Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Gern. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dynamik und Aufbruch – das ist im Bereich Mobilität und Digitalisierung unser täglicher Auftrag im BMVI. Ich möchte mich für die gute Umsetzung von Gesetzen sehr herzlich bedanken. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes, die heute durch den Verkehrsausschuss gegangen ist. Damit schaffen wir eine eigene Rechtsgrundlage für neue digitale Mobilitätsangebote. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen der Koalition, auch ganz besonders bei den Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion, die diesen Vorschlag unterstützt haben. Damit können wir Menschen im ländlichen Raum eine bessere Mobilität ermöglichen, und zugleich entlasten wir die Städte von Verkehr. Ich freue mich, dass der Gesetzentwurf heute mit den Änderungen im Ausschuss gemeinsam beschlossen wurde. Ich hoffe darauf, dass im Bundestag und dann am Freitag im Bundesrat die notwendigen Mehrheiten sichergestellt sind.
Auch beim Thema Elektromobilität kommen wir voran. Mitte Februar hat das Bundeskabinett unseren Entwurf für ein Schnellladegesetz beschlossen. Wenn E-Mobilität attraktiv sein soll, muss die nächste Schnellladesäule in wenigen Minuten erreichbar sein. Um diesem Ziel näher zu kommen, wollen wir bundesweit 1 000 Schnelladehubs bis 2023 aufbauen. Dazu gibt es heute auch die erfreuliche Meldung aus der Wirtschaft, dass diese Ausbauaktivitäten für die Ladeinfrastruktur Fahrt aufnehmen. Ganz besonders freut es mich, dass unsere KfW-Förderung für die privaten Wallboxen einmalig gut angenommen wird. 300 000 Wallboxen sind in gerade mal drei Monaten beantragt worden.
Wir gehen noch weiter: Das Bundesfinanzministerium hat mit uns zusammen die Möglichkeit geschaffen, dieses Förderprogramm noch mal auszuweiten, um somit auch in den nächsten Wochen die Möglichkeit zu schaffen, diese Initiative auszubauen. Wir werden in den nächsten Wochen für nächste Förderprogramme eine gute Botschaft geben können. Seien Sie gespannt!
Das Nächste ist das Gesetz zum autonomen Fahren. Bitte machen Sie mit für eine schnelle Einigung; denn damit können wir Deutschland zur Nummer eins beim autonomen Fahren machen und einen Rechtsrahmen für einen Regelbetrieb schaffen.
Ein großer Schwerpunkt meines Hauses ist das System Schiene. Wir haben jetzt gerade ein großes Programm „BahnhofskonzeptPlus“ aufgelegt. Mit dieser Offensive für attraktivere Bahnhöfe können wir mit insgesamt 5 Milliarden Euro rund 3 000 Bahnhöfe verbessern. Davon profitieren die einzelnen Regionen, nicht nur die städtischen Regionen, sondern auch die ländlichen Regionen.
Heute haben wir das Programm „ElektrifizierungPlus“ für die Schiene gestartet – eine wichtige Botschaft. So können wir auch die Vorgaben des Koalitionsvertrags erfüllen, nämlich 70 Prozent des Schienennetzes mit Oberleitungen ausrüsten. Wir haben natürlich nicht nur die Oberleitungen im Blick – weniger Dieselloks bedeuten weniger Schadstoffe und weniger Lärm –, sondern auch die Verbesserung von Gleisanschlüssen. Hierzu gibt es eine neue Förderrichtlinie. Vor allem fördern wir auch alternative Antriebe beim System Schiene.
Anhand dieser Beispiele – das nur als kleine Einführung – sehen Sie, dass wir intensiv an der Mobilität der Zukunft arbeiten, und zwar mit den Schwerpunkten der Digitalisierung und des Klimaschutzes. Dabei sind wir auf einem sehr guten Weg.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Dr. Dirk Spaniel, AfD, stellt die erste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, die Bundesregierung hat ja nun mit großer öffentlicher und medialer Aufmerksamkeit eine Wasserstoffstrategie vorgestellt. Sie möchten Wasserstoff als eine Lösung, als eine Alternative zu Verbrennungsmotoren aufbauen, auch als eine Alternative zur Elektromobilität.
Wir haben ja nun gelernt, dass Infrastrukturprojekte in unserem Land gerne etwas länger dauern können. Das heißt, man muss rechtzeitig anfangen. Ich würde Sie jetzt mal fragen: Für wie realistisch halten Sie denn das Vorhaben, die notwendige Wasserstoffinfrastruktur, das heißt Leitungen und Speichersysteme, bis zum Jahr 2030 aufzubauen? Werden wir für das Ausstiegsszenario, das Sie für den Verbrennungsmotor anstreben, eine entsprechende Wasserstoffinfrastruktur zur Verfügung haben?
Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich sehr gerne. – Wir bleiben technologieoffen. Wir haben verkehrsträgerübergreifend nicht nur das Auto im Blick bei der Wasserstoffstrategie, sondern auch die Züge. Ich habe ja gerade dieses Programm für die alternativen Antriebe bei der Bahn vorgestellt.
Wir haben 9 Milliarden Euro für die Wasserstoffstrategie, davon ein großer Teil für das Verkehrsministerium, für die Mobilität. Sie wissen aus Ihrer beruflichen Tätigkeit, dass zum Beispiel auch ein großer deutscher Hersteller in die Wasserstofftechnologie beim Lkw geht. Wir sind europaweit Nummer eins bei der Tankstelleninfrastruktur in Bezug auf Wasserstoff. Wir setzen technologieoffen nicht erst jetzt um, sondern seit 2006 haben wir die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, die sich damit beschäftigt.
Also: technologieoffen bleiben. Ich habe große Hoffnungen, dass wir gerade bei den Bussen und bei den Lkws die Wasserstofftechnologie – zusammen mit den Zügen – umsetzen können. Wir brauchen die Produkte dazu. Aber wir stellen den Rahmen dafür zur Verfügung. Ich bin sehr, sehr optimistisch, dass wir jetzt noch mal einen ordentlichen Schub für diese Wasserstoffstrategie bekommen, die so wichtig ist, um nicht nur die reine Elektromobilität, sondern auch die Wasserstofftechnologie in Deutschland umzusetzen.
Danke sehr. – Herr Kollege, Nachfrage.
Ja, vielen Dank. – Das ist ja interessant, dass Sie viele Milliarden dafür ausgegeben haben. Umso erstaunlicher ist es für mich, dass in dem Strategiepapier der Bundesregierung das Wort „Wasserstoffspeicher“ oder ein Synonym dafür überhaupt gar nicht vorkommt. Das finde ich doch sehr befremdlich. Deshalb frage ich noch mal konkret nach: Mit welcher Technologie wollen wir den Wasserstoff für unsere Wasserstoffstrategie speichern, und wann bekommen wir diese Speicher?
Herr Kollege, wir haben zusammen mit dem Wirtschaftsministerium und dem Umweltministerium einen sehr engen Austausch darüber, dass wir ganzheitlich im Bereich Energie – das ist der Teil vom Wirtschaftsministerium –, aber vor allem auch im Bereich Mobilität zusammenarbeiten. Ich war beispielsweise unlängst in Schleswig-Holstein, um nicht nur die Energiegewinnung mittels einer Windanlage für das anliegende Dorf zu erreichen, sondern natürlich auch die Tankstelleninfrastruktur. Dort werden Busse bestellt, die mit Wasserstofftechnologie fahren.
Es gibt in diesem Bereich noch wenige Produkte made in Germany; das stimmt mich etwas negativ. Aber durch unsere Wasserstoffstrategie können wir, auch bei der Speichertechnologie, „made in Germany“ jetzt richtig anschieben. Ich bin sehr optimistisch, dass jetzt der Durchbruch gelingt. Wie gesagt: Nicht nur seit gestern, sondern schon über zehn Jahre gehen wir im Bereich Mobilität in die Wasserstofftechnologie. Der Speicher ist bei unserer Strategie, was das BMVI betrifft, drin, um das wiederum für die Mobilität zu nutzen.
Danke. – Dr. Rainer Kraft stellt eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte gleich anknüpfen an die Wasserstoffinfrastruktur. Im gasförmigen Zustand hat Wasserstoff nur eine Energiedichte, die ungefähr einem Drittel von der entspricht, die Erdgas hat. Im flüssigen Zustand – und zwar ganz egal, ob es kryogenisch gekühlt ist oder ob es an einen flüssigen organischen Träger gebunden ist – entspricht die Dichte nur ungefähr einem Viertel von dem, was Diesel oder vergleichbare mineralische Kraftstoffe haben.
Wie schaut denn die logistische Verteilung von Wasserstoff aus, wenn Sie bei Pipelineverteilung dreimal so viele Pipelines wie bei Erdgas legen müssten oder wenn bei Verfrachtung per Tanklaster viermal so viele Tanklaster durch die Republik fahren müssten im Vergleich zum Einsatz von Mineralölen? Wie schaut diese Logistik in Ihrer Wasserstoffwelt aus?
Herr Kollege, deswegen gehen wir ja technologieoffen ran. Wir, das BMVI, haben beim Gas ja auch dafür gesorgt, dass diese Technologie weiterhin Anreize hat. Sie kennen auch unsere Initiativen zu den synthetischen Kraftstoffen im Hinblick auf Verbrenner. Ich will noch mal unterstreichen: Die Technologieoffenheit ist für uns das Mittel, um alle Türen offenzuhalten in der Mobilitätsstrategie. Vielleicht ist das in der Bundesregierung nicht in allen Häusern so, sondern manche Häuser setzen andere Schwerpunkte, nämlich auf eine Ein-Antrieb-Strategie. Das sehen wir im BMVI anders. Wir wollen Technologieoffenheit deswegen haben, weil jetzt die Produkte entwickelt werden.
Für die Logistik – da haben Sie recht – werden wir noch einige Möglichkeiten der Importe schaffen müssen – nicht nur, was die Pipelines betrifft, sondern wir sind beispielsweise auch im Gespräch über die Schiffslogistik. Wenn ich aber jede Innovation, Kollege Kraft, schon am Beginn einer Diskussion totmache, dann werden wir den Durchbruch nie schaffen. Ich vergleiche das immer mit dem Verbrennungsmotor der 60er- und 70er-Jahre; der hat auch ganz andere Verbräuche gehabt, als er heute hat. Deswegen denke ich, dass wir alle Möglichkeiten offenhalten müssen, auch bei der Logistik für den Wasserstoff.
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Mathias Stein, SPD, stellt die nächste Frage.
Herr Minister, Sie haben ja eben auch von den großen Infrastrukturprojekten gesprochen, die Sie voranbringen wollen. Wir haben vor knapp einem Jahr hier im Deutschen Bundestag das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz verabschiedet. Sie wollten damit einen Turbo einlegen; Sie haben damals gesagt: Stemmen satt hemmen. – Die Frage nach etwas über einem Jahr ist: Was haben Sie erreicht? In welchen konkreten Projekten wären Sie an dieser Stelle schneller gewesen? Was plant da das Bundesverkehrsministerium?
Ich bin dankbar für die Frage, da Sie mir Gelegenheit gibt, noch mal zu unterstreichen, dass wir in dieser Wahlperiode gemeinsam, Herr Kollege Stein, vier Beschleunigungsgesetze in Bezug auf Planungen und Genehmigungen auf den Weg gebracht haben. Wie Sie richtig ausführen, arbeiten wir daran, das konkrete Maßnahmengesetz zu finalisieren. Wir haben einige Strecken im Blick. Jetzt muss natürlich das Thema „Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung“ in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Da haben wir einige Projekte stärker im Fokus. Ich kann Ihnen die Liste gerne übermitteln, die wir an dieser Stelle diskutieren. Aber die vier Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungsgesetze waren die Voraussetzung für die konkreten Maßnahmen. Da sind wir gerade in der Finalisierung dieses Gesetzes.
Nachfrage, Herr Stein?
Ja, vielleicht noch eine konkrete Nachfrage. – Es ist schön, dass Sie uns noch mal eine Übersicht geben, woran Sie konkret arbeiten. Ein wichtiges Projekt in diesem Zusammenhang ist die Abladeoptimierung am Mittelrhein, die ja ganz zentral ist, glaube ich, für Industrieprojekte innerhalb von Nordrhein-Westfalen. Da lautet meine ganz konkrete Frage zum Thema Planungsverzögerung: Was gibt es da an Personal? Was stocken Sie auf? Wie ist die Kommunikation mit der Öffentlichkeit? Wie kommen Sie gerade in diesem Projekt zentral voran?
Das Erste ist: Wir haben einen Mehrstufenplan zur sogenannten Niedrigwassersituation schon als Maßnahme vorgelagert, sodass sich die Wirtschaft stärker auf diese Niedrigwassersituationen einstellen kann. Es ist, glaube ich, einzigartig in ganz Europa, dass wir an dieser Stelle auch durch Digitalisierung sehr viel an Information weitergeben.
Das Zweite ist natürlich, was am Rhein selber passiert. Da haben wir die Personalausstattung verstärkt; ein absoluter Schwerpunkt, ein Hauptschwerpunkt. Wir sind im Gespräch mit den Anrainern, Bundesländern. Ich hoffe, dass durch die Aussicht, die auch von den Verbänden gegeben wurde, da gemeinsam eine Lösung zu finden, transparent und im Bürgerdialog diese Anpassungen vorzunehmen, die planerischen Voraussetzungen für die Maßnahme zu schaffen, das jetzt Fahrt aufnimmt. Daran arbeiten wir massiv, weil der Rhein im Binnenwasserstraßensektor natürlich der Hauptschwerpunkt ist und 80 Prozent der Güter im Binnenwasserstraßensektor dort transportiert werden. Von daher reden wir auch mit den Anrainern, Bundesländern sehr intensiv darüber, wie wir in der Umsetzung noch besser werden können. Aber die Mittelausstattung oder die Personalausstattung ist vorhanden.
Margit Stumpp, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine Nachfrage.
Vielen Dank fürs Wort. – Herr Scheuer, Sie behaupten beim Glasfaserausbau doch auch immer, dass die Genehmigungsverfahren mit schuld seien an der Hemmung. Jetzt hat diese Regierung aber schon 2014 die selbstgesteckten Ziele beim Ausbau des Breitbandnetzes gerissen, auch 2018. Und jetzt titelt die „Tagesschau“ am 26. Februar 2021, die Glasfaserausbauziele in Deutschland seien kaum mehr zu erreichen. Wollen Sie ernsthaft behaupten, dass die Genehmigungspraxis die Ursache ist? Und wenn diese Ziele jetzt nicht mehr zu erreichen sind, wie wollen Sie dann eine weitere Beschleunigung erreichen, um die Ziele vielleicht doch noch einhalten zu können?
Mit der Mobilfunkstrategie der Bundesregierung wollen wir flächendeckenden Mobilfunk. Mit dem Masterplan für den Ausbau der schnellen Datenleitungen haben wir eine Grundlage dafür geschaffen, dass wir beispielsweise mit einfacheren Verlegemethoden dafür sorgen, dass die Ziele erreicht werden können.
Sie zitieren aus einer Berichterstattung, die leider schon etwas veraltet ist, von den Bilanzzahlen her, und die sich auf 2019 bezieht. Wir haben bei den gigabitfähigen Anschlüssen im letzten Jahr, 2020, noch mal 9 Millionen Haushalte zugelegt, das heißt auf 23 Millionen. Natürlich ist es nicht nur die Genehmigung; es ist auch die bauliche Umsetzung.
Ich freue mich – ich sehe den Kollegen Straubinger –, dass ich unlängst für eine Maßnahme ganz konkret vor Ort viele Millionen Euro zur Verfügung stellen konnte.
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– Ja,
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vor allem dem Wahlkreis und der Stadt Eggenfelden. – Vor allem konnte in Sachsen-Anhalt in große Projekte mit über 130 Millionen Euro investiert werden, insbesondere im ländlichen Raum. Oder in der Uckermark: Investitionen in Höhe von 100 Millionen Euro. Also, die Bauprojekte laufen. Der Hochlauf für den Mittelabfluss ist da. Es liegt nicht nur an der Genehmigung; da gebe ich Ihnen recht.
Herr Bundesminister.
Es geht auch um die bauliche Umsetzung.
Der Kollege Stefan Schwartze, SPD, möchte noch eine Nachfrage stellen. – Aber meine Bitte ist, dass die Nachfragen einen thematischen Bezug zu den Fragen haben.
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Mein Kollege Stein hat ja schon nach dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz gefragt. Eine der darin enthaltenen Maßnahmen ist die Verbesserung der Bahnverbindung Bielefeld–Hannover. Dabei geht es um einen Suchkorridor. Der Planungsdialog dazu hat mit der Bürgerbeteiligung – 3 000 Bürger – Anfang Januar schon begonnen. Gestern hat mir die Bahn noch mal bestätigt, dass für diesen Planungsdialog immer noch kein schriftlicher, umfassender Planungsauftrag vorliegt.
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Wie kann man unter diesen Umständen einen Planungsdialog beginnen, und wie können Bürgerinitiativen überhaupt vernünftig mitberaten, wenn sie nicht mal den Planungsauftrag kennen, Herr Minister?
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Herr Kollege, ich bin ja flexibel beim Springen zwischen Themen; Herr Präsident, das macht mir gar nichts aus. – Dieser Planungsauftrag ist in der „Fulda-Runde“ schon letztes Jahr erteilt worden; somit ist auch dieses Projekt in der Debatte dabei.
Jetzt würde ich gerne dem Kollegen Oliver Luksic das Recht zur nächsten Fragestellung geben.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Scheuer, Europa ist ja eine Rechts- und Wertegemeinschaft. Was wir derzeit an den Grenzen erleben, ist ein Stresstest für den freien Personen- und Warenverkehr. Meine Sorge ist, dass wir aus dem ersten Lockdown nicht gelernt haben. Es gibt nämlich keine gemeinsame Test-, Impf- und vor allem Einreisestrategie. Gerade an der Grenze zu Frankreich muss ich eben erleben, dass Deutschland hier unilateral Entscheidungen fällt. Einen Tag vorher erfahren Tausende Pendler, dass sie einen Test brauchen; der Server für die Einreiseunterlagen funktioniert nicht; Unternehmen bauen Testkapazitäten auf, zu denen man aber nicht gelangt, da es nicht legal ist, über die Grenze zu fahren; und Bus- und Bahnverbindungen werden von einem auf den anderen Tag abgesagt.
Deswegen meine Frage zum Beförderungsverbot – das steht in § 1 der Coronavirus-Schutzverordnung –: Wie kann es denn sein, dass von zwei Menschen, die im gleichen Dorf hinter der Grenze wohnen – der eine ist Deutscher und der andere ist Franzose – und die beide zur ZF nach Saarbrücken müssen, nach Recht und Gesetz der eine Bus und Bahn nutzen darf und der andere nicht? Das Beförderungsverbot gilt nämlich nicht für Deutsche. Ist das eine sinnvolle Regelung, oder ist das nicht auch Gift für den sozialen Frieden und auch Gift für Europa?
Erstens. Wenn der Betrieb als systemrelevant eingestuft wird, können beide fahren.
Zweitens. Die Grenzkontrollen sind ja kein nationaler Alleingang, sondern zehn andere Mitgliedstaaten machen auch Grenzkontrollen.
Drittens. Es gibt drei Gruppen: eine Inzidenz von unter 200, eine Inzidenz von über 200 – dort sind gewisse größere Ausnahmen möglich, vor allem auch für das Transportpersonal –, und die dritte Gruppe, die Mutationsgebiete, stellt uns vor größere Herausforderungen. Es ist völlig klar, dass die Bundesregierung im Grenzgebiet zu Tschechien oder im Grenzgebiet zu Frankreich oder nach Tirol Vorkehrungen auch zum Schutz der heimischen Bevölkerung treffen musste. Ich bin zu diesen Themen mit den Nachbarländern im intensiven Austausch. Es gibt verschiedene Gruppen, eine Taskforce mit Frankreich beispielsweise; mit Italien und Österreich richten wir das jetzt ein. Also, wir sind da im intensiven Austausch zu genau diesen Themen, die Sie völlig zu Recht ansprechen. Wir wollen ja keine Staus oder Ungerechtigkeiten produzieren, sondern wir wollen eine Testinfrastruktur aufbauen, die dieser großen Herausforderung, in der wir uns befinden, Rechnung trägt, aber trotzdem auch für die Grenzregionen eine praktikable Lösung aufzeigen.
Nachfrage, Herr Kollege Luksic?
Also, ich möchte die Situation ganz anders darlegen. Es gab nämlich gerade keine Abstimmung. Die Einreisebestimmungen nach Frankreich sind andere als nach Deutschland; gerade beim kleinen Grenzverkehr ist das anders geregelt. Die französische Seite und auch die Landesregierung im Saarland haben sich massiv beschwert über die sehr kurzfristig getroffenen Aussagen.
Was Sie zu Bus und Bahn gesagt haben, trifft nicht zu, weil Deutsche und Franzosen anders behandelt werden. Ich stelle auch die Frage, ob es denn Sinn macht, dass die Menschen in Fahrgemeinschaften fahren sollen statt mit Bus und Bahn.
Deswegen ist meine Frage, ob die Bundesregierung plant, für den kleinen Grenzverkehr zu anderen Lösungen zu kommen. Und zum Beförderungsverbot in Bus und Bahn: Ist es denn gerecht und sinnvoll, Deutsche anders als Franzosen zu behandeln?
Wir haben im Coronakabinett breit darüber diskutiert, wie wir vor allem in den Grenzregionen – in dem Falle mit Frankreich, Luxemburg –, auch mit Rheinland-Pfalz und Saarland, in einer gemeinsamen Taskforce zusammen Lösungen finden. Die Franzosen und die Luxemburger waren an dieser Stelle immer eingebunden; wir hatten eine breite ministerielle Aufstellung von deutscher Seite, um genau diese Fragen zu klären. Ich habe mich auch mit meinem französischen Kollegen direkt ausgetauscht. Er hat mir auch die strengen Maßnahmen auf französischer Seite dargelegt; im Übrigen gab es an dieser Stelle überhaupt keinen Widerspruch zwischen französischer und deutscher Regierungsseite, weil wir uns diesbezüglich fast mehrfach wöchentlich im Austausch befinden.
Daniela Ludwig, CDU/CSU, möchte eine Nachfrage stellen.
Herr Präsident! Herr Minister, wir waren gerade beim Grenzverkehr, insbesondere zu Tirol; mein Wahlkreis grenzt da an. Ich möchte gern mehr Augenmerk auf ein anderes Thema lenken, das uns bei Weitem schon länger beschäftigt als die aktuellen Grenzkontrollen, nämlich die Blockabfertigungen durch Österreich. Dass es sich hier um einen deutlichen, nach meiner Meinung auch EU-rechtswidrigen Eingriff in den freien Warenverkehr handelt, möchte ich hier in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen. Wir hatten an einem der letzten Montage einen Rückstau von fast 70 Kilometern auf der Autobahn – nur Lkw-Verkehr –, mit allen Konsequenzen für die Verkehre drumherum.
Ich möchte Sie fragen, inwieweit Sie sich hier im Austausch sowohl mit den österreichischen als auch mit den gleichfalls betroffenen italienischen Kollegen befinden und ob es hier sozusagen die Möglichkeit gibt, auch deutlich stärker auf die in meinen Augen verantwortliche EU-Kommission einzuwirken.
Frau Kollegin, letzte Woche hatte ich einen intensiven Austausch mit meinem neuen italienischen Kollegen. Egal welche Parteifarbe der italienische Kollege oder die Kollegin in den letzten Jahren hatte, da besteht Gleichklang mit der deutschen Haltung. Wir haben auch erneut, weil diese Frage ja schon seit Jahren ungelöst ist, ein gemeinsames Schreiben an die EU-Kommission geschickt, mit der Bitte, dort wirklich einzugreifen. Das betrifft eine Magistrale des europäischen Güterverkehrs. Von daher darf es nicht dazu kommen, dass wir die Belastung tragen, die durch Alleingänge der Region Tirol verursacht wird, dass das bayerische Grenzgebiet, das deutsche Grenzgebiet darunter leidet in Form von unglaublichen Rückstaus. Dementsprechend gehen wir ständig auf die österreichische Regierung zu, um hier eine Lösung zu erreichen.
Ich habe letzte Woche auch mit den europäischen Parlamentariern darüber geredet und sie gebeten, noch mal verstärkt auf die Spitze der EU-Kommission zuzugehen und dort sehr stark zu intervenieren und zu sagen: Gerade in den Zeiten von Corona geht das nicht, weil die Lieferketten Gefahr laufen, durch dieses Verhalten allein einer Region unterbrochen zu werden.
Bernd Reuther, FDP, hat eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Kollege Luksic hat die Teststrategie angesprochen; dazu haben Sie auch ausgeführt. Wie gedenkt denn die Bundesregierung mit Reiserückkehrern, mit Grenzpendlern, die einen Impfnachweis vorlegen können, zu verfahren, auch in Bezug zum Beispiel auf die Quarantäne? – Vielen Dank.
Herr Kollege, wir haben ja drei Säulen: Das eine ist die Quarantäne. Das wird immer weniger, wenn wir vorher die Tests haben und wenn mehr Menschen geimpft sind. Also, diese drei Säulen gibt es.
Zum jetzigen Stand: Das Thema Impfen wird größer; also das heißt, die Anzahl der Geimpften nimmt zu. Bei den Tests bekommen wir noch eine zusätzliche Möglichkeit, nämlich die sogenannten Selbsttests. Ich kenne auch die langen Schlangen vor Testzentren im europäischen Ausland; wegen der Entscheidungen muss man ja einen negativen Test vorlegen. Also, es gibt PCR-Tests, Antigenschnelltests und jetzt zusätzlich die Selbsttests. In diesem Zusammenhang läuft gerade die Diskussion: Wie erkenne ich diese Ergebnisse von sogenannten Selbsttests an, beispielsweise fürs Logistikpersonal, fürs Transportpersonal? Darüber sind wir noch in der Diskussion. Ich glaube, wir müssen in Europa eine gemeinsame Strategie verfolgen, nämlich den Notfallpandemieplan, mit den Green Lanes, die wir auf europäischer Ebene beschlossen haben. Ich bin mit den europäischen Kollegen sehr intensiv im Austausch, um genau dem Rechnung zu tragen: nicht in Quarantäne zu müssen, sondern es mit einer Teststrategie zu schaffen, dieses Personal besserzustellen.
Herr Minister, das rote Licht.
Ich weiß, ich weiß.
Als Verkehrsminister müssten Sie wissen, was die rote Ampel bedeutet.
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Die letzte Nachfrage zu diesem Thema stellt der Kollege Dr. Christian Jung, FDP.
Herr Bundesminister, ich habe noch mal eine konkrete Nachfrage. Wir haben in der vergangenen Woche den Innenminister gefragt, wie viele Lkw-Fahrer eigentlich genau zurückgewiesen worden sind. Man konnte uns nur eine allgemeine Zahl der Zurückgewiesenen sagen.
Haben Sie jetzt Erkenntnisse darüber, wie viele Lkw-Fahrer insgesamt zurückgewiesen worden sind? Und gibt es inzwischen genügend Testkapazitäten, dass es auch reibungslos geht? Wir haben beispielsweise in Baden-Württemberg im Zuliefererbereich massive Probleme, weil Teile einfach zu spät ans Band kommen – auch wegen dieser selbstgemachten Probleme.
Herr Präsident, wenn ich mir das erlauben darf: Den Hinweis bezüglich des roten, gelben und grünen Signals haben Sie schon in der letzten Regierungsbefragung, in der ich Auskunft geben durfte, gegeben.
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Aber ich nehme das noch mal zur Kenntnis als Appell.
Herr Kollege Jung, zu den Zahlen: Wir haben seit März 2020 fast wöchentlich mit den Verbänden, mit den Logistikern, mit den Speditionen einen engen Austausch, gestern erst wieder mit den Handelsverbänden und Drogerien, damit ich Kenntnis davon bekomme, welche Probleme es in der Praxis gibt. Es wurde mir rückgemeldet: Es gibt kein Problem.
Die Unternehmen haben sich auf die Testsituation eingestellt – natürlich mit einem gewissen Vorlauf. Nachdem es montags in Kraft getreten war, hat es bis mittwochs gedauert, bis die Unternehmen infrastrukturell so weit aufgestellt waren. Ich habe keine Erkenntnis darüber, dass es da zu stärkeren Problemen kommt. Wir sind da in intensivem Austausch und werden fast wöchentlich nachfragen. Ich habe auch keine Rückmeldungen, dass Lieferketten unterbrochen wurden.
Jetzt stellt die nächste Frage der Kollege Björn Simon, CDU/CSU.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, das gesamte Passagieraufkommen im Luftverkehr liegt aktuell bei circa 8 Prozent des Passagieraufkommens des Vorkrisenjahres 2019. Direkt betroffen sind natürlich zum einen die Luftverkehrsgesellschaften, aber ebenso die Flughäfen in unserem Land.
Wer mal vor Ort war, kennt es: leere Terminals, geschlossener Einzelhandel, und die wenigen Läden, die öffnen, haben aufgrund des ausbleibenden Passagierverkehrs kaum Kundschaft. Dabei ist der Einzelhandel eine der Haupteinnahmequellen der Flughäfen. Flughäfen sind ja auch regionale Wirtschaftsfaktoren. Das heißt, nicht nur Arbeitsplätze direkt am Flughafen sind gefährdet, sondern auch Arbeitsplätze in der gesamten Region. Können Sie einen aktuellen Sachstand bezüglich der Umsetzung des Maßnahmenpakets für deutsche Flughäfen geben, sowohl im Hinblick auf die großen Verkehrsflughäfen in unserem Land als auch bezogen auf die Regionalflughäfen, die ebenso eine wirtschaftliche Bedeutung für die jeweilige Region und unser Land haben? – Vielen Dank.
Herr Kollege, wir müssen Infrastruktur erhalten. Deswegen habe ich im Herbst einen Luftverkehrsgipfel mit dem Schwerpunkt Flughäfen gemacht. Bis dahin war keine Hilfe für die Flughäfen möglich. In Zusammenarbeit mit dem BMF haben wir es jetzt geschafft, ein wirklich gutes Paket aufzustellen. Auch die Verkehrsministerkonferenz und die Finanzministerkonferenz haben dabei mitgeholfen. Das heißt: Der Bund unterstützt die Flughäfen, an denen er als Gesellschafter beteiligt ist, 2020 und 2021 mit 400 Millionen Euro. Darüber hinaus haben wir uns entschlossen, noch mal 200 Millionen Euro an Kostenerstattung für die Flughäfen bereitzustellen, deren Offenhalten im verkehrspolitischen Interesse des Bundes liegt. Zudem können wir die kleinen Flughäfen, auch auf Ihre Initiative hin, mit 20 Millionen Euro unterstützen. Das heißt: Strukturerhalt, das ist die Maxime, gerade bei einem Einbrechen der Verkehrsleistung um etwa 90 Prozent. Das ist unsere Aufgabe als Verkehrspolitiker.
Nachfrage, Herr Kollege Simon?
Ja. – Ein Baustein für die Flugsicherungsinfrastruktur, auch für die Zeit nach Corona, ist die Deutsche Flugsicherung, DFS. Hier gab es natürlich auch entsprechende Einnahmeeinbußen, sage ich mal, durch fehlenden Luftverkehr. Es stehen auch schon Kündigungen von Fluglotsen auf dem Plan. Das heißt: Auch die DFS leidet finanziell unter Corona.
Ohne Flugsicherung kein Luftverkehr – das heißt: Selbst wenn wir aus der Krise herauskommen, wird es, wenn die Flugsicherung nicht arbeiten kann, keinen Luftverkehr geben. Was plant die Bundesregierung, damit die DFS zukunftssicher durch diese Krise kommt?
Herr Kollege, wir haben ein ganzes Paket für die Flughäfen geschnürt. Ich sage bewusst, dass die ganze Luftverkehrswirtschaft arg gebeutelt ist: von den Flugzeugbauern über die Airlines und die Flughäfen bis hin zur Flugsicherung und den Läden an den Flughäfen, die Sie ja angesprochen haben. Das betrifft aber auch die Bodenabfertigungsdienste. Wir müssen Arbeitsplätze erhalten. Wir müssen Struktur erhalten. Deswegen haben wir für die Deutsche Flugsicherung eine Eigenkapitalunterstützung von einmalig 300 Millionen Euro gegeben, das heißt: eine wirkliche Stärkung des deutschen Luftverkehrs, weil wir nach Corona natürlich mit der Freiheit der Mobilität auch die Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger aufrechterhalten wollen, mit allen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein, in dem Fall mit dem Flugzeug.
Jetzt habe ich drei Nachfragen von Bündnis 90/Die Grünen: zunächst Daniela Wagner, dann Dr. Julia Verlinden.
Danke, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, ich habe eine Frage zu Ihrem Rettungspaket für die Flughäfen und zur Maxime des Strukturerhalts. Uns ist natürlich schon klar, dass die Luftverkehrswirtschaft in exorbitanter Weise von der Coronakrise betroffen ist. Sie haben in Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage schon mitgeteilt, welche Maßnahmen Sie vorhaben. Was wir allerdings nicht verstehen – das hätte ich gern von Ihnen gewusst –, ist, warum Sie in diesem Zusammenhang nicht die einmalige Gelegenheit beim Schopf gepackt und mit den begünstigten Luftverkehrsgesellschaften bzw. in diesem Fall konkret mit den Flughafengesellschaften – über die reden wir ja jetzt – verbindliche Vereinbarungen zu Klima, Lärm und Luftschadstoffen getroffen haben für die Zeit nach der Krise, was ja hoffentlich bald der Fall sein wird.
Frau Kollegin, das ist ja eine andere Diskussion, die wir parallel führen, nämlich über den Beitrag der Luftverkehrswirtschaft zu den Klimazielen. Das ist ja nicht nur ein nationales Thema, sondern, wie Sie wissen, vor allem europäisch. Man muss auch dazusagen, dass die Luftverkehrswirtschaft schon in den Emissionshandel miteingebunden ist und insbesondere da schon ihren Beitrag leistet. Aber Sie haben recht: Auch dieser Wirtschaftszweig muss einen Beitrag leisten.
Ich sage noch mal zum Flughafenpaket: Die Maxime ist, keinen auf dieser Wegstrecke zu verlieren, auch nicht die für unsere Wirtschaft so wichtigen Teile, die den Luftverkehr betreffen. Die Luftverkehrswirtschaft ist wichtig für Standorte in ganz Deutschland. Die Dezentralität muss erhalten bleiben. Ich weiß, das fordert Fragen bei Ihrer Fraktion heraus. Aber ich kann Ihnen sagen: Wir bauen als Verkehrsministerium nicht Infrastruktur ab, sondern wir wollen Infrastruktur erhalten, weil es um die Wirtschaftskraft unseres Landes geht. Das geht nicht nur über die großen Flughäfen, sondern vor allem über die kleineren oder die Regionalflughäfen, die einen unglaublichen wirtschaftlichen Hebel für eine Region darstellen.
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Frau Dr. Verlinden.
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– Wir sind bei Nachfragen.
Ja, genau, zur Flugsicherung, wenn ich darf. Die war ja gerade Thema.
Ja, ja. – Ich habe nur Frau Wagner erklärt, dass sie nur eine Frage hat.
Die Flugsicherung hat ja auch eine Relevanz bei der Frage des Ausbaus der Windenergie. Im Augenblick blockiert die Flugsicherung Windenergieanlagen mit einer Leistung von 1 500 Megawatt, weil Sie weiterhin daran festhalten, dass der Abstand zu Drehfunkfeuern 15 Kilometer betragen soll, obwohl der internationale Standard dafür nur maximal 10 Kilometer vorsieht.
Frau Kollegin, was hat das jetzt mit Flughäfen zu tun?
Das erkläre ich ja gerade.
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Ah ja, gut. Ich wollte Sie nicht unterbrechen, aber wenn Sie es noch erklären könnten.
Ja. – Die Drehfunkfeuer sichern zum Beispiel den Flugraum bei den Flughäfen. Diese Drehfunkfeuer werden von Ihnen sozusagen als Ausrede benutzt, dass keine Windenergieanlagen errichtet werden können. Herr Altmaier hatte schon vor anderthalb Jahren in einem Energieausbauplan mit Ihnen sozusagen als Hausaufgabe verabredet,
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dass neue Flächenpotenziale erschlossen werden sollen – ich zitiere wörtlich – „durch Reduzierung des Anlagenschutzbereichs von Drehfunkfeuern“. Als federführend wird Ihr Ministerium genannt, Herr Minister, und es war geplant, dass die Umsetzung im letzten Jahr abgeschlossen sein sollte. Inzwischen haben wir März, und ich frage mich: Liegt es jetzt an Ihrem Ministerium oder am Ministerium von Herrn Altmaier, dass wir da noch keinen einzigen Schritt vorangekommen sind?
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Darüber stehe ich vor allem mit den Ministerpräsidenten der norddeutschen Bundesländer in einem sehr intensiven Austausch. Wir haben schon vieles erleichtert. Der Prozess ist auch abgeschlossen. Aber trotzdem wird doch keiner in Deutschland wollen, dass wir eine Sicherheitsdebatte bekommen. Das muss ordentlich austariert sein. Wir wollen den Ausbau von regenerativen Energien; aber natürlich gibt es auch das Sicherheitsinteresse des Luft- bzw. Flugverkehrs. Das muss ich schon mal sagen: Ein Ausbau der regenerativen Energien darf zu keiner Reduzierung unserer Sicherheitsarchitektur führen.
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Jetzt habe ich noch Nachfragen vom Kollegen Stefan Gelbhaar, Bündnis 90/Die Grünen, und vom Kollegen Jörg Cezanne, Die Linke, und dann kommen wir zur nächsten regulären Frage des Kollegen Perli, Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte eine Frage zum BER stellen in dem Kontext „Flughafen und Erhalt der Infrastrukturen“. Wir wissen alle um die prekäre Situation des Flughafens, teils coronabedingt, teils noch vom Vorlauf. Deswegen konkret die Frage an Sie, Herr Verkehrsminister: Welches Szenario oder welche Szenarien bereiten Sie im Bundesverkehrsministerium vor, um den Flughafen wahlweise entweder zu entschulden, teilzuverkaufen, zu privatisieren oder mit einer Sonderabgabe ebendiese finanziellen Lasten irgendwie zu strukturieren? Was ist da in Ihrem Instrumentenkasten vorgesehen, und wie sehen Sie den Verlauf der Dinge?
Herr Kollege Gelbhaar, da ist ja der Bund nicht alleine beteiligt, wie Sie wissen. Deswegen diskutieren wir intensiv auf der Grundlage von Wirtschaftsplänen und Szenarien auch zusammen mit den anderen Verantwortlichen in der Bundesregierung und den anderen Gesellschaftern darüber, wie die zukünftige Aufstellung des BER ist. Das ist noch nicht abgeschlossen. Wenn wir infolge dieser Diskussion im Frühjahr einen Ausblick nach Corona haben, dann werden wir auch sicherlich im Ausschuss darüber diskutieren.
Herr Kollege Cezanne.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gesagt, dass ein Ziel des Flughafenpakets auch die Beschäftigungssicherung für die Menschen ist, die bei diesen Flughäfen angestellt sind und dort ihren Lebensunterhalt verdienen. Warum haben Sie dann sowohl bei diesem Flughafenpaket als auch bei den Mitteln für die Lufthansa darauf verzichtet, die Mittelgewährung an klare Zusagen zur Beschäftigungssicherung zu binden? Ist das nicht besonders unverständlich, wenn man bedenkt, dass von den 14 Regionalflughäfen – Sie kennen das – 12 sowieso defizitär sind und da eigentlich auch noch eine, sage ich mal, deutliche Überarbeitung des Flughafenkonzepts der Bundesregierung ansteht? – Danke.
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Herr Kollege Cezanne, weil ich den zweiten Teil der Frage nicht ganz verstanden habe: Was meinen Sie mit „überarbeiten“? Dass wir Flughäfen rausnehmen? Nur, dass ich das verstehe.
Schön, dass ich noch ein bisschen reden kann. – Also: Bei 12 defizitären Flughäfen von 14 Flughäfen, die keine oder eine geringe verkehrliche Bedeutung haben, muss man sich ja die Frage stellen, wofür man die eigentlich braucht. Diese dann zu bezuschussen, ohne wenigstens Beschäftigungszusagen zu erbitten, ist schlecht.
Deswegen habe ich ja nachgefragt, Herr Kollege, wenn ich mich auf die Flughäfen konzentriere: Auf der einen Seite fragen Sie, warum wir die Hilfen für die Airlines nicht an Verpflichtungen der Lufthansa geknüpft haben, und auf der anderen Seite wollen Sie – so verstehe ich das – kleinere Flughäfen schließen. Da arbeiten aber auch Menschen. Das steht für mich in einem Widerspruch.
Ich sage mal so: Wir wollen zum einen die Flughafeninfrastruktur in Deutschland und die Arbeitsplätze an den Flughäfen weiterhin erhalten. Wir sind zweitens natürlich auch mit den Airlines in Kontakt über Sozialstandards. Auch da wird es eine deutsch-französische Initiative geben; auch die Österreicher haben da eine Initiative gegen Dumpinglöhne und für bessere Sozialstandards. Diese Initiative werden wir auf europäischer Ebene starten.
Und natürlich sind wir mit der Lufthansa im Gespräch darüber, wie es nach Corona weitergeht. Bei einem Einbruch um 90 Prozent, bei einem solchen Minus muss man allerdings sagen: Dass wir da auch Diskussionen über Arbeitsplätze erleben werden, ist relativ logisch. Trotzdem: Wir wollen, dass wir in der Bundesregierung eine Lösung hinbekommen, um den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Perspektive nach Corona zu geben, und werden alles dafür tun, dass diese Arbeitsplätze erhalten bleiben.
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Ich hatte schon angekündigt, dass die nächste Frage der Kollege Victor Perli stellt, und bei meinen Ankündigungen möchte ich gerne bleiben.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Pleiten, Pannen und Skandale: Herr Minister, Ihre Bilanz als Verkehrsminister ist desaströs. Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage im Auftrag des „Spiegel“ sagen 85 Prozent der Befragten, dass sie mit Ihrer Arbeit unzufrieden sind; 78 Prozent sind sogar sehr unzufrieden. Wir erinnern uns natürlich an den Pkw-Mautskandal, wo jetzt ein Schadensersatz von über einer halben Milliarde Euro droht. Wir erleben, dass die Beraterkosten bei Ihnen im Haus explodieren. Wir wissen, dass Deutschland nach wie vor ein Land der Funklöcher ist. Jetzt fragen sich Millionen Menschen hier im Land: Warum hält der Herr Scheuer eigentlich an seinem Amt fest? Deshalb stelle ich Ihnen diese Frage, Herr Scheuer: Warum halten Sie an Ihrem Amt fest? Warum treten Sie nicht zurück?
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Herr Kollege Perli, ich komme zu einer anderen Leistungsbilanz, nämlich einer positiven.
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Da werden wir aber nie zusammenkommen.
Ich verstehe auch gar nicht, warum Sie immer die Zahlen der Gegenseite zum Schaden des Bundes in Bezug auf die Pkw-Maut zitieren. Sie sind ja hier Abgeordneter und nicht Vertreter der Betreiberseite.
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Drittens arbeiten wir dafür, dass Deutschland mobil bleibt, besser digitalisiert wird und dass wir für die Nach-Corona-Zeit ein umfassendes Konzept haben. Dafür arbeiten wir jeden Tag.
Aber die Bemerkung oder die Frage zu „im Amt bleiben“ oder „nicht im Amt sein“ ist, glaube ich, hier von Ihnen nicht inhaltlich gemeint. Vielleicht sollten wir uns auf die inhaltlichen Fragen konzentrieren.
Trotzdem darf der Kollege eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank. – Herr Scheuer, wenn Sie schon auf die eigentliche Frage nicht antworten wollen, stelle ich eine zweite. Sie haben hier im Haus einen Amtseid geschworen. Darin haben Sie gesagt, dass Sie Schaden vom Land abwenden wollen, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen wollen, Ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen werden. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist der Auffassung, dass die Pleiten, Pannen und Skandale nicht vereinbar sind mit diesem Amtseid, den Sie geschworen haben.
Das, was jetzt, wie ich eben gesagt habe, an Schadensersatz droht, ist natürlich die Drohung der Gegenseite; aber es ist im Moment das, was im Feuer steht. Sie haben in einem Vertrag, einem geheim ausgehandelten Vertrag, der Gegenseite zugesichert, im Fall der Nichteinführung der Pkw-Maut ihr für zwölf Jahre die Gewinne quasi zu garantieren. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist nicht der Meinung, dass das mit dem Amtseid zu vereinbaren ist. Deswegen frage ich Sie: Was sagen Sie denn den Menschen, die der Auffassung sind, dass dieses Verhalten die Glaubwürdigkeit der Politik beschädigt, dass das so nicht sein darf und dass so jemand auch Konsequenzen ziehen muss? Was sagen Sie diesen Menschen?
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Herr Kollege Perli, da Sie ja selber die Eidesformel noch mal ablesen mussten: Ich bin mir der Eidesformel sehr bewusst
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und werde jeden Tag – und das habe ich in meiner Amtszeit immer bewiesen – diese Eidesformel umsetzen und wahren.
Jetzt können wir diese Diskussion intensiver führen.
Sie müssen nicht.
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Ich bin aber auch bereit dafür. – Wie Sie wissen, haben wir darüber schon sehr, sehr intensiv diskutiert. Wir beide werden an dieser Stelle aber nie zusammenkommen.
Ich sage Ihnen: Ich schaue sehr, sehr konzentriert in die Zukunft, was die Projekte des Bundesverkehrsministeriums betrifft, auch die für die digitale Infrastruktur, und mir macht es sehr, sehr viel Freude, diesen Amtseid jeden Tag umzusetzen.
Vielen Dank. – Der Kollege Dr. Christian Jung, FDP, hat noch eine Nachfrage.
Herr Bundesminister, Sie sind ja heute wieder exzellent auf alle Fragen vorbereitet. Deswegen hätte ich eine Nachfrage dazu.
Es soll eine Nachfrage sein.
Ja, es ist eine Nachfrage.
Ich weiß zwar nicht, was man da für eine Nachfrage stellen kann, aber ich bin ganz gespannt.
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Genau. – Es ging ja unter anderem um die Arbeit des Herrn Bundesminister Scheuer. Deswegen meine Frage auch als Obmann des PUA, des Untersuchungsausschusses: Hat jetzt der Termin mit dem vom Untersuchungsausschuss eingesetzten Ermittlungsbeauftragten endlich stattgefunden, oder für wann ist dieser vereinbart? Und wenn der Termin immer noch nicht stattgefunden haben sollte: Was hindert Sie daran?
Herr Kollege Jung, Ihre Nachfrage hat ja eigentlich ganz gut begonnen.
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Aber inhaltlich sage ich Ihnen: Nachdem vor allem die FDP an dieser Stelle beim BGH einen juristischen Weg beschritten hat, will ich dieses Verfahren abwarten –
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das habe ich Ihnen auch im Untersuchungsausschuss so gesagt –, und dann werden wir über das Ergebnis sicherlich noch mal diskutieren.
Danke sehr. – Die nächste reguläre Frage stellt der Kollege Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.
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Ja, das wundert mich auch: Das Urteil ist abgeschlossen, dann könnte die Zusammenarbeit eigentlich weitergehen. Komisch, dass sie nicht weitergeht. Aber das machen wir im Untersuchungsausschuss; das frage ich hier nicht.
Ich würde zu Ihrer eben vorgetragenen selbstlobenden Leistungsbilanz gerne eine Frage stellen. Der Deutsche Bundestag hat 2017 eine Autobahngesellschaft gegründet. Im Beschluss über diese Autobahngesellschaft steht drin, dass die Betriebskosten mit jährlich 632 Millionen Euro beziffert werden. Jetzt, vier Jahre später, im Jahr 2021, finden wir im Haushalt die Zahl von 1,76 Milliarden Euro Betriebskosten. Das ist fast eine Verdreifachung. Ich würde Sie, Herr Bundesminister, bitten, mir zu erläutern, wie innerhalb von nur vier Jahren eine Verdreifachung der Betriebskosten entstehen konnte, was da wohl schiefgelaufen ist.
Herr Kollege Krischer, es ist nichts schiefgelaufen. Erst einmal ist der Betriebsstart der Autobahn GmbH zum 1. Januar 2021 umgesetzt worden, und zwar so, wie das Gesetz in der letzten Legislaturperiode den Auftrag gegeben hat. Wir haben damit die größte Reform in der Geschichte der Autobahn umgesetzt. 10 500 Mitarbeiter sind zum Bund gekommen. Wir haben beispielsweise mit einer Fehlerquote von gerade mal 0,1 Prozent die Löhne pünktlich ausgezahlt. Wir haben die IT-Systeme reformiert. Wir haben es so an den Start gebracht, dass wir auch das Schneechaos in den letzten Wochen mit der Expertise von über 10 000 Mitarbeitern gut meistern konnten. Ich bin stolz darauf.
Ich war auch bei der Autobahnmeisterei Michendorf, habe mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geredet. Die haben mir auf meine wiederholte Nachfrage: „Gibt es Kritik an der Reform?“, gesagt: Nein, die gibt es nicht. Wir sind sehr glücklich, beim Bund zu sein.
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Sie wundern sich jedoch über manche Berichterstattungen.
Zum Haushaltstitel: Sie wissen ja genauso wie ich – aber das will ich noch mal unterstreichen –, dass die Verwaltungskosten, die dort ausgewiesen sind, mehr umfassen als die Betriebskosten. Da sind ja Planungen drin, da ist die Umsetzung drin, da ist IT drin. Da ist alles zusammengefasst. Ich gebe zu – wie im Haushaltsausschuss dargestellt –, dass dieser Posten besser aufgeschlüsselt werden muss. Dann hätten sich diese Fragen von Ihnen erübrigt.
Ihre Nachfrage, Herr Kollege Krischer, und dann der Kollege Kindler.
Herzlichen Dank für die Erläuterungen, Herr Minister, die aber am Ende keine Antwort auf meine Frage waren.
Ich gehe ja davon aus, dass 2017 Ihr Vorgänger – ich glaube, der hieß Dobrindt – an der Stelle da keinen Unsinn reingeschrieben hat, sondern genauso hochseriös wie Sie gearbeitet hat, also die Summe von 632 Millionen Euro eine substanziell kalkulierte Zahl war. Deshalb möchte ich von Ihnen jetzt zumindest näherungsweise hören, wie fast eine Verdreifachung der Betriebskosten in nur vier Jahren zustande kommt.
Es ist ja keine Verdreifachung der Betriebskosten, sondern es handelt sich um einen anderen Titelansatz, bei dem mehr in diesem Titel drin ist.
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Zum Beispiel hat es diese Koalition im parlamentarischen Verfahren geschafft, für die Autobahn GmbH im Haushalt 2021 noch mal ordentlich was draufzugeben, damit ordentlich in Deutschland geplant werden kann, genehmigt werden kann und dann auch investiert werden kann; denn rund 15 Prozent von Straßeninvestitionsmitteln in Höhe von 1 Milliarde Euro
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entfallen auf die Vorbereitung der Investitionen, also auf die Dinge vor dem ersten Spatenstich. Genau das ist in den Titeln drin, und das ist die Erklärung für den Ansatz. Sie vergleichen gerade, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen, Äpfel mit Birnen.
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Wir können Ihnen aber gerne noch mal die Aufstellung geben, wie genau der Titel für die Autobahn GmbH strukturiert ist.
Ich sage: Das Haushaltsverfahren 2021 war sehr hilfreich. Da bedanke ich mich noch mal herzlich bei den Verkehrspolitikern und Haushaltspolitikern der Koalition.
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Der Kollege Sven-Christian Kindler hat eine Nachfrage.
Herr Scheuer, man muss trotzdem feststellen: Auf die Frage zur großen Kostenexplosion bei den Betriebskosten haben Sie immer noch keine richtige Antwort geliefert; das wollen Sie anscheinend auch nicht. Sie können die Kostenexplosion nicht damit erklären, dass Sie zum Teil Planungsleistungen miteingerechnet haben. Es gibt vielmehr eine massive Kostenexplosion bei der Autobahn GmbH.
Unter anderem haben Sie ja auch versprochen – das war damals der Gesetzesauftrag –, dass die Reform zum 1. Januar 2021 abgeschlossen ist. Das ist nicht der Fall. Sie haben weitere IT-Vereinbarungen, unter anderem mit den Ländern, geschlossen, die mindestens noch bis Ende 2023 laufen. Können Sie erklären, warum Sie es nicht geschafft haben, das wenigstens im Zeitrahmen abzuschließen, wenn Sie schon den Kostenrahmen nicht eingehalten haben?
Ein zweiter wichtiger Punkt war ja auch, dass Sie auf Teufel komm raus versucht haben, die DEGES in die Autobahn GmbH zu integrieren. Jetzt haben der Bundesrechnungshof und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sehr klar gesagt, dass es verfassungsrechtlich nicht so möglich ist, wie Sie es planen. Sie haben das auf Eis gelegt, aber halten bisher weiter offiziell an einer Integration zu einem späteren Zeitpunkt fest. Ist das weiter Ihre Meinung? Oder wollen Sie jetzt endlich dafür sorgen, dass hier Verfassungsrecht gilt, und sich an Recht und Gesetz halten, wo Sie es schon in anderen Fällen nicht gemacht haben?
Diese letzte Bemerkung weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.
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Die Reform ist 2016/2017 gestartet, als man nicht gewusst hat, dass es 1 500 verschiedene IT-Systeme in den Bundesländern gibt. Die Reform der IT-Systeme ist dann im weiteren Verfahren angegangen worden. Das wissen Sie sehr gut, weil Sie ja als Haushälter im Ausschuss intensiv Fragenkataloge eingereicht haben.
Es sind 4 500 Bauprojekte von den Ländern an die Autobahn GmbH übergegangen. Wir haben allein 136 Autobahnprojekte mit der DEGES. Wir wollten natürlich die DEGES schneller und sofort integrieren. Das ist dann in dem Verfahren auch angesichts der Auffassung des Bundesrechnungshofes nicht gegangen. Wir werden aber sehr intensiv kooperieren, weil wir die Expertise der DEGES brauchen. Die Projekte in Zusammenarbeit zwischen Autobahn GmbH und DEGES laufen äußerst gut. Wir wollen die Verfassungsvorgaben natürlich einhalten. Die juristischen Gutachten dazu sind erstellt. Wir haben intensiv auch mit dem BMF und in der Koalition darüber geredet; das wissen Sie ganz genau.
Ich bin stolz darauf, dass über 10 500 Leute mit einem guten Tarifvertrag zum Bund gewechselt sind und diese Reform gut angelaufen ist. Sie ist nicht abgeschlossen, aber die GmbH ist sehr gut zum 1. Januar 2021 an den Start gegangen. Alle Kritik aus dem Herbst kann ich nicht nachvollziehen; denn es ist gut geworden.
Wolfgang Wiehle, AfD, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Scheuer, jetzt, Anfang Februar, anlässlich des Wintereinbruchs, sind bei der Deutschen Bahn wichtige Bahnstrecken im Fernverkehr gesperrt worden, und zwar für länger. Über mehrere Tage wurde der Schnee nicht geräumt. Es sind viele Fernzüge ausgefallen, es sind auch Regionalzüge ausgefallen, Güterzüge von ganz unterschiedlichen Eisenbahnunternehmen tagelang stehen geblieben, zum Teil auch mit medizinischen Gütern. Hintergrund ist ganz offensichtlich die sogenannte neue Schneestrategie der Deutschen Bahn. Die besteht laut Presseberichten schon seit etwa zwei Jahren. Es besteht jetzt der Verdacht, dass die Bahn hier betriebswirtschaftlich optimiert hat, aber volkswirtschaftlich Schäden in Kauf genommen hat.
Meine Frage, sehr geehrter Herr Minister: In welcher Form haben Ihr Ministerium oder nachgeordnete Behörden schon vor dem Wintereinbruch diese neue Schneestrategie der Deutschen Bahn unter die Lupe genommen?
Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. – Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Schönen guten Tag, Herr Minister! Sie sind jetzt dran.
Frau Präsidentin! Herr Kollege, als die ersten Meldungen vom Deutschen Wetterdienst kamen, haben wir sofort Lagerunden mit der Autobahn GmbH und der Deutschen Bahn einberufen. Wir haben uns intensiv über die Prognosen ausgetauscht. Auch alle weiteren Schritte wurden mit uns abgestimmt. Es gab Schneemassen, auch in Regionen Deutschlands, die solche Schneemassen normalerweise nicht zu bewältigen haben. Natürlich kam es zu Einschränkungen. Mir wurden alleine 15 aktuelle Lageberichte der Deutschen Bahn vorgelegt, in denen alle betroffenen Strecken aufgelistet wurden.
Im Übrigen muss man sagen, dass der Deutsche Wetterdienst ein Flaggschiff bei der Erstellung von Prognosen ist, weltweit einzigartig. Es herrscht ein hoher Grad an Digitalisierung. Deshalb wurde beschlossen, in Bonn das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage mit 150 internationalen Topwissenschaftlern einzurichten.
Ja, es gab Einschränkungen. Sie waren mit dem Haus abgestimmt. Wir werden die Situation aufarbeiten. Aber ich sage auch: Als Mitbewerber, als Verband im Nachgang zu behaupten: „Wir hätten es anders gemacht“, das kann jeder, das ist einfach.
Danke schön. – Herr Wiehle, Sie haben eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Scheuer, wenn ich Ihre Antwort richtig verstehe, dann sprechen Sie vom operativen Handeln in den Tagen des Wintereinbruchs. Deute ich Ihre Antwort richtig, dass es vorher auf Papierbasis noch keine Befassung mit der neuen Schneestrategie gegeben hat, obwohl erkennbar gewesen wäre, dass diese dazu führt, dass es längere Ausfälle auf wichtigen Strecken geben kann?
Bei diesen Strategien, ob Schnee oder anderes betreffend, ist bei den Ausarbeitungen unter anderem die Bundesnetzagentur zuständig, vor allem aber das EBA. Natürlich wird das besprochen. Herr Kollege Wiehle. Es waren viele Hunderte von Mitarbeitern draußen vor Ort. Einer hat bei einer Schalte gesagt: Wir nehmen fast jede entscheidende Weiche unter Manndeckung, weil die Weichenheizungen nicht mehr ausreichen. – Vom Ablauf her kam erst Eis, dann Schnee, sodass die Weichenheizungen nicht mehr ausgereicht haben. Natürlich gibt es auch vergleichbare Erfahrungen auf europäischer und internationaler Ebene.
Den erstellten Plan gehen wir mit den nachgelagerten Behörden und auch mit der Bahn selbstverständlich durch. Aber, wie gesagt, im Nachgang einer solchen Wetterkapriole – ich sage es mal auf gut Bayerisch – „gscheiter“ zu sein, das ist leicht. Wir waren mit den Prognosen des Deutschen Wetterdienstes sehr weit vorne dran. Wir haben uns intensiv ausgetauscht, und zwar schon Tage vor dem Schneechaos.
Danke schön, Herr Minister. – Dann hat eine Nachfrage Dr. Kraft.
Vielen Dank. – Herr Minister, meine Frage bezieht sich auf das Thema Bahn und auf das Thema, das Sie vorhin angesprochen haben, nämlich die europäische Magistrale von Nord nach Süd Richtung Italien und den Zulauf zum Brennerbasistunnel. Die Österreicher haben einen Zeitplan, den sie ziemlich genau einhalten werden. Die Frage an Sie ist: Wie viele Jahre nach den Österreichern wird der deutsche Teil der Zulaufstrecke in Bayern realisiert, und – Sie kommen wie ich aus Bayern – was können Sie den Leuten vor Ort in Rosenheim diesbezüglich anbieten?
Herr Minister.
Herr Kollege Kraft, Sie sind nicht ganz aktuell informiert. Es gibt gerade eine große Zeitverzögerung im Zeitplan auf österreichischer Seite von mehr als sieben Jahren, weil bei einem Tunnelabschnitt einer Firma gekündigt wurde und der Auftrag neu ausgeschrieben werden muss. Das heißt, mit dem Zeitplan ist die österreichische Seite schwer in Verzug.
Wir haben auf deutscher Seite mit Blick auf das Inntal die Planungssituation, dass die Bahn fünf Varianten für Grobtrassen vorgelegt hat. Das Verfahren lag bisher beim Freistaat Bayern. Jetzt wird eine Trasse festgelegt. Ich habe schon immer gesagt – bei meinen Besuchen während meiner Amtszeit; aber auch als Staatssekretär habe ich schon vor Jahren den Planungsdialog in Rosenheim gestartet –: Wir brauchen eine bürgerfreundliche, im Sinne der Region und im Sinne der Klimaziele gewählte Trasse; das bleibt auch so.
Wir haben freie Kapazitäten auf der Bestandsstrecke. Diese nutzen wir, bis der Brennertunnel an den Start geht; was aber mit der bereits erwähnten Verzögerung geschieht. Parallel dazu diskutieren wir über die Neubaustrecke, und die soll – das ist mein Ziel – alle Topografien ausnutzen und vor allem bürger- und klimafreundlich sein.
Vielen Dank. – Es gibt noch zwei Rückfragen, die ich zulasse. Die erste Rückfrage kommt vom Kollegen Herbst von der FDP.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zur Deutschen Bahn AG. In Ihrer Amtszeit hat die Deutsche Bahn AG Rekordschulden angehäuft. Das hat natürlich mit der Coronapandemie zu tun, aber nur teilweise. Sie als Bundesregierung und auch die Deutsche Bahn selbst haben seit letztem Sommer Gespräche mit der EU-Kommission über eine Eigenkapitalhilfe von bis zu 5 Milliarden Euro geführt. Die Deutsche Bahn AG lehnt die Wettbewerbsauflagen der EU-Kommission offenbar ab. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, bis zu welchem Zeitpunkt Sie sich die Verweigerungshaltung der Deutschen Bahn noch anschauen und damit riskieren, dass die Haftungsrisiken für die deutschen Steuerzahler immer weiter zunehmen.
Nein, Herr Kollege Herbst, Ihr Wissensstand ist nicht korrekt. Es gibt ein informelles Verfahren mit der EU-Kommission. Ich selber habe in sehr kollegialer Weise Gespräche mit der Vizepräsidentin und Kommissarin Frau Vestager geführt. Jedem ist klar, dass die EU-Kommission nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Mitgliedstaaten die Rettungspakete mit finalisieren muss. Natürlich diskutieren wir aktuell sehr intensiv über die Anliegen der Kommission, Stichwort „Auflagen“. Die Bahn ist bei den Gesprächen immer dabei und konstruktiv eingebunden. Von daher kann ich diese Aussage von Ihnen nicht bestätigen.
Vielen Dank. – Eigentlich waren wir gerade beim Thema Winter angelangt. Diese Nachfrage jetzt war sehr um die Ecke gestellt. – Herr Uhl, Sie stellen die letzte Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, wir sind beim Thema Bahn. 2021 ist das Europäische Jahr der Schiene. Wir haben in der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung einen gemeinsamen Beschluss getroffen, dass wir die Bahnverbindung Paris–Berlin ausbauen wollen. Was sind auf deutscher Seite die nächsten Schritte, die in Ihrem Verantwortungsbereich hierzu angegangen werden, und wann ist damit zu rechnen, dass wir eine signifikante Beschleunigung auf dieser Verbindung bekommen?
Ich bin dankbar, dass Sie ansprechen, wie grenzüberschreitend unser Konzept für eine europäische Bahn ist, auch mit dem Trans Europ Express 2.0, den mein Staatssekretär und Bahnbeauftragter der Bundesregierung stark gepusht hat. Wir haben das Konzept im September des letzten Jahres vorgestellt und schon im Dezember die ersten Strecken festgelegt, auch was die Nachtzüge betrifft.
Der Ausbau der Bahnstrecke Berlin–Paris wird mit der Planung und dem Bau von Strecken in verschiedenen Bedarfsplanvorhaben bereits umgesetzt. Dies gilt vorrangig für die Strecken Hannover–Köln und Erfurt–Frankfurt/Main–Saarbrücken. Diese Verbindungen können zukünftig mit Zügen mit einer maximalen Geschwindigkeit von 300 km/h befahren werden. Es gibt noch viele Versatzstücke und kleinere Teile auf diesen grenzüberschreitenden Strecken, mit denen wir – auf Ihre Initiative hin – die deutsch-französische Infrastruktur verbessern wollen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Bürgerinnen und Bürger! Wieder sitzen die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und ‑chefs der Länder hinter verschlossenen Türen am Bildschirm und beraten beim Coronagipfel über die weiteren Maßnahmen des Lockdowns. Wieder verfolgen Millionen von Menschen, aber vor allen Dingen Zigtausend betroffene Unternehmerinnen und Unternehmer des mittelständischen Einzelhandels, der Gastronomie, der Hotellerie, der Veranstaltungswirtschaft dieses Gipfeltreffen mit bangem Hoffen.
Hat nicht jüngst das Robert-Koch-Institut das bestätigt, was dem FDP-Sieben-Stufen-Öffnungsplan zugrunde liegt? Die Infektionsrisiken im Einzelhandel, so das RKI, sind niedrig. Das Infektionsrisiko in den Hotels ist niedrig, selbst in der Gastronomie ist das Infektionsrisiko nur moderat – so das Robert-Koch-Institut. Ist es da nicht endlich an der Zeit für eine Öffnungsperspektive?
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Brauchen wir hier neben der Beschleunigung des Impffortschritts nicht endlich auch eine Teststrategie, vor allem mit Schnell- und Selbsttests?
In Südkorea wird dies seit elf Monaten erfolgreich praktiziert. Auf die Frage der Journalistin Caren Miosga, warum das, was in Deutschland nicht funktioniert, in Südkorea geht, hatte der Gesundheitsminister Jens Spahn keine Antwort. Kein Anschluss unter dieser Nummer! Hallo?
Wollen wir uns in Deutschland als Exportweltmeister und als Industrienation, die wir stolz auf unsere effiziente Verwaltung waren, länger diese Blamage gönnen, dass Südkorea und andere Länder in dieser Welt eine Teststrategie hinbekommen und praktizieren, wir in Deutschland aber nicht? Wir jedenfalls geben uns mit diesem Ergebnis nicht zufrieden.
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Am 19. Januar, also vor gut sechs Wochen, wurde Kanzleramtsminister Helge Braun von der MPK und der Kanzlerin beauftragt, eine gerechte Öffnungsperspektive zu erarbeiten. Am 10. Februar lag nichts vor, was dazu geführt hat, dass wir – wohlgemerkt: als Oppositionsfraktion – einen Sieben-Stufen-Plan hier ins Parlament eingebracht haben. Jetzt sind wir gespannt, ob dieser Gipfel eine Öffnungsperspektive zustande bringt, die mehr ist, als den Lockdown zu verlängern. Wir haben nämlich nach dem, was jetzt schon bekannt geworden ist, den Eindruck, dass alles eher darauf hindeutet, dass der Lockdown verlängert und das Ganze nur mit anderen Argumenten unterlegt wird. Fast hat man den Eindruck, es handelt sich um eine Fata Morgana. Irgendwo am Horizont ist die Öffnung sichtbar, aber man kann sie nicht erreichen. Immer wenn man danach greift, greift man ins Leere.
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Diejenigen, die ihr ganzes Leben lang geschuftet haben, stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand; sie stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer Existenzen, wenn es uns nicht bald gelingt, im Zusammenhang mit dem Virus eine Öffnungsperspektive zu erarbeiten, wie es andere Länder in Europa, zum Beispiel Österreich, bereits geschafft haben.
Was machen eigentlich die Minister Spahn und Altmaier die ganze Zeit? Seit Monaten haben wir diese Teststrategie eingefordert. Wir haben nicht den Eindruck, dass mit der notwendigen Nachdrücklichkeit in den Ministerien mit den Unternehmen, die so was anbieten, gearbeitet wurde, damit sie endlich flächendeckend ausgerollt werden kann.
Wenn wir etwa in die USA blicken, dann stellen wir fest: In den USA hat die Regierung das Impfprogramm mit „Operation Warp Speed“ überschrieben; gemeint ist die fiktive Antriebsgeschwindigkeit des Raumschiffs Enterprise. Ich habe den Eindruck, in Deutschland orientiert man sich mehr an Bully Herbigs Komödie „T(R)aumschiff Surprise“.
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Das heißt, während die USA mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, sind wir in Deutschland mit Mopsgeschwindigkeit unterwegs.
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Das ist nicht länger zu akzeptieren.
Wir sagen: mehr Tempo! Impfen, Testen, Öffnen: Das ist der Dreiklang, der jetzt umgesetzt werden muss. Daran werden wir den Gipfel und seine Ergebnisse messen. Die Bürgerinnen und Bürger haben jedenfalls genau diese Erwartung, und wir brauchen mehr Ehrgeiz bei der Umsetzung der Teststrategie.
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Das Land will seine Freiheit zurück, und es ist Zeit, dass jetzt nicht nur die Hersteller von Testkitts und die Impfstoffhersteller liefern, die ja plötzlich – die Marktwirtschaft wirkt – ihre Impfdosenproduktion schnell nach oben fahren, da die Anreize und die Bestellungen klar sind, sondern jetzt müssen endlich auch die Regierungen von Bund und Ländern liefern. Das fordern wir von diesem Gipfel ein, und das sind die Kriterien, an denen wir diesen Gipfel messen werden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Michael Theurer. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Roy Kühne.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Theurer, es ist schon interessant, wie viel Zeit Sie haben, um Filme zu gucken, während sich die Regierungskoalition mit dem Thema beschäftigt,
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wie wir die Coronakrise bewältigen können.
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Wenn wir schon über Mopsgeschwindigkeit reden, muss man mal ganz klar fragen: Was leisten Sie? Was tragen Sie dazu bei, dass wir konstruktiv nach vorne kommen? – Sie stellen sich nur hier vorne hin und sagen, es läuft nichts.
Es muss auch gearbeitet werden. Wir sehen auch, wie es in anderen Ländern läuft, und wir wollen gar nicht darüber reden, dass nichts getan wird. Ich bin Jens Spahn dankbar, dass er mit einem gewissen Tempo das Ganze nach vorne trägt, aber man muss auch ganz klar sagen, Herr Theurer: Wir reden über Qualität. Sie als FDP wollen keine Rückschritte, und Sie wollen der Wirtschaft definitiv nicht erklären, dass wieder zugemacht werden muss, weil vorzeitig, voreilig aufgemacht wurde.
Ich kenne genug Unternehmen, die mich wirklich täglich anrufen. Meine Frau ist Lehrerin. Was glauben Sie, was bei uns zu Hause los ist! Ich muss dort Rede und Antwort stehen.
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Ich sage ganz klar: Wir suchen gute, konstruktive Lösungen.
Ja, es muss geöffnet werden; darum diskutiert doch keiner herum. Wir suchen kluge, sinnvolle Hygienekonzepte. Wir müssen testen, testen, testen. Wir haben ja eine aktuelle Strategie zum Thema Testen, und ich glaube, wir alle sind uns darüber einig, dass wir jetzt nach Möglichkeiten suchen müssen.
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Ich glaube, niemand in diesem Raum möchte sich jetzt hinstellen und sagen: Es geht nicht weiter. – So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter; darüber sind wir uns einig. Aber noch mal: Die Prämisse muss „Qualität“ sein.
Wir sehen die Auswirkungen, zum Beispiel an den Schulen; ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts stellt fest, dass sich jedes dritte Kind zwischen 3 und 15 Jahren tatsächlich massiv beeinträchtigt fühlt, und über ein Viertel aller Eltern gibt an, das Kind sei einsam.
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Man muss aber auch ganz klar sagen: Diese Sachen betreffen mich als Vater eines Kindes, das in die Schule geht, genauso.
Aber noch mal – ich bleibe dabei –: Wir suchen nach Lösungen; wir sind auch dafür, dass das Ganze qualitätsvoll geschieht. – Die Testzentren, in die wir deutschlandweit investieren und deren Aufbau durch die Gesundheitsämter vorangetrieben wird, sind der Schlüssel, mit dem es weitergehen kann. Deshalb würde ich gar nicht so pauschalisieren, und ich finde so eine theatralische Ansage nach dem Motto „Ihr müsst jetzt endlich mal regieren; es läuft überhaupt nichts“ falsch. Nein, das ist nicht so. Wir wollen nach qualitativen Wegen suchen, die auch Sicherheit gewährleisten.
Klar ist: Was für den Friseur, für den Blumenladen und demnächst für den Baumarkt gilt, muss natürlich auch woanders gelten. Deshalb gibt es die Suche nach Lösungen, wie wir Hygienekonzepte, Inzidenzzahlen, Quadratmeterzahlen und die Zahl der Kundinnen und Kunden in ein gutes und gesundes Verhältnis zueinander bringen können. Aber auch hier gilt natürlich, dass wir den Menschen immer Rechenschaft darüber ablegen müssen, warum wir das tun.
Ich glaube, dass Sabine Weiss und Jens Spahn momentan natürlich unter entsprechenden Druck gesetzt sind, wie wir, glaube ich, alle hier in diesem Raum unter Druck stehen. Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir die Testzentren demnächst ausstatten. Wie können wir sie flächenmäßig ausrollen? Wer testet? Unter welchen Bedingungen wird getestet? – Und wir müssen natürlich auch dazu ermutigen, dass zum Beispiel in ländlichen Regionen, wo das Gesundheitsamt und manche Ärzte vielleicht nicht testen, in Testzentren investiert wird und unbürokratisch und entsprechend finanziell abgegolten Testzentren gebaut werden. Nach der letzten Aussage des Ministers von heute Morgen weiß ich, dass wir dort auf einem guten Weg sind. Wer heute Morgen in der entsprechenden Sitzung des Gesundheitsausschusses war, hat klar die Antwort des Ministers gehört: Wir werden jetzt zügig und schnell unkomplizierte Wege finden.
Zum Schluss ganz klar zur Aussage des Ministers Spahn – darüber bin ich auch sehr froh –: Pragmatismus ist das, was uns die Menschen draußen glauben – klare Ansagen, verständliche Entscheidungen und klare, schnelle, effiziente Lösungen.
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Daran arbeiten wir, und ich kann Sie nur bitten: Machen Sie einfach mit! Beteiligen Sie sich konstruktiv, anstatt hier vorne über Mopsgeschwindigkeit oder sonst was zu reden!
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dr. Roy Kühne. – Ja, das mache ich schon selber, keine Sorge. – Setzen Sie bitte Ihre Maske auf. – Danke schön.
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– Dann schauen wir mal, wie es jetzt weitergeht. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jörg Schneider.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Wir beschäftigen uns heute mit der Teststrategie. Das ist durchaus sinnvoll nach dem Chaos der letzten Wochen. Bei den Schnelltests beispielsweise sind wir weit hinter Österreich.
Herr Kühne, ich greife Ihre Aufforderung gerne auf und versuche einmal, konstruktiv zu sein. Ich möchte Ihren Blick wenden auf eine andere Art von Test, und zwar die Antikörpertests, mit denen man nachweisen kann, dass nach einer überstandenen Infektion eine natürliche Immunität geschaffen worden ist. Wir haben bisher ungefähr 2,5 Millionen Menschen in Deutschland positiv getestet. Man schätzt, dass ungefähr die sechsfache Zahl eine Infektion unerkannt durchlaufen hat. Das heißt, fast ein Fünftel der Bevölkerung ist vielleicht schon immun. Jetzt mag man sagen: Naja, diese natürliche Immunität hilft vielleicht nicht gegen die Mutationen, und sie ist vielleicht auch nicht dauerhaft. Aber seien wir einmal ehrlich: Das wissen wir bei den Impfungen auch noch nicht genau. Ein Test auf natürliche Immunität kostet ungefähr 40 Euro. Er ist im Moment noch keine Kassenleistung. Wir schlagen vor, dass er es werden sollte.
Ich möchte Ihnen den Nutzen einmal exemplarisch am Beispiel junger Menschen klarmachen. Gerade junge Menschen haben Bedenken, was die Impfung betrifft. Wir haben dort im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung eine eher unterdurchschnittliche Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Ich glaube, dafür gibt es zwei sachliche Gründe. Zum einen ist es das Risiko der Impfung. Wir haben einen sehr verkürzten Testzeitraum. Wir haben wenig Erfahrung mit mRNA-Impfstoffen. Ich weiß, viele Menschen sprechen nicht gerne über die Risiken des Impfens. Ich würde aber gerne darauf hinweisen: In Schweden gab es im Zusammenhang mit der Schweinegrippeimpfung viele Fälle von Schlafkrankheit. Die Gefahr, daran zu erkranken, lag bei ungefähr 1 zu 10 000. Das ist ungefähr das Risiko eines ernsten Verlaufes, das heute ein junger Mensch im Falle einer Coronainfektion hat.
Sie bestreiten, dass es Risiken gibt: Warum wurden die Impfstoffhersteller dann haftungsfrei gestellt, zumindest weitestgehend? Nein, ich bleibe dabei: Es gibt Risiken. Gerade junge Menschen schätzen vielleicht die möglichen Folgeschäden etwas anders ein. Ein 80-Jähriger mit einer Restlebenserwartung von zehn Jahren sieht das anders als ein 20-Jähriger, der noch 70 Jahre vor sich hat. Hinzu kommt bei jungen Menschen: Sie haben viele Kontakte. Sie haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren. Sie haben aber sehr häufig auch unsymptomatische Verläufe. Das heißt, bei einem jungen Menschen besteht die Chance, dass er sich, ohne es zu merken, tatsächlich schon natürlich immunisiert hat. Das in Summe – das Risiko, die hohe Chance, schon natürlich immunisiert zu sein – senkt die Impfbereitschaft bei jungen Menschen.
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Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb wir mit kostenlosen Antikörpertests nicht nur diesen jungen Menschen Entscheidungshilfe liefern sollten, sondern auch unser Impfsystem insgesamt entlasten. Nehmen wir einmal an, wir können 15 Millionen Menschen dafür gewinnen, einen Test zu machen. 20 Prozent sind immunisiert, das wären 3 Millionen Menschen. Das sind 6 Millionen Impfungen. Meine Damen und Herren, 6 Millionen Impfungen hat unsere Bundesregierung in ihren Impfzentren in zwei Monaten zustande gebracht.
Jetzt kann man erwarten, dass die Schlagzahl ein bisschen erhöht wird. Aber: 6 Millionen Impfungen verschaffen uns einen Monat. Diese Regierung sagt, sie möchte so schnell wie möglich zu normalen Verhältnissen zurückkehren. Ich serviere Ihnen hier eine Lösung auf dem Silbertablett, wie wir einen Monat Zeit gewinnen. Bitte nutzen Sie diese Chance, meine Damen und Herren.
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Die AfD-Fraktion wird am Freitag einen entsprechenden Antrag auf kostenlose Antikörpertests einbringen. Bitte lassen Sie uns gemeinschaftlich daran arbeiten, dass Menschen eine Chance haben, eine bewusste Impfentscheidung zu treffen. Lassen Sie uns unnötige Impfungen vermeiden.
Ich danke Ihnen.
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Danke schön, Jörg Schneider. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Martina Stamm-Fibich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines haben wir hier alle gemeinsam: Jeder von uns wünscht sich ein zügiges Ende der Pandemie, und jeder von uns wünscht sich eine schnelle Aufhebung der bestehenden Einschränkungen. Ersteres wird noch einige Zeit dauern. Letzteres können wir aber unserer Meinung nach zeitnah schaffen.
Dafür brauchen wir aber eine Strategie, die alle Teilbereiche der Pandemiebekämpfung eng miteinander verzahnt. Dazu gehört natürlich die Ausweitung und Beschleunigung der Impfkampagne. Dazu gehört die minutiöse Überwachung des Infektionsgeschehens, Stichwort „Mutationen“. Wir haben das heute schon gehört. Dazu gehört eine funktionierende digitale Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter. Und dazu gehört natürlich auch die flächendeckende Anwendung von Point-of-Care-Schnelltests und von Schnelltests zur Selbstanwendung.
Wenn wir es nicht schaffen, die Defizite in den einzelnen Teilbereichen schnell zu beheben, dann wird eine Aufhebung der Schutzmaßnahmen kontraproduktiv sein und uns stattdessen weiter in die Lockdown-Spirale hineintreiben.
Vor diesem Hintergrund habe ich mich natürlich sehr gefreut, dass am Montag, knapp zwei Wochen nach der Twitter-Ankündigung des Ministers, endlich auch die Überlegungen des BMGs zur Überarbeitung der Teststrategie ihren Weg in das Hohe Haus gefunden haben.
Zum Inhalt des Konzepts: Ja, es ist allerhöchste Zeit, dass das flächendeckende Angebot kostenloser Point-of-Care-Antigenschnelltests drastisch ausgeweitet werden soll.
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Deshalb begrüßen wir auch den Vorschlag, dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger in der Woche zweimal kostenlos in einem Point-of-Care-Testzentrum testen lassen kann. Diese Tests sind ein wichtiger Beitrag zur Pandemiebekämpfung, und die 3 Milliarden Euro, die uns das wahrscheinlich kosten wird, sind sehr gut angelegtes Geld.
Inzwischen wurden sechs Antigenschnelltests zur Eigenanwendung durch das BfArM zugelassen. Damit können wir natürlich die bislang vorhandene Teststrategie um eine weitere Säule erweitern. Selbsttests können, wenn sie richtig eingesetzt werden, dazu beitragen, die Infektionsketten frühzeitig zu kappen und die Verbreitung des Virus einzuschränken. Sie können im privaten Kontext zusätzliche Sicherheit geben, und sie können als Maßnahme in Schulen oder Betrieben das Infektionsrisiko reduzieren. Auch eine Anwendung im Rahmen von Veranstaltungen im Kulturbereich oder in der Gastronomie ergibt Sinn.
Funktionieren wird das aber alles nur, wenn sich auch genügend Menschen häufig testen. Das bedeutet, wir müssen dafür sorgen, dass genügend Kapazitäten vorhanden sind und genügend Tests auf den Markt kommen. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass breite Bevölkerungsschichten auch ohne große finanzielle Belastung Zugang zu diesen Tests bekommen.
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Wie das genau passieren soll, lässt das BMG leider offen. Im Papier heißt es lediglich, dass das BMG aktuell unter Hochdruck in Verhandlungen mit verschiedenen Herstellern steht. Das war der Kanzlerin in der letzten Woche schon zu wenig, und uns ist das auch zu wenig. Ich hoffe deshalb sehr, dass das BMG jetzt zeitnah klare Aussagen darüber trifft, ob genügend Kapazitäten für die Herstellung der Tests vorhanden sind und mit welchen Herstellern das BMG Verträge und Abnahmegarantien geschlossen hat.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Martina Stamm-Fibich. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Achim Kessler.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren hier heute erneut über die Maßnahmen gegen die Pandemie. Aber unsere Debatte wird keine Wirkung haben; denn zeitgleich trifft sich die Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, um über die Maßnahmen zu entscheiden. Wir werden noch nicht einmal mehr nachträglich in einer Regierungserklärung über die Beschlüsse informiert. Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU und von der SPD, indem Sie dieses Vorgehen der Bundesregierung ermöglichen, haben Sie den Bundestag und de facto auch sich selbst entmachtet. Sie missachten damit zugleich die Bürgerinnen und Bürger, nach deren Willen und in deren Auftrag Sie hier sitzen.
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Dass Sie nun auch noch gemeinsam mit den Coronaleugnern der AfD einen Unterausschuss eingesetzt haben, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit hinter verschlossenen Türen über die Pandemie berät, schlägt dem Fass den Boden aus. Haben Sie wirklich überhaupt keine Schamgrenze mehr?
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Die Linke protestiert in aller Form gegen diese Missachtung des Parlaments und der Wählerinnen und Wähler.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind uns einig, dass die Freiheitseinschränkungen so schnell wie möglich beendet werden müssen. Aber die derzeitige Diskussion über Öffnungsszenarien ohne einen breiten Zugang zu Impfstoffen und zu kostenlosen Schnelltests gefährdet die mühsam erkämpften Erfolge der vergangenen Monate. Hier offenbart sich das volle Ausmaß des Versagens dieser Bundesregierung: Weder haben Sie durch die Freigabe der Lizenzen für ausreichend Impfstoffe gesorgt, noch haben Sie rechtzeitig kostenlose Schnelltests zur Verfügung gestellt. Hören Sie endlich auf, immer nur auf Sicht zu fahren!
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Es gibt neue Virusvarianten, die ansteckender sind, und vermutlich auch welche, die gefährlicher sind. Und leider ist nach wie vor nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung geimpft. Öffnungen ohne Begleitmaßnahmen können so leider in kürzester Zeit zu sehr hohen Todeszahlen führen. Das würde zunichtemachen, was die Bürgerinnen und Bürger durch ein hohes Maß an Selbstdisziplin und gegenseitiger Solidarität bislang erreicht haben. Die Menschen nehmen täglich massive Freiheitseinschränkungen in Kauf. Dafür muss die Bundesregierung ihnen endlich und umfassend Anerkennung zollen.
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Mit einer breiten und regelmäßigen Anwendung von Schnelltests können Infektionsketten wirkungsvoll unterbrochen werden. Inzwischen gibt es auch Tests, die zu Hause angewendet werden können. So können Menschen in eigener Verantwortung feststellen, ob sie infiziert sind und möglicherweise andere gefährden. Das gibt ihnen mehr Kontrolle über ihren eigenen Alltag zurück, und sie können andere besser schützen. Ich fordere die Bundesregierung auf, das endlich zu ermöglichen.
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Schnelltests müssen leicht und kostenlos für alle zugänglich sein. Dazu bedarf es einer Klärung der finanziellen, organisatorischen und rechtlichen Aspekte. Und die Produktionskapazitäten müssen gesichert werden. Das Desaster, dass Sie sich weigern, die Lizenzen freizugeben, damit mehr Impfstoffe hergestellt werden können, darf sich nicht wiederholen.
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Auf dieser Basis sind dann tatsächlich Öffnungen in Schulen, in Kitas, aber auch in sozialen, Kultur- und Sporteinrichtungen möglich, ohne eine erneute Eskalation der Pandemie zu provozieren. Meine Damen und Herren, dafür ist es jetzt wirklich höchste Zeit.
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Herr Spahn hat kostenlose Schnelltests ab dem 1. März angekündigt; aber er hat wieder einmal nicht geliefert. Wenn die FDP jetzt vorschlägt, über weitere Öffnungsperspektiven zu reden, weckt sie ähnliche Hoffnungen wie Herr Spahn. Doch diese Hoffnungen sind aufgrund der Untätigkeit der Bundesregierung nicht realistisch. Sie spielen mit den Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger in einer unerträglichen Art und Weise.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer undemokratischen Versammlung mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten eine Öffnung der Schulen beschlossen, ohne sich vorher um ausreichend Testkapazitäten für alle zu kümmern. Parallel spricht die Kanzlerin von der dritten Welle aufgrund der sich schneller verbreitenden Virusmutation. Hier widersprechen die Handlungen den Botschaften. Legen Sie endlich dem Bundestag eine langfristige Strategie zur Bekämpfung der Pandemie vor, damit die Menschen bald wieder ein normales Leben führen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dr. Achim Kessler. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Janosch Dahmen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir kommt es zunehmend so vor, als hätten wir einen Sprung in der Platte: Alle paar Wochen dieselben Debatten vor der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, derselbe Ablauf, nur zunehmend weniger zuversichtlich. Jedes Mal wird suggeriert, wir hätten ausschließlich die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Lockdown auf der einen Seite und Lockerungen auf der anderen Seite. Und weil sich ganz offensichtlich viele Entscheidungsträger aus der Regierungskoalition mehr für die aktuellen Umfragewerte interessieren als für die nun wieder steigenden Inzidenzwerte, wurde in den vergangenen Tagen, angefeuert von einzelnen Wirtschaftsverbänden, besonders laut für den zweiten Weg, für die Lockerungen, getrommelt.
Im meine: Wir müssen raus aus diesem Schwarz-Weiß-Denken. Es gibt nicht nur zwei Wege. Es gibt einen dritten Weg, einen Weg, der Perspektiven und Planbarkeit, der einen klaren Stufenplan beinhaltet,
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der indikatorenorientiert, evidenzbasiert ist, klare Maßnahmen definiert und von einem Sicherheitsgeländer flankiert wird;
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ein dritter Weg, der ein Damm gegen die dritte Welle sein kann, der Bürgerinnen und Bürger des Landes einbezieht und zu einem wirkungsvollen und verantwortungsvollen Teil der Pandemiebekämpfung macht.
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Ja, es ist richtig: Auch wir Grüne haben einen Stufenplan vorgeschlagen – etwas anders und evidenzorientierter als den der FDP,
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nur nicht mit dem falschen Versprechen, einseitig auf Öffnungen orientiert zu sein, sondern in beide Richtungen ein echtes risikoadjustiertes Schema zu sein.
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Das Sicherheitsgeländer, das wir jetzt dringend brauchen und als Allererstes errichten müssen, sollte meines Erachtens auf drei Stufen aufbauen.
Erstens. Wir brauchen immer noch ein genaueres Bild über die tatsächliche Ausbreitung von SARS-CoV-2-Mutationen in allen Regionen in Deutschland.
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Baden-Württemberg macht es vor und sequenziert mittlerweile alle – ich betone: alle – positiven PCR-Tests, um die Verbreitung von Mutanten exakt zu bestimmen. Die Bundesregierung muss schleunigst die Corona-Surveillanceverordnung ändern, damit alle positiven Tests insgesamt in Deutschland – Dänemark macht es ja vor – sequenziert werden und die Ergebnisse in internationalen Forschungsdatenbanken wie GISAID endlich zur Verfügung gestellt werden.
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Es kann doch nicht sein, dass wir nach einem Jahr Pandemie noch immer mit einer ungenauen und unvollständigen Datengrundlage arbeiten. Wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet Handlungsfähigkeit in der Pandemie, und unser Unwissen über manchen Faktor der pandemischen Lage können wir uns schon lange nicht mehr leisten.
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Zweitens. Wir können den Menschen nur ein sicheres Umfeld ermöglichen, wenn wir flächendeckend und regelmäßig mit Schnell- und Selbsttests testen. Das sollte die Voraussetzung für weitere Öffnungsschritte sein. Was mir besonders wichtig ist: Die Sicherheit für alle steigt, je mehr Menschen Zugang zu Coronatests haben. Deshalb: Testen darf keine Frage des Geldbeutels sein, Testen muss in der Pandemie endlich zu einer Selbstverständlichkeit, einem Gemeingut werden – nicht irgendwann im April, wenn wir genug nachgedacht haben, sondern jetzt, hier und heute.
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Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf: Stellen Sie endlich den Bürgerinnen und Bürgern zwei Schnelltests pro Woche kostenlos zur Verfügung! Mehr Sicherheit für alle erreichen wir derzeit nur mit mehr Tests für alle.
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Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, drittens müssen wir schneller werden beim Impfen. Die dritte Welle macht es nötig und die gesteigerte Impfstoffproduktion macht es möglich, dass wir nicht mehr jede zweite Impfdose zurückhalten müssen. Wir sollten jetzt verimpfen, was da ist. 3 Millionen Dosen Impfstoff liegen in den Kühlschränken und Lagern dieses Landes. Das ist nicht nur nachlässig, das ist ein Skandal!
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Damit das Verimpfen schneller geht, sollten wir Hausärztinnen und Hausärzte, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, Fachärztinnen und Fachärzte, die sich um Risikopatienten kümmern, einbeziehen. Wir brauchen hier Tempo –
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24/7, die ganze Woche lang –, damit wir endlich vom Fleck kommen. Es kann nicht sein, dass uns Chile, das nach uns anfangen hat, überholt hat, dass die USA jedem Erwachsenen bis Ende Mai ein Impfangebot machen und wir noch nicht mal Termine haben für den Impfstoff, der hier ist. Das kann doch nicht mehr wahr sein im zwölften Monat der Pandemie!
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Aber das Öffnen in den wichtigsten Bereichen wie den Schulen und Kitas und – ja, auch das ist für die Menschen wichtig – die Ermöglichung privater Kontakte sind der zweite Schritt. Wir können diesen zweiten Schritt nur gehen, wenn wir wirklich ein Sicherheitsgeländer haben. Die Bundesregierung will jetzt aber den dritten Schritt vor dem ersten und zweiten gehen: Weitere Geschäfte sollen aufmachen – ohne vernünftige Konzepte, ohne Schnelltestversorgung.
Wenn ich jetzt lese, dass das Bundesgesundheitsministerium weiterhin den systematischen Einsatz von Schnelltests als Teil einer nationalen Schnellteststrategie vernachlässigt, wenn ich lese, dass Bürger/-innen vollmundig der Bürgertest versprochen wird, aber nur Testmengen wie im Lockdown kalkuliert werden, wenn ich lese, dass wir immer noch keinen vernünftigen Dringlichkeitsplan haben, wie das Ganze umgesetzt werden soll, dann sage ich Ihnen ganz deutlich: Mit der langsamsten Schnellteststrategie werden wir den Wettlauf gegen die Mutationen nicht gewinnen.
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Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Ich komme zum Schluss. – Weniger Lockdown können wir uns nur mit mehr Testen, nur mit wirkungsvollerem Schutz erlauben. Wenn wir den zweiten Schritt vor dem ersten machen, dann werden wir uns verstolpern – mitten rein in die dritte Welle. Das ist eine große Gefahr. Ich kann nur sagen: Machen wir mehr Tempo beim Testen und den Impfungen! Höchste Vorsicht bei den Öffnungsschritten, sonst kommen wir hier in eine sehr gefährliche Situation.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Janosch Dahmen. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Klaus-Peter Willsch.
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Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Herr Dr. Dahmen, wir haben in Hessen einen grünen Sozial- und Gesundheitsminister; ich bitte Sie, ihm einfach mal Ratschläge zu geben, wie das alles bei uns noch besser werden kann.
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Denn hier ist leicht wohlfeil reden; wenn man in der Verantwortung ist, ist das offenbar ein bisschen anders.
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In der Union gibt es, wie in allen Fraktionen, glaube ich, die einen, die sagen: „Wir müssen uns schneller wieder in Richtung Normalität bewegen, wir müssen den Menschen Verantwortung zurückgeben“, und jene, die sagen: Um Gottes willen, nichts verspielen. – Es ist ein bisschen wie bei einer Bergwanderung: Sie sehen das Ziel, die letzten Meter sind oft die schwersten, und umso schöner ist es, wenn man gemeinsam ankommt und dann oben gemeinsam ein Bier trinken kann. Das wünschen wir uns alle miteinander.
Daran arbeiten wir. Wir haben zum einen beim Impfen zunächst mal die besonders Vulnerablen in den Blick genommen und dort einen sehr weitreichenden Schutz geschaffen. Wir werden in Hessen bis Ende des Monats alle über 80-Jährigen geimpft haben.
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Wir haben zum Zweiten das Testen, die Selbsttests. Herr Theurer, die Hinweise des RKI sind ziemlich exakt und werden immer besser – Sie können sich das auf der Homepage anschauen –, und sie geben Aufschluss darüber, wo die Infektionen stattfinden. Sie werden feststellen: Das ist vor allen Dingen im privaten Bereich. Das ist ja der Bereich, der zu Recht besonders geschützt ist, da hat der Staat nur was verloren, wenn schwere Straftaten zu verhindern sind. Insofern müssen wir mit dem, was wir regeln, sorgfältig sein und darauf achten, dass wir nicht Vorgaben machen, die nachher keiner kontrollieren kann. Und ich frage auch mal: Wer will denn, dass das wirklich polizeilich kontrolliert wird, ob da jetzt eine Person und das Kind noch 14 ist oder schon über 14, das da auch noch auf Besuch mit dabei ist? Da bewegen wir uns im Bereich des Appells. Das ist auch gut so, und das wollen wir nicht anders.
Aber da, wo wir Schritte in Richtung Normalität gehen, sollten wir die Menschen in Eigenverantwortung nehmen und ihnen viel zutrauen. Ich prophezeie Ihnen: Wenn wir dem Selbsttesten einen Sinn geben, dann wird das explodieren, dann wird die Nachfrage steigen, dann werden sich die Leute testen lassen wie verrückt, weil sie nämlich wissen: Wenn ich die Gastronomie nutzen möchte, muss ich einen Selbsttest vorzeigen. – Der Vorteil ist: Jeder Gast muss wegen der möglichen Nachverfolgung der Infektionsketten sowieso registriert werden. Sie haben alle Angaben, die Sie brauchen, um gegebenenfalls auch gegensteuern zu können, wenn sich herausstellt, dass dort ein Fall aufgetreten ist.
Das Selbsttesten hilft, Eigenverantwortung zu übernehmen. Deshalb ist es auch gut, wenn wir Nutzungsmöglichkeiten für das Selbsttesten eröffnen. Ich bin überzeugt davon, dass es Gastronomen geben wird, die sagen: „Komm, den Test zahle ich dir“ – ob er das nachher in den Preis für das Rumpsteak einrechnet oder nicht, ist ja seine Sache, ob er das überwälzen kann oder nicht –, oder den Hotelier, der sagt: Wenn du noch keine Gelegenheit hattest: Bei mir machst du den Test, dann ist klar, ob du kommen darfst oder nicht. – Das wird die Menschen dazu bringen, zu Hause schon den Test zu machen, weil sie nämlich nicht vergeblich anreisen und wieder weggeschickt werden wollen. Das Testen ist eine ganz große Chance, den Wirtschaftssubjekten, den Gastronomen, den Einzelhändlern, Möglichkeiten zu geben, wieder dem Geschäft nachzugehen.
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Ich hoffe, dass die Öffnungsperspektive in diesem Bereich – so wurde es von verschiedener Seite von denjenigen, die jetzt in der Runde zusammen sind, auch deutlich angesagt – nicht in zu weiter Ferne, sondern möglichst in einer angemessenen, aber absehbaren Zeit liegt.
Das Gleiche, was bei der Vorteilhaftigkeit von Selbsttests in der Gastronomie, in der Hotellerie gilt, wird auch für Fitnessstudios, für Kosmetiksalons gelten. Natürlich werden die Geschäftszweige, die über Monate zwangsweise stillgelegt worden sind, jetzt entsprechende Möglichkeiten suchen, wie sie das schon nach dem letzten Lockdown gemacht haben, indem sie mit Plexiglasscheiben und dem Einhalten von Abstand alles safe gemacht haben, das Personal Masken getragen hat, sie nach menschlichem Ermessen alle Vorkehrungen getroffen haben, um zu verhindern, dass in ihrem Geschäft, in ihren Lokalen etwas passieren kann. Und das brauchen wir.
Wir müssen auch auf die Kräfte des Marktes vertrauen, dass die Vorteilhaftigkeit des Testens dazu führen wird, dass die Nachfrage nach Selbsttests steigt und wir dadurch auch ein sicheres Bild der Gesamtlage kriegen. Daran sollten wir miteinander arbeiten; denn die toten Innenstädte rühren doch jeden von uns an. Wir alle haben doch mal wieder Lust, uns irgendwo mit Freunden zu treffen, nicht selbst zu kochen; dahin müssen wir wieder zurückkommen. Daran arbeiten wir. Lassen Sie uns das zusammen machen, und lassen Sie uns versuchen, den Menschen zu zeigen, dass Politik für sie da ist.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Klaus-Peter Willsch. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Bruno Hollnagel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider sind die Probleme des Lockdowns mit einer Öffnungs- oder Teststrategie nicht annähernd zu bewältigen. Schon vor Covid-19 war die Finanzlage völlig überdehnt. Die Nachhaltigkeitslücke betrug 7 400 Milliarden Euro. Die Kosten für die Energiewende werden mindestens 3 000 Milliarden Euro betragen. Die Migrationskosten belaufen sich jährlich auf circa 50 Milliarden Euro.
Am 23. März 2020 wurde der erste Lockdown verhängt, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Wert R kleiner war als 1. Das heißt, nach den eigenen Kriterien der Regierung war es gar nicht mehr erforderlich, einen Lockdown zu verhängen. Sie wollten unbedingt einen Lockdown.
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Das Bundesfinanzministerium rechnete aufgrund des ersten Lockdowns mit 1 446 Milliarden Euro an Risiken und Haftung. Die Nachhaltigkeitslücke stieg infolge des zweiten Lockdowns zusätzlich um 5 300 Milliarden Euro. Aktuell belaufen sich die Kosten für Risiken für die Bundesrepublik Deutschland auf 16 000 Milliarden Euro. Wenn Sie 50-Euro-Scheine nehmen und sie dicht an dicht 5 Meter nebeneinander legen, dann haben Sie mit 16 000 Milliarden Euro den Weg von hier zum Mond und zurück und noch 10 000 Kilometer dazu. Das sind wahrhaft astronomische Dimensionen. Dafür haftet jeder Staatsbürger selbst.
Darüber hinaus aber bestehen unübersehbare Haftungsrisiken im Rahmen der EU-Politik und in den Schattenhaushalten. Es findet eine Deindustrialisierung statt, die Arbeitsplätze kostet, und es sind leider viele, viele Insolvenzen zu befürchten. Die Menschen und die Wirtschaft brauchen Vertrauen. Das bedeutet: Orientierung geben. Natürlich müssen Versprechen eingehalten werden. Wenn Sie beispielsweise eine Septemberhilfe versprechen, die nach 100 Tagen noch immer nicht ausgezahlt worden ist, dann unterminieren Sie das Vertrauen. Wenn jemand als Septemberhilfe 1 500 Euro bekommen soll, aber 800 Euro Steuerberaterhonorar zahlen muss, dann hilft das dem Steuerberater, aber nicht dem Opfer der Lockdown-Politik.
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Meine Damen und Herren, Krisenmanagement ist gefordert. Wir erwarten entschlossenes Handeln, das heißt konkret: Verlustquellen müssen geschlossen werden, Beiträge an Brüssel müssen gedeckelt werden, keine Beiträge oder Haftungen mehr wegen „Next Generation EU“. Die teuren Maßnahmen der Energiewende und der sogenannten Klimarettung sind auszusetzen. Wir haben genug Vorleistung gebracht. Nun erwarten wir von China, den USA und Indien Entsprechendes. Nicht bleibeberechtigte Migranten müssen natürlich zurückgeführt werden, und der Braindrain muss endlich beendet werden.
In der Krisensituation müssen Risiken ab- statt aufgebaut werden. Wir fordern deswegen, Haftungsketten in der EU zu sprengen, die No-Bailout-Klausel endlich einzuhalten, deutsche Risiken aus Hebelungen beim Europäischen Fonds für strategische Investitionen zu unterbinden. Das geplante Lieferkettengesetz ist unverzüglich zu stoppen; umgekehrt wollen Sie doch auch nicht, dass die Chinesen uns vorschreiben, wie wir zu produzieren haben.
Das Zinsdiktat der EZB führt zu Negativzinsen. Sie sind nicht hinnehmbar; denn das Bundesverfassungsgericht sagt, dass die EZB ihre Kompetenzen überschritten hat, dass praktisch alle Bürger Nachteile durch das Zinsdiktat haben, dass die EZB-Anleiheprogramme unverzüglich einzustellen sind, weil sie unverhältnismäßig sind.
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– Das ist das Thema!
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Das Thema ist, dass wir wieder eine Erstarkung der Wirtschaft brauchen. Deswegen: Abschaffung der CO2-Steuer, keine EEG-Abgabe,
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Deindustrialisierung Deutschlands sofort rückgängig machen, eine längerfristige Entbürokratisierung endlich einleiten. Wir müssen raus aus der Bürokratisierung. Die Umsatzsteuer muss nachhaltig gesenkt werden, damit den Bürgern endlich wieder mehr auf dem Konto bleibt. Das ist das, was wir brauchen.
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Erlauben Sie mir, zum Schluss noch eine Sache klar und deutlich zu sagen: Bewegungsfreiheit ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht. Freie Berufsausübung ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht. Ich sage klar und deutlich: Die Alternative für Deutschland ist für das Grundgesetz und will die Grundrechte einfordern.
Danke schön.
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Setzen Sie bitte die Maske auf, Herr Kollege! – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Martin Rabanus – zu Öffnungsperspektiven durch eine Teststrategie. Bitte schön.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den etwas wirr anmutenden Ausführungen meines Vorredners will ich tatsächlich zum Thema zurückfinden
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und in dem Zusammenhang den Fokus beispielhaft auf den Kulturbereich legen, der ja in besonderer Weise von der Coronapandemie und den daraus resultierenden Maßnahmen betroffen ist. Existenzen sind gefährdet; das leugnet niemand. Produktionen wurden abgesagt; Kinos, Theater, Museen, Klubs sind geschlossen – und das seit Monaten.
Ja, es gibt zahlreiche Unterstützungen des Bundes: die Überbrückungshilfe I und II, die November- und Dezemberhilfe – ich habe vorhin „Septemberhilfe“ verstanden; die kenne ich nicht –;
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jetzt gibt es Überbrückungshilfe III, die Neustarthilfe für Soloselbstständige und das Bundesprogramm „Neustart Kultur“ I. Das Bundesprogramm „Neustart Kultur“ II wird in diesen Minuten im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages auch mit Betroffenen beraten. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Die Koalition tut alles, um den Aufschlag zu abzumindern.
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Aber ganz ehrlich, auch ich habe die Nase voll vom Lockdown. Ich glaube auch, dass die meisten klar denkenden und normalen Menschen in diesem Land die Nase voll vom Lockdown haben. Natürlich wollen wir unser Leben zurück. Wir wollen draußen sein. Wir wollen in Straßencafés oder Biergärten sitzen. Wir wollen in Fußgängerzonen flanieren. Wir wollen shoppen. Wir wollen ins Konzert, Theater, in die Museen, ins Kino. Wir wollen abends vielleicht tanzen gehen. Wir wollen unter Menschen sein. Das ist doch vollkommen normal. Das ist auch kein eigener Zustand, den irgendeine Fraktion in diesem Hause hat. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass jeder normale und klar denkende Mensch – auch hier im Parlament – dabei selbst gesund bleiben und auch niemand anderen gefährden will. Das ist doch genau das Spannungsfeld, in dem sich die Diskussion abspielt.
Deswegen brauchen wir jetzt eine Perspektive, wie wir beides miteinander verbinden können. Ich will ganz offen sagen: Das, was ich im Moment aus den vorbereitenden Dokumenten zur Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin, die ja vorliegen, weiß, weist für mich in die richtige Richtung,
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weil jedenfalls der Entwurf, den wir auch schon aus den Social Media kennen, eine Öffnungsperspektive und einen Öffnungsplan beinhaltet.
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Warum ist das gut? Das ist deswegen gut, weil wir eben diesen verlässlichen Plan brauchen. Es ist mir übrigens am Ende des Tages egal, ob er drei Stufen oder sieben Stufen
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oder fünf Stufen hat.
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Das Entscheidende ist doch, dass wir eine klare Perspektive brauchen – nicht leichtsinnig, aber, wenn es nach mir ginge – das sage ich auch ganz offen –, durchaus ein bisschen mutiger, als wir es in der Vergangenheit erlebt haben.
Ich will mit Blick auf die Kultur mit Erlaubnis der Präsidentin gern aus der „Berliner Zeitung“ von gestern zitieren. Dort hieß es: „Fast nirgends ist man vor Corona sicherer als in Konzert- und Opernhäusern“. Ja, das stimmt. Kinos, Konzerthäuser, Museen und Klubs haben bereits im letzten Jahr umfassende Hygienekonzepte vorgelegt, die wir auch direkt umsetzen könnten. Mit dem „Manifest Restart“ des Forums Veranstaltungswirtschaft oder auch mit der „Konzeption der schrittweisen Rückkehr von Zuschauerinnen und Zuschauern“ von 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern liegen jetzt auch Konzepte für größere Veranstaltungen vor. Auch das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut ist in einer Untersuchung zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Das ist gut, das macht uns Mut, und das gibt eine Perspektive.
Tatsächlich haben wir ja noch mehr: Wir können testen, und wir können impfen, um maximalen Gesundheitsschutz und Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger herzustellen. Da will ich mich all denjenigen anschließen, die sich über das Impftempo ärgern, und ausdrücklich auch dem Kollegen Janosch Dahmen von den Grünen zustimmen. Es ärgert mich, dass das nicht schneller geht und Millionen von Impfdosen auf Halde liegen. In meinem Heimatland Hessen beispielsweise mit dem grünen Gesundheitsminister sind wir bundesweit auf Platz zwei – von unten gesehen, nicht von oben. Das muss besser werden. Das ist nicht akzeptabel.
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Neben dem Impfen haben wir die Schnelltests. Sie können eine Brücke sein, um das Kulturleben vorsichtig wieder hochzufahren. So können wir sichere Räume generieren, in denen sich Menschen auch wieder begegnen können; das muss das gemeinsame Ziel sein – nicht leichtsinnig, aber mutig und mit Zuversicht.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Martin Rabanus. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Katrin Helling-Plahr.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Guten Tag, ich will mein Leben zurück! – Seit über einem Jahr verlangt die Pandemie uns allen – den Selbstständigen, den Unternehmern, den Angestellten, den Vorerkrankten, den Alten, den Jungen, den Kindern, den Eltern – verdammt viel ab. Nur die Pandemie – wirklich?
Es ist auch die Bundesregierung, die den Bürgern mit ihrer Zauderhaftigkeit mehr abverlangt, als verhältnismäßig ist.
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Diese mangelnde Entschlossenheit zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Pandemie. Erst bei der Maskenpflicht, dann beim Impfstoff und nun bei den Schnelltests: Immer zeigen uns andere, wie es geht. Immer hinken wir hinterher,
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weil sich die Bundesregierung immer erst Dutzende Male um sich selbst drehen muss, ehe sie etwas auf die Reihe bekommt.
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Immer: Bedenken first! Mit den Masken – da kann man vielleicht in der Anwendung, ja, irgendwie was falsch machen. Oha! – So auch mit den Schnelltests: Nur in geschulte Hände, sonst viel zu gefährlich! – Mann, Mann, Mann! Trauen wir den Leuten doch mal etwas zu! Glauben wir an Wissenschaft und Fortschritt!
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Mit Verstand und Entschlossenheit aus der Pandemie, das wäre mal ein Plan.
Noch letzte Woche haben wir Sie, werte Bundesregierung, aufgefordert, mit den Ländern einen Stufenplan zur Öffnung zu erarbeiten und dabei die Chancen, die Schnelltests zur Selbstanwendung bieten, miteinzubeziehen. Schritte im Bildungsbereich, weniger Einsamkeit, Öffnungen im Einzelhandel, der Gastronomie und Kulturangebote, Angebote im Sport: Unsere Fantasie und unser Ehrgeiz reichen nicht nur von hier bis zum Friseur an der nächsten Straßenecke.
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Wir glauben, dass es für alle Branchen, für jeden klare Perspektiven braucht, dass es Planbarkeit braucht, genau genommen sogar Berechenbarkeit, klare Wenn-dann-Regeln, unter welchen Voraussetzungen bei welchem regionalen Infektionsgeschehen was möglich ist. Aber leider, wie man hört, wird da heute wieder eine Chance verpasst, den Menschen eine klare Perspektive zu geben.
Es ist gut und richtig, wenn es ein kostenloses Schnelltestangebot in Schulen, aber auch für alle Bürgerinnen und Bürger gibt. Das deckt Infektionen auf, die sonst unentdeckt blieben. Das hätte mit Blick zum Beispiel nach Österreich schneller kommen müssen; aber nun ist es, wie es ist. Ich hoffe sehr, dass man in den Details der praktischen Umsetzung die eigentlich gute Idee nicht wieder durch Dilettantismus und Bürokratismus an die Wand fahren lässt.
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Konkret besorgt bin ich in der Frage, wie denn das Testangebot auszusehen hat, das Unternehmen ihren Mitarbeitern künftig machen sollen. Ich denke mit Schrecken an die Ausgabe der kostenlosen FFP2-Masken zurück.
Wenn man nun also ein Testangebot macht, dann muss man schon auch die Frage ehrlich beantworten, welches Ziel man verfolgt. Will man den Menschen auf sichere Art und Weise ein Stück ihrer Freiheit zurückgeben, oder will man schlicht mehr Tests als bisher? Wir haben immer gesagt, dass wir das Erstere wollen: mehr Freiheit in Sicherheit, weniger Eingriffe in unser aller Grundrechte und mehr Eigenverantwortung.
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Und die Bundesregierung? Sie redet von Öffnungsperspektiven und Stufen, meint aber die Verlängerung des Lockdowns. Der Kollege Theurer hat das eben eine Öffnungs-Fata-Morgana – sichtbar, aber unerreichbar – genannt. Aber ich glaube, dass selbst das noch beschönigend ist. Denn hinter einer Fata Morgana steckt ja zumindest ein echtes physikalisches Phänomen.
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Wir haben es hier eher mit einer gewollten optischen Täuschung zu tun, mit Show. Auch der Bundesregierung muss klar sein, dass es bei breit angelegten Schnelltests zu höheren Inzidenzen kommt. Man darf sich deshalb nicht an starre Inzidenzzahlen klammern, sondern muss – so haben wir es in unserem Sieben-Stufen-Plan gefordert – unter anderem auch die Testhäufigkeit berücksichtigen. Wir halten fest: Wieder gibt es keine glaubhafte Perspektive. Wieder vertun wir eine Chance.
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Was mich außerdem wirklich aufregt: Das hier sind die wichtigsten Debatten unserer Zeit. Die gehören hierher, nicht in irgendwelche Hinterzimmer. Statt sich hier zu erklären, –
Letzter Satz, bitte.
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– hat die Große Koalition heute mit Unterstützung der AfD einen Corona-Unterausschuss im Gesundheitsausschuss installiert, ein neues Hinterzimmer eines Hinterzimmers. Werte Bundesregierung, schaffen Sie endlich Transparenz, entwickeln Sie ein Fünkchen Ehrgeiz, nutzen Sie die Chance, die die Tests bieten, und geben Sie den Menschen eine klare Perspektive!
Vielen Dank.
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Danke. – Die nächste Rednerin: für die CDU/CSU Bettina Wiesmann.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tests, insbesondere die seit wenigen Tagen zugelassenen Selbsttests, können in der Pandemie ein zweiter Gamechanger sein. Der erste war der Impfstoff. Er zieht dem Virus den Zahn. Das vertraute Sozialleben wird für Geimpfte wieder so harmlos, wie wir es kannten. Sind genügend von uns gegen das Virus immun, ist die Pandemie besiegt. Bis dahin heißt es: Kontakte vermeiden.
Tests folgen einer anderen Logik. Sie setzen nicht beim Gefährdeten, sondern beim potenziellen Gefährder, beim potenziellen Spreader an. Sie erlauben Mobilität aus der momentanen Gewissheit, nicht ansteckend zu sein, aber eben nur für kurze Zeit. Systematische Tests sind ein Mittel, mit dem Virus zu leben, und zwar so lange, bis alle Menschen geimpft sind. Sie sind auch eine Antwort auf weitere Mutationen oder gar neue Viren, auf die wir noch keine Impfantwort haben. Sie sind besonders in der erschwinglichen Eigentestvariante ein weiterer Gamechanger. Deshalb ist die Teststrategie der Regierungen, und zwar von Bund und Ländern, von eminenter Bedeutung und spielt auch heute in den Beratungen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin eine herausragende Rolle. Das konnte man den Papieren sehr wohl entnehmen.
In der jetzigen Lage, nach Monaten des Lockdowns, der uns mürbe macht – das ist zur Sprache gekommen – und übrigens eigene Gefährdungen mit sich bringt, muss die Teststrategie dreierlei erfüllen: Sie muss klar sein, sie muss wirksam sein, und sie muss schnell sein.
Erstens: klare Prioritäten. Aus dem ersten Lockdown hatten wir den Schluss gezogen, dass Kinder und Jugendliche – das soll hier mein Schwerpunkt sein – bei der weiteren Pandemiebekämpfung Vorrang haben müssen. Dieses Versprechen haben wir bis kurz vor Weihnachten weitgehend gehalten, und jetzt müssen wir es wieder einlösen. Bald drei Monate Lockdown weiter sehen wir mit Sorge nicht nur die anwachsenden Lerndefizite der Schüler. Wir verzeichnen außerdem Verhaltensauffälligkeiten, Niedergeschlagenheit, Apathie, teilweise auch körperliche Beeinträchtigungen bei älteren Kindern und Jugendlichen. Und dass sie schon so lange – nicht nur drei Monate, sondern viel länger – auf Sport, Musik, Ehrenamt, spontane Geselligkeit verzichten müssen, hinterlässt Spuren beim Selbstwertgefühl und in der Persönlichkeitsbildung.
Hieß es Anfang des Jahres noch – ich habe es hier schon mal gesagt –: „Ich möchte Teil meiner Gruppe sein“, ist jetzt die Aussage: „Ich habe Angst, in die Schule zurückzukehren“. Die psychosozialen Folgen stark reduzierten Sozialkontakts betreffen im Übrigen bei Weitem nicht nur Familien, die für ihre Kinder schon vor Corona nicht gut genug sorgen konnten. Deshalb muss die anstehende Eigentestoffensive zuerst Jugendlichen und Kindern gelten. Sie haben ein Recht auf Entwicklung und Bildung. Sie haben bislang keine Aussicht auf Schutz durch die Impfung. Sie haben in bewundernswerter Weise Solidarität geübt, und sie werden es sein, die einen Großteil der unausweichlichen Pandemiefolgen bewältigen müssen. Deshalb haben sie – das ist klar und nachvollziehbar – Priorität.
Zweitens: Wirksamkeit. Schulen und Kitas sind ein Subset, das sich für den Einstieg in systematische Testungen besonders eignet. Sie bilden einen abgegrenzten und gut kontrollierbaren Kontaktbereich – jeder dort ist bekannt –, der zugleich einen signifikanten Teil unseres Soziallebens ausmacht. Die testbasierte Rückkehr aller Jahrgänge in den Präsenzunterricht wird das Leben für Millionen Schüler, Eltern und Pädagogen ein großes Stück weit normalisieren, und es wird die Durchhaltebereitschaft in der Bevölkerung für Beschränkungen in anderen Bereichen stärken und sogar erhöhen. Es wird der Pandemiebekämpfung insgesamt dienen.
Und so kann es gehen – es wurde nach konkreten Dingen gefragt –: Schüler und Kitakinder sowie noch nicht geimpfte Pädagogen machen morgens einen Selbsttest und zeigen beim Betreten der Schule bzw. Kita den Nachweis ihres Ergebnisses. Für positiv Getestete stehen die Gesundheitsämter bereit. Mit Stichproben oder jahrgangsweise durchgeführten Kontrolltests kann festgestellt werden, ob fälschlicherweise negativ getestete Schüler in der Schule sind. Wer schummelt, wird bestraft. Der Druck der Peergroup ist ihm sowieso gewiss. Die Tests sind, weil Voraussetzung für den Schulbesuch, kostenlos und werden durch die Schulen selbst verteilt. Die Schulen verteilen schon so viele andere Dinge; das können sie auch noch schaffen.
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Ein solcher Ablauf wäre plausibel, einfach und leicht kommuniziert. Und sehr rasch können dann auch die wichtigen ergänzenden Komponenten des Schullebens wiederbelebt werden: Sport, Musik, Theater – in der Schule. Da sind sie ja sowieso schon. Organisatorisch wäre das eine Kleinigkeit – Rückkehr zum Normalbetrieb nämlich –; zugleich wäre es eine Riesenentlastung für die Pandemiebekämpfung außerhalb der Schulen und eine große Chance, funktionierende Prozesse, die natürlich ihre Zeit brauchen, dann auf andere Bereiche wie den Vereinssport, die Kultur und alles andere, was angesprochen wurde, zu übertragen.
Drittens: Schnelligkeit. Im Bereich der Bildungseinrichtungen kann sehr rasch gehandelt werden. Die neuen Tests sind jetzt zugelassen – inzwischen sind es vier Produkte –; sie dürfen an Privatpersonen abgegeben werden. Dank an den Gesundheitsminister; er hat es nämlich schon erlaubt. In sehr kurzer Zeit werden ausreichend Tests am Markt sein; man schätzt, zu 3 Euro pro Stück.
Letzter Satz.
15 Euro für den wöchentlichen Schul- oder Kitabesuch. Das ist zu stemmen. Das macht in etwa 3 Milliarden Euro bis zum Sommer. Das sind keine Peanuts, ist aber absolut vertretbar.
Ich wünsche mir von der Ministerpräsidentenrunde heute: Gehen wir mit den Kindern und Jugendlichen voran! Lassen wir auch die Jahrgänge 7 bis 11 so schnell wie möglich zurück ins Schulleben, jahrgangsweise und gern auch mit Maskenpflicht kombiniert! Eine digitale Lösung muss hier nicht abgewartet werden.
So, jetzt fertig.
Dann kann ein großer Teil der Gesellschaft wieder aufatmen.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Dirk Heidenblut.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir müssen dringend vorankommen, um aus dem Lockdown rauszukommen; denn der Lockdown ist nicht die Lösung für die Bekämpfung der Pandemie. Ich glaube, das ist jedem klar. Wer allen Ernstes behauptet, dass wir über die Bundesregierung und auch hier im Parlament den Lockdown als die bevorzugte und gute Lösung dauernd weiterverlängern wollen, dem sei gesagt: Das ist nun wirklich völliger Unfug!
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Ganz im Gegenteil: Jeder von uns hier möchte aus dem Lockdown raus.
Ja, ich gebe zu: Manche Rezepte, die wir hätten, gehen nicht schnell genug von der Hand. Dazu gehört ganz sicher auch die Frage der Teststrategie. Bei der Teststrategie müssten wir viel schneller vorankommen. Damit hätten wir eine gute Möglichkeit. Ich bin dem Kollegen Dahmen sehr dankbar, dass er gefordert hat, nicht mal eben so eine Art Öffnungsorgie zu betreiben und zu sagen: Jetzt haben wir eine Teststrategie, und jetzt springen wir nach dem Motto „schneller, höher, weiter“ an allen Ecken und Enden in eine Öffnung. – Aber wir haben eine Möglichkeit, Perspektiven aufzuzeigen. Mit den Selbsttests können wir den Menschen etwas an die Hand geben, um für sich selbst und für uns alle Sicherheit zu gewinnen und voranzukommen und endlich aus dem uns alle belastenden Lockdown herauszukommen. Deswegen müssen wir bei der Frage der Selbsttests und bei der Frage der Teststrategie weiterkommen.
Das Zusammenwirken dreier Aspekte – die Hygienevorgaben, die Impfstrategie und eine sinnvolle und gute Teststrategie – wird uns helfen, insgesamt weiterzukommen. Das sind wir den Menschen schuldig, die unter den Lockdown-Maßnahmen besonders leiden. Der Kollege hat die Künstlerinnen und Künstler schon angesprochen; man hätte noch die Schausteller und viele andere hinzunehmen können. Natürlich leiden auch Gastronominnen und Gastronomen und der Einzelhandel im Moment massiv. Es leiden viele darunter, und natürlich wollen wir, dass sie endlich wieder aus dem Lockdown rauskommen. Das sind wir auch allen Menschen schuldig, die darunter leiden, dass sie keine Veranstaltungen mehr besuchen können, dass sie nicht mehr gesellig zusammenkommen können; das sind wir jedem schuldig.
Vor dem Hintergrund möchte ich für meine Fraktion in Richtung des Bundesgesundheitsministeriums, aber auch in Richtung der Ministerpräsidenten-/Ministerpräsidentinnenkonferenz und all derjenigen, die da mitentscheiden werden, sehr deutlich sagen: Setzen Sie endlich auf eine vernünftige Teststrategie, und sorgen Sie dafür, dass das Ganze auch vernünftig umgesetzt wird.
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Dazu gehört nicht nur, dass die Tests verfügbar sind. Dazu gehört nicht nur, dass die Tests dann nach Möglichkeit kostenlos oder zumindest so kostengünstig abgegeben werden können – und da gebe ich Ihnen völlig recht –, dass sich jeder beteiligen kann; das darf kein Testen nur für bestimmte Gruppen werden. Dazu gehört vielmehr auch, dass klar ist: Was heißt es denn, wenn ich diesen Test einsetze? Da sind ja viele weitere Fragen zu klären: Was ist denn, wenn ich mit dem Schnelltest, dem Eigentest, den ich selbst zu Hause durchführe, Corona feststelle? Wie sieht es mit der Krankmeldung, mit der Meldung gegenüber dem Arbeitgeber, der Arbeitgeberin aus? Wie sieht es mit einer Meldung gegenüber den Kindergärten, den Schulen aus? Wie sieht es dann damit aus, an einen PCR-Test zu kommen? Denn wir wissen alle: Der Schnelltest, auch der Eigentest, ist nur eine Momentaufnahme, er hilft uns vielleicht über 24 Stunden; aber wir brauchen insgesamt einen PCR-Test. Da muss es dann klare Regelungen, gegebenenfalls einen Vorrang, geben. – Es gibt also eine Menge von Punkten, die zu regeln sind. Das sollten wir dringend anpacken, im Interesse aller.
Ich will aber noch einen Punkt aufgreifen, den der Kollege Kessler gesagt hat und den ich zumindest klarstellen möchte: Nein, wir haben keinen „Untersuchungsausschuss“ gegründet. – Das haben Sie wörtlich so gesagt.
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Der Untersuchungsausschuss ist ein spezielles Gremium für spezielle Fragen. Wir wollen aber einen Unterausschuss einsetzen. Dieser Unterausschuss soll im Übrigen – und ich finde es schon ziemlich dreist, das in Richtung „Coronaleugnung und AfD“ zu rücken – nichts unter den Teppich kehren, sondern er soll, ganz im Gegenteil
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– da hilft auch lautes Schreien nicht, Herr Kessler; das machen Sie auch von hier aus immer –, dafür sorgen, dass das Parlament stärker beteiligt wird.
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Da kann man jetzt, wie die Kollegen der Grünen und der FDP, der Ansicht sein, dass das nicht reicht – ich persönlich will gar nicht verhehlen, dass ich durchaus große Sympathien für einen Pandemierat oder Ähnliches habe –; aber es ist ein weiterer Schritt, um das Parlament besser zu beteiligen und sich im Rahmen eines Unterausschusses gezielter und klarer mit dem zu befassen, was uns Corona sozusagen eingebrockt, aber auch mit auf den Weg gegeben hat.
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Wir wollen also weiterkommen. Wir wollen eine Teststrategie. Und ich bin mir sicher: Am Ende will das Bundesgesundheitsministerium dies auch. Wir werden das gemeinsam machen und in vernünftiger Form nach vorne bringen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dirk Heidenblut. – Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Stephan Pilsinger von der CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass Sie hier in Sachen Schnelltests so engagiert sind. Aber ich sage es gern auch zum dritten, vierten und auch fünften Mal – ich zähle da schon gar nicht mehr mit –: Schnelltests sind ein wichtiges Instrument; aber wir werden damit keine kompletten Öffnungen rechtfertigen können.
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Wir stehen am Beginn einer dritten, schweren Infektionswelle. Gerne erinnere ich noch mal daran: Die britische Virusvariante macht – Stand: heute – bereits 46 Prozent der positiven Tests aus und wird in wenigen Wochen den Wildtyp nahezu vollständig verdrängt haben. Das sind keine guten Nachrichten, meine Damen und Herren. Im Gegenteil: Die britische Mutante ist zwischen 30 und 70 Prozent ansteckender und damit weit gefährlicher als die bisherige Variante.
Schauen Sie doch einfach mal nach Tschechien: Die Tschechen haben trotz Virusmutationen mit den Öffnungen begonnen. Jetzt haben sie weltweit die höchste Inzidenz, nämlich 765, meine Damen und Herren. Da passiert jetzt genau das, was wir durch unsere Maßnahmen mit aller Macht verhindern wollen: Das Gesundheitssystem kollabiert. Das heißt: keine ausreichende Versorgung der Coronapatienten und auch keine ausreichende Versorgung aller Patienten.
Wenn wir schon bei den Schnelltests sind, schauen wir doch einfach mal nach Österreich – das ziehen Sie doch immer wieder als Positivbeispiel heran –: Die Österreicher testen jetzt jede Woche fast ein Viertel aller Bürgerinnen und Bürger einfach so, ohne Anlass. Und sind sie mit dieser Strategie erfolgreich? Da gebe ich Ihnen gerne gleich die Antwort: Nein, das sind sie gerade eben nicht. Wenn man nämlich die Ansteckungsfähigkeit der neuen Mutationen ignoriert und trotzdem öffnet, dann – da kann man so viel testen, wie man will – steigen die Fallzahlen.
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Ich gebe Ihnen ja recht, dass wir eine Perspektive brauchen, aus dem Lockdown herauszukommen. Ich würde mir auch wünschen, dass wir die Beschränkungen eher heute als morgen nicht mehr als notwendig erachten. Aber wir haben ja nicht ohne Grund unsere Wirtschaft heruntergefahren. Das Virus passt sich fortwährend an und ist uns immer wieder einen Schritt voraus. Da dürfen wir ihm doch nicht jetzt auch noch die Gelegenheit zur weiteren Ausbreitung auf dem Silbertablett servieren.
Lassen Sie mich hier abschließend Bezug auf meine Reden der vergangenen Wochen nehmen:
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Wir brauchen Tests, auch Schnelltests, und ja, auch Selbsttests sind ein nützliches Instrument in der Pandemie. Aber sie werden uns eben nicht aus dieser Krise führen, und sie werden auch keine umfangreichen Öffnungen ermöglichen. Schnelltests sind ungenau, erst recht, wenn Sie ins Blaue hinein einfach jeden testen. Wir müssen doch ehrlich miteinander bleiben, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Ohne die Kontaktbeschränkungen halten wir es nicht durch, bis ausreichend Menschen gegen das Virus geimpft sind.
Ich höre in diesem Zusammenhang auch immer wieder: Wenn die Älteren erst mal geimpft sind, dann können wir ja wieder alles aufmachen. – Nein, meine Damen und Herren, genau das können wir eben nicht. Es ist ein Virus, das nicht nur die Älteren gefährdet. Es mag ja sein, dass die Sterblichkeit unter den Jüngeren deutlich niedriger ist. Aber wenn wir jetzt öffnen, dann sind die Intensivstationen in wenigen Wochen auch mit jungen Menschen voll. Als Arzt kann ich Ihnen sagen, dass wir dann ein Riesenproblem haben. Von dieser Erkrankung erholt man sich nicht mal eben so, erst recht nicht bei einem schweren Verlauf. Wir wissen mittlerweile, dass es sich bei Covid-19 um eine systemische Erkrankung handelt, eben keine ausschließliche Atemwegserkrankung. Die Erkrankten haben noch Monate oder ihr ganzes Leben mit den Auswirkungen der Erkrankung zu kämpfen. Diese Menschen müssen wir doch schützen. Das geht eben nicht, indem wir die Zahl der Schnelltests erhöhen, sondern nur mit strikten Kontaktbeschränkungen und schlussendlich mit den Impfungen.
Was glauben Sie, warum wir im Frühjahr vergleichsweise niedrige Fallzahlen hatten? Weil die Menschen zu Hause geblieben sind, um ihre Mitmenschen und sich selbst zu schützen, und eben nicht, wie ich das jetzt immer häufiger beobachte, jede Gelegenheit dazu genutzt haben, die Maßnahmen zu umgehen. Die Straßen waren damals leer, zum Glück auch viele Intensivbetten. Deshalb konnten wir damals von einem sehr niedrigen Stand der täglichen Neuinfektionen in den Sommer starten. Ich wünsche mir intensiv, meine Damen und Herren, dass wir das trotz der Virusmutationen auch in diesem Jahr schaffen.
Lassen Sie uns deswegen den Menschen die Schnelltests nicht als alleinigen Weg aus der Pandemie verkaufen. Bleiben wir bei den Fakten: Schnelltests in Bereichen wie Pflegeheimen, Kliniken oder Schulen sind richtig und wichtig. Aber sie sollten uns nicht dazu verleiten, unvorsichtig zu werden – nicht jetzt, meine Damen und Herren, wo wir doch das Ende der Pandemie durch die Impfung bereits vor Augen haben. Deshalb: Schnelltests ja, aber gezielt und ohne die Kontaktbeschränkungen über Bord zu werfen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Stephan Pilsinger. – Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute im Deutschen Bundestag über die Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am VN-Mandat im Südsudan, UNMISS.
Wer sich den letzten Bericht des UN-Generalsekretärs zum Südsudan anschaut, der weiß: Die Situation dort ist alles andere als gut. Nach wie vor beherrscht zum Teil extreme Gewalt die Situation in einigen Provinzen. Nach der Regierungsbildung ist der Friedensprozess nicht sehr gut vorangekommen. Es gibt nach wie vor Dissens zwischen den am Friedensprozess Beteiligten über das weitere Prozedere, und fast zwei Drittel der Bevölkerung des Südsudan sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Trotzdem gibt es auch Hoffnungszeichen. Der erneuerte Friedensvertrag und die Regierungsbildung vor einem Jahr sind wichtige Schritte hin zu einem möglichen Frieden. Sie sind noch nicht der Frieden, aber das sind wichtige Schritte dorthin. Die Hauptkontrahenten – ich darf daran erinnern –, Salva Kiir und Riek Machar, haben sich auf eine gemeinsame Regierungsbildung verständigt – weitere Oppositionsgruppen sind einbezogen worden –, mit dem Ziel, drei Jahre nach der Regierungsbildung Wahlen abzuhalten. Der Prozess ist also auf dem Weg, aber er geht sehr, sehr schleppend voran.
Was soll nun die VN-Mission? Sie soll zuallererst den Schutz der Zivilbevölkerung sicherstellen; denn wir haben nach wie vor extreme, auch sexualisierte Gewalt in vielen Auseinandersetzungen und Konflikten quer durch das Land. 130 000 Menschen sind noch immer in Camps, die von UNMISS geschützt werden und deren Lebensversicherung und Perspektive UNMISS ist. Darüber hinaus soll UNMISS die humanitäre Hilfe absichern. Ich habe es eben erwähnt: Fast zwei Drittel der 12 Millionen Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, und angesichts der verbreiteten Gewalt ist diese humanitäre Hilfe nur bei militärischer Absicherung, nur unter Schutz zu leisten. Dafür ist UNMISS unverzichtbar. Und UNMISS soll den Friedensprozess unterstützen und die Menschenrechtssituation überwachen.
Wir sehen also: In dieser Situation wird das Engagement der Vereinten Nationen, das Engagement der Bundeswehr weiter dringend gebraucht.
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Deutschland leistet einen kleinen Beitrag zu dieser Mission. Im Dezember waren 11 Soldatinnen und Soldaten dort im Einsatz. Bis zu 50 können es mit dem neuen Mandat sein. Insgesamt sind aber für das Mandat rund 17 000 militärische Kräfte und über 2 000 Polizeikräfte vorgesehen. Deutschland engagiert sich aber nicht nur mit der Beteiligung der Bundeswehr an UNMISS, sondern auch im Rahmen der Unterstützung des Friedensprozesses und der Konsolidierung der politischen Situation innerhalb der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, zum Beispiel im Bereich von Ernährung und Landwirtschaft.
Jetzt, da der Prozess nahezu zum Erliegen gekommen ist, wird es wichtig sein, ein neues politisches Momentum zu erzeugen. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt nicht nur UNMISS verlängern, sondern wir müssen auch den politischen Druck auf die Parteien im Südsudan erhöhen, den Friedensprozess mit aller Kraft voranzutreiben; denn sonst besteht die Gefahr, dass neue Gewalt ausbricht und wieder eskaliert. Am Ende ist es so wie bei vielen anderen Konflikten auch: Nur eine politische Lösung kann den Frieden schaffen. Militärischer Einsatz allein kann das nicht.
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Bis eine solche Friedenslösung geschaffen ist, brauchen wir aber auch den militärischen Einsatz, brauchen wir UNMISS. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion diesem Mandat zustimmen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Christoph Matschie. – Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Gerold Otten das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Mit dem Südsudan ist ein Staat ohne klare nationale Identität und Zusammenhalt entstanden.“ Das sagte der Kollege Erndl von der Union bei der ersten Lesung des vorliegenden Antrags, und da hat er Recht. Die desolate Situation im Südsudan sollte aber auch alle Multikulturalisten nachdenklich machen. Das Land ist in ethnische und kulturelle Gruppierungen fragmentiert, die sich feindlich gegenüberstehen und auf ihre Sonderrechte pochen. Das Land befindet sich, trotz aller Friedensbemühungen, in einem bürgerkriegsähnlichen Dauerzustand, ist ein Failed State. Die humanitäre Lage ist weiterhin katastrophal. Fast 2 Millionen Binnenvertriebene leben in Gastgemeinschaften und Camps über das Land verteilt. Über 2 Millionen Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Trotz Friedensvertrag sind Gewalttaten und Morde an der Tagesordnung.
Dies alles sollte ein warnendes Beispiel sein. Gesetze und Verfassungen beruhen eben auf allgemeingültigen kulturellen Werten, auf die sich alle Gruppierungen in einem Staat verpflichten. Demokratische Mehrheitsentscheidungen sind in einer derart fragmentierten Gesellschaft aber nicht mehr möglich. An deren Stelle treten Verträge zwischen den Parallelgesellschaften und ihren Repräsentanten. Das genau ist der Kern des Revitalisierungsabkommens von 2018. Bei diesen Verträgen setzen sich diejenigen durch, die am nachdrücklichsten drohen und über die militanteste Anhängerschaft verfügen. Streitigkeiten schüren Hass, Hass Verfolgung, Verfolgung neue Kriege.
Bereits vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Abkommen vom September 2018 nichts anderes beinhaltet als eine Wiederaufnahme des Status quo ante von 2011: ein Dinka als Präsident und ein Nuer als Vize. Die gegenwärtig unterschwellig weiter lodernde Glut ethnischer Spannungen könnte sich jederzeit wieder entzünden. – Das waren meine Worte. Dem UN-Bericht vom 9. Dezember des vergangenen Jahres entnehme ich, dass ich damit nicht falsch lag.
Ich möchte hier die wichtigsten Punkte des Berichts aufgreifen: Die Reform des Sicherheitssektors verzögert sich erheblich. Die Milizen der Opposition sind nicht willens, sich der Oberhoheit der Regierungsparteien zu unterstellen. Sie weigern sich, andere als die ihrigen Befehlsstrukturen anzuerkennen. Die lokalen Machthaber wollen nicht auf ihr stets verfügbares Machtpotenzial verzichten. Überdies bezweifle ich grundsätzlich, dass ein überproportional aufgeblähter und illoyaler Sicherheitssektor funktional ist und jemals stabilisierend in dem Land wirken kann.
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Natürlich verzögert sich auch die Verwaltungsreform. Die Besetzung der Posten in den 79 Verwaltungseinheiten des Landes ist umstritten; denn mit den Posten ist eben auch ökonomische Macht verbunden. Zunehmender Dissens zwischen den Regierenden, wechselnde Allianzen, Abspaltungen in der Opposition und anhaltendes Gerangel um Posten zeigen: Wir erleben die Fortsetzung des Kampfes um Einfluss und Macht, des Krieges also, mit – noch – anderen Mitteln.
Daraus folgt, die Sicherung von Ruhe und Ordnung ist nicht möglich. Auf kommunaler Ebene gehen die Kämpfe zwischen den Ethnien ebenso weiter wie zwischen den Vertragsparteien des Revitalisierungsabkommens. Wollen UNMISS und Hilfsorganisationen ihren Aufgaben in diesen Konfliktgebieten nachkommen, werden sie dabei von der Regierung und Milizen behindert, obwohl der Stationierungsvertrag von 2011 die Bewegungsfreiheit von UNMISS zu Land und Luft garantiert. Auch das zeigt: Die Zusammenarbeit zwischen Regierung und UNMISS funktioniert weiterhin nicht.
Mit Blick auf diese Probleme hat David Shearer, Chef von UNMISS, vor einem Monat die Befürchtung ausgesprochen, die mangelnde Umsetzung des Revitalisierungsprogramms könnte den anstehenden Wahlen im nächsten Jahr die Legitimität entziehen, und die Befürchtung ist berechtigt.
Wir, meine Damen und Herren, die Alternativen, stimmen der Verlängerung des Mandats zu. Wir tun dies in der Hoffnung, dass die Wahlen im kommenden Jahr zeigen werden, dass die Menschen des Südsudans nach dem Gemeinwohl entscheiden werden und nicht nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit und dass ihre Anführer das Votum auch akzeptieren.
Vielen Dank.
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Könnten Sie bitte Ihre Maske aufsetzen? – Gut. Der nächste Redner: für die CDU/CSU der Abgeordnete Dr. Andreas Nick.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2011 leistet die Mission UNMISS mit bis zu 17 000 Soldaten sowie 2 100 Polizisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Friedensprozess im Südsudan. Ihre Kernaufgaben sind der Schutz der Zivilbevölkerung, die Beobachtung der Menschenrechtssituation sowie die Sicherung des Zugangs zu humanitärer Hilfe.
Dazu möchten auch wir in Deutschland im kommenden Jahr weiterhin unseren Beitrag leisten: mit bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten als Militärbeobachter, aber auch auf VN-Dienstposten sowie in den Hauptquartieren und Stäben der Mission. Den derzeit 11 bei UNMISS eingesetzten deutschen Soldatinnen und Soldaten möchte ich von hier aus herzlich für ihren schwierigen Einsatz, gerade auch unter den besonderen Bedingungen der Coronapandemie, ganz herzlich danken.
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Im vergangenen Jahr haben uns aus dem Südsudan vergleichsweise positive Nachrichten erreicht, auch wenn das hierzulande kaum mediale Aufmerksamkeit erfahren hat. Nachdem Ende Februar 2020 eine Übergangsregierung der nationalen Einheit gebildet werden konnte, ist eine dreijährige Übergangszeit angebrochen, an deren Ende nationale Wahlen stehen sollen. Ein erheblicher Fortschritt war auch die Aufteilung des Südsudan in zehn Bundesstaaten. Ebenso begrüßen wir, dass die Regierung Ende Januar beschlossen hat, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission, ein Sondergericht für die Strafverfolgung schwerer Verbrechen und eine Behörde für die Entschädigung von Kriegsopfern zu schaffen – ein wichtiger Schritt für die Bewältigung dessen, was dort in den vergangenen Jahren geschehen ist, und als Neuanfang auf dem Weg nach vorne.
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Dennoch müssen wir sehr nüchtern feststellen: Die Umsetzung des Friedensabkommens von 2018 kommt nur schleppend voran. Sie ist zudem überlagert von internen Machtkämpfen. Seit der Unterzeichnung des Abkommens hat sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert. Dennoch erleben einige Bundesstaaten einen deutlichen Anstieg der Gewalt auf regionaler und lokaler Ebene, insbesondere – das ist besonders bedrückend – auch sexualisierter Gewalt. Die humanitäre Lage – Kollege Matschie hat das angesprochen – ist katastrophal, bleibt katastrophal: Von etwa 12 Millionen Einwohnern sind 8,3 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Nicht zuletzt spielt sich im Südsudan mit 1,6 Millionen Binnenvertriebenen und 2,2 Millionen von dort Geflüchteten die derzeit drittgrößte Flüchtlingskatastrophe unserer Zeit ab.
Meine Damen und Herren, vor dem Südsudan liegt noch ein langer Weg, für den es die Mission UNMISS weiterhin braucht. Deshalb wird sie auch der VN-Sicherheitsrat voraussichtlich am 15. März verlängern. Zentrale Schritte zur Umsetzung des Friedensabkommens bleiben eine umfassende Reform des Sicherheitssektors, die Aufstellung gemeinsamer Sicherheitskräfte sowie langfristig auch die Entwaffnung und Reintegration bewaffneter Gruppen.
Entscheidend für den Erfolg wird dabei sein, dass die Impulse und Fortschritte für den weiteren Friedensprozess aus dem Land selbst kommen. Aber als internationale Gemeinschaft – dazu wollen auch wir mit unserem Einsatz beitragen – können wir helfen, möglichst konstruktive Rahmenbedingungen für diese Prozesse zu schaffen; dazu trägt auch das vorliegende Mandat bei. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt diesem Einsatz zu.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Der nächste Redner für die FDP-Fraktion ist der Abgeordnete Dr. Marcus Faber.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Südsudan ist das jüngste Land der Welt; er ist jetzt zehn Jahre alt. In diesen zehn Jahren haben es Opposition und Regierung nicht geschafft, ihre Konflikte friedlich beizulegen, sie haben es nicht geschafft, sich auf einheitliche Streitkräfte zu einigen, sondern jeder hat seine Miliz, und die Milizen bekriegen einander. Deshalb braucht der Südsudan seit zehn Jahren Peacekeeper.
Wir haben dort derzeit 10 Bundeswehrsoldaten im Einsatz, 10 von 15 000 UN-Soldaten. Das zeigt, glaube ich, welche Verantwortung die Bundesregierung in dieser Region übernimmt – oder eben auch nicht übernimmt.
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Der Südsudan ist ein sehr fragiles Land, ist ein sehr instabiles Land. Deswegen ist es auch richtig, dass wir heute darüber reden, auch wenn wir hier über 10 Soldaten reden. Meine Damen und Herren, wir reden an dieser Stelle häufig über beispielsweise Flüchtlingscamps wie Moria, Flüchtlingscamps an anderen Ecken an den Grenzen Europas, völlig zu Recht. Der Südsudan ist von den Flüchtlingszahlen her hundertmal Moria. Den Flüchtlingen im Südsudan, den intern im Land Vertriebenen, geht es leider dramatisch schlecht. Die Nahrungsmittelversorgung durch das World Food Programm ist prekär, an fließend Wasser oder Strom ist gar nicht zu denken. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir, Deutschland, als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt hier einmal hinschauen.
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Meine Damen und Herren, wir müssen hier hinschauen, wir müssen diese UN-Mission UNMISS unterstützen; denn sie sorgt dafür, dass die humanitäre Hilfe auch bei den Flüchtlingen ankommt; das ist wichtig.
Wir müssen aber auch den Einsatz unserer Soldaten optimieren, und da gibt es noch einiges zu tun.
Erster Punkt: Kommunikation. Wenn ein Militärbeobachter auf Patrouille geht, dann ist es wichtig, dass er kommunizieren kann. Da wäre es vielleicht sinnvoller, ihm statt eines Funktelefons, das beim Gespräch nur wenige Minuten Akkulaufzeit hat, ein Satellitentelefon an die Hand zu geben, das über die gesamte Länge der Patrouille funktioniert, damit er Hilfe anfordern kann, wenn Hilfe benötigt wird.
Zum Zweiten: Diese Patrouillen sind leider häufig keine Spaziergänge. Wir haben es eben schon gehört, es ist eine sehr angespannte Situation dort. Deswegen ist es, glaube ich, auch wichtig, dass unsere Soldaten – es sind nicht viele – auch die Möglichkeit haben, ihr Gewehr zum Beispiel mit ins Einsatzland zu nehmen, samt Munition, damit man sich in brenzligen Situationen behelfen kann – wie andere UN-Soldaten, aus anderen Staaten, das dort auch haben –, aber auch, damit man während des monatelangen Einsatzes üben kann.
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Wir, die Freien Demokraten, unterstützen diese Mission, weil sie wichtig ist und weil sie auch für uns ein Anlass ist, in dieses jüngste und teilweise prekärste Land der Welt zu blicken.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Marcus Faber. – Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke der Abgeordnete Tobias Pflüger.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Mission im Südsudan wird dieses Jahr zehn Jahre alt, und ein Ende ist nicht in Sicht. Das Friedensabkommen von vor ziemlich genau einem Jahr hält mehr schlecht als recht, und politisch bleibt die Lage im Südsudan fragil.
Die Bundesregierung schließt in dem Text des Bundeswehrmandates, über das wir heute abstimmen, nicht einmal aus, dass der Friedensprozess sogar scheitern könnte. Der Südsudan, diese vom Westen beförderte Staatengründung, bleibt ein gescheiterter Staat. Es gibt nach wie vor „Gewaltausbrüche“, und „die Übergänge zwischen krimineller und politischer Gewalt … sind fließend“ – so im Mandatstext der Bundesregierung.
An dieser Situation kann auch die UN-Mission UNMISS mit maximal 17 000 Soldatinnen und Soldaten – aktuell sind es 14 000, darunter 11 deutsche – plus Polizeikräfte und zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nichts ändern. Das Land ist fast so groß wie Afghanistan, nicht ganz doppelt so groß wie Deutschland. Die Bevölkerung schützen kann die UN da natürlich nur minimal, zumal – das kommt noch erschwerend hinzu – die UN-Mission auf die Kooperation mit der südsudanesischen Regierung angewiesen ist. Diese südsudanesische Regierung unternimmt aber viel zu wenig, sie wird ihrer Verantwortung – Zitat – „nur rudimentär gerecht“; das schreibt die Bundesregierung. Aus den Berichten des UN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat geht klar hervor, dass die südsudanesische Regierung ständig und bis heute die Bewegungsfreiheit der UN-Mission einschränkt – mit der Folge, dass die UN-Mission ihren Auftrag gar nicht erfüllen kann. Das ist die ernüchternde Realität. Also erzählen Sie nicht, diese UN-Mission sei erfolgreich!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt dabei – das haben wir als Linke immer wieder gesagt –: Damit der Friedensprozess im Südsudan vorankommt, braucht es politische und ökonomische Entwicklung. Die Menschen im Südsudan brauchen dringend zivile Hilfe und nicht militärische.
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Gerade mussten das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und das Welternährungsprogramm die Essensrationen für Flüchtlinge in Ostafrika kürzen – aus Geldmangel. Im Südsudan sind es konkret Kürzungen von 30 Prozent. In den kommenden Monaten gibt es eine Finanzierungslücke von 221 Millionen Euro. Das ist unglaublich! Gebt das Geld an den UNHCR und das Welternährungsprogramm und nicht für militärische Einsätze der Bundeswehr!
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Die Bundesregierung plant nun offensichtlich, das UNMISS- Bundeswehrmandat, wie es heißt, „robuster“ zu machen. Das ist falsch! Wir als Linke bleiben dabei: Wir fordern den Rückzug der Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten aus Auslandseinsätzen, und wir lehnen das Bundeswehrmandat UNMISS ab.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Jürgen Trittin.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 4 Millionen vertriebene Südsudanesinnen und Südsudanesen, 7,5 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, enthemmte sexualisierte Gewalt: In diesem Land, im Südsudan, gehen täglich reine Frauenteams der UNMISS auf Streife. 53 Frauen in All-Female-Teams begleiten Sudanesinnen und Sudanesen beim Sammeln von Feuerholz in besonders entlegenen Gebieten. Die Soldatinnen aus Ghana, aus Nepal, aus Bangladesch sind Teil einer Mission, die ein Friedensabkommen, eine politische Lösung absichern soll. Dass inzwischen 200 000 Menschen in den Südsudan zurückkehren konnten, ist auch deren Verdienst. Und es ist auch deren Verdienst gewesen, dass in den Camps der UNMISS 63 000 Menschen vor enthemmten Banden Schutz gefunden haben.
Warum erwähne ich das noch einmal? Ich erwähne das, weil ich gelesen habe, dass die neue Vorsitzende der Linkspartei,
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Susanne Hennig-Wellsow, sich „bestimmte klassische Blauhelm-Einsätze vorstellen“ kann. Sie möchte sie sich – ich zitiere sie – „im Einzelfall anschauen“.
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Jetzt frage ich Sie: Was spricht eigentlich im konkreten Einzelfall dagegen, diese tapferen Frauen zu unterstützen?
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Ist es für ein reiches Land wie Deutschland nicht eher peinlich, wenn wir dort zwar 50 Soldatinnen und Soldaten mandatiert haben, aber nur zehn Männer und gerade einmal eine Frau dort hingeschickt haben?
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Ich will Ihnen etwas sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei:
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Ihr Nein zu UNMISS ist grob unsolidarisch gegenüber dem Globalen Süden.
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Aber es geht Ihnen ja auch gar nicht um den konkreten Einzelfall. Es geht Ihnen nicht um den Südsudan. Es geht Ihnen nur um sich selbst.
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Sie glauben, wenn Sie Ja zu den Vereinten Nationen sagen – und zum Ja zu den Vereinten Nationen gehört auch das Ja zu Peacekeeping-Operationen –,
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landen Sie im Kosovo. Sie halten das für einen politischen Automatismus, was allein Ihre eigene politische Entscheidung ist. Sie misstrauen sich selbst so stark, dass Sie angesehene Leute wie Paul Schäfer an den Rand gedrängt haben, dass Sie einen Matthias Höhn abgestraft haben.
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Und Sie trauen sich selbst so wenig, dass Sie Ihre frisch gewählte Vorsitzende kurz nach ihrer Wahl hier eben, Tobias Pflüger, bloßgestellt haben.
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Das, meine Damen und Herren, ist schlecht; denn dieses Misstrauen gegen Sie selbst macht Sie politikunfähig. Wo sollen denn eigentlich die Mehrheiten herkommen für einen Abschied aus der nuklearen Teilhabe, für eine Beendigung eines Mandats wie in Afghanistan,
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für etwas wie die Aufgabe des unsinnigen 2-Prozent-Ziels, wenn Sie die Kernaufgabe der Vereinten Nationen – das ist Friedenssicherung und Friedenserhalt – nicht mittragen wollen? Darum geht es im Südsudan: den Krieg beenden. Deswegen muss Deutschland sich an dieser Mission weiterhin beteiligen.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Frank Steffel.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand es bis hierher eine außerordentlich sachliche Debatte
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und danke Ihnen, Herr Kollege Trittin, für das klare Plädoyer gegen eine grün-rot-rote Bundesregierung.
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Ich teile Ihre Auffassung, dass Die Linke nicht nur in der Außenpolitik, aber insbesondere in der Außen- und Verteidigungspolitik politikunfähig ist und Deutschland bei einer Regierungsbeteiligung der Linken nicht in der Lage sein wird, internationalen Herausforderungen zu begegnen und Gemeinsamkeiten, die wir ja immer einfordern, durchzuhalten oder gar zu initiieren.
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Vielen Dank für diesen, wie ich fand, wirklich sehr leidenschaftlichen Redebeitrag!
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Meine Damen und Herren, die Lage im Südsudan ist extrem schwierig. Der Kollege von der FDP hat, glaube ich, zu Recht darauf hingewiesen: Es ist wahrscheinlich eines der jüngsten Länder oder das jüngste Land dieser Welt mit den größten Problemen. Die Flüchtlingszahlen sind dargestellt worden. Die Zahl der Toten variiert mal schnell um 100 000, was schon zeigt, wie unfassbar hoch die Gesamtzahl der Opfer in diesem Konflikt ist.
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Die Parteien und die ethnischen Gruppen stehen sich unversöhnlich kriegerisch-feindlich im Land gegenüber.
Deutschland leistet – das ist auch zu Recht infrage gestellt und kritisiert worden – einen bescheidenen Beitrag von 11 Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten. Ich würde diese Kritik gerne mit der Aufforderung, mit dem Wunsch an die Bundesregierung verbinden, zumindest zu prüfen, ob nicht auch eine gezielte qualitative Aufstockung des Mandats, das wir heute beschließen und das den Einsatz von bis zu 50 Bundeswehrsoldaten vorsieht, durchaus ein Beitrag nicht nur symbolischer Art, sondern auch qualitativer Art für eine Weiterentwicklung im Südsudan sein könnte.
Wir müssen gemeinsam feststellen, dass keiner von uns heute weiß, wie die Lage in einem Jahr ist. Trotzdem beschäftigen wir uns in großer Verantwortung jedes Jahr mit der Frage, wohin wir unsere Soldaten senden. Unsere Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und eine Entsendung ist nicht ungefährlich. Natürlich gilt unser aller Dank, vermute ich, unabhängig von unterschiedlichen Auffassungen im Detail den Männern und Frauen, die sich in einem so schweren Einsatz für Deutschland und für die UN engagieren.
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Wir hoffen, dass das in den nächsten zwölf Monaten besser wird. Ich wünsche mir, dass es gelingt, die Prozesse im Land anzuschieben, die insbesondere die Menschen im Südsudan damals im Zuge der Neugründung des Landes mit Hoffnungen und Sehnsüchten verbunden haben, und dass wir die Flüchtlingsbewegungen mit all ihren Auswirkungen entsprechend eingrenzen können.
Ich fand die Debatte – Vertreter aller Fraktionen haben vor mir geredet – sehr wohltuend, sehr sachlich, und ich glaube, dass wir gleich mit großer Mehrheit in großer Verantwortung unsere Soldaten noch einmal für ein Jahr in den Südsudan entsenden. Ich wünsche dabei viel Erfolg.
Ich glaube, dass die Bundesverteidigungsministerin zu Recht darauf hingewiesen hat, dass wir, wenn wir weltweit mehr Stabilität wollen, auch einen größeren Beitrag leisten müssen. Die Zeichen für multilaterale, für internationale Zusammenarbeit sind nicht zuletzt durch den Wechsel im Weißen Haus besser als noch vor wenigen Monaten. Deshalb stimmen wir – bei allen Schwierigkeiten – diesem Einsatz und dem Antrag der Bundesregierung zu und werden das Mandat um ein weiteres Jahr verlängern.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. Kollege Steffel, bitte den Mundschutz tragen. – Jetzt kommt der Kollege Dr. Eberhard Brecht, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In jedem Redebeitrag ist deutlich geworden, dass es wohl keinen Lebensbereich im Südsudan gibt, der nicht mit dem Adjektiv „fragil“ versehen werden müsste. Ja, Herr Pflüger, die UN-Mission UNMISS konnte und wird keine schnelle Befriedung des Landes erzwingen. Deshalb müssen wir nicht nur in diesem Haus, sondern auch in der Öffentlichkeit UNMISS immer wieder unmissverständlich erklären.
Dieser Einsatz soll nicht eine schnelle militärische Entscheidung herbeiführen. Nein, UNMISS setzt trotz seiner Mandatierung auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta auf Mediation, auf Vertrauensbildung. Solche Prozesse können nicht einer zeitlichen Deadline-Strategie folgen. Die Soldaten beobachten, sie evaluieren, sie beraten bei der Umsetzung des Friedensabkommens, sie halten Schutzräume für die Binnenflüchtlinge vor, sie schützen Zivilisten und sorgen auch für den Zugang für die humanitäre Hilfe aus dem Ausland.
Der Deutsche Bundestag steht offensichtlich klar hinter unserer kleinen, aber dennoch vorhandenen Mission in Südsudan. Die Linkenfraktion hat heute wieder mal mit dem Gefühl moralischer Überlegenheit angekündigt, die Rote Karte in die Urne zu werfen. Sie meint, wir sollten keine Soldaten entsenden, sondern alleine die Konfliktursachen bekämpfen. Das klingt logisch, ist es aber nicht. Der Linkenphilosophie folgend, dürfte die Feuerwehr ein brennendes Haus nicht löschen, solange in diesem Gebäude nicht alle Brandschutzauflagen erfüllt sind.
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Liebe Linke, internationale Solidarität, die Sie ja immer wieder beschwören, sieht völlig anders aus!
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Im Übrigen darf ich mal darauf hinweisen, dass uns die UN-Mission 1 Million Euro kostet, während für die EZ 200 Millionen Euro veranschlagt werden. Da sehen Sie mal, welche Relationen Sie hier fälschlicherweise anprangern.
Wir müssen insgesamt besser werden, um den fragilen Friedensprozess von 2018 zum Erfolg zu bringen. Wir sollten den Friedensprozess auf eine breite Basis stellen. Wir sollten afrikanische Mediatoren suchen, die nicht im Verdacht stehen, eigene politische Interessen zu vertreten. Die Zivilgesellschaft sollte stärker einbezogen werden, und vor allem sind weitere Volksgruppen zu bewegen, sich ebenfalls diesem Friedensprozess anzuschließen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir signalisieren heute mit einer breiten Zustimmung unseren Soldaten, dass wir hinter ihrer wichtigen Arbeit im Südsudan stehen, wünschen ihnen Erfolg und vor allen Dingen eine gesunde Heimkehr.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: Thomas Erndl, CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Die Lage im Südsudan ist schwierig. Oft werden hier grausame Situationen gemeldet. Aber wir – zumindest die meisten Fraktionen hier – sind uns einig, dass Verantwortung in der Welt übernehmen und für unsere Werte einstehen in diesem Fall auch ganz konkret bedeutet, Soldaten in einen Einsatz zu schicken.
Wir verlängern den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afrika, im Südsudan, 9 000 Kilometer fern der Heimat. Trotz dieser Entfernung, trotz der Frage, die mancher aufwirft, was das denn unmittelbar mit uns zu tun hat, ist dieses Engagement stimmig, weil die Stabilität auf unserem Nachbarkontinent unser ureigenes Interesse ist.
In einer Region Ostafrika, in der jeder Staat gegen seine eigenen Krisen kämpft – ich meine zum Beispiel die kriegerischen Auseinandersetzungen in Äthiopien, politische Spannungen in Uganda, eine instabile Übergangsregierung im Sudan, das Machtvakuum in Somalia – erkennt man: In dieser Region braucht es Hilfe von außen, um die fragile Sicherheitslage und den zerbrechlichen Friedensprozess zu unterstützen.
Mehr Instabilität im Südsudan wäre fatal für die ganze Region. Es braucht Hilfe von außen, um grundlegende humanitäre Hilfe leisten zu können. Das ist doch die Grundlage, damit überhaupt Hilfe an die Menschen herangetragen werden kann. Das Welternährungsprogramm, das zwei Drittel der Südsudanesen mit Lebensmitteln versorgt, nennt genau diese zentralen Herausforderungen: Gewalt und fragile Sicherheit. Ohne Sicherheit keine humanitäre Hilfe, meine Damen und Herren! Wir sind mit unserem vernetzten Ansatz unterwegs: bei humanitärer Hilfe, beim Aufbau staatlicher Strukturen, beim Dialog der Konfliktparteien. Der zivile Anteil ist dabei weitaus größer als der militärische.
Die romantische Vorstellung von Entwicklungshilfe, die manche haben, hat mit der Realität vor Ort natürlich nichts gemein; denn leider hat vor allem die Gewalt auf lokaler Ebene zugenommen. Ich habe mit deutschen Soldaten in Juba gesprochen, die bei UNMISS im Einsatz sind. Sie berichten von regelmäßigen Überfällen, niedergebrannten Häusern, geplünderten Lagerhallen, ermordeten Frauen und Kindern.
Sie berichten aber auch von Dorfältesten, die dankbar sind für die Patrouillen, für den Schutz durch die Soldaten. Durch die Präsenz der Vereinten Nationen ist die Grundlage für die weiteren Schritte im Friedensprozess und beim Aufbau staatlicher Strukturen gelegt. Da muss natürlich auch die Regierung vor Ort endlich stärker in die Gänge kommen; das ist klar.
Verantwortung in der Welt übernehmen heißt nach unserer Lesart vor allem internationale Organisationen stärken. Unsere Soldaten vor Ort setzen diese Übernahme von Verantwortung konkret um. Unsere Soldaten vor Ort bringen wichtige Fähigkeiten ein, sind hoch respektiert und angesehen. Ich möchte wirklich allen Soldatinnen und Soldaten in diesem schwierigen Einsatz herzlich Danke sagen. Kommen Sie gesund zurück!
Meine Damen und Herren, Friedenseinsätze der Vereinten Nationen erfordern einen langen Atem. Ich bitte Sie deshalb um erneute Zustimmung zu dieser Mandatsverlängerung.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Thomas Erndl. – Ich schließe die Aussprache.
Es ist interessant, wie viel Unruhe das hier verursacht. Ich will einfach nur eine Sache klarstellen, weil die falsch dargestellt wird.
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– Nein, es wäre vielleicht gut, einfach mal die Geschäftsordnung genau zu lesen.
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– Lassen Sie mich jetzt doch mal die Erklärung machen!
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Bitte machen Sie Ihre Erklärung.
Genau. – Also, es wurde hier unterstellt, dass ich meine Vorsitzende bloßstellen würde, indem ich quasi andere Positionen vertreten würde. Ich kann nur klipp und klar sagen: Wir haben genau die gleiche Position, dass wir nämlich solche Missionen, wie sie hier zur Abstimmung stehen, nämlich Kapitel-VII-Missionen, selbstverständlich ablehnen.
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Das lehnt die gesamte Linke ab, und insofern werden Sie da keinen Keil zwischen die Vorsitzende und mich treiben können.
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Vielen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Lieber Zuschauer im Saal und bei YouTube! Mit der Coronaimpfpflicht geht es in Deutschland nun Schlag auf Schlag. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, preschte vor und sagte, er könne sich vorstellen, Inlandsreisen nur den Bürgern zu ermöglichen, die ihre Coronaimpfung mit einem Impfpass nachweisen können. Der Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer, zog sofort nach und ließ am Samstag verlauten, dass er eine Impfpflicht nicht mehr ausschließen würde.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat derweil in der EU den digitalen Coronaimpfpass mitbeschlossen und will ihn schon in drei Monaten fertig haben. Auch der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder, hält digitale Impfpässe für eine tolle Sache und – Zitat – „nicht nur auf europäischer Ebene beim Reisen, sondern dann auf Dauer auch natürlich für das Alltagsleben“.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles sind die aktuellen Entwicklungen von nur einigen wenigen Tagen. Und eigentlich leben wir ja in einem demokratischen Rechtsstaat. Aber weder wir Abgeordneten im Deutschen Bundestag noch die Bürger in diesem Land wurden zu all diesen Dingen befragt oder auch nur adäquat unterrichtet. Das ist schlicht und ergreifend seitens der Bundesregierung nicht gewünscht;
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denn die Bundesregierung will möglichst schnell Fakten schaffen, und zwar in den Parlamenten und an den Bürgern vorbei.
Indem die Regierung den digitalen Coronaimpfpass auf EU-Ebene einführt, schafft sie selbst die organisatorische Grundlage für künftige Grundrechtsverletzungen in Deutschland und in Europa.
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Mit ihm wird künftig zwischen geimpften und nicht geimpften Personen unterschieden, und diese Einteilung wird Konsequenzen haben. Griechenland und Israel stellen bereits jetzt Impfzertifikate aus und haben vereinbart, sie gegenseitig anzuerkennen. Das heißt, nach Griechenland dürfen bald nur noch geimpfte Personen reisen.
Während es jetzt die Aufgabe dieser Bundesregierung wäre, sich in der EU und international dafür starkzumachen, dass die Reisefreiheit unserer Bürger nicht an den Impfstatus geknüpft wird, macht sie lieber an vorderster Front mit. Und wie die Äußerungen von Herrn Günther und Herrn Söder zeigen, wird man sehen, dass Sie zukünftig auch in Deutschland nur noch geimpft ins Kino oder ins Restaurant gehen können. Genau das ist die Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür.
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Keiner wird Sie mit unmittelbarem staatlichem Zwang zur Impfung nötigen; aber Sie dürfen dann eben ungeimpft nicht mehr an die Ostsee oder ins Fitnessstudio. Man wird Ihnen sagen: Ja, es zwingt Sie ja keiner; es ist ja Ihre Entscheidung. – Aber, sehr geehrte Damen und Herren, wenn es so kommt wie hier beschrieben, dann ist das keine wirkliche Entscheidungsfreiheit mehr; es ist ein Zwang in Samthandschuhen und eine Entwürdigung des Individuums.
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All diese Pläne verfolgt die Regierung auf Basis einer unsoliden wissenschaftlichen Grundlage und dazu auch noch mit Impfstoffen im Gepäck, die allesamt nur eine Notfallzulassung haben und über deren langfristige Wirkungen und Nebenwirkungen noch gar nichts bekannt ist. Für uns in der AfD-Bundestagsfraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass der Staat kein Recht hat, seine Bürger zur Impfung zu zwingen und ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit einzuschränken.
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Über eine Impfpflicht sollte es eine breite Debatte in der Öffentlichkeit, in den Ausschüssen und im Plenum dieses Hauses geben. Wenn die Bundesregierung jetzt aber im Hauruckverfahren den digitalen Coronaimpfpass auf EU-Ebene einführt, dann wird halt wieder mal woanders entschieden; dann werden andere Länder und private Firmen in die Lage versetzt, ungeimpfte Personen zu diskriminieren.
Die Bundesregierung muss dann gar keine Impfpflicht mehr beschließen. Nein, die Bundesregierung wird dann auf die Privatautonomie verweisen und sagen, dass es ja Sache von Reiseveranstaltern, Eventagenturen, Gastronomie- und Hotelbetreibern ist, ob sie ungeimpften Personen Zugang zu ihren Einrichtungen geben möchten. Und diese Betriebe werden dann schon mangels Alternativen auf den digitalen Coronaimpfpass zurückgreifen, weil sie sonst durch die Allgemeinverfügung der Länder sowieso zurück in den Lockdown geschickt werden. Als Privatperson bleibt Ihnen dann nur noch der Klageweg, um ungeimpft wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Und genau damit wird dann ein faktischer Impfzwang begründet.
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Deswegen hat der Europarat am 27. Januar seine Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, sicherzustellen, dass Impfungen nicht verpflichtend sind und niemand politisch, sozial oder anders unter Druck gesetzt werden darf, sich impfen zu lassen. Außerdem soll niemand diskriminiert werden, der sich nicht impfen lassen möchte.
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– Sie hören, so sehen wir das auch als AfD-Bundestagsfraktion.
Jeder, der sich impfen lassen will, kann das natürlich gerne tun. Jeder soll die Möglichkeit dazu erhalten. Aber niemand darf in irgendeiner Weise dazu gezwungen oder genötigt werden. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, von ihren Plänen zur Einführung eines digitalen Coronaimpfpasses Abstand zu nehmen und sich auf allen nationalen und internationalen Ebenen vorbehaltlos für unsere Grundrechte einzusetzen. Eine Coronaimpfpflicht, ob direkt oder indirekt durch die Hintertür, das lehnen wir strikt ab.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Alexander Krauß.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es sind noch ein paar Wochen, bis der Sommer beginnt. Die Leute wollen gern in den Urlaub fahren, ob nach Spanien oder nach Griechenland. Darauf freuen sich viele Leute, und das wird möglich sein und einfacher sein, als das heute der Fall ist – mit einem Impfnachweis, der sinnvoll ist, weil man dann eben schneller durch die Kontrollen durchgeht, weil es dann kein langes Warten gibt. Ich finde, auch die digitale Form ist gut. Es gibt ja jetzt schon einen Impfausweis, den man hat, eine gelbe Karte, und in jedem Sommer beginnt das Spiel: Deutschland sucht den Impfpass. Das kann man sich sparen, wenn das Ganze digital vorliegt.
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Jetzt steht der Vorwurf im Raum, es sei eine Impfpflicht durch die Hintertür, wenn man so einen Impfnachweis einführt. Das lässt sich relativ leicht entkräften: Diesen Impfnachweis bekommen nicht nur diejenigen, die geimpft sind, sondern man kann darin auch eintragen, wenn ein frisches negatives Ergebnis eines Coronatests vorliegt – auch das ist dann eine Möglichkeit, dass man ohne Probleme einreisen kann –, oder wenn man den Nachweis über eine Genesung hat. Man kann also, wenn man krank war und wieder gesund ist, auch das eintragen lassen. Was Sie erzählt haben, ist also vollkommener Unsinn.
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Ich habe mich ein bisschen gewundert, dass das gerade von der AfD kommt. Bei jeder Gelegenheit halten Sie die nationale Souveränität hoch. Heute haben Sie das Hohelied darauf gesungen, dass es eine Reisefreiheit für alle Bürger auf der Welt geben muss, was sonst nicht gerade Ihr Steckenpferd ist; um es mal freundlich auszudrücken. Sie sprechen dann in Ihrem Programm davon: Grenzschutz ist Bürgerschutz.
Ja, Grenzschutz ist Bürgerschutz, und ein Staat hat das Recht, zu sagen: Ich möchte meine Bürger auch gesundheitlich schützen. – Jeder Staat kann souverän entscheiden, auf welche Art und Weise er das macht. Sie werden anderen Ländern nicht vorschreiben, wie sie die Gesundheit ihrer Bürger schützen.
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Sie kritisieren dann Länder wie Island, Georgien oder Griechenland. Diese Länder sagen ja nicht: Sie dürfen nicht einreisen. – Diese Länder sagen: Wenn Sie einreisen wollen, gehen Sie in Quarantäne, wenn Sie zum Beispiel aus einem Risikogebiet kommen, es sei denn, Sie sind geimpft. – Denn es wäre natürlich unverhältnismäßig, jemanden in Quarantäne zu schicken, der geimpft ist. Insofern ist ein Impfnachweis eine Erleichterung für eine Einreise.
Übrigens sind Impfregelungen ganz normal. Wenn Sie sich das mal anschauen, sehen Sie: Es gibt Länder wie China, die bei Einreise aus gewissen Ländern eine Gelbfieberimpfung vorschreiben, oder Länder im pazifischen Raum, zum Beispiel die Marshallinseln, die bei Einreise verlangen, dass Sie gegen Masern geimpft sein müssen,
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oder andere Länder, wo vorgeschrieben wird, dass man bei der Einreise gegen Kinderlähmung geimpft sein muss.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Impfnachweis erleichtert das Reisen in Europa. Ein Impfnachweis bringt Reisefreiheit für unsere Bürgerinnen und Bürger. Eine Impfpflicht gibt es nicht in diesem Land. Eine Impfpflicht wird es auch nicht geben; da kann die AfD noch so häufig versuchen, das herbeizureden. Ich kann nur sagen: Wenn Sie sich über das Impfen informieren wollen, fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – fragen Sie nicht irgendwelche braunen Scharlatane.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land möchte sich impfen lassen. Ich finde das eine gute Botschaft. Ich persönlich werbe für das Impfen; das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann nur sagen: Seien Sie ein ganz klein wenig egoistisch. Denken Sie an sich selbst. Denken Sie an Ihre eigene Gesundheit. Schützen Sie Ihre eigene Gesundheit, und lassen Sie sich impfen!
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat als Nächstes das Wort die Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann es nicht oft genug sagen: Impfen ist gut, Impfungen sind wichtig, und Impfungen retten Leben!
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Jetzt noch mal ganz deutlich: Niemand hier im Hause zwingt die Bürgerinnen und Bürger zu Impfungen, weder mit digitalem Impfpass noch ohne digitalen Impfpass.
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Wer das behauptet, der kann sich gleich in das Lager der Coronaleugner und Querdenker rüberschieben lassen; denn es ist Blödsinn, wenn jemand anderes behauptet, meine Damen und Herren. Das muss hier mal ganz deutlich gesagt werden.
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Deutschland arbeitet zusammen mit der EU an der Einführung eines digitalen Impfpasses. Ja, das ist gut so; denn wir brauchen mehr Digitalisierung in unserem Land und nicht weniger.
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Wir checken digital ins Flugzeug und in die Bahn ein. Wir bestellen Onlinetickets für Kulturveranstaltungen. Und hoffentlich haben wir bald alle eine App, mit der wir in der Pandemie eine schnelle Kontaktdatenübermittlung bei Infektionen erreichen.
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Und Sie wollen zurück in die digitale Steinzeit. Was für ein Unsinn, meine Damen und Herren!
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Sie jammern darüber, dass Reiseveranstalter Impfungen voraussetzen. Ja, das ist nun mal so in einem Rechtsstaat. In der freien Marktwirtschaft darf ein Unternehmer so eine Entscheidung treffen, meine Damen und Herren.
Mit einem digitalen Impfpass können wir innerhalb Europas die von uns allen gewollte Freizügigkeit schnell und unkompliziert wiederherstellen. Sie fordern in Ihrem Antrag, die Bundesregierung solle – ich zitiere jetzt – „die Einführung eines digitalen Corona-Impfpasses innerhalb und außerhalb der EU … sofort … stoppen“. Ja, wie stellen Sie sich das denn vor? Das zeigt doch nur Ihr verschrobenes Weltbild.
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Ihre Coronapolitik lässt leider weder Plan noch Ziel erkennen. Mal wird hartes Durchgreifen gefordert, mal wird die Existenz des Virus negiert.
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Ja, was denn nun, meine Damen und Herren?
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Der digitale Impfpass in Deutschland und Europa hat doch gerade zum Ziel, den Menschen ihre Grundrechte zurückzugeben, meine Damen und Herren.
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Nebenbei bemerkt sind Grundrechte keine Privilegien – um das mal ganz deutlich zu sagen –, sondern man gibt etwas zurück, was man bei der Geburt erlangt hat.
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Sie haben ja kritisiert, mit dem digitalen Coronaimpfpass könne man wieder ins Theater, ins Kino, auf das Konzert gehen. Ja, warum denn nicht? Entweder ist man geimpft, oder man hat einen negativen Test vorzuweisen. Das ist doch alles ganz selbst verständlich.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, sicher.
({0})
– Ich gestatte immer Zwischenfragen.
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Sogar von Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Das ist ja nicht selbstverständlich, dass wir als AfD-Abgeordnete hier Zwischenfragen stellen dürfen. Deshalb noch mal meinen herzlichen Dank dafür.
Frau Kollegin, Sie haben gerade eben behauptet, dass aus unseren Reihen bestritten – Sie sagten sogar: geleugnet – worden sei, dass der Coronavirus an sich existent sei. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeiner aus den Reihen unserer AfD-Fraktion das Bestehen des Coronavirus geleugnet hat. Können Sie das vielleicht etwas mehr untermauern, vielleicht sogar nachweisen? – Danke.
({0})
Erstens habe ich das in dem Sinne nicht gesagt; wir können ja gerne mal in das Protokoll schauen. Zweitens weiß ich sehr wohl, dass man aus dem, was aus Ihren Reihen so in den sozialen Medien verbreitet wird, sehr wohl solche Dinge herauslesen kann. Ich werde Ihnen gerne – dafür bin ich Demokratin – nachweisen, wer sich in der Richtung geäußert hat. Insofern bin ich dazu gerne bereit. Ich kann nur noch mal wiederholen: Ich lasse jede Zwischenfrage zu. Das gilt auch für Sie, weil ich, wie gesagt, eine Demokratin bin.
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Meine Damen und Herren, ich darf meine Rede weiterführen. Selbstverständlich darf es auf Dauer keine Diskriminierung zwischen Geimpften und Nichtgeimpften geben. Deswegen müssen wir insgesamt Grundrechtseingriffe zurücknehmen, und zwar nach unserem Stufenplan, den wir vorgelegt haben, und das lieber heute als morgen. Für diejenigen – ich habe es schon gesagt –, die sich nicht impfen lassen wollen oder können, gibt es ja, solange das Virus fortbesteht, immer noch die Möglichkeit einer Testung. Deswegen schauen wir mal: Wenn wir noch mehr von den Schnelltests bekommen und wenn mehr getestet wird, haben wir das ganze Problem auch nicht mehr.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der Nächste ist für die Fraktion der SPD der Kollege Dirk Heidenblut.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fangen wir mal positiv an. Das ist bei einem Antrag, der aus der rechten Ecke kommt, ja äußerst schwierig. Aber es gibt tatsächlich etwas Positives. Denn in diesem Antrag – das klang allerdings gerade in der Rede schon ein bisschen anders; vielleicht hat der Redner seinen Antrag nicht gut gelesen – wird zweifelsfrei festgestellt: In Deutschland sind Impfungen freiwillig. – Genau, das sind sie, das können wir nur so unterschreiben, und das bleiben sie auch.
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Diese Anerkenntnis aus der rechten Ecke erfreut nun wirklich.
Was ansonsten im Antrag steht, kann man fast knicken. Aber ich will trotzdem die Gelegenheit nutzen – das ist das zweite Erfreuliche an dem Antrag –, dass ich wie die Kollegin der FDP gerade noch mal sehr deutlich machen werde: Impfen rettet Leben, Impfen ist wichtig,
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und jeder und jede sollte sich impfen lassen. Vielen Dank dafür, dass wir hier an dieser Stelle mit allen anderen Fraktionen wahrscheinlich noch mal sehr deutlich machen können, dass genau das das ist, was uns allen hilft und was jedem selbst hilft. Denn wer miterlebt hat, wie Menschen diese schreckliche Krankheit durchlebt haben, wie es auf den Stationen zugeht, der kann nur sagen: Man hilft sich sehr selbst, wenn man sich impfen lässt. – Also: Impfen ist ganz wichtig.
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Nun bin ich ja für Digitalisierung zuständig.
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– Ja, Frau Kollegin, so was gibt es auch bei der SPD. – Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Es ist völlig absurd, gerade beim Impfpass darauf verzichten zu wollen, dass wir die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung nutzen. Wir kennen doch alle die Kampagnen, die immer wieder laufen: „Deutschland sucht den Impfpass!“ Warum denn? Weil der Impfpass sowieso schon da ist, nur in Papierform. Das scheinen die Kolleginnen und Kollegen von der rechten Seite auch nicht zu wissen. Im Zweifel könnte sich eine Fluggesellschaft übrigens auch Ausweise in Papierform – der Kollege hat es ja schon gesagt – vorlegen lassen, wenn man das gerne machen würde. Die Digitalisierung ändert da gar nichts. Der Impfpass ist schon da.
Es macht aber Sinn, dass er für alle jederzeit und gut und vernünftig verfügbar ist, insbesondere für mich selbst, weil auf die Impfungen weitere Impfungen und andere Dinge aufbauen, und das brauche ich. Das brauche ich möglicherweise auch im europäischen Ausland, wenn ich dort mal zu einem Arzt muss, wenn ich dort mal in eine Behandlung muss. Insofern ist es doch geradezu folgerichtig, für die Impfung auch die Digitalisierung einzufordern. Um Himmels willen, lassen Sie uns nicht an dieser Stelle die Digitalisierung im Gesundheitswesen ausbremsen; das wäre nun wirklich völlig kontraproduktiv und würde der Sache überhaupt nicht gerecht.
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Wir sind froh über all diejenigen, die sich freiwillig impfen lassen. Wir brauchen eine vernünftige Durchimpfung. Wir müssen dafür sorgen, dass das auch klappt. Eigentlich ist ja der Weg genau der umgekehrte: Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen geimpft werden können.
Im Übrigen: Dass ein solcher Impfpass auch Folgewirkungen hat, auch an Grenzen, erkennen Sie – das macht den Antrag vollends absurd – ja in Ihrem Antrag selbst an. Denn im letzten Punkt fordern Sie uns nun wiederum auf, dafür zu sorgen, dass der Internationale Impfausweis – ah, den gibt es also! – weiterhin an Grenzkontrollen vorgehalten und dort auch für nötige Prüfungen genutzt werden soll. Also gibt es doch aus Ihrer Sicht auch nötige oder notwendige Prüfungen. Also erkennen Sie doch an, dass Staaten natürlich die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger schützen können.
Das machen sie ja auch jetzt schon; das Beispiel China war genannt worden. Das gilt aber auch, wenn man nach Ghana reisen will: Ohne bestimmte Impfungen kommt man da nicht hin. Das Land Ghana lässt zu Recht die Menschen ohne bestimmte Impfungen nicht einreisen, weil das gefährlich wäre. Natürlich müssen das Regierungen tun können; das müsste im Zweifel auch unsere Regierung tun können.
Ich bin mir ganz sicher: Die, die hier von einer Impfpflicht durch die Hintertür schwadronieren, wären die Ersten, die auf der Matte ständen, wenn etwas uns bedrohen würde, das durch Impfungen verhindert werden könnte, und wenn wir dann nicht bereit wären, einen solchen Impfpass zu kontrollieren und einzufordern. Sie wären die Ersten, die genau das sagen würden: dass wir den Menschen hier Krankheiten zumuten, die nicht nötig sind.
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Es ist also völlig richtig und folgerichtig, das zu machen.
Es wurde schon ausreichend gesagt: Natürlich bedeutet der Impfpass, auch der digitale, keineswegs die Impfpflicht durch die Hintertür. Niemand wird bei uns gezwungen, sich impfen zu lassen; jeder kann das freiwillig machen.
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Es wird grundsätzlich auch eine Menge weiterer Nachweise geben. Sie wurden schon angesprochen. Bei den Testungen müssen wir noch besser werden; das Gespräch hatten wir ja heute Morgen. Es wird eine Menge weiterer Nachweise geben, möglicherweise auch Antikörpertests, ob man eine Erkrankung überstanden hat, wobei – das will ich noch mal deutlich sagen – Antikörpertests bisher nicht klar nachweisen, wie lange man tatsächlich immun bzw. immunisiert ist. Es macht viel Sinn, dass wir das erst vernünftig und sinnvoll erproben.
Ihre Fraktion hat heute Morgen übrigens gefordert, dass die Menschen, die bereits an Corona erkrankt waren, erst einmal möglichst keine Impfung bekommen sollten, damit andere geimpft werden können. Diese Menschen können die Krankheit aber durchaus wieder erleben. Ich finde, es wäre ein Entzug von Grundrechten, nämlich des Rechts, seine Gesundheit zu schützen, wenn man an der Stelle so vorgehen würde.
Also: Ein Impfpass bedeutet grundsätzlich keine Impfpflicht. Eine Impfpflicht gibt es bei uns nicht, und wir werden darauf achten, dass es eine solche Impfpflicht auch in Zukunft nicht geben wird – mit oder ohne Impfpass. Ein digitaler Impfpass macht Sinn, weil der digitale Austausch – auch länderübergreifend – Sinn macht, da dann die Daten für jeden persönlich für seine Gesundheit zur Verfügung stehen.
Insofern ist der Antrag schon an dieser Stelle völlig unsinnig, und vor diesem Hintergrund können Sie sicher sein, dass wir dem auch in keiner Weise zustimmen werden.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort die Abgeordnete Dr. Petra Sitte.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sich die AfD hier zur Verteidigerin von Grundrechten aufschwingt, ist das ja immer eine besondere Bigotterie.
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Aber wenn sie, wie im vorliegenden Antrag, das Grundrecht auf freien Grenzübertritt verteidigen will und nun von der Bundesregierung erwartet, dass sie andere Staaten dazu bringt, ihre Grenzen zu öffnen, dann, muss ich sagen, staune selbst ich noch. Wann gab es das von Ihnen schon mal?
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Abgesehen von dem wenig ernstzunehmenden Antrag der AfD gibt es zum Thema Impfpass zu sagen: Das ist die falsche Debatte zur falschen Zeit aus den falschen Gründen.
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Man kann darüber reden, den Impfpass moderner und fälschungssicherer zu machen, und fast jeder von uns hat ja auch einen Impfpass, aber eine überstürzte europäische Geburt ist jetzt ganz sicher nicht der richtige Weg, schon gar nicht, wenn neue zentrale Datenbanken für sensible Gesundheitsdaten geschaffen werden sollen, statt sie bestmöglich zu schützen.
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Der Nutzen einer solchen Infrastruktur ist doch erfahrungsgemäß höchst fraglich. Vor allem werden Anreize geschaffen, diese zu missbrauchen.
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Auch dafür gibt es genügend Beispiele.
Anstatt sich in solch fragwürdige Projekte zu stürzen, müssen jetzt doch alle, aber auch wirklich alle Anstrengungen unternommen werden, um allen Menschen schnellstmöglich eine Impfung anbieten zu können.
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Nur die Aussicht, dass dies längere Zeit nicht möglich sein wird, ist es doch am Ende, die schließlich die Diskussionen über eine mögliche Bevorzugung von Geimpften antreibt; das ist der Hintergrund.
Durch die Pandemie – das war die Übereinkunft hier im Hause – kommen wir nur gemeinsam, meine Damen und Herren. Wer seine Grundrechte als Geimpfter wahrnehmen will, der muss davon ausgehen, dass ihm diese Grundrechte Leute garantieren, die eben nicht geimpft sind, und das muss man hier auch mal deutlich aussprechen.
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Natürlich gilt dieser Anspruch auch global. Trotz aller Pannen rechne ich damit, dass wir in Deutschland in diesem Jahr noch genügend Impfstoffdosen erhalten können. Aber in vielen anderen Ländern gibt es diese Perspektive nicht, und wenn es diese Impfmöglichkeit nicht gibt, dann hilft ein Impfpass – digital oder analog – überhaupt nicht. Es kann also nicht sein, dass die Profitlogik von Unternehmen, die wir hier immer wieder feststellen mussten, dem Ziel entgegensteht, weltweit Impfstoff anbieten zu können, erst recht – das will ich auch noch mal deutlich sagen, weil das wirklich eine Debatte ist, die wir auch auf anderen Gebieten führen müssen –, wenn das Geld für die Impfstoffentwicklung schon vorher zu einem großen Teil von der öffentlichen Hand stammte. Wir müssen Patente und anderes Know-how freigeben, um so schnell wie möglich eben genau diese globale Produktion zu ermöglichen.
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Ein digitaler Impfpass dagegen trägt zu diesem Zeitpunkt originär überhaupt nichts zur Pandemiebekämpfung bei. Konzentrieren wir uns also vielmehr darauf, Corona zu überwinden – gemeinsam und solidarisch!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile der nächsten Rednerin das Wort: der Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Grüne.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Impfausweis ist erst mal ein Nachweis, geimpft zu sein. Impfausweise sind seit Jahrzehnten Normalität. Sie ermöglichen das Reisen, zum Beispiel auch Grenzübertritte von Berufspendlern, und helfen jedem von uns selbst, da wir nachgucken können, wann wir die Auffrischung einer Impfung brauchen.
Wir wünschen uns natürlich gerade in einer Pandemie, dass wir wieder zu einer europäischen und hoffentlich bald auch zu einer globalen Mobilität zurückkommen, dass sich also alle Menschen wieder frei bewegen können, aber wir müssen aufpassen, dass ein europäischer Impfpass – gerade auch ein digitaler – keine neuen Mauern in Europa und in der Welt aufbaut.
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Für einen digitalen Impfpass müssen wir eine Reihe von Fragen beantworten, und zwar jetzt: Wie lange dauert die Immunität nach einer Impfung, und zwar bei den jeweiligen Impfstoffen? Wie wird die Übertragung durch die Impfung verhindert? Wird die Infektion verhindert? Auch das müssen wir fragen, und das muss schnell beantwortet werden; denn es ist ja hoffentlich unser Ziel, dass wir hier mehr Sicherheit haben. Deswegen ist es richtig, dass wir uns gemeinsam mit der Europäischen Union auf den Weg machen und die Vorarbeit für einen datenschutzgerechten Impfpass leisten.
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Wir Grünen werden uns dafür einsetzen, dass erstens der digitale Nachweis eines aktuellen Negativtests, zweitens der Nachweis aktueller Immunität durch überstandene Covid-19-Infektion und drittens Impfungen gleichgestellt werden. Wir wollen keine rechtliche Ungleichbehandlung von Geimpften und Nichtgeimpften. Wir wollen gesellschaftliche Solidarität und Freiheiten so schnell und umfassend wie möglich, und zwar für alle.
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Das gilt ganz besonders für sensible Grundrechtsbereiche. Dort müssen wir Teilhabe ermöglichen und pragmatisch denken. Ich meine damit zum Beispiel, dass Familien ihre Angehörigen in Pflegeheimen wieder besuchen können. Das, meine Damen und Herren, sind doch die Ziele, die wir alle erreichen wollen.
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Nun zum Antrag der AfD. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Themen von dieser Fraktion und Partei bewusst verkürzt und Zusammenhänge absichtlich falsch hergestellt werden. Wissenschaftler haben das anhand von Beispielen – nicht von hier, sondern aus den USA – überprüft, zum Beispiel der Amerikanist Michael Butter. Er hat festgestellt: Verschwörungserzählungen gehen erstens davon aus, dass nichts durch Zufall geschieht, sondern alles geplant wurde. Zweitens behaupten diese Verschwörungsmythiker, dass alles miteinander verbunden ist, und drittens nehmen sie an, dass nichts so ist, wie es scheint.
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Genau so arbeitet die AfD hier in diesem Bundestag, meine Damen und Herren. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf die namentliche Abstimmung zum UNMISS-Mandat zurück. Ich werde die Abstimmung nach dem nächsten Redner schließen, und ich bitte all diejenigen, die noch nicht abgestimmt haben, das jetzt zu tun.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann sagen, die AfD ist sich mal wieder treu geblieben: Sie bauen Panik auf, dann stellen Sie falsche Tatsachenbehauptungen in den Raum,
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und dann machen Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie immer behaupten. – Ich erkläre Ihnen gleich auch, warum.
Sie haben es ja von den Kolleginnen und Kollegen hier gehört: Keiner in Deutschland möchte eine Impfpflicht.
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Dieser Popanz, den Sie hier aufbauen, als würde hier irgendjemand die Menschen zwingen wollen, sich impfen zu lassen, ist völlig an der Sache vorbei.
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Wir wissen, dass sich mittlerweile fast 80 Prozent der Menschen impfen lassen wollen. So weit also zum Thema Zwang! – Das ist das eine. Und der zweite Punkt ist: Es wird keine Impfpflicht geben.
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Richtig allerdings ist, dass Impfen Leben rettet. Die Vorrednerinnen und Vorredner haben schon darauf hingewiesen: Nicht nur Impfen rettet Leben, sondern auch das Thema Digitalisierung. Datennutzung beispielsweise rettet Leben. Wenn Sie sich dann hierhinstellen und den Eindruck erwecken wollen, dass wir durch den Impfpass, durch Zettelwirtschaft, aus der Krise kommen könnten, dann ist das völlig an der Sache vorbei. Dann sollten Sie vielleicht noch mal nacharbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
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Ich persönlich – das sage ich Ihnen ganz offen – bin froh, dass der Impfpass kommt; nicht die Impfpflicht – die wird nicht kommen –, aber der Impfpass. Bereits 2022 wollen wir im Rahmen der ePA den Impfpass für alle. Mir persönlich geht das viel zu langsam. Das hätten wir eigentlich schon viel schneller machen sollen. Aber hier geht es um den digitalen Impfnachweis im Hinblick auf die Coronaimpfung. Das ist genau der Punkt, über den wir sprechen müssen: Wie kommen wir von der Zettelwirtschaft weg? Wie kommen wir zur digitalen Anwendung, damit man auch darstellen kann: Stelle ich eine Gefahr oder stelle ich keine Gefahr für mein Umfeld und für mich selbst dar? Dafür ist der digitale Impfpass genau der richtige Weg.
Kollege Sorge, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brandner?
Ach, der Herr Brandner. Ja, dann machen Sie mal, Herr Brandner.
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Danke schön. – Der Herr Brandner macht dann mal.
Herr Kollege Sorge, Sie haben gesagt, nach Ihren Erfahrungen wollten sich 80 Prozent der Menschen in Deutschland impfen lassen. Ich richte gerne einmal die Frage an Sie: Woher kommt die Zahl von 80 Prozent? Die habe ich noch nie gehört. Beruht das möglicherweise auf statistischen Erhebungen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, oder sehen Sie das bundesweit?
Und: Wenn Sie die Aussage treffen, dass Impfen Leben rette: Wie beurteilen Sie dann die Tatsache, dass in Deutschland das Impfen so schleppend vorangeht, dass wir weltweit gesehen auf den letzten Plätzen sind?
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Resultiert daraus, wenn Impfen Leben rettet und wir nicht genug impfen, nicht, dass wir Leben auf dem Gewissen haben, weil wir nicht schnell genug geimpft haben?
Ist die Frage jetzt beendet, oder wollen Sie noch eine Frage stellen?
Fragezeichen!
Okay. Alles gut. – Das waren zwei Fragen, die ich Ihnen dann beantworte.
Erstens. Es gibt Umfragen – das ist klar –; man kann natürlich nicht jeden Einzelnen fragen. Mit sehr hoher prozentualer Wahrscheinlichkeit wollen sich die Menschen zu einem sehr hohen Prozentsatz impfen lassen. Insofern: Ob sich jemand impfen lassen will, ist etwas ganz anderes, als ob wir jemanden zum Impfen zwingen wollen. Das will keiner.
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Zweitens. Dass das Impfgeschehen schneller voranschreiten könnte, ist genau der Punkt. Das wollen wir mit diesem digitalen Impfpass weiter befördern.
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Es geht doch letztendlich darum: Wie können wir Öffnungsperspektiven erzeugen? Wie können wir Menschen im persönlichen Umgang die Sicherheit geben, dass sie selbst bzw. andere keine Gefahr darstellen? Wenn Sie jedes Mal den Eindruck erwecken, dass wir durch Zettelwirtschaft aus der Krise kommen – es steht in Ihrem Antrag, dass Sie den Papierimpfpass gerne behalten wollen; ein bisschen oldschool –, dann ist das völlig an der Sache vorbei. Hier geht es darum, dass wir Möglichkeiten schaffen, schnell aus der Krise herauszukommen, und nicht darum, darüber zu fabulieren, welche angeblichen Verschwörungstheorien oder Probleme Sie in den Raum stellen, die durch keinerlei Tatsachen begründet sind. Das müssen wir in der Form nicht behandeln.
Aber ich will Ihnen auch sagen: Ihr Kollege Espendiller hat wieder suggeriert, wir würden die Impfpflicht durch die Hintertür einführen – das will ja keiner –; Sie würden genau das Gegenteil machen. Ich darf mal an Ihren Kollegen, den Fraktionschef der AfD im Landtag von NRW, erinnern.
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Kollege Sorge, beantworten Sie jetzt noch die Frage, oder sind Sie fertig mit der Beantwortung?
Ich glaube, auf die Frage muss man nicht weiter antworten. Die habe ich ja ausreichend beantwortet.
Okay, dann sind wir fertig mit der Antwort. – Herr Brandner, bitte Mundschutz, wenn Sie sich hier im Raum bewegen!
Und wenn Sie dann immer darstellen, als gäbe es da ein Problem und Sie sähen das völlig anders, dann finde ich es immer nur spannend, dass ein Großteil Ihrer Kollegen genau das Gegenteil macht. Der besagte Fraktionschef der AfD im Landtag von NRW hat es sogar hinbekommen, sich selbst impfen zu lassen, seine Frau impfen zu lassen, seinen 16-jährigen Sohn impfen zu lassen und dann auch noch die geschätzte Schwiegermutter impfen zu lassen – alles vorbei an der Impfpriorisierung, alles vorbei an sämtlichen Terminvorgaben.
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Also, das finde ich schon bemerkenswert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
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Wenn wir hier über das Thema „Verstoß gegen Grundrechte“ sprechen, dann sollten Sie sich vielleicht mal mit dem juristischen Verfassungskurs, Verfassungsrecht, erstes Semester, befassen. Vielleicht kann Ihnen Herr Brandner helfen, obwohl er da auch nicht so bewandert ist. Es geht darum: Wie kann man Grundrechte in Ausgleich bringen?
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Kein Grundrecht gilt uneingeschränkt. Sie fabulieren hier immer darüber und sagen, man könne niemandem das Impfangebot machen, also in Aussicht stellen, dass man sich dadurch schützen kann; Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Was ist denn dann mit dem Grundrecht beispielsweise der Gastronomen, der Hoteliers, der Reiseveranstalter?
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Die wollen doch gerade ihr Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wahrnehmen. Ich glaube, „Freiheit“ heißt auch, dass sie entscheiden können, wie sie ihre Kundinnen und Kunden am besten vor Coronaerkrankungen schützen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Abschließend kann man dazu sagen: Sie sollten vielleicht noch mal in Ihren Handwerkskoffer der politischen Arbeit schauen. Dann würden Sie vielleicht auch mitbekommen, wenn Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss sprechen würden, dass Anträge in der Form, wie Sie speziell diesen Antrag gestellt haben, völlig planlos sind, völlig an der Sache vorbei. Uns geht es darum, dass wir einen schnellen Weg aus der Krise eröffnen. Dazu gehört auch, schneller zu impfen – diejenigen, die es wollen, also keine Pflicht –, dass wir schneller in den Arztpraxen impfen können. Insofern kann ich Ihnen nur raten: Gucken Sie noch mal in Ihren Handwerkskoffer für das politische Geschäft, gerade im Gesundheitsbereich. Vielleicht können wir uns dann mal ernsthaft über solche Anträge unterhalten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht noch in Ergänzung zur Frage vom Kollegen Brandner von der AfD: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage vom 3. März wollen sich 73 Prozent der Deutschen impfen lassen, sobald für sie die Möglichkeit besteht, und 12 Prozent sind unentschlossen.
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Der Kollege Tino Sorge lag mit seinen Angaben also ganz richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Mit dem Antrag der AfD in dieser Debatte wird wieder einmal deutlich: Eine demokratische Wahl macht noch lange keine Demokraten. Diese Partei ist ausschließlich dazu imstande, Stimmung auf dünner, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf ziemlich dünner Informationslage zu machen, und das lassen wir ihr so ohne Weiteres nicht durchgehen. Denn die AfD übersieht in ihrem Antrag, vollkommen,
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dass beispielsweise zur Reisefreiheit immer zwei gehören, nämlich das Herkunftsland und das Zielland. Wir kontrollieren dabei die Bedingungen in Deutschland und können auf der Seite des Ziellandes nur über Diplomatie Einfluss nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die Bundeskanzlerin und der Bundesgesundheitsminister Spahn haben es öffentlich gesagt, und es bleibt dabei: Es wird bei uns in Deutschland keine staatlich angeordnete Impfpflicht geben.
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Aber: Denkt die AfD überhaupt so weit, was nun passiert, wenn andere europäische oder gar dritte Länder eigenmächtig die Einreise nur mit Impfung erlauben? Dann sollten wir nämlich vorbereitet sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, für unsere Bürgerinnen und Bürger, und Bedingungen schaffen, die den Anforderungen des Auslandes dann auch entsprechen. Dabei hilft es, eine gesamteuropäische Lösung zu finden, statt 27 Einzelsysteme zu schaffen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Espendiller?
Ja, na klar.
Herr Kollege, wenn Sie sagen: „Es wird in Deutschland keine Coronaimpfpflicht geben“, was sagen Sie dann zu den Äußerungen von Herrn Kretschmer, dem Ministerpräsidenten aus Sachsen, der das mittlerweile nicht mehr ausschließt?
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Es gibt also tatsächlich Planungen seitens der Länder, das Thema Impfpflicht in die Öffentlichkeit zu tragen. Was sagen Sie denn dazu? Sie können hier schlecht sagen: „Es sind alles Verschwörungstheorien“, wenn Ihre eigenen Leute das in der Öffentlichkeit äußern.
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Wissen Sie, genau das ist das Problem, Herr Kollege. Sie reißen nämlich die Dinge aus dem Zusammenhang.
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– Ja, weil er das in dieser Form
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so nämlich nicht gesagt hat.
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Das ist einfach Unsinn, was verbreitet wird. Und nur weil Sie Dinge, die falsch sind, immer und immer wieder wiederholen, werden sie dadurch definitiv nicht richtiger. Es tut mir einfach leid.
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Die AfD fordert außerdem, dass die Bundesregierung anderen Ländern vorschreiben soll, wie sie bei der Einführung des digitalen Impfpasses verfahren sollen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Partei, die gern den Mahner mimt in Sachen „keine Einmischung in staatliche Belange von außen“, fordert nun genau dieses. Dazu fällt mir nun wirklich nichts mehr ein.
Ein anderes Thema ist die Vertragsfreiheit der Unternehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Unternehmen haben grundsätzlich rechtlich die Möglichkeit, zu entscheiden, ob man zum Beispiel für einen Hotelaufenthalt oder einen Flug einen Impfpass braucht oder ob ein Test vor Ort notwendig ist. Wenn das Unternehmen glaubt, sich den Ausschluss von noch nicht Geimpften aus wirtschaftlichen Gründen leisten zu können, soll es das tun. Dann werden möglicherweise andere den Umsatz machen. Aber diese unternehmerische Freiheit stellen wir nicht infrage. Das begründet nämlich in keiner Weise Sonderrechte für das Unternehmen
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oder führt zur schnelleren Lockerung der Regeln.
Ich fasse zusammen: Hauptsache dagegen sein. – Vor einem Jahr hat die AfD auch die Corona-Warn-App als staatliches Überwachungssystem verschrien. Und, hat sich das bewahrheitet? Nein.
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Es ist ein datenschutzfreundliches Konzept mit dezentraler Speicherung, und sie ist freiwillig,
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genauso wie eine Impfung gegen Covid-19.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, hören Sie endlich auf, die gesundheitlichen Gefahren dieser Krankheit herunterzuspielen,
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und hören Sie endlich auf, hier Lügen zu verbreiten; sonst haben Sie irgendwann so kurze Beine, dass Sie nicht mehr übers Rednerpult schauen können.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache zu Zusatzpunkt 2.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Karnevalszeiten verkleiden sich Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene gerne als Piratinnen und Seeräuber. Sie wollen Helden der Meere sein. Mit dieser romantischen Vorstellung von Piraterie hat die aktuelle Situation im Mittelmeer und in seinen Anrainerstaaten allerdings rein gar nichts zu tun. Im Namen der SPD-Fraktion bitte ich Sie daher heute um die Zustimmung zur Verlängerung des maritimen Bundeswehrmandates Sea Guardian.
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Dieses Mandat leistet einen essenziellen Beitrag zur Aufklärung und zum Kampf gegen Terrorismus, gegen Waffen- und Menschenschmuggel im maritimen Umfeld von und nach Libyen. Zu den Aufgaben der Mission gehört die Seeraumüberwachung und ‑aufklärung und dies auf und über See, etwa durch AWACS. Es geht dabei auch um die Erstellung eines Lagebildes. Diese Informationen sollen zudem mit Staaten in der Mittelmeerregion ausgetauscht werden. Ferner geht es um den Kapazitätsaufbau und die Unterstützung des EU-Einsatzes EUNAVFOR MED Irini. Dies alles geschieht insbesondere auf der Grundlage der Resolution 2526 der Vereinten Nationen.
Bei dem Einsatz, den wir heute in diesem Hohen Hause nun um ein weiteres Jahr verlängern wollen, sollen maximal 650 Soldatinnen und Soldaten einen Beitrag zur Sicherheit des mediterranen Meer- und Luftraumes leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Soldatinnen und Soldaten, die nicht nur den Mittelmeerraum, sondern eben auch unsere nationalen und europäischen Interessen schützen, möchte ich in großer Demut für ihren Beitrag zugunsten der Stabilität in der Region Danke sagen.
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Danke; denn Sie sind unsere wahren Helden der Meere. Danke – das sage ich in Richtung der Soldatinnen und Soldaten –, dass auch Sie durch Ihre Präsenz nahe an der Belastungsgrenze unsere deutsche Kooperationsbereitschaft mit den Anrainerstaaten im Mittelmeer möglich machen! Danke, dass auch Sie durch Ihren Einsatz einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die im Rahmen der Berliner Libyen-Konferenz vereinbarten Waffenembargos der Vereinten Nationen auch tatsächlich realisiert werden können! Lassen Sie mich betonen: Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, leisten eine enorme Unterstützung dafür, dass die zarte Pflanze – erste Erfolge – der Berliner Libyen-Friedenskonferenz weiter wachsen kann.
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Ich hoffe, Sie wissen, dass es auch Ihr Erfolg ist, dass es in diesem Jahr gelungen ist, unter Aufsicht der Vereinten Nationen in Genf im Zuge des Libyan Political Dialogue Forum eine Übergangsregierung in Libyen aufzustellen.
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Für den Einsatz möchte ich auch Außenminister Heiko Maas und stellvertretend Frau Staatsministerin Michelle Müntefering danken und selbstverständlich den Beteiligten im Auswärtigen Amt. Liebe Frau Müntefering, bitte richten Sie auch dort unsere Grüße und unseren Dank aus; denn der Einsatz für diesen Friedensprozess war unermüdlich. Unsere Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz haben sich dafür ja auch starkgemacht.
Ja, wir haben im Blick, dass es bei diesem Mandat auch um die Sicherheit und den Schutz unserer eigenen Kräfte geht. Hier steht die SPD im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, an der Seite der Bundeswehr,
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ganz in der guten Tradition unserer Verteidigungsminister,
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von Helmut Schmidt über den humanistisch denkenden Franz Apel bis hin zum wackeren Peter Struck
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– kein Neid! –, wissen wir sehr zu schätzen, was wir an unseren Bürgerinnen und Bürgern in Uniform haben,
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gerade auch bei dieser herausfordernden Mission Sea Guardian.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jedes Jahr wenn wir hier über die Operation Sea Guardian sprechen, dann stellen die Befürworter dieser Mission die allgemeine Wichtigkeit des Kampfes gegen den Terror und den Waffenschmuggel heraus und betonen auch, wie wichtig sichere Seewege seien. Diesen Allgemeinplätzen kann man natürlich schlecht widersprechen;
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aber sie haben auch mit der Operation Sea Guardian nicht viel zu tun.
Denn wir sprechen ja auch jedes Jahr wieder von Neuem über die Bilanz dieses Einsatzes. Und die sieht nun mal so aus, dass wir noch keinen Terroristen gesehen haben im Mittelmeer,
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dass im Rahmen der Operation Sea Guardian noch kein Waffenschmuggler festgenommen wurde und dass die Bundesregierung auch sonst keinerlei Erkenntnisse über andere Sicherheitsbedrohungen im Rahmen der Operation Sea Guardian hat.
Fast 20 Jahre sind wir da jetzt vor Ort, wenn wir die Vorgängermission Operation Active Endeavour dazurechnen. Die Bundesregierung will offenbar trotzdem weiter dort bleiben; es scheint, als wolle sie auch nicht das geringste Risiko eingehen, dass doch noch irgendwas passiert. Wenn man das so hört und sich mal vor Augen führt, dass hier in unserer Hauptstadt, in Berlin, Clanbosse darüber entscheiden, ob es Krieg oder Frieden gibt, und nicht die Polizei, dann kann man sich nur wünschen, dass eines schönen Tages die Bundesregierung mit demselben Elan hier in Deutschland die Kriminalität bekämpft, wie sie es jetzt schon außerhalb von Deutschland tut.
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Die Erklärung dafür, warum keine Waffenschmuggler und keine Terroristen da sind, habe ich eben auch von meiner Vorrednerin gehört – da saß sie schon wieder –, eben Abschreckung. Die würden alle Angst haben, und deswegen käme keiner. Dass wir also den Feind noch nie gesehen haben, wegen dem wir eigentlich da sind, sei ein Zeichen dafür, wie gut das Mandat sei. Aber das kann natürlich keine Grundlage für einen Bundestagsabgeordneten sein, hier zuzustimmen. Das ist ja völlige Willkür. Das würde ja heißen, dass wir in Zukunft nicht mehr nur Mandate beschließen wegen eines Feindes, der da ist, sondern auch wegen eines Feindes, der nicht da ist, aber rein hypothetisch vielleicht irgendwann noch mal auftauchen könnte.
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Wenn man an diese Theorie glaubt, muss man sich bitte vor Augen halten: Sea Guardian greift auf Schiffe zurück, die ohnehin im Mittelmeer sind, die sich im Transit befinden. Wir können also heute Operation Sea Guardian beenden, uns 3 Millionen Euro jedes Jahr sparen, und es sind genau dieselben Schiffe noch im Mittelmeer wie vorher auch, und den bösen Buben schlottern immer noch die Knie wegen unserer Schiffe – funktioniert alles wunderbar.
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Wenn man den Antragstext so liest, dann hat man auch den Eindruck, dass die Bundesregierung selber nicht so genau wusste, wie sie den Wert der Operation begründen sollte. Da steht dann zum Beispiel als Erfolg: der Beitrag zum Kapazitätsaufbau in den Mittelmeeranrainerstaaten. Und worin besteht er? Wir haben allgemeine Informationsvorträge in Algerien, Marokko und Ägypten gehalten. – Ja, das mag ja ganz nett sein, aber, ich glaube, für den Kapazitätsaufbau in den Mittelmeeranrainerstaaten fallen uns doch bessere Konzepte ein; dafür brauchen wir nicht Operation Sea Guardian.
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Und auch gemeinsame Übungen werden hier als Erfolg von Sea Guardian herausgestellt. Auch da kann man nur daran erinnern: Multinationale Übungen sind was ganz Tolles; aber dafür braucht man kein Mandat.
Im Ergebnis: Wir brauchen Operation Sea Guardian nicht. Wir können uns die 3 Millionen Euro im Jahr sparen. Dafür können wir unseren Soldaten gute Ausrüstungen kaufen. Wir als Alternative für Deutschland stimmen hier heute nicht zu.
Jetzt habe ich noch 28 Sekunden: Frau De Ridder, da kann ich noch auf einen Satz eingehen, den Sie hier gesagt haben – ich habe ihn nur noch so ungefähr in Erinnerung –: Beim Schutz der Soldaten stehen Sie irgendwie an der Seite der Soldaten. – Eine Heuchelei vor dem Herrn, wirklich!
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Blockieren Sie nicht länger die Bewaffnung von Drohnen, dann können Soldaten geschützt werden. Es scheint ja so, als müsse sich im Einsatzland erst wieder irgendeine Tragödie ereignen, damit die SPD das politische Momentum sieht und hier auch endlich mal den Mut fasst zur Entscheidung. Schützen Sie unsere Soldaten, und ducken Sie sich nicht weg!
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Als Nächstes hat Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben ja hier schon oft Ablehnungen von Auslandsmandaten gehört; aber ich habe selten eine so unambitionierte Begründung gehört.
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir als CDU/CSU unterstützen natürlich die Fortsetzung dieser Mission. Wo bekommen wir für 3 Millionen Euro einen solchen Mehrwert? Und den möchte ich jetzt auch mal darstellen.
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Zunächst einmal bekommen wir für einen relativ geringen Aufwand ein Lagebild. Das ist deshalb wichtig, weil auf dem Mittelmeer etwa ein Drittel des Welthandels zur See stattfindet. So konnten wir zum Beispiel im letzten Jahr etwa 30 000 Schiffe erfassen. Wir bekommen einen Überblick über die verschiedenen Flaggen, einen Überblick über die verschiedenen Routen, die gewählt werden.
Zweitens ist das eine Plattform für Kooperation, wie wir sie einfacher nicht schmieden können. Diese Plattform für Kooperation ist ja nicht nur auf Zusammenarbeit innerhalb der NATO beschränkt, sondern sie bietet anderen Ländern die Zusammenarbeit an, und es wirken Länder mit wie Algerien, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Israel; selbst mittelmeerferne Länder wie Australien oder Georgien wirken mit. Das heißt, sie haben ein Interesse daran. Was ist der Grund? Der Grund ist auch ein sehr einfacher: Diese Mission ist die einzige multilaterale Mission im Mittelmeer, die auf der Basis eines VN-Sicherheitsmandats funktioniert und internationale Verträge einhält.
Wenn wir, liebe Frau Kollegin Müntefering, lieber Kollege Silberhorn, eine Allianz für Multilateralismus schmieden, dann ist die Folgemission der Operation Active Endeavour, nämlich Sea Guardian, ein Paradebeispiel dafür, wie man multilateral kooperativ wirken kann und wie wir unsere Sicherheit gewährleisten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das dritte Argument ist die allgemeine Sicherheitsvorsorge. Es fiel der Begriff Abschreckung. Dass der bei Ihnen so degoutierlich behandelt wird, wundert mich;
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denn wir haben eine ganze Reihe von Seekabeln, eine ganze Reihe von Pipelines und auch eine ganze Reihe von notwendiger Infrastruktur, die durch die allgemeine Präsenz, nämlich durch das Durchfahren von Schiffen, die sich den Mantel Sea Guardian anziehen, geleistet wird.
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Damit möchte ich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, noch einen Punkt ansprechen, wo wir Verbesserungen erwarten. Wir brauchen bei der Operation Sea Guardian zwingend Verbesserungen in der Zusammenarbeit zwischen NATO und EU. Wir hatten in der Vergangenheit eine außergewöhnlich gute Zusammenarbeit mit der Operation Sophia, die aus verschiedenen Gründen eingestellt wurde. Und wir brauchen dringend ein Benehmen zwischen EU und NATO, zwischen Türkei und EU, um hier sehr intensiv eine bessere Zusammenarbeit zwischen EU und NATO voranzubringen. Das ist in unserem Interesse.
So wie diese Operation auch ein Beispiel für multilaterale Zusammenarbeit ist, ist sie auch ein Zeichen der Bereitschaft Europas, Lastenteilung innerhalb der Allianz zu übernehmen. Es ist auch ein Zeichen an die USA, dass wir bereit sind, im Rahmen von Ausbildung, Ausbildungskooperation und Sicherheitsvorsorge Verantwortung zu übernehmen. Auch das könnten wir, an das Verteidigungsministerium und an das Außenministerium gerichtet, international deutlicher und klarer herausstellen. Ich denke, die breite parlamentarische Mehrheit, mit der wir gleich darüber abstimmen werden, ist auch ein Zeichen zur Bereitschaft für Verantwortungsübernahme – für gerade einmal 3 Milliarden Euro. Aber wir müssen es sinnvoll machen.
In diesem Sinne danke ich dem mutigen Einsatz von bisher nur 85 Soldatinnen und Soldaten; sie können auf bis zu 650 aufwachsen. Wir werden es immer wieder erleben, dass wir Schiffe in diesen Mantel kleiden. Das ist im Interesse unserer Sicherheit. Deshalb stimmen wir als Union und, wie ich denke, auch in der einen oder anderen Fraktion und in der Großen Koalition breit hier zu.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort geht an Ulrich Lechte von der FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten, die uns draußen zuhören! Die Sicherheit der internationalen Seewege sollte für uns alle von größter Priorität sein; denn so findet schließlich der Großteil des Warenverkehrs über die Weltmeere statt. Als öffentliches Gut leisten freie und vor allem sichere Seewege einen unabdingbaren Beitrag zur Verknüpfung der Welt. Themen – für die Feinschmecker – wie Südchinesisches Meer oder die Straße von Taiwan usw. kommen da in den Sinn. Die Operation Sea Guardian und insbesondere auch die deutsche Beteiligung leisten für diese Sicherheit einen wichtigen Beitrag in der für uns zentralen Mittelmeerregion.
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Vor allem bei der Seeraumüberwachung und zum Lagebildaustausch kommt die volle Stärke dieses Einsatzes zum Tragen, sind doch gerade ein guter Überblick und der schnelle Austausch unter Verbündeten das A und O für die Gewährung der Sicherheit auf dem viel befahrenen Mittelmeer und damit von unabdingbarer Bedeutung. Das betrifft nicht nur den Austausch unter beteiligten Staaten innerhalb dieser Mission, sondern auch zwischen den verschiedenen maritimen Mittelmeermissionen von NATO und der EU. Dieser Informationsaustausch und eine Unterstützung bei der Logistik zwischen der mittlerweile beendeten EU-Mission Sophia und der NATO-geführten Mission Sea Guardian waren bisher gängige Praxis. Zwischen der jetzt existierenden EU-Mission Irini und der NATO-geführten Mission Sea Guardian sind sie das bisher jedoch bedauerlicherweise nicht.
Während man beim letztjährigen Mandatstext – die Bundesregierung wird sich erinnern – gebetsmühlenartig die Fortsetzung der Kooperation zwischen der Nachfolgeoperation von Sophia und Sea Guardian unterstrich, scheint diese heutzutage kein drängendes Thema mehr zu sein. Im jetzt vorliegenden Mandatstext ist zwar die Rede von der Möglichkeit dieses Austausches und der Zusammenarbeit bei der Logistik beider Missionen, jedoch ist auf diesem Gebiet bis heute leider nichts geschehen.
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Dabei ist es in unser aller Interesse, dass gerade auch der langanhaltende Konflikt in Libyen endlich endet und das zarte Pflänzchen des Friedens in diesem krisengeschüttelten Land nachhaltig gesichert wird. Mit einem Informationsaustausch zwischen beiden Missionen könnten wir zur Befriedung Libyens beitragen. Umso unverständlicher ist es für mich, dass wir hierfür nicht alle Hebel in Bewegung setzen.
Die Bundesregierung möge sich deshalb dafür einsetzen, diesen Austausch zwischen den Missionen, der zwischen der Vorgängermission Sophia und Sea Guardian bestand, auch endlich für die Nachfolgemission Irini und Sea Guardian zu bewerkstelligen: für die Sicherheit der Seewege, aber auch für die Sicherstellung und die Wahrung des Friedens in Libyen und der ganzen Region.
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Sea Guardian trägt zur Sicherheit an der Südflanke Europas maßgeblich bei. Die FDP-Fraktion stimmt diesem Mandat daher zu.
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Zuletzt: Liebe Bundesregierung, Verstimmungen und Konflikte sowie deren Lösung zwischen Partnern in der NATO und in Europa wie zwischen Frankreich, Griechenland und Zypern auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite gehören zu den dringlichsten Themen der europäischen und damit der deutschen Außenpolitik!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort geht an Matthias Höhn von der Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten zwanzig Minuten ist ja sehr viel über die Sicherheit im Mittelmeer geredet worden. Deswegen lassen Sie auch mich damit beginnen.
Ich muss leider etwas sagen, was ich auch im Verteidigungsausschuss festgestellt habe, als wir über dieses Mandat gesprochen haben: Ich vermisse – vom Kollegen Lechte einmal abgesehen – vor allen Dingen bei den Koalitionsfraktionen, dass wir hier bei diesem Thema mal klar benennen, an welchen Stellen in den letzten Monaten die größte Eskalationsgefahr im Mittelmeer bestanden hat. Ich will noch mal daran erinnern: Es waren durchweg NATO-Länder, die an diesen Eskalationen beteiligt waren.
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Wir reden über die Situation zwischen der Türkei und Griechenland – Stichwort „Zypern“ –: nach wie vor untragbar. Und wir reden über die Vorkommnisse vor der libyschen Küste.
Ich will auch daran erinnern, welche Situation wir im letzten Juni, also im Juni 2020, hatten. Ein türkisches Schiff hat den Feuerleitradar auf ein französisches Schiff gerichtet. Was haben wir denn erlebt, als die deutsche Fregatte „Hamburg“ versucht hat, ein türkisches Schiff zu kontrollieren? Durchweg Eskalationspunkte. Wenn wir hier über das Mandat Sea Guardian reden und über die Frage, welche Gefahren im Mittelmeer bestehen, dann erwarte ich schon, dass Sie auch diese Gefahren, die real existiert haben, in aller Offenheit deutlich ansprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
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und nicht nur über das sprechen, was Sie immer gern um dieses Mandat kleiden: die Frage der Terrorismusbekämpfung.
Da komme ich zu einem zweiten Punkt. Die Texte der Mandate ähneln sich ja von Jahr zu Jahr immer sehr. Man muss auf die Details achten. Ein Detail, das diesmal nicht mehr drinsteht, will ich mal erwähnen: Die nichtstaatlichen Akteure, die möglicherweise Waffen schmuggeln, stehen nicht mehr drin. – Ich glaube, ich weiß auch, warum. Weil wir das größte Problem mit dem staatlichen Waffenschmuggel haben. Jetzt reden wir noch mal über Libyen. Das zentrale Problem ist doch, dass ausgerechnet Länder, an die wir als Bundesrepublik Waffen exportieren, ihre Waffen nun nach Libyen schicken, um ihre Kombattanten dort zu unterstützen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir Sicherheit in der Region schaffen wollen, dann brauchen wir nicht dieses Mandat Sea Guardian, sondern wir brauchen eine Einstellung der Waffenexporte und auch eine Änderung der deutschen Politik in dieser Frage.
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Letzter Punkt – ich finde, auch das gehört dazu, wenn wir über das Mittelmeer und die Sicherheit im Mittelmeer reden –: Nach wie vor haben wir eine untragbare humanitäre Situation am und auf dem Mittelmeer. Nach wie vor ertrinken fast täglich Menschen im Mittelmeer. Deswegen gehört es auch dazu, dass wir, wenn wir hier so ausführlich über diese Frage reden, immer wieder deutlich machen: Wir brauchen dafür eine Lösung, und wir brauchen eine zivile, eine staatliche Seenotrettung, damit dieser untragbare Zustand endlich aufhört.
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Meine Fraktion wird dem Mandat nicht zustimmen.
Danke schön.
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Das Wort geht an Dr. Tobias Lindner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Reden wir mal über das, worüber sich viele in diesem Hause bei Sea Guardian einig sind. Herr Kollege Kiesewetter, Sie haben gesprochen von Seeraumüberwachung, Lagebilderstellung, besserer Kooperation zwischen EU und NATO und – da hat der Kollege Höhn recht; schauen wir uns nur das Verhältnis zwischen Griechenland und Türkei oder den Zwischenfall mit der französischen Fregatte und einem türkischen Schiff an – besserer Kooperation auch innerhalb der NATO. Über all das können wir miteinander reden. Bei vielem kann meine Fraktion auch erkennen, dass es durchaus Sinn macht. Ich habe ein Interesse an einem Lagebild im Mittelmeer. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, für all das, was praktisch tagtäglich bei Sea Guardian gemacht wird, bräuchte es kein Mandat, um ehrlich zu sein.
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Vieles davon wird von der Standing NATO Maritime Group 2, die im Mittelmeer kreuzt, Tag für Tag ebenfalls gemacht.
Sie legen hier aber ein Mandat vor. Und ja, das, was Sie da hineingeschrieben haben, ist mandatspflichtig. Sie sprechen von Terrorbekämpfung und der Möglichkeit der Ausbildung von Küstenwachen in Anrainerstaaten. Das geschieht zwar nicht in dieser Sea-Guardian-Mission, aber dadurch, dass Sie es hineinschreiben, wird der Text, den Sie uns heute vorlegen, mandatspflichtig. Man könnte auch sagen: Sie bauen hier ein Mandat auf, um ein Symbol des Deutschen Bundestags zu haben, und nennen es dann gelebte Solidarität mit dem Mittelmeer. – Das ist nicht gelebte Solidarität, liebe Kolleginnen und Kollegen; was Sie uns hier vorlegen, ist in Wahrheit ein Pappkamerad.
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Ich will noch einen zweiten Punkt nennen. Mandatierung von Auslandseinsätzen unserer Bundeswehr ist ja kein Selbstzweck. Mandatierung dient der parlamentarischen Kontrolle, wo die Bundesregierung deutsche Soldatinnen und Soldaten einsetzt. Mandatierung bedeutet, dass Mandate klar, präzise und – das will ich hinzufügen – so eng wie möglich gefasst werden müssen. Was Sie uns heute vorlegen, wäre in einem Bekleidungsgeschäft ein „One size fits all“-Produkt, also ein Mandat, mit dem Sie alles machen können. Es umfasst das komplette Mittelmeer. Es umfasst die Anrainerstaaten. Sie könnten alles machen, was Sie beispielsweise in der Mission Irini machen. Dieses Mandat, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist an Unklarheit nicht zu überbieten. Schon allein aus diesem Grund muss man es ablehnen.
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Wer es mit parlamentarischer Kontrolle ernst meint, kann ein solches Mandat nicht beschließen.
Bei alldem dürfen wir in der heutigen Debatte nicht vergessen, was die Sicherheitsrisiken im Mittelmeer sind: Es sind die inhärenten Probleme, die NATO-Länder wie Griechenland und die Türkei miteinander haben. Es ist das Problem, dass die Kontrolle eines Waffenembargos gegen Libyen nicht effektiv funktioniert, weil NATO-Staaten – die NATO begreift sich ja als Wertebündnis – die Kontrolle von Schiffen verweigern. Es ist das Problem, dass immer noch nicht genug gegen das Ertrinken im Mittelmeer getan wird. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch das Problem, dass Deutschland immer noch Rüstungsexporte in Länder genehmigt, von wo diese Waffen am Ende des Tages in Konfliktregionen wie Libyen, aber auch im Jemen landen.
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An diese Probleme sollten wir herangehen. Dieses Mandat ist keine Lösung dafür.
Herzlichen Dank.
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Danke. – Das Wort geht an Dr. Joe Weingarten von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Fortsetzung einer seit rund zwei Jahrzehnten laufenden, 2016 neu aufgelegten Aufgabe ist keine Routine. Es ist eine Entscheidung, die überlegt und abgewogen werden muss; denn es geht um das Leben von Menschen, die diesen Dienst tun, und von Menschen, die auf diesen Dienst vertrauen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist überzeugt davon, dass Sea Guardian eine weiterhin notwendige Operation ist und es im Interesse unseres Landes und der NATO-Mitglieder liegt, sie fortzuführen.
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Deshalb gilt als Erstes unser Dank den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, vor allen Dingen der Besatzung des Tenders „Werra“ und unseren Verbündeten für diesen Einsatz.
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Meine Damen und Herren, der Schutz des Mittelmeers ist wichtig für uns. Ein Land mit einer Exportquote von rund 50 Prozent der Industriegüter, in dem also jeder zweite Arbeitsplatz in der Industrie von internationalen Märkten abhängt, hat ein nachhaltiges Interesse an der Freiheit der Handelswege von Terrorismus und Waffengewalt, auch im Mittelmeer.
Aber es geht noch um Wichtigeres: Das Mittelmeer ist von zentraler Bedeutung für die europäische Sicherheit. Solange Bürgerkriege, militärische Aggressionen, wirtschaftliche Not und Flucht dort viele Anrainerstaaten bedrohen, solange ist auch die europäische Sicherheit bedroht. Deswegen gehört es heute und in absehbarer Zukunft zu den Aufgaben des Nordatlantikpaktes, in diesem Meer, in dem sich europäische, afrikanische, arabische, israelische, türkische Sicherheitsinteressen treffen, für gemeinsame Sicherheit zu sorgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bedrohung unseres Bündnisgebietes und der Verbreitung des Terrorismus mit Sea Guardian entgegenzutreten, ist richtig und notwendig. Wir verfügen über die notwendigen militärischen Fähigkeiten, und wir sollten sie auch bereitstellen. Aber Sicherheit im Mittelmeer lässt sich nicht allein mit militärischen Mitteln erreichen. Vielmehr müssen Konfliktbereinigung und ‑vermeidung, der Aufbau kollektiver Bündnisse, funktionierende staatliche Strukturen und wirtschaftlicher Wohlstand dazukommen.
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Und es muss endlich aufhören, dass im Mittelmeer wöchentlich Menschen bei dem Versuch sterben, Not und Bedrohung zu entgehen; nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind es allein in diesem Jahr schon rund 170. Es ist ein schreiender Widerspruch zum Anspruch Europas, Quelle und Inspiration der Freiheit und Demokratie zu sein, wenn wir dieses Massensterben an unserer Grenze dauerhaft hinnehmen.
Aber wir müssen den Blick noch weiter fassen. Militärische und soziale Sicherheit gehören zusammen, genauso wie Frieden und Wohlstand. So geschaffene Sicherheit in Afrika, etwa in der Sahelzone, ist auch Sicherheit im Mittelmeer und für Europa.
Heute geht es darum, die militärische Lage abzusichern. Deutschland darf sich davon nicht zurückziehen. Sicherheit und Verantwortung gehören zusammen. Auch deshalb bitten wir Sie, dem Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung von Sea Guardian zuzustimmen.
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Danke sehr. – Das Wort geht an Nikolas Löbel von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Debatten über bewaffnete Einsätze deutscher Streitkräfte im Ausland sind für mich an dieser Stelle des Plenums immer etwas besonders Wichtiges. Deswegen vorneweg an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten, die sich in Auslandseinsätzen befinden und ihren Dienst tun, herzlichen Dank aus der Mitte des Plenums heraus.
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Mit den Entscheidungen hier treffen wir sicherheits- und außenpolitisch wichtige Entscheidungen: für Deutschland, für Europa und für unsere Bündnispartner.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mission Sea Guardian ist mit ihrem maximalen Kontingent von bis zu 650 Soldatinnen und Soldaten und jährlichen Kosten von circa 3 Millionen Euro ein weniger ressourcenintensiver Einsatz im Vergleich zu anderen Einsätzen, die die Bundeswehr tätigt. Aber er bildet eben im Zusammenhang mit der NATO-Mission einen nicht zu vernachlässigenden Teil unserer äußeren Sicherheitsstruktur und des deutschen Beitrags dazu.
Die Bedeutung des Mittelmeerraums für Europa erneut zu betonen, haben alle Vorredner getan. Es ist wichtig, dass wir an der europäischen Außengrenze im Mittelmeer für geordnete und für sichere Verhältnisse, auch im ureigenen europäischen Interesse, sorgen. Denn es geht um Handel, es geht um Tourismus, es geht um Flucht, es geht um Migration, es geht um Schmuggel, es geht um die Abwehr von Terrorismus, und es geht auch um die Durchsetzung von geltendem Recht, Stichwort „Waffenembargos“. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass die Bundeswehr sich dort beteiligt.
Und ja, wir leisten einen Beitrag zur Überwachung der Region. Denn egal welche Entwicklungen es im Nahen Osten oder in Nordafrika gibt, sie werden alle immer über das Mittelmeer nach Europa gebracht. Sea Guardian hilft uns dabei, diese Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und entsprechend flexibel und offen reagieren zu können. Schon deshalb ist es richtig, dass wir dieses Mandat heute auch in seiner konkreten, wenn auch taktisch offenen Funktion verlängern.
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Es geht einerseits um eine reine Überwachung. Es geht aber auch um die Abwehr von Terrorismus, und es geht eben auch darum, dass wir tatsächlich Waffenhandel und Waffenschmuggel verhindern. Sicher, wir erinnern uns alle an die Zwischenfälle von der türkischen Seite im letzten Jahr. Und ja, zur bitteren Realität dieses Mandates gehört auch der Rückzug der Franzosen aus der Mission. Das alles hat dieser Mission einen Schaden zugefügt. Dennoch müssen wir auf Ebene der NATO uns diesen neuen Herausforderungen stellen, und wir müssen unsere französischen Freunde zurück in den Verbund holen – zumindest alles dafür tun. Denn die Antwort auf Schwierigkeiten kann niemals in einem einseitigen Rückzug liegen. Was wir brauchen, ist eine kluge Weiterentwicklung der Mission mit unseren Partnern in der NATO und mit den Mittelmeeranrainern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein besonderes Mandat, weil es ein vielschichtiges Mandat ist und weil es ein Mandat ist, was auch auf künftige Herausforderungen schon jetzt eine Antwort geben soll, damit wir präsent sind, damit wir reagieren können in der konkreten Situation in der Zukunft. Dieses Mandat hat sich bewährt, und deswegen werben wir heute auch für die Verlängerung des Mandates.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte erhält Dr. Reinhard Brandl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der frühere Außenminister von Frankreich, Bernard Kouchner, hat mal einen klugen Satz zum Mittelmeer aufgeschrieben: Das Mittelmeer ist das Herz aller großen Problemzusammenhänge am Beginn dieses Jahrhunderts. Entwicklung, Migration, Frieden, Dialog der Kulturen, Zugang zu Wasser, zu Energieressourcen, Klimawandel – im Süden Europas vollzieht sich unser zukünftiges Schicksal. – Das war 2008. Und diese Aussage ist heute aktueller denn je. Denn in den letzten 13 Jahren hat sich die Sicherheitslage gerade im Bereich des Mittelmeers deutlich verschlechtert; auf Libyen ist heute schon eingegangen worden. Deswegen ist es in unserem, im europäischen Interesse, dass Sicherheit im Mittelmeer herrscht und dass wir auch als Deutschland – als Exportnation, als Handelsnation – dafür sichtbar Verantwortung mit übernehmen.
Wir sind ja nicht alleine davon betroffen. Das Mittelmeer hat insgesamt 23 Anrainerstaaten; sie sind auf drei Kontinenten verteilt. 23 dieser Länder haben also einen direkten Zugang. Natürlich wird dieser Zugang nicht allein zu friedlichen Zwecken, zu wirtschaftlichen Zwecken genutzt, sondern auf dem Mittelmeer findet natürlich Organisierte Kriminalität statt, findet Terrorismus statt, findet Waffenschmuggel statt, findet Menschenhandel statt. Kein einziges dieser 23 Länder könnte diesen Problemen alleine entgegentreten, sondern was gefragt ist, ist Kooperation. Das, was Sea Guardian bietet, ist ein Rahmen für eine Kooperation, der – richtig gesagt – flexibel ist. Jeder soll sich einbringen anhand der Möglichkeiten, die er hat und die er zum Beispiel in der Region eh präsent hat.
Wenn wir jetzt zum Beispiel eine Fregatte in den indopazifischen Raum schicken – das wird im August der Fall sein; die Fregatte „Bayern“ wird sich auf den Weg zu einer Ausbildungsfahrt machen – und sie durch das Mittelmeer fährt, wird sie sich bei Sea Guardian anmelden. Sie wird ihre Aufklärungsdaten ans NATO-Hauptquartier melden. Sie trägt damit zum Lagebild bei. So stellen auch andere NATO-Mitgliedsländer Schiffe oder Flugzeuge flexibel zur Verfügung, und Sea Guardian ist offen für andere Länder.
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Das ist ein wirklich großer Vorteil dieses Mandats. Zahlreiche Nicht-NATO-Mitgliedsländer haben Interesse an einer Kooperation. Sogar Österreich, habe ich jetzt gelesen, will sich daran beteiligen, weil sie natürlich auch alle ein Interesse an einem Lagebild haben, an Sicherheit im Mittelmeer haben.
Deswegen sollten wir dieses Mandat fortsetzen. Es ist ein vergleichsweise effizientes Mandat, es ist ein ressourcenschonendes Mandat. Für die 3 Millionen Euro an finanziellem Einsatz bekommen wir sehr viel. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Mandat.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In unserem Antrag geht es darum, einen weiteren zu Weg zur Erreichung der Pariser Klimaziele zu eröffnen und synthetischen, klimaneutralen Kraftstoffen eine faire Chance im Energie- und Mobilitätsmix der Zukunft einzuräumen.
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Unser Antrag zu synthetischen Kraftstoffen ist ein Plädoyer und ein Bekenntnis zur Technologieoffenheit –
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Technologieoffenheit nicht als Selbstzweck, sondern als Möglichkeit, Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland für die Zukunft zu sichern. Und weil wir Freien Demokraten für neue Technologien offen sind, können wir die einseitige Fokussierung der Bundesregierung auf die Elektromobilität nicht nachvollziehen.
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Lebensqualität bedeutet längst, das Klima zu schützen. Und mit Blick auf die Realität sehen wir doch, dass noch immer 75 Prozent der in Deutschland neu zugelassenen Fahrzeuge im Jahr 2020 mit Verbrennungsmotoren angetrieben worden sind; weltweit sind es sogar über 90 Prozent. Wenn wir das Klima schützen wollen, dann müssen wir diese Fahrzeuge klimaneutral fahren lassen.
({3})
Der Schlüssel dazu sind nun mal synthetische Kraftstoffe. An dieser Stelle wird immer wieder über Kosten gesprochen: Die kosten ja so schrecklich viel. – Meine Damen und Herren, im Jahr 2000 war die Solarenergie unendlich teuer – 50 Cent pro Kilowattstunde –, und trotzdem haben wir ihr eine Chance eingeräumt. Und schauen Sie, wo die Solarenergie heute ist. Die gleiche faire Chance fordern wir hier und heute für synthetische Kraftstoffe. Wir wollen technologieoffen sein, und das heißt: faire Chancen für alle.
({4})
Aber die Bundesregierung hat es nicht so mit der Technologieoffenheit. Anders lässt es sich nicht erklären, dass sie an allen Ecken und Enden gegen die synthetischen Kraftstoffe kämpft.
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Nur ein paar Beispiele: Entgegen der EU-Richtlinie sind synthetische Kraftstoffe im deutschen Straßenverkehr nicht zugelassen. Die Anrechnung der synthetischen Kraftstoffe im Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele erfolgt nicht. Bei der Luftreinhaltung – synthetische Kraftstoffe können sogar Feinstaub und Stickoxide reduzieren – finden sie keine Berücksichtigung. Sogar bei der jetzt debattierten RED‑II-Richtlinie werden synthetische Kraftstoffe nach wie vor signifikant gegenüber der Elektromobilität benachteiligt.
({6})
Meine Damen und Herren, man kann das Gefühl bekommen: Hier geht es gar nicht um Klimaschutz, hier geht es um Einschränkungen der individuellen Mobilität und um das Verbot des Verbrennungsmotors.
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Während manche Parteien das tatsächlich sogar in ihren Parteiprogrammen haben, wundert es mich gerade bei Ihnen, liebe CDU, dass Sie dieses Spiel mitspielen;
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denn alle von mir gerade eben genannten Regelungen sind in Ihrer Verantwortung in dieser Legislaturperiode getroffen worden. Liebe CDU, ganz ehrlich:
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Da tragen Sie Verantwortung; das hätten Sie besser machen können.
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Aber sei’s drum! Wir als FDP sind eine offene, eine optimistische und eine zukunftsorientierte Partei.
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Deswegen wollen wir Ihnen mit unserem Antrag die Möglichkeit geben, unser Bekenntnis zu Wohlstand und Arbeitsplätzen, unser Bekenntnis zu Lebensqualität und Klimaschutz und unser Bekenntnis zu Technologieoffenheit zu unterstützen.
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Schließen Sie sich dem Antrag für synthetische Kraftstoffe an, und räumen Sie diesen einen fairen Part im Energiemix der Zukunft ein.
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Vielen Dank. – Das Wort hat Oliver Grundmann von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal vielen Dank an Sie, Frau Kollegin Skudelny, für Ihre Ausführungen. Ich finde es gut, dass heute dieser Antrag hier im Parlament diskutiert wird.
Unsere Bundesregierung hat diesbezüglich im letzten Jahr eine Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet, die eine ambitionierte Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, RED II, im Verkehr einfordert.
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Wir starten jetzt mit den Beratungen zu RED II. Und für uns steht fest: Synthetische Kraftstoffe sind ein ganz zentraler Baustein, um auch zukünftig die Klimaziele zu erreichen.
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Wenn wir es uns leisten wollen, kluge, innovative Ideen in den Giftschrank zu verbannen, dann ist das genau der falsche Ansatz. Dieser Ansatz wird teilweise von denen verfolgt, die jetzt meinen, den ideologischen Endkampf gegen den Verbrenner vom Zaun brechen zu müssen. Und das ist genau der falsche Ansatz.
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Das gilt gleichermaßen für den gesamten Bereich der fortschrittlichen Biokraftstoffe.
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Ich halte es für einen Wahnsinn, was da teilweise für Diskussionen geführt werden: Da werden nachhaltige Biokraftstoffe als „böse Agrokraftstoffe“ verunglimpft und verteufelt.
Die Frage kann man sich ja durchaus stellen: Klimakrise – ja, was denn nun? Ich bin davon überzeugt, dass ein Großteil hier in diesem Parlament daran glaubt, dass wir da etwas tun müssen. Aber wenn das so ist, dann müssen wir eben auch jede Chance nutzen und möglichst viele Tonnen an CO2 einsparen. Dann haben wir eben auch keine Zeit dafür, uns hier mit dieser – die FDP würde es vielleicht manchmal etwas überspitzter formulieren – spätrömischen Dekadenz mancher Umweltverbände aufzuhalten.
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Fakt ist doch: Im Jahr 2030, das heißt in nicht einmal zehn Jahren, werden wir noch circa 40 Millionen Lkws und Pkws mit Verbrennungsmotoren auf unseren Straßen haben – wohlgemerkt auf den deutschen Straßen –, im europäischen Verbund noch viel mehr. Es ist auch gut so, dass der Elektromobilitätsbestand hochfährt. Aber was machen wir mit dem Verbrennerbestand? Das könnten wir dann mit einer zehnfachen Anrechnungsquote für E‑Autos hier regulieren; aber das wäre der vollkommen falsche Ansatz, so würden wir kein einziges Gramm CO2 einsparen. Das wäre dann genau das Gegenteil von einer nachhaltigen Politik, genau das Gegenteil von einer Technologieoffenheit und auch genau das Gegenteil von einer vernünftigen Politik, wie wir als Union sie jedenfalls sehr häufig hier im Parlament durchzubringen versuchen.
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Deswegen, liebe Frau Skudelny, fordern wir hier, vielen Ihrer klugen Worte folgend, eine ambitionierte Umsetzung der RED‑II-Richtlinie. Punkt! Und dafür arbeiten wir auch sehr stark und hart.
Mir als Vorsitzendem der Küstenparlamentarier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist noch ein anderer Punkt sehr wichtig: Wir brauchen dringend Importterminals, Anlandestrukturen für LNG und für Flüssiggas; denn zur Anlandung und Verteilung von regenerativen Kraftstoffen können wir die gleichen Häfen, Knotenpunkte, Verteilnetze, ja Hubs nutzen, die wir heute schon haben oder die zukünftig geschaffen werden. Die LNG-Flüssiggasinfrastruktur von morgen ist die E-Fuel-Infrastruktur von übermorgen. Deswegen sind das nachhaltige Zukunftsinvestitionen, die wir unterstützen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum erzähle ich Ihnen das an dieser Stelle? Ich tue das, weil ich den Eindruck habe, dass das zwar vielen, aber nicht allen von Ihnen bewusst ist.
Wir werden einen großen Teil unserer Kraftstoffe importieren müssen, und es steht überhaupt noch nicht fest, ob das Wasserstoff sein wird; denn das stellt physikalisch und mit Blick auf die Lieferkette eine echt große Herausforderung dar. Deswegen können es genauso gut Derivate sein wie Ammoniak oder Methanol oder eben grünes Methan. Das alles sind grüne Kraftstoffe aus den Regionen dieser Erde. Grünes Flüssiggas zum Beispiel könnte direkt mit dem Schiff anlanden und ins Erdgasnetz eingespeist werden. Oder unsere Lkws und Schiffe könnten zukünftig damit betankt werden, und das nachhaltig durch entsprechende CO2-Einsparungen.
Damit komme ich zum Ende meiner Rede; gerne hätte ich breiter ausgeführt. Frau Schulz, unsere Umweltministerin, stand bei den letzten Klimakonferenzen immer im Blitzlichtgewitter der sogenannten High Ambition Coalition; diejenigen, die wie ich auf den Klimakonferenzen waren, haben das miterlebt. Lassen Sie den Worten jetzt auch Taten folgen. Bei den regenerativen Kraftstoffen und bei RED II brauchen wir mehr Ambitionen. Und wenn Sie das nicht wollen, dann machen wir hier unsere eigene „Ambition Coalition“. Ich bin mir sicher: Mit Arno Klare, Andreas Rimkus und Bernd Westphal und vielen klugen Leuten aus meiner Partei und diesem Parlament können wir eine gute Koalition, eine schlagkräftige Allianz für den Klimaschutz schmieden. Machen Sie gerne alle dabei mit.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort geht an Dr. Dirk Spaniel von der AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt Momente, von denen glaubt man, sie kommen nicht mehr, es gibt sie nicht. Er ist gekommen, dieser Moment: Drei Jahre hat es gedauert, bis auch Sie festgestellt haben, dass synthetische Kraftstoffe die Lösung sind, mit der wir Mobilität für die Menschen in diesem Land sicherstellen können. Vielen Dank dafür.
({0})
– Das ist keine Lüge. Vor drei Jahren habe ich hier einen Antrag eingebracht, bei dem es um die Anerkennung synthetischer Kraftstoffe ging.
({1})
– Sie wollen eine Frage stellen, Frau Skudelny?
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Skudelny?
Natürlich.
Sie stellen hier ganz tapfer Behauptungen auf. Aber tatsächlich habe ich im gleichen Zeitraum einen Antrag gestellt, in dem es um Luftreinhaltung ging. Kennen Sie den etwa nicht?
Doch, den Antrag zum Thema Luftreinhaltung kenne ich. Aber der Kernpunkt Ihres Antrags hier ist die Anerkennung synthetischer Kraftstoffe bei der Anrechnung auf den Flottenverbrauch,
({0})
und das ist selbstverständlich ein inhaltlicher Punkt von uns.
({1})
– Den Antrag zum Thema „synthetische Kraftstoffe“ haben wir hier im Plenum eingebracht. Das ist eine Fehlinformation, die Sie hier streuen.
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– Ja, ich komme gleich dazu. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, dann beantworte ich die; aber so nicht.
({3})
Es ist auf jeden Fall so: Die AfD hat einen Antrag zum Thema „Anerkennung synthetischer Kraftstoffe auf den Flottenkraftstoffverbrauch“ hier im Deutschen Bundestag eingebracht.
({4})
Ich möchte dazusagen: Da kam von Ihnen eine Ablehnung. Deshalb ist es Heuchelei, sich heute hierhinzustellen und so zu tun, als würden Sie für den Verbrennungsmotor kämpfen. Jetzt ist die Antwort auf Ihre Frage zu Ende. Ich komme nun zu meiner Rede zurück.
Ein Detail zur Abstimmung über die Einhaltung der EU-Emissionsgrenzwerte von CO2: Sie haben sich am 27. März 2019 nicht gegen die Einführung von Emissionsnormen für Pkw gewehrt. Das muss man den Leuten einfach mal sagen. Sie tun hier so, als würden Sie jetzt den Verbrennungsmotor retten wollen. Sie haben das überhaupt nicht verfolgt. Ich habe mich übrigens im Ausschuss dafür ausgesprochen, dass wir endlich synthetischen Kraftstoff anerkennen. Darauf sind Sie gar nicht gekommen; das haben Sie vergessen. Offensichtlich ist die Debatte komplett an Ihnen vorbeigegangen.
({5})
– Ja, das mag ja sein, aber Ihre Fraktion hat zugestimmt, und Sie haben unserem Antrag damals nicht zugestimmt. Wir hätten hier im Bundestag damals eine Subsidiaritätsklage einreichen können. Jetzt stellen Sie sich nicht hin, als wollten Sie das retten. Sie haben das versäumt.
({6})
Ich lese mal aus Ihrem Antrag vor, da steht drin:
Durch den Einsatz von erneuerbaren Energien wird mittels neuer Verfahren … synthetischer Kraftstoff gewonnen.
({7})
Sehr geehrte Damen und Herren von der FDP-Fraktion, die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen wurde im Jahr 1925 erfunden; Stichwort „Fischer-Tropsch-Synthese“. Es freut mich, dass das auch bei Ihnen angekommen ist; bei Ihnen braucht man offensichtlich knapp 100 Jahre, um das zu erkennen.
({8})
Ich lese weiter aus Ihrem Antrag vor:
Mit einem Nachweis des Herstellers über die Inverkehrbringung einer für die Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs nötige Menge an synthetischen Kraftstoffen wäre eine zuverlässige CO2-Minderung erreichbar.
Sehr geehrte Damen und Herren, daran erkennen wir den Ursprung Ihres Antrags. Sie wollen, dass Autohersteller zukünftig Tausende Liter Kraftstoff mit verkaufen müssen, wenn sie ein Auto verkaufen. Damit wird klar, wer die Urheber dieses Antrags sind, und Ihre Lobbypolitik wird ersichtlich. Die Mineralölindustrie hat Ihnen das offensichtlich reindiktiert. Das hätte man etwas unauffälliger machen können.
({9})
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Theurer von der FDP-Fraktion?
Ja, erlaube ich.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Dr. Spaniel, Sie behaupten erstens, dass Sie das Thema „synthetische Kraftstoffe“ als Erste in den Deutschen Bundestag eingebracht hätten. Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass andere Fraktionen – auch die FDP – zu einem Zeitpunkt, als es die AfD noch nicht gab, hier schon über synthetische Kraftstoffe gesprochen haben?
Zweitens. Sie behaupten, wir hätten Ihren Antrag damals abgelehnt. Nehmen Sie zur Kenntnis oder sind Sie bereit, zuzugestehen, dass in Ihrem Antrag damals der Klimawandel infrage gestellt worden ist, sodass einem solchen Antrag nicht zugestimmt werden konnte,
({0})
wenn man der Meinung ist, dass es eine Klimakrise gibt und dass diese Klimakrise auch bekämpft werden muss?
Ich will auf Ihre Fragen gerne antworten. Selbstverständlich gab es andere Fraktionen, die hier schon über synthetische Kraftstoffe geredet haben, und das habe ich auch nie bestritten.
({0})
Der Knackpunkt ist aber nicht, ob wir darüber reden, sondern, ob wir tatsächlich synthetische Kraftstoffe auf die Flottenbilanz der Autohersteller anrechnen. Da waren wir die Ersten, die das gebracht haben.
({1})
Denn das ist der entscheidende Punkt, warum man Verbrennungsmotoren hinterher „outpriced“ und warum der Autohersteller auf Elektromobilität umschwenken muss.
Ich komme zu Ihrem zweiten Punkt. Sie können doch nicht ernsthaft sagen, dass Sie unseren Antrag damals abgelehnt haben, weil in der Begründung drinsteht
({2})
– weil in der Einleitung drinsteht –, dass wir den Klimawandel so nicht anerkennen. Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein,
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dass Sie wegen dieser Formalie, die wir in die Einleitung reingeschrieben haben,
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eine effektive Maßnahme zur Rettung der Arbeitsplätze in diesem Land ablehnen.
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Ist das Ihr Ernst? Das müssen Sie den Arbeitnehmern mal erklären.
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Ich fahre mit meiner Rede gerne weiter fort.
({7})
Der zentrale Punkt hier ist die Anrechenbarkeit von synthetischen Kraftstoffen. Das ist etwas Vernünftiges, was in Ihrem Antrag steht; es steht auch erstmalig drin. Aber ich möchte noch mal betonen: Machen Sie bitte ehrliche Politik. Lassen Sie uns gemeinsam für den Erhalt des Verbrennungsmotors kämpfen, und lassen Sie Ihre Lobbypolitikansätze weg. Dann werden wir uns ernsthaft mit Ihrem Antrag beschäftigen; das machen wir zwar sowieso, aber dann denken wir auch darüber nach, ob wir dem zustimmen können und ob wir hier gemeinsam im Parlament eine Initiative einbringen können.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort geht an Ulli Nissen von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mobilität ist ein unverzichtbarer Teil des täglichen Lebens. Verkehr ist jedoch einer der größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Das Beste ist, es entstehen erst gar keine Emissionen, zum Beispiel durch den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad.
({0})
Der Frankfurter SPD-Verkehrsdezernent hat im letzten Jahr wichtige Forderungen aus dem Radentscheid umgesetzt. Unter anderem in der Friedberger Landstraße, die bisher durch Emissionen hochbelastet war, gibt es jetzt eine breite, rot eingefärbte Fahrradspur.
Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Dr. Spaniel?
Bestimmt nicht.
({0})
Die Menschen fühlen sich jetzt sicherer; viele sind auf das Rad umgestiegen. Wir von der SPD wollen Frankfurt zu einer der fahrradfreundlichsten Städte machen.
({1})
Klar ist: Um den Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens gerecht zu werden, muss der Verkehr in Deutschland seine Treibhausgasemissionen schnell und drastisch reduzieren. Bis 2050 wollen wir treibhausgasneutral werden.
({2})
Mit dem Klimaschutzgesetz und dem Kohleausstiegsgesetz haben wir Instrumente geschaffen, mit denen wir jederzeit das Tempo anziehen und Ziele verschärfen können. Wir haben den Ausbau der E-Mobilität gefördert. Es gibt eine Kaufprämie für E-Autos. Wir haben die Umrüstung im ÖPNV auf E-Mobilität gefördert. Bei uns in Frankfurt werden jetzt inzwischen 29 der insgesamt 406 Busse elektrisch betrieben.
({3})
Der Bund hat sich bei uns gerade, ganz aktuell, mit 7,81 Millionen Euro an den Mehrkosten beteiligt, die bei der Anschaffung der Elektrobusse im Vergleich zu Dieselbussen anfallen. – Noch mal Danke für die Unterstützung!
({4})
Aber wir brauchen natürlich mehr als die E-Mobilität, um die Verkehrswende zu schaffen, übrigens auch für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung.
({5})
Die SDGs, die Nachhaltigkeitsziele 2030, fordern in Ziel 7 bezahlbare und saubere Energie. Unterziel 7.2. fordert, den Anteil erneuerbarer Energien am globalen Energiemix deutlich zu erhöhen.
({6})
Die Koalition handelt. Wir haben die Wasserstoffstrategie verabschiedet.
({7})
Wasserstoff ist ja das Grundprodukt für synthetische Kraftstoffe oder Power-to-X-Technologien.
({8})
Unser Zukunftspaket sieht 7 Milliarden Euro für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien in Deutschland und weitere 2 Milliarden Euro für internationale Patenschaften vor. Deutschland muss es schaffen, Wasserstoff als Dekarbonisierungsoption zu etablieren. Aus unserer Sicht ist nur Wasserstoff, der auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt wurde, auf Dauer nachhaltig.
({9})
Wir wollen für Grünen Wasserstoff einen zügigen Markthochlauf. Dies unterstützen wir unter anderem durch die Förderung der Elektrolyseure im Rahmen des Innovationspakts Klimaschutz. Aktuell ist das PtX Lab Lausitz an den Start gegangen. Das neue Kompetenzzentrum
({10})
soll internationaler Anlaufpunkt für Grünen Wasserstoff und dessen Folgeprodukte werden. Dafür stehen bis 2024 bis zu 180 Millionen Euro aus dem Strukturstärkungsgesetz zur Verfügung.
({11})
Wir wollen der Batterietechnik ebenso eine Chance geben wie den synthetischen Kraftstoffen. Kurzum, wir wollen wirkliche Technologieoffenheit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Dies ist keine Geschäftsordnungsdebatte. Wenn Sie die wünschen, können wir die gerne führen. Aber wir machen das nicht im Rahmen einer Fachdebatte. – Vielen Dank. Und ich bitte doch um ein bisschen mehr Anstand und Respekt allen Rednerinnen und Rednern gegenüber.
({0})
Ich gebe das Wort an Lorenz Gösta Beutin von der Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Label der Technologieoffenheit will uns die FDP heute synthetische Kraftstoffe als die Lösung für den Pkw-Verkehr verkaufen. Aber wie so häufig kann man auch hier davon ausgehen, dass das Gegenteil von dem, was die FDP sagt, tatsächlich richtig ist.
({0})
Ich will das an zwei Punkten deutlich machen:
Erstens. Es wurde hier schon erwähnt: Synthetische Kraftstoffe werden am besten hergestellt, indem Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Dabei fällt eine sehr große Menge an Energie an.
({1})
Es gibt aber noch einen zweiten Schritt. In diesem wird der synthetische Kraftstoff mithilfe von CO2 hergestellt. Das bedeutet, wir haben hier einen unglaublich hohen Einsatz von Energie. Fast 90 Prozent der eingesetzten Energie werden dabei verschwendet. Das heißt, sie landet gar nicht in unserem Tank.
Deswegen sagen wir ganz klar: Am besten wäre natürlich der direkte Einsatz von Strom – etwa bei der Bahn, bei Bussen, bei Straßenbahnen oder anderen Verkehrsmitteln – oder der Einsatz von E-Autos. Bei E-Autos haben wir immerhin einen Energieeinsatz von 73 Prozent, das heißt: 73 Prozent der Energie, die man ins E-Auto steckt, kommen da schließlich auch an.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schulze von der CDU/CSU-Fraktion?
Ja.
Schönen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gesagt: Wenn man Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufteilt, wird viel Energie frei. – Das ist falsch. Das ist eine endotherme Reaktion; ich benötige Energie, um Wasserstoff und Sauerstoff zu trennen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und korrigieren es. – Danke.
Ich hab es doch eben gesagt: Man braucht einen Energieeinsatz, um Wasser aufzuspalten, so ist es.
({0})
Erlauben Sie eine Wortmeldung des Kollegen von der FDP-Fraktion?
Ja, bitte.
Lieber Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Würden Sie mir zustimmen, dass wir im Moment weltweit circa 1,2 Milliarden Fahrzeuge haben, von denen der größte Teil einen Verbrennungsmotor hat? Wenn Sie wirklich für Klimaschutz eintreten – das haben Sie ja gerade gesagt; das glaube ich Ihnen auch – und wirkliche Klimaneutralität weltweit hinbekommen wollen, wie wollen Sie diese roundabout 1,2 Milliarden Fahrzeuge in Zukunft betreiben, wenn nicht mit E-Fuels?
Beim Ausbau der erneuerbaren Energien in der Bundesrepublik ist zu beachten, dass Energie eine begrenzte Ressource ist. Das bedeutet, wir haben keine Chance, wenn wir erneuerbare Energien verschwenden. Aber weil ein so hoher Energieeinsatz notwendig ist, um synthetische Kraftstoffe herzustellen, würden bei ihrer Herstellung erneuerbare Energien tatsächlich verschwendet. Das wäre ein Problem; denn wir brauchen sie viel dringender in anderen Bereichen, beispielsweise zur Dekarbonisierung der Industrie, zur Ablösung der Kohlekraft, zur Ablösung der Atomkraft. Wir dürfen erneuerbare Energien nicht verschwenden, indem wir mit ihnen fahrlässig umgehen. Das ist der zentrale Punkt, den ich hier ausgeführt habe.
({0})
Das bedeutet: Wenn wir erneuerbare Energien für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe einsetzen, wobei 90 Prozent der eingesetzten Energie verloren geht, wird tatsächlich Energie verschwendet. Angesichts der Notwendigkeit, den Klimawandel zu stoppen und sparsam mit unseren Ressourcen, mit unseren Lebensgrundlagen umzugehen, ist das für den Pkw-Bereich eben der falsche Weg.
Ein zweiter Punkt. Die reinen Herstellungskosten von synthetischen Kraftstoffen liegen aktuell bei 4,50 Euro. Laut Prognosen werden sie bis 2030 vielleicht auf etwa 2 Euro sinken. Mit Steuern und Abgaben sind wir dann bei einem Preis von etwa 6 Euro an der Tankstelle. 6 Euro pro Liter an der Tankstelle kann sich tatsächlich niemand mit kleinem und mittlerem Einkommen leisten. Für jemanden, der mit dem Auto pendelt, der eine teure Miete zahlt oder der gerade dabei ist, sein Eigenheim abzubezahlen, sind 6 Euro pro Liter einfach unbezahlbar. Hier wird deutlich: Die FDP bedient nur die Klientel, die tatsächlich so reich ist, dass ihr die Treibstoffkosten schlicht egal sein können. Wir als Linke sagen: Klimaschutz geht nur sozial gerecht.
({1})
Die FDP und andere argumentieren hier, der Verbrennungsmotor sei eine großartige deutsche Ingenieursleistung. Man kann Ihnen selbstverständlich nur zustimmen. Aber eine großartige Ingenieursleistung war beispielsweise auch die Rechenmaschine von Konrad Zuse.
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Trotzdem wäre das heutzutage kein Argument, zu sagen: Wir müssen unbedingt die Rechenmaschine von Konrad Zuse nachbauen.
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Wir müssen mit unserer Energie effizient umgehen, das heißt, wir dürfen synthetische Kraftstoffe nur da einsetzen, wo sie tatsächlich gebraucht werden, beispielsweise bei der Dekarbonisierung des Flugverkehrs. Deshalb sagen wir: Klimaschutz geht nur sozial gerecht,
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nicht mit Verschwendung erneuerbarer Energien.
Vielen Dank.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Lesen des Antrags der FDP habe ich zuerst gedacht: Super, da ist der Groschen gefallen; schließlich steht am Anfang des Antrags, dass die verschiedenen Antriebstechnologien alle „ihre Vor- und Nachteile“ hätten – ich darf zitieren –, „je nach Nutzungsprofil und Anwendungsgebiet“.
Wäre der Antrag der FDP an der Stelle zu Ende und würde er vielleicht noch verweisen auf die Antworten, die Bündnis 90/Die Grünen vom Ministerium bekommen haben, wäre es tadellos. Leider hört er da nicht auf. Angesichts der Dramatik der Klimakrise will ich sehr deutlich sagen: Wir brauchen alle Klimatechnologien, aber wir brauchen nicht alles überall; das ist der springende Punkt.
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Das heißt, wir müssen sie – eigentlich eine Binsenweisheit – dort einsetzen, wo wir sie am effizientesten nutzen können.
({1})
Ich rate Ihnen: Lesen Sie das „manager magazin“, lesen Sie das „Handelsblatt“ – ich glaube, über jeden grünen Verdacht erhaben –: Gegenwärtig gibt ein Autohersteller nach dem anderen den Ausstieg aus Benzin- und Dieselmotoren bekannt,
({2})
gestern Volvo, wo man bereits 2030 aussteigen möchte. Sogar General Motors gehört dazu. Und – man höre und staune – VW und Audi setzen zunehmend auf E-Mobilität. Andere folgen.
Umso verblüffender finde ich es, dass Sie offensichtlich auch jedes Gespür für Effizienz und für Preise verloren haben. E-Fuels sind viel zu teuer fürs Auto; deshalb setzen ja auch immer mehr auf die Batterie. Jetzt wollen Sie Subventionen abbauen. Gebongt, kann ich da nur sagen. Aber fangen wir doch beispielsweise einmal bei den 8 Milliarden Euro für den Diesel an!
({3})
Warum machen Sie da nicht mal den Vorschlag und sagen: „Lassen Sie uns schrittweise das Dieselprivileg abbauen!“? Wo ist denn da die Technologieoffenheit? Davon kann ich nichts erkennen. Sie schreiben: „Fossile Kraftstoffe können 1 : 1 durch synthetische Kraftstoffe ersetzt werden“,
({4})
wischen dabei aber beiseite, dass wir für die Herstellung der E-Fuels Strom brauchen, und zwar deutlich mehr Strom. Der Wirkungsgrad der E-Fuels direkt im Auto – ich kann es nur noch einmal wiederholen; Sie haben es schon ein paarmal gehört –, im Pkw-Bereich liegt bei 10 bis 15 Prozent.
({5})
Damit alle draußen auch wirklich verstehen, was der Vorschlag ist: Wer glaubt, E-Fuels fürs Auto würden irgendwann mal billiger als Strom, der glaubt auch daran, dass die Bäckerin ihr Brot billiger verkaufen kann, als das Mehl kostet. Das geht einfach mathematisch nicht, meine Damen und Herren.
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Also, ein Vorschlag zur Güte: Überall dort, wo wir den erneuerbaren Strom direkt einsetzen können, müssen wir das machen. Das geht nicht überall. Umso verwunderlicher – –
Herr Abgeordneter, erlauben Sie zwei Zwischenfragen? Einmal von Herrn Spaniel von der AfD-Fraktion und einmal von Frau Skudelny von der FDP-Fraktion. Sie können wählen: einer, beide, keiner?
Ich darf es selber aussuchen? Ja, Wahnsinn! – Frau Skudelny natürlich; weil sie aus dem Ländle ist.
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Und ich dachte schon, es liegt an meinem Charme, dass Sie mich gewählt haben.
Absolut.
Zunächst einmal: Mich interessiert insbesondere, dass Herr Hermann, der grüne Verkehrsminister in Baden-Württemberg, sich für eine Erhöhung des Anteils synthetischer Kraftstoffe – Achtung! – auch im Straßenverkehr, für den Bestand, eingesetzt hat. Jetzt sagen Sie, dort sollen sie eigentlich nicht eingesetzt werden. Das verwundert mich ein bisschen. Offenbar sind die Grünen im Land da deutlich weiter als Sie als Baden-Württemberger im Bund.
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War es das?
Ja.
Super.
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Wissen Sie, das Schöne ist: Manchmal kann man Fragen antizipieren. Irgendwie habe ich mir gedacht, dass diese Frage kommt. Die baden-württembergische Bundesratsinitiative unterscheidet sich von Ihrem Antrag, Frau Kollegin.
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Wenn Sie die genau gelesen hätten, wüssten Sie das. Da steht nämlich drin: prioritär für Schiffe und für Flugzeuge. Da ist es auch richtig,
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da haben wir keine batteriebetriebene Elektromobilität.
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Das ist doch genau identisch mit dem, was ich gerade gesagt habe: Natürlich, wenn wir Dekarbonisierung wollen, dann wollen wir sie bei allen Verkehrsträgern.
Ich würde mich gegenwärtig in kein Flugzeug setzen, das mit batteriebetriebener Elektromobilität unterwegs ist.
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Die Bundesregierung möchte, dass Kerosin 2 Prozent synthetische Kraftstoffe zugemischt werden. Wir gehen da weiter, wir wollen 10 Prozent. Wir wollen das sogar schrittweise erhöhen. Ich bin doch gar nicht gegen synthetische Kraftstoffe – aber da, wo sie Sinn machen, meine Damen und meine Herren.
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Ich sage einmal, worauf Ihr Vorschlag zu Ende gedacht hinausläuft: Es ist nur konsequent, dass in Ihrem Antrag – lesen Sie den Antrag einmal durch – der Luftverkehr im Forderungsteil gar nicht auftaucht.
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Sie wollen mit Ihrer Politik ein Ende des deutschen Luftverkehrs. Wenn Sie die synthetischen Kraftstoffe für den Pkw verwenden, dann bitte da, wo es marktwirtschaftlich Sinn macht!
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Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren, weil die Präsidentin mich freundlich darauf hinweist: Allein für die Beimischungsquote von 2 Prozent brauchen wir 5,4 Terawattstunden Strom. Das ist mehr als der Zuwachs, den wir bei der Windenergie 2020 hatten.
Also, meine Damen, meine Herren, bitte lesen Sie es noch mal durch. Sie fordern auch, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft aktiv werden soll – die endete meines Wissens 2020. Die nächste wäre nach 2030; das wäre zu spät.
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Vielen Dank. – Ich gebe das Wort an Herrn Dr. Spaniel für eine Kurzintervention – eine kurze Kurzintervention!
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte jetzt – erster Punkt – dazu mal was sagen, weil Sie in Ihren Reden wiederholt gesagt haben, Herr Özdemir, die Autohersteller wechseln auf Elektromobilität. Das ist ja völlig klar, dass sie das tun: Die Autohersteller folgen der Politik, die eine Vorgabe macht – das zeigen der Antrag der FDP und auch unser Antrag –, die den Autoherstellern gar keine Wahl lässt. Es gibt eben keine Technologieoffenheit. Deshalb wechseln die Autohersteller auf Elektromobilität. Das ist also kein Argument.
Das Zweite. Sie sprechen hier von einer Dieselsubvention. Das ist kompletter Unfug. Der Diesel wird nur etwas weniger hoch besteuert als der Benzinkraftstoff. Deshalb ist es eine Unverschämtheit, hier von einer Dieselsubvention zu reden. In beiden Fällen kassiert der Staat.
Der dritte Punkt – und da bitte ich Sie, jetzt mal etwas zu machen; ich sage das jetzt mal hier im Plenum – betrifft den Wirkungsgrad eines Elektroautos. Die Ladeverluste bei Strom betragen ungefähr 10 Prozent. Dazu kommen Verluste von ungefähr 80 Prozent auf dem Weg von der Batterie in den Elektromotor.
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Wir kommen auf ungefähr knapp 60 Prozent Wirkungsgrad. Jetzt rechnen Sie mir doch bitte mal vor, wo Ihre 10 Prozent Wirkungsgrad – von denen Sie immer reden – bei synthetischen Kraftstoffen herkommen sollen. Das möchte ich hier im Plenum einfach mal hören vom Ausschussvorsitzenden des Verkehrsausschusses.
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Einfach mal vorrechnen, wo Ihre Zahl und Ihre Behauptung herkommen, mit den 10 Prozent!
Vielen Dank.
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Herr Abgeordneter, möchten Sie reagieren?
Gehen wir einmal für eine Sekunde davon aus, Sie hätten recht mit dem, was Sie hier gerne immer sagen: „Diese furchtbaren links-grün Versifften haben die Union unterwandert, sie haben die SPD unterwandert, sie haben den demokratischen Teil dieses Hauses unterwandert, jetzt kontrollieren sie sogar die Automobilindustrie – durch irgendwelche Strahlen von Bill Gates –,
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die Köpfe von Källenius, Diess und Duesmann und übrigens auch der Arbeitnehmervertreter, die ja auch mit dabei sind“, und folgen Ihrem Wahn.
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Aber gilt das dann auch, bitte schön, für die wichtigsten Absatzmärkte der deutschen Autoindustrie? Die haben das doch alle beschlossen; die beschließen einer nach dem anderen den Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner.
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Wenn es Ihnen wirklich ums Auto gehen würde – aber darum geht es Ihnen ja gar nicht, Sie wollen einen Kulturkampf –, wenn es Ihnen wirklich darum gehen würde, den Standort zu erhalten,
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dann würden Sie doch mit uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir morgen noch Autos in alle Welt verkaufen. Die Hälfte der Absatzmärkte der deutschen Automobilindustrie setzt mittlerweile auf batteriebetriebene Elektromobilität. Ich will künftig auch noch deutsche Autos – Sie offensichtlich lieber kalifornische oder chinesische. Das ist der Unterschied zwischen uns.
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Danke sehr. – Wir setzen die Debatte fort mit Dr. Christoph Ploß von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Corona überlagert natürlich im Moment viele Diskussionen hier bei uns im Hohen Hause, aber auch insgesamt in der Gesellschaft. Trotzdem ist es wichtig, dass wir uns hier über Fragen Gedanken machen und Fragen beantworten, die in diesem Jahrzehnt eine wichtige Rolle spielen und die durch Corona möglicherweise noch eine Beschleunigung erfahren, nämlich auf der einen Seite: „Wie schaffen wir es, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten und neue zu schaffen?“, und auf der anderen Seite: Wie können wir wichtige Sektoren wie die Mobilität nachhaltiger machen? Das werden entscheidende Fragen in den nächsten Jahren sein, die durch Corona noch beschleunigt werden.
Die einen, wie der Kollege Özdemir, haben jetzt ein Plädoyer für die Batterietechnologie gehalten. Die anderen, die Kollegen von der FDP, haben gesagt: Setzt auf klimaneutrale Kraftstoffe wie E-Fuels. – Ich will eines ganz klar sagen: Das ist keine Frage von Entweder-oder, das ist eine Frage von Sowohl-als-auch. Wir brauchen am Ende alle klimafreundlichen Technologien,
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um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, meine Damen und Herren.
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Wir haben als CDU/CSU-Fraktion schon vieles in dieser Legislaturperiode geschafft, aber wir haben in den nächsten Jahren natürlich noch viel mehr vor. Wir wollen in den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur investieren, in klimaneutrale Kraftstoffe. Wir wollen eine Batteriezellenproduktion in Deutschland schaffen, damit wir weniger abhängig von Asien und anderen Regionen sind. Wir wollen aber auch noch mehr in Forschungseinrichtungen investieren; denn es ist ganz wichtig, dass Unternehmen und Forschungseinrichtungen, also die Wissenschaft, bei diesen Fragen vernetzt miteinander arbeiten.
Was die politischen Rahmenbedingungen betrifft, so wird es ganz, ganz wichtig sein, dass alle Technologien Chancengleichheit haben und den gleichen Rahmenbedingungen unterliegen. Deswegen werden sich auch CDU und CSU auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass alle Technologien gleichberechtigt sind; denn das wird die Grundlage dafür sein, dass sich alle Technologien durchsetzen können.
Meine Damen und Herren, jetzt haben wir eben in der Diskussion gehört, dass einige Autobauer sagen: Wir setzen auf die Batterie. – Andere haben Beispiele für Autobauer angeführt, die sagen: Wir setzen mehr auf die Brennstoffzelle. – Am Ende ist das doch keine Frage, die die Politik entscheidet, sondern es muss eine Frage sein, die die Unternehmen entscheiden. Wir als Politik setzen die Ziele, wir sagen: Das müsst ihr im Klimaschutz erreichen. – Aber auf welchem Wege die Unternehmen das tun, sollte in einer sozialen Marktwirtschaft ihnen überlassen bleiben.
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Deswegen – Frau Präsidentin, lassen Sie mich das zum Schluss noch sagen – werden wir ein Ziel verfolgen, nämlich dass wir Sonnen- und Windenergie in Treibstoff umwandeln, dass wir sie für Batteriefahrzeuge, für die Herstellung klimaneutraler Kraftstoffe verwenden, dass wir damit Arbeitsplätze in Deutschland sichern und sogar neue Arbeitsplätze entstehen lassen können und dass wir wichtige Sektoren wie die Mobilität klimafreundlich und nachhaltig machen. Dafür darf ich Sie herzlich um Ihre Unterstützung bitten.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 49 Millionen Tonnen Treibstoff verkauft. Das sind 58 Milliarden Liter. Nehmen Sie diesen Wert mal 2,5, dann erhalten Sie die CO2-Emissionen; diese summieren sich auf 145 Millionen Tonnen im Jahr. Das ist ungefähr das, was der Inventarbericht ausweist. Diese Emissionen müssen wir bis 2030 halbieren und bis 2050 auf netto null bringen.
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Das ist die Aufgabe.
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Es gibt zwei Wege – ich spreche von exakt zwei Wegen –: Es gibt erstens den Weg der Elektrifizierung über die Batterietechnik. Diesen Weg gehen anscheinend alle OEMs, also alle Hersteller, und das auch sehr erfolgreich; die Verkaufszahlen zeigen das. Nebenbei bemerkt: Wir schaffen uns damit Speicherkapazität im Wert von 70 bis 100 Milliarden Euro; denn das kaufen die Kunden mit. Denken wir an intelligente Netze, an bidirektionales Laden, sodass der Strom auch wieder eingespeist werden kann, und damit auch an ein paar Hundert Megawatt Speicherkapazität.
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Der zweite Weg – den ich nicht verschweigen will – ist der über synthetische Fuels, biogen und strombasiert.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Spaniel?
Nein, das habe ich noch nie getan und werde es in diesem Leben auch nicht mehr tun.
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Diesen zweiten Weg brauchen wir auch, weil es notwendig ist, die Bestandsflotten zu dekarbonisieren. Eine Beimischung von, sagen wir, E25 würde 35 Millionen Tonnen CO2 weniger bedeuten. Aber ich sage auch dazu: Das entspricht 12,3 Millionen Tonnen Treibstoff. Das ist die Gesamtkapazität der drittgrößten Raffinerie in Deutschland, der BP in Gelsenkirchen.
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Also: Ganz so trivial, Frau Skudelny, ist das nicht, was wir da tun. – Ich glaube, da gibt es eine Zwischenfrage.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja, ich habe das gesehen. – Aber gerne.
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Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade erwähnt, welche riesigen Mengen an erdölbasierten Kraftstoffen wir in Deutschland ersetzen wollen, und haben darauf hingewiesen, dass wir das zum einen über Batterieelektrik und zum anderen durch strombasierte oder biogene Kraftstoffe tun wollen. Wir haben bei uns in Baden-Württemberg einen Mittelständler, die Firma Bosch, die unter anderem daran mitgewirkt hat, den sogenannten Care-Diesel zu entwickeln, das heißt einen Kraftstoff, der aus Abfall erzeugt wird, in konventionelle Kraftstoffe eingemischt werden kann und so zur Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen beitragen kann. Würden Sie den nicht auch für sinnvoll halten? Bisher haben wir noch Probleme, den anerkannt zu bekommen.
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Ja, wir verständigen uns aber trotzdem immer ganz gerne. Mit Herrn Donth verstehe ich mich ja sehr gut. Insofern: Vielen Dank, Herr Donth, für diese Frage.
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Der Care-Diesel ist eine Option – in der RED-II-Diktion eine Erfüllungsoption –, und zwar eine vernünftige, wie ich finde. Das Problem, das an uns – auch an Sie – herangetragen wurde, betraf sozusagen die Anerkennung als reinen Dieselkraftstoff. Es gibt im Moment Grenzen bei den Beimischquoten, die weitaus höher liegen als das, was im Moment beigemischt werden kann. Gleichwohl gebe ich Ihnen recht, dass wir natürlich gerade diesen Treibstoff, der ja zur zweiten Generation von biogenen Kraftstoffen gehört, also nicht auf Nahrungsmittelpflanzen, sondern auf Reststoffen basiert, noch einmal viel intensiver in den Blick nehmen müssen. Also: Es ist eine wichtige Erfüllungsoption. – Danke.
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Ich sehe gerade: Ich habe noch 27 Sekunden. – Beide Wege, die ich gerade beschrieben habe, müssen wir gehen, und sie werden auch gegangen. Beide Wege sind übrigens in der RED II, die ich gerade angesprochen habe, angelegt, und beide Wege werden wir auch in diesem Hause beschließen. Mit der Umsetzung der RED II, die dieses Haus hier vornehmen wird, wird es auch eine Unterquote für PtL-Kraftstoffe geben; da bin ich ganz sicher.
Danke.
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Danke sehr. – Das Wort geht an Frau Dr. Anja Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte Ihnen heute für die Bundesregierung ein Anliegen Griechenlands vortragen – ein Anliegen, das ausdrücklich unterstützt wird vom ESM, das ausdrücklich unterstützt wird von unserer Bundesregierung, und für das wir Sie heute hier um breite Zustimmung bitten.
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Entschuldigen Sie, Frau Staatssekretärin. – Darf ich darum bitten, entweder den Saal zu verlassen oder sich hinzusetzen? – Danke sehr. Sie können bitte weitersprechen.
Griechenland möchte erneut einen Teil seiner vom Internationalen Währungsfonds erhaltenen Kredite vorzeitig zurückzahlen.
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Das ist ein Vorgang, den wir hier im Bundestag schon kennen. Das kennen wir schon aus ähnlichen Verfahren mit anderen Programmländern wie Irland, Portugal oder Zypern. Bereits im Herbst 2019 hat dieser Deutsche Bundestag einer vorzeitigen Teilrückzahlung von IWF-Krediten durch Griechenland zugestimmt – mit großer Mehrheit damals.
Da wir das vorhin schon im Haushaltsausschuss beraten haben und ich insofern bereits weiß, wie der Haushaltsausschuss abgestimmt hat, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir gleich auch wieder eine sehr breite Zustimmung des Deutschen Bundestages zu diesem Antrag erhalten werden. Das ist deshalb besonders schön, weil es auch ein Zeichen der Solidarität mit Griechenland ist und zudem ein starkes Signal für Europa. Dafür danke ich diesem Bundestag.
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Diesmal geht es um die vorzeitige Rückzahlung von 3,3 Milliarden Euro an den IWF; das sind ungefähr zwei Drittel der derzeit noch ausstehenden Kreditsumme. Es gibt eine Parallelitätsklausel; das kennen Sie als Kollegen schon von den anderen Programmländern. Das bedeutet: Ursprünglich war vereinbart, dass immer dann, wenn die Programmländer IWF-Kredite anteilig zurückzahlen, sie ihre EFSF- und ESM-Kredite ebenfalls anteilig zurückzahlen. Wir verzichten auf diese anteilige parallele Rückzahlung, wenn wir als Bundestag dem heute zustimmen, worum ich Sie bitte.
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Die IWF-Kredite sind für die Programmländer eher teuer, und darum ist es für sie ökonomisch ausgesprochen klug, wenn sie sich von diesen Krediten vorzeitig lösen können.
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Das gilt nicht für die Kredite beim EFSF und beim ESM.
Mit der vorzeitigen Rückzahlung würde Griechenland einmalig 35 Millionen Euro einsparen. Nun kann man die Auffassung vertreten: Na ja, so viel ist das für ein ganzes Land nun auch wieder nicht. – Das sieht übrigens auch der ESM so. Der sagt: Natürlich ist die vorzeitige Rückzahlung fiskalisch betrachtet vorteilhaft. – Aber das macht schon deutlich: Es geht nicht nur um diese Summe, sondern es geht um ein Signal.
Die Griechen haben sich im August 2018 mit der Solidarität und Unterstützung der europäischen Nachbarn und auch der Bundesrepublik Deutschland aus ihrem vorhergehenden Elend – die Finanz- und Wirtschaftskrise ist zehn Jahre her – weitestgehend befreien können und haben damit natürlich auch ihre nationale Souveränität wiedergefunden. Sie sind stolz darauf, sie sind glücklich darüber. Die Regierung macht natürlich ihrer eigenen Bevölkerung gegenüber deutlich: Ja, wir haben eine Coronapandemie, ja, wir haben schwere Jahre hinter uns, aber wir, Griechenland, haben die Kraft, jetzt diese IWF-Kredite anteilig zurückzuzahlen. Dieses Vorhaben wollen wir als Bundesregierung und das wollen die europäischen Nachbarn insgesamt absolut unterstützen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das Stichwort „Cononapandemie“ gerade schon genannt. Uns allen ist klar: Schon bei uns hinterlässt die Pandemie deutliche Spuren, und das ist natürlich in den südlichen Ländern, auch in Griechenland, ganz genauso, und es ist sogar noch dramatisch schlimmer. Wir alle wissen, dass gerade diese Länder vom Tourismus und vom Dienstleistungsbereich enorm abhängig sind und dass darum die Einbrüche im Wirtschaftswachstum ungefähr doppelt so hoch wie bei uns sind, und schon wir finden natürlich, dass auch wir durch diese Coronapandemie relativ gebeutelt sind.
Gerade in dieser Situation, natürlich auch mit den europäischen Beschlüssen des Jahres 2020 im Hintergrund – das wollen wir hier nicht verschweigen –, haben wir es mit starker Unterstützung, teilweise auch auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland, dieser Bundesregierung, zusammen mit Frankreich und anderen wichtigen Partnern in Europa hinbekommen, dass wir 2020 nicht nur einen Finanzrahmen für sieben Jahre aufs Gleis gesetzt haben, sondern auch ein 540-Milliarden-Euro-Kreditprogramm, aus dem zum Beispiel SURE finanziert wird, zugunsten der Menschen in unseren europäischen Nachbarländern, die dort von Arbeitslosigkeit bedroht sind und bisher nicht wie in Deutschland mit Instrumenten wie Kurzarbeit gesichert werden konnten, aufgelegt haben.
Für einen 750-Milliarden-Euro-Fonds hat der Minister letzte Woche hier den Eigenmittelbeschluss eingebracht.
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Die Gegenfinanzierung durch die Aufnahme von Anleihen in Europa muss noch durch unsere 27 europäischen Staaten gehen und ratifiziert werden.
Aber wenn das alles gelingt – das wollen wir, und dafür setzen wir unsere Kraft ein –, dann bedeutet es natürlich auch ein starkes Signal der Hoffnung für unsere anderen Nachbarn in Europa, die auf unsere Solidarität, auf unsere Unterstützung bauen können, und zwar mit dem Ziel, eigenständig durch diese Krise zu kommen und ihre Wirtschaft und die Zukunft der Menschen in ihrem Land wieder in die eigene Hand zu nehmen. Und darum geht es auch.
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Weil das alles so ist, möchte ich Sie bitten, dass wir mit diesem Beschluss erneut deutlich machen: Unser solidarisches Europa funktioniert. Wir haben in der Vergangenheit Griechenland und anderen Programmländern geholfen. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat nicht nur diesen Ländern und den Menschen in diesen Ländern geholfen. In Wahrheit haben wir uns damit auch selbst geholfen. Denn alle, die das bis dahin noch nicht begriffen hatten, haben am Anfang der Coronapandemie festgestellt: Die deutsche Wirtschaft stottert, wenn die Wirtschaft in unseren Nachbarländern stottert. Das wollen wir nicht. Und darum: Bitte unterstützen Sie diesen Antrag!
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Vielen Dank. – Da ist die Regierung wieder ein Vorbild, was die Einhaltung der Redezeit angeht.
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– Immer wieder, wurde ich gerade berichtigt. – Das Wort geht an Peter Boehringer von der AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Griechenland will relativ teure IWF-Kredite ablösen, günstigere aus EFSF und ESM aber nicht, obwohl diese Parallelität – wir haben es eben gehört – rechtlich vorgesehen ist: aus griechischer ökonomischer Sicht verständlich, aus deutscher nicht.
Man muss hier daran erinnern, warum eigentlich 2010/12 die Euro-Rettungsinstitutionen gegründet wurden. Angeblich war Griechenland damals nicht mehr kapitalmarktfähig. Das war zwar ökonomisch unhaltbar – jedes Land ist immer kapitalmarktfähig; es ist lediglich eine Frage des Zinssatzes –, aber Griechenland wollte damals keine 8 Prozent Zinsen zahlen. Also verlangten die EU-Finanzminister nur gut 1 Prozent. Das war der teure Kredit, von dem wir eben hier gehört haben: 1 Prozent Zins. So wurde Griechenland gerettet, damit wieder mal der Euro und natürlich die Jobs der europäischen Finanzminister. Inzwischen sind die damaligen Kreditgeschenke durch die Voodoo-Ökonomie der EZB tatsächlich teure Kredite geworden. Griechenland hat dank EZB inzwischen eindeutig wieder Zugang zum Kapitalmarkt, sogar zu Traumkonditionen von aktuell 0,5 Prozent Jahreszins.
Die Frage einer parallelen Kreditrückzahlung stellt sich damit ganz anders, als es das BMF eben in seinem Antrag an den Bundestag dargestellt hat. Griechenland wäre über den regulären Kapitalmarkt in der Lage, beides zu leisten, die Rückzahlung an den IWF, wie gewünscht, und parallel die Rückzahlung an EFSF und ESM. Deutschland würde damit auf einen Schlag bis zu 30 Milliarden Euro toxischer Kredite los. Dieses Vorgehen würde die AfD selbstredend mittragen.
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Ein Verzicht durch ESM und EFSF auf uns zustehende Tilgungsrechte läuft dagegen deutschen Interessen zuwider – natürlich nicht, wenn man sie eh rein EU-ropäisch auslegt, wie das eben hier wieder geschehen ist –, weil unser vorrangiges Ziel in der Reduktion des Kreditrisikos des deutschen Steuerzahlers liegen muss. Einem erneuten Verzicht – der letzte war ja erst vor 16 Monaten, 2019 – kann auch deshalb nicht zugestimmt werden, weil durch die Wiederholung der Eindruck entstehen könnte, dass ESM und EFSF gar keine ernstzunehmenden Gläubiger sind, sondern als Umverteilungsvehikel innerhalb der Eurozone bereitstehen. Vielleicht ist das mehr als nur ein Eindruck, sondern schlichtweg die EU-ropäische Realität.
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Griechenland hat dank EZB wieder Kapitalmarktzugang. Damit ist der einzige Grund entfallen, weswegen man 2010/12 die Rettungsinstitutionen gegründet hatte. Warum, um Gottes willen, nimmt man dieses Kreditgeschenk als Folge der EZB-Zinsmanipulation nicht einfach an?
Die vom Finanzministerium behaupteten Vorteile eines Verzichts auf parallele Kreditrückzahlungen sind nicht überzeugend. Die angeblich – ich zitiere – verbesserte Struktur der griechischen Staatsschulden durch die teilweise Rückzahlung an den IWF ist vollkommen vernachlässigbar, und die angeblich verringerten Wechselkursrisiken sind ohnehin ein reiner Witz. Die Sonderziehungsrechte, in denen diese Kredite denominiert sind, haben zum Euro seit über zehn Jahren niemals um mehr als 10 Prozent hin oder her geschwankt. Hier muss man sich eher fragen, warum die Verträge eigentlich auf Sonderziehungsrechte und nicht gleich auf Euro lauten. Immerhin ist es ein Euro-Rettungskredit.
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Ich komme zum Schluss. Fazit: Griechenland würde bei einer Umschuldung Geld sparen, einfach die Geschenke des Kapitalmarktes annehmen. Die EZB zahlt die Party doch. Bei fünfjährigen Anleihen hat Griechenland inzwischen fast völlige Zinsfreiheit erreicht. Auf wie viel mehr Kapitalmarktzugang will man denn noch warten? Kredit für lau, das ist der Traum jedes Pleitiers, und natürlich ist Griechenland bei 200 Prozent BIP-Verschuldung nichts anderes als ein solcher. Das ist fast Weltrekord, fast.
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Nehmen Sie bitte Deutschland aus dem Ausfallrisiko. Es geht; die EZB-Zinsplanwirtschaft macht das Wunder möglich. Bringen Sie den deutschen Steuerzahler einfach aus der Haftung.
Vielen Dank.
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Das Wort geht an Markus Uhl von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Griechenland und über die vorzeitige teilweise Rückzahlung eines ausstehenden IWF-Kredites. Ja, eine ähnliche Debatte hatten wir bereits im Oktober 2019. Die Frau Staatssekretärin hat den Sachverhalt ja umfassend dargestellt.
Und ja, es ist richtig: Die vorzeitige Rückzahlung dieses Kredits durch Griechenland ist vor allen Dingen ein positives Signal. Aber sie ist noch deutlich mehr. Sie ist ein Beleg dafür, dass die europäischen Instrumente funktionieren, dass das Prinzip Hilfe gegen Reformen funktioniert.
Die Menschen in Griechenland haben hohe Lasten auf sich genommen, aber heute, auch in der Pandemie, zeigt sich erneut, dass es sich lohnt, dass Europa regelbasiert ist, dass wir Kredite an Konditionen knüpfen und dass wir mit den Griechenland-Hilfspaketen unter den Bedingungen der Durchführung von Strukturreformen zur Konsolidierung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geholfen haben. Und diese Rückzahlung ist die Fortsetzung einer Erfolgsgeschichte. Diese heißt Irland, Portugal und Zypern.
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Und auch im Griechenland-Fall gab es im Oktober 2019 zum ersten Mal eine vorzeitige Rückzahlung. Bei all diesen vorzeitigen Rückzahlungen haben wir immer die Parallelitätsklausel ausgesetzt.
Hauptgrund für die vorzeitige Tilgung ist, dass sich die Struktur der griechischen Staatsschulden durch Zinseinsparungen von einmalig rund 35 Millionen Euro verbessern würde. Das ist nicht besonders viel. Aber was heißt das denn konkret? Die Tilgung der 3,6 Milliarden Euro erfolgt durch ein unterjähriges Vorziehen von Verbindlichkeiten, die ohnehin in den Jahren 2021 und 2022 fällig geworden wären. Diese vorzeitige Tilgung erfolgt aus Überschussreserven und aus bereits am Kapitalmarkt befindlichen Anleihen und führt eben nicht zu einer höheren Verschuldung auf der anderen Seite. Damit wird das Wechselkurs- und Zinsrisiko entsprechend verringert. Es gibt auch keine wesentlichen Auswirkungen auf die Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Wichtig ist auch, dass die Beteiligung des IWF im Rahmen der Nachprogrammüberwachung auch weiterhin gewährleistet ist.
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Von den Märkten wird das als weiterer Fortschritt hin zu einer Normalisierung der Finanzlage Griechenlands und damit auch der gesamten Euro-Zone interpretiert werden. Insbesondere will ich feststellen, dass Griechenland auch unter besonderen Umständen wie in dieser Pandemie seinen Schuldverpflichtungen nachkommen kann.
Positiv zu werten ist, meine Damen und Herren, dass Griechenland heute in der Lage ist, sich günstig am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Die Liquiditätsrisiken sind überschaubar, wenn Griechenland auch weiterhin auf wirtschaftspolitische Maßnahmen setzt.
Die Entwicklung ist gut. Wenn wir uns die makroökonomischen Parameter der letzten Jahre anschauen, dann sehen wir: Die Wachstumsrate ist von 2017 bis 2019 bis auf 1,9 Prozent jährlich gestiegen. Griechenland hat damit eine überdurchschnittliche Wachstumsrate gehabt. Im Jahr 2019 gab es einen Haushaltsüberschuss in Höhe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Mehrere Jahre wurden die vereinbarten Primärüberschussziele übertroffen. Die Arbeitslosigkeit ist von 24 Prozent im Jahr 2016 auf 16,2 Prozent ganz aktuell, im Februar 2021, gesunken. Die Bargeldreserven sind unverändert und reichen aus, um eine zweijährige Finanzierung abzudecken.
Aber etwas ist entscheidend anders als im Falle der vorzeitigen Rückzahlung von Griechenland im Jahr 2019. Die EU-Kommission kommt aktuell, im November 2020, zu dem Ergebnis, dass sich das Tempo der Umsetzung der Reformen in den letzten Monaten, seit Antritt der bürgerlichen Regierung der Nea Dimokratia von Kyriakos Mitsotakis am 9. Juli 2019, erheblich beschleunigt hat.
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Das heißt weitere Privatisierungen, das heißt der Aufbau einer effizienten Steuerverwaltung, das heißt Reform des Insolvenzrechts, Reformen der öffentlichen Verwaltung und im Energiebereich. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist trotz der Pandemielage mittelfristig gegeben.
Herr Boehringer, Sie sagen, wir sollten auf die Einhaltung der Parallelitätsklausel bestehen. Was würde das denn bedeuten? Das würde bedeuten, dass Griechenland 65,6 Milliarden Euro an die EFSF und 38,8 Milliarden Euro an den ESM zurückzahlen müsste.
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Das hätte erhebliche Auswirkungen auf die Schuldentragfähigkeit von Griechenland. Griechenland müsste sich dafür erheblich am Markt zusätzlich verschulden, was es aktuell ja gar nicht könnte. ESM und EFSF könnten die Zahlung nicht ohne Kosten entgegennehmen. Das ist aus wirtschaftlicher Sicht eben nicht wünschenswert.
Meine Damen und Herren, ja, wir tragen Verantwortung gegenüber dem deutschen Steuerzahler. Wir tragen aber auch Verantwortung gegenüber Europa, und für Europa zählt: Stabilität ist wichtig. Es zeigt sich erneut: Wenn wir nach Konditionen handeln und wenn man sich an Regeln hält, haben letztlich die Menschen in den Ländern auch etwas davon.
Wer ist Hauptprofiteur einer stabilen und regelbasierten Euro-Zone? Ja, das ist die Bundesrepublik Deutschland. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu dem Antrag der Bundesregierung.
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Das Wort geht an Otto Fricke von der FDP-Fraktion.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Auch um einem Wunsch der Schriftführerin neben Ihnen entgegenzukommen, möchte ich mit dem „Osterspaziergang“ im Faust beginnen: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, die eine kann sich von der anderen nicht trennen. Genauso geht es meiner Fraktion mit diesem Antrag.
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– Wenn du zu Shakespeare Fragen hast, kannst du die gerne stellen; sonst sage ich dir das gerne nachher.
Die eine Seite ist – das finde ich auch sehr gut –, dass Linke, Grüne und SPD anerkennen, wie stark die Reformbereitschaft der neuen bürgerlichen Regierung in Griechenland ist, und deswegen uns hier unterstützen. Das hatte ich von den Linken und Grünen nicht erwartet. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich das sehr hoch ansehe und auch sehr hoch schätze, meine Damen und Herren.
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Auf der anderen Seite aber muss man ganz klar sagen, dass alles, was hier vom Zurückzahlen von Schulden usw. erzählt worden ist, ja faktisch nicht stimmt. Es stimmt auch nicht, dass deswegen danach irgendwelche Schulden aufgenommen werden. Frau Staatssekretärin, da wird nichts zurückgezahlt; da werden Schulden ausgetauscht. Es wird nicht nach der Rückzahlung ausgetauscht, sondern es wurden vorher schon die entsprechenden Schulden mit einer Vergünstigung von 35 Millionen Euro neu aufgenommen; ja, das stimmt, das ist richtig. Aber wenn ein Schuldner in einer Gemeinschaft wie der Europäischen Union 35 Millionen Euro Zinsvorteil durch eine Umschuldung hat, der wir zustimmen sollen, was sollte denn dann ein vernünftiger Schuldner mit den 35 Millionen Euro machen? Sollte er sagen: „Oh, die behalte ich“? Oder sollte er sagen: „Boah, ich habe noch ein bisschen viel Schulden; dann gucke ich mal, dass ich die auch noch für was anderes nutze: dass ich schneller zurückzahle, Reformen vorziehe, Ähnliches mehr mache; ich tue all das, um mich als ein Schuldner, der ein Teil der europäischen Familie ist, meinen Gläubigern gegenüber fair zu verhalten.“ Genau das tut Griechenland aber nicht, und das ist die andere Seele, über die wir hier reden müssen.
Meine Damen und Herren, ich habe mir mal angeguckt, was aus der letzten Zeit positiv zu bewerten ist. Ganz schnell: Dass der IWF drinbleibt, ist richtig. Dass die neue Regierung in den anderthalb Jahren bisher sehr, sehr viel getan hat, dass zum Beispiel gerade im Bereich der beruflichen Bildung, gerade im Bereich anderer Bildungsreformen viel getan worden ist, ist richtig. Dass wir Fortschritte bei der Privatisierung haben, ist richtig; die werden ja selbst von Grünen und Linken hier unterstützt. Dass man bei Kartellverfahren endlich mal anfängt, sich an Konzerne zu wenden, die das Land in Teilen ausgebeutet haben, dass es eine Reform der Finanzverwaltung gibt: Alles richtig, alles gut. Aber – und das muss man ganz klar sagen – was steht dagegen? Das will ich auch noch schnell sagen.
Die EU-Kommission sagt: Ja, am Anfang waren da Reformen; inzwischen lässt der Elan ein bisschen nach. – „Ein bisschen“ habe ich jetzt hinzugefügt; er lässt auch an der Stelle nach. Vieles wird rausgezögert; bei der Rente sind Schritte geplant, aber sie werden nicht gemacht; von der Mehrwertsteuer wird seit Jahren versprochen, dass man sie harmonisiert, aber es erfolgt nicht. Bei der Grundsteuer ist was passiert – das scheint auch der linke Teil des Parlamentes gut zu finden –: Die Grundsteuer wird um 20 Prozent gesenkt; das macht man. Aber das, was notwendig ist, nämlich final die Katasterämter so aufzustellen, dass jeder gleichmäßig besteuert wird, das wird auch wieder nicht gemacht. Es gibt einen Reformstau. Im Übrigen – das ist dann die Krone, das will ich am Ende doch sagen – ist die Krone des Ganzen, dass gesagt wird: Ja, wir haben mit den Reformen im Moment in Griechenland etwas Probleme; denn jetzt kommt ja „Next Generation EU“, und wir müssen erst mal alle Energie darauf verwenden, wie wir die Subventionen nutzen, die wir bekommen.
Meine Damen und Herren, es geht deswegen nicht, dass wir zustimmen können. Wir werden uns enthalten. Dann ist es eben wie mit dem Faust: Auf Deutsch ist es etwas Hartes, auf Lateinisch ist es etwas Glückliches.
Ich danke.
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Danke sehr. – Das Wort geht an Frau Dr. Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Griechenland will vorzeitig einen Teil der Kredite an den internationalen Währungsfonds zurückzahlen; dem stimmen wir zu. Aber ein Grund zum Feiern ist das nicht. Erinnern wir uns: Die Strategie der Bundesregierung gegenüber Griechenland war brutal, inhuman und ökonomisch verheerend. So etwas darf sich in der Europäischen Union nicht wiederholen, meine Damen und Herren.
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Die Kanzlerin Merkel und ihr damaliger Finanzminister Schäuble hatten Griechenland bewusst die falsche Medizin verabreicht. Drastische Lohn- und Rentenkürzungen und dramatische Kürzungen im Gesundheitswesen haben die Lebenssituation in Griechenland dramatisch verschlechtert. Die Kindersterblichkeit nahm sprunghaft zu. Krebspatienten konnten sich die Medikamente nicht mehr leisten, weil die Subventionen gestrichen waren. Ist das etwa Solidarität, meine Damen und Herren? Ich sage: Nein.
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Der Bundesregierung ging es nur darum – das ist ja hier auch in bemerkenswerter Offenheit gesagt worden –, dass deutsche Banken ihr Geld zurückbekamen. Was aus den Griechinnen und Griechen wurde, war Ihnen völlig egal.
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Mit dieser Strategie haben Sie nicht nur Griechenland einen großen Schaden zugefügt, sondern auch die Europäische Union in Arm und Reich gespalten. Das lassen wir nicht zu, meine Damen und Herren.
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Von dieser Rosskur hat sich Griechenland nach zehn Jahren immer noch nicht erholt. Das Bruttoinlandsprodukt ist heute niedriger als im Jahr 2008. Die Kaufkraft ist gesunken. Die Arbeitslosigkeit ist heute immer noch doppelt so hoch wie zu Beginn der Krise. Die Löhne sind geringer als vor zehn Jahren. Die Teilrückzahlung ist also leider kein Ausdruck für eine wirtschaftliche Erholung des Landes. Im Gegenteil: Griechenland leidet immer noch unter einer enormen Schuldenlast. Wie soll Griechenland diese Schuldenlast abbauen, wenn gleichzeitig die Kaufkraft und die öffentlichen Investitionen gesenkt werden? Es musste auch – daran muss erinnert werden – auf Drängen der Bundesregierung öffentliches Eigentum verkauft und privatisiert werden. Dadurch ist die griechische Wirtschaft geschwächt und nicht gestärkt worden. Das ist die Wahrheit!
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Der Kanzlerin ging es auch nie um die Rettung Griechenlands; es ging immer nur um deutsche Interessen – besser gesagt: um die Interessen deutscher Banken.
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Wir als Linke wollen eine neue, eine gerechte Europapolitik.
Die Bundesregierung sieht die EU als großen Markt, auf dem sich Kapital ungestört bewegen kann. Wir wollen Regeln für den Kapitalmarkt, wir wollen Vermögen gerecht besteuern, wir wollen endlich die von der Bundesregierung lange versprochene Finanztransaktionssteuer, und wir sagen auch deutlich: Griechenland muss von seiner Schuldenlast befreit werden. – Über zehn Jahre Dauerkrise: Das ist nicht zu verantworten.
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Die Europäische Union hat nur eine Zukunft, wenn sie solidarisch, friedlich und nachhaltig ist. Dafür steht die Linke.
Vielen Dank.
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Tolle Leistung, was die Redezeit angeht. – Ich gebe das Wort an Sven-Christian Kindler von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stimmen heute über einen Antrag des Finanzministeriums ab, der der Bitte der griechischen Regierung nachkommt, einen weiteren Teil seiner Kredite vorzeitig dem Internationalen Währungsfonds zurückzuzahlen, ohne gleichzeitig, parallel, auch bei den europäischen Rettungsschirmen EFSF und ESM zu tilgen. Damit würde der griechische Staat sein Schuldenmanagement leicht verbessern und – es wurde schon gesagt – 35 Millionen Euro an Zinskosten sparen können.
Das schafft insgesamt – das ist der wichtigste Punkt – mehr Vertrauen in eine verbesserte und stabile Finanzlage in Griechenland, und das schafft dann auch Vertrauen in Bezug auf eine stabile Finanzlage in der Euro-Zone. Das ist eine richtige Maßnahme, und deswegen werden wir heute hier zustimmen.
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Verschiedene Rednerinnen und Redner – die Staatssekretärin, der Kollege Uhl – haben schon gesagt, dass das nicht der erste Fall dieser Art ist, über den wir heute im Deutschen Bundestag entscheiden. Wir haben das auch bei Portugal, Irland, Zypern und auch schon bei Griechenland – im November 2019 – gemacht.
Für uns ist diese schnelle Ablösung von IWF-Krediten auch ein wichtiges politisches Signal. Es sagt nämlich auch: Europa kommt auch gut ohne Kredite des Internationalen Währungsfonds aus, Europa hat genug Finanzkraft, Europa hat eigene Institutionen, Europa handelt selbstständig und unterstützt sich gegenseitig in Krisen. Dafür brauchen wir nicht den Internationalen Währungsfonds.
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Dass die Europäische Union angemessen finanzpolitisch auf Krisen reagieren kann, sehen wir gerade jetzt, in dieser Coronapandemie. Wir haben das gemeinsame Programm SURE für die Unterstützung beim Kurzarbeitergeld in europäischen Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht, und aktuell befinden wir uns hier in der nationalen Ratifizierung des „Next Generation EU“-Programms, also des Wiederaufbauinstruments, mit dem Europa erstmalig insgesamt 750 Milliarden Euro an gemeinsamen Anleihen ausgeben will. Damit will es auch Ausgaben gegen die Krise finanzieren und gemeinsam in die Zukunft investieren.
Das ist ein fundamentaler Unterschied zu der Reaktion auf die Finanzkrise von vor zehn Jahren. Insbesondere in Griechenland konnte man ja sehen, dass die Krise mit einer harten, falschen Sparpolitik extra verschärft wurde. Wir sagen klar: Wir müssen jetzt, in dieser Coronapandemie, und danach die richtigen Lehren aus dieser Krise ziehen.
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Angesichts der Klimakrise und angesichts der Digitalisierung müssen wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten extrem viel investieren, und wir dürfen uns gerade bei digitalen Technologien nicht weiter von den USA und von China abhängen lassen. Hier geht es speziell, wie man gerade auch an Griechenland sehen kann, auch um geostrategische Fragen, die die Europäische Union beantworten muss.
Es ist doch verrückt, dass der griechische Staat auf Druck der Troika und auf Druck von Berlin und Brüssel während der Finanzkrise seinen Hafen Piräus angeblich privatisieren musste. Er musste den Hafen an ein chinesisches Staatsunternehmen verkaufen, und der autokratische Staat China hat jetzt für sein großes geostrategisches Projekt Seidenstraße einen super Handelspunkt mitten in Europa.
Diese kurzsichtige, falsche Sparpolitik dürfen wir jetzt nicht wiederholen. Wir brauchen gemeinsame Investitionen in die Zukunft Europas, wir brauchen einen starken internationalen Euro. Das ist wichtig, und daran müssen wir im Deutschen Bundestag weiter arbeiten.
Danke schön.
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Danke sehr. – Als letzte Rednerin in der Debatte erhält Katrin Staffler von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir alle erinnern uns noch an die unglaublich emotionalen Diskussionen, die im Zusammenhang mit der griechischen Staatsschuldenkrise seit 2010 geführt worden sind: Hilfspakete – diese Diskussion haben wir mehrfach geführt –, Schuldenschnitt, Kredite von insgesamt rund 300 Milliarden Euro. Das alles waren Diskussionen, die wahnsinnig emotional geführt worden sind – auch hier –, und es hat nicht wenige gegeben, die damals Wetten darüber abgeschlossen haben, ob Griechenland die Schulden jemals zurückzahlen können wird.
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Wer auf Nein gesetzt hat, muss jetzt feststellen, dass Griechenland zumindest den richtigen Weg eingeschlagen hat.
Der Bundestag hat im Oktober 2019 dem Antrag des Bundesfinanzministeriums auf vorzeitige teilweise Rückzahlung des Kredites des IWF durch Griechenland zugestimmt, und jetzt stehen wir wieder hier – und wir haben wieder so einen Antrag vor uns. Und auch dieser Antrag heute zeigt, dass das Rezept für den künftigen Erfolg Griechenlands nach wie vor – damals wie heute – heißt: Den Haushalt in Ordnung bringen und Reformen einleiten.
Man kann durchaus positiv auf die Entwicklung blicken, weil sie zeigt, dass der damals vielfach kritisierte Weg bzw. die Europapolitik der Bundeskanzlerin durchaus wirksam war. Und was ist gemeckert worden – auch heute im Übrigen wieder –, man hätte Griechenland kaputtgespart!
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Auch die Griechen sahen die Überprüfung durch die Troika und später durch die Institutionen als Demütigung an – auch, weil es ihnen von vielen Seiten, auch in diesem Hause, so eingeredet worden ist. Ich will es gar nicht kleinreden: Ja, die griechische Bevölkerung hat auch bittere Pillen schlucken müssen.
In den Folgejahren hat sich Griechenland dann zwar stabilisiert, aber erholt hat es sich ehrlicherweise nicht. Das hat vor allem auch daran gelegen, dass die geforderten Strukturreformen, wie zum Beispiel der Bürokratieabbau und ein effektives Steuerrecht, nur halbherzig verfolgt und teilweise auch aktiv verschleppt worden sind. Aber – und jetzt kommt die positive Nachricht –: Es geht bergauf mit Griechenland.
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Nach dem Ende des Anpassungsprogramms wurde Griechenland im Sommer 2018 wieder regulär in das Europäische Semester integriert. Das zeigt, dass die getroffenen Maßnahmen greifen, und das zeigt auch, dass die Maßnahmen richtig waren.
Ich glaube, man kann unter dem Strich sagen, dass es seit dem vorletzten Jahr immer wieder positive Nachrichten aus Griechenland gibt. Mit dem Antritt der neuen Regierung unter Kyriakos Mitsotakis haben auch die Reformen in Griechenland Fahrt aufgenommen. Der Haushaltsüberschuss hat 2019 deutlich über den 3,5 Prozent des BIP gelegen, die gefordert worden sind. Das ist Europarekord.
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Am Kapitalmarkt hat Griechenland bereits Anleihen von über 17 Milliarden Euro platzieren können, und die Arbeitslosenzahl – sie ist zwar nach wie vor auf relativ hohem Niveau – ist um über 10 Prozent gesunken. Das ist auch ein deutliches Zeichen dafür, dass was vorwärtsgeht.
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Wie Sie sehen, sind die Signale, die uns aus Griechenland erreichen, durchaus positiv.
Allerdings dürfen wir auch nicht vergessen, wie Griechenland überhaupt in diese Situation gekommen ist.
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Es waren unter anderem teure Wahlversprechen, die über die wirtschaftlichen Möglichkeiten deutlich hinausgegangen sind und am Ende dazu geführt haben, dass über die eigenen Verhältnisse hinaus gelebt worden ist.
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Das Beispiel Griechenlands – das muss man hier auch mal sagen können – sollten sich alle europäischen Staaten – und damit meine ich explizit auch die eine oder andere Fraktion in diesem Hause – immer als Warnung dafür vor Augen führen, wo es auch hingehen kann.
Dass Griechenland jetzt auf dem aufsteigenden Ast ist, ist der Tatsache geschuldet, dass alle Hilfen, die die Europäische Union Griechenland gegeben hat, immer ganz klar an Bedingungen geknüpft waren. Die Bedingungen waren zwar streng, aber sie haben Wirkung gezeigt. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend an dieser Stelle.
Was die derzeitige Pandemielage anbelangt: Ja, es mag sein, dass Griechenland den ESM erneut um Hilfe bitten muss. Allerdings zeigt die aktuelle Schuldentragfähigkeitsanalyse – der Kollege Uhl hat es angesprochen – im achten Nachprogrammbericht, dass die Schuldentragfähigkeit trotz der Pandemie mittelfristig gegeben ist.
Trotz aller Herausforderungen, die jetzt auch durch die Pandemie auf Griechenland zukommen, müssen wir positiv in die Zukunft schauen. Die griechische Regierung hat in den letzten beiden Jahren ihren Reformeifer sehr deutlich bewiesen und gezeigt. Ich bin überzeugt davon, dass sie diesen Weg, den sie jetzt eingeschlagen hat, auch weitergehen wird.
Auf Grundlage dieser Entwicklung, dieser durchaus positiven Entwicklung in den letzten beiden Jahren, können wir dem Antrag heute zustimmen. Wir attestieren der griechischen Regierung ein Weiter-so auf dem jetzt eingeschlagenen Weg.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.