Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ja, Herr Präsident, ich will gerne. Vielen herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wähnten uns auf einem guten Weg; denn die letzten Wochen waren sehr erfolgversprechend und ermutigend. Wir haben es in einer Anstrengung mit viel Verzicht und verbunden mit vielen Härten für viele Bürgerinnen und Bürger gemeinsam geschafft, das Infektionsgeschehen wieder besser unter Kontrolle zu bringen, die Dynamik ein ganzes Stück zu brechen: von Inzidenzen von fast 200 pro 100 000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen auf unter 60.
Die Zahl der Impfungen hat stark zugenommen. Über 4 Prozent der Bevölkerung sind geimpft. Wir sehen übrigens die ersten Effekte bei denjenigen, die wir zuerst geschützt und geimpft haben: bei den über 80-Jährigen. Wir sehen in den Kliniken Entlastung, weniger Patienten in Normalstationen, aber auch weniger auf den Intensivstationen.
Wir wähnten uns auf einem guten Weg. Aber dieses Virus gibt nicht einfach auf. Wir sind vielfach müde, pandemiemüde. Das Virus ist es nicht. Es wird ansteckender, es verändert sich – am Ende heißt Mutation ja nichts anderes als Veränderung –, um auch zu überleben. Es wird ansteckender, um sich weiter verbreiten zu können. Übrigens ist es vor allem deswegen ansteckender, weil man – nach allem, was wir wissen –, wenn man mit dieser Mutation infiziert ist, länger ansteckender ist, also über mehrere Tage tatsächlich auch andere anstecken kann.
Das alles strengt an nach vier Monaten des Lockdowns, wo wir eh merken, dass es rauer wird, dass nach Zeiten mit Einschränkungen und Härten auch manche Debatten verhärten. Deswegen ist es wichtig, dass wir in die Wochen, die vor uns liegen, mit Umsicht, mit Impfen und mit Testen gehen.
Zum Testen will ich noch kurz etwas sagen. Wir haben jetzt deutlich mehr verfügbare Tests, Schnelltests und seit heute auch die ersten zugelassenen Selbsttests. Es sind deutlich mehr als noch vor etwa zwei oder drei Monaten verfügbar. Das gibt uns eine Chance, diese jetzt in dieser Phase der Pandemie zu nutzen und Sicherheit zu geben. Dabei geht es nicht um das Ob, sondern um das Wie. Die Schnelltests durch geschulte Dritte können Sicherheit geben im Alltag, in der Pflegeeinrichtung, beim Reisen. Sie geben vor allem auch da Sicherheit, wo es darum geht, dass es ein durch Dritte dokumentiertes Testergebnis gibt, das ich in einigen Bereichen, etwa beim Reisen, brauche.
Selbsttests können Sicherheit geben in einer konkreten Situation für jemanden selbst, aber möglicherweise auch, wenn es um einen Theaterbesuch oder eine Veranstaltung geht. Jeder kann sich selbst testen, bevor er oder sie daran teilnimmt.
Das ist die Perspektive. Ich will gleich dazu sagen, dass die ersten drei Tests, die heute zugelassen wurden, natürlich nicht überall ab heute Nachmittag verfügbar sind. Aber ich bin sehr zuversichtlich – wir werden weitere Zulassungen erleben; unsere Behörden prüfen die Unterlagen –, dass wir jetzt Tag um Tag, Woche um Woche über deutlich mehr Tests verfügen werden; denn das sind ja Produkte, die – anders als Impfstoffe – leicht skalierbar sind.
Beide Tests, Schnelltests wie Selbsttests, können uns helfen, sicherer mit dem Virus zu leben. Sie helfen uns, Schritt für Schritt ein Stück mehr Freiheit wiederzuerlangen und dabei auch vor allem Sicherheit zu haben. Corona gibt nicht einfach auf. Das Virus gibt nicht einfach auf. Aber wir haben Tag um Tag mehr Mittel, mehr Möglichkeiten, damit umzugehen und ein Stück Normalität zurückzugewinnen. Testen leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
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Die erste Frage stellt der Kollege Detlev Spangenberg, AfD.
Recht vielen Dank. – Herr Bundesminister, ich gehe davon aus, dass Ihnen die Artikel in der „Bild“-Zeitung vom 22. Februar 2021 und in der „Berliner Zeitung“ vom 23. Februar 2021 bekannt sind. Dort wurde über Parteiveranstaltungen berichtet, die teilweise ohne Masken stattfanden. Es ist in dem Foto ersichtlich. Im Kieler Holstein-Stadion tagte die SPD; die Fans dürfen allerdings nicht in das Stadion. In Dessau im Golfpark tagte die CDU. Die Frage ist nun: Ist das die späte Einsicht der Regierung, dass die bisherigen Isolationsmaßnahmen überzogen sind und nun doch wieder normale Verhältnisse, Zustände möglich sind?
Wenn das so wäre, ist allerdings nicht zu erklären, warum ähnliche Parteiveranstaltungen der AfD als unverantwortlich bezeichnet werden und wurden und wieso durch restriktive Kontrollen, zum Beispiel in Kalkar und auch jetzt in Dresden bei der Aufstellungsversammlung zur Bundestagswahl, die Menschen massiv behindert wurden.
Vielen Dank.
Herr Minister.
Sehr geehrter Herr Kollege Spangenberg, die Artikel sind mir jetzt per se nicht gleich geläufig; aber der Sachverhalt, den Sie geschildert haben, ist es. Es waren Veranstaltungen, die durch die lokalen Gesundheitsbehörden genehmigt worden sind mit ihren jeweiligen Hygiene- und Schutzkonzepten. Gleichwohl bleibt neben dem, was genehmigt worden ist, natürlich immer noch die Frage des gemeinsamen Vorbildes. Neben Abstand und anderen Maßnahmen ist tatsächlich auch das Tragen von Masken wichtig. Übrigens macht es auch mit Blick auf die Mutationen sehr viel Sinn, in geschlossenen Räumen, wenn man gemeinsam mit anderen dort ist, medizinische Schutzmasken zu tragen.
Deswegen bin ich bei Ihnen. Idealerweise sollten bei Veranstaltungen aller Art alle vorbildlich Masken tragen. Wenn ich darum bitten darf: im Zweifel auch wir gemeinsam im Deutschen Bundestag.
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Die nächste Frage stellt die Kollegen Bärbel Bas, SPD.
Vielen Dank. – Herr Bundesminister, ich teile die Auffassung, dass wir durch den Impfstoff, den wir jetzt haben, endlich auch eine Perspektive haben. Meine große Sorge ist allerdings, dass nicht schnell genug geimpft wird. Die aktuellen Zahlen belegen ziemlich deutlich, dass Impfstoff liegen bleibt, so will ich das mal bezeichnen. Deshalb wird darüber nachgedacht, andere Gruppen vorzuziehen.
Ich will eines ganz deutlich sagen: Wir haben nach wie vor das Problem, dass bestimmte Personengruppen – Risikogruppen, behinderte Menschen, die nicht in Einrichtungen, sondern zu Hause gepflegt werden – keinen Impftermin bekommen, obwohl sie in die Kategorie 1 gehören. Teilweise gibt es keine mobilen Teams vor Ort. Deshalb ist meine Frage an Sie: Wie wollen Sie gemeinsam mit den Ländern sicherstellen, dass diese Personengruppe der Kategorie 1 endlich geimpft wird? Das sollten wir sicherstellen, bevor wir darüber diskutieren, dass andere Gruppen vorgezogen werden. Das ist für mich ein wichtiger Punkt; denn wir werden irgendwann sehr viel Impfstoff haben. Und wenn wir den derzeit knappen Impfstoff schon nicht verimpft bekommen, habe ich große Sorge, was mit Impfstoffen passiert, wenn wir sehr viel davon haben.
Herr Minister.
Frau Kollegin Bas, die Sorge teile ich grundsätzlich. Es ist wichtig, dass Impfstoff, der in Deutschland verfügbar ist, zügig verimpft wird. Wir haben derzeit pro Woche zwischen 140 000 und 150 000 Erst- und Zweitimpfungen. Die Bundesländer haben uns aktuell gemeldet, dass von den Kapazitäten her 300 000 Impfungen pro Tag stattfinden könnten, und das Ziel ist, Kapazitäten für 500 000 Impfungen pro Tag aufzubauen.
Und ja, noch vor vier oder sechs Wochen haben die Bundesländer nachvollziehbarerweise darauf hingewiesen, dass sie mehr Lieferungen vom Bund und über die Europäische Union brauchen, um mehr impfen zu können. Nun sind die Impfdosen da. Wir stehen in regelmäßigem Austausch mit den Ländern, und ich gehe davon aus – ich setze auch auf Ihre tatkräftige Unterstützung –, dass wir in den Ländern an Geschwindigkeit gewinnen und damit auch der Gruppe, die Sie angesprochen haben, ein Impfangebot machen können.
Nachfrage? – Frau Bas.
Unbedingt habe ich noch eine Nachfrage. – Derzeit haben wir immer noch nicht die Möglichkeit, alle Risikopatienten zu impfen; was auch mit der Menge der gelieferten Impfdosen zu tun hat. Wann ist für Sie der richtige Zeitpunkt, auch die niedergelassenen Ärzte miteinzubeziehen? Wann kommt der Impfstoff in die Arztpraxen, damit gezielt die Personen, die nicht mobil genug sind, um in weit entfernte Impfzentren zu fahren, durch ihre Hausärzte geimpft werden können?
Zum Ersten – Sie haben darauf hingewiesen, dass es weniger Veränderungen bei der Impfpriorisierung geben soll – habe ich die Bitte von Frau Bundesministerin Giffey und vielen Kollegen aus den Ländern mit in den Blick genommen, dass gerade Beschäftigte in Kitas und Grundschulen früher geimpft werden sollen, weil hier die Einhaltung von Abstand und Hygienemaßnahmen nicht in dem Umfang möglich ist wie möglicherweise mit 15- oder 16-Jährigen in den weiterführenden Schulen oder in den Oberstufen. Das ist eine nachvollziehbare Bitte und aus meiner Sicht auch fachlich gut begründbar, weshalb es entsprechende Veränderung gegeben hat.
Zum Zweiten haben einige Länder schon begonnen, Arztpraxen miteinzubinden. Das ist also kein Theoriekonzept, sondern das findet bereits statt, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Auch die geschätzte Kollegin Leonhard in Hamburg hat dafür gesorgt, dass zum Beispiel Krebspatienten in onkologischen Praxen geimpft werden können. Das unterstütze ich ausdrücklich. Wir sind mit den Ländern gerade dabei, die Impfverordnung so weiterzuentwickeln, dass das leichter möglich ist. Der Switch – letzter Satz, Herr Präsident – in die Hausarztpraxen insgesamt ist regelhaft erst dann sinnvoll, wenn wir 3 bis 5 Millionen Impfdosen pro Woche haben; nur dann macht es von den Kapazitäten her Sinn. Aber natürlich bereiten wir auch das vor, um das so schnell als möglich umsetzen zu können.
Frau Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen, möchte eine Nachfrage stellen.
Herr Minister, es geht darum, wie wir den gleitenden Übergang von der ersten Prioritätsgruppe zur zweiten schaffen, gerade weil es mit AstraZeneca einen Impfstoff gibt, der nur für die unter 65-Jährigen infrage kommt. Deshalb meine Frage: Was tun Sie dafür, dass die Risikogruppen in der Prioritätsgruppe 2 jetzt sehr schnell ermittelt und informiert werden und nicht so ein Chaos wie bei der Vergabe von Berechtigungsscheinen für die FFP2-Masken entsteht? Wegen dieser hat es ja sehr viel Unbill gegeben. Was tun Sie dafür, dass Klarheit hergestellt und in allen Ländern nachvollziehbar und in ähnlicher Art und Weise vorgegangen wird, damit die Menschen in dieser Gruppe jetzt sehr schnell erreicht werden, insbesondere die Menschen mit schwerer Behinderung und schweren Erkrankungen?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, wir sind nicht vor dem fließenden Übergang von Prio-Gruppe 1 zu Prio-Gruppe 2, sondern dieser findet bei den 18- bis 64-Jährigen in den allermeisten Bundesländern bereits statt, weil die 18- bis 64-Jährigen in der höchsten Priorisierungsgruppe geimpft sind und jetzt fließend im Übergang weitere Beschäftigte des Gesundheitswesens, Polizei- und Einsatzkräfte, Menschen mit Vorerkrankungen, die Sie angesprochen haben, sowie Kita- und Grundschulbeschäftigte geimpft werden können und geimpft werden; das findet jeden Tag statt.
Zu der Frage, wie erstens insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen darüber informiert werden und zweitens dann auch den Nachweis der Vorerkrankung erbringen können – das ist ja deutlich schwieriger als etwa die Frage „Wo bin ich beschäftigt?“ oder „Wie alt bin ich?“ –: Hier sieht die Verordnung ärztliche Atteste vor, um das möglich zu machen. Einige Länder wollen weitere Wege gehen. Sie wissen, es gibt kaum eine Fraktion – wenn ich das sagen darf –, deren Mitglieder an mehr Landesregierungen beteiligt sind als die der Grünen. Ich bin auch mit den Kollegen Lucha, Nonnemacher und Klose im engen Austausch, weil es am Ende Aufgabe der Länder ist – die Länder haben ausdrücklich für sich beansprucht, den Zugang zur Impfung zu organisieren –, dies umzusetzen. Wenn wir das gemeinsam befördern, bin ich gleich dreimal so dankbar.
Christine Aschenberg-Dugnus, FDP, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister Spahn, wir als FDP-Bundestagsfraktion haben in der letzten Woche einen bundesweiten Stufenplan mit klaren Wenn-dann-Regeln und einem dynamischen Faktor vorgelegt. Damit wollen wir für Planbarkeit und Perspektive sorgen und vor allen Dingen vorsichtige Schritte hin zu weiteren Öffnungen, je nach Lage vor Ort, vornehmen.
Am Montag wurde die Kanzlerin zitiert, dass sie sich in drei Bereichen Öffnungen vorstellen kann. Einen Tag später wurde das vom Kanzleramtschef wieder verneint. Meine Frage lautet: Was gilt denn nun? Was ist Ihre Strategie, und wann nimmt die Bundesregierung einen Richtungswechsel hin zu ganz konkreten Öffnungsperspektiven und zu klaren Wenn-dann-Regelungen, an die sich die Bevölkerung halten kann, vor? – Vielen Dank.
Liebe Frau Kollegin, wie Sie wissen, sind wir als Bundesregierung dazu im engen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern, vor allem den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, weil es aus meiner Sicht sehr erstrebenswert wäre und ist, wenn wir konzeptionell möglichst bundeseinheitlich vorgehen, weil das am Ende die höchste Akzeptanz schafft. Das heißt nicht, dass überall das Gleiche gelten muss – man muss je nach Inzidenz und Infektionsgeschehen unterscheiden –; aber der Rahmen sollte idealerweise der gleiche sein. Dafür braucht es offenkundig gute Abstimmungsgespräche, und die finden gerade statt.
Zum Zweiten stehen wir halt gerade vor einer Herausforderung. Das ist es, was es für uns so schwer macht, aber eben auch für alle anderen in Deutschland. Wir hatten irgendwie das Gefühl, dass die Welle vorbei ist und dass wir gerade auf dem Weg aus dieser schwierigsten Phase der Pandemie sind, aber wir müssen jetzt aufgrund der Mutationen feststellen, dass ganz besondere Vorsicht angezeigt ist.
Es finden ja Öffnungen statt. Alleine in dieser Woche haben in zehn Bundesländern Kitas und Schulen wieder geöffnet. Ich finde das grundsätzlich richtig. Ich will nur sagen: Mit der Öffnung von Kitas und Schulen sind jeden Tag Millionen Bewegungen hin und zurück sowie Begegnungen in Kita und Schule verbunden. Ich weiß, Sie wünschen sich einen Plan für die nächsten sechs Monate, am besten jetzt schon festgelegt; aber so funktioniert das mit dem Virus halt nicht. Wir müssen miteinander Schritt für Schritt schauen, welche Konsequenzen die Öffnungen jeweils nach sich ziehen.
Nachfrage?
Ja, gerne. – Herr Minister, Sie haben auf die Mutationen hingewiesen. Sie öffnen am 1. März die Friseursalons wieder. Das finden wir gut. Aber mich würde Ihre wissenschaftliche Begründung interessieren, warum Sie dafür sind, dass die Friseursalons öffnen, aber der Einzelhandel, zum Beispiel mit persönlichen Terminen vor Ort und Hygienekonzept, nicht, und das Ganze noch vor dem Hintergrund, dass das Robert-Koch-Institut das Infektionsrisiko beim Einzelhandel als gering eingeschätzt hat. – Vielen Dank.
Frau Kollegin, ich weiß jetzt nicht, wen Sie mit „Sie“ meinen. Öffnen oder nicht öffnen: Die entsprechenden Maßnahmen werden durch die Länder und die lokalen Behörden vor Ort bestimmt; das sieht das Infektionsschutzgesetz eindeutig vor. Es ist tatsächlich zwischen allen Ländern vereinbart, dass am 1. März die Friseure wieder öffnen. Wo ist der Unterschied? Das ist eine, wie ich finde, sehr berechtigte und nachvollziehbare Frage, auch von anderen Betroffenen. Ein wichtiger Unterschied liegt darin, dass die Frage des äußeren Seins – –
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– Ja, man kann darüber Witze machen. Aber Körperpflege ist für viele Menschen durchaus etwas, was auch mit Gesundheit, mit psychischen Fragen zu tun hat. Sie und ich, wir können das vielleicht zu Hause selber; aber es kann nicht jeder, schon gar nicht in höherem Alter. Deswegen gehen wir – die Länder – an der Stelle diesen Schritt.
Zum Zweiten. Wenn ich die Debatten in den Ländern richtig wahrnehme, dann wird hier zum Teil so getan, als würde gar nichts an Öffnungen stattfinden. Dabei werden gerade die ersten Bereiche im Einzelhandel in vielen Ländern wieder geöffnet. Ich habe im Moment nicht den Eindruck, dass nichts passiert.
Die eigentlich spannende Frage ist: Welche Folgen hat das unter Bedingungen von Mutationen und höherer Ansteckungsfähigkeit in anderen Bereichen? Ich werbe jedenfalls dafür, als Bundesminister für Gesundheit – Sie können das anders sehen –, dass wir diese Schritte vorsichtig gehen; denn nichts wäre fataler – übrigens auch für die Akzeptanz –, als wenn wir in vier oder sechs Wochen wieder vor ganz anderen Debatten stünden.
Danke sehr. – Ich lasse jetzt drei Nachfragen zu; die erste stellt der Kollege Dr. Kraft, AfD, dann der Kollege Dr. Hoffmann, FDP, und dann der Kollege Herrmann.
Vielen Dank. – Vorbemerkung: Ich freue mich, dass mein Friseursalon öffnen kann – nicht unbedingt, weil ich einen Friseurtermin brauche, sondern weil ich will, dass mein Dorffriseur überlebt, deswegen.
Ich möchte kurz auf die Kollegen der FDP eingehen und den Stufenplan der FDP, der ja für Inzidenzen unter 10 – und das schließt die 0 mit ein – vorsieht, dass wir für immer Masken tragen werden und für immer Abstand halten. Jetzt möchte ich Sie als Bundesgesundheitsminister fragen: Halten Sie bei einem Inzidenzwert von 0 weiterhin das Tragen von Masken und eine Abstandsregelung – gemäß dem Stufenplan der FDP – für sinnvoll für die Zukunft?
Also, Herr Kollege, da Sie ja nebeneinandersitzen, wäre es im Zweifel vielleicht auch gut, Sie würden sich über die Konzepte noch einmal miteinander austauschen.
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Bei der Gelegenheit: Es wird eine Inzidenz von 0 dauerhaft nicht geben können – außer Sie ziehen eine Mauer um dieses Land, und das ist jedenfalls nicht unsere Politik und unser Ansatz. Wir sind ein Land in der Mitte eines Kontinents. Ich komme selbst aus einer Grenzregion, zu den Niederlanden, mit regem Austausch über die Grenze. Wir sind ein Land, das am Ende die Balance sucht zwischen bestmöglichem Infektionsschutz, aber eben auch Leben und Freiheit und Normalität, soweit es geht. Wenn wir uns alle zu Hause einschließen, dann sind wir vielleicht irgendwann bei Inzidenz 0, dann passiert gar nichts mehr; das stimmt. Das ist aber auch kein Leben.
Deswegen geht es darum, die richtige Balance zu finden, die Gesundheitsschutz stark und stärker gewichtet als andere Aspekte, aber nicht absolut. Deswegen ist eine Inzidenz von 0, ohne dass Sie das Land zumachen, aus meiner Sicht unerreichbar. Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben; darum geht es. Wir leben doch auch mit dem Masernvirus. Ich meine, wir haben mit vielen Viren leben gelernt – durch Impfen übrigens. Wenn Sie etwas mehr fürs Impfen wären, hätten wir schon ein Problem weniger an bestimmten Stellen.
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Wir lernen, mit diesem Virus zu leben, durch die Maßnahmen, die wir ergreifen. Testen und Impfen sind zwei wichtige Bausteine dabei.
Danke sehr. – Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Dr. Christoph Hoffmann, FDP.
Herr Präsident! Herr Minister! Ich komme aus einem Wahlkreis, der direkt an der Grenze zu Frankreich liegt, Südbaden. Wir haben Superinzidenzen, wir sind in vier Landkreisen fast auf 35 runter. Aber wir erleben immer wieder Dilettantismus von verschiedenen Seiten, der die Inzidenzwerte wieder hochtreibt. Jüngst wieder ein Ausbruch in einem Pflegeheim: 52 Infizierte – 35 Bewohner, 17 Mitarbeiter –, 3 Tote. Das kann doch heute einfach nicht mehr sein! Ich verstehe nicht, wieso die Gesundheitsämter es nicht schaffen, es in Griff zu kriegen, dass solche Sachen in den Heimen nicht mehr passieren.
Und noch schlimmer: Der grüne Sozialminister Lucha in Baden-Württemberg entlässt die Leute aus der Quarantäne ohne weitere Tests, das heißt, wir haben in den Haushalten Leute, die sich später infizieren, aber dann ohne Tests wieder auf die Straße gehen dürfen. Jüngster Fall – aus der eigenen Familie kann ich berichten –: Eltern wieder gesund, Zeit abgelaufen, wollten raus, haben sich noch mal versichert. Die drei Kinder waren alle positiv und gerade auf dem Weg in die Kita. – Halten Sie das für Dilettantismus?
Herr Kollege, wissen Sie, ich bemühe mich jedenfalls darum, in dieser Pandemie, die für uns alle, die wir Verantwortung tragen, auf welcher politischen Ebene oder in welchem Bereich jenseits der Politik auch immer, nicht einfach ist, mich erst einmal schlauzumachen, bevor ich bewerte. Das ist ja ein schwerer Vorwurf, den Sie erheben. Es stellt sich die Frage, wie es zu dem Ausbruch in der Pflegeeinrichtung gekommen ist, wie die Schutzkonzepte sind, wie bestmöglich versucht worden ist, eine Infektion zu vermeiden. Gleichzeitig – worauf Ihre Fraktion ja auch großen Wert legt – wollen wir nicht, dass die Bewohnerinnen und Bewohner absolut isoliert werden. Das ist eine schwierige Balance. Ohne dass ich die konkrete Situation vor Ort kenne – sehen Sie es mir nach, so bin ich gestrickt –, halte ich mich mit derartigen Bewertungen zurück.
Danke sehr. – Lars Herrmann stellt die nächste Nachfrage. Danach kommt der Kollege Henke.
Vielen Dank, Herr Präsident, für das Wort. – Herr Minister, ich wollte zu den Friseuren zurückkommen, weil Sie ja sagten, dass sie am 1. März wieder öffnen dürfen. Da ist eine Maßgabe das Hygienekonzept, welches eine wöchentliche Testung vorsieht. Jetzt ist die große Frage: Was für ein Test soll das sein? Dass es kein Schwangerschaftstest wird, ist jedem klar. Aber es ist ein Kostenfaktor, also: Wer soll die Tests bezahlen? Was ist das für ein Test? Ist es ein PCR-Test? Es macht einen Unterschied für die Friseure, ob sie für fünf Mitarbeiter in der Woche eine Summe X für einen PCR-Test oder für einen Selbsttest ausgeben müssen. Also: Was für ein Test genau soll das sein? Wer soll ihn bezahlen?
Und macht es nicht Sinn, die Friseure zu impfen, damit man sich das erspart, oder festzulegen, dass diejenigen, die einen Friseurtermin wahrnehmen möchten, einen Test nachweisen? Können Sie dem Friseurhandwerk irgendeine nähere Auskunft dazu geben, wie es werden soll?
Ich habe, weil ich aus Sachsen komme, bei der Sächsischen Staatskanzlei nachgefragt. Dort hat man gesagt: Na ja, es ist ja erst am 1. März so weit. Das haben wir uns noch nicht überlegt. – Könnten Sie jetzt einen Hinweis geben, was für Tests das werden sollen? – Vielen Dank.
Herr Kollege, da haben Sie sich tatsächlich an den richtigen Adressaten gewandt; es gibt ja eine föderale Vielfalt, es kann 16 verschiedene Herangehensweisen geben. Ich kenne nicht von allen 16 Ländern die Vorgehensweise bei der Öffnung der Friseure am 1. März; ich kenne sie tatsächlich nur aus einem Bundesland.
Für die zusätzliche Sicherheit – ich will das gar nicht bewerten, ich beschreibe es nur – gibt es Testerfordernisse. Für die Frage der Umsetzung ist das jeweilige Land zuständig.
Eines bleibt aber: Wenn ich jetzt einmal von dem 1. März sozusagen zurücktrete und auf das, was kommt, schaue, bleibt festzuhalten: Es sind, natürlich gerade diese Tests, Schnelltests und Selbsttests, die – ich habe es eingangs auch beschrieben – uns, richtig eingesetzt, die Möglichkeit geben, deutlich mehr, Zug um Zug, je nach Infektionsgeschehen tatsächlich auch wieder an bestimmten Stellen Dinge möglich zu machen. Dazu gehören Friseurbesuche oder möglicherweise dann in einem nächsten Schritt auch weitere Bereiche des Lebens.
Dann werden die Kosten des Tests ein Bestandteil werden. Die Frage ist immer, wer sie trägt und wie der Test organisiert ist. Das kann ich jetzt für das Bundesland, das Sie angesprochen haben, hier nicht stante pede beantworten; da müsste ich erst den Ministerpräsidenten fragen; dann könnte ich Ihnen eine Antwort geben. Aber diese Testkosten werden in bestimmten Bereichen sozusagen Bestandteil der regulären Kosten werden – werden müssen.
Vielen Dank. – Rudolf Henke, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank dafür. – Herr Bundesminister Spahn, die Bundesregierung hat sich ja intensiv für Produktionsausweitungen bei den Impfstoffen ausgesprochen. Könnten Sie einmal den Stand der Dinge in dieser Frage bewerten?
Ja, Kollege Henke, das mache ich gerne.
Zuerst einmal: Die Impfstoffmenge, die wir zu erwarten haben, wird schon im zweiten Quartal deutlich anders sein. Wir sehen ja jetzt schon, dass die Mengen so steigen, dass die Kapazitäten entsprechend nachziehen müssen. Das heißt also: Mit dem, was an Produktionskapazität vorhanden ist, dürfen wir im zweiten Quartal auch deutlich mehr Menge erwarten.
Dazu trägt zum Beispiel das Werk von BioNTech in Marburg bei, das wir – auch ich persönlich –, das Bundesministerium für Gesundheit wie auch die Hessische Landesregierung, intensiv begleitet haben – vom ersten Tag an, hätte ich beinahe gesagt, im August –, was auch die Regulatorik angeht, was ein schnelles Zulassungsverfahren angeht.
Hätten wir im August nicht damit begonnen, zu unterstützen, würde es wahrscheinlich jetzt im März nicht losgehen können. Der Aufbau von Impfstoffproduktion ist ansonsten eher etwas von Jahren. Das zeigt, dass es Sinn macht, für die Zeiten, die noch kommen – keiner von uns weiß, wie viele Folgeimpfungen wir möglicherweise brauchen und ob wir mit Blick auf Mutationen weitere Impfungen brauchen –, frühzeitig Produktion aufzubauen.
Mein nächster Termin nach diesem wird eine Abstimmung auf Ministerebene mit dem Wirtschafts- und dem Finanzminister genau zu dieser Frage sein.
Nachfrage? – Nein, keine Nachfrage. Dann stellt der Kollege Dr. Achim Kessler, Die Linke, die nächste Frage.
Herr Minister, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor Kurzem gefordert, dass Impfstoffe gegen das Coronavirus ein globales öffentliches Gut sein sollen, für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollen. Es ist ja auch so, dass eine Pandemie gar nicht in einem einzelnen Land besiegt werden kann, sondern eine Pandemie kann nur weltweit besiegt werden. Wenn man sie nicht weltweit besiegt, dann kommt sie eines Tages – das wissen wir mittlerweile – in Form von resistenten Mutationen wieder zurück. Das heißt, alle Menschen müssen so schnell wie möglich geimpft werden, und zwar nicht nur in Deutschland.
Dem stehen aber der Patentschutz und die Unzugänglichkeit von technischem Know-how für die Produktion der Impfstoffe entgegen. Es gibt Veröffentlichungen, die davon ausgehen, dass es weltweit bis zu 1 000 potenzielle Produktionsstätten für Impfstoffe gibt. Ich möchte Sie gerne fragen: Was tun Sie, um solche Produktionsstätten aufzubauen, damit wir diese Pandemie möglichst bald weltweit in den Griff bekommen?
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Vielen Dank, Herr Kollege Kessler. – Ich muss mich übrigens an einer Stelle ergänzend etwas korrigieren: Es ist bei einem Virus tatsächlich gelungen, ihn abschließend weltweit durch Impfung unter Kontrolle zu bringen, und das sind die Pocken. Bei der Kinderlähmung stehen wir übrigens kurz davor. Es wäre schön, wenn auch das gemeinsam durch Impfung gelingen könnte. Deswegen bin ich ja bei Ihnen: Es gelingt nur, wenn die ganze Welt zusammenarbeitet, das in all diesen Bereichen tatsächlich zu erreichen.
Deswegen haben wir als Bundesregierung ab dem ersten Tag dieser Pandemie die Kooperation zur Impfstoffversorgung – erst mal in ganz Europa, für alle Länder der Europäischen Union am gleichen Tag, aber auch für die ganze Welt – gesucht, uns aktiv beteiligt, sowohl mit Ressourcen und mit Expertise, aber auch finanziell – bei Covax, beim ACT-Accelerator, bei anderen internationalen Initiativen –, um Impfstoff für die Welt zugänglich zu machen.
Wir haben da aber eine unterschiedliche Auffassung. Sie meinen, das ginge gut durch Zwangslizenzen, und ich meine, bei etwas so Komplexem und Technologieanforderndem wie der Impfstoffproduktion geht das besser durch Kooperation. Die eine Frage ist, ob man etwas darf – Stichwort: Zwangslizenz –, und die andere Frage ist, ob man es kann. Und dafür braucht es einen Technologietransfer, der aus meiner Sicht idealerweise durch Kooperationen erreicht wird. Nahezu alle großen Unternehmen und Hersteller, etwa das Serum Institute of India, machen genau das: Sie kooperieren mit weiten Teilen der Welt.
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Nachfrage? – Der Kollege Kessler.
Was ich dann aber nicht verstehe: Sie haben mit dem ersten Bevölkerungsschutzgesetz den § 5 des Infektionsschutzgesetzes dahin gehend geändert, dass Sie selbst per Verordnung Zwangslizenzen auslösen können. Warum haben Sie denn das Gesetz geändert, wenn Sie es jetzt gar nicht anwenden?
In diesem Zusammenhang: Es gibt eine Initiative von inzwischen über 100 Regierungen weltweit, die einen Antrag an die WTO gestellt haben, die Lizenzen freizugeben. Warum ist die Bundesregierung nach wie vor gegen diesen Antrag und verhindert gemeinsam mit den anderen europäischen Regierungen, dass die Pandemie schnellstmöglich weltweit bekämpft werden kann?
Zuerst einmal, Herr Kollege Kessler: Die Bundesregierung tut alles dafür, und zwar gemeinsam mit allen betroffenen und beteiligten Ressorts, dass diese Pandemie weltweit gemeinsam bekämpft werden kann, so noch Ende letzter Woche mit dem G-7-Treffen und anderen Vereinbarungen, die wir auch auf europäischer Ebene zur Unterstützung der Welt getroffen haben.
Zum Zweiten sehen wir, dass durch Kooperationen in Deutschland, in Europa und auf der Welt gerade Milliardenproduktionen aufgebaut werden. Das Ziel – und das ist ein erreichbares Ziel, innerhalb von Monaten – der Hersteller ist, Milliarden Impfdosen zu produzieren, um die Welt zu versorgen, und wir unterstützen sie aktiv. Wir haben sie übrigens alleine schon durch die Entwicklung der Impfstoffe und den Aufbau der Produktionskapazitäten mit unterstützt – maßgeblich.
Wir haben halt nur eine unterschiedliche Auffassung. Sie sind der Auffassung, der Staat sollte immer alles tun, was er darf. Wir sind der Auffassung, dass wir zwar vorsorglich Regelungen treffen für bestimmte Situationen, die eintreten könnten in einer Notlage, aber diese Maßnahmen nur ergreifen, wenn sie tatsächlich zwingend notwendig sind. Und wo kooperiert wird, ist kein Zwang notwendig.
Danke sehr. – Ich lasse jetzt zwei Nachfragen zu: eine von der Kollegin von Storch und eine von der Kollegin Lötzsch. – Frau von Storch.
Vielen Dank Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte auf das zurückkommen, was Sie gerade gesagt haben: Es braucht eine Zusammenarbeit, am besten weltweit. Es ist richtig und zutreffend, dass dafür ein massiver Fortschritt im Bereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens hilfreich wäre.
Ist es zutreffend, dass aus Ihrem Hause heraus damit die gematik GmbH beauftragt wird und in großem Umfang Aufträge von Ihnen erhält? Ist es zutreffend, dass seit Kurzem an der Spitze dieser gematik GmbH Markus Leyck Dieken sitzt? Und ist es zutreffend, dass Sie von Markus Leyck Dieken eine Immobilie erworben haben?
Es ist zwar zeitlich eine andere Reihenfolge. Unabhängig davon habe ich den Eindruck, dass Ihre Kollegen Gesundheitspolitiker Sie vielleicht noch mal über die gematik informieren sollten. Die gematik ist nicht etwas, das wir beauftragen, sondern die gematik ist eine Institution der Selbstverwaltung, getragen vom Gesundheitswesen selbst, und durch eine Entscheidung des Deutschen Bundestages seit Ende 2019 zu 51 Prozent im Besitz der Bundesrepublik Deutschland. Insofern ist schon der erste Teil Ihrer Frage jedenfalls sachlich-fachlich nicht zutreffend.
Frau Dr. Lötzsch.
Ich knüpfe an die Frage meines Kollegen Dr. Kessler und Ihre Antwort darauf an. Herr Spahn, Sie haben gerade einen Widerspruch aufgemacht zwischen Technologietransfer und Aufhebung des Patentschutzes. Aber wir sind uns doch hoffentlich einig, dass der Erfolg entscheidet, und darum erklären Sie mir bitte: Worin besteht der Widerspruch? Warum sollte es nicht das Erfolgreichste sein, beides umzusetzen: Technologietransfer und Aufhebung des Patenschutzes?
Frau Kollegin Lötzsch, ich weiß nicht, wie Ihre Lebenserfahrung aussieht. Meine ist die: Wenn man etwas unter Zwang tun soll, ist die Bereitschaft zur Kooperation meistens nicht so groß ist, als wenn man von sich aus kooperiert.
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Aber das mögen unterschiedliche Erfahrungen oder auch Weltsichten sein.
Jedenfalls sehen wir doch, dass BioNTech, CureVac, AstraZeneca, Johnson & Johnson, alle Impfstoffhersteller und ‑entwickler weltweit Kooperationen schon geschaffen haben oder schaffen, um Produktionen weiter zu erhöhen. Wir unterstützen sie dabei, indem wir sie finanziell abschirmen und indem wir Produktionszuschüsse geben. Ich bin nur weiterhin der festen Überzeugung, dass ein Technologietransfer durch Kooperation am Ende immer erfolgreicher ist als ein Technologietransfer durch Zwang.
Sie müssen das ja auch von jemandem machen lassen, der das von seinen Voraussetzungen her überhaupt kann. Sie können nicht aus jedem Impfstoffproduzenten mal eben einen mRNA-Impfstoffproduzenten machen. Ich habe manchmal den Eindruck, man ist sich in diesen Debatten der Komplexität einer Impfstoffproduktion nicht bewusst.
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Danke sehr. – Dr. Janosch Dahmen, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank. – Herr Minister, im zwölften Monat der Pandemie sind neben großen Anstrengungen, die weiterhin im Bereich der Impfkampagne und der Kontaktnachverfolgung erforderlich sind, heute endlich Schnelltests, die seit Monaten sicher und zuverlässig verfügbar waren, auch zur Selbstanwendung zugelassen worden. Beabsichtigen Sie, wie beispielsweise unser Nachbarland Österreich, derartige Schnelltests zur Selbstanwendung der Bevölkerung kostenlos oder kostengünstig in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen?
Herr Kollege Dahmen, wir haben uns schon häufiger zu der Frage ausgetauscht, warum wir in Deutschland an dieser Stelle einen anderen Weg gewählt haben als unsere österreichischen Freunde. Wir haben Wert darauf gelegt – und ich lege auch persönlich Wert darauf –, dass für die Zulassung von Selbsttests, wie von Tests überhaupt, Unterlagen eingereicht werden, die Studien und Nachweise über die Qualität der Tests beinhalten.
Mir reicht es nicht, wenn der Hersteller einfach nur einen Zettel unterschreibt und sagt: Die Tests sind gut. – Das reicht mir nicht; denn wenn man diese Tests zu einem Instrument in dieser Pandemie machen will – und wir wollen das –, müssen sie auch hinreichend gute Ergebnisse liefern und möglichst selten falsch positive oder falsch negative Ergebnisse.
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Genau aus diesem Grund haben wir sie ordentlich geprüft und jetzt in Form einer Sonderzulassung – heute die ersten drei, und weitere werden nach entsprechender Prüfung und Einreichung der Unterlagen folgen – entsprechend zugelassen.
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Die Frage der Bezuschussung des Erwerbs hängt sehr von den Preisen ab. Ich weiß nicht, ob Sie schon eine Einschätzung dazu haben, wie die Preise im Einzelhandel am Ende aussehen werden. Ich habe sie abschließend noch nicht. Aber für mich macht es für die Frage, ob und in welchen Umfang eine Bezuschussung notwendig ist, einen Unterschied, ob ein Test 2 Euro oder 10 Euro kostet.
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Nachfrage, Herr Kollege?
Die Frage war ja, ob Sie kostenlose Tests oder bezuschusste Tests zur Verfügung stellen werden, und nicht, wie hoch der Preis sein wird.
Zuerst einmal: Sie hatten in Ihrer Frage Annahmen eingebaut, auf die ich nur erwidert habe. Ich denke, das kann man in einer Antwort auch gut tun, damit nicht Ihre Einschätzung unwidersprochen stehen bleibt.
Zum Zweiten. Ich habe ja gerade gesagt: Die Frage, ob und in welchem Umfang Tests bezuschusst oder finanziert werden, für welche Bereiche das gilt und ob für jedermann, hängt aus meiner Sicht sehr, sehr stark von den tatsächlichen Marktpreisen ab, die sich ergeben. Ich sage es noch einmal, um es auch ganz praktisch zu machen: Ob der Test am Ende 1,99 Euro im Discounter kostet oder 8,99 Euro, macht einen Unterschied, in welchem Umfang wir für Schulen oder Kitas, bei den Ländern oder auch in anderen Kontexten oder konkret beschriebenen Situationen über eine Finanzierung nachdenken.
Zum Zweiten haben mir Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss den nachvollziehbaren Hinweis gegeben, dass wir genau all diese Dinge miteinbeziehen müssen, wenn es an der Stelle um die Frage geht – kostenlos ist nichts; einer zahlt immer –, wie denn insgesamt die Belastungen aussehen. Deswegen müssen wir das miteinander besprechen, ohne Zweifel.
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Heike Hänsel, Die Linke, hat eine Nachfrage. – Ich möchte gerne pro Fraktion immer nur eine Nachfrage zulassen.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gerade darauf verwiesen, dass Sie Nachweise für die Wirksamkeit von Selbstschnelltests haben wollen, bevor Sie diese dann auch erwerben. Jetzt frage ich mich, weshalb Sie für 400 Millionen Euro 200 000 Dosen eines Antikörpermedikaments aus den USA eingekauft haben, obwohl, so die Antwort auf meine Nachfrage hin, dazu bisher überhaupt keine fertigen Studien vorliegen. Ihnen liegen nach Auskunft Ihres Ministeriums lediglich Zwischenauswertungen der laufenden klinischen Prüfungen vor. Das heißt, es gibt letztendlich bisher keine Nachprüfung der Wirksamkeit dieser Antikörper. Ich frage mich, weshalb Sie für fast eine halbe Milliarde die Dosen bereits eingekauft haben, wenn Sie bei den Schnelltests argumentieren, dass Sie erst die Nachweise vorliegen haben wollen.
Frau Kollegin, ich verstehe die Frage gut; deswegen gehe ich auch gerne darauf ein. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es eben Zwischenergebnisse und erste Evidenz gibt. Wir haben natürlich das Paul-Ehrlich-Institut als zuständige Behörde gebeten, das zu bewerten, und haben von den medizinischen Fachgesellschaften Hinweise eben auch zur Gabe dieser monoklonalen Antikörper, in welchen Situationen – es macht übrigens nur Sinn, wenn sie sehr frühzeitig nach Infizierung Menschen mit besonders großem Risiko für einen schweren, schwersten oder gar tödlichen Verlauf gegeben werden – dies angezeigt ist. Deswegen hat die Bundesregierung im Coronakabinett – wenn ich es richtig erinnere, im November – entschieden, diese Antikörper zu erwerben.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum: weil auch diese Antikörper weltweit umkämpft sind und Sie im Zweifel die Erste wären, die, wenn es andersherum wäre, mir sagen würde: Warum haben das eigentlich andere Länder auf der Welt und wir nicht?
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Deswegen wollen wir eben am Ende ein auf monoklonalen Antikörpern basierendes Medikament, bei dem die Behörden sagen, dass es jedenfalls nicht schadet und Nutzen mit hinreichender Evidenz hat, gerade in besonderen Situationen, nach ärztlicher individueller Entscheidung auch verfügbar machen.
Hilde Mattheis, SPD, hat eine Nachfrage.
Vielen Dank. – Herr Minister, ich habe die Nachfrage zu den kostenfreien Selbsttests. Wir gehen ja davon aus, dass wir über 1 Billion Euro im Zusammenhang mit der Bewältigung der Coronakrise ausgeben. Es gibt von den Firmen, die die Selbsttests auf den Markt bringen – und heute sind ja drei zugelassen worden –, Preisvorstellungen von 9 Euro sogar bis zu 2,38 Euro, also eine überschaubare Größe. Und es gibt Untersuchungen, die belegen, dass im Zusammenhang mit der Anwendung von Eigentests die von der Charité und von der Uni Heidelberg nachgewiesene Möglichkeit besteht, dass damit Infektionsketten unterbrochen werden, sodass wir eine Perspektive aus dieser Coronakrise heraus haben könnten.
Glauben Sie nicht, dass genau in dem Zusammenhang erstens eine kostenfreie Abgabe an die Bevölkerung erfolgen sollte und zweitens vor allen Dingen eine Grundkampagne der Aufklärung damit einhergehen sollte, damit nämlich nicht die Illusion mit transportiert wird, dass ohne Anwendung zum Beispiel der Maskenpflicht oder anderer Maßnahmen –
Frau Kollegin.
– diese Eigentests im Prinzip wirksam wären? – Das wären zwei Fragen. – Danke, Herr Präsident.
Das war eine großzügige Interpretation von 30 Sekunden. – Herr Minister.
Herr Präsident! Frau Kollegin! – Übrigens zu der vorigen Frage auch noch: Es ist ein Unterschied, ob Sie eine präventive Maßnahme für den breiten Gebrauch zulassen, ob Sie einen Impfstoff zulassen, der Gesunden milliardenfach auf der Welt verimpft wird, oder ob es um medikamentöse Therapien geht. Es ist auch jenseits einer Pandemie so, dass es je nach Gebrauch und Risikoabschätzung unterschiedliche Parameter gibt. Das ist an der Stelle fachlich gut herleitbar.
Die Frage zu den Selbsttests. Ja, erstens Aufklärung unbedingt; die braucht es begleitend. Deswegen legen wir übrigens auch bei der Zulassung großen Wert darauf, dass, zum Beispiel, eine verständliche Gebrauchsanweisung des Herstellers gegeben wird; die wird mit überprüft. Das finde ich dabei einen wichtigen Aspekt.
Wir müssen vor allem auch darüber aufklären, dass erstens ein positives oder ein negatives Ergebnis jeweils falsch sein kann und dass zweitens ein positives Ergebnis bitte dazu führt, dass man sich – dazu können wir ja nur auffordern – eben einen Termin zum PCR-Folge- und -Bestätigungstest besorgt und sich dann vor allem entsprechend anders verhält.
Die Frage, ob und in welchem Umfang die Kosten übernommen werden, ist jetzt miteinander zu klären. Aber ich will auch da noch mal sagen: In diesem Parlament gibt es ganz unterschiedliche Einschätzungen zu der Frage. Ich empfehle in Ihrer Fraktion ein Gespräch mit Haushältern, die mir geschrieben haben, über die Frage, in welchem Umfang der Bund die Kosten übernehmen sollte.
Danke sehr. – Das lassen wir jetzt auch in der Fraktion, nicht?
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Ich muss irgendwie bei der Vielzahl der Fragen doch darauf drängen, dass wir die Minute einigermaßen einhalten.
Ich habe jetzt eine Nachfrage von Dr. Gero Hocker, FDP. Danach kommt die Kollegin Klein-Schmeink noch mal und dann der Kollege Podolay. Anschließend kommt die nächste reguläre Frage. – Aber jetzt der Kollege Hocker.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrter Herr Minister, Sie haben eben zu Recht, wie ich finde, noch mal die Bedeutung unterstrichen, die Schnelltests bei der Bekämpfung der Pandemie in Zukunft in besonderer Weise haben sollen. Gleichzeitig sind ja die Inzidenzen nichts anderes als eine mathematische Folge, ein mathematisches Ergebnis der Positivtestung.
Es ist davon auszugehen, dass, wenn mehr getestet wird, auch mehr positive Tests zustande kommen werden. Halten Sie es vor dem Hintergrund für angemessen, dass auch in Zukunft die Bundesregierung ihre Entscheidungen vor allem auf die Inzidenzzahlen basiert und viele relevante Größen, zum Beispiel die Auslastung der Krankenhäuser oder die Krankheitsverläufe, beiseitegeschoben werden und eben nicht in erster Linie die entscheidende Rolle bei der Bewertung der Pandemie spielen? Je mehr getestet wird, umso mehr wird auch positiv getestet werden. Gehen Sie mit mir konform, dass dies dann auch zu einer Erhöhung der Inzidenzen führen wird?
Also, zuerst einmal – es sind ja zwei Teile – zu der Frage: Wenn Sie mehr testen, besteht erstens die Wahrscheinlichkeit, dass Sie eine gewisse Dunkelziffer von Menschen, die gar nicht wissen, dass sie sich angesteckt haben, die keine Symptome haben, damit natürlich entdecken. Das Zweite ist das Risiko von falsch positiven Ergebnissen. Natürlich: Umso mehr Sie bei Testungen in die Millionen gehen, desto mehr steigt auch beim besten Test ein gewisses Risiko. Deswegen empfehlen wir ja die PCR-Nachtestung, und idealerweise ist sie dann auch diejenige, die die Inzidenzwerte entsprechend bestimmt.
Zum Zweiten möchte ich einem deutlich widersprechen. Es dauert ja immer etwas, bis man zur Fragestunde wieder hier ist. Das letzte Mal, als ich zur Fragestunde hier war, haben Sie alle mich nachvollziehbarerweise zum R-Wert befragt. Wir hatten mal eine Phase der Debatte, da haben alle auf diesen Wert geschaut. Jetzt schauen alle auf den Inzidenzwert.
Ich halte wenig davon, nur auf einen Wert zu schauen.
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– Jetzt warten Sie doch mal. – Verschiedene Werte sind ein Indikator dafür, genauer hinzuschauen. Und der Bundestag hat mit nachvollziehbaren Gründen entschieden, dass die Inzidenz von 35 bzw. von 50 ein Indikator ist, insbesondere bei steigendem Infektionsgeschehen, genauer hinzuschauen, Maßnahmen zu ergreifen, zu schauen: Liegt es daran, dass bei Tönnies ein Ausbruch ist, oder daran, dass es ein diffuses Ausbruchsgeschehen gibt? – Das braucht ja jeweils andere Maßnahmen. Deswegen ist das immer ein Wert, der im Zusammenhang mit anderen Werten zu sehen ist.
Diese Pandemie lässt sich nicht auf eine Zahl reduzieren; aber die Zahl, die der Deutsche Bundestag im Infektionsschutzgesetz gewählt hat, ist ein wichtiger Indikator dafür, genauer hinzuschauen und Maßnahmen abzuleiten.
Danke sehr. – Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die vorletzte Nachfrage.
Herr Minister, ich möchte noch mal auf die Frage der Selbsttests zurückkommen. Sie haben gerade sehr viele Vorbehalte und noch zu prüfende Sachverhalte in den Raum gestellt. Mir ist nicht so richtig deutlich geworden, welche Rolle Sie den Selbsttests in der Infektionsbekämpfung zukommen lassen wollen, wie Sie sie gezielt zum Beispiel für den breiten Gebrauch in Kitas, in Schulen usw. einsetzen wollen und wie Sie Familien und andere dabei unterstützen wollen, diese dann auch für mehr Sicherheit einzusetzen. Können Sie uns dazu noch mal einige Hinweise geben, weil das ja auch bedeuten würde, dass Sie sicherstellen, dass diese Tests dann in ausreichender Breite und Masse zur Verfügung stehen, aber auch eine gute Auswertung dieser Tests gewährleistet ist?
Zuerst einmal zu der Frage: Konzeptionell – das habe ich ja eingangs gesagt – sind die Schnelltests aus meiner Sicht insbesondere etwas, was Sicherheit im Alltag gibt, in bestimmten Situationen, wo auch das Testen durch Dritte Sinn macht, durch geschultes Personal etwa in Pflegeeinrichtungen, wo vor allem aber auch der Nachweis über die Testung und das Testergebnis wichtig ist, etwa beim Reisen oder in anderen Zusammenhängen, und der Selbsttest helfen kann, konkrete Situationen mit zusätzlicher Sicherheit zu versehen. Es ist übrigens sehr wichtig, nicht alle anderen Maßnahmen bei einem Negativtest fallen zu lassen oder nicht mehr zu beachten. Das gibt zusätzliche Sicherheit für konkrete Situationen: Das kann die private konkrete Situation sein, wenn man anderen begegnet, oder können in der Perspektive möglicherweise sein: Veranstaltungen, Konzerte oder anderes mehr, mit Raum- und Hygienekonzept und zusätzlich mit den Tests.
Was die Frage der Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit angeht: Das ist der Unterschied zu Impfstoffen. Selbsttests sind sehr viel leichter skalierbar. Es sind am Ende relativ kleine und, wenn die Technik einmal da ist, sehr schnell in großer Stückzahl herstellbare Gerätschaften, diese kleinen Dinger. Das, was wir zwischen November und Januar oder Februar bei den Schnelltests gesehen haben, nämlich dass aus Mangel eher Überfluss mit deutlich mehr Angebot als Nachfrage geworden ist, werden wir auch bei den Selbsttests sehen; da bin ich sehr sicher. Da funktioniert Marktwirtschaft, weil sie etwas anderes sind als Impfstoffe.
Danke sehr. – Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt der Kollege Paul Viktor Podolay, AfD.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesgesundheitsminister, mit den von Ihnen geforderten Schnelltests werden die Inzidenzen in die Höhe schnellen. Das bedeutet, dass die willkürlich festgelegten Inzidenzschwellen, um Lockerungen zuzulassen, faktisch nie erreicht werden. Müssen die Inzidenzen nicht wieder aus dem Infektionsschutzgesetz gestrichen werden, wenn man so umfangreich testen will?
Zuerst einmal, Herr Kollege Podolay, beruhen die Werte 35 und 50 einfach auch auf einer Erfahrungsevidenz, weil wir gesehen haben – das haben wir ja alle miteinander leidvoll erlebt –, dass, wenn Sie einmal im Infektionsgeschehen von unten kommend diese beiden Werte sozusagen nach oben durchbrechen, anschließend schwer noch ein Halten ist und Sie innerhalb kurzer Zeit bei 100, teilweise 200 oder 300 sind. Deswegen ist aus meiner Sicht auch mit dem Erfahrungswissen aus der Zeit des Herbstes heraus es bei dynamischer werdendem Infektionsgeschehen sehr angezeigt, tatsächlich eher früher, dafür aber idealerweise kürzer, weil man die Werte schneller wieder runterbekommt, Maßnahmen zu ergreifen, idealerweise je nach Infektionsgeschehen regional abgestimmt.
Die Frage, wie Positivtests bei Schnell- und Selbsttests in die Inzidenz eingehen, habe ich gerade dem Kollegen schon beantwortet. Aus meiner Sicht ist der entscheidende Parameter – wir müssen dann aber auch sicherstellen, dass das regelhaft passiert, vor allem auch bei den Schnelltests – die PCR-Nachfolgetestung, um insbesondere falsch positive Tests auszuschließen.
Danke sehr. – Uwe Witt, AfD, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie hatten in den letzten zwölf Monaten ausreichend Gelegenheit, ein System zu entwickeln, das nicht nur dem Gesundheitsschutz der Bürger Rechnung trägt, sondern auch dem lokalen Einzelhandel, der Gastronomie und der Hotellerie die Möglichkeit lässt, wieder zu öffnen. Meine Vorredner von der FDP und auch der Kollege von der AfD gerade haben den Inzidenzwert schon mal angesprochen. Wir wissen alle, dass neue Virenstämme und Mutationen dazu führen können, dass der RKI-Wert einen gewissen Grundlevel nie verlassen wird. Deswegen meine Frage an Sie: Welches Konzept haben Sie in den letzten zwölf Monaten entwickelt, das es ermöglicht, sowohl Gesundheitsschutz wie auch den Weiterbetrieb von Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie zu gewährleisten, und welche Rolle spielt dabei der digitale Impfpass?
Herr Präsident, das ist immer die Herausforderung, so viele Themen auf einmal in einer Minute zu behandeln; aber ich versuche es zielgerichtet.
Zuerst einmal haben wir ja miteinander in den letzten zwölf Monaten die Konzepte mit jedem neuen Wissen, jedem zusätzlichen Instrument und jetzt mit Selbsttests weiterentwickelt. Zum Beispiel haben wir mit den seit Herbst in ausreichender Qualität verfügbaren Schnelltests ein zusätzliches Instrument gehabt. Die klassischen Maßnahmen Abstand, Hygiene, medizinische Schutzmasken sind insbesondere auch mit Blick auf die Mutationen weiterhin etwas, was einen großen Beitrag leistet. Wir haben ja miteinander schon Zeiten von niedriger Inzidenz mit Schutzkonzepten gehabt, die es möglich gemacht haben, die Zahlen über einen längeren Zeitraum niedrig zu halten. Die Erfahrung haben wir ja schon gemeinsam gemacht. Die Frage ist doch, ob wir uns gemeinsam zutrauen, da wieder hinzukommen, und mit welchen Instrumenten das gut gelingen kann. Genau darum ringen wir ja miteinander.
Ich sage noch einmal: Wir ringen da miteinander in dem Wissen, dass alles, was wir tun, immer auch Folgen in anderen Bereichen hat. Es gibt hier keine absolute Wahrheit. Es gibt ja auch keine Absolutheiten generell. Aus meiner Sicht ist das Entscheidende – und das ist unsere Aufgabe –, in politischer Verantwortung zwischen den Folgen abzuwägen, die eine Maßnahme oder Nichtmaßnahme jeweils hat. Aus meiner Sicht ist jedenfalls aber der Gesundheitsschutz dabei besonders stark zu gewichten.
Danke sehr. – Nachfrage, Herr Kollege?
Natürlich haben Sie meine Frage zum digitalen Impfpass nicht beantwortet. Aber dahin gehend ergibt sich eine weitere Frage. Bitte kommen Sie zunächst noch einmal kurz auf den digitalen Impfpass zurück.
Mich erreichen vermehrt Bürgeranfragen von Arbeitnehmern, die sich von ihren Arbeitgebern unter Druck gesetzt fühlen, sich zwangsimpfen zu lassen. Jetzt wissen wir ja: Wir haben rechtlich die Situation, dass das nur bei Masern zulässig ist. Beabsichtigen Sie, eine Zwangsimpfung für gewisse Berufsgruppen auch bei Covid-19 einzuführen? – Danke schön.
Zum digitalen Impfnachweis. Es ist tatsächlich so, dass wir ergänzend zum analogen Impfnachweis einen digitalen einführen wollen – einen vorübergehenden, muss ich gleich dazusagen. Warum vorübergehend? Weil der Deutsche Bundestag beschlossen hat, dass am 1. Januar 2022 – ein Jahr früher wäre, im Nachhinein betrachtet, besser gewesen, aber es hat eben mit den Abfolgen zu tun: elektronische Patientenakte, gematik, die das macht – der digitale Impfnachweis für alle Impfungen und für alle Bürger verfügbar kommt. Dann braucht man nicht mehr das gelbe Heftchen zu haben, wenn man nicht mehr will. Da wir aber natürlich das jetzt früher verfügbar machen wollen und auch der Europäische Rat einen entsprechenden Entschluss gefasst hat, dass das europäisch, mit gemeinsamen Schnittstellen und Standards, entwickelt werden soll, werden wir jetzt eben zusätzlich zum analogen Papier einen digitalen Impfnachweis entwickeln. Die Frage, was daraus folgt, erfordert eine eigene Debatte, die bei einem solchen Nachweis im Deutschen Bundestag ohne Zweifel zu führen ist.
Ihre zweite Frage beantworte ich mit Nein.
Fabio De Masi hat eine Nachfrage.
Danke. – Herr Minister, ist es zutreffend, dass Sie in Ihrer Kommunikation mit Frau Tandler, der Tochter des früheren CSU-Generalsekretärs Gerold Tandler, Angebote für Masken von der Schweizer Firma Emix Trading erhalten und Sie für diese Angebote gegenüber Frau Tandler eigenständig, also auch persönlich, eine Zusage erteilt haben?
Herr Kollege De Masi, Sie haben ja dazu schon schriftliche Nachfragen gestellt, wenn mich nicht alles täuscht, die wir auch entsprechend beantwortet haben; auf die kann ich verweisen. Ich will Ihnen und uns allen gemeinsam nur noch mal die Situation letztes Frühjahr in Erinnerung rufen.
Es gibt wahrscheinlich keine Fraktion hier im Deutschen Bundestag, aus der mir in der damaligen Phase nicht Abgeordnete Angebote von Maskenhändlern und ‑anbietern mit dem Hinweis zugesandt haben, ich solle den doch bitte mal kontaktieren. – Sie nicht, aber viele taten es. – Nicht nur von hier, aus dem ganzen Land habe ich diese Hinweise bekommen. Natürlich habe ich in der damaligen Phase dann auch Kontakt aufgenommen.
Ich würde sagen, ich hätte in der damaligen Not mein Amt nicht richtig ausgeführt, wenn ich mich nicht auch persönlich darum gekümmert hätte, dass wir Abhilfe schaffen für eine sehr missliche Situation für Pflegekräfte, die für uns gegen dieses Virus kämpfen und die Schutz brauchen. Natürlich bin ich, wenn Kontakte und Hinweise kamen, wo Masken verfügbar sein könnten, dann eben auch entsprechend diesen Hinweisen nachgegangen und habe mich darum bemüht, Masken für Pflegekräfte zu besorgen. Das stimmt.
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Danke sehr. – Dr. Schinnenburg, FDP, stellt eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben ja jetzt mehrfach gesagt, Sie würden nicht nur auf den Inzidenzwert abstellen, sondern auch auf verschiedene andere Werte. Die Realität ist ja eine andere. Ich habe hier den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 10. Februar dieses Jahres. Da wird ausschließlich auf den Inzidenzwert abgestellt. Damit begründen sie massivste Grundrechtseinschränkungen, nicht nur gegenüber Bürgern, auch gegenüber der Wirtschaft und Kultureinrichtungen.
Wir alle wissen – das hat ja der Kollege vorhin schon angedeutet –, dass der Inzidenzwert alleine nicht ausreicht. Wir müssen auch das Alter und die Vorerkrankungen der Infizierten berücksichtigen. Wir müssen berücksichtigen, wie viel getestet wurde. Wir müssen berücksichtigen, wie die Intensivstationen ausgelastet sind. Und wir müssen berücksichtigen, wie die Gesundheitsämter aufgestellt sind. Deshalb meine Frage: Wann kommt ein Beschluss, dass Sie nicht mehr nur auf die Inzidenz abstellen, sondern wenigstens die Inzidenz gewichten?
Ich finde übrigens auch noch einen Aspekt ganz wichtig, den wir berücksichtigen sollten: wie es uns allen gemeinsam dabei geht.
Unabhängig davon: Ich habe manchmal den Eindruck, wir führen diese Debatten so wie auf einer Intensivstation: Alle gucken nur auf die Werte auf dem Screen, aber keiner schaut so richtig, wie es dem Patienten dabei geht.
Deswegen ist es wichtig, miteinander immer das gesamte Bild zu sehen: die Werte und die Lage, wie sie ist. Das tun wir miteinander: Das tun wir hier im Deutschen Bundestag, das tun wir in der politischen und gesellschaftlichen Debatte, und das tun wir natürlich auch in den Diskussionen mit den Bundesländern. Ich habe gerade schon darauf hingewiesen, dass die Inzidenz ein sehr guter – kein abschließender, aber ein sehr guter – Indikator ist für das Infektionsgeschehen und für das, was darauf folgt.
Weil gerade die Intensivstationen angesprochen wurden: Einer Politik werde ich mich nicht anschließen: dass wir immer erst warten, bis die Intensivstationen richtig voll sind, bevor wir Maßnahmen ergreifen. Das ist nicht mein Ansatz zur Verminderung von Leid. Da haben wir im Zweifel eine unterschiedliche Auffassung.
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Danke sehr. – Stephan Brandner, AfD, hat eine Nachfrage.
Danke schön. – Ich greife die Frage des Kollegen Witt auf, was die Impfpflicht angeht. Sie haben – ich kann mich an die Rede erinnern – hier am Rednerpult schon ausgeschlossen, dass es mit Ihnen – wie es Ihr Nachfolger sieht, weiß ich nicht – eine Impfpflicht geben wird. Sie haben auch hier gerade noch einmal verneint, dass es eine Impfpflicht geben wird.
Meine Frage geht einen Schritt weiter. Es gibt eine Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates – Resolution 2361 –, in der steht, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, dass niemand politisch, sozial oder auf andere Weise unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen. Das ist etwas anderes als eine gesetzlich verordnete Impfpflicht. Mir sind Äußerungen von Frau Lambrecht, der Justizministerin, von Herrn Maas, dem Außenminister, im Ohr – es gibt entsprechende Äußerungen von Alltours, einem Reiseveranstalter, von Eventim, einem Eintrittskartenverkäufer –, dass nur Geimpfte in den Genuss bestimmter Dienstleistungen kommen sollen. Die Resolution des Europarates geht ja dahin, dass der Staat aktiv verhindern soll, dass es zu Benachteiligungen von Nichtgeimpften kommt. Was haben Sie da in Planung? Haben Sie vor, irgendeine Regelung im AGG einzufügen? Wie sehen die Pläne der Bundesregierung da aus?
Nach meiner Einschätzung werden wir sehen, Herr Kollege Brandner, dass zwei Dinge sozusagen an vielen Stellen eine Rolle spielen; aber da sind wir noch nicht. Wir führen eine wichtige Debatte, aber die ist in der aktuellen Lage noch nicht angezeigt. Dafür muss erstens natürlich die Zahl der Impfungen, der Impfangebote steigen, und wir müssen insgesamt in eine andere Situation kommen. Aber dass die Frage, ob man frisch negativ getestet oder geimpft ist, in bestimmten Bereichen – in manchen Ländern übrigens schon bei der Einreise – mit entsprechenden Folgen verbunden sein wird, ist absehbar.
Zum Zweiten – jetzt haben Sie im Zweifel noch mehr juristisches Hintergrundwissen als ich –
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ist es auch so, dass es einen Unterschied macht, ob es um den Privatbereich geht, also ob Sie jemanden zu sich nach Hause einladen und sagen: „Zu meinem Abendessen dürfen nur Geimpfte kommen“, oder ob es um staatliche Daseinsvorsorge geht. Es kann und wird – das schließe ich aus – in Krankenhäusern, im öffentlichen Personennahverkehr, in all diesen Bereichen, keinen Unterschied geben. Der Privatbereich ist davon natürlich zu unterscheiden, und unbedingt davon zu unterscheiden ist die Frage einer staatlichen Verpflichtung zur Impfung, die ich tatsächlich für diese Pandemie ausschließe.
Danke. – Die Kollegin Kappert-Gonther stellt die letzte Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gerade betont, wie wichtig valide Informationen sind. Wir wissen ja, dass wir besonders gut durch diese Pandemie kommen können, wenn die Bevölkerung möglichst gut informiert und aufgeklärt ist. Deshalb meine Frage: Wie werden Sie sicherstellen, dass sich die Aufklärung der Bevölkerung auch über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zukünftig verstärkt und verbessert, und was halten Sie in diesem Zusammenhang von einem Format „Gesundheit vor acht“ statt „Börse vor acht“?
Um Ihren letzten Punkt aufzugreifen, Frau Kollegin: Ich kann ein solches Format, ein solches Angebot nur gut finden.
Ich muss aber auch sagen – das zeigen übrigens auch die Befragungen, die wir sehen, die COSMO-Studie und andere mehr –, dass das Informationsangebot, das insbesondere in den Medien gemacht wird, von vielen Bürgerinnen und Bürgern sehr wertgeschätzt wird. Hinzu tritt das Informationsangebot, das wir seitens der Bundesregierung, des Bundesministeriums für Gesundheit, machen, und zwar über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, aber auch aus dem Ministerium heraus. Die Plattform dafür ist zusammengegencorona.de, die dann bei allen anderen Maßnahmen – ob es um Impfen, Testen, Schutzmaßnahmen oder um Informationen in konkreten Lebenssituationen geht – als digitales Angebot Ableitungen möglich macht. Wir sind sehr aktiv bei Social Media, übrigens in viel mehr Bereichen, als Sie hier alle wahrnehmen, weil wir natürlich sehr zielgerichtet in verschiedenen Sprachen, in verschiedene Lebenswelten hinein entsprechende Informationen geben wollen. Dazu kommen natürlich die klassischen Informationen auf Papier, etwa durch Flyer oder Anzeigen. Wir wollen also das, was wir begonnen haben, jetzt auch in dieser Phase der Pandemie fortsetzen.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Kollege Matthias Miersch, SPD-Fraktion.
Herr Minister Spahn, ich will als zuständiger stellvertretender Fraktionsvorsitzender noch einmal den gesamten Bereich „Tourismus und Gastronomie“ ansprechen. Da liegen die Nerven blank; es geht um Existenzen. Auch die Beschäftigten, die ja nicht über hohe Löhne verfügen, sind massiv unter Druck. Ich bin der festen Überzeugung, dass durch die Tests, die Sie hier heute angesprochen haben, auch die Rechtsprechung sehr genau unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit überprüfen wird, ob bloße Schließungen eigentlich noch das richtige Konzept sind.
Ich frage Sie: Brauchen wir nicht jetzt, in den nächsten Wochen, eine nationale Kraftanstrengung, um mit dem Tourismus, mit den Verbänden eine Öffnungsstrategie unter Einbeziehung der Tests zu entwickeln, statt Aussagen, wie Ministerpräsident Kretschmer sie trifft? Arbeitet Ihr Haus unter Bezugnahme dieser Testmöglichkeiten an einer solchen Strategie?
Zuerst einmal, Herr Kollege Miersch, stimme ich Ihnen zu. Das ist ja das, was wir alle in vielen Gesprächen, Schilderungen und Rückmeldungen wahrnehmen: wie schwer und hart die Situation ist, gerade auch in wirtschaftlicher Existenznot. Da sind wir wieder bei der Frage – ob wir etwas entscheiden oder nicht entscheiden: es entsteht Schaden –, wie wir diesen Schaden, diesen wirtschaftlichen Schaden, aber auch die sozialen Härten, die entstehen, bestmöglich abfedern können; das ist der eine Teil. Der zweite Teil ist die Perspektive.
Aus meiner Sicht ist diese ganze Pandemie eine nationale Kraftanstrengung, in der wir gerade miteinander sind und die nach zwölf Monaten natürlich auch dazu führt – ich habe es gesagt –, dass wir alle ein Stück pandemiemüde sind. Die Nerven sind vielfach nachvollziehbar blankgescheuert, weil das jetzt eine lange, schwierige Zeit ist.
Deswegen ist es tatsächlich eine Aufgabe der ganzen Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern und den betroffenen Bereichen – es geht nicht nur um Tourismus, es geht eigentlich um alle Bereiche unseres Lebens – zu schauen, ob, wie und in welchem Umfang die Schnell- und Selbsttests – ich sage noch einmal, warum das erst jetzt ein Thema ist: weil sie deutlich verfügbarer sind als noch vor zwei oder vier Monaten – Bestandteil unserer Konzepte werden können. – Also, die kurze Antwort wäre: Ja.
Herr Kollege Miersch, eine Nachfrage?
Ich habe nach dem Beitrag Ihres Hauses gefragt – es geht darum, vor dem Hintergrund, wie viel Kapazitäten vorhanden sind, strategisch jetzt zu sehen, was man in die Wege leiten muss –, ob Sie jetzt konkret in den nächsten Tagen und Wochen mit den zuständigen Stellen an einer solchen Strategie arbeiten und wie diese aussehen kann.
Ich bin sehr dankbar dafür, welch umfangreiches Vermögen Sie meinem Ministerium zuschreiben. Aber natürlich können Strategien für den Tourismus, für die Wirtschaft, für den Arbeitsschutz, für Kitas am Ende nicht alle nur von einem Ministerium entwickelt werden, sondern wir machen das in enger Kooperation der Ministerien untereinander und dann auch gemeinsam mit den Ländern und den betroffenen Bereichen.
Insofern leisten wir natürlich einen Beitrag, übrigens vor allem auch einen fachlichen Beitrag, zu der Frage, was Tests leisten können und was nicht. Insbesondere im Gesundheitswesen leisten wir einen sehr aktiven Beitrag durch die Übernahme von Kosten für Präventivtestungen und Reihentestungen im Rahmen der Testverordnung. Ich sehe übrigens die Übernahme von Kosten bei Kitas und Schulen eher bei den Bundesländern; die jeweiligen Verantwortlichkeiten sind klar. Trotzdem geht es darum, gemeinsam die Dinge zu entwickeln.
Also: Ja, wir sind aktiv beteiligt. Wenn es eine nationale Kraftanstrengung ist, dann ist tatsächlich mehr als nur ein Ressort beteiligt.
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Herzlichen Dank. – Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Stefan Keuter, AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, ich möchte mit Ihnen einmal über Ihr Beschaffungsverhalten, also das Beschaffungsverhalten Ihres Hauses, reden. Das Open-House-Verfahren hat sich ja als große Katastrophe herausgestellt; es ist ein Millionen- oder gar Milliardengrab. Ich bin auch ziemlich sicher, dass das noch einen Untersuchungsausschuss nach sich ziehen wird.
Lassen Sie uns aber über die Beschaffung der Schnelltests reden. Wenn wir richtig informiert sind, lagen Ihnen Angebote vor, diese Schnelltests für circa 3 Euro zu beschaffen. Letztendlich sind sie unbestätigten Berichten zufolge – vielleicht können Sie das erhellen – für 6 oder über 6 Euro beschafft worden. Die Frage ist: Stimmt das? Was haben Sie für diese Tests bezahlt? Wann werden diese Tests eingesetzt? Und vor allen Dingen: Welche Strategie folgt letztendlich daraus? Denn wenn ich teste, muss ich irgendwann auch wieder öffnen, das heißt der Bevölkerung ihre Rechte, ihre Grundrechte zurückgeben. Das sehen wir im Moment nicht, und wir glauben auch, dass die Kanzlerin Ihre Entscheidung zu den Selbsttestungen zurückgezogen hat oder dazwischengegrätscht ist, weil sie halt nicht öffnen möchte. Aber Sie sagten selbst: Das Volk ist pandemiemüde, und wir müssen zu einer Normalität zurück.
Sie haben den zweiten Teil zu „müde“ weggelassen: Das Virus ist noch nicht müde; deswegen müssen wir weiterhin aufeinander aufpassen. – Wenn Sie mich zitieren, finde ich es schon wichtig, diesen Teil mit zu zitieren.
Unabhängig davon weiß ich jetzt ehrlicherweise nicht – deswegen schaue ich gerade so nachdenkend –, von welcher Beschaffung von Tests Sie reden. Tatsächlich hat der Bund Schnell- und Selbsttests nicht selbst beschafft, sondern wir haben Rahmenverträge geschlossen, die besagen, dass die Konzerne, die Unternehmen – es sind zum Teil große, internationale Konzerne, zum Teil mittelständische Unternehmen – bestimmte Mengen mindestens dem deutschen Markt zur Verfügung stellen und, falls sie die auf dem deutschen Markt nicht absetzen können, wir dann einspringen.
Warum machen wir das? Weil bei der Frage, welches Land man als Unternehmen in der Planung mit welcher Menge berücksichtigt, ein Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland als Absicherung sehr hilft. Die letzten drei Monate haben gezeigt, dass eine ausreichende Menge zur Verfügung steht. Bisher ist das noch nicht schlagend geworden, wie man sagen würde; bis jetzt sind alle Tests immer vollumfänglich im Markt gekauft und keine Tests derart beschafft worden. Deswegen müssen Sie mir im Zweifel die Information noch nachliefern, auf die Sie anspielen.
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– Daran habe ich keinen Zweifel.
Vielen Dank, Herr Minister. – Die letzte Nachfrage in der Regierungsbefragung hat der Kollege Grigorios Aggelidis, FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben viel über die Konzepte, die Ihr Haus erstellt, gesprochen. Ich frage Sie ganz direkt: Wenn Sie, wie angekündigt, bis zum Sommer allen Bürgern ein Impfangebot in Aussicht stellen wollen, was ist dann mit Familien mit Kindern und Jugendlichen? Denn noch ist kein Impfangebot für Kinder in Sicht. Seit Inkrafttreten der ersten Einschränkungen haben gerade die Familien mit Kindern und Jugendlichen besonders zu leiden. Deswegen ganz gezielt die Frage: Was plant die Bundesregierung und vor allem Ihr Haus, um zu verhindern, dass Familien nicht nur am härtesten, sondern auch am längsten unter den Einschränkungen zu leiden haben, gerade mit Blick darauf, dass es aufgrund des Impffortschritts durchaus Öffnungen, gerade auch im privaten oder privatrechtlichen Bereich, für Geimpfte geben kann und mit Sicherheit auch geben wird?
Herr Kollege, zuerst einmal haben wir gesagt: Bis zum Ende des Sommers und im Sommer soll dieses Impfangebot für alle Erwachsenen gemacht werden können. Stand jetzt und aufgrund der zugesagten Lieferungen und erwartbaren Zulassungen wird das auch gelingen.
Sie haben recht: Es gibt im Moment noch keine für Kinder und Jugendliche zugelassenen Impfstoffe. Das ist aber etwas, wo ich wirklich auf Studienergebnisse warten möchte. Ich sage noch einmal: Impfungen werden gesunden Menschen verabreicht, und Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das wissen wir aus der Medikamentenforschung und der Impfstoffforschung. Das heißt, es braucht Studien über die richtige Dosis, über das, was der Impfstoff in einem Körper im Wachstum macht oder nicht macht. Deswegen müssen Studienergebnisse vorliegen, bevor wir für Kinder und Jugendliche Impfungen möglich machen können. Ich weiß, dass fast alle Hersteller solche Studien gerade durchführen. Einige sind optimistisch, was baldige Ergebnisse angeht; aber sicher sagen kann man es eben erst, wenn die Ergebnisse vorliegen.
Wie kann man Kinder und Jugendliche trotzdem schützen? Indem man ihr Umfeld intensiv impft und schützt; das ist schon einmal ein wichtiger Schutz, denn wir sehen ermutigenderweise erste Evidenz dafür, dass eine Impfung dazu führt, dass man weniger infektiös für andere ist. Das finde ich sehr ermutigend, weil das lange infrage stand. Wir wussten sicher: Es schützt wirksam vor einem schwersten und schweren Krankheitsverlauf. Wir wussten nicht, ob es auch Infektiosität vermindert. Die Daten, die wir sehen, etwa aus Schottland, aus Israel, aus anderen Studien, zeigen – für AstraZeneca wie für BioNTech – eine Evidenz dafür, dass das passiert. Also: Wir schützen Kinder und Jugendliche, solange wir sie nicht selbst impfen können, vor allem dadurch, dass wir ihr Umfeld impfen und weiterhin gut auf sie aufpassen.
Vielen Dank, Herr Minister. – Damit beende ich die Befragung und danke Ihnen, Herr Bundesminister Spahn, für Ihr Stehvermögen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Was war das für ein Tamtam! Ich rede jetzt gar nicht von gestern, sondern von September 2018, als die Bundeskanzlerin mit großen Worten zum Wohngipfel eingeladen hat. Der Minister wurde nicht müde, zu betonen, Wohnen sei die neue soziale Frage, und es sollte dann auch ein Signal, ein Zeichen von diesem Wohngipfel ausgehen: Die Bundesregierung nimmt die Sorgen der Menschen ernst. Man bemüht sich um das Senken der Wohnkosten. Man geht das Problem der steigenden Mieten an. – Da wurden große Erwartungen geweckt, und man hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt.
Jetzt, zweieinhalb Jahre danach, können wir draufschauen und Bilanz ziehen: Haben Sie Ihre eigenen Ziele erreicht? Geht es den Menschen beim Wohnen und Mieten und im Eigentum besser als vorher? – Da ist die Antwort ganz klar: Nein, die Bundesregierung hat die Ziele des Wohngipfels nicht erreicht. Die Wohnraumoffensive ist gescheitert.
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Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, wir können die Zahlen auf den Tisch legen: 1,5 Millionen Wohnungen sollten gebaut werden; es kursiert die Zahl, dass 1,9 Millionen Wohnungen gebraucht werden. Wurden 1,5 Millionen Wohnungen gebaut? Nein, wurden sie nicht. Sie werden gleich wahrscheinlich sagen: Es wurden ja ausreichend Wohnungen geplant und genehmigt. – Aber kann man in eine geplante Wohnung einziehen? Nein, kann man nicht. Mehr Menschen sollten den Sprung ins Wohneigentum schaffen. Wurde das erreicht? Nein. Zum ersten Mal seit 1993 sinkt die eh schon niedrige Wohneigentumsquote in Deutschland noch weiter.
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Gebäude sollten klimafreundlicher werden. Wurde das erreicht? Nein. Sind die Mieten gesunken? Haben die Bürger das Gefühl, sie werden entlastet? Nein. Also kann man nur zu dem Schluss kommen: Die Bilanz ist verheerend. Anstatt sich das einzugestehen und die Baubremsen endlich zu lösen, passiert genau das Gegenteil: neue Regulierung, Umwandlungsverbote, neue Baubürokratie, staatliche Preisregulierung.
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Wie oft muss es noch gesagt werden? Man kann den Mangel nicht verwalten. Man muss den Mangel beheben. Mieten steigen, weil Wohnungen fehlen. Wohnen ist teuer, weil Baukosten und Baulandpreise steigen. Darum ist die einzige Antwort auf das Problem der Bürger beim Mieten und Wohnen: Mehr bauen, schneller bauen, günstiger bauen und den ländlichen Raum nicht ausbluten lassen.
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Wir als Freie Demokraten haben oft genug Vorschläge dafür vorgelegt, wie das funktionieren kann.
Als wäre die Bilanz nicht schon schlecht genug, kommt jetzt die SPD, die von einem bundesweiten Mietenstopp fabuliert. Liebe Genossen, man muss da nicht mal nach Venezuela schauen. Sie können hier aus dem Fenster auf unsere Hauptstadt schauen. Da können Sie in Realtime zusehen, wie die staatliche Preisregulierung den gesamten Wohnungsmarkt kaputt macht.
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Vor einem Jahr hat die rot-rot-grüne Regierung in Berlin das größte sozialistische Experiment seit Ende der DDR gestartet und die Mietpreise staatlich reguliert.
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Die Linke feiert sich dafür.
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Und was ist passiert? Das Angebot an freien Mietwohnungen – hören Sie mal zu! – ist drastisch eingebrochen. In diesem Jahr, ein Jahr nach Einführung des Mietendeckels, ist es in Berlin fast doppelt so schwer, eine Wohnung zu finden, wie vor einem Jahr.
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Deswegen werden wir Freien Demokraten dagegen klagen. Wir klagen gegen den Mietendeckel, weil er verfassungswidrig ist, weil er den Neubau behindert und weil er den Mieterinnen und Mietern schadet. Der Mietendeckel muss weg!
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- „Keine Ahnung“ ist natürlich ein sehr schwaches Argument beim eigenen Versagen. Aber sei’s drum!
({9})
Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass wir die Mieten nicht in den Griff bekommen: Wir müssen auch mehr Menschen den Weg in die eigenen vier Wände ebnen. Fast überall in Deutschland ist Wohnen im Eigentum günstiger als Mieten. Wohneigentum ist der beste Schutz vor Altersarmut – über die Generation hinaus.
({10})
Wohneigentum macht die Vermögensverteilung in der Gesellschaft übrigens auch gerechter. Das ist den Linken völlig egal.
({11})
Und vor allem: Wohneigentum ist der Traum vieler Menschen. Es ist schwer genug, sich diesen Traum zu erfüllen; aber wir Freien Demokraten wollen das ermöglichen. Wir müssen aus Deutschland eine Eigentümernation machen. So, wie Sie das hier zementieren, geht es nicht weiter.
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Mit Blick auf die Eigentumsquote kann man nur feststellen, dass Ihr sehr, sehr teures Baukindergeld einfach ein Rohrkrepierer war.
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Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen, bitte.
({0})
Profitiert haben vor allem diejenigen, Frau Kollegin Zeulner, die eh gebaut hätten. Ich gönne wirklich jedem Menschen das vom Staat geschenkte Geld; Sie nehmen ihnen ja eh mehr als genug weg.
Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen. Wir haben eine Aktuelle Stunde mit Fünf-Minuten-Beiträgen von jedem Redner.
Das ist mir bewusst. Ich bin bei minus 17 Sekunden. Noch einen Abschlusssatz; dann bin ich bei minus 22 Sekunden.
({0})
Das Baukindergeld war teuer. Es hat nicht mehr Menschen ins Wohneigentum gebracht. Die Menschen erwarten mehr Wohnraum. Sie erwarten günstige Wohnkosten. Sie wollen ins Eigentum, und wir müssen diese Erwartungen erfüllen.
Herr Kollege!
Vielen Dank.
Ich entziehe Ihnen das Wort, Herr Kollege Föst.
({0})
Ich darf wirklich darauf hinweisen, dass die Aktuelle Stunde nach der Geschäftsordnung besonders strenge Regeln hat, sodass es weder Überziehungen noch Zwischenfragen noch sonstige Dinge gibt. Daran sollten wir uns vielleicht alle halten.
({1})
– Ich bin im Gegensatz zu Ihnen der Geschäftsordnung verbunden; deshalb schreite ich hier auch ein.
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Als nächster Redner hat der Herr Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, für die Bundesregierung das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor zweieinhalb Jahren hat der Wohngipfel, bestehend aus Bundesländern, Kommunen, Verbänden, dem Mieterschutz usw., das größte Wohnungsbauprogramm auf den Weg gebracht, das es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jemals gab, und der Erfolg dieses Wohngipfels, den ich gleich im Detail darstellen werde, lieber Herr Föst, lässt sich durch keine Manipulation von Zahlen wegdiskutieren. Das ist ein großer Erfolg.
({0})
Im Gegensatz zu dem, was Sie gemacht haben, sage ich Ihnen jetzt mal, was Tatsache ist – die Frau Göring-Eckardt sollte auch zuhören –:
Erste Wahrheit. Wir haben für den sozialen Wohnungsbau in dieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro ausgegeben.
({1})
Das ist der höchste Betrag, der jemals für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben wurde.
Zweite Wahrheit – zu Ihrem Eigentumsthema –: 6,5 Milliarden Euro für das Baukindergeld und über 1 Million betroffene Familien und Familienangehörige, das gab es noch nie, und das ist die größte Eigentumsbildung für Familien, die es je gab.
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Dritte Wahrheit. Wir haben die Sonder-AfA auf einen Stand erhöht, den es seit Jahren nicht mehr gab. Dabei geht es um den frei finanzierten Wohnungsbau, also um Menschen, die ihr Kapital ohne direkte staatliche Förderung in den Wohnungsbau investieren wollen. Auch das gab es lange Zeit nicht mehr.
Sie haben dann auch das Klima erwähnt. Hier bin ich jetzt besonders berührt, weil ich die ganzen ergebnislosen Anläufe zur energetischen Gebäudesanierung kenne. Wir haben sie jetzt durchgesetzt – auch mit der steuerlichen Absetzbarkeit. Das ist ein Riesenbeitrag zum Klimaschutz in der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Nachdem Sie vom Mieterschutz gesprochen haben: Alle Maßnahmen von uns sind auf der Plattform „soziale Marktwirtschaft“ dargestellt. Es geht darum, auf der einen Seite die Investitionen zu fördern und anzureizen, auf der anderen Seite aber auch darum, die Mieter sozial zu schützen, ohne in eine Planwirtschaft abzudriften.
Wir haben das Wohngeld für die Einkommensschwächeren in dieser Legislaturperiode zweimal erhöht. Das gab es noch nie.
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Früher lagen zwischen den Erhöhungen des Wohngeldes immer Jahre, und es wurde nach Kassenlage darüber entschieden.
Daneben haben wir etwas entschieden, was es auch noch nie gab – ich bin gerade beim Thema „Was gab es noch nie?“; alles, was wir in dieser Großen Koalition gemacht haben, das gab es noch nie –:
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Wir haben ins Gesetz geschrieben, dass das Wohngeld nicht nach Kassenlage erhöht, sondern dynamisiert wird: Es wird automatisch alle zwei Jahre an die gestiegenen Kosten angepasst.
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Übrigens, zum Baukindergeld, damit Sie wissen, wen wir da bedacht haben – das wissen wir aus den Anträgen –: Das sind Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen von bis zu 45 000 Euro. Das heißt, wir haben nicht die Bezieher von großen Einkommen, sondern die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen gefördert. Und genau das war unser Ziel: dass auch kleine und mittlere Einkommen in Deutschland Wohneigentum bilden können.
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So viel zum Baukindergeld.
Dann haben wir das soziale Mietrecht weiterentwickelt, und zwar, wie ich finde, in einer sehr verantwortlichen Form, mit einer Mietpreisbremse, die für München genauso wichtig ist wie für Berlin. Wenn Sie jemals für ein Bundesland zuständig waren – wie ich zehn Jahre lang –,
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dann wissen Sie, welche Nöte bei der Miete in Hochpreisgebieten zum Beispiel für Polizeibeamte durchaus entstehen. Drei Polizeibeamte müssen dann zusammen ein Zimmer mieten, damit sie überhaupt die Mietkosten ihrer Unterbringung während der Woche finanzieren können; am Wochenende fahren sie wieder 500 Kilometer zurück in ihre Heimat.
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Dann zu der Zahl der Wohnungen. Was da manipuliert und verdreht wird, ist ungeheuerlich, aber anscheinend unvermeidlich. Trotzdem sage ich noch mal: Die Bauwirtschaft brummt. Die Bauwirtschaft hat auch im Pandemiejahr 2020 gebrummt. Sie hatte längst nicht die Schwierigkeiten wie viele andere Wirtschaftsbereiche. Die Bauwirtschaft hat in diesem letzten Jahr, 2020, ganz wesentlich in positiver Hinsicht zu unserem Sozialprodukt in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen. Da haben wir keine Kurzarbeit, da haben wir Vollbeschäftigung.
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Eher ist die Schwierigkeit: Haben wir genug Fachkräfte? – All das haben wir übrigens auch mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz beantwortet.
Jetzt sage ich Ihnen: Im Jahre 2020 sind 300 000 Wohnungen nicht geplant, sondern, Herr Föst, fertiggestellt worden – das ist der höchste Wert seit 20 Jahren –, im Jahr vorher waren es 290 000, im Jahr davor – das war im Jahr des Antritts dieser Regierung – etwa 260 000. Wir werden, nach der KfW zu urteilen, im laufenden Jahr noch mal eine Rekordzahl erreichen. Es geht von Jahr zu Jahr nach oben. Und jetzt können Sie doch nicht wegdiskutieren, dass wir neben diesen 100 000er-Zahlen 770 000 genehmigte Wohnungen haben. Die werden ja nur genehmigt, wenn der Bauherr oder die Bauherrin auch einen Grund und Boden hat. Und wenn diese Bauvorhaben jetzt, 2021 oder 2022, nur zur Hälfte realisiert werden, dann haben wir die Grenze von 1,5 Millionen Wohnungen schon überschritten. So ist die Realität.
({11})
Wir haben keine leeren Versprechungen gemacht; wir orientieren uns genau an der Realität. In vielen Ballungsräumen ist auch der Anstieg der Mieten gebremst und gedämpft. Das ist unsere Bilanz – vom sozialen Wohnungsbau über das Baukindergeld, die Sonder-AfA, die energetische Gebäudesanierung, das Wohngeld und das soziale Mietrecht bis hin zu einer brummenden Bauwirtschaft mit vielen neuen Wohnungen, die den Menschen helfen. Und das können Sie jetzt drehen und wenden, wie Sie wollen.
Ich komme zurück zu meinen Erfahrungen mit der FDP in Bayern. Ich habe als Ministerpräsident in Bayern fünf Jahre lang mit der FDP regiert.
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Ich habe den führenden Leuten in der FDP – die Staatssekretärin, die hier anwesend ist, war dabei – immer gesagt, als wir ähnliche Diskussionen hatten, wie wir sie heute führen – ich habe es Ihnen auch schon mal unter vier Augen gesagt –: Wenn ihr einfach so weitermacht und mit Bezug auf ein paar Immobilienfunktionäre,
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die ich schätze, die wichtig sind,
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eine Politik betreibt, ohne Rücksicht auf die Mieter – also 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung – zu nehmen, die oft die Hälfte ihres Einkommens aufwenden müssen, um die Miete zu bestreiten, wenn ihr einen so großen Teil der Bevölkerung ausgrenzt, dann werdet ihr in Bayern nicht mehr im Landtag sein. – Man hat dann immer gesagt: „Ach, der ist Sozialist“ und: „Der ist der letzte Sozialdemokrat“, alles Mögliche. Aber es kam so.
Herr Föst, ich gebe Ihnen einen freundschaftlichen Rat:
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Auch eine Klientelpartei kann auf Dauer nicht bestehen,
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wenn sie neben den Wirtschaftsinteressen nicht die zweite Säule einer sozialen Marktwirtschaft mitberücksichtigt, nämlich die soziale Verantwortung.
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Ich bin mit diesem Punkt unserer Politik sehr, sehr zufrieden.
Ich danke.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Detlev Spangenberg, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein sehr wichtiges Thema, das die FDP hier in die Debatte einbringt. Da ist zu sagen: Die individuelle Freiheit, Wohneigentum anzuschaffen, ist subjektiv und in einer freien Gesellschaft überhaupt nicht zu hinterfragen. Die psychologische und tatsächliche Sicherheit im Alter durch Wohneigentum ist nicht zu unterschätzen. Das ist ein wichtiger Baustein innerhalb unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren.
Es wurde schon angedeutet: Beim Wohneigentum sind wir fast das Schlusslicht in Europa; hinter uns kommt nur noch die Schweiz. Bei uns wohnen 51,1 Prozent der Menschen im Eigenheim, im Vergleich dazu haben in Rumänien 95,8 Prozent Wohneigentum. Da müssen Sie mal in die Statistik gucken. So ist das. Wir sind also fast Schlusslicht in Europa. Da kann ich auch noch erwähnen, dass hier Sachsen das Schlusslicht unter den Flächenländern in Deutschland ist.
Meine Damen und Herren, Wohneigentum ist ja auch ein Spiegelbild der Ideologie in der Gesellschaft. Die berühmte Neiddebatte wird hier von einigen gerade auch beim Thema Wohneigentum aufgemacht. Was das ideologische Verhindern der Bildung von Wohneigentum angeht, sitzen hier zahlreiche Zeitzeugen einer bestimmten Partei. Sie haben miterlebt, was so alles passiert ist und wie der Wohnungsmarkt aussah, als es kein Wohneigentum gab, meine Damen und Herren.
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Die DDR hat es uns vorgemacht. Wir hatten damals Bleileitungen, kaputte Abwasserrohre, kaputte Fenster und mit 6 Ampere abgesicherte Aluminiumleitungen. Das war ganz toll. Wer das miterlebt hat, der weiß, was passiert, wenn der Staat in diesem Bereich allein tätig wird.
Meine Damen und Herren, die Grünen kommen jetzt auch zu Wort. Herr Habeck wird zitiert: „Verbote sind die Bedingung für Freiheit“.
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Ganz toll! Ich bin dankbar für die Formulierung. Damit wissen wir endlich mal wirklich genau, wo diese Leute stehen. Ich hoffe, dass einige Wähler wirklich mal überlegen, was das für eine Partei ist.
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Herr Hofreiter möchte ja nun, dass gar keine Einfamilienhäuser mehr gebaut werden. Er will in die Höhe bauen, weil wir ja so wenig Platz haben. Ja, warum haben wir denn so wenig Platz? Weil einige hier in diesem Haus Deutschland zum Einwanderungsland erklärt haben.
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So ein Blödsinn! Ein Einwanderungsland hat Fläche, meine Damen und Herren,
und die haben wir gerade nicht. Das haben Sie damit bestätigt. Australien, die USA, Kanada usw., das sind Einwanderungsländer. Aber so weit können Sie ja nicht denken.
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Es geht aber noch weiter; denn es wird durch diese Darstellung ergänzt: „Vermieter“ ist gleich „reich“, „Mieter“ ist gleich „arm“. – Ich sagte es schon: Das ist die sogenannte Neiddebatte.
Meine Damen und Herren, Schutzgesetze sind im Mietrecht und im Wohnungsrecht notwendig
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– hören Sie zu! jetzt rede ich doch in Ihrem Sinne –; aber sie müssen natürlich auch angemessen sein, und das sind sie oftmals nicht. Sie sind dann eine Bremse bei der Anschaffung von Eigentum.
Meine Damen und Herren, volkswirtschaftlich und gesellschaftlich gesehen, hat das eine ganz große Bedeutung: die Förderung und Entwicklung von Wohneigentum. Das fiktive Bewirtschaftungspotenzial, von dem in der VWL schon mal zu hören ist, liegt bei ungefähr 100 Milliarden Euro per annum. Das ist das Potenzial, das man im Betriebsrecht als Unternehmerlohn betrachtet, das aber an und für sich gar nicht zum Tragen kommt. Das sind also die Aufwendungen, die die Eigentümer leisten, ohne dass dabei Lohnarbeit anfällt. Das heißt, sie bringen die Gärten in Ordnung, sie bauen die Türen und Fenster um, sie schaffen und tun und machen alles Mögliche. Diese Wertschöpfung wird von den Leuten, die immer alles verstaatlichen wollen, total unterschätzt. Diese private Leistung kam in der DDR – das haben wir gemerkt – nicht zum Ausdruck. Deswegen ist der ganze Laden auch zusammengebrochen. Das müssen Sie endlich mal verstehen: Eigentum im Wohnungsbereich ist volkswirtschaftlich ein riesengroßer Faktor.
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Meine Damen und Herren, die Grunderwerbsteuer von 3,5 bis 7 Prozent ist natürlich auch so eine Sache, die die Schaffung von Wohneigentum beeinträchtigt. So kommt man bei einem Erwerbspreis von 500 000 Euro auf bis zu 35 000 Euro Grunderwerbsteuer. Meine Damen und Herren, viele Familien könnten allein von dem, was dort abkassiert wird, die ganze Wohnungseinrichtung kaufen. Darüber muss wirklich nachgedacht werden. Wir sind der Meinung: Das ist nicht angemessen.
Die Förderungen zur Schaffung von Wohneigentum sind positiv; einige wurden hier auch schon genannt. Aber teilweise sind die Gemeinden dabei nicht sehr kooperativ. Ich denke mal zum Beispiel an § 7i ff. Einkommensteuergesetz: Wenn einer ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude kauft, dann hat er oft Schwierigkeiten, von der Gemeinde Unterstützung zu bekommen. Es kommt zu übertriebenen und sehr pingeligen Forderungen. Und dann wird auch noch Geld dafür verlangt, dass man den Kauf bestätigt. Das erschwert es natürlich gerade für die Eigentümer, die für die Kultur in unserem Lande bei Sanierung oder beim Kauf von etwas, was unter Denkmalschutz steht, sehr viel auf sich nehmen.
Meine Damen und Herren, in den 80er-Jahren waren die Bedingungen sehr gut und günstig. Ich erinnere an die Senkung der Kaufnebenkosten, also an den ermäßigten Steuersatz auf Notar- und Umschreibungskosten. Ich erinnere daran, dass die Grunderwerbsteuer total weggefallen war; bei Ein- oder Zweifamilienhäusern wurde sie nicht erhoben. Es gab die steuerliche Erleichterung über die Abschreibung gemäß § 7b EStG. Es war also alles schon mal da, und viele Dinge hätte man wirklich auch beibehalten können.
Herr Kollege, auch Sie müssen zum Schluss kommen, bitte.
Ja, ich komme zum Schluss.
Meine Damen und Herren, die Diskussion über einen Lastenausgleich aufgrund der Coronakrise spielt auch mit rein. Ich warne davor. Wenn eine Zwangshypothek –
Herr Kollege, Sie haben noch einen Satz jetzt.
– ja, letzter Satz – mit dem Artikel 14 Grundgesetz begründet werden soll, dann ist das sehr gefährlich.
Recht vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der FDP sehr dankbar, dass sie das Thema Wohnen heute auf die Agenda gesetzt hat; denn hier lassen sich die politischen Trennlinien zwischen den Fraktionen dieses Hauses deutlich erkennen.
({0})
Der Titel der heutigen Aktuellen Stunde lässt tief in die Seele der FDP blicken:
({1})
„Wohnungsmarkt als Spielball der Politik“. Gegenfrage: Sind nicht vielmehr die Mieterinnen und Mieter, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zum Spielball von Immobilieninvestoren geworden?
({2})
Das Verständnis der Freien Demokraten bei diesem zentralen sozialen Thema: Der Markt wird es schon regeln. Die Politik und der Staat können sich mal schön raushalten. – Dass Sie dieser Logik des Spiels der freien Kräfte bei so einem zentralen Thema der Daseinsvorsorge weiter anhängen, zeigt, dass Sie keine progressive, sondern eine rückschrittliche Partei sind.
({3})
Herr Lindner verkündet die frohe Botschaft, dass die FDP die neue Arbeiterpartei ist.
({4})
Dabei zeigen Sie doch hier im Bundestag immer wieder, für wen Sie eigentlich Politik machen: für die Reichsten der Reichen. Der Zahnarzt und die Multimillionärin brauchen aber keinen Staat, der sich schützend vor sie stellt, wenn sie sich ihre Miete nicht mehr leisten können. Wir brauchen einen Staat, der Ängste ernst nimmt und handelt, damit Abertausende Menschen in unserem Land nicht aus den eigenen vier Wänden verdrängt werden. Und, liebe Freie Demokraten: Wenn jeder nur an sich denkt, ist eben nicht jedem geholfen.
({5})
Während bei der FDP klar ist, wen Sie hier vertreten, ist das bei der Unionsfraktion aktuell nicht geklärt. Während Ihr eigener Bauminister – Herr Seehofer, vielen Dank dafür! -
({6})
unsere sozialdemokratischen Vorhaben auch im Baulandmobilisierungsgesetz eindringlich unterstützt, sabotieren einige in Ihrer Fraktion seit Monaten dieses Gesetzgebungsvorhaben, das auch von den Kommunen und von den Ländern dringend gefordert wird. Und Kollege Wegner, mal ganz direkt: 84 Prozent der Menschen in Berlin sind Mieterinnen und Mieter.
({7})
Was sagen Sie denen eigentlich, für wen Sie hier im Bundestag Politik machen?
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Ich hoffe, das fortlaufende Kleinarbeiten der wichtigen Themen durch prominente Mitglieder der CDU Berlin hat nichts mit den Rekordspenden aus der Immobilienbranche zu tun.
({9})
Damit dieser Eindruck auch gar nicht erst entsteht, sollten Sie sich am besten noch heute hier zu dem bekennen, was wir gemeinsam beschlossen haben.
Dass wir beim Thema „bezahlbares Wohnen“ weiter handeln müssen, zeigen die am Montag von der Bundesbank veröffentlichten Zahlen. Wohnimmobilien in Städten sind weiterhin überteuert. Es ist von anhaltenden Preisübertreibungen am deutschen Wohnungsmarkt die Rede.
Eins muss an dieser Stelle festgehalten werden: Wir können in der Koalition auf eine erfolgreiche Wohnungspolitik zurückblicken. Wir haben die Wohnraumoffensive gestartet. Um nur drei Beispiele zu nennen: Wir haben gemeinsam die Mieten gerecht reguliert. Wir haben das Grundgesetz für den sozialen Wohnungsbau der Länder geändert und 5 Milliarden Euro investiert. Wir haben in der Bundesliegenschaftspolitik eine einmalige gemeinwohlorientierte Wende hingelegt. – Die Vielzahl positiver Ergebnisse der Wohnraumoffensive wurde gestern auch auf der Bilanzkonferenz deutlich. Wir sind da gemeinsam auf dem richtigen Weg.
({10})
Ich finde es angesichts dieser Erfolge im Übrigen bemerkenswert, dass die Grünen hier im Bund große Forderungen in der Wohnungspolitik aufstellen, während sie in den Ländern gar nicht, ja teilweise sogar gegenteilig agieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, der Bund kann alleine, ohne die Länder, in vielen Bereichen der Wohnungspolitik nichts ausrichten. Und schauen wir in die Länder, dann sieht man: Das schwarz-grüne Hessen votiert im Bundesrat zum Beispiel gegen die von euch hier immer wieder eingeforderten Baugebote. Schleswig-Holstein möchte einen neuen Paragrafen im Baugesetzbuch gestrichen wissen, der mehr Flächen für den sozialen Wohnungsbau mobilisiert.
({11})
Die von euch angestoßene aufgeheizte Debatte zur Einschränkung bestimmter Bauformen geht ebenfalls völlig am Ziel vorbei. Wir müssen eine Debatte darüber führen, wie wir mehr Wohnraum schaffen. Dazu ist es wichtig, Menschen den Weg in die eigenen vier Wände zu erleichtern.
({12})
Für die eine Seite ist alles, was wir hier in der Koalition zum Thema Wohnen machen, viel zu viel; für die anderen ist alles viel zu wenig. Solche polarisierten Debatten nützen nur leider niemandem, schon gar nicht den Betroffenen. Bezahlbares Wohnen ist am Ende eine Mammutaufgabe, der wir nur gemeinsam begegnen können: mit bezahlbarem Neubau, einer sozialen Bodenreform und einer gerechten Mietenpolitik. Genau dafür setzen wir als SPD uns im Bund, in den Ländern und in den Kommunen ein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Vielen Dank, Herr Kollege Bartol. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An diesem Freitag geht das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ in Berlin in die nächste Runde.
({0})
Wir als Linke unterstützen dieses Volksbegehren, nicht nur aus voller Überzeugung, sondern auch tatkräftig. Man kann den Inhalt in einem Wort zusammenfassen: Dieses Volksbegehren ist „Notwehr“ gegen die Willkür von Vermieterinnen und Vermietern, „Notwehr“ gegen große Konzerne. Wir als Linke stehen an der Seite der Mieterinnen und Mieter.
({1})
Herr Seehofer, Sie haben hier eine sehr positive Bilanz gezogen. Allerdings muss ich Wasser in den Wein gießen; denn mit der Realität hat vieles, was Sie gesagt haben, nichts zu tun. Ein Beispiel: Am Ende dieser Wahlperiode wird es 160 000 Sozialwohnungen weniger geben als zu Beginn, und nicht einmal jede zehnte neu gebaute Wohnung ist eine Sozialwohnung. Dabei hat in vielen Städten die Hälfte der Bevölkerung ein Anrecht auf eine Sozialwohnung. Die Mieten werden für die Menschen zu einer enormen Belastung. Jeder siebte Haushalt muss schon mehr als 40 Prozent des Einkommens für Wohnen ausgeben. Die Miete frisst den Lohn auf. Das darf so nicht weitergehen, meine Damen und Herren.
({2})
Seit der Finanzkrise sind die Mieten explodiert. Nicht nur in Berlin haben sich die Angebotsmieten verdoppelt: In München betrug der Anstieg 60 Prozent, in Nürnberg, Hannover oder Stuttgart jeweils 50 Prozent. In sieben großen Städten haben sich die Bodenpreise seit der Finanzkrise vervierfacht. In München zum Beispiel macht der Bodenpreis bis zu 80 Prozent der Neubaukosten aus. Das darf so nicht weitergehen, meine Damen und Herren.
({3})
Beim Wohnungsgipfel 2018 im Kanzleramt wurden die eigentlichen Ursachen der Wohnungsnot nicht erkannt. Nach der Finanzkrise ist nämlich viel Geld von den Börsen in den Wohnungsmarkt geflossen. Immobilienhaie und Wohnungskonzerne machten auf dem Rücken von Mieterinnen und Mietern das Geschäft ihres Lebens. Es wäre die Aufgabe der Bundesregierung gewesen, die Menschen vor diesen Wohnungsspekulanten zu schützen. Das haben Sie nicht getan. Das ist unterlassene Hilfeleistung. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren.
({4})
Die Mietenbremse – darüber haben wir hier schon oft diskutiert – ist ein schlechter Witz. Sie bremst nicht genügend und für viele überhaupt nicht.
({5})
Ich sage ganz deutlich: Wir haben in Berlin mit dem Mietendeckel ein gutes, ein wirksames Mittel gefunden, und das werden wir auch verteidigen, meine Damen und Herren.
({6})
Gegen diesen Mietendeckel laufen nun die Parteien der Wohnungseigentümer Sturm. Und wie wir alle wissen – und wie es der Vorredner schon erwähnte –, spenden Immobilienhaie besonders gern an die CDU. Das muss doch einen Grund haben, oder, Kollege Wegner von der CDU?
({7})
Eine Bemerkung zur FDP: Sie sprechen hier vom Wohnungsmarkt als Spielball der Politik. Ich frage mich: Wer spielt hier eigentlich mit wem?
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Die Situation ist, dass mit vielen Mieterinnen und Mietern gespielt wird. Dieses Spiel muss endlich ein Ende haben. Dafür steht Die Linke, meine Damen und Herren.
({9})
Die FDP will wohl, dass der Wohnungsmarkt alleiniger Spielball von Wohnungskonzernen und deren Aktionären bleiben soll. Dieses Spiel muss beendet werden. Wir sagen ganz deutlich: Wohnen ist Menschenrecht. Schluss mit dem Monopoly!
({10})
Nun klagt die Bundestagsfraktion der CDU/CSU gegen den Berliner Mietendeckel. Sie behaupten: Wenn mehr Wohnungen gebaut werden, dann sinken die Mieten.
({11})
Aber der Gegenbeweis ist inzwischen längst erbracht.
({12})
Also muss man beides tun: mehr bezahlbare Wohnungen bauen und den Wohnungsmarkt wirksam regulieren, und die Betonung liegt hier auf „wirksam“ und nicht auf „Scheinregulierung“, meine Damen und Herren.
({13})
Das Volksbegehren ist ein Akt der Notwehr. Dass Bürgerinnen und Bürger die Enteignung von Deutsche Wohnen & Co fordern, das ist etwas, was wir unterstützen und was auch mit dem Grundgesetz – um das hier in aller Deutlichkeit noch einmal zu betonen – vereinbar ist.
({14})
In Deutschland wird ständig enteignet, wenn es um den Bau von Autobahnen geht. Ich finde Wohnungen wichtiger als Autobahnen.
Der Zwischenruf war: Wer bezahlt? – Natürlich werden alle, die enteignet werden, entschädigt.
({15})
Die Frage ist natürlich immer: Was ist die Höhe der Entschädigung? Es ist ausgerechnet worden: Die Entschädigung kann aus den zukünftigen Mieten bezahlt werden.
({16})
Aber was dann nicht mehr passieren wird, ist, dass die Mieterinnen und Mieter die Dividende von Aktionären bezahlen. Nur ein Beispiel: In den fünf Jahren von 2012 bis 2017 sind 1,9 Milliarden Euro Dividende an Aktionäre ausgeschüttet worden. Das muss beendet werden. Wohnen ist ein Menschenrecht. Wir wollen, dass alle Menschen sicher und preiswert wohnen können und dass sie nicht um ihre Wohnung fürchten müssen. Wir wollen Sicherheit für die Menschen in unserem Land. Dafür steht Die Linke.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Lötzsch. – Nächster Redner ist der Kollege Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Bilanzgipfel der Bundesregierung gestern war eine echte Jubelarie; anders kann man das nicht nennen.
({0})
Bilanz ziehen ist etwas anderes, sage ich. Was Sie gestern gemacht haben, Herr Seehofer, war eine Selbstbeweihräucherung, und ich finde, die haben Sie heute hier fortgesetzt mit einer ziemlichen Selbstzufriedenheit angesichts dessen, dass die Wohnungsmärkte in Deutschland aus dem Ruder gelaufen sind. Ich finde das nicht angemessen.
({1})
Das war gestern eine Hochglanz-PR-Veranstaltung. Aber Broschüren und zwei Gipfel bauen keine Wohnungen in Deutschland. Sie haben Ihre selbstgesteckten Ziele verfehlt. Sie haben noch mal diesen Taschenspielertrick mit den Baugenehmigungen angewendet. Aber es ist so: In Baugenehmigungen kann niemand wohnen. Sie haben frei als Große Koalition 1,5 Millionen Wohnungen in Aussicht gestellt. Sie haben diese Zahl nicht erreicht. Also haben Sie auch Ihre Ziele nicht erreicht; das müssen Sie einfach zugeben!
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Und Kritik kommt ja nicht nur von uns. Gestern haben Sie von den Gewerkschaften einen draufbekommen, von den Mietervereinen. Die deutsche Wohnungswirtschaft hat noch mal klar gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Die Eigentümerverbände sind sehr scharf in diese Debatte gegangen. Und auch die Wissenschaft hat Ihnen gestern kein gutes Zeugnis ausgestellt. Sie können heute im Pressespiegel nachlesen, was die Immobilienfachleute in Deutschland zu Ihrem Wohnungsgipfel sagen. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Es ist nicht so, dass, wenn alle jammern, man was richtig gemacht hat, sondern man hat dann auch richtig was falsch gemacht.
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Schauen wir uns die Zahlen mal an: 100 Sozialwohnungen fallen jeden Tag aus der Sozialbindung, gehen jeden Tag verloren. Der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus beschäftigt uns hier im Deutschen Bundestag schon seit mindestens einem Jahrzehnt intensiv. Sie haben sich am Anfang dieser Wahlperiode darauf verständigt, dass das beendet werden soll. Sie haben es aber nicht geschafft. 40 000 Wohnungen unterm Strich verlieren wir pro Jahr weiterhin. Deswegen ist Ihre Bilanz so schlecht. Sie haben bei der Kernfrage des sozialen Wohnungsbaus einfach zu wenig getan. Sie müssen in Zukunft mehr tun!
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Ich fand die Rede gestern von Frau Merkel dazu sehr interessant. Sie ist ja nicht eingestiegen in diese Jubelarien. Sie war nicht so im Jubelmodus, sondern hat auch ein bisschen die Aufgaben der Zukunft betont. Ich glaube, das ist angemessen in dieser Sache, im Gegensatz dazu, wie Sie sich hier verhalten. Die Kanzlerin sprach von einer abflachenden Mietendynamik. Das sollte so ein bisschen beruhigend wirken. In Wahrheit heißt „abflachende Mietendynamik“ aber, dass in den letzten Jahren die Mieten gestiegen sind, jetzt auf einem hohen Niveau sind und trotz der Coronapandemie, trotz einer Wirtschaftskrise weiter steigen. Wir haben aber gleichzeitig Einkommensverluste in Deutschland, wir haben sinkende Kaufkraft. So geht die Schere zwischen den Mieten und den Haushaltseinkommen der Menschen weiter auseinander. Deswegen verschärft sich die soziale Lage auf den Wohnungsmärkten. Darauf haben Sie gestern keine Antwort gefunden, sondern sich nur selber abgefeiert, und das finde ich bei Weitem nicht angemessen.
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Frau Merkel hat gestern auch so süffisant gesagt, dass die Mietpreisbremse der Union nicht in die Wiege gelegt worden ist. Herr Wegner, ich würde es anders formulieren: Sie von der Unionsfraktion haben jede Mietenregulierung und die Mietpreisbremse von Anfang bekämpft, durchlöchert und verzögert – das ist doch die Realität –, und deswegen sind die Mieten so durch die Decke gegangen, auch weil die Regulierung viel zu spät und unzureichend gegriffen hat. Das ist Ihre Verantwortung in der Union. Das ist doch die Realität. Ich meine, Sie haben sich bis heute nicht mit diesem Instrument versöhnt. Das ist doch die Wahrheit; das muss man doch einfach mal sagen.
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Wenn Sie wirklich was für Eigentümer von morgen tun wollen, dann muss man jetzt die Mieten in Deutschland stabilisieren. Ein Mietenstopp wäre die beste Eigentumsförderung überhaupt in Deutschland, die man machen kann,
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weil dann die Menschen in Deutschland, die Mieterinnen und Mieter, die zu Eigentum kommen wollen, was zur Seite legen können, einen Bausparvertrag anlegen können, etwas auf der Seite haben, um dann irgendwann zu Eigentum zu kommen. Das ist doch die Realität.
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Kollege Bartol, Sie haben noch mal diese Phantomdebatte der letzten Woche angesprochen. Ich will mal sagen: Diese Phantomdebatte, die wir Grünen in der letzten Woche erlebt haben, ist schlicht auf einer Unterstellung und einer Lüge aufgebaut. Dass Sie von der SPD die wiederholen, das finde ich wirklich unterirdisch. Das haben die Kollegen der FDP nicht gemacht; das muss man an dieser Stelle noch mal ganz klar sagen.
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Wenn wir hier über Einkommen und Eigentum in Deutschland reden, muss man festhalten: Die Baukosten sind auf dem höchsten Niveau, die Eigentumsquote sinkt, und – man muss es ganz klar sagen – die Preise für Immobilien schießen durch die Decke. Das hat sehr viel damit zu tun, dass Sie in der Großen Koalition in den letzten Jahren einfach die Sache haben laufen lassen; das war ein Riesenfehler.
Zum Schluss will ich sagen: Zweieinhalb Wochen vor wichtigen Landtagswahlen feiert die Große Koalition ihre Bilanz. Ich glaube, das hat mehr mit PR zu tun als mit wirklich substanzieller Wohnungspolitik.
Danke schön.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege Kühn. – Nächster Redner ist der Kollege Kai Wegner, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Also, eins, glaube ich, zeigt diese Debatte ganz deutlich, Frau Lötzsch: Mit Klassenkampf werden wir die Probleme am Wohnungsmarkt nicht lösen.
({0})
– Mit Klassenkampf werden wir die Probleme am Wohnungsmarkt nicht lösen.
Für uns ist völlig klar – das sagt der Minister immer wieder, aber das sage ich auch immer wieder, und das sagt auch der Kollege Daldrup –: Das Wohnen ist eine der sozialen Fragen unserer Zeit. Genau deshalb haben wir das Thema „Bauen und Wohnen“ zu einer Top-Priorität dieser Wahlperiode gemacht.
Es gehört nun mal zur Wahrheit, auch wenn Ihnen von der Opposition das vielleicht nicht gefällt, dass es in den letzten Jahrzehnten keine vergleichbare Kraftanstrengung zur Stabilisierung der Wohnungsmärkte in unserem Land gab, liebe Kolleginnen und Kollegen –
({1})
keine vergleichbare Kraftanstrengung in den letzten Jahrzehnten! Das ist Ergebnis dieser Koalition.
({2})
Einige Beispiele will ich Ihnen gerne nennen: Da ist zum einen die Stärkung der sozialen Wohnraumförderung. Wir haben die soziale Wohnraumförderung grundgesetzlich abgesichert. Wir fördern sie – der Minister hat es schon gesagt – mit 5 Milliarden Euro. Jetzt fordere ich Sie, Herr Kühn, auf: Sorgen Sie doch einfach mal dafür, dass auch in den Ländern, wo Sie Verantwortung tragen, endlich die soziale Wohnraumförderung zum Tragen kommt!
({3})
Der Bundesminister ist nicht dafür zuständig, Wohnungen zu bauen, und die Koalition auch nicht – die Länder müssen endlich hier vorangehen und den Missstand abbauen!
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Wir haben die Sonderabschreibung für den Mietwohnungsbau nach vorn gestellt. Wir haben eine deutliche Verbesserung beim Wohngeld hinbekommen. Und wir haben Mieterinnen und Mieter auch besser vor Überforderung bei Neuvermietung und Modernisierung geschützt.
Und, lieber Herr Kühn, Sie sprachen die Mietpreisbremse an. Es gab mal eine rot-grüne Bundesregierung; dort habe ich nie was von Mietpreisbremse gehört. Die Mietpreisbremse wurde eingeführt zu Zeiten einer Großen Koalition, und diese Koalition hat die Mietpreisbremse auch nachverschärft. Ein bisschen Ehrlichkeit, lieber Herr Kühn von den Grünen, würde ich mir da schon mal wünschen!
({5})
Und ja – lieber Herr Kühn, das müssen Sie jetzt auch ertragen und aushalten –, für uns als Union ist und bleibt das Wohneigentum auch eine tragende Säule unserer Bau- und Wohnungspolitik.
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Wohneigentum ist gelebte Freiheit, Wohneigentum stabilisiert Quartiere und den ländlichen Raum und entlastet überhitzte Mietwohnungsmärkte. Und natürlich sind die eigenen vier Wände zugleich auch die beste Altersvorsorge.
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Und aus diesen Gründen fördern wir Wohneigentum mit Nachdruck und aus tiefster Überzeugung. Wir sagen Ja zur Eigentumswohnung, und wir sagen Ja zum Eigenheim.
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Genau deshalb haben wir mit dem Baukindergeld unglaublich viele Menschen erreicht. 310 000 Familien profitieren vom Baukindergeld; das sind rund 1,2 Millionen Menschen. Genau deshalb haben wir die Wohnungsbauprämie wieder attraktiver gemacht. Und genau deshalb, lieber Bernhard Daldrup, müssen wir am Ziel eines Bürgschaftsprogrammes festhalten.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Frage des Wohneigentums könnten die Unterschiede zwischen den Parteien kaum offener zutage treten. Wir fördern Wohneigentum, Grüne und Linke verteufeln es. Was Herr Hofreiter, immerhin Fraktionsvorsitzender der Grünen, zum Einfamilienhausverbot gesagt hat, ist ein Schlag ins Gesicht aller, die vom eigenen Häuschen träumen.
({10})
Und die Einlassung, lieber Herr Kühn, ist doch keine Einzelmeinung, ist auch keine Lüge, ist auch kein Betriebsunfall.
({11})
In Hamburg verbietet ein grüner Bezirksamtsleiter den Bau von Einfamilienhäusern. Und die Berliner Grünen schreiben explizit in ihr Wahlprogramm, gegen den Bau von Einfamilienhaussiedlungen zu sein, lieber Herr Kühn.
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Explizit steht das im Wahlprogramm der Berliner Grünen! Die Verbotspartei ist zurück.
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Sie haben als Feindbild den Arbeitnehmer und die Angestellte, die hart schuften und ihren Traum vom Einfamilienhaus verwirklichen wollen. Damit zeigen Sie einmal mehr, dass Sie meilenweit von der bürgerlichen Mitte entfernt sind – meilenweit von der bürgerlichen Mitte entfernt!
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In Berlin gehen Sie gar einen Schritt weiter. In Berlin wollen Sie auch noch enteignen; Frau Lötzsch hat es gerade angesprochen. Sie machen da mit! 240 000 Wohnungen wollen Sie enteignen, 36 Milliarden Euro dafür ausgeben – und keine einzige neue Wohnung entsteht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir sagen Ja zum Eigentum, wir sagen Ja zu starken sozialen Leitplanken. Wir machen Politik für Menschen mit geringem Einkommen, für Normalverdiener,
({15})
aber auch für Menschen, die sich Eigentum leisten wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diesen Weg gehen wir weiter.
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Vielen Dank, Herr Kollege Wegner.
({0})
– Es sprach Herr Kollege Wegner. – Der nächste Redner ist der Kollege Wilhelm von Gottberg, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Zunächst ein kritisches Wort zur gewählten Formulierung für diese Aktuelle Stunde: „Wohnungsmarkt als Spielball der Politik“ ist daneben. Was die FDP meint, wird im zweiten Teil des Themas zum Ausdruck gebracht: „Haltung der Bundesregierung zu Freiheit und Eigentum im Wohnungsmarkt“.
Politik muss sich um die Menschen kümmern. Deren Grunderfordernisse sind kein Spielball. Privateigentum fördert Eigenverantwortlichkeit und gewährleistet eine graduelle Unabhängigkeit der Menschen. Eigentum fördert das Selbstbewusstsein der Menschen. Unsere gesamten Bildungsbemühungen für Kinder und Jugendliche haben zum Ziel, eigenständige, selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger heranzubilden.
Meine Damen und Herren, dieses Bildungsziel kann nur erfolgreich sein, wenn das Mitdenken der erforderlichen materiellen Dimension dazukommt.
({0})
Deshalb müssen Freiheit und Eigentum im Wohnungsmarkt ein zentrales Anliegen für jede Bundesregierung sein. Die Realität sieht anders aus.
Die Einführung des Mietendeckels wurde hier in Berlin von einer SPD-geführten Koalition abgesegnet – von der SPD, die auch im Bund mitregiert. Wir mussten eine weitere Verschärfung der Mietpreisbremse und ihre Verlängerung bis 2025 registrieren sowie eine fragwürdige Reform des Wohnungseigentumsgesetzes zur Kenntnis nehmen, die die Rechte der einzelnen Eigentümer weiter beschneidet. In diesen Negativkatalog gehört auch noch die Absenkung der Sanierungsumlage auf 8 Prozent oder weniger. Auch die kommende Regelung der Baugesetzbuchnovelle lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen.
Meine Damen und Herren, es sei zugestanden: Der eben aufgeführte Negativkatalog soll für eine weniger gut verdienende größere Anzahl von Menschen preiswerte Wohnungsmieten ermöglichen. Aber, meine Damen und Herren auf der linken Seite des Hauses, Sie vernachlässigen dabei die Beachtung des politischen Grundsatzes „Maß und Mitte“.
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Wenn man heute einen Kleinvermieter in Berlin fragte, wie es um seine Freiheit und um sein Eigentumsrecht bestellt ist, würde der eine wohl ernüchternde Antwort geben. Die Gesetzgebung der Vergangenheit hat beides auf einen kläglichen Rest zusammenschrumpfen lassen. Frau Bayram von den Grünen hat sich in dieser Frage klar positioniert – ich zitiere –: „Wenn wir jetzt die Mieten deckeln, wird später das Enteignen leichter“.
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Zu dieser Perspektive passt der jüngste Vorstoß des Kollegen Hofreiter, den Bau von neuen Einfamilienhäusern zu verbieten.
Ein beachtlicher Teil der Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite des Plenums vergisst, dass gerade die vielen Kleinvermieter ihre Wohnungen aus erarbeitetem Geld erworben und dafür jahrelang Konsumverzicht erbracht haben.
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Für diese Vermieter ist es also keineswegs leistungsloses Einkommen, wie immer behauptet wird, sondern es sind erbrachte Arbeitskraft und Fleiß, die in diesen Wohnungen angelegt wurden. Die Bundesregierung ist auch diesen Menschen gegenüber zum Schutz verpflichtet.
Politik hat das Allgemeinwohl zu fördern. Die Zufriedenheit und das Selbstwertgefühl der erwachsenen Menschen hängen maßgeblich an vier Faktoren: an einer Wohnung, die ihren Bedürfnissen entspricht, an einer harmonischen Partnerschaft, an einer erfüllenden Berufstätigkeit, an der Anerkennung ihrer persönlichen Individualität.
Wohnen hat oberste Priorität und ist ein Grundrecht. Gelebt heißt das: Wohnen ist zu Hause sein. Alle Kreise der Bevölkerung streben auf ihre Weise danach. Das reicht vom Eigentum bis zum Mietobjekt. Die Bewältigung der Krise auf dem Wohnungsmarkt kann einzig und allein durch die Ausweitung des Wohnungsangebotes erreicht werden.
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Dafür brauchen jedoch alle, die Geld in die Hand nehmen, egal ob Häuslebauer oder Investor, verlässliche Rahmenbedingungen. Sie brauchen die Sicherheit, dass die Regeln von heute auch morgen noch gelten. Nur dann werden Freiheit und Eigentum zu Triebkräften, die Wohlstand schaffen. Dies allen Fraktionen und insbesondere der Regierungskoalition ins Stammbuch zu schreiben, muss Ziel dieser Aktuellen Stunde sein.
Danke.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist gut, dass wir heute über das Thema Wohnen gerade in der Coronapandemie sprechen; denn die Coronapandemie hat uns doch eines ganz deutlich gezeigt: Die Lösung für die grundlegenden gesellschaftlichen Herausforderungen können wir nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen, sondern dafür braucht es einen starken sozialen Staat, der dafür sorgt, dass Wohnen bezahlbar wird.
({0})
In diesem Sinne haben wir in dieser Wahlperiode für die Mieterinnen und für die Mieter viel auf die Beine gestellt. Wir haben die Mietpreisbremse um fünf Jahre bis 2025 verlängert, und wir haben sie verschärft. Wenn also einem Mietinteressenten eine Wohnung gefällt, aber eine überhöhte Miete verlangt wird und es viele Mitbewerber gibt – das ist heute in Großstädten oft der Fall –, dann kann er den Mietvertrag unterschreiben und dann bis zu 30 Monate lang den überzahlten Betrag, also den Betrag, der über der Mietpreisbremse liegt, zurückfordern – eine ganz wichtige Errungenschaft bei der Mietpreisbremse, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben den Betrachtungszeitraum bei den Mietspiegeln verlängert, damit bei der Berechnung der ortsüblichen Miete durch den Mietspiegel zwei Jahre mit niedrigeren Mieten berücksichtigt werden. Auch das wird dazu beitragen, dass Mieterhöhungen in Zukunft nur noch viel begrenzter möglich sein werden.
Wir haben die Kosten, die im Rahmen einer Modernisierung auf den Mieter umgelegt werden können, reduziert, und zwar von 11 auf 8 Prozent, und das mit einer Höchstgrenze: Innerhalb von sechs Jahren kann die Miete nur um 3 Euro pro Quadratmeter steigen. Das hört sich recht detailreich an, ist aber für Mieterinnen und Mieter ein ganz wichtiger Fortschritt.
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Wir haben auch den Immobilienkauf unterstützt, zum Beispiel durch das Baukindergeld; das ist schon erwähnt worden. Ich will ergänzen, dass wir die Maklergebühren beim Immobilienkauf jetzt halbiert haben, sodass der Käufer nur die Hälfte der Maklergebühren zu tragen hat. Das war auch ein ganz wichtiger Aspekt, um den Erwerb einer Immobilie zu ermöglichen.
All das waren wichtige rechtspolitische Maßnahmen, die auch Wirkung zeigen. Damit Sie nicht denken, ich würde hier die Koalition loben, will ich mal sagen, was in der „Zeit“ gestern unter der Überschrift „Der Mietenboom ist vorbei“ zu lesen war. Da stand – ich zitiere –: „Mit exzessiven Steigerungen ist es vorbei …“ Also: Unsere Instrumente wirken.
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Aber die Mietpreisbremse können wir natürlich noch besser machen. Vor allem muss sie bundesweit gelten. Sie kann natürlich nur dort in Kraft treten, wo sie von den Landesregierungen auch in Kraft gesetzt wird. Und deshalb, lieber Kollege Kühn: Ich finde, man kann hinsichtlich der Mietpreisbremse unterschiedlicher Meinung sein. Aber was nicht geht, ist, dass die Grünen uns hier kritisieren, wir würden die Mietpreisbremse nicht weit genug gestalten, sie aber in Schleswig-Holstein, wo sie regieren, die Mietpreisbremse abschaffen. Das ist scheinheilig, Herr Kollege Kühn.
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Wir haben aber auch noch einiges vor. Wir sollten nicht den Ehrgeiz verlieren, noch mehr Politik für die Mieterinnen und Mieter zu machen; und das werden wir auch noch in dieser Wahlperiode tun. Wir werden den Bindungszeitraum für die Mietspiegel von zwei auf drei Jahre erhöhen – eine ganz wichtige Maßnahme, damit die Mietspiegel länger in Kraft sind –, und vor allem werden wir die Grundlagen für die Erstellung der Mietspiegel, an denen es ja doch Zweifel gab, präzisieren und sie somit auf eine rechtssichere Grundlage stellen. Also, da werden wir auch noch einiges tun.
Wir werden natürlich auch im Auge behalten, wie es denn den Gewerbemietern in der Pandemie ergeht.
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Ich glaube, es war wichtig, dass die SPD durchgesetzt hat, dass Corona als eine Störung der Geschäftsgrundlage anzusehen ist.
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Die ersten Gerichte haben infolge unserer Gesetzesänderung auch schon gesagt, dass grundsätzlich eine Reduzierung von 50 Prozent der Mieten für die Gewerbemieter in Ordnung ist.
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Also, das müssen wir im Auge behalten – das war eine gute Maßnahme –, aber da gegebenenfalls auch noch nachsteuern.
Wenn wir über Wohnen und Wohnungsbau reden, dann müssen wir das auch immer im Zusammenhang mit dem Klimaschutz tun. Ich glaube, es ist ganz wichtig, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen, dass wir zu energetischen Sanierungen kommen. Deshalb war es richtig, dass wir zum Jahreswechsel eine CO2-Bepreisung eingeführt haben. Aber für uns als SPD ist eines ganz wichtig: Wir wollen sozialen Klimaschutz. Und deswegen kann es nicht sein, dass den höheren CO2-Preis allein der Mieter bezahlt. Das wollen wir nicht.
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Deswegen sagen wir ganz klar: Das ist eigentlich Vermietersache, weil der Vermieter Einfluss darauf hat, wie modern die Heizung ist bzw. ob hier investiert wird. Es sollte also mindestens halbe-halbe gelten; besser noch sollte der Vermieter die Kosten der CO2-Bepreisung ganz tragen. Auch darüber werden wir in der Koalition noch zu sprechen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Und damit Sie nicht denken, ich oder auch der Kollege Bartol läuteten hier schon den Wahlkampf ein,
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will ich die Union bei einem Punkt loben, zumindest mal die CSU. Ich fand es hervorragend, dass sich die CSU und sogar die bayerische Regierung der alten SPD-Forderung angeschlossen haben, den § 5 im Wirtschaftsstrafgesetzbuch, den sogenannten Wucherparagrafen, zu verschärfen;
({11})
denn dieser Paragraf ist heute nicht anwendbar. Er setzt nämlich Vorsatz zum Ausnutzen einer Notlage auf dem Wohnungsmarkt voraus; und das greift nicht. Deshalb war es gut. Ich wünsche den CSU-Kollegen alles Gute, dass sie sich in ihrer Fraktion bei dieser wichtigen Maßnahme endlich durchsetzen; denn eins ist für uns klar: Wir können als Staat die Mieterinnen und Mieter mit dem Mietwucher, den es leider vereinzelt gibt, nicht alleine lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Lassen Sie uns in diesem Sinne in dieser Wahlperiode noch einiges für die Mieterinnen und Mieter tun.
Vielen Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Sandra Weeser das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin dankbar für die lebhafte Debatte hier, weil das zeigt, dass wir als FDP-Fraktion das richtige Thema, nämlich das, was den Menschen unter den Nägeln brennt, heute hier ins Plenum gebracht haben.
({0})
Wohnen in Deutschland ist zu teuer, und die Preise steigen weiter. Wir haben Grundstückspreise, die steigen. Baukosten, die Kaufpreise für Wohnungen und Häuser und vor allem die Mieten – all das ist in den letzten Jahrzehnten explosiv gestiegen. Das ist der soziale Brennstoff für unsere Gesellschaft. Deswegen müssen wir Antworten liefern, die den Menschen auch etwas bringen.
Herr Bartol, wenn Sie sagen, der Markt kann es nicht regeln, entgegne ich: Der Staat aber auch nicht,
({1})
wenn ich sehe, was in diesem überregulierten Markt passiert ist; denn nichts funktioniert.
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Ich bin auch wie viele Menschen von den Verbotsvorschlägen der Grünen und der SPD geschockt. Liebe Grünen, vielleicht habt ihr es ja nicht so gemeint,
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aber es hilft bei den riesengroßen Problemen, die wir beim Thema Bauen haben, absolut nichts, den Menschen Angst zu machen und ihnen Ihren grünen Lebensentwurf aufdrücken zu wollen.
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Aber im Kern geht es immer um die Versäumnisse der Bundesregierung. Auch ihre bevorzugten Mittel sind leider die Beschränkung und das Verbot: Mietendeckel, Mietpreisbremse, Umwandlungsverbot. Diese Maßnahmen helfen nicht, sondern sie sind Brandbeschleuniger auf dem angespannten Wohnungsmarkt.
({5})
Sie wollen den Stau auflösen, indem Sie Stoppschilder aufstellen.
Und, lieber Herr Seehofer, uns hier als Klientelpartei zu beschimpfen, weil wir Menschen in Eigentum bringen wollen, das ist ein ganz starkes Stück.
({6})
Aktuell ist die Lage einer Familie, die sich ein Haus bauen oder kaufen will, völlig perspektivlos. Kosten und Bürokratie sind außer Rand und Band, und Prämien und Förderprogramme sind nicht zielgerichtet. Um das zu ändern, müssen wir grundsätzlich die Rahmenbedingungen für Bauen und Wohnen überarbeiten.
Zentral ist da die Kostenseite. Bauen und Wohnen sind zu teuer; und das ist auch so, weil der Staat die Sachen immer komplizierter macht.
({7})
Bauvorschriften sind wie die Preise: Sie steigen, sie steigen, sie steigen. Früher beauftragte man eine Baufirma, heute beauftragt man erst mal eine Anwaltskanzlei und drei Gutachter, um anfangen zu können. Wir können das Bauen nur billiger machen, wenn wir mit dem Bagger den Verordnungsberg abtragen. Dafür stehen wir Freie Demokraten.
({8})
Nächster zentraler Punkt ist die Digitalisierung. Es kann nicht sein, dass 2021 der Bauantrag immer noch in Papierform zum Bauamt geschleppt werden muss. Die Leute dort ersticken im Papier, und die Zeiträume, die in Deutschland bis zur Baugenehmigung vergehen, sind viel zu lange. Das muss viel schneller gehen, meine Damen und Herren.
({9})
Den steigenden Kosten stehen die nicht so schnell steigenden Einkommen gegenüber. Die Preise für Wohnen in Metropolregionen sind so hoch, dass sich die Menschen ihre Wohnträume dort oft nicht mehr leisten können. Menschen werden hier um ihre Träume und um ihre Freiheit betrogen.
Und auf dem platten Land in Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, haben wir Freien Demokraten im Stadtrat einen Antrag für mehr Bauland gestellt. Ich wurde dann vom Sprecher der Grünen korrigiert, dass wir das alles ja nicht mehr brauchen, weil die jungen Leute doch bitte in dieser globalisierten Welt mobil bleiben möchten. Und Eigenheime brauchen wir da nicht mehr. Dabei ist es doch genau das eigene Haus mit Garten, was zum Asset des ländlichen Raums geworden ist. Und immer noch ist es der Lebenstraum vieler Familien.
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So liegt die Eigenheimquote in Rheinland-Pfalz wie auch in Baden-Württemberg und im Saarland immer noch über dem Durchschnitt der Bundesrepublik. Und warum ist das so? Hier werden individuelle Wohnträume eben nicht pauschal infrage gestellt. Gerade das letzte Jahr mit Corona hat gezeigt, wie elementar lebenswerter Wohnraum ist. Zwei Drittel der Deutschen träumen vom Eigenheim, weil das der Platz ist, wo die Kinder spielen; da kann man mittlerweile arbeiten, es wird gefeiert, es wird mit Freunden gegrillt, sobald es denn wieder geht. Und dieser Traum muss möglich bleiben, meine Damen und Herren.
({11})
Deswegen wollen wir weiterhin eine Garantie für das Einfamilienhaus. Wir wollen Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer. Wir wollen keine Solarpflicht auf den Dächern, liebe Grüne; denn nicht jeder Häuslebauer will Energieversorger werden, wenn er sein Haus baut.
({12})
Und wir brauchen eine Stärkung der Finanzkraft gerade von jungen Familien, indem wir die Steuern und Abgaben auf Erwerbseinkommen senken. Das sind konkrete Lösungen; so was kann helfen.
Für mich ist es auch eine Kulturfrage: Wollen wir den Menschen den Traum vom Eigenheim verbauen, oder wollen wir ihn fördern und ermöglichen?
({13})
Wir Freien Demokraten stehen für Mut und das Ermöglichen der eigenen Wohnträume. Dafür setzen wir uns ein, und dafür kämpfen wir, gerade auch in den Häuslebauerländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Vielen Dank.
({14})
Dr. Anja Weisgerber hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde heute ist ein guter Anlass, um die Unterschiede in den Politikansätzen deutlich zu machen.
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Wir von der Union fördern den Eigentumserwerb, den Mietwohnungsbau. Mit dem Baukindergeld helfen wir den Familien dabei, sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen zu können.
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Mit finanziellen Anreizen unterstützen wir sie dabei, sich auch ein klimafreundliches Haus zu bauen.
Was wollen die Grünen? Sie wollen den Traum der Familien von einem Eigenheim wie eine Seifenblase platzen lassen.
({2})
Platzraubend und schlecht für das Klima seien Einfamilienhäuser. Junge Familien, die sich ein kleines Eigenheim mit Garten aufbauen wollen, kommen im Weltbild der Grünen doch überhaupt nicht mehr vor. Sie haben das Einfamilienhaus als neues Feindbild entdeckt.
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Statt zu verbieten, zu enteignen und das Einfamilienhaus an den Pranger zu stellen, müssen wir doch den Eigentumserwerb und den Mietwohnungsbau fördern. Das ist unser Ansatz, meine Damen und Herren!
({4})
Als jemand, der den Koalitionsvertrag mitverhandeln durfte, bin ich wirklich froh, dass wir die Liste, die wir dort hineingeschrieben haben, auch abgearbeitet haben. Alle zentralen Beschlüsse aus dem Koalitionsvertrag
({5})
wurden in Gesetze übergeführt.
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Die Bilanz der Wohnraumoffensive ist positiv. Der Bund stellt für die soziale Wohnraumförderung in dieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist eine Rekordsumme, das ist ein Gamechanger. Durch die Neufassung der BImA-Verbilligungsrichtlinie haben wir die verbilligte Abgabe von Liegenschaften für den sozialen Wohnungsbau erleichtert; das wurde heute noch gar nicht erwähnt. Und mit der steuerlichen Förderung des sozialen Wohnungsbaus setzen wir Anreize für den Wohnungsbau.
Das Baukindergeld – da freue ich mich ganz besonders – ist eine Erfolgsgeschichte: rund 310 000 Anträge. Der Minister hat es gesagt: Insgesamt, mit den Familienangehörigen, sind es 1 Million Menschen, die vom Baukindergeld profitieren. Das Durchschnittseinkommen beträgt zum Beispiel bei einer vierköpfigen Familie 45 000 Euro. Das ist also kein Reichenprojekt, sondern das ist ein Projekt, mit dem wir wirklich die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen, mit dem wir entsprechende Familien ganz gezielt unterstützen. Es wird auch die Renovierung von Bestandsimmobilien gefördert. Das ist also ein Erfolgsprojekt. Das lassen wir uns von Ihnen auch nicht nehmen, meine Damen und Herren!
({7})
Die Städtebauförderung wurde neu strukturiert und verstetigt. Zusammen mit den Mitteln aus dem Programm Nationale Projekte des Städtebaus und dem Sportstättenprogramm sind es über 1 Milliarde Euro, die wir in die Städtebauförderung investieren.
({8})
Wir investieren ganz gezielt zum Beispiel auch in die Revitalisierung von Ortskernen. Auch da sehe ich einfach einen Unterschied: Wir wollen nicht Einfamilienhäuser verbieten, um Flächenverbrauch zu vermeiden, sondern wir wollen Familien unterstützen, die die Anwesen in den Ortskernen revitalisieren wollen, modernisieren wollen, da einziehen wollen. Das ist doch der richtige Weg, meine Damen und Herren.
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Als Klimabeauftragte freue ich mich wirklich sehr, dass der gordische Knoten durchschlagen wurde, die Bundesländer sich endlich mal bewegt haben
({10})
und die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung mitgemacht haben. Zusammen mit dem Zuschussprogramm für die energetische Gebäudesanierung haben wir da wirklich einen enormen Schritt nach vorne gemacht, um dem Klimaschutz im Gebäudebereich auch zum Erfolg zu verhelfen.
({11})
Ein Beispiel in dem Zusammenhang ist auch die Austauschprämie. Wir fördern den Heizungsaustausch. Wenn eine alte Ölheizung gegen eine Wärmepumpe, gegen eine Pelletheizung ausgetauscht wird, dann unterstützt der Staat mit einem Zuschuss in Höhe von 45 Prozent der Investitionskosten bar auf die Hand. Das sind die Projekte, mit denen wir vorangehen: Mieterstrommodelle, den Eigenverbrauch zu fördern, indem Photovoltaikanlagen auf Einfamilienhäusern in Zukunft größer sein können, weil sie jetzt bis 30 kW von der EEG-Umlage befreit sind. Das sind unsere Klimaprojekte. Gleichzeitig nehmen wir die Menschen mit, indem wir das Wohngeld erhöhen, indem wir die EEG-Umlage deckeln. Das sind unsere Ansätze.
Sie sehen, meine Damen und Herren, wir haben eine ganze Fülle von Maßnahmen umgesetzt, um die soziale Frage, den Mangel an Wohnraum anzugehen, und zwar im Eigentumsbereich und bei den Mietwohnungen. Unser Ansatz ist ein Ansatz der sozialen Marktwirtschaft und nicht der Planwirtschaft, ein Ansatz der Anreize und nicht der Verbote.
Vielen herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wohnungsmarkt als Spielball der Politik“ ist diese Aktuelle Stunde überschrieben. Ich weiß ja, ehrlich gesagt, schon lange, dass die FDP die Hüterin des Bürokratiemonsters ist; Frau Weeser hat es auch eben wieder einmal rausgelassen. Aber mir ist auch aufgefallen: Sie haben es irgendwie mächtig mit dem „Spielball“. Ich habe mir mal Ihre Anträge angeguckt. Es ist ganz egal, was es ist: Wahlrecht, Flüchtlinge, die FDP selbst oder die Vereinten Nationen – nichts darf zum Spielball werden,
({0})
und heute nicht der Wohnungsmarkt.
Ich darf Ihnen mal sagen: Wir machen auch nichts zum Spielball, sondern wir stellen uns den Herausforderungen der Zeit, den Notwendigkeiten. Das machen wir im Bereich von Bauen, von gutem Wohnen und von bezahlbaren Mieten. Wir haben das – Kai Wegner hat es gesagt – in dieser Legislaturperiode ganz oben auf die politische Agenda gesetzt,
({1})
und wir haben das, glaube ich, ganz gut gemacht.
Ja, wir haben ambitionierte Ziele – darauf haben mehrere hingewiesen – mit dem Bau von 1,5 Millionen Wohnungen. Davon haben wir – danke in Coronazeiten an die Bauwirtschaft, an die Unternehmen, an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – eine ganze Menge verwirklicht: den Bau von 1,2 Millionen Wohnungen sicher, vielleicht auch noch einiges mehr. Ja, wir haben sogar das Grundgesetz geändert, damit der Bund den sozialen Wohnungsbau mit 5 Milliarden Euro wieder fördern kann, weil sonst der soziale Wohnungsbau bundesseitig ausgelaufen wäre.
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Und was wir da in den Ländern erleben, ist nun wirklich keine richtige Offensive im sozialen Wohnungsbau – Chris, ich kann es dir nicht ersparen –, in Baden-Württemberg schon mal gar nicht.
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Das muss man schlicht und ergreifend auf der Grundlage der Zahlen sagen.
Wir haben heute übrigens 42,5 Millionen Wohnungen und die höchsten Steigerungen seit dem Tiefpunkt 2008/2009. Ich zeige Ihnen das mal an einem Schaubild. Achten Sie auf diesen Tiefpunkt, den Sie da bei 2008/2009 sehen, da gab es Leute in der Regierung, die die Marktkräfte entfesseln wollten: Brüderle hieß der eine, Rösler hieß der andere. Hat irgendwie nicht funktioniert. Wir haben die Zahlen danach nach oben gebracht und nicht Sie.
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Und wenn die Zahl von über 700 000 Bauüberhängen heute doppelt so hoch ist wie vor vielen, vielen Jahren, dann will ich darauf hinweisen, dass es nicht am Baugrundstück liegt, dass es nicht an der fehlenden Genehmigung liegt, nicht an der Langsamkeit der Kommunen beispielsweise, sondern dass es andere Gründe hat. Der alleinige Hinweis, man könne mit einer Baugenehmigung nicht wohnen, ist da ein bisschen schwach. Da muss man sich auch mit dem Markt selber beschäftigen wollen.
({5})
Aber Bauen alleine reicht nicht aus. Wir sind mit der Bilanz des gestrigen Wohngipfels, bei dem 41 wirksame Maßnahmen aufgezählt worden sind, auf einem ziemlich guten Weg. Das war relativ positiv. Nicht alles war positiv, Chris Kühn, das will ich gar nicht bestreiten; aber es war mehr Positives dabei als alles andere.
Weil vieles genannt worden ist, will ich das aufgreifen, was die Kollegin Weisgerber angesprochen hat. Ich nenne beispielhaft die steuerliche Förderung des Mietwohnungsbaus mit der zusätzlichen Sonderabschreibung in Höhe von 5 Prozent über der linearen Abschreibung – ein gewaltiger Schub.
Ich will an dieser Stelle auch die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung nennen, durch die es zum Beispiel möglich wird, bei Investitionen von bis zu 200 000 Euro in ein einzelnes Gebäude bis zu 40 000 Euro von der Steuerschuld abzuziehen. Das ist ein riesiger Impuls dafür, dass wir irgendwann energieproduzierende Gebäude bekommen. Das ist jedenfalls auch als Perspektive für Einfamilienhäuser besser, als solche Formen generell infrage zu stellen – von wem auch immer.
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Es gab eine ganze Reihe positiver Stimmen, auch die Erwartung, dass das Baulandmobilisierungsgesetz als Antwort auf die Herausforderungen endlich verabschiedet wird. Ich begrüße es, wie Horst Seehofer den Gesetzentwurf unterstützt. Ich begrüße es, wie es die Bundeskanzlerin getan hat, wie es der Wirtschaftsminister und selbstverständlich Finanzminister Olaf Scholz und Christine Lambrecht möglich gemacht und vorangebracht haben.
Warum ist denn dieser Appell, den Gesetzentwurf voranzubringen, nötig? Damit die Kommunen Handlungsmöglichkeiten haben, damit wir baurechtliche Voraussetzungen dafür schaffen, um jahrelange Baulücken besser schließen zu können, um auf die Beseitigung von Schrottimmobilien reagieren zu können, um Nachverdichtungen durch Dachgeschossausbau beispielsweise zu ermöglichen, um dem Wohnungsbau in der Innenstadt bessere Perspektiven geben zu können – das ist vor dem Hintergrund der Innenstadtdebatte, glaube ich, besonders wichtig –, und auch, um Bodenspekulationen zu begegnen.
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Wir brauchen es außerdem – das will ich auch sagen –, um Geschäftsmodelle zu begrenzen, die die Wohnung, die Heimat, das Zuhause in Hamburg, Frankfurt, Berlin, Köln, München und in vielen anderen Städten zur Ware degradieren, und um stattdessen solche zu fördern, die den Schutz der Betroffenen höher einschätzen als das Geschäftsmodell von Immobilienkonzernen. Das ist unsere Melodie.
({8})
Kurzum: Es geht darum, mehr Freiheit in den Kommunen zu ermöglichen, damit dort Lebensqualität gesichert werden kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Bauministerin aus Nordrhein-Westfalen meint, damit habe man Maß und Mitte verloren, entgegne ich ihr, dass das ein Beispiel für Mittelmäßigkeit war.
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Ich habe die Bitte: Orientieren Sie sich nicht daran! – Ich kann Ihnen das im Detail belegen, wenn es um Nordrhein-Westfalen geht.
Letzte Bemerkung. Lassen Sie es, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, weil wir eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen haben, nicht zu, dass der Eindruck erweckt wird, die Unterstützung Ihrer eigenen Regierung, unserer gemeinsamen Regierung, sei Ihnen weniger wichtig als die Begehrlichkeiten von Teilen der Immobilienwirtschaft. Das darf nicht sein.
({10})
Die Zustimmung zum Baulandmobilisierungsgesetz wäre dafür das richtige Zeichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie sollten auch wissen, dass Freiheit etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat.
Kollege.
Das war auch mal ein Gedanke des sozialen Liberalismus. Erinnern Sie sich bitte daran!
Danke schön.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Thorsten Frei das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man diese Debatte verfolgt hat, dann ist es schon demaskierend, welche Schlagworte verwendet werden.
({0})
Der Mietendeckel stand im Mittelpunkt. Die Forderung, die Deutsche Wohnen zu enteignen,
({1})
ist sozialistische und kommunistische Rhetorik wie zu allerbesten Zeiten.
Lieber Herr Kühn, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen:
({2})
Es ist doch komisch, dass die Grünen hier offensichtlich von jedem falsch verstanden werden, was die Zukunft des Einfamilienhauses anbelangt.
({3})
Wenn man auf der Autobahn unterwegs ist und einem lauter Autos auf der eigenen Spur entgegenkommen, dann kann man sich doch nicht hinstellen und sagen: „Das sind lauter Geisterfahrer, die mir da entgegenkommen“, sondern dann müsste man mal überlegen, was man eigentlich selber für eine Politik macht.
({4})
Ich will darauf hinweisen – und deswegen finde ich den Titel der Debatte „Freiheit und Eigentum im Wohnungsmarkt“, den die FDP gewählt hat, durchaus treffend –, dass das Ganze seinen Ursprung in Artikel 14 unseres Grundgesetzes hat. Die Eigentumsgewährleistung steht in der historischen Tradition der Aufklärung und der Verfassungen der Neuzeit, wo das Wohnungseigentum und die Gewährleistung der Eigentumsgarantie letztlich auch ein Menschenrecht ist. Wir sehen doch an ganz vielen Stellen, wie Eigentum und Freiheit nicht nur miteinander verquickt sind, sondern sich häufig auch gegenseitig bedingen. Deswegen ist das in der Tat ein ganz entscheidender Punkt, den man eigentlich zum Ausgangspunkt dieser Debatte machen sollte.
({5})
Uns ist von daher natürlich auch klar, dass es Eigentum in unserem Grundgesetz nicht ohne soziale Leitplanken gibt und dass es eine Sozialpflichtigkeit des Eigentums gibt. Deswegen gibt es ja das soziale Mietrecht. Das ist sozusagen Ausfluss dieses Verfassungserfordernisses. Es ist doch vollkommen klar – wir müssen doch wissen, worüber wir reden –: Es geht einerseits darum, das Eigentum des einen zu schützen, und andererseits darum, das Zuhause des anderen zu schützen. Das sind zwei Seiten einer Medaille, und wir haben beides im Blick. Weil der Sozialismus falsch ist und der Marktradikalismus genauso,
({6})
wählen wir den Weg in der Mitte. Und das ist das, was die Menschen in unserem Land letztlich auch brauchen.
Beim sozialem Mietrecht – das hat in dieser Debatte ja schon eine Rolle gespielt – ist in dieser Legislaturperiode viel passiert. Wir haben die Mietpreisbremse gemacht. Wir haben sie nicht nur gemacht, sondern auch verlängert. Wir haben die Kappungsgrenze festgesetzt und den Betrachtungszeitraum im Mietspiegelrecht verlängert. Nur, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nie den Eindruck erweckt – jedenfalls wir von der Union nicht –, dass dies nachhaltige Allheilmittel sind. Das verschafft uns Zeit,
({7})
nicht damit wir den Kuchen besser verteilen können, sondern damit wir den Kuchen insgesamt größer machen können. Darum geht es letztlich; dafür machen wir Politik.
Jetzt will ich mal ein Beispiel nennen, wo wir Christdemokraten leider noch nicht in eigener Sache mitreden. Schauen Sie sich mal die Städte Hamburg und Berlin an: Wie haben die Kommunen, wie haben die Länder diese Möglichkeiten und diese Zeit genutzt? In den letzten zwölf Jahren sind in Hamburg immerhin 28 500 Sozialwohnungen gebaut worden, in Berlin im gleichen Zeitraum 12 900; das ist im Hinblick auf die Größe der Städte nicht einmal ein Drittel dessen, was in Hamburg gebaut worden ist.
({8})
Deswegen könnte man es auch wie folgt auf den Punkt bringen: Berlin reglementiert und deckelt, und Hamburg baut.
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Deshalb muss man ganz klar sagen: Diese Instrumente nehmen wir nicht als Blaupause für Untätigkeit, sondern wir erwarten auch, dass die Kommunen und Länder die Voraussetzungen dafür schaffen, dass gebaut wird, weil wir den Mangel an Wohnraum letztlich nicht dadurch beheben, dass wir ihn feinziselierter aufteilen, sondern nur, indem wir mehr Wohnraum schaffen.
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Jetzt ist viel – auch kleinteilig – darüber diskutiert worden, wie viel Wohnraum in den letzten vier Jahren eigentlich in Deutschland geschaffen worden ist. Ich will mal eine eindrückliche Zahl nennen – und das ist auch ganz wesentlich ein Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung –: In den letzten Jahren sind über 300 000 Baugenehmigungen pro Jahr in Deutschland erteilt worden. Vor zehn Jahren waren es noch 100 000 Baugenehmigungen pro Jahr weniger. Das ist doch der Ausfluss unserer Politik: nicht nur, dass 310 000 Familien mit Kindern Baukindergeld bekommen haben, nicht nur, dass wir 5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau gesteckt haben, sondern auch, dass wir beispielsweise 1,6 Milliarden Euro in die Städtebauförderung gegeben haben. Als ehemaliger Oberbürgermeister weiß ich, dass da jeder einzelne Euro, der öffentlich investiert wird, mit 8 privat investierten Euros gehebelt wird. Das ist effektive Politik, und das kann man im Übrigen in den Zahlen wiederfinden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Ulrich Lange das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen zu Eigentum und Mieterschutz.
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Und lassen Sie mich eins sagen: Es war beeindruckend, wie der Bundesminister Horst Seehofer dies zusammengebunden und zum Ausdruck gebracht hat. Ich glaube, da haben ganz wenige auch nur an irgendeiner Stelle abweichen können.
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Deswegen ist genau diese Politik, die wir in dieser Koalition die letzten Jahre gemacht haben, auch so erfolgreich gewesen.
Liebe Grüne, ja, ist klar: Missverständnis – das kennen wir alle –, falsch verstanden, Phantomdebatte.
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Eins hat sich doch gezeigt: Mein lieber Freund Toni Hofreiter – der heute leider nicht da sein kann – als einer der Auslöser dieser Debatte, Ihr Fraktionsvorsitzender der Partei der Teure-Altbauwohnungen-Besitzer, will über den Lebenstraum derer, die auf dem Land – in erster Linie sind es die Menschen auf dem Land – ihre Einfamilienhäuser mit Garten haben, bestimmen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu sagen wir ganz deutlich: Nein.
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Wir sagen Ja zum Einfamilienhaus, Ja zu unserem Garten. Den können wir dann ökologisch anlegen. Wer mag, kann auch eine Photovoltaikanlage dort installieren, um sein E-Auto anzuschließen. Das wird von uns auch noch gefördert. Das ist alles gut. Lasst uns auf dem Land so leben, wie wir leben wollen. Jeder darf leben in der Form, mit der er glücklich wird. Dafür stehen wir.
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Die Wohnraumoffensive war erfolgreich. Wir haben viel gehört; ich nenne nur zwei Zahlen: Das Bauvolumen im Wohnungsbau 2020 betrug 255 Milliarden Euro, 2009 waren es 143 Milliarden Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da muss man nicht viel rechnen können: Es ist so viel mehr, wie es kaum mehr sein könnte. Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung!
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Wir haben das Grundgesetz ändern müssen – ich sage das so deutlich –, weil die Länder ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sind. Ich will da jetzt nicht mit meinem Finger auf andere zeigen; denn, so sagt man, die meisten Finger zeigen ja immer auch auf einen selbst zurück. Trotzdem ist in den Ländern eine Aufgabe über Jahre nicht erfüllt worden. So schnell können wir in diesen Jahren gar nicht bauen, um das, was in den Jahren davor versäumt wurde, aufzuholen.
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Und wir haben viel investiert in diesem Bereich: 5 Milliarden Euro im sozialen Wohnungsbau; das ist eine Ansage. 6,5 Milliarden Euro Baukindergeld; das ist eine Ansage, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist offensive Baupolitik.
Zu alldem gehört eines
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– Klatschen erlaubt –;
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ich habe die Länder angesprochen: Wir können bauen und werden trotzdem in gewissen Teilen immer hinterherhinken. Zur Wohnungspolitik gehört auch Strukturpolitik. Wenn wir das in manchen Ländern nicht begreifen, dann werden wir Leerstände haben, und alle werden in die Stadt ziehen. Das ist nicht die Lösung.
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Die Lösung heißt Strukturpolitik, damit die Menschen dort bleiben, weil sie dort Chancen haben. Wir haben viel Leerstand in einigen Teilen Deutschlands. Wir haben viele Leerräume in vielen Gebieten. Wir haben, was die Bevölkerung angeht, schrumpfende Regionen. Dort können wir durch aktive Strukturpolitik etwas verändern.
Ich komme selber – man glaubt es kaum – aus einer Region in Bayern, die schrumpfend war.
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Wir haben inzwischen aber über die Heimatoffensive 100 Beamte für das Finanzamt bekommen. Das ist ein Zuzug von Menschen, die aus München wieder zurückgekommen sind. Die wollten bei uns leben und wohnen. Wir haben ein Technologiezentrum bekommen. Wir haben jetzt die Ansiedlung von Varta: 100 Millionen Euro Förderung vom Bund und in der ersten Ausbaustufe 2 000 Mitarbeiter. Das ist aktive Strukturpolitik, und auch das ist Wohnpolitik.
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Nur so kann es funktionieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, seien Sie versichert – wir sind ja im parlamentarischen Verfahren –: Das Baulandmobilisierungsgesetz wird kommen.
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Aber wir halten uns an Ihren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden: Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hereinkommt.
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Da nehme ich Sie und uns beim Wort. Wir werden hier noch einiges gemeinsam zu arbeiten haben.
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Aber dieses Gesetz kommt. Dafür stehe auch ich hier an dieser Stelle.
Was brauchen wir weiter? Wir brauchen ein Brachflächenprogramm für die Verdichtung im Inneren. Wir brauchen den Fortbestand der sozialen Wohnraumförderung auf höherem Niveau, die Städtebauförderung – vom Kollegen gerade angesprochen –, -
Herr Kollege Lange, Sie bräuchten jetzt noch Redezeit, haben aber keine mehr.
– das KfW-Bürgschaftsförderprogramm, den Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer. Wir brauchen steuerliche Anreize.
Am Ende noch mal:
Kommen Sie zum Schluss.
Wir schaffen es nur gemeinsam – Bund und Länder gemeinsam, Eigentümer und Mieter gemeinsam – und mit echter Strukturpolitik.
Danke schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere heutige Debatte, die wir führen, ist nicht nur Ausdruck eines gewachsenen politischen, sondern auch eines öffentlichen Interesses an Afrika hier in Deutschland. Dass wir mitten in einer globalen Pandemie über Afrika diskutieren, erinnert uns vor allen Dingen auch daran, wie eng die Schicksale Europas und Afrikas miteinander verknüpft sind, gerade in Zeiten einer globalen Pandemie.
Deshalb haben wir von Beginn an gesagt: Die Pandemie wird zum Bumerang, wenn wir sie nicht überall auf der Welt in den Griff kriegen. Das gilt für uns in Europa ganz besonders mit Blick auf Afrika. Deshalb bin ich froh, dass die Covax-Initiative diesen Monat mit der Auslieferung erster Impfdosen begonnen hat, und zwar auch in Afrika. Dass Deutschland beim G-7-Treffen gerade 1,5 Milliarden Euro für die weitere Pandemiebekämpfung weltweit zur Verfügung gestellt hat, kann man in seiner gesundheitspolitischen, aber auch in seiner außenpolitischen Wirkung gar nicht hoch genug einschätzen.
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Dafür ein herzlicher Dank an den Bundesfinanzminister und die Haushälter des Bundestages, dass sie das mit möglich gemacht haben.
Meine Damen und Herren, wie wir unsere Partner in Afrika heute bei der akuten Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen unterstützen, wird unsere Partnerschaft auf Jahre hinaus prägen. Am Ende geht es auch darum, zu zeigen, dass ein multilateraler Ansatz wie Covax mehr Erfolg bringt als ein Wettrennen jeder gegen jeden.
Das bedeutet nicht, Afrika ausschließlich durch die Brille der Konkurrenz mit Ländern wie China, Russland, der Türkei oder den Golfstaaten zu sehen. Ganz im Gegenteil: Afrika taugt nicht zum Great Game des 21. Jahrhunderts; das wissen wir alle. Wir sind fest davon überzeugt, dass nur ausgewogene Beziehungen, an denen man durchaus noch arbeiten kann, für beide Seiten nützlich sind. Schließlich sind Europäer und Afrikaner in allen großen Zukunftsfragen – Klimawandel, Sicherheit, Flucht, Migration, nachhaltige Entwicklung – unmittelbar aufeinander angewiesen.
Ziel des geplanten Gipfeltreffens der Europäischen Union mit der gerade neu gewählten Spitze der Afrikanischen Union muss deshalb eine Zukunftspartnerschaft sein, die wir mit ganz konkreten Initiativen füllen. Da denke ich etwa an die gezielte Förderung – an was sonst in diesen Zeiten? – der afrikanischen Gesundheitssysteme, an eine noch engere Zusammenarbeit bei digitalen Innovationen und bei erneuerbaren Energien – Letzteres ist ein Thema, auf das wir von allen afrikanischen Partnern immer wieder angesprochen werden – und nicht zuletzt an die Unterstützung Afrikas bei seinem mutigen Zukunftsprojekt einer kontinentalen Freihandelszone, die zum Turbo für die wirtschaftliche Integration Afrikas werden könnte.
Meine Damen und Herren, Deutschland und Europa haben in Afrika schon jetzt einiges anzubieten: 40 Prozent der in Afrika getätigten Investitionen stammen aus der Europäischen Union. Manchmal hat man ja den Eindruck, dass ausschließlich China in Afrika investiert; das ist aber eben nicht so, was man feststellt, wenn man sich die Fakten anschaut. Mehr als die Hälfte der Entwicklungshilfe kommt aus der Europäischen Union. Vor allem aber ist Europa Afrikas engster Partner für Frieden und Sicherheit. Gerade in diesem Bereich gibt es in Afrika viel zu tun. Das spiegelt sich nicht zuletzt in gemeinsamen Friedensmissionen und in steigenden Investitionen in die Ausbildung, Ausrüstung und Beratung von Sicherheitskräften in unterschiedlichsten afrikanischen Ländern.
Strukturelle Reformen und die Stärkung der zivilen Kontrolle über die Sicherheitskräfte vor Ort spielen bei unseren Ausbildungsmissionen immer eine ganz besondere Rolle. Und mit diesem wirklich sehr umfassenden Engagement, meine Damen und Herren, sind in den letzten Jahren auch unsere politischen Gestaltungsmöglichkeiten in und mit Afrika deutlich gewachsen.
Wir haben uns als Initiator des Berliner Prozesses ganz bewusst entschieden, Verantwortung etwa für den libyschen Friedensprozess zu übernehmen. Mit der erfolgreichen Wahl einer politischen Führung – sie hat gerade stattgefunden –, die das Land bis zu den Wahlen im Dezember führen soll, zeigen sich nach einer langen Durststrecke – das will ich überhaupt nicht verschweigen – endlich erste Früchte. Das ist natürlich mit Blick auf Libyen keine Garantie für dauerhaften Frieden; aber die bisherigen Erfolge bestärken uns in unserem Engagement.
Auch am Horn von Afrika ist Deutschlands politisches Profil gewachsen. Unser Drängen nach humanitärem Zugang zur umkämpften Region Tigray zeigt langsam Wirkung, auch bei der äthiopischen Regierung. Wobei ich auch da sagen muss: Wir sind bei Weitem noch nicht da, wo wir, viele andere europäische Staaten und die internationalen Organisationen hinwollen. Eine zentrale Rolle spielen wir auch bei der Unterstützung der politischen Transition im Sudan; als Initiator der Friends of Sudan und Ausrichter der internationalen Partnerschaftskonferenz im letzten Juni haben wir das mehr als deutlich gemacht. Dass mit Volker Perthes, den die Außenpolitiker hier gut kennen, ein Deutscher die von uns letztes Jahr mitgegründete zivile Mission der Vereinten Nationen in Khartum leitet, zeigt doch, welch großes Vertrauen gerade Deutschland in der Region genießt.
Auch im Sahel und in der Tschadsee-Region hat sich unser politisches Engagement in den letzten Jahren vervielfacht. Mit Frankreich, der Europäischen Union, den G-5-Staaten haben wir die Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität ins Leben gerufen, um das internationale Engagement für Stabilisierung besser vor Ort abzustimmen. Der Bedarf dafür besteht immer noch. Bei dem Sahel-Gipfeltreffen letzte Woche im Tschad haben sich alle Partner auf einen „civilian surge“ verständigt. Es geht im Kern um eine Rückkehr des Staates mit all dem, was damit zusammenhängt. Dafür braucht es Polizeikräfte, die die Menschen vor Verbrechen schützen, Ingenieure, die Straßen und Wasserversorgungsleitungen reparieren, und Richter, die auch ohne Bestechungsgelder Recht sprechen.
Meine Damen und Herren, mit dem politischen Kapital, das wir in Afrika investieren, steigen natürlich auch die Erwartungen an uns. Um ihnen gerecht zu werden, braucht es zweierlei, wie ich finde: Demut und Zuversicht. Demut brauchen wir vor allem mit Blick auf das Unrecht der kolonialen Vergangenheit, ausdrücklich auch derjenigen unseres eigenen Landes. Die Folgen des Kolonialismus wirken bis heute, bis in die Gegenwart. Umso entschlossener wollen wir bei der Aufarbeitung all dieser Punkte vorankommen.
Zuversicht brauchen wir vor allen Dingen beim Blick auf das, was Europa und Afrika einander zu bieten haben. Wo andere Waffen, Söldner und als billige Kredite getarnte Schuldenfallen anbieten, ist unser Angebot ein partnerschaftliches, demokratisches, am Gemeinwohl orientiertes Miteinander. Gerade dort, wo autoritäre Staaten gezielt Desinformationen streuen, müssen wir noch stärker mit den Fakten dagegenhalten. Das tun wir zum Beispiel durch unsere regionalen Deutschlandzentren, von denen ein weiteres gerade in Bamako entsteht.
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Meine Damen und Herren, die umfassende Afrikapolitik, die sich, wie ich finde, daraus ergibt, braucht Menschen, die sie umsetzen. Derzeit sind wir im Auswärtigen Amt mit Hochdruck dabei, neue Kolleginnen und Kollegen für unsere Auslandsvertretungen in Afrika zu rekrutieren. Sie werden die Stellen besetzen, die der Bundestag in seinem letzten Haushalt zusätzlich zur Verfügung gestellt hat, wofür ich mich ganz herzlich bedanke. Sie sind notwendig, um das gestiegene Engagement von uns auch dauerhaft und nachhaltig vor Ort operationalisieren zu können.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dietmar Friedhoff für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Minister Müller und Maas! Hakuna Matata, Afrika? Alles in Ordnung, Afrika? Mitnichten! Nach 60 Jahren fehlgeleiteter Entwicklungsabhängigkeitspolitik können wir feststellen: Wenig ist in Ordnung in Afrika. Corona offenbart es. Das heutige Thema „umfassende Afrikapolitik im globalen Kontext“ hätte das Potenzial zu Wertschöpfung und Teilhabe, wäre da nicht die Politik der falschen Worte, der falschen Hoffnungen, der globalen Fallstricke.
Es geht – formal – um den weltweiten Kampf gegen Armut, Ungleichheit, Klimawandel und die jetzigen und zukünftigen Viruspandemien. Losung: Wir können es nicht alleine. – Aber was bitte hat je im globalen Ganzen funktioniert? Es ist und bleibt ein Puzzle klarer nationaler Eigeninteressen. Afrikapolitik wird sehr oft als Doktor Mad Max Müllers Strategie aus „Jenseits der Donnerkuppel“ dargestellt, ein Endzeit-Movie, das in der Filmkritik wie folgt beschrieben wird: Ein technisch perfekt inszeniertes Endzeitspektakel mit einer Dimension von Hoffnung.
Die UN hat sich dazu die 17 Nachhaltigkeitsziele einfallen lassen: Tolle Farbgestaltung und wirklich ein hervorragendes Marketing, aber leere Versprechungen. Warum? Weil die Geschwindigkeit der Bevölkerungszunahme – das kann ich nur immer wiederholen – so enorm ist, dass es keinen nachhaltigen Prozess geben kann und geben wird.
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Es wird einfach nicht gehen, ohne unsere Ressourcen endgültig zu zerstören – globale Umverteilung ohne Sinn und Verstand. Die Beweise liegen doch klar auf der Hand. Die Entwicklungspolitik der letzten 60 Jahre hat eben nicht den Hunger und die Armut für einen Großteil der Menschen gelindert. Im Gegenteil: Der Abstand zwischen Arm und Reich ist doch immer größer geworden. Mit „Reich“ meinen wir nicht den deutschen Durchschnittsbürger. Es gilt, zukünftig 10 Milliarden Menschen am Konsum teilhaben zu lassen, koste es, was es wolle. Soziale Umverteilung ohne Nutzen für die wirklich Armen dieser Welt.
Nun, wir wissen: Politik ist sehr oft ganz weit entfernt von Realismus. Sie bedient sich oft der Ängste der Menschen, um Perspektiven vorzugaukeln, die es nicht gibt, und zwar mit dem eigentlichen Ziel – jetzt kommen wir, glaube ich, auch zur Sache –, immer mehr Geld in die Hände zu bekommen. Mit diesem Geld werden nun nicht die Kleinen größer und die Armen reicher; es werden die Reichen reicher und die Großen größer. Es hat sich nämlich hier eine immer größer werdende Rettungsindustrie etabliert, die nur eines zum Ziel hat: sich selbst zu ernähren.
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Hier wird richtig Geld verdient. Ich kann mich an meine erste Rede im Deutschen Bundestag erinnern, da habe ich nämlich gefragt: Wie viel Cent von einem Euro kommt denn wirklich jenseits dieser Wasserköpfe an?
Was wurde nicht schon alles gemacht. Ein prominentes Beispiel ist das Cotonou-Abkommen. Viel Geld ist geflossen. Nachhaltig? Nein. Erfolgreich? Nein. Weil es so toll war, kommt jetzt ein Post-Cotonou-Abkommen, das eigentlich schon jetzt gescheitert ist; denn die Partner, mit denen wir das umsetzen wollen, lehnen wesentliche Punkte ab: Gleichberechtigung, Einmischung in die Geburtenpolitik und Korruption ist und bleibt der faule Zahn im Gebiss des afrikanischen Löwen.
Also, stoppen wir sofort den entwicklungspolitischen Ansatz der letzten 60 Jahre und gehen wir über in eine zielgerichtete, wirtschaftliche Zusammenarbeit, die dem Rohstoff-Grabbing entsagt und stattdessen auf Wertschöpfung setzt, die auch klar deutsche Interessen definiert, und zwar gerade im fairen Miteinander im Bereich der Rohstoffe für unsere eigene heimische Wirtschaft.
Bilateral ist das Zauberwort. Unterstützen wir Afrika in der Umsetzung seiner eigenen persönlichen Agenda 2063, damit endlich Resilienz, Nachhaltigkeit und Wertschöpfung in Afrika in Form eines funktionierenden afrikanischen Binnenmarktes entsteht, in Afrika, für Afrika, damit wir irgendwann wirklich in Afrika den Swahili-Spruch hören können: Hakuna Matata, Afrika – Alles ist in bester Ordnung, Afrika.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Gerd Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert Afrikas. Die Bevölkerung Afrikas wächst bis 2050 auf 2 Milliarden Menschen und bis 2100 möglicherweise auf 4 Milliarden Menschen – ich komme gerade von der Botschafterkonferenz in meinem Haus –; Afrika ist der Wachstumskontinent des 21. Jahrhunderts. Afrika ist Faszination, Herausforderung und Chance zugleich.
Ich erinnere mich an die Rede, die Horst Köhler gehalten hat, als er hier zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Er hat dieses Thema bereits vor zwanzig Jahren zu einem Schwerpunktthema gemacht, und er hatte recht, meine Damen und Herren.
Mit der Agenda 2063 hat die Afrikanische Union ihren eigenen Weg definiert. Uns muss dennoch klar sein: Europa, Deutschland, Afrika – bei den großen, globalen Herausforderungen sitzen wir in einem Boot; wir sind eine Welt. Wir müssen jetzt neue Brücken der Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika bauen. Mit dem Marshallplan mit Afrika haben wir einen Paradigmenwechsel eingeleitet und eine neue Form der Zusammenarbeit auf Augenhöhe umgesetzt.
Uns verbinden Kultur und Geschichte; denn Afrika ist die Wiege der Menschheit. Frühe Hochkulturen haben sich dort entwickelt. Wir in Europa tragen aber auch geschichtliche Verantwortung für die Versklavung der Menschen in Afrika und den Sklavenhandel, für die Folgen und für die Verbrechen des europäischen Kolonialismus. Meine Damen und Herren, wer Geschichte nicht versteht, kann Zukunft nicht gestalten.
Heute verbinden uns gemeinsame Interessen – der Außenminister hat darauf hingewiesen – in Fragen der Sicherheit in der Sahelregion, in Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, des Umwelt- und Klimaschutzes – kein Klimaschutz ohne den afrikanischen Kontinent –, aber auch in der Frage der Migration.
Afrika 2063 – das ist der afrikanische Weg, den wir unterstützen. Das jetzt verhandelte Post-Cotonou-Abkommen bietet die Chance eines neuen Jahrhundertvertrags: ein Kontinent-zu-Kontinent-Abkommen zwischen Afrika und Europa für die Vernetzung des europäischen Binnenmarktes mit der neuen Afrikanischen Freihandelszone. Unsere Antwort darauf muss eine Europäisierung der Afrika-Politik sein. Das sage ich insbesondere in Richtung von Brüssel – nicht in Richtung des Außenministers; wir sind uns hier einig –; denn in Brüssel muss einiges passieren.
Erstens: die Entwicklung und Vernetzung politischer Strukturen – wir laufen nebeneinander, nicht miteinander –, etwa durch die Schaffung eines EU-Afrika-Rates und durch die Einsetzung eines EU-Afrika-Kommissars. Es sollten sich nicht fünf Kommissare da oder dort für diesen Kontinent bemühen.
Zweitens: der Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in erster Linie durch faire Handelsbeziehungen.
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Dazu gehört aktuell – ich bedanke mich dafür bei den Koalitionsfraktionen – ein Lieferkettengesetz, das mit der Ausbeutung von Kindern, der Ausbeutung von Mensch und Natur Schluss macht.
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Die afrikanischen Botschafterinnen und Botschafter haben sich heute ausdrücklich bedankt; denn das ist der Weg: durch fairen Handel, Wertschöpfung vor Ort – auf den Kaffee-, Baumwoll-, Kakaoplantagen, in den Kupfer-, Coltan-, Kobaltminen –, durch faire Preise und faire Standards den Afrikanerinnen und Afrikanern faire Bedingungen zu geben.
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Notwendig ist auch, einen EU-Investitionspakt von mindestens 50 Milliarden Euro aus privaten Investitionen in den nächsten Jahren zu mobilisieren. Dazu werden wir zum EU-Afrika-Gipfel einen Vorschlag machen. Ebenso wichtig ist der Green New Deal. Der Green New Deal Brüssels braucht einen Afrika-Pfeiler. Wer meint, den Klimaschutz allein in Europa bewältigen zu können, der liegt falsch. Afrika und die Entwicklungs- und Schwellenländer sind der Schlüssel für globalen Umweltschutz.
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Wir müssen auch in Ausbildung investieren. Einer der Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist die Stärkung der Landwirtschaft. Ein Bevölkerungswachstum in Afrika ist ohne Hunger möglich. Die afrikanischen Länder haben das Potenzial, ihre Menschen selbst zu ernähren. Afrika hat das Potenzial; wir können Technologie und Ausbildung liefern. Es ist möglich: ein Afrika ohne Hunger. Wir dürfen nicht nur an uns selbst denken. – Das hat der Außenminister eben schon dargestellt. Darum kürze ich diese Passage meiner Rede.
Diese Pandemie ist eine weltumfassende Pandemie, eine Polypandemie. In Afrika haben wir die Situation, dass Millionen von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind. Der Lockdown hat verhindert, dass Medikamentenlieferungen zu den Menschen kommen. Dort sterben dieses Jahr nach Schätzungen von UN-Experten bis zu 2 Millionen Menschen am Lockdown, weil keine Medikamente für die Behandlung von Malaria, Tuberkulose und HIV zur Verfügung stehen, meine Damen und Herren.
Das Vakzin, der Impfstoff, ist ein globales Gut. Das müssen wir deutlich unterstreichen.
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Covid trifft die Ärmsten der Armen am härtesten. Deshalb ist es großartig, dass die Kanzlerin, dass Deutschland, dass Sie, dass wir vorausgehen: 8,2 Milliarden Euro im letzten und in diesem Jahr, die Deutschland in Covax und eine globale Impfaktion investiert.
Aber die Ausgangslage – das zum Schluss – ist nicht befriedigend. Etwa 70 Prozent der verfügbaren Impfstoffmengen gehen an Industrieländer, in denen rund 16 Prozent der Weltbevölkerung leben; das ist die Momentaufnahme. Erst fünf afrikanische Länder haben überhaupt Impfstoff; das ist absolut nicht befriedigend. Und es fehlen 5 Milliarden Dollar für das Welternährungsprogramm. Mit dem Friedensnobelpreis ist es nicht getan. Wir müssen 5 Milliarden Dollar dafür aufbringen, dass die Menschen im Rahmen dieses Lockdowns nicht verhungern.
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Und – Herr Präsident, ich muss das hier nennen –:
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8 Milliarden Euro von Deutschland, von der internationalen Gemeinschaft fehlen noch 25 Milliarden Dollar, um 20 Prozent der Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern Zugang zum Impfen zu bieten. Daran darf es finanziell nicht scheitern. 25 Milliarden!
Meinen herzlichen Dank.
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Die Verwirrung rührt daher, dass am Pult unverändert „Präsident“ aufleuchtet. Aber ansonsten ist alles in Ordnung.
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Das Wort hat für die FDP-Fraktion Dr. Christoph Hoffmann.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Werte Minister! Afrika ist heterogen. Afrika ist riesig. In 30 Jahren werden rund 25 Prozent der Weltbevölkerung in Afrika wohnen, in Europa dagegen nur noch 5 Prozent. Die Dynamik in Afrika bringt Chancen für Entwicklung und Wirtschaft, für eine partnerschaftliche Beziehung, die beide Seiten wirklich brauchen. Und das müssen wir nutzen und nicht ausblenden wie bisher. Afrika muss eine höhere Bedeutung für uns bekommen.
Mit nur 19 Jahren Durchschnittsalter ist Afrika der junge Kontinent. Eine neue Generation ist da, weitaus gebildeter und informierter als je zuvor. Sie wird die Macht übernehmen und ihr Afrika formen. Die Zukunft mit dem Nachbarkontinent wird nur gut, wenn wir die Herzen der Jugend Afrikas gewinnen für unsere Werte: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
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Schauen wir nach Sambia. Es gehört zu den größten Kupferlieferanten dieser Welt, die Kupferpreise explodieren wegen des weltweiten Bedarfs – eigentlich Grund für eine goldene Zukunft. Aber mitnichten! Im November 2020 meldet Sambia, verursacht durch die alten Autokraten, den zweiten Staatsbankrott an. Korruption lähmt den Staat, und die Jugend ist ohne Perspektive. Der geoökonomische Einfluss von Russland und China ist allenthalben zu spüren in Afrika. Wohin soll sich Afrikas Jugend denn wenden?
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Schauen wir nach Uganda. In 35 Jahren Regentschaft hat der 76-jährige Präsident aus dem Reichtum des Landes nicht viel gemacht. Sein Wahlkonkurrent Bobi Wine, 39 Jahre alt, wurde im Wahlkampf 2021 brutal behindert. Viele seiner Wahlkämpfer sind getötet worden. Aber Bobi Wine ist ein Vertreter dieser neuen Generation. Haben wir ihn wirklich unterstützt? Gewinnen wir so die Herzen der Jugend in Afrika?
Schauen wir nach Kamerun: Der Präsident hat die Wahlen gefälscht. Er hat 300 Dörfer niederbrennen lassen, vierjährige Kinder sind verkohlt. Hunderttausende sind auf der Flucht. Der 88-jährige Präsident Biya ist seit über 38 Jahren an der Macht. – Was geschieht hier im Hinblick auf die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus, Herr Maas? Weder für die Kanzlerin noch für Sie, Herr Maas, ist das bisher ein drängendes Thema. Gewinnen wir so die Herzen der Jugend in Afrika?
Schauen wir in den Tschad: Im April wird dort gewählt, aber die Opposition wird massiv behindert. Der 69-jährige Präsident ist seit 30 Jahren im Amt. Von den 13 Milliarden Euro, die durch den Verkauf von Öl erzielt wurden, hat er seinem Volk nicht allzu viel gegönnt. Auch über ihn hält Europa eine schützende Hand. Gewinnen wir so die Herzen der Jugend Afrikas?
Tschad ist ein wichtiger Verbündeter im Kampf der G 5 Sahel gegen den Islamismus. Frankreich unterstützt den Kampf vehement – Gott sei Dank –; aber im Sahel gewinnen wir nur, wenn wir die Herzen der Jugend dort vor Ort gewinnen. Herr Maas, jetzt kommt etwas für Sie: Frankreich ist unser wichtigster Freund in Europa; aber einen guten Freund lässt man nicht ins Messer laufen. Man gibt ihm einen freundschaftlichen Rat, und der lautet: Die Uraltdespoten dürfen nicht weiter unterstützt werden. – Nur so gewinnen wir die Herzen der Jugend in Afrika.
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Investitionen statt Almosen fordert Ilwad Elman, die 30-jährige Somalierin, Preisträgerin des Deutschen Afrika-Preises. Aber nur wenn Rechtsstaat, Meinungsfreiheit und Demokratie sich durchsetzen, wird es diese breiten Investitionen überhaupt geben können. Und mit mehr Investitionen gewinnen wir dann auch die Herzen der Jugend in Afrika.
Herzlichen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Sevim Dağdelen das Wort.
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Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frieden und Sicherheit nach Afrika bringen zu wollen, ist erklärtermaßen eine der Top-Prioritäten im Rahmen der Afrika-Strategie der Bundesregierung. Aber statt Frieden und Sicherheit nach Afrika zu bringen, exportiert die Bundesregierung Tod und Zerstörung. So sprechen Sie, Herr Maas, in Ihrer Afrika-Strategie zwar von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik; tatsächlich aber hat die Bundesregierung die Anzahl der Genehmigungen und Waffenexporte nach Afrika in den letzten Jahren massiv gesteigert. Afrikanische Länder wie Ägypten, Algerien und Tunesien gehören zu den TOP-20-Empfängerländern deutscher Waffen. Wer wirklich etwas für Frieden und Sicherheit in Afrika tun will, der muss die deutschen Waffenexporte in diese Region stoppen.
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Das gilt auch für die Bundeswehr. Immer stärker ist Deutschland an der Seite der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich im Sahel präsent. Allein 1 500 Bundeswehrsoldaten sind in Mali stationiert. Wenn es nach der Union geht, sollen es ja immer mehr werden, um Frankreich bei dem verlorenen Krieg in Nordafrika unter die Arme zu greifen. Ich frage mich, ob es Ihr Selbstbild als Sicherheitsexporteur nicht erschüttert, wenn Sie jetzt sehen, dass die Bevölkerung in Mali – aber auch andernorts, über Mali hinaus – einen Abzug der französischen Truppen fordert und dafür auf die Straße geht. Denn auch wenn hier im Bundestag ja immer wieder gerne anderes behauptet wird, ist festzustellen: Soldaten ehemaliger Kolonialmächte sind in Afrika denkbar unbeliebt. Wenn Sie wirklich Sicherheit exportieren möchten, dann müsste die Bundesregierung jetzt den Rückzug der Bundeswehr aus diesem schmutzigen Krieg in Nordafrika anordnen.
({1})
Zeigt sich in der Frage der Bereitstellung von Impfstoffen gegen das Coronavirus nicht auch ein neokoloniales Denken? Statt die Pharmakonzerne zur Herausgabe der Lizenzen zu zwingen
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und so aus internationaler Solidarität mit dafür zu sorgen, dass auch die Menschen in Afrika schnellen Zugang zum Impfstoff erhalten, sind Sie erst jetzt aufgewacht, nachdem klar wurde, dass Kuba, China und Russland Impfstoff für afrikanische Länder bereitstellen.
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Das heißt: Sie sind allein aus geopolitischen Gründen aufgewacht. Genau das ist das Kardinalproblem Ihrer Afrika-Strategie.
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An einer gleichberechtigten Partnerschaft sind Sie offenbar nicht interessiert. Das zeigt sich ja auch an den ungleichen Handelsabkommen der EU mit afrikanischen Ländern, die Teile der afrikanischen Wirtschaft zerstören und immer mehr Menschen zur Flucht zwingen. Wer auf die Förderung der Profite deutscher Konzerne und der Abhängigkeit Afrikas von seinen ehemaligen Kolonialmächten wie beispielsweise Frankreich setzt, der muss sich nicht wundern, meine Damen und Herren, wenn immer mehr Menschen in Afrika von dieser Dominanzstrategie die Nase voll haben und Widerstand leisten, wie wir ihn überall in Afrika sehen können.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Agnieszka Brugger das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gewalt in Äthiopien eskaliert. In Nigeria entführt die Terrororganisation Boko Haram Kinder. 90 Prozent des Tschadsees sind verschwunden, ein Viertel der Menschen in Subsahara-Afrika leidet unter extremer Armut und Hunger. Die schwächsten Staaten brechen unter ihrer Schuldenlast zusammen. In Südafrika wird eine Mutation des Coronavirus entdeckt. – Nicht erst jetzt erkennen wir, dass viele Probleme auf unserem Nachbarkontinent Afrika auch unsere Probleme sind, deren Folgen auch uns erreichen.
Die Megakrisen unserer Zeit – die Pandemie und die Klimakrise – haben nicht nur weltweit verheerende Auswirkungen, sie verschärfen auch die bereits bestehenden Krisen massiv. Die Antwort auf all das kann nur sein: Globale Probleme können wir nur mit globaler Solidarität und Zusammenarbeit bewältigen.
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Natürlich können wir auch die Coronakrise nicht alleine meistern. Es ist im Interesse aller, dass die weltweiten Produktionskapazitäten für Impfstoffe so schnell wie möglich hochgefahren werden. Impfstoffe müssen dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden und nicht nur dort, wo am meisten dafür gezahlt wird.
({1})
Wenn wir nur in den reichen Staaten impfen, aber im Globalen Süden die Pandemie ungebremst weiter wütet und das Virus weiter mutiert, haben wir alle nichts gewonnen. Globale Solidarität und nicht Impfnationalismus: Das ist nicht nur ein Gebot des Herzens – das würde ja schon ausreichen –, sondern es liegt auch in unserem puren vernünftigen Eigeninteresse.
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Wenn wir die Menschen in Afrika bei all den Herausforderungen allein lassen, dann füllen andere Staaten wie China, Russland oder die Golfstaaten diese Lücken, und zwar getrieben von geopolitischen Machtinteressen – nicht von der Sorge um die Menschen vor Ort und erst recht nicht von der Sorge um Menschenrechte.
Herr Minister Müller, Herr Minister Maas: Schön, dass Sie hier in großer Einigkeit auftreten.
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Es ist doch sehr wohlfeil, Herr Müller, wenn Sie nach Brüssel zeigen und kritisieren, wie unabgestimmt dort alles sei. Bei uns hat nicht nur jedes Haus seine eigene Afrika-Strategie; ich erinnere auch an die Länderliste, bei der Minister Müller erst einfach und relativ willkürlich ein paar Partnerländern die Entwicklungszusammenarbeit gestrichen und vergessen hat, Herrn Maas dazu anzurufen. Der diplomatische Flurschaden war enorm.
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Wir brauchen endlich konkrete Lösungen, kluge regionale Ansätze und gegenseitige Wertschätzung und nicht die zwanzigste Strategie mit abstrakten Floskeln von oben herab.
Die Probleme unserer Nachbarn haben aber nicht nur deshalb etwas mit uns zu tun, weil die Folgen auch uns in Europa erreichen. Die Politik der europäischen Staaten hat in Afrika nicht nur durch die koloniale Vergangenheit eine Reihe von immensen Problemen geschaffen und verschärft. Eine echte gemeinsame Aufarbeitung dieser dunklen Kapitel bleibt daher eine zentrale Aufgabe der deutschen und europäischen Politik; sie ist eine Frage der Gerechtigkeit.
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Aber auch im Heute verschärft die Politik vieler europäischer Staaten die Konflikte und mindert die Entwicklungschancen afrikanischer Länder. Während die Industriestaaten für einen Großteil der Klimazerstörung verantwortlich sind, zahlen vor allem die Menschen in den ärmsten Staaten der Welt den Preis in Form von Dürren, Überschwemmungen und Naturkatastrophen. Wenn eine unfaire Handelspolitik lokale Märkte kaputtmacht, dann schadet das nicht nur den Menschen vor Ort und dem Klima, sondern langfristig auch uns selbst. Genau diese Einsicht und dieser Politikwechsel, genau das fehlt in den vielen Papieren und im Handeln der Bundesregierung.
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Stattdessen hat in den letzten Jahren sogar ein gefährlicher Paradigmenwechsel stattgefunden, der die Entwicklungszusammenarbeit an vielen Stellen dem Diktat der Innenpolitik und der Migrationsabwehr unterordnet. So werden wir aber keins der globalen Probleme lösen; im Gegenteil: Man droht die Krisen zu verschärfen, indem man mit autoritären Kräften zusammenarbeitet und Menschenrechte hinten anstellt.
Viele Menschen auf unserem Nachbarkontinent haben in den letzten Jahren unter brutalen Kriegen gelitten, unter sexualisierter Gewalt und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Die Menschen erleben Terror und leiden in vielen Staaten zugleich auch unter den Menschenrechtsverletzungen, der Korruption und der Willkür der staatlichen Sicherheitskräfte, die eigentlich dafür da sind, sie zu schützen. In vielen Ländern, zum Beispiel in Nigeria, nehmen die Proteste gegen Polizeigewalt zu. Nicht nur beim Militärputsch in Mali, sondern auch an vielen anderen Orten auf der Welt können wir beobachten, dass eine kurzfristige Sicherheitslogik, die vor allem auf das militärische Training von Sicherheitskräften setzt, hoch problematisch sein kann und auch nicht zum gewünschten Erfolg führt.
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Stattdessen müssen wir in den Aufbau von guter Staatlichkeit investieren, die Rolle der Zivilgesellschaft stärken und echte Sicherheitssektorreformen vorantreiben.
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Die Vereinten Nationen versuchen genau das immer wieder. Sie versuchen, das Leid der Menschen zu lindern und dafür zu sorgen, dass Konflikte am Verhandlungstisch gelöst werden. Dafür brauchen sie mehr Geld, mehr Personal und mehr internationale Unterstützung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so groß die Herausforderungen sind, so sehr gibt es die wertvollen Chancen und Potenziale. Mit nachhaltigen Klimapartnerschaften, die Menschenrechte, Umweltschutz und Sicherheit zusammendenken, schafft man nicht nur eine Win-Win-Situation – einen Gewinn für die Menschen vor Ort und wirtschaftliche Chancen für uns –, sondern damit schützen wir auch gemeinsam unser Klima.
Wir sehen so viele Frauen und junge Menschen, die nicht nur in Tunesien und im Sudan mit ihren Rufen nach Mitbestimmung und einer besseren Zukunft den Weg weisen und den notwendigen Wandel einleiten. Dafür, Herr Minister Maas, dass Sie immer sagen, dass feministische Außenpolitik Ihnen ein Herzensanliegen ist, haben wir hier relativ wenig von Ihnen dazu gehört. Sie haben von Richtern, Ingenieuren und Polizisten gesprochen. Ich wünschte, Sie würden auch die Potenziale der Frauen und Mädchen erkennen.
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Es gibt so viele Menschen, die sich für fairen Handel und tolle Entwicklungsprojekte einsetzen, ob im Eine-Welt-Laden in Ravensburg, im Landwirtschaftsprojekt in Mali oder in der Schule in Mosambik. Gerade Bildung ist und bleibt die mächtigste Antwort, wenn wir die Chancen der Menschen auf eine bessere Zukunft unterstützen möchten. Es ist ja nicht so, dass es keine Ideen gibt. Was fehlt, ist ein Mehr an internationaler Solidarität und das Ende einer egoistischen Politik, die die Krisen verschärft. Es braucht auch mehr finanzielle Mittel für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele und mehr politische Power dahinter; denn wenn wir die gemeinsamen globalen Herausforderungen meistern wollen, dann müssen wir das zusammen tun, und dann haben wir keine Zeit mehr zu verlieren.
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Das Wort hat der Kollege Christoph Matschie für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Warum diese Afrika-Debatte? Warum diskutieren wir unsere umfassende Strategie gegenüber Afrika? Es ist schon deutlich geworden: Afrika ist ein Kontinent mit einer großen Dynamik. Es ist gleichzeitig ein Kontinent mit sehr großer Vielfalt; auch das haben wir jetzt schon mehrfach gehört. Wir sehen positive Entwicklung neben Entwicklungen, die uns zutiefst Sorge bereiten müssen. Wir sehen eine junge Generation im Aufbruch, und wir sehen alte Despoten, die sich an die Macht klammern. Wenn wir über Afrika reden, müssen wir uns immer wieder klarmachen: Wir reden über 55 sehr unterschiedliche Staaten. Afrika ist nicht ein großes Ganzes, und trotzdem gibt es Entwicklungen, die diesen Kontinent als Ganzes bestimmen.
Ich will zu der großen Dynamik noch etwas sagen, weil ich glaube, dass das wichtig ist, um zu verstehen, weshalb wir eine strategische Debatte brauchen: Schon in 30 Jahren wird ein Viertel der Weltbevölkerung in Afrika leben. In der Europäischen Union leben dann weniger als 5 Prozent der Weltbevölkerung. Das verschiebt wirtschaftliche Gewichte, das verschiebt politische Gewichte. Auf diese Entwicklung müssen wir eine kluge Antwort geben.
Weshalb ist Afrika für uns wichtig? Natürlich haben wir eine Verantwortung im Angesicht der kolonialen Vergangenheit. Natürlich haben wir eine humanitäre Verantwortung im Angesicht von Flucht, Vertreibung und Elend auf dem afrikanischen Kontinent. Aber Europa hat auch sehr klare Eigeninteressen: Europa hat Sicherheitsinteressen gegenüber dem afrikanischen Kontinent, Europa hat wirtschaftliche Interessen gegenüber dem afrikanischen Kontinent, und Europa hat auch demokratische Interessen – manche nennen auch geopolitische Interessen – gegenüber dem afrikanischen Kontinent.
Zu den Interessen, die wir vertreten wollen, gehört diese Erkenntnis: Das Verhalten in Krisen prägt das öffentliche Bewusstsein oft über lange Zeit. Und deshalb kommt es genau jetzt darauf an, in dieser globalen Krise, was wir tun. Ich bin froh, dass die Mittel für Covax noch einmal aufgestockt worden sind, dass die Bundesregierung 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellt. Das ist ein wichtiger Schritt, den wir hier gemeinsam gehen.
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Ich bin froh, dass auch andere zusätzliche Zusagen gemacht haben, dass die amerikanische Regierung wieder mit an Bord ist bei dieser Anstrengung. Aber die spannende Frage wird sein: Wer stellt jetzt eigentlich Kapazitäten zur Verfügung? Was passiert in den nächsten Wochen und Monaten, da die reichsten Länder – Herr Müller, Sie haben darauf hingewiesen – 75 Prozent der verfügbaren Dosen für sich reserviert haben? Ich glaube, hier müssen wir gemeinsam noch einen Schritt weitergehen. Die starken Staaten müssen jetzt Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen, sie müssen abgeben von dem, was sie bestellt haben, damit jetzt weltweit geimpft werden kann.
({1})
Wichtig wird auch sein, wie es danach weitergeht. Wir haben für Europa ein unglaubliches Wiederaufbauprogramm beschlossen. Das darf aber nicht auf den europäischen Kontinent beschränkt sein. Wir brauchen auch ein gemeinsames Aufbauprogramm mit unserem afrikanischen Nachbarkontinent. Eine wichtige Aufgabe des nächsten EU-Afrika-Gipfels wird sein, ein solches gemeinsames Aufbauprogramm zu vereinbaren und auch zu finanzieren.
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Dazu wird nach meiner Überzeugung gehören, dass wir den afrikanischen Kontinent bei der Einrichtung einer afrikanischen Freihandelszone unterstützen – administrativ, rechtlich, aber eben auch beim Ausbau der Infrastruktur; denn die mangelhafte Infrastruktur ist das größte Hindernis für den innerafrikanischen Handel. Da wird Europa mehr investieren müssen. Wir müssen mehr Mittel zur Verfügung stellen, damit die Infrastruktur ausgebaut werden kann.
({3})
Zu den wichtigsten Aufgaben gehört nach meiner Überzeugung, in die Bildung zu investieren, es den Menschen zu ermöglichen, ihr Schicksal selbst in Hand zu nehmen. Dazu ist Bildung notwendig. Ich bin froh, dass der Bundestag dafür gesorgt hat, dass die Bundesregierung sich auch in der Grundbildung stärker engagiert; in der beruflichen Bildung sind wir schon stark engagiert. Ich wünsche mir, dass wir genau dieses Engagement weiter ausbauen und stärker in die Bildung der jungen Menschen in Afrika investieren, damit sie ihre Zukunft besser selbst in die Hand nehmen können.
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Dazu gehört für mich auch, Austauschprogramme zu ermöglichen. Darüber müssen wir zwischen SPD und Union vielleicht noch mal intensiver reden. Die junge Generation muss sich begegnen können, so, wie das auf dem europäischen Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg organisiert worden ist, so brauchen wir auch den Jugendaustausch mit Afrika, damit die Kontinente intensiver zusammenarbeiten können.
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Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es gibt genug Gründe für eine ambitionierte EU-Afrika-Politik. Ich hoffe, dass die Bundesregierung mit einer solch starken Ambition in die weiteren Gespräche zur Vorbereitung dieses Gipfels geht. Dafür alles Gute!
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Harald Weyel für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Geehrte Kollegen! Sehr geehrtes Publikum! Das bundesrepublikanische Engagement in Afrika stand bislang unter keinem guten Stern, und es sieht nicht danach aus, dass es zukünftig anders sein wird.
Es ist sicher kein Zufall, dass bis heute ein durch keinerlei Nachweis belegtes Zitat des Bundespräsidenten Lübke sinnbildlich für unser Verhältnis zu Afrika stehen soll. Seine angeblichen Begrüßungsworte „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger!“ hat man damals noch nicht als Beleg für Rassismus gebraucht, sondern als Sinnbild für den alten weißen Mann, der im armen Afrika milde Gaben verteilt.
Dass sich diese Legende so zäh halten kann, belegt zudem, dass das Nachkriegsdeutschland jedes Gefühl für echt weitläufige Real- und Geopolitik total verloren hat. Wurde in der Weimarer Zeit noch das sogenannte Kolonialmandat vom Völkerbund zurückgefordert, herrscht in der Bundesrepublik mehr und mehr ein gutmenschlicher Hyperprovinzialismus, der so gar nicht merken will, dass insbesondere die Franzosen ihn an der Nase herumführen. Diese tischten den Deutschen mit der EWG seit 1957 nicht nur eine Freihandelszone für Industriewaren analog zur damaligen EFTA auf, sondern auch einen dicken fetten Agrarfonds und als Krönung eine Art Kolonialfonds, der freilich Entwicklungsfonds hieß, aber vor allem den französischen Einfluss in den ehemaligen Kolonien sichern sollte. Diplomatisch geschickt fügten die Ex- oder Immer-noch-Kolonialherren dem Ganzen das Jaunde-Abkommen hinzu, pikanterweise benannt nach der Hauptstadt der ehemaligen kaiserdeutschen Kolonie Kamerun. Die Verlängerung des Entwicklungsfonds erfolgte dann alle fünf Jahre. Namengebend waren dann die Hauptstädte der Ex-Musterkolonie Togo und zuletzt auch Benin, unter Einbeziehung von mittlerweile rund 80 Staaten der Dritten Welt.
Die Bilanz ist im Großen und Ganzen verheerend. Die dabei vorgetäuschte Lernwilligkeit, meine Herren Minister – es fehlen nur noch der Minister Seehofer und die Frau Merkel, dann ist die Regierungs- und Anklagebank in der Hinsicht perfekt und komplett –, führte immer nur zur Umetikettierung und Verschwendungsfortsetzung. Das muss ein Ende haben.
Wir schließen uns dem seit 2008 unerhört verhallten Bonner Aufruf und seiner Folgekonferenzen an: Keine endlosen Geldtransfers durch eine wie auch immer umgetaufte pseudopartnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit, sondern radikale Umstellung auf reinen und echten universellen, aber gegenseitigen Austausch von Bürger-, Wirtschafts- und Kulturinteressen.
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Nicht mithilfe schädlicher Regierungselitenunterstützung oder Unterstützung zweifelhaftester NGOs vor Ort verhindern wir den abermillionenfachen Exitus, gerade auch der Afrikaner nach Europa, sondern durch konsequente Innen- und Außenpolitik, wofür eine AfD hierzulande noch immer ganz alleine steht. Machen auch Sie mit beim Aufhören, meine Herren Bundesminister. Und Sie, liebe Wähler, da draußen auch.
Danke schön.
({1})
Setzen Sie bitte Ihre Maske auf. – Während das Pult vorbereitet wird, wofür ich mich bedanke, ein Hinweis an alle, die unsere Debatte verfolgen. Wir sind hier in einer parlamentarischen Debatte, und die Anordnung ist so, dass mir gegenüber die Fraktionen in ihren Reihen sitzen, rechts von mir aus gesehen die Regierungsbank ist und links von mir aus gesehen der Platz des Bundesrates. Wir sind hier nicht bei Gericht; hier gibt es also keine Anklagebänke.
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Das Wort hat der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir die Gelegenheit haben, uns im Rahmen dieser Vereinbarten Debatte dem Thema Afrika zu widmen.
Wir sprechen hier in diesem Plenum häufig über Afrika, aber in der Regel meist, wenn es um die entsprechenden Verlängerungen von Mandaten für Missionen der Vereinten Nationen oder der Europäischen Union in Afrika geht. Es ist eine gute Gelegenheit, heute den Blick etwas weiter zu wenden. Ich möchte an die Adresse einiger Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, eine Bitte äußern. Wir neigen häufig dazu, wenn wir über Afrika reden, zunächst die Probleme und Schwierigkeiten dieses Kontinentes zu beschreiben. Wenn wir mit afrikanischen Politikerkollegen, mit der Zivilgesellschaft zusammentreffen, werden wir immer wieder darauf hingewiesen, dass Afrika natürlich Probleme hat – vielleicht auch ein paar mehr Probleme als der Kontinent Europa –, aber dass es in Afrika natürlich auch ganz viel Sonne, Positives und Zuversicht gibt.
Afrika war in den 20 Jahren vor Ausbruch der Coronakrise ein Kontinent mit Wachstumsraten von durchschnittlich über 4 Prozent im Jahr. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung ist das für die Menschen dort nicht direkt spürbar, aber man stelle sich einmal vor, wie es wäre, wenn wir dort nicht dieses deutliche Wachstum hätten. Wir sind in Afrika auch mit Blick auf die Bekämpfung von Armut und Hunger ein gutes Stück vorangekommen, aber noch lange nicht am Ziel. Wenn Sie die Zahlen über die Jahrzehnte hinweg miteinander vergleichen, dann ist das auf jeden Fall aller Anerkennung wert, auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, den Frauen und Männern in Afrika, die sich mit der teilweise auch ausländischen Hilfe darum bemühen, das in den Griff zu kriegen.
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Ich möchte deswegen auf einen wichtigen Aspekt der Zusammenarbeit, die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, nicht näher eingehen. Es ist, glaube ich, in diesem Hause weitgehend unbestritten, dass Sicherheitsprobleme auf dem Kontinent Afrika sich unmittelbar bei uns negativ auswirken. Deswegen ist es gut, dass wir uns dort engagieren.
Auf die Sorge mancher Bürgerinnen und Bürger in Europa, dass das deutliche Bevölkerungswachstum in Afrika und die Entwicklung auf diesem Kontinent auch in Bezug auf die Migration eine Bedrohung für uns darstellt, können wir klar antworten, dass Afrika natürlich weit entfernt ist von dem absoluten Lebensstandard, den wir uns in der Europäischen Union erworben haben. Ich glaube aber, dass die allermeisten Menschen in der Welt, egal wo sie leben, patriotisch und heimatverbunden sind, ihr Land lieben, die Menschen lieben, die Sprache lieben, die Kultur lieben, in der sie leben, und dass sie keinesfalls auf die Idee kommen, ihr Land zu verlassen, zumindest nicht auf Dauer – vielleicht wegen einer Ausbildung oder guter Jobchancen, aber nicht im Herzen –, solange sie das Gefühl haben, dass es ihnen, ihren Kindern und ihren Enkelkindern eines Tages einmal besser gehen wird als ihnen und dass das, was sie jetzt in ihrem Land aufbauen, ihr Land in eine bessere Zukunft führt. Wenn wir diesen Impuls setzen, wenn wir den Kolleginnen und Kollegen in Afrika das Gefühl geben, dass wir an ihrer Seite stehen, die Situation in ihren Ländern Stück für Stück immer besser zu machen, damit ihre Kinder und Enkel eine bessere Zukunft, bessere Berufschancen, bessere Einkommenschancen haben, als sie das in der Vergangenheit vielleicht gehabt haben, dann, glaube ich, werden wir, gerade was die Migration angeht, die Probleme wirksam lösen können, vor allem, wenn wir dann auch noch verhindern, dass die politische Stabilität so ist, dass es keine ethnische Vertreibung und keinen Bürgerkrieg gibt.
Ich finde außerdem, dass wir gut daran tun – und diesen Weg beschreiten wir –, mit den innerafrikanischen Strukturen intensiv zusammenzuarbeiten und zu fördern, dass die Afrikanische Union, ECOWAS, die Entwicklungsgemeinschaft im südlichen Afrika und auch G 5 Sahel zusammen kooperieren und sagen: Wir in Afrika lösen die Herausforderungen, die wir haben, ein Stück weit selbst, wenn ihr uns dabei helft. – Ich würde mir wünschen – diese Idee können wir vielleicht einmal gemeinsam reflektieren –, dass auch wir Parlamentarier aus den europäischen Parlamenten – vielleicht gemeinsam mit den Franzosen, mit den Niederländern, mit den Belgiern – auf die Parlamente in den Staaten Afrikas zugehen und mit den Kolleginnen und Kollegen in diesen Parlamenten einen Dialog führen, der vielleicht nicht zu großen politischen Entscheidungen führt, aber wo wir uns austauschen und ein Stück unseres demokratischen parlamentarischen Selbstbewusstseins an die Abgeordneten in den Parlamenten in den demokratischen Staaten Afrikas weitergeben, um auf diese Weise ein Stück weit zu Good Governance beizutragen.
Ich hoffe, dass wir noch viel Gelegenheit haben werden, über Afrika zu sprechen und Afrika zu helfen. Ich kann nur sagen, dass wir als CDU/CSU-Fraktion fest an der Seite der Völker in Afrika stehen.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Bevor ich beginne, möchte ich darauf hinweisen, dass die Kollegin Schreiber überhaupt keine Redezeit mehr hat, offensichtlich fehlen auf der Medienwand die Minutenanzeigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Afrika-Debatte. Im Oktober 2020 war das große Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Afrikanischen Union geplant. In der Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sollte es zu einem Meilenstein in der Partnerschaft zwischen Afrika und Europa kommen. Der Gipfel selbst musste wegen der Covid-19-Pandemie verständlicherweise verschoben werden. Dass aber die ganze EU-Afrika-Politik deswegen auf die lange Bank geschoben scheint, ist schlicht unbegreiflich.
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Ja, die Covid-19-Pandemie ist eine große Krise für Europa und Afrika; das steht völlig außer Frage. Gerade in einer Krise hätte sich aber eine echte Partnerschaft entwickeln oder auch beweisen können. Die Krise hätte eine echte Chance sein können. Bundeskanzlerin Merkel spricht gerne von der wichtigen Partnerschaft mit unserem Nachbarkontinent Afrika. Während der deutschen Ratspräsidentschaft hat sie die Chance gehabt, diese Worte mit Leben zu füllen, aber diese Chance hat sie nicht genutzt. Damit hat sie dem geplanten Teilfinale ihrer Kanzlerschaft einen äußerst bitteren Beigeschmack gegeben.
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Statt die Pandemie gemeinsam zu bekämpfen, haben wir zuerst an uns selbst gedacht – wir erinnern uns –: zu Beginn der Krise erst mal national und dann, jetzt, auf europäischer Ebene. Zu der Zeit, als der EU-Afrika-Gipfel hätte stattfinden sollen, hatte die EU bereits die kläglichen 2,7 Milliarden Euro für Impfstoffe in Europa bereitgestellt. Für den gesamten Rest der Welt – sprich: für die internationale Covax-Initiative unter Federführung der WHO – hatten wir hingegen nur 400 Millionen Euro übrig.
Seit letztem Freitag hat sich das geändert. Beim G-7-Gipfel und bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat Angela Merkel weitere 1,5 Milliarden Euro für die weltweite Pandemiebekämpfung zugesagt. Besser spät als nie, könnte man sagen, aber mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist das wirklich sehr, sehr spät.
Viele Staaten in Afrika haben sich inzwischen andere Partner für die Impfstoffversorgung organisiert. Auf den Seychellen wird bereits der Sinopharm-Impfstoff aus China verimpft, in Guinea nutzt man Sputnik V aus Russland. Das passiert, wenn wir unsere Partnerschaft mit Afrika nicht ernst nehmen. Darunter leidet auch das Ansehen der liberalen Demokratien der Welt – das steht völlig außer Frage –, und das schadet wiederum deren Einsatz für die Menschenrechte. Dieses Thema interessiert unsere Freunde – in Anführungszeichen – aus China und Russland nämlich bekanntlich überhaupt nicht.
Darüber hinaus ist Hilfe in der Pandemie nicht nur eine Frage der Nächstenliebe. Es nützt uns nichts, wenn wir in Europa jedem eine Impfung anbieten, während in Afrika die Pandemie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag weiter grassiert. Afrika als Nährboden für Mutationen: eine albtraumhafte Perspektive, der wir uns mit Vehemenz entgegenstellen müssen.
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Ich komme zum Schluss. Wenn Europa beim Impfstoff in erster Linie an sich selbst denkt, dann ist das nicht nur egoistisch, sondern schlichtweg dumm. Die Pandemie können wir nur gemeinsam bekämpfen – Europa und Afrika gemeinsam als Partner auf Augenhöhe. Die Zukunft Europas ist eng mit der Zukunft unseres Nachbarn Afrika verbunden.
Kollege Lechte.
Darin sind sich alle einig. Daran müssen wir stets denken und uns messen lassen – nicht an unseren Lippenbekenntnissen, sondern an unseren Taten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Eva-Maria Schreiber für die Fraktion Die Linke.
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Geehrte Frau Präsidentin! Minister Müller! Minister Maas! Kolleginnen und Kollegen! „Leinen los, auf nach Afrika“: Mit diesen Worten haben Sie, Minister Müller, beim deutsch-afrikanischen Investitionsgipfel 2019 den Entwicklungsinvestitionsfonds aus der Taufe gehoben. Dieser Fonds sollte zum zentralen Finanzierungsinstrument Ihrer neuen Afrika-Strategie werden. 1 Milliarde Euro Haushaltsmittel für den Fonds waren zugesagt, geworden sind es 200 Millionen Euro – ein Fünftel. Sie scheitern an Ihren eigenen Ansprüchen.
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Diese Kritik ist verkürzt, meinen Sie? Sie haben recht. Viel schlimmer ist, dass Sie im Rahmen der neuen Afrika-Strategie immer mehr Gelder für die Förderung deutscher Unternehmen in Afrika zweckentfremden und die zweite, wichtige Säule, die Unterstützung afrikanischer Unternehmen, nicht wirklich ins Laufen kommt.
„Leinen los, auf nach Afrika“: Klarer könnte die Devise nicht sein. Deutsche Unternehmen sollen den Chancenkontinent Afrika erobern. Dafür wird das Entwicklungsministerium leider zur Außenhandelskammer der deutschen Wirtschaft umgebaut, ohne jedoch überzeugende Konzepte vorzulegen, wie davon die afrikanischen Volkswirtschaften mittel- und langfristig profitieren sollen.
({1})
Mit den momentanen Mitteln, beispielweise Sonderwirtschaftszonen oder Investitionsschutzabkommen, können sie gar nicht profitieren, und das kritisieren wir aufs Schärfste.
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Das gilt leider auch für die Handelspolitik. Gemeinsam mit der EU beharrt die Bundesregierung weiter auf einer vollkommenen Liberalisierung der afrikanischen Märkte, sei es bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, den EPAs, dem Post-Cotonou-Abkommen oder dem angestrebten Freihandelsabkommen mit Tunesien. Damit verhindern Sie eine eigenständige Industrialisierung der afrikanischen Volkswirtschaften.
Schlimmer noch: Sie vertiefen die wirtschaftliche Spaltung unseres Nachbarkontinents. Vor diesem Hintergrund sind die Beteuerungen der Bundesregierung, den Aufbau einer afrikanischen Freihandelszone zu unterstützen, blanker Zynismus.
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Es ist in etwa so, als würde China getrennte Freihandelsabkommen mit Nord-, West- und Südeuropa abschließen und dann behaupten, man wolle damit die EU stärken.
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Ein zentraler Teil der neuen Afrika-Strategie der Bundesregierung besteht also darin, den Weg für deutsche Waren und deutsches Kapital nach Afrika freizumachen. Ein anderer Weg soll aber unter allen Umständen blockiert werden, nämlich der Flucht- und Migrationsweg von Afrika nach Europa. Ein Blick in das Post-Cotonou-Abkommen genügt, um zu sehen, mit welcher Obsession EU und Bundesregierung dieses Ziel verfolgen und afrikanische Länder zu Außenposten der Festung Europa umbauen wollen. Dabei setzen Sie den afrikanischen Regierungen die Pistole auf die Brust; denn wer bei Migrationsabwehr und Rückführungen nicht voll kooperiert, dem drohen Sie, die finanzielle Unterstützung insgesamt zu entziehen. Eine oft beschworene Partnerschaft auf Augenhöhe sieht anders aus –
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eine zukunftsweisende Afrika-Strategie ebenfalls.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Volkmar Klein das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Klar – das haben wir jetzt ja schon mehrfach gehört –, die Pandemie schadet Afrika erheblich – medizinisch vielleicht sogar nur moderat, wirtschaftlich aber definitiv sehr, sehr stark, und zwar direkt. Ich habe gestern ein langes Gespräch mit dem Botschafter von Ägypten geführt. 10 Prozent der ägyptischen Beschäftigten arbeiten im Tourismus – und im Moment gar keiner. Da gibt es keine Ausgleichszahlungen, über deren Details wir hier intensiv reden; dort gibt es gar nichts. Das ist aber ein erheblicher Teil der Volkswirtschaft Ägyptens. Darüber hinaus schadet sie aber auch indirekt; denn überall kommt es zu Desinvestitionen, weil man risikoreichere Länder jetzt eher meidet. Das führt zu Kapitalabflüssen aus Afrika, und das verschärft die Krise.
Das alles schwächt Afrika, und das ist genau das Gegenteil von dem, woran wir interessiert sein müssen. Unser Interesse ist ein stärkeres Afrika, und zwar aus zwei Gründen: erstens weil uns etwas an den Menschen liegt, die Jobs und Perspektiven und mehr Wohlstand brauchen, zweitens weil damit dann auch die Resilienz größer wird und mehr Sicherheit dabei herauskommt – am Ende auch für uns hier in Europa.
Und deswegen helfen wir. Das tun wir ohnehin, aber jetzt ist das noch viel wichtiger. Dabei ist klar: Im Wesentlichen muss Afrika sich selber helfen. Afrika dabei zu unterstützen, das ist unsere Herausforderung, im Sinne von Hilfe zu Selbsthilfe. Das gilt für einzelne Länder, das gilt aber auch für Institutionen. Ich will einfach nur drei nennen: die Afrikanische Union, die Tschadseebecken-Kommission und die Ostafrikanische Gemeinschaft. Alle drei werden von Deutschland aus im Aufbau ihrer Strukturen, in der Stärkung ihrer Strukturen unterstützt, und das ist richtig; denn genau diese Institutionen stehen dafür, den Austausch und den Handel zwischen den afrikanischen Ländern stärken zu können, auch afrikanische Sicherheitsprobleme selber lösen zu können.
Das afrikanische Freihandelsabkommen, die afrikanische Freihandelszone, ist jetzt, zum 1. Januar dieses Jahres, in Kraft getreten. Die Freihandelszone muss nun auch gelebt werden; denn sie einfach auf dem Papier zu beschließen, hilft noch nichts. Wenn sie aber gelebt wird – und damit haben wir doch in Deutschland im 19. Jahrhundert mit dem Deutschen Zollverein, im 20. Jahrhundert mit der Europäischen Union gute Erfahrungen gemacht –, steigt der Wohlstand durch offene Grenzen.
Aber nicht nur Ländergruppen, sondern auch einzelne Länder sind gefragt, selber etwas zu machen. Hier wurde eben schon mehrfach beklagt, dass in einigen Ländern Despoten teilweise schon seit Jahrzehnten an der Macht sind. Leider gibt es jetzt mit Tansania ein frisches, trauriges Beispiel: Dort gab es bei der zurückliegenden Wahl erhebliche Behinderungen gegenüber der Opposition und auch Mord und Totschlag. Nur, wenn heute der an alte sozialistische Großmannssucht anknüpfende Präsident einfach behauptet, es gäbe kein Covid in Tansania, man bräuchte auch keine Impfstoffe, dann ist denen aber auch nicht zu helfen.
In Bezug auf andere Länder müssen wir diskutieren: Wieso schafft es Burkina Faso, eine Steuerquote von 15 Prozent, bezogen auf die volkswirtschaftliche Leistung, zu erreichen, während das reiche Nigeria eine Steuerquote von gerade einmal 5 Prozent aufweist?
Die Länder, die wirklich etwas tun, werden von uns im Rahmen der Reformpartnerschaften ganz besonders gestärkt. Das ist auch richtig; denn am Ende stärkt die größer werdende Resilienz auch die Sicherheit, auch für uns hier. Das gilt aber auch umgekehrt: Sicherheit ist die Voraussetzung für eine vernünftige Entwicklung. – Deswegen müssen wir uns sowohl um Sicherheit als auch um Entwicklung kümmern.
Ich denke, insgesamt müssen wir unsere Partnerschaft mit Afrika viel engagierter angehen, als wir das bisher tun. Das ist gut für uns; das ist aber auch gut für die Menschen in Afrika.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Markus Koob für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzter Redner in einer Debatte zu sein, die schon eine Stunde ging, ist nicht immer sehr dankbar. Deshalb kann ich mein Skript eigentlich weitestgehend zur Seite legen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, diese Debatte einmal Revue passieren zu lassen.
Ich frage mich: War das eine Sternstunde des Parlaments?
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Ich muss ehrlich sagen: in weiten Teilen nicht. – So etwas überrascht mich immer. Um eine Sternstunde des Parlaments haben zu können, würde man bestimmte Teile sowieso am besten auf „lautlos“ schalten. Ich muss der rechten Seite einfach sagen: Dass man so empathielose Reden halten kann – ich weiß nicht, ob Sie jemals vor Ort gewesen sind –, ist unglaublich. Es tut mir leid; aber das ist der Aufgabe und der Größe der Herausforderung, mit der wir es zu tun haben, einfach nicht angemessen.
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Von der Linken hätte ich mir gewünscht, dass sie nicht wieder in diese Stereotype von dem bösen Neoliberalismus und den bösen Militärs verfällt, die dort unten sind und Sicherheit garantieren, dass sie nicht nur über Waffen redet. Ich wiederhole das hier zum, ich weiß gar nicht, wievielten Male: Wenn Sie dort unten mit Entwicklungshelfern reden, sagen sie: Ohne Militär, ohne Sicherheit gibt es keine Entwicklungshilfe.
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Vielleicht können wir in der Redezeit, die wir hier haben, die Teile, die wir immer vorbringen, einfach mal weglassen und uns mal mit neuen Aspekten beschäftigen.
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Ich muss sagen: Ich habe hier als Außenpolitiker auch sehr oft zu den Problemen gesprochen, und es geht mir nicht darum, dass wir vor den mannigfaltigen Problemen, die es gibt, die Augen verschließen.
Ich muss aber auch sagen: Als Außenpolitiker kommt man viel rum. – Ich hatte vor zwei Jahren die Gelegenheit, Sie, Herr Maas, in Sierra Leone, Burkina Faso und Mali zu begleiten. Ich kann mich – das muss ich ehrlich sagen – nicht nach jeder Auslandsreise an Gespräche mit den Menschen vor Ort erinnern. Aber das Gespräch mit der Bürgermeisterin, die wir in Freetown, in Sierra Leone, getroffen haben, ist etwas, was bis heute bei mir Gänsehaut verursacht. Wir haben dort jemanden getroffen, der in Europa einen fantastisch dotierten Job in der freien Wirtschaft hatte, in das eigene Land zurückgekommen ist und angesichts der ganzen Probleme, die es gibt, nicht den Kopf in den Sand gesteckt hat, sondern die Dinge mit einer Lebensfreude, mit einer Power, die einen – das muss ich wirklich sagen – zwei Jahre später immer noch umhaut, angegangen ist.
Deshalb ist meine Frage: Wie beschäftigen wir uns eigentlich jenseits der Probleme mit Afrika? Wie gesagt: Ich will gar nicht die Augen vor den Problemen verschließen. Aber vielleicht sollten wir – und da bin ich dir, Jürgen, sehr dankbar für deine Anregung, dass wir das vielleicht auch mal interparlamentarisch angehen sollten – einfach sehr viel häufiger mit den Menschen vor Ort reden: Was sind eigentlich deren Erwartungen, was sind deren Wünsche, was sind deren Bedürfnisse? Da werden viele der Punkte, die heute genannt worden sind, auch fallen – da bin ich mir sicher –; aber ich habe trotzdem den Eindruck, dass wir viel zu oft über die Menschen in Afrika reden und viel zu selten mit ihnen.
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Deshalb möchte ich einfach dafür werben, dass wir die nächste Debatte, in der wir über Afrika reden, wirklich zu einer Sternstunde des Parlaments werden lassen, indem wir uns ein bisschen mehr auf diesen Teil konzentrieren.
Zur Wahrheit gehört auch – und deshalb habe ich das in Richtung der Linken gesagt –: Wenn ich mit Botschaftern aus Afrika rede, sagt eigentlich jeder von ihnen, dass er sich mehr Investitionen von deutschen, von europäischen Unternehmen wünscht. Wie sie dann vor Ort gestaltet werden, wie sie fair gestaltet werden, darüber kann man ja reden. Aber es stimmt doch einfach nicht, dass europäische Unternehmen ein Teil des Problems sind. Vielmehr sind sie ein Teil der Lösung.
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Deshalb bin ich meiner Fraktion sehr dankbar, dass wir vor einiger Zeit eine Projektgruppe gegründet haben, die sich speziell mit diesen Fragen auseinandersetzt – also mal nicht mit den Fragen von Hunger, Katastrophen, Krieg und Elend – und gezielt die Chancen in den Blickpunkt rückt, von denen es auf diesem Kontinent mindestens genauso viele gibt wie Herausforderungen. Dort führen wir tolle Gespräche. Es sind sehr gute Gespräche mit Unternehmern, die vor Ort, in den Ländern, auch schon investiert haben. Man lernt auch immer wieder viel dazu. Ich war bei unserem Besuch in Burkina Faso überrascht, als dort in einem Nebensatz gesagt worden ist, dass dort schon länger Blockchain-Technologie eingesetzt wird. Ich weiß nicht, ob das bei uns schon irgendwo der Fall ist – ich glaube nicht.
Das sind einfach Dinge, bei denen wir als Parlament gut beraten wären, wenn wir ein bisschen mehr auf die Chancen dieses Kontinents schauen würden, ohne dabei die Probleme aus dem Hinterkopf zu verlieren, wenn wir mit Empathie, vielleicht auch mit ein wenig von dem Herzblut und der Leidenschaft der Bürgermeisterin aus Freetown an die Herausforderungen herangehen würden. Ich glaube, dann kann es auch gelingen, diese Herausforderung zusammen zu bewältigen und Afrika dabei zu helfen, ein Chancenkontinent zu werden, der seine Möglichkeiten auch nutzen kann.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer/-innen! Für Frauen kommt in dieser Krise einiges zusammen. Es hat sich gezeigt, dass alles Mögliche zwischen den Geschlechtern ungerecht verteilt ist und dass sich diese Ungleichheiten rapide verschärfen. Aufgrund der Kita- und Schulschließungen wurden Aufgaben zu Hause umverteilt, ausgerechnet an die Mütter. Männer holen als Erziehende zwar auf, trotzdem nahm der Stundenaufwand bei Frauen viel mehr zu, ob aus Gewohnheit oder eben einkommenspragmatisch. Diese Schieflage ist nicht länger hinnehmbar.
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Dass eine Abwägung in der Familie, wer jetzt für das Homeschooling und dergleichen mehr beruflich zurücksteckt, oft zulasten von Frauen getroffen wurde, hat unter anderem mit dem Ehegattensplitting zu tun. Ich finde hier die Frage ganz interessant, ob Sie, liebe Kollegen von der Union, sich persönlich auf diesen Deal einlassen würden, als Beitrag zum Haushaltseinkommen schlechtere eigene Einkommen und Renten zu akzeptieren. Wenn nicht, sollten Sie endlich schärfer darüber nachdenken, ob Ihr Ehegattensplitting noch aufrechtzuerhalten ist. Wir sagen als Linke: Diese Fallstricke für Frauen müssen abgeräumt werden.
({1})
Dass das auf so vielen Ebenen nicht längst passiert ist, rächt sich gerade in Krisen. Der Gender Pay Gap, also die Einkommenslücke, die mit viel Mühe und Not langsam kleiner wurde, wird aktuell wieder größer, der Gender Care Gap, die Lücke beim Aufwand für Pflege, sowieso. Dagegen müssen Sie doch Signale für echte Lohngerechtigkeit setzen statt auf ein wirkungsloses Entgelttransparenzgesetz. Wir brauchen einen höheren Mindestlohn, verbesserte Tarifbindung und ein Kurzarbeitergeld, das steuerklassenbedingte Nachteile erst mal ausgleicht.
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Aber Sie tun es nicht trotz aller Mahnungen. Das muss im Vorfeld des Frauentages am 8. März hier deutlich thematisiert werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht in dieser Debatte auch um Grundlegendes, zum Beispiel darum, was bei der Gesundheitsversorgung schiefläuft, eben weil Wachstum und Profite massiv davon abhängen, dass Pflege und andere Dienste am Menschen so wenig wie möglich kosten. Wenn systemrelevant ist, dass die Arbeiten und Notwendigkeiten, die Frauen zugedacht sind, nämlich das Kümmern um Menschen, möglichst billig zur Verfügung stehen sollen, dann hat dieses System ein Problem.
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Wir müssen die Pflege aufwerten. Wir brauchen höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Daran geht überhaupt kein Weg vorbei. Wir müssen darauf hören, was diese Krise uns für die Zukunft sagt, nämlich dass wir alle abhängig sind, dass das ganze Leben und Wirtschaften auf dem Prüfstand steht und dass wir die menschliche Sorge darum viel höher bewerten müssen.
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Die Berichts- und Forschungslage ist, was diese – ich zitiere – „Krise der Frauen“ und die „Bühne des Patriarchats“ anbelangt, seit Monaten glasklar. Die Härten der Covid-19-Krise treffen Frauen auf zahllosen Ebenen heftiger. Es reicht nicht, Geschlechterfragen in der Krisenpolitik nur symbolisch als Bonus mitzudenken. Machen Sie Frauen und ihre Lebenslagen endlich zum Subjekt der Politik.
({6})
Um es ganz klar zu sagen: Alle, die es brauchen, verdienen in dieser Situation konkrete Aufmerksamkeit und Hilfe, Frauen und ihre Lebenslagen besonders, weil sie durch das Raster fallen, immer wieder zweitrangig vorkommen und je nach Besitz, Einkommen und Bildungs- oder Migrationsstatus noch weiter zurückgestuft werden. Die nachteiligen Folgen treffen auch Kinder, Familien, die ganze Gesellschaft, und das ist nicht länger akzeptabel.
({7})
Die Bundesregierung kennt diese Zusammenhänge. Es gibt umfassende Berichte, Veranstaltungen zum Thema; es ist alles da. Sie muss aber den Willen zeigen, ressortübergreifend gegen diese Situation anzugehen. Es braucht eine wirklich umfassende Strategie, die richtig was kann. Vorschläge haben wir im Antrag deutlich gemacht: geschlechtergerecht aufgestellte Etats, Hilfs- und Konjunkturpakete, Lohnstrukturen, Maßnahmen zur paritätischen Verteilung von Sorgearbeit, Pläne gegen die ganzen Gerechtigkeitslücken und für eine Zukunft, die besser ist als diese Normalität. Der Zeitpunkt dafür ist bei allen Baustellen jetzt.
({8})
Vielen Dank. – Das Wort geht an Torbjörn Kartes von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Coronakrise ist für viele eine Zumutung, und besonders hart trifft sie die Familien in unserem Land. Diese leisten gerade Großartiges, insbesondere wenn sie sich um die Betreuung und die Beschulung ihrer Kinder kümmern müssen. Es stimmt dabei ganz sicher auch, dass die Krise Frauen, insbesondere Mütter, deutlich härter trifft. Sie haben in Summe weniger Einkommen, und sie leisten mehr Sorgearbeit. Insofern finde ich es gut und richtig, dass wir heute über Geschlechtergerechtigkeit in der Krise debattieren.
Es gibt dazu heute eine wahre Vielfalt an Anträgen: von der FDP, von den Grünen und von den Linken; das haben wir schon gehört. Die Anträge beinhalten aber teilweise, muss man sagen, eher ein Sammelsurium dessen, was Sie schon immer politisch wollten, wofür es hier im Haus aber keine Mehrheiten gibt und hoffentlich auch nicht geben wird.
Ich kann Ihnen aus Zeitgründen nur wenige Beispiele nennen – diese überraschen nicht wirklich –: Im Antrag der Linken liest man unter anderem die Forderungen, Minijobs abzuschaffen, den Mindestlohn sofort auf 12 Euro festzulegen und die wöchentlich zulässige Höchstarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden zu senken. Ich finde, das wäre eine Spitzenidee, vor allem für die Firmen, die in dieser Krise gerade besonders gebraucht werden, vielleicht weil sie in Sonderschichten Impfstoffe oder anderes produzieren. Denen sagen wir dann: Macht keine Überstunden mehr, das ist ab sofort verboten. – Wie soll das eigentlich gehen? Sie würden unserer Gesellschaft einen Bärendienst erweisen. Deswegen werden wir die Anträge ablehnen.
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Wir lehnen sie übrigens aus vielen Gründen, die wir hier im Plenum schon oft genug vorgetragen haben, ab, aber allen voran aus zwei Überlegungen heraus, die jetzt, glaube ich, prioritär sind.
Der erste Grund ist, dass wir uns fokussieren müssen. Wir wollen vor allem, dass die Familien ihren Alltag zurückbekommen. Daher ist es entscheidend, dass wir alles dafür tun, dass Kitas und Schulen wieder verlässlich öffnen können, dass Kinder ihre sozialen Kontakte wiederbekommen und dass ihr Recht auf Bildung geachtet wird. Dazu brauchen wir priorisiertes Impfen, wir brauchen Schnelltests, und wir brauchen praxistaugliche Stufenpläne. Das hat, glaube ich, Priorität. Darum sollten wir uns zuvorderst kümmern; das tun wir auch. Wenn wir das geschafft haben, dann müssen wir sicherlich eine Bestandsaufnahme machen, wo wir beim Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Krise tatsächlich stehen.
Der zweite Grund ist, dass die Anträge ganz außer Acht lassen, dass wir gerade fortlaufend dabei sind, am Thema Geschlechtergerechtigkeit zu arbeiten. Durch das Elterngeld, das wir gerade erst reformiert haben, wird es Eltern immer mehr möglich, Familien- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich und gleichberechtigt zu teilen. Wir verbessern ständig – zuletzt mit einer Milliardenspritze für die Länder – die Betreuung in den Kitas. Wir werden auch den Anspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen umsetzen. Damit schaffen wir das, was Eltern wirklich brauchen, wenn beide Elternteile arbeiten wollen, nämlich echte Wahlfreiheit. Das ist die richtige Politik.
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Morgen – um das nur ganz kurz zu streifen – bringen wir einen Gesetzentwurf ein, in dem es um mehr Frauen in Führungspositionen geht. In 60 Prozent der DAX-Vorstände sitzt immer noch keine einzige Frau. Keine Frage: Das ist zu wenig. Daran werden wir jetzt arbeiten.
Eine Fraktion hat übrigens heute keinen Antrag vorgelegt, und das ist die AfD-Fraktion. Vielmehr hat sie ihn erst am Freitag von der Tagesordnung genommen – er war eigentlich die ganze Zeit angekündigt – und überweist ihn jetzt im vereinfachten Verfahren. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich glaube, der Antrag ist Ihnen selbst peinlich – er muss Ihnen peinlich sein –; denn Sie fordern darin die Beendigung aller Gleichstellungspolitik, und Sie schreiben, dass die Diskriminierung und Stigmatisierung von Männern zu unterlassen ist. Dies begründen Sie dann mit Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes, den Sie aber offensichtlich nicht bis zum Ende gelesen haben. Denn da steht ja gerade der Satz und das Gebot – ich zitiere –:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang von der staatlichen Schutzpflicht hinsichtlich der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung. Also ist es ganz sicher kein Auftrag, jetzt nicht mehr politisch tätig zu werden und die Maßnahmen einzustellen, sondern es geht darum, dass bestehende Nachteile abgebaut werden; genau das ist unser Auftrag, nichts anderes. Das haben Sie offensichtlich gar nicht verstanden.
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Ich will einen Aspekt noch erwähnen aus Ihrem Antrag: dass entsprechend mütterfreundliche Regelungen geschaffen werden sollen, um Mütter zu entlasten. Wenn man den Antrag liest – ich habe es tatsächlich gemacht –, dann denkt man: Na ja, jetzt müssten ja ein paar Vorschläge kommen, ein paar konkrete Vorschläge von Ihnen, was Sie da jetzt eigentlich genau wollen. Dazu findet man aber wie immer nichts; in dem Antrag steht nichts dazu.
Ich will nicht ungerecht sein: Da steht, Sie wollen, dass sich die Beratung vor und während der Schwangerschaft am Wohl von Mutter und Kind zu orientieren hat. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben mittlerweile zwei kleine Kinder. All die Beratungen, die wir rund um die Geburt, davor und danach, erfahren haben, haben sich immer am Wohl von Kindern orientiert und nie an irgendeiner Ideologie.
Das zeigt einfach, wie intensiv Sie sich mit diesen Fragestellungen beschäftigt haben. Es geht Ihnen wie immer nur um Überschriften, um die Schlagzeile, aber nicht um den Inhalt. Deswegen sind Sie alles, aber Sie sind ganz sicher keine Alternative für die Familien in unserem Land.
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Ich kann Ihnen einfach nur abschließend sagen, was wir wollen: Wir wollen, dass Frauen tatsächlich dieselbe Wertschätzung erfahren wie Männer. Wir wollen, dass Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, wenn sie sich auf einen Job bewerben. Und wir wollen, dass ein Kind und berufliche Karriere möglich sind. Daran arbeiten wir weiter mit ganzer Kraft.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Martin Reichardt von der AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland befindet sich im stets erneuerten Lockdown. In Deutschland wurden viele Grundrechte in historischem Ausmaß eingeschränkt. Ganze Wirtschaftszweige kämpfen um ihre Existenz. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks berichtet von Umsatzrückgängen im Dienstleistungshandwerk um 90 Prozent.
Die Regierung schließt ohne nennenswerte Gegenwehr von FDP, Linken und Grünen Hotels, Einzelhandel, Friseure – alles Berufe mit hohem Frauenanteil. Und in dieser Zeit der Krise präsentiert uns die Linke einen Antrag, der den einzigartigen Wert der AfD als echter Opposition wie so oft beweist, weil nur wir den ideologischen Sumpf klar als solchen benennen. Die Union hat, wie gesehen, dazu nicht mehr Kraft.
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Der Titel des Antrags lautet „Gutes Leben und gute Arbeit für alle – Eine geschlechtergerechte Krisen- und Zukunftspolitik ist nötig“.
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Der Antrag ist ein Paradebeispiel dafür, wie es Linke schaffen, selbst die eine oder andere diskutierbare soziale Idee in einem feministisch-sozialistischen Sumpf versinken zu lassen.
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Während in Deutschland Familien ums nackte Überleben kämpfen und mit der Sorge um die Zukunft und Gesundheit ihrer isolierten Kinder leben müssen, erklärt uns Die Linke – ich zitiere –:
Diese ungerechte Normalität der Geschlechterverhältnisse, die für den Kapitalismus „systemrelevant“ ist, hat sich in der Krise verstärkt als … gesellschaftliches Problem erwiesen …
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Niemand außerhalb der Blase linker Genderstudien kommt auf eine derart abwegige Analyse, am wenigsten die Mütter und Väter in Deutschland, meine Damen und Herren.
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Während unsere Regierung alte Menschen in Pflegeheimen noch immer nicht schützen kann und deren Familien in Angst leben, erklären uns die Linken – ich zitiere –:
Auch Verantwortungsgemeinschaften, die nicht dem hetero-normativen Familienmodell entsprechen,
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wurden im Kontext traditioneller Rollen- und Realitätsverständnisse häufig übersehen.
Es gab sicherlich vieles, was unsere Regierung in den letzten Monaten übersehen hat – obiger Unsinn gehört sicherlich nicht dazu.
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Derlei obskure Probleme entdecken nur linke Ideologen – weil sie die echten Probleme der arbeitenden Bevölkerung überhaupt nicht kennen, meine Damen und Herren. Während der Lockdown die Menschen einsperrt und unsere Wirtschaft in den Ruin treibt, stolpert der linke Antrag von einem feministischen Propaganda-Gap
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in den nächsten, nämlich vom Gender Pay Gap in den Gender Care Gap, den Gender Health Gap, den Gender Pension Gap. – Der einzige echte Gap, der hier erkennbar wird, ist ein linker Brain Gap; das muss man hier festhalten.
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Dieser Gap ist links offensichtlich stark verbreitet; denn er offenbart sich auch im Antrag der Grünen. Anstatt sich an die Seite von Familien zu stellen und den Lockdown zu beenden, kümmern auch Sie sich um Fragen, die Familien in Existenznot nicht interessieren. Die Grünen wollen „geschlechtergerecht“ aus der Krise kommen und fordern allen Ernstes, dass nur Firmen, die sich um Gleichberechtigung bemühen, Gelder aus dem Konjunkturprogramm bekommen sollen.
Deutschland, meine Damen und Herren, braucht angesichts von 99,8 Prozent Menschen ohne Corona keinen Gender-Firlefanz, um aus der Krise zu kommen, sondern ein Ende des Lockdowns.
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Grüne und Linke offenbaren in der Krise eines immer deutlicher: Sie sind der politische Arm der Idiotie.
Vielen Dank.
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Danke. – Das Wort geht an Gabriele Hiller-Ohm von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich danke Ihnen für Ihren Antrag, der uns heute die Möglichkeit eröffnet, über Geschlechtergerechtigkeit zu sprechen. Dieses wichtige Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir viel öfter an dieser Stelle diskutieren. Schade nur, dass die AfD auch Rederecht hat.
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In den letzten Jahrzehnten konnten wir auf allen Ebenen sehr viel für uns Frauen verbessern. Am Ziel, meine Damen und Herren, sind wir aber leider noch lange nicht angekommen.
Ich selbst hatte das große Glück, dass es in den 1960er- und 1970er-Jahren, also als ich noch jung war, in meinen jungen Jahren, eine kraftvolle Frauenbewegung gab, die auch mich geprägt hat.
Heute müssen wir fortschrittlichen Parteien dafür sorgen, dass wir Erreichtes schützen, mutig weiter voranschreiten und sicherstellen, dass Frauen nicht wieder in die 50er-Jahre zurückkatapultiert werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie fragil Errungenes hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit ist. Wir konnten feststellen, dass viele Fortschritte, die wir in den letzten Jahrzehnten erreicht haben, eben nicht in Stein gemeißelt sind.
Frauen sind in der Care-Arbeit zu Hause wesentlich präsenter als Männer. Ja, das war schon vor Corona ein Problem. Aber die Krise hat diese gefährliche Diskrepanz noch mal deutlich verstärkt. Dieses Rollback, diesen Rückschritt in Geschlechterrollen der 50er-Jahre, können wir nicht tolerieren!
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Das Gleiche gilt für die sogenannten systemrelevanten und oftmals schlecht bezahlten Berufe. Auch hier sind Frauen überproportional häufig beschäftigt. Das alles ist Teil der strukturellen Benachteiligung, die durch Corona besonders deutlich wird.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wir müssen endlich ran an die Minijobs; da stimme ich Ihnen zu. Die Pandemie hat gezeigt, wie schutzlos geringfügig Beschäftigte sind.
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Die Minijobs gelten als große Verlierer der Krise. 70 Prozent der Minijobberinnen und Minijobber im erwerbsfähigen Alter sind Frauen. Diese Frauen haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, sie erwarten kaum Rente und sind meistens direkt in der Arbeitslosigkeit und dann in der Grundsicherung gelandet. Hier müssen wir dringend Lösungen finden. Das wird nur gelingen, wenn wir auch ans Ehegattensplitting gehen; da stimme ich Ihnen zu.
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Steuerliche Fehlanreize, die Frauen benachteiligen, müssen endlich der Vergangenheit angehören! Wichtig ist aber auch, dass wir eine Reform so gestalten, dass sie die Akzeptanz der über 7 Millionen Minijobberinnen und Minijobber findet und diese nicht hinten runterfallen. Da muss es eine Lösung geben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte allerdings, dass wir das in dieser Legislaturperiode und in dieser Regierungskoalition nicht mehr schaffen werden. Aber im September werden die Karten neu gemischt. Bis dahin haben alle fortschrittlichen Parteien die Chance, Wählerinnen und Wähler von der unabdingbaren Notwendigkeit der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zu überzeugen.
Die SPD hat bereits seit Hundert Jahren immer wieder bewiesen, dass auf uns Verlass ist, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit und die Stärkung von Frauen geht. Dank unserer Schubkraft konnten wir auch in dieser Legislaturperiode zentrale Forderungen durchsetzen. Werfen wir nur einen kurzen Blick auf den Arbeitsmarkt: Wir haben beispielsweise die Brückenteilzeit eingeführt. Damit schaffen wir für viele Frauen und Männer mehr Flexibilität in der Gestaltung der eigenen Arbeitszeit.
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Wir ermöglichen es dadurch auch den Eltern mit kleinen Kindern, im Beruf aktiv bleiben zu können.
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Das ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, für den wir lange kämpfen mussten.
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Dass wir jetzt endlich eine Vorstandsquote durchsetzen können, ist ein großartiger Schritt, über den ich mich sehr freue. In vielen Unternehmen gehören damit rein männliche Vorstände und Aufsichtsräte bald endlich der Vergangenheit an, und das ist auch gut so.
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Auch mit der Flexibilisierung des Elterngeldes tragen wir dazu bei, dass familiäre Aufgaben besser partnerschaftlich aufgeteilt werden können.
Über all diesen Maßnahmen schwebt die nationale Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung. Damit werden für alle Ministerien die Gleichstellungsziele zur Grundlage ihrer Arbeit und der Gesetzgebung. Auch das ist ein Meilenstein der Geschlechtergerechtigkeit.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Danke also für Ihren Antrag. Sie haben wichtige Forderungen gestellt; das ist gut. Aber eine ganz wichtige Forderung fehlt: Wir brauchen unbedingt mehr Frauen in den Parlamenten, und um das zu erreichen, müssen wir gemeinsam einen Weg finden. Schauen wir nur einmal hier auf den Bundestag: Es ist eine Schande, dass durch den Einzug der AfD der Frauenanteil so massiv gesunken ist. So niedrig war er zuletzt vor 20 Jahren.
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Die Debatte um ein Paritätsgesetz ist mit den Urteilen aus Thüringen und Brandenburg noch lange nicht beendet.
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Hier müssen wir hartnäckig bleiben und weiter um tragfähige Lösungen kämpfen! An all diesen Punkten sehen Sie, dass wir von der SPD die langfristige Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit immer fest im Blick haben, und das nicht nur in der Krise.
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Ich bin mir sicher, dass wir weitere Erfolge gemeinsam erzielen werden.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Nicole Bauer von der FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal braucht es erst Krisen, um bestehende Missstände zu erkennen. Dann gilt es, zügig die Lehren daraus zu ziehen und ins Handeln zu kommen, damit wir es in Zukunft einfach besser machen. Trotz all der Probleme, Verluste und Unwägbarkeiten: In jeder Krise steckt auch eine Chance.
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Nutzen wir sie also – für eine bessere Wahlfreiheit von Männern und Frauen, wie sie sich Beruf und Familie untereinander aufteilen, mit allen Folgen. Diese waren bislang vor allem mit Nachteilen für Frauen verbunden; das hat Corona gezeigt. Es waren in erster Linie die Frauen, die meist ihre ohnehin schon geringe Arbeitszeit für Kinderbetreuung und Homeschooling weiter verkürzt haben.
Das kommt nicht von ungefähr. Es ist eine Mischung aus Fehlanreizen, aus strukturellen Bedingungen und überholten Rollenbildern, die eine echte Wahlfreiheit für Eltern verhindert und damit auch eine echte Chancenverwirklichung für Männer und Frauen. Zahlreiche Studien belegen doch, wie Frauen nach der Geburt des Kindes einen Karriereknick erleben. Sie sind erst mal raus, und wenn sie dann wieder einsteigen, dann oft in Teilzeit, oft mit Steuerklasse V.
Und das hat dann Folgen; denn die Steuerklasse V sorgt für ein geringeres Netto und damit schließlich auch für ein geringeres Kurzarbeitergeld. Das gilt übrigens für all die Frauen, die im Einzelhandel beschäftigt sind, in Dienstleistungsbereichen, im Hotel- und Gaststättengewerbe. Hier müssen wir ansetzen, hier brauchen wir endlich Reformen!
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Wir Freie Demokraten fordern konkrete Veränderungen im Steuersystem, in der Arbeitsmarktpolitik und in der Altersvorsorge. Wir wollen endlich die Steuerklassen III und V abschaffen, für mehr Orientierung am Brutto und stärkere finanzielle Unabhängigkeit.
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Wir wollen zugleich aber auch neue Formate für berufsbegleitende Ausbildung im Sinne des lebenslangen Lernens. Wir wollen betriebliche Fort- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten für Eltern auch in der Elternzeit und sie zudem digital anbieten; denn Auszeiten für Familien dürfen nicht länger zum Karriereaus führen.
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Schließlich wollen wir das Rentensplitting erleichtern, es bekannter machen und für Unverheiratete öffnen. So können wir Mütter und Väter frei entscheiden lassen, wie sie sich die Aufgaben untereinander aufteilen und wie sie gegebenenfalls auch einen Ausgleich untereinander schaffen.
All diese Punkte muss die Bundesregierung endlich vorantreiben. Wir Freie Demokraten haben deshalb schon zu Beginn der Krise einen Emanzipationsgipfel gefordert – und den wollen wir auch heute noch; da lassen wir Sie nicht aus der Pflicht –, um bewusster aus der Krise zu lernen und die Krise als Chance zu begreifen für eine flexiblere Lebensgestaltung von Männern und Frauen.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Ulle Schauws von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Krise zeigt sich, wie wir über uns hinauswachsen können, um ein tödliches Virus zu bekämpfen. Wir gehen mit tiefgreifenden Änderungen in unserem Alltag um. Das ist eine immense Anpassungsleistung, und darin liegt ohne Frage ein gesellschaftliches Potenzial.
Gleichzeitig ist aber erkennbar, zu wessen Lasten diese Krise geht: Sie geht deutlich zulasten der Frauen. Unübersehbar ist seit Monaten, wo es Veränderungen braucht: Es braucht sie in der Gleichstellung. Unser Gesellschaftsvertrag macht immer noch die Frauen zu Hauptverantwortlichen für die Kinder und Männer immer noch zu Familienernährern. Genau das fällt uns gerade auf die Füße. Es ist gut, darüber laut zu reden – aber hätte man von der Frauenministerin nicht längst erwarten können, dass sie Maßnahmen vorschlägt? Frau Giffey, darauf warten viele Frauen, und wir warten ebenfalls darauf!
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Fakt ist doch, dass viel zu viele Frauen versuchen, nach einem Jahr Pandemie das Unmögliche möglich zu machen. Ihre Grenzen sind erreicht, sie sind überschritten. Krankschreibungen wegen Überlastung sind bei Frauen so häufig wie nie. Mütter reduzieren angesichts der Belastung ihre Arbeitszeiten, und nicht wenige, vor allem Alleinerziehende, kündigen ihre Arbeit, weil sie keine andere Lösung wissen. So geht es nicht weiter!
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In dieser Krise zeigt sich, dass weibliche Arbeit insbesondere im Niedriglohnsektor schlechter abgesichert ist. Bei Lohnersatzleistungen wie dem Kurzarbeitergeld bekommen Frauen mit Steuerklasse V monatlich mehrere Hundert Euro weniger als ein Mann mit gleichem Einkommen in Steuerklasse III – eine krasse Benachteiligung.
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Hier fordern wir Grüne sofort Änderungen, anders als die Linke, bei denen das nicht im Antrag steht. Eine solche Geschlechterblindheit können wir uns nicht leisten. Frau Giffey, die Zeit drängt! Sie haben vor neun Monaten mit unserem Antrag eine Aufforderung bekommen, die Auswirkungen der Krise auf die Geschlechter zur Grundlage Ihres Handelns zu machen, und Sie haben bis heute nichts davon aufgegriffen.
Wir haben eine Pandemie im Nacken und einen Strukturwandel vor uns. Ich wünsche mir den Mut, in der Frage der Gleichstellung aus der Krise zu lernen, die Stärken der Frauen zu sehen und loszulegen. Um geschlechtergerecht aus der Coronakrise zu kommen, brauchen wir erstens Konzepte, die verhindern, dass Frauen im Zuge des Strukturwandels aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden, zweitens eine Wertschätzung für die Arbeit von Frauen – das heißt: Löhne rauf und Steuerdiskriminierung runter – und drittens, die Gleichberechtigung in der Familie mit konkreten Anreizen für Männer und mit neuen flexiblen Arbeitszeitmodellen für alle zu unterstützen.
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Alle, wir alle und alle Menschen in diesem Land, wollen das Leben im Normalmodus wieder zurück. Das ist noch ein langer Weg, der vor uns liegt. Aber ich sage Ihnen: Was nicht sein kann, ist, dass Frauen als die Krisenmanagerinnen am Ende schlechter dastehen. Das geht nicht.
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Und ich appelliere an alle auf der Regierungsbank: Machen Sie, machen wir alle zusammen diese Krise geschlechtergerechter! Am Ende ist es gut für uns alle.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Silvia Breher von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lockdown: Die Schule ist zu, die Kita ist zu, Familien leisten Großartiges in dieser Zeit, Kinder leisten Großartiges in dieser Zeit. Ihnen kann man nicht oft genug Danke für das sagen, was sie leisten.
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Deshalb ist es auch richtig, dass wir sie im Öffnungsszenario nach vorne stellen, dass wir zuerst die Kitas, die Schulen wieder öffnen, dass wir die Lehrer und die Erzieher früher zu impfen anfangen, dass wir mit klugen Testkonzepten dafür sorgen, dass unsere Kinder schnellstmöglich wieder in ihren Alltag zurückkehren können.
Und ja, in dieser Zeit mit Homeschooling und Homeoffice übernehmen Frauen Verantwortung für ihre Familien, und Frauen übernehmen mehr Verantwortung für ihre Familien. Das haben sie schon immer getan,
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und das machen sie auch immer noch – mehr als die Männer.
Und Männer übernehmen Verantwortung für ihre Familien. Und jetzt kommt die Überraschung: Es gibt nicht nur Meinungen, es gibt nicht nur Ideen, es gibt nicht nur Presseartikel, nein, es gibt auch Studien zu diesem Thema, zum Beispiel vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Sie haben eben herausgefunden, dass in dieser Zeit, der Coronazeit, sich die Männer mehr als vorher engagiert haben und eine deutlich höhere Steigerung als die Frauen im Bereich der Familienarbeit haben. Ihr Engagement stieg von 33 Prozent auf jetzt 41 Prozent. Deswegen mein Appell an alle, nicht immer nur alles schlechtzureden. Die Rolle rückwärts gibt es in der Form nicht. Auch die Männer engagieren sich. Die Rolle vorwärts sollten wir auch positiv anerkennen.
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Frau Kollegin Achelwilm, Sie beschreiben in Ihrem Antrag auf drei Seiten, welche Benachteiligungen der Frauen in der Pandemie vorliegen, und dann suche ich in Ihrem Antrag Lösungen. Da sehe ich nur die typischen Instrumente aus der linken Trickkiste von der Anhebung des Kurzarbeitergeldes über die Aufhebung des Prinzips der Bedarfsgemeinschaft und die sofortige Anhebung des Mindestlohns bis zur Reduzierung der Arbeitszeit. Aber Lösungen für die von Ihnen beschriebenen Probleme habe ich nicht gefunden.
Frau Kollegin Achelwilm, Frau Kollegin Hiller-Ohm, nicht jeder muss das deutsche Steuerrecht verstehen. Aber wer über das Ehegattensplitting spricht, sollte wissen, was es bedeutet.
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Nicht das Ehegattensplitting reduziert das Einkommen der Frauen, nicht das Ehegattensplitting! Das Ehegattensplitting an sich sorgt dafür, dass ein Ehepaar am Ende gemeinsam veranlagt wird und im Durchschnitt weniger Steuern bezahlt.
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Der entscheidende Faktor ist nicht das Ehegattensplitting, sondern die frei vom Ehepaar gewählte Steuerklasse; und die Kombination III/V benachteiligt eben einen,
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und darüber kann man sprechen. Auch die Paare sind frei, die Steuerklasse IV zu wählen, im Zweifel mit Faktorverfahren. Darüber können wir sprechen, aber nicht über das Ehegattensplitting.
Im Übrigen möchte ich zu Ihren Punkten mal ein bisschen was sagen. Sie fordern einen Aktionsplan, Sie fordern einen Krisenrat, einen Emanzipationsgipfel. Ich sage Ihnen: Die Bundesregierung hat als Erste eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie auf den Weg gebracht. Sie ist die zentrale Richtschnur unserer Gleichstellungspolitik. Wir werden jetzt zudem zeitnah die Bundesstiftung Gleichstellung auf den Weg bringen.
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Wir haben das Thema Pflege umfassend angepackt, die Konzertierte Aktion Pflege gestartet und die Pflegeausbildung reformiert. Am morgigen Tag – es wurde schon genannt – geht das Führungspositionen-Gesetz in die Debatte. Auch dort werden wir entsprechend Verbesserungen auf den Weg bringen, und das ist ganz wichtig.
Noch ein Punkt. Wir haben ganz zentral das Thema „Gewalt gegen Frauen“ in den Mittelpunkt gestellt, den Runden Tisch eingerichtet und mit dem Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ 30 Millionen Euro pro Jahr und in einem Innovationsprogramm weitere 5 Millionen Euro pro Jahr für den Schutz von Frauen gegen Gewalt auf den Weg gebracht.
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Dann fordern Sie des Weiteren endlich ein Kitaqualitätsgesetz. Liebe Linke, wo waren Sie denn? Wir haben das Gute-KiTa-Gesetz auf den Weg gebracht. 5,5 Milliarden Euro investieren wir als Bund, stellen das Geld für mehr Qualität in den Kitas zur Verfügung. Sie fordern ein Qualitätsgesetz? Gucken Sie mal in die Reihen, und verfolgen Sie die Debatten. Es war die CDU/CSU-Fraktion, die gerne das Wort „Qualität“ noch stärker verankert haben wollte.
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Aber das war mit den Ländern nicht zu machen. Dann kann ich gerne in die Runde gucken, wer in den unterschiedlichen Ländern in Regierungsverantwortung sitzt.
Ich könnte so weitermachen. Sie haben viele Punkte aufgeführt, die uns in dieser Sache nicht weiterhelfen. Wir haben unsere Strategie auf den Weg gebracht. Wir haben diese Punkte im Blick und werden unsere Arbeit weiter fortsetzen und Ihre Anträge aus Überzeugung ablehnen.
Danke.
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Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin wirklich sehr froh, dass ich Ihnen heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes vorstellen darf. Ich bin deshalb froh, weil das Bundespersonalvertretungsgesetz aus dem Frühjahr 1974 stammt und seitdem bis auf kleine, punktuelle Veränderungen im Grunde genommen nicht angetastet worden ist. Es gab in den letzten Legislaturperioden immer wieder Versuche, das Bundespersonalvertretungsgesetz zu novellieren. All diese Versuche sind gescheitert. Mehrmals sind Gesetzentwürfe der Diskontinuität zum Opfer gefallen.
Das ist auch nicht ganz unverständlich, weil es natürlich ein Spannungsverhältnis zwischen effektivem Verwaltungshandeln auf der einen Seite und der berechtigten und auch sehr wichtigen Mitsprache der Beschäftigten auf der anderen Seite gibt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns mit diesem Gesetzentwurf gelungen ist, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen.
Wir haben bei uns im Haus sehr frühzeitig, zu Beginn dieser Legislaturperiode, einen sehr intensiven und einen sehr konstruktiven Dialogprozess mit den Gewerkschaften, mit den Personalvertretungen, aber auch mit den Dienststellen begonnen. Daraus sind Eckpunkte entstanden. Diese Eckpunkte sind weiterentwickelt worden. Aus diesen Eckpunkten ist letzten Endes dieser Gesetzentwurf gegossen worden.
Ich bin sehr froh, an dieser Stelle feststellen zu können, dass wichtige Mitwirkungs- und Mitspracherechte der Beschäftigten mit diesem Gesetzentwurf nicht reduziert werden, sondern ganz im Gegenteil: Mit diesem Gesetzentwurf werden die Mitsprachemöglichkeiten, die Einwirkungsmöglichkeiten der Beschäftigten und auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst verbessert.
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Ich möchte Ihnen kurz einige Inhalte im Einzelnen vorstellen. Zum Ersten wird das Bundespersonalvertretungsgesetz von unnötigem Ballast befreit. Es wird entschlackt. Die Systematik wird neu aufgestellt. Es wird anwenderfreundlich. Für uns ist es sehr wichtig, dass alle, die in der Personalvertretung arbeiten oder mit der Personalvertretung zu tun haben, dieses Gesetz leicht lesen können. Es wird also auch die Verständlichkeit dieses Gesetzes erhöht.
Zum Zweiten bilden wir in diesem Gesetz die doch sehr umfangreiche Rechtsprechung in dem Bereich der Personalvertretung der letzten Jahre und, man muss sagen: Jahrzehnte ab. Beispielsweise wird das wichtige Letztentscheidungsrecht des Parlamentes bei entscheidenden Fragen der Mitbestimmung aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes in diesem Gesetzentwurf mit abgebildet. Zudem werden neue Tatbestände der Mitbestimmung geschaffen, beispielsweise – das spielt natürlich gerade angesichts der derzeitigen Coronapandemie auch eine Rolle – in Fragen der flexiblen Arbeitszeit, des mobilen Arbeitens, aber auch der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und der Arbeit, daneben auch in den Bereichen des betrieblichen Gesundheits- und Eingliederungsmanagements. Außerdem werden in dem Gesetzentwurf insbesondere Fragen der Privatisierung von einzelnen Aufgaben im öffentlichen Dienst geregelt.
Ein dritter wichtiger Aspekt ist, dass mit dem Gesetzentwurf in Zukunft eine personalvertretungslose Zeit vermieden wird, etwa in Phasen der Umstrukturierung oder auch wenn möglicherweise verspätet Personalratswahlen durchgeführt werden.
Ein sehr wichtiger Inhalt ist aus meiner Sicht, dass die Wahlrechtsgrundsätze in dem Gesetzentwurf verändert werden. Wir reduzieren das Wahlalter für die Teilnahme an Personalratswahlen auf 16 Jahre und schaffen eine Altersgrenze für Auszubildende bei der Teilnahme an Wahlen zu Jugend- und Auszubildendenvertretungen ab. Daneben wird auch das Schriftformerfordernis dereguliert. Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass die Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte institutionalisiert wird. Wir bilden also damit jetzt im Gesetz das ab, was bislang schon die Praxis war. Wir verleihen auch der AG Hauptpersonalräte ein Mitspracherecht, ein Teilnahmerecht bei ressortübergreifenden Fragen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein sehr wichtiger Aspekt gerade auch im Lichte der aktuellen Coronapandemie ist die Frage, wie wir mit neuen Technologien im Zeitalter der Digitalisierung umgehen, sprich damit, dass in Zukunft auch Personalratssitzungen in dem Format von Videokonferenzen oder auch von Telefonkonferenzen durchgeführt werden. Sie wissen, dass wir im letzten Jahr zu Beginn der Coronapandemie befristet diese Möglichkeit für Personalräte geschaffen haben. Mit diesem Gesetzentwurf wird jetzt die Frist deutlich verlängert, bis Ende 2024. Wenn Sie mir erlauben, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dann dürfte ich einen kleinen Wunsch für das parlamentarische Verfahren Ihnen mit auf den Weg geben. Angesichts der parallel zu führenden Debatte über die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes wäre es aus unserer Sicht durchaus auch überlegenswert, diese Möglichkeit der Durchführung von Personalratssitzungen in Form von Videokonferenzen oder Telefonkonferenzen nicht nur bis Ende 2024 zu befristen, sondern endgültig zu entfristen,
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natürlich wohlgemerkt immer mit der Möglichkeit, dass dann, wenn nur ein Mitglied des Personalrates dem widerspricht, die Personalratssitzung natürlich in Präsenzform durchgeführt wird.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass wir Ihnen mit diesem Gesetzentwurf einen sehr guten, einen sehr ausgewogenen Kompromiss vorstellen. Ich möchte hinzufügen, dass insbesondere dieser Aspekt, dass es nun zu einer Verbesserung der Mitsprache der Personalräte kommt, auch dem Umstand zu verdanken ist, dass durchaus das eine oder andere Ressort in der Ressortabstimmung eigene Wünsche und Vorstellungen zurückgestellt hat. Ich freue mich jetzt auf einen konstruktiven und intensiven Dialog im parlamentarischen Verfahren.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Christian Wirth von der AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin, das war keine Absicht! Vielen Dank!
Werte Kollegen! Wenn die Bundesregierung ankündigt, ein Gesetz wie das Bundespersonalvertretungsgesetz aus dem Jahre 1974 zu novellieren, dann würde man eine Novellierung erwarten, die auch für die nächsten Jahrzehnte richtungsweisend ist. Leider nicht so bei dieser Bundesregierung. Kurz vor Ende der Legislaturperiode bringt, oder: lässt die Bundesregierung durch die Regierungsparteien eine Reihe dringender Gesetzentwürfe ins Parlament einbringen, die einer Erneuerung bedürfen, denen man aber anmerkt, dass wertvolle Zeit verschenkt wurde, die Regierungsparteien zerstritten sind und somit nur Stückwerk oder gleich nur der kleinste gemeinsame Nenner zu Papier gebracht wurde. So hat es sich in wenigen Tagen bei dem BND-Gesetz, dem Bundespolizeigesetz und jetzt bei dem Bundespersonalvertretungsgesetz gezeigt, und das vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung in diesem Fall als Dienstherr einer besonderen Fürsorgepflicht verpflichtet ist.
Herr Mayer, einiges ist wirklich gelungen, handwerklich gut gemacht, kann man nur sagen. Straffer ist es geworden, deutlicher, anwenderfreundlicher und auch für den juristischen Laien lesbar. Begrüßenswert ist die Erweiterung der Mitwirkungsrechte, löblich gemacht. Die Regelung zum Alter bei der Wählbarkeit ist auch angemessen. Aber es gibt durchaus Kritikpunkte.
Zu begrüßen ist die Beibehaltung der Besetzung der Einigungsstelle als Anerkennung ihrer friedensstiftenden Wirkung und ihres Beitrages zur Erreichung des Zieles eines jeden Personalvertretungsgesetzes, nämlich eine einvernehmliche Lösung unter gleichberechtigter Beteiligung der Partner zur Geltung zu bringen. Vor diesem Hintergrund ist die eingefügte Option, dass die oberste Dienstbehörde Letztentscheidungen der Einigungsstelle kassieren kann, zumindest diskussionswürdig und stößt auf Widerstand der Tarifpartner.
Bei der Digitalisierung, dem Stiefkind der Bundesregierung, wird auch hier wieder deutlich, dass die Rolle der Personalvertretung bei der Bewältigung der Digitalisierung in der Bundesverwaltung kaum berücksichtigt wird. Auch der Prozess der Digitalisierung in der Personalvertretung selber zeigt, dass diesem Entwurf die Zukunftsfähigkeit fehlt. Die Digitalisierung der Bundesverwaltung für den Bürger gerade in der Coronakrise steht ja wenigstens auf der Agenda der Bundesregierung, nämlich E-Zugang der Bürger zu Dienstleistungen der Verwaltung.
Warum aber den Personalvertretungen die in der Welt jenseits der öffentlichen Verwaltung längst alltäglichen digitalen Kommunikationsstandards wie Telearbeit oder mobile Arbeit nicht eingeräumt werden, warum für die Personalvertretungen die Option von Videokonferenzen und Onlinesprechstunden in diesem Entwurf bis zum Ablauf der geltenden Amtszeit beschränkt werden soll, ohne das Primat der Präsenzsitzungen zu schmälern, das bleibt Ihr Geheimnis. Hier legen Sie weniger strenge Maßstäbe an als bei der wesentlich stärker gebeutelten freien Wirtschaft. Das ist genau das Gegenteil einer in die Zukunft gerichteten Modernisierung eines Gesetzentwurfes. Das ist nicht einmal der Standard im Heute;
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das ist leider wieder einmal – wie beim Bundespolizeigesetz – im Gestern verharrt.
Zum Abschluss muss ich loben, nämlich die Erweiterung des Beschäftigungsbegriffs auf arbeitnehmerähnliche freie Beschäftigte. Dies freut nicht nur den Deutschen Journalisten-Verband mit einer Vielzahl von freien Mitarbeitern im Rundfunk. Die Frage ist aber auch, ob hierdurch die Armee von V-Leuten des Inlandsgeheimdienstes endlich personalvertretungsrechtlich belohnt wird für den Ausbau, das Führen, die Ertüchtigung einer rechtsextremen Szene, die sich dann als Argument gegen die Opposition richten kann.
Vielen Dank.
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Danke. – Das Wort geht an Thomas Hitschler von der SPD-Fraktion.
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Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einer der Gründe, warum die soziale Marktwirtschaft in unserem Land so erfolgreich ist, liegt in der Mitbestimmung. Dadurch, dass die Belegschaft in betriebliche Entscheidungen einbezogen wird, sieht sie das Gesamtbild und auch die langfristige Gesundheit ihres Unternehmens, und als Teil des Managements haben die Mitarbeitenden Zugriff auf internes Fachwissen, das dabei hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. Sie wirken damit auch entscheidend bei Führungsprozessen in Betrieben und Unternehmen mit, was unsere Wirtschaft stärker und widerstandsfähiger macht. Auch dadurch wird der Wert der Mitarbeitenden klar. Klugen Unternehmerinnen und Unternehmern ist das bewusst.
Kolleginnen und Kollegen, so muss es auch im öffentlichen Dienst funktionieren. Personalvertretungen zeigen, dass sie bei wichtigen Prozessen in ihren Häusern die entscheidenden Stimmen sein können. Ich durfte in dieser Wahlperiode bei der Reform des BAAlNBw selbst erleben, wie gut das funktionieren kann, wenn es zugelassen wird. Nur durch gute Impulse und Expertise aus der Mitarbeiterschaft konnten dringend notwendige Veränderungsprozesse vorangetrieben werden. Auch in öffentlichen Verwaltungen gilt: Dort, wo gemeinsam Verantwortung wahrgenommen wird, ist erfolgreiches Arbeiten möglich.
Gestatten Sie mir deshalb, Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle auch einmal denen zu danken, die die Personalvertretungsarbeit jeden Tag machen. Sie übernehmen Verantwortung in ihren Betrieben und den Verwaltungen, und das ist für uns als Deutschen Bundestag unglaublich wertvoll.
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Genau diese Akteure, Kolleginnen und Kollegen, müssen wir stärken.
Das Bundespersonalvertretungsgesetz ist – wir haben es vom Staatssekretär gehört – 1974 in Kraft getreten. Ich meine, die lange Anwendungszeit dieses Gesetzes spricht natürlich auch für die handwerkliche Qualität der damaligen Regierung unter Willy Brandt.
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Aber es ist sicher kein legislativer Denkmalsturz, wenn wir uns nach fast einem halben Jahrhundert ein Gesetz noch einmal anschauen. Die meisten von Ihnen haben mitbekommen, dass sich in den letzten 50 Jahren viel verändert hat. Wir passen das BPersVG daher an die heutige Zeit an. Das ist ein Versprechen, das wir im Bundestagswahlkampf 2017 gemacht haben, und das haben wir im Koalitionsvertrag gemeinsam festgehalten. Wir werden das Gesetz systematischer und zugegebenermaßen auch lesbarer machen. Wir passen es an die Föderalismusreform an. Wir verbessern die Situation für die Personalvertretungen: Wir senken das Wahlalter für die Jugend- und Auszubildendenvertretungen, erleichtern Teilfreistellungen und vermeiden durch genaue Regelungen personalvertretungslose Zeiten. Und: Wir stärken die ressortübergreifende Mitbestimmung.
Kolleginnen und Kollegen, wir werden aber im parlamentarischen Verfahren noch weitere Verbesserungen erreichen. Aus den Coronaausnahmeregelungen für digitale Sitzungen werden wir eine reguläre Möglichkeit machen und gleichzeitig Nachteile für die Personalvertretungen durch eine gute Regelung vermeiden. Damit verbessern wir auch Inklusion, Familienverträglichkeit und Attraktivität von Personalvertretungsarbeit. Wir werden uns dafür einsetzen, dass auch dauerhaft beschäftigte freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einiger öffentlich-rechtlicher Sender künftig faire Mitbestimmungsrechte bekommen. Gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir aus einem guten Gesetz ein noch besseres machen.
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In der Pandemiezeit haben wir schon mehrfach befristete Übergangsregelungen für das BPersVG beschlossen, schlicht deswegen, weil sich vor 50 Jahren niemand eine solche Pandemie vorstellen konnte und die technologischen Möglichkeiten, mit ihr umzugehen, noch Science-Fiction waren. Unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger sollen das Gesetz regelmäßig evaluieren und an die Anforderungen der Zeit anpassen. Es ist jetzt an uns, mit guter Arbeit und viel Sorgfalt dafür zu sorgen, dass sie in den nächsten 50 Jahren möglichst wenige Anpassungen vornehmen müssen.
Der zentrale Leitsatz wird aber bleiben: Mitbestimmung ist wichtig, wird wichtig bleiben, und wir werden gemeinsam jetzt und auch in Zukunft die Rechte der Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst und in den Betrieben stärken.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank. – Das Wort geht an Konstantin Kuhle von der FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat jüngst ein ganz bemerkenswertes Interview in der „Welt am Sonntag“ gegeben.
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Da hat er unter anderem den Satz gesagt: „Wir brauchen eine Jahrhundertreform – vielleicht sogar eine Revolution.“ Konkret sprach sich Ralph Brinkhaus dafür aus, Verwaltungsprozesse grundsätzlich zu überprüfen und die Verwaltung zu digitalisieren.
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Er hat recht. Aber es ist so, dass Sie schon bei einer Reform, die nicht den Tatbestand einer Revolution erfüllt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mitnehmen müssen. Da spielen die Personalräte in den Bundesbehörden eine ganz wichtige Rolle. Deswegen ist es gut, dass wir im vorliegenden Entwurf zahlreiche sinnvolle Aktualisierungen und Anpassungen finden, etwa mit Blick auf die Rechtsprechung, die in der Zwischenzeit erfolgt ist, mit Blick auf die Praxis in den Behörden, mit Blick auf die Arbeit in den Personalräten und mit Blick auf die Pandemie, die wir aktuell haben.
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Wenn das neue Personalvertretungsrecht allerdings eine digitale Revolution in den Bundesbehörden begleiten soll, dann sehen wir Freie Demokraten noch deutlichen Nachbesserungsbedarf. Das betrifft vor allen Dingen folgende Punkte:
Erstens. Wir haben es durch einige Änderungen während der Pandemie Personalräten bereits ermöglicht, digital zu tagen. Diese Befristung läuft Ende März aus. Im derzeitigen Entwurf ist vorgesehen, die Befristung bis 2024 zu verlängern. Sie können natürlich keinem erzählen, dass heute entschieden werden soll, dass es 2025 nicht mehr möglich ist, digitale Personalratssitzungen durchzuführen. Deswegen muss diese Mutlosigkeit aus dem Gesetzentwurf verschwinden. Dann fällt es uns Freien Demokraten auch leichter, das Ganze gut zu finden. Ich nehme sehr deutlich und wohlwollend zur Kenntnis, dass sich sowohl die Union als auch die SPD dafür einsetzen, dass es zu einer dauerhaften Möglichkeit der Durchführung digitaler Personalratssitzungen kommt. Das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren.
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Zweitens. Die Union redet von einer digitalen Revolution; aber mobiles Arbeiten oder Homeoffice gehört in den Behörden des Bundes absolut in den Bereich der Ausnahmen. Das ist dort nicht die Regel und für viele Beschäftigte ein Fremdwort, und das zu einer Zeit, wo der Privatwirtschaft in ganz erheblichem Maße Vorschriften gemacht werden sollen, auf Homeoffice und mobiles Arbeiten zu setzen. Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden; das passt nicht zusammen. Deswegen muss auch die öffentliche Verwaltung beim mobilen Arbeiten und beim Homeoffice besser werden, meine Damen und Herren.
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Wir werden – das ist schon geplant – im Innenausschuss eine Anhörung zum Bundespersonalvertretungsgesetz haben, und da muss sehr genau herausarbeitet werden, ob die neuen Mitbestimmungstatbestände dazu geeignet sind, Digitalisierung zu ermöglichen, oder ob sie am Ende dazu führen, dass Digitalisierung verhindert werden soll. Letzteres werden wir Freie Demokraten nicht mitmachen. Es muss vorangehen bei der Digitalisierung, auch im Bereich der Personalräte.
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Drittens, meine Damen und Herren, sind auch ressortübergreifende Maßnahmen zur Digitalisierung betroffen. Die Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte soll im Gesetz festgeschrieben werden. Das ist an sich ein sinnvoller Schritt, darf aber nicht dazu führen, dass das langsamste Haus, das langsamste Ministerium bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung das Tempo vorgibt, sondern es muss das schnellste und das ambitionierteste sein. Auch darauf werden wir in den kommenden Wochen und Monaten achten.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Pascal Meiser von der Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute hier über die Neufassung des Bundespersonalvertretungsgesetzes sprechen, dann sprechen wir über nicht weniger als über die Rahmenbedingungen für mehr als eine halbe Million Menschen im öffentlichen Dienst des Bundes.
Angesichts dessen, was diese auch in der Coronakrise für unser Gemeinwesen leisten, möchte ich die Gelegenheit nutzen, ihnen allen namens meiner Fraktion Die Linke dafür meinen herzlichen Dank auszusprechen.
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Stellvertretend seien hier nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit genannt, die in einem großen Kraftakt weiter dafür sorgen, dass das Kurzarbeitergeld landauf, landab zügig ausgezahlt wird. Mein Dank gilt aber auch den Personalrätinnen und Personalräten, die auch in der Pandemie tagtäglich dafür sorgen, dass die Interessen der Beschäftigten und der Schutz der Gesundheit nicht übergangen werden.
Wenn wir heute über die Neufassung des Bundespersonalvertretungsgesetzes sprechen, dann sprechen wir letztlich auch und vor allem darüber, ob und wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes die demokratische Mitbestimmung in der Arbeitswelt, in ihren Dienststellen erfahrbar ist.
Dazu ist es in der Tat höchste Zeit, das bestehende Gesetz, das an vielen Stellen den Geist einer anderen Zeit atmet, umfassend zu modernisieren, und einige der vorgeschlagenen Neuregelungen finden dabei ausdrücklich auch unsere Zustimmung. Dazu gehören das Wahlrecht ab 16 Jahren bei den Personalratswahlen, die Übergangsregelungen zur Vermeidung personalratsfreier Zustände und auch neue Mitbestimmungstatbestände. Es bleiben jedoch einige größere Baustellen, die Ihnen auch die Personalvertretungen und die Gewerkschaften ins Stammbuch geschrieben haben. Ich möchte drei davon hier herausheben.
Erstens. Ja, wir brauchen eine stärkere ressortübergreifende Beteiligung der Personalvertretungen bei Regelungen, die mehrere Behörden betreffen. Deshalb ist es richtig, die bisher informell bestehende Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte aufzuwerten. Aber wer es mit der Demokratie am Arbeitsplatz ernst meint, der muss auch dafür sorgen, dass Mitbestimmung mehr ist, als einfach nur unverbindliche Stellungnahmen abzugeben. Deswegen brauchen wir ein echtes Mitbestimmungsrecht bei ressortübergreifenden Fragen, zum Beispiel bei der Digitalisierung, meine Damen und Herren.
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Zweitens. Das ist eines der großen Probleme: Sie wollen den obersten Dienstherren – also in den Ministerien den Ministern und Ministerinnen – pauschal das Recht einräumen, Entscheidungen der Einigungsstelle, die im Streitfall zwischen Dienststelle und Personalrat zu vermitteln und zu entscheiden hat, aufzuheben. Damit führen Sie die gesamte Mitbestimmung ad absurdum. Ja, auch mir ist das entsprechende über 20 Jahre alte Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts bekannt. Aber so, wie Sie das auslegen, macht es die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst beim Bund kaputt; das sage ich Ihnen, meine Damen und Herren.
Drittens. Dass bei einem Gesetzentwurf, bei dem es um die Modernisierung des Personalvertretungsrechts geht, bei dem es auch darum geht, es für die Herausforderungen der Digitalisierung fit zu machen, kein digitales Zutrittsrecht für die Gewerkschaften zum Betrieb, zur Dienststelle ermöglicht wird, halte ich für ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.
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Das schwarze Brett findet in Zeiten von Homeoffice leider nur wenig Beachtung. Da müssen Sie nachbessern.
Ich komme zum Schluss. Zusammengenommen kann ich mich nur dem Fazit des Deutschen Gewerkschaftsbundes anschließen: Die vorgesehenen Änderungen werden dem Ziel, die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst auf einem zeitgemäßen Niveau weiterzuentwickeln, leider noch nicht gerecht. Hören Sie auf die Personalvertretungen und die Gewerkschaften und natürlich auch auf uns, und bessern Sie den vorliegenden Entwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren nach!
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Margit Stumpp von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit der Novelle des Bundespersonalvertretungsgesetzes die Mitsprache von Beschäftigten im öffentlichen Dienst stärken. Dieses Anliegen unterstützen wir Grüne selbstverständlich; denn öffentliche Einrichtungen sollten bei der Beteiligung von Mitarbeitenden vorangehen. Außerdem ist die Novelle längst überfällig; denn das Gesetz ist fast 50 Jahre alt. Vor 50 Jahren war die Arbeitswelt aber eine gänzlich andere. Die Pandemie beschleunigt noch einmal Veränderungsprozesse durch mobiles Arbeiten, Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit und Co – fast überall, außer in den Bundesministerien, wie man so hört.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung greift jedoch an einigen Stellen zu kurz. Das ist der Grund, warum ich als medienpolitische Sprecherin zu dieser Novelle Stellung beziehe; denn meiner Grünenfraktion ist es wichtig, auf einen der Mängel besonders einzugehen: Arbeitnehmerähnliche Journalistinnen und Journalisten, sogenannte feste Freie, werden in der Novelle der Bundesregierung komplett ignoriert. Das ist ein gravierendes Versäumnis. Warum? Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten 9 000 Arbeitnehmer/-innen und zusätzlich doppelt so viele, nämlich 18 000, Arbeitnehmerähnliche, sogenannte feste Freie.
Die Bundesregierung will diesen Mitarbeitenden erstmals gewähren, sich in den jeweiligen Personalrat wählen und sich auch von diesem vertreten zu lassen. Hier wird also scheinbar eine Tür für mehr Mitbestimmung für Arbeitnehmerähnliche geöffnet. Aber nur zum Schein; denn sie wird den Journalistinnen und Journalisten im öffentlichen Rundfunk umgehend wieder vor der Nase zugeknallt. Die Einschränkung, dass das aktive und passive Wahlrecht für den Personalrat nur für Arbeitnehmerähnliche gelten soll, die nicht maßgeblich an der Programmgestaltung beteiligt sind und keinen unmittelbaren programminhaltlichen Einfluss haben, schließt de facto alle arbeitnehmerähnlichen Journalistinnen und Journalisten weiterhin von der Mitbestimmung aus. Das darf so nicht bleiben!
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Die Organisationen der Journalistinnen und Journalisten kritisieren, dass die Bundesregierung so die Zweiklassengesellschaft innerhalb der Belegschaften in den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten weiter zementiert – zu Recht. Diese Zweiklassengesellschaft gehört dringend abgeschafft; denn ohne den großen Anteil der festen Freien ist das umfassende Informationsangebot der öffentlich-rechtlichen Medien nicht denkbar, das so wichtig für unsere Demokratie ist. Ihr Ausschluss bedeutet eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung und eine gravierende Beschneidung der demokratischen Mitbestimmungsrechte eines erheblichen Teils der Beschäftigten. Hier muss die Bundesregierung dringend nachbessern und dafür sorgen, dass möglichst alle arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten künftig ein Mitbestimmungsrecht erhalten.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Petra Nicolaisen von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zur Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes wollen wir einen weiteren Schritt gehen, um die Mitbestimmungsmöglichkeiten in Deutschland noch ein Stück besser zu gestalten; denn nach mehr als 45 Jahren altert ein Gesetz einfach einmal. Die Arbeitswelt hat sich gewandelt, Personalräte sind heute stärker als je zuvor gefordert, und eine umfassende Aktualisierung ist notwendig und natürlich auch richtig.
Der Gesetzentwurf besteht für mich aus drei ganz zentralen Bausteinen: erstens dem Strukturieren und Vereinfachen, zweitens der Anpassung an dienstrechtliche Entwicklungen und drittens natürlich der Digitalisierung.
Kommen wir zum ersten Baustein: Strukturieren und Vereinfachen. Wenn Sie sich mit dem Gesetzentwurf befasst haben, dann werden Sie feststellen, dass es an ganz vielen Stellen Verbesserungen gibt, die zu einer leichteren Verständlichkeit beitragen. Beispielsweise wurden die Beteiligungstatbestände im Gesetzestext übersichtlicher angeordnet und viele Regelungen einfach besser untergliedert. Der Katalog allgemeiner Aufgaben wurde konkretisiert, und Fehler sowie lang überholte Rechtsvorschriften wurden gestrichen.
Das mag im ersten Moment für die meisten trivial erscheinen, aber auch solche Klarstellungen helfen Personalvertretungen. Personalvertretungen müssen Interessen zwischen Dienststellen, den Belegschaften und verschiedenen Gremien miteinander verbinden. Je verständlicher die Rechtsgrundlage und je klarer die Intention des Gesetzgebers, desto einfacher gestaltet sich dann auch die Arbeit.
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Der zweite Baustein ist die Anpassung des Dienstrechtes; es ist schon darauf eingegangen worden. Auch hier wird an ganz vielen Stellen neu angesetzt, seien es die überarbeiteten Wahlrechtsvorschriften – unter anderem die Absenkung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre – oder Regelungen zur Vermeidung personalvertretungsloser Zeiten, um für die Beschäftigten dauerhaft Ansprechpartner/-innen gewährleisten zu können. Eine weitere Neuerung sind die Regelungen zu den Mitbestimmungstatbeständen. Beispielsweise werden die Einführung, Änderung oder Aufhebung von Arbeitszeitmodellen und Arbeitsformen außerhalb der Dienststellen zu eigenen Mitbestimmungstatbeständen. Die Ausgestaltung des Arbeitsalltages der Beschäftigten wird personalvertretungsrechtlich hervorgehoben. Mit der Präzisierung bestehender und der Schaffung neuer Mitbestimmungstatbestände werden die Interessen der Beschäftigten künftig besser durch den Personalrat abgebildet werden können. Klar ist: Wenn Dienststellen modern sein sollen, benötigen sie ein ebenso modernes Pendant in Form der Personalräte.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir hierfür die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Und wenn von Modernisierung gesprochen wird, dann ist für mich auch der dritte Baustein des Gesetzentwurfes zu nennen: die Digitalisierung, ein Schlagwort mit vielen Erwartungen und wichtigen Chancen. Diese möchte der Gesetzgeber auch für die Personalratsarbeit nutzbar machen. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften aus Anlass der Covid-19-Pandemie vom 25. Mai 2020 wurde dafür schon ein wichtiger Grundstein gelegt.
Dieses Fundament soll nun ausgebaut werden. Personalvertretungen steht nun für die gesamte Amtsperiode bis Ende 2024 die Möglichkeit zu Video- und Telefonkonferenzen offen. Zur Entfristung haben wir eben schon etwas gehört; das werden wir in der Anhörung und im BE-Gespräch noch mal thematisieren. Die elektronische Kommunikation zwischen Dienststellen und Personalvertretungen wird rechtssicherer. Das bedeutet, künftig können viele Prozesse sicherer digital gestaltet werden.
Nicht zuletzt wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte institutionalisiert und mit einem Stellungnahmerecht in ressortübergreifenden Angelegenheiten mit Digitalisierungsbezug ausgestattet.
Digitalisierungsprozesse wirken sich immer auf den Arbeitsalltag aus. Durch die Einbindung der Personalvertretungen können hier die Belange früher eingebracht werden. Daneben führen auch viele weitere neue Regelungen des Gesetzentwurfes zu einer Modernisierung des Bundespersonalvertretungsrechts und damit auch zu einer Modernisierung und Erleichterung der Personalratsarbeit sowie einer Steigerung der Attraktivität und Verlässlichkeit des öffentlichen Dienstes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Personalvertretungen leisten einen wichtigen Beitrag für die Beschäftigten. Diese schätzen wir sehr. Ich freue mich auf die weiteren Gespräche, auf den Gesetzgebungsprozess und bedanke mich schon mal im Voraus bei denjenigen, mit denen ich schon Gespräche geführt habe.
Herzlichen Dank.
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Danke sehr. – Zum Abschluss der Debatte geht das Wort an Bernd Rützel von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Behörden, Ämter, Verwaltungen, Arbeitsagenturen, Jobcenter, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Kitas, Bus- und Straßenbahnverkehr, Ver- und Entsorgung – Wasser, Abwasser, Wärme, Müll –, Winterdienst, Polizei, Feuerwehren, Rettungsdienste und noch vieles mehr, was ich in drei Minuten gar nicht aufzählen kann, funktionieren nur, weil im öffentlichen Dienst 5 Millionen Frauen und Männer arbeiten und dafür sorgen, dass unser Land zusammengehalten wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch die Letzten sollten nun verstanden haben, dass ein starker Staat bzw. ein starker Sozialstaat wichtig ist. Deshalb sage ich an dieser Stelle wie die Vorrednerinnen und Vorredner auch noch mal ganz herzlichen Dank allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
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Aber der öffentliche Dienst hat als Arbeitgeber an Attraktivität eingebüßt. Lange Arbeitszeiten, wenig Entwicklungsperspektive, eine fehlende Personalentwicklung rächen sich jetzt. Die Sparpolitik ist an Grenzen gestoßen. Die Arbeitsbelastung hat zugenommen. Das berichten uns Personalrätinnen und Personalräte. Sie berichten auch, dass Stress, Zeitdruck, Überlastung immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Die Nachwuchssorgen im öffentlichen Dienst sind groß. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, ist es extrem wichtig, dass wir die Mitbestimmung stärken, entwickeln, ausbauen und dass dort gute Arbeit geleistet werden kann.
Was in der Privatwirtschaft das Betriebsverfassungsgesetz ist, sind im öffentlichen Dienst die Personalvertretungs- und Mitbestimmungsgesetze der Länder und des Bundes. 1974 – wir haben es heute schon öfters gehört – ist das Bundespersonalvertretungsgesetz in Kraft getreten, und wir müssen es jetzt nach fast 50 Jahren an die Zeit anpassen. Wir müssen es verbessern; wir brauchen ein moderneres Personalvertretungsrecht. Mit dieser Novelle, die hier auf den Weg gebracht wird, gelingt das auch.
Ein Schwerpunkt ist dabei die Möglichkeit zur Digitalisierung von Personalratsarbeit: Personalratssitzungen digital durchzuführen und auch Beschlussfassungen digital zu ermöglichen. Wir stärken die Mitspracherechte der Personalräte bei flexiblen Arbeitszeiten und mobilem Arbeiten, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und bei Fragen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes. Das alles sind wichtige Themen. Ich wünsche mir, dass wir vieles von dem, was wir jetzt entworfen und entwickelt haben – es geht jetzt in den Ausschuss –, auch später im Betriebsrätestärkungsgesetz hinbekommen.
Abschließend will ich etwas Persönliches sagen: Ich war Personalrat, und als die Bahn AG gegründet und privatisiert wurde, war ich Betriebsrat. Beides ist wichtig: Wir brauchen starke Personalrätinnen und Personalräte, und wir brauchen starke Betriebsrätinnen und Betriebsräte, damit es den Beschäftigten besser geht.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Thomas L. letztes Jahr vor den Augen seines Partners in der Dresdner Innenstadt ermordet wurde – der Partner überlebte schwerverletzt –, wurde erst mal geschwiegen: über die sexuelle Identität beider Tatopfer und über das mögliche Tatmotiv. Um es mit den Worten des Dresdner Oberstaatsanwalts zu sagen: Man äußere sich nicht zur sexuellen Orientierung von Tatopfern.
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Erst vor zwei Wochen hat die Generalbundesanwaltschaft dies korrigiert und wirft dem Angeklagten mittlerweile Mord aus Homofeindlichkeit vor. Aber die Worte des Oberstaatsanwaltes sind bezeichnend für den Umgang mit Homo- und Transfeindlichkeit. Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundesinnenminister, Mitglieder der Bundesregierung: Warum haben Sie sich nicht geäußert? Warum blieben hier öffentliche Kondolenzbekundungen aus, die bei einem solchen Anschlag so wichtig und so richtig gewesen wären?
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Wo waren Ihre Solidarität und Unterstützung für den Lebenspartner des Ermordeten aus meiner Heimatstadt Krefeld? All dies fehlt bis heute.
Meine Damen und Herren, ich sage es hier ganz klar: Der für die innere Sicherheit zuständige Minister hat bis heute noch nie eine homo- und transfeindliche Gewalttat öffentlich verurteilt oder gar ein Wort über die Sicherheit von LSBTI verloren. Die seit 1954 tagende Ständige Konferenz der Innenministerinnen und Innenminister hat noch nie homophobe oder transfeindliche Gewalt auf die Tagesordnung gesetzt, selbst nach dem Tötungsdelikt in Dresden nicht. Dabei war die Innenministerkonferenz nur wenige Tage später.
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– Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie diese Bemerkungen an dieser Stelle; es geht hier wirklich um eine ganz andere Situation.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien, Schweigen macht auch die Gewalt unsichtbarer. Das muss sich ändern. Es muss selbstverständlich sein, dies zu benennen. Eine Regierung sollte bei Anschlägen innehalten und der Opfer gedenken, aller Opfer, ausnahmslos und selbstverständlich.
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Denn, meine Damen und Herren, die Gewalt steigt an: Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen sind unverhältnismäßig stark von Hassdelikten, Hetze und Gewalt betroffen. Das stellte die EU-Kommission im letzten Jahr fest und hat deswegen eine Gleichstellungsstrategie für queere Menschen bis 2025 vorgeschlagen.
Laut aktueller Statistik ist 2019 die Anzahl der erfassten Straf- und Gewalttaten gegen LSBTI im Vergleich zum Vorjahr um über 60 Prozent gestiegen, 2020 um weitere 40 Prozent. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass nur ein Bruchteil der LSBTI-feindlichen Gewalttaten überhaupt als solche erfasst wird. 13 Prozent der befragten Menschen in Deutschland berichten, dass sie in den letzten fünf Jahren gewalttätig angegriffen wurden, weil sie LSBTI sind. Meine Damen und Herren, das ist hochalarmierend und ein klarer Handlungsauftrag.
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Darum appelliere ich an die Bundesregierung: Wir brauchen endlich eine wirksame Strategie gegen LSBTI-feindliche Hasskriminalität. In unserem grünen Antrag schlagen wir eine solche umfassende Strategie vor. Gewalt gegen queere Menschen ist – egal von welcher Seite – zu verurteilen. Deswegen fordern wir die Umsetzung der Gleichstellungsstrategie der EU, eine bessere Forschung über und Erfassung von Hasskriminalität. Wir fordern Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen bei Justiz und Polizei, einen Ausbau und bessere Unterstützung der Beratungsstellen, eine Neuordnung der Strafzumessungstatsachen in § 46 StGB – und dies mit expliziter Benennung der LSBTI-Feindlichkeit – und die systematische Erneuerung des Volksverhetzungsparagrafen § 130 StGB.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt Zeit, zu handeln. Wir Grünen wollen über die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam daran arbeiten,
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dass sich jeder queere Mensch sicher fühlen kann – egal wie er liebt und wo er lebt.
Ich setze auf die Beratungen in den Ausschüssen, und ich danke für Ihre Aufmerksamkeit in den demokratischen Parteien. An dieser Stelle, glaube ich, hat sich die Beratung mit dem rechten Rand dieses Parlaments erübrigt. Ich glaube, Sie sind total off bei diesem Thema.
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Vielen Dank.
Vielen Dank. – Und das Wort geht an Dr. Jan-Marco Luczak von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jeden Tag werden in unserem Land Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender angefeindet – einfach nur weil sie so sind, wie sie sind. Hass schlägt ihnen tagtäglich entgegen; sie müssen ihn allzu oft am eigenen Leib erfahren. Wir haben die Zahlen gehört: Leider nehmen die homophoben Angriffe zu. 2020 waren es fast 800 Straftaten; das ist ein Anstieg gegenüber 2019 um fast ein Drittel. Im Jahr davor war der Anstieg noch wesentlich größer: 2019 betrug der Anstieg gegenüber 2018 60 Prozent. Die Zahlen, die nicht in irgendwelchen Statistiken auftauchen, sind vermutlich wesentlich höher.
Weil es diese homophoben Übergriffe gibt und sie Angst davor haben, leben 40 Prozent der Community ihre sexuelle Identität nicht aus oder verschweigen sie komplett. Wir leben in einem freien Land, aber diese Menschen sind nicht frei, und ich finde, das ist ein unhaltbarer Zustand.
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Deswegen brauchen wir ein klares Signal. Kein Mensch darf aufgrund seiner sexuellen Identität ausgegrenzt, verfolgt oder diskriminiert werden. Wir sind eine freie, offene und, ja, auch bunte Gesellschaft, in der jeder leben und auch lieben können muss, wie er will. Das müssen wir nicht nur in Appellen, in Reden hier im Deutschen Bundestag oder in Sonntagsreden immer wieder sagen, sondern es bedarf auch ganz konkreter Schritte, um das zu erreichen. Wir brauchen Gesetze.
Deswegen ist unser Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das wir als Koalition auf den Weg gebracht haben, so wichtig. Sie alle wissen, worum es dabei inhaltlich geht. Es geht darum, die großen sozialen Netzwerke zu verpflichten, dem Bundeskriminalamt bestimmte strafbare Inhalte zu melden, sie auszuleiten, damit eine Strafverfolgung erfolgen kann und diejenigen, die Hass und Hetze auf Facebook, auf Twitter oder an anderen Stellen verbreiten, bestraft werden können. Immer dann, wenn es darum geht, den öffentlichen Frieden zu stören, oder wenn es darum geht, Straftaten zu belohnen oder zu billigen, oder auch wenn es um Bedrohung geht, fällt das unter dieses Gesetz. Da haben wir unheimlich viel in diesem Gesetz gemacht. Wir haben die Tatbestände erweitert, wir haben sie verschärft. Ich finde, das waren ganz wichtige und richtige Änderungen, die auch und gerade die LSBTI-Gemeinde schützt, weil – das schreiben die Grünen in ihrem Antrag ja selber – LSBTI besonders stark von Hasskriminalität betroffen sind. Gerade im sozialen Raum, gerade in den sozialen Netzwerken werden sie in besonderer Weise angefeindet. Sie schreiben das in Ihrem Antrag ausdrücklich.
Aber was machen die Grünen, wenn es konkret wird? Dann blockieren sie gemeinsam mit der FDP dieses wichtige Gesetz im Bundesrat.
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Sie blockieren es. Sie haben blockiert, dass diese wichtigen Änderungen, die wir als Koalition auf den Weg gebracht haben, Gesetz werden.
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Sie haben das verhindert. Und ich muss Ihnen sagen: Wenn Sie hier jetzt einen solchen Antrag einbringen, finde ich das, gelinde gesagt, scheinheilig. Mit dieser Blockade im Bundesrat
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haben Sie nicht Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender geschützt, sondern Sie haben die Demokratiefeinde und die Hetzer geschützt, meine Damen und Herren, und das finde ich unverantwortlich.
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In Ihrem Antrag gibt es ja viele Vorschläge. Und ich will jetzt freimütig sagen: Ich finde auch nicht alle Vorschläge schlecht. Aber was mich schon ein bisschen gewundert hat, ist, dass das Entscheidende gefehlt hat: das Grundgesetz. Mit keinem Wort gehen Sie in Ihrem Antrag auf die Änderung unserer Verfassung ein. Sie wissen, wir diskutieren darüber schon seit Langem.
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Ich finde, dass Artikel 3 Absatz 3 unserer Verfassung genau der richtige Ort ist, um den Schutz von Homosexuellen zu adressieren; denn das Grundgesetz, unsere Verfassung, steht für jene Werte und Prinzipien, die für unsere Rechtsordnung prägend sind. Es gibt eine wichtige Leitbildfunktion, die unsere Verfassung erfüllt, und deswegen ist sie genau der richtige Ort: Wir sollten Artikel 3 Absatz 3 um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzen. Ich finde, diese Ergänzung des Gleichheitsartikels wäre ein deutliches Bekenntnis zu einer freien, zu einer offenen Gesellschaft, in der Schwule und Lesben selbstverständlicher Teil der gesellschaftlichen Normalität sind und ein Recht darauf haben, angst- und diskriminierungsfrei leben zu können.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schauws?
Selbstverständlich, Frau Schauws.
Vielen Dank, Herr Kollege Luczak, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben bemängelt, dass in unserem Antrag, den wir hier eingebracht haben und den ich gerade vorgestellt habe, die Ergänzung um die sexuelle Identität in Artikel 3 Absatz 3 nicht erwähnt wurde. Ihnen ist aber schon bekannt, dass wir gemeinsam mit der FDP und den Linken dazu schon vor langer Zeit einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, dass wir eine Anhörung dazu gemacht haben, dass wir mit Ihnen interfraktionell, aber auch mit Ihnen persönlich im Gespräch miteinander sind und dass wir als Grüne diejenigen sind, die diese Forderung schon sehr, sehr lange erheben? Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie das jetzt bemängeln. Sind Sie sich im Klaren darüber, dass es nicht an uns liegt, dass Artikel 3 Absatz 3 bisher nicht um die sexuelle Identität ergänzt wurde, sondern eher an den Gesprächen, die bei Ihnen haken?
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Frau Kollegin, ich bin mir selbstverständlich bewusst, dass es diesen Gesetzentwurf gibt und wir die Anhörung gemeinsam gestaltet haben, die ja auch ein sehr klares Ergebnis hervorgebracht hat. Deswegen sage ich das ja hier noch mal ausdrücklich. Trotzdem finde ich: Wenn man einen solchen Antrag schreibt, wenn es darum geht, zu adressieren, wie wir Lesben und Schwule in unserer Gesellschaft besser schützen können, dann gehört gerade diese zentrale, diese entscheidende Frage „Wie gehen wir mit unserer Verfassung um?“ dazu. Das wollte ich nur noch mal an dieser Stelle adressieren, weil das in Ihrem Antrag fehlt. Ich habe nicht gesagt, dass Sie das nicht auch fordern; das ist mir sehr bewusst. Aber es hätte systematisch hier dazugehört, weil das das Entscheidende ist und weil es um das Signal geht, das von unserer Verfassung ausgeht. Deswegen wäre es gut gewesen, wenn Sie das in Ihrem Antrag erwähnt hätten.
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Ich will an meine Ausführungen zu Artikel 3 Absatz 3 anknüpfen. Es ist natürlich auch heute schon so, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Betroffenen Schutz bietet.
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Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Jungfernrede, die ich 2010 hier im Deutschen Bundestag gehalten habe; da ging es auch um die Ergänzung von Artikel 3 Absatz 3. Ich habe mich damals dagegen ausgesprochen, Artikel 3 Absatz 3 an dieser Stelle zu ändern. Heute, gut zehn Jahre später, sage ich: Ich habe meine Meinung geändert. Ich finde es richtig, wenn wir den Artikel 3 Absatz 3 an dieser Stelle ändern, und zwar aus zwei Gründen: weil wir auf der einen Seite die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfest machen und absichern gegen die reaktionären Tendenzen und die rechtspopulistischen Strömungen, die wir leider ja auch in unserem Hause hier sehen. Deswegen, glaube ich, wäre das richtig und notwendig. Zum anderen finde ich es wichtig – ich komme noch mal auf die Zahlen zurück –, weil wir sehen, dass die Zahl der homophoben Straftaten zunimmt. Deswegen, finde ich, brauchen wir dieses klare Signal im Verfassungstext, dem zentralen identitätsstiftenden Dokument für unsere Gesellschaft, wo die grundlegenden Werte abgeleitet werden. Dort muss das ausdrücklich verankert werden.
Frau Schauws, Sie haben gesagt, Gewalt darf nicht unsichtbar sein. – Das ist richtig. Ich finde, der Schutz muss sichtbar sein. Deswegen bin ich sehr für eine Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Bernd Baumann von der AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Grünen behaupten, Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle würden in Deutschland Opfer von Hass und Hetze. Ist das wirklich der Fall?
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Unsere westlichen Gesellschaften sind – das darf man sagen – die sexuell liberalsten der Welt; Deutschland ist da ganz vorn mit dabei. Schwule und Lesben sind längst Minister, Vorstands- oder Parteivorsitzende, heiraten ihre Partner und leben zu Recht ein selbstverständlich freies Leben, wie alle anderen Bürger auch.
Gibt es dennoch bösartigen Schwulenhass mitten unter uns? Den gibt es.
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Ich zitiere: Homosexualität sei eine widerliche Perversion, die man verfluchen und bekämpfen muss. – Wer sagt so was? Ali Erbas, Leiter der türkischen Religionsbehörde und Chef von fast 1 000 Moscheen in Deutschland.
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Die Predigten in deutschen Moscheen, jeden Freitag vor Millionenpublikum, werden oft von den schlimmsten Schwulenhassern geschrieben. Das stört die Grünen überhaupt nicht; sie lügen das weg. Wie scheinheilig ist das denn, meine Damen und Herren?
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Eine der weltweit höchsten Autoritäten der Muslime überhaupt, der Präsident der Al-Azhar-Universität in Kairo, hetzt, Homosexualität sei eine schlimme Krankheit, die bekämpft werden müsse. Keine muslimische Gesellschaft könne Homosexualität erlauben. – Meine Damen und Herren, solche Angriffe sind ekelhaft und brandgefährlich. Das muss hier gesagt werden.
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Aber bei solchen Sätzen islamischer Autoritäten hören die Linksgrünen weg.
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Auch die Evangelische Kirche und einige ihrer obersten Funktionäre wie Bedford-Strohm oder die Grüne Göring-Eckardt haben diesen Schwulenhasser offiziell zum Kirchentag eingeladen, die AfD – größte Opposition im Deutschen Bundestag – aber ausgeladen. Das zeigt die ganze Heuchelei der Linksgrünen, meine Damen und Herren.
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Wissenschaftliche Studien der Berliner Humboldt-Universität zeigen erschreckende Zahlen: 60 Prozent der Muslime in Europa lehnen Homosexuelle ab. Kein Wunder bei den Vorbildern in der islamischen Welt.
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Im schiitischen Iran oder im sunnitischen Saudi-Arabien werden Homosexuelle an Baukränen aufgehängt oder von Hochhäusern gestürzt.
Und was sagen die Grünen zu all dem? Gleich zwölf Forderungen stellen Sie in Ihrem Antrag, aber keine einzige erwähnt den Islam oder derartige Probleme. Auch in Ihrem Grundsatzprogramm auf 130 Seiten taucht der Islam nur mit einem Satz auf: Der Islam gehört zu Deutschland. – Das ist der einzige Satz.
Meine Damen und Herren, wir glauben nicht, dass der Islam zu Deutschland gehört. Die Grünen und Linken glauben das schon, und dieser Glaube reicht bis tief in die CDU, bis tief ins Kanzleramt hinein. Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen, meine Damen und Herren.
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Daran, wie Sie diese ganzen Aggressionen und Attacken ausblenden, sieht man: Es geht Ihnen doch gar nicht um Hass und Hetze.
Worauf zielen dann aber Ihre Anträge in Sachen Gender-Gaga, Transsexuelle, Homosexuelle, Migranten, People of Color, Black Lives Matter usw.? Hinter allem steht die neue Identitätspolitik der Linksgrünen: Klassische, tief bewährte, tief verinnerlichte Identitäten wollen Sie auflösen – allen voran die nationale Identität, vor allem die der Deutschen. Die Nation, unsere Heimat, das über Jahrhunderte gewachsene Zusammengehörigkeitsgefühl sollen aufgelöst und ersetzt werden durch ein neues, wirres Babylon, ein Flickwerk aus grellen Minderheitsidentitäten und einem großen, irren Regenbogenfahnenwerk.
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Sie bejubeln die Unterschiede, wir wollen Zusammenhalt. Sie fordern Vielfalt, wir wollen Gemeinsamkeit.
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Sie wollen bunt sein, wir wollen Heimat.
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Maske bitte aufsetzen und nicht nur nach Hause tragen! – Das Wort geht an Dr. Karl-Heinz Brunner von der SPD-Fraktion.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Worte meines heutigen Vorredners Revue passieren zu lassen, wäre ein Waterloo. Ich sage ganz deutlich: Die Rede ist es nicht wert, überhaupt etwas dazu zu sagen; denn der Hass, der aus ihr kam, ist schlimmer als der Hass derjenigen, die sie beschrieben hat.
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Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten heute einen wunderschönen Vorfrühlingstag in Berlin. Stellen Sie sich vor, an solch einem Vorfrühlingstag gehen in einem der wunderschönen Parks in Berlin ein Mädchen und ein Junge Hand in Hand spazieren. Was würde wohl passieren? Viele Menschen würden ihnen nachsehen, würden sagen: Ach, was für ein hübsches, nettes Paar.
Nehmen wir aber nun mal an, dieses junge Paar wäre nicht ein Mädchen und ein Junge, sondern ein Mädchen und ein Mädchen oder ein Junge und ein Junge. Ich könnte Ihnen garantieren, dass die meisten Menschen, die ihm nachsehen, dies vielleicht mit einem Lächeln oder mit einem Schmunzeln tun, weil der äußere Ausdruck von gelebter Homosexualität, auch in unserem so freien und liberalen Land, immer noch nicht selbstverständlich ist.
Denken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch darüber nach, was passiert, wenn dieses Paar in den Abendstunden eines solchen Tages in Berlin nach Hause geht, in die U-Bahn einsteigt, die letzten 400 bis 500 Meter nach Hause läuft. Ich kann Ihnen sagen: 90 Prozent der Jungs und Mädels, die dort unterwegs sind, haben in dieser Stadt und in diesem Land Angst, und zwar nicht deshalb, weil ihnen irgendwelche radikalen religiösen Kräfte etwas anhaben wollen,
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sondern deshalb, weil Homosexualität in Deutschland, in ihrem Heimatland, bei vielen Menschen immer noch nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit vielen Jahren verlangt, erwartet und verhandelt, einen nationalen Aktionsplan gegen Trans- und Homophobie auf den Weg zu bringen, der diesem Namen auch wirklich gerecht wird. Wir sind mit unserem Koalitionspartner aber leider nicht zu einem Ergebnis gekommen; das bedaure ich außerordentlich. Jan-Marco – mit dir hätten wir es vielleicht geschafft, aber es sind auch noch ein paar andere da –, das Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität, das du zitiert hast, ist ein Teil dessen, was zur Bekämpfung von Homophobie und Transphobie in diesem Land wichtig ist, was notwendig und gut ist. Aber es ist nur ein Teil dessen, was wir in diesem Land benötigen, um die Selbstverständlichkeit und Akzeptanz von Menschen, die Menschen lieben, in diesem Land zu ermöglichen.
Dazu gehört zweifelsohne mehr als der Antrag der Grünen, der sehr viel Gutes in sich hat. Gestatten Sie mir, zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen: Beim Lesen Ihres Antrags mit den zwölf Punkten kam ich mir manchmal fast vor wie auf dem SPD-Parteitag: Je mehr Spiegelstriche drin sind, desto besser wird der Antrag.
Konzentrieren wir uns doch auf das Wichtige, auf das Wesentliche, das Nötige, nämlich eine Sensibilisierung unserer Gesellschaft. Diese Sensibilisierung der Gesellschaft beginnt in den Kommunen, in den Ländern und beim Bund. Sie beginnt damit, dass wir unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas, in den Kindergärten, in den Erziehungseinrichtungen, die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen und die Frauen und Männer in der Jugendhilfe nicht nur sensibilisieren, sondern ausbilden, damit sie wissen, wie sie mit jungen Menschen umgehen, die gleichgeschlechtliche Liebe in sich tragen. Wir müssen erwarten dürfen, dass das Gleiche für die Polizistinnen und Polizisten gilt, für die Richterinnen und Richter dieses Landes, für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, für die Beschäftigten in Justiz und Justizvollzug, um nur einige zu nennen.
Diese Sensibilisierung in unserem Land, in Deutschland, ist erforderlich. Wenn diese Sensibilisierung Erfolg haben soll, dann bin ich damit einig und finde es logisch, konsequent und richtig – wie es auch die Aktion, die gestern von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld auf den Weg gebracht wurde, noch einmal in den Mittelpunkt stellt –, dass Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz endlich angepasst wird und die Menschen, die 1949 vielleicht vergessen oder übergangen wurden, in diesem Land endlich auch in ihrer Verfassung ankommen. Ich freue mich, Jan-Marco Luczak, dass du diese Initiative mit unterstützt.
Ich glaube, es ist notwendig, dass wir alle in diesem Hohen Hause dafür arbeiten, dass es noch in dieser Legislatur in diesem Hohen Haus gelingt, durch Freigabe dieser Entscheidung – einer Gewissensentscheidung – die Anpassung des Grundgesetzes auf den Weg zu bringen. Dann sind gleichgeschlechtlich liebende Menschen in diesem Land wirklich gleichberechtigt, dann sind sie akzeptiert in Deutschland, und dann können sie als gleichwertige Bürgerinnen und Bürger in diesem Land leben und den Schutz, den wir ihnen als Gesellschaft geben müssen, auch tatsächlich genießen.
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Packen wir es an! Schauen wir, dass wir es in dieser Legislatur auf den Weg bekommen. Ich würde es mir von Herzen wünschen. Ich werbe bei der Union dafür, sich einen Ruck zu geben, die Abstimmung freizugeben, um endlich das Grundgesetz insoweit anpassen zu können. Ich bin mir sicher: In diesem Hohen Haus gibt es eine deutliche, eine klare Zweidrittelmehrheit, wenn es darum geht, allen Menschen in diesem Land die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten zu geben. Dafür sind wir in dieses Haus gewählt, und dafür wollen wir arbeiten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Jens Brandenburg von der FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Oktober letzten Jahres wurde in Dresden ein homosexuelles Paar von einem islamistischen Gefährder mit einem Messer attackiert. Einer der beiden Männer erlag seinen Verletzungen, sein Lebenspartner überlebte schwer verletzt. Wochenlang haben die Sicherheitsbehörden und auch die Öffentlichkeit dieses feige Attentat als Touristenmord verklausuliert. Selbst auf Nachfrage hat sich der Dresdener Oberstaatsanwalt geweigert, sich überhaupt auch nur zur sexuellen Identität der Opfer zu äußern. Ein großer Fehler; denn wer das homosexuellenfeindliche Motiv solcher Hasskriminalität verschweigt, der raubt den Opfern einen Teil ihrer Identität und Sichtbarkeit.
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Auf die brutale Ermordung des französischen Geschichtslehrers Samuel Paty hat der französische Präsident Emmanuel Macron letztes Jahr mit großer persönlicher Anteilnahme reagiert. Er hat Paty als Gesicht der Französischen Republik gewürdigt. Auch das schreckliche Attentat 2016 auf den queeren Nachtklub in Orlando haben wir nicht vergessen. Deshalb haben Christian Lindner, Thomas Sattelberger und ich im Oktober letzten Jahres die Bundeskanzlerin Angela Merkel gebeten, endlich ein öffentliches Zeichen zum Gedenken an den ermordeten Thomas L. in Dresden zu setzen und uns im Vorgehen gegen die homo- und transfeindliche Kriminalität zu unterstützen. Bis heute keine Reaktion! Auch der Innenminister schweigt. Und auch hier im Parlament ist es vielen anfangs sehr schwergefallen, die wahren Motive dieses Attentats offen beim Namen zu nennen,
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auch weil sie die schwierige Debatte zum Verhältnis zwischen Religion und sexueller Vielfalt scheuen. Die einen verschweigen den Täter, und die anderen, Herr Baumann, verschweigen die Identität der Opfer und übrigens auch die Homosexuellenfeindlichkeit in den eigenen Reihen, die wir in Form dummer Sprüche jede Sitzungswoche hier erleben.
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Dresden ist kein Einzelfall. Dieser Fall reiht sich ein in eine traurige Folge steigender homo- und transfeindlicher Hasskriminalität in Deutschland und weltweit: 782 Straftaten allein in Deutschland im vergangenen Jahr, oft aus dem rechtsradikalen Milieu übrigens; die Dunkelziffer ist hoch, oftmals kommt es gar nicht zur Anzeige. Nur in Berlin wird das systematisch statistisch erfasst. Hinter jeder dieser Taten stecken Menschen und Familien, die persönlich verbale und körperliche Übergriffe erlebt haben. Ich bin sehr besorgt darüber, dass immer mehr homo- und transsexuelle Menschen sich nicht mehr trauen, Hand in Hand mit ihrer Freundin, mit ihrem Freund oder auch nur mit einer Regenbogenflagge in bestimmte Stadtviertel zu gehen. Jede dieser Taten ist ein Angriff auf die freie und tolerante Gesellschaft unseres Landes.
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Deshalb brauchen wir endlich einen nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, wie ihn die Niederlande, Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Frankreich längst vorgelegt haben – mit einer flächendeckenden schulischen Aufklärung, die frühzeitig Vorurteile abbaut, mit einer Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden, die solche Straftaten früh erkennen, systematisch erfassen und konsequent verfolgen, und, ja, mit einer Ergänzung des Artikels 3 Grundgesetz um die sexuelle Identität, damit dieser Schutzauftrag des Staates dauerhaft in unserer Verfassung abgesichert ist.
Kollege Luczak, ich habe mich sehr gefreut über die Anmerkung. Ein entsprechender Antrag der FDP-Fraktion zum nationalen Aktionsplan liegt ja bereits im Innenausschuss; da haben wir Artikel 3 Grundgesetz erwähnt. Ich freue mich diesbezüglich über die Zustimmung. Es ist ganz ehrlich und aufrichtig gemeint: Ich wünsche Ihnen persönlich und allen Mitstreitern in der Unionsfraktion viel Erfolg bei der Überzeugungsarbeit. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir dieses große Vorhaben in diesem Frühjahr noch gemeinsam verabschieden könnten.
Niemand soll sich in Deutschland aufgrund seiner oder ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität unsicher fühlen. Lassen Sie uns also gemeinsam und geschlossen der steigenden Homo- und Transfeindlichkeit in Deutschland entgegentreten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort Doris Achelwilm von der Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen queere Menschen, Homo- und Transfeindlichkeit sind ein weltweit verwurzeltes Problem. Auch in Deutschland nehmen Hassdelikte zu, während die Strafverfolgung voller Lücken ist und die Opfer alleine lässt. Das ist eine unerträgliche Situation.
Im Jahr 2019 wurden laut Statistik des Innenministeriums in Deutschland 564 Straftaten aus homo- oder transfeindlichen Motiven verübt, ein Drittel davon waren Gewalttaten. Im Vergleich mit den offiziellen Vorjahreszahlen ist die Dynamik alarmierend, und gleichzeitig zeigt sie nicht annähernd das ganze Ausmaß. Statistisch sehen wir nur die Spitze des Eisbergs; die Datenlücke ist hier sehr groß. Studien und Hilfsinitiativen schätzen die Dunkelziffer auf 90 Prozent. Beides erschüttert: die Taten wie auch die Tatsache, dass viele Übergriffe verborgen und ungeahndet bleiben, weil Anzeigen nicht angemessen erfasst oder verfolgt werden.
Das Land Berlin hat auf diesen Zustand schon ziemlich weitgehend reagiert. Es wird systematisch erfasst und veröffentlicht, wodurch die Lage sehr viel realistischer abgebildet wird als dort, wo es kaum vermerkte Straftaten gibt. Bundesweite Standards fehlen, nicht nur in Bezug auf aussagekräftige Statistiken. Es braucht flächendeckend angemessene Prävention, Kompetenz und Ansprechpartner/-innen in Polizei und Justiz. Die jetzige Situation verhindert nötigen Schutz, senkt die Anzeigenbereitschaft, verhindert die Strafverfolgung und gehört dringend geändert.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunehmende Gewalt, auch in Form massiver Onlinebedrohungen und Hetzjagden im Netz, ist nicht nur Ausdruck einer persönlich verankerten Abneigung. Sie entspricht oft einer politischen Agenda antidemokratischer, menschenverachtender Kräfte, die queeren Menschen die Existenzberechtigung absprechen oder sogar nehmen. Sie von der AfD haben sicherlich als Letzte das Recht, hier mit dem Finger auf andere zu zeigen und sich moralisch aufzuspielen.
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Dass die Innenministerkonferenz noch nie Homo- und Transfeindlichkeit aufgerufen hat, nicht nach der grausamen Ermordung eines schwulen Mannes 2018 im sächsischen Aue und auch nicht nach dem tödlichen Attentat von Dresden letztes Jahr, ist unangemessen. Dass fast alle Bundesländer – bis auf Bayern – einen Landesaktionsplan für die Rechte queerer Menschen aufgesetzt haben, ist für den Bund wichtige Grundlage und Auftrag, ebenfalls tätig zu werden.
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Da es in vielen Ländern und Kommunen an Geld mangelt, haben wir in mehreren Haushaltsverhandlungen gefordert, Mittel zur Unterstützung der Strukturen vor Ort einzusetzen, die den von Gewaltverbrechen Betroffenen helfen, den Austausch zwischen den Ländern verbessern und wichtige Informationen über homo- und transfeindliche Gewalt geben.
Wir wünschen diesem Antrag also guten Erfolg und werden ihn unterstützen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte bekommt Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleichberechtigung und Akzeptanz von individuellen Lebensentwürfen gehören zu den Voraussetzungen einer offenen Gesellschaft. Menschen sollen so leben und lieben, wie immer sie wollen.
Die Zahl der Angriffe gegen LSBTI ist gestiegen. Der Mord in Dresden war ein besonderes Fanal. Das ist besorgniserregend. Das muss unsere Gesellschaft klar und deutlich verurteilen. Wir können nicht die Vielfalt unserer Gesellschaft bei Pride-Paraden und Christopher Street Days stolz zum Ausdruck bringen und dann die Schattenseiten verschweigen und die Angriffe nicht thematisieren. Deswegen ist es wichtig, dass diese Form von Hasskriminalität deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Wir müssen über die Voraussetzungen sprechen, wie wir durch Prävention verhindern können, dass so etwas passiert; weil kein Mensch als Homohasser geboren wird, Menschen werden dazu.
Die Frage ist: Was kann diese Gesellschaft leisten, um dem etwas entgegenzusetzen? Ich meine, wir müssen bei der Bildung beginnen. Es ist völlig inakzeptabel, dass auf deutschen Schulhöfen nach wie vor ein bestimmtes Schimpfwort präsent ist. Wir müssen dem begegnen durch Toleranz, durch Akzeptanz und durch eine klare Verurteilung von Homo-, Trans- und sonstigen Feindlichkeiten, meine Damen und Herren.
Wir müssen auch sprechen über die Frage, inwieweit im Strafrecht oder zumindest in der Strafverfolgung eine stärkere Sensibilität entstehen kann. Ich bin ein bisschen skeptisch, was den § 46 StGB betrifft. Den haben wir aus guten Gründen nach den Erfahrungen mit dem NSU geändert. Aber was steht darin? Bereits jetzt besagt § 46 StGB, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein besonders schwerwiegender Strafgrund ist. Ich meine, es muss deutlich werden, dass die Homo- und Transphobie eine solche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit darstellt. Deswegen brauchen wir gar keine besondere Regelung, sondern eine Sensibilisierung, auch der Polizei und der Staatsanwaltschaften. Wir haben den rechtlichen Rahmen; aber er muss entsprechend ausgefüllt werden.
Wir müssen auch sprechen über die Frage, inwieweit wir einen starken Staat brauchen. Wir brauchen einen starken Staat, der sich schützend vor diese Menschen stellt und der auch klar und deutlich Hass und Hetze im Internet verfolgt. Deswegen ist es wichtig, dass dieses Gesetz gegen Hasskriminalität schnellstmöglich den Weg aus dem Vermittlungsausschuss herausfindet und endlich verabschiedet werden kann, weil die Befugnisse für die Strafverfolgungsbehörden in diesem Gesetz auch wichtig sind, um diese Anliegen schnell und konsequent zu behandeln.
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Jetzt möchte ich noch auf zwei Dinge eingehen, Herr Kollege Baumann, die nicht einfach so stehen gelassen werden können:
Ja, es gibt weltweit schlimme Angriffe auf homosexuelle Menschen. Aber was Sie verschwiegen haben, ist, dass es gerade auch im rechtsradikalen Bereich, dem Sie nahestehen, Angriffe gegen Menschen gibt, die anders lieben. Das haben Sie verschwiegen. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass auch das thematisiert werden muss.
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Dann haben Sie diesen Begriff „Gender-Gaga“ gebracht.
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Ich sage dazu: Wir haben erst seit 100 Jahren das Frauenwahlrecht. Erst seit 50, 60 Jahren dürfen Frauen überhaupt ein Bankkonto haben. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, glaube ich, haben wir in Sachen Gleichberechtigung einen langen Weg hinter uns und sollten diese berechtigten Anliegen nicht als „Gender-Gaga“ abtun. Das ist die falsche Sprache.
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Ich glaube, wichtig ist, dass wir eine gemeinsame Linie finden, dass wir uns darauf verständigen können, die Debatte zu führen, auch über eine Ergänzung von Artikel 3 Grundgesetz. Es geht darum, dass durch eine Wertentscheidung das, was uns wichtig ist – dass wir auch Menschen schützen, die anders lieben –, im Grundgesetz verankert wird. Aber das geht nur, wenn wir diese Debatte gemeinsam führen und uns hier auf einen Kompromiss verständigen. Lassen Sie uns darüber reden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.