Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Alle Augen und Ohren sind heute natürlich auf die Bund-Länder-Runde gerichtet, darauf, wie es weitergeht mit den Coronabeschränkungen und dem Impfen. Das bestimmt die Diskussion in den Medien und sicherlich auch in den Wohnzimmern. Dennoch will ich heute mit Ihnen über Umweltpolitik reden. Denn die Pandemie lehrt uns: Eine intakte Natur und die entsprechenden Investitionen zahlen sich aus. – Deshalb hat die Bundesregierung trotz des Lockdowns in den letzten Wochen und Monaten im Umweltschutz ganz wichtige Fortschritte gemacht, gerade heute beim Schutz der Insekten.
Das Bundeskabinett hat das Insektenschutzgesetz auf den Weg gebracht und die Anwendung umweltschädlicher Pestizide ganz erheblich eingeschränkt. Endlich! Anderthalb Jahre ist es jetzt her, dass ich mit dem Aktionsprogramm Insektenschutz ein Umsteuern eingeleitet habe. Und heute hat das Kabinett sehr deutlich bewiesen, dass wir das ernst meinen. Äcker sollen wieder einladender werden für Insekten: mehr Klatschmohn und Kornblume, weniger Ackergifte und ausgeräumte Agrarlandschaften. Auch Städte sollen insektenfreundlicher werden durch weniger Lichtverschmutzung und mehr Raum für Insekten, auch außerhalb von Parks und Gärten.
Was ändert sich jetzt konkret? Glyphosat wird endlich verboten. Es tötet wahllos Wildpflanzen ab und zerstört damit die Nahrungsgrundlage für Vögel und Insekten. Bis Ende 2023 gibt es eine europarechtlich bedingte Übergangszeit und dann eben ein Komplettverbot. Und bis dahin wird der Einsatz erheblich eingeschränkt werden.
Flüsse, Bäche, Seen werden sauberer, da Pestizide nur noch in angemessenem Abstand eingesetzt werden dürfen. Das schützt Tiere und Pflanzen im Wasser und am Ufer.
In Schutzgebieten sollen Insekten wieder echten Schutz finden. Mittel, die Insekten und Wildkräuter abtöten und dabei die biologische Vielfalt schädigen, werden weitestgehend verbannt. Zusätzliche Flächen werden als Biotop anerkannt und unter Schutz gestellt.
Und auch bei der Landschaftsplanung soll künftig der Insektenschutz stärker berücksichtigt werden. Das erleichtert es zum Beispiel, Biotope zu einem Netzwerk geschützter Lebensräume zu verbinden.
Wir haben im Kabinett damit Lösungen gefunden, die der Landwirtschaft und den Insekten gleichermaßen gerecht werden. Die neuen Regelungen sind eine Mischung aus neuen rechtlichen Vorgaben, der Öffnung für Vertragsnaturschutz und gesellschaftlich gemeinsam erarbeiteten Lösungen. Die aufgeheizte Debatte der letzten Wochen zu diesem Thema hat erneut deutlich gemacht, wie wichtig das Herstellen von Gemeinsamkeit in unserer Gesellschaft ist.
Ich weiß: Die Landwirtinnen und Landwirte sind unter Druck aufgrund der teilweise unanständigen Preispolitik des Handels und aufgrund einer jahrelang verfehlten Agrarpolitik. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass das Umsteuern in der Landwirtschaft künftig besser entlohnt wird. Wir brauchen deutlich mehr Geld aus der Agrarförderung in der sogenannten zweiten Säule, um vertragliche kooperative Vereinbarungen besser finanzieren können.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, Insekten, das sind kleine Nutztiere. Sie bestäuben Blüten, sie fressen Schädlinge, sie bereiten gesunde Böden, sie ernähren Vögel und andere Tiere. Insektenschutz sichert nicht nur das Überleben von Hirschkäfern und Erdhummeln. Er sichert auch die Zukunft unserer Landwirtschaft und nutzt damit uns allen. Gleiches gilt für viele Projekte der Umweltpolitik, zum Beispiel beim Klimaschutz.
Letzte Woche hat das Bundeskabinett beschlossen, den Anteil erneuerbarer Energien im Verkehr ganz erheblich zu steigern. Weitere Schritte sind nötig, schon allein aufgrund der Anhebung des EU-Klimazieles für 2030 – ein weiterer großer Erfolg der letzten Wochen und das Ergebnis wirklich harter Arbeit.
Auch bei der Reduzierung von Plastikmüll geht es voran. Wer sich Essen oder Kaffee zum Mitnehmen kauft, soll künftig die Wahl haben zwischen Mehrweg- und Einwegbehältern. Das hat das Kabinett Ende Januar vereinbart und heute erst Regelungen zur Kennzeichnung von Einwegprodukten.
Also, die Klimakrise, die Plastikflut, der Insektenschwund, der Verlust von Lebensräumen, all das geht weiter, leider auch in Pandemiezeiten. Lassen Sie uns daher weiter an Lösungen arbeiten, die Menschen und Umwelt gleichermaßen zugutekommen. Lassen Sie uns das gemeinsam tun!
Ich freue mich jetzt auf Ihre Fragen.
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Die erste Frage stellt der Kollege Karsten Hilse, AfD.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Ministerin! Zum Thema CO2-Steuer: Die Bundesregierung hat, wirksam zum 1. Januar 2021, die CO2-Steuer eingeführt. Deren Wirksamkeit ist offenkundig; denn die gesamte Energie verteuerte sich ab dem 1. Januar 2021 schlagartig. Das Vergleichsportal Verivox errechnete im Schnitt stattliche 7 Prozent mehr, nur für den Januar. Das ist zum geringen Teil natürlich auch der Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung geschuldet, aber eben nur zum geringen Teil; den Löwenanteil verursacht die CO2-Steuer. Und das bei gleichzeitiger Steigerung von CO2-Emissionen weltweit, zum Beispiel in China und Indien.
Jetzt meine Frage: Wie kommen Sie und Ihre Regierung auf die Idee, dass die deutsche Energieverteuerung etwas anderes bewirkt, als dass die Wirtschaft abwandert und die Leute mittels hoher Preise bei gleichzeitigem Arbeitsplatzverlust in die Armut getrieben werden?
Frau Bundesministerin.
Ganz herzlichen Dank für die Frage. Wir haben einen CO2-Preis eingeführt, weil CO2 eine Belastung für das Klima und für die Umwelt ist und deswegen der CO2-Ausstoß reduziert werden muss. Der CO2-Preis wirkt ab 1. Januar. Das ist genau das Richtige, um eben ein Umsteuern in Richtung der klimafreundlichen Alternativen auf den Weg zu bringen. Wir haben weltweit eine Verantwortung. Wir haben eine Verantwortung, weil wir eben in großem Umfang CO2 emittiert haben. Dieser Verantwortung werden wir in dieser Regierung auch gerecht, dieser Verantwortung werden wir europaweit gerecht. Das wird die AfD hier im Parlament und auch generell nicht verhindern. Wir haben da eine Verantwortung für die Zukunft.
Nachfrage, Herr Kollege?
Ja, vielen Dank. – Frau Ministerin, in einem Wortbeitrag im Bayerischen Rundfunk im Zusammenhang mit der Coronaepidemie sagten Sie konkret: „Wir merken ja im Moment alle, dass wir eben nicht alles steuern können.“ Dem können wir natürlich zustimmen, nur zustimmen. Würden Sie uns daher bitte in einfachen, verständlichen Worten erklären, was Sie und Ihre Regierung dazu veranlasst, die Gesellschaft auch darauf auszurichten, dass sich das mindestens so komplexe, wenn nicht sogar komplexere Klimasystem der Erde von uns oder von Ihrer Regierung beeinflussen lässt?
Herr Abgeordneter, ja, mit dem Klima, mit der Natur, mit der Umwelt können Sie nicht verhandeln. Es gibt keine Verhandlungslösung. Das Klima wartet nicht, bis wir so weit sind, sondern wir müssen Maßnahmen ergreifen.
Wir sind davon geprägt, dass wir sagen: Wir müssen Vorsorge leisten. Wir müssen CO2-Emissionen reduzieren; denn 99,8 Prozent aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der Welt sind sich einig, dass wir etwas gegen diese Klimaveränderungen tun sollen. Schauen Sie ins IPCC, in das Internationale Klima-Panel! Da sehen Sie, dass es eine große Einigkeit in der Wissenschaft gibt. Wir folgen hier der Wissenschaft, wir reduzieren CO2. Wir sind in Deutschland in den letzten Jahren dabei wirklich schon vorangekommen, und wir werden bis Mitte des Jahrhunderts treibhausgasneutral werden. Das sind wir dieser Gesellschaft und das sind wir der internationalen Verantwortung schuldig.
Der Kollege Dr. Hoffmann, FDP, hat eine Nachfrage. – Entschuldigung. Mit dem Mund-und-Nasen-Schutz ist man zwar geschützt, aber auch davor, dass man erkannt wird. Deswegen hatten wir früher auch mal ein Vermummungsverbot.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie haben es gerade angesprochen: Bei den CO2-Bepreisungen sind wir ja grundsätzlich auf der gleichen Schiene. Sie haben aber in diesem Jahr auch gleichzeitig die Kfz-Steuer angehoben. Das ist jetzt nur eine Steuer, die geringe Einkommen belastet und besonders teuer dann ist, wenn man das Fahrzeug wenig benutzt. Ist diese systemwidrige Art, genau das andere zu tun, ausgerechnet bei der Mobilität, im Sinne der Bundesregierung, im Sinne Ihres Ressorts?
Herr Abgeordneter, ja, wir haben auch die Kfz-Steuer angehoben. Das ist genau der richtige Anreiz, eben auf sparsame, auf kleinere Fahrzeuge zu setzen, und der Anreiz, die E-Mobilität stärker voranzubringen. Wir haben es mit all den Förderprogrammen geschafft, die wir auf den Weg gebracht haben, so viele Neuanmeldungen bei den E-Fahrzeugen zu haben wie noch niemals zuvor. Und das ist genau der richtige Weg, den wir da weitergehen wollen. Die Kfz-Steuer ist ein Baustein in dem gesamten Maßnahmenprogramm, was dazu einen Beitrag liefert.
Danke sehr. – Ich lasse jetzt noch eine Nachfrage des Kollegen Marc Bernhard, AfD, zu. Dann komme ich zu der Frage des Kollegen Alois Gerig.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, bereits heute muss eine vierköpfige Familie für Ihre ganzen Klimamaßnahmen 4 000 Euro im Jahr bezahlen. Und trotz dieser massiven Belastungen hat eben in den letzten zehn Jahren der CO2-Ausstoß Deutschlands so gut wie überhaupt nicht abgenommen; er hat sich nicht verändert. Und jetzt kommen durch Ihre CO2-Steuer bis 2026 weitere 2 600 Euro zusätzliche Belastungen auf diese vierköpfige Familie zu. Dann kommt noch der Green Deal dazu; da sollen ja weitere 1 000 Milliarden Euro bis 2030 ausgegeben werden. Das sind noch mal mehr als 1 600 Euro pro vierköpfige Familie pro Jahr, also in Summe weit über 8 000 Euro pro Jahr für vierköpfige Familien.
Jetzt ist die Frage: Wie sollen sich die Menschen in unserem Land diese ganzen Ausgaben eigentlich noch leisten können, insbesondere angesichts der größten Wirtschaftskrise seit 1929, wie Bundeskanzlerin Merkel ja sagt?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, was wir wollen, ist, dass die klimafreundlichen Alternativen gewählt werden. Wir wollen als Staat gar nicht mehr Geld einnehmen, zum Beispiel über den CO2-Preis, sondern wir wollen, dass die klimafreundlichen Alternativen diejenigen sind, die günstiger sind.
Ich bezweifle erst mal Ihre Zahlen, die Sie hier gerade genannt haben. Wir haben auch enorme Entlastungen gerade für Familien auf den Weg gebracht: Wir haben ein Mobilitätsgeld eingeführt, also die Pendlerpauschale verändert. Wir helfen bei der Sanierung von Gebäuden. Es gibt ein Programm zum Austausch alter Ölheizungen. Wir machen das Bahnfahren billiger. Wir haben den Strompreis gedeckelt. Wir haben also auch eine ganze Menge Dinge auf den Weg gebracht, die kostendämpfend wirken.
Aber was wir brauchen, ist die Umsteuerung, die auf uns alle zukommt: Wir alle müssen die klimafreundlichen Alternativen wählen. Das ist das, was künftig günstiger ist. Das ist das, was gut ist – für die Menschen und für die Umwelt.
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Danke sehr. – Alois Gerig, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin, danke, dass ich fragen darf. Sie sind doch hoffentlich mit mir einer Meinung, dass wir unseren Bäuerinnen und Bauern den Rücken stärken müssen? Global gesehen, nimmt der Hunger exorbitant zu. Bei uns schließen täglich Höfe ihre Tore für immer, und die Marktanteile für die Selbstversorgung sinken permanent.
Deswegen lauten meine Fragen: Erstens. Wie wollen Sie verhindern, dass mit dem Insektenschutzgesetz neue, zusätzliche Bürokratie aufgebaut wird und dieser nationale ordnungspolitische Alleingang die Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern weiter erschwert? Zweitens. Wie ist sichergestellt, dass die guten kooperativen Ansätze, die wir beispielsweise in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern mit viel Mühe gemeinsam – Politik, NGOs und Landwirtschaft – umgesetzt haben, nicht gefährdet werden?
Verehrter Herr Abgeordneter, ich glaube, uns allen liegt die Zukunft der Landwirtschaft am Herzen. Wir wollen, dass in Deutschland gute Lebensmittel hergestellt werden. Deswegen haben wir das Gesetz, das wir auf den Weg gebracht haben, und übrigens auch die Verordnung, für die die Verantwortung bei meiner Kollegin Klöckner liegt, sehr ausgewogen gestaltet.
Wir werden mit meinem Gesetzentwurf die Landschaftsplanung stärken. Wir werden den gesetzlichen Biotopschutz nach vorne bringen, den Biozideinsatz in Schutzgebieten jetzt endlich einschränken. Wir werden temporäre Naturschutzmaßnahmen ermöglichen, etwas, was aus der Landwirtschaft heraus sehr gefordert wurde. Wir werden Beleuchtungsanlagen verändern. Das sind alles wichtige Punkte zum Insektenschutz. Es ist nicht mehr Bürokratie für die Landwirtschaft.
Wir haben in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung im Ressort meiner Kollegin Klöckner sehr gut den kooperativen Ansatz unterstützt. Modelle, wie wir sie aus Niedersachsen, aus Brandenburg kennen, wo alle sich an einen Tisch setzen, gemeinsam Maßnahmen nach vorne bringen, solche Modelle werden jetzt ausdrücklich unterstützt, gefördert und für ganz Deutschland auf den Weg gebracht.
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Nachfrage? – Danke. Dann hat der Kollege Dr. Hoffmann jetzt eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Möglichkeit zur Nachfrage. – Frau Ministerin, ich will die Frage von Herrn Gerig noch mal aufgreifen und konkreter machen.
Wir haben ja in Baden-Württemberg einen guten Kompromiss gehabt. Aber jetzt kommen Sie mit einem neuen Insektenschutzgesetz, stülpen es so drüber und machen die Situation nicht besser. Ich will es konkreter machen: Wollen Sie tatsächlich immer noch, dass in FFH-Gebieten überhaupt keine Pflanzenschutzmittel mehr ausgebracht werden dürfen? Wir sprechen also nicht über Naturschutzgebiete, sondern über FFH-Gebiete. Das bedeutet zum Beispiel für Lörrach in meinem Wahlkreis: 266 Hektar Acker, 50 Hektar Wein- und 37 Hektar Obstanbau sind betroffen. Diese Flächen können dann im Grunde nicht mehr bewirtschaftet werden. Werden Sie die Flächen ankaufen, oder wollen Sie die kalte Enteignung so durchgehen lassen?
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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben mit dem Insektenschutzgesetz und der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung einen sehr guten Schutz der Insekten auf den Weg gebracht und gleichzeitig dafür gesorgt, dass Landwirtinnen und Landwirte klare Perspektiven haben, klar wissen, woran sie sind, und natürlich weiterhin Landwirtschaft betreiben können. Wenn Sie sich das Gesetz und die Verordnung ansehen, dann werden Sie sehen, dass wir kooperative Maßnahmen unterstützen und dass natürlich weiter Landwirtschaft möglich ist.
Es gibt überhaupt nur in einem kleinen Teil der FFH-Gebiete im Moment Landwirtschaft, die nicht nach biologischen Maßgaben betrieben wird. Für diesen kleinen Teil, also für den Weinanbau, für den Obst-, Hopfen- und Gemüseanbau, haben wir Ausnahmen gemacht, sodass dort weiterhin Landwirtschaft stattfindet. Das ist, glaube ich, selbstverständlich, dass wir so was auf den Weg bringen. Wir haben einen Großteil jetzt geschützt. Aber Landwirtschaft wird weiter in diesen Gebieten möglich sein.
Frau Kollegin.
Vielen Dank für das Wort. – Sehr geehrte Frau Ministerin, haben Sie zum Beispiel an dem gestrigen Tag mit den Landwirten Kontakt aufgenommen und mit ihnen gesprochen? Ich habe diese langen Kolonnen von Traktoren gestern in der Stadt gesehen, Unter den Linden und auf der Leipziger Straße. Die Bauern sind verzweifelt.
Wenn Sie sagen, Sie ermöglichen weiterhin Landwirtschaft, dann ist das für mich sehr schwach. Denn ich muss sagen: Landwirtschaft ist unsere Lebensquelle. Wenn man die Landwirtschaft nur noch eindämmt und zügelt und den Landwirten Vorschriften macht, werden wir alle verhungern. Oder glauben Sie, wir können durch Lieferketten überleben? Das hat man ja gesehen, wie fabelhaft das jetzt in der Pandemie funktioniert. – Danke.
Frau Abgeordnete, nicht nur ich, wir in der Regierung sind insgesamt sehr oft mit Landwirtinnen und Landwirten im Gespräch. Es gibt sogar eine eigene Kommission, die Zukunftskommission Landwirtschaft, bei der Bundeskanzlerin. Es gibt intensive Gespräche genau zu diesem Thema.
Landwirtinnen und Landwirte stehen mit dem Rücken zur Wand, weil es eine Preispolitik gibt, die die Preise für Lebensmittel immer weiter runterdrückt. Damit können selbst mit den Zuschüssen, die über die Gemeinsame Agrarpolitik gezahlt werden können, einfach immer weniger Landwirtinnen und Landwirte leben. Deswegen muss das endlich verändert werden. Die Herstellung von Milch und anderer Produkte hierzulande muss auch dazu führen, dass Landwirtinnen und Landwirte davon leben können. Diese unselige Preisspirale, alles immer, immer billiger zu machen, muss endlich gestoppt werden. Landwirtinnen und Landwirte leisten wichtige Arbeit. Diese Arbeit spiegelt sich in ihren Produkten wider, die auf hohem Qualitätsniveau sind, und die haben auch einen angemessenen Preis.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Andreas Bleck, AfD.
Sehr geehrte Frau Ministerin, artenreiches Grünland und Streuobstwiesen sollen in den Biotopschutz überführt werden. Das drohende Verbot von Pflanzenschutzmitteln auch dort könnte dazu führen, dass einige Bauern, die ja dort auch freiwillig Umweltschutz betrieben haben, jetzt diese Streuobstwiesen, dieses Grünland umbrechen werden, und zwar in Ackerfläche. Wie erklären Sie den Bürgern eigentlich, dass durch Ihr Insektenschutzpaket der Umweltschutz jetzt sogar zum Teil konterkariert wird? Das würde mich wirklich interessieren.
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass Landwirtinnen und Landwirte ein Interesse daran haben, Streuobstwiesen sozusagen umzubrechen und sie nicht mehr zu fördern. Das ist etwas, was bei vielen Landwirtinnen und Landwirten ein hohes Ansehen hat. Diese Streuobstwiesen sind übrigens in vielen Bundesländern heute schon geschützt. Was wir jetzt machen, ist ein bundeseinheitlicher Schutz dieser wichtigen Biotope. Sie sind wichtig für den Insektenschutz; es handelt sich um wichtige Gelände. Ich bin sehr froh, dass es uns jetzt gelungen ist, mehr Flächen unter Naturschutz zu stellen. Gerade diese Streuobstwiesen sind für den Insektenschutz ein ganz wichtiger Ort.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke sehr. – Frau Ministerin, an einer Stelle bin ich ja mit Ihnen einer Meinung: Ich wundere mich auch, wie manche meinen können, dass Boden- und Artenvielfaltsschutz eine Anfeindung gegenüber den Landwirten sei. Für mich sind das die Betriebsgrundlagen der Landwirtschaft. Wenn sie die nicht haben, wird es von den Betriebskosten her immer teurer, weil man andere Mittel einsetzen muss.
Meine Frage an Sie bezieht sich konkret auf Glyphosat. Sie loben in diesen – das habe ich in den Medien auch gelesen – Vereinbarungen jetzt den Ausstieg aus Glyphosat Ende 2023. Wo da das Positive ist, verstehe ich nicht ganz, weil Glyphosat doch sowieso nur bis Ende 2023 in der Europäischen Union zugelassen ist und die Zulassung überhaupt nur noch bis dahin eine Verlängerung bekam, weil damals Herr Schmidt als Agrarminister gegen die Vereinbarung der Koalition aus CDU/CSU und SPD und die Entscheidungsabläufe im Kabinett in Brüssel mit Ja gestimmt hatte. Wir wissen also: Glyphosat wird in Brüssel für die Zeit nach 2023 keine Verlängerung mehr bekommen. Wo ist jetzt das Besondere Ihrer Entscheidung, dass der Einsatz Ende 2023 zu Ende geht?
Frau Abgeordnete, Sie haben genau richtig beschrieben, warum es Glyphosateinsatz europarechtlich im Moment überhaupt noch gibt. Das ist nun mal das Europarecht; wir können es nicht vorher komplett verbieten. Was wir aber machen, ist, vorher schon den Einsatz von Glyphosat deutlich zu reduzieren. Das, was wir zugesagt haben, nämlich einen Plan zur Reduzierung von Glyphosat, haben wir heute auf den Weg gebracht.
Ich stimme Ihnen absolut zu: Insekten und der Schutz des Bodens sind die Grundlage von Landwirtschaft. Wenn wir die Bestäubungsleistungen der Insekten als Menschen selber übernehmen wollten, dann wäre das kaum möglich, dann gäbe es in Deutschland kaum noch Obstanbau, dann wäre die Landwirtschaft enorm gefährdet. Deswegen ist es uns so wichtig, die Insekten, vor allen Dingen die Bestäuber, zu schützen.
Carsten Träger, SPD, hat eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Bundesministerin, herzlichen Dank für Ihren beharrlichen Einsatz für das Thema Insektenschutz, den wir ja schon im Koalitionsvertrag abgesprochen hatten; aber nun sind wir auf einem sehr guten Weg, was die Umsetzung angeht. Auch aus meiner Sicht ist das Verbot von Glyphosat ein ganz wesentlicher Baustein der Strategie oder des jetzt anstehenden Handelns. Es ist aber nur eins von vielen Pflanzenschutzmitteln. Deswegen wäre meine Frage: Wie sind die Vereinbarungen, die im Kabinett getroffen wurden, hinsichtlich des Umgangs mit anderen Pflanzenschutzmitteln?
Herr Abgeordneter, vielen Dank für diese Frage. – Ja, glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel sind nur ein Teil des Problems. Deswegen haben wir vereinbart, dass wir aus Glyphosat aussteigen wollen, so schnell es geht, so schnell es europarechtlich möglich ist. Das ist nun mal leider erst Ende 2023. Wir wollen aber auf dem Weg dahin die Pflanzenschutzmittel deutlich reduzieren. Wir werden sowohl Herbizide als auch Pflanzenschutzmittel in den Schutzgebieten, aber eben auch auf den Äckern deutlich reduzieren.
Deswegen haben wir auch die freiwilligen Lösungen noch mal ausdrücklich begrüßt. Es ist eine deutliche Verbesserung, dass sich mit den ganzen Volksbegehren und Initiativen für den Artenschutz so viele Länder schon auf den Weg gemacht haben, kooperative Lösungen vor Ort zu finden. Das wollen wir jetzt für ganz Deutschland ermöglichen und damit den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich reduzieren.
Angesichts der Vielzahl von Nachfragen wollte ich Ihnen gerne sagen, dass ich maximal zwei Nachfragen aus jeder Fraktion zulasse. Herr Kollege Kraft, das trifft Sie immer; es tut mir leid.
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Die Kolleginnen Nicole Bauer, FDP, und Steffi Lemke können noch eine Nachfrage stellen. Dann kommen wir zur Frage des Kollegen Dr. Gero Clemens Hocker.
Vielen Dank, dass Sie meine Frage zulassen. – Ich habe tatsächlich drei Fragen.
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Einerseits sagen Sie im Hinblick auf die Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung, dass Sie sich für die Zukunft der Landwirtschaft und für Planungssicherheit einsetzen. Zugleich steht im Entwurf, dass sich die neue Verordnung bis 2024 erstreckt, und danach gilt keinerlei Regelung mehr. Mich würde interessieren: Wie ist Ihre Haltung dazu?
Andererseits haben Sie gesagt, die Landwirtschaft, die bäuerlichen Betriebe liegen Ihnen am Herzen. In Bayern, in Baden-Württemberg, überall gehen die Landwirte auf die Straße, auch hier in Berlin. Zugleich wirbt die SPD in zahlreichen Wahlkämpfen aktuell dafür, keine Pestizide auf Gemeindeflächen einzusetzen. Wie passt das zusammen, wenn Sie sich doch für die regionale Landwirtschaft starkmachen?
Meine dritte Frage geht in die folgende Richtung: Sie sagen, Artenvielfalt, Biodiversität sind Ihnen wichtig. Warum setzen Sie sich dann nicht im Rahmen der GAP dafür ein, dass das Grünlandumbruchsgebot angepasst wird und nicht zahlreiche Ackerflächen alle fünf Jahre erneut umgebrochen werden? Damit wird nämlich einerseits Biodiversität vernichtet und andererseits den Menschen die Struktur zur Nahrungsmittelherstellung genommen. Das würde mich interessieren; denn das ist die unsinnigste europäische Verordnung, und das fällt auch in Ihr Gebiet.
Frau Abgeordnete, ich beantworte natürlich gerne auch die Fragen an das benachbarte Landwirtschaftsministerium; Frau Klöckner kann das aber auch gut selber.
Noch mal, um es ganz klar zu sagen: Wir wollen Pflanzenschutzmittel deutlich reduzieren.
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Wir werden mit der neuen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung von Frau Klöckner den Einsatz von Glyphosat jetzt auf den Gemeindeflächen, auf Spielplätzen, überall dort, wo es im Moment noch eingesetzt wird, verbieten. Wir werden übrigens auch die Anwendung zu Hause verbieten. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren.
Auch im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik habe ich sehr deutlich gemacht, dass ich mehr Schutz möchte, dass ich mehr Biodiversitätsschutz möchte. Wir sind auf der europäischen Ebene noch nicht so weit gekommen, wie ich mir das gewünscht habe, und es wird jetzt sehr stark darauf ankommen, wie wir das national umsetzen. Dazu habe ich erst im letzten Monat einen großen Agrarkongress veranstaltet, wo ich eine ganze Reihe von detaillierten Vorschlägen vorgelegt habe, wie man das ganz konkret machen kann, wie man Landwirtschaft und Biodiversitätsschutz, den Schutz von Artenvielfalt zusammenbringen kann. Das ist möglich. Das zeigen uns jeden Tag die Biolandwirte, die das in exzellenter Art und Weise machen. Das ist aber auch in anderen Betriebsformen möglich; wir müssen es nur endlich voranbringen. Die Nachfrage danach bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ist vorhanden.
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Eigentlich sind bei Nachfragen und Antworten immer nur 30 Sekunden vorgesehen. Ich bin da ganz großzügig; aber ich wollte es bloß sagen. Die Minute würde ich aber ungern überschreiten lassen. – Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke, dass Sie das noch mal kurz erwähnen, Herr Präsident. – Frau Ministerin, bisher kamen die Nachfragen ja primär aus dem Bereich der Landwirtschaft. Ich würde gerne noch mal zum Ausgangspunkt dieses Gesetzes zurückkommen, zu dem gravierenden Artensterben, das wir weltweit, vor allem aber auch in Deutschland sehen und wo uns sämtliche wissenschaftlichen Studien inzwischen bestätigen, dass Landnutzungsänderungen und die industrialisierte Intensivlandwirtschaft die Hauptverursacher in Deutschland sind. Es sind nicht die alleinigen Verursacher – auch Lichtverschmutzung ist ein Problem –, aber der Hauptverursacher ist die Intensivlandwirtschaft.
Ich bin deshalb ein bisschen erstaunt, dass Sie das, was von Ihrem ursprünglichen Ansatz übrig geblieben ist, jetzt hier so uneingeschränkt loben. Ich will das an zwei konkreten Beispielen festmachen:
Erstens. Der Refugialflächenansatz ist nach meiner Kenntnis komplett aus dem Gesetzentwurf verschwunden. Vielleicht können Sie mich eines Besseren belehren, dann würde ich das positiv finden. Aber er stand im Aktionsprogramm Insektenschutz als ein ganz wichtiger Faktor für den Insektenschutz drin, und das hatte Frau Klöckner im Kabinett bereits unterschrieben. Wie kann es sein, dass das ersatzlos verschwindet?
Zweitens. Pestizidverbot in Naturschutzgebieten.
Frau Lemke.
Ausnahmeregelungen sollen in Zukunft möglich sein und nicht mehr von der unteren Naturschutzbehörde genehmigt werden, sondern von einer anderen Stelle. Das sind zwei gravierende Fehler.
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Die Ermahnung hat nicht sehr gefruchtet.
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Frau Abgeordnete, ich stimme Ihnen in der Analyse absolut zu: Wir haben ein Riesenproblem. Wir verlieren Insekten, und zwar überall. Wir verlieren sie dadurch, dass wir Lebensräume verlieren. Und natürlich – die Hälfte der Fläche Deutschlands sind landwirtschaftlich genutzte Flächen – ist das auch ein Riesenproblem in den Agrarlandschaften. Ich glaube, wir haben uns sehr oft darüber ausgetauscht und sind da einer Meinung.
Wie ist das mit dem Pestizidverbot? Wenn Sie in einem Naturschutzgebiet einen Schadensfall haben, wenn also der Borkenkäfer, der Kiefernspinner im Wald einfällt, dann ist es auch heute so, dass Sie Maßnahmen ergreifen können. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Wenn es auf Grünflächen, im Grünland große Probleme gibt, dann kann man Ausnahmen machen, um Schädlingen sozusagen zu Leibe zu rücken. Das ist heute der Fall, und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Zum Refugialflächenansatz. Das ist etwas, was wir im Bereich der Pflanzenschutzmittelzulassung regeln müssen; das ist also etwas, was wir noch vor uns haben. Deswegen finden Sie diesen Ansatz jetzt nicht im Insektenschutzgesetz und nicht in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung, weil es dabei nicht um die Zulassung geht.
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Dr. Gero Hocker, FDP, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, verehrter Herr Präsident. – Verehrte Frau Ministerin, Sie haben heute Vormittag ja mit der Bundeslandwirtschaftsministerin eine gemeinsame Pressekonferenz abgehalten, auch um zum Ausdruck zu bringen, dass es sich um ein gemeinsames Papier, um ein gemeinsames Projekt zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium handelt. Vor diesem Hintergrund möchte ich von Ihnen gerne hören, welche konkreten Inhalte, die Eingang in dieses Projekt, in dieses gemeinsame Projekt beider Häuser, gefunden haben, Ihnen besonders wichtig gewesen sind.
Herr Abgeordneter, Sie möchten das jetzt auch in dieser einen knappen Minute beantwortet haben? Ich würde dazu deutlich mehr Zeit brauchen. Aber ich würde sagen: dass wir jetzt ein klares Verbot von Glyphosat haben, dass wir den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren, dass wir die Schutzgebiete ausweisen, dass wir gleichzeitig gemeinschaftlich funktionierende Lösungen, wie wir sie in Niedersachsen, in Brandenburg gefunden haben, unterstützen und vorantreiben. – Das sind alles wichtige Punkte, die Sie in der Verordnung und in dem Gesetz finden. Ich glaube, dass wir da eine sehr gute gemeinsame Lösung gefunden haben.
Danke sehr. – Nachfrage, Herr Kollege Hocker?
Ja, sehr gerne. Vielen Dank. – In der Pressekonferenz heute Vormittag ist ja auch in Aussicht gestellt worden, dass insgesamt 140 Millionen Euro für den Ausgleich der Nutzungserschwernisse bereitgestellt werden sollen, die jetzt auf Landwirte zukommen – für die kalte Enteignung, wie es einige nennen. Viele Landwirte haben durchaus Vorbehalte, erstens dass diese Summe ausreicht, weil sie glauben, dass die Erschwernisse, die auf sie zukommen, sehr viel größer sind. Und zweitens haben sie, nachdem schon diese Bauernmilliarde von vor einigen Monaten ja nicht wirklich bei den Höfen, bei den Betrieben angekommen ist, große Vorbehalte, dass hier wiederum durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen diese Nutzungserschwernisse ausgeglichen werden.
Haben Sie Verständnis für die Landwirte, die Vorbehalte haben, weil sie wissen, dass solche Gelder nur zu erhalten sind, wenn umfangreiche bürokratische Auflagen – es bedeutet für sie sehr viel administrativen Aufwand – erfüllt werden? Was sagen Sie den Bauern, die deswegen davor zurückschrecken, solche Anträge überhaupt erst zu stellen?
Ich bin erst mal froh, dass wir so viele Mittel für Landwirtinnen und Landwirte zur Verfügung stellen können, dass wir mit der Gemeinsamen Agrarpolitik auf der europäischen Ebene jedes Jahr wieder so viel Geld zusätzlich für die Landwirtschaft bekommen. Und ja, Sie haben recht: Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz ist ein eigenes Fenster für den Insektenschutz vorgesehen. Wir machen Biodiversitätsförderung in meinem Haus; wir fördern die Forschung. Wir haben gerade im Rahmen der neuen GAP-Periode, die wir jetzt auf den Weg bringen, noch mal neue Möglichkeiten, um Ausgleiche für Landwirtinnen und Landwirte zu schaffen. Das ist alles sinnvoll, weil es nämlich das Ziel unterstützt, mehr für den Insektenschutz zu tun.
Ich erlebe es übrigens so, dass sehr viele Landwirtinnen und Landwirte das aktiv unterstützen, dass sie sich für die Umwelt einsetzen. Frau Künast hat eben gesagt: Das ist ihre Grundlage. – Deswegen wollen sie, dass auch noch ihre Kinder, ihre Enkel Landwirtschaft betreiben können, und das wird ohne Insekten nicht möglich sein. Deswegen ist das genau der richtige Weg, den wir hier einschlagen.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Carsten Träger, SPD. – Oder wollen Sie nicht mehr?
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– Herr Spiering. Ihre Meldungen sind ein bisschen verwirrend, Herr Schneider.
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Herr Spiering, bitte.
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– Bevor die Frage gestellt ist, können Sie sich noch nicht zu einer Zusatzfrage melden.
Herr Präsident, der Herr Schneider verwirrt nie jemanden. Das ist doch wohl völlig klar. – Sehr geehrte Frau Ministerin, die heutige Debatte und Ihre Antworten geben mir Anlass zu der Bitte, namentlich auch der Kollegin Bauer etwas Nachhilfe zu geben bei der Frage: Was ist ein Gesetz, und was ist eine Verordnung?
Wir werden das Insektenschutzgesetz hier im Hause verhandeln. Deswegen sind die Spielflächen da auch noch frei. Aber ich wäre sehr dankbar, wenn Sie definieren würden, welche Möglichkeiten zum Agieren die Ministerin Klöckner im Bereich Agrar durch die Pflanzenschutzverordnung gemäß Ihrer gemeinsamen Verlautbarung jetzt hat, damit NABU, BUND, namentlich der Bauernverband und vielleicht der ein oder andere Kollege hier im Haus auch weiß, an wen er sich in Zukunft vertrauensvoll wenden kann, wenn es um spezielle Fragen des Agrarbereiches geht.
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Erst mal, Herr Abgeordneter, darf ich Ihnen absolut zustimmen: Ich habe Herrn Schneider auch als jemanden kennengelernt, der sehr klar kommuniziert. Das zum Ersten.
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Kritisieren Sie niemals den Präsidenten.
Nein, das würde ich niemals. Ich habe den Abgeordneten unterstützt. Ich würde den Präsidenten niemals kritisieren. Also, da darf ich Sie unterstützen, Herr Abgeordneter.
Was ist jetzt konkret im Insektenschutzgesetz, und was ist in der Verordnung geregelt? Das Insektenschutzgesetz regelt die Stärkung der Landschaftsplanung. Das regelt den gesetzlichen Biotopschutz und den Biozideinsatz – Biozide sind etwa Holzschutzmittel – in Schutzgebieten. Das regelt die Stärkung der Naturschutzmaßnahmen, und das regelt Beleuchtungsanlagen.
Alles andere, was wir heute diskutieren – also der Einsatz von Glyphosat, die Verwendung und Anwendung von Herbiziden, das Mindestabstandsgebot zu Gewässern –, werden Sie in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung finden – also den einen Teil im Gesetz, den anderen Teil in der Verordnung. Beides ist aber Bestandteil des Aktionsprogramms Insektenschutz, und damit gehört das eben auch zusammen.
Danke sehr. – Der Kollege Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, es kam ja schon zu Sprache: Sie haben sich gegen die Beschränkungen des Pestizideinsatzes in FFH-Gebieten entschieden, anders als es im Aktionsprogramm Insektenschutz vorgesehen war. Stattdessen sollen jetzt auf 90 Prozent der betroffenen Flächen freiwillige Maßnahmen zur Pestizidreduktion zum Einsatz kommen.
Die Freiwilligkeit ist eine sehr gute Sache; aber sie muss finanziert sein. Die 140 Millionen Euro in der GAK sind schon angesprochen worden. Frau Klöckner hat vorhin in der Pressekonferenz von weiteren 50 Millionen Euro gesprochen. Jetzt bin ich aus Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Hocker nicht ganz schlau geworden.
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Haben Sie diese Millionen schon im Haushalt, oder brauchen Sie noch einen Nachtragshaushalt, oder widmen Sie die jetzt um? Darauf hätte ich jetzt gerne eine ganz konkrete Antwort. Sind da tatsächlich 190 Millionen Euro übrig?
Herr Abgeordneter, ich kenne mich in meinem Haushalt sehr gut aus. Aber in dem Haushalt von Frau Klöckner kenne ich mich nicht ganz so gut aus. Deswegen wäre das, glaube ich, eine Frage, die wir mit der Kollegin noch mal ganz genau klären müssten.
Ich würde aber Ihre Vorausbedingung noch mal ein wenig erläutern wollen; denn FFH-Gebiete sind nicht grundsätzlich ausgenommen. Vielmehr haben wir bei den Gebieten, die reine FFH-Gebiete sind und keinen weiteren Schutzfaktor haben, gesagt, dass wir dort auf kooperative Lösungen gehen können. Das sind 4,9 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland. Wir stellen jetzt sehr viel unter Schutz, und ein ganz kleiner Teil davon sind landwirtschaftlich genutzte Flächen. Das sind in erster Linie Grünlandflächen. Im Grünland werden traditionellerweise heute schon deutlich weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Für diese Flächen werden jetzt eben auch kooperative Lösungen gefunden.
Und ja, es werden zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Die Gemeinsame Agrarpolitik auf der europäischen Ebene ermöglicht jetzt zum Beispiel, dass der FFH-Deckel, also der Ausgleich für FFH-Flächen, angehoben wird. Auch darüber wird es noch mal neue Finanzierungsmöglichkeiten geben.
Der Kollege Dr. Hocker hat eine Nachfrage.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Frau Ministerin, ich bin dem Kollegen Spiering ja sehr dankbar für die Belehrung zum Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren.
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Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass beides keine Aussage darüber trifft, ob es Ihnen im Ziel eigentlich darum geht, die Insektenbiomasse oder die Insektenbiodiversität in besonderer Weise zu befördern. Wie Sie hoffentlich wissen, steht beides in einem negativen Spannungsverhältnis zueinander. Deswegen möchte ich von Ihnen gerne wissen, wie Sie, wenn diese Frage noch nicht einmal geklärt ist, überhaupt evaluieren, bewerten wollen, ob Sie mit Ihren Maßnahmen, mit Ihrem Gesetz, mit Ihrer Verordnung überhaupt irgendeinen Effekt erreichen können.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, danke für die Frage. – Wir wollen sowohl die Menge an Insekten wieder erhöhen – also die Masse, von der wir sehr viel verloren haben, teilweise bis zu 80 Prozent – als auch die Vielfalt der Insekten. Da inzwischen schon die Hälfte unserer rund 560 Bienenarten auf der Roten Liste steht und damit vom Aussterben bedroht ist, ist es ganz entscheidend wichtig, dass wir wieder mehr Lebensraum für Insekten zur Verfügung stellen.
Wir haben gleichzeitig die Forschung ausgeweitet. Gerade wird ein Biodiversitäts-Monitoring-Zentrum aufgebaut. Es gibt deutlich mehr Geld für diese Forschung. Denn: Ja, wir müssen beim Monitoring besser werden; das ist in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt worden. Das wird von uns jetzt aufgegriffen, dafür gibt es zusätzliches Geld. Mit diesem Biodiversitäts-Monitoring-Zentrum werden wir neue Möglichkeiten haben, das genauer zu verfolgen.
Danke sehr. – Frau Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, hat die nächste Nachfrage, und dann hat noch der Kollege Dr. Kraft eine Nachfrage.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben auf eine der ersten Fragen geantwortet, dass besonders die bestäubenden Insekten zu schützen sind. Gleichwohl stand in Ihrem vor zwei Jahren verabschiedeten Aktionsprogramm Insektenschutz das Verbot von biodiversitätsschädigenden Insektiziden unter anderem in FFH-Gebieten. Wir sind uns ja wahrscheinlich völlig einig, dass es in der Bedrohung der Arten nicht nur darum geht, dass wir potenziell Bestäuber verlieren könnten, was dann zu Situationen führt, die heute schon in China erlebbar sind, sondern dass es in der Tat auch um diese große Krise mit Blick auf das Aussterben geht. Wie Sie eben sagten: Vielfalt und Masse der Insekten müssen geschützt werden.
Deshalb möchte ich Sie gerne zur Veränderung eines relevanten Adjektives fragen. Denn diese „biodiversitätsschädigenden Insektizide“, die im Aktionsprogramm Insektenschutz noch vorkamen, haben sich jetzt in „bestäuberfeindliche Mittel“ verwandelt. Das schränkt den Kreis der Mittel, die nun unter anderem in FFH-Gebieten nicht mehr angewendet werden sollen, deutlich ein. Ich möchte Sie fragen, wie diese Veränderung zustande kam.
Frau Kollegin.
Wir wissen ja, dass die Einigung zwischen den beiden Häusern nicht so ganz einfach war. Liegt es daran?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, wir haben uns bemüht, das, was wir im Aktionsprogramm Insektenschutz als „biodiversitätsschädigend“ bezeichnet haben, in die Sprache zu übersetzen, die in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung üblicherweise verwendet wird. Dort sind es einfach andere Kategorien. Das heißt, die Biodiversität ist jetzt definiert in „bienen- und bestäuberfeindlich“. Das ist aber im Kern das Gleiche. Es ist nur eine andere Formulierung dafür gefunden worden.
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Das, was wir wollen, nämlich dass die Biodiversität geschützt wird, dass Bestäuber geschützt werden, ist mit „bienen- und bestäuberfeindlich“ ganz genauso bezeichnet.
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Danke sehr. – Der Kollege Dr. Kraft, AfD, hat die letzte Nachfrage zu dieser Frage.
Ja, danke. Da wir jetzt zu diesem Themenkomplex zurückgekehrt sind, kann ich sie auch stellen. – Frau Ministerin, ich bin etwas überrascht. Sie erwecken den Eindruck, als ob die Landwirte in Deutschland nichts Besseres zu tun haben, als ihr Geld für Pflanzenschutzmittel auszugeben, die sie auf die Felder kloppen, obwohl es nicht notwendig ist. Die Bauern können in der Regel sehr gut und sehr hart kalkulieren, weil sie mit ihrem eigenen Geld arbeiten. Diese Ausgaben sind ein Investment; der Landwirt verspricht sich davon einen Mehrwert.
Wenn Sie jetzt Gesetze erlassen, die dazu führen, dass weniger in den Schutz der Feldfrüchte auf dem Acker investiert wird: Welchen Ausgleich für Ertragsminderungen werden die Landwirte erhalten? Sie suggerieren hier, dass die Landwirte aus Spaß an der Freude und komplett unnütz ihr Geld für Pflanzenschutzmittel ausgegeben haben und sie zum Vergiften der Umwelt auf den Feldern verteilt haben, obwohl es nicht notwendig gewesen wäre.
Herr Abgeordneter, diesen Eindruck muss ich erst einmal deutlich zurückweisen. Es ist von niemandem in der Bundesregierung jemals nur in Betracht gezogen worden, dass Landwirtinnen und Landwirte so agieren könnten.
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Landwirtinnen und Landwirte gehen sehr verantwortlich mit der Landwirtschaft um. Was wir jetzt aber wollen, ist, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert wird. Dafür wird es auch Ausgleiche geben; das ist doch selbstverständlich. Und daran haben wir alle als Gesellschaft ein Interesse; denn wenn es keine Bestäuber mehr gibt, dann wird es auch keine Landwirtschaft in Deutschland mehr geben. Wir wollen, dass nicht nur diese Generation, sondern dass auch die nächsten Generationen hier in Deutschland noch hochwertige Lebensmittel produzieren können. Wir arbeiten vorsorglich. Unser Vorsorgeprinzip kommt in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zum Ausdruck. Das ist die Politik, die die Menschen von uns erwarten. Es soll hier auch in Zukunft noch möglich sein, gute Lebensmittel herzustellen, und dafür schaffen wir heute die Bedingungen.
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Ralph Lenkert, Die Linke.
Frau Ministerin, die Notwendigkeit von Insektenschutz ist richtig und die Notwendigkeit der Eigenversorgung mit Lebensmitteln ebenfalls. Ich stelle Ihnen hier die Frage: Wie wollen Sie Landwirtinnen und Landwirten ermöglichen, insektenfreundlich zu wirtschaften, bei den Dumpingpreisen der Agrarindustrie, bei den Dumpingpreisen der Einzelhandels- und der Großhandelsketten?
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Wie wollen Sie sicherstellen, dass Landwirtinnen und Landwirte vernünftige Fruchtfolgen einführen können, wenn die Rahmenbedingungen dafür nicht geschaffen werden?
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Wie stellen Sie sicher, dass Landwirtinnen und Landwirte im Biolandbau, die bisher über KULAP-Maßnahmen gefördert werden, diese Einnahmen zukünftig nicht verlieren, weil durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen die Zusatzförderung wegfällt?
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Herr Abgeordneter, erst mal freue ich mich sehr darüber, dass ich so viele Fragen aus dem landwirtschaftlichen Bereich gestellt bekomme. Ich will nur noch einmal kurz darauf hinweisen, dass das zwei Ministerien sind; also meins heißt Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, und dann gibt es das Ministerium für Landwirtschaft. Trotzdem beantworte ich Ihre Frage natürlich gerne.
Ja, wir brauchen vielfältige Fruchtfolgen. Wir müssen eine andere Ackerbaustrategie verfolgen, um auch den Humusaufbau in den Böden weiter zu fördern. Frau Klöckner hat ja bereits angekündigt, dass diese Ackerbaustrategie von ihr erarbeitet ist und jetzt diskutiert werden soll.
Ich teile Ihre Ansicht, dass die Dumpingpreise ein riesiges Problem sind und dass es unanständig ist, was der Handel inzwischen macht. Dagegen müssen wir stärker vorgehen. Es muss für das, was Landwirtinnen und Landwirte leisten, auch angemessene Preise geben. Ich jedenfalls fordere das immer wieder.
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Nachfrage, Herr Lenkert?
Frau Ministerin, Sie haben also in der Bundesregierung nach wie vor keine Maßnahmen zur Sicherstellung einer insektenfreundlichen Landwirtschaft getroffen; das stelle ich jetzt fest. Ich frage Sie zu Ihrem Haus. In Ihrem Haus gibt es ein Förderprogramm für die Sanierung von Außen- und Straßenbeleuchtung. Haben Sie vor, die Förderbedingungen dahin gehend zu ergänzen, zukünftig eine Förderung der Umstellung auf bessere Lampen, Leuchtmittel – ich sage bewusst nicht LED, weil es andere Alternativen gibt – an das Kriterium Insektenfreundlichkeit zu koppeln, und wie lange wird dies dauern?
Herr Abgeordneter, wir haben auch jetzt schon Maßnahmen auf den Weg gebracht. Ich hatte zu Beginn gesagt, dass wir in der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz schon ein Fenster für den Insektenschutz vorgesehen haben. Wir haben das Zentrum für Biodiversitätsmonitoring auf den Weg gebracht; in meinem Haus gibt es zusätzlich ein Programm für den Biodiversitätsschutz, woraus man Mittel bekommen kann. Wir haben schon große Teile des Aktionsprogramms Insektenschutz umgesetzt.
Wird es bei den Beleuchtungen Regelungen geben? Ja, das ist ein Teil dessen, was Sie jetzt auch in dem Insektenschutzgesetz finden werden. Ich will in Schutzgebieten, vor allen Dingen dort, wo sehr viele nachtaktive Insekten sind, die von künstlichen Lichtquellen angelockt werden könnten, die Neuerrichtung solcher Anlagen auf jeden Fall verhindern. Und in dem Gesetz ist auch eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen vorgesehen, weil auch weitere Lichtverschmutzung, zum Beispiel von Werbetafeln usw., eingeschränkt werden muss. Und das andere auch, ja.
Danke schön. – Die Kollegin Steffi Lemke hat eine Nachfrage dazu – 30 Sekunden!
Sie erinnern sich vermutlich an die „Krefelder Studie“, Frau Ministerin. Der gleiche Forscherkreis hat gerade ganz alarmierende neue Studienergebnisse zu weiteren Insekten vorgelegt. Denn es gibt auch andere Insekten, die bekanntermaßen keine Bestäuber, aber Nützlinge sind, weil sie zum Beispiel Blattläuse vertilgen. Können Sie mir vor diesem Hintergrund eventuell noch mal erläutern, warum in Ihrem Insektenschutzgesetz aus „biodiversitätsschädlich“ „bestäuberschädlich“ geworden ist und ob Sie jetzt zwischen guten und schlechten Insekten unterscheiden?
Nein, wir unterscheiden nicht zwischen guten und schlechten Insekten, sondern wir haben einfach die Kategorien, die bisher im Pflanzenschutzrecht üblich waren, jetzt wieder aufgegriffen. Die Mittel, die für Bienen und andere Bestäuber schädlich sind, sind auch schädlich für Schwebfliegen. Und natürlich werden damit dann auch Schwebfliegen geschützt.
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Wir haben ein Vokabular verwendet, das eins zu eins beschreibt, was im Aktionsprogramm Insektenschutz steht, und zwar in einer Sprache, die für den
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Rechtskreis sozusagen angemessen ist. Es gibt da keinen Unterschied; es entsteht keine Schutzlücke.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Lisa Badum, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte gern zu einem neuen Thema fragen, und zwar zu Nord Stream 2. Das scheint ja für die SPD das bei Weitem wichtigste Projekt dieser Legislatur zu sein. Frau Schwesig gründet eine neue Stiftung; Herr Scholz lässt sich von der amerikanischen Regierung erpressen und verspricht deutsche Steuergelder als Lösegeld; der Bundespräsident setzt sich ein. Wo sie sich rechtlich bewegt, scheint der SPD mittlerweile egal zu sein. Aber Sie stehen ja hier nicht als Parteimitglied, sondern als Umweltministerin, als Klimaministerin. Von daher würde ich von Ihnen gern wissen, warum Sie das Projekt Nord Stream 2 und den „dirty deal“ von Herrn Scholz weiter unterstützen, obwohl das ganz klar gegen die EU-Klimaziele verstößt, obwohl die EU ganz klar keine fossilen Infrastrukturen mehr fördern will. Warum unterstützen Sie dieses Projekt?
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Erst mal, Frau Abgeordnete, weise ich hier deutlich zurück, dass es da irgendwelche schmutzigen Deals gibt. Das ist nicht der Fall.
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Und dann sind wir uns doch einig: Wir wollen aus der Kohleverstromung aussteigen, und wir wollen aus der Nutzung von Atomstrom aussteigen. Wir werden die Atomkraftwerke abschalten. Das heißt aber: Wir brauchen für den Übergang Gas; es wird gar nicht anders möglich sein. Sie können sich Studien ansehen – ich kann zum Beispiel die von Agora empfehlen –, die sehr klar nachgewiesen haben, dass wir gerade während des Umbaus der Stahlindustrie auf Gas angewiesen sein werden, so lange, bis wir genug erneuerbare Energien zur Verfügung haben, um dann daraus zum Beispiel Wasserstoff herzustellen oder Kerosin herzustellen.
Deswegen ist Gas ein wichtiger Faktor für den Übergang. Das ist nicht lange der Fall. Die Forschung sagt uns, dass das wahrscheinlich bis rund 2040 der Fall sein wird; aber so lange brauchen wir Gas. Dafür dann möglichst viele Quellen zu haben, damit das für die Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst günstig ist und damit man auch einen Einfluss auf die Preisgestaltung hat, ist, wie ich finde, genau der richtige Weg. Ich kann nur unterstützen, dass wir Gas als Zwischenlösung nutzen; die Alternativen, Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Polen, unterstütze ich nicht.
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Nachfrage, Frau Badum?
Vielen Dank. – Frau Ministerin, dass der schmutzige Deal nicht zustande kam, lag nicht an der Bundesregierung, sondern daran, dass Herr Trump in diesen Deal nicht eingewilligt hat. Die Bundesnetzagentur hat einen sinkenden Bedarf an Gas für Deutschland vorhersagt und dargelegt, dass die Pipelines, die jetzt zu uns führen, überhaupt nicht ausgelastet sind. Deswegen frage ich Sie noch mal: Warum unterstützen Sie als oberste Klimaschützerin dieser Bundesregierung einen Mehrausstoß von 100 Millionen Tonnen CO2 und wollen noch 1 Milliarde Euro dafür zahlen? Das würde ich gerne von Ihnen wissen.
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Frau Abgeordnete, noch mal: Ich weise es deutlich zurück. Es gibt keinen schmutzigen Deal, auch wenn Sie es immer wieder behaupten.
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Ich darf Ihnen keine Gegenfrage stellen; das ist nicht üblich. Dann stelle ich mir selber die Frage, was es für einen Sinn machen soll, ein genehmigtes Projekt zu stoppen, dafür Milliarden zu zahlen, nur damit eine Pipeline nicht fertiggestellt wird. Entscheidend ist doch, wie viel Gas wir am Ende verwenden. Wir versuchen, den Verbrauch möglichst zu reduzieren. Wir wollen aus allen fossilen Energien aussteigen. Wir tun es bei der Kohle; wir werden die Atomkraftwerke abschalten. Aber wir brauchen Gas im Übergang. Und wenn Sie dafür eine Alternative haben, sehr schön, lassen Sie uns das diskutieren. Die Forschung sagt uns eindeutig: Wir brauchen im Übergang Gas.
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Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich möchte bestätigen, was Sie hier gesagt haben. Es ist tatsächlich richtig, dass es – auch die Papiere des Bundeswirtschaftsministeriums sagen das – einen verstärkten Wechsel auf Gas geben wird. Und selbstverständlich ist es nicht so, wie die Kollegin insinuiert, dass nur ein Angebot von Gas zu einem Mehrverbrauch führt. Das ist ja gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gar nicht möglich.
Allerdings – und jetzt muss ich widersprechen – ist es nicht nur so, dass das Abschalten von Kohle- und Kernkraftwerken bei uns zu einem erhöhten Gaskonsum von heimischen Gaskraftwerken führen wird; es ist tatsächlich auch so, dass wir in eine verstärkte Abhängigkeit von ausländischen Kernkraftwerken geraten. Das kann man am Nettoimportstrom aus Frankreich sehen, der im Jahr 2019 die Größe von 14 Terawattstunden überschritten hat. Das entspricht zwei kompletten französischen Kraftwerksblöcken, die auf dem Papier zu 100 Prozent für den Export nach Deutschland arbeiten. Das ist ein Ergebnis Ihrer Energiepolitik, und das ist auch ein Ergebnis des Verzichtes auf Souveränität, auf die deutsche Stromerzeugungsautarkie. Geben Sie mir recht, dass es so kommen muss, dass ich mich, wenn ich bei uns Stromerzeuger abschalte, dann in die Abhängigkeit von ausländischen Stromerzeugenden begebe, in diesem Fall von französischen Kernkraftwerken?
Nein, Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen da leider überhaupt nicht zustimmen; das Gegenteil ist der Fall.
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Deutschland produziert immer noch deutlich mehr Energie, als wir selber verbrauchen. Wir exportieren eher Energie in die Nachbarländer. Dass wir einen europäischen Energiemarkt anstreben, halte ich allerdings für sinnvoll. Es ist absolut sinnvoll, hier größere Räume zusammenzuschließen, was wir jetzt eben auch europäisch gemeinsam tun. Uns gegenseitig zu unterstützen und zu stützen, ist gerade jetzt in der Phase des Umbaus wichtig. Auch unsere Nachbarländer sehen, dass sie aus Kohle aussteigen müssen, und wir sind Transitland, zum Beispiel für Gas; wir leiten Gas durch Deutschland hindurch eben auch zu anderen. Das dann eben auch gemeinsam zu planen und ein gemeinsames Netz zu haben, das halte ich für absolut sinnvoll.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Verlinden.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, wussten Sie davon, dass diese Gespräche bezüglich dieser Erpressungsversuche und des Lösegeldes, das da im Gespräch war, von Ihrem Kabinettskollegen mit den Amerikanern geführt werden? Außerdem möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Sie sagen zwar, es sei eine genehmigte Leitung; aber sie steht doch ganz klar in einem Riesenkonflikt mit dem Europarecht und all unseren europäischen Partnern.
Und dann möchte ich darauf hinweisen und Sie fragen: Ihr eigener Staatssekretär Herr Flasbarth – und Sie haben das eben noch mal ähnlich formuliert – sagt: Natürlich werden wir in den 2040er-Jahren aus dem fossilen Erdgas ausgestiegen sein. – So. Dann erklären Sie mir doch mal, warum jetzt die 100 Millionen Tonnen CO2, die jährlich durch eine zusätzliche Pipeline nach Europa gebracht werden sollen, offenbar noch nicht genug sind und Herr Scholz es offenbar für notwendig hält, zusätzlich noch zig Millionen Tonnen CO2 jedes Jahr über LNG-Terminals anzuliefern zu lassen, obwohl die, die es schon gibt, europaweit überhaupt nicht ausgelastet sind. Insofern stellt sich also die Frage der Amortisation von riesigen Infrastrukturprojekten –
Achten Sie bitte auf die Zeit!
– und die Frage der Notwendigkeit solcher überdimensionierten Projekte, die tatsächlich in ein finanzielles Desaster führen für all die Investoren: Wo passt das zusammen, Steuergelder auszugeben auf der einen Seite, –
Kollegin Verlinden, Sie müssen jetzt das Fragezeichen setzen.
– aber auf der anderen Seite davon zu sprechen, es sei ein privatwirtschaftliches Projekt?
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Frau Abgeordnete, noch mal: Ich weise diese Unterstellungen ganz deutlich zurück, auch wenn sie hier mehrfach wiederholt werden.
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Die Entscheidungen von Investoren werde ich hier nicht kommentieren. Das sind deren Entscheidungen. Was klar ist, ist: Wir werden nicht mehr lange Gas brauchen.
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Es wird wahrscheinlich in den frühen 40er-Jahren der Fall sein, dass wir hier in Deutschland kein Gas mehr beziehen werden.
Sie hatten auch LNG-Terminals angesprochen. Da bin ich anderer Meinung. Wir werden LNG im Schiffsverkehr brauchen. Mir sind LNG-Terminals als Projekte bekannt, zum Beispiel der schwarz-grün-gelben Regierung in Schleswig-Holstein, die ein LNG-Terminal plant. – Falls Sie es suchen: Das können Sie auf Seite 44 des dortigen Koalitionsvertrages nachlesen.
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Mir sind solche Bemühungen auch von anderen bekannt; denn für den Schiffsverkehr werden wir Lösungen brauchen. Solche Terminals machen absolut Sinn. Fragen Sie vielleicht mal kurz in Schleswig-Holstein nach!
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Im Sinne der Transparenz: Ich lasse jetzt exakt noch drei Nachfragen zu dieser Frage zu, nämlich durch den Abgeordneten Brandner, den Abgeordneten Beutin und den Abgeordneten Köhler. Je nachdem, wie diszipliniert Sie die Frage- und Antwortzeit einhalten, besteht die Chance, dass ich dann noch eine weitere Frage aufrufe, oder auch nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandner.
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Ich werde, wie immer, sehr diszipliniert sein. – Ich habe eine Nachfrage. Frau Schulze, Sie haben es gerade erwähnt und werden auch so zitiert:
Jetzt ist Deutschland weltweit das erste Industrieland, das sowohl die Atomenergie als auch die Kohle hinter sich lässt. Wir setzen auf die vollständige Energieversorgung aus Sonne und Windkraft.
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Von Gas lese ich da nichts. Also: Irgendwann setzen wir nur noch auf Sonne und Windkraft. Wir werden irgendwann aber auch noch Winter haben so wie heute und in den letzten und in den nächsten Tagen
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mit langen Phasen mit Minustemperaturen. Wir haben null Stromerzeugung aus Solarenergie, null Stromerzeugung aus Windenergie, und über Primärenergie, über Wärme, brauchen wir gar nicht zu reden.
Wie soll in einer Situation, wo wir weder Kohle noch Gas noch Atomenergie haben, die Energieversorgung von Deutschland vonstattengehen?
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Herr Abgeordneter, Sie wissen ja und Sie sind sich dessen ganz klar bewusst, dass wir jetzt schon über 50 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Wir sind dazu in der Lage. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen uns, dass es möglich ist, rein aus regenerativen Energien unsere Stromversorgung zu decken. Das ist x-fach durchgerechnet und durchdiskutiert.
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Wir bauen die erneuerbaren Energien jetzt aus. Ja, wir werden im Übergang – –
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– Es tut mir leid, aber Sie müssen sich das anhören; das hier nennt sich Fragestunde, Sie fragen, ich darf antworten; Sie müssen das schon aushalten. – Wir werden im Übergang Gas brauchen, ja. Danach werden wir mit erneuerbaren Energien unseren Bedarf an Wärme und Strom decken. Das ist möglich. Das ist durchgerechnet. Ich kann Ihnen da nur den Diskurs mit der Wissenschaft empfehlen.
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Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Beutin.
Vielen Dank. – Frau Schulze, doch noch mal die Nachfrage, weil Sie sagten, Ihnen sei nicht bekannt, dass es den Versuch eines schmutzigen Deals gegeben hätte. Ich kann Ihnen gerne den Brief zeigen; er ist gestern veröffentlicht worden. Das ist ein Brief des Bundesfinanzministers Olaf Scholz an die Trump-Administration, in dem zugesagt wird, dass 1 Milliarde Euro für dreckiges Frackinggas gegeben würde, wenn die Sanktionen für Nord Stream 2 fallen gelassen werden.
Ist Ihnen dieser Brief bekannt, und ist Ihnen möglicherweise auch bekannt, dass gerade dieses Frackinggas, das mit deutschen Steuergeldern gefördert werden soll, noch schädlicher ist als Braunkohle?
Herr Abgeordneter, noch einmal: Ich weise es deutlich zurück, auch bei Ihnen,
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dass es einen Deal oder einen schmutzigen Deal gibt.
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Briefe, die eine Regierung an die andere schreibt, werden natürlich innerhalb der Regierung abgestimmt; das ist so. Aber es gibt keinen Deal, wie Sie das beschreiben.
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Die letzte Nachfrage zu diesem Thema stellt der Abgeordnete Köhler.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben, wie ich finde, völlig zu Recht ausgeführt, dass wir ohne Gas in der Energiewende nicht weiterkommen werden. Das ist völlig richtig. Sie haben – das fand ich sehr klug – gesagt: Wir brauchen eine Diversifikation von Gasangeboten. Das bedeutet aber auch – das hatten Sie auch gesagt –, dass wir mittel- und langfristig Wasserstoff hinzufügen müssen, und zwar CO2-neutralen Wasserstoff.
Bisher habe ich noch nicht wahrgenommen, dass Ihr Ministerium, sagen wir mal, das gesamte Farbspektrum mit großer Liebe vertritt. Würden Sie jetzt auch beim Wasserstoff sagen, dass wir für eine Ausweitung der Farben – blau, türkis, natürlich grün, aber auch eventuell rot – offen sein sollten, also unterschiedliche Angebote nutzen sollten? Ich glaube, das wäre für den Klimaschutz tatsächlich ein sinnvoller Hinweis.
Herr Abgeordneter, vielen Dank für die Frage. Sie wissen genauso gut wie ich, Wasserstoff hat eigentlich gar keine Farbe – wenn man mal ganz genau hinguckt.
Natürlich gibt es unterschiedliche Wege, Wasserstoff zu produzieren. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das, was von den Energiebilanzen her Sinn macht und worauf wir unsere Strategie ausrichten, natürlich grüner Wasserstoff sein muss. Das ist das, was uns weiterhilft und in den nächsten Jahren relevant sein wird: dass wir an genug grünen Wasserstoff herankommen.
Im Übergang wird es viele andere Lösungen geben. Deswegen achten wir im Moment zum Beispiel beim Umbau von Stahlwerken darauf, dass man zwar zunächst Gas einsetzt, es aber so macht, dass diese Stahlwerke wasserstoffready sind, das heißt, dass, sobald genug Wasserstoff zur Verfügung steht, Wasserstoff eingesetzt werden kann.
Ich werde mich nicht an der Grenze hinstellen und die Farbe des Wasserstoffes kontrollieren. Aber mir ist sehr wohl bewusst – und ich glaube, das ist uns allen bewusst –, dass das, was Sinn macht, grüner Wasserstoff ist.
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Ich rufe auf den Abgeordneten Marc Bernhard.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Ihre Klimapolitik ist laut dem eigenen Beratergremium der Bundesregierung die Hauptursache dafür, dass jeder zweite Arbeitsplatz in der deutschen Automobilindustrie wegfallen soll. Wegen der von Ihnen erzwungen Elektromobilität haben ja bereits auch BMW und Daimler angekündigt, ihre Motorenproduktion nach England bzw. nach China verlagern zu wollen. Dabei gibt es doch viel bessere Möglichkeiten. Schweden, Holland und Österreich machen es vor: Mithilfe von synthetischen Kraftstoffen reduzieren diese Länder den CO2-Ausstoß sofort um bis zu 65 Prozent – ohne irgendeinen technischen Umbau am Auto. Das bestehende Tankstellennetz könnte dafür verwendet werden, und vor allem würde kein einziger Arbeitsplatz vernichtet werden.
Daher jetzt meine Frage: Frau Ministerin, warum blockieren Sie die Zulassung CO2-neutraler synthetischer Kraftstoffe, mit denen es sofort zu einer massiven CO2-Einsparung kommen würde und vor allem aber Hunderttausende von Arbeitsplätzen gerettet würden?
Herr Abgeordneter, erst mal ist es falsch, zu sagen, dass ich da was blockieren würde. Vielleicht haben Sie wahrgenommen, dass ich letzte Woche den Entwurf zur Umsetzung der Renewable Energy Directive in Deutschland vorgelegt habe, dieser also dem Parlament zugegangen ist, und dass darin genau geregelt wird, wie solche alternativen Kraftstoffe aus erneuerbarer Energie dann eben auch in Deutschland eingesetzt werden sollen.
Ich weise auch deutlich zurück, dass wir hier eine Politik betreiben würden, die zu massiven Arbeitsplatzverlusten führt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben mit unserem Konjunkturprogramm eine sehr große Unterstützung für die Automobilindustrie geleistet, damit sie den nötigen Strukturwandel schafft. Denn es ist nicht nur in Deutschland so, dass die E-Mobilität auf dem Vormarsch ist. Das ist auf der ganzen Welt so. Und wenn wir weiterhin exportieren wollen, wenn wir weiterhin in die großen wachsenden Märkte der Welt exportieren wollen, dann müssen wir die besten E-Autos herstellen. Ich bin mir ganz sicher, dass die deutsche Automobilindustrie das auch schafft, und darin unterstützen wir sie als Bundesregierung.
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Kleinen Moment! Das Wort erteile ich. – Sie haben jetzt das Wort zur letzten Nachfrage. Dann ist auch die Zeit erschöpft.
Also: Es sind Ihre eigenen Berater, die sagen, dass Elektromobilität jeden zweiten Arbeitsplatz vernichtet. Das sagt nicht die AfD, das sagen die Regierungsberater.
Aber, Frau Ministerin, Sie planen ja, dass es zukünftig in Deutschland 10 Millionen E-Autos geben soll. Dafür sind 150 Gigawatt zusätzlicher Strom für zehn Stunden – so lange dauert nämlich der Ladevorgang – erforderlich. Das ist mehr als das Doppelte des heute in Deutschland im Durchschnitt überhaupt zur Verfügung stehenden Stroms. Gleichzeitig schalten Sie alle Kohle- und Kernkraftwerke ab. Wie wollen Sie denn dann noch eine stabile Energieversorgung sicherstellen, ohne den Strom zu rationieren?
Erst einmal, Herr Abgeordneter: Es dauert heute nicht mehr so lange, ein E-Auto zu laden. Das sind alte Zahlen; das geht heute deutlich schneller.
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– Wollen Sie jetzt eine Antwort, oder soll ich es lassen? Ich muss nicht, wenn Sie jetzt nicht möchten.
Das Zweite, was ich Ihnen sagen will, ist: Die SPD setzt sich ganz massiv dafür ein, dass wir die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich hochsetzen. Wir glauben, dass es nicht reicht, wenn wir einen Anteil der Erneuerbaren von 65 Prozent in 2030 anstreben. Wir wollen mehr, und das liegt auch daran, dass wir glauben, dass die Elektromobilität sich durchsetzt, dass sie erfolgreicher sein wird, als wir das heute erwarten. Das liegt daran, dass die Industrie umstellen wird und dann deutlich mehr Strom braucht, und diese Strombedarfe wollen wir decken. Deswegen möchten wir ja auch beim Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter verhandeln – das passiert hier auch im Parlament – und das Ziel weiter hochsetzen.
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Danke, Frau Ministerin. – Ich beende die Befragung.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag, dem 2. Februar – letzte Woche –, sagte Alexej Nawalny, als er vor Gericht Abschied von seiner Frau nehmen musste, zu ihr: He grusti, wsjo budjet choroscho. – Sei nicht traurig, alles wird gut sein.
Nawalny hat das zu seiner Frau gesagt, aber er hat damit viele Menschen in Russland erreicht; Menschen, die wissen, dass Politik in Russland heißt, dass Politik keine Sache für die Menschen sein darf; Menschen, die wissen, dass Politik in Russland alleine Sache von Putin und seinen alten vertrauten Männern sein und bleiben muss. Wie diese Nawalny behandeln, hat viele Menschen in dem Land getroffen und auf die Straßen getrieben.
Die Proteste zeigen uns das andere Russland. Viel klarer als vielleicht jemals zuvor sehen wir Mut trotz Lebensgefahr, Zuversicht, Kraft und Würde, die Würde, zu sagen: Ich bin nicht einverstanden. – Diese Menschen halten uns einen Spiegel vor.
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Die Proteste in Russland zeigen aber auch das Russland der Mächtigen, das Russland des ewigen Putin. Sie zeigen Angst, Gewalt, Folter und Mord. Sie zeigen Anmaßung, Entwürdigung, Schweigen. Sie zeigen Geld und Korruption. Auch das hält uns einen Spiegel vor.
Während in Sibirien die Menschen mit der vormaligen belarussischen Staatsflagge für Freiheit und Würde auf die Straße gehen, robben Sie von der Großen Koalition sich mit der Pipeline Nord Stream 2 an dieses Russland der Mächtigen ran; das ist festzuhalten.
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Sie robben sich an Gazprom ran, dessen Anteile Putin seinen Familien und Strohmännern schenkt. Sie robben sich an Rosneft ran, das ihm direkt den Palast mit der goldenen Klobürste bezahlt hat. Allein dafür, zu sagen, wer das bezahlt hat, landen in Russland in diesen Tagen viele Menschen im Gefängnis, nicht nur Alexej Nawalny. Was sagt eigentlich der Aufsichtsrat dieser Firma, die dem russischen Volk gehört, die den Palast am Schwarzen Meer bezahlt hat, dazu?
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Was sagt dieser Aufsichtsrat dazu?
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Nun, der Aufsichtsratsvorsitzende ist Gerhard Schröder.
Das, was in Russland gerade passiert, ist vielleicht eine große Veränderung. Das System ist heute brutaler denn je. Viele Menschen sehen jetzt die vielleicht letzte Gelegenheit, ihre Würde als russische Staatsbürger zu ergreifen und zu sagen, dass sie nicht einverstanden sind. Wir werden das nicht von außen entscheiden können. Aber wir können sagen, was wir sehen, und so den Menschen in Russland zeigen, dass wir sie sehen.
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Wir können und wir müssen jetzt unser Verhalten gegenüber denjenigen ändern, die Russland bewusst und aus leicht nachvollziehbaren monetären Gründen weg von Europa und weg von ihren eigenen Staatsbürgern führen. Wer jetzt schweigt, wird sehr lange schweigen müssen. Wer jetzt nicht handelt, dessen Worte werden sehr lange nicht gehört werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können uns entscheiden, in welches Russland wir unsere Hoffnung setzen wollen. Dabei geht es nicht um russisches Gas gegen amerikanisches Gas oder auch beides, Hauptsache Gas; so wie Herr Scholz in seinem Brief das LNG-Terminal betreffend an die amerikanische Seite klargemacht hat. Nein, wir können jetzt entscheiden, in welches Russland wir unsere Hoffnung setzen wollen. Diese Pipeline ist doch natürlich eine Entscheidung, in welches Russland Sie Ihre Hoffnung setzen wollen. Selbst wenn Sie mir das nicht glauben: Die Menschen in Russland, in der Ukraine, in Belarus wissen das, und die Herren im Kreml verstehen das auch.
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Wir können, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns jetzt entscheiden, in welches Russland wir unsere Hoffnung setzen wollen.
Vielen Dank.
({7})
Frau Haßelmann, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich das Wort zur Geschäftsordnung habe. – Ich möchte für meine Fraktion den Minister für Finanzen, Olaf Scholz, herbeizitieren; denn ich finde, dass in der Aussprache zur Lage in Russland und zu der Frage der Positionierung der Bundesregierung im Hinblick auf Nord Stream 2 und möglicher Angebote an die USA Herr Scholz als Finanzminister anwesend sein soll.
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Dies tue ich für die Fraktion nach Artikel 43 Grundgesetz, nach der das Parlament jederzeit die Möglichkeit hat, einen Minister in Ausschüsse oder in das Plenum des Deutschen Bundestages zu zitieren. In Verbindung mit § 42 unserer Geschäftsordnung ist diese Zitierung für das Parlament jederzeit möglich.
Vielen Dank.
({1})
Es ist richtig, dass die Zitierung möglich ist. Hier im Hintergrund wird gerade geklärt, wo der gewünschte Minister ist. Insofern: Wenn Sie es gestatten, würde ich auf diese Information, bevor ich darüber abstimme, einen kleinen Moment warten.
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Kollegin Haßelmann, könnten Sie ganz kurz mal zu mir kommen? – So, der Antrag ist nicht nur zulässig, sondern wir haben auch Regeln, wie wir damit umgehen. Aber im Sinne eines kollegialen Umgangs und der Weiterführung dieser Debatte: Der Kollege Michael Brand wird für die CDU/CSU-Fraktion gleich von mir das Wort erteilt bekommen. Danach werden wir entsprechend unseren Regeln gegebenenfalls eine Abstimmung herbeiführen, oder die Frage hat sich im Sinne der Antragstellerin auch so gelöst.
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Bitte, Kollege Brand, Sie haben das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich müssen wir mit Russland reden. Aber wir müssen mit Russland jenseits der Kooperation endlich auch Klartext reden.
Zu Recht hat sich die Welt aufgeregt über den perfiden Mordanschlag von Putins Schergen auf seinen Kritiker Nawalny. Zu Recht gab es Sanktionen, als Putin zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges ein fremdes Land überfallen hat und bis heute Teile davon dauerhaft besetzt hält. Zu Recht reagieren wir auf Putins politische Repression in Russland. Selbst Menschenrechtsorganisationen werden inzwischen offiziell als „ausländische Agenten“ eingestuft. NGOs werden in Putins System sogar aufgelöst. Das dient der Diskreditierung, der Einschüchterung, der Ausschaltung jeglicher kritischer Geister.
Aber: Russland ist nicht gleich Putin. Eine neue, junge Generation geht mutig auf die Straße, so wie wir das in diesen Tagen sehen. Andere reihen sich ein – gegen das Regime. Nawalny hat in Russland die gefährliche Wahrheit in die Öffentlichkeit gebracht. Gerade das macht ihn populär und das Regime so unpopulär und für Putin Nawalny so gefährlich.
In Russland hat der ehemalige KGB-Agent an fast allen wichtigen Schaltstellen des Staates und der Wirtschaft alte, korrupte Kameraden installiert. Was noch gefährlicher ist als diese inneren Entwicklungen, ist Putins unerklärter Krieg gegen Demokratie und Menschenrechte in seinem eigenen Land und Putins digitaler Krieg gegen die westlichen Demokratien. Es geht um einen, wie es im militärischen Jargon heißt, „all-out war“, um einen „totalen Krieg“ gegen die Demokratie, die er hasst. Wir müssen also diesem totalen Krieg gegen Demokratie und Menschenrechte vor allem eines entgegensetzen: eine unzweideutige, klare Haltung.
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Wir haben Demokratie und Freiheit in den Zeiten des Kalten Krieges nicht deshalb bewahrt und ihn am Ende auch gewonnen, weil wir durch Feigheit und mangelndes Rückgrat aufgefallen wären. Rückgrat ist hier auch im Parlament nicht jedermanns Sache. Die Fraktion Die Linke versucht, selbst im Fall Nawalny Moskau weißzuwaschen – in Person von Herrn Gysi –, ausgerechnet Putin in Schutz zu nehmen und Verschwörungen zu wittern.
Und da treffen sie sich mit den Genossen hier auf der rechten Seite, mit der AfD. Bei diesem Versuch, Putins Destabilisierungsstrategie, wollen sie natürlich dabei sein; das ist doch klar.
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Da ist Herr Hampel: Wie ein Zwerg lässt er sich vom Außenminister in Russland feiern. Wenn es nicht so bitter wäre, müsste man darüber lächeln. Aber eines muss man natürlich sagen: Wir wissen auch über die Finanzflüsse aus Moskau nach Deutschland zur AfD.
({2})
Deswegen ist eins wahr: Eine Gruppe von Agenten, die Putin in Deutschland bezahlt, heißt AfD.
({3})
Auch deshalb steht sie völlig zu Recht unter dem Verdacht, eine fünfte Kolonne Moskaus zu sein. Ihre Reaktionen zeigen das ja: Getroffene Hunde bellen!
Das muss man sich mal klarmachen: den Zynismus Putins und seine Entschlossenheit im Kampf gegen die westlichen Demokratien, dabei hat der Ex-Agent null Schmerzen, deutsche und europäische Rechtsextremisten zu finanzieren.
Der neue amerikanische Präsident Joe Biden hat in der letzten Woche endlich Klartext gesprochen, den Putin versteht. Und wir haben hoffentlich auch verstanden. Wir sind längst in einem Wettkampf um eine neue Ordnung, um Demokratien oder autoritäre Staaten. Es ist Zeit, endlich mit Klarheit statt mit Opportunismus zu agieren. Die Formel lautet: Kooperation, wo möglich, Konfrontation, wo nötig. Biden macht es vor.
({4})
Man darf Aggression nicht ohne Konsequenzen durchgehen lassen. Annexion Krim, Ukraine, Nawalny, Auftragsmord im Tiergarten, Hackerangriffe gegen den Bundestag, aktuell Ausweisungen gegen EU-Diplomaten – das ist eine ganze Reihe von gezielten Aggressionen gegen uns und andere. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf man auch beim Thema Nord Stream 2 gerade jetzt nicht einfach nur weitermachen, als ob nichts gewesen wäre.
({5})
Ja, Gesprächsfäden zu nutzen, das ist absolut richtig, Russland die Chance geben, Verhalten zu ändern, ja. Aber alles das spricht für ein Moratorium, bis geklärt ist, ob Russland uns als nützliche Idioten missbraucht, damit wir Putins aggressive Ziele auch noch finanzieren – gegen unsere Partner und Alliierten in Osteuropa, gegen unsere Partner in Südosteuropa und gegen uns direkt.
({6})
Man muss sich das einmal vorstellen – ich kann es Ihnen, dem SPD-Koalitionspartner, auch nicht ersparen –: eine landeseigene Umweltstiftung, zu 99 Prozent finanziert von Nord Stream 2 AG, das heißt Gazprom, und das heißt am Ende auch über 50 Prozent russischer Staat. Wer da noch behauptet, es würde sich um ein rein privatwirtschaftliches Projekt handeln, der will die Leute für dumm verkaufen.
({7})
Wenn Frau Schwesig sich da noch unverschämterweise hinstellt – ich muss es sagen; Herr Schröder lässt grüßen –, kann man natürlich eines sagen: Diese Räder sind nun wirklich gut geschmiert.
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Abschließend: Gemeinsam mit Joe Biden müssen wir in diesem und in den kommenden Jahren Putin den Preis zeigen, den er für seine Morde und seine immer aggressiveren Aktionen zu zahlen hat. Das, liebe Freunde, ist die einzige Sprache, die er versteht. Die Zivilgesellschaft in Russland hat eine Erwartung an uns: dass wir nicht faule Kompromisse machen, für die die Mutigen in Russland den Preis zahlen.
Danke.
({9})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So eine Sitzungsunterbrechung hat natürlich auch einen Vorteil:
({0})
Wir können nach der Brand-Rede wieder zur Außenpolitik zurückkehren. Das würde ich gerne tun.
({1})
Außenpolitik, meine Damen und Herren, ist der immer neue Versuch eines Interessenausgleichs zwischen souveränen Nationalstaaten in einer komplizierten Welt. Im Idealfall sollte dieser Interessenausgleich losgelöst von der innenpolitischen Verfasstheit eines Staates erfolgen, wie es die Lehre von der Staatsräson gebietet.
Doch je mehr die Außenpolitik demokratisiert, aber auch ideologisiert wurde, desto stärker wurden die Wechselbeziehungen zwischen Außen- und Innenpolitik. Was in der Französischen Revolution begann, löste als Gegenschlag die Legitimität der Heiligen Allianz aus. Im 20. Jahrhundert der Blockkonfrontation wurden die Blöcke jeweils durch gemeinsame Werte zusammengehalten, die sich gegenseitig ausschlossen.
Erst nach 1989 kehrte die Welt zur klassischen Staatenpolitik zurück. Allerdings glaubte man damals für kurze Zeit, eine Welt mit einer gemeinsamen Wertebasis vor sich zu haben. Meine Damen und Herren, wir wissen heute: Das war ein Irrtum. – Russland und China hatten niemals vor, der sogenannten regelbasierten Multilateralität des Westens zu folgen oder gar dessen Wertebasis für sich anzuerkennen.
Meine Damen und Herren, das heißt aber auch: Wenn wir erfolgreich einen Interessenausgleich mit diesen Staaten suchen wollen, müssen wir deren Anderssein auch bei der Bewertung menschenrechtlicher Fragen und demokratischer Freiheiten akzeptieren.
({2})
Und wir müssen wieder mehr der klassischen Staatsräson, also der Ausrichtung der Politik auf geostrategische und wirtschaftliche Interessen, folgen.
({3})
Es war gut und richtig, Nawalny in Deutschland zu helfen. Es ist kontraproduktiv, Russland mit Sanktionen zu belegen oder anderweitig zu bestrafen, weil Staat und Regierung nicht unsere Werte teilen.
Meine Damen und Herren, auch Willy Brandts Ostpolitik orientierte sich erst einmal an der deutschen Staatsräson, dass ein gutes Verhältnis zu Russland für Deutschland immer nützlich war, und nicht an den demokratischen Veränderungen in der Sowjetunion.
({4})
Es ist richtig, auf allen diplomatischen Kanälen – wie es damals auch Brandt und Bahr getan haben, wenn es um menschliche Erleichterungen ging – auf Erleichterungen und Verbesserungen für Nawalny zu drängen. Es ist falsch, auf eine für uns wie für Russland nützliche Erdgasleitung zu verzichten, nur weil uns die Wertebasis, auf der Russland regiert wird, nicht passt.
({5})
Meine Damen und Herren, als Rathenau 1922 den berühmten Rapallo-Vertrag mit der Sowjetunion schloss, war diese in ihrer inneren Verfasstheit weiter von der Weimarer Republik entfernt als das Russland Putins vom heutigen Deutschland.
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Der Vertrag wäre wohl niemals zustande gekommen, hätte die Reichsregierung der jungen Sowjetunion Bedingungen gestellt, wie sie heute von Putin als Vorbedingung für ein Gasgeschäft erfüllt werden sollen. Und ich glaube, auch mit der Rhetorik von Herrn Brandt wäre niemals ein Ausgleich mit der Sowjetunion und der Weimarer Republik zustande gekommen.
({7})
Meine Damen und Herren, so wie die Welt nun einmal ist, wie sie geworden ist, könnte eine Rückbesinnung auf deutsche Staatsräson nützlicher sein als folgenloses, rhetorisch lautstarkes Moralisieren.
Ich danke Ihnen.
({8})
Vielen Dank. – Das Wort geht an Bundesminister Heiko Maas.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allen Dingen von den Grünen! Ich dachte ja nach der Rede von Herrn Sarrazin, dass Sie das Thema mit der angemessenen Ernsthaftigkeit behandeln wollten. Aber spätestens nach dem Antrag von Frau Haßelmann, den Vizekanzler aus der Ministerpräsidentenkonferenz zu Corona
({0})
wegen eines Vorganges, der seit September letzten Jahres öffentlich ist, hierherzuzitieren, zeigt, worum es Ihnen wirklich geht:
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um scheinheiliges Spektakel. Und das entwertet auch alles, was Herr Sarrazin gesagt hat – bedauerlicherweise.
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Zur Sache will ich Ihnen auch etwas sagen. Wenn Sie über LNG-Terminals etwas wissen wollen, zum Beispiel über den in Brunsbüttel,
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dann zitieren Sie doch mal Ihren Parteivorsitzenden hierher, der damals stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein gewesen ist und dieses Projekt mit unterstützt hat.
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Also, informieren Sie sich doch mal bei Ihren eigenen Leuten, bevor Sie versuchen, hier andere zu blamen!
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Meine Damen und Herren, ich komme zu Russland. Erst vertuschen, dann die eigene Verantwortung leugnen, dann durch Desinformation Verwirrung stiften und schließlich auch noch die Opfer zu Tätern machen. Was wie ein Auszug aus einem alten Agentenhandbuch klingt, ist, kurz gefasst, nichts anderes als das Drehbuch, nach dem Moskau in den letzten Monaten agiert hat: nach dem Cyberangriff auf den Bundestag, nach dem Mord im Tiergarten und zuletzt auch im Umgang mit Alexej Nawalny.
Deshalb will ich zu Beginn noch einmal die Fakten in Erinnerung rufen. Unsere Aufforderung, die genannten Verbrechen zu untersuchen und aufzuklären, wurde mit teils absurden Beschuldigungen gegenüber der Bundesregierung oder dem zynischen Vorwurf der Selbstvergiftung von Alexej Nawalny quittiert. Appelle, völkerrechtliche Verpflichtungen nach dem Chemiewaffenübereinkommen oder internationale Menschenrechtskonventionen zu achten, wurden als Einmischung in innere Angelegenheiten erklärt und ignoriert. Und Proteste der russischen Bevölkerung gegen die Inhaftierung von Alexej Nawalny, gegen Willkür in der Justiz und gegen Korruption werden gewaltsam unterbunden.
Meine Damen und Herren, es geht dabei und es geht uns um die Einhaltung grundlegender Prinzipien internationalen Rechtes. Es geht um Menschenrechte, und es geht auch um unsere Werte.
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Deshalb fordern wir nach wie vor von Moskau die unverzügliche Freilassung Alexej Nawalnys und der festgenommenen Demonstranten.
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Und, Herr Gauland, wir tun dies auch deshalb, weil diejenigen, die dort verhaftet worden sind, nichts Weiteres tun, als die Freiheiten zu fordern, die ihnen die russische Verfassung zugesteht und die der russische Staat ihnen verweigert.
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Meine Damen und Herren, auf die ungerechtfertigte Ausweisung von drei europäischen Diplomaten haben wir eine klare und vor allen Dingen auch eine europäische Antwort gegeben. Ich bedauere es sehr, dass Moskau den Besuch von Josep Borrell nicht genutzt hat, um trotz aller Differenzen nach Feldern gemeinsamen Interesses zu suchen.
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Stattdessen haben wir eine sorgfältig inszenierte Propagandashow und gezielte Provokationen erlebt, und das ist weit mehr als nur eine verpasste Chance. Deshalb werden wir uns beim nächsten Außenministerrat der Europäischen Union am 22. Februar mit einer Reaktion auf das russische Verhalten und dem Umgang mit Oppositionellen und friedlichen Demonstranten beschäftigen müssen. Wir wären froh, wir müssten es nicht tun.
Weil es in dem Zusammenhang auch um Sanktionen geht, will ich zwei Dinge sagen, die mir ganz besonders wichtig sind:
Erstens. Sanktionen müssen immer an klare, umsetzbare Forderungen nach einer Verhaltensänderung geknüpft sein. Und selbst wenn keine Verhaltensänderungen zu erwarten sind, können Sanktionen auch ein Statement sein, bestimmte Verhaltensmuster nicht ohne Konsequenzen zu akzeptieren. Das war bei unserer Reaktion auf die Annexion der Krim und auf das russische Vorgehen in der Ostukraine der Fall, und das muss auch jetzt der Fall sein.
Zweitens – das will ich auch dazusagen –: Sanktionen müssen die Richtigen treffen. In diesem Fall sind das diejenigen, die verantwortlich sind für das repressive Vorgehen der Staatsmacht gegen ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger, und nicht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von fast 150 europäischen Unternehmen, die meisten davon aus Deutschland.
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Damit bin ich auch bei Nord Stream 2; denn darum geht es ja letztlich denjenigen, die heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Wer Nord Stream 2 grundsätzlich infrage stellt – diese Meinung kann man durchaus vertreten –, der muss aber auch bedenken, zumindest geostrategisch, welche Konsequenzen das haben wird und was das für die Einflussmöglichkeiten Europas auf Russland bedeutet. Ich bin gerne bereit, diese Debatte zu führen; aber wir können auch gerne über andere Energieimporte reden. Es gibt ja Länder, die von uns die Einstellung der Bauarbeiten verlangen, obwohl sie selber zur gleichen Zeit ihre Schweröltransporte oder ‑importe aus Russland erhöhen. Wir müssen auch darüber reden, was das für das Eskalationspotenzial bedeutet; denn letztlich läuft es ja darauf hinaus. Sie sagen, aufgrund der Vorgänge in Russland dürften wir keine Geschäfte mehr mit Russland machen. Letztlich kommt jedes Geschäft, das man mit Russland macht, auch dem Staat zugute – es gilt also für alle –; das heißt, es läuft auf eine vollständige ökonomische Isolation Russlands hinaus.
Wir haben eine ähnliche Debatte mit Blick auf China; dabei spricht man von „Decoupling“. Nichts anderes als die wirtschaftliche Isolation auch Chinas ist damit gemeint. Ob das in einer globalisierten Welt überhaupt funktionieren kann, sei mal dahingestellt. Aber es muss Ihnen doch vollkommen klar sein, wohin das geostrategisch führt. Sie treiben Russland und China immer mehr zusammen, und Sie schaffen damit den größten wirtschaftlichen und militärischen Verbund, den es gibt. Und ich finde nicht, dass das die Strategie des Westens in dieser Auseinandersetzung sein sollte.
({11})
Deshalb bin ich dagegen, in diesem Zusammenhang alle Brücken nach Russland abzureißen.
Ich bin zurzeit Vorsitzender des Ministerkomitees des Europarates. Mir ist gesagt worden, wir sollten Russland jetzt wieder aus dem Europarat schmeißen. Wir haben im letzten Jahr zusammen mit Frankreich und Finnland dafür gesorgt, dass sie drinbleiben. Denn ich habe nie verstanden, was der Sinn ist, Russland aus diesem Gremium auszuschließen. Mit der Mitgliedschaft Russlands im Europarat haben Millionen russische Bürgerinnen und Bürger weiterhin Zugang zum Menschengerichtshof in Straßburg. Sollen wir ihnen diesen Zugang nehmen? Selbst wenn wir Russland dafür kritisieren, dass es die Urteile nicht umsetzt, gibt uns das aber ein Instrument, mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte darauf hinzuwirken, dass Bürgerrechte in Russland eingehalten werden. Ich halte von der Strategie der abgebrochenen Brücken nichts. Sie ist nicht nur falsch, sondern sie ist gefährlich, meine Damen und Herren.
({12})
Wir haben viele Kooperationsangebote gemacht, etwa auch bei den Themen Klima oder Nachhaltigkeit und auch jetzt in der Pandemiebekämpfung. Und auch Josep Borell hat bei seinem Besuch in Moskau den europäischen Willen zu einem konstruktiven Umgang miteinander noch einmal unterstrichen. Ich bin ihm auch dankbar dafür, dass er das gerade in dieser schwierigen Zeit gemacht hat. Wir haben beantragt, den NATO-Russland-Rat einzuberufen; wir warten bis heute auf eine Antwort aus Russland. Wir haben auf Russlands Ankündigung, aus dem Vertrag über den Offenen Himmel auszusteigen, gemeinsam mit 15 weiteren Außenministern und Außenministerinnen ein Dialogpaket entwickelt und ein Angebot gemacht. Bis heute fehlt jede russische Reaktion darauf.
Deshalb sage ich: Je schwieriger die Zeiten sind, desto klarer muss unsere Sprache gegenüber Moskau sein. Aber wir haben ein Interesse an einem besseren Verhältnis Europas mit Russland, und wir werden die Dialogbereitschaft weiter aufrechterhalten. Der Schlüssel aber dafür liegt zurzeit nicht in Berlin oder in Brüssel, sondern er liegt in Moskau.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank. – Das Wort geht an Alexander Graf Lambsdorff von der FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine kleine Bemerkung vorab machen: Das ist heute eine außenpolitische Debatte, in der die Menschenrechte im Mittelpunkt stehen sollen. Wir werden jetzt aber gleich den zweiten Redner der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hören. Das ist Oliver Krischer; er ist als Klimapolitiker durchaus bekannt. Er wird fünf Minuten lang den Finanzminister beschimpfen; aber mit Menschenrechtspolitik hat das gar nichts zu tun.
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Meine Damen und Herren, bei Corona haben sie sich als Bürgerrechtspartei verabschiedet, heute verabschieden sich die Grünen auch als Menschenrechtspartei.
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Meine Damen und Herren, was Russland angeht, lassen Sie mich eines vorwegsagen: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich mag Land und Leute, ich liebe Musik und Literatur, ich bin jedes Mal aufs Neue fasziniert von den großen Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Mein Name ist teilweise russisch, zahlreiche meiner Vorfahren standen in russischen Staatsdiensten. Ich will diese persönliche Bemerkung vorausschicken, um deutlich zu machen, dass mich die nachfolgenden Ausführungen nicht nur politisch, sondern auch ganz persönlich schmerzen; denn die Moskauer Regierungspolitik macht eine umfassende Freundschaft mit Russland zurzeit einfach unmöglich.
Sie wissen, dass ich von dieser Stelle aus den Bundesaußenminister kritisiere, wenn ich meine, das ist angebracht, auch das Auswärtige Amt; aber ich tue heute das Gegenteil. Ich lobe das Auswärtige Amt, insbesondere Staatsminister Roth für seine bemerkenswerte klare Haltung, die er vor Kurzem als Sozialdemokrat im „Spiegel“ zu Papier gebracht hat. Ich sehe viele nickende Köpfe; ich hoffe, dass diese Haltung fürderhin die Haltung der Sozialdemokratie sein wird. Das ist eine der besten Analysen, die ich über Russland und russische Politik gelesen habe. Unser Anspruch als Deutscher Bundestag an die Bundesregierung ist allerdings, dass aus brillanten Analysen auch brillante Politik folgt, meine Damen und Herren. Das kann ich beim besten Willen nicht erkennen, gerade wenn es um Nord Stream 2 geht.
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Meine Damen und Herren, die Machthaber im Kreml haben sich vom Frieden verabschiedet. Sie führen einen kalten, einen hybriden Krieg gegen den Westen, gegen Europa, gegen unsere Werteordnung.
Zum Thema Werte: Herr Gauland, Sie sagen, der Warschauer Pakt wurde von gemeinsamen Werten zusammengehalten. Dafür muss man eine schon wirklich sehr abgehobene Sichtweise haben. Der Warschauer Pakt wurde von Gewalt aus Moskau, von Panzern und von der Breschnew-Doktrin zusammengehalten.
({3})
Das hatte mit der Wertegemeinschaft des Westens nichts zu tun. Die beiden gleichzusetzen, ist wirklich geschichtsvergessen. Natürlich wendet der Kreml die klassische Desinformationstaktik an, Täter-Opfer-Umkehr, und beschuldigt uns hier im Westen, den neuen Kalten Krieg begonnen zu haben, was natürlich Unsinn ist; aber manche im Westen fallen darauf herein.
Es geht aber um noch mehr: Die Machthaber im Kreml wollen die Landkarte Europas verändern, zur Not mit Gewalt. Der Kreml führt heiße Kriege in der Ostukraine und in Syrien. Ob in Moldawien, Georgien oder auf der Krim, Moskau stationiert immer wieder Soldaten auf dem Gebiet anderer Länder gegen den Willen der dortigen Regierungen. Und die Reaktion des Westens war so klar wie maßvoll: Sanktionen gegen die Hauptverantwortlichen und einige, aber nicht alle Wirtschaftsbereiche. Unser Ziel ist eben nicht die Bestrafung des russischen Volkes, sondern der Schuldigen, meine Damen und Herren.
({4})
Russland hat auch den Pfad der Demokratie verlassen. Im Kreml ist man mit Blick auf die Duma-Wahlen im Herbst merklich nervös. Die Proteste vom Bolotnaja-Platz sind so wenig vergessen wie die gegen die Rentenreform. Putin ist unbeliebter denn je. Immer mehr Mitglieder der Partei „Einiges Russland“ verleugnen auf Wahlzetteln ihre Zugehörigkeit zu ebendieser Partei, um Chancen an der Wahlurne zu haben. Ja, es gibt noch Wahlen. Aber es sind keine freien, demokratischen Wahlen, die auf fairem Wettbewerb verschiedener politischer Kräfte beruhen.
Nawalnys Urteil stand schon vor Beginn des Prozesses fest. Aber Nawalny ist nur ein Oppositioneller. Die gesamte demokratische Opposition fürchtet um Leib und Leben angesichts seines Schicksals. Mit der Unterdrückung der friedlichen Opposition bricht Russland nicht nur die eigene Verfassung, sondern auch internationales Recht. Und es ist deswegen keine Einmischung in innere Angelegenheiten, wenn wir auf diesen Umstand hinweisen. Im Gegenteil, wir sind es den mutigen Demokratinnen und Demokraten schuldig, die bei minus 52 Grad für ihre Freiheit auf die Straße gehen. Ihnen sollte unsere ganze Solidarität gelten, meine Damen und Herren.
({5})
Meine Damen und Herren, der Kreml versteht nur eine klare, eindeutige Sprache. Deswegen fordern wir Freien Demokraten die Bundesregierung auf, jetzt ein Moratorium für den Bau von Nord Stream 2 zu verhängen. Wir wollen keine Investitionsruine in der Ostsee, wie das die Grünen vorschlagen; wir wollen einen Baustopp, der Moskau die Möglichkeit bietet, seine Politik zu überdenken
({6})
und wieder auf den Boden seiner eigenen Verfassung zurückzukehren.
({7})
Es freut mich deswegen, dass Norbert Röttgen das nun auch verstanden hat und letzte Woche ebenfalls ein Moratorium für Nord Stream 2 gefordert hat. Ich freue mich, wenn es ihm gelingt, seine eigene Partei und seine Fraktion zu überzeugen.
Michael Roth schrieb im „Spiegel“ – ich zitiere –: Am Ende dient europäische Energiepolitik Europa am besten, wenn sie unseren Zusammenhalt und unsere Handlungsfähigkeit stärkt und uns nicht länger spaltet. – Staatsminister Roth hat recht, meine Damen und Herren: Nord Stream 2 spaltet Europa und isoliert Deutschland. Mit ihrer Politik verhindert die Bundesregierung, dass eine starke, gemeinsame europäische Botschaft in Moskau ankommt. Das aber kann nicht der Anspruch an unsere Außenpolitik, an unsere Europa-, an unsere Russlandpolitik sein.
({8})
Im Sinne Hans-Dietrich Genschers geht es uns Freien Demokraten nicht darum, Russland zu bevormunden oder gar zu besiegen. Wir wollen Russland wieder für Europa gewinnen.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An Nawalny wurde in Russland – von wem auch immer – ein Mordversuch begangen.
({0})
Er ist dann von Omsker Ärzten gerettet worden, aber auch in Deutschland weiterbehandelt worden.
({1})
Er ist wieder gesund geworden, und er ist nach Russland zurückgekehrt. Das Erste, was geschah, war, dass er inhaftiert wurde.
({2})
Das kann und muss eindeutig verurteilt werden.
({3})
Auch der Widerruf der Bewährungsverurteilung ist durch nichts gerechtfertigt; denn dieses Urteil ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als menschenrechtsverletzend eingeschätzt worden. Es gibt dort leider nicht den Wiederaufnahmegrund eines solchen Urteils; dafür müsste das russische Gesetz geändert werden. Aber in einem solchen Fall, wenn ein Urteil so bewertet wird, kann man die Bewährung beim besten Willen nicht widerrufen, egal ob es Verstöße gab oder nicht.
Die Grünen und andere fordern nun Sanktionen ausdrücklich nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen Putin persönlich und andere Verantwortliche. Ich habe nachgedacht: Türkei:
({4})
Erdogan hat dafür gesorgt, dass der gewählte Abgeordnete und ehemalige Vorsitzende der HDP Demirtas seit November 2016 in Haft sitzt. Die Türkei führt einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Syrien, hat völkerrechtswidrig militärisch Aserbaidschan gegen Armenien unterstützt, hat seine Kriegsschiffe rund um Griechenland und Zypern gestellt; aktuell werden Studenten eingesperrt. Ich habe keine Forderung von Ihnen gehört, Sanktionen gegen Erdogan und andere Verantwortliche zu verhängen.
({5})
– Keine einzige!
({6})
– Ja, ich weiß, U-Boote sollten nicht geliefert werden; aber nichts gegen Erdogan.
({7})
Der Kronprinz von Saudi-Arabien hat sogar die politische Verantwortung für die Ermordung eines kritischen Journalisten übernommen. Keine Sanktionsforderung der Grünen gegen den Prinzen oder andere!
({8})
Das Demonstrationsverbot in Russland galt schon vor der Rückkehr von Nawalny – wegen der Pandemie. Das muss man wenigstens sagen, egal wie man es beurteilt. In Deutschland hatten Landesregierungen und andere auch Demonstrationsverbote beschlossen, bis sie von Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurden. Auch das wird vergessen.
({9})
Ich finde auch die Kritik an der Polizeigewalt völlig berechtigt. Aber Kritik an übertriebener Polizeigewalt muss man immer üben, auch wenn dies in Belgien, in Frankreich oder bei uns passiert.
({10})
Wenn ich alles zusammennehme, stelle ich fest: Vor allem die Grünen leiden an einer Russland-Phobie.
({11})
Selbst wenn Sputnik V nachgewiesen der beste Impfstoff gegen Corona wäre, Sie würden ihn niemals einführen. Das erinnert mich an die 50er-Jahre, als die Bundesrepublik nicht bereit war, im Kampf gegen die Kinderlähmung Polioimpfstoff aus der Sowjetunion einzuführen. In der DDR geschah dies zum Nutzen der Kinder, in der BRD dagegen zum Schaden der Kinder der Bundesrepublik nicht – nur mal so nebenbei erwähnt.
({12})
Transparenz muss man von der russischen Regierung verlangen, aber ebenso von Nawalny. Der „Schwarzwälder Bote“ berichtete, dass Nawalnys Film über Putins angebliche Prachtresidenz von einer US-amerikanischen Produktionsgesellschaft produziert wurde, hier in Deutschland. Ich möchte gerne wissen: Wer hat das eigentlich bezahlt und wovon?
Außerdem: Der MDR, also der Mitteldeutsche Rundfunk, und die Deutsche Welle haben Nawalny als extrem nationalistisch und rassistisch bezeichnet. Darf ich daran erinnern: Ihr Freund, Herr Sarrazin, hat gesagt, dass die Kaukasier Nagetiere sind, die man mit Drohnen vernichten muss – nur mal ganz nebenbei.
({13})
Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass dem russischen Rechtshilfeersuchen nicht stattgegeben wurde.
({14})
Wir haben dazu Fragen an die Bundesregierung gestellt. Es ist hochinteressant: Die Bundesregierung hat nichts beantwortet, und zwar mit der Begründung, dass Staatsgeheimnisse vorgehen. Da ja die Bundesregierung nicht für russische Staatsgeheimnisse zuständig ist,
({15})
sondern für deutsche, frage ich: Welche deutschen Staatsgeheimnisse gibt es in Bezug auf den versuchten Mord an Nawalny
({16})
und in Bezug auf die Rechtshilfeersuchen Russlands?
({17})
Was mich ärgert, ist, dass sich auch die Medien für diese Frage nicht interessieren. Ich möchte das gerne wissen.
Von der Sozialdemokratie habe ich eins gelernt: Politik des Wandels durch Annäherung. Bundespräsident Steinmeier, Kanzlerin Merkel und Ministerpräsidentin Schwesig haben recht, was Nord Stream 2 betrifft: Es ist die letzte Brücke zwischen Russland und dem übrigen Europa, die nicht auch noch eingerissen werden darf.
({18})
Willy Brandt und Egon Bahr haben die Politik des Wandels durch Annäherung in Bezug auf die DDR und andere Staaten betrieben. Sie haben damit auch immer kleine Schritte in der DDR erreicht: eine Amnestie, Entlassung von Gefangenen, Reiseerleichterungen in dringenden Familienangelegenheiten.
Im Übrigen darf man nicht erst Milliarden für Nord Stream 2 ausgeben und es dann brachliegen lassen, um dann auch noch das umweltschädlichere Fracking-Gas aus den USA einzuführen oder zu fördern, Herr Scholz.
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Deshalb sage ich Ihnen noch eins: Russland war noch nie demokratisch. Wenn man aber auf Sanktionen verzichtete und eine Politik der Annäherung betriebe, könnte man viel leichter auch humanistische Akte erreichen. Wenn man aber bei der Sanktionspolitik bleibt und sie noch steigert, dann schottet sich Russland immer mehr gegen das übrige Europa ab,
({20})
es wird weiterhin den EU-Außenbeauftragten vorführen; wir werden keine Einflussmöglichkeiten haben. Es ist wie im persönlichen Leben: Manche reagieren auf Strafen eben bockig. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir endlich eine Politik des Wandels durch Annäherung in Bezug auf Russland betreiben.
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Vielen Dank. – Das Wort hat Elisabeth Motschmann von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein persönliches Wort vorweg: Ähnlich wie Alexander Lambsdorff habe ich eine ganz große Nähe zu Russland. Ich liebe die Musik, ich liebe die Kultur, ich liebe die Literatur. Meine Großmutter ist in Sankt Petersburg geboren. Also, Herr Gysi: von Russland-Phobie keine Rede.
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Aber dieses russische Volk hat einen besseren Präsidenten verdient als den Despoten Putin; das ist die erste Botschaft, die ich hier loswerden muss.
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Vergiftet in Tomsk, ausgeflogen nach Berlin, dort geheilt, Rückkehr nach Russland, verhaftet am Flughafen, verurteilt in einem Schnellgerichtsverfahren: zwei Jahre und acht Monate Gefängnis bzw. Arbeitslager: Das ist die traurige Kurzbiografie von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny seit dem 20. August.
Mutige Demonstranten in ganz Russland gehen auf die Straße, fordern die Freilassung von Nawalny, fordern übrigens auch Reformen in ihrem Land. Reaktionen des Putin-Regimes? Brutale Niederschlagung des friedlichen Protestes, Tausende Festnahmen, Willkür, Gewalt, üble Einschüchterung der Bürger und Bürgerinnen Russlands. Aufklärung: Fehlanzeige! Der Mörder ist frei. Das Opfer ist im Arbeitslager. Das ist eine traurige Bilanz. So verhält sich ganz bestimmt kein „lupenreiner Demokrat“.
({2})
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die ritualisierte, hilflose Reaktion eines Despoten. Das ist Putins Angst vor dem Machtverlust. Das ist Putins Angst vor seinem eigenen Volk. Das ist Putins Angst vor einem demokratischen Prozess. Nawalny ist ja kein Einzelfall. Circa 20 Oppositionelle wurden in den vergangenen Jahren ermordet, erschlagen und vergiftet. Das Ganze ist ein schlimmes System.
Und was tun wir? Wir erschrecken, wir sind empört. Die internationale Presse schreibt. Der Bundestag diskutiert. Berlin und Brüssel verurteilen mit scharfen Worten und maßvollen Sanktionen. – Das alles ist wichtig. Aber diese weltweite Welle der Empörung ebbt erfahrungsgemäß immer wieder ab und wird irgendwann immer leiser, und genau das, liebe Kollegen, darf es nicht geben.
({3})
So ist es aber geschehen nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, nach den Massendemonstrationen und Inhaftierungen in Belarus, nach dem Mord an Khashoggi, nach den Demonstrationen in Hongkong. Es ist immer dasselbe System: Es wird immer, immer leiser.
Wir dürfen nicht nachlassen, diese Menschenrechtsverletzungen immer wieder aufs Neue zu verurteilen. Herr Gauland, Menschenrechtsverletzungen sind Verletzungen des Völkerrechts, dem normalerweise auch Russland unterliegt, und deshalb müssen wir auch hier laut unsere Stimme erheben.
({4})
Wenn wir dies immer wieder verurteilen und anprangern, unterstützen wir ideell die Demonstranten vor Ort. Damit sind wir Sprachrohr für sie. Damit beschädigen wir das Image eines „lupenreinen Demokraten“.
Diesen Worten müssen aber immer auch Taten folgen. Spürbare Sanktionen müssen die Antwort auf Menschenrechtsverletzungen sein. Wir müssen eine Sprache sprechen, die Putin versteht. Die einen meinen, das ist die Sprache „Geld, Gas, Öl“; andere meinen, das geschehe auf diplomatischem Weg durch Ausnutzung aller Gesprächskanäle, durch personenbezogene Sanktionen gegen Putins Oligarchen, Stichwort: Einreisestopps und Kontosperrungen.
Wichtig ist mir – das sage ich hier wirklich aus vollstem Herzen –, dass Europa eine gemeinsame Sprache findet, meine Damen und Herren. Dies gilt auch im Hinblick auf Nord Stream 2. Wir sind immer ganz bewusst darauf bedacht, dass wir Europa nicht spalten, dass Europa zusammengehalten wird, dass Europa eine Sprache spricht. Das muss auch hier erreicht werden; das ist meine herzliche Bitte an die Bundesregierung. Wenn die AfD allerdings nach Moskau reist, sich den roten Teppich ausrollen lässt, konterkariert sie damit alle Bemühungen, Putin in die Schranken zu weisen.
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Wir dürfen nicht vergessen: Putin ist nicht das russische Volk. Dieses Volk leidet unter Armut, Unfreiheit und Korruption. Es hängt jetzt von uns ab, wie es weitergeht. Wir müssen treu an der Seite der friedlichen Demonstranten bleiben und dürfen nicht nachlassen, sie zu unterstützen.
Ich schließe mit einem Zitat von Nawalny. Er hat gesagt, als er in dem Glaskasten vor Gericht stand: Einen wegzusperren, ist einfach. Doch ein ganzes Land kann man nicht einsperren.
({6})
Er hat recht.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank. – Das Wort geht an Armin-Paulus Hampel von der AfD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sollten jetzt ganz schnell vom Gefühls-TV zum Realitätsfernsehen zurückkehren.
({0})
Im Staatslexikon zum Thema Außenpolitik findet man den Eintrag: So wie ein Bauwerk mehr ist als ein Haufen Ziegelsteine, weil es über einen Bauplan verfügt, so gilt dies auch für die Außenpolitik eines Staates.
({1})
Über diese allgemeine Leitlinie hinaus braucht man eine Grand Strategy, eine große Strategie, ein Rollenkonzept, das von diesem seine Handlungsimpulse bezieht. Diese Maxime sucht man im Handeln der Bundesregierung allerdings vergeblich.
Ihre Rede vorhin, Herr Maas, hat mich daran erinnert, dass eine Vielzahl der Sozialdemokraten – und denen galt ja Ihre Rede – wahrscheinlich aufmerksam zugehört hat; denn viele Ihrer Parteifreunde sind ja mit dem Kurs, den Sie betreiben, nicht einverstanden. Ich habe immer den Eindruck: Auf der einen Seite wollen Sie Ihre Parteifreunde ruhigstellen, auf der anderen Seite tun Sie aber alles, um die deutsch-russischen Beziehungen zu schädigen.
({2})
Weder bei Herrn Maas noch bei Frau Merkel ist eine deutsche Russland-Strategie erkennbar. Schlimmer noch: Hatte Russland-Präsident Wladimir Putin Deutschland noch bis vor Kurzem als einen der letzten verbliebenen Übersetzer gesehen, zu denen man Vertrauen haben konnte, haben dies Frau Merkel und Herr Maas als letzte Vertrauensbrücke in den vergangenen Wochen zerstört. Sie haben das leichtfertig getan, und sie haben damit gegen den Grundsatz außenpolitischen Handelns verstoßen, nämlich deutsche Interessen gegenüber Russland wahrzunehmen und auf dem Verhandlungswege mit russischen Interessen abzugleichen.
Stattdessen stürzen wir uns auf einen innenpolitischen Fall und legen an den russischen Präsidenten eine Messlatte an, die uns nicht zusteht. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass wir im Fall Nawalny auf höchster Ebene Russland mit Sanktionen drohen, zusätzliche Sanktionen erheben wollen und das milliardenteure Nord-Stream-Projekt gefährden? Gleichzeitig unternehmen wir aber nichts, um zum Beispiel den Mord an einem iranischen Wissenschaftler zu sanktionieren oder den Mord an einem saudischen Journalisten in der Türkei, der hier schon Erwähnung fand, anzuprangern. Kanzlerin wie Außenminister messen hier – mit Verlaub – mit zweierlei Maß.
Wo waren Sie, Herr Brand, übrigens, als die Amerikaner im Irak intervenierten? Sie können sich erinnern, wie Herr Colin Powell die Weltgemeinschaft vor dem UN-Sicherheitsrat mit einer Fake Story überzeugte – ich habe den Aufschrei aus Unionskreisen nicht gehört –; ein furchtbarer Krieg mit Hunderttausenden von Opfern war die Folge. Genauso ging es hinterher in Libyen. Aber da habe ich Ihren Aufschrei auch nicht gehört.
({3})
Schlimmer noch: In Moskau muss der Eindruck entstehen, der Westen – und allen voran Deutschland – unternimmt alles, um in Russland eine Maidan-Stimmung zu erzeugen – und das wollen Sie auch – und einen bis dato völlig unbekannten Blogger auf den Schild zu heben, der früher – Kollege Gysi hat das richtig erwähnt – radikal-nationalistische Töne anschlug und von dem wir nicht wissen, was seine wahren politischen Ziele und vor allen Dingen wer seine Hintermänner sind.
Ich bleibe dabei, dass die Maxime des KSZE-Prozesses, nämlich dass sich kein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen einzumischen hat, grundsätzlich auch in der deutschen Außenpolitik Fortbestand haben muss. Es ist der einzig gangbare und richtig Weg, meine Damen und Herren.
({4})
Würden wir nämlich die gleiche Messlatte an die deutsch-chinesischen Verhältnisse anlegen, also an einen kommunistischen Staat ohne jegliche demokratische Struktur, aber mit Tausenden von rechtsstaatlich zweifelhaften Hinrichtungen, dann müssten wir gegenüber China die gleiche Sanktionspolitik betreiben wie gegenüber Russland. Ich kann Ihnen sagen: Die deutsche Wirtschaft würde sofort bei Ihnen vor der Türe stehen und Zeter und Mordio schreien, wenn Sie das machen würden.
Meine Fraktion und ich sind zutiefst davon überzeugt, dass jedes Land – mein Freund Alexander Gauland hat es erwähnt – das Recht hat, seinem Weg
({5})
des Pursuit of Happiness, also des Strebens nach Glück, zu folgen.
({6})
Das mag mit unserem Wertegerüst nicht immer übereinstimmen; das muss es aber auch nicht, Frau Motschmann.
Im Falle Russlands kommt noch ein weiterer bedeutender Aspekt hinzu: Unser großer östlicher Nachbar wurde jahrhundertelang von Zaren regiert,
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und darauf folgte fast 80 Jahre lang eine teilweise menschenverachtende Sowjetdiktatur. Seit 30 Jahren, also seit einer Generation, versucht Russland, Strukturen im demokratischen Sinne zu entwickeln.
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Bei uns ging übrigens der erste Versuch nach 15 Jahren schief, und auch nach 1945 haben die Deutschen lange gebraucht, bis demokratisches Denken in allen gesellschaftlichen Strukturen Einzug gehalten hat. Wie vermessen und arrogant ist es unseren russischen Freunden gegenüber,
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ihnen diese Entwicklungszeit nicht zuzugestehen!
Statt sich in ständigen Vorwürfen zu ergehen, sollten wir lieber das erkennen, was sich in den letzten drei Jahrzehnten in Russland positiv entwickelt hat. Im Sinne deutscher Außenpolitik sollten wir erkennen, wie stabilisierend – jetzt kriegen Sie ja Schnappatmung – der russische Präsident für sein Land in den vergangenen Jahren gewirkt hat.
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Es müsste im deutschen Interesse liegen, diese Politik Wladimir Putins zu unterstützen. Denn – noch mal kurz Schnappatmung – eins kann ich Ihnen sagen: Sie wissen nicht und Sie ahnen wahrscheinlich nicht, wer nach Wladimir Putin kommt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Nils Schmid von der SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich will aufgrund des etwas seltsamen Verlaufs der Diskussion von ganz rechts und ganz links zwei Klarstellungen vornehmen:
Erstens. Für die SPD-Fraktion sind Menschenrechte unteilbar, ob in China oder in Russland. Der KSZE-Prozess ist nicht nur ein Prozess, der irgendwie innenpolitische Stabilität in den betroffenen Staaten gewährleistet hat, sondern es gab im KSZE-Prozess auch den Hinweis auf Menschenrechte. Deshalb ist für uns der KSZE-Prozess ohne Menschenrechte nicht denkbar.
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Zweitens. Wir reden über Russland. Wir reden nicht über Polizeigewalt in Belgien, lieber Kollege Gysi, oder über Demonstrationsverbote, die aufgrund der Pandemie erlassen worden sind. In Russland war die Demonstrationsfreiheit vielmehr schon vor der Pandemie maßgeblich eingeschränkt,
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schon vor der Pandemie wurde die Zivilgesellschaft unterdrückt, und schon vor der Pandemie hat Präsident Putin – Gott sei’s geklagt; aber wir müssen es festhalten – über Jahre hinweg die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in Russland zurückgedreht. Das ist die Wahrheit.
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Deshalb muss jede Debatte über die aktuelle Entwicklung in Russland nicht bei Nord Stream 2 anfangen, sondern mit einem illusionslosen Blick auf den Zustand des Landes. Er mag zwar stabil sein, aber ist auch von Stagnation geprägt: Keinerlei Zukunftsperspektiven für Gesellschaft und Wirtschaft, die Modernisierung der Wirtschaft ist liegen geblieben, der Staatseinfluss nimmt zu. Es ist immer noch eine rohstoffbasierte Wirtschaft.
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Und alles, was Sie als demokratische Aufbauarbeit, die dort geleistet wird, beschrieben haben, ist doch in den letzten Jahren zurückgedrängt worden und zerschlagen worden. Deshalb ist das, was in Russland geschieht, zuerst und zuvörderst ein Zeichen der Schwäche der Herrschenden, die sich ihrer Macht nicht sicher sind. Und deshalb kommt ein Blogger plötzlich in den Geruch eines großen Staatsfeindes. Das ist doch kein Zeichen von Stärke oder Stabilität, sondern es zeigt an, dass diese Führung unter Druck ist und dass sie, weil sie zu solchen Maßnahmen der Unterdrückung greifen muss, eben keinerlei demokratische Unterstützung in der Breite genießen kann.
Insofern ist für uns doch das Entscheidende, dass – trotz des Wunsches, den ja viele hier auch geäußert haben, mit Russland ein gutes Einvernehmen zu schaffen – leider mit der russischen Führung, so wie sie sich zurzeit verhält, keine strategische Partnerschaft möglich ist, sondern allenfalls selektives Engagement. Aber genau deshalb brauchen wir auch in Zukunft Brücken und den Dialog.
Selektives Engagement bedeutet, dass wir zum Beispiel bei den internationalen Krisen nicht aufgeben dürfen, mit Russland im Dialog zu bleiben – ob es um die Ukraine, um Syrien oder um Libyen geht. Und wir dürfen nicht aufgeben, bei den großen globalen Herausforderungen wie nuklearer Abrüstung und Klimaschutz immer wieder zu versuchen, auch Russland einzubeziehen. Es waren genau diese Bundesregierung und der Bundesaußenminister Heiko Maas, die bilateral wie multilateral das immer wieder angeboten haben: Ich erinnere an die Wiedereinsetzung der Hohen Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik, ein Instrument, das von Russland schlicht und ergreifend nicht genutzt wird. Und ich erinnere daran, dass wir in den vergangenen Jahren, gerade auch während der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, in Bezug auf Belarus alles dafür getan haben, eine gemeinsame EU-Reaktion und -Aktion zu definieren.
Es ist auch völlig klar – Michael Roth hat es ja auch noch mal in dem „Spiegel“-Essay beschrieben –: Deutsche Russland-Politik kann sich nicht von der europäischen Russland-Politik loslösen. Wir können nicht über die Köpfe unserer Verbündeten hinweg mit Russland Politik machen, sondern es muss eine gemeinsame europäische Anstrengung sein. Dazu gehört eben auch, dass wir, wenn es notwendig ist, Sanktionen verhängen, dass wir aber auch weiterhin versuchen, den Dialog fortzusetzen und die Brücken zu erhalten.
Lassen Sie mich, weil das Thema „Nord Stream 2“ ja so beliebt ist, obwohl der Debattentitel das gar nicht vorgesehen hat, eins sagen: Nord Stream 2 zum Lackmustest für Härte gegenüber Russland zu machen, scheint mir doch etwas verengt zu sein. Die Grundfrage, die dahintersteckt, ist: Wollen wir Energie zu einem Kampfmittel gegen Russland machen? Dann müssten wir Öl- und Gasimporte zurückfahren, aber nicht nur Deutschland, sondern viele westliche Partner. Das kann man alles diskutieren. Ich schlage vor – so wie es auch Nawalny verschiedentlich geäußert hat –, dass wir uns, wenn wir über Sanktionen nachdenken, auf das Umfeld der Präsidentschaft konzentrieren, auf diejenigen, die politisch wie wirtschaftlich von den Machtstrukturen profitieren, dass wir also die europäischen Möglichkeiten für personenbezogene Sanktionen ausschöpfen und genau damit übrigens auch ein klares Signal an die Zivilgesellschaft in Russland senden. Denn sie regt sich zu Recht darüber auf, wie sie ausgenommen wird, wie ihr Staat von einer schmalen Elite ausgenommen wird. Denen zu zeigen: „Wir stehen an eurer Seite im Kampf gegen Korruption“, indem wir unsere Sanktionsmöglichkeiten ausschöpfen, das scheint mir doch die richtige Antwort zu sein. Und ich will den Außenminister und die Bundesregierung ermuntern, genau dies zusammen mit den EU-Partnern voranzutreiben.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort hat Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, hier spricht ein Klimapolitiker zu Ihnen, der sich auch mit diesem Thema beschäftigt. Herr Lambsdorff, ich bin, ehrlich gesagt, entsetzt, dass im Jahr 2021 in der FDP nicht angekommen ist, dass Klimaschutz und Menschenrechte ganz viel miteinander zu tun haben
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und dass sich eigentlich Gegenstand und Basis einander bedingen sollten.
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Herr Lambsdorff, ich bin noch irritierter, dass jemand, der sich Außenpolitiker nennt und hier zur jetzigen Zeit, am heutigen Tag über Russland redet,
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nicht ein einziges Mal den Namen Nawalny erwähnt. Wo haben Sie sich da festgefahren, Herr Lambsdorff? Da sollten Sie mal auf sich selber schauen.
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Herr Gysi, mal ehrlich – es geht um Ihren Vorwurf, wir würden das nur bei Russland und nicht bei Erdogan thematisieren –: Ich weiß nicht, wo Sie waren – wahrscheinlich waren Sie nicht da –; aber wir haben hier entsprechende Anträge gestellt, und Die Linke hat denen sogar zugestimmt. Also, meine Damen und Herren, wo liegt an der Stelle der Fehler?
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Es geht darum: Menschenrechte sind unteilbar. Sie sind an allen Stellen zu schützen und eben auch hier.
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Man kann den Vorwurf umdrehen und sagen, dass bei Ihnen Menschenrechte und Bürgerrechte überhaupt keine Rolle spielen, wenn es um Herrn Putin geht.
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Das haben wir doch gerade wieder gehört.
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Dann bin ich beim Herrn Außenminister.
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Ich will nur eines sagen: Das hier ist der Deutsche Bundestag, ein Parlament, und es gibt ein verbrieftes Recht, dass seine Mehrheit einen Minister herbeizitieren kann. Das ist keine Majestätsbeleidigung, Herr Außenminister, und ich verbitte mir, das mir von Ihnen vorhalten zu lassen.
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Ich komme zu der Frage, um die es hier und heute auch gehen muss. In einem Brief des deutschen Finanzministers an die Trump-Administration, der vor ein paar Tagen öffentlich geworden ist, wurde angeboten, LNG-Terminals im Wert von 1 Milliarde Euro aus Steuergeld zu bauen, und im Gegenzug wird gefordert, dass die Trump-Administration ihren Widerstand gegen Nord Stream 2 aufgibt. Wenn es einen schmutzigen Deal gibt, dann ist es dieser hier. Das muss hier in aller Klarheit gesagt werden.
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Es geht nicht darum – was hier einige gesagt haben –, keinen Handel mehr mit Russland zu betreiben oder keine Beziehungen mehr mit Russland zu unterhalten; das ist überhaupt nicht die Frage. Es geht darum, dass wir endlich die Sprache sprechen, die Putin versteht, und entsprechende Konsequenzen ziehen und nicht ein Projekt weiter fördern und unterstützen, das immer als „privatwirtschaftliches Projekt“ gelabelt wird. Tatsächlich geht es darum, dem System Putin, das Menschen unterdrückt, das Menschen ins Gefängnis bringt oder die Gegner sogar ermordet, den finanziellen Boden zu entziehen. Das muss klar und deutlich unsere Botschaft sein.
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– Ich höre von der Regierungsbank: „Heuchelei!“ Ich habe verstanden, dass Sie auf diese Botschaften nicht setzen wollen. Das ist offensichtlich die Politik dieser Bundesregierung.
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Herr Brand, ich habe Ihre Rede gern gehört. Ich habe da auch geklatscht, auch viele aus meiner Fraktion. Auch Herr Röttgen hat geklatscht – ich sehe ihn gerade nicht –,
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der sich zu diesem Thema regelmäßig in ähnlicher Art und Weise äußert. Aber Sie müssen die Reden auch in Ihrem eigenen Laden halten; denn Sie haben einen Armin Laschet zum Vorsitzenden gewählt, der sagt – Zitat –: Nord Stream 2 ist ein wirtschaftliches Projekt. – Was heißt das denn, bitte schön? Sagt uns Armin Laschet damit: „Wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, wenn es um Unternehmensinteressen geht, dann spielen Politik und Menschenrechte keine Rolle mehr“?
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Meine Damen und Herren von der CDU, da haben Sie noch ein paar Fragen zu klären, auch wenn ich zur Kenntnis nehme, dass einige von Ihnen inzwischen offensichtlich begonnen haben, etwas zu verstehen.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Thomas Erndl von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns über Außenpolitik sprechen. Es ist traurig, zu sehen, dass hier im Hause nicht alle klare Worte finden können zu dem, was derzeit in Verantwortung des Kreml in Russland passiert. Das muss uns hier doch eigentlich wachrütteln, auch die ewigen Russland-Romantiker links außen und die Putin-Verherrlicher auf der rechten Seite.
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Moskau befindet sich auf antidemokratischen Abwegen und schert sich nicht um Rechtsstaatlichkeit. Das sollte von jedem hier im Deutschen Bundestag klar und deutlich verurteilt werden.
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Aber nicht nur uns im Parlament, auch der Bundesregierung müssen die Vorgänge natürlich intensiv zu denken geben. Denn eines ist klar: Wir sind an einer Partnerschaft mit Russland interessiert, aber wir müssen seit Langem zur Kenntnis nehmen, dass sich Moskau täglich weiter von uns entfernt. Diese Entfremdung ist besorgniserregend und vor allem ernüchternd – ernüchternd deshalb, weil Europa über viele Jahre die Hand in Richtung Moskau ausgestreckt hat.
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– Das zu verleugnen, Herr Gysi, ist wirklich absolut absurd. – Wir haben die Hand ausgestreckt, gerade auch in schwierigen Zeiten.
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Dialog und Austausch waren immer wichtig und sind es immer noch.
Allerdings gehört zu jedem Austausch und zu jedem Dialog Respekt. Was am Freitag auf höchster Ebene zu erleben war, das ist an Respektlosigkeit nicht zu überbieten. Die Ausweisung unserer Diplomaten war unbegründet und inakzeptabel,
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und das auch noch zeitgleich zum Besuch des EU-Außenbeauftragten. Mir fällt da nichts anderes ein, als zu sagen: Das war eine bodenlose Frechheit.
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Deswegen war es auch richtig, umgehend darauf zu reagieren und ebenfalls einen ranghohen russischen Diplomaten auszuweisen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns klar benennen: Die Inhaftierung Nawalnys ist reine Willkür. Die Inhaftierung Tausender, die sich für freie Meinungsäußerung einsetzen, ist reine Willkür. Das Niederknüppeln Zehntausender Demonstranten hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Dies alles ist ein Zeichen von Schwäche. Dazu kommen die aggressiven Vorgänge Russlands hier in Europa: die Cyberattacke gegen dieses Haus, gegen den Deutschen Bundestag, die ganzen Desinformationskampagnen und – noch schwerwiegender – der Tiergarten-Mord sowie der Einsatz von Nowitschok im In- und Ausland. Nowitschok, Herr Gysi, hat man nicht irgendwo im Keller. Insofern ist die Verantwortlichkeit doch absolut klar. Was wirklich einfach unerträglich ist, sind die ständigen dreisten Lügen darüber. Irgendwann reicht es.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns kann es eben nicht egal sein, wenn ein Mitglied des Europarats ständig die Europäische Menschenrechtskonvention bricht und internationale Verträge der Lächerlichkeit preisgibt. Antworten darauf müssen gemeinsam europäisch, aber vor allem deutlich ausfallen. Wir müssen weitere Sanktionen gegen Putins Handlanger auf den Weg bringen: Sanktionen, die sich gegen diejenigen Rädchen im Machtgetriebe des Kremls richten, die sich im Fall Nawalny und in weiteren Unrechtsfällen die Hände schmutzig machen. Wir müssen die europäischen Magnitsky-Regeln zur Anwendung bringen und den Menschenrechtsbrechern in der ganzen Verantwortungskette jeden Schritt auf EU-Boden verwehren, jeden Cent beschlagnahmen und jedes Geschäft unterbinden.
In diesen Zeiten sollten wir vor allem hinterfragen, wie die Beziehungen zu einem Land aussehen sollen, das natürlich ein wichtiger Nachbar ist, das aber – durch das Verhalten irgendwie sichtbar – an einer Partnerschaft nicht interessiert ist: Diplomatischer Austausch – ich habe es angesprochen – sollte natürlich mit Respekt geschehen. Beim zivilgesellschaftlichen Austausch sollten wir noch viel mehr machen: mehr Studentenaustausch, mehr Hineinwirken in die junge Generation, mehr Wissenschaftsaustausch und mehr Unterstützung für diejenigen, die jetzt unter Druck sind. Ich glaube, mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben wir ein erstklassiges Netzwerk und wären gut aufgestellt. Die drohenden NGO-Gesetze in Russland müssen aber vom Tisch. Das ist auch ein Punkt, den wir hier klarmachen müssen.
Wir stehen auch in einem wirtschaftlichen Austausch mit Russland: Er ist vielfältig, ist aber durch Sanktionen schon eingeschränkt. Natürlich steht hier der Energiemarkt im Fokus. Wenn wir über Gas sprechen, dann muss doch klar sein: Eine Pipeline darf keine geopolitische Waffe sein; das müssen wir sicherstellen. Aber wir müssen das gesamte Thema Gasbezug in den Blick nehmen und nicht nur immer über eine Röhre diskutieren; denn wenn wir die Anteile von russischem Gas reduzieren wollen, dann müssen wir letztendlich den Blick auf andere Regionen richten. Insgesamt ist hier wirklich ein ganzheitlicher Blick notwendig.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ein Russland, das Oppositionelle vergiftet, Zehntausende Demonstranten niederknüppelt und unsere Diplomaten grundlos ausweist, kann kein ernsthafter Partner für Deutschland und für Europa sein – zumindest das Russland in der jetzigen Lage; das muss klar sein. Genauso klar müssen deswegen auch die Signale sein, die ein geschlossenes Europa nach Moskau sendet. Es ist entscheidend, dass sich Europa endlich auch seiner Größe und Macht bewusst wird und gegenüber Russland dementsprechend auftritt.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Johannes Schraps von der SPD-Fraktion.
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Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat schade, dass diese wichtige Thematik – und das hat die Rede des Kollegen Krischer gerade auch gezeigt – von den Grünen ganz offensichtlich nicht aufgrund der in der Tat vorhandenen Notwendigkeit für Diskussionen, sondern ausnahmslos für durchsichtige politische Spielchen aufgesetzt wurde. Das wird der gebotenen Ernsthaftigkeit bei dieser Thematik leider nicht gerecht.
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Denn bei jedem, der die aktuelle Situation in Russland verfolgt, muss sich momentan das Gefühl einstellen, dass wir schon wieder in einer neuen, schwierigeren Phase angekommen sind. Alexej Nawalny, der erst vergiftet wurde, diesen Anschlag auf sein Leben nur mit viel Glück überlebt hat und nun ohne jegliche Legitimation in ein Arbeitslager gesteckt wurde, ist ja nur das leuchtende Symbol dafür. Als er nach seiner Rückkehr und der sofortigen Festnahme zu Protesten aufgerufen hatte, da kam es in so gut wie allen größeren und kleineren Städten Russlands zu Kundgebungen. Auch für viele Beobachter war es eher überraschend, dass mit der jüngsten Protestwelle eben auch in zahlreichen Provinzstädten viele Leute auf die Straße gingen im Einsatz für Bürgerrechte und für einen demokratischen Wandel Russlands. Das waren keine einzelnen, lokalen oder nur auf Moskau bezogenen Proteste, nein, das waren landesweite Proteste, und so etwas war in Russland in diesem Umfang lange nicht vorgekommen.
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Beispiellos war jedoch auch – leider – der Einsatz der Sicherheitskräfte; denn so brutal waren sie vorher selten gegen friedliche Teilnehmer einer Demonstration vorgegangen. Dazu gleichen sich die Berichte aus vielen Städten. Das russische Regime geht gegen seine Gegner mit kaum vorstellbarer Gewalt vor. Mittlerweile ist von über 11 000 Verhaftungen die Rede.
Das Vorgehen gegen Nawalny persönlich ist also nur das Symbol für die allgemeine Situation in Russland; er steht symbolisch für viele Tausend Menschen, die auf die eine oder andere Art und Weise für ihre politischen Überzeugungen bestraft werden, mit körperlicher Gewalt oder mit Freiheitsentzug.
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Ein solches Vorgehen widerspricht fundamental den freiheitlichen, rechtsstaatlichen Werten, auf die wir uns hier in der Europäischen Union verständigt haben. Deshalb – und das hat Außenminister Heiko Maas zum Glück deutlich gemacht – kann es auf diese Vorkommnisse auch nur eine europäische Reaktion geben und keine nationalen Reaktionen.
Eine einheitliche EU-Linie im Umgang mit Russland hat es in den letzten Jahren – das müssen wir uns eingestehen – leider nicht immer gegeben. Diese Uneinigkeit hat dazu geführt, dass die EU in Russland als politischer Akteur offensichtlich nicht immer ganz ernst genommen wird. Wie die Situation ausschaut, mussten wir beim Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in der vergangenen Woche in Moskau leidvoll beobachten. Die Ausweisung von EU-Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen während der Pressekonferenz von Borrell mit dem russischen Außenminister Lawrow ist ein diplomatischer Affront, der ganz bewusst herbeigeführt wurde. Das russische Regime weiß ganz genau, dass es darauf eine Reaktion der EU geben muss; es provoziert damit eine Eskalation der Beziehungen und verkauft dies der eigenen Bevölkerung dann als ein Zeichen, dass Nawalny ein Agent des Westens sei und dass Russland von ach so vielen Feinden umgeben sei.
Nils Schmid hat zu Recht auf die Situation und auf den Zustand des Landes hingewiesen. Nur mit diesen antiwestlichen Narrativen und mit immer neuen außenpolitischen Provokationen können die Schwierigkeiten im eigenen Land, die sich eben auch in diesen landesweiten Protesten widerspiegeln, zumindest zeitweise überdeckt werden. Außenpolitik ist vor allem in Russland immer auch Teil der Innenpolitik, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
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Doch deshalb sollten wir aus meiner Sicht dort, wo wir es können, nicht auf Dialog verzichten. Er wird auf parlamentarischer Ebene von Kollegen wie Frank Schwabe im Rahmen des Europarates oder auch von mir im Rahmen der Ostseeparlamentarierkonferenz intensiv gepflegt, wo es geht; denn Dialog ist die Grundlage jedes demokratischen Miteinanders.
Aber man redet besser auf Augenhöhe, wenn man sich der eigenen Stärke auch bewusst sein kann. Deswegen muss die Stärkung der europäischen Sicherheitspolitik, unter anderem im Bereich Cybersecurity, eine große Priorität sein, die Stärkung der Europäischen Verteidigungsunion ebenso, und auch bei der Diskussion um weitere zielgerichtete Sanktionen sollte die EU meines Erachtens klare Kante zeigen.
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Stärke besteht hier aber vor allem in europäischer Einigkeit. Einigkeit innerhalb der EU zu erzielen, muss deshalb das Ziel unserer europäischen Aktivitäten sein.
Mit einer baldigen Verbesserung der EU-Russland-Beziehungen – das muss man ehrlich eingestehen – ist aktuell nicht zu rechnen. Aber: Wir verurteilen das Regime von Putin, nicht das Land Russland und auch nicht die Menschen, die dort leben. „Putin ist nicht Russland“, verehrte Kolleginnen und Kollegen; das müssen wir immer wieder deutlich sagen.
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Deshalb geht es auch um Zeichen an die russische Zivilgesellschaft, so schwer es uns die Gesetzgebung „gegen ausländische Agenten“ auch macht. Ein starkes Signal wäre für mich dabei eine Visaliberalisierung für junge Russinnen und Russen; denn dann verteilt nicht mehr das Regime die Genehmigung, über den eigenen Horizont, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und den eigenen Horizont zu erweitern, sondern dann würden wir vielen jungen Menschen die Möglichkeit einräumen, dies zu tun.
Eine Kombination aus einheitlicher EU-Strategie, klar fokussierten Sanktionen, einer Fortsetzung des Dialogs über bestehende Kanäle und der Unterstützung der russischen Zivilgesellschaft, das ist die richtige Vorgehensweise. Sie wird uns – damit komme ich zum Schluss – wahrscheinlich keinen schnellen Erfolg bringen. Beim Ziel der Verbesserung der EU-Russland-Beziehungen sollten wir uns nicht auf einen Sprint, sondern auf einen Marathon einstellen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir Deutsche wissen sehr gut, was es für ein Volk bedeutet, die Freiheit zu erringen. Wir wissen aus der Geschichte dieses Landes, dass nicht die Menschen unterschiedliche Begabungen haben, sondern dass die Frage, ob sie ihre Begabungen entfalten können, von den Bedingungen, die im jeweiligen Land gegeben sind, abhängen.
Dass Putin offenbar Angst davor hat, dass die Menschen seines Landes sich ihren Möglichkeiten entsprechend frei entfalten, das ist betrüblich, aber das ist die Beobachtung der Stunde, und das macht es uns, die wir gerne mit Russland zusammenarbeiten würden, im Moment schwierig, das auch zu tun.
Ich möchte klar sagen: Die hybride Kriegsführung, die von Russland ausgeht, besorgt mich zutiefst. Ich habe mich, als ich an der Konfliktlinie in Donbass in der Ukraine gewesen bin, einmal gefragt: Warum eigentlich? Ich habe einen klugen Beobachter gefragt, und der sagte: Ja, warum? Das ist doch ganz einfach: Putin kann nicht ertragen, dass in seiner Umgebung Länder das freie Selbstbestimmungsrecht der Völker wahrnehmen, dass sie sich entfalten, dass sie sich auf einen guten, einen erfolgreichen Weg machen. Das sei die einfache, schlichte Strategie. – Das hat mich wirklich erschüttert,
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weil das im Grunde genommen ja nur eine Aussage nach innen ist. Es soll nicht dazu kommen, dass – vielleicht auch nach den mutigen Demonstrationen in Belarus – die Menschen in Russland selbst auch den Geschmack der Freiheit entdecken. Deswegen erleben wir nach dieser völlig inakzeptablen Inhaftierung und Verurteilung Nawalnys jetzt diese grauenvolle und völlig inakzeptable Unterdrückung der Demonstranten.
Jetzt kann man sich fragen: Was machen wir? Wie gehen wir mit Sanktionen um? Ich finde immer noch, Herr Außenminister: Wir sollten versuchen, die sehr wenigen uns verbliebenen Möglichkeiten des Dialogs zu nutzen. – Damit komme ich auf das, was mich beschäftigt als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Wir haben ja dort im Moment den Vorsitz, den Deutschland auch sehr verantwortungsvoll wahrnimmt. Wir haben lange darum gerungen, ob es wieder möglich sein sollte, dass die russische Delegation – trotz der extremen Verletzungen des Völkerrechts innerhalb der Mitgliedstaaten, nämlich gegenüber der Ukraine und auch gegenüber Georgien – dort wieder vertreten sein sollte. Wir haben gesagt: Ja, wir finden es richtig, weil wir dann auch ansprechen können, was dort geschieht, weil wir die Mitglieder der russischen Delegation auf diesem Wege zwingen können, Stellung zu nehmen zu den Vorwürfen. Wenn Sie sich – und ich bitte Sie alle, das zu tun – die Einlassungen der russischen Abgeordneten in der vergangenen Woche der Parlamentarischen Versammlung des Europarates einmal anhören, werden Sie feststellen: Das ist unbeschreiblich. Ich möchte fast sagen: Dort werden die von Russland so stark in Mitleidenschaft gezogenen Länder geradezu verhöhnt. – Insofern: Wir schaffen damit Öffentlichkeit.
Ich bin auch sehr dankbar – übrigens auch dem Kollegen Schwabe, der noch sprechen wird –, dass wir in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates jetzt ein strukturiertes Verfahren zwischen Parlamentarischer Versammlung und Ministerkomitee gefunden haben im Umgang mit Mitgliedstaaten des Europarates, wenn dort schwerwiegende Verletzungen dauerhaft festgestellt werden. Wir wollen das jetzt gemeinsam machen. Wir wollen uns nicht auseinanderdividieren lassen, sondern wir wollen uns mit diesem gemeinsamen Verfahren, dessen Ausgestaltung Kollege Schwabe ja auch in der Berichterstattung schon skizziert hat, gemeinsam auf den Weg machen.
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– Ja, Herr Hampel, Sie sagen: „Toll!“. Ich will mal so sagen – ich will das ganz schnell noch ergänzen –: Russland hat eine Verfassung auf den Weg gebracht, die besagt, es würde sich gar nicht an internationale Verträge und Verpflichtungen halten, wenn ihm das gerade nicht passt. Nun ist Russland aber im Europarat, und wir werden es auch daran messen müssen, ob es sich an internationale Verträge und Verpflichtungen hält oder nicht.
Von Ihrer Seite kam gerade, das sei Einmischung in innere Angelegenheiten; aber das ist es ja gerade nicht, weil Russland als Mitglied des Europarates sich ja dessen Prinzipien, nämlich der Europäischen Menschenrechtskonvention, unterworfen hat
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Deswegen, glaube ich, ist es richtig, dass wir Russland im Europarat Tag für Tag stellen und dass wir aus diesem Grunde seine Mitgliedschaft, so lange es möglich ist, aufrechterhalten.
Herr Außenminister, vielen Dank für Ihr Engagement im Vorsitz in dieser Zeit.
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Vielen Dank. – Und als letztem Redner in der Aktuellen Stunde gebe ich Frank Schwabe für die SPD-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich habe gerade schon überlegt: Wie ist das eigentlich, wenn irgendwo da draußen der russische Botschafter sitzt und sich diese Aktuelle Stunde im Fernsehen ansieht? Welches Signal bekommt er eigentlich? – Ich glaube, er muss das deutliche Signal des Außenministers bekommen. Der hat hier einen klaren Satz gesagt, nach dem ich eigentlich tosenden Applaus erwartete hätte, jedenfalls bei viereinhalb Fraktionen hier im Hohen Hause, nämlich: Herr Nawalny muss freigelassen werden.
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Das ist jedenfalls die klare Haltung der deutschen Bundesregierung. Deswegen habe ich nicht ganz verstanden, warum es auch beim geschätzten Koalitionspartner ein paar Versuche gab, sich von der eigenen Regierung vielleicht ein bisschen zu distanzieren.
Zu den Grünen: Es tut mir schrecklich leid, es zu sagen – ich weiß, ihr seid super stark engagiert beim Thema Russland –, aber ihr habt versucht, dieses Thema für eine innenpolitische Auseinandersetzung zu nutzen. Das ist, glaube ich, das falsche Signal an Russland. Die müssen sehen: Wir stehen hier geschlossen mit einer klaren Position, mit klaren Formulierungen.
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Historisch gesehen, sind manche Fehler gemacht worden, und man kann sicherlich eine historische Betrachtung anstellen. Ja, ich gehöre zu denen, die auch damals schon fanden, dass wir 1990 die Friedensdividende hätten besser nutzen müssen – und das nicht, indem wir die NATO sofort sozusagen in Richtung Osten erweitern. Wir hätten mal darüber nachdenken müssen: Was haben wir denn an kollektiven Sicherheitsmechanismen, an OSZE, an Europarat und anderem? – Ich glaube, diese Aspekte waren unterbelichtet.
Zur heutigen Lage darf es aber auch keine Illusionen geben. Russland verstößt so ziemlich gegen alle Regeln des zivilisierten Miteinanders – das muss uns klar sein –, und das geht nicht. Deswegen muss man da auch klar Stellung beziehen,
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ob es um die Ermordung von Menschen auf anderen Territorien geht, um Angriffe gegen Parlamente – gegen dieses Parlament und andere Parlamente auf der Welt – oder ob es eben die ganz offensichtliche Vergiftung eines Oppositionellen wie Herrn Nawalny betrifft. Wie man da Zweifel haben kann – man muss mal ein bisschen die Berichte nachlesen – und der russischen Propaganda – ich kann es nicht anders sagen – auf den Leim gehen kann, indem man sagt: „Liefert uns mal Beweise“, ist mir total schleierhaft. Das ist doch wirklich absurd. Es ist doch ganz klar, was da passiert ist.
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Es ist klar, dass Russland versucht, sich da wegzustehlen mit absurden Argumenten, weil es ja merkt, dass das international nicht verhaftet. Deswegen, noch mal: Es wäre gut, wenn wir große Einigkeit bei vielen der Fraktionen hier im Deutschen Bundestag sicherstellen könnten.
Ich schätze die Deutsche Umwelthilfe sehr; ich weiß, das tun nicht alle hier.
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Aber das, was da geleakt wurde, ist doch ganz großer Unfug. Sie können doch zum Beispiel mal nachlesen, was Herr Altmaier zum Thema Flüssiggas gesagt hat. Das kann man im „Spiegel“ vom 12. Februar 2019 nachlesen. Sie können nachlesen, dass am 26. August 2020 eine Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und der Ukraine verabredet worden ist. Alles, was in diesem geheimen Brief drinstehen soll, ist öffentlich zugänglich.
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Vielleicht wurde es einmal zusammengefasst, und das sind die Elemente, die da stehen.
Ich halte von Flüssiggas im Übrigen gar nichts. Aber das ist etwas, was von der Bundesregierung und vor allen Dingen von Herr Altmaier auf den Weg gebracht wurde
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und nicht von Finanzminister Olaf Scholz. Deswegen hätten Sie vielleicht Herrn Altmaier herzitieren können, statt diesen Popanz zu betreiben.
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Jetzt habe ich noch zwei Minuten und sage in der Tat noch etwas zum Europarat – ich danke dem Außenminister, der darauf drei Minuten verwandt hat, und auch Matern von Marschall –: Ich habe den Eindruck, dass wir ein komplettes Missverständnis haben über das, was der Europarat ist und was er leisten kann. Es haben ja auch Kolleginnen und Kollegen den Außenminister aufgefordert, auf Parlamentarier Druck auszuüben, um russischen Parlamentariern bestimmte Rechte zu entziehen. Das ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, sondern es ist unsere Aufgabe, darüber miteinander zu diskutieren.
Gerade hat jemand gesagt: Nord Stream 2 ist das Einzige, was uns noch mit Russland verbindet. – Nein, wir haben den Europarat als Plattform. Und der Europarat ist nicht die Europäische Union. Die Europäische Union hat wirtschaftliche Möglichkeiten und kann die dann auch entsprechend in Form von Sanktionen umsetzen. Der Europarat ist eine Diskussionsplattform, ein Dialogforum auf Grundlage von – in der Tat – Menschenrechtsverträgen, die die Russen selber unterschrieben haben. Und Folge des Ganzen ist, dass der Europarat, anders als die Europäische Union, Mechanismen hat, Russland zu bestimmten Dingen zu zwingen.
Wir werden nicht alles lösen können. Der Europarat muss sich selbst bescheiden. Wir werden Territorialkonflikte nicht lösen können. Aber es gibt zwei Dinge, die sind fundamental für den Europarat. Das eine ist die Frage, Zugang zum russischen Territorium zu gewähren. Da gibt es das Antifolterkomitee, da gibt es die Generalsekretärin, da gibt es Monitoringmissionen. Ich selber bin verantwortlich für den Nordkaukasus; ich war in Tschetschenien, ich war in Grosny – der erste seit zehn Jahren, der da war. Das muss Russland zulassen.
Und: Russland muss sich an die Buchstaben des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte halten. Und da sind wir in der Tat beim interessanten Punkt: Wenn sie da sagen: „Das setzen wir nicht um“, dann ist das sozusagen die rote Karte. Man wird sagen können: Dann könnt ihr nicht mehr Mitglied dieses Klubs sein. – Denn wenn wir es den Russen durchgehen lassen, dann werden Aserbaidschan, Polen und Ungarn kommen und sagen: Das interessiert uns auch nicht mehr. – Das ist sozusagen die rote Linie. Lassen Sie uns den Europarat als Diskussionsforum nutzen, die Russen einladen: Redet mit uns! Aber an fundamentale Regeln dort habt ihr euch zu halten, und wenn nicht, dann könnt ihr auch nicht mehr Mitglied in diesem Klub sein.
Da sind wir aber noch nicht. Das diskutieren wir gerade miteinander, vielleicht auch noch mal an anderer Stelle. Jedenfalls finde ich richtig – das will ich noch mal sagen –, dass die gemeinsame Haltung des Hohen Hauses sein sollte, klipp und klar und geschlossen an Russland das Signal zu senden: Unterdrückt die Opposition nicht und lasst Herrn Nawalny frei!
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Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch die Coronamaßnahmen der Bundesregierung ist der deutsche Arbeitsmarkt in eine tiefe Krise geraten – nicht zu übersehen. Neben hunderttausendfacher neuer Arbeitslosigkeit und millionenfacher Kurzarbeit droht jetzt auch noch eine nie dagewesene Insolvenzwelle.
Dass die Bundesregierung in diesen schwierigen Zeiten weiterhin über die Westbalkanregelung Arbeitskräfte aus dem früheren Jugoslawien nach Deutschland locken will, halten wir für unverantwortlich.
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Dabei ist die Westbalkanregelung alles andere als ein Erfolgsmodell. Im vergangenen Jahr kamen auf 356 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bereits 117 000 Hartz-IV-Bezieher. Auf drei Beschäftigte vom Westbalkan kommt also ein Sozialleistungsempfänger.
Aber es gibt noch ein anderes Problem. Durch die Verlängerung der Regelung lockt die Regierung nun weiterhin zehntausendfach die härteste Lohnkonkurrenz für unsere inländischen Arbeitnehmer nach Deutschland. Denn die Arbeitskräfte aus den Westbalkanstaaten arbeiten bei uns im Schnitt für 900 Euro weniger im Monat als der deutsche Arbeiter. Die Konsequenz ist faktisch staatlich gefördertes Lohndumping; und Sie schauen alle weg.
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Während gegenwärtig knapp 17 Prozent der deutschen Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor arbeiten, sind es bei Arbeitern vom Westbalkan über 33 Prozent, also das Doppelte. All das entspricht übrigens exakt dem, was das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bereits 2016 in einer Studie beschrieben hat. Ich zitiere:
In einer modellhaften Volkswirtschaft … erhöht Zuwanderung das inländische Arbeitsangebot und führt zu niedrigeren Löhnen der einheimischen Bevölkerung …
Die Westbalkanregelung fördert aber nicht nur Lohndumping in Deutschland, sondern auch die massenhafte Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus den Westbalkanstaaten nach Deutschland. Das beklagen jedenfalls einige Regierungschefs der betroffenen Länder. Serbiens Präsident Vucic forderte Minister Jens Spahn letztes Jahr sogar auf, nicht mehr nach Serbien zu kommen, um dort Pflegekräfte abzuwerben. Und im Kosovo hat das Abwandern von Ärzten und Pflegepersonal nach Deutschland inzwischen alarmierende Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. Einst betriebsame Ärztezentren haben sich in Geisterkliniken verwandelt, schreibt der österreichische „Standard“. 71 Prozent der jungen Menschen erwägen laut Balkan-Barometer, ihre Heimatländer zu verlassen. Selbst Außenminister Heiko Maas – ist er noch da? ich sehe ihn nicht mehr – sagte erst im Oktober gegenüber der Deutschen Welle: Wir können nicht die Augen vor dem kontinuierlichen Braindrain auf dem Balkan verschließen.
Die Westbalkanregelung fördert also eine Form der Zuwanderung, die gegen unsere gesellschaftlichen Interessen verstößt, die Arbeitnehmer in Deutschland durch steigenden Lohndruck schädigt und den Menschen einzig und allein auf seine Rolle als mobiles Humankapital reduziert.
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Die Westbalkanregelung folgt wie die gesamte Zuwanderungspolitik der Bundesregierung einer marktradikalen und globalistischen Logik, bei der es nur noch um die vollständige Mobilität von Produktionsfaktoren geht. Arbeitskräfte sollen ungehindert wie Nomaden von Ort zu Ort wandern können, wobei der Mensch zur Importware wird und die betroffenen Gesellschaften und Familien zerrissen werden. Und die deutsche Linke versieht das Ganze auch noch mit einem emanzipatorischen Mäntelchen und entpuppt sich damit geradezu als Vehikel für die Interessen von Kapitaleignern und Großkonzernen.
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Als AfD-Fraktion machen wir uns nicht zum parlamentarischen Büttel globalistischer Interessen.
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Die grundsätzlich falschen Weichenstellungen in der deutschen Zuwanderungspolitik und die bald ein Jahr lang andauernde Lockdown-Krise verpflichten uns als verantwortungsvolle Politiker dazu, die Westbalkanregelung unverzüglich zu beenden. Genau das fordern wir als Alternative für Deutschland.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht, wenn das Pult gesäubert ist, an Marc Biadacz von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die AfD präsentiert uns heute einen Antrag zur Arbeitsmarktpolitik mit wenig Kreativität und mit wenig Einfallsreichtum. Herr Springer, bei dem, was Sie uns gerade erzählt haben, frage ich mich: Sind Sie Teil unseres Ausschusses für Arbeit und Soziales? Wo sind Sie eigentlich, wenn wir über den Arbeitsmarkt und über die Perspektiven für den deutschen Arbeitsmarkt diskutieren? Interessant ist auch: Sie haben fast den gleichen Antrag im Oktober 2020 gestellt. Da stand nicht die Westbalkanregelung auf der Agenda, sondern das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Sogar die Zitate, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind fast die gleichen.
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Also, ein bisschen mehr Arbeitsmoral bei der AfD wäre echt mal angebracht.
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Aber ich weiß schon, Herr Springer, was Sie machen wollen: Sie wollen Ängste schüren.
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Sie wollen mit der Westbalkanregelung die Tatsachen so – ich will es mal positiv ausdrücken – artikulieren, wie Sie sie gern hätten. Aber so funktioniert Politik in diesem Haus nicht, Herr Springer.
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Was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, hier vorlegen, zeigt, dass Sie nicht nah an der Realität sind.
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Hören Sie eigentlich in Ihren Wahlkreisen, was die Handwerker brauchen, was der Bausektor braucht bzw. was die Menschen brauchen, die auch weiterhin wirtschaften wollen? – Und dann kommen Sie auf die Pandemie zu sprechen!
Schauen wir uns die Westbalkanregelung einmal an. Es gibt klare Regelungen, die der Grund dafür sind, dass die Westbalkanregelung funktioniert und eben nicht missbraucht werden kann. Zu diesen fünf Regelungen möchte ich Ihnen, Herr Springer, gerne mal eine Lehrstunde geben, weil davon in Ihrem Antrag überhaupt nichts drinsteht:
Erstens. Die Person, die aus dem Westbalkan zum Arbeiten nach Deutschland kommen möchte, muss ein verbindliches – ein verbindliches! – Jobangebot von einem Arbeitgeber in Deutschland haben.
Zweitens. Die Person darf in den letzten 24 Monaten keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen haben.
Drittens – und das ist ganz wichtig, Herr Springer –: Es findet eine Vorrangprüfung statt. Es wird also geprüft, ob der Job mit einem deutschen Arbeitnehmer besetzt werden kann. Ist dies der Fall, so wird der Antrag abgelehnt. Hier wird also niemandem ein Arbeitsplatz weggenommen, wie Sie, lieber Herr Springer und liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion, es immer behaupten.
Viertens. Es findet eine Prüfung der Beschäftigungsbedingungen statt. Also, wenn der Arbeitnehmer zu schlechteren Konditionen als ein Arbeitnehmer hier in Deutschland angestellt wird, wird dieser Antrag abgelehnt.
Fünftens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Möglichkeit, dass die Person nach Deutschland einreist, bevor nicht alles geprüft ist.
Diese fünf Punkte hätten Sie sich mal anschauen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, die Sozialkassen werden kaum belastet; denn nur 1 Prozent der Beschäftigten aus dem Westbalkan sind arbeitsuchend gemeldet. Das ist Fakt, und an diese Fakten sollten wir uns auch halten. Nur 18 Prozent haben in den ersten zwei Jahren ihren Arbeitgeber gewechselt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie mit der Westbalkanregelung Politik machen wollen, dann sagen Sie das auch hier in diesem Haus und dann sagen Sie, dass Sie Ängste schüren wollen. Bei allem, was wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales machen, geht es um Handwerkszeug und darum, kreative Ideen zu entwickeln, um Arbeitslosigkeit zu verhindern oder Menschen aus der Arbeitslosigkeit rauszuholen. Gerade in einer Pandemie überlegen wir uns kreative Sachen: das Kurzarbeitergeld. Lassen Sie uns mal darüber sprechen!
Was ich mir echt mal wünschen würde, in diesem Haus und vor allem auch bei uns im Ausschuss, ist, dass die AfD endlich mal mit kreativen Ideen zum Arbeitsmarkt kommen und nicht wiederholt dieselben Anträge schreiben würde. Ich würde gerne mit Ihnen streiten. Ich würde gerne mit Ihnen diskutieren, wenn Sie denn gute Ansätze hätten. Aber Sie haben keine Ansätze in der Arbeitsmarktpolitik. Das ist schade.
Die Westbalkanregelung dient dazu nicht. Daher lehnen wir Ihren Antrag, der fast dem aus dem Oktober 2020 gleicht, ab. Ich freue mich auf die kreativen Ideen der AfD, wenn sie denn mal kommen.
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Danke schön.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Johannes Vogel von der FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, der hier vorliegende Antrag der AfD ist ein Akt politischer Ehrlichkeit. Denn von manchen AfD-Vertretern wurde und wird ja immer wieder behauptet – in einem Akt von politischer Camouflage, möglicherweise um sich gegenüber den Wählern der Mitte zu tarnen –, man sei ja gar nicht gegen Migration an sich, sondern man sei ja nur für mehr Ordnung bei der Migration, man sei ja zum Beispiel auch für das kanadische Einwanderungssystem. Das steht ja angeblich auch im Programm der AfD. Mit diesem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen die Kollegen von der AfD die Maske fallen und machen sich politisch ehrlich; denn sie sind einfach gegen jede Form von Migration. Das können wir hier und heute schwarz auf weiß lesen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das sollten wir der Bevölkerung auch sagen.
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Schauen wir mal auf das, was hier konkret beantragt wird. Mit der Westbalkanreglung wird Menschen vom Westbalkan, die ein Arbeitsplatzangebot haben, nach einer Vorrangprüfung mit Blick auf Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt hier die Möglichkeit gegeben, zuzuwandern. Diese Regelung ist übrigens auch sehr gut evaluiert. Mit Wissenschaft haben Sie es ja nicht so, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD; das wissen wir. Wir haben eben auch gemerkt, dass Sie zum Beispiel nichts von Forschung über zirkuläre Migration verstehen. Aber das sollten Sie zumindest mal nachlesen. Und was da drinsteht, ist ganz eindeutig: Beschäftigungsstabilität der Menschen, die da kommen: hoch. Verdienste der Menschen, die da kommen: hoch. Sozialleistungsbezug: praktisch nicht vorhanden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht Ihnen nicht um Steuerung, es geht Ihnen einfach darum, dass Sie hier Ihre Ressentiments gegen Bosnier oder andere Menschen vom westlichen Balkan ausleben können; und das sollten wir auch ganz klar sagen.
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Der Kollege Biadacz hat ja zu Recht darauf hingewiesen: Nahezu wortgleich, mit schlechtem Copy-and-paste, haben Sie uns vor wenigen Wochen einen nahezu identischen Antrag vorgelegt. Da ging es darum, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Großen Koalition abzulehnen. Also ich erinnere mich gut an die Diskussionen und die Anhörungen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Koalition. Alle Migrationsexperten – da müsst ihr jetzt durch, liebe Kolleginnen und Kollegen – haben gesagt: Ja, das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber der große Wurf ist das noch nicht. Die Kanadier machen es uns vor; die haben nämlich nicht nur eine gesteuerte Migration, sondern die haben vor allem mehr Fachkräfteeinwanderung.
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Wenn man sogar ein solch kümmerliches Fachkräfteeinwanderungsgesetz ablehnen und abschaffen will,
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dann muss man sich ehrlich machen: Es geht Ihnen nicht um Steuerung, es geht Ihnen darum, dass Sie Ihre völkischen Ressentiments ganz generell ausleben wollen. Sie wollen einfach gar keine Migration mehr nach Deutschland; und das wäre fatal, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
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Warum wäre das fatal?
Erstens: weil es unsere Geschichte negiert. Von den Anfängen Preußens – bei den Hugenotten – über die sogenannten Gastarbeiter zur Einwanderung aus der EU in den letzten Jahren: Immer schon haben Einwanderer unsere Gesellschaft bereichert, unser Wirtschaftswunder mitgeschrieben, und sie bezahlen übrigens mit ihren Steuern auch Ihre Diäten, damit Sie hier Hass und Hetze im Plenum verbreiten können.
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Zweitens. Mit Blick auf den demografischen Wandel brauchen wir in den nächsten Jahren ganz dringend mehr Fachkräfteeinwanderung. Wo sollen denn die IT-Fachkräfte und andere herkommen, die dann zusätzliche Arbeitsplätze in unserem Land schaffen? Das geht nur über qualifizierte Einwanderung und mehr Einwanderung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
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Drittens brauchen wir Einwanderung auch für Innovationen. Mit neuen Köpfen kommen auch neue Ideen, und das kann man dieser Tage in der Krise sehen. Ginge es nach der AfD, die schwarz auf weiß einfach gar keine Einwanderung nach Deutschland haben will, und hätten Sie in der Vergangenheit in diesem Land irgendetwas zu sagen gehabt, dann gäbe es auch die BioNTech-Gründer, die Kinder türkischer Einwanderer sind, nicht.
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Dass Innovatoren wie Özlem Türeci und Ugur Sahin in diesem Land uns helfen können, die Coronakrise zu bewältigen – mit das Beste bereitstellen, was wir aktuell in der Krisenbewältigung haben –, verdanken wir qualifizierter Einwanderung.
Ginge es nach Ihnen, gäbe es all das in Deutschland nicht. Danke, dass Sie uns das hier heute so ehrlich vorlegen. Für unser Land wäre es eine fatale Politik. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Daniela Kolbe von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da der Antrag der AfD erst gestern Abend vorgelegt worden ist, hatte ich meine Rede schon vorher komplett vorbereitet und geschrieben.
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Was soll ich Ihnen sagen? Ich musste nichts ändern; denn Sie haben die Erwartungen komplett erfüllt
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und hier einen vollkommen fehlgeleiteten, inhaltlich sehr dünnen und vor allen Dingen kontraproduktiven Antrag vorgelegt.
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Der Antrag ist obsolet, da bei der aktuellen Westbalkanregelung ohnehin die inländischen Fachkräfte und Arbeitskräfte bevorzugt werden. Es gibt nämlich – und das sagen Sie in Ihrem Antrag ja sogar selber – eine Vorrangprüfung. Oder um es mit Ihren Worten zu sagen: Hier nimmt kein einziger Ausländer einem Deutschen einen Arbeitsplatz weg.
Wieso ist die Westbalkanregelung so wichtig? Erinnern Sie sich noch an die Zeit vor der Westbalkanregelung? Damals sind viele Menschen aus den Westbalkanstaaten hierhergekommen, haben hier Asyl beantragt und haben unser Asylsystem ziemlich doll unter Druck gesetzt, das ohnehin schon unter starkem Druck stand. Ich habe damals mit vielen dieser Menschen in den Unterkünften gesprochen. Die meisten haben mir erzählt, dass sie gerne arbeiten wollen. Sie durften es aber natürlich nicht, und wurden dann auch wieder abgeschoben.
Mit der Westbalkanregelung, die auf Initiative von Andrea Nahles zustande gekommen ist – worauf ich sehr stolz bin –, kommen nun Menschen mit einem Arbeitsvertrag. Sie leisten nachweisbar gute Arbeit und werden sehr geschätzt von ihren Arbeitgebern. Sie werden gut bezahlt und sind fast gar nicht in unseren Sozialsystemen zu finden. Oder um das mal in Ihrer Denkweise auszudrücken: Sie wollen also die Westbalkanregelung aussetzen und damit riskieren, dass wieder mehr Menschen ins Asylsystem kommen. – Wollen Sie das wirklich?
Besonders die Baubranche profitiert von den speziellen Fähigkeiten der Arbeiter und Arbeiterinnen vom Westbalkan. Ohne die Westbalkanregelung hätte die Baubranche ein riesiges Problem. Ich zitiere mal Felix Pakleppa vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes:
Wer den Bau-Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer aus dem Westbalkan verschließt, riskiert einen Stillstand auf Deutschlands Baustellen.
Einen Stillstand auf Deutschlands Baustellen: Wollen Sie das?
Apropos Baubranche: Ich erinnere mich, dass Sie hier vor einem Jahr auch die Abschaffung der Sozialkassen in der Bauwirtschaft gefordert haben, womit Sie den deutschen Arbeitnehmern mal so eben en passant Betriebs- und Zusatzrenten, Urlaubsansprüche und ganz viel Unterstützung bei der Ausbildung in der Baubranche weggenommen hätten. Tun Sie mir also bitte zwei Gefallen:
Erste Bitte: Hören Sie auf, die Beschäftigten zu veralbern!
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Sie machen für die Beschäftigten, egal woher sie kommen, rein überhaupt gar nichts.
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Zweite Bitte: Hören Sie auf, uns hier mit solchen sinnlosen, absurden Anträgen die Zeit zu stehlen!
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Wir haben gerade wirklich richtig viel zu tun und real existierende Probleme zu lösen.
Vielen Dank fürs Zuhören.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke hat von Anfang an die Einwanderung von Menschen aus dem Westbalkan immer begrüßt, und von daher begrüßen wir auch die Verlängerung der Westbalkanregelung um weitere drei Jahre.
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Der AfD-Antrag heute – es ist im Grunde genommen schon einiges gesagt worden – ist ein Zeugnis von Realitätsverweigerung und nationalistischer Wagenburgmentalität. Es ist wirklich einfach nur gruselig, wenn man Ihre Debattenbeiträge hier anhören muss.
Tatsächlich ist die Nachfrage nach Arbeitskräften aus dem Westbalkan wie das Interesse der Arbeitsuchenden unverändert hoch. Ich denke aber, wir sollten auch über die Probleme sprechen, die es im Laufe der Zeit gegeben hat.
Ein großes Problem sind zum Beispiel die langen Wartezeiten bei den deutschen Visastellen.
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Allein auf einen Termin, um überhaupt ein Visum beantragen zu können, mussten die Betroffenen im Durchschnitt des Jahres 2019 mindestens ein Jahr warten, manche sogar drei Jahre. Das ist weder für die Unternehmen noch für die Betroffenen brauchbar, die schließlich planen müssen. Deshalb schlagen wir zum Beispiel vor, die Botschaften zu entlasten, etwa in Form einer visumsfreien Einreise, wenn die Bundesagentur für Arbeit der Aufnahme einer Beschäftigung zugestimmt hat. Der Aufenthaltstitel könnte dann hier vor Ort bei der Ausländerbehörde beantragt werden.
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Eine Kritik haben wir auch daran – das ist unserer Meinung nach ein absolutes Unding –, dass die Verfahren nach der Verlängerung der Regelung jetzt einfach wieder auf null geschaltet werden. Das heißt, diejenigen, die einen Antrag auf ein Visum gestellt haben, stellen sich wieder von Neuem an. Das ist meiner Meinung nach wirklich ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen,
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die schon so lange darauf gewartet haben, hier einreisen zu können.
Zuletzt möchte ich noch mal auf einen Punkt eingehen, den die Kollegin Kolbe eben auch schon mal angesprochen hat. Der Kontext, in dem die Westbalkanregelung damals erlassen wurde, war folgender: 2015 wurde hier von der Mehrheit beschlossen, den Zustrom von Asylsuchenden aus dem Westbalkan zu verhindern. Zu diesem Zweck hat man vor allem massive Asylverschärfungen vorgenommen bzw. die Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. De facto ist damit Menschen aus diesen Ländern der Zugang zum Asylsystem versperrt worden. Vor allen Dingen diskriminierten Minderheiten wie Roma und Sinti ist dieser Weg versperrt worden. Das ist eine Kritik, die wir nach wie vor haben.
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Denn wir haben bei entsprechenden Anträgen, beispielsweise von Roma, eine Ablehnungsquote von fast 100 Prozent.
Hier muss man ganz deutlich sagen: In fast allen Westbalkanländern gibt es scharfe Diskriminierungen, die zum Teil tatsächlich asylrelevant sind und auch so behandelt werden müssten. Deswegen sagen wir ganz klar: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss den Schutzbedarf mehrheitlich anerkennen. Es darf nicht sein, dass hier Arbeitsmöglichkeit gegen Schutzrecht ausgespielt wird.
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Das sind wir auch unserer historischen Verantwortung schuldig.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD, den wir heute bereden, ist eine Mischung aus fehlendem ökonomischen Sachverstand und Ausländerfeindlichkeit. Das ist ziemlich deutlich. Und das ist leider nicht neu, und das ist scharf zu kritisieren.
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Ich glaube, die Ausländerfeindlichkeit – das kann man zumindest nach der Rede des Kollegen Springer sagen – hat da die Oberhand. Das, was da so an Pseudoargumenten dazukommt, dient eher dazu, Ängste zu schüren. Dabei ist das ökonomisch überhaupt nicht begründet: Die Westbalkanregelung ist sehr erfolgreich.
Es gibt eine sehr ausführliche Evaluation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung; darauf haben die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen schon hingewiesen. Diese könnten Sie mal durcharbeiten. Aber das ist Ihnen wahrscheinlich zu viel. Das ist vielleicht auch ein Zuviel an Fakten. Daran wird nämlich deutlich, dass diese Regelung gut wirkt, weil eben gerade nicht auf die Qualifikation geachtet wird. Wir brauchen nämlich mehr Arbeitskräfte: qualifizierte Arbeitskräfte, aber eben auch weniger qualifizierte Arbeitskräfte. Obwohl nicht geprüft wird, ist es so, dass trotzdem die qualifizierten Arbeitskräfte zu uns kommen. Es ist ein Ergebnis der Evaluation, dass ein großer Teil, die Mehrheit davon, gut qualifizierte Leute sind, die wir hier brauchen. Wir brauchen sie auch deswegen, weil sie in Branchen arbeiten, in denen Arbeitskräfte gebraucht werden. Über 40 Prozent der Beschäftigten aus dem Westbalkan, die über diese Regelung zu uns kommen, arbeiten in der Bauwirtschaft.
Wir stehen im Moment ökonomisch ja ganz gut da, weil viele Bereiche unserer Wirtschaft noch laufen. Wir haben gar nicht diesen berühmten Lockdown, den Sie immer beschreien. Einige Bereiche sind dicht; viele laufen aber. Wenn man mit offenen Augen durch die Gegend geht, sieht man, dass insbesondere die Bauwirtschaft sehr gut läuft. Das liegt unter anderem an der Westbalkanregelung. Das liegt unter anderem daran, dass die Menschen aus diesen Ländern hier sind und bei uns arbeiten. Auch deswegen ist diese Westbalkanregelung gut.
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Wir haben natürlich von Anfang an auch Kritik gehabt. Wir haben kritisiert, dass die Visumregelungen zu lange dauern. Wir haben die Vorrangprüfung kritisiert, weil diese sehr bürokratisch ist und aus unserer Sicht eigentlich unnötig. Wir kritisieren jetzt an der Verlängerung, dass sie zu stark beschränkt ist: Es ist nur eine Verlängerung um drei Jahre. Da hätten wir gerne mehr gehabt. Wir hätten gerne die Regelung, dass man nach zwei Jahren sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nicht wieder eine Beurteilung der Bundesagentur bräuchte. Und vor allen Dingen hätten wir keinen Deckel bei 25 000 Personen haben wollen. Dieser Deckel müsste eigentlich weg.
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Aber trotz allem: Das ist eine gute Regelung, sogar eine vorbildliche Regelung, die wir mit der Westbalkanregelung haben. Deswegen werden wir den Antrag der AfD voll und gut begründet ablehnen. Er kommt dann noch in den Ausschuss. Aber ich glaube, auch da werden Sie nicht viel dazulernen. Es ist sehr deutlich, auf welchem Pfad Sie unterwegs sind: ausländerfeindlich, und von Ökonomie haben Sie keine Ahnung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Max Straubinger von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute einen Antrag der AfD, der erstens nutzlos ist, und zweitens ist er auch scheinheilig.
Nutzlos ist er deshalb, weil den Kollegen der AfD dann, wenn sie ins Gesetz bzw. in die Beschäftigungsverordnung geschaut hätten, vielleicht die Augen aufgegangen wären. Denn wenn Sie nachgedacht hätten, hätten Sie die Überschrift Ihres Antrags nicht so gewählt. Die Überschrift bei Ihnen lautet ja: „Inländische Arbeitskräfte zuerst – Verlängerung der Westbalkanregelung zurücknehmen.“ Jetzt steht aber haargenau in der Beschäftigungsverordnung drin: inländische Arbeitnehmer zuerst.
Die Vorrangprüfung hier lautet nämlich: zuerst die Beschäftigung von inländischen, hier gemeldeten Arbeitslosen, um ihnen die Chance und die Möglichkeit zu geben, auf dem entsprechenden Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ja, nicht nur inländische, hier gemeldete Arbeitsuchende haben Vorrang, sondern auch die aus dem europäischen Ausland, die hier bei uns Arbeit suchen. Auch diese werden bevorzugt, auch die schweizerischen Staatsangehörigen werden bevorzugt, bevor hier überhaupt Menschen aus dem Westbalkan eine entsprechende Beschäftigungserlaubnis erteilt wird. Also, Sie hätten sich bei der Formulierung eine andere Überschrift aussuchen müssen, Herr Springer. Aber es wäre besser gewesen, Sie hätten die Beschäftigungsverordnung auch gelesen.
Der Kollege Biadacz hat die Vorrangprüfung bereits dargestellt. Bei der Vorrangprüfung gilt erstens: Ist bei uns schon jemand da, der diese Arbeitsstelle einnehmen kann? Das Zweite ist, dass jemand vom Westbalkan hier bei uns bereits einen Arbeitsplatz vorweisen muss. Damit muss vor allen Dingen auch die entsprechende Bezahlung einhergehen, dass also ein Facharbeiter aus dem Westbalkan die entsprechende Facharbeiterentlohnung erhält und nicht der Niedriglohnsektor damit gefüttert wird, wie Sie es hier so versuchen darzustellen.
Wenn heute ein über 45-jähriger Balkanese,
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sage ich mal – Serbe, Kosovo-Albaner, also Menschen aus all diesen Ländern, die mit dazugehören –, hier wegen einer Arbeit nachfragt, dann muss er hier in Deutschland einen Arbeitslohn von brutto 3 905 Euro bekommen. Ansonsten wird die Genehmigung versagt. Den Popanz, den Sie aufbauen, als ob hier nur Drückerei betrieben würde, kann ich in keinster Weise nachvollziehen. Sie sollten sich besser informieren, bevor Sie uns hier in diesem Parlament mit solchen Anträgen langweilen.
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Es geht auch darum, dass es keine Vermittlung in Leiharbeit gibt. Sie haben auch vergessen, das darzustellen. Sie sollten sich an der Realität bewegen. Es geht dabei darum, dass letztendlich der Arbeitskräftebedarf, der zweifelsohne hier immer noch gegeben ist, gedeckt werden kann.
In Bayern und in Baden-Württemberg, also im südlichen Deutschland, werden die meisten Anträge gestellt – wohlgemerkt von Arbeitgebern. Firmen fragen nach entsprechenden Fachkräften aus den Balkanländern: nicht nur aus dem Baubereich, der jetzt immer genannt worden ist, sondern ganz an der Spitze steht die Gastronomie. Ich kenne verzweifelte Gastronomieinhaber und ‑betreiber, die Köche, Küchenhilfen suchen und dergleichen mehr, deren Nachfrage leider Gottes aber nicht aus dem inländischen Arbeitsmarkt zu bedienen ist. Deshalb besteht diese Nachfrage. Aber vor allen Dingen ist es auch so, dass die Nachfrage gar nicht so bedient werden kann, weil es eine Begrenzung auf 25 000 Genehmigungen gibt; auch das sollten Sie wissen.
Zum Schluss: Der Antrag ist scheinheilig, und zwar deswegen, weil es, Herr Springer, nicht angeht, am Sonntag einen Antrag, der mit großem Ressentiment gegenüber Ausländern behaftet ist, zu stellen, um zu suggerieren, es müssten inländische Arbeitskräfte zuerst vermittelt werden – was ja die Realität ist –, und dann am Montag zu jubilieren und zu sagen: Wir haben einen kräftigen Beitrag dazu geleistet, dass die Nachfrage nach Saisonarbeitskräften aus dem Ausland bedient werden konnte. Da haben Sie sich hier auf die Fahne geschrieben, dass Sie angeblich verantwortlich wären, dass die Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft wieder Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben. Also, Sie müssen sich schon entscheiden: Wollen Sie ausländische Arbeitskräfte hier haben, oder wollen Sie sie nicht haben? Es geht nicht, sie am Sonntag sozusagen auszuladen und am Montag dann wieder willkommen zu heißen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Den Antrag lehnen wir wirklich mit großer Inbrunst und mit großer Vehemenz ab.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – „Balkanese“ oder „Balkaner“ sind korrekte Ausdrücke. Ich wollte das nur wegen der Fragezeichen, die so auf den Stirnen standen, sagen.
Das Wort geht als Nächstes an Bernd Rützel von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Unser Land ist doch darauf angewiesen, dass Menschen aus dem Ausland zu uns kommen und hier eine Tätigkeit verrichten, für die es hierzulande nicht genügend Arbeitskräfte gibt. Das ist Fakt. Und der wirtschaftliche Erfolg, den wir die letzten Jahrzehnte hatten, ist auch deshalb da, weil diese Menschen zu uns gekommen sind und hier gearbeitet haben, Geld verdient haben, Steuern gezahlt haben, Sozialversicherungsbeiträge gezahlt haben. Über diese Mithilfe können wir froh und dafür können wir auch dankbar sein.
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Heute haben wir acht Redner zu dieser Westbalkanregelung gehört, und von diesen acht Redenden haben sieben die gleiche Meinung vertreten. Es sind Fakten, die uns leiten, und diese Fakten kann man nicht ausblenden.
Sie von der AfD suggerieren, dass diese Menschen aus dem Kosovo, aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien zu uns kommen und uns Deutschen die Arbeit wegnehmen. Das stimmt aber nicht. Es ist mehrfach von vielen Vorrednern erklärt worden – Marc Biadacz hat es wunderschön dargelegt –, dass die Bundesagentur in jedem Fall prüft: Gibt es einen Deutschen, gibt es einen EU-Bürger, die diese Arbeit machen können? Erst dann, wenn das nicht der Fall ist, gibt es auch eine Zustimmung. Zudem braucht man ein verbindliches Arbeitsplatzangebot; das muss fest sein. Man braucht ein Visum, um herzukommen. Man braucht die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.
Das Problem ist, dass wir hier in der Politik über verschiedene Wege streiten können, aber das doch Fakten sind, und diese Fakten kann man doch nicht wegdiskutieren, und man kann sie auch nicht unter den Tisch fallen lassen.
Es handelt sich im Jahr um 25 000 Menschen; darauf ist das begrenzt. Und die Hälfte aller Menschen, die zu uns kommen, arbeiten auf dem Bau. Wie wollten wir sonst unsere Brücken oder Straßen oder Eisenbahnen bauen? Aber wir können diese Menschen auch in den Pflegeheimen, in den Krankenhäusern, in den Hotels, in den Gastronomiebetrieben, in den Fleischfabriken oder im Paketdienst finden, weil wir auch da nicht genügend eigene Mitarbeitende haben, die das machen können. Und daran ändert auch die jetzige Coronapandemie nichts; denn die Bereiche, die ich aufgezählt habe, brummen und boomen auch in Zukunft. Deswegen brauchen wir diese Menschen jetzt auch umso mehr.
Abschließend will ich ein Wort zu dieser Debatte sagen: Wir können froh sein, dass diese Menschen zu uns, in unser Land kommen, um hier zu arbeiten und aufzubauen und zu unserem Wohlstand beizutragen. Ich bin auch dankbar, nicht nur froh darüber, dass sie das machen. Denn wenn wir das mal andersherum betrachten: Es ist auch nicht so einfach, wenn die Kinder ihren Vater, ihre Mutter nur zwei-, dreimal im Jahr sehen, wenn sie zurückkommen, weil sie woanders arbeiten.
Aber Ihre Argumente, die Sie aufgeführt haben, sind alle scheinheilig. Im Endeffekt ist es gut, dass es diese Westbalkanregelung gibt. Und dass wir sie verlängert haben, ist auch gut.
Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Corona raubt den Kranken den Atem, aber Corona raubt auch dieser ganzen Republik die Luft zum Atmen: in weiten Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft. Und auch nach Monaten der Coronapandemiebekämpfung ist es uns noch nicht gelungen, die Logik des Lockdowns zu durchbrechen. Noch immer diktiert praktisch das Virus der Politik, der Exekutive das Handeln.
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, und zwar gerade jetzt, wenn die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin um die richtigen weiteren Schritte ringen, dass wir endlich das diskutieren und beschließen, was erforderlich ist, nämlich eine Abkehr von der reinen Konzentration auf Inzidenzwerte hin zu einem Stufenplan, der ein intelligenteres Konzept darstellt und der dann bei zurückgehendem Infektionsgeschehen ein regionales Öffnen nach einheitlichen Standards ermöglicht, die in ganz Deutschland gelten.
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Das ist notwendig, damit aus dem Lockdown kein Knock-down der ganzen Wirtschaft wird. Viele Mittelständler, Friseure, Handwerksbetriebe, Gaststätten und Einzelhändler haben sich von Monat zu Monat durchgekämpft. Sie stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand, und sie erwarten von uns anderes als nur ein Hinausschieben, Verlängern und Verschärfen des Lockdowns.
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Meine Damen und Herren, das ist kein Verharmlosen der Gefahr. Wir sehen durchaus die Gefahr der Mutationen. Aber wer hier jetzt mit Vermutungen und mit Angst vor Mutationen arbeitet, der muss sich dann – wie die Bundesregierung auch – fragen lassen, warum eigentlich in Deutschland monatelang nicht entsprechend genomsequenziert wurde. Über ein Jahr haben die Experten das eingefordert, aber es wurde, so die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von mir, noch im Dezember nur jede 1 600ste Coronatestprobe überhaupt sequenziert. Dann über Mutationen zu sprechen, ist ein Skandal. Das ist ein Versagen, ein Versäumnis der Bundesregierung, dass Sie sich hier vorhalten lassen müssen.
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Wir haben den Antrag gestellt und diese Debatte hier beantragt. Dass die Grünen auch einen Antrag eingebracht haben, der in die gleiche Richtung geht, werten wir als eine Unterstützung, als eine Bestätigung unseres Vorschlages.
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Wir haben uns getraut – und das erfordert Mut –, die Stufen auch konkret auszudefinieren. Darüber kann man streiten; da gibt es bestimmt auch Diskussionen, ob die Zuordnung genau richtig ist. Aber wir haben den Mut, diese sieben Stufen konkret zu definieren. Wir legen damit vor.
Und ja, wir glauben, dass wir weg müssen von der reinen Inzidenz. 50 bzw. 35 ist ja ein politischer Wert, der im Infektionsschutzgesetz festgelegt wurde. Wir schlagen stattdessen einen dynamischen Faktor vor, der auch den Impffortschritt berücksichtigt, der die Bedrohung von Risikogruppen und deren Schutz durch FFP2-Masken berücksichtigt, der innovative Technologien berücksichtigt wie zum Beispiel HEPA-Filteranlagen, die virenhemmend sind, und der natürlich auch die Auslastung der Intensivbettkapazitäten mit in das Kalkül einbezieht. Das ist intelligenter als die reine Konzentration auf den Inzidenzwert.
Inzidenzwerte, meine Damen und Herren, sollen ja dazu beitragen, dass Gesundheitsämter die Infektionsketten überhaupt nachvollziehen können. Wir glauben, mit einer besseren Organisation, mit einem besseren Management und vor allen Dingen mit der Digitalisierung der Gesundheitsämter könnte auch eine größere Zahl von Infektionen nachvollzogen werden. Das würde dafür sorgen, dass wir auch Bereiche der Wirtschaft und vor allen Dingen Kindergärten und Schulen endlich wieder öffnen könnten. Das fordern wir ein.
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Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Vor diesem Hintergrund muss die Bundesregierung endlich auch erklären, warum die Digitalisierung nicht vorankommt. Dass jetzt das Helmholtz-Zentrum eine Ausschreibung aufheben musste, die dafür sorgen sollte, dass SORMAS endlich eingesetzt wird, ist ein Skandal. Ich glaube, Sie müssen die Digitalisierung der Gesundheitsämter endlich zu einer Erfolgsgeschichte machen. Das fordern wir von Ihnen mit Nachdruck an der Stelle ein, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank, Michael Theurer. – Jetzt waren Sie am Schluss, nicht wahr?
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– War auch Zeit. – Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir machen weiter. Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Rudolf Henke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin heute absolut wohlwollend gestimmt, total konsensbildend gestimmt und finde das gut.
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Ich habe in der vorletzten Woche, in der letzten Sitzungswoche, hier, glaube ich, schon mal darauf hingewiesen, dass das Thema Stufenplanbildung eine große Bedeutung hat. Damals habe ich auch Applaus dafür bekommen, dass ich auf diesen Perspektivplanvorschlag von Schleswig-Holstein hingewiesen habe. Ich finde es sehr gut, dass es jetzt einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gibt und dass es einen Antrag von der FDP gibt.
Trotzdem, Herr Theurer, zu einer Stelle ein kleiner Hinweis. Wir haben viele, viele Mutationen des Virus, nicht nur die drei, über die jetzt im Zusammenhang mit zusätzlichen Risiken viel diskutiert wird. Ich erinnere an die Sequenzierung im letzten Jahr: Ja, es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wir hätten mehr sequenziert. Aber auch wenn wir mehr sequenziert hätten, hätten wir die besondere Charakteristik dieser Mutation nicht rausbekommen. Denn die haben wir nicht dadurch rausbekommen, dass wir uns die Spikes angesehen haben oder dass wir uns die Genfolge angesehen haben, Herr Theurer, sondern deshalb, weil es einen speziellen Verlauf gab. Den hat man nur in Südengland epidemiologisch beobachten können. Insofern stünden wir, wenn wir das ganze letzte Jahr alle Mutationen sequenziert hätten – die hätte man nicht gezielt sequenzieren können, sondern man hätte sie kreuz und quer sequenzieren müssen –, auch nicht besser da. Den Teil finde ich eine relativ billige Wahlkampfansage. Aber es muss ja auch sein; die Opposition muss ja auch Opposition sein.
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– Nein, ich mache es mir nicht zu leicht.
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Aber im Kern ist es richtig, was bei uns auch schon mal die Leopoldina vor dem Winter-Lockdown vorgetragen hat:
Von zentraler Bedeutung ist eine langfristige politische Einigung auf ein klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln, die ab einer bestimmten Anzahl von Fällen … greifen. Dieser Katalog sollte verlässlich Maßnahmen vorsehen, die konsequent um- und mit Sanktionen durchgesetzt werden. Durch ein solches einheitliches, nachvollziehbares und langfristig orientiertes Vorgehen werden die Maßnahmen für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen transparent, verständlich und planbar.
Darin sehe ich große Übereinstimmung mit allen jetzt vorliegenden Anträgen und auch mit dem, was heute in der Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten diskutiert wird, wo es auch noch weitere Vorschläge aus Niedersachsen gibt, wo es weitere Vorschläge gibt, die alle versuchen, dieses Thema Stufenplan wahr zu machen.
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Man muss leider auch sagen: Ja, wir wünschen uns alle diesen einheitlichen, gemeinsamen, für alle verbindlichen Stufenplan. Bloß, schreiben und Vorschläge zu Papier bringen und hoffen, dass die anderen sich dran halten, das möchte jeder gerne. Da möchte jeder gerne selbst seinen Stempel aufdrücken. Darin wird jetzt unsere Aufgabe liegen, ihn so zu beschreiben, dass er auch passt.
Ich finde, da muss man vor allem eins monieren. Es wird so getan, als hätten wir unterhalb der Schwelle von 50 gar keine Stufen nötig.
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Ich erinnere noch mal daran: Wir sind im letzten Sommer bei unter 10 gestartet. Deswegen, glaube ich, liegen die Interventionspunkte, an denen sich Differenzen ergeben müssen, bei 10, bei 20, bei 35, bei 50 und bei 100. Das wäre mein Vorschlag für fünf Stufen.
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Aber ich gebe zu: All die Maßnahmen, die im § 28 Infektionsschutzgesetz genannt sind, kann man in eine für alle kalkulierbare Regelreihenfolge bringen. Lassen Sie uns das ohne viel Aufregung, an der Sache orientiert gemeinsam diskutieren. Dann kommen wir vielleicht an der Stelle auch alle zusammen einen Schritt weiter. Das wünsche ich mir.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Rudolf Henke. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Detlev Spangenberg.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat aus der „Welt“ vom 9. Februar: „… Freiheit, die ihre Ungefährlichkeit beweisen muss, ist abgeschafft.“ So erschien das am 9. Februar. Ich ergänze das: Nicht das Virus oder die Krankheit Covid-19 haben verheerende Wirkung auf unsere Freiheitsrechte, die Wirtschaft, die Gesundheit und die Bildung, auf die Gesellschaft im Ganzen,
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sondern die unverhältnismäßigen politischen Maßnahmen, die man deswegen ergriffen hat.
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Stufenpläne, meine Damen und Herren, sind das eine; vernünftiges Handeln ist noch besser.
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Die Risikogruppen schützen, Verantwortung übernehmen und übertragen, Hygienemaßnahmen einhalten und vorschlagen und vor allen Dingen keine Panik. „Keine Panik“: Da rede ich darüber, was hier im Raum steht, nämlich ein Skandal, was die Coronareaktionen bei der ersten Welle angeht. Es sollen sogar Vorschläge für eine Schockwirkung angedacht worden sein, um die Leute darauf einzustimmen, was noch alles auf sie zukommen könnte: gestapelte Särge usw. Also, wenn das stimmt, muss ich sagen: Heftig, heftig.
Meine Damen und Herren, wenn auf Impfungen gesetzt wird, müssen diese auch möglich sein. Hier könnte man eigentlich fragen, ob die Briten ganz froh sind, dass sie aus der EU ausgetreten sind. Die brauchten sich ja nicht mehr einzubringen, meine Damen und Herren.
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Die Impfstoffknappheit ist ein Verschulden der Regierung, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt Probleme mit AstraZeneca wegen Zweifeln an der Wirksamkeit gegen Virusvarianten. Die Schweiz und Südafrika haben bereits reagiert. In der EU gibt es – das sagt auch die Ständige Impfkommission – nur eine begrenzte Empfehlung für Menschen unter 65 Jahren.
Studien empfehlen die Öffnung mit Hygienemaßnahmen. Der Virologe Professor Stöhr macht mal einen kleinen Vergleich. Bei 43 Millionen Beschäftigten und rund 12 Millionen Kindern und Jugendlichen, die kaum als gefährdet gelten, sieht er keine Verhältnismäßigkeit der Schulschließungen. Diese sind gefährlicher als Ausgangssperren, und sie haben auch keinen Bezug zu der Gefährdung im Altersheim, meine Damen und Herren. Die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 gerade für den Winter sieht er ebenfalls problematisch. Eine Überlastung der Krankenhäuser hat es nicht gegeben.
Die Bundeselternvertretung sagt: Das Recht der Kinder auf Bildung ist ausgesetzt, die Eltern sind alleingelassen, es gibt psychologische Probleme, fehlende soziale Kontakte und Verhaltensstörungen. Es gibt hilflose Eltern bei den Schularbeiten. Auch hier gibt es psychische Belastungen, von Bildungslücken ganz zu schweigen, mit traumatischen Folgen für ein Industrieland wie Deutschland. Aber vielleicht passt das auch in die Ideologie einiger politischer Richtungen hier in diesem Hohen Haus, meine Damen und Herren.
Professor Schrappe, Uni Köln, meint: Der Schutz der Gefährdeten war immer unzureichend. – Er äußert Kritik auch an der Behauptung der 95-prozentigen Wirksamkeit der Impfungen. Wirksame Maßnahmen wären spezielle Regelungen für Einrichtungen mit gefährdeten Personengruppen sowie ein umfangreiches Sonderangebot für Gefährdete im ÖPNV, bei der Benutzung von Taxis, in Einkaufszeiten usw., aber auch Hygienekonzepte. Die haben Sie ja für die Gastronomie schon mal mit Auflagen eingeführt, und dann haben Sie trotzdem die Betriebe nicht arbeiten lassen.
Ich hatte am 27. Januar die Generaldirektorin der EU für Gesundheit, Frau Sandra Gallina, gefragt, was sie von Medikamentenforschung und Prophylaxe in diesem Zusammenhang hält. Sie hat bestätigt, dass sie das für ungeheuer wichtig hält. Aber unsere Anfrage vom 3. Februar 2021 stellt erst mal fest, dass keine ausreichende Forschung – so sehen wir das – an Medikamenten für eine zulassungsüberschreitende Anwendung betrieben wird, zum Beispiel an Ivermectin, einem Antiparasitikum. Das sehen wir also als nicht ausreichend an.
Schlusssatz, meine Damen und Herren. Das Bekenntnis der Kanzlerin zur Wissenschaft ist für uns eine Farce. Wird Linientreue für Wissenschaftler und Mediziner zur Maßgabe, um einer Ausgrenzung zu entgehen und ihre Laufbahn nicht in Gefahr zu bringen, wird Wissenschaftlichkeit per se infrage gestellt.
Vielen Dank.
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Danke schön.
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Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Heike Baehrens.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sehnen uns nach einer klaren Perspektive, wollen keine Hiobsbotschaften mehr hören und suchen nach einem Weg in die Normalität.
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Und vieles, was wir gerade erleben, macht tatsächlich Hoffnung: Die Infektionszahlen sinken, Impfungen schreiten voran, weitere Impfstoffe sind in der Pipeline, und es gibt immer mehr Testverfahren, die einfacher anzuwenden sind. Und dennoch: Das lange Jahr der Pandemie nagt an den Gemütern. Auch die Not derer, die aktuell nicht ihrer gewohnten Arbeit nachgehen können, wird bedrückender.
Ja, auch wir wollen – wie Sie – den Menschen in der Pandemie Hoffnung, Berechenbarkeit und Perspektive geben. In diesem Ziel sind sich die demokratischen Kräfte in diesem Haus, glaube ich, einig. Aber wie kann es Berechenbarkeit geben im Kampf gegen ein unberechenbares Virus, ein Virus, das Mutanten bildet, die sich allzu schnell verbreiten, mit nicht absehbaren Folgen? Solche Unwägbarkeiten schränken die Planbarkeit ein.
FDP und Grüne fordern einen bundesweiten Stufenplan zur Öffnung. Ein solcher Stufenplan muss abgewogen, differenziert und nachvollziehbar sein – ja. Dafür finden sich in Ihren beiden Anträgen viele gute Vorschläge, aber durchaus auch etliche Widersprüchlichkeiten. Beide Anträge erwecken jeweils den Anschein, mit einem Rundumschlag an Ideen das Problem lösen zu können.
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Dabei wissen Sie es eigentlich aus Erfahrung besser.
Welche Halbwertzeit ein sorgfältig abgewogener Plan zur Öffnung haben kann, konnten wir gerade vor wenigen Wochen in Baden-Württemberg sehen. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann plädierte an einem Abend bei Markus Lanz – er geriet regelrecht ins Kreuzfeuer von Markus Lanz und den anwesenden Experten – voller Überzeugung für eine Öffnung der Grundschulen und Kindertagesstätten.
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Und einen Tag danach, am Mittwochmorgen, als die ersten Mutanten in einer Kindertagesstätte in Freiburg festgestellt wurden, änderte er seine Meinung grundlegend.
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– Genau richtig.
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Das ist die Realität politischer Willensbildung in dieser Pandemie.
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Die FDP empfiehlt uns heute quasi den Stufenplan der schwarz-grün-gelben Koalition in Schleswig-Holstein zur bundesweiten Anwendung. Hier im Bundestag aber bringen FDP und Grüne getrennt voneinander ganz unterschiedliche Anträge ein.
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Das ist die Realität politischer Entscheidungsfindung in der Pandemie. 16 plus 1 Lockerungswege nützen uns nichts.
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Das Virus durchkreuzt bisher alle Langfristpläne und erlaubt keine faulen Kompromisse. Und ein Virus, das keine Kompromisse kennt, ist nur durch konsequentes Handeln im Zaum zu halten. Es ist gut und wichtig, dass wir solche Debatten wie heute über den angemessenen Weg zur Öffnung hier in diesem Haus, aber genauso auch in den Länderparlamenten engagiert und verantwortungsvoll führen; denn wir alle wollen klare Ziele vor Augen haben. Aber alle, die öffentlich Vorschläge machen, sollten sich hüten, Dinge zu versprechen, die nicht gehalten werden können; das hat uns die Impfstoffdebatte gezeigt.
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Denn das beschädigt das Vertrauen in die Wirksamkeit der Maßnahmen und fördert den Eindruck einer Perspektivlosigkeit, die es so gar nicht gibt.
Wir werden die Spannung weiter aushalten müssen – die Spannung zwischen dem Wunsch nach baldiger Öffnung und der Unberechenbarkeit der Virusausbreitung. Einerseits gibt es guten Grund zur Hoffnung und vielleicht auch für die eine oder andere Lockerung. Andererseits gibt es aber auch gute Gründe, uns weiter beharrlich dem Virus und seinen Varianten entgegenzustemmen.
Gerade in dieser fortgeschrittenen Phase der Pandemie kommt es darauf an, sich politisch auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das heißt, mit aller Kraft die Impfstoffproduktion und die Medikamentenentwicklung voranzutreiben, konsequent weiter zu testen und einfachere Testverfahren voranzutreiben, die innovative Kompetenz der Digitalwirtschaft – da bin ich bei der FDP – endlich zu nutzen und in unseren Gesundheitsämtern wirklich zum Einsatz zu bringen,
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unser Gesundheitssystem weiter zu stärken, punktuell zu öffnen, wo es dem Infektionsschutz dient und die Gesundheit nicht gefährdet, aber auch, dass wir uns mit konsequenten Maßnahmen den Mutanten entgegenstemmen.
So, denke ich, werden wir die Etappenziele erreichen, die wir brauchen, um Lockerungen guten Gewissens vornehmen zu können. So können wir alle dazu beitragen, dass aus Hoffnung Zuversicht werden kann.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Heike Baehrens. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Achim Kessler.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eine schwere Missachtung des Deutschen Bundestages, dass die Bundeskanzlerin erst morgen ihre Regierungserklärung abgeben wird, nachdem sie bereits heute mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten weitreichende Entscheidungen trifft.
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Die Linke weist diese Missachtung des Parlaments scharf zurück.
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Alle Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung müssen im Parlament getroffen werden. Sie dürfen nicht an Regierungen oder andere Stellen delegiert werden.
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Außerdem fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auf, dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, der konkret festlegt, bei welchen Werten welche Maßnahmen auf Kreisebene getroffen werden müssen und selbstverständlich auch wieder aufgehoben werden müssen. Wir freuen uns, dass sich FDP und Grüne dieser Forderung inzwischen angeschlossen haben.
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Meine Damen und Herren, wenn Bürgerinnen und Bürger sich durch zu harte Maßnahmen in ihren Rechten eingeschränkt sehen oder aber durch unwirksame Maßnahmen ihr Recht auf Gesundheit gefährdet sehen, dann wenden sie sich – zu Recht – an ihre Abgeordneten; Sie werden das auch kennen. Aber wir können den Bürgerinnen und Bürgern doch nur sagen, dass wir im Bundestag keinen Einfluss auf diese Entscheidungen haben, dass wir genauso wenig gefragt werden und mitentscheiden können wie sie. Sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, ich fordere Sie auf, diesen Zustand zu beenden. Die Entscheidungen müssen in den Bundestag zurückgeholt werden!
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In einigen Unternehmen kam es in den letzten Tagen zu schweren Coronaausbrüchen. Das verdeutlicht die Einseitigkeit der getroffenen Maßnahmen gegen das Coronavirus.
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Auf der einen Seite darf man sich nur mit einer weiteren Person treffen; aber solange man gezwungen ist, morgens in überfüllten Bussen und Bahnen zur Arbeit zu fahren, stimmt mit diesen Regelungen etwas nicht.
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Es ist höchste Zeit, dass der Schutz der Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben endlich durch wirksame Kontrollen sichergestellt wird.
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Ich freue mich, dass nun auch die Grünen die kostenfreie Versorgung bedürftiger Gruppen mit FFP2-Masken und einen monatlichen Krisenaufschlag auf Hartz IV und die Grundsicherung fordern. Aber das reicht doch nicht aus. Hartz IV muss endlich durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1 050 Euro ersetzt werden.
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Das Kurzarbeitergeld muss erhöht werden. Wir brauchen ein Mietschuldenmoratorium, und es darf keine Zwangsräumungen mehr geben.
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Meine Damen und Herren, die langen Schlangen, die man im Moment überall vor den Tafeln sehen kann, müssen ein Ende haben. Almosen müssen endlich wieder durch den rechtlichen, gesetzlichen Anspruch auf soziale Sicherheit ersetzt werden – das gilt auch und gerade in der Pandemie.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Achim Kessler. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Janosch Dahmen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns im zwölften Monat der Pandemie und im vierten Monat des zweiten Shutdowns. Es ist schon bemerkenswert, dass wir zu diesem Zeitpunkt zwei Vorschläge für Stufenpläne im Bundestag diskutieren, die beide von der Opposition vorgelegt werden. Liebe Regierungskoalition, liebe Bundesregierung, für solch ein nachvollziehbares und konkretes Risikostufenschema zu sorgen und nicht nur seit Monaten von Datum zu Datum auf Sicht zu fahren, wäre Ihr Job im Krisenmanagement gewesen.
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Statt in dieser vorgezogenen Sitzungswoche gemeinsam mit dem Parlament über konkrete Schritte der Pandemiebekämpfung zu beraten, wird die Debatte über Maßnahmen und vielleicht auch Perspektiven genau in diesem Moment erneut hinter verschlossenen Türen und nicht zunächst hier im Parlament geführt. Das ist so nicht richtig!
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Zwei Anträge liegen deshalb heute vor – von uns Grünen und der FDP –, die Langzeitperspektiven in Form eines Stufenplans fordern. Greifen Sie unsere Vorschläge auf, die hier zur Beschlussfassung vorliegen und die den Menschen endlich nachvollziehbar, eindeutig und erwartbar zeigen, was jetzt in der Pandemie getan werden muss.
Aber, werte Kolleginnen und Kollegen, Opposition ist nicht gleich Opposition. Ein Stufenplan muss verantwortungsvoll, realistisch und ehrlich sein. Nun sind wir uns mit der FDP zwar bezüglich der Notwendigkeit einer Perspektive für die Menschen einig. Aber, lieber Herr Theurer, Ihr Zeitplan ist hinsichtlich der Grenzwerte schlichtweg verantwortungslos. Trotz Mutationen, trotz 30 000 Toten in den letzten zwölf Wochen, trotz weiterhin vollen Intensivstationen und einer Veränderung des Virus, die die ersten Impfstoffe weniger wirksam werden lässt, schüren Sie hier die Erwartung, dass nun endlich das große Öffnen losgehen soll. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sie führen die Menschen in dieser Situation mit populistischen Öffnungserwartungen gegen die deutlichen Empfehlungen der Wissenschaft völlig in die Irre.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Irland, Großbritannien und Portugal haben es vorgemacht, und ich als Mediziner kann Ihnen genau sagen, was passiert, wenn Sie zum jetzigen Zeitpunkt mit den von Ihnen angelegten Grenzwerten Schutzmaßnahmen zurücknehmen. Sie öffnen dann nicht nur die Türen von Friseuren oder anderen Geschäften, sondern Sie öffnen dann auch das Tor zur dritten Coronawelle, zu einem erneuten unkontrollierten Infektionsgeschehen getragen von den gefährlichen Mutationen. Das kann doch nicht verantwortliches Handeln in dieser Phase sein!
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Unser Antrag sagt auch: Was den Menschen jetzt wirklich helfen würde, wäre, dass wir die wichtigsten Kontakte – gerade im Bildungswesen und gerade im privaten Umfeld der Menschen – wieder möglich machen und die Menschen im Land endlich selbst zu Pandemiebekämpfern werden lassen.
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Dazu braucht es sichere Schnelltests zur Selbstanwendung,
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ausreichende und sozial verträgliche Versorgung mit FFP2-Masken und, ja, auch eine besser funktionierende Kontaktnachverfolgung.
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sich allein angesichts sinkender Infektionszahlen oder eines Wirrwarrs aus Faktoren, die nicht näher beschrieben sind, in Sicherheit wiegt, der tappt in die Falle des Virus. Die Mutationen bedeuten eine neue Pandemie in der Pandemie. Die Situation verlangt von uns allen weiterhin Ausdauer und eine konsequente Umsetzung wirkungsvoller Schutzmaßnahmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Janosch Dahmen. – Nächster Redner: für die CSU/CDU-Fraktion Stephan Pilsinger.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschehnisse der letzten Monate haben uns gezeigt, wie schnell sich die Gegebenheiten in einer Pandemie ändern können. Auf Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse haben Bund und Länder die Pandemiesituation immer wieder neu bewertet und notwendige Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens ergriffen. Wir als Parlament haben durch die Gesetzgebung den Weg für diese Maßnahmen geebnet.
Langsam zeigen die Kontaktbeschränkungen Wirkung. Die Zahl der Neuinfektionen geht nach unten, und auch die 7-Tage-Inzidenz sinkt. Ich bin überzeugt, dass wir vor allem durch die Impfung unserem Ziel näher kommen und die Rückkehr zum gewohnten Alltag greifbar wird. Wir dürfen die Fortschritte der letzten Wochen jetzt nicht gefährden. Die Gesundheit der Menschen muss weiterhin im Mittelpunkt stehen.
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Ich warne an dieser Stelle auch noch mal ausdrücklich davor, die neuen Virusmutationen zu unterschätzen. Wenn man das Verhalten dieser Mutationen in Portugal oder Großbritannien betrachtet, sieht man die rasante Dynamik im Infektionsgeschehen. Gerade diese Dynamik fordert ein bedachtes Handeln, das regelmäßig neu bewertet und angepasst werden muss.
In einem Punkt gebe ich Ihnen aber durchaus recht: Unsere Maßnahmen müssen nachvollziehbar, vorausschauend und angemessen sein. Es ist von enormer Bedeutung, dass wir die Bevölkerung so transparent wie möglich über die Hintergründe unserer Regeln informieren. Aber dabei können wir nicht einen festgezurrten Stufenplan gebrauchen, sondern, meine Damen und Herren, wir müssen erst mal genau eruieren, wie der aktuelle Sachstand der Mutationen ist. Dann können wir auch schauen, wie wir weiter vorgehen.
Denn man muss sich doch die Frage stellen: Gibt uns ein solcher Stufenplan wirklich die erhoffte Planungssicherheit? Bisher waren sämtliche Pläne, die wir gemacht haben, nicht in der Weise umsetzbar, wie wir uns das erhofft haben.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Dr. Diether Dehm?
Nein, danke. – Was passiert denn, wenn die klar getroffenen Regelungen im Stufenplan aufgrund der dynamischen Lage nicht umgesetzt werden können? Ich sage Ihnen: Damit zerstören wir erst recht die Erwartungen der Menschen.
Darf ich Sie noch mal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Müller-Rosentritt, FDP, erlauben?
Ach, heute nicht mehr.
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Jetzt frage ich Sie nicht mehr.
Ich glaube, wir können es heute auch dabei belassen.
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Sicherlich kann man darüber diskutieren, ob die von Bund und Ländern getroffenen Regelungen stets konsequent genug und hinreichend waren. Ihre Kritik am grundsätzlichen Vorgehen weise ich aber entschieden zurück.
Das Infektionsschutzgesetz sieht immer noch die Länder in der Pflicht, entsprechende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu planen und umzusetzen. Die regelmäßigen Treffen zwischen Bundesregierung und Regierungschefs der Länder sind deshalb aus meiner Sicht ein hervorragendes Beispiel für die gut funktionierende Zusammenarbeit in unserem föderalen System.
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Mit den Virusmutationen stehen wir wieder vor ganz neuen Herausforderungen. Die Erfahrungen unserer Nachbarländer haben gezeigt: Innerhalb kürzester Zeit können die neuen, ansteckenderen Mutationen die bisherigen Varianten verdrängen und zu einem dramatischen Anstieg der Fallzahlen führen. Natürlich wäre eine längerfristige, planbare Strategie wünschenswert. Einen Stufenplan halte ich zu diesem Zeitpunkt auch aufgrund der sehr dynamischen Lage und aufgrund der Mutationen für noch nicht sinnvoll. Wir müssen die Zahlen weiter senken, dann können wir konkreter planen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Stephan Pilsinger. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Dehm.
Bei Ihrer Rede war absehbar, dass Sie keine Zwischenfrage zulassen wollen, und mit „heute nicht“ haben Sie das, glaube ich, auf den Punkt gebracht. Wenn „Vorausschau“ für Sie eine ganz entscheidende Kategorie ist, warum haben Sie dann den Sommer völlig handlungsfrei verschlafen? Warum ist im Sommer nichts getan worden, besonders in Seniorenheimen, besonders an Hotspots, an Orten, an denen sich Spreader konzentriert haben? Warum gibt es, um mal den früheren Chef des Max-Planck-Instituts, Professor Wolfgang Streeck, zu zitieren, überhaupt keine soziologische Eingrenzung für die Orte, wo sich das Virus wirklich verbreitet, kein konzentrisches Rangehen an diese Orte und darüber hinaus?
Warum ist nicht von Anfang an für die Forschung an einem Impfstoff – die haben wir mit Steuermillionen gefördert – außerhalb der Patente ein öffentlich-rechtliches Institut, ein öffentlich-rechtliches Unternehmen, wie wir es von Rundfunkanstalten, von Sparkassen kennen – das wäre auch hier möglich gewesen – eingerichtet worden, sodass wir jetzt nicht diese Engpässe hätten, die der Steuerzahler einerseits bezahlt, durch die wir ihn aber andererseits als Patienten hängen lassen?
Und letzte Frage – das ist ja eine Kurzintervention; Sie können darauf antworten oder nicht, Sie haben es eben im Rahmen Ihrer Rede nicht gewollt –: Warum ist es niemals zu einer Evaluierung des russischen Impfstoffs Sputnik V gekommen, der Anfang August vorgelegt wurde, zu dem jetzt aus Großbritannien, von überallher gute Nachrichten kommen? Warum sind keine Informationen eingeholt worden? Ist das eine Bringschuld von der russischen Seite, oder wäre es eine Holschuld des Bundesgesundheitsministers gewesen, –
So, Herr Kollege, jetzt sind die zwei Minuten um.
– sich hierzu Fakten zu besorgen, was nicht erfolgt ist?
Danke schön. – Herr Pilsinger, bitte merken Sie sich Ihre Antwort; denn es gilt: gleiche Rechte für alle. Jetzt hat das Wort zu einer Kurzintervention Herr Müller-Rosentritt.
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– Moment, stopp. Das nennt sich Geschäftsordnung, und das nennt sich Rechte des Abgeordneten.
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Und wenn wir sagen: „Herr Müller-Rosentritt hat jetzt auch das Recht auf eine Kurzintervention“, dann können Sie das bewerten, wie Sie wollen, aber das entspricht der Praxis unseres Hauses. Ich werde Sie nächstes Mal erinnern, wenn Sie wollen. – So, Herr Müller-Rosentritt.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege, man kann ja über die Ausgestaltung der Maßnahmen unterschiedlicher Meinung sein. Aber ich glaube, das Vertrauen in die Maßnahmen wäre viel größer, wenn diejenigen, die für die Pandemie besondere Opfer bringen, schneller an ihr Geld kämen. Sie und ich haben das Glück, zumindest bis zum Ende dieser Legislatur Geld vom Staat zu bekommen, viele andere sind am Rande ihrer Existenz oder bereits schon darüber hinaus. Was sagen Sie denen? Was tun Sie als Regierungsfraktion ganz konkret, um hier endlich voranzukommen? Denn die Lage der Menschen ist wirklich dramatisch.
Das Zweite ist: Wir haben in Schleswig-Holstein in der Jamaikakoalition aus CDU, FDP und Grünen diesen Pandemieplan verabschiedet. Was hindert Sie daran, dem zuzustimmen und einfach mit uns gemeinsam diesen Weg zu gehen, den wir schon einmal gemeinsam gegangen sind?
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Vielen Dank, Herr Müller-Rosentritt. – Herr Pilsinger, Sie haben jetzt länger Zeit als zwei Minuten.
Herr Kollege Dehm, ich weiß ja nicht, wo Sie den Sommer über waren, aber ich weiß, wo ich war. Ich war in der Praxis; ich habe als Hausarzt gearbeitet. Und deswegen weiß ich auch, dass der Sommer nicht tatenlos verstrichen ist;
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vielmehr haben die Heime zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um den Schutz ihrer Bewohner deutlich zu verbessern. Und was Sie ihnen da vorwerfen, ist perfide. Sie unterstellen allen Pflegeheimen, dass sie untätig sind, dass sie nichts können und dass sie das Leben ihrer Bewohner gefährden.
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Sie fragen: Was hat die Bundesregierung dafür getan? Wir haben zahlreiche Mittel zur Verfügung gestellt: 12 000 Euro für die Heime, damit sie Personal einstellen können.
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Ja, da können Sie doch nicht sagen: Es ist nichts passiert. – Hören Sie doch mal zu.
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So, jetzt hat Herr Pilsinger das Wort. – Sie haben gefragt und kommentiert, und jetzt lassen Sie doch Herrn Pilsinger bitte antworten.
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Sie haben ja gesagt: Wir brauchen bessere Schutzmaßnahmen. Wenn Sie die Studien zu den Schnelltests verfolgt haben, dann wissen Sie, dass viele Schnelltests, auch die besten, nur eine Sensitivität von knapp 50 Prozent haben; das muss ich Ihnen leider sagen. Herr Kollege Dehm, ich frage Sie: Sind diese Schnelltests, die Sie so anpreisen, wirklich so sinnvoll, um alte Leute zu retten? Das täuscht doch eine falsche Sicherheit vor; man kann gewisse Gruppen nicht perfekt schützen. Deswegen brauchen wir allgemeine Einschränkungen, um die Inzidenzzahlen zu senken.
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Und wenn Sie mal Ihre Kollegen fragen würden, dann würden Sie sich nicht zu solchen Zwischenfragen erdreisten, die einfach total am Thema vorbeigehen.
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Zu Herrn Müller-Rosentritt.
Herr Müller-Rosentritt, ich weiß, viele Menschen in Deutschland sind von diesen Maßnahmen enorm betroffen. Ich glaube auch: Wir brauchen geeignete Möglichkeiten, um bald wieder aus diesem Shutdown herauszukommen. Deswegen hat die Bundesregierung auch mit den Überbrückungshilfen die Möglichkeit geschaffen, diese besonders betroffenen Gruppen zu unterstützen. Ich gebe zu: Das ist nicht alles optimal gelaufen. Aber – der Kollege Altmaier hat es gesagt – die Hilfen werden jetzt beschleunigt ausgezahlt.
Ich bezweifle aber ganz deutlich, dass es Sinn macht, jetzt vorschnell zu lockern. Ich glaube, keinem Unternehmer ist geholfen, wenn wir jetzt vorschnell lockern, die Zahlen dann nach oben gehen und wir wieder schnell in den Shutdown gehen müssen. Ich glaube, dass wir maßvoll lockern müssen, nicht vorschnell. Und ich glaube, dass Inzidenzen von 50 noch viel zu hoch sind. Ich glaube, wir brauchen Zahlen von unter 10, wie Professorin Brinkmann gesagt hat. Dann können wir wieder Stück für Stück zur Normalität zurückkehren. Deswegen glaube ich, dass Stufenpläne, wie sie hier vorgeschlagen worden sind, teilweise sehr mutig sind.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Pilsinger. – Dann kommen wir zum letzten Redner in dieser Debatte und des heutigen Sitzungstages: Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war der Meinung, dieser Tagesordnungspunkt ist aufgerufen worden, um den Menschen Zuversicht zu vermitteln. Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen kommen wir überhaupt nicht weiter; das hatten wir in den letzten Monaten jeden Tag.
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Ich denke, ist es wichtig, dass hier eine gemeinsame Botschaft vermittelt wird. Bei den ersten Reden hatte ich das Gefühl, dass diese gemeinsame Botschaft lauten könnte: Wir kommen gemeinsam aus dieser Pandemie heraus. – Das wollen die Menschen draußen von uns hören. Wer will den Menschen nicht eine hoffnungsvolle Perspektive geben? Deshalb bin ich froh, dass die FDP und die Grünen diese Anträge eingebracht haben, dass wir hier diskutieren können.
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Die Inzidenzwerte sinken. Angesichts dieser erfreulichen Tendenz diskutiert man in den Ländern über Stufenpläne. Ich denke, nebenan im Kanzleramt wird ebenfalls über Stufenpläne diskutiert; wir werden sie morgen vorgestellt bekommen.
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Dann werden wir das tun, was unserer Rolle entspricht: die Regierung kontrollieren. Ich habe es in meiner letzten Rede gesagt: Eine Pandemie ist die Zeit der Regierung. Das Parlament muss das Handeln beobachten, diskutieren, kontrollieren.
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Das machen wir fast jeden Tag im Gesundheitsausschuss, in dem uns der Minister seit dem Sommer jede Woche Rechenschaft ablegt.
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In diesen Sitzungen diskutieren wir eine, zwei, manchmal drei Stunden mit dem Minister über den richtigen Weg.
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Wir möchten, dass wir bald wieder zum Normalzustand zurückkehren. Ich weiß nicht, ob feste Ziele der richtige Weg sind; deshalb finde ich den dynamischen Ansatz der FDP gar nicht falsch. Wir brauchen aufgrund der verschiedenen Kriterien, die zu bewerten sind, Flexibilität statt eines starren Konzeptes.
Um aus der Pandemie herauszukommen, ist der Fortschritt beim Impfen ganz entscheidend. Hier sehe ich sehr, sehr viel Optimismus, auch nach den ersten Wochen, in denen es Engpässe gab. Alle vorhandenen und im Zulauf befindlichen Impfstoffe sind gut; alle schützen zuverlässig vor einem schweren Verlauf. Wir werden es wahrscheinlich in der nächsten Woche schaffen, dass alle Menschen in Pflegeeinrichtungen geimpft sind. Im März wird sich die Situation umkehren: Es wird mehr Impfstoff vorhanden sein, als für die jeweiligen Gruppen benötigt wird. Es werden mehr Menschen geimpft werden können. Wir werden am Ende des zweiten Quartals den Herdenschutz erreichen können. Und wenn nach Ostern die Hausärzte in den Impfprozess einsteigen, dann, glaube ich, haben wir das Ende der Pandemie im Blick
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und gewinnen unser normales Leben zurück.
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Ich denke, wir sollten den Tag heute mit sehr, sehr viel Zuversicht beenden, dass diese Pandemie bald ein Ende hat.
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Vielen Dank, Erwin Rüddel. – Damit schließe ich die Aussprache.