Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mittelmeer ist eines der meistbefahrenen Seegebiete der Welt. Rund ein Drittel aller über See verschifften Güter und ein Viertel aller Öltransporte werden durch das Mittelmeer geleitet. In Zeiten der Globalisierung und des freien Handels ist die sichere Nutzung des Mittelmeeres auch im deutschen Interesse. Ferner ist das Mittelmeer Europas Südgrenze und zugleich seine maritime Brücke zur nordafrikanischen Gegenküste. Das Mittelmeer ist damit eine Region voller Chancen für die Zukunft Europas, aber auch für den afrikanischen Kontinent.
Doch heute ist diese Region leider auch mit mancherlei Sorgen verbunden; denn unsere nordafrikanische Gegenküste wird in Teilen von Instabilitäten und Krisen heimgesucht. Fehlende staatliche Kontrolle über weite Küstenbereiche sowie anhaltende Fragilität in einzelnen Staaten eröffnen Rückzugsräume für organisierte Kriminalität, für die Ausbeutung von Menschen und für terroristische Organisationen. Das kann auch uns in Europa, in Deutschland nicht kaltlassen. Diese Gruppen missbrauchen auch die Seewege des Mittelmeeres für ihre Zwecke, und deswegen engagieren wir uns im Rahmen der NATO-geführten Operation Sea Guardian gemeinsam mit unseren internationalen Partnern und Verbündeten im Mittelmeer.
Worum geht es? Die Operation hat zum Ziel, im gesamten Mittelmeerraum Krisenentwicklungen im maritimen Umfeld frühzeitig zu erkennen und dazu ein kontinuierliches und umfassendes Lagebild zu erstellen. Dazu dienen Überwachungsmaßnahmen durch Patrouillen und Kontrollen von Schiffen wie auch die Funktion als Kooperationsplattform mit weiteren im Mittelmeer agierenden Organisationen wie zum Beispiel der Europäischen Union. Damit leistet Sea Guardian einen Beitrag zur maritimen Sicherheit.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat sich im vergangenen Mandatszeitraum phasenweise mit Schiffen an Sea Guardian beteiligt, in der Summe an über 230 Tagen. Aktuell steht der Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ dort mit 185 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Aufgrund der Bedeutung des Mittelmeerraumes wollen wir weiterhin einen militärischen Beitrag zur maritimen Sicherheit im Mittelmeer leisten. Der Tenor des vorliegenden Mandatstextes wurde dabei fortgeschrieben, und das Mandat bleibt auf 650 Soldatinnen und Soldaten begrenzt.
Mit der Fortführung unseres Engagements tragen wir dazu bei, Sicherheit, Frieden und Stabilität als Grundlage für wirtschaftliches Wachstum im Mittelmeerraum zu wahren und zu ermöglichen. Daher bitten wir um Ihre Unterstützung für dieses Mandat. Diese Bitte verbinde ich mit einem großen Dank an alle unsere Soldatinnen und Soldaten für ihren bisher für Deutschland geleisteten Einsatz, ihren treuen Dienst und ihre Bereitschaft, diesen auch in Zukunft fortzusetzen.
Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Siemtje Möller, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in die Geschichte zurückblickt, von der Antike bis hin zur Neuzeit, gab es im Mittelmeerraum organisierte Kriminalität, die auf den großen Handelsrouten aktiv war, Chaos verbreitete und den friedlichen Seefahrern das Leben schwer machte. Das hat das Mittelmeer zu einem sehr gefährlichen und unübersichtlichen Gebiet gemacht. Was früher Piraten waren, sind heute Schmuggler und Schlepper.
Beim Bundeswehrmandat Sea Guardian geht es darum, dass der Mittelmeerraum sicherer wird, für alle Menschen. Durch das Mandat bekommen wir nicht nur einen Überblick über die Lage im Mittelmeer zur Überwachung und Bekämpfung terroristischer Aktivitäten, sondern können auch frühzeitig krisenhafte Entwicklungen verhindern. Das ist auch ein Teil der Verpflichtung aus unserer NATO-Mitgliedschaft.
Die Bundeswehr handelt bei der Beteiligung am Mandat im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes, in dem es heißt:
Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
Im Mittelmeer herrscht ohne das Mandat leider nicht die Ordnung, die wir uns wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sicherheit kann auch nicht nur durch das Mandat hergestellt werden. Die Probleme, die im Mittelmeerraum zusammenkommen, sind umfangreich und vielschichtig; aber Sea Guardian kann dazu beitragen, insbesondere organisierte Kriminalität und Terrorismus zu bekämpfen.
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Die Sicherung des Mittelmeeres dient auch der Sicherung der Wirtschaft, wie wir gerade gehört haben. Circa ein Drittel der Güter, die weltweilt über See transportiert werden, sowie ein Viertel aller Öltransporte weltweit passieren das Mittelmeer. Können Sie sich vorstellen, wie sich unser Alltag verändern würde, wenn diese Güter nicht mehr sicher bei uns ankommen? Und könnten Sie sich vorstellen, was es für unsere europäischen Partnerländer bedeuten würde, wenn der Mittelmeerraum nicht mehr sicher ist? Was würde das in der Folge für uns bedeuten?
Doch auch Menschen werden über das Mittelmeer transportiert. Häufig schenken sie ihre ganze Hoffnung den Schleppern und legen ihr Leben oder das ihrer Kinder in die Hände von Kriminellen. Wir alle kennen die Bilder von überfüllten und gekenterten Schlauchbooten. Deshalb möchte ich auch noch einmal betonen, dass die Schiffe, die am Einsatz teilnehmen, völkerrechtlich dazu verpflichtet sind, in Seenot geratene Menschen zu retten. Und unsere Schiffe, unsere Soldatinnen und Soldaten konnten schon viele Menschenleben retten. Ich finde, dafür gilt ihnen der Dank des Hohen Hauses.
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Manche Soldatinnen und Soldaten, die ich in meinem Wahlkreis kennengelernt habe, berichten, dass sie verändert von diesem Einsatz zurückkehren. Sie sehen, wie Eltern ihre Kinder vorschicken, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Ich frage mich: Können wir uns überhaupt vorstellen, wie verzweifelt diese Eltern sein müssen, um ihre Kinder, das Wertvollste, was Eltern haben, einer solchen Notsituation, wie sie die Überfahrt ist, auszusetzen? Es sind ganz sicher existenzielle Entscheidungen und auch existenzielle Situationen, die daraus erwachsen.
Unsere Streitkräfte treffen häufig unvorbereitet auf solche Situationen, bewältigen diese aber. Sie fragen sich zu Recht: Was tut die Politik gegen die Schlepper? Wie bekämpft die Politik Fluchtursachen? Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir Antworten entwickeln; denn nicht nur die Soldatinnen und Soldaten, auch die Menschen in unserem Land bewegen diese Themen.
Tatsächlich ist die Deutsche Marine punktuell am Einsatz Sea Guardian beteiligt. Schiffe, die sich auf dem Weg zu anderen Einsätzen befinden, können kurzzeitig dem Einsatz beitreten und verlassen ihn wieder, wenn sie das entsprechende Seegebiet wieder verlassen. Bis zu 650 Soldatinnen und Soldaten können eingesetzt werden, beispielsweise eine Fregatte, circa 200 Männer und Frauen als Besatzung, in der Regel für die Dauer von einer Woche. Dies ist eine sehr sinnvolle und praktikable Anlage des Mandates, wie mir vonseiten der Bundeswehr versichert wird.
Lassen Sie uns nun den Antrag zur Verlängerung des Mandats an die Ausschüsse überweisen, und behalten wir dabei im Hinterkopf, welche Aufgaben das Mandat umfasst – Seeraumüberwachung, die Erstellung von Lagebildern, Terrorismusbekämpfung sowie die Eindämmung des Waffenschmuggels über das Mittelmeer –, damit wir nicht in alte Zeiten zurückfallen, in denen Chaos und Piraten über das Mittelmeer herrschten.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Jan Nolte, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will mit einer kurzen Bemerkung zur gestrigen Sitzung anfangen. Da hat sich der Kollege Brinkhaus von der CDU über eine zugegebenermaßen etwas missverständliche Bemerkung von Herrn Hampel zur Materiallage der Bundeswehr empört.
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Das will ich mal in den richtigen Kontext stellen; denn dieser einen Bemerkung, die Sie hier kritisieren, stehen doch Jahre bundeswehrfeindlicher Politik der CDU gegenüber.
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Es waren Ihre Sparmaßnahmen, die zu den heutigen Ersatzteilengpässen geführt haben, und es ist die Aussetzung der Wehrpflicht, die zu dem heutigen massiven Personalmangel der Bundeswehr geführt hat.
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Wenn die CDU die Bundeswehr attraktiver machen will, dann fallen ihr als Erstes Flatscreens und Stehlampen ein, während die Soldaten ihre Plattenträger selbst kaufen müssen.
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Sie und Ihre Partei messen Worten offenbar in jeder Hinsicht eine zu hohe Bedeutung bei. Ich wünsche mir von Ihnen endlich Taten.
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Jetzt aber zum Mandat. Die Bekämpfung von Terrorismus und Waffenschmuggel, der Schutz von Bündnispartnern und, zusammen mit der Operation Sophia, die Eindämmung irregulärer Migration – das ist der Auftrag von Sea Guardian, und das klingt ja erst mal auch vernünftig. Dieses Ziel kann aber unter den momentanen Rahmenbedingungen gar nicht erreicht werden. Mandate müssen anhand ihrer Einsatzrealität bewertet werden: Was sind die Kosten von Sea Guardian, und was ist der Nutzen?
Im Mai 2017 konnte die Bundeswehr vor Libyen tatsächlich Waffen beschlagnahmen. Dabei sollte es aber bleiben, und dieser Fund fand auf einem kleinen Motorboot statt, das sicherlich nicht nach Europa hätte gelangen können. Mit der Bekämpfung von Waffenschmuggel allein lässt sich der Sea-Guardian-Einsatz nicht rechtfertigen.
Diesem Nutzen steht eine lange Liste negativer Effekte gegenüber. Seit Beginn der Operation Sophia wurden 36 000 Migranten nach Europa gebracht. Das Seerecht schreibt uns das nicht vor. Menschen, die aus Seenot gerettet werden, müssen in einer angemessenen Zeit an einen sicheren Ort gebracht werden. Der muss nicht in Europa liegen, sondern könnte auch in Tunesien oder Ägypten sein.
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Immerhin existieren ja mit beiden Ländern Abkommen zur leichteren Rückführung.
Ich fordere die Bundesregierung daher auf, wenn dieser Einsatz weitergeht, endlich die Möglichkeit zu schaffen, im Mittelmeer aufgegriffene Migranten nach Afrika zurückzubringen.
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Sie bringen hier sonst ein Mandat auf den Weg, das das Gegenteil von dem erreicht, was sein Auftrag ist. Wer angesichts der unübersichtlichen Migrationslage weitere Menschen nach Europa bringt, der bekämpft damit auch nicht Terror, sondern der hilft, ihn zu uns zu importieren.
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Denn es ist kein Geheimnis, dass im Zuge des Migrantenstroms der letzten Jahre auch viele Gefährder nach Deutschland eingewandert sind.
Unsere Behörden sind mit der großen Menge der Zuwanderer jetzt schon überfordert. Deutschland wird unsicherer, und denjenigen, die jahrelang eingezahlt haben, wird das Sozialsystem immer weniger zurückgeben können. Die AfD will der neuen Bundesregierung gerne dabei helfen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, und wird sich daher nicht am Bau einer Brücke nach Europa beteiligen.
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Wie kommt man eigentlich darauf, Migration eindämmen zu können, indem man die Menschen, die sich mit dem Ziel Europa ins Boot setzen, nach Europa fährt? Zielführender sind eine enge Zusammenarbeit mit Libyen und die Unterstützung der dortigen Missionen der EU und der UN.
Herr Kollege Nolte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf Lambsdorff?
Ja, gerne.
Herr Nolte, Sie haben mitten in der Rede, ohne dass das hier groß aufgefallen wäre, das Mandat Sea Guardian verlassen und äußern gerade nur Ihre Kritik an der EU-Mission Sophia. Meine Frage an Sie ganz konkret: Kennen Sie ein einziges Boot, das im Rahmen des Mandats Sea Guardian eingesetzt worden ist, das Migranten tatsächlich nach Europa gebracht hat?
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Darauf möchte ich Ihnen gerne antworten. Sea Guardian dient als Kooperationsplattform für die Mission Sophia. Das Einsatzgebiet beider Operationen ist das Mittelmeer. Wenn Sie sich die Zahlen der IOM anschauen – –:
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– Wollen Sie eine Antwort haben? Soll ich antworten? – Vor der Küste Libyens wurden im Januar dieses Jahres etwa 2 000 Migranten gezählt, im Januar letzten Jahres waren es um die 500 Migranten. Die Migrationszahlen steigen also. Es ist absolut möglich, dass auch im Rahmen der Operation Sea Guardian Menschen aus Seenot gerettet werden; denn wir sind uns doch sicherlich einig, dass man Personen aus Seenot retten muss, egal im Rahmen welcher Operation man vor Ort ist.
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– Genau, die Frage war, ob das im Rahmen der Operation Sea Guardian schon passiert ist. Das kann ich Ihnen so genau gar nicht sagen, aber es ist dasselbe Einsatzgebiet.
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Darin unterscheidet sich die Politik der AfD zum Beispiel von der Politik der FDP: Wir blicken in die Zukunft.
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Die FDP und die anderen Parteien reagieren erst, wenn der Schaden entstanden ist.
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Ich fahre mit meiner Rede fort. Wir müssen die Professionalisierung der libyischen Küstenwache vorantreiben.
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Es darf auch keine Zusammenarbeit mit NGO-Schiffen geben, die in dem starken Verdacht stehen, mit Schleppern zusammenzuarbeiten.
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Unser Entschließungsantrag ist die nötige Kurskorrektur für Sea Guardian. Ohne diese Kurskorrektur wird die AfD dieses Mandat nicht weiter unterstützen.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Sauter, FDP, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Mandat Sea Guardian im Dezember zunächst zu verlängern, bis eine neue Bundesregierung gebildet ist, war die richtige Entscheidung. Jetzt kann der Bundestag die Einsätze im normalen Turnus bearbeiten und, je nachdem, verlängern oder beenden.
Sea Guardian dient als Nachfolgemission der Operation Active Endeavour, dem Schutz der Südflanke der NATO gegen terroristische Bedrohungen. Sea Guardian dient der Lagebilderstellung im Mittelmeer, und das leistet einen Beitrag zur Sicherung des Mittelmeers vor dem Hintergrund dieser Bedrohung. Die politische Lage im Nahen Osten und in Afrika hat sich massiv gewandelt. Daher war die neue Rechtsgrundlage des Mandates notwendig.
Sea Guardian, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Einsatz gegen Terrorismus. Darauf ist dieser Einsatz ausgelegt. Sea Guardian – und da geht der Entschließungsantrag der Kollegen der AfD etwas fehl – ist kein Einsatz, um die großen Migrationsrouten zu schließen. Dafür gibt es die EU-Mission Sophia. Wenn Sie also etwas verbessern wollen, liebe Kollegen der AfD, dann bitte an dieser Stelle.
Deutschland profitiert von dem Mehr an Sicherheit, welches dieser Einsatz schafft, wenngleich auch für 2018 keine dauerhafte Unterstützung der Mission Sea Guardian geplant ist, sondern nur eine Unterstützung durch in Transit befindliche Einheiten, also Einheiten, die sich auf dem Weg zu anderen Einsätzen befinden, wie zum Beispiel zur Operation Sophia.
Aber warum ist das so, meine Damen und Herren? Die Auslandseinsätze der Bundeswehr stehen unter dem Eindruck einer schlechten Lage bei den Hauptwaffensystemen und der Ausrüstung unserer Soldaten, aber auch von Personalengpässen. Der Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, in diesem Frühjahr veröffentlicht, sieht Mängel an allen Orten, zum Beispiel bei der Marine, die auch den Einsatz für Sea Guardian leisten muss: Keines von sechs U-Booten war einsatzbereit, nur 12 von 35 Hubschraubern und einer von drei Einsatzgruppenversorgern konnten eingesetzt werden. Auch die Einsatzbereitschaft der neuen Fregatten vom Typ 125 ist bisher nicht abzusehen.
Der bisher geplante Mitteleinsatz bei Sea Guardian, die Unterstützung der Mission beispielsweise durch U-Boote der Klasse 212 A, musste bisher entfallen, weil kein U-Boot voll einsatzbereit war. Hier gibt es einen großen Handlungsbedarf. Ich meine, das darf kein Lippenbekenntnis sein.
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Hier sind wir uns sicherlich einig, vielleicht mit Ausnahme der Fraktion der Linken.
Die Ausrüstungsmängel wirken sich streitkräfteübergreifend auf Einsätze und damit auch auf die Frage aus, ob Deutschland ein verlässlicher Partner in einer unruhiger werdenden Welt sein kann. Denn: Nur wer Zusagen einhält, ist ein verlässlicher Partner.
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Wir stellen fest, dass die Bundeswehr dringender gebraucht wird denn je. Sie muss in einem guten Zustand sein, um glaubwürdig arbeiten zu können. Es ist unabdingbar, die Investitionen in die Bundeswehr zu erhöhen und sich ernsthaft dem 2-Prozent-Ziel der NATO zu nähern. Da fehlt der neuen Bundesregierung aber leider Mut. Es fehlt der mutige Blick in die Zukunft, auf das, was die Bundeswehr und insbesondere unsere Marine leisten muss. Die Marine muss modernisiert werden, um Einsätze wie Sea Guardian mit ausreichend Material bewältigen zu können. Deutschland muss sich aktiver an diesen sinnvollen Missionen beteiligen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch von meiner Seite ein großer Dank an die Soldaten für die geleistete Arbeit. Wir stimmen heute über die Überweisung dieses Antrags der Bundesregierung zu Sea Guardian an den Verteidigungsausschuss ab. Dort werden wir über das Mandat und die sich ergebenden Fragen intensiv diskutieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Matthias Höhn von der Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich bin dankbar für jeden Flüchtling, der aus Seenot gerettet wird. Aber Militär kann doch keine Lösung für unser Flüchtlingsproblem sein.
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Wenn Sie an dieser Situation etwas ändern wollen, dann schaffen Sie endlich legale, sichere Fluchtwege, und tun Sie etwas, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das wäre die richtige Antwort.
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Das Mandat Sea Guardian, über das wir reden, hat einen anderen Auftrag; denn es geht um Terrorismusbekämpfung und die Unterbindung von Waffenschmuggel. Wenn man sich die Bilanz des bisherigen Mandats inklusive des Vorgängermandats Active Endeavour, das seit 2003 lief, anschaut, dann muss man im Hinblick auf das Thema „Waffenschmuggel und Terrorismusbekämpfung“ sagen: Diese Bilanz ist mehr als lächerlich und rechtfertigt einen solchen Einsatz überhaupt nicht.
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Deswegen muss man schon die Frage stellen, worum es eigentlich geht. Wenn Sie auf der Internetseite der Bundeswehr nachschauen, dann finden Sie dort eine wohl treffendere Formulierung. Es geht – so heißt es dort – um die „Stärkung der Südflanke“ der NATO. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sprache ist sehr verräterisch: die „Stärkung der Südflanke“. An der Südflanke lassen wir die NATO im gesamten Mittelmeer patrouillieren, und an die Ostflanke schicken wir Tausende Bundeswehrsoldaten zu Manövern unter solchen Namen wie „Eiserner Wolf“ und „Flammender Donner“. Das ist Konfrontationspolitik, aber keine Entspannungspolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Natürlich ist es so, dass die Situation in den nordafrikanischen Anrainerstaaten zum Mittelmeer heute deutlich unsicherer ist als noch vor einigen Jahren. Was ich allerdings vermisse, auch in dieser Aussprache, ist, dass wir über die eine oder andere Ursache dieser Situation reden. Ich will Sie daran erinnern, dass es nicht zuletzt die Regime-Change-Politik im Rahmen des Libyen-Krieges war, die in Libyen Chaos hinterlassen und den Terrorismus erst gestärkt hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich möchte noch etwas zum Thema Terrorismus sagen: Dem Antrag der Bundesregierung ist zu entnehmen, dass die NATO weitere Länder eingeladen hat, sich an diesem Mandat zu beteiligen. Das betrifft unter anderem die Länder der Istanbuler Kooperationsinitiative. Das sind die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain und Kuwait. Länder, die Saudi-Arabien dabei unterstützt haben, den Jemen in die Steinzeit zurückzubomben, laden wir ein, gegen den Terrorismus im Mittelmeer vorzugehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist grotesk.
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Ein Einsatz wie Sea Guardian, für den maximal 650 Soldaten bereit stehen sollen, steht exemplarisch für den falschen Kurs der Bundesregierung. Setzen Sie die Prioritäten sicherheitspolitisch endlich anders, und gehen Sie auch verantwortlicher mit Steuergeld um!
Erst gestern hat die Verteidigungsministerin wieder öffentlich darüber geklagt, dass das Geld für die Ausstattung der Bundeswehr nicht reichen würde, die Mittel fast gänzlich in die Auslandseinsätze fließen und im Inland die Ressourcen fehlen würden. Ja, dann beenden Sie doch diese Auslandseinsätze, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Zum Thema Steuergeld will ich Ihnen ein Beispiel geben: Allein das Waffensystem Puma wird uns voraussichtlich 9 Milliarden Euro kosten. Das ist mehr, als für den gesamten Entwicklungshilfeetat in einem Jahr zur Verfügung steht. Beenden Sie den Auslandseinsatz Sea Guardian! Stecken Sie dieses Geld in die Entwicklungshilfe! Dann wird auch die Mittelmeerregion wieder sicherer.
Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem vorliegenden Antrag liegen sehr viele ehrenvolle Motive zugrunde: unsere Partner im Mittelmeer unterstützen, Terror bekämpfen, Menschenschmuggel eindämmen, Waffenhandel stoppen usw. – Das teilen wir alles. Das Problem ist: Wenn man Ihren Antrag liest, bekommt man das Gefühl, dass es dabei nicht um einen Bundeswehreinsatz geht, sondern um einen Wunschzettel.
Damit bin ich beim Grundproblem angelangt. Der Auftrag ist extrem vage. Das Mandatsgebiet ist ziemlich ungenau und extrem groß, und das Mandat ist ein Blankoscheck zur Ausbildung so ziemlich jeder Küstenwache im Mittelmeer. Das heißt: Das, was Sie vorlegen, liebe Bundesregierung, würde Ihnen erlauben, die Küstenwache von Assad auszubilden, ohne noch einmal im Parlament nachzufragen. Das ist eine massive Unterminierung des Parlamentsvorbehalts, die wir nicht mitmachen können.
({0})
In der Begründung des Antrags steht eine leider sehr akkurate Beschreibung der politischen Probleme im Mittelmeerraum: wirtschaftliches Gefälle, Bevölkerungswachstum, organisierte Kriminalität, Terrorismus und Korruption. – Das ist alles richtig. Nichts davon wird aber mit diesem Mandat adressiert. Das sind politische Probleme, die man auch politisch angehen muss, aber nicht mit der wahllosen Ausbildung von Küstenwachen.
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Sie gehen diese politischen Probleme nicht an, sondern liefern Waffen nach Ägypten und behaupten, Ägypten sei trotz all der massiven Probleme und Menschenrechtsverletzungen im Land ein Stabilitätsanker. Sie liefern weiterhin Waffen an die Türkei – auch nach dem Einmarsch der Türkei in Syrien. Und Sie setzen mit den Partnern in der Europäischen Union auf genau die Milizen in Libyen, die eine Transition des Landes verhindern. Das ist kein Beitrag zur Lösung der Probleme im Mittelmeerraum.
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Deshalb kann ich meiner Fraktion nicht empfehlen, diesem Mandat zuzustimmen.
In einem muss ich Sie aber in Schutz nehmen. Das, was Sie vorlegen, ist zwar nicht zustimmungsfähig; es ist aber eine Wohltat gegenüber dem Entschließungsantrag der AfD. Mein Lieblingssatz darin lautet: „... ein voller Überblick über die Lage ist nicht mehr möglich.“ Der Kollege Nolte hat das mit seiner Rede gerade eindeutig unter Beweis gestellt.
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Ich bitte aber darum, dass Sie nicht von sich auf andere schließen.
Ich versuche noch einmal, es zu erklären: Wir reden über Menschen, die aus verschiedensten Gründen verzweifelt genug sind, ihre Heimat zu verlassen, die nicht, wie Sie schreiben, Transfergeldempfänger sind, sondern Menschen sind, die große Summen Geld, das sie selbst verdient haben, ausgeben, um sich für einen Traum, der Europa heißt, auf den Weg zu machen. Nicht alle diese Leute können aufgenommen werden. Aber es ist eindeutig, dass diesen Menschen Europa weit mehr am Herzen liegt als Ihnen. Das ist eindeutig.
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Diese Menschen sterben im Mittelmeer.
Herr Kollege Nouripour, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolte gestatten?
Eindeutig.
Danke, Herr Kollege. – Ich möchte nur sichergehen, dass ich Sie auch richtig verstanden habe. Sie sagen also, die Menschen, die Sie Flüchtlinge nennen und ich Migranten, wandern hier in den Arbeitsmarkt ein und nicht in die Sozialsysteme. Verstehe ich das richtig?
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Ich habe nur vorgetragen, was in Ihrem Entschließungsantrag steht. Es ist zu lesen, die Menschen kämen nicht nur hierher, um Geld zu verdienen, nein, sie kämen hierher, um Transfergelder zu bekommen.
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Sie ignorieren erstens die Lebensgefahr, in die sich die Menschen begeben. Sie ignorieren zweitens, dass sehr viele dieser Menschen sterben. Sie ignorieren drittens, dass diese Menschen erst viel Geld ausgeben müssen, um sich auf den Weg machen zu können. Das, was Sie sagen, ist schlicht ignorant.
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Wenn diese Menschen auf ihrem Weg nicht sterben, landen Tausende von ihnen in Lagern, in denen es laut Auswärtigem Amt – Zitat – „KZ-ähnliche Zustände“ gibt.
Ihre Antwort ist: Hauptsache, die Menschen werden zurückgeschickt, teilweise sogar in diese Lager, und zwar egal von wem. Das kann durch die Bundeswehr sein, das kann aber auch durch jemand anderen sein. Das Problem, das Sie nicht sehen wollen, ist, dass diese „anderen“ Milizen sind. Diese Milizen, über die wir sprechen und die für Sie sozusagen als Zurückschieber annehmbar wären, verdienen ihr Geld mit Drogenhandel nach Europa. Das heißt, Ihr Ansatz ist nicht nur menschenfeindlich, nicht nur unrecht – es gibt nämlich ein Refoulement-Verbot; aber das können Sie gar nicht kennen, weil es ein Fremdwort ist –, sondern das Dramatische ist – ich sage es noch einmal –, dass Sie auf Schmuggler setzen, die Drogen nach Europa schmuggeln. Sie sind ein Sicherheitsrisiko für unser Land.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Paul Ziemiak, CDU/CSU-Fraktion, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Wir beraten heute die Fortsetzung der NATO-Mission Sea Guardian, nichts anderes. Unsere Streitkräfte beteiligen sich auf Grundlage von Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes an dieser Mission.
Das Mittelmeer ist eine Verkehrsfläche mit über 2,5 Millionen Quadratkilometern. Wir haben als Deutsche in diesem Raum auch unsere Interessen: Wir wollen den Schiffsverkehr sichern, den internationalen Terrorismus bekämpfen und Rückzugsorte vom Nachschub abschneiden. Darüber hinaus wollen wir die Küsten im Mittelmeer stabilisieren. Um diese Ziele zu erreichen, zeigt die NATO im Mittelmeer Präsenz, kontrolliert den Raum und kann frühzeitig eingreifen, wo es nötig ist.
Der vernetzte Ansatz und die Kooperation mit der EU-Mission Sophia sowie mit anderen befreundeten Staaten sind aus meiner Sicht genau die richtige Herangehensweise. Das Mandat – Staatssekretär Tauber hat es gesagt – wird nicht aufgestockt, es bleibt – in Anführungsstrichen – unverändert.
Ich möchte noch einen Punkt hinzufügen: Dieses Mandat der NATO erfolgt auf Grundlage eines UN-Mandates, nämlich der UN-Resolution 2357. Deutschland kann, muss und will seinen Beitrag im Kampf gegen Waffenschmuggel und internationalen Terrorismus im Mittelmeer leisten.
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Meine Damen und Herren, ich hege heute in dieser Debatte doch eine gewisse Bewunderung für die Linke. Herr Kollege, Sie haben hier gerade alles kritisiert und haben die Ergebnisse der Arbeit der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Ihrer Bilanz als lächerlich bezeichnet, haben aber in keinem Satz eine Lösung für die Probleme im Mittelmeer genannt. Das ist wirklich unverantwortlich.
({1})
Meine Bewunderung gilt nicht nur der Linken, sie gilt auch für die AfD. Es zu schaffen, bei einer Diskussion über ein NATO-Mandat auf UN-Basis die Debatte wieder auf die Frage von Migration und das Beziehen sozialer Leistungen in Deutschland hinzuführen, zeigt, dass Sie diesen Mandatstext überhaupt nicht gelesen und nicht verstanden haben.
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Sie müssen sich doch entscheiden, worüber Sie debattieren wollen. Sie haben gerade über EU-Grenzsicherung gesprochen. Dafür ist die NATO weder verantwortlich noch wollen wir das noch ist das rechtlich möglich. Die Frage der Grenzsicherung betrifft die EU.
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Ich kann Ihnen von der AfD und auch der Linken nur anbieten, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses zu fragen, dass er sich mit Ihnen zusammensetzt und das alles aufdröselt.
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Denn Sie sagen hier vor den Menschen, die diese Debatte verfolgen, die Unwahrheit und vermischen die Dinge miteinander.
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Das muss man erst einmal schaffen.
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– Herr Kollege, ich kann Ihr Gebrüll hier vorne am Rednerpult leider nicht verstehen. Ich glaube aber, es war nichts Wichtiges, das uns hier weiterbringen würde.
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Meine Damen und Herren, die Operation ist erfolgreich, und die Bilanz ist gut. In der Fortsetzung der Operation Active Endeavour haben wir eine Sicherheitslücke im Mittelmeer geschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine breite Zustimmung heute in diesem Haus wäre ein wichtiges Signal an unsere Verbündeten, aber auch ein starkes Zeichen der Solidarität mit den vielen Soldatinnen und Soldaten, die dort ihren Dienst leisten. Ihre Arbeit müssen wir wertschätzen. Wir müssen sie unterstützen, und deshalb bitte ich Sie um Zustimmung.
Vielen herzlichen Dank.
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Jetzt hat der Kollege Thomas Hitschler, SPD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines Tages verteilte Nasreddin Hodscha Brotkrumen in seinem Garten. Sein Nachbar fragte ihn nach dem Grund für dieses merkwürdige Verhalten. „Das hält die Tiger fern“, sagte Nasreddin Hodscha. Auf den Einwand, in der Gegend gebe es weit und breit keine Tiger, erwiderte er: Da siehst du mal, wie gut das wirkt.
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An diese kleine Schelmengeschichte aus dem islamischen Kulturraum erinnert mich eines der Hauptargumente gegen den Einsatz Sea Guardian, den wir heute beraten. Am 11. Dezember 2017 hatte die Linke hier im Bundestag das Ende von Sea Guardian beantragt.
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Dabei zog sie Bilanz über die Vorgängeroperation Active Endeavour; der Kollege Höhn hat das vorhin auch noch einmal gemacht.
Ich zitiere den damaligen Entschließungsantrag:
Im Rahmen von OAE wurden in 14 Jahren über 129.000 Schiffsfahrten überwacht und 172 Schiffe kontrolliert, allerdings wurde keine einzige Ladung illegaler Waffen beschlagnahmt und kein einziger Terrorist verhaftet.
Streut also auch die NATO Brotkrumen im Garten aus,
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um Tiger aus einem Gebiet fernzuhalten, in dem es weit und breit keine Tiger gibt? Ist auch die Operation Sea Guardian nicht mehr als eine Schelmengeschichte?
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Der Garten in dieser Geschichte entspricht dem Einsatzgebiet. Dieses umfasst das komplette Mittelmeer, die Straße von Gibraltar, ihre Zugänge und den darüber liegenden Luftraum. Das ist ein wahnsinnig großer Garten. In der Schelmengeschichte ist aber nicht nur der Garten frei von Tigern, sondern die ganze Gegend – weit und breit. Genau hier enden die Parallelen mit Sea Guardian.
Der selbsternannte „Islamische Staat“ wurde in Syrien und im Irak zwar weitgehend militärisch besiegt und bereits im Dezember 2016 aus der libyschen Hafenstadt Sirt vertrieben; seine dschihadistischen Kämpfer sind aber in beiden Ländern nach wie vor aktiv. Ja, der IS hat seine Pseudostaatlichkeit als Möchtegern-Kalifat weitgehend eingebüßt, aber umso mehr greift er nun auf Guerillataktiken und terroristische Anschläge zurück.
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Dass Kreuzfahrtschiffe, Ölplattformen und Containerschiffe zu den potenziellen Zielen des IS gehören, berichtete NATO-Marinekommandeur Admiral Clive Johnstone 2016.
Neben dem IS gibt es viele weitere gewaltbereite Islamistengruppen in den Anrainerländern des Mittelmeers: der Nachfolger der Al-Nusra-Front in Syrien, der militärische Arm der Hisbollah im Libanon und viele kleinere Gruppen in den Ländern Nordafrikas. Wir haben es also mit einer realen Bedrohung zu tun.
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Neben der Terrorismusbekämpfung nimmt Sea Guardian weitere Aufgaben wahr, etwa im Kampf gegen Waffenschmuggel, bei der Sicherung des Bündnisgebietes oder bei der Seeraumüberwachung. Zur Bekämpfung von Schleusern ist eine direkte Beteiligung an der EU-Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia durch Sea Guardian zwar nicht vorgesehen, lieber Kollege Nolte; durch Lagebilder, Informationsaustausch und Logistik wird aber auch diese wichtige Aufgabe unterstützt, und dafür danken wir unseren Soldatinnen und Soldaten.
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Kolleginnen und Kollegen, organisierte Kriminalität, Terrorismus und Piraterie blühen auf, wenn sie nicht auf Widerstände treffen. Dies zeigt ein Blick zur Küste Somalias. Ohne die Operation Atalanta wären die Angriffe durch Piraten dort heute noch Alltag. Auch an der Mittelmeerküste eröffnet die fragile Staatlichkeit von Ländern wie Libyen und Syrien terroristischen Gruppen und der organisierten Kriminalität Rückzugs- und Herrschaftsräume. Mit der Operation Sea Guardian verhindern wir, dass diese Saat auch im Mittelmeer aufblüht, also in unserem sprichwörtlichen Garten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Operation Sea Guardian ist keine Schelmengeschichte. Die eingesetzten Kräfte sind keine Brotkrumen, und wenn jemand meint, im Mittelmeer gebe es keine Terroristen, dann kann man nur entgegnen: Da siehst du mal, wie gut das wirkt.
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Kuffer, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Mittelmeer ist ein neuralgischer Punkt für uns Deutsche, für uns Europäer, aber auch für die internationale Staatengemeinschaft. Ein Drittel aller über See verschifften Güter und ein Viertel aller Öltransporte global passieren auf ihrem Weg das Mittelmeer. Es zählt damit zu einem der wichtigsten Transportkorridore weltweit. Wir können sagen: Der internationale Handel wäre ohne den Transit durchs Mittelmeer schlichtweg unmöglich.
Neben dieser enormen ökonomischen Bedeutung liegt das Mittelmeer uns Europäern aber auch auf andere Weise am Herzen. Es verbindet uns mit unseren Nachbarn im Nahen Osten und in Nordafrika. Und es schafft vor allem eine gemeinsame Verantwortung in Bezug auf Sicherheit und Stabilität.
Die NATO-geführte maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian leistet seit ihrer Gründung im Jahr 2016 einen wichtigen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele. Anders als ihre Vorgängermission Operation Active Endeavour, deren Auftrag sich auf Basis des Artikels 5 des Nordatlantikvertrages aus den Anschlägen des 11. September 2001 hergeleitet hat, ist der Auftrag von Sea Guardian umfassender und an die Erfordernisse der aktuellen Sicherheitslage angepasst.
Das Mittelmeer ist heute neben den nach wie vor bestehenden Gefahren durch den internationalen Terrorismus leider auch Schauplatz von Waffenschmuggel, Schleuserbanden und anderer organisierter Kriminalität. Die Flüchtlingskrise, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat uns mehr als deutlich gemacht, dass beim gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen das Mittelmeer einer der entscheidenden Schauplätze oder sogar der entscheidende Schauplatz ist. Unser Einsatz für Sea Guardian ist damit auch ein Beitrag gegen das menschenverachtende Geschäft der Schlepper.
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Sea Guardian kann heute aus den wertvollen Erfahrungen von Active Endeavour profitieren und so seinen Auftrag zielgerichtet fortführen. Die Operation leistet neben der Bereitstellung eines ständig aktualisierten umfassenden Lagebildes einen Beitrag zum Informationsaustausch und zum Kapazitätsaufbau der Kräfte im Mittelmeer, bietet logistische Unterstützung für die EU-Mission Sophia und hilft damit auch bei der Durchsetzung des UN-Waffenembargos von und nach Libyen.
Mit einer unveränderten Mandatsobergrenze von 650 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland und einem, wie ich meine, realistischen Budget im Haushalt halte ich den vorliegenden Antrag im Hinblick auf die geostrategische Bedeutung des Mittelmeerraums daher für überaus sinnvoll. Gerade unter dem Aspekt einer gelingenden Bündnispolitik ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland, der Europäischen Union und unseren NATO-Partnern unerlässlich. Die Mission Sea Guardian liefert hierfür einen wichtigen Baustein.
({1})
Ich darf abschließend den bisher in der Mission eingesetzten Soldatinnen und Soldaten unseren Dank aussprechen und vor allem unseren großen Respekt. Ich will ihnen von dieser Stelle aus sagen: Von vereinzelten Wortmeldungen heute abgesehen, haben sie wirklich den Respekt und die Rückendeckung weiter Teile dieses Hauses.
Ich wünsche der Mission, aber vor allem auch unseren Soldatinnen und Soldaten weiterhin viel Erfolg und Gottes Segen für ihren wichtigen Dienst. Wie immer das Wichtigste: Kommen Sie uns wohlbehalten wieder nach Hause!
Vielen Dank.
({2})
Damit schließe ich die Aussprache.
Es ist interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlage auf der Drucksache 19/1097 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/1196 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch bei intensivster Nachlese kann man überhaupt nicht erkennen, was die im vorliegenden Antrag der AfD angeführten umfassenden Grenzkontrollen denn in der Praxis eigentlich sein sollen.
({0})
Ihre Ausführungen in der ersten Lesung waren aber schon entlarvend. Schluss mit offenen Grenzen! Besonders interessant war die Frage eines Kollegen aus Ihrer Fraktion, wie es denn sein könne, dass Deutschland die Grenzen nicht sichern kann, während dies in Saudi-Arabien mithilfe von EADS möglich sei.
Meine Damen und Herren, Sie möchten also möglicherweise saudi-arabische Verhältnisse:
({1})
dreifacher Grenzzaun, Kontrolltürme, Patrouillenweg, technische Totalüberwachung.
({2})
Meine Damen und Herren, unsere deutsche Grenze ist 3 700 Kilometer lang.
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Wenn Sie es mit einer umfassenden Kontrolle ernst meinen,
({4})
wären alle Straßen und Wege, alle Schienen, alle Grenzgewässer und alle Personen, also jeglicher Grenzverkehr einschließlich Flug- und Bahnreisenden, zu kontrollieren.
({5})
Das wäre eine untragbare Vorgehensweise und Belastung für die Menschen, den Handel und das Handwerk.
({6})
Ich sage Ihnen eines: Der AfD-Antrag ist schon – das muss man auch beim Namen nennen – ein Frontalangriff gegen eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union: die Freizügigkeit und die Reisefreiheit.
({7})
Da Deutschland nur von sicheren Drittstaaten umgeben ist,
({8})
kommen Sie nun auf die aberwitzige Idee, zu behaupten, Sie könnten an der deutschen Grenze jeden, der sich auf Asyl beruft, zurückweisen.
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Sie verkennen, dass wir nach EU-Recht in vielen Fällen für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig sind. Das gilt für Minderjährige. Das gilt für Familienangehörige. Das gilt in Härtefällen. Vor allen Dingen sind wir auch dann zuständig, wenn der zuständige Staat nicht ermittelt werden kann. Nach EU-Recht und nach der Rechtsprechung sind wir außerdem bei Mängeln im Verfahren in dem eigentlich zuständigen Land zuständig.
({10})
Prüfen Sie das bitte einmal. Nach wie vor gibt es in Griechenland große Mängel, aber auch in Ungarn, Italien und Bulgarien.
({11})
Das nehmen Sie einfach nicht zur Kenntnis.
({12})
Wir können von unseren Polizeibeamten, die einen guten Job machen und gute Arbeit leisten, doch nicht erwarten, dass sie in rechtlich grenzwertigen Fällen auch noch in einem Schnellverfahren an der Grenze mal gerade nebenbei die asylrechtliche Zuständigkeit prüfen.
({13})
Zwar ist richtig – wir alle in diesem Haus sind auch mit Nachdruck an diesem Thema dran –, dass noch nicht alles rundläuft; aber Sie erkennen nicht – oder Sie erkennen es nicht an –, wie die Entwicklung sich vollzogen hat. Ja, 2015 waren es 890 000 Menschen, die nach Deutschland gekommen sind und Asyl gesucht haben.
({14})
Aber 2016 hat sich die Zahl durch die vielen Maßnahmen auf 280 000 reduziert
({15})
und ist im Folgejahr auf 186 000 heruntergegangen.
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Wir brauchen viele Maßnahmen: eine weitere und bessere Sicherung der EU-Außengrenzen und die hundertprozentige Registrierung.
({17})
Wir wollen wissen, wer zu uns kommt.
({18})
Frontex ist zu einer echten europäischen Grenzpolizei auszubauen.
({19})
National müssen wir – und wir sind schon intensiv dabei, auch gerade seitens der Innenpolitiker – mit Nachdruck an einer weiteren Beschleunigung und Verbesserung der Asylverfahren arbeiten,
({20})
einschließlich des wichtigsten Elements, der Ankereinrichtung.
Aber, meine Damen und Herren, bei allem dürfen wir nicht vergessen, auch wenn Sie uns etwas anderes weiszumachen versuchen: Die Gründe der Migration liegen doch nicht in unseren Rechtsvorschriften. Sie liegen doch in den vielen Fluchtursachen dieser Welt.
({21})
Sie liegen bei den verfolgten Menschen und dem Schutz, den sie benötigen.
({22})
Hier liegt der große Unterschied in diesem Hause – das haben wir gerade wieder gemerkt –: Sie bekämpfen die Flüchtlinge und die Menschen, die Schutz suchen,
({23})
und alle anderen in diesem Haus suchen nach Lösungen, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist der große Unterschied.
({24})
Der AfD-Antrag zielt auf ein rechtswidriges Verhalten,
({25})
ist schlecht begründet, stellt einen Frontalangriff gegen die Freizügigkeit dar und zeigt einmal mehr, wie unbarmherzig Sie mit verfolgten Menschen umgehen.
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Es gibt nur eine geeignete Maßnahme, mit der wir in der Abstimmung darauf reagieren werden: mit der roten Karte.
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Nächster Redner ist der Kollege Uli Grötsch, SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den vorliegenden Antrag bereits im Plenum diskutiert. Ich möchte aber gerne die Gelegenheit nutzen, um auf die Situation an den deutschen Außengrenzen und bei den Polizeien in Deutschland hinzuweisen, um deren Situation es ja auch in dem Antrag geht.
Damals wie heute gilt: Eine umfassende und dauerhafte Kontrolle an den deutschen Außengrenzen ist weder rechtlich möglich
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noch von uns politisch gewollt.
({1})
Ganz im Gegenteil, liebe Kolleginnen und Kollegen: Meine Partei steht für ein Europa ohne Binnengrenzen.
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Für uns ist ein grenzenloses Europa ein Wert an sich. Es ist ein Wert für Generationen von Menschen.
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Dafür lohnt es sich zu kämpfen, auch wenn die Situation der Europäischen Union schwieriger wird.
In Ihrem Antrag fordern Sie mehr Polizei, und das in einer Zeit, in der der Bund und die Länder mitten in der größten Personaloffensive sind, die es bei den Polizeien jemals gegeben hat.
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Die Suche nach Raumkapazitäten und nach ausreichendem Ausbildungspersonal ist derzeit die Herausforderung, aber ganz bestimmt sind es nicht die Einstellungszahlen. Nehmen Sie sich doch einen Stift und einen Zettel, um sich das aufzuschreiben, und merken Sie es sich gut: Wir werden in dieser Wahlperiode weitere 7 500 Bundespolizistinnen und Bundespolizisten einstellen, und zwar zusätzlich zu den über 7 000, die wir bereits seit 2016 ausbilden.
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Die Länder sind natürlich gefordert, es uns gleichzutun.
Wir sorgen aber nicht für diese hohen Einstellungszahlen, um die Bundespolizistinnen und Bundespolizisten dann an irgendeiner deutschen Außengrenze versauern zu lassen.
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Die SPD will eine sichtbare Polizei im öffentlichen Raum. Wir wollen eine sichtbare Polizei nicht nur in den Fußgängerzonen, sondern auch auf den Autobahnen, um dort die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen.
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Das sind die Herausforderungen dieser Zeit.
({8})
In meiner Heimatregion genauso wie in vielen Regionen unseres Landes haben die Menschen keine Angst mehr vor Massenmigration.
({9})
Sie haben vielmehr Angst vor Wohnungseinbrüchen und vor Drogenhändlern, die international handeln und organisiert sind. Wir als SPD stehen für einen handlungsfähigen, starken Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger schützt, der den Menschen Zuversicht gibt und der ihnen keine Angst vor der Zukunft macht.
({10})
Ich will noch eine Sache ansprechen. Sie fordern in Ihrem Antrag die Einhaltung von Recht und Ordnung.
({11})
Das ist aber nur ein Aufhänger, ein Vorwand. Dahinter steht wieder einmal Ihr verächtliches Menschenbild. Sie sagen, dass Migranten zu Hunderttausenden vor der deutschen Grenze stehen, um in Deutschland – so Ihr Antrag – Vollverpflegung zu erhalten.
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Erstens hat sich die Zahl der Asylbewerber in der Europäischen Union von 2016 auf 2017 halbiert. Das ist eine Tatsache. Das ist die Wahrheit. Damit ist natürlich auch die Zahl der Anträge in Deutschland entsprechend gesunken. Zweitens sind Asylunterkünfte, in denen zum Teil fünf Personen auf 20 Quadratmetern über Monate wohnen, ganz bestimmt keine Fünf-Sterne-Hotels, wie Sie es suggerieren.
({13})
Zum Schluss will ich sagen: Wir, die SPD und die gesamte Koalition, sorgen für mehr Polizei durch eine nie da gewesene Personaloffensive.
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Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, wollen die Polizistinnen und Polizisten auf den Straßen, in den Städten und auf den Autobahnen einsetzen, also bei den Menschen.
Vielen Dank.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gottfried Curio, AfD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Abgeordnete! Die AfD hat beantragt, unberechtigten Grenzübertritt durch umfassende Grenzkontrollen zu verhindern und entsprechende Antragsteller zurückzuweisen. Wer gegen diesen Antrag stimmt, will mithin, dass unberechtigte Antragsteller weiterhin die Grenze nach Deutschland überschreiten und ein Schutzverfahren eröffnen können, inklusive Dauerversorgung und jahrelangen Klagen.
({0})
Wie von Richtern an den Obersten Gerichtshöfen betont, kann niemand unter Berufung auf Schutzgründe zu Land nach Deutschland einreisen.
({1})
Die Einreise aus einem sicheren Drittstaat – das sind alle Nachbarstaaten Deutschlands – ist zu verweigern. Das gilt auch, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist gemäß Dublin III der Erstzutrittsstaat in der EU. Tatsächlich haben wir jedoch Binnenmigration in Europa und müssen unsere nationale Grenze schützen.
({2})
Statt dieser bislang versäumten Pflicht nachzukommen, schmücken wir unsere Weihnachtsmärkte mit Betonpollern und Maschinenpistolen.
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Zur Ablenkung wird gerne über die sogenannte Schleuserkriminalität gejammert. Ist aber der Schleuser kriminell, so ist es auch sein Auftraggeber. Wer sich schleusen lässt, will betrügen. Mit dieser ganzen Herrschaft des Unrechts, Herr Innenminister, müsste endlich Schluss sein. Die Garantin hierfür aber haben Sie gerade neu inthronisiert.
({4})
Fluchtgründe im Heimatland sind eben keine Eintrittskarte weltweit. Aus einem sicheren Transitstaat wie der Türkei flieht man nicht nach Europa, auch nicht von einem ganzen Kontinent wie Afrika. Die Asylbehaupter hier aufzunehmen, die Urlaubsreisen zu ihren Familien machen,
({5})
ist auch kein Akt der Humanität.
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Mit denselben Aufwendungen, die hier vonnöten sind, kann eine vielfache Menge Hilfsbedürftiger vor Ort versorgt werden. Die Ärmsten reisen nicht. So viel zur heuchlerischen Berufung auf das C.
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Den Unterstützern der offenen Grenzen geht es um den Umbau der einheimischen Bevölkerung durch jedwede Zuwanderung samt entsprechenden Konsequenzen für die Wahlbevölkerung. Die UN-Umsiedlungspläne, Resettlement von Afrika nach Europa, de facto nach Deutschland, hat Frau Merkel, die Kanzlerin der Ausländer, der Union in das Parteiprogramm geschrieben.
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Dem dient die Duldung des massenhaften Identitätsbetrugs durch weggeworfene und gefälschte Pässe. Dem dient die bewusste Fehlbezeichnung „Flüchtling“ für Sozialmigranten. Mit der Eigenschaft „Flüchtling“ kann man nicht herumreisen. Man hat sie nur bei Übertritt aus dem Fluchtland. Dem dient die Bemäntelung der völligen Unmachbarkeit dieser Völkerverschiebung, wenn für die sogenannte Integration nicht erwerbsfähiger Personen jährlich über 50 Milliarden Euro veruntreut werden. Das ist Diebstahl am deutschen Volk. Das zerstört unsere Heimat.
({9})
Die Willkommenskultur ist für Heinrich August Winkler eine „Selbstgefälligkeit“ deutscher Narzissten, die sich als Bessermenschen selbst vergötzen. Gegenmeinungen sollen mit der Rassismuskeule erstickt werden. Was wir brauchen, ist eine Willkommenskultur für demokratische Meinungsvielfalt, vor allem auch in diesem Hause.
({10})
Herr Kollege Curio, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Keine.
({0})
Keine.
Was macht das Ganze aus unserem Land? Kommunen machen dicht wegen Überforderung. Integration ist gescheitert, schon wegen der schieren Menge. Sie wird von den Migranten selbst auch nicht gewünscht, die ihre eigene Kultur leben wollen – nach den gesetzwidrigen Regeln der Scharia. Jedes weitere Anwachsen ihrer kulturellen Blase bestärkt sie nur darin. Aggressive Machokultur schon in den Schulklassen, aufgegebene Stadtteile, Vergewaltigungen, Morde – aber die Regierung setzt knallhart Ethikkurse dagegen.
({0})
Sie hat massenhaft archaische, frauenfeindliche Gewalttäter ins Land geholt – ohne Not –, aber immerhin doch auch Fachkräfte importiert: für Messerattacken. Abschiebungen, meine Damen und Herren, retten auch Leben.
({1})
Gewaltbereite Ausländer, für die Frau Merkel sofort Partei ergriff, bedrängen deutsche Bedürftige an den Tafeln – im Land, in dem wir gut und gerne leben. Der Berliner SPD-Innensenator sagt: „Deutschenfeindlichkeit“ gibt es „durchaus öfter“ – im Land, in dem wir gut und gerne leben. Ein Staatsanwalt sagt: Der Rechtsstaat hat sich aufgegeben. Ein Schulleiter sagt: Wir sind auf dem Weg ins Mittelalter. – Angegrapschte Frauen hören: „Wenn du das nicht willst, musst du Kopftuch tragen“ – im Land, in dem man gut und gerne lebt, als Ausländer.
({2})
Langsam genug davon? Nicht für unsere Weiter-so-Regierung. Sie will Migration nicht bekämpfen, nur steuern. Sie hat bereits den Verlust des inneren Friedens auf dem Gewissen. Ist das „Schaden vom deutschen Volk wenden“? Gehört so jemand auf die Regierungsbank? Wir sagen: Doch wohl eher auf die Anklagebank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Benjamin Strasser, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Antrag der AfD-Fraktion habe ich jetzt wirklich mehrfach inhaltlich gelesen, und ich muss eines feststellen: Sie haben eine Meinung – das sind wir ja auch nicht immer gewohnt –; Sie haben aber leider gar keine Ahnung von der geltenden Rechtslage in Deutschland.
({0})
Es wird in Ihrem Antrag munter mit Gesetzesnormen aus dem Asyl- und Aufenthaltsgesetz um sich geworfen. Das Problem ist nur: Sie zitieren in Ihrem Antrag ausgerechnet Gesetze, die von deutschen Gerichten ganz anders ausgelegt werden, als Sie das wollen.
Ein Beispiel: Sie berufen sich auf § 26a Absatz 2 des Asylgesetzes und behaupten, Österreich sei ein sicherer Drittstaat im Sinne des Asylgesetzes und deswegen könnten wir zurückweisen. Ihnen ist dabei völlig egal, dass es einen Anwendungsvorrang europäischen Rechts gibt – hier ganz konkret die Dublin-III-Verordnung – und dass dadurch ebendieser § 26a Absatz 2 seine praktische Wirkung weitgehend verloren hat.
Sie rufen immer, Dublin III gelte nicht; Frau Weidel hat hier gerade munter von Rechtsbruch gesprochen. Lesen Sie doch einmal die „NVwZ“ 2017, Seite 1625. Dort ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Juli 2017 abgedruckt. Dieses Urteil stellt relativ schlicht fest – ich zitiere das Bundesverwaltungsgericht –:
Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht „sichere Drittstaaten“ iSv § 29 I Nr. 3 AsylG iVm § 26 a II AsylG, Art. 16 a II GG ...
Sie von der AfD halten von Gerichten und Rechtsprechungen offensichtlich immer nur dann etwas, wenn es in Ihre Abschottungsfantasien passt.
({1})
Das ist entlarvend hinsichtlich Ihres Bildes, was den Rechtsstaat hier in Deutschland angeht.
Aber jetzt könnte man ja meinen: Wenn die AfD mit dem Unions-, sprich: dem Europarecht, nicht zufrieden ist, setzt sie sich dafür ein, dass es auf europäischer Ebene geändert wird. Im Januar dieses Jahres trafen sich Parlamentarier aller nationalen Parlamente in Brüssel. Ich war für die FDP-Fraktion dabei. Es waren andere Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus dabei. War die AfD dabei? Fehlanzeige! Den ganzen Tag waren Sie nicht da. Warum? Weil es um Sacharbeit ging und weil keine Kameras anwesend waren.
({2})
Ich würde hier in Grund und Boden versinken, wenn ich solche Anträge stellen würde. Dennoch blasen Sie hier die Backen auf und belehren uns. Das ist peinlich.
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Wir stehen vor großen Herausforderungen, auch was diese Frage angeht – zweifelsfrei. Jetzt kann man auf verschiedene Weise darauf reagieren. Man kann mit kleinstaatlichem Denken reagieren, wie es beispielsweise eine bayerische Regionalpartei im anstehenden Landtagswahlkampf macht, die Vorschläge aus der Mottenkiste hervorholt und eine bayerische Grenzpolizei fordert. Ich habe für meine Fraktion nachgefragt, was das Bundesinnenministerium – die CSU stellt ja den Bundesinnenminister – von dieser Idee hält. Wir stellen fest: Ihr Ministerium in Berlin musste aus der Presse davon erfahren. Es lobt die gute bisherige Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und bayerischer Landespolizei, und man behält sich vor, gegebenenfalls Bundespolizisten abzuziehen. Das ist sicher keine Lösung.
Wir können diese Frage nicht deutsch, sondern nur europäisch lösen. Darum geht es heute doch auch wirklich: um unsere Haltung zu Europa. Meine Generation will keine kleingeistige Abschottung in Europa. Wir wollen ein Europa, in dem uns Grenzen nicht trennen, sondern vereinen. Wir wollen ein Europa der Freizügigkeit für Menschen und für Waren.
({4})
Sie von der AfD reagieren auf die Herausforderungen dieser Zeit mit Angst – und wir mit Stärke.
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Wir wollen die Aufwertung von Frontex. Wir wollen sichere Außengrenzen. Wir wollen ein deutsches Einwanderungsgesetz.
({6})
Und wir wollen ein gemeinsames europäisches Asylrecht – bei dem die AfD bisher jegliche Mitarbeit verweigert hat.
({7})
Schengen ist für uns nicht tot. Schengen ist „the pulse of Europe“.
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Vielen herzlichen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Curio hat hier eben wieder sehr deutlich gezeigt, wie man vonseiten der AfD hetzt, wie man diffamiert
({0})
und wie man im Grunde genommen jedes Thema, über das ernsthaft diskutiert werden müsste, umkrempelt, um hier entsprechend rassistische Stimmung zu machen.
({1})
Der Antrag der AfD ist meiner Meinung nach dilettantisch; das haben wir schon von einigen Kollegen gehört. Er ist ein einziger Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, und er ignoriert vor allen Dingen komplett das europäische Recht. Freizügigkeit ist ein hohes Gut innerhalb der Europäischen Union. Natürlich muss man das verteidigen.
({2})
Ich sage Ihnen: Sie wissen nicht einmal, was dieses Recht bedeutet. Nach den EU-Richtlinien darf es Binnengrenzkontrollen weitestgehend nicht geben. Nur in Ausnahmefällen dürfen Kontrollen durchgeführt werden; aber auf Dauer sind diese unzulässig. Lesen Sie die entsprechenden Ausführungen in den Richtlinien!
Wie sollte es auch anders sein? Das einzige Ziel, das die AfD hier verfolgt, ist, Schutzsuchende an den Grenzen abzuweisen, Schutzsuchende, die angeblich aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Auch hier gilt: Machen Sie sich erst mal schlau! Denn es gehört eben nicht zu den Befugnissen der Bundespolizei, zu entscheiden, welcher Asylsuchende in Deutschland antragsberechtigt ist. Das regelt Europarecht,
({3})
konkret: die Dublin-Verordnung. Die Linke hat diese Dublin-Verordnung immer wieder wegen bürokratischer und flüchtlingsfeindlicher Inhalte kritisiert.
({4})
Außerdem ignoriert die AfD die Schutzgarantie der Genfer Flüchtlingskonvention, die übrigens weit über unser Grundrecht auf Asyl – dieses wurde ausgehöhlt – hinausgeht. Hier gilt das humanitäre Völkerrecht. Das verbietet zum Glück, Flüchtlinge pauschal an der Grenze abzuweisen.
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Es verpflichtet Deutschland sogar dazu, Asylanträge sorgfältig zu prüfen.
Da kann ich wieder nur sagen: Lesen Sie die Aufsätze vom UN-Flüchtlingskommissar, lesen Sie die Urteile vom Europäischen Gerichtshof, und hören Sie endlich auf, hier immer wieder Ihren völkischen Unsinn breitzutreten!
({6})
Frau Kollegin Jelpke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte meine Rede zu Ende halten.
Die AfD kann natürlich fordern, dass das humanitäre Völkerrecht aufgekündigt wird. Aber was käme dabei heraus? Ich will das an einem Beispiel aus der letzten Debatte zu diesem Antrag deutlich machen. In der ersten Lesung hat der AfD-Abgeordnete Stephan Protschka ernsthaft auf das – vermeintliche – Vorbild Saudi-Arabien verwiesen. Dort werde ein Zaun rund um das Land gebaut, also ginge das auch hier, so seine Aussage. Die AfD empfiehlt hier eine feudale islamische Diktatur als Vorbild für Deutschland.
({0})
Das muss man sich mal reinziehen. Damit erweist sie sich einmal mehr als fundamentale Gegnerin von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen.
({1})
Unsere Antwort, die Antwort der Linken, ist eindeutig: Solidarität mit Schutzsuchenden. Statt Abschottung und Bevormundung brauchen wir die Möglichkeit, dass Schutzsuchende ihren Asylantrag in einem Land stellen können, da, wo sie familiäre Verbindungen haben, da, wo sie Sprachkenntnisse haben. Natürlich wissen auch wir, dass die Europäische Union es bis heute nicht geschafft hat, dass Flüchtlinge in allen Ländern aufgenommen werden. Aber wenn ein Land nicht aufnimmt, muss es gefälligst einen finanziellen Ausgleich zahlen.
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Es gibt allerdings auch Bereiche, für die Die Linke mehr Grenzkontrollen fordert. Das geht aber in eine ganz andere Richtung. Wir wollen die Grenzen dicht haben für Rüstungsexporte.
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Keine Polizeihilfe für Schurkenstaaten!
Herr Seif, Sie haben hier wieder so schön die Fluchtursachen angesprochen. Jeden Tag schaffen Sie neue Fluchtursachen. Ich sage nur: Waffenlieferungen an die Türkei. Ich sage nur: Welthandelspolitik, die Millionen Menschen ins Elend treibt.
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Deswegen ist es unsere verdammte Pflicht hier, mindestens eine humane Flüchtlingspolitik umzusetzen und schutzsuchende Menschen zu schützen.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich würde mich in diesem Haus wirklich sehr gern mehr darüber unterhalten, wie wir Europa besser, stärker, solidarischer machen können, und weniger darüber, wie wir sozusagen ein friedliches Bündnis mit einem Anliegen sofort zunichtemachen können.
({0})
Das ist aber genau die Intention Ihres Antrags. Das Anliegen, lückenlose Grenzkontrollen einzuführen, ist europafeindlich. Es ist geschichtsvergessen. Wenn man nüchtern draufblickt, dann ist klar: Nicht das Agieren der Bundesregierung in den letzten Jahren ist staatsgefährdend, sondern genau das, was Sie hier fordern.
({1})
Es ist eine maßlose Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler, im Übrigen auch Ihrer eigenen, wenn Sie sich nicht mal die Mühe machen, Ihre absurden Forderungen auch nur ansatzweise mit irgendwas zu unterfüttern. Mich überrascht das nicht; denn das ist ja Ihr Kalkül. Ihnen reicht es, wenn lediglich eine Überschrift transportiert wird; denn genau da endet Ihr politischer Gestaltungswille: bei der Überschrift.
({2})
Genau deshalb kann man sich mit Ihrem Antrag, egal wie man ihn dreht und wendet – ich habe es häufiger getan –, nicht sachlich auseinandersetzen. Er verharrt bei einer Überschrift, und Sie selbst sind zu feige, auch nur einen Teil Ihrer Forderungen wenigstens ansatzweise zu unterfüttern.
Sie wollen eine lückenlose Kontrolle der deutschen Grenze, auch der grünen Grenze; das steht ja explizit drin.
({3})
Sie trauen sich aber nicht, gleichzeitig zu sagen, dass dies nur umgesetzt werden kann, wenn wir um Deutschland eine Mauer bauen. Sie trauen sich nicht, die enormen Kosten eines solchen Anliegens zu benennen. Sie trauen sich auch nicht, zu sagen, was für ein unfassbares Polizeiaufgebot das zur Folge hätte. Sie trauen sich nicht, zu sagen, dass dafür Polizei aus anderen Bereichen abgezogen werden müsste. Sie trauen sich nicht, zu sagen, was für enorme wirtschaftliche Einbußen das Abdichten der deutschen Grenze zur Folge hätte. Sie trauen sich auch nicht, zu sagen, dass man Ihre Forderungen nur dann umsetzen kann, wenn man im Zweifel auch bereit ist, die Waffe auf Menschen zu richten. Und: Sie trauen sich nicht, festzustellen, dass sich Deutschland durch so eine Maßnahme mit einem Satz aus der Europäischen Union hinausbewegen würde. – Okay.
({4})
Das überrascht auch nicht; denn Sie sind eine europafeindliche Partei.
({5})
Uns ist das aber nicht egal. Wenn Sie an irgendeiner Stelle einmal ehrlich über die Konsequenzen Ihrer Forderungen debattieren würden, würde man sehen: Es gibt zahlreiche Gründe dafür, sich gegen dieses Anliegen zu stellen. So eine Maßnahme – auch das trauen Sie sich nicht zu sagen – wäre nämlich niemals einseitig. Sie glauben ja wohl nicht, dass man auf der einen Seite dichtmachen kann und trotzdem alle Vorzüge der Union genießen kann! Und das sage ich ausdrücklich für meine Generation, die Ihnen ja scheinbar vollkommen egal geworden ist, für diejenigen, deren selbstverständlichen kulturellen Austausch mit anderen Ländern, deren Studien-, Job- und Lebensperspektiven und deren kulturelle Freiheiten Sie mit diesem Anliegen flugs zerstören würden: Das lassen wir nicht zu! Dagegen stellen wir uns!
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Die Personenfreizügigkeit – das muss man einfach in dieser Deutlichkeit sagen – ist der praktische, alltägliche Ausdruck eines friedlichen und auf Zusammenhalt bedachten Europas.
Im Übrigen verhält sich das auch so mit dem Asylrecht. Es ist ja nicht durch Zufall in unsere Verfassung gekommen, sondern aus historischer Verantwortung, aus dem Bewusstsein, dass es Staaten gab – und darüber können wir froh sein –, die diejenigen Menschen, die sonst dem Vernichtungskrieg der Nazis zum Opfer gefallen wären, aufgenommen haben. Dass wir diesen Anspruch heute hier hochhalten und weiter aufrechterhalten, ist eine Lehre, die wir aus der Geschichte gezogen haben.
({7})
Aber von einer Partei, die von Schuldkult spricht, kann man wahrscheinlich nicht erwarten, dass sie diesen Zusammenhang herstellt.
An die Adresse der Kollegen der AfD sage ich: Diese Welt, die Sie in Ihrem Antrag sehr bildhaft beschreiben, existiert zum Glück nur in Ihrem beschränkten Weltbild. Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe und in einem Parlament arbeite, wo dieses Weltbild mehrheitlich nicht geteilt wird.
Herzlichen Dank.
({8})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Josef Oster, CDU/CSU, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Grenzschutz ist gleichermaßen wichtig wie sensibel. Einerseits wollen und müssen wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen – und das tun wir.
({0})
Andererseits streben wir aber ganz bestimmt keine Debatte über Zäune und Mauern in unserem Land an. Nur das kann Ihr Antrag in der Konsequenz ja bedeuten.
({1})
Das wollen wir auch deshalb nicht, weil der Antrag grundlegende Aspekte unseres Landes berührt. Es geht um Freiheit, es geht um Sicherheit, und es geht um humanitäre Verantwortung. Ich will, dass Deutschland auch in Zukunft ein modernes und weltoffenes Land bleibt.
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Dazu, meine sehr geehrten Damen und Herren, passen gewiss keine flächendeckenden Grenzkontrollen. Freiheit und Sicherheit gehören aber untrennbar zusammen. Natürlich muss ein Staat seine Grenzen bei Bedarf kontrollieren; und genau das geschieht ja aktuell auch.
({3})
Aber dies muss in einem Europa der offenen Grenzen immer ein Ausnahmefall bleiben.
Der Antrag berührt aber auch den Aspekt der humanitären Verantwortung. Menschen in akuter Not zu helfen, gehört für mich zum Selbstverständnis unseres Landes, jetzt und auch in Zukunft.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der vorliegende Antrag erweckt den Eindruck, als herrsche an unseren Grenzen das blanke Chaos und als gäbe es kaum Kontrollen. Das ist völliger Unsinn, und das ist falsch.
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Unsere Bundespolizei, der ich ausdrücklich danke, leistet aktuell beste Arbeit, und sie wird in Zukunft mit mehr Personal noch besser arbeiten können. Und diese Arbeit zeigt Wirkung. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge sinkt bekanntlich stetig, und für illegale Zuwanderer wird es zunehmend schwieriger, einen Weg in unser Land zu finden. Es gibt also keinerlei Grund zur Panikmache.
Zu den Grenzschutzaktivitäten der Bundespolizei gehören eben nicht nur die sichtbaren Beamten an den Grenzübergängen. Die Bundespolizei hat zahlreiche effektive Kontrollmöglichkeiten. Und sie leistet, meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Grenzschutzaufgabe, ohne zum Beispiel halb Bayern lahmzulegen. Eine Vollkontrolle würde zwangsläufig zu endlosen Staus an unseren Grenzen führen. Darunter würde nicht zuletzt unsere Wirtschaft massiv leiden. Das kann keiner wollen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, um es klar zu sagen: Wir halten maßvolle Grenzkontrollen weiterhin für notwendig, und wir werden dafür sorgen, dass illegale Grenzübertritte weiterhin konsequent bekämpft werden.
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Das bedeutet aber auch: Die Aufgaben und Herausforderungen für unsere Polizei werden immer größer. Dieser Entwicklung trägt unser Koalitionsvertrag Rechnung. Die Zahl der Polizisten in Deutschland wird noch einmal deutlich steigen. Insgesamt 15 000 zusätzliche Stellen bei den Sicherheitsbehörden, das ist ein klares Signal.
({8})
Nicht zuletzt werden die neuen AnkER-Zentren den Ablauf der Asylverfahren verändern und vor allem deutlich beschleunigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Beispiele zeigen: Die Regierungskoalition setzt bei der inneren Sicherheit die richtigen Schwerpunkte. Wir, die Union, stehen für ein Höchstmaß an Sicherheit ebenso wie für Freiheit und humanitäre Verantwortung.
Vielen Dank.
({9})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Hess, AfD, zu einer Zwischenbemerkung.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Lindh, ich bin schon einigermaßen erstaunt, wie realitätsfern Ihre Aussagen sind.
({0})
Lassen Sie sich von einem Polizeihauptkommissar bitte einmal sagen, wie die Lage an den deutschen Grenzen ist.
Herr Kollege Hess, eben hat der Kollege Oster gesprochen. Der Kollege Lindh spricht erst als nächster Redner.
({0})
Dann korrigiere ich mich selbstverständlich und bitte, das zu entschuldigen. – Herr Oster, trotzdem bleibt natürlich die Grundaussage bestehen. Lassen Sie sich bitte von mir sagen, wie die Lage wirklich ist. Wenn Sie eine Person an einer Grenze tatsächlich kontrollieren wollen, dann brauchen Sie Identitätspapiere. Wenn Sie die nicht haben, dann können Sie nicht kontrollieren, dann können Sie dort nur erfassen. Und genau das ist die Lage, die derzeit an der deutschen Grenze besteht, insbesondere im Hinblick auf die sogenannten Flüchtlinge. Die überwiegende Mehrzahl dieser Personen kommt ohne Papiere. Dort kann eine Überprüfung des Backgrounds überhaupt nicht stattfinden.
Frau Kollegin Amtsberg, Sie hatten ja gesagt, wir würden das nicht mit Fakten unterfüttern. Ich habe Fakten für Sie, was das für unsere Sicherheitslage im Land bedeutet: Die Zahl der islamistischen Gefährder betrug im Januar 2015 noch 266. Wir haben jetzt 750 islamistische Gefährder im Land, bei denen unsere Sicherheitsbehörden davon ausgehen, dass diese Terroranschläge im Inland begehen werden. Die Zahl der islamistischen Terrorverfahren betrug im Jahr 2015 106. Jetzt haben wir 1 031 islamistische Terrorverfahren. Die Zahl hat sich also verzehnfacht. Jetzt lassen Sie mich sagen, was das bedeutet: Was ich eben dargestellt habe, ist eine inakzeptable Gefährdung der Sicherheitslage unserer Bürger. Das ist nicht hinnehmbar. Genau deshalb haben wir ja diesen Antrag gestellt.
({0})
Dazu kommt, dass auch die Kriminalitätsbelastung
({1})
durch die sogenannten Zuwanderer exorbitant höher ist als bei Deutschen. Wir haben dort die 10- bis 16-fache Kriminalitätsbelastung, insbesondere bei schweren Delikten wie Körperverletzungsdelikten, Gewaltdelikten, Hoheitsdelikten, schweren Sexualdelikten, auch das eindeutig die Sicherheitslage unserer Bürger massiv beeinträchtigend. Deswegen ist das nicht hinnehmbar. Das ist nicht akzeptabel.
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Wir müssen unsere Grenzen endlich wieder so schützen, dass Personen ohne Identitätspapiere an der Grenze abgewiesen werden, um die Sicherheitslage in Deutschland zu verbessern.
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Herr Kollege Hess, Zwischenbemerkungen sind Zwischenbemerkungen und keine Reden.
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Solche Beiträge dauern normalerweise vier Minuten. Ihre Redezeit war jetzt fast schon so lang wie die einer normalen Rede.
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Deswegen bitte ich Sie um Verständnis. – Herr Kollege Oster, Sie können antworten, wenn Sie mögen.
Der Kollege ist ja damit in sein Statement eingestiegen, dass er mir die Lage in Deutschland erklären wollte. Ich glaube, dass ich ganz bestimmt keinen AfD-Kollegen brauche, der mir die Lage in Deutschland erklärt.
({0})
Ich habe in meinen Ausführungen deutlich gemacht, dass es, wenn man die Lage objektiv betrachtet, überhaupt keinen Grund zur Panikmache gibt.
({1})
Dass die AfD jedes Mal versucht, hier Panik zu erzeugen, das haben wir jetzt schon oft genug erfahren. Aber es gibt keinen Grund dafür. Die Bundespolizei – ich habe es gesagt – leistet gute Arbeit. Über 50 000 Aufgriffe sind im letzten Jahr an den Grenzen erfolgt. Das zeigt, dass hier erfolgreich gearbeitet wird, und zwar in dem Sinne, wie wir es hier geäußert haben. Also: Ganz gewiss brauchen wir keine AfD, um uns Deutschland erklären zu lassen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eine Reihe von Wünschen zu weiteren Zwischenbemerkungen. Ich muss aber doch auf die Regeln unserer Geschäftsordnung aufmerksam machen:
({0})
Man kann sich im Anschluss an einen Debattenbeitrag zu einer Zwischenbemerkung melden. Der Redner, aber nur der Redner, kann darauf antworten. Das ist geschehen.
Jetzt kommt als nächster Redner der Kollege Helge Lindh, SPD.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Namentliche Abstimmung hat die antragstellende Fraktion beantragt. Ich bin Ihnen ausdrücklich dafür dankbar. Ihr Kalkül ist natürlich durchschaubar: Sie wollen, dass sich gerade die Abgeordneten der SPD- und der CDU/CSU-Fraktion sich öffentlich bekennen. Aber genau das Umgekehrte ist der Fall: Wir zwingen Sie dazu, endlich zu zeigen, ob Einzelne von Ihnen noch den Mumm haben, sich namentlich zu diesem freien demokratischen und sicheren Deutschland, in dem wir leben, zu bekennen.
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Und nicht nur das: Ich bin Ihnen dankbar, weil wir so die Möglichkeit haben, uns zu vergewissern – das müssen wir auch –, dass diese freiheitlich-demokratische Grundordnung, in der wir leben, keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir um sie ringen müssen, dass sie kein Selbstläufer ist, dass Demokratie keine Zuschauerveranstaltung ist und dass alle Alternativen zu diesem offenen freien Land, in dem wir leben dürfen, viel schlechter sind als dies.
({1})
In Ihrem Antrag malen Sie bestimmte Szenarien dieses Landes an die Wand,
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Szenarien des Ansturms auf die Grenzen. Ich kehre aber zur Wirklichkeit zurück, zu der Situation in diesem Land. Ein eingemauertes Land, wie Sie es sich wünschen, ist eine eingepferchte Gesellschaft. In einer eingepferchten Gesellschaft wächst nicht die Sicherheit, aber die Angst. Das weiß jeder, der Diktaturen beobachtet hat.
({3})
Es ist so, dass Sie uns Zeit rauben, wenn Sie solche begrenzten Anträge stellen. Wie wäre es einmal, frage ich mich, wenn Sie stattdessen mit uns zusammen nach Ceuta oder nach Griechenland zu den Betroffenen oder Geflüchteten reisen würden oder wenn Sie sich mit ehrenamtlichen Helfern auseinandersetzen würden oder wenn Sie die Regierungen der Golfstaaten oder die von Ihnen so geschätzten Regierungen in den osteuropäischen Staaten beknien würden, damit sie endlich einmal europäische Solidarität üben und Deutschland zur Seite stehen?
({4})
Nein, nichts davon tun Sie, sondern eine Besuchergruppe von AfD-Bundestagsabgeordneten hofiert den Großmufti von Damaskus und Baschar al-Assad. Sie fraternisieren mit Fluchtursachen,
({5})
wollen aber, dass wir Mauern aufbauen, Grenzen zumachen, Asylrecht abbauen, und schwadronieren dann auch noch, dass wir uns doch um die Fluchtursachen kümmern sollten. Wie scheinheilig und bigott kann man nur sein!
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Herr Kollege Lindh, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von der AfD?
Ich gestatte keine Zwischenfrage. Es tut Ihnen gut, einmal zuzuhören und nicht sich selbst zu hören.
({0})
Es ist so bigott – das sage ich Ihnen –, dass Gott sich vor lauter Gottlosigkeit und Schaudern umdrehen würde.
({1})
In einem Zwischenruf im Dezember sagte Herr Gauland – ich zitiere –:
Wir haben den humanitären Ansatz: für unser Volk!
({2})
Unser humanitärer Ansatz hier in diesem Hohen Hause lautet: Menschenrechte sind Menschenrechte,
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Menschenrechte sind nicht völkisch, Menschenrechte haben keine Nationalität, Menschenrechte haben keine Religion, Menschenrechte haben keine Hautfarbe. Das liegt im Wort: Menschenrechte sind universal. Aber Gott sei Dank haben wir hier noch die Wahl, zu entscheiden, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.
Meine Verwandten und Vorfahren, die jenseits des Eisernen Vorhangs lebten, hatten diese Möglichkeit nicht. Ich habe noch in frühester Jugend den Grenzübertritt erlebt, das Herzrasen, das Zittern.
({4})
Ich habe erlebt, wie sie über die Schrecken des Mauerbaus berichteten und wie sie schilderten, dass, bevor die Mauer fiel, Unfreiheit, Angst und Hoffnungslosigkeit dominierten. Nein, eine Festung Europa nach innen und außen, ein eingemauertes Deutschland, eine eingepferchte Gesellschaft der Angst: Das alles wollen wir nicht, das gibt es nicht – nicht mit uns.
Vielen Dank.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Kuffer, CDU/CSU. Ich darf Sie bitten, auch dem letzten Redner die volle Aufmerksamkeit zu schenken und Platz zu nehmen. Insbesondere den Kollegen im hinteren Bereich des Plenarsaals darf ich sagen: Wir haben für alle Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag Sitzplätze. Also nehmen Sie bitte Platz.
Jetzt erteile ich dem Kollegen Michael Kuffer das Wort.
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Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine andere Partei in diesem Hause verfolgt das Thema Grenzsicherung so intensiv wie die CSU.
({0})
Wir haben in Bayern lange vor der Flüchtlingskrise aus den Erkenntnissen der vorübergehenden Grenzkontrollen anlässlich des G-7-Gipfels weitreichende Konsequenzen gezogen.
({1})
Wir haben die Schleierfahndung massiv ausgebaut, mit dem Erfolg, dass wir im ersten Halbjahr 2017 Zehntausende Aufgriffe durch die Polizei hatten. Die CSU hat bereits vor drei Jahren erkannt, dass wir bis auf Weiteres wieder auf das Instrument der Binnengrenzkontrollen zurückgreifen müssen.
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Wir haben deshalb im September 2015 die Binnengrenzkontrollen auf Bundesebene wieder eingeführt, die die Bundespolizei mit Unterstützung der bayerischen Polizei erfolgreich durchführt.
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Sie wissen, dass Bayern mit der geplanten Einführung einer bayerischen Grenzpolizei einen deutlichen Schritt weiter gehen wird. Sie haben den Bundesinnenminister gehört, der bereits in der vergangenen Woche deutlich gemacht hat, wohin die Reise bei der Aufenthaltsbeendigung und beim Grenzschutz gehen wird. Ich verrate Ihnen nicht zu viel über diesen Mann, unseren neuen Bundesinnenminister, wenn ich sage, dass er hier keine Ruhe geben wird. Die CSU wird bei diesem Thema keine Ruhe geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Auch für die Koalition insgesamt gilt, dass wir uns auf ein striktes Bekenntnis zu Artikel 16a Grundgesetz geeinigt haben. Ich füge hinzu: Ein striktes Bekenntnis zum Asylgrundrecht schließt die Dimension der Rechte, die mit dem Asylgrundrecht einhergehen, ebenso ein wie die Grenzen, die dem Grundrecht immanent sind.
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Wir werden alles tun, was notwendig ist, um diese Grenzen einzuhalten.
Herr Kollege Kuffer, ich bitte um Entschuldigung. Der Kollege möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein, danke.
Bitte.
Wir werden dazu die Sicherheitsbehörden mit 15 000 zusätzlichen Stellen verstärken. Wir werden zügig die Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren in Betrieb nehmen.
({0})
Insgesamt sieht man, dass die Maßnahmen, die in den letzten Jahren getroffen und auf Initiative der Union ins Werk gesetzt worden sind, Erfolg haben.
Herr Kollege Kuffer, darf ich Sie fragen, ob Sie generell keine Zwischenfragen zulassen?
Nein, generell nicht. Ich will das jetzt zu Ende führen.
({0})
Generell keine Zwischenfragen. Gut.
Die Bundespolizei konnte im Jahr 2017 dank der Grenzkontrollen über 12 000 Zurückweisungen vornehmen und nebenbei Tausende von Straftaten feststellen und Aufgriffe realisieren.
An die Adresse der AfD will ich sagen: Sie unterliegen einer naiven Vorstellung – wie so oft –, wenn Sie glauben, dass es die eine Maßnahme gibt. So funktioniert Sicherheitspolitik nicht.
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Eine gute Sicherheitspolitik bedeutet das Ineinandergreifen einer Vielzahl von gezielten Maßnahmen, die tagesaktuell und lageangepasst eingesetzt werden können. Dazu ist die Bundespolizei in der Lage; sie macht das hervorragend. Wir stehen wie keine andere Partei für Grenzsicherung. Aber es ist doch geradezu eine kindlich-naive Vorstellung, dass man im Jahr 2018 Grenzsicherung betreiben kann, in dem man Polizisten durchs Unterholz schickt, um im Wald Zäune aufzubauen,
({1})
im Zeitalter von Drohnen, Wärmebildkameras und Ähnlichem. Glauben Sie denn wirklich, dass die 1 Million Menschen im Jahr 2015 und die 300 000 Menschen im Jahr 2016 durchs Unterholz gekrochen sind?
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Nein, wir müssen die Polizei unterstützen, indem wir ihr effektive Werkzeuge an die Hand geben, die sie in Abhängigkeit vom Lagebild einsetzen kann. Es muss Schluss sein mit der Schaufensterpolitik, die Sie immer wieder betreiben, ohne einen Beitrag zur Lösung zu liefern.
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Sie wollen Personal binden, das dann bei sinnvollen Maßnahmen fehlt. Sie wollen sich von europäischem Recht verabschieden. Kein einziger der von Ihnen gemachten Vorschläge – sofern in Ihrem Schaufensterantrag überhaupt welche enthalten sind – ist in der Praxis umsetzbar.
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Nach sechs Monaten wäre es langsam an der Zeit, dass die Lernkurve bei Ihnen zunimmt
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und dass Sie bei so wichtigen Themen endlich einen Beitrag leisten, der in der Praxis umsetzbar ist.
Vielen Dank.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der AfD mit dem Titel „Umfassende Grenzkontrollen sofort einführen – Zurückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt“.
Dazu liegen mir Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/862, den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/41 abzulehnen. Wir stimmen auf Verlangen der Fraktion der AfD über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Weil es am Anfang der Debatte Missverständnisse gegeben hat, weise ich ausdrücklich darauf hin, dass über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses abgestimmt wird.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abgeben möchte? – Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, die mitstimmen wollten, ihre Stimmkarten abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Ich bitte, wieder Platz zu nehmen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen kann.
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– Ich würde gerne den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen. Das setzt voraus, dass die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte teilnehmen wollen, Platz nehmen und dass diejenigen, die nicht teilnehmen wollen, die Gelegenheit nutzen, den Saal zu verlassen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Solidaritätszuschlag ist zur Finanzierung der deutschen Einheit eingeführt worden. Im Jahr 2019 läuft der Solidarpakt aus. Damit, meine Damen und Herren, entfällt auch der Grund für diese Sonderabgabe. Konsequenterweise ist der Solidaritätszuschlag abzuschaffen, um das in aller Klarheit am Anfang zu sagen.
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Helmut Kohl, der damalige Bundeskanzler, hat in den 1990er-Jahren gesagt: „Der Solidaritätszuschlag ist bis Ende 1999 endgültig weg.“ Dann kam eine rot-grüne Bundesregierung. Man kann mit Fug und Recht sagen – auch vor dem Hintergrund der damaligen Finanzsituation des Bundes –: Die Finanzierung der deutschen Einheit hat länger gedauert; machen wir uns an dieser Stelle nichts vor. Aber: Helmut Kohl hat mit seinen Worten keinen Wahlkampf machen wollen. Es ging ihm nicht um politische Propaganda, sondern darum, ein politisches Versprechen einzulösen, ein Versprechen der deutschen Politik. Wir als Freie Demokraten fordern heute vom Deutschen Bundestag ein, genau dieses Versprechen einzuhalten, meine Damen und Herren.
({1})
Ich will direkt in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Union sagen: Verstecken Sie sich in dieser Frage nicht hinter den Sozialdemokraten!
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Das hat doch nicht die SPD in den Verhandlungen zur Bildung der Großen Koalition durchgesetzt. Das, was jetzt im Koalitionsvertrag steht, ist genau das, was die Union auch im Rahmen der Jamaika-Sondierungen für unverhandelbar erklärt hat.
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Das ist genau das, was Sie wollten.
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– Sie wollen genau das, Herr Kollege!
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Die Argumentation ist ja spannend, Herr Kollege,
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insbesondere das Argument,
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wir hätten uns bei Jamaika nicht ausreichend durchgesetzt. Sie geben damit doch offiziell preis, dass die Entlastung der Mitte der Gesellschaft nicht mehr das Anliegen der CDU/CSU ist. Gut, dass es die Freien Demokraten im Deutschen Bundestag gibt, liebe Kollegen der Union.
({8})
Ich will Ihnen noch einmal sagen, was das bedeutet. Die Argumentation heute lautet ja: Wir machen zwei Jahre nach Auslaufen des Solidarpakts einen ersten Schritt. 90 Prozent der Zahler des Solidaritätszuschlags brauchen ihn dann nicht mehr abzuführen. – Was bedeutet die Regelung zum Solidaritätszuschlag, die Sie haben wollen und die im Koalitionsvertrag aufgegriffen worden ist? Sie bedeutet doch, dass Sie den kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, den Familienunternehmen, denjenigen, die während der Krisenjahre für die Mehrzahl der Arbeitsplätze in Deutschland gesorgt haben und die Sie in Sonntagsreden immer wieder dafür loben, denjenigen, die sich aufmachen, die Digitalisierung zu bewältigen und dafür Liquidität brauchen, um neue Geschäftsmodelle auf den Weg zu bringen, den Rücken zukehren, meine Damen und Herren der Union. An diesen Unternehmen begehen Sie in Wahrheit den Verrat, und das ist der eigentliche Skandal in dieser Debatte.
({9})
Ich will zum Abschluss sagen: Ich habe die Debatten in der Union in den letzten Jahren beobachtet – da ging es um die Abschaffung der Wehrpflicht und die Ehe für alle – und festgestellt, dass man zweifelt und sich fragt, ob man eigentlich noch konservativ genug ist.
({10})
Ich halte diese Debatte für Quatsch. Ich glaube, das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass die Union in Deutschland ihren ordnungspolitischen Kompass verloren hat. Sie haben sich in Wahrheit vom Wohlstandsversprechen Ludwig Erhards verabschiedet.
({11})
Es geht in dieser Frage um die Glaubwürdigkeit deutscher Politik. Deswegen sage ich auch aus strategischen Gründen: Die Entscheidung über den Solidaritätszuschlag kann der Deutsche Bundestag alleine fällen. Er braucht dafür nicht die Länder. Verstecken Sie sich nicht hinter Ihrem Koalitionspartner! Verstecken Sie sich nicht hinter den Landesregierungen! Nehmen Sie sich an der Mittelstandsunion in Ihren eigenen Reihen ein Beispiel, die gerade fordert, dass der Soli für alle abgeschafft werden muss! Es geht um politische Hygiene und um die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik, um ein Versprechen, das Sie in den 90er-Jahren gegeben haben. Sie sollten der Politik gerade an dieser Stelle wieder zur Glaubwürdigkeit verhelfen.
Herzlichen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Innerhalb von 24 Stunden debattieren wir in diesem Haus schon zum zweiten Mal über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Allein das zeigt schon die Wichtigkeit dieses Themas. Wir haben gestern den Antrag der AfD beraten, in dem die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags ohne Einschränkungen gefordert wird. Diesen Antrag haben wir mit großer Mehrheit in diesem Haus abgelehnt. Heute beraten wir den Antrag der FDP, in dem ebenso die uneingeschränkte Aufhebung des Solidaritätszuschlaggesetzes gefordert wird, allerdings erst mit Wirkung zum 1. Januar 2020.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für uns hat die Abschaffung des Solidaritätszuschlages absolute Priorität.
({0})
Sie haben recht: Es ist eine Frage der Hygiene im Steuerrecht. Es ist auch eine Frage der Rückgewinnung von Vertrauen, wovon wir in den letzten Tagen viel gehört haben. Dazu gehört, dass wir eine Möglichkeit finden müssen, damit die Erhebung des Solis schnellstmöglich ein Ende findet.
({1})
Nach nunmehr fast 25 Jahren hat der Solidaritätszuschlag tatsächlich sein Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht bzw. überschritten.
({2})
Das bedeutet aber nicht, dass der Osten kein Geld mehr bekommen wird. Das ist wichtig festzuhalten. Wir haben noch Bundesmittel zum Beispiel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die überwiegend in die neuen Länder fließen. Unabhängig davon ist es steuerpolitisch logische Konsequenz, dass mit dem Auslaufen des Solidarpakts II, mit der Vollendung der deutschen Einheit auch der Soli enden muss. Ich denke, da sind wir uns einig.
Jetzt kommen wir zu den Unterschieden. Sie sind Opposition, wir sind Regierung. Während man sich in der Opposition offensichtlich überhaupt nicht um haushalterische Gesichtspunkte scheren muss, haben wir in der Regierung die Verantwortung, haushaltspolitisch verantwortungsvoll zu handeln.
({3})
Sie führen die Zahlen in Ihrem eigenen Gesetzentwurf an: 20 Milliarden Euro pro Jahr würden ab dem Jahr 2020 fehlen. Der zusätzliche finanzielle Spielraum, den wir in dieser Legislaturperiode haben, liegt bei circa 45 Milliarden Euro. Wenn Sie also bei einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlages 20 Milliarden Euro ab 2020 dem Haushalt entnähmen, würden Sie uns damit einen großen Teil des Spielraums nehmen. Wenn Sie keine neuen Schulden machen wollen, bedeutet das: keine Stärkung der Familien, keine Investitionen in Infrastruktur, keine Stärkung des Wohnungsbaus,
({4})
kein Aufwuchs bei Polizei und innerer Sicherheit. Das ist die Wahrheit.
Wir von der Union machen eine ausgeglichene, eine seriöse Haushaltspolitik.
({5})
Aus diesem Grund haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir den Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag ab dem Jahr 2021 in Schritten beginnen. Im ersten Schritt – Sie haben es gesagt – werden bereits 90 Prozent der heutigen Solidaritätsbeitragszahler entlastet; sie werden dann keinen Soli mehr bezahlen müssen. Das bedeutet 10 Milliarden Euro Entlastung auf einen Schlag und das Beibehalten von finanziellen Spielräumen für Wohnungsbau, Kindergeld, Digitalisierung und innere Sicherheit.
Herr Kollege Gutting, der Kollege Dürr würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Das darf er.
Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege. – Sie haben gerade den Spielraum von 45 Milliarden Euro vor dem Hintergrund der Versprechen, die die Große Koalition im Koalitionsvertrag festgehalten hat, genannt. Nun besagt die mittelfristige Finanzplanung des Bundes, dass in dieser Legislaturperiode mit Steuermehreinnahmen von 80 Milliarden bis 90 Milliarden Euro zu rechnen ist. Das ist Geld, das zusätzlich erwirtschaftet wird, insbesondere von den kleinen und mittleren Unternehmen. Ich stelle mir die Frage, Herr Kollege: Bleibt angesichts eines so großen Umfangs an Steuermehreinnahmen die Antwort der Union, dass die Mitte der Gesellschaft nur mit 10 Milliarden Euro Entlastung abgespeist werden soll? Ist das am Ende Ihre Botschaft an den Mittelstand in Deutschland?
({0})
Lieber Herr Kollege Dürr, Sie müssen nicht lange stehen bleiben; ich will Ihnen kurz antworten: Das ist der Unterschied zwischen Regierung und Opposition. Sie dürfen träumen, wir müssen uns an den Realitäten orientieren.
({0})
Ich sage Ihnen aber auch: Es hätte mir natürlich besser gefallen, wenn wir zum Beispiel eine Freibetragslösung gewählt hätten, durch die der Soli dann schrittweise ab 2020/21 abgeschafft würde. Dadurch hätten alle Beitragszahler von dem Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag profitiert.
({1})
Dass es nun so langsam geht und zudem mit einem Ungleichgewicht, dafür tragen auch Sie Verantwortung;
({2})
denn Sie haben sich der Regierungsverantwortung im Bund verweigert.
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Das ist die Wahrheit.
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Die FDP ist ja auch Mitglied mehrerer Landesregierungen, und die Länder leisten hier keinen Beitrag. Ich habe sie hier einmal als 16 Geier bezeichnet und wurde dafür übel beschimpft. Aber richtig ist: Die Länder weigern sich seit Jahren, ihren Beitrag zu einer Einkommensteuerreform zu leisten. Immer wieder sind es die Landesregierungen, in denen auch Sie sitzen, die ihren Beitrag verweigern und gegen Steuermindereinnahmen votieren. Statt hier unfinanzierbare Vorschläge zu unterbreiten, wäre es sinnvoller, wenn Sie einmal Ihren Einfluss im Bundesrat nutzen würden, damit wir die Zustimmung für eine Einkommensteuerreform bekommen,
({5})
mit der die Bezieher mittlerer und unterer Einkommen entlastet werden und der Mittelstandsbuckel abgebaut wird. Dafür brauchen wir die Länder. Hier sollten Sie mitmachen. Das wäre sinnvoll.
({6})
Im Bund bleibt uns eigentlich nur der Solidaritätszuschlag, an dem wir arbeiten können, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten; und genau das wollen wir. Wir wollen die Menschen in diesem Land entlasten; aber der Rücken des Bundes ist nicht unendlich belastbar. Wir müssen darauf achten, dass wir haushaltspolitisch vernünftig handeln. Wir können den Soli nicht 2020 auf einen Schlag abschaffen. Wir wollen, dass das so schnell wie möglich geschieht, aber so verantwortungsbewusst wie nötig.
({7})
Wir schreiben in dieser Legislaturperiode – das steht im Koalitionsvertrag, und das werden wir auch umsetzen – das Testament für den Soli und werden mit den Begräbnisvorbereitungen beginnen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir sind uns einig: Der Soli muss weg. Lediglich hinsichtlich des Zeitraums der Abschaffung weichen unsere Auffassungen voneinander ab. Wir, die Union, haben die Verantwortung angenommen, Sie nicht. Wir stehen für stabile Finanzen und für das Ende des Solis, aber eben auch für einen ausgeglichenen Haushalt. Aus diesem Grund müssen wir Ihren Gesetzentwurf heute ablehnen.
({9})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie, meine Damen und Herren von der FDP, sprechen sich in Ihrem Gesetzentwurf für eine Entlastung der Steuerzahler aus. Das erscheint zunächst einmal unterstützenswert. Wenn man allerdings nicht der Auffassung ist, dass nur ein armer Staat ein guter Staat ist, wie Sie das gerne betonen,
({0})
dann ist diesem Entlastungsbedarf der Steuerzahler ein anderer Bedarf entgegenzustellen, nämlich der Bedarf an Investitionen, Daseinsvorsorge und Infrastruktur. Hier muss man eine Balance herstellen, und dafür steht die seriöse Haushaltspolitik der Sozialdemokratie.
({1})
Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass in der Tat ein Entlastungsbedarf besteht, aber nicht für alle und nicht für alle gleichermaßen. Das ist der Unterschied in der Einsicht, der eine Sozialdemokratin von einem populistischen Liberalen unterscheidet. Herr Lindner warnt: „Der Soli ist das Paradebeispiel für eine schier unendliche Belastung.“ Das soll wohl ein lustiges Wortspiel sein. Die Wahrheit aber ist: Die steuerliche Belastung von Spitzenverdienern in Deutschland ist auf einem historischen Tiefpunkt. Deswegen gibt es überhaupt keinen Anlass, Spitzenverdiener weiter zu entlasten.
({2})
Wir haben ein klares Ziel. Wir wollen Entlastungen im Umfang von rund 10 Milliarden Euro sicherstellen, aber gezielt bei den Beziehern unterer Einkommen, und zwar ohne harte Abbruchkante, also ohne dass zukünftig entsprechende Lohnsteigerungen bestraft werden. Das tun wir, indem wir eine Freigrenze mit Gleitzone einführen, weil das zu einer tatsächlich sinnvollen Verteilung der zukünftigen Solidarbeiträge auf die unterschiedlich breiten Schultern führt. Ein Durchschnittsverdiener mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen in Höhe von beispielsweise 34 000 Euro würde dann beim Solidaritätszuschlag etwa 255 Euro einsparen. Das ist immerhin schon der Preis für ein schickes neues Kinderfahrrad zum Geburtstag. Das ist das, was für uns zählt.
({3})
Wir werden aber gleichzeitig 10 Milliarden Euro für notwendige Investitionen einnehmen. Wer will hier anzweifeln, dass das nicht notwendig wäre?
({4})
Wir sprechen in diesem Haus über das Auseinanderfallen von Lebensverhältnissen und die notwendige Umsetzung der digitalen Infrastruktur. Wir treffen selber politische Entscheidungen über den notwendigen Strukturwandel. Dann müssen wir ihn aber auch gestalten und die notwendigen Kompensationen bereitstellen. Deswegen brauchen wir beides: die Entlastung kleiner Einkommen und die Finanzierung von Investitionen.
({5})
Der eigentliche Clou in unserem Konzept besteht darin, dass wir 50 Prozent der notwendigen Einnahmen behalten und trotzdem 90 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten.
Jetzt kann man sich natürlich, wie Sie das tun, für all das nicht interessieren und sich lieber auf formal-juristischen Begründungen ausruhen.
({6})
Sie stellen in Ihrem Gesetzentwurf ausschließlich und damit konstruiert einen Zusammenhang zwischen dem Soli und dem Solidarpakt II her. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn auf zwei Gläsern „Erdnussbuttercreme“ steht, dann muss in beiden noch lange nicht dieselbe Erdnussbuttercreme enthalten sein. Der Solidarpakt ist die Verabredung, den ostdeutschen Bundesländern besondere Finanzmittel zum Abbau teilungsbedingter Sonderlasten durch den Länderfinanzausgleich zukommen zu lassen. Er ist aber nicht mit dem Solidaritätszuschlag zu verwechseln, der von allen Steuerpflichtigen zu entrichten ist und nicht zweckgebunden für den Aufbau Ost erhoben wird.
Da wir inzwischen in ganz Deutschland den Bedarf haben, Infrastrukturmaßnahmen in unseren strukturschwachen Regionen zu unterstützen, sagen wir: Wir übernehmen Verantwortung für dieses Land. Statt an die Zukunft des Landes zu denken, wollen Sie sich aber lieber hinter diesem Gesetzentwurf und unbestätigten Verfassungsbedenken verstecken. Das können wir nicht mittragen. Deswegen werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Als Nächster spricht in der Debatte der Kollege Kay Gottschalk von der AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Es ist erstaunlich – das bestätigt mir die gesamte Debatte; ich bin froh, dass die Menschen draußen das hören können –: Ihr Gang durch die Hierarchieebenen hat nicht nur Ihr Rückgrat gequält, sondern Ihnen auch Ihren Realitätsbezug genommen.
Frau Fahimi, haben Sie gestern eigentlich gehört, was ich gesagt habe? Sie haben hier gerade einen Durchschnittverdiener mit einem Jahreseinkommen in Höhe von 34 000 Euro angeführt. Wissen Sie bei der Sozialdemokratie überhaupt noch, dass dieser Herr oder diese Dame mit dem 1,3-Fachen schon Spitzenverdiener ist, den Sie eigentlich gar nicht mehr im Fokus haben? Erklärt das vielleicht Ihre hundsmiserablen Ergebnisse? Das ist wahrscheinlich so.
({0})
Sie, meine Damen und Herren von der FDP, betreiben hier eine Traumabewältigung der Koalitionsverhandlungen; ich komme gleich dazu. Glaubwürdigkeit können Sie hier mit Ihrer Begründung und Ihrer juristischen Ahnungslosigkeit – die unterstelle ich Ihnen nach der gestrigen Diskussion – gar nicht an den Tag legen.
({1})
Ich werde Ihnen das gleich beweisen.
Lieber Kollege Gutting von der CDU, was Sie hier betreiben, ist doch nichts anderes als Klientelpolitik und die finanzielle Erfüllung der Wahlversprechen der SPD, damit Frau Merkel Kanzlerin bleibt. Mit Ihrer eigenen Auffassung hat das, was Sie hier machen, doch schon lange nichts mehr zu tun.
({2})
Kommen wir aber zu den Fakten.
({3})
Es hätte Ihnen gestern sehr gut angestanden, meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, unserem Antrag zuzustimmen. Sie haben hier sehr verschwurbelte Argumente gebracht. Frau Fahimi hat sogar ein Argument gebracht, das ich gleich noch einmal ins Feld führen werde.
Warum ist das so? Bereits im Jahre 2011 haben wir sozusagen den Break-even-Point der Finanzierung erreicht: Das Budget des Solidarpakts II und die Einnahmen aus dem Soli hielten sich mit 12,8 Milliarden zu 12,7 Milliarden Euro in etwa die Waage. Bereits im Jahr 2012 kam der Moment, an dem der Soli mehr Geld in die Bundeskassen gespült hat, meine Damen und Herren, als für die Kosten gebraucht wurden. Die Bundesergänzungszuweisungen, die Sie aus dem Korb I kennen und die bis 2019 festgelegt worden sind, waren zu dem Zeitpunkt durch die Einnahmen schon deutlich überschritten. Der Kollege hat den Korb II genannt. Diesen Korb will ich hier gar nicht anführen. Im Klartext: Seit 2012 ist der Soli ein Etikettenschwindel der besonderen Art, da der Bund seit diesem Zeitpunkt mehr Geld aus dem Soli einnimmt, als er für den Solidarpakt aufwendet.
Kommen wir nun aber zu den Einnahmen, die wir hatten. Es sind im letzten Jahr 17,45 Milliarden Euro gewesen.
({4})
– Nein, das ist es nicht.
Man muss dabei auch Folgendes berücksichtigen – das kommt noch hinzu; daran sieht man, wie die FDP irrlichtert –: Der deutsche Staat erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Haushaltsüberschuss in Höhe von 38,4 Milliarden Euro. Der Staat erzielte im Jahr 2016 einen Überschuss in Höhe von 24 Milliarden Euro.
({5})
Der Staat erzielte im Jahr 2015 einen Überschuss in Höhe von 19 Milliarden Euro.
({6})
Ich höre jetzt mit den Überschüssen auf. Diese drei Zahlen belegen, dass der Überschuss schon über den Spitzeneinnahmen des letzten Jahres in Höhe von 17,45 Milliarden Euro lag.
Meine Damen und Herren, wenn Sie Ihr sogenanntes liberales Herz hier pochen hörten, hätten Sie gestern unserem Antrag auf sofortige Abschaffung zustimmen müssen. Damit hätten Sie sich für ein Mittel zur strukturellen Haushaltssanierung in diesem Hause entschieden – und nicht dafür, Wahlkampfversprechen umzusetzen und Klientelpolitik zu betreiben.
({7})
Keines Ihrer Argumente zieht. Sie haben dann tatsächlich juristische Argumente angeführt. Verehrter Kollege Herbrand, Sie wollten den Zusammenhang herstellen – damit haben Sie es auch unterbunden, uns zuzustimmen –, der Soli habe tatsächlich etwas mit dem Ende des Solidarpakts II zu tun.
Wenn Sie die Legaldefinition von Steuern nicht kennen, will ich Ihnen gerne Nachhilfe geben und von der Seite der Bundesregierung zitieren:
Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag …
– aktuell sind das rund 17,45 Milliarden Euro pro Jahr –
fließen ausschließlich dem Bund zu. Der „Soli“ wird unbefristet erhoben.
Das haben wir diskutiert.
So hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Erhebung oder Änderung des Soli bedarf daher nicht der Zustimmung des Bundesrates.
…
In Deutschland
– das wissen Sie –
gibt es keine zweckgebundene Steuer. Auch die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag sind entgegen der weit verbreiteten Annahme
– offensichtlich auch bei Ihnen von der FDP –
… – etwa für den Ausbau der Infrastruktur –
zu verwenden.
({8})
Das heißt: Ihr Argument dafür, uns gestern nicht zu folgen, zeigt recht deutlich, dass Sie hier nur, um billige Scharmützel und Ihre Traumabewältigung mit der CDU und den Grünen zu betreiben,
({9})
Entsprechendes aufgeführt haben, um unserem Antrag nicht zuzustimmen. Das entlarvt eigentlich, was Sie wollen.
Im Übrigen: Sie betrachten sich zwar als Innovationspartei. Vielleicht war aber der andere Grund, dass Sie einfach zu faul waren, etwas Neues zu machen.
({10})
Was Sie heute hier einbringen, sollten Sie kennen; denn es stand 2013 schon in Ihrem sogenannten Bürgerprogramm, mit dem Sie bei den Bundestagswahlen ja glorreich auf die Nase gesegelt sind.
({11})
Lassen Sie uns also lieber in der Föderalismuskommission eine grundlegende Änderung des Länderfinanzausgleichs herbeiführen sowie versteckte Steuern abbauen und entsprechend den Solidaritätszuschlag heute abschaffen.
Sie können nach wie vor unserem Antrag beispringen und Ihren Antrag ändern und umformulieren.
({12})
– Doch, das könnten Sie tun, wenn Sie etwas gelernt hätten. Dann wären Sie glaubwürdig. Dann hätten Sie heute tatsächlich etwas für die Steuerzahler erreicht.
In einem stimme ich Ihnen zu. Für Ihre Klientel, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sind wir auch da. Den KMUs würde es helfen, wenn der Solidaritätszuschlag heute abgeschafft würde und nicht erst in 2019 oder, wie die Regierung es will, in 2021.
({13})
Das sind hehre Versprechungen. Warten wir einmal ab, welche Flüchtlingskrise oder andere außergewöhnliche Belastung wieder dazwischenkommt, damit Sie hier erneut Realitäts- und Vollzugsverweigerung betreiben, sodass der Soli vielleicht noch in 2025 besteht.
Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.
({14})
Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute schon den zweiten Tag über Steuersenkungen für Besserverdienende. Ich finde das ist wirklich zu viel, meine Damen und Herren.
({0})
Die AfD und die FDP wollen den Solidaritätszuschlag abschaffen. Das ist nicht verwunderlich. Denn für beide Parteien ist ein starker Sozialstaat Teufelszeug. Ihr Mantra lautet: Steuersenkung – koste es, was es wolle.
Sie wollen einen schwachen Staat, weil Sie immer noch glauben – insbesondere Sie von der FDP –, dass der Markt alles regeln könne. Können Sie sich denn nicht zehn Jahre zurückerinnern? Dieser Irrglaube, diese Marktgläubigkeit, ist doch spätestens seit der Bankenkrise 2008 gründlich widerlegt.
({1})
Die Banken haben Milliarden verzockt, und der Staat – also die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes – hat die Banken gerettet. Ich finde, das darf sich auf keinen Fall wiederholen.
({2})
Die FDP behauptet nun, mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlages wolle sie die Bürger entlasten. Doch welche Bürger meinen Sie?
({3})
– Nein, Sie entlasten nicht alle. Ein Single muss mehr als 1 500 Euro brutto im Monat und eine vierköpfige Familie mehr als 4 000 Euro verdienen, um überhaupt den Soli zahlen zu müssen. Diese Menschen werden durch die Abschaffung des Soli nicht entlastet.
Was Sie wirklich wollen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist: Sie wollen die Reichen – das reichste Zehntel – in unserem Land weiter entlasten.
({4})
Das ist bekanntermaßen die Spezialität der FDP: Denen, die schon jetzt nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld, wollen Sie noch mehr Geld geben.
Ich dachte, Sie hätten aus der Mövenpick-Spende gelernt, die dazu geführt hat – falls es jemand vergessen haben sollte –, dass Sie damals in den Koalitionsverhandlungen die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen durchgesetzt haben.
({5})
Ich dachte, Sie hätten aus dieser Mövenpick-Spende gelernt.
({6})
Sie sind seitdem die Mövenpick-Partei, und ich denke, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sollten das nicht vergessen.
({7})
Als Haushälterin muss ich mich auch wundern, dass Sie mutwillig Lücken in den Haushalt reißen wollen, ohne Ideen zu haben, wie Sie diese Lücken schließen können. Denn nur auf eine brummende Konjunktur zu setzen, ist ziemlich fahrlässig, meine Damen und Herren.
({8})
Auch die Koalition will den Solidaritätszuschlag abschaffen. Sie lässt sich aber etwas mehr Zeit dafür. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir auf den Kardinalfehler des Koalitionsvertrages zu sprechen kommen, der durch die Abschaffung des Solis noch verstärkt wird: Sie waren wieder nicht bereit, eine wirklich gerechte Steuerreform durchzuführen. Das ist aber die eigentliche Aufgabe, vor der dieses Land steht, meine Damen und Herren.
({9})
45 Deutsche besitzen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Das kann doch nicht gerecht sein. So kann sich ein Land nicht gut entwickeln, und hier muss man ansetzen.
({10})
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sind doch mit dem Versprechen einer Vermögensteuer und der Forderung nach mehr Gerechtigkeit in den Wahlkampf gezogen. Das ist heute leider alles vergessen.
Anders die Bundeskanzlerin: Sie hat den sogenannten Familienunternehmen im Wahlkampf versprochen, dass es keine Vermögensteuer geben wird. Punktsieg für die Kanzlerin – wieder einmal. An dieser Stelle muss man für die Öffentlichkeit eines sagen: „Familienunternehmen“ ist ein niedliches Wort. In anderen Ländern nennen wir sie „Oligarchen“, und das trifft es viel besser.
({11}): Ui, ui, ui! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Russland zum Beispiel!)
Ohne eine wirklich gerechte Steuerreform werden wir in diesem Land auch keine gerechte Gesundheitspolitik, keine gerechte Arbeitsmarktpolitik und keine gerechte Rentenpolitik erreichen können.
({12})
Meine Damen und Herren, wir haben gegenwärtig Haushaltsüberschüsse. Wir haben die Möglichkeit, in Solidarität zu investieren. Dafür steht Die Linke: für ein solidarisches und soziales Land.
({13})
Dafür kämpfen wir.
Herzlichen Dank.
({14})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, wir reden jetzt zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden über die Abschaffung des Solis, und wir haben gelernt: Der Unterschied zwischen der AfD und der FDP besteht in 365 Tagen. Die FDP möchte den Soli ein Jahr später abschaffen.
Gestern habe ich erläutert, warum die Abschaffung aus Sicht der AfD durchaus sinnvoll ist: Sie verschärft die soziale Schieflage und den Investitionsstau in diesem Lande. Das ist zwar schlecht für Deutschland, aber es ist natürlich Wasser auf Ihre populistischen Mühlen, und darauf kommt es Ihnen an.
({0})
Es stellt sich aber die Frage, warum die FDP dabei mitmacht. Warum macht sie sich jetzt selber so klein und zum Steigbügelhalter der AfD?
({1})
Ich habe den Eindruck, Sie können einfach nicht anders.
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– Ich mache heute weiter.
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Die neue FDP ist schlichtweg die alte FDP. So einfach ist das. Sie sind die Partei der Klientelpolitik.
({4})
Es gibt vielleicht einen Unterschied: Die Mövenpick-Steuer hat 2009 nur 1 Milliarde Euro gekostet; mit diesem Antrag aber wollen Sie – und damit wollten Sie uns auch in den Jamaika-Verhandlungen erpressen – Ihrer Klientel der Reichen und Besserverdienenden ein 20-Milliarden-Euro-Steuergeschenk machen.
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Am Dienstag beschwerte sich Herr Lindner – ich habe es gehört –, manche täten so, als wenn nur die Geissens dieser Welt gerettet werden sollten, und dass nur die von der Abschaffung des Soli profitieren würden, stimme ja nicht. – Dann nehmen wir doch einmal die Geissens: Wie stark würden sie denn profitieren, wenn sie ihren Wohnsitz in Deutschland hätten?
Nun, es ist ganz einfach: Nach Aussage des „VermögenMagazins“ haben die Geissens zurzeit ein normales Einkommen in Höhe von 2 Millionen Euro im Jahr. Bei diesem Einkommen müssten sie in der Tat 50 000 Euro weniger Steuern im Jahr zahlen, wenn wir Ihrem Vorschlag folgten und den Soli abschafften. Schauen wir einmal, was eine Familie ebenfalls mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen in Höhe von 50 000 Euro von der Abschaffung des Soli hätte. Diese Familie profitierte null Euro von einer solchen Abschaffung. Genau das ist das Problem.
({6})
Die Wahrheit ist: Die FDP will den 20 Prozent Deutschen, die am besten verdienen, 80 Prozent der Entlastung zuschustern. Sie verkaufen das auch noch als Wohltat für das ganze Land. Hören Sie endlich auf, die deutsche Bevölkerung für dumm zu verkaufen!
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Ich habe noch einen Tipp für Sie von der kleinen GroKo. Sie könnten Ihren missglückten Start korrigieren, wenn Sie, statt den Soli um 10 Milliarden Euro abzusenken, mit dem Geld den Hartz-IV-Regelsatz nur um 50 Euro erhöhen würden. Damit würden Sie zeigen, dass Sie in der Armutsdebatte wirklich etwas verstanden haben.
({8})
Die FDP trägt nun hilfsweise vor, die Soliabschaffung sei wichtig, damit die Unternehmen die dringend nötigen Investitionen in die Digitalisierung machen könnten. Ich appelliere an Sie: Wenn Sie als Partei weiterhin ernst genommen werden wollen, dann sollten Sie nicht jede Woche eine andere Steuersenkung mit der Digitalisierung begründen.
({9})
Letztes Mal war von einer Sonder-AfA die Rede. In dieser Woche ist es der Soli. Sie sollten sich entscheiden. Im Übrigen braucht eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie mehr als ein Füllhorn von Steuersenkungen der FDP.
({10})
Ich habe mir die Zahlen genau angeschaut und will sie Ihnen nicht vorenthalten. Die Gewinne der Kapitalgesellschaften in Deutschland beliefen sich im vergangenen Jahr auf 550 Milliarden Euro. Die ausgeschütteten Gewinne im letzten Jahr wurden auf 350 Milliarden Euro beziffert. Der gezahlte Soli auf die zu entrichtende Körperschaftsteuer belief sich auf ganze 2 Milliarden Euro.
({11})
Wie der Wegfall dieser 2 Milliarden Euro den Investitionsschub bringen soll, können selbst Sie angesichts der anderen Zahlen nicht begründen.
({12})
– Ich habe die Zahlen zur Körperschaftsteuer genannt.
({13})
Richtig ist – ein versöhnliches Ende –: Die FDP und die CDU/CSU stehen bei der Bevölkerung tatsächlich im Wort – das hatten Sie angesprochen –, weil sie unter Helmut Kohl das Versprechen abgegeben hatten, dass es den Soli nur zeitlich befristet geben soll.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gottschalk?
Ich komme zum Schluss. – Aber genauso richtig ist, dass nach zwölf Jahren Regierung Merkel die unteren 40 Prozent der Bevölkerung nach Abzug der Inflation heute weniger Geld haben als damals. Dafür tragen Sie ebenfalls Verantwortung.
({0})
Deshalb darf es keine – wie auch immer herumgedoktert wird – gänzliche Abschaffung des Soli geben. Was wir brauchen, ist ein Gesamtpaket mit einer fairen Reform der Einkommensteuer, einer Entlastung von Abgaben und Steuern zugunsten der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und einem höheren Spitzensteuersatz ab 100 000 Euro statt wie bisher schon ab 55 000 Euro.
Herzlichen Dank.
({1})
Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Sebastian Brehm von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch genau an den 17. Juni 1988. Es war damals der Tag der Deutschen Einheit. Die Junge Union warb mit einem Infostand in meiner Heimatstadt Nürnberg für die Wiedervereinigung unseres Landes. Fast alle Parteien hatten zu diesem Zeitpunkt das Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands bereits aufgegeben. Ein Jahr später, 1989, fiel die Mauer, und 1990 war Deutschland wiedervereint. Die Wiedervereinigung war und ist ein Glücksfall für unser Land.
({0})
Gerade in einer Diskussion wie der heutigen ist es Zeit, denjenigen Danke zu sagen, die mit ihrem Solidarbeitrag die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht haben. Wir können stolz sein auf die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, übrigens auch auf die Mittelständler in unserem Land. Sie sind das Rückgrat der Gesellschaft, liebe Kollegin Lötzsch, und keine Oligarchen.
({1})
Diese Leistung entspricht den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Jeder trägt seiner Leistungsfähigkeit entsprechend Verantwortung für unser Land, verbunden mit der Verpflichtung einer umsichtigen Haushalts- und Finanzpolitik.
Diese Grundprinzipien der umsichtigen Haushalts- und Finanzpolitik leiten uns auch hier bei dieser Diskussion.
Schon in der gestrigen Debatte über den Antrag der AfD zur Verfassungsmäßigkeit des Solis haben wir hinnehmen müssen, dass der Grundgedanke der solidarischen Bürgergesellschaft, die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, zugunsten von alternativen Fakten und falschen Darstellungen der Lebenswirklichkeit aufgegeben wurde. Der Kollege Gottschalk hat es ja heute auch noch einmal bewiesen.
Herr Gottschalk, Sie sprachen vorhin von Ahnungslosigkeit. Der Kollege Glaser von der AfD hat gestern erwähnt, dass Lesen bildet; er bezog sich dabei auf den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichtes. Aber ich glaube, er hat ihn nicht gelesen; denn das, was er wiedergegeben hat, war völlig falsch und entspricht nicht der Rechtslage des heutigen Steuerrechts.
({2})
Deswegen muss man das hier korrigieren. So viel zum Thema „Wahrheit und Ahnungslosigkeit“, wie Sie es erwähnt haben, Herr Gottschalk.
({3})
Der Soli ist auch weiterhin verfassungskonform.
Auch Ihre Antragstellung – die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab dem 1. Januar 2020 –, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, basiert allein auf politischem Kalkül, und Sie wissen das. Auf 20 Milliarden Euro auf einen Schlag zu verzichten, ohne Gegenfinanzierung und ohne dass wir die Dinge angehen, die wir angehen müssen: Damit riskieren Sie die Erreichung des Ziels des ausgeglichenen Haushalts. Das ist kein gutes Signal für die neue, für die junge Generation in unserem Land.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie hätten Ihren Beitrag im Rahmen von Jamaika ja leisten können. Doch anstatt die Probleme für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land anzugehen, haben Sie hingeschmissen. Das ist doch die Wahrheit.
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Das ist zu einfach: erst hinschmeißen und dann kritisieren. Sie haben Angst gehabt, zu handeln. Sie haben Angst gehabt vor der Verantwortung. Dann überlassen Sie es jetzt auch bitte denjenigen, die die Verantwortung übernommen haben: CDU, CSU und SPD.
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Natürlich ist es auch unser Ziel, mit dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 den Prozess der Abschaffung des Solidarzuschlags unmissverständlich einzuleiten; da sind wir uns, glaube ich, alle einig.
Mit der Abschaffung des Solis bekommen insbesondere die kleineren und mittleren Einkommen, die Mitte, die Sie erwähnt haben, aber eben leider keine Entlastung. Wie Sie sicherlich wissen, greift der Soli bei einer Familie – Eltern verheiratet, zwei Kinder, Steuerklasse III – erst bei einem Bruttoeinkommen von 51 852 Euro. Sie betrifft eben nicht die Mitte der Gesellschaft, wie Sie es erwähnen, sie betrifft nicht die Krankenschwester, nicht den Polizisten, nicht die Kindergärtnerin, übrigens aber auch nicht den Handwerker und den von Ihnen erwähnten Kleinunternehmer.
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Sind Sie der Meinung, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD und der FDP, dass die gerade Erwähnten keine Leistungsträger unserer Gesellschaft sind? Verdienen nicht auch sie eine Entlastung durch unsere Steuergesetzgebung? Ich glaube, schon.
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Uns als CDU und CSU geht es um einen gesamtwirtschaftlichen klugen Ansatz, mit Investitionen in unsere Zukunft. Wir wollen eine ausgewogene Politik und Entlastungen für alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.
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Deswegen war es uns als CDU und CSU wichtig, aus Überzeugung das eine, nämlich die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, einzuleiten, und das andere, die Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen, eben nicht sein zu lassen. Im ersten Schritt kommt es zu einer Entlastung von rund 90 Prozent aller Zahler des Solidaritätszuschlags.
({10})
Wir geben damit über 10 Milliarden Euro an die Bürgerinnen und Bürger zurück. Das ist eine der größten Steuerentlastungen in den letzten Jahren hier in der Bundesrepublik Deutschland.
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Mit dieser stufenweisen Abschaffung des Solidaritätszuschlags haben wir einen wichtigen Handlungsspielraum für zukunftsgerichtete Politik: Erhöhung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags, Einführung einer vielschichtigen Förderung von Wohneigentum – Stichwort: Baukindergeld, Grunderwerbsteuer –, 7 Milliarden Euro für bessere Bildungschancen und Digitalisierung,
({12})
notwendige Investitionen in die Infrastruktur, steuerliche Anreize für Existenzgründer, Innovations- und Forschungsförderung für den Mittelstand, Abmilderung der kalten Progression – immer mit der festen Zusage, einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein wuchtiges Programm.
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Aber zu einer zukunftsfähigen Politik gehört auch, dass wir schon jetzt den zweiten Schritt mitdenken, das heißt eine definitive Zeitplanung für die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags für alle Einkommen, auch für Kapitalgesellschaften.
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Darüber werden wir sprechen, und ich glaube, auch darüber werden wir eine Einigung finden.
Leistung muss sich in unserem Land wieder lohnen,
({15})
aber mit Vernunft und Augenmaß und mit einem finanziell stabilen Gesamtrahmen. So wollen wir die Dinge anpacken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernhard Daldrup von der SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns bereits in der letzten Wahlperiode über die Frage unterhalten, was wir in dieser Wahlperiode mit dem Solidaritätszuschlag machen werden, wenn der Solidarpakt ab 2019 ausläuft. Mit anderen Worten: Die Debatte ist eigentlich nicht neu. Neu ist die Art und Weise, wie zwei Fraktionen hier miteinander streiten und sich kabbeln.
Wir haben uns nach der Bundestagswahl mit der CDU/CSU auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, und zwar unter Verzicht auf Winken vom Balkon. Das Ergebnis lautet: Wir schaffen den Soli ab 2021 mit einem Volumen von zunächst 10 Milliarden Euro für breite Schichten der Bevölkerung – nicht nur für ein bestimmtes Klientel – ab. Wir werden 90 Prozent aller Soli-Zahler vollständig vom Solidaritätszuschlag befreien; das wurde hier schon vorgetragen. Die entsprechenden Zahlenbeispiele wurden heute und gestern wiederholt genannt; ich muss sie nicht noch einmal darstellen.
Wir tun etwas für die Menschen in der Mitte der Gesellschaft;
({0})
denn Geringverdiener sind vom Solidaritätszuschlag sowieso nicht betroffen. Wir tun das, nicht die Opposition, nicht die FDP, die schon mal gar nicht. Das hätte sie bis 2013 machen können; Herr Gutting hat darauf hingewiesen. Wir machen das, und das ist wichtig. Eines machen wir nicht: Wir entlasten nicht diejenigen mit hohen und höchsten Einkommen. Das wollen Sie. Wir wollen das nicht. Das ist ein Unterschied. Ich bin sehr froh, dass dieser Unterschied heute deutlich wird. Wir haben nichts dagegen – im Gegenteil.
({1})
Klar ist: Wenn einer einen Vorschlag macht, dann beginnt ein Wettlauf nach dem Motto: Wer entlastet denn am schnellsten? – Dementsprechend hat die AfD gestern den Staffelstab für heute an die FDP übergeben. Ich weiß, dass das der FDP irgendwie peinlich ist; und ich finde: zu Recht.
Ich möchte drei Punkte aus dem Gesetzentwurf der FDP ansprechen.
Erstens. Sie nennen die fehlende Legitimation und stellen nur einen direkten Zusammenhang zwischen Solidaritätszuschlag und Solidarpakt her. Das ist aber falsch. Der Solidarpakt ist der Finanzrahmen für Aufbauleistungen in Ostdeutschland gewesen. Der Solidaritätszuschlag kann zwar deshalb nicht unverändert bleiben – das bleibt er ja auch nicht –, aber er ist eine Steuer zur Finanzierung besonders schwieriger Aufgaben des Staates. Er läuft nicht aus, wenn besondere Herausforderungen weiterhin bestehen; und das ist der Fall.
({2})
Zweitens. Sie prognostizieren Verfassungswidrigkeit für den Fall der Fortsetzung des Soli. Was die AfD gestern fälschlicherweise für die Vergangenheit festgestellt hat, das stellen Sie sozusagen schon jetzt für die Zukunft fest. Etwas weniger Hybris wäre gut; denn Fraktionen mögen ihre Meinung haben, aber über Verfassungswidrigkeit entscheiden sie nicht.
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Drittens. Jetzt komme ich zum Kern. Sie sagen, die Vollendung der deutschen Einheit als Begründung des Solidaritätszuschlages sei mit dem Auslaufen des Solidarpaktes eindeutig erreicht worden. Das ist, glaube ich, sogar besonders falsch. Die Finanzierungsnotwendigkeit für den Solidarpakt mag entfallen, die Aufgabe bedauerlicherweise nicht. Sie stellt sich sogar neu: Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland verlangt von Staat und Gesellschaft besondere finanzielle Anstrengungen. Das betrifft mittlerweile leider nicht nur den Osten, sondern auch andere Regionen, und zwar nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedürftigkeit, und die gibt es leider auch in Teilen der alten Bundesländer. Ich empfehle Ihnen einen Blick in den Raumordnungsbericht.
({4})
Es gibt Marktversagen in diesem Land. Das erfordert staatliches Handeln und besondere finanzielle Aktivitäten, wenn Sie gleichwertige Lebensverhältnisse erreichen wollen. Wir wollen sie. Wir werden dieses Verfassungsziel hier im Parlament, in der Kommission und im Ausschuss mit besonderen Maßnahmen verfolgen, beispielsweise durch Hilfen bei Altschulden oder mit einem gesamtdeutschen Fördersystem für Wachstum und Innovation. Wir werden uns dieser Aufgabe stellen. Überdies entlasten wir – im Gegensatz zu Ihnen – die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen durch Milliardenprogramme für Bildung, Infrastruktur, Kindergeld usw. Das alles ist hier dargestellt worden. Und das, meine Damen und Herren, ist eine sehr begründete Form von Solidarität, die dem Gedanken des sozialen Rechtsstaats, unseres Grundgesetzes entspricht.
({5})
Darauf müssten wir verzichten, wenn wir jetzt, wie die FDP das fordert, die Steuern für hohe Einkommen senken würden. Aber das tun wir nicht. Und Sie, meine Damen und Herren von der FDP, tun das auch nicht; denn Sie sind Opposition, und das soll so bleiben, und das ist auch gut so.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/1038 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Spanien haben in diesem Jahr am Internationalen Frauentag 5 Millionen Frauen gestreikt. Unter dem Motto „Ohne uns steht die Welt still!“
({0})
– Applaus; das sehe ich auch so – legten Erzieherinnen, Journalistinnen, Verkäuferinnen und viele mehr ihre Arbeit nieder. Ich kann dazu nur gratulieren und wünsche mir, dass sich dieser Widerstand gegen ungleiche Entgeltstrukturen auch in Deutschland formiert.
({1})
Gerade hier in Deutschland ist die Lohnlücke im europäischen Vergleich besonders eklatant. Der deutsche Niedriglohnsektor beruht zu wesentlichen Teilen auf Lohndiskriminierung gegenüber Frauen. Im Zurückdrängen der Agenda 2010 liegt also ein zentraler Hebel zur Verbesserung der Lage.
({2})
Dass Frauen in Deutschland durchschnittlich 21 Prozent weniger Lohn beziehen als Männer, ist solide nachgewiesen. Der Equal Pay Day verbildlicht diese Zahl. Seit vielen Jahren schließt sich die Einkommensschere kaum bis gar nicht, und dieses Problem ist keine Frage alternativer Statistiken, sondern politisches Versagen.
({3})
Die Abwertung der Arbeit von Frauen fängt bereits bei der durchweg niedrigeren Honorierung sozialer Arbeit an und drückt sich auch in der ungleichen Verteilung von bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern aus. Diese gravierende ungeklärte Gerechtigkeitslücke verschärft Armutslagen, und das weit über das Erwerbsleben der unmittelbar Betroffenen hinaus. Mit dem Eintritt ins Rentenalter wird aus der Lohnlücke von 21 Prozent eine Rentenlücke von über 50 Prozent. Altersarmut trifft vorwiegend Frauen, mit einer Härte, die tatsächlich unerträglich ist. Was ist daran fair? Überhaupt nichts!
({4})
Trotz dieser eindeutigen Befunde erleben wir, wie massiv der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen als Scheindebatte oder weibliches Selbstverschulden abgetan wird. Von Mythenbildung ist die Rede oder von der Realitätsferne des sogenannten schwachen Geschlechts – da haben wir es wieder! –, und zu jedem Beispiel geschlechtsspezifischer Diskriminierung gibt es eingespielte, oft zynische Abwehrargumente. Dabei ist es doch so: Frauen und die von ihnen besonders geprägten Berufe werden in etlichen Bereichen strukturell benachteiligt und zurückgesetzt, eben weil sie Frauen bzw. weil es Frauenberufe sind, und ich bin diese Logiken überaus leid.
({5})
Wir haben das Jahr 2018. Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit müsste selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Die Bundesregierung antwortete darauf in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Entgelttransparenzgesetz. Dieses Gesetz, das umfassender geplant war, wurde im Zuge der Beratungen weitgehend durchlöchert und unwirksam gemacht. Es schafft individuelle Klagemöglichkeiten und dürftige Auskunftsrechte, und das in Betrieben ab 200 Beschäftigten. Es ist ein Gesetz, das keine Sanktionen vorsieht und zwei Drittel aller Frauen von vornherein ausschließt. So, werte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union, arbeitet man völlig an der Realität der Menschen vorbei.
({6})
Die erforderlichen Schritte liegen auf der Hand; unser Antrag fasst sie zusammen: Wir brauchen einen Auskunftsanspruch unabhängig von der Größe des Betriebs. Wir brauchen die Einführung von Geldbußen, um Fälle von Entgeltdiskriminierung wirksam zu ahnden, und die Einführung eines Verbandsklagerechtes, damit Betroffene einen effektiven Rechtsschutz bekommen.
({7})
Es ist absurd, zu glauben, dass ein Individualklagerecht gegen kollektive Benachteiligung Berge versetzen wird.
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In diesem Sinne wollen wir auch die Antidiskriminierungsstellen, Betriebs- und Personalräte, die Frauenbeauftragten und Gewerkschaften stärken, um endlich voranzukommen. Tatsächlich schützt Tarifbindung gerade Frauen etwa im Bereich der Pflege, wo die Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse keiner unmittelbaren Tarifbindung unterliegt. Hier wäre es ein wichtiger Schritt, dafür zu sorgen, dass wir dahin kommen, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. So schwer ist das nicht.
({9})
Meine Damen und Herren, ich sage es zum Abschluss noch einmal: Die 21 Prozent Lohnunterschied müssen verschwinden. In diesem Sinne unterstützen ich und meine Fraktion alle Frauen und Männer, die sich jetzt gerade vor dem Brandenburger Tor versammeln und dafür eintreten, dass diese Zahl zum Schmelzen gebracht wird.
Vielen Dank.
({10})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Groden-Kranich von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich freue mich, dass bei dieser Debatte ganz viele junge Menschen anwesend sind, weil es auch ihre Zukunft betrifft.
Das Thema Entgelttransparenz begleitet uns seit vielen Jahren und mich selbst, seit ich dem Deutschen Bundestag angehöre. Wir haben im letzten Jahr das Gesetz zur Entgelttransparenz verabschiedet. Das war den Wirtschaftsverbänden, wie erwartet, natürlich alles zu viel, und den Frauenverbänden natürlich viel zu wenig. Die Wahrheit liegt, wie immer, in der Mitte. Im Übrigen ist das Gesetz erst seit letztem Sommer in Kraft, und der individuelle Auskunftsanspruch gilt erst seit Anfang Januar. Also lassen wir dem Gesetz auch ein wenig Zeit, um überhaupt erst einmal dort zu wirken, wofür es vorgesehen ist.
Das Anliegen an sich – gleicher Lohn für gleiche Arbeit – ist ungebrochen wichtig. Die Debatte dreht sich aber – so haben wir es auch gerade wieder gehört – eher im Kreis; denn die im Antrag der Linken vorgebrachten Argumente sind zum großen Teil nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Jede Ungleichheit beim Lohn wird als direkte oder zumindest strukturelle Diskriminierung gesehen. Es werden vor allem mehr Berichtspflichten, Prüfungen und Klagerechte gefordert. Aber Frauen nur als Opfer zu sehen und Unternehmen nur als die Bösen, bringt uns kein bisschen weiter.
({0})
Lassen Sie uns genauer hinschauen und klügere Lösungen entwickeln. Die Gründe für das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen sind vielschichtig und größtenteils bekannt: die Berufswahl, die Unternehmensgröße, die Erfahrung, der Stundenumfang, die Position, Flexibilität, aber auch – das gilt auch für den öffentlichen Dienst – die Eingruppierung. Daher gibt es auch einen breiten Konsens, dass viele dieser Ursachen auch viele Ansätze zur Behebung benötigen.
Das neue Entgelttransparenzgesetz kann, selbst wenn wir verschiedene Parameter verschärfen würden, immer nur ein Steinchen im Mosaik „Lohngerechtigkeit“ sein. Viele Maßnahmen setzen leider erst ein, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, auch die aus dem vorliegenden Antrag der Linken: so bei berufstätigen Frauen, die zu spät merken, dass andere Berufe, andere Firmengrößen, andere Karrierewege höhere Einkommen ermöglicht hätten, und bei berufstätigen Müttern, wenn sich ergab, dass der Mann der Hauptverdiener ist, der Vollzeitarbeiter, und generell derjenige ist, der sich ums Geld kümmert –
({1})
eine Haltung, die ich mit großer Sorge auch bei vielen jungen Frauen heute wieder beobachte. Aber das müsste nicht sein.
Mein Petitum ist daher: Wir müssen schon bei den Mädchen anfangen, und zwar ab der Grundschule. Das geht nur über die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Erzieherinnen und Erzieher. Die Lohnlücke schließen wir auch, wenn wir Frauen stärken, sich finanziell unabhängig zu machen, wenn wir sie stärken, selbst Karriere zu machen – in Voll- oder in Teilzeit, egal in welchem Beruf –, und wenn wir Frauen ermuntern, selbst für ihr Alter vorzusorgen. Dazu müssen wir aber bei den Mädchen anfangen und bei denen, die Mädchen sozusagen die Welt erklären und sie in ihrer Selbstwahrnehmung und ihrer Selbstwertschätzung prägen.
Wir haben die Familienpolitik mit Elterngeld Plus und Co in den letzten Jahren deutlich verbessert. Nun sind aber auch die Unternehmen gefragt. Familienfreundlichkeit, die verschiedenen Arbeitszeitmodelle müssen ein wichtiges Thema für alle Firmen sein, egal in welcher Größe und Branche, insbesondere dann, wenn sie über Fachkräftemangel klagen. Echte Lohndiskriminierung muss bestraft werden. Dazu haben wir eine Vielzahl von Gesetzen. Vor allem die bereinigte Lohnlücke muss weiter geschlossen werden.
Wenn wir uns mit anderen europäischen Ländern vergleichen – Sie haben Spanien angesprochen –, dann müssen wir genauer hinschauen. Wenn man nämlich die Erwerbstätigkeitsquote einbezieht, steht zum Beispiel Italien sehr schlecht da und Deutschland sehr gut. Man muss es nur berücksichtigen. Es stimmt auch nicht, wie im Antrag der Linken gleich zu Beginn behauptet wird, dass Frauen nicht die gleichen Chancen wie Männer haben. Sie hätten sie, aber sie nehmen sie aus den verschiedensten Gründen leider oftmals nicht wahr.
({2})
Ich bitte Sie und uns alle, dabei ehrlich zu sein.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Verstehe ich Sie richtig, dass die Frauen und jungen Mädchen im Prinzip selbst schuld sind, dass ihre Lebensumstände so sind, dass sie miserabel bezahlt werden, und nicht die Unternehmen? Es sind nicht die Hungerlöhne daran schuld, sondern die Frauen, weil sie sich nicht anders ausbilden und sich nicht selbst um ihr Leben kümmern? Habe ich Sie richtig verstanden? Sie sprechen von altem Wein in alten Schläuchen, und ich frage Sie: Sind diese Erklärungen nicht genau das?
({0})
Das ist die Einfachheit der Welt, wie sie sich Die Linke gerne zu eigen macht. Nein, es ist eben nicht so, und Sie haben mich extra nicht verstehen wollen.
({0})
Jungen Mädchen zu sagen, was sie machen sollen und weshalb sie sich beklagen sollen, ist das eine. Aber wir müssen sie auch stark machen. Dafür werben wir. Wir werben dafür, dass die Chancen tatsächlich gleich sind. Insofern freue ich mich, dass auch junge Frauen hier auf der Tribüne sitzen. Ich werbe dafür, dass wir von diesen derzeit sehr aktuellen Bildern auch ein Stück weit wegkommen. Die Wirklichkeit ist nicht schwarz-weiß. Die Wirklichkeit besteht aus einer Vielzahl von Bildern.
({1})
Die Stärke unserer Gesellschaft ist, dass wir diese unterschiedlichen Familienmodelle, diese unterschiedlichen Berufsmodelle leben können. Wir möchten Frauen nicht vorschreiben, welchen Beruf sie ergreifen müssen oder sollen. Aber wir müssen sie stark machen, damit sie wissen, was die Folgen ihrer Entscheidung sind. Das ist unsere Aufgabe, das ist Aufgabe von Politik, und das ist der Spagat zwischen Freiheit und sozialistischer Planwirtschaft.
({2})
Es liegt auch an uns. Die Linken sollten einmal schauen, wie sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, wer von ihnen gerade junge Frauen in Minijobs anstellt. Wer in Ländern dafür stimmt, dass es Zeitverträge bei gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern gibt, der darf sich nicht wundern.
({3})
– Das ist in Rheinland-Pfalz, wo die SPD an der Regierung ist, leider seit vielen Jahren der Fall.
({4})
Frau Kollegin, lassen Sie noch eine Zwischenfrage von einer Kollegin der Grünen zu?
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Sie suggerieren immer wieder, dass es darum geht, dass Mädchen, junge Frauen stark gemacht werden, dass sie andere Berufswege gehen usw. Jetzt muss ich aber einmal klar fragen: Ist Ihnen bewusst, dass es nicht darum geht, dass zum Beispiel die Pflegeberufe schlechter bezahlt werden als die MINT-Berufe, sondern darum, dass in der Pflege die Männer besser bezahlt werden als die Frauen und in den MINT-Berufen die Männer auch besser bezahlt werden als die Frauen? Das ist das Problem.
({0})
Ich habe hier gerade die Antwort auf eine Kleine Anfrage vor mir liegen – sie ist noch nicht öffentlich –, die ich gestellt habe und in der zum Beispiel steht, dass Frauen in den Bereichen Information, Kommunikation 25 Prozent weniger verdienen als Männer, im Gesundheits- und Sozialwesen 21 Prozent. Das sind Zahlen der Bundesregierung.
Ich möchte noch einmal nachfragen: Geben Sie mir recht, dass das Problem darin liegt, dass innerhalb der verschiedenen Branchen unterschiedlich bezahlt wird, und nicht darin, welchen Berufsweg junge Frauen und Mädchen vor sich haben?
({1})
Wenn Sie bei meiner Rede zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass es eine Vielfalt von Gründen gibt. Ein Grund ist sicher der, den Sie angesprochen haben. Auch wir sprechen uns gegen Diskriminierung aus. Diskriminierung darf nicht sein. Wir haben unterschiedliche Auffassungen zu dem Thema „Was sind gleiche Berufe?“
({0})
– Ja, Sie schütteln den Kopf. – Das war schon das Thema, weil immer wieder das Beispiel von der Altenpflegerin und dem Schmutzwäschefahrer kam.
({1})
Das war immer ein Thema. Wir haben immer darüber diskutiert, dass beim Tariflohn gewöhnlich keine Unterschiede sind.
Ich habe das Thema Eingruppierung angesprochen, das für diese Branchen wichtig ist und woran wir arbeiten können. Aber ich wehre mich dagegen, dass wir so tun, als seien die Frauen grundsätzlich schlechter bezahlt und die Männer grundsätzlich besser bezahlt. So ist es zum Glück in unserer Gesellschaft nicht. Ich werbe dafür – auch die Grünen sind in Rheinland-Pfalz in der Landesregierung vertreten –, dass wir beispielsweise dort Veränderungen vornehmen; denn Zeitverträge treffen bei der Erziehung und bei Lehrkräften ganz besonders Frauen. Ich würde mich freuen, wenn Sie in Rheinland-Pfalz an unserer Seite stünden und mit uns dafür kämpfen würden, dass Zeitverträge nicht nur für 10 Monate bestehen, sondern, wenn sie schon bestehen, für 12 Monate. Dann haben wir auch für Frauen etwas getan. Machen wir Frauen und Mädchen Mut, ihren eigenen Weg zu gehen, und sind wir vor allen Dingen Vorbilder als Eltern und als Arbeitgeberinnen.
Vielen Dank.
({2})
Die Kollegin Leni Breymaier hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie sich heute Morgen beim Zähneputzen auch überlegt, wie Sie am Wochenende Frauen am besten diskriminieren können?
({0})
Wenn wir heute einen Teil von Diskriminierung, nämlich den des Entgelts, mit allen Weiterungen auf Rente, auf Arbeitslosengeld, auf Ersparnisse, auf Wohnsituation, auf Immobilienbesitz, betrachten und wieder einmal feststellen, dass Frauen 77 Tage länger arbeiten müssen, um das Einkommen zu erzielen, das der Durchschnittsmann in Deutschland vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 erhalten hat, so ist das nicht das Ergebnis von bewussten Entscheidungen, die in diesem Hohen Hause, in den Länderparlamenten, den Kommunalparlamenten oder bei Tarifverhandlungen getroffen wurden, sondern von unbewusst diskriminierenden Maßnahmen.
({1})
Wir stehen vor der Summe vieler Fehlentscheidungen in vielen Jahrzehnten. Für mich ist einer der wichtigsten Paragrafen, der schon weit über 100 Jahre alt war und den wir 1977 geändert haben, der aber heute noch so viele Auswirkungen auf unseren Alltag hat, dass ich ihn einmal zitieren will, der alte § 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der so begann:
Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, so weit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.
Mit dieser Bestimmung wurde zementiert, was wir seit 40 Jahren aufzubrechen versuchen, nämlich dass die Frau Zuverdienerin ist, dass das Haupteinkommen vom Mann kommt. Man erinnert sich kaum noch, dass es in den Tarifverträgen dieser Republik bis 1958 Abschläge für Frauen gab. Wenn die Frau gearbeitet hat, dann in Teilzeit, in geringfügiger Beschäftigung. Die Kinderbetreuung ist ja insbesondere, wenn ich in Schicht oder in Kliniken arbeite, auf jeden Fall unzureichend. So häuften sich die Diskriminierungen an.
Es ist so, dass in Frauenberufen weniger verdient wird als in Männerberufen. Es wird in Frauenbranchen weniger bezahlt als in Männerbranchen. Zudem haben wir auch innerhalb der Tarifverträge Benachteiligungen.
Ein kleines Beispiel: Es gibt den Tarifvertrag Einzelhandel. Bei dem kenne ich mich aus; in dieser Branche habe ich gearbeitet. Da erhält man – ab 1. April dieses Jahres – vier Jahre nach Abschluss der Ausbildung, nach dreijähriger Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, ein Entgelt von 2 579 Euro in Vollzeitarbeit. In der gleichen Branche hat der Handwerker ab dem fünften Jahr nach der Lehre ein Entgelt von 2 879 Euro. Klar bekommt das auch die Handwerkerin; aber trotzdem haben wir im Handwerk eben mehr Männer als Frauen.
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So sind auch Tarifverträge Vertragswerke, die mittelbar diskriminieren.
Ja, da kann eg-check.de durchaus helfen – kann man machen. Es ist ja nicht die einzige Maßnahme. Man kann auch den zur Verfügung stehenden Verteilungsspielraum nehmen, um Diskriminierungen abzubauen: Wenn Mittel für eine Entgelterhöhung um 3 Prozent zur Verfügung stehen, nimmt man 2 Prozentpunkte für eine lineare Erhöhung und 1 Prozentpunkt, um Diskriminierungen abzubauen. Dann sind wir aber schon mitten im Geschlechterkampf. Wenn es ums Geld geht, versteht ja die Menschheit keinen Spaß.
Es ist in den letzten Jahren auch schon viel passiert. Aber trotzdem ist es so, dass die Bewertung von Arbeit der alten Logik unterliegt: Physische Belastungen werden bedeutend besser und höher bewertet als Belastungen im psychosozialen Bereich. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die den jungen Frauen zur Lösung des Problems empfehlen, dann eben technische Berufe zu ergreifen. Klar kann man da viel tun, und klar kann man ermuntern und Programme machen. Doch am Ende des Tages muss eben auch die typische Frauenarbeit in dieser Gesellschaft gemacht werden. Deshalb halte ich wenig von der Rhetorik: Na, da hast du halt Pech gehabt, hättest du doch was Ordentliches gelernt! – Das stand übrigens schon vor Ihrer Rede in meinem Redemanuskript, Frau Groden-Kranich.
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Nicht, dass Sie meinen, ich nähme jetzt darauf Bezug!
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Heute befassen wir alle uns damit, wie wir die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern schließen können und was die Politik konkret dafür tun kann. Es gibt nicht die eine Lösung. Sie haben das Bild des Mosaiks gewählt – ich wähle das Bild des Puzzles: Da haben wir ein Puzzle mit 1 000 Teilen, und da sind noch ganz schön viele Teile zu legen. Denn wenn wir nichts tun – das wissen wir auch –, dann haben wir Entgeltgleichheit in Deutschland erst in 192 Jahren. Das wäre doch ein bisschen lang.
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Es wurde in den letzten Jahren viel getan: Wir haben den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Das Entgelttransparenzgesetz ist ein Meilenstein. Grüne und Linke wollen das Gesetz jetzt auf kleinere Betriebe ausweiten – kann man machen. Aber ich sage mal: In einem Land, in dem 41 Prozent der Ehepartnerinnen und -partner nicht einmal wissen, was ihr Ehegespons verdient, haben wir eigentlich ganz andere Probleme.
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Im Koalitionsvertrag, meine Damen und Herren, wurde verabredet, dass wir das Entgelttransparenzgesetz 2019 evaluieren. Ich glaube, auf diese Evaluation können wir noch warten, um zu sehen, wie das Gesetz in der Praxis wirkt – wir haben ja erst im Januar angefangen –, wo es nicht wirkt und welchen Handlungsbedarf es gibt.
Ich muss sagen: Die Dauereinigungsstelle, die Die Linke fordert, überzeugt mich nicht wirklich. Wie viele Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 100 des Betriebsverfassungsgesetzes, in denen Betriebsräte einer Einstellung, aber nicht der Eingruppierung zugestimmt haben, haben wir eigentlich in den letzten Jahren gehabt? Ich bin auch gerne bereit, bei der Belebung des § 87 des Betriebsverfassungsgesetzes zu helfen; denn bei den Fragen der betrieblichen Lohngestaltung ist echt noch Luft nach oben. Ich weiß nicht, ob wir dafür jetzt ein weiteres Instrument brauchen, das dann wieder nicht genutzt wird.
Wo wir beieinander sind, ist die Frage des Verbandsklagerechts. Das wünsche ich mir auch.
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Es war mit der Union bisher nicht zu machen. Aber vielleicht überzeugen wir sie ja noch in den Ausschüssen; denn wir reden hier nicht über individuelle Probleme, sondern über strukturelle Probleme.
Auch die Frage der Frauen in Führungspositionen ist ein wichtiges Puzzlestück. Ich finde, hier haben zwei von drei Regierungsparteien mit der Besetzung der Ministeriumsspitzen in dieser Woche Maßstäbe gesetzt. Hätte die CSU nicht dermaßen geschwächelt, könnte man damit vor der Privatwirtschaft protzen.
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Es geht also um die gesellschaftliche Wertigkeit der Arbeit von Frauen und Männern. Es gibt da wunderbare Beispiele, auch im künstlerischen Bereich: Die Kunst wird immer schlechter bewertet, wenn der Käufer weiß, dass sie von einer Frau geschaffen wurde. – Ich sehe gerade, ich habe nicht mehr so viel Redezeit.
Die Frage ist: Wie schaffen wir es in der Breite der Gesellschaft, das Ansehen und den Wert der Frauenarbeit zu erhöhen? Ich finde, hier gehen wir im Koalitionsvertrag gemeinsam einen großen Schritt: Wir werten die Pflege auf. Wir schaffen Bedingungen für die Vereinbarung eines Branchentarifvertrags für den Bereich Pflege, und wir schaffen Grundlagen dafür, dass dieser dann auch allgemeinverbindlich gilt.
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Wir müssen dafür sorgen, dass Equal Pay als Marktvorteil gestärkt wird. Wir müssen endlich das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit hinbekommen.
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Wir müssen es endlich schaffen, die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit zu stärken, und zwar durch den Ausbau von Kitas, durch die Entlastung bei Gebühren und durch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Das sind wichtige Rahmenbedingungen. Am Ende geht es darum, die bezahlte und die unbezahlte Arbeit von Männern und Frauen gleich zu verteilen. Daher mein letzter Satz: Wir müssen auch die Männer vom Charme der Spülmaschine überzeugen.
Vielen Dank.
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Frau Kollegin, Sie haben das wunderbar in der Zeit geschafft. Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Thomas Ehrhorn von der AfD.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Roland Koch hat einmal gesagt: Mit Statistiken und Politikern verhält es sich so wie mit einem Betrunkenen und einer Laterne: Sie dienen in erster Linie der Aufrechterhaltung des eigenen Standpunktes und weniger der Erleuchtung.
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Eine solche Statistik geistert nun seit ungefähr zehn Jahren durch die Medien: die absurde Behauptung, Frauen würden angeblich bei gleicher Arbeit und gleicher Leistung 21 Prozent weniger Lohn erhalten.
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Man kann solche Zahlen wie in der Waschmittelwerbung stereotyp immer und immer wieder wiederholen. Das mag dazu führen, dass man einige schlichte Gemüter findet, die damit losziehen und am nächsten Stammtisch behaupten, das sei so. Aber richtig werden die Zahlen dadurch nicht.
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Selbst unter linken Hardcore-Ideologen hat sich inzwischen herumgesprochen, dass man die Statistik um diverse Faktoren bereinigen muss. So lassen sich allein drei Viertel des sogenannten Gender Pay Gap durch strukturelle Unterschiede erklären, nämlich dadurch, dass Frauen und Männer in der Regel nun einmal andere Berufe bevorzugt für sich auswählen.
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Sie müssen sich nur einmal die Mühe machen: Gehen Sie in eine Universität, setzen Sie sich in eine Vorlesung in einem sogenannten MINT-Fach, und schauen Sie, wie viele Frauen da drinsitzen.
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Es ist doch nicht so, dass am Eingang zum Vorlesungssaal irgendein gruseliger Türsteher stehen würde, der, sobald sich eine Studentin zeigt, sagt: Du kommst hier nicht rein. – Das ist doch Unsinn.
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Und natürlich verdienen am Ende des Tages Ingenieure und Chemiker besser als eine Sozialwissenschaftlerin.
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Wir leben in einem Land, in dem es freie Berufswahl gibt, falls Sie das noch nicht gemerkt haben. In diesem Land kann jeder Ingenieur werden, auch Frauen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, im Moment nicht.
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Erzählen Sie mir jetzt bitte nicht, das Problem sei, dass man den armen kleinen Mädchen zu Weihnachten zu viele Puppen und zu wenige Bauklötze geschenkt habe. Diesen Unsinn können Sie wirklich nur noch Leuten erzählen, die sich ansonsten die Schuhe mit der Kneifzange zubinden.
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Ist jedenfalls die Statistik um diese Faktoren bereinigt, dann bleiben von dieser sagenumwobenen Lohnlücke ganze 6 Prozent übrig.
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Lässt man dann weitere Faktoren in die Statistik einfließen, wie Bildungsstand, Dauer der Betriebszugehörigkeit, familienbedingte Auszeiten und den Umstand, dass Frauen nun einmal öfter in Teilzeit arbeiten,
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dann bleiben – so hat es das Institut der Deutschen Wirtschaft vorgerechnet – von dieser Gehaltslücke weniger als 2 Prozent – weniger als 2 Prozent! – übrig.
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Ich frage Sie: Wovon reden wir hier eigentlich? So schlimm kann es mit der Chancenungleichheit der Frau nicht sein in einem Land, in dem es möglich ist, mit einem abgebrochenen Theologiestudium in den Deutschen Bundestag zu gelangen und dann 9 500 Euro zu verdienen.
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Nein, meine Damen und Herren, letzten Endes geht es doch hier um etwas ganz anderes. Es geht um eine Neuauflage der verstaubten und ewiggestrigen Ideen des marxistisch-leninistischen Weltbildes,
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wonach es eine Hauptaufgabe ist, die Frau in die Produktionsarbeit einzubeziehen, um schließlich die Familie als Keimzelle der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zu überwinden. Das ist doch das, was in Ihren Köpfen herumspukt.
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So viel muss man den 68ern ja lassen: Ihre Ziele setzen sie um. Nach der Vereinnahmung der Medien hat man den Frauen erfolgreich eingeredet, dass es hoffnungslos rückwärtsgewandt sei, Kinder nicht nur zu erzeugen, sondern sie am Ende auch noch zu erziehen. Wie furchtbar!
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Durch eine Abgabenquote von 52 Prozent hat man die Frauen, so wie geplant, in die Lohnabhängigkeit hineingedrängt und nebenbei den Grundstein für eine Verstaatlichung der Kindererziehung gelegt oder, wie Herr Scholz es ausdrücken würde, die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ erobert. Also keinen Fehler gemacht auf dem Weg zum totalen Irrtum!
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Und nun kommen die von der AfD und thematisieren das. Ja, wir tun das, weil wir wissen,
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dass Linke, wenn sie von Gleichberechtigung reden, in Wirklichkeit Klassenkampf meinen – auf dem Weg in ein sozialistisches Europa, meine Damen und Herren. Immer mehr Menschen verstehen das.
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– Ja, das ist frustrierend; das kann ich mir vorstellen.
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Wissen Sie: Von Linken und Grünen, von denen, die brüllen: „Deutschland verrecke“, habe ich noch nie etwas anderes erwartet. Dass aber eine konservative Partei wie die CDU unter der Führung einer in der FDJ sozialisierten Kanzlerin nicht mehr willens oder nicht mehr in der Lage ist, solche Zusammenhänge zu verstehen, ist in der Tat ein Armutszeugnis.
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Die nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion die Kollegin Nicole Bauer.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig: Der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen in Deutschland ist hoch, zu hoch – egal ob wir über die 21 Prozent vom Equal Pay Day oder über 6 Prozent sprechen. Warum soll ich als Frau bei gleicher Qualifikation und Leistung im gleichen Job weniger verdienen als meine männlichen Kollegen? Das ist unfair, und daran müssen wir arbeiten, meine Damen und Herren.
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Unsere Antwort darauf darf aber eben nicht sein: mehr Staat, mehr Bürokratie und absurde Strafen für die Unternehmen. Deshalb lehnen wir die Anträge zum Entgeltgleichheitsgesetz und zum Verbandsklagerecht ab.
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Sie sind eine Zumutung und setzen sich null mit den Ursachen auseinander.
Viel wichtiger ist es doch, den Frauen die Chance zu geben, am Berufsleben voll teilzuhaben. Wir haben gut ausgebildete Frauen in unserem Land. Doch sobald Kinder da sind oder Angehörige gepflegt werden müssen, ist die Vollzeitstelle oft passé, und es droht eine komplette berufliche Pause. Das gilt es zu ändern. Was wir dazu brauchen, ist mehr Flexibilität, eine Flexibilität, die es uns erleichtert, im Beruf zu bleiben, Vollzeit arbeiten zu können und nicht Teilzeit arbeiten zu müssen.
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Neue Arbeitszeitmodelle wie das, das wir gestern in unserem Antrag zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes angeregt haben, führen zu mehr Flexibilität. Die Digitalisierung eröffnet uns mit Homeoffice und mobilem Arbeiten mehr Freiraum: für die Pflege, für die Betreuung oder für die Weiterbildung. So kommt der Staat seiner Aufgabe nach, die Voraussetzungen zu schaffen – nicht mehr und nicht weniger.
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Das sind die Voraussetzungen dafür, dass Männer und Frauen selbstbestimmt entscheiden können, wie sie familiäres und berufliches Leben partnerschaftlich angehen, ohne dass einer benachteiligt wird.
Außerdem sollten wir Frauen noch stärker ermutigen, klassische Männerbranchen zu erobern: MINT-Fächer, Jobs, die eben besser bezahlt werden. Gleichzeitig sollten wir aber auch dafür sorgen, dass mehr Männer vermeintliche Frauenberufe ergreifen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Nein, der Kollege soll jetzt erst einmal zuhören.
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Ich weiß, dass das Veränderungen für unsere Gesellschaft bedeutet. Aber genau diese Veränderung würde uns guttun; denn die Menschen in den sozialen, erzieherischen und pflegerischen Berufen tragen große Verantwortung. Sie brauchen mehr Wertschätzung und auch eine bessere Vergütung. So schließen wir nämlich endlich die Lohnlücke zwischen den verschiedenen Geschlechtern.
Aber es muss uns auch gelingen, mehr Frauen in Führungspositionen zu holen; denn Frauen in leitenden Positionen sind erfolgreich.
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– Da brauchen Sie nicht zu lachen. – Gemischte Teams sind nachweislich produktiver; das ist doch im Interesse eines jeden Arbeitgebers. Wir als FDP appellieren daher an die Unternehmer, ihrer Verantwortung durch faire und leistungsorientierte Bezahlung unabhängig vom Geschlecht nachzukommen;
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denn das wäre eine soziale Innovation; das wäre endlich einmal wirkliche Gleichberechtigung. Wir Frauen dürfen uns nicht mit weniger zufriedengeben.
Wir müssen selbstbewusst auftreten und verhandeln. Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig stärken, und wir dürfen diese Unterstützung auch von den Männern erwarten. Dafür sollten wir uns einsetzen, meine Damen und Herren.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws von Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wenn wir stillstehen, steht die Welt still!“ – Unter diesem Motto haben Frauen in Spanien am Weltfrauentag zu einem Generalstreik aufgerufen und damit ein starkes Zeichen für den Anspruch von Frauen auf gleiche Rechte und gleiche Bezahlung gesetzt.
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In Deutschland hätten Frauen allemal guten Grund zum Streiken; denn seit Jahren liegt der Gender Pay Gap unverändert bei über 20 Prozent. Seit Jahren passiert nichts im Deutschen Bundestag, was Equal Pay wirklich befördert. Es passiert nichts, außer dass ein paar kreative Reden von der Koalition und der Regierung über den sogenannten Fortschritt eines inhaltsleeren Schaufenstergesetzes namens Entgelttransparenzgesetz gehalten werden. Verbessert hat sich für Frauen nichts.
Darum fordere ich Sie, die neue/alte Bundesregierung, auf: Hören Sie auf, ungerechte Bezahlung schönzureden! Ändern Sie endlich diesen unhaltbaren Zustand, und reden Sie nicht weiter drumherum!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grünen haben von Anfang an gesagt: Dieses Entgelttransparenzgesetz greift viel zu kurz. Es verbessert nichts in puncto gleiche Bezahlung. Fakt ist: Für fast zwei Drittel der berufstätigen Frauen gilt das Gesetz noch nicht einmal. Mitarbeiterinnen von Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten bleiben außen vor.
Seit Januar gilt, dass eine Minderheit der Frauen – es sind nicht einmal 40 Prozent – erfahren kann, ob sie im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen bei gleicher Arbeit ungleich bezahlt wird. Und dann? Dann ist das Gesetz für sie schon am Ende. Wirksame Instrumente gegen strukturelle Benachteiligung haben Sie Frauen nicht an die Hand gegeben.
Meine Damen und Herren der Bundesregierung, hören Sie auf, sich angesichts der Lohnlücke selbst zu loben, wie Sie es im Koalitionsvertrag für Ihr wirkungsloses Gesetz weiter tun. Ändern Sie etwas!
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Sich damit zufriedenzugeben, dass das Entgelttransparenzgesetz im Juli 2019 evaluiert werden wird, um dann zu entscheiden, ob eventuell weitere Schritte erforderlich sind, reicht nicht. Da braucht man nicht lange zu evaluieren. Es ist völlig klar: Es gibt jetzt Handlungsbedarf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne fordern in unserem Antrag effektive, zielgerichtete Instrumente und einen Auskunftsanspruch auch in kleineren Unternehmen. Wir wollen zertifizierte, verbindliche Prüfverfahren, und vor allem wollen wir endlich kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten durch ein Verbandsklagerecht und die Möglichkeit von Gruppenverfahren – das wird meine Kollegin Manuela Rottmann gleich erläutern –, damit Frauen sich zusammentun können, um endlich gegen unfaire Bezahlung juristisch wirksam vorgehen zu können.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es wirklich gründlich satt, dass Frauen weiterhin systematisch schlechter bezahlt werden. Es kann nicht sein, dass die Entgeltlücke kleingeredet wird, wie das immer wieder passiert, oder dass der Gender Pay Gap verharmlost wird. Ob Frauen nun in sogenannten Frauenberufen strukturell schlechter bezahlt werden oder im gleichen Betrieb für gleiche Arbeit weniger Geld bekommen, es ist schlicht eines: Es ist ungerecht.
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Nur dann, wenn die Regierung konsequent gegensteuert, wird sich etwas bewegen. Jede Entgeltlücke, die größer null ist, ist ungerecht. Darum appelliere ich deutlich an Sie als neue Regierung: Wenn Frauen stillstehen, dann steht die Welt still. Tun Sie also mehr! Strengen Sie sich einmal richtig an für Frauen! Strengen Sie sich wirklich an für gerechten Lohn, und fangen Sie nicht an, alles kleinziseliert in die Breite zu reden.
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Zum Schluss noch ein Satz zu § 219a StGB. Was Sie von der Union und der SPD in dieser Woche hier geleistet haben, war ein frauenpolitisches Desaster erster Güte.
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Sie haben die Informationsrechte von Frauen und die Rechtssicherheit von Ärztinnen und Ärzten auf dem Altar Ihres Koalitionsfriedens geopfert. Wenn Sie demnächst von Selbstbestimmung reden und mehr Frauenrechte versprechen, können die Frauen Ihnen dann glauben? Diese Frage müssen Sie sich schon stellen lassen. Ich habe nach dieser Woche keine Antwort mehr darauf.
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Das erste Mal im Deutschen Bundestag spricht die Kollegin Melanie Bernstein von der CDU/CSU-Fraktion. – Frau Kollegin, Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Rede.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke gelesen habe, sind mir zwei Punkte aufgefallen. Zum einen erschien mir das Bild der Frau, das dort gezeichnet wird, wenig zeitgemäß. Als berufstätige Mutter, die ich auch schon vor meiner Wahl in den Deutschen Bundestag war, kann ich mich mit dieser Opferrolle einfach nicht identifizieren.
({0})
Zum anderen spricht aus jedem Absatz das alte Klischee des bösen Unternehmers.
({1})
Unternehmer sind übrigens die, die mit ihren Investitionen dazu beitragen, dass unser Land zu den wohlhabendsten in der Welt gehört.
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Aber ich bin realistisch: Das Bild des bösartigen Kapitalisten werde ich in meinen vier Minuten Redezeit niemandem austreiben.
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Wenn es nach Ihnen ginge, soll jedes Unternehmen unabhängig von seiner Größe für alle offenlegen, was ein jeder Angestellter verdient.
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Und nicht nur das. Sie fordern neue bürokratische Hürden wie „betriebliche Prüfung auf Entgeltgleichheit auf der Grundlage eines EU-rechtskonformen Instrumentariums“, wie Sie es so schön und griffig formulieren. Sie fordern Einigungsstellen, Verbandsklagerechte und Geldbußen. Haben Sie sich eigentlich einmal Gedanken darüber gemacht, was das für einen Malereibetrieb oder einen kleinen häuslichen Pflegedienst bedeutet?
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Sie reden von traditionellen Rollenbildern und bemerken nicht, dass Sie da selber einem aufgesessen sind: böser Unternehmer gegen arme, benachteiligte Frau.
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Ich sage Ihnen: So wird das nichts. Wir sollten schon bei den Fakten bleiben. Und die sprechen eben eine ganz andere Sprache.
Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass Frauen bei gleicher Arbeit aufgrund ihres Geschlechtes durch unterschiedliche Bezahlung diskriminiert würden. Das stimmt so einfach nicht. Sie sprechen von einer Lohnlücke von 21 Prozent. Wenn Sie Erwerbsbiografien und Arbeitszeit berücksichtigen, gibt es eine Lohnlücke von 6 Prozent. Werden dann noch Erwerbsunterbrechungen berücksichtigt, familienbedingte Auszeiten etwa, dann schrumpft der Wert auf unter 2 Prozent.
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Das ist nun wirklich kein Grund, die heutige Situation von Frauen mit der von vor 100 Jahren gleichzusetzen, wie Sie das tun. Familienbedingte Auszeiten haben nun einmal mit dem Kinderkriegen zu tun.
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Das kann man mit keinem noch so gut gemeinten Antrag den Männern aufbürden. Da steht Biologie gegen Ideologie.
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Es gibt natürlich Herausforderungen, die wir anpacken müssen. Damit meine ich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
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Wir müssen die Kluft zwischen Männern und Frauen bei der Versorgung im Alter schließen. Wir müssen die sozialen Berufe aufwerten, Berufe, in denen nun einmal mehr Frauen tätig sind als Männer. Ich finde, die Menschen, denen wir das Wertvollste anvertrauen, was wir haben – unsere Kinder, Eltern und Großeltern –, verdienen mehr, als sie momentan bekommen. Außerdem – das wurde schon gesagt – müssen wir mehr Mädchen und Frauen für MINT-Berufe begeistern.
Für die neue Bundesregierung sind dies zentrale Vorhaben, und deshalb werden wir diese auch zügig umsetzen. Das ist aus meiner Sicht der richtige Weg, damit Frauen im Berufsleben genauso gut verdienen wie Männer und im Alter auch genauso gut versorgt sind.
Ihr Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, kleinen und mittleren Unternehmen bürokratische Fesseln anzulegen, sorgt nicht für bessere Bedingungen für Frauen, sondern für insgesamt weniger Beschäftigung, und damit ist niemandem geholfen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Vielen Dank.
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Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: der Kollege Michael Kießling von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Hier wird teilweise suggeriert – wenn man zuhört, dann kriegt man das mit –, wir seien ein gleichstellungspolitisches Entwicklungsland. Wenn wir uns den Global Gender Gap Report, diese Studie, die häufig genannt wird, anschauen, dann sehen wir – das dürfen wir schon einmal festhalten –, dass wir auf Platz 12 von 142 sind.
({0})
Wie kommt das? – Wir brauchen uns nur die Statistik der Lohnlücken in Europa anzuschauen, die immer wieder angeführt wird. Darin schneiden Länder am besten ab, in denen Frauen wesentlich weniger oft erwerbstätig sind als bei uns: Malta, Italien und Rumänien. Dort ist nur knapp jede zweite Frau erwerbstätig. Diese Länder stehen beim Gender Pay Gap aber gut da. Ob man sie dafür loben soll, ist eine andere Frage.
Ein weiteres Problem ist: Wir sprechen auch in dieser Debatte immer wieder über unterschiedliche Zahlen und damit meines Erachtens auch über unterschiedliche Dinge.
Wir haben es schon gehört: Frauen verdienen im Schnitt etwa 21 Prozent weniger als Männer. 15 Prozent davon lassen sich erklären, 6 Prozent eher nicht. Die 15 Prozent sind so zu erklären, dass Frauen häufig Berufe wählen, die ein niedrigeres Lohnniveau aufweisen,
({1})
und dass Frauen deutlich weniger in Vollzeit arbeiten als Männer.
Diese genannten Gründe sind nur schwer als Geschlechterdiskriminierung durch den Arbeitgeber anzuführen; ich glaube, darin sind wir uns auch einig. Sie beruhen in erster Linie auf individuellen Entscheidungen von Frauen und auch von Männern, sind also auch von diesen mit zu beeinflussen.
Wir haben das Beispiel auch heute schon ein paar Mal gehört: Dass ein Krankenpfleger oder eine Krankenpflegerin weniger verdient als jemand in der Industrie, ist klar. Das werden wir hier in der Politik aber nicht ändern können. Dafür haben wir die Tarifautonomie.
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Junge Frauen und junge Männer wissen das bei der Berufswahl auch. Ich glaube, hier müssen wir unterstützen, und damit sind wir, denke ich, im Bereich der Chancengleichheit, die wir dort gewährleisten müssen. Wir müssen den jungen Menschen bewusst machen, was es bedeutet, wenn sie einen Beruf wählen. Ich glaube, wenn wir dort unterstützen und für Chancengleichheit und Aufklärung sorgen, sodass sich die jungen Menschen ihrer Entscheidung bewusst werden, dann sind wir dort auch einen wesentlichen Schritt weiter.
Nicht jeder Unterschied in der Entlohnung zwischen Mann und Frau ist eine direkte Diskriminierung. Es ist jedoch eine Diskriminierung, wenn Frauen bei vergleichbarer Qualifikation für eine vergleichbare Tätigkeit pro Stunde durchschnittlich 6 Prozent weniger bekommen.
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Hieran müssen wir arbeiten, und da haben wir in der letzten Legislaturperiode auch schon etwas getan. Ich nenne nur das Entgelttransparenzgesetz, Frau Schauws. Die Diskussion darüber hat auch schon vieles bewirkt.
Frauen verdienen im Schnitt 6 Prozent weniger als Männer. Dagegen müssen wir etwas tun, das ist klar, und es ist auch richtig, dass wir hier für Transparenz sorgen müssen.
Am Schluss möchte ich vier Punkte zusammenfassen:
Erstens. Wir haben das Problem erkannt und sind es schon lange angegangen. Auch im Koalitionsvertrag haben wir Maßnahmen vereinbart, um die Lohnlücke weiter zu schließen. Das ist ein Werkzeugkasten, also nicht nur ein Werkzeug, sondern wir werden mehrere Punkte angehen müssen.
Zweitens. Das Entgelttransparenzgesetz beginnt gerade erst zu wirken. Da bin ich bei Ihnen, dass wir erst einmal die Evolution bis 2019 abwarten sollten, um uns dann zu entscheiden, ob und wie wir handeln müssen.
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Drittens. Ich bitte um etwas weniger Populismus in der Diskussion. Nicht alles von den 21 Prozent Lohnunterschied zwischen Mann und Frau beruht auf Ungerechtigkeit und Diskriminierung.
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Diese Feststellung könnte die Debatte etwas versachlichen.
Eines noch: Im eingangs erwähnten Global Gender Gap Report liegen wir auf Platz 12 von 142. Darauf können wir aufbauen. Aber bis zur Champions League ist es noch ein bisschen Luft nach oben. Da wollen wir aus Bayern hin.
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Ich bitte, dass wir gemeinsam daran arbeiten, die Lohnlücke weiter zu schließen.
Herzlichen Dank.
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Ich schließe zu diesen Punkten die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 19/1005 und 19/1192 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, Sie alle sind mit dem Kopf fast schon im Wahlkreis.
({0})
Ich bitte Sie aber trotzdem, jetzt noch einmal aufzupassen; denn es kann durchaus sein, dass Sie in Ihrem Wahlkreis unangenehme Fragen gestellt bekommen. Ich glaube, viele von Ihnen werden dabei nicht gut ausschauen, wenn Sie nach einer Antwort suchen.
Gestern hat das Landgericht Hamburg dem Käufer eines VW-Diesels den Anspruch zugesprochen, diesen Diesel einzutauschen.
({1})
Der Diesel ist nicht mängelfrei gewesen, weil er mit einer Softwarenachrüstung ausgestattet worden ist, mit der Sie auf Ihren Dieselgipfeln seit Jahren versuchen, die Leute abzuspeisen.
({2})
Ich gratuliere dem tapferen Kläger zu diesem Erfolg, zu den Nerven, zu dem Mut und zu auch dem Budget, das er offensichtlich hat, um sich alleine gegen VW zu stellen. Ich kann Ihnen garantieren: Bei Ihnen im Wahlkreis werden Sie die Leute, die in genau derselben Situation sind, aber nicht das Geld und nicht die Nerven haben, sich alleine gegen VW zu stellen, fragen: Und was ist mit mir?
({3})
Die Reaktion von der VW-Zentrale in Wolfsburg auf dieses Urteil zeigt ziemlich genau, in welch desolatem und rückständigem Zustand der deutsche Zivilprozess in dieser Frage ist.
({4})
VW sagt: Andere Gerichte haben anders entschieden. Jetzt warten wir einmal die Berufung ab. Da bekommt der gute Mann sicher nicht mehr recht.
({5})
Sie sagen also letztlich: Na ja, ihr müsst immer noch alle einzeln gegen uns klagen. Dafür braucht ihr einen verdammt langen Atem. – Genau so sieht das deutsche Zivilrecht aus.
({6})
Die Grünen haben unter der Federführung meiner geschätzten Kollegin Renate Künast hier schon 2013 einen Gesetzentwurf für eine Gruppenklage eingebracht, der alles geändert hätte.
({7})
Die Betroffenen hätten sich mit überschaubarem Risiko zusammentun können, um ihre Ansprüche gegen VW gemeinsam und mit ordentlicher Vertretung durchsetzen zu können.
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Wir hätten nicht zig Gerichte mit denselben tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen beschäftigt. Wir wären auf dem Weg zur Rechtssicherheit für VW und für die Käuferinnen und Käufer schon einen wesentlichen Schritt weiter. Und die Menschen in diesem Land hätten endlich das Gefühl, dass dieser Staat einmal an ihrer Seite steht und nicht nur an der Seite der Trickser mit guten Anwälten.
({9})
Im Koalitionsvertrag kommen Sie nun viel zu spät mit einer absoluten Minimallösung um die Ecke.
({10})
Sie versprechen den Menschen, wenigstens Verjährungen Ende 2018 zu verhindern. Dabei ist noch nicht einmal klar, wie bei Ihren Ideen die Verjährung überhaupt gehemmt werden soll. Das Klageregister, für dessen Einrichtung das Justizministerium mindestens zwei Jahre ansetzt, ist nicht einmal in Sichtweite.
({11})
Ihr Gesetzentwurf aus dem Justizministerium bedeutet, dass zwar der private Käufer eines Diesels sich einer Musterfeststellungsklage anschließen kann. Der Handwerker, der genau dasselbe Auto gekauft hat, kann das aber nicht, weil er kein Verbraucher ist. Wie absurd ist das denn?
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Wir reden hier sonntags viel vom Vertrauen der Menschen in diesen Staat und sagen, wir machten uns Sorgen und wollten dafür kämpfen, dass sie es wiedergewinnen. Viele von Ihnen von Union und SPD, den ehemaligen Volksparteien, genauso wie von den Dieselfreunden von der FDP oder der AfD suchen an den unmöglichsten Stellen nach Möglichkeiten, dieses Vertrauen wiederherzustellen.
Genau hier wäre eine solche Stelle. Genau hier könnten Sie es tun.
({13})
Sie könnten sich an die Seite der normalen Leute stellen, die keine Rechtsabteilung haben und deren Rechtsschutzversicherung ihnen den Vogel zeigt, wenn sie gegen VW klagen wollen. Sie könnten diejenigen in die Schranken weisen, die ihre Gewinne deswegen machen, weil sie darauf vertrauen können, dass schon keiner klagen wird.
({14})
Das tun Sie aber nicht. Deswegen wünsche Ihnen viel Vergnügen und viel Erfolg bei der Beantwortung dieser Fragen in Ihrem Wahlkreis.
Danke.
({15})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Sebastian Steineke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige Worte muss man dazu einmal sagen. Dass der Rechtsstaat funktioniert, zeigen ja gerade die von Ihnen zitierten Urteile. Der Rechtsstaat funktioniert doch.
({0})
Auf einigen Internetseiten können Sie sich ellenlange Listen von auch stattgebenden Urteilen ansehen. Dass der Rechtsstaat nicht funktionieren würde, ist also schlichtweg falsch. Das muss man auch einmal so deutlich sagen.
({1})
Aber zurück zur Sache: Sie wollen hier mit uns einen Gesetzentwurf beraten, der nun zum dritten Mal vorliegt. Er ist identisch mit einem Gesetzentwurf aus 2014 und einem Gesetzentwurf aus 2013.
({2})
Das Einzige, was Sie geändert haben, ist die Einleitung. Dadurch ist der Gesetzentwurf aber keinen Deut besser geworden.
({3})
Deshalb werden wir ihm auch nicht zustimmen.
Der Entwurf sieht vor – damit wir auch einmal etwas zu Ihrem Entwurf sagen; das haben Sie ja nicht getan –, in die Zivilprozessordnung einen eigenen Abschnitt über Gruppenverfahren – nennen wir es so, wie es ist: Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild – einzufügen.
({4})
– Das ist es.
Dabei sollen mehrere Personen Ansprüche, die den gleichen Lebenssachverhalt betreffen
({5})
– keine Zwischenfragen, bitte –, gemeinsam gerichtlich geltend machen können.
({6})
– Sie hatten lange genug Zeit.
({7})
Nach Ihrem Entwurf soll dies nicht nur zur Feststellung des Anspruchs erfolgen, sondern auch in Form einer Leistungsklage mit Bündelung aller Ansprüche betrieben werden können. Das ist schlichtweg eine echte Sammelklage pur nach amerikanischem Vorbild
({8})
und mit uns nicht zu machen.
({9})
– Doch, wir haben es sehr gut verstanden. Das sagt sogar Ihr eigener Sachverständiger.
Die Einführung solcher Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild
({10})
widerspricht diametral unserer Rechtsordnung. Eine besondere Würdigung des Einzelfalls fällt vollständig aus.
({11})
– Hören Sie doch einfach mal zu!
({12})
Das Drohpotenzial, wie es auch in den USA bei diesem Instrument üblich ist, ist immens hoch. Hier werden Beklagte regelmäßig in Vergleiche gezwungen, um einem nicht vorhersehbaren insbesondere medialen Druck vorzubeugen.
Deswegen enden solche Verfahren in den USA – so wird es auch bei Ihrem Vorschlag sein – zu 90 Prozent in einem Vergleich. Zu 90 Prozent! Die Folge ist eine Klageindustrie – ein gefundenes Fressen für die entsprechenden Kanzleien. Das Thema „myRight/Hausfeld“ spielt in Deutschland ja heute schon eine Rolle.
({13})
Am Ende eines solchen Verfahrens steht im Zweifel übrigens auch kein rechtssicheres Urteil, auf das sich irgendjemand berufen kann, sondern nur ein abgekaufter Vergleich, von dem kein einziger Verbraucher in diesem Land etwas hat.
({14})
Das kann doch nicht ernsthaft in Ihrem Interesse sein. Das kann es nun wirklich nicht sein.
Bezeichnend ist auch Folgendes: Erinnern Sie sich einmal an die Anhörung von 2015. Damals hat Ihr Sachverständiger, Professor Halfmeier, der Ihren vorliegenden Entwurf entscheidend mitverfasst hat, zu diesen Fragen interessante Aussagen gemacht. Er schlägt nämlich einen für die Anwälte der Klägerseite vergütungsbezogenen Anreiz im Kostenrecht sowie Erfolgshonorare vor.
({15})
In seiner Stellungnahme zur Anhörung heißt es zudem:
Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist es kaum relevant, ob etwa der durch rechtswidrige AGB in einem Lebensversicherungsvertrag geschädigte Verbraucher X seinen exakten Schaden ersetzt erhält oder nicht.
Das sagt er selber.
Es ist ihm unbenommen, die etablierten Mechanismen des Verfahrensrechts zu nutzen, um zu seinem konkret-individuellem Recht zu kommen.
Da er dies aber de facto kaum tut,
– deswegen legen wir einen eigenen Entwurf vor –
entsteht das gesellschaftliche Problem der ökonomischen Fehlanreize zugunsten eines rechtswidrigen Verhaltens der Unternehmen.
({16})
Um diese zu korrigieren, ist es nicht notwendig … Verbraucher … perfekt zu entschädigen.
Da steht es noch einmal.
Notwendig ist es aber, einen Mechanismus zu schaffen, mit dem massenhaft relevantes rechtswidriges Verhalten identifiziert und einer ökonomisch vernünftigen Lösung zugeführt wird.
({17})
Es ist demnach in erster Linie Ihr Ziel, die Unternehmen zu bestrafen; ich sage das so deutlich. Ob der Verbraucher seinen Schaden ersetzt bekommt, ist nach diesem Entwurf völlig unklar. Eine solche Politik auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel.
({18})
Ein weiterer Punkt – auch den haben Sie in Ihrem Entwurf nicht geändert, obwohl wir uns lange darüber unterhalten haben; das hätten Sie entsprechend anpassen und auch die Hinweise des Richterbundes mit aufnehmen können – ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Grundgesetz.
({19})
– Das müssen wir ja nicht; wir haben ja einen. Das ist doch wunderbar.
({20})
Nach Ihrem Entwurf würde sich der Teilnehmer einer Gruppe anschließen, die durch einen Gruppenführer vor Gericht vertreten wird. Er hat aber keinerlei Möglichkeiten mehr, auf das weitere Verfahren Einfluss zu nehmen.
({21})
Das dürfte aus unserer Sicht mit Artikel 103 nicht mehr im Einklang stehen. Deswegen sehen wir ein zweistufiges Verfahren vor, das diese Einschränkung nicht enthält. Das ist, glaube ich, deutlich besser.
({22})
Ein weiteres wesentliches Problem Ihres Entwurfs ist die Frage der Klagebefugnis nach § 611 ZPO. Neben den einzelnen Geschädigten können bei Ihnen auch Verbände nach Unterlassungsklagengesetz oder nach dem Verzeichnis nach Artikel 4 der Unterlassungsklagenrichtlinie der Europäischen Union klagen und einen entsprechenden Antrag bei Gericht einreichen.
Das bedeutet, dass jeder x-beliebige Verband, der in Europa gegründet wurde – nach welchen Vorschriften auch immer –, Klagebefugnis hätte.
({23})
Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Deshalb haben wir im Gegensatz dazu im aktuellen Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir die Klagebefugnis auf festgelegte qualifizierte Einrichtungen beschränken wollen, um die Entstehung einer Klageindustrie zu vermeiden.
({24})
Wir sperren uns aber gerade nicht gegen Verbesserungen. Im Gegenteil, wir haben im Koalitionsvertrag eine gemeinsame Lösung dargestellt, die Musterfeststellungsklage für Verbraucher zu öffnen. Beim Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz gibt es dieses Instrument schon länger. Dabei werden die grundlegenden Rechtsfragen und Tatsachen vorab geklärt.
Die Geschädigten haben dann die Möglichkeit – so bleibt auch der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt –, ihre eigenen Schadensersatzforderungen geltend zu machen. Die entsprechenden Passagen sind, glaube ich, bekannt; ich muss sie hier nicht im Einzelnen vortragen.
Wir werden den Gesetzentwurf zum 1. November dieses Jahres vorlegen – da sind wir sehr guten Mutes; das bekommen wir gut hin –, um die entsprechenden Punkte vorab zu klären. Dabei werden wir die Einleitung des Verfahrens von einer schlüssigen Darlegung einer Mindestzahl von zehn Betroffenen abhängig machen, und wir werden für die Durchsetzung des Verfahrens von 50 Anmelderinnen und Anmeldern zum Klageregister eine Frist von zwei Monaten festsetzen, um die Effektivität des Verfahrens zu gewährleisten. Das ist für uns der richtige Weg, aber nicht der Weg einer Sammelklage.
Aus unserer Sicht bietet der Entwurf keine rechtstechnisch gute Lösung und keine Weiterentwicklung.
({25})
Wir werden ihn deshalb in dieser Form ablehnen.
Vielen Dank.
({26})
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Manuela Rottmann.
Der Verweis auf die US-Sammelklage ist ungefähr so schlagkräftig wie das Vertrösten auf Softwarenachrüstungen. Wenn Sie sich einmal damit befassen, was die US-Sammelklage ausmacht, dann werden Sie merken, dass nichts davon in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. Wenn Sie damit ablehnen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern und den Unternehmen ein stärkeres Recht vor Gericht zuzubilligen, dann sagen Sie einfach nicht die Wahrheit.
Die Sammelklage in den USA ermöglicht nicht nur, den tatsächlichen Schaden einzuklagen, wie in unserem Gesetzentwurf, sondern auch, Strafschäden einzuklagen. Niemand will das hier einführen. Die Amerikaner haben einen anderen Grundsatz als wir: Nicht der Verlierer trägt die Kosten des Verfahrens, sondern dort gibt es Erfolgshonorare. Niemand will das hier einführen.
Auch die Anforderungen an die Darlegung des Schadensersatzes und die tatsächlichen Darlegungen sind in den USA niedriger. Niemand will das hier einführen. Das ist ein Popanz.
Am allerschlimmsten finde ich, dass Sie von einer Klageindustrie reden, wo es um ganz normale Leute geht, die nicht so viel Geld, vergleichbare Rechtsabteilungen oder große Kanzleien zur Verfügung haben. Die diskreditieren Sie als Klageindustrie. Dabei schützen Sie die Klageabwehrindustrie.
({0})
Herr Kollege Steineke, Sie wollen antworten.
Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie noch einmal darauf hinweisen. Dann kann man es noch einmal deutlich sagen. Eine Klageindustrie gibt es schon heute.
({0})
MyRight und Hausfeld erhalten Summen von bis zu 35 Prozent der gezahlten Gelder und versuchen, den Markt aufzurollen. Genau deswegen wollen wir eine Musterfeststellungsklage einführen, die übrigens deutlich günstiger ist als das, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen. Die Leute kommen billiger und schneller zu ihrem Recht; das ist die Antwort. Sie haben einen handwerklich schlechten Gesetzentwurf vorgelegt. Das muss man Ihnen einmal sagen dürfen.
({1})
Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Johannes Fechner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Der noch immer unfassbare Skandal um die manipulierten Abgaswerte hat uns allen gezeigt, wie dreist Firmen in Deutschland Verbraucher, aber auch andere Unternehmen täuschen und betrügen. Weil dabei oft hohe finanzielle Schäden entstehen und weil sich gerade kleinere Verbraucher einer Übermacht von Konzernen mit in der Tat großen Rechtsabteilungen und Finanzmitteln für Anwälte gegenübersehen, müssen wir handeln und Verbraucherinnen und Verbrauchern – gerne auch dem kleinen Handwerker, Frau Kollegin Rottmann – mehr und effektivere Möglichkeiten geben, ihre Rechte durchzusetzen. Denn eines ist klar: Wer recht hat, muss auch recht bekommen, und das schnell und vor allem ohne großes Kostenrisiko.
({0})
Mit dem Gesetzentwurf der Grünen werden wir diese Ziele nicht erreichen. Ihr Vorschlag ist in meinen Augen viel zu kompliziert; denn wenn, wie von Ihnen gefordert, etwa Hunderte oder gar Tausende Kläger einen Prozess führen, dann müsste ein Gericht in jedem Einzelfall die Schadenshöhe beurteilen, eigene Gutachten einholen und eigene Zeugen anhören, um den individuellen Schaden zu berechnen. Das würde zu viel zu langen Prozessen führen. Wir wollen doch gerade schnelle Verfahren. Wer jetzt seinen Diesel nachrüsten muss, will schnell sein Recht und den Schadensersatz für die Umrüstung bekommen. Ihr Gesetz ist untauglich, weil es zu endlosen Prozessen führen wird, Frau Kollegin Rottmann.
({1})
Sie wollen vor allem das Kostenrisiko nach dem Grundsatz „Verlierer zahlt“ auf den Verbraucher abwälzen. Das halte ich für falsch; denn dadurch verhindern Sie, dass die Verbraucher ein solches Verfahren eingehen, wie es in Ihrem Gesetzentwurf ausdrücklich steht.
Viel besser ist, es so zu regeln, wie wir das mit der Musterfeststellungsklage tun. Diese hat die SPD in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Diese Musterfeststellungsklage ist ein Meilenstein für den Verbraucherschutz in Deutschland.
({2})
Qualifizierte Einrichtungen wie etwa die Verbraucherzentrale werden in Musterprozessen für die Verbraucher die strittigen Fragen klären. Wenn die Fragen rechtsverbindlich geklärt sind, dann kann jeder Verbraucher seine Ansprüche in einem Prozess geltend machen, in dem dann ausschließlich über seine individuellen Schadensersatzansprüche entschieden wird.
Teilnehmen kann man an einem Musterprozess ganz einfach durch eine Registrierung, die wir über das Bundesamt für Justiz organisieren. Da besteht kein nennenswertes Kostenrisiko. Die Registrierung wird nur eine kleine Gebühr kosten. Wenn der Verbraucher seinen eigenen Prozess führt, dann hat er die Ergebnisse des Musterfeststellungsprozesses quasi im Rücken und damit die besten Prozessaussichten. Das ist vor allem in den Fällen wichtig, in denen ein Verbraucher abgezockt wurde, in denen es aber nicht um sehr große Summen geht. Wenn in solchen Fällen hinzukommt, dass der Verbraucher das Kostenrisiko zu tragen hat, dann wird er erst recht davon absehen, seine Rechte geltend zu machen.
Wir wollen – das steht ausdrücklich im Koalitionsvertrag – eine Klageindustrie verhindern. Es ist auch im Sinn eines Unternehmens, dass es sich nicht Tausenden von Klagen ausgesetzt sieht, sondern nur einem einzigen Musterprozess, in dem die Rechtsfragen geklärt werden.
({3})
Dadurch schaffen wir mehr Fairness im Wettbewerb. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen betrügt und dann die Gewinne einbehält. Vielmehr wird das Instrument der Musterfeststellungsklage auch zu mehr Fairness im Wettbewerb beitragen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Es ist gut, dass die SPD durchgesetzt hat, dass wir bis zum 1. November dieses Jahres – das ist die Zielmarke – nicht nur einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, Kollege Steineke, sondern ihn auch beschließen, sodass das Gesetz zum 1. November in Kraft tritt; denn wir wollen drohende Verjährungen zum Jahreswechsel 2018/19 ausdrücklich verhindern.
Kurzum: Das ist ein ganz wichtiges Gesetz – wie ich finde, eines der wichtigsten im Koalitionsvertrag –, das wir uns vorgenommen haben. Verbraucher müssen zu ihrem Recht kommen. Wer recht hat, muss recht bekommen, und das schnell und ohne Kostenrisiko. Genau dem dient unsere Musterfeststellungsklage.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag dem Kollegen Professor Dr. Lothar Maier von der AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in Deutschland ein auch im internationalen Vergleich hohes Niveau des Verbraucherschutzes erreicht, des rechtlichen Verbraucherschutzes ebenso wie des institutionellen, der etwa durch international renommierte Einrichtungen wie die Stiftung Warentest oder die Verbraucherzentralen vertreten ist. Das hat gleichwohl nicht verhindert, dass es nach wie vor eine enorm hohe Zahl von sogenannten Verbraucherstreitigkeiten gibt, von Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und Anbietern. Die Statistiken der öffentlichen Rechtsauskünfte, die Statistiken der Verbraucherzentralen belegen das zum Teil mit erschreckenden Zahlen.
Es gibt bestimmte Branchen, auf die sich solche Streitigkeiten besonders konzentrieren. Dazu gehören etwa Fluggesellschaften, Versicherungen, Strom- und Gasanbieter, Telefongesellschaften, aber auch kleinere Unternehmen, die in Sparten tätig sind, übel beleumdet Teile der Partnervermittlungsagenturen, bestimmte Anbieter von Bauleistungen usw.
Die Situation verschärft sich durch den Onlinehandel, insbesondere durch den grenzüberschreitenden Onlinehandel, für den sehr schwer rechtliche Unterstützung zu finden ist. In Deutschland zum Beispiel gibt es solche Unterstützung hauptsächlich durch das Europäische Verbraucherzentrum in Kehl. Die Streitwerte in diesem Bereich sind oftmals sehr niedrig. Sie sind so niedrig, dass sich viele Anwälte scheuen, in solchen Verfahren für Verbraucher tätig zu werden. Das Ergebnis ist: Die Geschädigten verzichten auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche, und bestimmte Anbieter können sich sagen: Unlauterer Wettbewerb lohnt immer.
Den Verbrauchern muss die Scheu vor Gerichtsverfahren genommen werden. Wir glauben, dass Gruppenverfahren dazu durchaus ein geeignetes Instrument darstellen können.
({0})
Es wird weltweit versucht, Verfahren der kollektiven Rechtsdurchsetzung zu etablieren, auch in etlichen Ländern der Europäischen Union. Ich nenne hier stellvertretend die skandinavischen Länder, die Tschechische Republik, Italien, Spanien, die Niederlande; es gibt noch einige andere.
Das geschieht aus der Erkenntnis heraus, dass Einzelverfahren allein dieses Problem nicht lösen können. Es wird auf das abschreckende Beispiel der Vereinigten Staaten verwiesen – auch in dieser Debatte wurde darauf verwiesen –, wo durch die Class Actions ein wirklich enormes Missbrauchspotenzial geschaffen worden ist; aber das ist nicht vergleichbar mit den Instrumenten, die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen werden. Die Misere in den USA ist verursacht durch Erfolgshonorare, auch durch die Bereitschaft der amerikanischen Gerichte, enorm hohe Schadensersatzsummen zuzubilligen, von denen das allermeiste bei den Klägern gar nicht ankommt, sondern bei Anwälten.
Die Probleme in den USA sind auch durch das sogenannte Opt-out-Verfahren gekennzeichnet, bei dem alle Betroffenen in einer bestimmten Problematik automatisch Teilnehmer eines Verfahrens werden, ohne dass sie sich dazu eigens gemeldet haben und oftmals auch ohne dass sie es überhaupt wissen.
So gesehen, kann der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, durchaus reizvoll erscheinen. Aber mit den Reizen von Gesetzentwürfen ist es manchmal so wie mit den Reizen von Menschen: Auf den ersten Blick und aus der Ferne betrachtet erscheinen sie blendend, sehen sie sehr gut aus. Wenn man ihnen etwas näher tritt und sie bei Tageslicht betrachtet, stellen sich doch einige Unebenheiten und Macken heraus.
({1})
Eine dieser Macken ist nach unserer Auffassung der Anwendungsbereich des Gesetzes: Er ist viel zu breit definiert. Ausgeschlossen sind praktisch nur Familiensachen. Damit ist der Bereich, für den solche Gesetzentwürfe eigentlich gedacht sind, nämlich Verbraucherstreitigkeiten, fast an den Rand gerückt.
Problematisch erscheint uns auch die breite Antragsbefugnis, die wir als Einladung für Großkanzleien sehen, solche Klagen zu betreiben. Das könnte die Gefahr einer Klageindustrie in Deutschland durch die Hintertür bedeuten.
({2})
Diese Antragsbefugnis sollte auf die Listen begrenzt werden, die in § 611 Nummer 2 des Entwurfs genannt werden und in deren Mittelpunkt die Verbraucherverbände, gerade die Verbraucherzentralen, stehen, die jahrzehntelange Erfahrung mit dem Abwickeln solcher Verfahren haben und die auch nur dann tätig werden, wenn sie mit großer Sicherheit annehmen können, dass sie die Verfahren gewinnen werden. Auch die vorgesehene Kostenregelung erscheint uns problematisch. Sie ist sicherlich sehr akzeptabel für die Anwälte; den Verbrauchern bringt sie aber im Vergleich zu den Kosten von Einzelverfahren nur wenige Vorteile. Schließlich könnte das Erfordernis der anwaltlichen Vertretung einen Rückschritt gegenüber Einzelverfahren mit geringem Streitwert bedeuten.
Fazit: Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung; aber er braucht noch eine ganze Reihe von tiefgreifenden Korrekturen, um zustimmungsfähig zu werden. Ich freue mich, mit Ihnen darüber im Ausschuss zu diskutieren.
Danke schön.
({3})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Katharina Kloke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tagesordnung steht eines der heißesten rechtspolitischen Themen dieses Jahres: der kollektive Rechtsschutz. Wir sprechen heute nicht über die von der GroKo angekündigte Musterfeststellungsklage. Bei der ist es, so viel sei vorweggenommen, ein bisschen wie beim BER: Baustelle dichtmachen und noch einmal ganz von vorne anfangen ist wahrscheinlich am günstigsten. Dem interessierten Laien drängt sich dieser Eindruck auf; zahlreiche Experten haben ihn bestätigt.
Insoweit ist der Entwurf der Grünen für ein Gruppenverfahren verdienstvoll; aber er hat auch Schwächen. Erstens handelt es sich – immerhin – um ein eigenes Konzept. Und er löst zweitens – immerhin – eine Reihe von Problemen deutlich besser als das notleidende GroKo-Modell.
({0})
Lassen Sie uns das näher anschauen. Sie sagen: Zugangsschranken runter ist gleich mehr Rechtsdurchsetzung. Dagegen ist vom Grundsatz her wenig einzuwenden. Es gehört zum liberalen Rechtsstaatsverständnis, dass jeder freie Mensch sein Recht auch geltend machen und mithilfe des Rechts durchsetzen kann. Der Staat ist dafür da, faire und freiheitliche Spielregeln für den Einzelnen aufzustellen. So schafft er den bestmöglichen Rahmen für Wettbewerb und Innovation. Das dient dem Wohle aller. Das spricht für Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes, und das spricht für die Absenkung von Zugangsschranken. Was man aber beachten muss: „Zugangsschranken runter“ bedeutet erst einmal einen deutlich stärkeren Zulauf zu den Gerichten. Das Justizsystem wird zunächst einmal zusätzlich be- und nicht entlastet. Diese Belastung soll ausgeglichen oder gar überkompensiert werden. Das soll aus der umfassenden Bündelung von bestimmten Prüfungsfragen in einem einzigen Gruppenverfahren erfolgen. Das ist aber erst einmal nur eine spekulative Hoffnung.
Hinzu kommt: Sofern das Gruppenverfahren nicht im vollstreckbaren Vergleich endet, muss der Teilnehmer eine individuelle Klage an das Gruppenverfahren anschließen, um seine individuellen Ansprüche tatsächlich durchzusetzen. Das geht noch einmal durch alle Instanzen und hat also eine weitere Inanspruchnahme der Gerichte zur Folge. Das ist eine Gewissheit. Sie müssen den Bürgern also auch sagen, dass es sie etwas kostet, stärker in Anspruch genommene Gerichte entsprechend auszustatten.
Wie wollen Sie den Zugang zum Recht vereinfachen? Unter anderem, indem Sie dem KapMuG die Idee der einfachen Teilnahme entleihen. Positiv für den einzelnen Teilnehmer des Gruppenverfahrens ist, dass er so relativ leicht verhindern kann, dass seine Ansprüche verjähren. Wer seine Teilnahme erklärt, der muss am Ende auch das Urteil im Gruppenverfahren gegen sich gelten lassen. Das ist zunächst einmal konsequent. Hochproblematisch ist allerdings, dass die Teilnehmer, die nicht vom Gericht als Gruppenkläger ausgewählt worden sind, keine Möglichkeit haben, selbst Prozesshandlungen vorzunehmen oder rechtlich gehört zu werden. Das ist aber ein Frontalunfall mit dem Grundgesetz. „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör“; so steht es in Artikel 103 Grundgesetz.
Dass man am Gruppenverfahren freiwillig teilnimmt, ist kein hinreichendes Argument; denn jede Klage ist freiwillig. Trotzdem kann das rechtliche Gehör noch verletzt werden. Auch die scheinbare Vertretung durch den Gruppenkläger entschärft das Problem nicht; denn er handelt nur für sich selbst. Entscheidend sind vielmehr die formelle Verfahrensbeteiligung und die Möglichkeit der unmittelbaren Beeinträchtigung in eigenen Rechten durch den Verfahrensausgang. Beim KapMuG ist das anders. Im dort geregelten Musterverfahren können die sogenannten Beigeladenen selbst Prozesshandlungen wirksam vornehmen.
Mein letzter Punkt betrifft die Klagebefugnis. Hier gehen Sie bewusst einen anderen Weg als das KapMuG. Aus der Sicht der FDP ist er nicht erstrebenswert; denn es ist aus unserer Sicht nicht richtig, dem Paternalismus Vorschub zu leisten. Wir halten es nicht für der Weisheit letzten Schluss, ein neues Verbandsklageinstrument für „qualifizierte Einrichtungen“ zu schaffen, wo schon die bestehenden Verbandsklagemöglichkeiten nicht so genutzt werden wie gedacht.
({1})
Wir brauchen nicht noch mehr Paternalismus in diesem Land; wir brauchen mündige Verbraucher und freie Bürger.
Vielen Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort nun die Kollegin Amira Mohamed Ali.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Durch die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene Gruppenklage soll es Verbraucherinnen und Verbrauchern erleichtert werden, ihre Rechte durchzusetzen. Die Linke teilt dieses Ziel und auch die Analyse, dass es hier aktuell Lücken gibt, ja ganze Instrumente zur Rechtsdurchsetzung fehlen.
Wie dringlich das Thema ist, hat sich spätestens mit dem Dieselabgasskandal gezeigt.
({0})
Bis heute ist nicht klar, wie die Bundesregierung mit dem millionenfachen Betrug umgehen will. Ich muss Ihnen sagen: Die Untätigkeit der Bundesregierung ist ein Skandal auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Linke akzeptiert das nicht. Wir fordern Sie auf: Handeln Sie endlich!
({1})
Nun schlagen die Grünen vor, ein Gesetz zu schaffen, das die Bündelung von individuellen Ansprüchen ermöglicht. Im Entwurf heißt es konkret, dass sich mindestens zehn Personen zusammentun, um einen gemeinsamen Gerichtsprozess, ein Gruppenverfahren, anzustrengen. Das Urteil, das später gefällt wird, gilt dann für alle, die an diesem Verfahren beteiligt waren. Das setzt allerdings voraus, dass die Betroffenen sich einen Anwalt genommen haben.
Für den Einzelnen ist das erst einmal ein Kostenrisiko. Dieses Risiko steigt, wenn die Klägerzahl im Laufe des Verfahrens unter neun sinkt; denn dann ist das Gruppenverfahren nicht mehr möglich, und das halten wir für kritisch.
({2})
Was durch diesen Vorschlag auch nicht gelöst wird, ist das Problem der sogenannten Streuschäden. Davon spricht man, wenn es eine große Anzahl von Schäden gibt, die für sich genommen so klein sind, dass der Einzelne die Sache gar nicht weiterverfolgen würde: zum Beispiel die Berechnung zu hoher Versandkosten im Onlinewarenhandel; das einige Cent zu teure Telefongespräch ist ein weiteres Beispiel. Es geht also um kleine Beträge, die zu Unrecht von Tausenden, Hunderttausenden oder gar Millionen Kunden eingefordert werden. Die Linke will nicht, dass große Unternehmen Reibach machen können, indem sie massenhaft ein paar Cent oder Euro zu viel berechnen, weil sie davon ausgehen, dass der einzelne Betroffene deswegen schon nicht klagen wird. Hier braucht es ein einfaches, kostengünstiges Instrument, das die Menschen schützt, und zwar vor jeder Art der Abzocke.
({3})
Die Linke fordert deshalb einfache und niedrigschwellige Möglichkeiten für die Menschen, zu ihrem Recht zu kommen, und zwar ohne großes Kostenrisiko. Nur das schafft Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, meine Damen und Herren.
({4})
Wenn die Bundesregierung Verbraucherrechte tatsächlich schützen und stärken möchte, dann muss sie endlich eine deutliche Ausweitung des kollektiven, des gemeinsamen, Klagerechts veranlassen. Nur so können Verbraucherzentralen und -verbände oder auch Anwaltskanzleien Rechtssicherheit für die Betroffenen herbeiführen.
Dieser Bedarf zeigt sich deutlich an dem bereits erwähnten Abgasskandal. Derzeit existiert ein Flickenteppich von Entscheidungen zu der Frage, ob Dieselfahrzeughalterinnen und -halter aufgrund illegal verbauter Abschalteinrichtungen Anspruch auf Rückgabe oder Schadenersatz haben. Millionen Menschen können ihr Risiko, bei einem Gerichtsprozess zu verlieren und dann auf hohen Kosten sitzen zu bleiben, nicht einschätzen. Sie zögern, zu klagen, und laufen dabei Gefahr, ihre Ansprüche durch Verjährung zu verlieren. Das ist schlicht inakzeptabel.
({5})
Ein Weg zur Lösung dieses Problems wäre eine effektive Musterfeststellungsklage, die so ausgestaltet ist, dass alle, die von derselben Sachlage betroffen sind, davon auch profitieren. Konkret: Fällt ein Gericht in einer Sache ein Urteil zugunsten der Verbraucher, können alle von der gleichen Situation betroffenen Personen sich auf genau dieses Urteil berufen und sich bei Gericht einen Titel holen, um damit ihre Rechte durchzusetzen, ohne – ich betone: ohne – selber klagen zu müssen.
({6})
Das wäre der effektivste Weg, um den Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen.
Die Bundesregierung hat nun angekündigt, dass im November ein Gesetz über die Musterfeststellungsklage verabschiedet werden soll. Wir, Die Linke, setzen uns dafür ein, dass es nicht nur bei der Ankündigung bleibt, sondern dass endlich Taten folgen und die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher auch wirklich gestärkt werden. Beim Abgasskandal droht bereits die Verjährung der Ansprüche der Betroffenen.
Unsere Bundesregierung hat im Verbraucherschutz die letzten Jahre leider im Schlafwagen verbracht; aber keine Angst: Die Linke wird sie wecken.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher wird einer der Schwerpunkte in der Rechtspolitik der Großen Koalition sein. Wir kümmern uns deswegen darum, weil wir um die strukturelle Ungleichheit bei der Durchsetzung von Klein- und Streuschäden wissen. Der Zugang zum Recht ist oftmals erschwert durch die fehlende Möglichkeit, direkt und einfach Recht zu bekommen, aber auch durch die Hürden, die das aktuelle Zivilprozessrecht vorsieht. Das wollen wir ändern. Wir sagen: Wir wollen den Zugang zum Recht weiter erleichtern und gleichzeitig für die Gerichte die Voraussetzungen für die Anwendung des Rechts verbessern.
Wir wollen das deswegen tun, weil die bisherigen Instrumente noch nicht vollständig geeignet sind, diese Ziele zu erfüllen. Die Klagemöglichkeiten der Verbände nach dem Unterlassungsklagengesetz sind präventiv und ein gutes Instrument, um verbraucherfeindliche Klauseln gerade in den Bereichen Mobilfunk und Elektrizität zu unterbinden. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hat sich in der Praxis – da müssen wir ehrlich sein – als zu schwerfällig und zu langwierig erwiesen. Das zeigt beispielsweise das Verfahren um die Erstattung bei der Telekom, das sich jetzt mittlerweile über ein Jahrzehnt zieht. Deswegen brauchen wir ein neues und ein gutes Instrument, um die Ansprüche von Verbrauchern zu bündeln und um Verbrauchern zu ihrem Recht zu verhelfen. Wir stehen an der Seite der Verbraucher.
({0})
Jetzt ist die Frage, ob der vorgeschlagene Gesetzentwurf der Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen diesem Ansinnen gerecht wird. Wir haben diesen Gesetzentwurf bereits mehrmals im Deutschen Bundestag debattiert.
({1})
Die grundlegenden juristischen Fragestellungen, die dieser Gesetzentwurf aufwirft, aber nicht beantwortet, bleiben bestehen.
Frau Kollegin Rottmann, Sie haben gesagt, es dürfe nicht auf das Geld ankommen, ob jemand bei Klein- oder Streuschäden klagt oder nicht. Wenn Sie aber von jemandem verlangen, dass er einen Anwalt nimmt – Sie wollen ja einen Anwaltszwang verankern –, dann muss er entweder die Erstberatungsgebühr von über 200 Euro aufbringen oder umständlich erst einmal seine Rechtsschutzversicherung fragen, ob er klagen darf.
({2})
Das ist kein einfacher Zugang zum Recht. Sie erschweren den Zugang zum Recht.
Sie müssen auch sehen, was mit § 619 Ihres Entwurfs bewirkt würde. Da führen Sie einen sogenannten Gruppenkläger ein. Der Gruppenkläger soll für die Gruppe die entsprechenden Prozesshandlungen vornehmen. Das Problem ist aber, dass Sie im gleichen Paragrafen sagen, dass dieser Gruppenkläger durch die anderen nicht in Haftung genommen werden kann und dass kein Schuldverhältnis begründet wird. Das heißt übersetzt: Der Gruppenkläger kann machen, was er will. Das ist nicht verbraucherfreundlich.
({3})
Sie müssen bitte auch sehen, was für eine komplizierte Regelung in § 623 bezüglich der Frage des Vergleiches vorgesehen ist. Demnach soll ein Vergleich nur zustande kommen, wenn weniger als 30 Prozent den Austritt aus dem Vergleich erklären. Warum haben Sie es nicht andersherum gelöst und festgelegt: „Wenn 50 Prozent beitreten, dann gilt der Vergleich“? Das wäre eine wesentlich einfachere Regelung gewesen.
Schließlich sind auch die Regelungen über die Berufung ziemlich kompliziert und verbraucherfeindlich. Der Gruppenkläger kann nämlich Berufung einlegen, auch mit Wirkung für die Gruppe, ohne dass jemand aus der Gruppe irgendwie aus der Berufung austreten kann. Damit erhöhen Sie das Prozesskostenrisiko für die gesamte Gruppe auf Kosten derjenigen, die eigentlich nur eine Erstattung der Streuschäden wollen. Insofern ist Ihr Gesetzentwurf zu kompliziert, baut zu hohe Hürden auf und kann den Anspruch, die Rechtsdurchsetzung für den Verbraucher zu verbessern, nicht erfüllen. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab – aus inhaltlichen Gründen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir werden als Große Koalition alsbald einen Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage vorlegen. Sie werden erkennen, dass damit der Zugang zum Recht wesentlich erleichtert wird.
({5})
Es werden nur anerkannte Verbände klagebefugt sein, es wird ein sehr niederschwelliges Klageregister geben, und wir wollen auch die Verfahrensfristen verkürzen, damit die Durchsetzung des Rechts anders als im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz nicht Monate oder Jahre dauert. – Ich würde die Zwischenfrage zulassen, Herr Präsident.
Bitte schön, Frau Kollegin Rottmann.
Vielen Dank, Herr Ullrich, dass Sie die Frage zulassen. – Gestern ist ein VW-Händler verurteilt worden. Der arme Mann oder die arme Frau – ich weiß es nicht genau – kann ja gar nichts für diesen mangelhaften Wagen. Er könnte sich jetzt mit anderen Händlern zusammentun und seinerseits VW in Regress nehmen, da der Konzern für diese Manipulation verantwortlich ist. Welche Verbraucherzentrale, glauben Sie, wird diesen Händler vertreten, und wie wollen Sie das Problem lösen, dass der Händler kein Verbraucher ist? Er steht alleine gegen VW.
Die Frage der Klagebefugnis im Rahmen der Musterfeststellungsklage wird von der gesetzlichen Ausgestaltung abhängig sein. Gerade für den Bereich des Handwerks oder der kleineren Händler, für den ich Sympathie habe, wollen wir beispielsweise eine Klagebefugnis der Industrie- und Handelskammern in das Gesetz schreiben, damit wir ihnen genau in den Fällen, in denen Händler oder Handwerker letzten Endes auf dem Regress sitzen bleiben würden, eine Rechtsschutzmöglichkeit gegenüber den größeren Unternehmen geben. Fairness muss auf beiden Seiten vorhanden sein. Deswegen bitte ich Sie, dass Sie genau bei diesem Punkt an den Gesetzesberatungen mitwirken.
({0})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch überlegen, wie wir kleinere Streuschäden oder Erstattungsbeträge im Bereich von wenigen Euro für die Verbraucher handhabbarer machen. Das typische Beispiel ist: Jemand kauft sich über eine App eine Fahrkarte bei einem Verkehrsunternehmen wie der Deutschen Bahn. Der Zug kommt nicht. Um den Erstattungsanspruch von 4,90 Euro oder 7,80 Euro geltend zu machen, muss oftmals umständlich ein Formular ausgefüllt werden. Hier muss zukünftig gelten, dass die Erstattung auf die gleiche Art und Weise vorgenommen werden kann wie der Kauf der entsprechenden Fahrkarte. Auch hier brauchen wir Waffengleichheit und Fairness. Wir haben das übrigens in der letzten Wahlperiode schon dadurch gelöst, dass wir gesagt haben: Ein Vertrag muss auf die gleiche Art und Weise gekündigt werden können, wie er geschlossen wurde. – Das gilt auch für die Erstattungen.
Wir haben viel vor im Bereich des Verbraucherschutzes. Wir werden es beherzt und sehr tatkräftig anpacken. Ich lade jeden ein, hier mitzuwirken.
Herzlichen Dank.
({1})
Die letzte Rednerin in dieser Sitzungswoche ist die Kollegin Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Ende der Sitzungswoche zu einem so wichtigen Thema zu reden, ist etwas Besonderes. Ich werde jetzt nicht die ganze Debatte zusammenfassen, die ich sehr gut fand. Aber ich glaube, wir sollten einfach einmal ein paar Punkte festhalten, bei denen wir einer Meinung sind. Mich hat es sehr gefreut, dass wir uns, was die Grundrichtung angeht, alle einig sind: Wir müssen dafür sorgen, dass derjenige, der recht hat, auch recht bekommt.
({0})
Ich stehe hier vor allem als Verbraucherschutzpolitikerin. Darum will ich noch einmal sagen, warum das Ganze ein so elementarer Bestandteil des Verbraucherschutzes ist. Es geht nicht nur darum, dass man die Möglichkeit hat, zu klagen. Wir haben in den letzten Jahren einige gute Gesetze, die die Rechte von Verbraucherinnen und Verbraucher stärken, nach vorne gebracht. Nur leider bleiben diese Gesetze zahnlos, wenn die Leute nicht die Möglichkeit haben, diese Rechte auch durchzusetzen. Es ist in der Tat so, dass es einen sehr großen Unterschied macht, ob ich zum Anwalt gehen muss oder nicht, wie lang das Verfahren ist, um welche Schadenshöhe es geht. Das alles hält die Leute davon ab, zu klagen. Außerdem kann in manchen Fällen, in denen die Rechtslage nicht ganz eindeutig ist, auch ein existenzielles Risiko dahinterstehen, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher klagen und am Ende nicht gewinnen.
Deswegen ist es eine Frage des individuellen Rechtsempfindens bzw. des individuellen Gerechtigkeitsempfindens. Die Leute fühlen sich zu Recht zutiefst verunsichert. Wir Politikerinnen und Politiker haben ein ureigenes Interesse daran, hier Beschlüsse zu fassen und zu einer Lösung zu kommen. Denn wenn Leute nicht zu ihrem Recht kommen, weil die Hürden zu hoch sind, dann untergräbt das am Ende auch die Autorität des Rechtsstaats.
({1})
Es ist daher zwingend notwendig, dass wir hier dafür sorgen, zu einer Form der kollektiven Rechtsdurchsetzung zu kommen.
Wir haben viel über das Thema Abgasskandal gesprochen. Es ist ein populäres und aktuelles Beispiel. Ich freue mich, dass dieses Thema als Katalysator dazu geführt hat, dass auch die CDU/CSU über die Hürde gesprungen ist. Es ist aber nicht das beste Beispiel für die Notwendigkeit der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Es geht vielmehr um die Frage: Was macht man mit den Verfehlungen und Verstößen, die sich im niedrigeren Bereich bewegen? Das Thema Abgas und Diesel hat eine hohe Aufmerksamkeit. Da klagen schon viele Leute. Aber für die Leute, die nach rationaler Abwägung zu dem Schluss kommen, wegen eines Schadens von 2,50 Euro oder 5 Euro beispielsweise durch eine fehlerhafte App zu klagen, lohnt sich der Aufwand nicht. Für den Einzelnen mag der Schaden verschmerzbar sein, aber hier werden Gewinne mit rechtswidrigem Verhalten gemacht. Wir Politikerinnen und Politiker, aber auch der Rechtsstaat müssen ein Interesse daran haben, dass Leute dagegen klagen und am Ende zu ihrem Recht kommen.
({2})
Ich möchte auf den Antrag zurückkommen und noch einmal sagen, warum wir unsere Vorstellungen von einer Musterfeststellungsklage für besser halten. Der Kollege Fechner hat schon viele Punkte aufgeführt. Aber ich möchte noch einmal auf die besonders qualifizierten Einrichtungen hinweisen. Das Thema Diesel – das habe ich bereits gesagt – hat eine hohe Tagesaktualität; bei ihm sind viele Verbraucherinnen und Verbraucher sehr sensibilisiert. Bei anderen Themen ist das aber nicht der Fall. Mithilfe dieser Einrichtungen – die Verbraucherzentralen haben beispielsweise eine Sensorfunktion – entwickelt man ein Gespür für einen systematischen Betrug oder wettbewerbswidrige Geschäftspraktiken. Somit gibt es eine Möglichkeit, Verbraucherinnen und Verbraucher anzusprechen und ihnen zu sagen: Schauen Sie einmal hin! Wie läuft es bei Ihnen? Hier in der Beratung gibt es die Möglichkeit, mit einer Musterfeststellungsklage Ihre Ansprüche durchzusetzen.
Deswegen wäre mein Appell, dass wir diese gute Diskussion im Gesetzgebungsprozess weiter fortführen, dass wir die Punkte, die von den Grünen und den Linken angesprochen wurden, auch aufnehmen. Die wichtigen Fragen bezüglich der Handwerker oder der Autohändler müssen wir ansprechen; denn uns geht es um eine effektive Rechtsdurchsetzung.
Ich erlaube mir, bevor ich zum Schluss komme, Sie darauf hinzuweisen: Schauen Sie noch einmal in den Koalitionsvertrag. Dort haben wir sehr detailliert ausgeführt,
({3})
was wir vorhaben. Ich habe gelernt: Der Gradmesser für die Prioritätensetzung im Koalitionsvertrag ist das Verhältnis von Werden und Wollen. Es steht vier zu eins für Werden. In diesem Sinne, Frau Mohamed Ali, kann ich Sie beruhigen. Sie brauchen uns nicht mehr zu wecken. Wir von der SPD sind bei diesem Thema schon längst ausgeschlafen.
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache zu diesem letzten Tagesordnungspunkt.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/243 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. März 2018, 11.30 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen ein erfolgreiches Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 13.08 Uhr)