir uns im europäischen und internationalen Vergleich umschauen: Wo sind denn die Mobilitätsinnovationen aus Deutschland, die in Europa und weltweit erfolgreich sind? Ich sehe da nicht allzu viele; FlixMobility ist vielleicht eines der wenigen Beispiele. Aber wenn wir so weitermachen, meine Damen und Herren, wenn wir glauben, mit so anachronistischen Regelungen unseren Heimatmarkt gestalten zu können, verbauen wir den deutschen Start-ups alle Chancen, wirklich erfolgreich zu sein. ({4}) Sie haben die Chance auf einen fortschrittlichen, zukunftsorientierten und verbraucherfreundlichen Gesetzentwurf gehabt. Sie haben einen rückwärtsgewandten vorgelegt. Aus diesem Grund können wir ihm auch nicht zustimmen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Torsten Herbst. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Sabine Leidig. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dass neue Mobilitätsdienstleistungen eingeführt werden, klingt immer gut, und dass es dafür einen gesetzlichen Rahmen braucht, ist klar. Schon in der letzten Legislatur stand das auf dem Zettel der Regierung. Aber weil die Verkehrsminister der Union vor allem den Autoverkehr vor Augen haben, hat es für den ÖPNV nicht gereicht. Aber genau da, beim öffentlichen Nahverkehr, brauchen wir dringend mehr Aufmerksamkeit, bessere Angebote, mehr Geld und Unterstützung vom Bund. ({0}) Was die Koalition mit ihrem neuen Personenbeförderungsgesetz regelt, geht nicht in diese Richtung; denn Sie setzen auf Markt vor Daseinsvorsorge. Das heißt: Wenn mit einem Rufbus on Demand oder einer Vermittlungsplattform oder einem Sammeltaxi-Ridepooling Gewinn gemacht werden kann, dann läuft es. Genau deshalb gibt es car2go von BMW oder MOIA von VW und die ganze Uber-Offensive dort, wo der Bedarf eigentlich am geringsten ist: in den Städten. Deshalb wird von der Seite auf Deregulierung gedrängt, weil die eine Scheibe abhaben wollen. Das Problem: Genau da kann auch der öffentliche Nahverkehr mit Gewinn fahren. Aber in den dünnbesiedelten, ländlichen Regionen, wo großer Bedarf besteht, lassen sich die Privaten ja nicht blicken. Solche Rosinenpickereimodelle schließen Sie mit dem Gesetz nicht aus. Zu Recht haben der VDV und alle drei kommunalen Spitzenverbände deshalb Ihren Gesetzentwurf als unzureichend kritisiert, und wir tun das auch. ({1}) Übrigens – das in Richtung FDP –: MOIA hat seine Fahrzeuge in Hamburg und in Hannover stillgelegt, während die öffentlichen Busse und Bahnen weiterfahren in der Pandemie, damit zum Beispiel Pflegekräfte und Verkäuferinnen zur Arbeit kommen. Und genau darum geht es. Die linke Idee ist eine Mobilitätsgarantie für alle mit zuverlässigen und regelmäßigen ÖPNV-Verbindungen. Selbstverständlich sollen Kommunen und Aufgabenträger der öffentlichen Hand die schlauesten und bequemsten neuen Möglichkeiten einsetzen: mit Onlineplattformen und flexiblen Fahrzeugen. Wir haben dazu einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Aber was nicht geht, ist, dass die einen mehr Bequemlichkeit bekommen und die anderen miese Arbeitsbedingungen haben. Da bin ich beim wichtigsten Punkt, den Sie leider versemmelt haben. Der Wettbewerb hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten stattgefunden. Es ist längst überfällig, dass gesetzliche Sozialstandards festgelegt werden ({2}) und dass beim Betreiberwechsel für die Arbeitnehmer/-innen im ÖPNV Sicherheit geschaffen wird. Jetzt wird mit Uber und Co noch eine Tür aufgemacht für prekäre Arbeitsverhältnisse. Es werden Jahre vergehen, bis gewerkschaftliche Organisierung gelingt und Verbesserungen erkämpft werden können. ({3}) Anstatt wenigstens soziale Mindestanforderungen gesetzlich festzulegen, soll jetzt ein Rechtsgutachten eingeholt werden. ({4}) Das ist ein soziales und zugleich ein ökologisches Armutszeugnis. Schon deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sabine Leidig. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Stefan Gelbhaar. ({0})

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach jahrelangem Ringen zwischen Regierung und Opposition, zwischen den Bundesländern und dem Bund gibt es jetzt einen tragfähigen Kompromiss. Das ist wichtig für die gesamte Branche und für die Fahrgäste. Auch der Protest der Fahrerinnen und Fahrer hat das bewirkt. Nach dem Vorlauf sind mir die Sorgen und der Argwohn mehr als verständlich. Diese Arbeit, die geleistet wird, schafft Mobilität, und das ist ein Wert. Den Fahrerinnen und Fahrern schulden wir einen ordentlichen und einen fairen Rahmen für ihren Beruf. Ich meine, das Taxigewerbe wird mit diesem Kompromiss bestehen. Die Taxitarife werden flexibler, die Rückkehrpflicht für die Mietwagen bleibt. Auf unseren Druck hin können Mietwagenangebote wie Uber strenger reguliert werden. Plattformen müssen sich jetzt wie alle anderen auch eine Genehmigung holen. Und das ist gut so. ({0}) Unser Ziel ist es, Dumping zum Nachteil von Bus, Bahn, Taxi und Pooling auszuschließen. Deswegen haben wir die versprochenen Antidumpingregeln durchgesetzt. Preisuntergrenzen schieben dem Unterbietungswettbewerb – Frau Leidig, der existiert jetzt schon in den Kommunen – einen Riegel vor. Davon profitiert nicht nur die Taxifahrerin, sondern auch der Uber-Fahrer. Der Beweis, dass das funktioniert, muss jetzt auf der Straße erbracht werden. Wir wollen mit der Novelle aber noch einiges mehr erreichen, nämlich mehr Mobilität bei weniger Verkehr. Für Pooling-Verkehre wie MOIA, CleverShuttle und BerlKönig schaffen wir dafür erstmalig eine Rechtsgrundlage und damit Planungssicherheit. Und das wird gebraucht. Denn wir haben Defizite am Stadtrand, wir haben Defizite in den ländlichen Räumen, im Nacht- und Wochenendverkehr. Die müssen wir angehen. ({1}) Pooling-Dienste, aber auch Mietwagen können hier eine Ergänzung zum klassischen ÖPNV und Taxi bieten. Alle zusammen sind dann eine starke Konkurrenz für das eigene Auto. Das ist unser Ziel. Wir haben dafür jetzt das notwendige Update des Personenbeförderungsgesetzes. Ich sage aber auch: Mit dem Gesetz ist beileibe nicht alles gelöst und fein. Die Kommunen bekommen deutlich mehr Spielraum – das ist gut –, aber sie tragen auch eine verdammt hohe Verantwortung. Die Sozial- und Klimastandards sowie die Barrierefreiheit müssen bei den Mobilitätsdiensten vor Ort durchgesetzt werden. Das ist die Aufgabe. Da müssen wir auch als Bundespolitik genau hinschauen. Denn für die Sozialstandards, wie zum Beispiel Höchstarbeits- und Pausenzeiten, gibt es nur eine Kannregelung. Ich rufe die Städte auf: Macht davon intensiv Gebrauch! Auch Barrierefreiheit und Klimaschutz sind unterschiedlich und lückenhaft geregelt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Entschuldigung, Herr Kollege. – Frau von Storch, würden Sie bitte die Maske aufsetzen.

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie kriegen das hin, Frau von Storch. Es ist nicht so schwierig, eine Maske aufzusetzen. Also: Es gibt Lücken. Das muss jetzt durch exekutives Handeln, durch Regierungshandeln, gelöst werden. Das bedeutet auch: Von Anfang an muss durch die Regierung begleitet und evaluiert werden. Abwarten geht nicht. Sollten sich Defizite zeigen, muss angepasst werden. Insgesamt: Ja, es ist ein Kompromiss, aber einer, der den Schritt in die richtige Richtung macht. Das sagt übrigens, Frau Leidig, auch der VDV. Das sagen auch die Kommunen. Aus diesen genannten Gründen stimmen wir heute diesem unserem Kompromiss natürlich zu. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Stefan Gelbhaar. – Nächster Redner: für die Bundesregierung Minister Andreas Scheuer. ({0})

Andreas Scheuer (Minister:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Personenbeförderungsgesetz: Ich glaube, unter den Verkehrspolitikern ist dieser Begriff in jeder Legislaturperiode sehr präsent. Jeder weiß, was sich dahinter verbirgt, nämlich ein immer hart diskutiertes Projekt; denn wir wollen Personenbeförderung immer wieder fortschreiben, und das modern und digital. Ich sage zu den vorangegangenen Beiträgen – von Frau Leidig von der Linksfraktion und von Herrn Herbst von der FDP-Fraktion –: Da sieht man die ganze Bandbreite. Genauso war es auch in dieser Debatte, es war nämlich eine schwierige. Jetzt hoffen wir, dass wir nach Corona bald wieder mehr unterwegs sein werden. Wir werden natürlich andere Verhaltensmuster und neue Gewohnheiten haben: vor allem in den Städten Gott sei Dank mehr Radfahren und mehr Homeoffice. Aber trotzdem werden die Straßen wieder voller sein. Dass ich, Herr Gelbhaar, einen Grundsatz von mir aus Ihrem Munde höre, freut mich sehr: Wir brauchen mehr Mobilität bei weniger Verkehr. – Okay, wir teilen uns diesen Grundsatz. Ja, Cem, auch du als Vorsitzender des Verkehrsausschusses hast das schon öfter gesagt. Dieser Grundsatz wurde in der Koalition weiterentwickelt. Ich sage einen aufrichtigen Dank an alle Berichterstatter der Koalitionsfraktionen und an die Mitglieder der Findungskommission. Wir haben versucht, alle mit einzubinden und auch diejenigen, die vor allem die Interessen der Bundesländer repräsentieren. An die Adresse des Bundesrates: Nicht nur der Bundestag hat sich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses und der Fraktionen parteiübergreifend und fraktionsübergreifend immer wieder viel Zeit genommen – zu Recht, lieber Alois Rainer –, sondern auch die Bundesländer haben sich eingebracht. Dafür meinen herzlichen Dank. Personenbeförderung ist ein großes Projekt, das natürlich auf das reale Leben und auf die Mobilität in unserem Land viele Auswirkungen hat. Jetzt haben wir einen Vorschlag, der wirklich breite Zustimmung findet. Dafür meinen herzlichen Dank. ({0}) Viele Menschen müssen gleichzeitig von A nach B unterwegs sein, und das schnell, unkompliziert und umweltbewusst. Wir wollen dafür die besten Möglichkeiten schaffen. In den vergangenen Jahren sind neben bewährten Anbietern viele neue Mobilitätsangebote entstanden. Die Politik darf nicht hinter diesem Verbraucherverhalten und den neuen Mobilitätsangeboten hinterherlaufen. Das machen wir nicht, sondern wir machen jetzt einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen, wo jeder Platz hat, wo sich jeder einfügen kann. Von diesem modernen Mobilitätsmix profitieren alle: die Städte, die ländlichen Regionen, die Menschen, die Umwelt. Wir haben das im Koalitionsvertrag fixiert. Wir haben die Herangehensweise an dieses Thema unterschiedlich gesehen. Aber wir haben jetzt einen klassischen Kompromiss, weil an dieser Stelle so viele mitgewirkt haben. Letztes Mal haben wir sechs Jahre gebraucht. Diesmal sind wir deutlich kürzer unterwegs: 1,5 bis 2 Jahre. Trotzdem braucht ein so großes Projekt seine Zeit. Deswegen hat es auch diese Vorarbeiten gegeben: die unzähligen Anhörungen, die Verbandsveranstaltungen, auch die eine oder andere Protestaktion. Dies stellt einen Durchbruch dar. Davon bin ich sehr überzeugt, weil es nach einem Rechtsrahmen, nach Regeln geht. Wir haben die Digitalisierung, Herr Herbst, stark positioniert. Wir haben natürlich einen entsprechenden Umgang mit Datenschutz und Datenverantwortung fixiert. Es ist nicht so, Herr Herbst, dass die FDP den Dialog mit den Taxiunternehmen nicht führen würde; denn bei genau diesen Protestaktionen waren auch Sie mit dabei. Sie haben ein großes Verständnis für die Taxiunternehmen gehabt. Hier haben Sie aber eine andere Argumentation gewählt. Für uns ist klar: Diese Koalition aus CDU/CSU und SPD will das Taxigewerbe in Deutschland erhalten, weil es zu unserer Infrastruktur gehört und die vielen Unternehmerinnen und Unternehmer – ich denke gerade an die familiengeführten, mittelständisch geprägten Unternehmen – jeden Tag einen sehr guten Job machen in der Personenbeförderung. Dafür meinen Dank! ({1}) Natürlich entstehen neue Mobilitätsangebote. Meine Damen und Herren, wir reden – das möchte ich noch mal hervorheben – weder von einem Lex Uber noch von einem Taxischutzgesetz. Wir reden von einem modernen Personenbeförderungsrecht, das auch neue Möglichkeiten schafft, das natürlich auch den ÖPNV beinhaltet. Mit dem heutigen Tag sind wir nicht am Ende dieser Debatte; denn jeden Tag entstehen neue Unternehmen. Gerade in der Start-up-Szene soll mit Blick auf die Mobilitätsdaten die schlaue Mobilität dazu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger Erleichterungen haben, dass sie mit einer Datenplattform ihre Mobilität organisieren können mit vielen Unternehmen, die dafür ihr Angebot zur Verfügung stellen. Das war der Ansatz. Vor allem soll sich der Blick nicht nur auf die Metropolregionen, auf die Großstädte richten, sondern auch auf die Versorgung des ländlichen Raums: mit neuen Mobilitätsformen, automatisierten Systemen, mit neuen Möglichkeiten, mit Pooling-Diensten und On-Demand-Systemen. Damit schaffen wir eine moderne Mobilität. Dafür sage ich allen, die jetzt zustimmen, meinen herzlichen Dank für die Mitarbeit. Und diejenigen, die nicht zustimmen, haben wenigstens mitgearbeitet. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Andreas Scheuer. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Wolfgang Wiehle. ({0})

Wolfgang Wiehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004933, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Jeder kennt das: Frisch angekommen in einer anderen Stadt sucht man den Taxistand oder den Automaten für die richtige U-Bahn-Fahrkarte. In jeder Stadt ist es anders. Mit dem neuen Personenbeförderungsgesetz wird das nicht etwa besser, sondern noch schlimmer. Jetzt werden auch neue Anbieter wie Uber unter die Regulierung genommen, was ja im Prinzip richtig ist. Aber es wird auch für die Neuen wohl in jeder Stadt eine andere Regel geben. ({0}) Der Flickenteppich wird also immer undurchschaubarer. Die AfD behält die Sicht des Kunden im Blick, und das ist der Fahrgast. Der darf beim Gezerre zwischen Bund, Ländern und Verbänden nicht unter die Räder kommen. ({1}) Bewährte Angebote müssen erhalten bleiben, zum Beispiel das Taxi. Das darf nicht durch ruinösen Wettbewerb aus dem Markt gedrängt werden. Alle Fahrzeuge müssen klar erkennbar sein, auch die von den neuen Anbietern. ({2}) Wir freuen uns, dass die von uns geforderte Kennzeichnungspflicht jetzt im neuen Gesetz steht. ({3}) Die Verständigung mit dem Fahrer muss ordentlich funktionieren. Dafür müssen sie mindestens Deutsch auf Sprachniveau B1 beherrschen. Das muss Voraussetzung für den Personenbeförderungsschein sein. ({4}) Dieser wichtige Punkt fehlt nach wie vor im Gesetz. Wenn die neuen plattformbasierten Dienste ein ordentliches Angebot machen, sollen sie die Mobilität in Stadt und Land wirklich verbessern. Rückkehrpflichten mit Leerfahrten oder gar eine 30-Minuten-Wartezeit nach der Bestellung, wie sie Fraktion Die Linke gerne hätte, sind ein kundenfeindlicher Anachronismus. ({5}) Wer den kommunalen ÖPNV so vor Wettbewerb schützen will, schüttet das Kind mit dem Bade aus. Der Fahrgast, der sich elektronisch informieren will, soll vom Wettbewerb um neue Ideen profitieren und nicht auf Monopolisten angewiesen sein, nicht auf Google und auch nicht auf die örtlichen Stadtwerke. Wenn ein innovatives Start-up eine neue Mobilitäts-App entwickelt, braucht es Zugang zu den Fahrplänen und auch Infos über mögliche Verspätungen, also Echtzeitdaten. ({6}) Deshalb unterstützt die AfD das Open-Data-Prinzip. Jetzt soll zwar eine Datenplattform entstehen, aber mit einem – ich zitiere – „gesetzlich festgelegten Nutzerkreis“, wie die Regierung schreibt. Das, meine Damen und Herren, ist zu wenig. Ich bitte deshalb um Zustimmung zum AfD-Antrag zu den Echtzeitdaten – bzw. um Ablehnung der negativen Beschlussempfehlung – und um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag, damit beim neuen Personenbeförderungsrecht die wichtigste Gruppe wirklich im Mittelpunkt steht, nämlich die Fahrgäste. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Wolfgang Wiehle. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Detlef Müller. ({0})

Detlef Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor fünf Wochen haben wir hier nach langen Verhandlungen das parlamentarische Verfahren zum Personenbeförderungsgesetz – Sören Bartol nannte es das Grundgesetz für den öffentlichen Verkehr – begonnen. Heute bringen wir die Novelle zumindest hier im Bundestag zum Abschluss. Zunächst ein paar Sätze zum Entschließungsantrag der AfD. In der letzten Debatte habe ich hier von diesem Pult aus gesagt, dass das A in AfD wohl für Ahnungslosigkeit steht, da Sie keinen eigenen Beitrag zum Thema zustande gebracht haben. Nun, nach fünf Wochen Beratungen, bringen Sie einen dürren Eineinhalb-Seiten-Antrag. Sie erfinden eine ganz neue Regelungskategorie, nämlich den Mietwagen mit Fahrer; vermutlich, weil Sie den Unterschied zwischen Mietwagen und Leihwagen nicht kennen. Sie fordern einen verpflichtenden Personenbeförderungsschein für das Fahrpersonal, ({0}) den es in Deutschland schon seit jeher gibt. Sie kennen den Unterschied im Steuersatz nicht. Das Taxi hat eine Beförderungspflicht, deswegen der ermäßigte Steuersatz. ({1}) Das Ganze garnieren Sie in diesem Antrag mit einem Text, der allem Anschein nach im Internet zusammenkopiert wurde. ({2}) Nach A für Ahnungslosigkeit, meine Damen und Herren, scheint also das f im Parteinamen – mit Verlaub – für faul zu stehen. ({3}) Meine Damen und Herren, mehr als zwei Jahre hat es gedauert, den Gesetzentwurf vorzulegen. Ein langer Prozess, der auch die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP und vor allen Dingen auch die Bundesländer einbezogen hat, und dessen Diskussion von allen Seiten mit großer Sachkenntnis geführt wurde. Grundsätzlich gilt: Das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs in Deutschland bildet der ÖPNV mit Bussen, Straßenbahnen, S- und U-Bahnen. Neue Mobilitätsformen können diesen nur ergänzen. ({4}) Wir haben den Gesetzentwurf noch massiv verbessern können und einige Punkte aus den öffentlichen Anhörungen und aus dem Bundesrat aufgenommen. So haben wir bei den Sozialstandards für den gebündelten Bedarfsverkehr nachgeschärft und ermöglichen es gerade Großstädten, diese Regelungen auch auf den Mietwagenverkehr zu übertragen. Wir haben die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Fahrzeugen deutlich verbessert, und wir haben die Zugangsvoraussetzungen für das Fahrpersonal für alle Formen des Gelegenheitsverkehrs – also Mietwagen, Pooling und Taxi – in Form eines verpflichtenden Kleinen Fachkundenachweises angeglichen. ({5}) Damit schaffen wir gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für die verschiedenen Angebote, und wir schaffen Sicherheit für die Kundinnen und Kunden, die nun auf gleichmäßig hohe Qualitätsstandards in der Personenbeförderung vertrauen können. Dass wir das Ziel von gleichen Wettbewerbsbedingungen für die neuen Verkehrsformen erreicht haben, gilt für die gesamte Gesetzesnovelle. Und – Herr Minister Scheuer hat meinen Satz leider vorweggenommen; übrigens eins zu eins –: ({6}) Es ist eben kein Taxischutzgesetz und auch keine Lex Uber, wie auf den zahlreichen Demos der letzten Wochen vorgebracht wurde. Der nun vorgelegte Gesetzentwurf ist ein austarierter Kompromiss. Wir schaffen mit dem Linienbedarfsverkehr den Rahmen für bedarfsgesteuerte Angebote für den ÖPNV, die auch fest in dessen Tarifstruktur integriert werden müssen. Das ermöglicht bessere ÖPNV-Angebote zu Randzeiten oder in wenig erschlossenen Gebieten, gerade im ländlichen Raum. Und wir ermöglichen mit dem gebündelten Bedarfsverkehr ein neues und modernes Angebot. Dazu geben wir den Kommunen mit den Pooling-Quoten, Kontingentierung und dem Ausschluss von Bediengebieten weitreichende Regulierungs- und Kontrollmöglichkeiten an die Hand. Gleiches gilt für den Mietwagenmarkt. Er hat seinen Platz, er hat seine Berechtigung, auch aufgrund der Nachfrage gerade nach komfortablerer Beförderung. Aber er hat im Taximarkt nichts zu suchen. Deshalb erhalten wir die Rückkehrpflicht, geben den Kommunen mit der verpflichtenden Datenweitergabe durch die Unternehmen aber auch ein wirksames Kontrollinstrument an die Hand. Und es wird Mindestbeförderungsentgelte geben, damit Dumping-Angebote unterbunden werden. ({7}) Wir geben dem Taxigewerbe Raum zur Flexibilisierung, indem wir Öffnungsmöglichkeiten beim Taxitarif ermöglichen, die Ortskundeprüfung abschaffen und gleichzeitig technische Neuerungen wie die Nutzung von Navigationsgeräten und IT-Bezahlsystemen ermöglichen. Vor allem aber beziehen wir Plattformanbieter und auch die Nachunternehmer in die Genehmigungspflicht mit ein. Damit, meine Damen und Herren, wollen wir neue Angebote eben nicht verhindern, so wie die Fraktion Die Linke, und wir stecken auch nicht den Kopf in den Sand. ({8}) Wir wollen aber eben auch nicht frei und ungeregelt den Markt entscheiden lassen wie die FDP. Nein, wir werden sicherstellen, dass, wer Mobilität vor Ort anbietet, auch Verantwortung für die erbrachten Verkehre und für das angestellte Fahrpersonal übernimmt. Bedanken möchte ich mich herzlich bei allen Mitverhandlern aus den Ländern und aus dem Ministerium, natürlich bei meiner Kollegin Kirsten Lühmann und meinem Kollegen Sören Bartol, vor allen Dingen aber auch bei den Kollegen der Unionsfraktion, Michael Donth, Alois Rainer und Ulrich Lange. Es war anstrengend, es hat lange gedauert, aber es war erfolgreich. ({9}) Meine Damen und Herren, wir brauchen einen gut regulierten Verkehrsmarkt mit innovativen Angeboten, um unseren Anforderungen an den Verkehr von morgen in Stadt und Land gerecht zu werden. Es muss sowohl in Cuxhaven als auch in Passau, in Berlin wie in Reutlingen, in Chemnitz wie in der Uckermark funktionieren, und diese Novelle schafft genau diesen Rechtsrahmen. Vielen Dank. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Detlef Müller. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Oliver Luksic. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Personenbeförderungsgesetz stammt aus den 30er-Jahren und atmet auch heute noch einen oft protektionistischen Geist. Die echte Großreform gab es in der 17. Wahlperiode, als vor allem auf Drängen der FDP der Fernbusmarkt liberalisiert wurde. Jetzt hätte man vor allem dafür sorgen müssen, dass die vielen neuen innovativen, in der Regel aus dem Privaten kommenden Mobilitätsdienstleister einen fairen Rahmen bekommen. Aber wir haben es ja eben rausgehört: Es wird auf Kommunalisierung gesetzt. Dort soll die Innovation stattfinden. Bei den Privaten wird diese eher abgewürgt. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf mehr Innovationsbremse als Fortschrittsbeschleuniger. ({0}) Ja, wir brauchen faire Spielregeln – das ist völlig klar – und auch vergleichbare Sozialstandards bei Mietwagen und Taxis. Aber die Instrumente, die hier ausgesucht wurden, sind nicht die richtigen, ob es die Rückkehrpflicht ist oder ob es beispielsweise die Steuersätze sind, die ja weiterhin kompliziert und nicht nachvollziehbar bleiben sollen. Warum behandeln wir bei der Personenbeförderung im Fernverkehr die Bahn mit einem Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent anders als den Fernbus mit 19 Prozent und belegen wir im Nahverkehr – wir haben es eben gehört; da bin ich dafür – Busse, Bahnen und Taxis mit 7 Prozent? Es ist doch nicht logisch, dass auch die Grünen die älteren Diesel mit einem Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent besteuern wollen und die ganz vielen neuen Mobilitätsdienstleister in der Stadt, die alle elektrisch fahren, mit 19 Prozent besteuert werden sollen. Das macht doch aus ökologischer Sicht keinen Sinn. ({1}) Bei der Verkehrswende geht es ja insbesondere aus ökologischer Sicht um weniger Fahrten und bessere Auslastung. Das wollen auch wir als FDP. Wir wollen die neuen Angebote nutzen, damit es eine bessere Auslastung von Fahrzeugen und Fahrzeuginfrastruktur gibt. Deswegen macht es ja keinen Sinn, an der Rückkehrpflicht festzuhalten. ({2}) Auch aus ökologischer Sicht ist zu bedenken: Es entstehen hier Tausende unnötige Fahrten von Tausenden Fahrzeugen in vielen Städten. Das wird bis zu 10 Millionen unnötige Fahrkilometer auslösen. Das ist unserer Meinung nach der falsche Ansatz. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Gelbhaar?

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Stefan Gelbhaar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004726, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine einfache, kurze Zwischenfrage: Haben Sie erstens mitbekommen und kennen Sie zweitens vielleicht die Begründung dafür, dass zum Beispiel MOIA, CleverShuttle und BerlKönig wollen, dass wir heute dieses Gesetz beschließen?

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Gelbhaar, ich weiß nicht, ob Sie die Einlassung von MOIA im Rahmen der Anhörung gelesen haben. Diese war eher kritisch. Außerdem hat der Verbraucherzentrale Bundesverband einen kritischen Kommentar verfasst. Ich empfehle Ihnen auch, die Bitkom-Studie anzuschauen, ({0}) wonach die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung will, dass es eine bessere Regulierung für neue Mobilitätsdienstleister gibt. Ich wundere mich, dass ausgerechnet Sie das so kritisch sehen. Einige Einlassungen, ob von Uber, Free Now oder MOIA, waren sehr kritisch. Die finden das Gesetz in der Form eben nicht gut. Ich glaube, auch Ihre Wählerschaft findet das nicht gut. Das zeigt die Bitkom-Studie. Schauen Sie sich die an. Es wäre gut, Sie würden hier eher die ökologischen Interessen vertreten und nicht mit der Rückkehrpflicht ein völlig unsinniges Instrument weiter zementieren. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Regulierung macht, wie gesagt, nicht nur ökologisch wenig Sinn. Es schafft den Privaten zu wenig Spielraum, und deswegen sehen wir es kritisch. Aber auch im Bereich der Digitalisierung hätten wir in Sachen Plattformen erwartet, dass man noch einen Schritt weitergeht. Ja, da gibt es erste Verbesserungen, was Fahrplandaten angeht. Aber mir geht es darum, dass man alles in einer App buchen kann, und zwar übergreifend, über Verkehrsträger und die kommunalen Verkehrsverbünde. Ich habe Zweifel, dass das nach der Verabschiedung dieses Gesetzes der Fall sein wird. Ich glaube, wir werden in der neuen Legislatur ein Mobilitätsdatengesetz brauchen. Auch hier waren sich alle einig: Wir werden wahrscheinlich schon in sechs Monaten das Personenbeförderungsgesetz wieder neu diskutieren. Und wenn wir das heute schon wissen, wissen wir auch, dass das Gesetz so nicht gut und deswegen nicht zustimmungswürdig ist. Wir wollen das in der nächsten Legislaturperiode neu regeln, mehr Raum für Innovationen schaffen und den Kunden bessere Angebote machen. Das ist unser Ziel, und darüber werden wir in wenigen Monaten erneut diskutieren. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Oliver Luksic. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Thomas Lutze. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Koalition, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle gerade aus Richtung der SPD-Fraktion gelungen ist, an diesem schlimmen Gesetzentwurf noch Korrekturen vorzunehmen, die das sicherlich verbessert haben, kann ich nur empfehlen: Seien Sie konsequent. Schaffen Sie doch am besten das ganze Taxigewerbe komplett ab, dann wissen die betroffenen Unternehmer – das sind oft kleine und mittelständische Unternehmen – und deren Beschäftigte wenigstens, woran sie sind. Aber hier so aufzutreten und dem klassischen Taxigewerbe mit seinen nach wie vor strengen – auch nachvollziehbar strengen – und betriebswirtschaftlich teuren Vorschriften eine direkte Konkurrenz vor die Tür zu setzen, die nicht ansatzweise diesen Regularien unterliegt, ({0}) ist für meine Begriffe völlig unzumutbar. Das hat mit marktwirtschaftlichem Wettbewerb nichts mehr zu tun, auch wenn Sie in den letzten Tagen noch an der Gesetzesvorlage herumgedoktert haben. ({1}) Während die klassischen Taxis ein integraler Bestandteil des ÖPNV sind, sind Uber und Co Teil des Wilden Westens. Uber und Co werden sich nie an irgendwelche Regeln halten; denn das Nicht-Einhalten von Regeln ist deren Geschäftsmodell. Sie werden immer irgendwelche Schlupflöcher finden und dann jahrelang abtauchen, um später wieder irgendetwas Neues aus dem Boden zu stampfen. Für meine Begriffe geht das überhaupt nicht. ({2}) Ich hatte 2019 die Gelegenheit, den US-Bundesstaat Texas zu besuchen. Unter anderem war ich in Austin und in Houston. Dort gibt es die klassischen Yellowcabs gar nicht mehr. Möchte man sich dort ein Taxi rufen, braucht man ein Smartphone und eine App. Hat man aber zum Beispiel ein Motelzimmer am Stadtrand, dann ist es nicht ungewöhnlich, wenn niemand kommt. Denn einer Verkehrsversorgungspflicht unterliegen diese Firmen nicht. Sie bedienen das, was sich für sie rechnet. Wollen wir das wirklich? Ich glaube, nicht. ({3}) Für Die Linke sind die klassischen Taxis eine wesentliche Säule im öffentlichen Personennahverkehr. ({4}) Sie kommen im Übrigen auch ohne öffentliche Zuschüsse aus. Sie machen also ein System kaputt, das kein Zuschusssystem war. Sie fahren für Krankenkassen. Sie machen diese Krankenkassenfahrten fast zum Selbstkostenpreis. Darüber müsste man auch mal reden, aber sie machen das. Da frage ich Sie: Machen Uber und Co zukünftig auch solche Touren? Ich glaube, nicht. Uber und Co werden – meine Kollegin Leidig hat das schon gesagt – nur in die großen Städte gehen. Überall dort, wo man richtig Geld verdienen kann, tauchen die auf oder sind schon aktiv. Ob sie in Deutschland überhaupt Steuern zahlen, wäre für meine Begriffe auch noch mal eine interessante Frage, die zu klären ist. ({5}) In Kleinstädten, in Mittelzentren oder auf dem Land wird man diese privaten Mietwagenkonzerne nicht sehen. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, diesen Markt weiter zu liberalisieren. Es geht vor allem nicht, dass die einen nach wie vor strengen Regeln unterliegen, während die anderen machen, was sie wollen, egal wie Sie heute die Gesetzeslage ändern. ({6}) Sind die klassischen Taxis aber erst einmal Geschichte, werden die Preise bei Uber und Co auch hochgehen. Wer also von niedrigen Preisen träumt, wird ein böses Erwachen haben. Vielen Dank und ein herzliches Glückauf, trotz alledem. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thomas Lutze. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Cem Özdemir. ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nahezu jeder Mensch hat ständig mit diesem Gesetz zu tun: unzählige Fahrerinnen und Fahrer durch ihren Job, aber auch sonst fast alle; denn fast jeder fährt mal mit dem Bus, mit der Tram, mit dem Taxi, mit Uber, mit MOIA, mit CleverShuttle, mit SSB Flex bei uns in Stuttgart oder sonst was. Wenige wissen aber, dass sie es in diesem Moment mit dem Personenbeförderungsgesetz zu tun haben, quasi dem Grundgesetz – der Minister hat mich zitiert – des öffentlichen Verkehrs. Deshalb, glaube ich, ist klar: Ein solches Gesetz kann man nur im Konsens und mit breiter Mehrheit angehen. Deshalb auch von meiner Seite erst mal einen Dank an Sie, Herr Minister, dass Sie die überparteiliche Findungskommission einberufen haben, einen Dank aber auch an alle Mitglieder der Findungskommission, einen Dank an die Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Koalitionsfraktionen, der anderen Fraktionen. Gestatten Sie mir einen besonderen Dank an die grüne Seite, an Minister Winfried Hermann aus Baden-Württemberg, an Minister Tarek Al-Wazir aus Hessen, an unseren Berichterstatter Stefan Gelbhaar. Sie alle haben in den letzten Wochen maßgeblich dazu beigetragen, dass das Gesetz, das wir heute verabschieden, im Gegensatz zu dem ersten Entwurf – darauf lege ich sehr viel Wert – die Eckpunkte der Findungskommission aufgenommen hat und deutlich besser geworden ist. ({0}) Deshalb auch einen Dank – so viel Fairness muss sein – an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums, der Fraktionen und der Länder, die hierzu maßgeblich beigetragen haben. Jetzt überrasche ich Sie: Ich will auch ausdrücklich meiner stellvertretenden Ausschussvorsitzenden, Daniela Kluckert von der FDP, danken, die auch in der Findungskommission war, auch wenn die FDP das Ergebnis jetzt nicht mitträgt. Böse Stimmen könnten geneigt sein, zu sagen: Das zeigt, dass wir einen guten Kompromiss gefunden haben. Liebe Kollegen von der Linken, ich möchte hinzufügen: Ich habe mit dem Bundesverband Taxi und Mietwagen telefoniert, und er hat sich bei uns bedankt. Ich weiß nicht, wen Sie bei den Taxiverbänden meinen; aber die, die in Taxiverbänden organisiert sind, danken uns für das, was wir erreicht haben. Also: Uns Grünen geht es um mehr Mobilität, weniger Verkehr. Verkehrswende bedeutet: umweltfreundliche Alternativen stark machen. Dazu gehören die Pooling-Dienste, die wir jetzt freigeben. Sie haben das Potenzial, dafür zu sorgen, dass ein Auto, das im Schnitt drei oder manchmal mehr Plätze spazieren fährt, dank Apps, die mit Algorithmen arbeiten, künftig viel effizienter genutzt werden kann. Wir schaffen auch Regeln für Fahrdienste wie Uber: Dank unseres Drucks gibt es jetzt eine mehrfache Sicherung, die Escape-Klausel, die den Kommunen die Möglichkeit gibt, Dumping und Marktverdrängung zu beenden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Lieber Kollege Özdemir, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Lutze?

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es die Zeit hergibt, gerne.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Cem Özdemir, wir haben sicherlich mit denselben Taxiverbänden gesprochen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle klipp und klar: Logischerweise sind sie dankbar. Wenn aus einer Gesetzesinitiative, die völlig unterirdisch war, eine Gesetzesinitiative wird, die nicht mehr ganz so unterirdisch ist, dann sind die Betroffenen erst mal dankbar, weil das Schlimmste abgewendet werden konnte. Deswegen ist das aber noch lange kein gutes Gesetz; es ist ein fauler Kompromiss, um den es hier heute geht. ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unser Kollege Stefan Gelbhaar hat ja schon deutlich gemacht: Das ist nicht unser Gesetzentwurf; der Gesetzentwurf kommt aus dem Bundesverkehrsministerium. Wir stellen den Minister bekanntermaßen nicht; ich hoffe, das ändert sich eines Tages. ({0}) Wir haben dieses Gesetz gründlich umgeschrieben. ({1}) Dass das gut gelungen ist, wird uns nun von unterschiedlichsten Seiten öffentlich bestätigt. Der Dank gebührt ja nicht nur uns – das will ich ausdrücklich sagen –, auch die Sozialdemokraten, die Länder haben daran ganz stark mitgewirkt. Ich finde, wir haben alles in allem einen sehr guten Kompromiss hingekriegt. Lassen Sie uns doch einfach mal schauen, wie es angenommen wird, wie es wirkt, ob die Kommunen das umgesetzt bekommen. Ich finde, wir haben mit der doppelten Absicherung Sozialstandards geschaffen. Das gilt für Kommunen mit bis zu 100 000 Einwohnern; darunter ist doch das Modell Uber gar nicht wirtschaftlich. Wirtschaftlich ist es erst ab einem Marktanteil von 25 Prozent; Sie wissen, in Berlin liegen sie deutlich über 25 Prozent. Das heißt, wir haben, finde ich, mehr herausgeholt, als uns jeder zugetraut hat. Ich finde, in diesem Fall kann auch die Opposition, die sonst meistens alles schlecht findet, ruhig mal zugeben: Das habt ihr gut gemacht. Jetzt überprüfen wir die Wirkung, und wenn sich Lücken ergeben, werden wir gemeinsam dafür sorgen, dass diese Lücken geschlossen werden. Das ist doch ein vernünftiges Arbeiten. ({2}) Meine Damen, meine Herren, ich komme zum Schluss. Ich will schon darauf hinweisen: Was hätte man in der Verkehrspolitik noch alles erreichen können, wenn wir in diesem Haus auch bei anderen Gesetzesvorhaben in der Verkehrspolitik so gearbeitet hätten? – Ich glaube, die Verkehrswende schaffen wir nicht mit 51 Prozent gegen 49 Prozent. Dabei geht es um die Unternehmen, um die Belegschaften, um Planungssicherheit, um Investitionssicherheit, vor allem aber geht es um Klimaschutz. Darum meine Bitte, meine Einladung: Hören Sie nicht auf die! Verkehrswende ist kein Kulturkampf. Verkehrswende ist Modernisierung, und die Jahrhundertaufgabe heißt Klimaschutz. Lassen Sie uns da künftig bitte stärker zusammenarbeiten. Danke sehr. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Cem Özdemir. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Michael Donth. ({0})

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Novelle am heutigen Tag fällt mir persönlich ein großer Stein vom Herzen. Wir haben das geschafft, was immer wieder auch angezweifelt wurde, was der eine oder andere vielleicht sogar verhindern wollte: Wir novellieren heute das Personenbeförderungsgesetz und führen es ins digitale Zeitalter. ({0}) Wir haben einen guten Kompromiss gefunden, der uns und die Sache voranbringt; auch wenn jeder Einzelne dafür bei seinen Wünschen Abstriche in Kauf nehmen muss. Ich möchte aber betonen – ich habe es im Ausschuss schon gesagt –: Wir haben bei der Entstehung dieses Gesetzes gestritten. Aber wir haben „ed ghändelt“. Der Schwabe kennt den Unterschied: Beim Streiten geht es um die Sache, beim Händeln geht es um Persönliches. Persönlich wurde es nicht. Wir hatten konstruktive Debatten, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. ({1}) Heute bringen wir dieses Gesetz zum Abschluss, schnaufen tief durch und starten dann morgen mit der Ausarbeitung der Mobilitätsdatenverordnung. Da sind jetzt erneut die Vertreter von Branchen, Ländern und Kommunen gefragt, gemeinsam mit dem Ministerium die Leitlinien, die wir für die Digitalisierung des ÖPNV vorgeben, umzusetzen, damit sie in greifbare, konkrete Vorschriften gegossen werden können, mit den Zielen, Datenschutz für Kunden und Unternehmen zu gewährleisten, einen Datensalat zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die neuen Verpflichtungen auch keinen Anbieter im Markt überfordern. Mit unserer Entschließung drängen wir auch auf die Überarbeitung der Freistellungs-Verordnung und auf die Vorlage eines Gutachtens zu Sozialstandards. Das wird dann unsere Nachfolger in der 20. Wahlperiode des Bundestages beschäftigen. Klar sagen kann ich aber heute schon: Mit der Union wird es eine weitere Diskussion über Sozialstandards nur im Paket mit dem Erhalt der eigenwirtschaftlichen Verkehre geben. Ohne die privaten Busunternehmen würde es den öffentlichen Nahverkehr im Land und vor allem auf dem Land nicht geben. ({2}) Zurück zu unserem heutigen Gesetz. Wer Pflichten auferlegt bekommt – das war schon mehrfach Thema –, muss auch Rechte haben. Die richtige Balance aus Rechten und Pflichten findet man aber nur dann, wenn sich alle Beteiligten auch daran halten und Verstöße konsequent geahndet werden. Die Rückkehrpflicht für Mietwagen ist im Personenbeförderungsgesetz nichts Neues. Neu ist, dass die Kontrollierbarkeit durch Digitalisierung und eine analoge Kennzeichnungspflicht entscheidend verbessert wird. Umso mehr ärgert es mich aber, wenn dieses heute schon geltende Recht offensichtlich in Berlin kaum kontrolliert wird und sich ein Wildwuchs im Taxi- und Mietwagengewerbe breitmacht, über den sich dann die ehrlichen Unternehmer völlig zu Recht beschweren. Andere Großstädte in Deutschland kennen diesen Protest und die Probleme in dieser Form wie in Berlin nicht. Überall gilt das gleiche Personenbeförderungsgesetz. Aber anderenorts wird offensichtlich durchgegriffen. Würde das in Berlin auch funktionieren, hätten wir uns einige der neuen Regeln und viele Diskussionen und Anfeindungen sicherlich ersparen können. Mit diesem Gesetz bekommen die Genehmigungsbehörden zahlreiche neue Regelungsmöglichkeiten. Sie können entscheiden, welche Verkehrsformen sinnvoll für ihre Bürger und deren Mobilität sind und wie sie damit zur Verbesserung des Angebots beitragen wollen. Sie können auch nachsteuern, wenn es vor Ort etwa Ungleichgewichte geben sollte. Aber sie müssen diese Regeln dann konsequent auf ihre Einhaltung hin kontrollieren und bei Verstößen auch sanktionieren. Ich möchte denjenigen Kollegen, die in den Kreistagen oder Stadträten in der Verantwortung sind, Mut machen, sich die neue, große Palette einmal anzuschauen: Sie haben eine Palette an Gestaltungsmöglichkeiten, und auf dieser Basis können sich auch ganz neue Formen des öffentlichen Nahverkehrs entwickeln. Ein gutes Gesetz, lieber Detlef Müller! Deshalb: Stimmen Sie diesem heute mit großer Mehrheit und freudig zu. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Michael Donth. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Kirsten Lühmann. ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! Wenn ich sonntagabends um 23.30 Uhr hier in Berlin ankomme – meine Wohnung ist in Mitte –, habe ich die Wahl zwischen U‑Bahn, S‑Bahn, Straßenbahn, Bus, Taxi und sogar Carsharing. ({0}) Wenn ich heute Abend um 22.30 Uhr mit dem Zug in Unterlüß ankomme, dann kann ich das Taxi nehmen, wenn der Zug pünktlich ist. Wenn er das nicht ist, sind wir nämlich außerhalb der vom Kreistag festgelegten Betriebspflicht. Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir sind uns doch einig: Eine Mobilitätswende kann nur gelingen, wenn wir einen stärkeren, einen besseren öffentlichen Personenverkehr haben, und dazu müssen wir ihn attraktiver machen. ({1}) Mit der Reform des PBefG haben wir jetzt den Grundstein dafür gelegt. Wir berücksichtigen dabei, dass die Wege und die Instrumente zur Erreichung unseres Ziels unterschiedlich sind. Wie ich dargelegt habe, ist Unterlüß nicht Berlin, und das Ruhrgebiet ist nicht die Uckermark. Daher haben wir in diesem Gesetz Möglichkeiten geschaffen. Unser Ziel ist es, dass die Genehmigungsbehörden in die Lage versetzt werden, passgenaue Modelle für die jeweilige Region zu genehmigen. Das ist für uns als SPD eine ganz wichtige Weichenstellung in diesem Gesetz. ({2}) Aber es geht nicht nur um Regeln; es geht auch um Steuerung, es geht um Eingreifen bei Fehlentwicklungen bis hin zum Entzug der Genehmigung. Voraussetzung dafür ist aber, dass Mobilitätsdaten vorliegen. Bisher fanden Kontrollen persönlich vor Ort statt. Das war zeitintensiv, das war wenig effektiv. Das sehen wir daran, wie wenig die Rückkehrpflicht bis jetzt kontrolliert werden konnte. Jetzt bekommen wir die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts: Automatisch werden alle Mobilitätsdaten – keine Kundendaten – übermittelt, sie werden automatisch mit Algorithmen ausgewertet, und die entsprechende Behörde bekommt direkt den Hinweis auf den Verstoß und kann ihn dann auch ahnden. Aber solche Daten brauchen wir auch zur Steuerung: Wie ist das Verhältnis von Taxi- zu Mietwagenfahrten? Wie hoch ist die Pooling-Quote, also wie oft sitzen mehrere Menschen in einem Auto? Die Einzelheiten dazu wird die Mobilitätsdatenverordnung regeln. Sie wird in drei Monaten fertig sein. Dann tritt nämlich auch dieses Gesetz in Kraft. Und klar ist: Alle müssen Daten liefern, auch die genehmigungsfreien reinen Vermittlungsplattformen. Das ist ein Schlupfloch, das wir gestopft haben, und das ist auch gut so. ({3}) Auf dieser Grundlage können die Kommunen jetzt Regelungen erlassen. Welche denn? Wir haben schon einiges gehört: Mindestentgelte, um Dumping zu verhindern, Elektroautoquote für den Klimaschutz, die Pooling-Quote, die ich eben angesprochen habe, aber auch Vorschriften zur erweiterten Barrierefreiheit und – liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ganz wichtig für uns als SPD – natürlich auch Sozialstandards. Beim Busverkehr können wir das schon über Nahverkehrspläne regeln. Jetzt geht das auch bei Pooling-Anbietenden und in größeren Städten auch im Mietwagenbereich. Das gibt den Räten und Kreistagen erhebliche neue Möglichkeiten. Um diese nutzen zu können, ist natürlich Wissen erforderlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unsere Aufgabe: Wir müssen jetzt für die Möglichkeiten dieses Gesetzes werben; wir müssen das in den Kreistagen, in den Gemeinderäten, in den Stadträten, wo wir Delegierte sind, kundtun. Wir müssen auch Informationen für Mandatstragende auf der Kreisebene verteilen, damit dort die Möglichkeiten, die wir hier im PBefG schaffen, genutzt werden können. Denn der ÖPNV ist nicht nur wichtig für unser Klima; er ist auch wichtig für den Lebenswert der Regionen, in denen wir wohnen. ({4}) Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Die Instrumente sind jetzt da. Herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kirsten Lühmann. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einer Stunde Debatte ist alles gesagt über ein hervorragendes Gesetz. ({0}) Ich sage Danke schön allen, die mitgewirkt haben, und ich beginne mit dem Minister. Warum beginne ich mit ihm? Weil er den Mut hatte, die Findungskommission einzusetzen. Sie war ja nicht ganz unumstritten, sowohl in der Koalition als auch in der Opposition. Ich kann mich an die ersten Runden erinnern, die nicht immer ganz einfach waren. Ich sage Danke schön für die Findungskommission, mit der wir diese Breite erreicht haben, mit der wir ein solches großes Vorhaben in zwei Jahren umsetzen konnten. Danke! ({1}) Ich sage Danke für Professionalität und Ausdauer. Da muss ich jetzt die FDP dann doch ausnehmen. Sie war zwar auf Länderseite ausdauernd und mit Professionalität dabei; aber hier ist es ein bisschen schwieriger. Wir haben doch ein digitales Update, wir haben einen fairen Ausgleich, wir haben urbane Mobilität im Blick, und wir haben die ländlichen Räume im Blick. Denn nur, wenn man es im Ganzen denkt, ist es wirklich ÖPNV, meine Damen und Herren. ({2}) Wir geben den Kommunen mehr Möglichkeiten. Ja, das tun wir hier alle gerne, weil wir wissen, dass man in den Kommunen weiß, worauf man ganz speziell vor Ort achten muss. Da sind Sie von der FDP halt nicht so oft dabei, aber von uns ganz viele – hier etliche, da einige. Insofern sind die Kommunen die richtigen Ansprechpartner auch für dieses Gesetz. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mehrwert für den urbanen Raum wurde mehrfach beschrieben. Was den Mehrwert auf dem Land angeht, steht fest: Wir brauchen mehr ÖPNV als nur einen Schulbus, der in der Früh voll in die Schule fährt und nachmittags voll nach Hause. ({4}) Wir brauchen das Modell dazwischen; wir geben die Chance für das Modell dazwischen. Das ist etwas, was man mit reinem Markt nicht hinbekommt; aber das werden Sie von der FDP nicht mehr begreifen. Das ist das, was wir mit diesem ÖPNV-Gesetz, dem Personenbeförderungsgesetz, schaffen. Deswegen sind wir froh, dass es gelungen ist. Ich sage noch mal Danke – dem Minister und all denen, die mitgewirkt haben. Und ich sage Danke im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und der Umwelt. Es ist ein gutes Gesetz für alle in Deutschland. Danke schön. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, lieber Ulrich Lange. – Damit schließe ich die Aussprache.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Das ist ein Stück Gegenwart und Zukunft der deutschen und europäischen Industrie: eine monokristalline Siliciumzelle. ({0}) Sie ist für die Raumfahrt entwickelt worden. Die eigentliche Zelle ist hauchdünn wie ein Blatt Papier. Sie wird von deutschen Unternehmen sehr erfolgreich verbaut. Das ist Halbleitertechnologie vom Feinsten. Früher haben wir so etwas auch in Deutschland gefertigt. Ja, wenn die Rahmenbedingungen passen, dann hat auch die Solarindustrie in Deutschland endlich wieder eine Zukunft. ({1}) Der wirklich entscheidende Punkt für den Industriestandort ist aber folgender: Mit Photovoltaik lässt sich günstiger Strom produzieren. Nur noch 40 US-Dollar pro Megawattstunde kostet Solarstrom an guten Standorten, Tendenz fallend, und das seit Jahren. Mit Exponentialkurven kennen wir uns ja inzwischen aus: Bei den Stromgestehungskosten von Strom aus Erneuerbaren weisen die Exponentialkurven seit Jahren konsequent in eine Richtung, nach unten. ({2}) Solarzellen, Windräder, das ist keine Rocket Science mehr, sondern das ist die Basistechnologie für die Zukunftsfähigkeit der Industrie in Deutschland; ({3}) denn Strom aus Erneuerbaren ist die Voraussetzung für die Dekarbonisierung der Industrie. Diese Technologie ist die Voraussetzung dafür, dass industrielle Prozesse, ob in der chemischen Industrie oder in der Stahlindustrie, zukünftig ohne Kohle, ohne Erdöl, ohne fossiles Erdgas auskommen können, und sie ist natürlich auch die Voraussetzung dafür, dass stromintensive Prozesse in der Nichteisen-Metallindustrie, in der Automobilindustrie, im Maschinen- und Anlagenbau klimaneutral ablaufen können. ({4}) Auch wenn manche in diesem Haus es immer noch nicht begriffen haben: Die Dekarbonisierung der Industrie ist die zentrale Voraussetzung für ihre Zukunftsfähigkeit. ({5}) Die Industrie in diesem Land ist mittlerweile längst weiter als mancher hier. Vor wenigen Wochen hat sich ein Bündnis aus führenden DAX-Konzernen und der Agora Energiewende gegründet. Die Botschaft ist: Wir wollen als Industrie mehr Klimaschutz. ({6}) Wer aber die Energiewende seit Jahren so ausbremst wie der Bundeswirtschaftsminister, der gefährdet auf Dauer den Industriestandort Deutschland. Ich sage es auch Ihnen von der Union ganz klar: Wir brauchen grünen Strom für die Industrie. Die Industrie will die Energiewende, also handeln Sie endlich entsprechend. ({7}) Die Industrie braucht nicht nur grünen Strom, sondern sie braucht auch Grünen Wasserstoff. Eine Dekarbonisierung bei der Luftfahrt, beim Stahl, in der Chemie, beim Schiffsverkehr, im Schwerlastverkehr werden wir ohne Grünen Wasserstoff nicht hinbekommen. Deswegen schlagen wir in unserem Antrag vor, dass wir das Ziel von 5 Gigawatt Elektrolyseleistung für Wasserstoff bis 2030 verdoppeln. Wir brauchen hier bessere Anstrengungen. ({8}) Die Unternehmen im Land sind bereit, die ökologische Modernisierung mutig und entschieden anzupacken. Was sie von uns in der Politik dafür brauchen, sind verlässliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit. Dazu zählen natürlich auch geeignete Rahmenbedingungen für den Bereich der klimaverträglichen Anlagen. Damit die Industrie die entsprechenden Investitionen tätigen kann, braucht es aber Instrumente wie Carbon Contracts for Difference, die die Differenz zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten ausgleichen, um kurzfristige Wettbewerbsnachteile auszugleichen. ({9}) Sie haben es ja noch nicht einmal geschafft, ein Pilotprojekt in diesem Bereich voranzutreiben. Also, auf der einen Seite brauchen wir Investitionszuschüsse für den Ersatz fossiler Technologien, und auf der anderen Seite brauchen wir eine konsequente Streichung von Subventionen in umwelt- und klimaschädliche Produktionsweisen. ({10}) Wir brauchen ein Ende der Steuerbefreiung bei Kerosin und des Dieselprivilegs. ({11}) Die Herausforderung der Klimakrise müssen Industrie und Politik im Land gemeinsam angehen. Mit einer grünen Industriepolitik wollen wir in Deutschland zum Leitmarkt für Material- und Energieeffizienzlösungen werden und die Kreislaufwirtschaft stärken. Wir müssen Geld in die Hand nehmen, um Recyclinganlagen nach dem besten Stand der Technik auszurüsten. Was für eine wahnsinnige Chance: langfristig ein Leben ohne Müll. ({12}) Und für die Industrie besteht die Chance, mit unseren Techniken und Anlagen weltweit zu punkten. In der Kreislaufwirtschaft geht es aber auch darum, Produkt- und Materialpässe einzusetzen. Dann wissen die Kundinnen und Kunden nicht nur, was beispielsweise alles in ihrem Fernseher drinsteckt, dann wird nicht nur das transparent, vor allem lassen sich die verarbeiteten Rohstoffe dann sachgerecht trennen und wiederaufbereiten. Nicht zuletzt braucht eine gute Industriepolitik endlich eine aktive Gestaltung der Digitalisierung in Deutschland. ({13}) Es ist ja schön, wenn die Bundeskanzlerin sich jetzt mit den in der Digitalisierung führenden Nationen Europas – Dänemark, Estland, Finnland – in einem Brief an die Öffentlichkeit wendet: für mehr digitale Souveränität. Aber wo war sie denn bitte die letzten 15 Jahre? Es ist doch grotesk, was wir in Deutschland in der Digitalisierung versäumt haben. ({14}) Eine gute Industriepolitik setzt auch auf eine faire Handelspolitik. Menschenrechte sind wichtige Kriterien in Handelsverträgen und dürfen nicht runterfallen, ebenso nicht das Pariser Klimaschutzabkommen. ({15}) Wir müssen auch die Beschäftigten mitnehmen. Deswegen schlagen wir vor, die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung auszubauen und das Recht auf Weiterbildung und soziale Absicherung darin zu verankern. ({16}) Wir dürfen natürlich auch nicht naiv sein. Wir stehen in einem geopolitischen Wettbewerb. Auf der einen Seite haben wir durch die Entwicklung in den USA jetzt etwas Luft zum Atmen; aber auch ein Präsident Biden wird eine Buy-American-first-Politik vorantreiben. Das heißt, bei Fragen der digitalen Souveränität – Halbleiter, Cloudcomputing, digitale Plattformen – können wir zerrieben werden zwischen den USA und China. China hat gerade seine 2025-Strategie aufgeworfen. China geht es immer mehr darum, im Land zu produzieren und auch deutsche Unternehmen nicht mehr so zu beteiligen wie in der Vergangenheit. Das heißt, es wird ganz essenziell sein, dass wir auf europäischer Ebene zusammenarbeiten, dass wir jetzt die Weichen stellen, dass wir eine aktive Industriepolitik betreiben, dass wir wahrnehmen, dass wir als Europäische Union der größte Binnenmarkt, der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt sind.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber das heißt auch: Klimaschutz und Industrie konsequent zusammen denken. In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion und danke für das Zuhören. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Janecek. – Nächster Redner ist der Kollege Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über zwei Anträge, einen von den Grünen, einen von der FDP. Mit den Kollegen der Grünen will ich mal anfangen. Als ich mir Ihren Antrag angeschaut habe, der relativ umfangreich ist, hatte ich die Assoziation „Leipziger Allerlei“ im Kopf: ({0}) Da steckt eine Menge drin, schmeckt meistens ganz okay bis sogar ganz gut; aber das hat es alles schon mal gegeben. – So in etwa ist Ihr Antrag. Die Energieeffizienz in Industrie und Mittelstand muss gefördert werden. – Ja. Ein Forschungsprogramm für klimaneutrale Technologien soll es geben. – Auch richtig. Der Ausbau von 5 G muss erfolgen, und es muss ein Update für das Breitbandförderprogramm geben. – Ja, das ist unbestritten richtig. Wir wollen die Förderung von Super- und Quantencomputing; Sie wollen das auch und schreiben es in Ihren Antrag. Sie fordern eine europäische Cloudinfrastruktur. – Zustimmendes Nicken bei der Unionsfraktion. Sie wünschen sich einen Ausbau und eine Stärkung der erneuerbaren Energien. – Ja. – Damit will ich es erst mal belassen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was haben denn diese Forderungen gemeinsam? ({1}) Sie haben gemeinsam, dass sie richtig sind, dass sie in Ihrem Antrag stehen und dass die Bundesregierung sie bereits umsetzt. ({2}) Meine Damen und Herren, da ist mir folgender, etwas laxer Spruch eingefallen: Machen ist wie Wollen, nur noch krasser. – Sie sind die Wollenden, und wir sind die Macher. Meine Damen und Herren, ich will das im Weiteren gerne am Beispiel der Förderung von Energieeffizienz in der Industrie ausführen. Da haben wir bereits ein breites Maßnahmenbündel. Mit der Energieeffizienzstrategie 2050 hat die Bundesregierung einen ambitionierten Plan vorgelegt. Sie hat gezeigt, dass wir im Vergleich zu 2008 den Primärenergieverbrauch um 30 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent senken wollen und Wege aufgezeigt. Wir wollen Deutschland zur energieeffizientesten, zur energieproduktivsten Volkswirtschaft der Welt entwickeln, und wir sind damit genau auf Kurs. Meine Damen und Herren, die Bundesförderung für Energieeffizienz in der Wirtschaft ist ein großer Erfolg. Wir fördern hocheffiziente Anlagen in industrieller und gewerblicher Anwendung. Wir fördern beispielsweise kluge Lösungen im Bereich der Prozesswärme. Alles, was es gibt, kann noch ein bisschen besser werden; das will ich freimütig einräumen. Ich wünsche mir zum Beispiel, dass wir die industrielle Abwärmenutzung noch viel attraktiver und wirkungsvoller ausgestalten. Das ist echte CO2-Vermeidung. ({3}) Meine Damen und Herren, wenn wir auf den Sektor der Energieeffizienzbranche schauen, dann reden wir nicht nur über Klimaschutzmaßnahmen und CO2-Reduzierung. Wir reden über einen der wachstumsstärksten Bereiche in unserer Volkswirtschaft, und wir reden über weit mehr als 600 000 Beschäftigte. Ich gehe zu den Erneuerbaren; das Thema hat der Vorredner aufgegriffen. Ich finde, das sollte man hier durchaus mal sagen: 300 000 Beschäftigte arbeiten in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien. Zusammengenommen mit den im Bereich der Energieeffizienz Tätigen sind das 1 Million Arbeitsplätze. Das ist für uns als Union wichtig, und es zeigt auch große Erfolge. 2019 betrug der Anteil der Erneuerbaren bereits 42 Prozent und stieg um satte 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Meine Damen und Herren, deutsche Unternehmen sind Weltmarktführer, und das fußt auf einer klugen Industriepolitik in diesem Bereich. Im Jahr 2030 werden wir mehr als 65 Prozent des benötigten Stroms aus erneuerbaren Quellen erzeugt haben. Das ist aktive Klimaschutzpolitik, die von der Union vorangetrieben wird. ({4}) Wir treiben auch die Wasserstoffwirtschaft voran. Da ist ein Datum recht bemerkenswert: 2006 ist das Nationale Investitionsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie aufgelegt worden – im Übrigen genau ein Jahr, nachdem Sie die Bundesregierung verlassen haben. Da zeigt es sich also, dass neue Kräfte innovativer vorgehen. Wir fördern das bis heute. ({5}) Grundlagenforschung zu Grünem Wasserstoff fördern wir bis 2023 mit weiteren 310 Millionen Euro. Es gibt etliche Reallabore der Energiewende. Wir haben im Bereich des Nationalen Dekarbonisierungsprogramms dafür gesorgt, dass wichtige Kernindustrie wie beispielsweise die Stahlindustrie künftig CO2-arm oder bilanziell CO2-frei produzierten Stahl anbieten kann. ({6}) Das passiert bei mir vor der Haustür im Braunschweiger Land beispielsweise bei der Salzgitter AG oder bei der Peiner Träger GmbH. Da sind die Fördermittel hervorragend eingesetzt; das ist Dekarbonisierung made in Germany. Wir haben in der aktuellen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes hierfür die Grundlage geschaffen. ({7}) – Gerne.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich sehe, Sie lassen eine Zwischenfrage zu.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne. Ich freue mich darauf.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Müller, vielen Dank, dass Sie die Nachfrage zulassen. – Sie haben eben in Ihrer Rede gesagt: Machen ist wie Wollen, nur krasser. Jetzt haben Sie auch über die Dekarbonisierung der Industrie gesprochen, die aus Ihrer Sicht ja so wichtig wäre. Deswegen will ich Ihnen die Gelegenheit geben, mir zu sagen, was Sie da machen und nicht wollen. Die Industrie hat Ihnen in dieser Woche einen Brief geschrieben, in dem steht: Fehlender Klimaschutz ist ein Standortrisiko. – Wenn ich als CDU einen solchen Brief bekäme von thyssenkrupp, BASF, Covestro und HeidelbergCement mit der Aufforderung: „Endlich mal machen und nicht nur wollen!“, fände ich das als CDU schon ein bisschen peinlich. Können Sie mir daher ganz konkret sagen: Sollen die Carbon Contracts for Difference, die die Chemieindustrie will und die auch die Stahlindustrie will, bis zum Ende dieser Legislaturperiode noch kommen? Oder ist das auch eher was für die Rubrik „Wollen“? ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrte Kollegin, ich hatte eigentlich in Erinnerung, dass Sie an den entsprechenden Anhörungen des Deutschen Bundestages im Fachausschuss teilgenommen haben. Dort ist das Thema Carbon Contracts for Difference diskutiert worden. ({0}) Es ist objektiv nicht die beste und vor allen Dingen nicht die marktnächste Lösung. ({1}) Wir haben hervorragende Erfahrungen damit gemacht, dass wir die erneuerbaren Energien in der Anschubphase fördern und unterstützen, regulatorische Hemmnisse aus dem Weg räumen, dabei allerdings darauf achten, sie schnellstmöglich an Marktbedingungen heranzuführen. Das, was Sie wollen, ist bedauerlicherweise das Gegenteil. Ich will Ihnen einen Beleg für den Erfolg der Klimapolitik der unionsgeführten Bundesregierung geben. ({2}) Wir schauen beispielsweise: Ist es uns gelungen, die CO2-Minderungsziele zu erreichen? ({3}) Ich erinnere mich an Diskussionen vor Jahresfrist, als Sie gesagt haben: Gibt es alles gar nicht, vollkommen unerreichbar, krachendes Verfehlen der Ziele – alles falsch. ({4}) Schon vor Corona waren wir vollständig auf Zielerreichungskurs, und jetzt haben wir ihn durch die bedauerliche Pandemie übererfüllt. Das war so nicht gewollt. ({5}) Wir waren aber zu jedem Zeitpunkt auf Zielerreichungskurs, und das ist der Beleg für die Leistungsfähigkeit dieser Regierung. ({6}) Meine Damen und Herren, 5 G ist angesprochen worden. Das ist wichtig, vor allen Dingen, wenn wir an die ländlichen Räume denken. Das bietet dort Entwicklungsmöglichkeiten auch für kleine und mittelständische Unternehmen und dient dazu, Sensorik beispielsweise bei Fertigungsprozessen einzusetzen. Auch das ist wieder ein ganz wichtiges Thema der Energieeffizienz. Auch vorausschauende Unterhaltungen sind sinnvoll und wirtschaftlich einzuplanen. Das Thema Breitbandausbau wurde in den letzten Jahren oft diskutiert. Es könnte schneller gehen; aber ich will eines sagen: Es ist schon erheblich beschleunigt worden. Die Bundesregierung hat dazu beigetragen, dass wir innerhalb eines Jahres die Versorgung mit Gigabitanschlüssen um 20 Prozent erhöhen konnten. Die Bundesregierung – dafür bin ich wirklich dankbar – hat es auch hinbekommen, dass Deutschland als erstes Land in der EU dort fördern kann, wo wir bislang noch keine Gigabitversorgung haben. Das ist ein großer Schritt nach vorne. ({7}) Ich schlage noch den Bogen zum Thema Quantencomputing. Das ist absolut wichtig, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu erhalten. Das Gleiche gilt für das Thema Gaia-X; ich hatte es schon angesprochen. Ich will abschließend die Gelegenheit nutzen, zwei mir wichtige energiepolitische Punkte aufzuzählen. Zum einen – da bin ich mit den Grünen vollkommen überein – müssen wir dafür sorgen, dass wir im EEG künftige Fehlanreize, die der Energieeffizienz im Wege stehen, zur Seite räumen. Es darf nicht sein, dass die besondere Ausgleichsregelung Fehlanreize liefert. Daran muss gearbeitet werden, gerne auch zusammen. Ein besonderes Herzensanliegen von mir ist, dass wir die Diskriminierung von Energiedienstleistern künftig beseitigen. Das würde den Energieeffizienzmarkt wirklich beflügeln, erhebliche Arbeitsplätze und vor allen Dingen Klimaschutz etablieren und eine resistente Volkswirtschaft aufsetzen. Denn eines ist klar: Wir produzieren viele industrielle Güter.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist regelmäßig energieintensiv, und deswegen kommt es gerade auf die Energieeffizienz, die Energieproduktivität an. Wir sind dort auf einem guten Kurs –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und können durchaus noch etwas besser werden. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Leif-Erik Holm, AfD-Fraktion. ({0})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht also heute um das große grüne Wunschkonzert, die ökosoziale Transformation. Klingt irgendwie nach dem großen Sprung nach vorn. Das kennen wir alles aus China. Es hat damals nicht funktioniert, und es wird auch heute nicht funktionieren. ({0}) Dieser Antrag zeigt das ganze Zerstörungspotenzial der grünen Ideologie. Ich rede hier nicht von echtem Umweltschutz, denn der ist natürlich absolut wichtig und ein konservatives Anliegen; aber das, was die Grünen daraus machen, das führt uns in die wirtschaftliche Katastrophe. ({1}) Die Union ist schon jetzt voll dabei. Carsten Müller, Sie haben es gerade offen gesagt: Die Grünen wollen, die Union macht. – Das stimmt. Sie tanzen schon jetzt nach deren Pfeife, und was soll das erst in der kommenden Regierung werden! ({2}) Billionen Euro wird diese Transformation kosten – als hätten wir nicht gerade andere Probleme: Millionen Menschen bangen um ihre Jobs, Hunderttausenden Unternehmen droht die Pleite. Es geht doch darum, jetzt endlich wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Wir brauchen nicht noch neue Hirngespinste, die unsere Unternehmen entnervt ins Aus oder ins Ausland treiben. ({3}) Wir brauchen jetzt einen Aufbruch für Deutschland; kurz: AfD. ({4}) Wir brauchen schnelle Hilfen. Wir brauchen ein Ende des Lockdowns. Wir brauchen niedrige Steuern, weniger Bürokratie, dafür Gründergeist. ({5}) Die drei großen I sind es: Infrastruktur, Innovation, Investition. Wir jedenfalls wollen den Aufbruch für Deutschland und nicht noch mehr planwirtschaftlichen Ökoirrsinn. ({6}) Die grünen Pläne in Sachen Energie und Industrie führen auch zu nichts, außer zu weiteren Verwerfungen in der Wirtschaft. Beispiel EEG: 2004 hat Ihr Umweltminister Trittin versprochen: Das kostet die Bürger nicht mehr als 1 Euro pro Monat, so viel wie eine Kugel Eis. Inzwischen ist diese Kugel Eis sehr, sehr teuer geworden. Sie kostet heute jeden Haushalt im Monat etwa 25 Euro. Der ganze Hokuspokus kann nur aufrechterhalten werden, weil die Bürger jeden Monat für diese verkorkste Energiewende blechen, und zwar jeden Monat, jedes Jahr mehr. ({7}) Wir sagen ganz klar: Dieser Spuk muss endlich ein Ende haben! ({8}) Nächstes Beispiel: Solarindustrie. Herr Janecek hat es schon angesprochen. Jetzt kommt der große Erfolg mit der Solarindustrie. Den hatten wir schon mal geplant. Das sollte ein ganz großes Ding werden; 2020 waren uns 150 000 Arbeitsplätze prophezeit. Heute sind es 29 000, und davon ist die Hälfte gefährdet. Der Grund ist klar: Wir können eben nicht billiger produzieren als China. ({9}) Wir sind ein Hochlohnland, und das wollen wir auch bleiben. Aber wir müssen technologisch vorne bleiben. Das ist der einzig gangbare Weg. – Das ist das Ergebnis Ihrer hysterischen Politik, die Sie mittlerweile fast alle mittragen. So fahren Sie unsere Wirtschaft gegen die Wand. Wir sehen das derzeit doch schon in der Automobilindustrie, das nächste Thema, das auf uns zukommt. „Wir möchten, dass die Menschen ihr Auto abschaffen“, sagt die Berliner Senatorin Günther. Und da ist man fast schon dankbar für die neue Bürgerinitiative in Berlin, die wenigstens noch zwölf private Fahrten pro Jahr erlauben will. Aber Entwarnung naht ja vom Grünenchef Habeck. Er sagt: Wir wollen doch nur der Industrie vorschreiben, welche Motoren zu welchem Zeitpunkt nicht mehr produziert werden dürfen. Da ist er wieder, der staatliche Plan, und auch die grüne Co-Vorsitzende Baerbock hakt ein und will eine E-Auto-Quote bei der Produktion, als wenn mehr Leute die unpraktikablen Stromer kaufen, wenn mehr davon auf dem Hof stehen. Ehrlich, wenn diese Truppe demnächst die Regierung stellen soll, wird mir angst und bange. ({10}) Es ist doch wirklich für jeden zu sehen: Die angeblich so tolle E-Mobilität führt in die Sackgasse. Es gibt keine überzeugenden Kaufargumente, außer vielleicht einer Kaufprämie. Die Emissionen sind in der Gesamtbilanz nicht besser als die eines modernen Verbrenners, und es kostet uns Hunderttausende wichtige, wertschöpfende Arbeitsplätze. Das alles ist die Folge grüner Ideologie, die die Realität völlig ausblendet. ({11}) Als Nächstes will die staatliche Planungskommission unter Minister Altmaier eine Batteriezellproduktion in Deutschland aufbauen. Viel Spaß beim nächsten Milliardengrab, das wieder der Steuerzahler finanzieren darf, siehe Solarindustrie! Es wird wieder schiefgehen. Das ist die sogenannte aktive Industriepolitik, die mit großer Zielgenauigkeit immer wieder gegen den Baum fährt. Und die Grünen wollen offensichtlich noch viel, viel mehr davon. Da rollen riesige Kosten auf die Wirtschaft zu: CO2-Steuer, Energiekosten, Ressourcenabgaben und, und, und. Viele Unternehmen werden das eben nicht auf Preise umlegen können, weil sie im weltweiten Wettbewerb stehen. Der nächste Schritt ist dann klar: Dann kommen die CO2-Zölle. Ausländische Unternehmen, die in die EU liefern, müssen dann mehr Abgaben zahlen. Und das ist natürlich sehr, sehr gefährlich. Wollen Sie wirklich, liebe Grüne, den CO2-Trump mit neuen Zöllen machen? Sie provozieren damit die nächsten Handelskriege, und das können wir uns als große Export- und Importnation wirklich nicht leisten. ({12}) Und worauf dürfen sich die Bürger noch so in einem Deutschland der Grünen freuen? Die 25 Euro teure Kugel Eis hatte ich schon angesprochen; dazu kommen Frauenquoten, Fleischsteuern und als Neuestes auch Eigenheimverbote. Wer wird sich in Zukunft überhaupt noch ein eigenes Häuschen bauen dürfen? Ich glaube, es wird in Zukunft mit dieser Verbotspartei schwierig: kein Haus, kein Auto, kein Spaß. Das ist die Politik der Grünen. ({13}) Und dann wird im Namen der Grünen vom Reichstagsportal sicherlich auch bald noch die Inschrift „Dem deutschen Volke“ abmontiert. Ich finde, das ist kein guter Plan für Deutschland. Meine Damen und Herren, die Gretaisierung der Politik hat Züge angenommen, die das Erfolgsmodell Deutschland massiv gefährden. Ich kann nur jeden in diesem Hause ermuntern, der noch wirklich bei Trost ist, sich endlich geradezumachen und diesen Quatsch nicht weiter mitzumachen. Unser Land braucht wieder eine rationale Politik, die natürlich Umweltschutz ernst nimmt, aber ebendiesen nicht als Geisel für eine ideologische Transformation missbraucht. Ich habe noch 30 Sekunden. Das gibt mir Zeit, Sie zum Schluss noch richtig in Wochenendlaune zu bringen. Ich freue mich darüber, dass das Amt für Verfassungsschutz gerade eine sehr schöne Klatsche bekommen hat. Das Verwaltungsgericht Köln hat entschieden, dass die AfD nicht als Verdachtsfall geführt werden darf. Damit hat auch das Treiben eines Verfassungsschutzpräsidenten ein Ende gefunden, der hier jetzt wirklich unlautere Methoden angewendet hat und diese Entscheidung einfach über die Presse durchgestochen hat. Das durfte er nicht. Das Gericht hat entschieden. Die Judikative ist der Exekutive regelrecht über das Mundwerk gefahren. Und das ist gut so, eine gute Entscheidung des Gerichtes, eine gute Entscheidung für die Demokratie! ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal, SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute wieder einmal hier im Bundestag über Industriepolitik diskutieren. Zu mehr als einem Fünftel trägt die Industrie zur Bruttowertschöpfung in unserem Land bei. Millionen von bestqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern finden in der Industrie ihre Arbeit, und vor allen Dingen haben wir dort tariflich abgesicherte Jobs mit einer hohen Mitbestimmung, mit hohen Umwelt- und Sozialstandards, und das sichert vor allen Dingen Innovationskraft. ({0}) In den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil von Exporten, der aus der Industrie kommt, fast verdoppelt. Dies unterstreicht die globale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und ihrer Produkte. Und die Industrie ist ein starker Anker in den Krisen. Wir haben das 2008/2009 in Deutschland erlebt, als gerade in der Wirtschaftskrise die Industrie gezeigt hat – und das sehen wir aktuell wieder –, welche Innovationskraft, welche Robustheit sie hat. Und sie ist nicht nur Motor, sondern auch Anker für Konjunktur und Innovation. ({1}) Und gerade jetzt in der Krisenzeit zeigt sich doch deutlich, dass der Staat und seine demokratisch legitimierte Politik als Einzige in der Lage sind, privates und öffentliches Kapital zu mobilisieren und Hilfsprogramme auf den Weg zu bringen, um aus der Krise herauszukommen. Darüber hinaus sind es klare Rahmensetzungen mit dem Klimaabkommen von Paris, mit den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, und daran wollen wir unsere Politik orientieren. Ja, es war auch die Reformkraft von Rot-Grün, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz durchgesetzt und den Ausstieg aus der Kernenergie ermöglicht hat. ({2}) Und es ist jetzt die kluge und weitsichtige Politik von SPD und Union, die den Ausstieg aus den fossilen Energien organisiert und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien fördert. Das zeigt: Wenn die SPD mitregiert, bleibt es innovativ, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Im Antrag der Grünen steht: Die Unternehmen haben sich auf den Weg gemacht, ihre Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle zu dekarbonisieren und zu digitalisieren. – Ja, das stimmt. Aber doch nicht freiwillig, sondern das ist deswegen passiert, weil wir mit klaren Rahmensetzungen in der Politik, mit einem Klimaschutzgesetz, mit Anreizen für Investitionen, für nachhaltige Produkte und nachhaltige Produktion Impulse für eine klimaschonende Produktion in der Industrie und in der Energieversorgung gesetzt haben. ({4}) Deshalb reicht es nicht, wie die Grünen und die FDP hierzu hohe Ansprüche in Anträgen zu formulieren, sondern es braucht Mehrheiten hier im Parlament, ({5}) und es braucht Vertrauen, Akzeptanz und soziale Balance, die für Veränderungen notwendig sind. Und da kann man sich nicht aus dem Staub machen, sondern muss in einer Regierung Verantwortung übernehmen. Das ist das, was man beweisen muss. ({6}) Und beim Regieren wird es natürlich sehr konkret. Der Beweis, den die Grünen in Baden-Württemberg beim Ausbau der erneuerbaren Energien bringen könnten, bleibt leider aus. Nichts passiert da beim Ausbau der Windenergie. ({7}) Und deshalb darf man nicht nur den Mund spitzen, sondern man muss auch pfeifen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Wir als SPD haben am Montag ein Zukunftsprogramm vorgelegt, das ziemlich klar beschreibt, was zu tun ist und welche Instrumente für eine nachhaltige und strategische Industriepolitik notwendig sind. Neben der Förderung von Innovationen und klimaneutraler Produktion wollen wir die EEG-Umlage abschaffen. Gerade das wird den Schub für Innovation, für geringere Strompreise, für den Aufbau von Elektrolysekapazitäten in diesem Land bringen. Und wir brauchen vor allen Dingen, damit das alles gelingt, eine Fachkräfteoffensive, gute Mitbestimmung und Tarifverträge. ({9}) Wir haben im Bereich der Energieerzeugung, des Energietransports und der Speicherung sowie einer effizienten Verwendung von Energie große Fortschritte gemacht. Diese Generation jetzt verfügt über so viel Wissen, über so viel Finanzkraft, über Ressourcen, über Rahmenbedingungen, dass wir den kommenden Generationen eine sichere Wohlstandsbasis, aber auch ein modernes Land mit einer klimaneutralen Zukunft gestalten können. Das globale Marktpotenzial für diese Produkte ist enorm, und das müssen wir erschließen. Dabei wollen wir nicht nur Zuschauer sein, sondern wir wollen unsere Industrie in den Stand versetzen, dass sie aktiver Anbieter von solchen Produkten ist, wir wollen Problemlöser werden, wir wollen First Mover werden, wie man so schön sagt, also „made in Germany“ für neue Technologien. ({10}) Ernst Ulrich von Weizsäcker, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat in seinem Buch „Wir sind dran“ be- und geschrieben, was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Die SPD hat die Kraft, die Ideen und auch den klaren Willen, sich dafür einzusetzen. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir organisieren Schutz im Wandel. Herzlichen Dank und Glück auf! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Westphal. – Das Wort hat nun der Kollege Reinhard Houben, FDP-Fraktion. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sind ja lernfähig. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist nach wie vor eine starke Industrienation mit einem BIP-Anteil der Industrie von ungefähr 27 Prozent. Der Antrag der Grünen zeigt: Sie wollen sich diesen Tatsachen gar nicht mehr verschließen. Sie wollen sich mit dem Thema Industrie auseinandersetzen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir uns der Bundestagswahl nähern. Aber unabhängig von all Ihren Motiven freuen wir uns darüber, dass Sie sich den wirtschaftspolitischen Realitäten in unserem Land langsam nähern wollen. Das eint uns. Aber, meine Damen und Herren, die deutsche Industrie steht aktuell erst einmal vor der Bewältigung der Coronakrise. Ich glaube, das steht in allen Unternehmen im Moment ganz oben auf der Agenda. Ich hoffe darauf, dass wir das bald erledigt haben. ({0}) Davon abgesehen sehen wir als FDP im Moment die größte industriepolitische Herausforderung darin, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. ({1}) Wir stehen am Übergang zur vierten industriellen Revolution. Die deutsche Industrie muss wettbewerbsfähig bleiben. Darum geht es in unserem Antrag. Aber ich möchte auf Ihren Antrag eingehen. Ich war ja wirklich gespannt, Herr Janecek: Es ist wirklich ein umfangreiches Papier. ({2}) Ich will mich jetzt einmal auf einen Punkt konzentrieren, weil ich die Kritik „Leipziger Allerlei“ nicht ganz so korrekt finde. Herr Janecek, Sie gehen darauf ein, dass im Grunde die Klimafrage über allem steht. Sie sagen: Die Industrie ist ein essenzielles Element für Klimaschutz. – Sie haben recht: Ja, es besteht großer Energiebedarf. Es entstehen prozessbedingt auch erhebliche Treibhausgase, etwa in der Stahlindustrie, aber auch in der Zement- oder der Chemieindustrie. Sie schlagen vor, dass wir die Emissionen durch Grünen Wasserstoff senken sollen. Ja, technologisch ist das der vollkommen richtige Weg. Aber wir müssen uns mit den Mengengerüsten auseinandersetzen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir im Jahr 2030 ungefähr 60 Gigawatt brauchen: Um nur die kritischsten Bereiche Zement, Chemie, Stahl, Mobilität in der Luft und Lkws – Sie haben es ja angesprochen – mit Grünem Wasserstoff zu bedienen, brauchen wir ungefähr 60 Gigawatt. Sie fordern jetzt eine Steigerung von 5 auf 10 Gigawatt. Optimisten sagen: Wir können in Deutschland auf 15 Gigawatt kommen, in Europa vielleicht auch auf 15 Gigawatt. Das heißt, wir haben 2030 eine Lücke von ungefähr 30 Gigawatt. Da müssen Sie bitte intern erst einmal die Frage klären, wie Sie zum Beispiel mit dem Blauen Wasserstoff und der CCS-Technologie umgehen wollen. ({3}) Sie als Fraktion müssen in Ihrer Argumentation auch stringenter werden. Es kann eben nicht sein, dass Sie einerseits Grünen Wasserstoff fordern und andererseits Ihre Kollegin Dr. Verlinden sagt: Jetzt, nachdem wir aus Atom und Kohle ausgestiegen sind, müssen wir auch aus Gas aussteigen. ({4}) Ich muss Ihnen sagen: Wir importieren zurzeit etwa 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Das müssen wir ja in irgendeiner Art und Weise auch noch kompensieren, und die Industrie braucht wegen der Investitionszyklen Gas als Übergangstechnologie. Deswegen müssen Sie in Ihrer Grünenfraktion bitte klären, wie Sie das Problem einfach mengenmäßig – das ist keine ideologische Frage – auflösen wollen. Meine Damen und Herren, wir haben es jetzt im Januar/Februar gemerkt: Versorgungssicherheit ist keine Floskel, und die Physik lässt sich nicht durch politischen Willen verändern. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Houben. – Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Digitalisierung, Dekarbonisierung und Klimawandel machen wegen Corona keinen Halt und keine Pause. Deshalb ist dringend notwendig, dass wir der Industriepolitik tatsächlich einen höheren Stellenwert zumessen. Herr Janecek, Ihren Antrag finden wir insoweit ganz gut, weil nun auch Sie unsere Forderung – letztes Jahr haben Sie sie noch abgelehnt oder sich enthalten – mit aufgenommen haben, dass wir für den sozial-ökologischen Umbau in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Investitionen von 500 Milliarden Euro brauchen. Das ist ein Fortschritt bei den Grünen. Den erkennen wir an, und viele einzelne Punkte sind auch unterstützenswert. Deshalb ist dieser Antrag für die Debatte sicherlich eine weitere gute Sache. Sie haben auch angesprochen, dass Sie Zweifel haben, ob das Wirtschaftsministerium den sozial-ökologischen Umbau gestalten kann. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Dieses Wirtschaftsministerium mit Herrn Altmaier kann keine Coronakrise, und es wird auch den sozial-ökologischen Umbau nicht gestalten können. Wir brauchen da im Herbst dringend einen Wechsel. ({0}) Wir sagen auch ganz deutlich: Wir brauchen in dieser Krise und in dieser Klimakrise einen handlungsfähigen Staat. Deshalb, Herr Houben: Der freie Markt, wie die FDP das will, regelt das nicht. ({1}) Wer auf den freien Markt setzt, wird den sozial-ökologischen Umbau verschlafen. Das kostet uns Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Deshalb braucht es hier ja einen aktiven Staat. Deshalb braucht es eine aktive Industriepolitik. Dafür steht auch meine Partei, Die Linke. ({2}) Deshalb sagen wir ganz deutlich: Es war sinnvoll, in der Coronakrise den Wirtschaftsstabilisierungsfonds aufzulegen. Dieser müsste aber jetzt zu einem Transformationsfonds ergänzt werden. Auf europäischer Ebene muss der Aufbaufonds mit Blick auf die Transformation ergänzt werden, damit europäische Industriepolitik und nationale Industriepolitik sich miteinander verzahnen können. ({3}) Wir brauchen diesen handlungsfähigen Staat auf allen Ebenen und auch in den Kommunen. Ich komme aus Rheinland-Pfalz. In keinem Bundesland geht es den Kommunen so schlecht wie in Rheinland-Pfalz. Deshalb müssen wir auch, liebe SPD, das Thema Altschuldenfonds in diesem Zusammenhang noch mal diskutieren. Denn es nutzt nichts, einen handlungsfähigen Staat haben zu wollen, wenn die Kommune nicht investieren kann. Deshalb machen Sie mit! Machen Sie mit uns einen neuen Anlauf für den Altschuldenfonds! ({4}) Ich sage auch ganz deutlich: Wir werden diese Transformation nur mit den Beschäftigten, mit den Betriebsräten, mit der IG Metall oder der IG Chemie, mit den Gewerkschaften gestalten können. Deshalb glauben wir, dass wir ein Thema wie das Transferkurzarbeitergeld aufnehmen müssen, das wir als Linke letztes Jahr schon gefordert haben, dass wir also für solche Gestaltungen einen viel größeren Transformationsfonds brauchen. Wir sagen an dieser Stelle auch: Bei der aktuellen Tarifrunde der IG Metall geht es nicht nur um höhere Einkommen, sondern es geht auch darum, tarifpolitisch die Transformation zu gestalten. Deshalb wünschen wir der IG Metall maximalen Erfolg. ({5}) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Wer 500 Milliarden in die Hand nehmen will, muss natürlich auch sagen, woher. Die Grünen sagen nichts zur Schuldenbremse. Sie sagen nichts zur schwarzen Null. ({6}) Sie sagen nichts zur höheren Besteuerung der Reichen und Wohlhabenden. Da geben nur die Linken die Antworten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie dann wirklich zum Schluss, bitte.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie wollen sich nicht mit Ihrer Klientel anlegen und wollen leider mit der CDU koalieren. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Matthias Heider, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In seinem Hauptgutachten „Welt im Wandel“ schreibt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, WBGU, in der Zusammenfassung für Entscheidungsträger, also auch für uns, zur großen Transformation – ich zitiere –: Es gilt, vielfältige Pfadabhängigkeiten und Blockaden zu überwinden. Die Transformation kann zudem nur dann gelingen, wenn Nationalstaaten ihre kurzfristigen Interessenskalküle zugunsten globaler Kooperationsmechanismen zurückstellen, um vor allem in der Weltwirtschaft eine Trendumkehr zu Klimaverträglichkeit und Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Der 14-seitige Antrag der Grünen greift viele der „Welt im Wandel“-Beschreibungen des WBGU auf. Ich gebe zu, dass der Zukunftsentwurf, den Sie uns hier heute mitgebracht haben, sich bereits wohltuend von den ideologisch überfrachteten Papieren früherer Jahre abhebt. Und doch haben wir eine Reihe von Fragen; denn Sie legen Forderungen vor, deren genaue Reichweite Sie der Öffentlichkeit nicht mitteilen. Beispiele: Da wird eine „aktive Industriepolitik“ gefordert, „die neuen Technologien … zum Durchbruch verhilft, … wo die Marktteilnehmenden selbst diese Risiken nicht tragen können.“ Und man fragt sich: Von welchen Risiken ist eigentlich die Rede? An anderer Stelle wird gefordert, die „CO2-Bepreisung“ müsse „näher an die ökologische Wahrheit“ herangeführt werden. Das klingt nett. Aber was die Grünen unter ökologischer Wahrheit verstehen, bleibt ungewiss. Sie plädieren wegen der Verschiebung der Marktkräfte für ein globales Kartellrecht. Aber wie Sie die Jurisdiktion der EU, der USA und Chinas mit einer Monopolgesetzgebung unter einen Hut bringen wollen, das sagen Sie nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, diese Beispiele zeigen, dass man mit schönen Worten ganze Anträge und Reden füllen kann und wahrscheinlich auch Wahlprogramme wird füllen können. Aber man kann sie nicht einfach beliebig miteinander ins Verhältnis setzen, ohne dabei auch mal etwas zu sagen und ohne eine greifbare Lösung anzubieten, erst recht im globalen Maßstab, den Sie sich ja vorgenommen haben. Sie fordern in Ihrem Antrag eine ganzheitliche, eine nachhaltige Industriepolitik. Wenn es um nachhaltiges Wirtschaften, um ein nachhaltiges Wachstum geht und wenn es um eine nachhaltige Reformstrategie nach der Coronapandemie geht, dann sehe ich sogar gemeinsame Ansätze. Doch wo ist die Ganzheitlichkeit in Ihrer Industriepolitik, wenn Sie mit keinem Wort auf die Bedeutung von Wirtschaftswachstum und einer Entlastung der Wirtschaft eingehen? Das Wort „Wirtschaftswachstum“ kommt in Ihrem Papier nur ein einziges Mal – immerhin! – vor, wenn auch negativ konnotiert; denn Sie prangern die Abhängigkeit der Industrienationen vom Wirtschaftswachstum an. ({1}) In der Union sind wir der Auffassung, dass Wirtschaftswachstum gerade der Schlüssel aus der Krise ist ({2}) und dass ein wesentlicher Baustein der Transformation sowohl bei der Dekarbonisierung wie auch der Digitalisierung die soziale Teilhabe der Menschen am Wachstum sein muss. Kollege Westphal hat gerade eindrucksvoll darauf hingewiesen. Wo, liebe Grüne, bleiben die Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit in Ihrer Industriepolitik, wenn Sie zwar ein 500 Milliarden Euro schweres Förderpaket fordern, aber mit keinem Wort auf die Finanzierungsfragen eingehen? ({3}) Eine solide Haushaltspolitik ist der Inbegriff von Nachhaltigkeit. Aus Sicht der Union gehört das dazu. Widersprüchlich ist es auch, wenn Sie einerseits eine ganzheitliche Industriepolitik, im selben Atemzug aber eine aktive Industriepolitik fordern. Sollten wir neben neuen Grenzwerten und Gesetzen nicht auch auf Entbürokratisierung und Entlastung achten? Sie haben, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, hehre Ziele. Vieles von dem, was Sie fordern, ist gut gemeint. Aber Industriepolitik darf nicht nur gut gemeint sein; sie muss auch gut gemacht sein. Dazu gehört es, Widersprüche in der eigenen Politik aufzulösen. Das ist Ihnen bisher aber kaum gelungen. Sie rufen dazu auf, Protektionismus zu bekämpfen und Handelspartnerschaften zu knüpfen, haben sich aber gegen CETA und TTIP gestellt. Sie lehnen nach dem Ausstieg aus der Atomenergie und der Kohlekraft auch Gaslieferungen aus Russland und den USA ab, ohne zu sagen, wie Sie eine krisensichere Energieversorgung organisieren wollen. Sie sprechen mit Blick auf die Mobilität von einem klugen Antriebsmix, setzen aber bei Kraftfahrzeugen nicht auf Technologieoffenheit, sondern nur auf Elektromobilität. Sie fordern eine soziale Industriepolitik, stemmen sich aber gegen arbeitsplatzsichernde Großprojekte und Baulandmobilisierung im Außenbereich. Vom Bauland für Eigenheime will ich gar nicht sprechen an dieser Stelle; das heben wir uns für den Wahlkampf auf. ({4}) Meine Damen und Herren, die Pandemie, der Klimawandel und die Digitalisierung stellen Wirtschaft und Gesellschaft vor große Herausforderungen; da sind wir einig. Es bedarf einer Industriepolitik, die ganzheitlich aufgestellt ist. Wir sollten deshalb zum Beispiel auch reden über eine Unternehmensteuerreform zur Entlastung der Wirtschaft, über eine Verbindung der CO2-Bepreisung mit dem Zertifikatehandel, über eine Rückkehr zur schwarzen Null, über eine bessere Verknüpfung von Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Wir brauchen weitere Handelsabkommen. Wir brauchen optimale Bedingungen für eine starke Kreislaufwirtschaft, indem wir die Infrastruktur für den Einsatz von Rezyklaten und ein entsprechendes Produktdesign weiter aufbauen. Grüne Patente könnten einen wichtigen Anreiz für Investitionen in umweltschonende Technologien setzen. Meine Damen und Herren, die Union jedenfalls wird zur Bewältigung des Transformationsprozesses einen ausgewogenen Mittelweg aus staatlicher Förderung und staatlichem Verzicht beschreiten. Nur so lässt sich eine moderne Industriepolitik aufstellen. Und ich habe den Verdacht, wir werden in diesem Jahr über dieses Thema noch häufiger sprechen. ({5}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Heider. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Professor Martin Neumann, FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es in diesem Antrag? Es geht um den bevorstehenden Wandel der Industrie. Es geht um Digitalisierung, Weiterbildung, Qualifizierung und Nachhaltigkeit. Jetzt komme ich gleich mal zu den Antragstellern. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht eben nicht nur um Nachhaltigkeit im Klimaschutz, sondern es geht um Nachhaltigkeit in der Gesamtheit. Wenn wir über Industrie sprechen, dann sprechen wir immer auch über finanzielle Nachhaltigkeit, eine funktionierende Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit. ({0}) Der Antrag der Grünen zeigt ein strukturelles Unverständnis für marktwirtschaftliche Prozesse. Sie stellen nämlich Unternehmen als kleine Kinder dar, die sich trotzig gegen einen Wandel sträuben. ({1}) Sie stellen die Industrie als Baby dar, dem man den Schnuller weggenommen hat, in dem Fall Kohlenstoff. Und jetzt muss Vater Staat kommen und alles wieder regulieren. Meine Damen und Herren, es ist mittlerweile ganz anders; es ist umgekehrt. Die Industrie treibt Energieeffizienzprozesse voran. Die Unternehmen wollen jahrelang funktionierende Prozesse neu gestalten, auch zum Zwecke des Klimaschutzes. ({2}) Die Industrie stellt natürlich umso schneller um, je eher sie eine Aussicht auf die benötigten Mengen Wasserstoff hat. Deshalb brauchen wir in einem ersten Schritt Mengen, Mengen, Mengen. Hier darf auch Türkiser und Blauer Wasserstoff kein Tabu sein. Einen strukturellen Wandel wird es nur geben, wenn es eine bessere, eine veränderte Infrastruktur gibt. Diese kann dann Schritt für Schritt dekarbonisiert werden. Dafür brauchen wir deutlich mehr Forschung und auch den Fokus auf die Fachkräfte. ({3}) Wir müssen dabei auch Importe und internationale Energiepartnerschaften berücksichtigen; denn von solchen Partnerschaften profitieren immer beide Seiten, sowohl bei der Wertschöpfung als auch bei den Arbeitsplätzen. Wir wollen anderen Ländern ihren Weg im Rahmen der Energiepolitik nicht vorschreiben. Deshalb heißt es ja auch „Energiepartnerschaft“ und nicht „Energiezwangsehe“. Das, meine Damen und Herren, muss im marktwirtschaftlichen Wettbewerb passieren. In Ihrem Antrag lese ich etwas von neuen und weiterentwickelten Instrumenten. Mensch, die haben wir doch schon alle! Wir haben den europäischen Emissionshandel. Das Spielfeld kommt doch erst durch nationale zusätzliche Instrumente aus dem Gleichgewicht. Ein Ansteigen des nationalen CO2-Preises auf der einen Seite fordern und Wettbewerbsfähigkeit im innereuropäischen Raum auf der anderen Seite wiederherstellen, das macht für mich überhaupt keinen Sinn. ({4}) Im Antrag steht viel Diffuses, meine Damen und Herren. Sie wollen zum Beispiel den Unternehmen Energieeffizienzmaßnahmen vorschreiben. Wozu brauchen wir denn dann noch das ETS? Es regelt doch genau die Probleme, die Sie hier darstellen. Aber: Wir wollen es – das ist der Unterschied zu Ihrem politischen Ansatz – europäisch in einer effizienten Art und Weise, eben durch die Kraft des Marktes. Ich fasse zusammen. Wir brauchen erstens Nachhaltigkeit in der Gesamtheit. Kein starrer Blick nur auf den Klimaschutz! Wir brauchen zweitens eine Kombination aus einem bunten Wasserstoffhochlauf und dem Emissionshandel. Drittens schließen sich Nachhaltigkeit – in Klammern: auch Klimaschutz – und Ökonomie hier nicht aus. Danke schön. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Professor Neumann. – Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Falko Mohrs, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist ein Industrieland. Das hat uns an vielen Stellen gut durch Krisen geführt; Kollege Bernd Westphal hat es erwähnt. Das war einer der Garanten, warum wir schneller als viele andere Länder aus der Finanzkrise wieder herausgekommen sind. Das ist auch jetzt ein Garant für viele gute Arbeitsplätze, für gute Mitbestimmung und eine gute Tarifpartnerschaft. Meine Damen und Herren, die Industrie ist eben ein Garant für den Wohlstand in unserem Land. Das muss auch so bleiben. ({0}) Die Gesellschaft, die Menschheit und damit auch die Industrie stehen aber ganz klar vor der Herausforderung des Klimawandels. Deswegen ist es unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das am Ende kein Widerspruch ist, dass es also nicht „entweder Industrie oder Klimaschutz“ heißt, sondern dass beides verantwortungsvoll miteinander in Einklang gebracht wird. Dafür reicht es nicht, wenn man Ziele definiert und einfach nur sagt: Da muss man mal hin. – Nein, meine Damen und Herren, zu einer verantwortlichen Industriepolitik gehört es, dann auch den Plan zu beschreiben, wie man sich dem Ziel so nähert, dass man dabei keine Arbeitsplätze verliert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualifiziert und die Wertschöpfung in diesem Land erhält. Das, meine Damen und Herren, ist eine verantwortungsvolle Industriepolitik. ({1}) Man kommt dann natürlich nicht umhin, auf den größten Industriebereich in Deutschland zu schauen, die Automobilindustrie. Sie macht mit rund 2 Millionen Beschäftigten – direkt oder indirekt – rund 7 Prozent der deutschen Arbeitsverhältnisse und rund 10 Prozent der Bruttowertschöpfung in Deutschland aus. Man kann sich jetzt fragen, warum ich das hier sage. Na ja, ich habe den Antrag der Grünen gelesen und musste feststellen: Auf all diesen 14 Seiten, auf denen Sie sich mit der Industrie in Deutschland auseinandergesetzt haben, haben Sie kein einziges Wort zu der Leitindustrie „Automobilindustrie“ verloren. Kein einziges Wort! ({2}) Dann habe ich mich gefragt, ob ich das überlesen habe, und habe das Wort „Auto“ in die Suchmaske eingegeben. Einmal habe ich es gefunden: in dem Wort „automatisch“. Na, herzlichen Glückwunsch! ({3}) Wenn ich mich wirklich mit der Zukunft und der Frage einer vernünftigen, klimaverantwortlichen Industrie in Deutschland auseinandersetzen will, dann kann ich doch nicht den größten Teil, nämlich die Automobilindustrie, völlig ausblenden. ({4}) Das ist dann keine verantwortliche Industriepolitik. Was wir brauchen, wenn wir von der Zukunft im Pkw-Bereich, von der Elektromobilität, sprechen, ist ja ganz klar. Wir wissen doch, dass dann rund ein Drittel der Wertschöpfung aus der Batterie kommen wird. Das kann man doch nicht ausblenden. Dann kann man auch nicht, wie die Kollegen von der AfD, sagen: Batteriezellproduktion brauche ich nicht. – Das hieße nämlich, dass wir ein Drittel der Wertschöpfung und damit einen großen Teil der Arbeitsplätze im Ausland ansiedeln wollen. ({5}) Nein, dann muss man dafür sorgen, dass diese innovativen Technologien – die Forschung, die Produktion und das Recycling dieser Batterien – in Deutschland verortet werden. Wenn wir neue, zukunftsträchtige Entwicklungen haben – ich nenne nur das Beispiel Feststoffzellenbatterien –, gehört dazu auch, dass wir mit dem Bundeswirtschaftsministerium endlich dazu kommen, dass auch die Forschung und Produktion in diesen Bereichen in Deutschland angesiedelt werden und nicht, weil es in anderen Ländern andere Förderkulissen gibt, beispielsweise in den USA. Ansonsten betreiben wir nicht eine aktive und verantwortungsvolle Industriepolitik, wie wir es uns vorstellen. ({6}) Es geht aber auch um den ganzen Bereich der Digitalisierung, und da nicht nur um Software, Programmierung und Fachkräfte, sondern auch um handfeste Interessen und die Frage, ob wir von anderen Märkten abhängig sind. Wir erleben ja alle schmerzhaft – auch in den letzten Monaten –, dass wir im Bereich der Mikroelektronik bzw. der Halbleiter völlig abhängig von anderen Märkten weltweit sind. Ganze Industriezweige können nicht produzieren und liegen brach, weil die Halbleiter fehlen. Auch hier hat es viel zu lange gedauert, bis wir ein entsprechendes IPCEI-Projekt zur Unterstützung der Halbleiterindustrie in Deutschland auf den Weg gebracht haben. Auch da müssen wir dringend nachlegen. ({7}) Meine Damen und Herren, wenn wir also verantwortungsvolle ökologisch-soziale Industriepolitik in Deutschland betreiben wollen, dann dürfen wir nicht wie die Grünen den größten Teil der Automobilindustrie ausblenden. Dann ist sie integraler Bestandteil der Industriepolitik. Das ist unsere Aufgabe. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mohrs. – Das Wort hat nun Thomas Lutze, Fraktion Die Linke. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Digitalisierung und Industrie 4.0 sind Schlagwörter, die seit Jahren bemüht werden, wenn es um den Wandel unserer Industriegesellschaft geht. Fest steht: Dieser Wandel findet statt. Fest steht auch – das wurde durch die Coronaviruspandemie nochmals deutlich –: Dieser Wandel birgt Risiken, aber auch Chancen. Er muss also dringend politisch gestaltet werden. Wie sehr Deutschland diesem Wandel mittlerweile hinterherhinkt, haben uns die letzten Monate sehr deutlich gezeigt. Wir sehen das daran, dass Onlineunterricht nicht nur daran scheitert, dass den Schülerinnen und Schülern oder den Schulen die notwendige technische Ausstattung fehlt, sondern auch daran, dass vielen Lehrkräften das notwendige Wissen fehlt oder sie es sich erst langsam erarbeiten müssen. Deshalb muss Digitalisierung zuallererst als Bildungsaufgabe begriffen werden, und zwar von der Schule bis zur beruflichen Weiterbildung. ({0}) Zweitens brauchen wir – auch das hat uns die Pandemie gelehrt – dringend eine Investitionsoffensive für die digitale Infrastruktur. Oft genug scheitert das Homeoffice nicht am Willen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder dem Können der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern daran, dass weite Teile Deutschlands beim schnellen Internet immer noch abgehängt sind. Hier helfen keine Schlagworte wie „5 G“ oder was man sonst so alles in der Öffentlichkeit hört. Hier helfen nur handfeste Investitionen in Technologien wie Glasfaser, und zwar nicht nur in den gewinnbringenden Ballungsräumen, sondern auch in jedem Dorf und jedem Haus. ({1}) Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse fordert übrigens das Grundgesetz. Das gilt auch für dieses Thema. ({2}) Drittens. Die deutsche Industrie braucht dringend mehr Diversifizierung. Während das erste vollelektrische Tesla Model S bereits im Jahr 2012 vom Band lief, träumte die deutsche Automobilindustrie mit Rückendeckung der Regierenden immer noch von der großen Zukunft des ach so sauberen und effizienten Dieselmotors. Für diese Innovationsfeindlichkeit der deutschen Automobilindustrie zahlen die Beschäftigten mehr und mehr die Zeche. Allein bei mir zu Hause im Saarland stehen bei Ford in Saarlouis Tausende Arbeitsplätze – noch sind es erst Hunderte, aber am Ende werden es Tausende sein – auf der Kippe; der ganze Standort ist in Gefahr. Gerade die Firma Ford hat diese Entwicklung mehr als deutlich verschlafen, aber sie ist nicht die einzige. Deutschland muss also seine Abhängigkeit von der Autoproduktion endlich überwinden. Wir brauchen andere industrielle Produkte; denn der Einfluss des Klimawandels – wir wissen alle, wie sich das künftig entwickeln wird – wird immer stärker. Das bedeutet, dass sich die Menschen umstellen und Mobilität anders definieren werden. Deshalb muss in Nahverkehrskonzepte und in neue Mobilitätskonzepte investiert werden. Das brauchen wir. Herzlichen Dank und Glück auf! ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lutze. – Nächster Redner ist der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, wenn die Oppositionsfraktionen nicht nur herummäkeln und meckern, sondern ihrer Aufgabe nachkommen und Alternativvorschläge zum Regierungshandeln einbringen. Die Bundesregierung hat in dieser Legislatur eine ganze Reihe von Strategien vorgestellt. Naturgemäß war das Lob der Oppositionsfraktionen nicht immer besonders stark ausgeprägt. Aber heute beweisen die Grünen: Wirklich besser können sie es auch nicht. ({0}) Im Antrag, der als „Grüne Industriestrategie“ vermarktet wird, wird ein Zukunftspakt gefordert, um insbesondere den industriellen Mittelstand zu unterstützen. Wer mit offenen Augen auch in diesen Zeiten über deutsche Autobahnen fährt, wird schon am Lkw-Verkehr feststellen: Der industrielle Mittelstand ist erstaunlich aktiv und rührig unterwegs. Im Gegensatz zum ersten Lockdown, als Lieferketten unterbrochen waren, kommt das produzierende Gewerbe relativ gut durch den Winter. Im Vergleich zu vielen anderen Branchen, die sehr stark unter der Krise leiden, trägt die Industrie einen erheblichen Teil dazu bei, dass unsere Volkswirtschaft insgesamt relativ robust dasteht. Dass Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Antrag die Industrie bei der Digitalisierung unterstützen wollen, ist aller Ehren wert, doch ein großer Treiber der Digitalisierung ist auch bei den Unternehmen die Coronakrise. Umfragen zeigen, dass viele Unternehmen die Digitalisierung in ihren Geschäftsprozessen in den letzten Monaten verstärkt haben. Bei den großen Unternehmen geht man sogar davon aus, dass 90 Prozent ihre Anstrengungen massiv verstärkt haben. Wie anpassungsfähig, wie agil und wie reaktionsschnell die deutsche Industrie ist, das zeigt die aktuelle Zeit, und das gerade ohne staatliche Eingriffe. Die Wirtschaft wandelt sich schneller, als die Grünen eine Industriestrategie schreiben können. Anderthalb Jahre länger als Peter Altmaier haben Sie gebraucht, um eine Industriestrategie vorzulegen und darin vieles zu sagen, was richtig ist, aber doch altbekannt und in vielerlei Hinsicht von der Bundesregierung schon lange in Umsetzung. Ich hätte mir von Ihnen das gewünscht, was die deutsche Industrie zeigt, nämlich Innovation. Stattdessen ist Ihre sogenannte Industriestrategie ein Aufguss alter Anträge Ihrer Fraktion, die wir in diesem Hause bereits behandelt haben, also alter Wein in neuen Schläuchen. Zukunftsstrategien sehen anders aus. ({1}) Das, was in Ihrem Antrag steht, ist nicht rundweg falsch. Einiges ist sogar richtig, und vieles findet sich auch in der Industriestrategie der Bundesregierung wieder. Doch wir sind in den Debatten schon deutlich weiter und haben die von Ihnen formulierten Ziele längst in konkrete Maßnahmen übersetzt. Ein paar Beispiele: Sie fordern, den Aufbau des 5-G-Netzes voranzutreiben. Das ist ein Prozess, der längst begonnen hat und im Übrigen viel schneller voranschreitet als vorhergesagt. Im ganzen Land rüsten die Netzbetreiber auf 5 G um. Auch der vierte Netzbetreiber wird gegen Mitte des Jahres sein Netz aufbauen und somit für mehr Wettbewerb sorgen. Deutschland hat als eines der wenigen Länder in der Welt ein Spektrum für Campusnetze für Unternehmen reserviert. Mit Erfolg: Mehr als 100 Campusnetze wurden seitdem genehmigt. Während Sie blumig davon reden, 5-G-Netze vorantreiben zu wollen, entsteht bereits im ganzen Land, vor allem in der Industrie, die Grundlage für die Anwendungen der Zukunft. ({2}) Sie fordern Resilienz und Redundanz für unsere Mobilfunknetze. Kaum zu glauben, aber Ihre Strategie kommt dabei ohne die Erwähnung von Open RAN aus. Diese Regierung hat in Zeiten der Krise ein Zukunftspaket geschnürt, das allein für die Entwicklung neuer Netzstandards 2 Milliarden Euro an Mitteln zur Verfügung stellt. Im kommenden Jahrzehnt werden wir mit Open RAN einen Netzstandard haben, der unsere Abhängigkeit von einzelnen Herstellern im Zugangsnetz drastisch reduziert. Es zeigt, dass man der Debatte um den richtigen Netzausrüster innovativ und intelligent begegnen kann. Dabei schlagen wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits werden Pfadabhängigkeiten gebrochen, um somit geostrategische Abhängigkeiten aufzulösen. Andererseits ist dies auch erfolgreiche Innovationspolitik, da europäische und deutsche Unternehmen nun die Chance erhalten, neu in den Markt einzusteigen. Das ist Industriepolitik par excellence. Wie sehen die Ideen der Grünen zum Quantencomputing aus? Im Antrag heißt es, die führende Rolle der EU müsse erhalten und vorangebracht werden. Meine Damen und Herren, das ist ein Satz, den jeder unterschreiben würde, keine brillante Idee, sondern eine Plattitüde. Die Bundesregierung investiert massiv in Quantencomputing. Auch international hat die Summe von 2 Milliarden Euro, die wir in die Rechnerwelt von morgen im Rahmen des Zukunftspaketes investieren, aufhorchen lassen. Dabei haben sich insbesondere die Wirtschaftspolitiker unserer Fraktion dafür eingesetzt, dass das Geld eben nicht nur in Grundlagenforschung fließt, sondern dass die Industrie eng eingebunden wird. So bringt man die Digital-PS auf die Straße. ({3}) Man könnte jetzt ewig so weitermachen. Sie fordern, eine europäische Cloud-Infrastruktur nach europäischen Standards zu entwickeln. Die wird längst aufgebaut; Gaia-X ist erfolgreich auf europäischer Ebene gestartet. Sie fordern ein faires Wettbewerbsrecht. Das haben wir in Deutschland als erstes Land der Welt entwickelt; Sie haben der GWB-Novelle sogar zugestimmt. Interessant ist aber auch, was nicht im Antrag steht. Einer der Kernpunkte Ihrer Industriestrategie ist die digitale Transformation. Der Begriff „Industrie 4.0“ kommt aber nur ein einziges Mal vor, und das nicht im Abschnitt über Digitalisierung, sondern in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft. Die bedeutende Rolle der Verschlüsselungstechnik fehlt im Antrag gänzlich. Sie ist zentral, damit Unternehmen, insbesondere im Mittelstand, Vertrauen in das digitale Zeitalter bekommen und auch, um sich vor Industriespionage zu schützen. Sie sagen nichts über wettbewerbsfähige Stromkosten, nichts über Rohstoffknappheit und nichts zur Steuerlast deutscher Unternehmen. „Grün, grün, grün ist alles, was ich hab“ – die Zeile dieses Kinderliedes fällt mir beim Blick auf dieses Stück politische Prosa ein. Förderprogramme für die Kreislaufwirtschaft, ein funktionierender CO2-Preis und ausschweifende Sätze zur ökologischen Digitalisierung sind nicht ausreichend, um die deutsche Industrie in die Zukunft zu steuern.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine klimaschonende Wirtschaft ist wichtig, sogar überlebenswichtig. Doch wer der deutschen Industrie auf dem Weg in die Zukunft helfen will, der braucht mehr als das. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzter Redner in dieser Debatte ergreift der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ist es gut, dass sich die Bundesregierung und die Energieversorger heute auf einen finanziellen Ausgleich und zur Beilegung aller Rechtsstreitigkeiten zum Atomausstieg verständigt haben. Das ist eine gute Nachricht. Schlecht ist, dass das den Steuerzahler richtig viel Geld kostet. Die Verantwortung dafür tragen die Schwarz-Gelben, die damals den rot-grünen Ausstieg aus der Atomkraft rückgängig gemacht haben. Sie tragen die Verantwortung. ({0}) Das Geld hätten wir heute gut für die Transformation der Industrie, für den sozial-ökologischen Umbau der Industrie nutzen können. Das wäre wichtiger gewesen, als es den Energiekonzernen in den Rachen zu werfen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der hier vorliegende Antrag der Grünen ist anschlussfähig an die Programmatik der SPD. Wir würden ihn gerne gemeinsam mit Ihnen umsetzen, weil es viele Schnittmengen gibt, zum Beispiel bei der Wasserstoffstrategie. Da fordern Sie eine gezielte Begünstigung von Strom für Elektrolyseure. Nur, das machen wir doch als Bundesregierung schon. Wir haben die Möglichkeit der EEG-Umlagebefreiung in der BesAr bereits geschaffen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Was Sie fordern, haben wir umgesetzt. Gleiches: Sie fordern Investitions- und Transformationsprogramme über zehn Jahre mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro. Im SPD-Wahlprogrammentwurf – er wurde von Olaf Scholz vorgestellt – stehen 50 Milliarden Euro jährlich, also die gleiche Summe. Die Grünen fordern die Gewährung von Investitionszuschüssen für den Ersatz fossiler Technologien in der Grundstoffindustrie. Ja, aber genau das machen wir doch. Gucken Sie sich mal das Förderprogramm „Dekarbonisierung der Industrie“ von Svenja Schulze an. Es ist im Klimaschutzprogramm 2030 enthalten. Die ersten Fördermittel fließen schon in die Stahlindustrie. Das, was Sie fordern, machen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Sie fordern auch die Einführung von Differenzverträgen, mit denen der Staat die Mehrkosten von klimafreundlichen Produktionstechnologien ausgleicht. Das ist eine sehr sinnvolle Sache. Das Pilotprogramm soll noch in diesem Jahr starten. Nach meinen Informationen ist die Bundesregierung derzeit im Gespräch mit der EU-Kommission, um dafür grünes Licht zu erhalten. Genau die Dinge, die Sie hier fordern, machen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dennoch ist es nicht falsch, dass Sie sie noch mal in Ihrem Antrag übernommen haben. ({3}) Herr Janecek, Sie haben hier vorhin eine Solarzelle hochgehalten. Wenn man dann allerdings mal in Ihrem Antrag sucht, was Sie dort zum Thema Solarindustrie geschrieben haben, findet man dazu nichts. Das ist schon überraschend. Das Gleiche trifft übrigens auf das Thema Automobilindustrie zu. Weil wir einen industriellen Wandel brauchen und wollen, brauchen wir den Wandel auch für den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir machen das nicht nur aus Klimaschutz- und Energiegründen. Für uns ist Energiewende dezentral auch immer ein Arbeitsplatzfaktor. Wir wollen mit Solar, wir wollen mit Windkraft auch neue Arbeitsplätze in der Industrie schaffen. Das sind Zukunftsprogramme, die in Ihrem Antrag völlig ausgeblendet werden. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hören das grüne Reden hier wohl. Aber dann müssen wir doch mal gucken, was in dem Land passiert, wo Sie den Ministerpräsidenten stellen. Warum ist es denn so, dass wir sowohl bei der Windkraft als auch bei der Photovoltaik ausgerechnet in Baden-Württemberg ganz hinten liegen, ausgerechnet dort, wo Sie den Regierungschef stellen? 20 Prozent weniger Solarenergie als im Bundesdurchschnitt in dem Land, wo Sie den Ministerpräsidenten stellen! Sie wollten die Windkraft ausbauen. Bis 2020 wollten Sie mindestens 10 Prozent Windkraftanteil in Baden-Württemberg erreichen. Sie haben gerade mal 4,4 Prozent geschafft. Das ist Ihre Bilanz da, wo sie Verantwortung tragen. ({5}) Beim Grünstromanteil liegen im Ländervergleich Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern über 50 Prozent, Baden-Württemberg bei 31,5 Prozent. Ich finde, die Grünen brauchen die Sozialdemokratie als Partner. Gemeinsam werden wir das wuppen. Deswegen würde es mich freuen, wenn es am 26. September dazu reichen würde, gemeinsam die Energiewende voranzubringen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Danke sehr, Herr Kollege Gremmels. – Damit schließe ich die Aussprache.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie sich Ihr Kind, Ihre Nichte, Ihren Neffen oder Ihre Enkelin, Ihren Enkel vor, wie es mit dem Handy im Kinderzimmer sitzt. Vielleicht schaut es sich gerade ein angesagtes Video auf irgendeiner Plattform an, oder es spielt ein Onlinespiel. Wenig später steht es erschrocken vor Ihnen und erzählt stockend, dass es von einem Fremden angeschrieben wurde, dass es Bilder zugeschickt bekommen hat, die es nicht mehr aus dem Kopf bekommt, dass es Angst hat. Genau das passiert in Kinderzimmern häufiger, als wir denken. Hunderttausende Kinder und Jugendliche haben bereits negative Erfahrungen im Netz gemacht. Sie wurden gemobbt, angemacht, belästigt oder abgezockt. Wir, Politik und Gesellschaft, sind in der Verantwortung, das zu ändern und einzuschreiten, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen. Dafür müssen wir den Jugendmedienschutz fit machen für das 21. Jahrhundert. Genau das tun wir heute mit einem neuen, modernen Jugendschutzgesetz. ({0}) Dafür sehen wir drei große Regelungsbereiche vor, die sich mit den Wörtern „Schutz“, „Orientierung“ und „Durchsetzung“ überschreiben lassen. Wir sehen als Erstes mehr Schutz durch altersgerechte Voreinstellungen vor, damit ein Kind eben nicht einfach über sein Profil auf sozialen Plattformen gefunden und angesprochen werden kann und damit es im Ernstfall schnell und unkompliziert Hilfe findet. Wir schaffen zweitens mehr Orientierung für Kinder, für Eltern, für Menschen, die als Erzieherinnen und Erzieher, als Fachkräfte arbeiten und vor diesem Riesenwust an Onlinematerial, der minütlich hochgeladen wird, stehen. Wir wollen eindeutige Symbole, die auf Risiken wie Gewaltdarstellung oder Kostenfallen hinweisen. Dieser Punkt wurde in den parlamentarischen Beratungen konkretisiert. Ich will mich an dieser Stelle für die konstruktive Arbeit, die Sie geleistet haben, sehr bedanken. Ich danke all denjenigen, die dazu beigetragen haben, dass wir heute hier die zweite und dritte Lesung haben können. ({1}) Um mit Alterseinstufungen tatsächlich mehr Orientierung zu bieten, ist es eben wichtig, dass die Alterseinstufung vom konkreten Film oder Spiel abhängt, aber nicht davon, wo sie gekauft werden. Es muss das Gleiche gelten, online wie im Geschäft. Drittens wollen wir dafür sorgen, dass geltendes Recht effektiv durchgesetzt wird, und zwar so, dass es unabhängig davon gilt, wo der Anbieter sitzt, ob in Deutschland oder im Ausland. Dafür brauchen wir die neue Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, die Anbieter in die Pflicht nimmt, den Kinder- und Jugendmedienschutz weiterentwickelt und dafür sorgt, dass sich an die Regeln, die wir heute machen, auch gehalten wird. Es ist im parlamentarischen Verfahren eine sehr sinnvolle Ergänzung gemacht worden: ein Beirat, der dabei unterstützen soll, die Expertise der Zivilgesellschaft, aber auch die Jugendlichen selbst daran zu beteiligen. Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir es, eine wichtige Zielsetzung zu erreichen, indem wir den Jugendschutz in das digitale Zeitalter bringen. Wir haben viele Unterstützer – den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, viele Kinder- und Jugendärzte, den Kinderschutz, die Jugend- und Familienverbände, das Deutsche Kinderhilfswerk, aber auch UNICEF –, die uns bestärkt haben, diesen Entwurf voranzubringen. Weil wir die digitale Welt zu einem sicheren Ort für unsere Kinder und Jugendlichen machen wollen und weil Kinder und Jugendliche das Recht haben, auch im digitalen Raum sicher und geschützt aufzuwachsen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Huber, Sie müssen einen ganz kleinen Moment warten, bis wir hier vorne unserer Verpflichtung zur Desinfektion nachgekommen sind. – Nächster Redner ist der Kollege Johannes Huber, AfD-Fraktion. ({0})

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hinterfragen im Jugendmedienschutz schon kritisch, ob vorhandenen neuen Nutzungsrisiken gerade durch eine Modifikation der Alterseinstufungen sinnvoll begegnet werden kann. Die Altersstufen 0, 6, 12, 16 und 18 sind sowohl in der institutionellen Spruchpraxis eingeübt als auch das nahezu einzige Element des gesetzlichen Jugendschutzes, das in der Bevölkerung weithin bekannt ist und Orientierung bietet. Durch das systematische Aufbrechen dieses Kompasses dürfen sich Nutzer künftig aber auf unterschiedliche Kennzeichnungen desselben Inhaltes freuen. Wenn zum Beispiel der erste Teil von, sagen wir, „Harry Potter“ mit FSK 6 zukünftig in einer Mediathek läuft, wo der zweite Teil gekauft werden kann, oder ein Cliffhanger am Ende des Films anreizt, den nächsten zu schauen, könnte die Alterskennzeichnung auf eine andere Altersstufe springen. Dabei halten wir aber fest: Mögliche Nutzungsrisiken verändern das Gefährdungspotenzial von Medieninhalten an sich nicht. Die öffentlichen Anhörungen im Ausschuss und in der Kinderkommission haben aber gezeigt, dass Interaktionsrisiken, insbesondere das gezielte Einwirken auf Personen über Chatfunktionen mit dem Ziel der Anbahnung sexueller Kontakte, endlich schärfer verfolgt werden müssen. Kinder und Jugendliche müssen noch besser vor Sexualstraftätern im Netz geschützt werden. ({0}) Auch besteht ein allzu leichter Zugang zu pornografischen sowieso zu anderen sexualisierten Inhalten im Internet, die einen allzu nachhaltigen Effekt auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen haben. Dieser Form der Frühsexualisierung, die ein falsches und oberflächliches Bild von Sexualität erzeugt, sollte entgegengewirkt werden. Da fehlen uns im Gesetzentwurf die entsprechenden Maßnahmen, Frau Giffey. Dafür werden, für uns wenig überraschend, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten privilegiert. Diese müssen kein kostenpflichtiges Kennzeichnungsverfahren bei der FSK durchführen. Ihnen genügen bloße Eigenbewertungen, die niemals extern überprüft worden sind, wie zum Beispiel die großzügigen Ab-12-Bewertungen exzessiver Gewaltdarstellungen in „Tatort“-Krimis. Privatsender haben dagegen keine direkte Möglichkeit, auf Bildträgerfreigaben durchzuwirken. Diese Vorschrift führt meines Erachtens zu einer nach Artikel 3 Grundgesetz kaum zu legitimierenden Ungleichbehandlung von privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern. Wir sind der Ansicht: Kinder- und Jugendschutz muss für alle gleich gelten. Zu allem Überfluss wird auch das verfassungsrechtliche Gebot der Staatsferne verletzt, wenn der neuen Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz inhaltsbezogene Aufsichtsfunktionen zugewiesen werden. Dem steht nämlich keinerlei Mehrwert gegenüber. Die Behörde erweitert nur den bestehenden Flickenteppich. Das wird zu Kompetenzstreitigkeiten führen, ohne dass diese Einrichtung Aufsichtsarbeit übernehmen würde, die nicht bereits von vorhandenen Gremien erbracht wird. Die Rechtssicherheit für die Medienanbieter und ‑nutzer nimmt durch diese Doppelregulierung also eher ab, als dass sie steigt. Auch dies widerspricht einer staatsfern organisierten Medienaufsicht und birgt, ähnlich wie bei der Bundeszentrale für politische Bildung, die große Gefahr, auf Medieninhalte, wie von der jeweiligen Regierung gewünscht, politisch Einfluss zu nehmen. ({1}) All das zeigt letztlich, dass es Ihnen primär nicht unbedingt um den Jugendschutz an sich geht, sondern letztlich auch um die Kontrolle über die Informationen für zukünftige Wählergruppen. ({2}) Wir von der AfD freuen uns schon darauf – Sie lachen –, wenn Ihr sozialistischer Marsch durch die Institutionen und in die Köpfe der jungen Generation von den freien und staatsfernen Medien rückgängig gemacht wird – früher oder später; verlassen Sie sich darauf. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Huber. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Wort zum Kollegen Huber: Wenn Sie sich mit der Materie beschäftigen, dann müssten Sie wissen, dass für den Rundfunk die Länder zuständig sind und dass es bei diesem Gesetz nicht um Inhaltekontrolle geht. Aber es ist eine komplexe Materie; Sie können sich damit ja noch einmal vertieft auseinandersetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was glauben Sie, wie viele Minuten täglich sich ein Jugendlicher im Internet befindet? Im Jahr 2020 waren es 258 Minuten, also über vier Stunden. Jetzt kann man sagen: Na ja, es war Coronapandemie, dann war es bestimmt ein bisschen mehr. – Aber auch 2019 waren es nach der aktuellen JIM-Studie 205 Minuten, also etwa dreieinhalb Stunden. Etwa ein Drittel davon fällt auf Unterhaltung, ein Drittel auf Kommunikation, also Chatten, WhatsApp, und ein Drittel auf Spiele. Internet und digitale Medien sind also längst ein fester Bestandteil im Leben von uns allen und natürlich auch von Kindern und Jugendlichen geworden. Das ist erst einmal gut; denn das Netz bietet ganz viel, was uns Mehrwert bringt: Kommunikation, Interaktion, Information. Wir können auf das Wissen der ganzen Welt zugreifen, indem wir das Internet nutzen. Man hat Austausch, Unterhaltung; Austausch selbst über die speziellsten Themen. Man kann sogar Meditation und Entspannung im Netz finden. Auf der anderen Seite gibt es auch Gefahren. Zum Beispiel Cybergrooming. Sexueller Missbrauch beginnt nicht selten im Netz. Viel zu viele machen die verstörende Erfahrung, im Netz von Fremden angesprochen zu werden, bedrängt zu werden oder mit Bildern und Videos konfrontiert zu werden, die sie ängstigen und die sie verstören. Lootboxen, In-App-Käufe animieren zum Geld ausgeben, und zwar in einem etwas größeren Maße als beim Paninibildchen am Kiosk um die Ecke. Spielsucht, Sich-nicht-mehr-lösen-Können, ist ein anderes Risiko, das sich nicht bestreiten lässt. Wir als Gesetzgeber können nicht jedes Risiko beseitigen. Was wir aber tun können und auch müssen, ist, Kindern, Jugendlichen und Eltern Werkzeuge an die Hand zu geben, die ihnen Orientierung verschaffen und die ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst bestmöglich zu schützen. Genau das machen wir mit der Novellierung des Jugendmedienschutzes. Wir holen das Jugendschutzgesetz heraus aus dem Zeitalter von CD-ROM und Diskette. Wir machen es fit für das 21. Jahrhundert. Wir wollen klare Regeln schaffen, um Risiken einzudämmen und Eltern und Kinder bestmöglich bei der Mediennutzung zu unterstützen. ({0}) Dafür gibt es viele sehr innovative Neuerungen in diesem Gesetz. Wir schaffen zum einen mehr Transparenz und Orientierung. Interaktionsrisiken wie Chat- und Kontaktfunktionen, über die Kinder und Jugendliche häufig anonym und unbeobachtet kontaktiert werden, aber auch versteckte Kostenfallen oder glücksspielähnliche Funktionen in Spielen sollen künftig durch Deskriptoren kenntlich gemacht werden. Diese Deskriptoren bieten den Eltern Orientierung, indem sie über das, was die Altersbewertung bisher ausmacht, nämlich eine Aussage über den Inhalt des Mediums, hinausgehen. Als Elternteil oder als Jugendlicher kann ich so selbst bewerten, ob ich mich darauf einlassen will oder nicht. In manchen Fällen gibt es auch die Möglichkeit, dass diese Interaktionsrisiken in die Altersbewertung einfließen. Aber vor allem setzen wir auf die Deskriptoren. Besonders gelungen finde ich das dialogische Verfahren bei der Anbietervorsorge. Es ist nämlich nicht so wie in anderen Fällen, wo es nur eine Aufsicht gibt, die immer sagt, was nicht geht, sondern wir schaffen ein System, wo gemeinsam erörtert wird, was geht. In einem dialogischen Verfahren zwischen den Anbietern und der Aufsicht wird dann eruiert, was die besten Vorsorgemaßnahmen sind, um ein Spiel oder ein digitales Angebot entsprechend altersgerecht anbieten zu können. Das können ganz unterschiedliche Sachen sein, etwa Melde- und Hilfesysteme, die ich für sehr wichtig erachte, Hinweise auf Beratungsangebote oder datensensible Voreinstellungen am Nutzerprofil selbst. Es gibt also einen ganzen Baukasten. Es ist mir wichtig, dass wir hier keine starren Regelungen schaffen, sondern eine Auswahl, dass wir individuelle Lösungen finden, die dann in der Gesamtkonzeption dem besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen dienen. ({1}) Wir schaffen mit der Bundeszentrale eine neue Einheit – ja, es ist kritisiert worden –, aber das ist dann eben auch eine Stelle, die zum einen sehr gut mit den Aufsichten der Länder, mit der KJM, zusammenarbeitet. Wir haben auch im parlamentarischen Verfahren das Zusammenwirken noch einmal deutlich nachgeschärft und verbessert. Diese Stelle kann dann die Rechtsdurchsetzung gegenüber den ausländischen Anbietern besser gestalten; denn ohne Frage ist das Netz global. Wir haben es vor allem mit ausländischen Anbietern zu tun, die hier ihre Angebote, Plattformen oder auch Spiele anbieten. Deshalb ist es wichtig, dass wir Anbietervorsorge nicht auf nationale Angebote beschränken, sondern immer auch den Blick auf den internationalen Bereich werfen. Dafür sind die Verfahren und auch diese neue Stelle bestens geeignet. Liebe Kollegen, vielen Dank für die Beratungen der letzten Woche. Ich hoffe, dass dieses Gesetz in der Praxis seine Wirkung entfalten wird, wir Kinder und Jugendliche besser schützen und Eltern mehr Orientierung geben. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Schön. – Als nächsten Redner rufe ich auf den Kollegen Matthias Seestern-Pauly, FDP-Fraktion. ({0})

Matthias Seestern-Pauly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004890, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Giffey! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt auch trotz der Vorreden, die wir alle vernommen haben, weit hinter den Erwartungen zurück. Statt Verbesserungen und Vereinfachungen für einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz zu erreichen, gibt es mit Ihrem Gesetzentwurf mehr Bürokratie, neue Doppelstrukturen und Unsicherheit für unsere Familien. Fest steht: Ein moderner, zukunftsfester Jugendmedienschutz bedeutet wirksamer Schutz und Stärkung der Medienkompetenz. Er bedeutet Transparenz und Rechtssicherheit. Er bedeutet Verlässlichkeit, egal ob offline oder online. ({0}) All das wird mit Ihrem Gesetzentwurf jedoch nicht erreicht. Anstatt zu modernisieren, sorgen Sie dafür, dass gut funktionierende Strukturen zukünftig schlechter funktionieren werden. Ich frage mich beispielsweise in diesem Zusammenhang, wieso Sie mit einer zusätzlich geschaffenen Bundesbehörde, wie wir es gerade gehört haben, in die gut funktionierende Selbstkontrolle auf Landesebene eingreifen wollen. Auf diese Weise schaffen Sie neue Doppelstrukturen und mehr Bürokratie. Doch auch sonst bleibt vieles in Ihrem Gesetzentwurf auf der Strecke und ungelöst: Nicht gelöst wird die Problematik ausländischer Anbieter. Nicht gelöst wird die Durchwirkung von Gremienentscheidungen. Nicht gelöst wird die Frage rund um die Stärkung der Medienkompetenz und des technischen Jugendschutzes. Stattdessen schwächen Sie auch noch die jedem bekannte Alterskennzeichnung, indem Sie sogenannte Interaktionsrisiken miteinbeziehen. Wenn es nach Ihnen geht, fällt die Altersbewertung einer harmlosen Kinderserie einmal so und einmal so aus, je nach Interaktionsrisiko. Das führt zu großer Unsicherheit; denn je nachdem, ob die Serie im Fernsehen läuft oder digital, ob es eine Kommentarfunktion gibt oder halt nicht, ob es eine Chatfunktion gibt oder halt nicht, kommt man zu unterschiedlichen Altersbewertungen trotz immer gleichen Inhalts. Das schwächt Vertrauen und führt zu Unsicherheiten, und zwar von Medienanbietern bis hinein in unsere Familien. Was wir stattdessen brauchen, ist ein moderner Jugendschutz, der gut funktionierende Strukturen wie die Selbstkontrolle rechtssicher für Onlineangebote auch zukünftig ermöglicht und wirksam schützt. Wir brauchen einen Jugendschutz, der die Medienkompetenz unserer Kinder und Jugendlichen stärkt und für Anbieter und Familien verlässlich und transparent ist. Wir brauchen einen Jugendschutz, der im Dialog entsteht, europäisch denkt und Bürokratie abbaut, statt neue Doppelstrukturen zu schaffen. ({1}) Einen solchen modernen Jugendschutz fordern wir Freien Demokraten auch heute in unserem vorgelegten Entschließungsantrag. Ihr Gesetzentwurf jedenfalls hat sein Ziel leider verfehlt. Deswegen lehnen wir ihn heute ab. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Seestern-Pauly. – Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller, Fraktion Die Linke. ({0})

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass der Jugendmedienschutz reformbedürftig ist, das haben Vorredner ausgeführt, und darin sind wir uns, glaube ich, auch über die Grenzen hinweg in diesem Haus einig. Dass seit dem Scheitern des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages – ich glaube, 2014; es ist eine ganze Weile her – gar nicht so viel Zeit bis heute hätte vergehen dürfen, ist auch Konsens. Deswegen ist es Aufgabe der Regierung, eine Reform des Jugendmedienschutzes anzugehen, eine Aufgabe, bei der wir Sie begleiten wollten und die wir auch für notwendig halten. An dieser Stelle endet aber bereits die Einigkeit; denn was Sie hier heute vorgelegt haben, greift in vielerlei Hinsicht unseres Erachtens ins Falsche. Wie ist der Jugendmedienschutz bisher organisiert? Die Aufsicht über die Medien ist in den Ländern organisiert, ähnlich wie die Aufsicht über den Rundfunk, und sie ist staatsfern organisiert. Es gibt gute Gründe, warum wir in Deutschland Medien staatsfern und die Aufsicht in den Ländern organisiert haben und nicht zentralisiert beim Bund. Mit Blick auf europäische Nachbarstaaten können wir auch sehen, worin diese guten Gründe möglicherweise liegen, warum man hier besonders vorsichtig operieren muss und warum man hier sozusagen am offenen Herzen unterwegs und mit etwas Bedacht vorgehen muss. Jetzt sagen Sie, Frau Ministerin, der Jugendschutz – der gute Jugendschutz! – rechtfertigt, dass wir die Kompetenz von den Ländern faktisch an den Bund ziehen, indem wir es über ein nicht zustimmungspflichtiges Gesetz, nämlich über das Jugendschutzgesetz, regeln. Trotz Staatsferne sei das machbar, weil der Jugendschutz insgesamt richtig und notwendig ist. Die Staatsferne wollen Sie durch den Beirat, den Sie jetzt eingeführt haben, gewährleisten. Dieser zivilgesellschaftliche Beirat bei der neuen Bundeszentrale ist gar keine schlechte Sache; er geht ja auch auf den Vorschlag unseres Sachverständigen in der Anhörung zurück. Richtig ist auch, dass hier Jugendliche beteiligt werden. Wir finden ohnehin, dass es eine Schwäche im Jugendschutz ist, dass die Sicht und Perspektive von jungen Menschen selbst überhaupt nicht gehört wird. Insofern begrüßen wir, dass jetzt auch drei junge Menschen in diesen Beirat einbezogen werden sollen. ({0}) Aber Sie schaffen im Jugendschutz – dann kommt die große Frage: was soll das Ganze? – eine riesengroße Hintertür, regelrecht ein Scheunentor. Das wirft die Frage auf, ob der Weg, sich mit den Ländern derart anzulegen, die Staatsferne so sehr anzugreifen, gerechtfertigt ist, wenn das Ziel, der Jugendschutz, möglicherweise gar nicht erreichbar ist. Kollege Seestern-Pauly ist auf viele Detailfragen bereits eingegangen. Eine hat er ausgelassen – vielleicht, weil der Sachverständige der FDP in der Anhörung von der Gaming-Industrie gekommen ist –: Im Gesetzentwurf steht, dass alle Regularien, die eingeführt werden, nicht gelten, wenn ein Onlinedienst, ein Filmanbieter oder ein Spieleanbieter weniger als 1 Million Nutzerinnen und Nutzer hat. Da steht nicht: 1 Million Nutzerinnen und Nutzer in welchem Zeitraum? Da steht nicht: Was sind diese 1 Million Nutzerinnen und Nutzer? Sind das registrierte User? Sind das hinterlegte Kreditkartennummern? Sind das Aufrufe, Aufrufe am Tag, in der Woche, im Monat? Das alles ist überhaupt nicht geregelt. Damit ist völlig unklar, wo dieser Jugendschutz eigentlich helfen soll. Sie haben sich mit den Ländern angelegt und Schutzmaßnahmen eingeführt, die am Ende gar nicht greifen werden; denn jedes Unternehmen – Herr Präsident, ich komme zum Schluss – im Markt wird befähigt sein, diese Millionengrenze für sich so zu deuten, bis es passgenau ist. Am Ende haben Sie sich mit dem Jugendschutzgesetz einen Bärendienst erwiesen. Wir lehnen es deswegen ab und bitten, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Margit Stumpp, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Margit Stumpp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004909, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor 19 Jahren herrschte aus digitaler Perspektive noch Mittelalter; da war das Internet tatsächlich noch Neuland. Deswegen ist die Novelle des Jugendschutzgesetzes im Hinblick auf den besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen im Digitalen mehr als überfällig. Das Ziel war auch die Schaffung eines kohärenten Rechtsrahmens, also mehr Einheitlichkeit. Leider fehlte dazu der Mut. Das Ziel wurde krachend verfehlt. ({0}) Jetzt soll die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu einer Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz weiterentwickelt werden. Das begrüßen wir, denn sie könnte eine wichtige koordinierende Rolle einnehmen; aber genau das ist eben nicht vorgesehen. Der Wirrwarr an Prüfungs- und Aufsichtsinstitutionen bleibt unangetastet. So werden weiterhin die Kommission für Jugendmedienschutz, die verschiedenen Freiwilligen Selbstkontrollen, die obersten Landesjugendschutzbehörden und andere Akteure zuständig sein. Man staunt über den Entschließungsantrag der FDP, der im Kern auf noch weniger Jugend- und Jugendmedienschutz abzielt. Die Liberalen behaupten, das System der Freiwilligen Selbstkontrollen habe sich bewährt. Das widerspricht sowohl unserer Wahrnehmung als auch der von Kinder- und Jugendschutzverbänden. Die Realität ist eine andere. ({1}) Deswegen ist es auch schade, dass sowohl die FDP als auch die Linken im Einsatz von Deskriptoren eine Verwässerung der Alterskennzeichnung sehen. Die Linken schlagen stattdessen „Safety by Design“ und „Safety by Default“ als Schutz gegen Interaktionsrisiken vor. Das ist nicht verkehrt, und das sollten Unternehmen bei ihrer Produktentwicklung und ‑anpassung selbstverständlich noch stärker mitdenken. Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Für uns ist es selbstverständlich, dass die Interaktionsrisiken für eine verbesserte Alterskennzeichnung in die Risikobewertung einfließen; denn das macht tatsächlich einen Unterschied bei der Gefährdung. Schließlich geht es dabei auch um Transparenz für Eltern und Erziehungsberechtigte. ({2}) Es hilft uns an dieser Stelle auch nicht, den alten Bund-Länder-Streit in Fragen der Zuständigkeiten fortzusetzen. Der bessere Schutz von Kindern und Jugendlichen hätte es wirklich verdient, dass wir zu einer besseren Kooperation der Ebenen kommen. Das ist leider nicht gelungen und eine Schwäche des Gesetzes. ({3}) In unserem Entschließungsantrag machen wir weitere Verbesserungsvorschläge wie eine stärkere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Erarbeitung neuer Schutzleitlinien; das ist nämlich noch sehr im Argen. Wir werden die Novelle des Jugendschutzgesetzes daran messen, wie effektiv der Kinder- und Jugendmedienschutz in der Praxis fortan sein wird. Wir setzen uns weiterhin für noch wirksamere Verbesserungen zum Wohl von Kindern und Jugendlichen ein. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Svenja Stadler, SPD-Fraktion. ({0})

Svenja Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004412, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist fast geschafft. Noch eine Rednerin nach mir, und dann haben wir es mit zwei anschließenden Abstimmungen so weit gebracht, dass wir das Jugendschutzgesetz novelliert haben. Kinder und Jugendliche haben heutzutage ein ganz anderes Medienverhalten als wir: Onlinemedien, Smartphone, Tablets und Spielekonsolen bestimmen den Alltag in der Freizeit. Das Kommunikationsverhalten und der Medienkonsum dieser jungen Generation ist ein anderer. ({0}) Deshalb verschiebt sich da auch nach und nach alles ins Internet und in die sozialen Netzwerke. Daher ist es wichtig und richtig, dass wir heute Regelungen schaffen, die zeitgemäß sind. ({1}) Im Mittelpunkt unserer Gespräche standen immer der Schutz von Kindern und Jugendlichen und immer auch die Orientierung für Eltern und Erziehungsberechtigte, Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer. Im Mittelpunkt stand immer, dass es wichtig ist, dass wir eine rechtliche Durchschlagskraft haben. Anfang Januar fand eine Anhörung statt, die uns gezeigt hat, dass wir mit dem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg sind, dass es aber an der einen oder anderen Stelle Verbesserungswünsche gibt. Wir haben diese beraten – intensiv sogar. Auf einige Punkte will ich kurz eingehen: Wir nehmen eine Klarstellung im Umgang mit den Interaktionsrisiken wie Mobbing, Spielsucht und finanzielle Abzocke im Gesetz auf. Anbieter von Spiele- und Filmplattformen nehmen wir in die Verantwortung, Vorkehrungen zu treffen, die vor solchen Risiken schützen. Das ist wichtig. ({2}) Wir schreiben darüber hinaus die Aufteilung der vorgesehenen Zuständigkeiten klarer gesetzlich fest. Der Bund ist für die strukturellen Vorgaben im Kinder- und Jugendschutz zuständig, und die Länder übernehmen die inhaltsbezogene Aufsicht. Das ist richtig so. Mit der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz unter Einbeziehung der Kommission für Jugendmedienschutz sowie jugendschutz.net verzahnen wir die Zusammenarbeit der verschiedenen Instanzen, führen Expertisen zusammen und sorgen für eine stärkere Durchschlagskraft. ({3}) Mit der Berichtspflicht der Bundesregierung alle zwei Jahre gegenüber dem Beirat und eben auch alle vier Jahre gegenüber dem Bundestag sorgen wir dafür, dass wir eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Jugendschutzgesetzes sicherstellen. ({4}) Wie bei jedem Gesetz – so auch bei diesem – gilt das Struck’sche: Wir hatten einen guten Gesetzentwurf, und den haben wir ein wenig verbessert. – Aber – das möchte ich an dieser Stelle einmal betonen –: Dieses Jugendschutzgesetz ist kein Allheilmittel. Es ist ein weiteres gutes Werkzeug für Kinder, um sie zu schützen. Im Werkzeugkasten, der dem Schutz unserer Kinder und Jugendlichen dient, gibt es aber weitere Werkzeuge. Nur im Zusammenspiel dieser Instrumente wird es uns gelingen, dass unsere Kinder gut und sicher aufwachsen. ({5}) Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem großartigen und guten Jugendschutzgesetz. Die Anträge der Opposition lehnen wir ab. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Stadler. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Bettina Margarethe Wiesmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bettina Margarethe Wiesmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vieles ist schon angeklungen, ich möchte aber trotzdem ein wenig zusammenfassen, warum ich zustimme. Liebe Kollegin Stadler, es ist wirklich ein gutes Gesetz geworden. Das Gesetz verfolgt drei Ziele – es ist bereits angeklungen; ich setze einen anderen Akzent als die Ministerin –: Schutz, Orientierung für Eltern, aber auch Klarheit für Entwickler, Medien und Diensteanbieter. Insgesamt wollen wir den Jugendschutz stärken; das muss man bei all den Schnittstellen zu anderen Beteiligten immer wieder hervorheben. Das Gesetz – das ist mir besonders wichtig – ist zukunftsoffen. Es macht Vorgaben, aber es bleibt flexibel, indem es dem bewährten Zusammenspiel von freiwilligen Selbstkontrollen und staatlichen Aufsichtsinstanzen Raum für die Umsetzung lässt, aber auch für neue Schutzinstrumente, die es so noch gar nicht gibt; denn die digitale Welt entwickelt sich so rasant, dass starre Vorgaben schnell unwirksam werden. Was ändert sich nun genau? Ich will nicht alles wiederholen, sondern nur ein paar Akzente hervorheben. Erster Punkt. Ja, es werden die neuen, die dominanten Risiken, könnte man sagen, berücksichtigt. Dabei bleibt es, anders als suggeriert worden ist, bei den bewährten Alterskennzeichnungen von Medien im Hinblick auf Inhalterisiken, zum Beispiel Gewalt oder Sexdarstellungen. Aber zusätzlich und in kluger Weise berücksichtigt werden die neuartigen Interaktionsrisiken. Ich will auch hervorheben, dass es mir wichtig ist, dass sie jetzt im Normtext als nicht abgeschlossene Aufzählung stehen. Das sind Dinge wie Chats, Kaufappelle, Mechanismen, die glücksspielähnlich sind oder exzessives Mediennutzungsverhalten fördern, oder die Weitergabe von Bestands- und Nutzerdaten ohne Einwilligung an Dritte. Diese sollen mit Vorrang durch Deskriptoren sichtbar gemacht werden, zum Beispiel durch Piktogramme. Manche können unter bestimmten Voraussetzungen in die Altersbewertung einfließen, zum Beispiel dann – das ist wichtig –, wenn sie dauerhafter Bestandteil des Mediums sind oder eben nicht abgeschaltet werden können. All dies schafft gute Anreize für besseren technischen Jugendschutz, den Sie vermissen, und für mehr Nutzersouveränität. Das ist wichtig, und das ist gut. Zweiter Punkt: stärkere Selbstkontrollen. Es wurde behauptet, sie würden geschwächt. Nein, sie werden durch das Gesetz noch gestärkt; denn sie sind wichtig. Sie entwickeln nämlich einheitliche Kriterien – dazu werden sie durch das Gesetz angehalten – für die Beurteilung von Risiken. Sie können automatisierte Bewertungsverfahren vorhalten. Sie zertifizieren Jugendschutzbeauftragte. Sie können mit den Anbietern Vorsorgeleitlinien vereinbaren. Wer also als Anbieter mit einer Selbstkontrolle zusammenarbeitet, der erspart sich aufwendige Verhandlungen mit den Einrichtungen der Länder und des Bundes. Das gilt auch für ausländische Anbieter, und das ist ein großer Vorzug. ({0}) Vorsorge steht im Zentrum, und zwar durch die Plattformen. Alle Plattformen, auf denen nutzergenerierte Inhalte eingestellt werden, müssen künftig Vorsorge gegen diese Risiken der Entwicklungsbeeinträchtigungen treffen. Das ist eine systemische Schutzmaßnahme mit Instrumenten wie kindgerechten Meldeverfahren, Beratungsangeboten, Mitteln zur Benutzungssteuerung durch die Eltern, schützenden Voreinstellungen. Auch hier ist die Liste offen, weil wir nicht wissen, was uns dazu noch einfallen wird, und das ist gut so. Die Aufsicht darüber, ob Plattformen derlei sichtbar, auffindbar, erkennbar vorhalten, wird die neue Bundeszentrale führen, und zwar dialogisch. Die Vorzüge dieses Verfahrens sind auch schon gewürdigt worden. Es gibt tatsächlich eine klare Aufgabenteilung zwischen den Ländern und dem Bund; denn beide sind in Deutschland für den Jugendmedienschutz zuständig. Die bisherige Zusammenarbeit wird unter den Bedingungen der neuen Herausforderungen fortgesetzt und sogar intensiviert. Die Länder sind zuständig für die Inhalte und für Rundfunk und Fernsehen. Es war ein großes Anliegen, dass wir das klarstellen, und wir haben es gerne getan. Der Bund hingegen ist für die so wichtige Vorsorge zuständig. Wenn das nicht eine Regelung ist, die die Staatsferne berücksichtigt, dann weiß ich auch nicht. Ich glaube, es ist genau hier sehr gut gelungen. ({1}) Dritter Punkt: eine bessere Verzahnung. Es wird eine Alterskennzeichnung geben, die in allen Verbreitungswegen gültig ist. Es gibt Durchwirkung; das haben Sie offensichtlich gar nicht wahrgenommen, liebe Kollegen von der FDP. Jugendschutz.net wird zu einem gemeinsamen Kompetenzzentrum, aber eben nicht zu einer Mischverwaltung, weil das nicht geht. Aber Kompetenz wird dort unter einem Dach sein. Das war uns ein großes Anliegen. Vierter Punkt: Der Bund sorgt für dauerhafte Finanzierung. Es ist ein echter Fortschritt. ({2}) Ich muss fast schon zum Schluss kommen, deshalb will ich die Würdigung des Beirats, der auch mir sehr wichtig ist, und die Beteiligung der Jugendlichen jetzt gar nicht mehr ausführlich erwähnen. Ich will nur noch ein weiteres Mal sagen: Das Gesetz ist für die Zukunft, und es ist offen für die Zukunft. Den Anträgen der Opposition – unterschiedlich in ihren Akzenten – können wir nicht folgen, weil sie diese gute Qualität alle verkennen. Ich möchte in meinem letzten Satz, Frau Präsidentin, ebenfalls betonen, dass Frau Stadler natürlich recht hat: Jugendmedienschutz ist nicht allein Sache des Gesetzgebers, der Behörden und der vorsorgenden Anbieter, sondern auch der Eltern. Aber auch da wird die Bundeszentrale helfen, dass sie ihrem Auftrag der Erziehung zur Medienmündigkeit leichter und besser gerecht werden können. Es ist ein gutes Gesetz. Ich bedanke mich bei allen, die mitgeholfen haben, besonders, Frau Ministerin, bei Ihrem Haus. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Jörg Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004880, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Die AfD bringt heute zwei Anträge ein. Der erste fordert kostenfreie Antikörpertests. Viele Menschen infizieren sich mit Corona, bleiben aber symptomfrei, wissen deswegen nicht, dass sie sich natürlich immunisiert haben. Mit einem Antikörpertest kann man das feststellen. Sie ersparen sich dann natürlich die Impfung. Ich hatte diese Idee am Mittwoch in der Aktuellen Stunde zum Thema Teststrategie schon mal vorgestellt. Ich wurde dann einige Tagesordnungspunkte später vom SPD-Kollegen Heidenblut kritisiert. Er meinte, na ja, wer sich mit Corona infiziert habe, der könne später durchaus noch mal an Corona erkranken, ({0}) die Impfung sei eigentlich viel besser und man dürfe keinem die Impfung vorenthalten, nur weil er schon mal mit Corona infiziert gewesen sei. Zum Ersten. Ich habe nie gesagt, dass man einem die Impfung vorenthalten sollte, weil er schon mal an Corona erkrankt war oder sich infiziert hat. Nur, die Impfung macht dann schlechthin keinen Sinn. Und damit komme ich zum zweiten Punkt: Die SPD scheint da nicht so ganz auf der Höhe der Zeit zu sein. ({1}) Es ist natürlich richtig: Man kann sich mit Corona infizieren und später noch mal daran erkranken. Ja, die natürliche Immunität ist kein 100-prozentiger Schutz. Aber, meine Damen und Herren, das ist die Impfung auch nicht. BioNTech spricht von 95 Prozent Immunisierung. Und es gibt mittlerweile auch Studien – mir sind zumindest zwei bekannt: eine aus Katar, eine aus Großbritannien –, die besagen, die natürliche Immunisierung ist mindestens genauso gut wie eine Impfung. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, wenn das Ihr Argumentationsniveau ist, dann schlage ich doch mal vor: Verzichten Sie auf die klassischen Politikdisziplinen. Folgen Sie Frau Esken und Herrn Kühnert. Kümmern Sie sich um die neuen sozialdemokratischen Kernkompetenzen, die da wären: Gender und Diversity, meine Damen und Herren. ({3}) Im zweiten Antrag fordern wir einen Strategiewechsel; denn der ist bitter nötig. Das, was die Bundesregierung da macht, versteht doch kein Mensch mehr. Da sagen wir den jungen Menschen: Ihr müsst zu Hause bleiben, damit wir die Alten schützen. – Jetzt sind die Älteren geimpft, man denkt: „Na, dann können wir sie ja wieder ins Restaurant lassen“, und den jungen Leuten sagt man: „Nee, nee, also ihr seid ja noch nicht geimpft; ihr müsst weiter zu Hause bleiben.“ Meine Damen und Herren, das ist doch absolut sinnfrei! ({4}) Ja, wir sehen da ein Stück weit Licht am Ende des Tunnels. Die Impfstoffbeschaffung war eine Katastrophe, das Impfmanagement, all das hatte eher das Organisationsniveau der Bauherren vom Berliner Flughafen. Aber wir können davon ausgehen, dass Ende dieses Monats die Risikogruppen wohl weitgehend durchgeimpft sind. ({5}) Auf diese Risikogruppen entfallen 90 Prozent der Todesfälle und der schweren Verläufe. Das bedeutet: Bei gleicher Inzidenz, bei gleicher Fallzahl, werden wir zukünftig nur noch 10 Prozent an schweren Verläufen, Todesfälle haben. Oder anders ausgedrückt: Eine Inzidenz von 50 im vergangenen Dezember hatte auf das Gesundheitssystem die gleichen Auswirkungen, wie im Mai dieses Jahres eine Inzidenz von 500 haben wird. ({6}) Das heißt, wir haben erheblich Luft nach oben. Das rührt die Bundesregierung aber überhaupt nicht an – sie bleibt bei ihrem Kurs –, und die Inzidenz wird weiterhin als die zentrale Kennzahl des Coronamanagements gesehen, obwohl sie das definitiv nicht ist, meine Damen und Herren. ({7}) Das Einzige, was Sie mit Ihrer Coronapolitik schaffen, ist: Sie schüren Hysterie und Paranoia. Gehen Sie durch die Straßen, Sie sehen Menschen, die alleine im Auto sitzen und eine Maske tragen. In einem einsamen Wald gehen Menschen alleine spazieren – und tragen eine Maske. Das sind vielleicht noch Skurrilitäten. Aber wir wissen auch: Die Zahlen der Vorsorgeuntersuchungen sind dramatisch zurückgegangen, weil sich die Leute nicht mehr zum Arzt trauen. Die Zahl der Menschen, die in Krankenhäusern mit Herzinfarkten, Schlaganfällen behandelt wurden, ist zurückgegangen, weil die Leute sich nicht mehr in die Krankenhäuser trauen. Das hat dramatische Konsequenzen. Stellen Sie sich vor: Ein Mann, 50 Jahre, mit Prostatakrebs. Der Krebs wird rechtzeitig erkannt, es bestehen gute Heilungschancen; der Mann hat noch eine Lebenserwartung von mindestens 20 Jahren. Der gleiche Mann, die gleiche Erkrankung, ein Jahr später erkannt: Die Lebenserwartung schmilzt auf wenige Jahre zusammen. Das Gleiche gilt für die Herzinfarkte, die nicht behandelt werden. Und es gilt auch für die Jugendlichen, die sich mit jedem Tag des Lockdowns mehr daran gewöhnen, in ihrer Freizeit nicht Sport zu treiben, sondern mit einer Tüte Chips auf der Couch zu sitzen, meine Damen und Herren. ({8}) Das Perfide daran ist: Das werden wir in Zahlen vielleicht feststellen können, wenn wir in 20 Jahren mal Statistiken durchlesen; ({9}) aber am 26. September werden wir davon in den Statistiken noch nichts sehen. – Meine Damen und Herren, das ist das süße Gift des Lockdowns. Sie können dann nämlich im Wahlkampf herumlaufen und sagen: Wir haben Menschenleben gerettet! Guckt euch die doofen „Covidioten“ an, die auf einen Lockdown verzichtet haben. – Aber von all den Millionen Lebensjahren, die Sie den Menschen in diesem Land gestohlen haben, werden Sie im Wahlkampf nicht sprechen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Achten Sie bitte auf die Zeit.

Jörg Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004880, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Aber wir werden es tun, wir werden es weiterhin tun, und wir fordern ein Ende des Lockdowns, meine Damen und Herren! ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Alexander Krauß das Wort. ({0})

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Anträgen der AfD finden sich viele Falschaussagen. Es geht schon los mit der Aussage, dass der Lockdown in der zweiten Welle sozusagen überhaupt nichts gebracht hat. ({0}) Die Wirklichkeit ist eine andere: Die Zahl der Neuinfektionen ist um zwei Drittel gesunken. Das kann man in der Statistik ganz klar nachlesen. Es waren harte, einschneidende Maßnahmen – die Schließung des Einzelhandels usw. –; aber man kann auch sagen: Diese Maßnahmen haben etwas gebracht. Ich fahre mit dem fort, was Sie sonst noch so schreiben: Das Stoßlüften führe zur – ich zitiere Sie – „permanenten Unterkühlung der Schüler“. Abgesehen davon, dass Lüften auch außerhalb der Pandemie etwas sehr Sinnvolles ist, ({1}) haben wir derzeit deutlich weniger Erkältungskrankheiten. Das ist ein Nebeneffekt der Hygienemaßnahmen, zu denen gehört, dass wir Abstand halten, und ich finde, das ist positiv. Was bei keinem AfD-Antrag fehlen darf, ist eine Prise Ausländerfeindlichkeit. Da lesen wir dann, dass „dunkelhäutige Menschen“ bei uns in der nördlichen Hemisphäre zu wenig Sonne bekommen, deswegen einen Vitamin‑D-Mangel entwickeln, deswegen schneller erkranken und das Virus dann weitergeben. ({2}) – Aber Sie schreiben gerade von Dunkelhäutigen. ({3}) Das sind diejenigen, denen Sie vorwerfen, dass sie das Virus bei uns im Land verbreiten. ({4}) Und das ist vollkommener Unsinn. Das Virus wird verbreitet, weil jeder Mensch, egal welche Hautfarbe er hat, sich anstecken kann. ({5}) Sie haben es also geschafft, sehr, sehr viel Unfug zu Papier zu bringen. In Ihrem zweiten Antrag geht es dann darum: „Herdenimmunität durch … Antikörpertests ermitteln.“ Abgesehen davon, dass die Antikörpertests eine Kassenleistung sind, muss es doch nicht darum gehen, eine Herdenimmunität zu ermitteln, sondern unser Ziel muss sein, eine Herdenimmunität herzustellen. ({6}) Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, schaffen wir durch das Impfen. Sie bieten da keinerlei hilfreiche Hinweise an, wie wir das schaffen können. Es muss ums Impfen gehen, und da – keine Frage! – müssen wir uns steigern, und ich bin sicher, wir werden uns steigern. ({7}) Aber was machen Sie? Sie sprechen von einer Strategie, und ich bin meinem Vorredner dankbar, dass er hier angedeutet hat, worum es Ihnen eigentlich geht: um den Wahlkampf. Ihre Strategie ist ganz einfach: Sie wollen die Leute verunsichern. Das machen Sie ja, indem Sie in Ihrem Antrag schreiben, das Impfen könnte ja irgendwie gefährlich sein; ({8}) das ist Ihre Botschaft. Aber genau das Gegenteil ist richtig: Sich nicht impfen zu lassen, ist gefährlich. Ja, es kann sogar lebensgefährlich sein. – Ich bin froh, dass die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger bei uns im Land das genauso sieht. Die Strategie, die die AfD hat, hat Ihr ehemaliger Pressesprecher ja dankenswerterweise sehr offen dargelegt. Er hat gesagt – ich will ihn zitieren, weil er ehrlich war –, er ist ein „Faschist“. Da kann man ja nur zustimmen; da hat er recht. Und er hat weiter gesagt, er habe die Strategie mit Herrn Gauland – er weiß es – lange besprochen. ({9}) Und was ist die Strategie, die die AfD hat? Ich zitiere: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“ Das Ziel hinter Ihren Anträgen usw. ist also immer ein und dasselbe: Verwirrung stiften, Menschen verunsichern, vom Impfen abhalten, dafür sorgen, dass die Pandemie möglichst lange geht, dass es dem Land schlecht geht. – Genau das ist Ihre Strategie. ({10}) Ich und wir sehen das anders: Wir sehen unsere Aufgabe als Parlament darin, dass es Deutschland gut geht. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir gut durch diese Naturkatastrophe der Pandemie kommen. Wir wollen sicher und zügig durch das Impfen zum normalen Leben zurückkehren. Das ist unser Ziel, und das unterscheidet uns von Ihnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Wieland Schinnenburg für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Wieland Schinnenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004874, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, was das ist? – Das ist eine Lupe. Die habe ich mir extra besorgt, um in Ihren Anträgen nach irgendwas Brauchbarem zu suchen. ({0}) Leider habe ich trotz Lupe nichts gefunden. Aber ich brauche keine Lupe, um sehr schnell zu merken, wie viel Unsinn in Ihren Anträgen steht, zum Teil sogar gefährlicher Unsinn. Das erkennt man völlig ohne Lupe. Lassen Sie mich einige wenige Punkte davon erwähnen. Erster Punkt. Sie fangen damit an, zu behaupten, der Lockdown habe ja nichts gebracht. Am 27. Januar haben Sie diesen Antrag geschrieben. Da waren die Infektionszahlen bereits nur noch halb so hoch wie am Gipfelpunkt. Lesen Sie das nicht? Taucht das in Ihren Papieren nicht auf, Herr Gauland, in den alten Zeitungen? Ich weiß es nicht. Informieren Sie sich einfach erst mal, bevor Sie so etwas behaupten. ({1}) Zweiter Punkt. Sie behaupten: Eine Quarantäne sollte man nicht bei den Menschen machen, die keine Symptome zeigen. – Wiederum die Frage: Lesen Sie das nicht? Wir alle wissen, dass die größte Infektiosität zwei Tage vor den ersten Symptomen auftritt. Die Umsetzung Ihrer Forderung würde dazu führen, dass es noch wesentlich mehr Infizierte gäbe. Schämen Sie sich dafür, meine Damen und Herren. ({2}) Dritter Punkt. Sie sagen: Na ja, bei den Nichtrisikogruppen brauchen wir keinen besonderen Schutz. – Ja, es gibt Hochrisikogruppen – Stichwort: Pflegeheime –, wo die Bundesregierung monatelang versagt hat; das stimmt schon. Aber daraus können wir doch nicht den Schluss ziehen, dass man andere gar nicht mehr schützt. Ich sage Ihnen was: Ich möchte nicht, dass 23-jährige junge Männer, die keine Vorerkrankung haben, krank werden, sich infizieren, auf der Intensivstation liegen und vielleicht sterben oder Langzeitfolgen haben. Ihnen mag das egal sein. Mir ist das nicht egal, kann ich Ihnen dazu nur sagen. ({3}) Vierter Punkt. Sie sagen, Sie wollten bei allen Menschen Antikörpertests durchführen. Haben Sie mal ausgerechnet, was das kostet? ({4}) Ich habe es für Sie getan – wir können auch für die AfD mal Serviceopposition sein –: Über 4 Milliarden Euro kostet das. Wie viele Menschen werden Sie damit erwischen? Weniger als 3 Prozent. Eine gigantische Verschwendung von Geld, von materiellen Ressourcen und von Arbeitskraft! All das nutzen wir besser zur Bekämpfung von Covid und nicht für die Umsetzung Ihrer dämlichen Vorschläge. ({5}) Fünfter Punkt – das hatte der Kollege ja schon erwähnt; es ist ein bisschen versteckt, aber nicht überraschend –: Sie kommen natürlich wieder mit Ressentiments gegen Menschen, die anders sind als Sie. Sie schreiben wieder davon, dass dunkelhäutige Menschen gefährlich sind. Meine Damen und Herren, so was will ich von Ihnen nicht hören. Ich will konstruktive Vorschläge hören. Vielleicht kommen sie irgendwann; aber in diesem Antrag sind keine davon. ({6}) Letzte Bemerkung. Wir wissen ja nun: Der Verfassungsschutz beschäftigt sich mit der AfD wegen möglicher Verstöße gegen unsere Verfassung, wegen Gefahren für die Demokratie. ({7}) Ich habe mittlerweile das Gefühl: Die AfD ist nicht nur eine Gefahr für die Demokratie, sondern auch für die Gesundheit. Wenn wir all das machen, was Sie vorschlagen, wird die Pandemie sich gewaltig ausdehnen. Deshalb sind Sie eine Gefahr für die Demokratie. ({8}) Deshalb schlage ich vor, dass Sie nicht nur der Verfassungsschutz beobachtet, sondern auch die Gesundheitsämter. Das wäre die richtige Maßnahme. Vielen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau von Storch, mäßigen Sie sich bitte. ({0}) Ich hoffe, dass es den Stenografen möglich war, was mir nicht möglich war, nämlich das akustisch so aufzunehmen, dass man das noch mal nachlesen kann. Das Wort hat die Abgeordnete Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion. ({1})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die beiden Vorredner ja schon die entsprechenden Punkte angesprochen haben, will ich mal die lange Linie aufzeigen, die von der AfD seit Bestehen der Coronapandemie gezogen worden ist: Für die AfD gab es erst gar kein Corona, dann plötzlich doch. ({0}) Dann war der Lockdown nicht hart genug, nun dauert er viel zu lange. Erst waren die Impfstoffe alle gefährlich. Nun kann es mit dem Verimpfen gar nicht schnell genug gehen. ({1}) Gestern sollten wir den Lockdown sofort komplett beenden. Jetzt sagen Sie: Die pandemische Lage ist so, dass die Risikogruppen aber doch besser geschützt werden sollten. – Der letzte Satz von Herrn Schneider war: „Wir fordern ein Ende des Lockdowns ...“ Ja, was denn nun? Mit dem vorliegenden Antrag für die Testungen mit Corona-Antikörpertests setzt die AfD dieses Schema jetzt fort. Zum Thema Antikörperschnelltest sagte einer Ihrer Redner in der vergangenen Woche, dass es bei diesen Tests zwei Probleme gäbe, nämlich dass sie erstens trotz Infektion manchmal negativ ausfallen würden und zweitens manchmal ein falsch positives Testergebnis aufgrund einer früheren, anderen Coronaerkrankung zeigen würde. Irgendwie müssen Sie sich mal ein bisschen einig werden. ({2}) Es hilft nicht, dass unterschiedliche Rednerinnen und Redner hier unterschiedliche Thesen vertreten. Vielmehr führen die Behauptungen der AfD dazu, dass wir alle den Eindruck haben: Es geht Ihnen nicht um die Sache; es geht Ihnen um die Polemik. ({3}) Nur eine Woche nach der von mir dargestellten Rede kommt jetzt die Hundertachtziggradwende der AfD. Sie schreibt plötzlich, dass alle Bedenken gegen Antikörpertests weggewischt werden können. Sie fordert nun, diese massenhaft in der Bevölkerung zu verteilen, um die Herdenimmunität zu prüfen und in der Folge Menschen Impfungen zu verweigern. ({4}) Nun sind die Tests, die in der Plenarwoche im Februar noch als riskant und unsicher dargestellt wurden, Anfang März plötzlich das Allheilmittel, und es wird behauptet, dass die Pandemie offensichtlich überstanden sei. ({5}) – Wer schreit, hat nicht recht. Sie müssen schon Argumente bringen. ({6}) Wir können feststellen: Seit einem Jahr versucht die AfD, dieses Thema für sich politisch auszunutzen, und zwar nicht, um die Pandemie zu überwinden, sondern um irgendwie davon zu profizieren. Je komplexer das Thema wird, je intensiver wir uns im Detail damit auseinandersetzen, desto holzschnittartiger versuchen Sie, irgendwie Honig herauszusaugen, aber nicht, um der Bevölkerung in irgendeiner Weise zu dienen, sondern um vorzukommen. Und: Sachzusammenhänge sind Ihnen noch nie wichtig gewesen. ({7}) Zu den beiden Anträgen, die Sie hier abliefern. Ich bin meinen beiden Vorrednern, vor allen Dingen Ihnen, Herr Krauß, sehr dankbar, dass Sie die Anträge auseinandergenommen haben; denn es ist eine Zumutung, sie zu lesen. Es ist einfach eine Zumutung für jemanden, der sich mit dem Gesundheitsbereich beschäftigt und versucht, dazu beizutragen, dass wir die pandemische Lage miteinander bewältigen. Ich muss Ihnen sagen: Sie tragen nicht dazu bei, die pandemische Lage zu bewältigen. Ihre Beiträge sind dazu gedacht, die Bevölkerung zu verunsichern, und zwar durch – mein Vorredner hat es schon richtig gesagt – Falschaussagen und Anschuldigungen. Vor allen Dingen Ausgrenzungen prägen Ihre politische Arbeit. ({8}) Ich sage in diesem Zusammenhang auch: Die AfD will sich als Alternative für Deutschland hervortun. Sie zeigen aber, dass Sie nicht die Alternative für Deutschland sind. Wir hingegen sorgen dafür, dass die pandemische Lage in unserem Land einigermaßen bewältigt wird, und zwar gemeinsam und solidarisch – nicht aufhetzend, nicht antreibend. Das haben wir erst gestern noch gezeigt, als wir über das Fortgeltungsgesetz diskutiert haben. Wir haben beschlossen, die Rahmenbedingungen für die nächsten drei Monate weiterlaufen zu lassen, weil die pandemische Lage noch nicht bewältigt ist. Wir wollen aber, dass zum Beispiel Pflegeeinrichtungen weiter unterstützt werden. Wir wollen auch, dass unsere Gesetzgebung evaluiert wird und im Nachgang der Pandemie aufgearbeitet wird. Wir wollen, dass dieses Parlament alle drei Monate beteiligt ist. ({9}) Wir treffen auf Argumenten fußende Entscheidungen und berufen uns nicht auf Populismus. Ich muss Ihnen schon sagen: Sie sollten mit Ihren Anträgen vorsichtiger sein. Eine Antragsflut ist noch kein Hinweis auf Qualität. Ich kann nur sagen: Ihre Anträge lehnen wir schlichtweg ab. Die Qualität der Anträge, die Sie abliefern, ist für uns nicht überzeugend. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Achim Kessler für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD im Gesundheitsausschuss erinnert mich manchmal an meine Schulzeit. Dreieinhalb Jahre hat sie gepennt. Jetzt realisiert sie, dass es bald Zeugnisse gibt, und überschüttet uns mit einer Unmenge schlecht gemachter und überflüssiger Anträge. Auch diese Anträge beweisen wieder einmal die sagenhafte Inkompetenz der AfD-Fraktion. Aus dem Kontext gerissene Quellen sollen hier für eine einfach klingende, aber de facto schlicht gefährliche Strategie herhalten: Die Risikogruppen sollen geschützt werden, und dafür sollen Maßnahmen für die Allgemeinheit zurückgenommen werden. Das ist nicht nur viel zu simpel, sondern es ist auch falsch. Es ist nämlich schlicht und ergreifend gar nicht möglich, Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims wie nach dem Willen der AfD zu schützen, wenn draußen die Pandemie ungehindert tobt. ({0}) Sie ignorieren damit auch die schwerwiegenden Langzeitfolgen, die Covid-19 auch für jüngere Menschen haben kann. Wenn Sie nicht klar aussprechen, was Ihre Forderung eigentlich bedeutet, dann tue ich es an dieser Stelle: Alte und Pflegebedürftige werden ihrer sozialen Kontakte vollständig beraubt. Eine solch unmenschliche Forderung müssen wir entschieden zurückweisen. ({1}) Das gesamte Verhalten der AfD seit dem Ausbruch der Pandemie ist wankelmütig und verantwortungslos. Die AfD verbreitet Verschwörungsmythen, redet zynisch von „Ermächtigungsgesetzen“ und über die „Coronadiktatur“. ({2}) – Grölen Sie nur rum. Sie zeigen den Leuten damit, wie Sie arbeiten. ({3}) – Grölen Sie ruhig weiter. Aber der Gipfel ist, dass die AfD diese Woche erneut beantragt hat, dass der Bundestag die Pandemie für beendet erklären soll. Das zeigt doch ganz deutlich, dass Ihnen das Schicksal der Menschen wirklich vollkommen egal ist. ({4}) Das einzige Interesse, das die AfD hat, ist, diese Pandemie für sich selbst populistisch zu nutzen. Ich finde das widerlich. ({5}) Diese Eigennützigkeit verbindet die AfD auch in der Gesundheitspolitik mit rassistischer Hetze und mit Klientelpolitik für Reiche und Konzerne. Die AfD legt kein einziges brauchbares Konzept vor, mit dem man reale Probleme lösen könnte. Stattdessen fordert die AfD mehr Markt bei der Versorgung und den Abbau staatlicher Gestaltung. Dabei hat doch gerade die Pandemie gezeigt, dass der Markt nicht in der Lage ist, soziale Systeme, zum Beispiel das Gesundheitssystem, zu lenken. ({6}) Die Zweiklassenversorgung mit gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen findet die AfD richtig gut, die Entlastung der Reichen bei der Finanzierung des Gesundheitssystems auch. Ärztinnen und Ärzte sollen nach dem Willen der AfD mehr verdienen, Geringverdiener dagegen sollen nicht entlastet werden. ({7}) Die AfD propagiert einen üblen Nationalismus, bei dem alles Schlechte von außen kommt, ({8}) seien es ausländische Ärztinnen und Ärzte, seien es ausländische Medikamente oder aber die Geflüchteten, die angeblich Epidemien einschleppen. Es ist sehr, sehr gut, dass eine überwältigende Mehrheit dieses Hauses und dieser Gesellschaft diesen Rassismus entschieden zurückweist. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Janosch Dahmen für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde bin ich ja ganz froh darüber, dass wir durch die beiden heute aufgesetzten Anträge der AfD endlich einmal schwarz auf weiß vorliegen haben, an was diese Fraktion inmitten der größten Gesundheitskrise, die unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, eigentlich glaubt. Bisher haben wir ja nur gehört, woran die AfD alles nicht glaubt, etwa dass Covid-19 keine schwerwiegende Erkrankung und stattdessen nur eine herkömmliche Grippe sei, ({0}) dass Impfstoffe nicht sicher seien und am Ende gar nicht wirkten oder dass hinter allem am Ende Bill Gates oder andere ominöse Mächte stünden. Wenn ich mir nun die Anträge der AfD durchlese – das habe ich sorgfältig getan –, dann kann ich als Mediziner nur eine Diagnose stellen – wir haben es eben wieder sehr ausführlich erlebt –: Diese Partei, die AfD hier im Bundestag, leidet in dieser katastrophalen Lage durch die Pandemie unter Realitätsverweigerung, und zwar auf ganzer Linie. ({1}) Ich gebe Ihnen zwei Beispiele dafür: Das erste Beispiel. Sie behaupten, dass eine überstandene Covid-19-Erkrankung – selbst mit einem symptomlosen Verlauf – die Menschen genauso gut auf eine erneute Erkrankung vorbereitet und vor ihr schützt wie eine Impfung. Das ist schlichtweg falsch, kann ich Ihnen als Mediziner sagen. Die Immunreaktion, die Antikörperbildung, ist nach einer Impfung deutlich stärker als nach einer Erkrankung. ({2}) Die Impfstoffe helfen bisher auch gegen die Mutationen, die Antikörper der Erkrankten unter Umständen jedoch nicht. Es gibt sogar Erkrankte, bei denen anschließend überhaupt keine Antikörper nachgewiesen wurden. Lassen Sie es mich klar sagen: Sie wollen Menschen mit überstandener Krankheit, Menschen, die unter Umständen nicht ausreichend geschützt sind, den Impfstoff vorenthalten. Sie machen Stimmung gegen die Schutzimpfung. Ihr Vorschlag zu Antikörpertests ist ein Vorwand, um Ihre eigentliche Intention zu verdecken. Damit setzten Sie das Leben zahlreicher Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel. Als Arzt macht mich dieser Vorschlag wirklich wütend, weil er Menschenleben gefährdet. ({3}) Sie wollen Durchseuchung statt Impfung. Sie wollen Menschen gefährden, und das in der Pandemie, in einer solchen Lage; das ist wirklich unverantwortlich. – Da nützt auch kein Geschrei. ({4}) Das ist schlichtweg falsch. ({5}) Das zweite Beispiel. Sie schreiben, der Lockdown und alle weiteren Maßnahmen, die angeblich nicht wissenschaftlich bewiesen seien, müssten sofort beendet werden. Selbstverständlich ist die Wirksamkeit der Einschränkung von Kontakten wissenschaftlich bewiesen. Selbstverständlich führt eine Reduktion von Mobilität zu einer Unterbrechung und Einschränkung von Kontaktketten. Das steht in „Nature“, das steht in „Science“, das steht im „Deutschen Ärzteblatt“, das steht in allen wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit dieser Pandemie beschäftigen. Wenn Sie sich nicht nur auf YouTube, wenn Sie sich nicht nur auf Streamingkanälen, wenn Sie sich nicht nur in irgendwelchen Verschwörungsforen rumtreiben würden, sondern vernünftige wissenschaftliche Publikationen lesen würden, dann wüssten Sie, was wirkliche wissenschaftliche Evidenz ist. ({6}) Da graut es mir, wenn gerade Sie hier ein neues Expertengremium auf Bundesebene zusammenstellen wollen. Ihre sogenannten Experten sind keine Wissenschaftler, sondern Wissenschaftsleugner. Ihr Gremium wäre kein Gewinn, sondern eine Gefahr für unser Land. Also hören Sie bitte auf, von Wissenschaft zu sprechen; Sie ziehen seit einem Jahr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus diesem Land hier durch den Dreck. ({7}) Ihre Fake News sind ein Freifahrtschein für das Virus und eine Gefahr für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Hören Sie auf damit! Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Hennrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei Anträge der AfD, einen zum Thema „Schutz von Risikogruppen“ und einen zum Thema „flächendeckende Antikörpertests“. Ich habe diese Debattenwoche sehr intensiv verfolgt. Ich habe die Rede vom Herrn Brandner gehört – eine einzigartige Hetzrede. Ich habe heute die Rede vom Herrn Oehme gehört, in der er das Thema Impfen in einer beispiellosen Art und Weise diskreditiert hat. ({0}) Und: Ich habe vor Kurzem Ihre Rede, Herr Schneider, zum Thema Antikörpertest gehört. Am Mittwoch dachte ich wirklich: Mensch, vielleicht ist das ein Punkt, über den man wirklich mal konstruktiv diskutieren kann. – Doch jetzt dieser Auftritt, und ich stelle mir wieder die Frage: Wo steht die AfD beim Thema Coronapandemie? Sie fordern Dinge, die wir teilweise schon längst umgesetzt haben. Sie nehmen Themen nicht richtig ernst. Sie bagatellisieren Infektionen von jüngeren Menschen. Ich habe diese Woche das Interview mit dem Handballtrainer des EHV Aue gelesen, der zwei Monate auf der Intensivstation lag, mit 47 Jahren. Ich habe in meinem Wahlkreis den Frank Stäbler, Ringerweltmeister, 67 Kilo, topfit, der eine Infektion hatte und heute 40 Prozent Leistungseinbuße hat. Deswegen ist es falsch, wenn Sie dieses Thema, was Jüngere angeht, einfach unterschätzen und bagatellisieren. ({1}) Sie erklären die Pandemie für beendet und wollen die Einsetzung eines Pandemierates. Zum Thema Impfen: Es gibt keine vernünftige Argumentation dazu. Meine Bitte an die AfD: Setzen Sie sich mal mit dem Thema Coronapandemie vernünftig auseinander, und positionieren Sie sich klar. Es funktioniert einfach nicht, wenn man unterschiedliche Strömungen und Ansichten irgendwie unter einen Hut bringen will. Das hilft Ihnen nicht weiter. Sie haben bisher bei diesem Thema ja auch keinen Erfolg vorweisen können; das zeigen auch die Umfragewerte. Ich möchte auf das Thema Antikörpertest eingehen, weil es wichtig ist, dass man sich mit der Frage fachlich auseinandersetzt. Ich gebe ganz offen zu, Herr Schneider: Als Sie am Mittwoch darüber gesprochen haben – der Herr Heidenblut hat sich mit der Frage ja auch auseinandergesetzt –, habe ich mich gefragt: Ist da vielleicht was dran? Ich will Ihnen eine fachliche Antwort geben. Sie haben in Ihrer Rede am Mittwoch gesagt, dass die Dunkelziffer wahrscheinlich sechsmal so hoch ist. Falsch! ({2}) Sie haben die obere Range genannt. Es wird gesagt: zwischen 2 und 6 Prozent. Zweitens. Wir haben keine klare Erkenntnis, wie lange diese Antikörper wirken, wie lange sie vorhanden sind. Darüber gibt es keine klare Erkenntnis. Der springende Punkt ist: Jetzt machen wir flächendeckend Tests. Neben dem Impfen und neben den Schnelltests fangen wir an, auch noch Antikörpertests zu machen. Wenn Sie die Presse verfolgt haben, haben Sie lesen können, dass es scheinbar Ministerpräsidenten gibt, die den Unterschied zwischen Laientest und Schnelltest nicht kennen. Warum soll das die Bevölkerung wissen? Wenn Sie denen jetzt auch noch mit Antikörpertests und Antigentests kommen, schaffen Sie Verwirrung pur. Deswegen glaube ich, dass das der falsche Weg ist. Ich will noch einen Punkt ansprechen, der beim Thema Antikörpertest wichtig ist: So spannend das wäre, mit welchem Personal wollen Sie das schaffen? ({3}) Wir brauchen aktuell Personal zum Impfen, wir brauchen aktuell Personal für die Schnelltests. Es ist schwierig, Personal zu finden, das vor den Altenheimen steht. Und dann machen wir noch eine dritte Reihe für Antikörpertests auf? Ich glaube, das zeigt die ganze Absurdität dieses Antrags. Es wird schlicht und ergreifend mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Deshalb müssen wir diesen Antrag ablehnen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch nach knapp einem Jahr Pandemie haben Sie von der AfD offensichtlich noch gar nichts gelernt. Mit dem vorliegenden Antrag zu flächendeckenden Antikörpertests ignorieren Sie nicht nur sämtliche Studienergebnisse; Sie machen den Menschen auch noch unnötig Angst vor Impfungen. Aber etwas anderes habe ich von Ihnen auch gar nicht erwartet. Sie können sich hier nicht mal auf eine einheitliche politische Stoßrichtung verständigen. Im Frühjahr gingen Ihnen die Coronamaßnahmen nicht weit genug, im Sommer gossen Sie bei den Demos gegen die Coronamaßnahmen Öl ins Feuer, und jetzt kommen Sie plötzlich mit einer Coronastrategie und Vorschlägen zum Schutz der Risikogruppen ums Eck. Mit Verlaub, meine Damen und Herren: Ich finde, es ist ein Unding, wie Sie die Bürgerinnen und Bürger hier mit Absicht täuschen. ({0}) Aber zu Ihrem Antrag: Es ist sehr interessant, dass Sie im Titel das Wort „Herdenimmunität“ verwenden. Ich muss mich schon fragen, ob Sie die Bedeutung dieses wissenschaftlichen Begriffs überhaupt richtig verstanden haben. ({1}) Von einer Herdenimmunität sprechen wir nämlich in der Regel dann, wenn ein Erreger sich durch eine weitreichende Immunität innerhalb der Bevölkerung nicht weiter ausbreiten kann. Beim SARS-CoV-2-Virus müssen dazu aber 60 bis 70 Prozent der Menschen entweder geimpft sein, oder diese Personengruppe muss diese Erkrankung durchgemacht haben. ({2}) Davon, meine Damen und Herren, sind wir noch sehr weit entfernt. Warum ich das so genau sagen kann? Weil das RKI seit dem vergangenen Jahr zahlreiche Antikörperstudien veröffentlicht hat, die Sie aber ganz offensichtlich überhaupt nicht gelesen haben. In einer der bekanntesten Studien testet das RKI seit April 2020 bundesweit alle 14 Tage etwa 5 000 Proben von Blutspendern auf das Vorliegen von Antikörpern gegen das SARS-CoV-2-Virus. Das vorläufige Ergebnis: Der Anteil von Personen mit spezifischen Antikörpern lag im November gerade mal bei 1,35 Prozent. ({3}) Auch in einer aktuellen Untersuchung im schwer betroffenen Bezirk Berlin-Mitte konnten Antikörper nur bei 2,4 Prozent der Getesteten nachgewiesen werden. Von einer Herdenimmunität sind wir deswegen also noch sehr weit weg. Dass Sie diese vorgebliche Immunität jetzt dazu nutzen, den Impfgegnern in Ihren Reihen eine Plattform zu bieten, finde ich, vorsichtig gesprochen, wirklich sehr bedenklich; denn ohne die Impfungen werden wir dieses Virus nicht besiegen können. Dazu muss sich aber ein Großteil der Menschen auch tatsächlich impfen lassen, und dafür braucht es zuallererst Vertrauen in die Impfungen. ({4}) In Ihrem Antrag jetzt von angeblichen Impfrisiken zu sprechen, ist daher nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Alle bisher zugelassenen Impfstoffe sind hochwirksam, nebenwirkungsarm und sicher. Es macht da auch keinen Unterschied, ob man nun zu den 2 Prozent gehört, die die Erkrankung bereits durchgemacht haben, oder nicht. Alle Impfungen verhindern schwere Krankheitsverläufe und nach jetzigem Kenntnisstand auch weitere Ansteckungen. Das ist es, was wir in der Krise brauchen. Wir brauchen keine verdrehten Tatsachen oder Falschaussagen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werte Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Liebe rechtlich Betreute und Betreuende! Liebe Zuschauende und Zuhörende! Liebe Mitarbeiter/-innen des BMJV, aus der Fraktion und aus dem Büro! Ihnen danke ich schon mal vorab für eine intensive und auch sehr gute Arbeit zu einem sehr guten neuen Gesetz. Wir stimmen in wenigen Minuten über die grundlegende Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechtes ab, und ich bitte um eine breite Zustimmung aus dem ganzen Hohen Hause. Das Thema der rechtlichen Betreuung betrifft viele Menschen: Menschen, die an Demenz erkrankt sind; Menschen mit psychischen Erkrankungen; Menschen mit einer Vielzahl von Beeinträchtigungen, die so bunt sind, wie es nun mal die Welt auch ist. Sie alle wollen in ihrer Vielfalt das Selbstbestimmungsrecht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ausüben. Für all diese Menschen bringt das Gesetz viele Verbesserungen, und die große Überschrift lautet: Selbstbestimmung stärken. Es wurde Zeit, dass im deutschen Recht endlich weitere Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention und auch der Istanbul-Konvention erfüllt werden. ({0}) So ist beispielsweise der Wunsch der betreuten Menschen künftig in jeder Hinsicht Richtschnur für das Handeln der Betreuer und Betreuerinnen bzw. des Vormunds. Leitbild im neuen Betreuungsrecht ist die unterstützte Entscheidungsfindung. Nun ist klarer geregelt, dass der Betreuer oder die Betreuerin die betreute Person bei der eigenen Entscheidungsfindung unterstützt und nicht einfach stellvertretend für ihn oder sie entscheidet. ({1}) Gestärkt werden auch die ehrenamtlichen Betreuer und Betreuerinnen und die Betreuungsvereine. Wir sind dem Struck’schen Gesetz gefolgt und haben einen guten Gesetzentwurf in einigen Debatten durchaus noch besser gemacht; denn für die tatsächliche Umsetzung des Selbstbestimmungsrechtes braucht es in der Praxis gute, verlässliche Rahmenbedingungen. Die haben wir ausgebaut, und die haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gestärkt. ({2}) Wir haben erreicht, dass zeitnah zum Inkrafttreten des Gesetzes niedrigschwellige Beratungs- und Beschwerdestellen eingerichtet werden. Die Überprüfungsfrist von Betreuungen, die gegen den Willen erfolgt sind, wird verkürzt, nämlich von drei auf zwei Jahre. Ein Betreuungsverein kann jetzt auch auf Wunsch von einer betreuten Person bestellt werden. Wir haben die Prozessfähigkeit derjenigen gestärkt, die unter Betreuung stehen. Vor allen Dingen haben wir die barrierefreie Kommunikation in den Fokus gerückt. ({3}) Denn wenn die Kommunikation zwischen der betreuenden Person und der betreuten Person nicht funktioniert, wie soll denn dann Selbstbestimmung gewährleistet werden? Dieser Teil der barrierefreien Kommunikation ist essenziell für eine an Selbstbestimmung orientierte Entscheidungsfindung und weiterhin ausbaufähig; es ist auch nötig, dass sie ausgebaut wird. ({4}) Noch eines ist mir eine große Freude: Endlich werden die Sterilisationsregelungen geändert. Es wird keine Zwangssterilisation mehr geben. ({5}) Wir haben also gute Arbeit geleistet. Abschließend eine drängende Bitte an den Bundesrat: Ohne die Ausübung von Selbstbestimmung gibt es keine echte Teilhabe und auch keine echte Demokratie. Ich appelliere daher eindringlich an die Verantwortung der Bundesländer. Inklusion ist kein Sparstrumpf. Nehmen Sie diese Aussage bei der Umsetzung des Vormundschafts- und Betreuungsrechtes bitte sehr ernst. Eines ist klar: Rechtliche Betreuungen können vermieden werden, wenn wir eine gute soziale Infrastruktur in diesem Bereich haben. Setzen wir uns dafür ein, machen wir uns dafür stark! ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Jens Maier für die AfD-Fraktion. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute ein umfassendes Regelwerk mit einem Umfang von etwa 500 Seiten. Im Rechtsausschuss hat jemand von einem Jahrhundertwerk gesprochen. So weit würde ich jetzt nicht gehen; es ist da aber schon Großes zustande gekommen, das muss man anerkennen. Bei einer Redezeit von vier Minuten kann man da leider nicht in der gebotenen Tiefe Stellung nehmen. ({0}) Es ist schade – Frau Rawert, ich habe es auch im Rechtsausschuss schon gesagt –, dass wir dieses für die Praxis wichtige Werk irgendwann am Freitag im Plenum hintenan behandeln. Das ist eigentlich nicht gut, weil dieses Gesetz für die Praxis wirklich von erheblicher Bedeutung ist. ({1}) Nur so viel am Anfang: Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. Bei einer Gesamtabwägung kommen wir zu dem Schluss, dass viele Teile des Entwurfs zu zutreffenden Lösungen kommen. Daneben sind aber auch Teile vorhanden, denen wir so nicht zustimmen können. Es ist richtig, dass die Privatautonomie des Mündels im Vormundschaftsrecht gestärkt wird. Es ist auch zu begrüßen, dass die charakterlichen und fachlichen Mindestanforderungen an Vormünder präzisiert werden und jetzt konkret auf ihre Kenntnisse, Erfahrungen und ihre persönlichen Eigenschaften abgestellt wird. Zur Erziehung von Minderjährigen gehört auch das stufenweise Übertragen von Verantwortung. Die ausdrückliche Pflicht des Vormundes, die wachsenden Fähigkeiten des Mündels zu selbstständigem und verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen und zu fördern, findet daher ebenfalls unsere Zustimmung. Wer aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht imstande ist, seine Angelegenheiten selbstständig zu erledigen, hat das Recht auf einen Betreuer. Das heißt jedoch nicht, dass der Betreute bei der Regelung sämtlicher Angelegenheiten keine Entscheidungsgewalt mehr haben soll. Es ist gut, dass das Betreuungsgericht künftig jeden Aufgabenbereich des Betreuers im Einzelnen anordnen muss. Ein gesetzlich vorgesehenes Vertretungsrecht des Betreuers nur unter der Bedingung, dass das im Einzelfall für den Betreuten auch tatsächlich erforderlich ist, ist eine geeignete Möglichkeit, um zu verhindern, dass Betreuten ihre Eigenverantwortung abtrainiert wird. Die Möglichkeit für ehrenamtliche Betreuer, sich bei einem anerkannten Betreuungsverein zu spezifischen Themen weiterzubilden, und die finanzielle Ausstattung dieser Vereine mit öffentlichen Mitteln sind richtig und wichtig. Ehrenamtliche Betreuung erhält hierdurch mehr Qualität; Vereinsbetreuer erhalten mehr Geld; Sachkundenachweise können die fachliche Kompetenz von registrierten Berufsbetreuern planungssicher gewährleisten. Es ist aber nicht alles gut. Gemäß Entwurf soll ein Ehegatte für den anderen ein gesetzliches Notvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten bekommen. Hierzu soll es keines Gerichtsbeschlusses mehr bedürfen. Voraussetzung soll sein, dass der vertretene Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit selbst handlungsunfähig ist. Das Vertretungsrecht der Ehegatten soll sogar so weit gehen, dass ein Ehepartner im Namen des Vertretenen in ärztliche Eingriffe, also auch in lebensgefährliche Operationen, einwilligen darf. Wurde in der öffentlichen Anhörung hierzu im Rechtsausschuss die Missbrauchsgefahr in den Vordergrund gestellt – denn nicht jeder Ehepartner will das Beste für den anderen –, ist für mich vor allem das Thema Überforderung von noch größerer Bedeutung. Der 80-jährige Ehemann gerät in eine hilflose Lage, und die 78-jährige Ehefrau soll, möglichst noch nach einer Ehezeit von über 50 Jahren, im Rahmen der ihr zugewiesenen Notvertretung die schwierigsten Entscheidungen treffen. Da meinen wir: Das ist so nicht sachgerecht. ({2}) Die gesetzlich vorgesehenen Korrektive können diese Gefahr unserer Meinung nach nicht effektiv verhindern; im Rechtsausschuss hatten wir eine lebhafte Diskussion dazu. Das Notvertretungsrecht des Ehegatten lehnen wir so, wie es geregelt ist, ab. Insgesamt werden wir uns bei der Abstimmung enthalten. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Paul Lehrieder das Wort. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts ist ein sehr großes, ein sehr ehrgeiziges Projekt und eines der wichtigsten Reformprojekte dieser Legislaturperiode. Frau Kollegin Rawert hat in der von ihr bekannten resoluten Art ja schon auf einiges hingewiesen, und Sie können sich unschwer vorstellen, wie in den letzten Wochen und Monaten in den Berichterstattergesprächen meine schüchterne Art und die dominante Art der Frau Rawert aufeinandergeprallt sind. ({0}) Da hat es geknistert, wie schon gesagt; ({1}) aber ich glaube, wir haben ein gutes Gesetz hinbekommen. ({2}) Wir ermöglichen mit diesem Gesetz, meine Damen und Herren, den Weg für mehr Selbstbestimmung aller Menschen, die kurz-, mittel- oder langfristig auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Die Reform ist nach Art und Umfang ein wahrhaftiges Mammutprojekt. Da stimmt uns auch die Opposition zu. – Stimmt’s, Frau Keul? ({3}) Und ich freue mich sehr, dass wir die Neuerung heute hier beschließen können, zugegebenermaßen – diese Kritik ist berechtigt – an einem Freitagnachmittag. Dieses Gesetz hätte eine prominentere Zeit verdient, vor allem angesichts der Tragweite dieses Gesetzes für die betroffenen Menschen. ({4}) Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen bedanken, die sich mit Fleiß und Ausdauer ins parlamentarische Verfahren eingebracht haben. Mein Dank geht an das Ministerium, an alle Sachverständigen der Anhörung und natürlich auch an den Koalitionspartner. Äußerst positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch der mehrjährige Dialog zwischen Praxis und Wissenschaft, der dem parlamentarischen Verfahren vorgeschaltet war. Die letzte große Reform im Betreuungsrecht fand Anfang der 90er-Jahre statt. Seitdem wurde es zwar mehrfach novelliert, aber mit unseren Änderungen wird nun eine Art Paradigmenwechsel im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention vollzogen. Der Zielbegriff ändert sich vom „Wohl des Betreuten“ hin zum „Wunsch/Willen des Betreuten“. Es ist ganz wichtig, das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten viel stärker in den Fokus zu rücken. Der Vorrang der Wünsche des Betreuten wird damit als zentraler Maßstab des Betreuungsrechts normiert. Er gilt als Maßstab für das Betreuerhandeln, für die Eignung des Betreuers und die Wahrnehmung der gerichtlichen Aufsicht. Mit der Reform soll zugleich sichergestellt werden, dass die betroffene Person in sämtlichen Stadien des Betreuungsverfahrens besser informiert und stärker eingebunden wird. Eine rechtliche Betreuung wird dann nötig, wenn ein Mensch eine bestimmte Situation nicht oder nicht mehr allein händeln kann. Die Gründe hierfür können vielschichtig und komplex sein und sind in der Regel mit gravierenden Einschränkungen verbunden: ein hohes Lebensalter, ein Unfall, eine plötzlich auftretende Krankheit oder eine Behinderung. Betroffene mit eingeschränkter Selbstbestimmtheit und Autonomie sind in einer schwierigen Lage und wissen oft nicht, was auf sie zukommen wird: Was passiert mit mir, wenn ich nicht mehr die alleinige Kontrolle über mich und meine Geschäfte habe? Was ist, wenn ich maßgeblich auf die Hilfe anderer angewiesen bin? Wird jemand meine Schwäche und Hilfsbedürftigkeit ausnutzen? Neben der Betroffenenseite haben wir uns vor allem vor Augen gehalten: Wie ist die Situation der Angehörigen, wie beim Ehepartner, der in guten wie in schlechten Tagen helfen kann und mag, aber eventuell nicht darf? Und was können wir für die beruflichen oder ehrenamtlichen Betreuer tun? Im parlamentarischen Verfahren konnte die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit der SPD einen guten Gesetzentwurf nochmals verbessern, um die Position von unterstützungsbedürftigen Personen weiter zu stärken. Durch die Neufassung des § 53 ZPO wird künftig festgeschrieben, dass sich die Prozessfähigkeit des Betreuten nach den allgemeinen Grundsätzen richtet und der Betreute nicht wie bislang einer prozessunfähigen Person gleichgestellt wird. Diese Veränderung durchbricht einen alten Automatismus und verbessert damit die prozessualen Handlungsmöglichkeiten. Sie stärkt somit das Recht auf selbstständiges und selbstbestimmtes Handeln. Darüber hinaus haben wir uns für die Stärkung ehrenamtlicher Angehörigenbetreuer und eine Qualitätsverbesserung eingesetzt. Angehörigenbetreuer übernehmen etwa die Hälfte aller Betreuungen und erhalten zukünftig die Möglichkeit, auf die Beratungs- und Unterstützungsangebote von Betreuungsvereinen zurückzugreifen. Und ja, eine weitere wichtige Baustelle innerhalb dieser Reform stellt für die Union die Etablierung des Ehegattennotvertretungsrechts dar; der Kollege Maier hat schon darauf hingewiesen. Es ist ein Notvertretungsrecht. Es ist subsidiär zu anderen Regelungen, und natürlich geht eine Vorsorgevollmacht vor; bei getrennt Lebenden fällt es weg. Natürlich kann auch jemand anders eingesetzt werden, unter der Voraussetzung, dass man jemand anderen kennt, etwa ein Angehöriger, ein entfernterer Verwandter. Aber es ist nicht automatisch so, dass der Ehepartner ungeeignet ist. Das Ehegattennotvertretungsrecht entspricht einer äußerst weit verbreiteten Erwartung unserer Bürger, dass Ehegatten sich einander im gesundheitlichen Notfall vertreten können, und um nichts anderes geht es hier. Anders als die Opposition vertrauen wir darauf, dass Ehepartner füreinander einstehen, und unterstellen ihnen gerade nicht unlautere Absichten, wie es von Teilen der Opposition immer wieder unterstellt wird. ({5}) – Frau Keul, wir haben vor drei Jahren gemeinsam um die Ehe für alle gekämpft. Es ist an dieser Stelle schon beachtlich, dass Sie beim Thema „Ehe für alle“ immer die Ersten waren, aber dieser zentralen Institution und den Menschen, die sich dazu entschlossen haben, in diesem Bereich jetzt wieder sehr wenig zutrauen. ({6}) Um Ihrer absichtlichen Überzeichnung vorzubeugen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Das Vertretungsrecht gilt nicht, wenn eine Vorsorgevollmacht vorliegt; ich habe bereits darauf hingewiesen. Es ersetzt nicht den Richtervorbehalt. Es gilt auch nicht, wenn die Ehepartner nicht zusammenleben. Schauen Sie in das Gesetz; dann gibt es auch keinen Grund, an dieser Stelle Schnappatmung zu bekommen. Meine Damen und Herren, es ist ein gutes Gesetz, mit allen Positionen, mit allen Bestandteilen. Ich bitte Sie um Zustimmung. Und wenn aus den Reihen der Opposition zumindest eine machtvolle Enthaltung angekündigt worden ist, so zeugt auch das von der Qualität dieses Gesetzes. Herzlichen Dank. Ein schönes Wochenende, und bleiben Sie gesund! ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Katrin Helling-Plahr für die FDP-Fraktion. ({0})

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerne hätten wir einer Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zugestimmt. Es ist uns ein Anliegen, die Autonomie der Menschen, die Unterstützung benötigen, zu stärken. Völlig ohne Not nehmen Sie mit dem Gesetzentwurf aber auch den dritten Anlauf, ein Ehegattennotvertretungsrecht einzuführen – völlig ohne Not. Ich zitiere aus der Sachverständigenanhörung: … eigentlich gehört es nicht in diesen sehr komplexen Entwurf, in dem eine Menge Arbeit steckt. Man könnte gar meinen, Sie hätten sich Mühe gegeben, noch etwas unterzubringen, was das Gesetz nicht zustimmungsfähig macht. ({0}) Ehegatten sollen in Notsituationen automatisch in Gesundheitsbelangen füreinander entscheiden können, sofern sie nicht zuvor widersprochen haben. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie wollen Gerichte entlasten und opfern dafür das individuelle Selbstbestimmungsrecht der Ehepartner. Ich bin ernstlich in Sorge; denn das Notvertretungsrecht öffnet nicht nur Missbrauch Tor und Tür. Sehr viele Menschen werden überhaupt nicht um das Notvertretungsrecht wissen und können folglich auch gar nicht widersprechen. Das ist doch fatal. ({1}) Und wenn Sie sagen, den Ehepartner habe man sich doch selbst ausgesucht, Herr Kollege Lehrieder, ({2}) so ist das Argument denkbar schwach. Menschen wählen ihre Ehepartner sicher nach vielfältigen Kriterien aus. Die Frage, wer in Notsituationen medizinische Entscheidungen für sie treffen soll, ist keines davon. ({3}) Die Realität zeigt ja auch, dass Menschen häufig gerade nicht ihren Ehegatten, sondern andere, zum Beispiel die Kinder oder auch weniger emotional beteiligte Dritte, mit solchen Entscheidungen betrauen. Deshalb bleibt es dabei: Es braucht keine staatlich verordnete Notvertretung, sondern individuelle Entscheidungen. ({4}) Das Instrument der Vorsorgevollmacht hat sich ja auch inzwischen mehr als etabliert. Wir haben fast 5 Millionen registrierte Vorsorgevollmachten und eine unbekannte Zahl nicht registrierter; und es werden mehr. Das sollten wir befördern, ({5}) indem wir Aufklärung intensiveren, zum Beispiel parallel zur Organspende. Wir sehen ja durchaus, dass sich einige Ehegatten gerne in Notsituationen vertreten möchten und auch das Verfassen einer Vorsorgevollmacht scheuen. Für diese können wir gerne – dazu stellen wir heute einen eigenen Antrag zur Abstimmung – ein Ehegattennotvertretungsrecht als selbstbestimmtes Opt-in gestalten. Dann reicht ein einfaches digitales Häkchen im Vorsorgeregister. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, wir haben im Ausschuss noch versucht, den Entwurf über eine Streichung des Notvertretungsrechts zu retten. Sie haben stattdessen die Dauer des Notvertretungsrechts noch verdoppelt. Deshalb kann ich heute nur sagen: Nicht mit uns! ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Sören Pellmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bürgerliche Gesetzbuch ist mittlerweile 125 Jahre alt. Durch zahlreiche Veränderungen entstand ein völlig unübersichtlicher Sammelband für das Vormundschaftsrecht. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen zeigte sich bereits vor sechs Jahren darüber besorgt. Nach seiner Auffassung ist das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte Instrument der rechtlichen Betreuung mit dem Übereinkommen unvereinbar. Positiv an dem heute zu beschließenden und zu beratenden Gesetzentwurf ist, dass der Wille der Betroffenen und die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung endlich eine Rolle spielen. ({0}) Alle Entscheidungen müssen aus Sicht meiner Fraktion und vielleicht auch der einen oder anderen hier im Haus unter dem Leitgedanken stehen: Immer mit uns entscheiden und nicht über uns entscheiden. ({1}) Gut im Entwurf ist auch, dass ein Betreuer den Betreuten in gerichtlichen und außergerichtlichen Dingen vertreten kann, aber eben nicht vertreten muss. Jedoch wäre eine Eingrenzung des Aufgabenkreises „Vermögenssorge“ nach unserer Auffassung notwendig gewesen. Manche Menschen benötigen eben Betreuer nur für den Kontakt zu Gläubigern, für das Vereinbaren von Ratenzahlungen oder sonstige Kontoangelegenheiten. Hier wird die Freiheit des Einzelnen unserer Auffassung nach deutlich zu sehr beschränkt. Wenig durchdacht wirkt das geplante automatische Ehegattenvertretungsrecht. Es schwächt nach meiner Auffassung die Vorsorgevollmacht. Allein der Ehepartner soll demnach die Entscheidung für lebensverlängernde Maßnahmen treffen. Dabei wird die Eignung des Partners durch einen Arzt festgestellt. Der Gesetzentwurf nennt aber keine weiteren Kriterien. Den Ärztinnen und Ärzten wird damit eine Entscheidung aufgedrängt, die eigentlich beim Betroffenen liegen müsste. Leider wird das Betreuungsgericht als Kontrollinstanz hierbei außen vor gelassen; es gibt eben kein funktionierendes Kontrollorgan. Warum soll nicht mehr auf Vorsorgevollmachten gesetzt werden? Wäre es nicht dringend notwendig, mehr Aufklärung zu betreiben? ({2}) Selbstbestimmung muss auch in diesem Fall präventiv gefördert und gefordert werden. ({3}) Warum werden Menschen nicht zwingend bei der Entscheidungsfindung aktiv unterstützt und gefördert? Es besteht eben leider kein Rechtsanspruch auf genau diese Unterstützungsleistung. Ebenso muss ich der Kritik meiner Fraktion noch mal bezüglich der Zwangssterilisationen – auch das hat in der ersten Lesung und auch in den Expertenanhörungen eine Rolle gespielt – Nachdruck verleihen. Der UN-Fachausschuss hält die bisherige Praxis für nicht statthaft. Daher ist es grundsätzlich gut, dass der natürliche Wille der Betroffenen nun entscheidend sein wird. Wir fragen uns jedoch: Verändert diese Regelung die reale Praxis? ({4}) Wozu braucht es dann noch den Sterilisationsbetreuer, wenn der Betreute hier entscheidend ist? Die ersatzlose Streichung ist noch nicht erfolgt, und wir werden dies im Rahmen der Evaluierung weiter kritisch begleiten und prüfen. Diese Punkte zeigen unter anderem, dass die UN-BRK noch nicht vollumfänglich erfüllt ist. Hier muss deutlich nachgebessert werden! ({5}) Zum Abschluss – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss – noch ein Zitat von Rosa Luxemburg, die heute ihren 150. Geburtstag begehen würde: Das Wesen der Gesellschaft muss sein, dass die große Masse selbstbewusst und selbstbestimmt lebt. – Für diese Selbstbestimmung kämpfen wir heute und in Zukunft. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Positive zuerst: Über zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention wird das Betreuungsrecht im BGB systematisch neu aufgeschrieben und vom Kopf auf die Füße gestellt. Das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten wird an vielen Stellen gestärkt, und die Betreuungshilfevereine erhalten endlich eine gesetzliche Finanzierungsgrundlage für die Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuer. Trotzdem hätten wir uns an der ein oder anderen Stelle eine noch deutlichere Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes gewünscht. So hätte man das neue Instrument der erweiterten Unterstützung zur Vermeidung rechtlicher Betreuungen nicht nur als Modell, sondern als Regelfall einführen können. Und die Überprüfungsfristen, gerade bei Betreuungen, die leider immer noch gegen den natürlichen Willen des Betroffenen angeordnet werden können, sollten maximal ein Jahr betragen. Die Differenzierung zwischen dem freien Willen und dem natürlichen Willen ist überhaupt etwas fraglich. Zwangsunterbringungen hätten wir gerne ganz aus dem Aufgabenbereich der Betreuer gestrichen. Trotz allem hätten wir dieser Reform wohlwollend zugestimmt, da sie insoweit immer noch eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Rechtslage darstellt. Aber leider haben Sie an dem unsäglichen Vorschlag eines gesetzlich fingierten Ehegattenvertretungsrechts festgehalten, der von allen Experten in der Anhörung vernichtend beurteilt wurde. Statt das Selbstbestimmungsrecht zu stärken, wird es hier entscheidend geschwächt, indem wir uns als Gesetzgeber anmaßen, für die Betroffenen zu entscheiden, dass Ehegatten eher geeignet seien, ersetzende Entscheidungen zu treffen, als beispielsweise Kinder. Dafür gibt es keinerlei empirische Belege. ({0}) Dieser Vorschlag kommt aus den Ländern, die eine Anhörung vor dem Betreuungsgericht einsparen wollen. Von der Expertenkommission kam eine solche Empfehlung gerade nicht. Weil es hier um Fragen von Leben oder Tod gehen kann, ist es durchaus angemessen, wenn ein Betreuungsgericht sich ein Bild macht, ob die Ehe faktisch noch besteht und der Ehegatte geeignet ist, im Sinne des Betroffenen zu entscheiden. Der Arzt kann das sicherlich nicht, selbst wenn er Zweifel hat. Die Vermutung, jeder wolle im Ernstfall von seinem Ehegatten vertreten werden, geht aus zwei Gründen fehl. Zum einen ist es gerade bei älteren oder gar hochbetagten Ehegatten häufig so, dass sie sich mit der ersetzenden Entscheidung überfordert fühlen oder überfordert sind, ohne das vielleicht zugeben zu wollen. Wenn dann aber die Kinder die Betreuung übernehmen wollen, müssen sie künftig erst die gesetzliche Vermutung widerlegen, was unnötig Streit in die Familien tragen kann. ({1}) Zum anderen besteht eine erhebliche Missbrauchsgefahr; denn ein Arzt muss die gesetzliche Fiktion hinnehmen, selbst wenn ihm Zweifel kommen, ob die Ehe vielleicht nur noch auf dem Papier besteht. Da Ehegatten sich auch noch von Gesetzes wegen gegenseitig beerben, wäre eine Befassung des Betreuungsgerichts das Mindeste, bevor beispielsweise über die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen entschieden wird. Aus rein fiskalischen Interessen wird hier das Selbstbestimmungsrecht geschwächt, wobei die potenziellen Einsparungen eher gering sein dürften. Diese gesetzliche Fiktion ist überflüssig und schwächt die Bedeutung der Vorsorgevollmacht. Ihrem Gesetz können wir deshalb leider nicht zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ulla Schmidt das Wort. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich heute einmal aus vielen Gesprächen, die ich mit Menschen mit Unterstützungsbedarf in den letzten Wochen geführt habe, sagen: Für diese Menschen ist das heute ein guter Tag. Es ist ein guter Tag, weil mit diesem Gesetz ein ganz großer Schritt gemacht wird auf dem Weg, den wir ja schon seit Jahren hier im Bundestag gehen: von der Fürsorge zur Teilhabe. Wenn ich von einem großen Schritt spreche, dann heißt das: Es liegen auch noch weitere Schritte vor uns. Aber jeder Schritt, den wir gegangen sind, hat so viel Potenzial freigesetzt, dass sich die nächsten Schritte automatisch ergaben. Deshalb: Danke an das Ministerium. Ich habe eben gedacht, Herr Lange ist die einzige Konstante auf dem Weg zu diesem Gesetz; wir hatten es ja in dieser Zeit mit drei Ministerinnen und Ministern zu tun. ({0}) Ein Dank geht auch an die Vertreter der Koalition, der SPD-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion, dafür, dass in den letzten Wochen doch so gerungen wurde, damit dieses gute Gesetz noch weiter verbessert wird. ({1}) Ich will hier noch einmal sagen: Die Menschen, die unter Betreuung stehen, sind dankbar für die Unterstützung, die sie haben. Sie sind auch nicht immer im Konflikt mit ihren rechtlichen Betreuerinnen und Betreuern. Aber sie sagen zunehmend: Ich will selbst bestimmen, was ich will. Und man muss mir die Hilfe geben, dass ich das kann. ({2}) Und das ist das Entscheidende, was auch Geist dieses Gesetzes hier ist. Dafür noch mal herzlichen Dank. Wenn man guckt, was noch verbessert worden ist: Für die Menschen war ganz wichtig, dass sie zukünftig auch einen Betreuungsverein als rechtlichen Betreuer bestellen können; denn manche haben mit einer einzelnen Person Schwierigkeiten. Für sie war auch wichtig, dass nicht allein die Bestellung einer Betreuung zum Ausschluss der Prozessfähigkeit führt. Ich erinnere nur an die Debatte, die wir über Jahre geführt haben und die schließlich dazu führte, dass das Wahlrecht auch für Menschen, die unter umfassender Betreuung stehen, vom Deutschen Bundestag endlich beschlossen wurde und sie nun auch dieses Bürgerrecht haben. ({3}) Ich bin sehr froh, dass wir diese Veränderungen auf den Weg gebracht haben. Ein Punkt war für mich besonders wichtig, und er ist auch in der Debatte über die Frauen, die unter Betreuung stehen, wichtig gewesen. Dass im Gesetz stand, dass eine Frau gegen ihren Willen sterilisiert werden kann, das sorgt bei den Frauen für Empörung. ({4}) Sie haben gesagt: Wenn, dann will ich das selber bestimmen. – Wir gehen hier jetzt den Schritt, dass gegen den Willen einer Frau keine Sterilisation mehr veranlasst werden darf, also nicht mehr allein das Schweigen ausreicht. Das heißt auch: Nicht einwilligungsfähige Frauen dürfen nicht sterilisiert werden. – Das ist ein Riesenschritt hin zur Selbstbestimmung. Das wird noch einmal dadurch unterstrichen, dass nicht der rechtliche Betreuer, sondern, wenn eine Frau sich so entscheidet, ein eigens dazu bestellter Sterilisationsbetreuer sie in diesem Prozess begleiten soll. Das ist eine gute Entscheidung. Dafür herzlichen Dank! ({5}) Im Abschlussbericht sind viele Dinge aufgeführt, die noch gemacht werden müssen. Ich bin überzeugt: Der nächste Bundestag, dem ich leider nicht mehr angehören werde, wird vieles von dem auf den Weg bringen. Aber ein Dankeschön für den eingeschlagenen Weg. Jeder Schritt, den wir gehen, ist ein Schritt zu mehr Demokratie; denn zu Demokratie gehören Selbstbestimmung und die Freiheit, über sein Leben entscheiden zu können. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Wilfried Oellers das Wort. ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2015 beanstandete der UN-Vertragsausschuss in seinen Abschließenden Bemerkungen zur ersten Staatenprüfung Deutschlands zur UN-Behindertenrechtskonvention das deutsche Betreuungsrecht als nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Damals hatte die Bundesregierung vorgetragen, dass sie das Betreuungsrecht als vereinbar mit der UN-BRK ansehe. Denn auch schon nach bisheriger Rechtslage war und ist es so, dass im Rahmen einer rechtlichen Betreuung das Selbstbestimmungsrecht und der Erforderlichkeitsgrundsatz zu wahren sind. Das Betreuungsrecht unterstützt Menschen, die ihre Angelegenheiten wegen einer Krankheit oder einer Behinderung ganz oder teilweise nicht selbst besorgen können. Doch die Empfehlungen des UN-Vertragsausschusses waren ein Impuls – ein Impuls, um zu prüfen, wie Erforderlichkeitsgrundsatz und Qualität der rechtlichen Betreuung gestärkt werden können. Sechs Jahre später nun beraten wir heute den Gesetzentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts. Es war eine lange Zeit, ja. Und was lange währt, wird endlich gut. Aber war es wirklich lange? Eher nicht, denn es waren einige dicke Bretter zu bohren und mehrere Etappen in einem langangelegten Forschungs-, Beratungs- und Beteiligungsprozess auch unter starker Mitwirkung der Organisationen von Menschen mit Behinderungen zu bewältigen. Das war wichtig, das war richtig, und es hat sich gelohnt. Ich danke allen, die an diesem Gesetzgebungsprozess teilgenommen und dazu beigetragen haben. ({0}) Zu welchen konkreten Verbesserungen kommt nun diese Reform? Die Selbstbestimmung und die Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen im Vorfeld und innerhalb einer rechtlichen Betreuung werden im Sinne von Artikel 12 UN-BRK gestärkt. Es wird klarer geregelt, dass die rechtliche Betreuung in erster Linie eine Unterstützung des Betreuten bei der Besorgung seiner Angelegenheiten durch eigenes, selbstbestimmtes Handeln gewährleistet und der Betreuer das Mittel der Stellvertretung nur einsetzen darf, soweit es erforderlich ist. Der Vorrang der Wünsche der Betreuten ist nun zentraler Maßstab des Betreuungsrechts. Die Betroffenen werden in sämtlichen Stadien des Betreuungsverfahrens besser informiert und stärker eingebunden, insbesondere in die gerichtliche Entscheidung über das Ob und das Wie der Betreuungsbestellung, in die Auswahl des konkreten Betreuers, aber auch in dessen Kontrolle durch das Betreuungsgericht. Ehrenamtliche Betreuer erhalten zur Unterstützung eine enge Anbindung an anerkannte Betreuungsvereine. Zur Sicherstellung einer einheitlichen Qualität der beruflichen Betreuung wird ein formales Registrierungsverfahren eingeführt. Und – das ist sehr entscheidend –: Der Erforderlichkeitsgrundsatz soll im Vorfeld der Betreuung, insbesondere an der Schnittstelle zum Sozialrecht, effektiver umgesetzt werden. Eine zentrale Rolle spielt hier das neue Instrument einer erweiterten Unterstützung. Damit schaffen wir eine neue niedrigschwellige Möglichkeit, andere Hilfen zu vermitteln und so eine Betreuung zu vermeiden. Die Beratungs- und Unterstützungspflichten nach den Sozialgesetzbüchern bleiben daneben aber selbstverständlich bestehen. Ich wünsche mir sehr – hier appelliere ich auch an die Bundesländer –, dass dieses neue und wertvolle Instrument auch möglichst flächendeckend eingesetzt wird. ({1}) In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses haben wir daher gegenüber den Ländern die Erwartungshaltung formuliert, dass sie die Erprobung dieser erweiterten Unterstützung in großem Umfang ermöglichen. Von den weiteren Verbesserungen, die wir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben, möchte ich lediglich zwei erwähnen: Unter anderem sollen und werden Betreute künftig ihre Prozessfähigkeit behalten – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und: Betreuungen, die gegen den Willen der betreuten Person eingerichtet werden, sollen spätestens nach zwei Jahren überprüft werden. Das Gesetz regelt jedoch – leider – nicht die Finanzierung der barrierefreien Kommunikation, wie zum Beispiel Kosten für Gebärdensprachdolmetscher. Ich begrüße es daher außerordentlich, dass die Justizministerin die Absicht geäußert hat, dies im Rahmen der Neuregelung der Betreuungsvergütung nachzuholen. ({2}) Als Letztes gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu der doch viel diskutierten Ehegattenbetreuung. Ich frage mich echt, welches Bild Sie von einer Ehe haben. ({3}) Viele Ehegatten wundern sich eher, dass sie eben kein Vertretungs- und Betreuungsrecht haben, wenn ihr Ehegatte plötzlich im Sterben liegt. Das sollten Sie noch einmal ganz deutlich überdenken. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unter dem komplizierten Titel dieses Gesetzes verbirgt sich die Wiedergutmachung von menschlichem Leid. Es sind ganz besondere Momente in der Politik, wenn Regierung und das Parlament die Gelegenheit haben, Gerechtigkeit herzustellen, wo früher Unrecht war. ({0}) In der Bundeswehr war die systematische Benachteiligung von homosexuellen Soldaten Praxis, und sie war per Erlass festgeschrieben. Diese Soldaten mussten im Extremfall mit Entlassung rechnen. Sie wurden als ungeeignet für das Führen und Anleiten anderer Soldaten eingestuft. Sie wurden am Aufstieg in den Streitkräften gehindert. Sie mussten deswegen oft ein heimliches Privatleben führen und galten dann gerade deswegen als Sicherheitsrisiko und erpressbar, übrigens auch, wenn ihre Kameraden und Vorgesetzten sich für sie einsetzten. Die Truppe war nämlich oft schon weiter und toleranter, als die Amtsstuben und Disziplinargerichte sich das vorstellen konnten. Schon 1969 war die generelle strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität in Deutschland beendet worden. Doch die Bundeswehr hielt an ihrer diskriminierenden Praxis fest. Immer deutlicher blieb sie in dieser Frage hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurück. Berufliche Ambitionen wurden zerstört, bleibende Wunden entstanden. Erst am 3. Juli 2000 wurde diese Praxis geändert – durch den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle bei ihm bedanken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Stigmatisierung und Demütigung, die damals erlebt und gefühlt wurde, wirkte und wirkt bei vielen der Betroffenen aber bis heute nach. 2017 hat meine Vorgängerin im Amt, Ursula von der Leyen, entschieden, das ganze Bild dieser inakzeptablen Praxis nachzuzeichnen, wissenschaftlich fundiert und in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen. Die Studie „Tabu und Toleranz“ des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr haben wir im vergangenen Jahr veröffentlicht. Sie hat Wellen geschlagen und die vielschichtigen und oft niederschmetternden Details des Umgangs mit Homosexuellen in der Bundeswehr ans Licht gebracht. Und sie war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung und hoffentlich auch Heilung des geschehenen Leids. Ein Ergebnis dieser Aufarbeitung ist auch, dass die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld die Erforschung der Geschichte homosexueller Menschen in der Bundeswehr im Sinne eines kollektiven Ansatzes weiter vorantreibt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr unterstützen diese Forschung. Auch dafür möchte ich meiner Vorgängerin im Amt danken. Heute wollen wir den nächsten Schritt auf diesem Weg gehen: von der Anerkennung zur – wenn auch eher symbolischen – Wiedergutmachung. Die Bundesregierung legt Ihnen deshalb heute den Entwurf des Gesetzes zur Rehabilitierung der wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität benachteiligten Soldatinnen und Soldaten vor. Das Gesetz sieht vor, dass Betroffene der Bundeswehr und der NVA eine pauschale Entschädigung von 3 000 Euro für jedes aufgehobene wehrdienstgerichtliche Urteil erhalten sollen. Dieselbe Summe wird zudem einmalig fällig für weitere erhebliche dienstliche Benachteiligungen. Zeitlicher Anknüpfungspunkt ist dabei die Aufhebung des diskriminierenden Erlasses. Und schließlich können jene Soldaten der Bundeswehr, die wegen ihrer Homosexualität oder sexuellen Identität degradiert wurden, wieder den alten Dienstgrad führen, wenn sie das wollen. Auch das gehört zur Wiedergutmachung. Mir liegt besonders am Herzen: Die Voraussetzungen für den Zugang zu den Entschädigungen sind bewusst niedrig angesetzt. Die pauschale Summe macht eine zügige Bearbeitung möglich. Vor allem aber: Für die Feststellung des Anspruchs reicht eine Glaubhaftmachung der Benachteiligung, beispielsweise durch eidesstattliche Versicherung. Dieses Vorgehen erspart den Betroffenen, sich noch einmal durch die Bundeswehr bewerten zu lassen und Nachweise vorlegen zu müssen. Es folgt auch der Erkenntnis, dass es den Betroffenen in den wenigsten Fällen gelingen dürfte, einen vollständigen Nachweis darüber zu erbringen, wie ihr Werdegang bei der Bundeswehr verlaufen wäre, wenn es die Benachteiligungen nicht gegeben hätte. Gegen die umfassenden Restitutionsregelungen, die bisweilen gefordert werden, sprechen grundsätzliche Gründe, aber auch die Möglichkeit, dass die Betroffenen, die heute Opfer von Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Identität werden, gut geschützt sind. Denn seit 2006 können sie sich auch nach dem Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz wehren und Entschädigungsansprüche geltend machen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir – uns allen – ist bewusst, dass erlebtes Leid nicht rückgängig gemacht werden kann und entgangene berufliche Verwirklichung nicht nachgeholt werden kann. Aber wir alle hoffen, dass die Anerkennung und die symbolische Entschädigungssumme verstanden werden als das, was sie sind: als Zeichen eines tiefen Bedauerns. Mein besonderer Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der beteiligten Ressorts, die uns bei diesem Gesetzesvorhaben unterstützt haben. Ohne sie wäre die jetzt gefundene Regelung nicht möglich gewesen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundeswehr bekennt sich zu Toleranz und Vielfalt, und sie steht nicht zuletzt im Einsatz – im Inneren und im Äußeren – für diese Werte der offenen Gesellschaft ein, oft auch unter Inkaufnahme der Gefahr für das eigene Leben. Wir können unseren Männern und Frauen solche Einsätze aber nur dann abverlangen, wenn sie die Werte im Alltag auch selbst erleben. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet deswegen mehr als Anerkennung von Unrecht, Leid und Rehabilitierung. Er stärkt die Bundeswehr auch von innen her. Ich bitte Sie um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Jan Nolte für die AfD-Fraktion. ({0})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es mag ja gute Gründe dafür geben, an der dienstlichen Autorität eines Soldaten zu zweifeln, ihm keine verantwortungsvollen Aufgaben mehr zu übertragen oder ihn sogar zu entlassen, aber ganz sicher ist seine sexuelle Orientierung keiner dieser Gründe. ({0}) Was unsere Soldaten in ihren Schlafzimmern machen, ist deren Privatsache, und das hat den Dienstherrn überhaupt nicht zu interessieren. Wenn ein Soldat gute Leistungen bringt, sein Soldatenhandwerk versteht und seine Untergebenen vernünftig führt, dann muss auch niemand erst nach dem Geschlecht, der Herkunft oder der sexuellen Orientierung eines solchen Soldaten fragen, um seine Leistungen zu würdigen. Völlig klar! ({1}) Von daher glaube ich, dass wir uns bei diesem Gesetzentwurf relativ einig sind. Dennoch hat die Alternative für Deutschland hier natürlich eine andere Herangehensweise als zum Beispiel die Bundesregierung. Als freiheitliche Partei möchten wir, dass jeder in Deutschland nach seiner Fasson glücklich werden kann. ({2}) – Sie sind ja gleich dran. Noch fünf Runden Candy Crush, was Sie als Linke ja immer spielen, dann sind Sie dran. – Niemand darf sich in Deutschland wegen seiner sexuellen Orientierung fürchten oder Nachteile in Kauf nehmen müssen. Die Bundesregierung will aber weit über dieses Ziel hinausschießen. ({3}) Wenn man in der Bundeswehr Fragebögen mit dem Titel „Bunt in der Bundeswehr?“ verteilt, auf denen sich Pansexuelle über Cis-Menschen beschweren können, wenn man Diversity-Seminare und Sexworkshops ausrichtet, dann überschreitet man doch so langsam die Grenze der notwendigen dienstlichen Fürsorge und betritt das Reich links-grünen Wahnsinns. ({4}) Dabei haben wir ja ganz andere, ernsthafte Probleme hier in Deutschland. In Dresden wurde im vergangenen Jahr nur deshalb ein Mensch erstochen, weil er homosexuell war – von einem Täter, der 2015 aus Syrien nach Deutschland gekommen ist. ({5}) Vielleicht einigen wir uns also erst mal darauf, dass wir in Deutschland das Grundsätzliche schaffen und gewährleisten, dass man hier nicht mehr für seine sexuelle Orientierung umgebracht wird, bevor wir über irgendwelche Regenbogenseminare in der Bundeswehr sprechen. ({6}) Ein bisschen mehr Ehrlichkeit wäre in dieser Debatte sowieso ganz gut. Wer sind denn eigentlich die, die in Neukölln Homosexuelle verprügeln und beleidigen? Von 2018 auf 2019 ist diese Problematik um 32 Prozent gestiegen. Den Opfern muss man aber leider sagen: Es sind die falschen Täter, und deswegen wird sich die Politik wohl nicht drum kümmern. ({7}) Fakt ist doch, dass immer mehr Homosexuelle in Deutschland Opfer der Migrationspolitik der CDU werden. Sie lassen mehr Menschen hier ins Land einwandern, als wir überhaupt integrieren können. ({8}) Wenn Sie einen Bericht zur Integrationsfähigkeit Deutschlands machen wollen, dann kommt dabei heraus, dass Sie sich weigern, den Begriff „Integrationsfähigkeit“ überhaupt zu gebrauchen, weil Sie den auch ganz schlimm finden. Dass Integration eine Bringschuld der Deutschen sei: Was für ein Irrsinn! ({9}) Wenn Sie Homosexuellen also wirklich helfen möchten, dann geht das nicht mit Symbolpolitik, für die es schnellen Applaus gibt, sondern dann müssen Sie schon raus aus Ihrer Komfortzone, klare Kante gegen Integrationsunwillige zeigen. Und machen Sie jedem klar, der hier nach Deutschland kommen möchte, dass hier konstruktive Mitarbeit gefordert ist und dass man unsere Kultur zu akzeptieren ({10}) und sich an die Gesetze zu halten hat und sonst ins Flugzeug Richtung Heimat gesetzt wird. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr verehrten Herren! Im Jahr 1949 hat eine Geschichte begonnen, die heute einen guten Schritt weiter ist, und ich darf zu Beginn Ihnen, Frau Bundesministerin der Verteidigung, Danke sagen, dass Sie das Projekt Ihrer Vorgängerin fortgeführt haben, sodass wir heute über den Gesetzentwurf zur Rehabilitierung homosexueller Soldaten beraten und diese Thematik noch einen Schritt weiter bringen können. 1949 wurden unserem Grundgesetz der Artikel 1 und der Artikel 3 vorangestellt. Artikel 1 besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und Artikel 3 besagt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, aber diese Grundsätze waren unter dem Eindruck der deutschen Geschichte nicht ganz selbstverständlich, und sie wurden in Deutschland ab dem Jahr 1949 auch nicht überall so gelebt; denn vor allem zwei Gruppen – um nur zwei zu nennen – konnten diese Grundrechte noch nicht genießen. Die eine Gruppe waren die Frauen, die man nicht ganz ernst genommen hat. Sie waren quasi Bürgerinnen zweiter Klasse, bekamen erst im Jahre 1958 weitgehend die Gleichberechtigung im Rechtsverkehr, durften – man höre und staune – erst 1977 ohne Genehmigung des Ehegatten einen eigenen Gewerbebetrieb eröffnen, was man sich heute fast nicht vorstellen kann, und konnten erst 2001 als Soldatinnen in alle Funktionen der Bundeswehr eintreten. Es brauchte einen langen Weg, um diese Gleichberechtigung zu erreichen. Das sage ich wenige Tage vor dem Internationalen Frauentag. Es gab daneben eine zweite Gruppe, die 1949 aufgrund unterschiedlichster Gründe noch nicht an unserem tollen Grundgesetz partizipieren konnte. Die einen sagen, weil sie vergessen wurden, die anderen sagen, weil sie es nicht können sollten. Ich sage, die homosexuellen Männer in diesem Land wurden nach 1949 weiterhin regelmäßig und systematisch stigmatisiert; sie wurden drangsaliert und kriminalisiert. Das war und ist eine Schande. Erst durch das von Professor Burgi erstellte Gutachten – beauftragt durch die Antidiskriminierungsstelle – ist zutage getreten, dass die Rechtswirklichkeit und die Verfassungswirklichkeit in Deutschland von Anfang an – seit dem Jahr 1949 – auseinanderklafften und alle Urteile eigentlich von Anfang an rechtswidrig waren. 1949 gab es den Lichtblick in Form unseres Grundgesetzes. Ich glaube, durch diesen Lichtblick war der damalige wehrpolitische Berater der SPD, Friedrich Beermann, beeinflusst, als er den Begriff „Staatsbürger in Uniform“ prägte, der dann letztendlich als Leitbild der Inneren Führung implementiert wurde. Er wurde der Schrift nach als Leitbild implementiert, aber leider noch nicht als solches gelebt; denn der Staatsbürger in Uniform ist ein Bürger, der alle Rechte dieses Staates im Hinblick auf seine Würde und die Gleichheit vor dem Gesetz in Anspruch nehmen darf und, ja, muss. 1956 – mit der Gründung der Bundeswehr – wurde die Ungleichbehandlung fortgesetzt. 45 Verurteilungen von Soldaten sind seit dieser Zeit per anno, jedes Jahr, erfolgt – eine überwiegende Anzahl aufgrund von Anzeigen, die aus der Truppe gekommen sind. Obwohl 1969 unter dem damaligen Justizminister und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern entkriminalisiert wurden, ging es bei der Bundeswehr – die Ministerin hat es angesprochen – munter weiter. Bis 1980 wurden homosexuelle Männer allein wegen ihrer Liebe, allein wegen ihres Verhaltens, allein deshalb, weil sie die Rechte des Grundgesetzes in Anspruch genommen haben, aus dem Dienst entfernt. Als dies 1984 auch mit der Rechtslage nicht mehr genau übereinstimmte, hat man flugs einen Erlass gemacht, der es ermöglichte, weiterhin rechtswidrig – so sage ich – zu handeln. Erst im Jahre 2000 hat Verteidigungsminister Rudolf Scharping – die Ministerin hat es angesprochen – den entsprechenden Erlass aufgehoben und damit Gleichheit herbeigeführt. Ich sage an der Stelle auch: Es wäre gut, wenn neben der Entschuldigung, die wir als Hohes Haus den Soldaten entgegenbringen und die die Ministerin erbracht hat, auch die vielen Generäle, die bis zuletzt erbitterten Widerstand dagegen geleistet haben, dass der Minister diesen Erlass aufgehoben hat, sich endlich mal bei den Menschen entschuldigen würden, denen sie über Jahrzehnte Leid zugefügt haben. ({0}) 2017 haben wir sodann nach dem Gutachten von Burgi endlich die Rehabilitierung der nach § 175 StGB und § 151 StGB-DDR verurteilten Menschen auf den Weg gebracht. Heute ist ein guter Tag, weil die Soldaten, die in ihrer Karriere, in ihrem Dienst, in ihrem beruflichen Leben, ja in ihrer Selbstverwirklichung gestört waren, nunmehr einer Rehabilitierung zugeführt werden: mit einem unkomplizierten Verfahren, mit einem gerechten Verfahren, in dem ihrem Leid Rechnung getragen wird. Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem heute vorliegenden Gesetz über die Rehabilitierung von homosexuellen Soldaten gehen wir einen wichtigen Weg; aber der Weg ist noch nicht zu Ende. Denn dieser Weg ist erst dann zu Ende, wenn diese Menschen, die seit 1949 in diesem Land gelitten haben, auch im Grundgesetz, so wie es inzwischen für Frauen richtig geschehen ist, verankert sind, gefördert werden und im Grundgesetz auch genannt werden. Schweigen ist keine Demokratie. ({1}) Deshalb bitte ich an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem heute und gestern die Einigung erzielt wurde, den Rassebegriff zu erneuern, doch darüber nachzudenken und darüber zu debattieren, ob wir nicht bei dieser Gelegenheit endlich die Männer in unserem Land, die seit 1949 ihre Rechte nicht erhalten haben, ins Grundgesetz aufnehmen und damit alle Menschen mit ihrer sexuellen Orientierung zu implementieren. Ich würde mir das wünschen und würde mit jedem Einzelnen ein Einzelgespräch führen, um dies auf den Weg zu bringen. Das sind wir den Männern schuldig, das sind wir den Frauen schuldig, das sind wir den binärgeschlechtlichen Menschen schuldig, das sind wir den Transmenschen schuldig, das sind wir unserer Gesellschaft schuldig und nicht zuletzt unserem Grundgesetz, das uns seit 1949 beteiligt. Dann war dies heute ein guter Tag beim Einbringen dieses Gesetzes. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Jens Brandenburg für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahrzehntelang haben die Bundeswehr und auch die NVA homosexuelle Soldaten systematisch unterdrückt. Mit unehrenhaften Entlassungen, faktischen Berufsverboten und gesellschaftlicher Rufschädigung haben sie ganze Biografien vernichtet. Die Bundeswehr war nicht einfach eine Getriebene gesellschaftlicher Vorurteile, sondern sie hat die Unterdrückung homosexueller und transsexueller Menschen in Deutschland aktiv vorangetrieben. Von heute auf morgen wurden Soldaten in die Obdachlosigkeit entlassen. Viele mussten sich ein Leben lang verstecken, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Bis ins Jahr 2000 hat die deutsche Parlamentsarmee homosexuellen Soldaten den Weg zum Berufssoldaten, zum Ausbilder, zum Vorgesetzten verweigert. 21 Jahre später soll der Deutsche Bundestag dieses Unrecht endlich anerkennen – ein überfälliger, aber wichtiger Schritt. ({0}) Frau Ministerin, vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie in Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion noch jede Entschädigung diskriminierter Soldaten vehement abgelehnt. Wir Freie Demokraten haben das damals deutlich kritisiert und ein Rehabilitierungsgesetz eingefordert. Wenige Wochen später kam dann Ihre Kehrtwende, und Sie kündigten einen entsprechenden Gesetzentwurf an. Mein Kollege Alexander Müller und ich haben Sie daraufhin aufgefordert, am 20. Jahrestag der Aufhebung des Erlasses zur Personalführung homosexueller Soldaten die Betroffenen auch öffentlich um Entschuldigung zu bitten. Mit sehr aufrichtigen Worten haben Sie diese Gelegenheit genutzt und damit vielen Menschen eine Last genommen. Am 17. September haben Sie im Ministerium die historische Studie – Sie haben es erwähnt – „Tabu und Toleranz“ vorgestellt, Ihre Worte der Entschuldigung wiederholt und auch den Zeitzeugen ein Podium gegeben. Heute liegt ein Gesetzentwurf vor, der viele unserer Forderungen aufgreift: von der Aufhebung truppendienstgerichtlicher Urteile über finanzielle Entschädigungen bis hin zur Einbeziehung ehemaliger NVA-Soldaten. Frau Ministerin, der Gesetzentwurf ist ein Meilenstein zur Aufarbeitung der jahrzehntelangen Diskriminierung in der Bundeswehr. Das Überdenken früherer Entscheidungen zeugt auch von politischer Größe. Dafür danke ich Ihnen sehr herzlich. ({1}) Ja, Sie sollten einfach häufiger auf die FDP hören. Aber freuen Sie sich mal nicht zu früh; denn der Entwurf lässt ja noch Luft nach oben. Systematische Diskriminierung nach dem Jahr 2000 – also etwa die Überwachung durch den MAD – dürfen wir nicht ignorieren. Bei nachweisbar besonders schweren Folgeschäden müssen auch höhere Entschädigungen möglich sein. Der Bericht der Wehrbeauftragten zeigt: Trotz vieler Fortschritte erleben noch immer homo- und transsexuelle Soldaten im Alltag Stigmatisierung. Die Ergebnisse der Vielfaltsstudie „Bunt in der Bundeswehr?“ halten Sie seit über einem Jahr im Ministerium unter Verschluss. Alltagsdiskriminierung hat in einer modernen Truppe keinen Platz. Die sexuelle oder geschlechtliche Identität darf kein Hindernis sein für Kameradschaft und Karriere in der Bundeswehr. ({2}) Mit regionalen Ansprechpersonen, mit einer sichtbaren Teilnahme an Christopher Street Days und mit einer inklusiven Öffentlichkeitsarbeit wie die der schwedischen Armee könnte sich die Bundeswehr als moderner Arbeitgeber präsentieren. Ein offener Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt schwächt die Truppe nicht, er stärkt sie. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Matthias Höhn für die Fraktion Die Linke. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist in der Tat ein wichtiger Tag und ein guter Tag. Das gilt nicht nur für die betroffenen ehemaligen und aktiven Soldatinnen und Soldaten, um die es in diesem Gesetz geht, sondern, ich glaube, auch für uns als Parlament. Das ist auch ein guter Tag für die Gesellschaft insgesamt. Ich will ausdrücklich begrüßen, Frau Ministerin, dass Sie diesen Gesetzentwurf vorlegen. Ich will auch ausdrücklich begrüßen und würdigen, was Sie öffentlich bereits dazu erklärt haben, und auch Ihre Entschuldigung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. ({0}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen – das ist schon angesprochen worden –, wir reden hier nicht über die alltägliche Schikane, die alltägliche Diskriminierung, die wir ja bis heute in der Gesellschaft erleben, sondern wir reden über systematische Diskriminierung. Wir reden über Schikane, über Entlassung aus dem Dienst, über Degradierungen, ja zum Teil auch das Zerstören von Lebensläufen. Deswegen finde ich, dass wir uns heute als Parlament – alle miteinander – in dieser Debatte mit Blick auf unsere Parlamentsarmee die Frage stellen müssen, warum es eigentlich bis ins Jahr 2000 gedauert hat, bis die entsprechenden Regelungen vom damaligen Minister gekippt worden sind, und warum es wieder über 20 Jahre gedauert hat, bis wir hier im Parlament über die Rehabilitierung reden. Diese Frage müssen wir uns miteinander selbstkritisch stellen. ({1}) Deswegen will ich hinzufügen: So richtig und notwendig die Entschuldigung der Ministerin für das Ministerium und die Bundesregierung auch war, so richtig finde ich es, dass es sich für den Bundestag gehört, dass wir uns gegenüber unserer Parlamentsarmee dieser Entschuldigung anschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Auch ich will die Redezeit nutzen, darauf hinzuweisen, dass das ein Gesetzentwurf ist, der selbstverständlich in die richtige Richtung geht, aber dass er natürlich, wie der Kollege Brandenburg das eben nannte, Luft nach oben hat. Auch ich will über die Frist reden. Ich finde, dass wir im Ausschuss, Frau Ministerin, intensiv noch einmal darüber sprechen müssen, ob das wirklich ein richtiger Punkt ist, zu sagen: Mit dem Kippen der entsprechenden Erlasse endet auch der Entschädigungsanspruch. – Ich glaube, wir müssen an dieser Frist noch einmal miteinander arbeiten und die Frist deutlich nach hinten verschieben. Ich finde auch, dass wir über die Frage der Entschädigung noch einmal ernsthaft diskutieren müssen. Sie haben gesagt: Das ist eine symbolische Entschädigung. – Lassen Sie uns darüber sprechen. Es ist zu wenig, das Symbol ist mir zu klein. Wir haben hier miteinander breit diskutiert, dass auch Lebensläufe zerstört worden sind. Lassen Sie uns deswegen über zwei Dinge reden, nämlich über die Frage einer pauschalen Entschädigung und eben auch über die Frage, ob es in Einzelfällen darüber hinaus eine Entschädigung geben muss. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist höchste Zeit für eine umfängliche Rehabilitierung und für eine wirklich angemessene Entschädigung. Meine Fraktion wird sich in diese Diskussion konstruktiv einbringen. Herzlichen Dank. ({4})

Sven Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004801, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Diskriminierung von homo- und transsexuellen Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr hatte System. Ein Outing war jahrzehntelang nicht nur ein Karriereknick, sondern hat ganze Existenzen schlagartig vernichtet. Ein Marinesoldat erinnert sich an folgende Worte seines damaligen Standortkommandanten: Soldaten der Marine, die in so etwas verwickelt sind, können wir nicht in die Welt hinausschicken. Nach diesen Worten war dieser Soldat degradiert, mittellos, obdachlos. Für das erlittene Unrecht, für Schäden an Gesundheit und beim beruflichen Fortkommen schuldet dieser Staat den Betroffenen in der Tat eine Entschädigung. Darum begrüßen wir Grüne ausdrücklich, dass die Bundesregierung endlich diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Auch nach der Abschaffung des alten Strafrechtsparagrafen 175 wurde homosexuellen Männern noch bis zum Jahr 2000 generell die Eignung zum Vorgesetzten abgesprochen, und zwar pauschal ohne Bewertung des Einzelfalls. Ihnen blieb die Offizierslaufbahn versperrt, Beförderungen blieben aus, ihnen drohte die Ablösung als unmittelbar Vorgesetzter oder Ausbilder. Schwule Soldaten hatten im Grunde nur die Wahl, ungeoutet zu bleiben, dann aber als Sicherheitsrisiko zu gelten oder aber das Sicherheitsrisiko auszuschließen und sich zu outen, dann aber den Job als Vorgesetzter zu verlieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht Homosexualität war das Sicherheitsrisiko, das Sicherheitsrisiko waren Diskriminierungen wie diese, die die Existenz von Menschen zerstört haben. ({1}) Konkret zum vorliegenden Gesetzentwurf: Hier gibt es noch einigen Nachbesserungsbedarf. Ich will hier besonders drei Punkte aufführen. Erstens. Es ist realitätsfremd, davon auszugehen, dass es mit dem formalen Ende der Diskriminierung im Jahr 2000 auch tatsächlich keine Diskriminierung mehr gab. Ein aufgehobener Erlass ändert leider noch nicht das Denken und Handeln. Deswegen fordern auch wir eine Anpassung des Stichtags an das Jahr 2010, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Zweitens. Gemessen am häufig lebenslangen Schaden für die Betroffenen, ist eine Entschädigungssumme von maximal 6 000 Euro schlicht zu wenig. Wir fordern daher eine Erhöhung der pauschalen Entschädigungssumme und die Möglichkeit, besondere Härten auch besonders zu entschädigen, wie das der Kollege Höhn eben dargestellt hat. ({3}) Drittens. Wir fordern die Möglichkeit einer nachträglichen Beförderung mit entsprechend erhöhten Renten- und Pensionsansprüchen; denn wenn ein Soldat nicht befördert wurde, weil er schwul war, muss auch das entschädigt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ich komme zum Schluss. Die Zeit drängt, da viele Opfer inzwischen ein hohes Lebensalter erreicht haben. Lassen Sie uns deswegen gemeinsam dafür sorgen, dass die Entschädigung schnell auf den Weg gebracht wird, dass sie angemessen ist und dass den Menschen damit auch ein Stück ihrer Würde zurückgegeben wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Gisela Manderla das Wort. ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrte Damen und Herren! Heute debattieren wir endlich über den Gesetzentwurf zur Rehabilitierung homosexueller Soldaten. Dies ist ein notwendiger und definitiv überfälliger Schritt. Die Rehabilitierung homosexueller Soldaten in der Bundeswehr und in der damaligen NVA wird damit machbar und auf den Weg gebracht. Erlittenes Unrecht wird wiedergutgemacht, soweit dies noch möglich ist. Das Leid der Betroffenen jedoch können wir sicher nicht heilen; vielleicht ein bisschen lindern. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei unserer Verteidigungsministerin für ihre Initiative, dieses schwierige Kapitel noch in dieser Legislaturperiode zu einem versöhnlichen Abschluss zu bringen. Es ist gut, diesen Schritt zu gehen und von sich aus staatliches Handeln aufzuarbeiten, welches ja noch gar nicht so lange zurückliegt. Denn beendet – dies wurde schon mehrfach gesagt – wurde die institutionelle Diskriminierung Homosexueller in der Bundeswehr erst im Jahr 2000. Es geht hier nicht nur darum, den Betroffenen eine finanzielle Entschädigung zu sichern. Viel wichtiger ist es, liebe Kollegen und Kolleginnen, dass das Ausmaß der zugefügten Diskriminierungen der Betroffenen detailliert benannt und dass diese Diskriminierungen als grundrechtswidrig anerkannt werden. Der Staat sagt an dieser Stelle Entschuldigung – Entschuldigung für die Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte von homosexuellen Soldaten. Er stellt sich damit den Versäumnissen und Fehlentscheidungen der vergangenen Jahrzehnte. Denn konkret sprechen wir hier, sehr verehrte Damen und Herren, von der vielfachen Zerstörung von beruflichen Lebenswegen, vom Ausbleiben von Bundeswehrkarrieren, die aktiv angestrebt, aber nicht vollzogen werden durften. Berufliche Lebensträume wurden verhindert, und das nur wegen damaliger – ich sage ausdrücklich: damaliger – moralischer Vorstellungen. Dass diese unsäglichen Einschränkungen auch massive psychische und emotionale Belastungen aufseiten der Betroffenen zur Folge hatten, muss man hier sicherlich nicht extra erwähnen. Heute jedoch fragen wir uns zu Recht, wie derartige Ungleichbehandlungen jemals möglich waren. Aus aktueller Sicht erscheint es daher unglaublich, dass die damals geltenden Maßnahmen im Umgang mit homosexuellen Menschen auf Gesetzen beruhten, die rechtsstaatlich zustande gekommen waren. Die Korrektur dieser Gesetze im Lauf der Zeit beschreibt nicht nur eine moralische, sondern auch eine grund- und menschenrechtliche Notwendigkeit sowie den gesellschaftlichen Wandel in unserer Zeit. Und, meine Damen und Herren, wir dürfen unsere Bemühungen als Parlamentarier und Parlamentarierinnen und als Bürger und Bürgerinnen nicht einstellen. Auch weiterhin ist auf den diskriminierungsfreien Umgang mit sexuellen Orientierungen zu achten. Begrifflichkeiten wie Diversity Management müssen auch zukünftig innerhalb unserer Bundeswehr einen angemessenen Stellenwert erhalten. Wir verantworten das Handeln hier und jetzt. Mit diesem Gesetzentwurf tragen wir den gesellschaftlichen Realitäten Rechnung. Ich komme zum Ende. Ich wünsche mir eine breite Debatte im Verteidigungsausschuss, wünsche Ihnen allen ein schönes sonniges Wochenende, und bleiben Sie gesund. Herzlichen Dank. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Coronawinter mussten Tausende Menschen frieren, weil sie ihre Wohnung nicht beheizen konnten. Sie konnten kein Licht machen, sie konnten sich kein warmes Essen kochen, und ihre Kinder konnten nicht am digitalen Schulunterricht teilnehmen. Auch im letzten Jahr ist Hunderttausenden von Menschen der Strom abgestellt worden. Weil sie keinen Strom zur Verfügung hatten, konnten sie ihre Wohnung nicht beheizen. Wir als Linke sagen: Diese Praxis muss ein Ende haben! Wir wollen Stromsperren verbieten. ({0}) Die Europäische Union hat festgestellt, dass im Winter 2 Millionen Menschen in Deutschland ihre Wohnung nicht richtig beheizen können. Betroffen davon sind vor allem Singles und Alleinerziehende mit ihren Kindern. Doch warum werden diese Daten von der Europäischen Union erhoben? Warum werden sie nicht von Deutschland erhoben? Das liegt einfach daran, dass diese Bundesregierung sich seit Jahren verweigert, Daten über Energiearmut zu erheben. Das muss dringend ein Ende haben! ({1}) Denn der Wert einer Gesellschaft misst sich daran, wie diese Gesellschaft mit ihren Schwächsten umgeht. In der Coronakrise hat auf der einen Seite der Immobilienkonzern Vonovia 3,3 Milliarden Euro an Gewinnen eingefahren. In diesem Zusammenhang herzliche Grüße an die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“. ({2}) Auf der anderen Seite haben Menschen ihre Arbeit verloren, mussten Menschen in Kurzarbeit gehen. Die kleinen und niedrigen Einkommen sind gesunken, während der obszöne Reichtum und die Gewinne der Konzerne gestiegen sind. Diese Coronakrise verschärft nicht nur die Gesundheitsprobleme in unserem Land, sie führt auch zur sozialen Spaltung. Als Linke sagen wir ganz klar: Wer die Demokratie in unserem Land erhalten will, der muss die soziale Spaltung in unserem Land bekämpfen. ({3}) Doch diese Bundesregierung tut leider das Gegenteil. Menschen nehmen die Aufforderung wahr: Sie bleiben zu Hause, sie sind vernünftig, und sie unterrichten ihre Kinder im digitalen Unterricht zu Hause. – Doch die Bundesregierung hat im Januar einen CO2-Preis eingeführt, der dazu führt, dass die Heizkosten noch einmal deutlich steigen, die sowieso schon gestiegen sind, weil so viele Menschen zu Hause bleiben. ({4}) Statt also ihrer Verantwortung nachzukommen, die die Bundesregierung hätte, endlich bezahlbares Wohnen und Klimaschutz miteinander vereinbar zu machen und das zu tun, was notwendig ist, schiebt sie die Verantwortung an die Verbraucherinnen ab. Das ist genau der falsche Weg. ({5}) Wir fordern in unserem Antrag, dass der CO2-Preis nicht mehr von den Mieterinnen bezahlt wird, sondern von den Vermieterinnen; denn die Vermieterinnen sind es, die dafür sorgen können, dass klimafreundliche Heizungen eingebaut werden. Wir haben die Bundesregierung, den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, dazu befragt. Wissen Sie, was er geantwortet hat? Er hat gesagt: Wenn für die Leute die Heizkosten steigen, dann sollen Sie doch einfach mal die Heizung runterdrehen. – Nein, das ist an Zynismus und Abgehobenheit nicht mehr zu überbieten. ({6}) Wir sagen: Für so eine antisoziale Politik gehört diese Bundesregierung im Herbst in den Ruhestand geschickt. ({7}) Wir sagen: In der Coronapandemie müssen wir Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammendenken. Das unterstützen auch Mieterbund und die Deutsche Umwelthilfe. Denn sie wissen – anders als die Bundesregierung –: Klimaschutz kann nur sozial gerecht gemacht werden. Vielen Dank. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort hat Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Worte meines Vorredners nehmen doch schon etwas wunder. Es ist noch nicht allzu lange her, da konnte unter anderem der sogenannten Linkspartei ({0}) die CO2-Abgabe gar nicht hoch genug ausfallen. ({1}) Ich wundere mich da tatsächlich. ({2}) Am Ende des Tages wird im Übrigen das gesamte Staatswesen von den Bürgerinnen und Bürgern getragen.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Herr Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Beutin von der Fraktion Die Linke? ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, die Grünen setzen sich so vehement gegen die Zwischenfrage ein. ({0}) – Ja, wir werden aber auch anständig honoriert. ({1}) Und, ehrlich gesagt, auf die drei Minuten kommt es nicht mehr an.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Könnten Sie entscheiden, Herr Müller?

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege hat die Möglichkeit zur Zwischenfrage.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege, wenn Sie sagen, wir hätten uns für einen hohen CO2-Preis eingesetzt, dann darf ich Ihnen gerne mitteilen, dass wir klar gesagt haben: Ein CO2-Preis kann nie ein Ersatz sein für staatliches Handeln bzw. dafür, dass der Staat nicht auf die Reihe kriegt, was er auf die Reihe kriegen muss. Er kann kein Alibi sein für ein Versagen beim Klimaschutz. Wir brauchen einen begleitenden CO2-Preis, der erstens eine Steuerungswirkung hat und der zweitens sozial gerecht ist, weil er an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurückerstattet wird. Das bedeutet ganz klar: Ein CO2-Preis, der begleitend ist, der dem Klimaschutz dient, ist sozial gerecht. Ein CO2-Preis, wie Sie ihn hier gestalten, wirkt mit sozialen Verheerungen auf diese Gesellschaft. Und ein CO2-Preis, der sozial ungerecht ist und der nichts fürs Klima tut, der kann nicht richtig sein. Deshalb stellen wir heute unseren Antrag. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich glaube, in Ihrer Frage – es war vielmehr eine Anmerkung – ist die grundsätzliche Verwirrung, die bei Ihnen herrscht, ganz gut zu erkennen gewesen. ({0}) Am Ende des Tages wird alles, was wir uns leisten, und alles, was wir für Klimaschutz – das ist eine große und wichtige Aufgabe – aufwenden, von den Menschen in diesem Land erwirtschaftet werden müssen. Offensichtlich haben Sie das bislang immer noch nicht verstanden. Besonders infam finde ich Ihre Unterstellung, dass für Klimaschutz nichts getan wird. Ich habe in einer anderen energiepolitischen Debatte vorhin – Sie waren da nicht im Plenum – schon darauf hingewiesen, dass wir einen wichtigen Meilenstein, die CO2-Reduzierungsziele, erreicht bzw. bereits übererfüllt haben. ({1}) Und wir waren schon vor Corona auf Zielerreichungskurs. ({2}) Das waren Themen, die sowohl aus Richtung der Linken als auch aus Richtung der Grünen über Jahre hinweg bestritten worden sind. Sie haben, als Sie gemerkt haben, dass Ihre Argumentation nicht trägt und Sie einfach falsch gelegen haben, damit vor sechs Monaten ein bisschen verschämt aufgehört. Fakt ist: Wir haben Klimaschutz tief im Herzen. Wir ergreifen die richtigen Maßnahmen. ({3}) Dazu gehört auch ein CO2-Preis, aber nicht allein der CO2-Preis. Die CO2-Minderungsziele des Jahres 2020 haben wir übererfüllt. Das spricht für die Leistung dieser Regierung. ({4}) Wir haben hier insgesamt eine wirklich verworrene Lage – das muss zugegeben werden –, weil wir ein grundsätzliches Problem, nämlich die Auflösung des Mieter-Vermieter-Dilemmas, noch nicht haben lösen können. Das ist eine wirklich über alle Maßen komplexe Frage. Ich finde es schon, ehrlich gesagt, eine ziemlich Zumutung, dass Sie allein einer Gruppe – in diesem Fall den Vermieterinnen und Vermietern – die Aufgabe zuweisen wollen, für Dinge vollständig zu haften, die sie nicht alleine in der Hand haben, für die sie nicht alleine die Verantwortung tragen. Gleichwohl – das muss gesagt werden –: Ein Mieter, der in einem energetisch defizitären Objekt wohnt, hat auch nicht die Möglichkeit, alleine durch sein Verhalten ({5}) seine Verbrauchskosten und damit auch den CO2-Fußabdruck zu beeinflussen. ({6}) – Die Kollegin Verlinden ist in dem Thema grundsätzlich engagiert, allerdings leider nicht immer mit der richtigen Stoßrichtung. Es ist das Ansinnen der Bundesregierung und der Union, nicht allein auf den CO2-Preis zu setzen, sondern auch Förderinstrumente ins Werk zu setzen. Wir haben die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung auf den Weg gebracht. ({7}) Für meinen Geschmack deutlich zu spät, aber jetzt läuft es. Wir haben eine Vielzahl von CO2-Minderungsprogrammen auf den Weg gebracht. Diese sind über alle Maßen nachgefragt. Wir haben beinahe eine Verfünffachung des Mittelabrufes. Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben es hinbekommen, die Finanzierung für dieses Jahr und für die Anschlussjahre sicherzustellen. Meine Damen und Herren, das ist im Kern der richtige Weg bei der Frage, wie wir das Mieter-Vermieter-Dilemma auflösen. Darüber müssen wir uns, glaube ich, fraktionsübergreifend – ich gebe mich da keinen Illusionen hin; einige werden an einem ideologiefreien Dialog nicht teilnehmen wollen – ideologiefrei Gedanken machen. Daran scheitert bislang die Lösung der Frage. Ich bin im Übrigen ein vehementer Gegner davon, der Bevölkerung, den Leuten im Lande zu versprechen: Klimaschutz kostet nichts. – Unter der unendlichen Verheerung, die der Abgeordnete der Grünen, Trittin, mit seiner leichtfertigen Aussage, es koste so viel wie eine Kugel Eis, angerichtet hat, leiden wir heute noch. ({8}) Wir müssen wissen: Klimaschutz kostet Geld, aber Klimaschutz kann auch hoch wirtschaftlich sein. Ich habe es vorhin dargestellt: Wir haben allein im Bereich der Erneuerbaren Energien über 300 000 Beschäftigte in diesem Land. Wir haben im Bereich der Energieeffizienzindustrie über 600 000 Beschäftigte. Das ist der richtige Weg: Anreize setzen, nicht verbieten, nicht überregulieren, aber insbesondere auch keine Bevölkerungsgruppen stigmatisieren, so wie Sie das regelmäßig machen. Vielen Dank. ({9})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Marc Bernhard von der AfD. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Unlogik grün-roter Politik zeigt sich in Ihren beiden Anträgen mal wieder in aller Deutlichkeit. Erst lassen Sie Ihre Fridays-for-Future-Vorfeldorganisation monatelang für eine CO2-Steuer demonstrieren, und willfährig haben Sie von der Bundesregierung diese CO2-Steuer natürlich dann auch eingeführt. Es bleibt trotz Ihres Protests, Herr Beutin, dabei: Ihnen von den Linken und von den Grünen kann die CO2-Steuer nicht hoch genug sein. Statt der jetzt eingeführten 25 Euro pro Tonne wollen Sie eigentlich 180 Euro. Das sollen Sie bitte mal den Wählerinnen und Wählern da draußen sagen. ({0}) Jetzt stellen Sie plötzlich fest – welche Überraschung auch –, dass die von Ihnen angeheizte Klimahysterie für viele Menschen ganz einfach nicht mehr bezahlbar ist. Ja, verdammt noch mal, ob sich die Bürger eine Steuer leisten können oder nicht, muss man doch vor Einführung der Steuer überlegen und darf nicht aus ideologischer Verblendung die Bürger mit einer Abgabe nach der anderen ohne Rücksicht auf Verluste abzocken. Allein seit 1. Januar kassieren Sie 6 Euro zusätzlich an Steuern für jede Tankfüllung. ({1}) Die CO2-Steuer wird sich bis zum Jahr 2025 mehr als verdoppeln. Mit den von Ihnen geforderten 180 Euro pro Tonne wären es ja dann sogar 35 Euro für jede Tankfüllung. Aber das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Viel schlimmer wirken sich Ihre Maßnahmen auf die Kosten des Wohnens aus. Durch Ihr Abzockpaket steigen die Heizkosten um über 20 Prozent, und der Mieterbund rechnet für einen durchschnittlichen Haushalt mit einer zusätzlichen Mieterhöhung von 200 Euro pro Monat. All das war bekannt, bevor Sie diese Belastungen eingeführt haben, und jetzt wollen Sie von den Grünen und Linken diese Regierungsstümperei mit Ihren Anträgen kaschieren. So was nenne ich wirklich Serviceopposition, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Haben Sie sich eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, welche Auswirkungen es hätte, wenn Ihre Anträge tatsächlich beschlossen werden würden? Die große Mehrheit der Vermieter sind nämlich Kleinvermieter, im Durchschnitt 60 Jahre alt, die mit der Miete ihre Rente aufbessern. Mit Ihren Anträgen wollen Sie jetzt, dass diese Rentner die CO2-Steuer ihrer Mieter bezahlen müssen, ohne dass sie irgendeinen Einfluss auf das Heizverhalten der Mieter haben oder zumutbar die Zusatzbelastung durch die CO2-Steuer senken könnten. Modellrechnungen zeigen ganz klar und eindeutig, dass es bei einem typischen Investitionsbedarf von 40 000 Euro für Dämmung und Heizung zu einer Heizkosteneinsparung von gerade mal 800 Euro pro Jahr kommt. Die Amortisierung dauert also 50 Jahre, ({3}) und das auch nur, wenn man die gesamten Heizkosteneinsparungen zugrunde legen würde. ({4}) Wohlgemerkt: Der durchschnittliche Kleinvermieter wäre dann bereits 110 Jahre alt, und an diesen Fakten ändern auch Ihre Anträge nichts. ({5}) Das Klimapaket und die darin enthaltene CO2-Steuer ist und bleibt, was der Bundesrechnungshof bereits vor über einem Jahr festgestellt hat: ungerecht und unsozial. Dies muss deshalb sofort abgeschafft werden. ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Ich erteile dem Abgeordneten Beutin das Wort zu einer Kurzintervention. Kurz, kurz, kurz. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da der Vorredner mich direkt angegriffen, aber den Antrag selbst nicht gelesen hat, einfach eine Richtigstellung: Die Linke fordert keinen CO2-Preis im Verkehr- und Wärmebereich von 180 Euro. Ganz im Gegenteil. Wer unseren Antrag gelesen hat, weiß, dass wir die Umlage auf die Mieterinnen ablehnen. Ein CO2-Preis muss sozial gerecht sein. Er muss die Verursacherinnen treffen. Im Energiesektor wäre ein Mindestpreis sozial gerecht. Ein CO2-Preis, der nur die Verbraucherinnen trifft, ist sozial ungerecht, und den lehnen wir ab. – Vielen Dank. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Herr Bernhard, möchten Sie reagieren?

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Aber bitte auch kurz.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich versuche, es so kurz wie möglich zu machen.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Nein, Sie müssen.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Fakt ist doch, dass Sie diese 180 Euro wollen. ({0}) Sie wollen einfach eine Umverteilung. Der entscheidende Punkt ist, dass Sie diese 180 Euro wollen und dass Ihnen auch in der Debatte zur Einführung der CO2-Steuer die 25 Euro zu wenig waren. ({1}) Das ist doch der Fakt, und das müssen Sie den Bürgern da draußen auch sagen. Sie wollen 180 Euro, und irgendein Märchenonkel da draußen soll es bezahlen. ({2}) Wenn Sie eine CO2-Steuer einführen, dann müssen die Menschen da draußen die auch bezahlen; das ist doch völlig klar! Fertig! Und darum geht es. ({3}) Sie wollen die Menschen noch mehr belasten, und Ihr Antrag ist nichts als Schall und Rauch. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke. – Das Wort geht an Klaus Mindrup von der SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es, und worüber streiten wir uns hier? Es ist dringend notwendig, dass wir unsere Atmosphäre nicht mehr als Mülldeponie für Treibhausgase missbrauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen haben wir auch ein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität. Das ist notwendig, damit dieser Planet für uns und die Generationen nach uns lebenswert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Jetzt geht es darum: Wie bekommen wir das hin? Es geht nicht mehr um das Ob, sondern es geht um das Wie. Dabei geht es im Wesentlichen um gesellschaftlichen, sozialen und technischen Fortschritt. Wir haben die Alternativen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte auf eine Studie der Stiftung 2 ({1}) Ich möchte an die Pioniere der Solarenergie in Aachen erinnern mit dem Modell zur kostendeckenden Einspeisevergütung Mitte der 90er-Jahre. 2 DM gab es damals für eine Kilowattstunde PV auf dem Dach; das waren 102 Eurocent. Dann kam das EEG von Rot-Grün mit Hermann Scheer. Das hat eine weltweite Revolution ausgelöst. Heute sind wir in Deutschland bei 8 bis 10 Eurocent für PV bei Dachanlagen und bei 4 bis 5 Eurocent bei Freiflächen. In Portugal, dem Weltmeister, sind es 1,14 Eurocent in der Freifläche. Wir werden auch in diesen Bereich kommen. Es ist also möglich, dass die Erneuerbaren billiger werden, und dann ist das alles auch sozial verträglich mit dem Klimaschutz. ({2}) Das Wichtigste, was wir jetzt hinbekommen müssen, ist, dass der erneuerbare Strom in die Gebäude kommt. Deswegen haben wir das Gebäudeenergiegesetz gemacht, die PV-Anrechnung, den Quartiersansatz und die Abwärmenutzung und haben dafür gesorgt, dass der Strom in die Wärmepumpen kommt. Daher ist es notwendig, dass die EEG-Umlage abgeschafft wird. Dafür steht ganz allein die SPD. ({3}) Dann ist es möglich, dass man das Thema sozialverträglich umsetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Jetzt komme ich zu der Frage: Was hat das mit Hauseigentümern zu tun? Die CO2-Bepreisung ist keine Steuer. Das Geld geht zu 100 Prozent an die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen zurück, vor allen Dingen in Form von Fördermitteln, aber im Augenblick auch für eine Teilentlastung bei der EEG-Umlage. Aber wer kann denn am Ende entscheiden, welche Investitionen sinnvoll sind? Wer kann die Fördermittel entgegennehmen? Das sind doch die Hauseigentümer, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Deswegen ist es auch richtig, dass sie den überwiegenden Anteil des CO2-Preises bezahlen. Damit schaffen wir einen Anreiz, zu investieren. Damit schaffen wir gute Arbeitsplätze in der Industrie, gute Arbeitsplätze im Handwerk, gute Arbeitsplätze bei den Versorgern durch den Bau von mit erneuerbaren Energien betriebenen Fernwärmesystemen. Das wird besser, das wird günstiger, und wir hinterlassen unseren Nachfolgern eine Erde, auf der es sich noch zu leben lohnt. Dafür müssen wir gemeinsam sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich appelliere an die Union, dass wir da in den nächsten Wochen noch Fortschritte machen. Ich habe den Kollegen Müller so verstanden, dass er dafür offen ist. Danke schön. ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort geht an Hagen Reinhold von der FDP-Fraktion. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die recht lebhafte Debatte zeigt doch wohl, wo die Diskussion eigentlich beginnen muss, nämlich beim CO2-Preis. Warum sich die beiden Fraktionen mit ihren Anträgen den Taschenspielertricks der Regierung anschließen, verstehe ich auch nicht ganz. Der CO2-Preis ist ja ganz offensichtlich mithilfe einer Glaskugel auf dem Kabinettstisch entstanden. Darin scheint Herr Spahn zurzeit übrigens auch Schnelltests zu entdecken; das zeigt, warum sie immer noch nicht da sind. Warum ist er mithilfe einer Glaskugel entstanden? Ein richtiger CO2-Preis kann nur entstehen, wenn das ETS in allen Sektoren eingeführt wird, marktwirtschaftliche Instrumente wirken und man die Zertifikate reduziert. ({0}) Sonst haben Sie nämlich einen Preis, von dem Sie gar nicht wissen, ob er lenkt und leitet. Und Sie haben ja hier vorgetragen: Das soll eine Lenkungsabgabe sein. – Sie wollen nämlich lenken: Sie wollen, dass die Menschen an der Tankstelle feststellen: „Ups, das Tanken ist ein bisschen teurer geworden“, und sie dazu bringen, zu sagen: Ich fahre ein bisschen weniger, schränke meine Mobilität etwas ein oder benutze den ÖPNV. – Andererseits geben Sie durch die Pendlerpauschale und anderes das Geld zurück. Damit lenken Sie nicht mehr. Das Gleiche haben Sie jetzt im Gebäudesektor auch vor, zumindest wenn es nach Grünen und Linken geht. Sie nehmen nämlich denjenigen ihr Lenkungselement, die sagen: „Huch, die Heizkostenrechnung ist ein bisschen hoch, dann baue ich mir doch ein digitales Thermostat ein, das die Heizung herunterjustiert, wenn ich aus dem Haus gehe, damit senke ich meinen Verbrauch“, indem Sie sagen, der Verursacher sei der Vermieter. So schreiben es die Linken und die Grünen. Dass das der Verursacher ist, sehe ich nicht so. Den Grünen ist es beim Schreiben des Antrags zumindest aufgefallen; denn nach drei Zeilen haben Sie festgestellt: Hach, der Verursacher ist wahrscheinlich doch nicht nur der böse Vermieter, der die Heizung eingebaut hat. – Denn ab 2026 wollen Sie die Kosten auf einmal zwischen Mieter und Vermieter aufteilen. ({1}) So konsistent ist also Ihr Antrag. Wer der Verursacher nun wirklich ist, scheint Ihnen nicht ganz klar zu sein. ({2}) Ich sagen Ihnen, was nicht funktioniert: alles – jede Wohnung – zu verstaatlichen. Sie sind ja bei jeder Forderung nach Zwangsenteignung dabei. Wir haben jetzt zehn Jahre lang energetisch saniert in Deutschland – 1 Prozent pro Jahr –; das hat uns 500 Milliarden Euro gekostet. Wenn wir also den Gebäudebestand – wir wissen ja, wie alt und wie unsaniert er ist – durchsanieren, kostet das 3 Billionen Euro. Bei jährlich 80 Milliarden Euro Investitionen des Bundes dauert es 37,5 Jahre, alle Gebäude zu sanieren. Also eine ganze DDR. ({3}) Staatsenteignung nur um die Gebäude zu sanieren, wird schon mal nicht funktionieren. ({4}) Was funktioniert? Der Kollege der CDU sagt, es gebe keine Auflösung des Vermieter-Mieter-Dilemmas. Doch, die gibt es; Agora ist gerade vom SPD-Kollegen erwähnt worden. Schaubilder liegen ja diese Woche im Trend; ich zeige auch mal eins: Die Pluszeichen bedeuten Vorteile. Vorteile für Klima, Mieter und Vermieter bietet das Modell der Teilwarmmiete. Es sieht feste und verbrauchsabhängige Heizkosten vor. Es gibt eine Grundlast an Wärmekosten, die der Vermieter zu tragen hat, dann hat er einen Anreiz, zu sanieren, und die verbrauchsabhängigen Heizkosten, die der Mieter zu tragen hat, wodurch dieser einen Anreiz hat, Heizkosten einzusparen. Alle profitieren davon, und Sie haben diejenigen mitgenommen, die tatsächlich etwas bewegen können bei der energetischen Sanierung: Vermieter und Mieter. So kommen Sie weiter. Erzählen Sie nicht, es gebe keine Lösung. Ein Antrag der FDP dazu liegt schon lange vor. ({5}) So kommen Sie auch weiter. Mit Ihren Modellen wird das bei Weitem nichts werden. Schönen Dank und einen schönen Feierabend für alle. ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke schön. – Das Wort geht an Frau Dr. Julia Verlinden von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle wollen es zu Hause ja warm haben. Und damit das klimaverträglich geht, braucht es zwei Dinge: erstens mehr Investitionen in die energetische Gebäudesanierung und zweitens den Umstieg von Kohle, Öl und Gas auf Erneuerbare. ({0}) Deswegen ist es wichtig, dass die Emissionen sinken; sie sind in diesem Sektor nach wie vor zu hoch. Das Klimaziel für 2030 ist nicht zu erreichen, wenn die Politik dieser Bundesregierung so weitergeht. ({1}) Der Anteil der erneuerbaren Wärme dümpelt nämlich seit Jahren bei 14 Prozent herum. Das ist gerade mal ein Drittel dessen, was wir im Stromsektor bisher geschafft haben. Viele andere europäische Länder haben einen deutlich höheren Anteil erneuerbarer Wärme in ihrem Netz. Hier besteht Handlungsbedarf! Wir haben seit Jahresbeginn dankenswerter Weise ein neues Instrument im Baukasten für Klima- und Verbraucherschutz: den CO2-Preis im Wärmesektor. Er ist noch ein zartes Pflänzchen, er muss sich noch entwickeln. Aber dieser CO2-Preis bringt nur dann eine Einsparung von Treibhausgasen, wenn er tatsächlich Investitionen auslöst: entweder Investitionen in die Reduzierung des Wärmeverlustes oder Investitionen, die dazu führen, dass der Brennstoff gewechselt wird. Wer entscheidet über diese ganz zentralen Fragen? Das ist der Vermieter, und das sind nicht die Mieterinnen und Mieter. Die Mieterinnen und Mieter drehen maximal die Heizung runter. Und glauben Sie mir: Das machen sie auch heute schon, um Energie und um Heizkosten zu sparen. Das tun sie längst. – Den Mieterinnen und Mietern aber jetzt den CO2-Preis aufzubürden, ist in etwa so sinnvoll, wie den Strafzettel für zu schnelles Fahren an den Beifahrer zu schicken. Das bringt also gar nichts. ({2}) Sie sind dazu verpflichtet, den CO2-Preis so zu gestalten, dass dadurch für die Vermieterinnen und Vermieter – die sind hier gefragt! – tatsächlich Anreize geschaffen werden, Dach und Fassade zu dämmen, neue Fenster einzubauen und möglicherweise auch die alte Ölheizung durch eine Wärmepumpe auszutauschen. ({3}) Soll der CO2-Preis also Klimaschutzwirkung entfalten, muss er genau hier ansetzen: bei denen, die diese Investitionsentscheidung treffen. Deshalb sollen die Vermieterinnen und Vermieter den CO2-Preis in voller Höhe übernehmen und die Mieterinnen und Mieter davon entlastet werden. Das ist nicht nur sozial gerecht, sondern im Sinne des Klimaschutzes auch die logische Konsequenz. ({4}) Die Mieterinnen und Mieter tragen ja trotzdem den größten Anteil der Heizkosten, nämlich den Anteil, den sie bisher auch getragen haben, bevor es den CO2-Preis gab. ({5}) Das sind schätzungsweise 90 Prozent der Gesamtkosten. Damit haben sie auch weiterhin einen hohen Anreiz, sparsam mit der Wärmeenergie umzugehen. ({6}) Wir lassen die Vermieterinnen und Vermieter mit ihrer Aufgabe aber nicht alleine. Beim Energiesparen und der Umstellung auf Erneuerbare unterstützen wir sie. Wir haben mit unserem Aktionsplan Faire Wärme ein ganzes Maßnahmenpaket vorgelegt: Zuschüsse, günstige Kredite, umfassende Beratung. Damit wollen wir die Hürden für solche Zukunftsinvestitionen spürbar senken und den Vermietenden unter die Arme greifen. Lieber Gösta Beutin, wir sind ja froh, dass sich deine Fraktion unserem Antrag angeschlossen hat, ebenfalls die Lenkung des CO2-Preises auf die Vermietenden fordert. Und da auch die SPD Unterstützung für diese Überlegung erkennen lässt, möchte ich heute noch mal ganz besonders an die Union appellieren: Tun Sie was für die Mieterinnen und Mieter! Tun Sie gleichzeitig was für den Klimaschutz! Lenken Sie das Preissignal genau dorthin, wo zukunftsgerechte Investitionen bei den Vermietern angereizt werden. Davon profitieren am Ende alle, und dann funktioniert das Instrument, das eingeführt wurde, auch tatsächlich für den Klimaschutz. Vielen Dank. ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort hat jetzt Mark Helfrich von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mark Helfrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004298, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wo man am meisten drauf erpicht, grad das bekommt man meistens nicht.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen, dieses Zitat von Wilhelm Busch passt perfekt zu Ihren Anträgen. Gern erläutere ich, warum das so ist. Sie fordern, dass die CO2-Kosten allein den Vermieterinnen und Vermietern aufgebürdet werden sollen und erhoffen sich hierdurch, dass die energetische Sanierung der Gebäude angereizt wird. Wird dieses Ziel mit Ihren Anträgen erreicht? – Leider nein. Werden Mieterinnen und Mieter dadurch entlastet? – Leider nein. Werden Sie mit Ihren Anträgen dem Verursacherprinzip gerecht? – Sie dürfen mal raten: Leider nein. – Aber gern der Reihe nach. Sie haben ja in einem Punkt recht: Vermieter haben tatsächlich Einfluss auf den energetischen Zustand des Gebäudes ({0}) und auf die Art der Wärmelieferung. – Diesem Einfluss – auch das wissen wir alle – sind physikalische, aber vor allem auch wirtschaftliche Grenzen gesetzt. Ginge es nach Ihnen, müssten Vermieter ihre Gebäude bis zum wirtschaftlichen Ruin totsanieren und anschließend dennoch die verbleibenden CO2-Kosten tragen. ({1}) Sinnvoll ist das nicht, und gerecht ist es schon gar nicht. Die Erklärung dafür liefern Sie sogar selbst; denn Sie schreiben in Ihren Anträgen, dass Mieter über die Temperatur in den Räumen und damit auch über die verbrauchte Wärmemenge entscheiden. Das ist richtig. Mieter haben mit ihrem Verbrauch somit einen Einfluss auf die Höhe der CO2-Kosten. Und warum, bitte, soll nun der Vermieter dafür aufkommen – ich sage das jetzt mal bewusst überspitzt –, dass ihre Mieter gern leicht bekleidet durch die Wohnung hüpfen? ({2}) Verstehen Sie mich hier bitte nicht falsch: Jeder soll in seiner Wohnung tun, was er möchte. Aber dafür kann am Ende doch nicht der Vermieter zur Kasse gebeten werden. Wir hatten ja schon einen Autofahrervergleich, Frau Verlinden; ich habe da auch noch einen: Das wäre ja so, als müsste ein Autohersteller oder aber der Autoverkäufer den CO2-Ausstoß eines Autofahrers bezahlen. Das wäre völlig absurd und bedarf ehrlicherweise auch keiner weiteren Erläuterung. Wir können die Anträge der Grünen und Linken aber gern noch ein bisschen weiterspinnen: ({3}) Gehen wir mal davon aus, dass die Vermieter tatsächlich die CO2-Kosten allein tragen müssen. Was wären dann die Folgen? Eines ist zunächst unstrittig und völlig klar: Die Sanierungskosten würden in jedem Fall auf die Kaltmiete aufgeschlagen werden. Außerdem würde sicherlich der eine oder andere Vermieter versuchen, sich die bei ihm anfallenden CO2-Kosten durch eine Steigerung der Kaltmiete am Ende zurückzuholen. Vermieter könnten aber auch ein besonderes Umweltbewusstsein an den Tag legen und schlicht und ergreifend den Energieträger wechseln, weg vom preiswerten Erdgas, hin zum teuren 100-prozentigen Biogas. Dafür würden dann keine CO2-Kosten mehr anfallen; die Mehrkosten würde allein der Mieter zu tragen haben. Diese würden im Übrigen deutlich über dem CO2-Preis liegen, den Sie dem Mieter sozusagen von der Hand halten wollen. Operation gelungen, Patient tot – oder in diesem Fall: Mieter arm dran. ({4}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken und Grünen, ich kann es wirklich nicht anders formulieren: Ihre Anträge sind entweder schlichtweg nicht zu Ende gedacht oder aber reiner Populismus, vielleicht sogar beides. ({5}) Und die Moral von der Geschicht: Was Grüne und Linke wollen, bekommen sie heute nicht. Herzlichen Dank. ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke. – Das Wort geht an Timon Gremmels von der SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohnen ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Deswegen hat die SPD dafür gesorgt, dass wir zwar einen CO2-Preis einführen, aber die entsprechenden Einnahmen nicht im Haushalt versickern, sondern zweckgebunden verwendet werden. ({0}) Wir haben dafür gesorgt, dass Bürgerinnen und Bürger, Mieterinnen und Mieter entlastet werden. Ich nenne nur Stichworte: Wir haben die Pendlerpauschale erhöht, wir haben das Wohngeld erhöht, wir haben die reduzierte Mehrwertsteuer auf Bahntickets eingeführt, wir haben die Deckelung der Umlage für erneuerbare Energien auf den Weg gebracht. Wir entlasten die Mieterinnen und Mieter – da können sich die Menschen in Deutschland sicher sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Ja, wir möchten auch, dass klimafreundliches Wohnen für alle bezahlbar bleibt; das ist uns wichtig. Es ist doch in der Tat so, dass die Mieterinnen und Mieter keinen Einfluss auf die energetische Modernisierung haben. Das ist auch der Grund, warum wir sagen, dass die Vermieter und Vermieterinnen die CO2-Preise tragen müssen. Sie sind diejenigen, die einen Anreiz brauchen, damit auch investiert wird. Wenn man die Union so hört, dann könnte man ja meinen, wir würden die armen Vermieterinnen und Vermieter im Regen stehen lassen, sie hätten diese hohen Kosten ganz alleine zu tragen. Aber auch da haben wir geholfen: Wir haben dafür gesorgt, dass es hier Förderprogramme gibt – nicht nur die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung, sondern auch eine Verfünffachung der Mittel für energetische Gebäudesanierung, die wir bereitgestellt haben. ({2}) Das hilft den Vermieterinnen und Vermietern, meine sehr verehrten Damen und Herren; das ist etwas, was ihnen wirklich nützt. Wir möchten, dass die Mieterinnen und Mieter an dieser Stelle endlich entlastet werden. Deswegen bin ich froh, dass unsere SPD-geführten Ressorts schon im September 2020 einen Vorschlag vorgelegt haben. Wir haben das als Fraktion mit einem Beschluss im Januar 2021 noch mal bekräftigt. Insofern erwarte ich auch von den CDU-geführten Ressorts, dass sie endlich hier etwas vorlegen. Und in der Tat ist das, was Herr Staatssekretär Bareiß hier gesagt hat, zynisch: ({3}) Die Mieterinnen und Mieter aufzufordern, einfach mal die Heizung runterzudrehen, das ist Zynismus, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das ist mit der SPD nicht zu machen. An anderer Stelle, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, diskutieren wir doch gemeinsam, wie wir die Entlastung der Industrie vom CO2-Preis hinbekommen. Da erwarten wir doch auch, dass die Firmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, wirksam von CO2-Kosten entlastet werden. Deswegen erwarte ich von Ihnen in der Union, dass Sie sich bei der Entlastung der Mieterinnen und Mieter ebenso konstruktiv einbringen wie bei der Entlastung der Unternehmen. ({4}) Ich sage: Für uns besteht da ein Sachzusammenhang, für uns gehören diese beiden Themen zusammen. Deswegen erwarten wir eine rasche Lösung für beide Themen. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden: ({5}) Wir sehen diese beiden Themen in einem Sachzusammenhang, und wir können uns nur eine Lösung für beide Themen zeitgleich vorstellen. – Das war eine klare Ansage zum Schluss. Die SPD lässt die Mieterinnen und Mieter nicht im Stich. Darauf können sie zählen. In diesem Sinne: Glück auf! ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Als letztem Redner der Debatte erteilte ich Michael Kießling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gremmels, sind Sie noch in der Koalition? ({0}) Das ist mir gerade so eingefallen. ({1}) Was wir erreichen wollen, ist ziemlich klar: Ein Großteil der Abgeordneten hier will Klimaneutralität erreichen. Ich glaube, das steht außer Frage. 14 Prozent der in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgase entfallen auf den Gebäudesektor. Dass wir dort sanieren und modernisieren müssen, liegt auf der Hand, und dafür haben wir in der Koalition auch schon einiges getan. Denn wir wissen auch: Eine gute Dämmung und eine nachhaltige Technologie helfen beim Klimaschutz und helfen auch, die Kosten zu senken. Dass sich die Linken nach den radikalen Umsturzfantasien am Wochenende überhaupt noch mit dem Thema beschäftigen, wundert mich etwas. Aber deswegen fällt wahrscheinlich auch der Antrag so dünn aus. Im Gegensatz zu den Grünen – das muss ich sagen –: Sie widmen sich wenigstens dem wichtigen Thema, wie mit den Kosten der CO2-Bepreisung umzugehen ist. Aber wie so oft vernachlässigen sie einiges, nämlich: In den vergangenen 30 Jahren wurden die jährlichen Emissionen im Gebäudesektor um jährlich 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert; das entspricht 40 Prozent. Wir wissen auch, dass die energetischen Sanierungsmaßnahmen dementsprechend von den Vermietern und Eigentümern gestemmt wurden. Das heißt: Sie fordern jetzt eine einseitige Belastung derjenigen, die in der Vergangenheit dafür Sorge getragen haben, dass der CO2-Ausstoß geringer wird und die Gebäude saniert werden, und das bezeichnen Sie auch noch als sozial gerecht. Aber Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit spaltet, anstatt unsere Gesellschaft zusammenzuführen und gemeinsam für den Klimaschutz einzutreten. ({2}) Denn fest steht: Nicht nur die Vermieter haben Einfluss auf die Höhe der Emissionen, sondern auch die Mieter durch ihr Heiz- und Lüftungsverhalten. ({3}) Deshalb sollte es im Interesse von uns allen sein – von Politikern, Mietern und Vermietern –, für die Klimaneutralität gemeinsam einzustehen. Da bin ich auch schon bei Ihrem Drittelmodell: Es ist für mich Scheuklappenpolitik pur, grüne Politik pur. Sie machen Politik, ohne sie mit einem Preisschild zu versehen. ({4}) Erstens leistet der Staat bereits jetzt sehr viel, durch die steuerlichen Förderungen, durch Förderprogramme für energetische Sanierung, energieeffizientes Bauen sowie Heizen mit erneuerbaren Energien. Zweitens sieht ihr Drittelmodell einen Vertrag mit Dritten vor, die nicht beteiligt sind; denn wenn die Renditen von Vermietern gesichert werden sollen und die Mieter nicht leistungsfähig sind, dann soll der Steuerzahler dafür einspringen. Drittens ist es fragwürdig, ob das Drittelmodell, das Sie vorschlagen, die Attraktivität einer Investition steigert, wenn eine Sanierung für einen Vermieter ansonsten finanziell nicht attraktiv genug ist. Meine Damen und Herren, um das Ziel der Klimaneutralität des Gebäudebestands erfolgreich zu erreichen, brauchen wir Anreizprogramme und die Akzeptanz der Mieter und auch der Eigentümer. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Die beiden vorliegenden Anträge führen leider nicht zum gewünschten Ziel. Herzlichen Dank. ({5})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während Menschen, Unternehmen, Selbstständige und Kulturschaffende unter der Pandemie leiden, bereichern sich Abgeordnete von CDU/CSU an der Vermittlung von Maskendeals. Es reicht! ({0}) Es geht längst nicht mehr um Transparenz und Offenlegung von Lobbyarbeit. Es geht um das Vertrauen in und um das Ansehen von Politik. Es geht, meine Damen und Herren, um Anstand, um Haltung und auch um die Würde dieses Hauses. ({1}) Meine Damen und Herren, die Maskenaffäre in der CDU/CSU nimmt immer ungeheuerlichere Züge an. Die Meldungen heute erschüttern. Fast täglich werden neue Namen von Abgeordneten der CDU/CSU genannt, die sich persönlich an der Pandemie bereichert haben sollen, indem sie für die Vermittlung von Masken Provisionen abkassiert haben. CDU und CSU stehen in der Verantwortung, ihren Laden aufzuräumen, und das meine ich sehr ernst. ({2}) Meine Damen und Herren, Sie stehen in der Verantwortung, diesen schwarzen Filz aufzuklären. ({3}) Sie können nicht aus Angst vor einer neuen Amigo-Affäre auf Tauchstation gehen. ({4}) Merken Sie was, meine Damen und Herren? Laschet, Söder, Dobrindt, Blume – ich könnte unzählige Namen aufzählen – sind sonst 24/7 am Tag auf Sendung, und jetzt? – Nur dröhnendes Schweigen. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines: Die Öffentlichkeit und das Parlament haben ein Recht darauf, zu erfahren, was hier los ist. ({5}) Die Maskenaffäre erreicht immer skandalösere Dimensionen, und den verstrickten Abgeordneten fehlt jedes Unrechtsbewusstsein; ich rate dazu, heute die Zitate des Abgeordneten Löbel von der CDU zu lesen. Die Union hat in dieser Sache ein ganz klares Haltungsproblem. Die Vielzahl und das Ausmaß an Affären offenbaren ein Politikversagen in der CDU/CSU. ({6}) Seilschaften, Vetternwirtschaft, dubiose Einflussnahme – vielleicht nennt man es auch ganz locker: politische Landschaftspflege –: Meine Damen und Herren, das hat Tradition bei CDU/CSU. ({7}) Manche werden sich daran erinnern: Schwarze Kassen – liegt schon eine Weile zurück –, Amigo-Affäre 1993, die Verwandtenaffäre in der CSU-Landtagsfraktion 2013, jetzt die Maskenaffäre. Und auch bei der CDU: der Fall Amthor oder die Aserbaidschan-Connection mit Frau Strenz, mit Ermittlungen, die gerade gegen einen anderen Kollegen laufen, mit Herrn Lintner, CSU. ({8}) – Mit „t“, CSU, habe ich gesagt. - Alles reicht weit bis in die CDU/CSU, meine Damen und Herren. Es geht um nicht weniger als um den Vorwurf, dass sich Politiker den Staat zur Beute machen, und das mitten in einer Krise. ({9}) Aber offenbar haben CDU und CSU nichts aus diesen Affären gelernt. Es geht nicht um Einzelfälle. Hören Sie auf damit, das zu behaupten! Das Ganze hat System. Seit Jahren blockieren Sie unsere Initiativen und weigern sich, mit uns schärfere Regeln und striktere Veröffentlichungspflichten in Sachen Abgeordnetengesetz, Verhaltensregeln, Lobbytransparenz, Lobbygesetz und Parteienfinanzierung zu vereinbaren. ({10}) Es gibt genug Vorschläge. Es gibt auch genug Anknüpfungspunkte: die Aktienoptionen, die Unternehmensbeteiligungen, die Nebenverdienste, die Lobbytätigkeiten und ein Verbot der entgeltlichen Lobbytätigkeit. Meine Damen und Herren, das ist alles überfällig, und das blockieren Sie seit Jahren. Da sind Sie ein totaler Ausfall. ({11}) Ich sage noch etwas zur Parteienfinanzierung; denn auch schärfere Regeln für das Parteisponsoring wurden bis heute nicht erlassen; ich gucke beide Fraktionen an. Parteisponsoring – „Rent a Sozi“, „Rent a Rüttgers“ – war vor fünf Jahren ein Thema. Sie haben hier versprochen, zu handeln. Bis heute ist nichts passiert, meine Damen und Herren. Verstöße gegen die Parteienfinanzierung sind kein Kavaliersdelikt! ({12}) Ich sage noch eines in Richtung Jens Spahn. Wenn einer meint, mitten in der Pandemie Zeit für Spendendinner haben zu müssen – während man morgens der Bevölkerung erklärt, dass sie sich an Regeln zu halten hat und Kontakte und gesellige Ereignisse meiden soll –, und die Teilnehmer des Spendendinners gebeten werden, Spenden in Höhe von 9 999 Euro zu überweisen, weil diese 1 Euro unter der Veröffentlichungspflicht liegen, dann stinkt das zum Himmel. Das ist verlogen. ({13}) Ich erwarte von Ihnen: Sorgen Sie für Anstand in Ihren eigenen Reihen. Räumen Sie auf! Beheben Sie den Schaden – für die Würde dieses Hauses. ({14})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort geht an Patrick Schnieder von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Wir reden heute über Transparenz von politischen Entscheidungen, ({0}) so jedenfalls ist der Antrag überschrieben. ({1}) – So ist die Aktuelle Stunde bzw. der Antrag zur Einführung einer Aktuellen Stunde überschrieben; um ganz korrekt zu sein. Frau Kollegin Haßelmann, Sie haben über eine Reihe von Kollegen, über eine Reihe von Vorfällen gesprochen, und das sehr zugespitzt. Das ist aber vollkommen in Ordnung. Das gehört zum politischen Geschäft. ({2}) Ich will dennoch ein paar Dinge differenziert darstellen. Es gibt Fälle, bei denen Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaften eingeleitet wurden, und es gibt Fälle, die nicht – jedenfalls noch nicht; wie auch immer – strafrechtlich verfolgt werden. Ich sage – unabhängig davon, ob die Vorgänge strafrechtlich relevant sind oder nicht –: Mein Verständnis und das Verständnis meiner Fraktion ist, dass wir als Abgeordnete diesem Land dienen und dass wir nicht den Eindruck erwecken dürfen, in Notsituationen durch Geschäfte mit Masken zu verdienen oder gar unanständig zu verdienen. ({3}) Meine Damen, meine Herren, es gibt Ermittlungsverfahren. Die Vorwürfe, die erhoben worden sind, wiegen schwer. Wir erwarten, dass unverzüglich und vollumfänglich aufgeklärt wird. Daran arbeitet die Justiz; aber wir sehen auch die betroffenen Kollegen in der Pflicht, aufzuklären und für Transparenz zu sorgen. ({4}) Aber ich sage auch eines: Der Rechtsstaat macht an der Tür dieses Hauses nicht halt. Deshalb gilt in diesem Verfahren auch für Politiker die Unschuldsvermutung. Deshalb dürfen wir hier keine Vorverurteilungen vornehmen. Deshalb bitte ich darum, dass wir die Debatte sachlich führen; denn das Thema ist in der Tat sensibel, und der Schaden, der da angerichtet wird, auch durch das Verhalten Einzelner, ist enorm. Vorverurteilungen feuern Ressentiments gegenüber den politischen Institutionen aber nur an, und das hilft uns allen nicht. Lassen Sie mich auch etwas zu dem Thema Transparenz sagen. Es ist wichtig – in der Tat –, dass die Gesellschaft Vertrauen in Institutionen und in uns als Politiker hat, und das gibt es nicht ohne das notwendige Maß an Transparenz. Ich glaube, das ist auch gar nicht strittig. Es geht gar nicht um das Ob, sondern es geht um das Wie, und es geht um die Grenzen der Transparenz. Transparenz ist wichtig, aber sie ist kein Selbstzweck. Deshalb geht es uns darum, Interessenkonflikte, denen ein Abgeordneter vielleicht ausgesetzt ist, offenzulegen und erkennbar zu machen. Was wir aber nicht wollen – ich sage das jetzt unabhängig von diesen Fällen; aber es gilt dafür genauso –: Wir wollen nicht den gläsernen Abgeordneten, den komplett gläsernen Abgeordneten. (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Sie wollen den goldenen Abgeordneten! Wir wollen auch kein generelles Verbot von Nebentätigkeiten. ({5}) – Es gibt schon die Forderung, dass das nicht mehr möglich sein soll. Das halten wir nicht für richtig. – Man muss sich korrekt verhalten; das ist doch überhaupt keine Frage; aber wir wollen kein generelles Verbot von Nebentätigkeiten in der Politik. Denn es gibt Unternehmer, es gibt Selbstständige, die sich eine Existenz aufgebaut haben und die nicht aufgeben für vier Jahre, die sie gewählt sind in den Deutschen Bundestag. ({6}) Wir wollen auch nicht – das sage ich ganz deutlich –, dass jedes Gespräch, jeder Termin offengelegt wird. Dazu darf ich Frau Budras aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von gestern zitieren: Doch zu einer Demokratie gehört der informelle freie Austausch, der die Korrektur von politischen Positionen ohne Gesichtsverlust ermöglicht. Zu viel Transparenz kann auch schaden. ({7}) Es geht also um das richtige Maß. Sie haben das Thema Lobbyregister genannt. Wir haben in Kürze Gelegenheit, detailliert darüber zu reden. Aber es ist natürlich ein Fortschritt, dass wir das in Kürze hier verabschieden werden. Und wir werden das in einer Art und Weise machen, für die man sich nicht verstecken muss. Da, wo Sie regieren, wo Sie die Mehrheit haben, in Baden-Württemberg – ich möchte das nur betonen –, liegt jetzt, nach knapp fünf Jahren, ein Vorschlag auf dem Tisch. Dazu sagt die LobbyControl – das ist nicht gerade ein Verein, der an unserer Seite marschiert –: Der Gesetzentwurf, – dort sind Grüne in der Regierung – hat „deutliche Schwächen und bleibt … deutlich hinter dem zurück, was Schwarz-Rot derzeit auf Bundesebene vorsieht“. – So viel zu unserem Verständnis. In Kürze werden wir dazu mehr diskutieren können. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Das Wort geht an Stephan Protschka von der AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Servus! Grüßt euch! Habe die Ehre! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt muss ich etwas machen, was ich nicht geglaubt hätte, dass ich das irgendwann mal mache: Danke, liebe Linksfraktion, dass ihr auf eure Aktuelle Stunde verzichtet habt, dass wir das sehr wichtige Thema heute noch diskutieren können, weil das hat eigentlich der Union nicht so gepasst. Gell, liebe Union, euch ist ja auf einmal die fehlende Demokratie in Myanmar wichtig – das habt ihr ja schnell eingeschoben in der Hoffnung, dass der Punkt von der Tagesordnung fällt –, während euer Minister, der Seehofer, die einzige und größte Opposition in Deutschland, die AfD, mithilfe seines Inlandsgeheimdienstes bekämpft. ({0}) Was kommt als Nächstes? Werden Sie über undemokratische Wahlen im Kongo reden und sich hier echauffieren, während Sie uns in den Knast oder in den Gulag stecken? ({1}) Kein westliches Land hat einen Verfassungsschutz, der die Gesinnung seiner Opposition überprüft und anschließend eine Hetzjagd lostritt. ({2}) Ja, ich rede absichtlich von „Hetzjagd“, weil Sie, liebe Union, Sie veranlassen die Löschung unserer Facebook-Seiten, unserer YouTube-Seiten usw. usf. Sie verhindern jegliche Debatte bei den Öffentlich-Rechtlichen mit uns. ({3}) Sie drohen Verbänden, wenn sie uns zu Podiumsdiskussionen einladen. – Halt! Seien Sie bitte ruhig! ({4}) Sie ... (akustisch unverständlich). Von da, von den Schwarzen, bis drüben zu den Roten, Sie tun alles.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Lieber Herr Abgeordneter, ich möchte Sie trotzdem darauf hinweisen, dass es in der Aktuellen Stunde um den Vertrauensverlust –

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, um das geht es ja.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

– in die politischen Institutionen geht, und es geht nicht darum, hier für sich zu reden. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das ist meine Zeit, die Sie mir gerade genommen haben; aber die werde ich schon hoffentlich noch hintendran kriegen. – Mich erreichen halt Nachrichten – damit komme ich jetzt zum Thema – von Bürgern draußen, die sagen, dass sie mit uns keinen Kontakt haben dürfen, dass ein CSU-Abgeordneter in Bayern hingeht: Nehmts ja keinen Kontakt auf, weil danach habds persönliche Probleme. – Das ist Tatsache da draußen. Da haben die Leute Schwierigkeiten mit. – Und Sie, liebe CDU/CSU-Abgeordneten, Sie sind die Einzigen, die Hass und Hetze verbreiten. Während Sie da drüben mit Ihren Fußsoldaten unsere Stände angreifen und unsere Autos anzünden ({0}) und das Leben unserer Parteifreunde aufs Spiel setzen – – Im vergangenen Jahr wurden Repräsentanten der AfD 694-mal Opfer von Straftaten. ({1})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Also, lieber Herr Protschka, entschuldigen Sie bitte.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das ist das Thema!

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Sie haben fünf Minuten Zeit, wie alle anderen Abgeordneten auch. Aber wenn Sie hier Fraktionsmitglieder der Linken beschuldigen, dass sie Ihre Autos anzünden, dann geht das weit über das parlamentarische Maß hinaus, was hier in diesem Haus erlaubt ist. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe gesagt: „Fußsoldaten“. Das ist die Antifa und ihre Fußsoldaten. ({0}) 694 Angriffe haben wir gehabt. Das ist genauso viel wie gegen den Rest da drinnen. Das ist wahrscheinlich Taktik von der Regierung. Sie greifen uns mit staatlichen Repressalien an, und da sitzt der Arm des Terrors. Liebe Union, wie könnt ihr mit denen zusammenarbeiten? Da sitzen verurteilte RAF-Terroristen und Mörder im Bundestag und arbeiten für die Linken. ({1}) 20 linke Abgeordnete haben direkten Kontakt zu verfassungsfeindlichen Organisationen. Drei von ihnen haben selbst – –

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Also, Entschuldigung, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Ich habe auch Ihre Zeit angehalten, keine Sorge. Sie bekommen auch die zusätzliche Zeit gerne, aber es wäre schön, wenn Sie sie mit Inhalt füllen würden. Zum Zweiten muss ich sagen: Beim nächsten Angriff auf irgendeinen Parlamentarier hier in Persona –

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Habe ich einen Namen gesagt?

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

– werde ich Ihnen einen Ordnungsruf erteilen. – Ich habe gesagt: Beim nächsten Mal werde ich das tun.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe nie – –

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Und bitte, Sie hatten hier mal einen großartigen Antrag, dass die deutsche Sprache in der Verfassung verankert werden soll. Ich möchte darauf aufmerksam machen: Es ist nicht alles verständlich, was Sie im bayerischen Dialekt hier von sich geben. ({0}) Es wäre schön, wenn Sie uns alle an Ihren Worten teilhaben lassen könnten. Vielen Dank.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich bin für Bayern gewählt worden, und deswegen bleibe ich auch dabei. Was hat das für Folgen für die Mörder- –, für die Mauermörderpartei da hinten, liebe CDU? Gar nichts? Nein, ihr wählt die Leute sogar noch in hohe Posten, in Mecklenburg-Vorpommern Frau Borchardt oder in Thüringen Herrn Ramelow. Und bei uns? Wenn gerade einer rechts pinkelt, dann ist die ganze Partei Verdachtsfall, weil wir haben die Wahnsinnigen. Sie haben nämlich überhaupt nichts übrig für die Bürger da draußen. Sie nehmen sie überhaupt nicht ernst. Ihnen geht es ja nur um die Sicherung der eigenen Geldbörse: Spahns Geldregen zum Kauf von Immobilien während der Krise ist ungeklärt; CSU-Abgeordneter Nüßlein verdient sich vermutlich dumm und dämlich mit Verordnungen, die Sie selbst beschließen, angeblich 600 000 Euro für überteuerte Masken; heute im Bericht: Zwölf weitere Unionspolitiker sind betroffen. Frau Söders Firma ändert dann schon mal gerne schnell Presseberichte, um nicht ins falsche Licht zu geraten mit ihren Face Shields. Gell, Herr Söder, da verlängert man schon mal gerne einen Lockdown; denn die Firma Ihrer Frau verkauft ja auch Hygieneartikel. So entsteht der Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen. 35 Prozent der Deutschen haben absolut kein Vertrauen mehr in die Bundesregierung, Tendenz steigend; und das ist gut so, und das zu Recht. Eines kann ich Ihnen garantieren: Wir werden uns weder vom sogenannten Regierungsschutz – Entschuldigung: Verfassungsschutz – irgendwie einschüchtern lassen, noch werden wir uns von den Schlägertrupps der Links-Grünen einschüchtern lassen. Eines muss ich Ihnen noch sagen: Ich werde immer wieder gefragt, warum ich mir den Scheiß da noch antue. ({0}) Bei mir daheim geht’s mir eigentlich gut, aber da muss ich Ihnen eines sagen: Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Menschen da draußen was Besseres verdient haben als Sie! Die Bürger haben es verdient, wieder gehört zu werden. Sie haben es verdient, eine Zukunft in Sicherheit und Freiheit zu haben. ({1}) Dafür sind wir angetreten, dafür schenken uns die Wähler ihr Vertrauen. Wir freuen uns auf den September; denn wir werden stärker einziehen, als wir jetzt sind. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. – Herr Haldenwang, treten Sie zurück! ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Die Fraktion Die Linke möchte gerne nachvollziehen können, was Sie an einigen Punkten gesagt haben. Wir werden uns deshalb das Protokoll anschauen und sehen, ob Ordnungsmaßnahmen auszureichen sind. Das behalte ich mir vor. ({0}) Das Wort geht an Dirk Wiese von der SPD-Fraktion. ({1})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeit von uns Abgeordneten hier im Deutschen Bundestag muss transparent sein; sie muss nachvollziehbar sein. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf das verlassen können, was wir hier tun. Ja, wir führen viele Gespräche im Wahlkreis. Ja, wir sind ansprechbar. Ja, wir sprechen auch mit Gewerkschaften und mit Unternehmensverbänden. Ja, wir kümmern uns. Ja, wir reden gerade in dieser Coronapandemie mit vielen Bürgerinnen und Bürgern, die erhebliche Sorgen haben, die Zukunftsängste haben. Aber wir wollen natürlich keine gläsernen Abgeordneten. Aber, lieber Kollege Schnieder, wir wollen nach vier Jahren Legislaturperiode auch keine vergoldeten Abgeordneten. Das kann auch nicht das Ziel sein. Das muss man hier mal deutlich sagen. ({0}) Ich muss ehrlich sagen: Die Bürger rufen an; sie machen sich Sorgen in dieser Pandemiezeit. Und dann wird heute erneut in der Presse berichtet, dass ein Abgeordneter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine sechsstellige Provision angenommen hat für die Vermittlung von Masken. So wird jedenfalls berichtet. Das reiht sich ein in eine Liste: Amthor, Guttenberg, Nüßlein, Fischer und heute Löbel. Ich kann nur sagen: Das ist nicht tragbar! Da kann man in Ihren Reihen auch nicht mehr von einem Einzelfall sprechen; das ist mittlerweile System. Da erwarte ich, dass das vollumfänglich aufgeklärt wird. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, was ich für absolut zynisch halte, ist, wenn ich dann heute als Rechtfertigung lese, dass das, was man gemacht hat, marktgerecht ist. Wir bekommen als Abgeordnete eine Diät, und da kann doch wohl jeder sagen, dass die auskömmlich ist. Das ist viel Geld, was wir bekommen. ({2}) Wenn wir dann noch von jemandem, der eine Provision bekommt, hören, dass das marktgerecht ist – liebe Kolleginnen und Kollegen der Unions-Bundestagsfraktion: Ist das das Verständnis Ludwig Erhards von sozialer Marktwirtschaft, das er Ihnen mal ins Stammbuch geschrieben hat? Nein, das ist das absolute Gegenteil, das ist Bereicherung! Wenn man das dann noch als marktgerecht bezeichnet, ist das ehrlicherweise auch zynisch. Ich will aber auch sagen, dass jede Partei hier im Deutschen Bundestag Fälle gehabt hat, wo wir uns auch Kritik gefallen lassen müssen. Darum ist es richtig, dass wir in dieser Woche das Lobbyregister auf den Weg gebracht haben und dass wir dabei sind, die veröffentlichungspflichtigen Angaben weiter zu konkretisieren, und dass wir insgesamt mehr offenlegen wollen. Frau Haßelmann, bei aller Kritik, die Sie angebracht haben, muss ich Ihnen auch sagen: In Ihren Reihen gab es mal die sogenannte Bonusmeilen-Affäre; das sollte man nicht verheimlichen. Gleichzeitig möchte ich auf das hinweisen, was Sie an Lobbyregistern in grün geführten Bundesländern auf den Weg gebracht haben: in Hessen – nichts, und in Baden-Württemberg fällt Ihnen sechs Wochen vor der Wahl ein, dass Sie da noch irgendetwas abzuarbeiten haben. ({3}) Das ist genauso mangelhaft. Das ist grüne Regierungsführung. Das ist auch keine Transparenz. Sie machen auch kein Lobbyregister, wenn Sie in Verantwortung sind. Das muss man auch sagen. ({4}) – Liebe Frau Haßelmann, soweit ich mich daran erinnern kann, stellen Sie in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten. Sie haben einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, und Sie haben in den vergangenen fünf Jahren nichts gemacht beim Thema Lobbyregister. Jetzt stellen Sie auf der Zielgeraden fest, dass noch was zu tun ist. Die SPD freut sich darüber, dass Sie was tun, aber sich immer nur hierhinzustellen und zu sagen, wir hätten nichts vorangebracht und wir würden nichts tun, das ist auch falsch. ({5}) Sie regieren in elf Landesregierungen, und an vielen Stellen habe ich den Eindruck, Sie vergessen das hier in Berlin oder wollen das vergessen. ({6}) Jetzt muss ich aber noch mal zu Herrn Protschka kommen. Wo ist er denn? ({7}) – Er ist schon gegangen, gut. – Wenn wir über die Sitzungen dieser Woche sprechen, haben wir sicherlich viele Tiefpunkte. Aber das, was gerade hier am Rednerpult von Herrn Protschka gesagt worden ist – ich glaube, das war der Tiefpunkt dieser Sitzungswoche, den wir hier erlebt haben. ({8}) Ich muss das mal ganz klar sagen: Sich hierhinzustellen, wirres Zeug zu reden und für sich dann auch noch zu behaupten, dass man die Partei ist, die letztendlich alles richtig macht, das ist ehrlicherweise schon ein starkes Stück. Ich will mal in Ihre Reihen gucken, was bei Ihnen ist: Alice Weidel zahlt die Steuern in der Schweiz, hat Schwierigkeiten dabei, sich zu erinnern, wie die Kassenführung in ihrem Kreisverband ist. Sie können sich nicht daran erinnern, wer Spendengelder an Ihre Partei gegeben hat. Wir haben viele Fragen dazu, und wir würden uns sehr darüber freuen, wenn wir erfahren könnten, wer denn eigentlich die kostenlosen Zeitungen in Landtagswahlkämpfen zur Verteilung an die Haushalte finanziert. ({9}) Sie können da sehr viel zur Transparenz beitragen; Sie können sehr viel tun und machen. Ich habe aber den Eindruck: Da sitzt in der ersten Reihe die Fortsetzung der alten Hessen-CDU, und die Schwarze-Kassen-Verstrickung lebt in der AfD fort. Das ist keine Transparenz! ({10}) Und das, was Herr Protschka gerade gesagt hat, war ehrlicherweise an Irrsinn nicht zu überbieten. Vielen Dank. ({11})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke schön. – Das Wort hat Herr Dr. Marco Buschmann von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das eigentliche Thema der Aktuellen Stunde ist ja der Vertrauensverlust in Institutionen und die Frage, was Transparenz bewirken kann, damit wir dieses Vertrauen zurückgewinnen. Man kann in jedem Fall die Frage negativ damit beantworten, was uns Vertrauen kostet: Es kostet uns Vertrauen, wenn der Eindruck entsteht, dass sich die Politik durchsetzt, bei der die größten Lobbybudgets im Hintergrund sind. Es kostet uns Vertrauen, wenn der Eindruck entsteht, dass sich hier einige die Taschen vollmachen, anstatt für das Wohl des deutschen Volkes zu arbeiten. Das kostet uns Vertrauen. ({0}) Das beste Mittel dagegen ist Transparenz. Wir müssen transparent machen, welche Beziehungen – die in vieler Hinsicht auch legitim sind – es zwischen Wirtschaft und Verbänden und der Politik gibt. Da fand ich es, ganz ehrlich, schon ein bisschen billig, was wir hier zum Teil gehört haben. Lieber Herr Kollege Wiese, man kann ja auf vieles hinweisen, was in Landtagen passiert, aber so zu tun, als ob wir hier im Bundestag nicht die Baustellen hätten und als ob Sie als Regierungsfraktion nicht was dazu beitragen könnten, da machen Sie es sich ein bisschen zu einfach. ({1}) Herr Schnieder, das gilt auch für Sie. Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze und dass ich Ihnen persönlich abnehme, dass Sie da mit guten persönlichen Motiven vorangehen. Aber es gibt mehr als das Strafrecht. Was wir hier regeln müssen, ist die Frage, welche Konsequenzen wir parlamentsrechtlich aus den Vorfällen ziehen. ({2}) All diese Vorfälle sagen uns ganz klar, was zu tun ist. Der Fall Philipp Amthor hat die Frage der Erfassung von Optionen als Entschädigung für legitime Nebentätigkeiten aufgeworfen. In Hinsicht auf Interessenkonflikte: Die Aktienoption ist viel verführerischer; denn je mehr ich fürs Unternehmen tue, desto größer kann der Gewinn aus einer Option sein. Wir müssen das endlich in die Transparenzregeln mit einbeziehen. Da müssen wir vorankommen! Und Sie blockieren da. ({3}) Im Fall Nüßlein gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Aber auch da gibt es nicht nur eine strafrechtliche Komponente. Ich möchte gerne wissen: Hat Herr Nüßlein an Verhandlungen des Gesundheitsausschusses teilgenommen, bei denen es um Masken ging? Wir haben das Verknüpfungsverbot in den Verhaltensregeln für Abgeordnete, und wir müssen jetzt aufklären, ob er das angezeigt hat, wenn er an solchen Beratungen teilgenommen hat. Das ist eine Aufklärungsarbeit, die hier im Parlament erfolgen muss. ({4}) Und dann heute der Fall Nikolas Löbel: Da, muss ich sagen, bleibt mir persönlich schon ein bisschen der Atem weg. ({5}) Das ist nicht nur eine Frage der Geschmacklosigkeit. Darüber kann man jetzt hier lange Debatten führen; da hat jeder seine persönliche Meinung. Meine persönliche Meinung ist: Es ist geschmacklos, sich öffentlich so zu gerieren. Aber so zu tun, als ob das legal sei, ist aus parlamentsrechtlicher Sicht ebenfalls Unsinn. Wenn das stimmt, was der „Spiegel“ schreibt, dann hat der Abgeordnete einen verbotenen Hinweis auf seine Abgeordnetentätigkeit zu eigennützigen geschäftlichen Zwecken gegeben. Das ist nicht zulässig. Das ist nicht legal. ({6}) Wenn es stimmt, dass der Abgeordnete Geschäfte, worauf er sogar auch noch hinweist, aufgrund guter Kontakte zum chinesischen Volkskongress macht und dieser Abgeordnete Mitglied des Auswärtigen Ausschusses ist, dann stellt sich auch hier die Frage, ob das Verknüpfungsverbot verletzt wurde. Ich möchte wissen, ob der Abgeordnete Delegationsreisen genutzt hat, um für sich selber Geschäftskontakte anzubahnen. Das ist eine Aufgabe, die wir hier erledigen müssen, meine Damen und Herren. Das ist Transparenz. ({7}) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, was mein Eindruck ist: Wenn da ein Kollege ist, der sich offenbar noch nie mit den Verhaltenspflichten für Abgeordnete auseinandergesetzt hat – und so lese ich diesen „Spiegel“-Artikel: Hinweisverbot kennt er nicht, Verknüpfungsverbot ist ihm anscheinend nicht bekannt –, dann, glaube ich, haben Sie, Herr Kollege Schnieder, da auch eine Aufklärungs- und eine Fürsorgepflicht. Ich glaube, Sie müssen für Sensibilität für diese Themen in Ihrer Fraktion stärker werben. Ich glaube, es gehört zur Aufgabe einer Fraktionsführung, dafür zu sorgen, dass die Verhaltenspflichten von den Kollegen nicht nur gekannt, sondern dass sie auch eingehalten werden. Ich mache das beispielsweise so: Ich erinnere immer an ein bekanntes Zitat meines Vorsitzenden; jeder Kollege in unserer Fraktion kennt den Satz „Lieber nicht kassieren als falsch kassieren“, und das sollten Sie Ihren Kollegen auch sagen. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Friedrich Straetmanns von der Fraktion Die Linke. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor neun Monaten war die Öffentlichkeit in heller Aufruhr, weil CDU-Jungstar Amthor in dreister Art und Weise für ein Unternehmen warb und dafür Gegenleistungen in Form von Aktienoptionen erhielt. Die Koalition zeigte ihren typischen Aktionismus, wollte ein verbindliches Lobbyregister einführen. Nachdem die zweite Coronawelle das Thema dann in der Nachrichtenagenda nach hinten gedrängt hatte, wollte die Union plötzlich von zwischenzeitlichen Zusicherungen nichts mehr wissen, und das ganze Gesetz drohte zu platzen. Nun bringen die Fälle Spahn, Nüßlein und aktuell Löbel das Thema erneut auf den Tisch. Und was passiert? Sie präsentieren wieder eine Einigung beim Lobbyregister. Aber so einfach lassen wir Sie nicht davonkommen. Vor ein paar Wochen warb Herr Spahn in der Bevölkerung um Vertrauen. Wissen Sie, wie man Vertrauen nachhaltig verspielt? Indem man sich als Politiker mit Menschen zum Abendessen trifft und von den Gästen dafür eine Spende von 9 999 Euro verlangt – genau ein Euro unterhalb dessen, ({0}) was eine Offenlegung der Spender fordern würde. Sie reizen das Maximum dessen aus, was sein darf, und können dennoch die Anonymität der Gäste wahren. Es ist also allen Seiten mit Ihrem Vorgehen gedient – zumindest wenn man vergisst, dass die eine Seite, der Sie sich als Minister durchaus auch verpflichtet fühlen könnten, die Bevölkerung ist. Die sitzt bei einem solchen Hinterzimmeressen nicht mit am Tisch und verliert zunehmend Vertrauen in die Politik. Da hilft es auch nicht, wenn Sie das Treffen als privat bezeichnen. Mir ist klar: In Ihren Kreisen ist die Ansicht, dass auch das Private politisch ist, nicht sehr verbreitet. Aber bei einem Treffen mit Geschäftsleuten, die dafür auch noch Tausende von Euro für Ihren Wahlkampf zahlen, sollten Sie ins Grübeln kommen. Im vergangenen Jahr kauften Bundesgesundheitsministerium und Innenministerium zu völlig überzogenen Preisen, für vermutete 350 Millionen Euro, Masken bei einer kleinen Schweizer Firma. Angeblich – Herr Spahn lässt ja offenbar die Anfragen der Journalistinnen und Journalisten unbeantwortet – hat sich der Minister persönlich im Sinne des Unternehmens zweier rechtspopulistischer Nachwuchspolitiker eingemischt, nachdem eine gewisse Andrea Tandler bei ihm für das Unternehmen geworben hatte. Ja, den Namen Tandler kennen Sie. Gerold Tandler ist ihr Vater und einstiger Amigo von Franz Josef Strauß. Er musste damals im Zuge der Zwick-Affäre zurücktreten. Und auf Vermittlung von Frau Tandler hin lässt Herr Spahn der Berichterstattung nach für Hunderte Millionen Euro zu außergewöhnlichen Stückpreisen einkaufen. – Ihr Schweigen dazu spricht Bände, Herr Spahn! ({1}) Nehmen wir kurz mal das Beispiel der Maskenbeschaffung, um ein zentrales neoliberales Credo zu überprüfen. Statt 45 Cent zahlten Bund und Länder plötzlich 3 bis 5 Euro, teilweise sogar 10 Euro pro FFP2-Maske. Die Abnahmegarantien von Bund und Ländern treiben nebenbei auch die Beschaffungskosten für den gesamten Gesundheitssektor in die Höhe, als ob die Käufe von Bund und Ländern zu Höchstpreisen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht schon genug belasteten. Besser kann man nicht verdeutlichen, wie es aussieht, wenn der Markt regelt: Einige wenige Unternehmen machen dicke Kohle, und die Allgemeinheit zahlt. Dem gilt es endlich etwas entgegenzusetzen! ({2}) Aber Sie von der Union tun genau das Gegenteil. Manche von Ihnen nutzen die Krise schamlos aus. Bitte, liebe Unionsabgeordnete, treten Sie doch einmal ein Stück zurück, und betrachten Sie den aktuellen Fall auf einer abstrakten Ebene. Ein Abgeordneter, der Sprecher für den entsprechenden Fachbereich ist, wird von einem Unternehmen um Einflussnahme bei den Ministerien gebeten. Der Abgeordnete lobbyiert, entsprechende Deals in Hundertmillionenhöhe kommen zustande, und der Abgeordnete stellt eine Rechnung von mehreren Hunderttausend Euro. Meine Damen und Herren, das Publikum nennt das Korruption. Und wenn ein solches Vorgehen durch gesetzliche Schlupflöcher als solches nicht justiziabel ist, dann haben wir ein Problem in Deutschland: Es fehlen uns die Mittel dagegen. Und dazu will ich noch etwas ganz Aktuelles sagen. Erster Punkt. Gestern im Geschäftsordnungsausschuss hatte unser Parlamentarischer Geschäftsführer Jan Korte unseren Gesetzentwurf gegen ein solches Verhalten und gegen die Tätigkeit von Abgeordneten als bezahlte Interessenvertreter auf die Tagesordnung gesetzt. Er wollte ihn vertreten. Was ist passiert? ({3}) Die Ausschussmehrheit hat diesen Antrag von der Tagesordnung gestimmt, und ich sage Ihnen auch, warum: Sie haben nämlich Beratungsbedarf geltend gemacht. Aber wir haben keinen Beratungsbedarf, wir haben einen Handlungsbedarf. Und das sollte Ihnen mal klar werden. ({4}) Der zweite Punkt. Die Staatengruppe gegen Korruption, GRECO, fordert Deutschland seit Langem auf, mehr gegen Korruption zu tun. Was tun Sie? Nichts. Letzter Punkt. Ich gebe Ihnen einen praktischen Tipp: Stellen Sie einen Raum von Ihren Unionsfraktionsräumen der Staatsanwaltschaft zur Verfügung; dann haben die es nicht so weit. Vielen Dank. ({5})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Professor Dr. Patrick Sensburg von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann vielen meiner Vorredner, auch denen von der Opposition, zustimmen, mit Ausnahme, so muss ich leider sagen, des Kollegen von der AfD, was daran liegt, dass ich ihn in weiten Teilen leider nicht verstanden habe ({0}) und dass ich die Teile, die ich verstanden habe, nicht in einen Zusammenhang bringen konnte. – Von daher muss ich Sie leider ausnehmen. Aber allen anderen Vorrednern kann ich in weiten Teilen zustimmen. Man sagt: Die Währung der Politik ist Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Das gilt für alle Parteien. Und wir sitzen auch alle in einem Boot; denn die Wählerinnen und Wähler unterscheiden nicht immer in Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Union, FDP, sondern es ist oft „die Politik“. Das ärgert uns oft, weil wir uns manchmal eine größere Differenzierung wünschen; das wird uns allen so gehen. Aber es ist „die Politik“. Deswegen sitzen wir in einem Boot. Ich würde deswegen raten, dass vielleicht nicht immer auf den einen, ({1}) der einen Fall hat und wo so etwas diskutiert wird, gezeigt wird. Wir haben es eben gehört, der Kollege Wiese hat es gesagt, ich will es nicht wiederholen. Wir haben in allen Fraktionen ausreichend Fälle, die wir benennen könnten, insbesondere auch bei der AfD in kürzerer Zeit; da ist nicht viel neu. ({2}) Deswegen macht es Sinn, wenn wir nicht Fälle aufzählen – was ich deswegen gerade nicht gemacht habe –, sondern an Lösungen arbeiten, gemeinsam an Lösungen arbeiten. Es ist richtig, dass wir ein Lobbyregistergesetz diskutieren, auch eine gesetzliche Regelung. Wir diskutieren das schon lange im Bundestag; das ist richtig. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Anhörung dazu gemacht. Wir haben in dieser Legislaturperiode im Herbst eine Anhörung dazu gemacht. Wir haben intensiv diskutiert. Manche Fraktionen haben schon lange Vorschläge vorgelegt – die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Fraktion Die Linke –; auch die FDP ist in diese Richtung gegangen. Das haben wir miteinander diskutiert. ({3}) Da war nicht alles deckungsgleich. Bei dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke habe ich bei einer Sache ein großes Problem: dass der Lobbybeauftragte, der „Bundesbeauftrage für politische Interessenvertretung“, ohne richterlichen Beschluss Wohnungen durchsuchen kann. Da müsste man noch mal intensiv darüber nachdenken, ob so was verfassungskonform ist: dass ein Lobbybeauftragter, auch wenn es zu den üblichen Geschäftszeiten ist – so steht es in Ihrem Gesetzentwurf –, Geschäftsräume betreten und ohne einen richterlichen Beschluss durchsuchen kann – was nicht mal Polizei und Staatsanwaltschaft dürfen. Sie merken: Inhaltlich liegen wir da teilweise sehr auseinander. Es ist angesprochen worden, dass der Entwurf, den die Union jetzt vorgelegt hat, vielleicht im Vergleich zu manchen Vorschlägen auch aus den Bundesländern gar nicht so schlecht ist. Wir haben darüber diskutiert, wie kompliziert es ist, den Bereich von Aktienoptionen – wo man nicht weiß, welchen Wert sie entfalten – auch handhabbar zu machen und Regelungen zu finden. Wir wollen das regeln. Und ich könnte mir vorstellen, dass wir irgendwann, wenn uns da richtig gute Ideen kommen, auch über das Thema „legislativer Fußabdruck“ reden. In den Gesetzesvorschlägen mancher Fraktionen ({4}) steht zwar schon, in Klammern, „legislativer Fußabdruck“; das ist es aber nicht. Wir können ja gemeinsam nach Lösungen suchen. Aber dann müssen wir – wie wir, die die Regierung übrigens mit einbeziehen – auch darüber nachdenken: Wann fangen wir an mit dem legislativen Fußabdruck? Reden wir vielleicht jetzt schon darüber, wer, lieber Konstantin von Notz, bei euch darüber redet – BUND, NABU und andere –, wenn es vielleicht irgendwann Koalitionsverhandlungen mit uns gibt – wo ich mir übrigens noch gar nicht so sicher wäre; es gibt auch noch andere Fraktionen in diesem Haus, die ein Interesse an einer Koalition mit uns haben könnten. ({5}) Von daher: Dann muss man so früh anfangen, dass man auch schon vor die Koalitionsverhandlungen geht, ({6}) Koalitionsverträge mit einbezieht, ({7}) bis zum Gesetzentwurf in zweiter, dritter Lesung. Diese Diskussion müssen wir bitte hier gemeinsam führen; dann macht es Sinn. Natürlich gehört bei einem legislativen Fußabdruck schon ein Koalitionsvertrag mit einbezogen, oder etwa nicht? ({8}) Das würde ich doch wohl hoffen. Von daher sieht man: Wer das schon ablehnt – –Lieber Konstantin, stell eine Zwischenfrage! ({9}) – Geht nicht; genau. – Von daher kann ich nur sagen: Lassen Sie uns doch alle, Schritt für Schritt, ({10}) jetzt das Thema Lobbyregister anpacken. ({11}) Die Koalition hat einen Entwurf vorgelegt, von dem ich das Gefühl habe, er ist gar nicht schlecht. Die anderen Vorschläge haben wir übrigens im Geschäftsordnungsausschuss nicht abgesetzt, sondern es ist ja diskutiert worden, und dann haben wir es vertagt, weil es Sinn macht, die Vorschläge aller Fraktionen dann auch gemeinsam zu diskutieren. ({12}) Ich habe die große Hoffnung, dass wir ein ganzes Stück weiterkommen, wenn wir das gemeinsam machen; das würde Konsens zeigen. Danke schön. ({13})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke schön. – Das Wort geht an Joana Cotar von der AfD-Fraktion. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wir sprechen in dieser Aktuellen Stunde über den Vertrauensverlust von demokratischen Institutionen und darüber, wie man dem entgegenwirkt. Die Kollegen vor mir haben große Reden geschwungen, das Lobbyregister soll endlich kommen. Mit der Nachverfolgung, wie und wo Lobbyisten versuchen, auf die Erarbeitung von einzelnen Gesetzen Einfluss zu nehmen, hat es zwar nicht geklappt; aber was soll’s, das kriegen wir schon irgendwie hin, das passt schon, meinen Sie. Werte Kollegen von der SPD und von der Union, glauben Sie das wirklich? Ich tue das nicht. Das Vertrauen der Bürger in die Parlamente beruht auf dem Glauben, dass wir hier alle ihre Interessen vertreten und keine anderen; dem deutschen Volke, nicht ausgesuchten Unternehmen, nicht der Beratungsbranche, nicht der eigenen Brieftasche, dem deutschen Volke! ({0}) Was, glauben Sie, denkt sich dieses Volk, wenn es Gesundheitsminister Spahn hört, der sagt: „Bleiben Sie zu Hause! Corona ist gefährlich. Kein geselliges Beisammensein!“, und dann lesen muss, dass sich genau dieser Gesundheitsminister am selben Abend mit Unternehmern zum Abendessen getroffen hat, die Maske nur für Erinnerungsfotos aufsetzte und die Teilnehmer auch noch aufgefordert worden sind, 9 999 Euro zu zahlen – wir haben es gehört –; denn ab 10 000 muss man die Namen veröffentlichen. ({1}) Ein lukrativer Abend für den Gesundheitsminister – eine ganz dunkle Stunde für die Glaubwürdigkeit der Politik! Und an was denkt der Bürger, wenn er den Namen Andreas Scheuer hört? Mautdesaster, eine endlose peinliche Liste der Pannen, eine vernichtende Kritik des Bundesrechnungshofs und eine nachträglich verhängte Geheimhaltungsstufe für Akten, damit die Schweinereien nicht ans Tageslicht kommen. Das Versagen des Verkehrsministers wird den Steuerzahler über eine halbe Milliarde Euro kosten – über verlorenes Vertrauen müssen wir hier gar nicht erst anfangen zu diskutieren. ({2}) Und was denkt sich der Bürger, wenn er den Namen Philipp Amthor hört? Keine 30, aber wie man Aktienoptionen und Direktorposten als Belohnung für Gefälligkeiten bekommt, das weiß er. Weiter: Georg Nüßlein, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der illegalerweise am Verkauf von Masken mitverdient haben soll; Axel Fischer, CDU-Bundestagsabgeordneter, Korruptionsvorwürfe; Nikolas Löbel, CDU-Bundestagsabgeordneter, der dritte im Bunde. ({3}) Wie viel Vertrauen geht bei Studenten verloren, die ihre Doktorarbeit selbst schreiben und dann merken, es geht auch anders; ({4}) die sehen, dass ein Plagiat unserer Familienministerin Giffey gar keine Auswirkungen hat, außer dass sie „freiwillig“ auf ihren Doktortitel verzichtet – wie großzügig von ihr! Das Ganze kann man aber noch toppen: Ursula von der Leyen, unsere ehemalige Verteidigungsministerin, ist für ihre Berateraffäre, bei der alle Daten von Handys gelöscht worden sind – damit man auch da nichts nachverfolgen kann –, nicht etwa abgestraft worden, nein, sie ist mit der Position der Präsidentin der Europäischen Kommission belohnt worden – ein Amt, für das sie noch nicht einmal zur Wahl stand! Meine Damen und Herren, das kann man keinem Bürger erklären! ({5}) Aber wenigstens ist Frau von der Leyen konsequent und hat in der EU in ihrer ersten Krise auch komplett versagt – herzlichen Glückwunsch! Und Sie fragen sich allen Ernstes, wieso der Bürger Ihnen nicht mehr vertrauen und glauben kann! Und Sie glauben, das ist mit einem Register erledigt? Wie sollen die Bürger Politikern vertrauen, die nur ihren eigenen Vorteil sehen, ({6}) die für ihr Versagen keine Konsequenzen fürchten müssen? Früher haben sich Minister noch entschuldigt und haben ihren Hut genommen – heute fehlt den Pattex-Politikern die Größe für einen Rücktritt. ({7}) Wie sollen die Bürger Politikern vertrauen, die sie beschimpfen, wenn sie Kritik an der aktuellen Politik üben, die sie „Dunkeldeutsche“ nennen, „Pack“, „Idioten“? Wie sollen die Bürger Politikern vertrauen, die Gesetze im Schweinsgalopp durch den Bundestag treiben, ohne Zeit für Beratungen; die Gesetze wie das zum Staatstrojaner in anderen Gesetzen verstecken, weil sie Angst vor der öffentlichen Debatte haben; die sich von Huawei den Parteitag sponsern lassen und nachher natürlich nicht den Ausschluss dieses Konzerns vom Netzausbau beschließen können; ({8}) deren Gesetze regelmäßig vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden, weil sie verfassungswidrig sind; ({9}) die Grundrechte als Privilegien ansehen, die man nach Gutdünken verteilen kann; ({10}) die die wichtigsten Entscheidungen in der Coronapolitik nicht mehr hier im Bundestag treffen, sondern im Kanzleramt; die einen Mao-Verehrer zu einem wichtigen Berater der Regierung in der Coronakrise machen; ({11}) und die der größten Oppositionspartei kurz vor den Wahlen den politisch instrumentalisierten Verfassungsschutz auf den Hals hetzen – weil Sie Angst um Ihre Posten und Ihre Macht haben – und die damit auch noch vor Gericht scheitern, sich heute bis auf die Knochen blamiert haben, meine Damen und Herren. ({12}) Nein, werte Kollegen, so schafft man kein Vertrauen, so verliert man die Menschen. Und Sie merken das noch nicht einmal. Deutschland hat etwas Besseres verdient als Sie und Ihre Politik; daran wird kein Register dieser Welt etwas ändern. Wahltag ist Zahltag! Eines verspreche ich Ihnen: Uns von der AfD bekommen Sie nicht klein, auch nicht mit einer Marionette namens Haldenwang. Vielen Dank. ({13})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke. – Das Wort geht an Dr. Matthias Bartke von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, Frau Cotar, ich glaube, wir kriegen Sie nicht klein. Das machen Sie schon selber; das hat Ihre Rede, aber vor allen Dingen die Rede von Herrn Protschka ja sehr deutlich gezeigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Fundament dieses Hauses ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, Vertrauen, das uns als Mandatsträger auf Zeit geschenkt wird. Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit haben aber dazu geführt, dass dieses Vertrauen schwindet. Und ich muss gestehen, dass mich der heutige „Spiegel“-Artikel über das Gebaren einiger Unionsabgeordneter in der Maskenaffäre geradezu sprachlos gemacht hat. Denn selbst der Verdacht, Herr Schnieder, Abgeordnete des Deutschen Bundestages wären käuflich, ist für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger geradezu verheerend. Es gibt aber offenbar einige Abgeordnete, die das eher locker sehen. Für das Ansehen unserer Parteiendemokratie ist das tödlich, und zwar für alle Parteien. In meinen Augen ist Abgeordnetenbestechung kein Vergehen. Ich finde, es ist ein Verbrechen, und ich werde mich dafür einsetzen, dass sich das künftig auch in § 108 e Strafgesetzbuch niederschlägt – auf Deutsch: Mindeststrafe ein Jahr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist außerordentlich schwer, einmal verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Deswegen müssen wir jetzt handeln. Zweierlei brauchen wir jetzt dringend: erstens ein effektives Lobbyregister und zweitens die längst überfällige Reform der Transparenzregeln für Bundestagsabgeordnete. Seit zehn Jahren fordert die SPD die Einführung eines Lobbyregisters für Bundestag und Bundesregierung. Diese Einführung soll uns jetzt auch gelingen. Wie Sie wissen, steht das Lobbyregister gar nicht im Koalitionsvertrag. Obwohl es schon drinstand, ist es kurz vor Abschluss wieder rausgeflogen. Trotzdem setzen wir es jetzt um. Das ist ein Riesenerfolg, ein Meilenstein in der deutschen Parlamentsgeschichte. ({0}) Und natürlich war die SPD der Motor dafür. Genauso waren wir auch in Baden-Württemberg der Motor. ({1}) Da hatte die schwarz-grüne Koalition am Ende der Wahlperiode noch immer keinen Entwurf für ein Lobbyregistergesetz vorgelegt, obwohl das im dortigen Koalitionsvertrag vereinbart war. ({2}) Daraufhin legte die SPD einen Gesetzentwurf vor. ({3}) Dann kam plötzlich Bewegung in die Sache. Am Ende kam ein baden-württembergisches Lobbyregistergesetz zustande, das von allen Parteien des Landtags getragen wurde, das – Entschuldigung! – von allen demokratischen Parteien des Landtages getragen wurde. ({4}) Liebe Linke, lieber Friedrich Straetmanns, Sie beschweren sich ja immer, dass bei uns alles nicht schnell und nicht weit genug geht. Gucken Sie sich mal das Land Thüringen an! Da regiert Ihr linker Ministerpräsident Ramelow. Dort gibt es ein Beteiligtentransparenzdokumentationsgesetz. Wenn wir hier so etwas vorlegen würden, würden Sie uns in der Luft zerreißen, und zwar zu Recht. Lieber Kollege Straetmanns, eine Bitte: Nehmen Sie den Mund nicht ganz so voll! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in Kürze einen Entwurf zum Lobbyregistergesetz, auf das wir uns geeinigt haben, vorlegen; das wird ein gutes Gesetz sein. Aber – das sage ich ganz offen; es ist kein Geheimnis – die SPD wollte darin auch den exekutiven Fußabdruck haben. „Exekutiver Fußabdruck“ heißt, dass Ministeriumskontakte von Lobbyisten bei jedem Gesetz veröffentlicht werden müssen. ({5}) „Exekutiver Fußabdruck“ heißt auch, ({6}) dass sämtliche Stellungnahmen der Lobbyisten zu den Gesetzen beigefügt werden müssen. Justizministerin Lambrecht hatte einen Vorschlag dazu gemacht, der weiter gehend war als alle Erwartungen von lobbykritischen Verbänden. Aber so ist es eben in einer Koalition: Man kann nicht immer alles durchsetzen, was richtig ist. ({7}) Das Bittere ist nur, dass ich glaube, dass der exekutive Fußabdruck gar nicht an der Unionsfraktion gescheitert ist. Das Veto kam aus dem Kanzleramt. Die Kanzlerin hatte schon in ihrer Pressekonferenz im vergangenen Sommer sehr deutlich gemacht, was sie von Transparenz bei der Regierungsarbeit hält, nämlich gar nichts. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Einwohnerschaft im Kanzleramt wechselt. Der exekutive Fußabdruck wird eine der ersten Maßnahmen der neuen Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz sein. ({9}) Auch beim Thema „Transparenzregeln für Bundestagsabgeordnete“ sehen wir dringenden Reformbedarf. ({10}) Es geht hier nicht um Symbolpolitik. Wir brauchen Verschärfungen, weil die bestehenden Regeln ganz offensichtlich nicht ausreichen. Seit Beginn der Wahlperiode beschäftigen wir uns mit diesem Thema. ({11}) Die gute Nachricht ist: In der nächsten Sitzungswoche ist es so weit. Dann wird die Koalition einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir mehr Klarheit schaffen. Aktienoptionen werden wir anzeigepflichtig machen. Beteiligungen an Aktiengesellschaften werden wir transparenter machen. Unser verstorbener Vizepräsident Thomas Oppermann hat sich in seiner letzten Rede mit Nachdruck für eine grundlegende Überarbeitung der Transparenzregeln eingesetzt. Ich finde, wir sind es ihm schuldig. Vielen Dank. ({12})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich zitiere von tagesschau.de: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main nimmt zwei Unionspolitiker wegen des Verdachts auf Korruption ins Visier. …  Die Staatsanwaltschaft legt beiden Unionspolitikern Bestechung und Bestechlichkeit von Mandatsträgern zur Last. Weiter heißt es: Die Unionsbundestagsfraktion teilte mit, sie unterstütze die Ermittlungen …, um „möglichst schnell Klarheit über den Umfang und die Berechtigung der im Raum stehenden Vorwürfe zu gewinnen“. Hier geht es um Millionen von Euro Schmiergeld, um Briefkastenfirmen und um den Einfluss eines autoritären Staates, auch auf dieses Hohe Haus. Aber hier geht es nicht um Masken, nicht um Nüßlein. Dieses Verfahren, um das es hier geht, läuft seit einem Jahr – seit einem Jahr! Deswegen ist dieses Eingangszitat auch ein Jahr alt. Das zeigt uns allen: Es geht hier nicht um einen Einzelfall oder um irgendein sondergelagertes Extraproblem, sondern es geht um strukturelle Probleme, meine Damen und Herren. ({0}) Die damalige Reaktion von CDU/CSU – Patrick Sensburg, weil Sie darauf eingegangen sind – war: Sie versprachen entschlossene Aufklärung – das klingt ja immer gut – und gesetzgeberische Handlungen; klingt auch immer gut. Die Aufklärung in diesem Fall leisten bis heute einzig und allein die Medien und die Staatsanwaltschaften. Allein die Medien und die Staatsanwaltschaften! ({1}) Die überfälligen Schritte der Gesetzgebung sind Sie komplett und vollständig bis zum heutigen Tag schuldig geblieben. ({2}) Gar nichts ist gekommen. Gar nichts! Und dabei brennt die Hütte lichterloh. Strenz, KT zu Guttenberg, Amthor, nun Nüßlein, Fischer, Löbel und zwei Dutzend weitere Verdachtsfälle, und es ist doch völlig klar: Wir sind noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen. Da kommt noch mehr. In einer so harten Krise, in der wir derzeit sind, ist das vollkommen inakzeptabel, meine Damen und Herren. ({3}) Gibt es klärende Worte, eine Entschuldigung, Aufklärung? Nein! Es gibt Zitate „unter zwei“ aus der Unionsfraktion, die da lauten: Man sei geschäftstüchtig; ({4}) man habe eine gute Ausbildung und sei geschäftstüchtig. Die anderen MdBs seien doch irgendwie Loser, die es nicht auf die Reihe kriegen und nur ihre Diäten haben. Hahaha! – Das ist unsäglich, meine Damen und Herren. Vollkommen inakzeptabel! ({5}) Völlig unabhängig davon, ob das strafrechtlich relevant ist oder nicht, ob es zur Verurteilung kommt oder nicht, ob Herr Nüßlein kriminell ist oder nicht – die Unschuldsvermutung gilt; das ist eine Selbstverständlichkeit –: Aber Geschäfte mit Atemschutzmasken für den eigenen Profit in einer globalen Pandemie zu machen, das ist nicht geschäftstüchtig, das ist auch nicht irgendwie marktgerecht. Das ist schäbig, meine Damen und Herren. ({6}) Dass dazu keine klaren Worte aus Ihrer Fraktion kommen, das ist schlecht. Nicht die Leute, die in dieser Debatte hier vorgeschickt werden, sondern die Fraktionsspitze muss sich dazu verhalten. ({7}) Sie schaden – da hat der Kollege Sensburg völlig recht – eben nicht nur sich selbst, sondern der Politik insgesamt: diesem ganzen Haus, den Landtagen und der kompletten ehrenamtlichen Politik. Deswegen brauchen wir dringend proaktive Aufklärung. Die können aber nur Sie liefern. Sie sind in diesem Haus in der Verantwortung. Das sind Sie auch den Wählerinnen und Wählern schuldig, meine Damen und Herren. ({8}) Darüber hinaus: Geben Sie Ihre Verweigerungshaltung der letzten zehn Jahre in diesem relevanten Politikbereich auf! ({9}) Das bedeutet, dass man nicht jetzt, wenn die Hütte brennt, sagt: Ja, das ist interessant. Über den legislativen Fußabdruck sollte man mal sprechen. – Die Konzepte liegen schon lange auf dem Tisch. Wir wissen, wo die Probleme sind. Wir wissen es beim Lobbyismus, wir wissen es bei den Parteispenden. Überall da gibt es massive Probleme, und es gibt sehr viele gesetzgeberische Ansatzpunkte für das, was man tun kann. Legen Sie jetzt ein Lobbyregister vor, das den Namen auch verdient! ({10}) Der SPD kann ich nur sagen: Jetzt seid ihr mal in der Position, hier kraftvoll was zu machen. – Gehen Sie die zahlreichen weiteren notwendigen Schritte: Erhöhung der Transparenz, Bekämpfung von Korruption, Stärkung des Vertrauens in unsere Demokratie, auch mit dem legislativen Fußabdruck! Das ist überfällig, und es ist erforderlich, meine Damen und Herren. Ganz herzlichen Dank. ({11})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Staat gründet sich auf die Prinzipien von Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Würde. Für ein funktionierendes Gemeinwesen genügt dies allein nicht. Wichtig sind ebenso Vertrauen in die Institutionen und Integrität der politisch Verantwortlichen. Wie entscheidend das ist, zeigt auch ein Blick auf die Rezepte populistischer und extremer Parteien, wie gerade gehört. Deren Ziel ist ein anderer Staat, und das Mittel dazu ist die Diskreditierung von Institutionen und deren Repräsentanten. Eine Rhetorik des mangelnden Respekts und der Verachtung und der Lüge anderen gegenüber ist ihr Rezept, und es ist Aufgabe politischer Kräfte, dies zu erkennen und zurückzuweisen. Zur Stärkung des Vertrauens ist ebenso wichtig, Interessenvertretung präzise zu regeln. In einer pluralen Demokratie ist der Kontakt zu verschiedenen Gruppierungen notwendig. Die Abwägung und Anhörung gehört zur parlamentarischen Aufgabe. Klar ist aber auch: Es darf zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entstehen, der mit dem größeren Geldbeutel setzte sich eher durch. Deswegen ist das jetzt geplante Gesetz zum Lobbyregister der richtige Weg. Eine Anmerkung aber auch zu den Vorkommnissen der jüngsten Zeit: Die Unschuldsvermutung im Ermittlungsverfahren ist ein grundlegendes rechtsstaatliches Prinzip. Soweit die Fälle aber auch eine politische Dimension haben, können und müssen wir von den Betroffenen Erklärung und Aufklärung erwarten. ({0}) „Nein, es ist kein Geld geflossen“, das wäre die erhoffte und akzeptable Antwort gewesen. Wenn es angezeigt ist, müssen auch Konsequenzen gezogen werden. ({1}) Nach unserem Grundgesetz ist ein Abgeordneter nur seinem Gewissen unterworfen und an Weisungen und Aufträge nicht gebunden. ({2}) Die Unabhängigkeit des Mandats schließt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten nicht aus. Gleichwohl sollten wir Abgeordneten sorgsam, verantwortungsvoll, moralisch einwandfrei und unter Beachtung der geltenden Regeln mit Nebentätigkeiten umgehen. ({3}) Ich füge hinzu: Die große Mehrheit dieses Hauses tut das. Das bedeutet aber auch: Aus einer mandatsbezogenen Tätigkeit für das Gemeinwohl darf zu keinem Zeitpunkt ein eigenwirtschaftliches Interesse oder eine persönliche Bereicherung werden. Um es präzise zu sagen: In einer Pandemie kann man Masken vermitteln – man darf niemals daran verdienen. ({4}) Ein solches Verhalten beschädigt Vertrauen und Ansehen. ({5}) Es muss aber auch zum Ausdruck kommen: Die große Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages arbeitet im Bundestag und im Wahlkreis mit großem Einsatz für die Sache und das Gemeinwohl. Das Fehlverhalten Einzelner darf und wird daher auch nicht zum Vertrauensverlust aller führen. Im Interesse unserer parlamentarischen Demokratie müssen wir einerseits aufklären, das deutlich benennen, aber uns auch davor hüten, zu verallgemeinern. Wir brauchen deswegen eine Debatte, inwieweit wir Abgeordneten die Transparenz noch weiter verbessern können. Dazu gehört, sich über die Regeln im Hinblick auf Veröffentlichungspflichten weiter Gedanken zu machen. Die Interessen von wirtschaftlich zurechenbaren Unternehmen sowie Erträge aus Nebentätigkeiten können noch präziser und transparenter aufgezeigt werden. Im Europarat und im Europäischen Parlament ist das mittlerweile gang und gäbe. ({6}) Wir sollten uns überlegen, inwieweit das auch Vorbild für unsere Handlungen sein könnte. ({7}) Was muss nach dieser Debatte bleiben? Es muss klar und deutlich werden, dass wir alle aufgerufen sind, dem Vertrauensverlust entgegenzuwirken und deutlich zu machen, dass die Vermischung von Tätigkeiten als Abgeordnete und eigenwirtschaftlichen Interessen nicht geht, dass wir für Vertrauen arbeiten. Von uns muss insgesamt das Signal ausgehen: Dieser Bundestag arbeitet für das Gemeinwohl und sorgt dafür, dass wir in der schwierigsten Zeit unseres Landes unserer Aufgabe weiterhin gerecht werden. Herzlichen Dank. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Ich danke auch. – Das Wort geht an Frank Schwabe von der SPD-Fraktion, wenn er denn möchte. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es präzise zu sagen: Das, worüber wir heute reden, ist nicht die größte Katastrophe für Deutschland – das zum Glück nicht –, aber doch die größte anzunehmende Katastrophe für dieses Hohe Haus. Man muss sich mal vorstellen, was da passiert und wie sehr das Vertrauen in das, was wir hier tun, gerade untergraben wird. Wir können über ganz viele Fälle reden, aber ich komme nicht umhin – es tut mir leid, das ist jetzt so –, festzustellen: Das, was wir gerade erleben, passiert in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie – Herr Frei nicht, aber die anderen schon – gucken ein bisschen beschämt zu Boden, aber die, die in Ihrer Fraktion eigentlich verantwortlich sind – der erste Parlamentarische Geschäftsführer und der Fraktionsvorsitzende –, sind nicht da; sie ducken sich in der Debatte weg. ({0}) Ich schreibe jetzt seit vier Jahren mit Herrn Grosse-Brömer auf Twitter; Sie wissen das. Vor vier Jahren ging es los mit dem Fall von Frau Strenz, und seit vier Jahren fordere ich, Frau Strenz aus der Fraktion auszuschließen. ({1}) Sie sitzt aber immer noch bei Ihnen. Sie sitzt im Deutschen Bundestag, sie bezieht ihre Diäten, und sie hat Wahlkreisbüros, die sie aber gar nicht mehr betreibt; sie sammelt sozusagen das Geld ein. Sie versteckt sich, redet nicht mit der Öffentlichkeit, und Sie sagen: Na ja, da gilt aber die Unschuldsvermutung. – Gegen Frau Strenz hat der Europarat – das hat man sich dort gut überlegt – ein Hausverbot verhängt; sie darf auf Lebenszeit nicht mehr die Gebäude des Europarats betreten. Und bei Ihnen sitzt sie weiterhin in der Fraktion. Ich finde, das geht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union. ({2}) Ich wollte eigentlich nicht über die anderen Fälle reden. Ich wollte nur über den Europarat reden, weil ich nicht viel Redezeit habe und weil es beim Europarat so spannend ist. Ich wollte nicht über Herrn Amthor und Herrn Nüßlein reden und auch nicht über Nikolas Löbel. Ich habe dazu aber heute etwas gefunden – es ist nicht zu fassen; da denkt man, das kann doch wohl nicht wahr sein –: einen Artikel in der „Stuttgarter Zeitung“ mit dem Titel „Aserbaidschan finanziert den Landestag der Jungen Union mit“. Das war 2012, finanziert durch eine Studentenorganisation aus Aserbaidschan. Und wer war damals Vorsitzender der Jungen Union in Baden-Württemberg? Nikolas Löbel. Auch das wird noch zu beleuchten sein. Das ist sehr, sehr spannend. Jetzt sage ich noch ein paar Sätze zum Europarat. Es ist kompliziert und schwer zu verstehen, und deswegen ist es auch schwer, das medial darzustellen. Der Europarat ist die Institution, die sich um Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kümmern soll. Da schickt man die Abgeordneten hin, die am Ende für genau diese Werte eintreten. Damit es nicht immer heißt, das sei doch Parteipolitik, will ich aber auch sagen: In allen Fraktionen des Europarats und der Parlamentarischen Versammlung gibt es Probleme beim Thema Korruption rund um Aserbaidschan. Der Kern der Veranstaltung liegt allerdings in der EVP-Fraktion, und ein großer Teil derjenigen, die sich dort fehlverhalten haben, kommen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aus diesem Hohen Hause. Sie kamen, muss man mittlerweile sagen; denn sie haben ihre Delegation zum Glück verändert. Ich will das ausdrücklich sagen: Die jetzige Delegation ist hoch angesehen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass solche Dinge da nicht vorkommen. Zu Aserbaidschan. Worum geht es? Es geht darum, dass Abgeordnete Aserbaidschan vor Kritik schützen, ein Land, in dem Menschenrechtsverletzungen begangen werden, in dem Wahlbeobachtungen manipuliert ({3}) und falsche Wahlergebnisse ermittelt werden, in dem Berichte über politische Gefangene niedergestimmt werden. Zentral daran beteiligt sind der Abgeordnete Fischer und die Abgeordnete Strenz, organisiert über Eduard Lintner, den ehemaligen CSU-Staatssekretär. So läuft die ganze Geschichte. In vollem Bewusstsein, dass die Anwälte von Frau Strenz hinter mir her sind – dafür hat sie nämlich Geld; ich weiß nicht, hinter wie vielen Kolleginnen und Kollegen die Anwälte von Frau Strenz her sind –, weil ich behauptet habe: „Frau Strenz ist korrupt, und sie lügt“, sage ich das an dieser Stelle noch mal, weil es genau so ist und weil sie nicht in der Lage ist, in irgendeiner Art und Weise Beweise dafür vorzulegen, dass dem nicht so ist. ({4}) Frau Strenz hat an Wahlbeobachtungen teilgenommen und erklärt, sie habe aus anderen Ländern kein Geld bekommen. Das ist erwiesenermaßen falsch; Herr Lintner hat das sogar öffentlich erklärt. Frau Strenz hat gefakte Wahlbeobachtungen organisiert, finanziert von Herrn Lintner – schon im Jahr 2010. Herr Fischer war erstaunlicherweise Vorsitzender der EVP-Fraktion und einer der Nachfolger von Luca Volontè, der in Italien gerade zu vier Jahren Haft verurteilt worden ist. Er kann in die Revision gehen; das muss man dazusagen. Der direkte Vorgänger war Pedro Agramunt aus Spanien. Der wurde als Präsident der Parlamentarischen Versammlung wegen erwiesener Korruption abgesetzt. – Das ist das Umfeld, in dem sich die Abgeordneten Kollegin Strenz und Kollege Fischer bewegen. Bei Herrn Fischer habe ich manches vermutet, aber ich konnte es nicht sagen. Jetzt ist es ziemlich offensichtlich, dass er genauso Geld aus Aserbaidschan bekommen hat, wie das bei Frau Strenz der Fall ist. Deswegen sage ich es Ihnen noch einmal: Es ist Ihre Verantwortung, diese Fälle aufzuklären, sich nicht wegzuducken und sich nicht hinter staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu verstecken, sondern das zu tun, was der Europarat tut, nämlich eigene Untersuchungen anzustellen, die Kolleginnen und Kollegen vor die Wahl zu stellen, sie zu zwingen, sich öffentlich zu positionieren, und dann die Konsequenzen daraus zu ziehen. ({5}) Ich finde, die beiden können in Zukunft nicht mehr in Ihren Reihen sitzen. Vielen herzlichen Dank. ({6}) – Welche denn? ({7})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Danke sehr. – Das letzte Wort in der Aktuellen Stunde heute hat Thorsten Frei von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat eine schwierige Debatte heute. Wir haben viele Wortbeiträge erlebt, die beschrieben haben, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Deswegen mag ich den Kollegen Sensburg zitieren. Natürlich ist in dieser Debatte auch sehr viel Richtiges gesagt worden, auch wenn es kritisch war. Es ist klar, dass in einer Demokratie Glaubwürdigkeit und Integrität die wichtigsten und härtesten Währungen für die Politik sind, für die Politik und die Politiker. Am Ende des Tages geht es um jeden Einzelnen von uns, der Politik macht. Es geht aber auch um das politische System und letztlich um die Glaubwürdigkeit der Willensbildungsprozesse, der Entscheidungsprozesse und der Legitimität dieser Prozesse schlechthin. Deswegen ist es richtig, dass wir alles Notwendige tun müssen, um schnellstmöglich aufzuklären und zu schauen, dass hier nichts hängen bleibt. Vor allen Dingen – das ist ja der Titel dieser Aktuellen Stunde – müssen wir hinsichtlich der Transparenz von politischen Entscheidungen auch nach vorne gucken und schauen, welche Instrumentarien wir brauchen, um Transparenz, Offenheit, Integrität, Glaubwürdigkeit letztlich tatsächlich in den Mittelpunkt zu rücken. ({0}) Man muss sagen: Ja, wir haben schon im September einen Entwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, der sich mit dem Lobbyregistergesetz auseinandersetzt. ({1}) – Frau Haßelmann, Sie hatten Ihre Redezeit. Jetzt würde ich vorschlagen, dass Sie mal zuhören. ({2}) Das schadet nämlich nicht. ({3}) Es ist doch typisch für die Grünen, dass sie glauben, immer alles besser zu wissen. Sie schreien hier immerfort. Das ist unglaublich. Hören Sie doch mal zu, Menschenskinder! ({4}) Es hat einen Grund, warum man in der Aktuellen Stunde keine Fragen stellen kann. Orientieren Sie sich doch mal daran! Sie gehen doch immer mit der Geschäftsordnung unterm Arm spazieren. Dann müssen Sie das auch gegen sich gelten lassen. ({5}) – Nein, die Nerven liegen nicht blank, ({6}) sondern ich möchte gerne mal argumentieren. Man muss doch eines sagen: Wir haben einen Entwurf für ein Lobbyregistergesetz vorgelegt, das wirklich eine neue Seite aufschlägt, weil es verbindlich und sanktionsbewehrt ist. ({7}) Das ist übrigens ganz anders als auf der europäischen Ebene, weil wir mit Änderungen im Ordnungswidrigkeitenrecht dafür sorgen, dass die Bundestagsverwaltung im Grunde genommen Verfahrensrechte wie eine Staatsanwaltschaft hat. Das ist tatsächlich etwas, was uns weiterbringt und Transparenz in die Prozesse bringt, weil es deutlich macht, dass jeder, der Interessenvertretung im Deutschen Bundestag betreibt, das offenlegen muss. Er muss offenlegen, wie er finanziert wird, welche Personen dahinterstehen, wie viele Mitarbeiter er dafür einsetzt und vieles andere mehr. Das erstrecken wir, Herr Dr. Bartke, auch auf die Bundesregierung. Das ist letztlich ein in sich schlüssiges Konzept. ({8}) Ich finde ganz interessant – es ist ja heute mehrfach die Rede davon gewesen –, was die anderen Fraktionen, die Oppositionsfraktionen, in diesem Bereich vorgelegt haben. Wir haben von der Fraktion Die Linke einen Gesetzentwurf. Immerhin! Das Problem ist nur, dass er in weiten Teilen – Vorredner sind darauf eingegangen – einfach verfassungswidrig ist, weil er beispielsweise das Gewaltenteilungsprinzip missachtet, ({9}) weil er beispielsweise das Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung missachtet. Es ist darüber hinaus ein Bürokratiemonster. Aber das absolut Beste ist: Wir führen hier eine Debatte gegen Lobbyismus, und Sie lassen Ihren Gesetzentwurf von einer Lobbyorganisation schreiben. ({10}) Das schlägt dem Fass schon den Boden aus. ({11}) Aber immerhin ist das ein Gesetzentwurf. Wenn man sich anschaut, was FDP und Grüne gemacht haben: Sie haben ziemlich unkonkrete und schmale Anträge vorgelegt. ({12}) – Nein, Herr von Notz, aber Sie fordern immer – – ({13}) – Seien Sie doch mal ruhig! – Sie fordern immer ein, dass man konkrete Vorschläge macht. ({14}) Sie haben auch bei anderen Kollegen vorhin immer dazwischengerufen. Vorschläge machen die Grünen teilweise, aber sie wollen im Grunde genommen nur die Bundesregierung überwachen. ({15}) Wenn es darum geht, Lobbyismus auch im Deutschen Bundestag in den Blick zu nehmen, dann wird es ganz, ganz schmal in ihrem Antrag. Ich glaube, es hilft nicht, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt. Ich glaube, wir haben hier ein großes Problem; ich möchte das, was wir heute gelesen haben, nicht relativieren. Das ist nicht zu relativieren. Aber entscheidend ist, dass wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Unsere Fraktion wird dazu ihren Beitrag leisten, ({16}) und ich hoffe, dass wir hier in diesem Haus gemeinsam die notwendigen gesetzlichen Grundlagen schaffen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Herzlichen Dank. ({17})