Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Jahr nach Beginn der Pandemie präsentiert sich die deutsche Wirtschaft in einer robusten, ja für manche überraschend robusten Verfassung und mit Mut zur Zukunft. Die Rezession im letzten Jahr war stark, die zweitstärkste in der Nachkriegsgeschichte. Aber sie war weniger stark, als von fast allen befürchtet.
Der Aufschwung hat im Sommer früher eingesetzt als erhofft. Trotz des Rückschlags bei der Pandemiebekämpfung geht dieser Aufschwung weiter. Und er wird auch in diesem Jahr mit einem Wachstum von 3 Prozent weitergehen. Im nächsten Jahr wird die deutsche Wirtschaft nach allem, was wir wissen, ihre alte Vorpandemiestärke wieder erreicht haben.
Dennoch: 50 000 Tote seit Beginn der Pandemie, Hunderttausende Erkrankte, Menschen, die ihr Liebstes verloren haben. Und: Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich Sorgen machen um den Fortbestand ihrer Lebensleistung, ihres Unternehmens, und Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich Sorgen machen, ob ihre Arbeitsplätze auch in Zukunft sicher sind, sie alle arbeiten gemeinsam – ohne Ideologie, ohne gegenseitige Schuldzuweisungen, ohne den Versuch, andere in schlechtes Licht zu rücken – daran, dass wir die größte Herausforderung, die größte Bewährungsprobe seit Wiederaufbau und Wiedervereinigung bestehen.
Nicht nur staatliche Hilfen, nicht nur die Umstände und die Erfolge in der Pandemiebekämpfung, sondern eben auch der Einsatz der Einzelnen ist ganz entscheidend. Viele waren bereit, für die Überwindung dieser Krise auch ihre Ersparnisse einzusetzen, ihre Rücklagen, und in manchen Fällen sogar die mühsam aufgebaute Altersversorgung anzutasten.
Deshalb können wir heute sagen: Ein Jahr nach der Pandemie ist die Substanz der deutschen Wirtschaft intakt. Ein Jahr nach der Pandemie hat es weniger Unternehmenszusammenbrüche gegeben als im Jahr davor. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie hat Deutschland immer noch mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse als zu praktisch jedem anderen Zeitpunkt in seiner Geschichte. Dafür möchte ich im Namen der Bundesregierung, auch ganz persönlich als Wirtschaftsminister, all denen, die daran mitgewirkt haben, ein großes Dankeschön aussprechen. Ich darf Ihnen versichern: Wir werden alles tun, damit Sie, sobald es vertretbar ist, Ihre normale Tätigkeit wieder aufnehmen können.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Ehrlichkeit gehört auch – ich sage dies ohne jede Schuldzuweisung –, dass wir deshalb so lange mit den Schließungen beschäftigt sind – dabei geht es um die betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer, die doch alles getan haben, um Hygienekonzepte zu erarbeiten, sie umzusetzen, ihre Unternehmen so zu verändern, dass sie Menschen bedienen und Umsätze machen können, ohne aus ihrer Sicht Infektionsrisiken zu vergrößern – und wir deshalb so lange schon, den dritten Monat, im Lockdown sind, weil es in vielen Fällen auch nicht möglich war, gemeinsam mit den Verantwortlichen in Bund und Ländern die notwendigen Maßnahmen zu einem frühen Zeitpunkt zu ergreifen.
Ich habe als Wirtschaftsminister immer gesagt: Die Pandemie ist zum einen eine gesundheitliche Herausforderung und Bedrohung. Zum anderen ist sie die größte Bedrohung für das Funktionieren der Wirtschaft überhaupt. Und deshalb ist die Frage der Pandemiebekämpfung keine Frage, die gegen die wirtschaftlichen Interessen gestellt werden kann. Es ist eine gemeinsame Aufgabe. Je schneller wir die Zahl der Infektionen auf ein vertretbares Maß zurückbringen, je mehr es uns gelingt, die Ausbreitung der Virusmutationen zu verhindern, je schneller es möglich ist, die Zahl der Toten zu reduzieren, desto eher kann die Wirtschaft ihr volles Potenzial wieder entfalten.
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Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir helfen. Ich bin, so wie die meisten meiner Vorgänger in diesem Amt, ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft, der sozialen Marktwirtschaft. Ich bin kein Freund staatlicher Interventionen durch Transferleistungen, wo immer es geht. Aber wenn ein Unternehmen, das im Jahre 2019 Umsätze und Gewinne gemacht hat, in den Jahren 2020 und 2021 aufgrund der Pandemie vor einem Umsatzrückgang von 70, 80, 90 Prozent steht, dann war dieser Unternehmer kein schlechter Unternehmer, dann war sein Unternehmen nicht erfolglos, sondern es war das Virus, das die Gesetze der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt hat. Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir helfen und dass wir dafür sorgen, dass diese Unternehmen auch in Zukunft eine Überlebenschance in Deutschland haben.
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Wir haben, meine Damen und Herren, seit Beginn der Pandemie Wirtschaftshilfen von knapp 80 Milliarden Euro bewilligt und ausgezahlt: die Soforthilfen in der Größenordnung von 13 Milliarden Euro im April und Mai letzten Jahres, Milliarden an Krediten über die KfW, Schnellkredite bis zu 800 000 Euro gerade für die Mittelständler, Exportkreditgarantien in Milliardenhöhe, Steuerstundungen, Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie Überbrückungshilfen seit Juni letzten Jahres bis zum Juni dieses Jahres, um denen zu helfen, die ihre Fixkosten eben nicht reduzieren können und trotzdem ihre Unternehmen erhalten wollen.
Ja, als der zweite Lockdown im November notwendig wurde, haben wir den Unternehmen, die wir schließen mussten, mit der Novemberhilfe und der Dezemberhilfe eine Umsatzerstattung im Vergleich zum Umsatz des letzten Jahres angeboten. Das hat es bisher in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben. Ich bedanke mich beim Deutschen Bundestag ganz herzlich für die bewilligten Mittel.
Ja, meine Damen und Herren, ich kann verstehen, wenn Gastronomen, Hoteliers, Inhaber von Geschäften oder von Unternehmen mit körpernaher Dienstleistung, wenn Kulturschaffende darauf warten, dass diese Hilfen endlich ausgezahlt werden. Wir haben von der November- und Dezemberhilfe, die in einem Umfang von über 7 Milliarden Euro beantragt worden sind, rund die Hälfte ausgezahlt. Das ist ein Trost für all diejenigen, die ihre Abschlagszahlungen und auch ihre endgültigen Bescheide bekommen haben. Aber es ist überhaupt gar kein Trost für denjenigen, der seit November immer noch darauf wartet, dass dies geschieht.
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Deshalb verstehe ich die Unzufriedenheit der Betroffenen. Aber ich habe wenig Verständnis dafür, wenn dann versucht wird, mit den Problemen, die damit verbunden sind und verbunden sein müssen, Wahlkampfzwecke zu verfolgen und politisches Kapital daraus zu schlagen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin gestern mehrfach gefragt worden, wieso ich nicht garantieren konnte, dass die Novemberhilfe bereits vor Ende November vollständig ausgezahlt ist. Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass wir auf Wunsch der Betroffenen die Antragsfristen für die Novemberhilfe bis zum 30. April verlängert haben; denn viele Steuerberater und viele Selbstständige und Mittelständler haben uns darum gebeten, weil sie ihre Antragsunterlagen nicht am ersten Tag der Antragsfrist einreichen konnten.
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Wir haben mit dem Prinzip der Abschlagszahlung und dadurch, dass wir für die Länder und gemeinsam mit den Ländern eine digitale Plattform eingerichtet haben, ermöglicht, dass eine Rekordzahl von Hilfen in einer kurzen Zeit ausgezahlt worden ist. Wir sind allerdings auch dem Steuerzahler verpflichtet. Es werden Hilfen gezahlt, etwa im Rahmen der Überbrückungshilfe, von 1,5 Millionen Euro im Monat an ein einzelnes Unternehmen. Bei der Umsatzerstattung sind die Beträge, um die es geht, noch viel höher. Deshalb sind wir auch in der Verpflichtung, den Umgang mit diesen Hilfen so zu organisieren, dass wir einer Überprüfung durch den Bundesrechnungshof standhalten und dass Missbräuche nach Möglichkeit verhindert werden.
Ich kann allen Betroffenen, die auf diese Hilfen warten, von dieser Stelle aus versichern, dass wir alles tun, damit sie so schnell wie möglich und so wirksam wie möglich bei den Menschen ankommen. Ich bedanke mich beim Deutschen Bundestag für die Bereitschaft, die Insolvenzantragsfrist für diejenigen Unternehmen weiter auszusetzen, die einen Hilfsantrag gestellt haben. Das ist eine klare Botschaft: Niemand, der acht oder vierzehn Tage länger auf seine Hilfszahlung warten muss, muss deshalb Insolvenz anmelden.
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Wir werden dies gesetzlich in dieser Woche so regeln, dass klar ist, dass die Unternehmen geschützt sind. Das ist das Mindeste, was wir für sie tun können.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, 80 Milliarden Euro an Hilfen für die Unternehmen, zusätzlich 23 Milliarden Euro Kurzarbeitergeld, zusätzlich ein Konjunkturpaket von 130 Milliarden Euro. Und das, was wir in den nächsten sechs Monaten an November- und Dezemberhilfe, an Überbrückungshilfe III bezahlen werden, wird sich noch einmal auf bis zu 50 Milliarden Euro summieren. Dieses Geld konnten wir auch deshalb in die Hand nehmen, weil die Finanzminister der letzten 15 Jahre – sie gehörten unterschiedlichen Parteien an –, weil die Mitglieder des Deutschen Bundestages in den letzten 15 Jahren dafür gesorgt haben, dass unsere staatlichen Finanzen solide und in Ordnung waren, und weil die Beteiligten in der Wirtschaft, die Unternehmer und die Arbeitnehmer, gemeinsam dafür gesorgt haben, dass unsere Volkswirtschaft in einer guten Verfassung ist. Deshalb können wir ihnen etwas von dem zurückgeben, was sie uns in der Vergangenheit gegeben haben.
Ja, und ich sage das à titre personnel, ganz persönlich, als Wirtschaftsminister: Ich hätte mir gewünscht, dass wir beim Verlustrücktrag vielleicht noch ein bisschen mutiger gewesen wären. Aber manche Fragen werden auch mehrfach diskutiert. Wenn wir nicht alles erreichen, bei der Bürokratieentlastung und in anderen Fragen, was wir uns vorgenommen haben, dann ist das kein Grund, die Dinge schlechtzureden, sondern ein Ansporn, uns dafür einzusetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, wenn wir die unmittelbaren Pandemiefolgen überwunden haben, dann müssen wir uns darauf konzentrieren, dass unsere Wirtschaft auch in der Zukunft sicher und stark sein kann, dass wir in einem internationalen Umfeld, das rauer geworden ist, mit mehr Wettbewerb und mit mehr Wettbewerbern, mit einem enormen technischen disruptiven Innovationspotenzial, das wir jeden Tag im Bereich der Digitalisierung, im Bereich der Biotechnologien und in vielen anderen Bereichen sehen, weiterhin mithalten können wie in den letzten Jahren.
Wir brauchen Entlastung bei der Bürokratie. Ich halte ganz persönlich Steuererhöhungen in der Krise oder unmittelbar nach der Krise für keine gute Idee. Ich glaube, dass wir das, was wir investieren können, so ansetzen und anwenden müssen, dass es dazu beiträgt, dass Innovation möglich wird. Deshalb investieren wir – ich bedanke mich beim Bundesfinanzminister für die Unterstützung – in digitale Abschreibung und in digitale Innovationen von mittelständischen Unternehmen; die Programme sind vielfach überzeichnet. Wir haben einen Zukunftsfonds von 10 Milliarden Euro aufgelegt. Ich bedanke mich bei der Fraktion ganz herzlich für die Unterstützung.
Wir haben mit dem Projekt Gaia-X die Voraussetzungen für eine souveräne europäische Dateninfrastruktur geschaffen. Die Elektromobilität und alternative Antriebe – Wasserstoff, synthetisches Benzin und viele andere – kommen richtig in Schwung. Deshalb werden wir nicht nur in die Ladesäuleninfrastruktur investieren, sondern wir werden auch dafür sorgen, dass die Menschen in Deutschland auch einen Anteil an der neuen Wertschöpfung der Elektromobilität haben.
Vorgestern hat die Europäische Kommission ein neues Projekt im gemeinsamen europäischen Interesse unter deutscher Führung gebilligt und akzeptiert. Es geht darum, Zehntausende von Arbeitsplätzen in Europa zu schaffen, viele davon in Deutschland – mit der Produktion der modernsten, nachhaltigsten und leistungsfähigsten Elektrobatterien, die es weltweit gibt.
Wir sind das Land der Ingenieure. Wir sind das Land, wo Elektroakkumulatoren vor über 120 Jahren erfunden und eingeführt worden sind. Und wir möchten beim Bau der modernsten, der nachhaltigsten, der besten, der umwelt- und klimafreundlichsten Autos vorne mit dabei sein. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland auch in Zukunft das Land der Mobilität und der Automobilität bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden einige Herausforderungen zu bestehen haben im Hinblick auf freien Welthandel, im Hinblick auf den Kampf gegen Subventionen und Protektionismus. Wir werden dafür sorgen müssen, dass die deutsche Volkswirtschaft genügend Fachkräfte zur Verfügung hat. Aber all dies ist möglich, wenn wir uns inspirieren lassen von der Leistung derjenigen, die sich der Coronapandemie entgegengestemmt haben, die dafür gesorgt haben, dass die Lieferketten nicht zusammengebrochen sind und dass die Unternehmen eine Chance für die Zukunft haben.
Wenn wir gemeinsam Pläne entwickeln, wie wir Klimaschutz und Wirtschaftswachstum zu einer mächtigen Synergie machen können, wenn wir gemeinsam imstande sind, dafür zu sorgen, dass die deutsche Volkswirtschaft eben nicht nur in den Bereichen, wo sie immer schon stark war, sondern auch in den Bereichen, die die Zukunft bestimmen werden, Fuß fasst und ganz vorne mit dabei ist, dann ist mir für die weitere Entwicklung unserer Wirtschaftskraft nicht bange.
Wir können uns vieles erlauben, solange wir über eine funktionierende soziale Marktwirtschaft und eine erfolgreiche florierende Volkswirtschaft verfügen. Wir können uns vieles leisten im Umweltschutz, in der Bildungspolitik, in der Gesundheitspolitik, in der Infrastruktur, solange wir die notwendigen Einnahmen erwirtschaften. Und das geht nur mit einer guten Wirtschaft. Diese Erkenntnis hat sich in der Pandemie herumgesprochen. Und sie gehört zu den wenigen positiven Nebenerscheinungen einer der größten Herausforderungen unseres Landes. Aber es ist eine gute Ausgangsbasis dafür, dass wir auch im nächsten Jahr positiv über den Stand der deutschen Wirtschaft und über ihre Zukunftsaussichten werden sprechen können.
Vielen herzlichen Dank.
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Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Leif-Erik Holm, AfD.
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Sehr geehrte Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie sprechen von einer Wirtschaft in robustem Zustand. Das ist ja wohl wirklich ein Witz. Ich schätze, Tausende haben da draußen jetzt mit dem Kopf geschüttelt, die um ihre Jobs, um ihre Unternehmen bangen. Das ist weiß Gott nicht robust.
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Robust ist offensichtlich allein der Wille der Bundeskanzlerin, diesen Lockdown ewig weiterzutreiben. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben wohl gesagt, wir müssen noch strenger werden. Das macht den Menschen da draußen Angst, die um ihre Jobs fürchten. Und wir sagen dazu: Nein, wir halten das wirtschaftlich auf Dauer nicht durch. Deutschland braucht endlich eine neue Strategie.
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Wir müssen unsere Senioren, insbesondere die in den Heimen, endlich konsequent schützen, aber unsere Unternehmen müssen wieder arbeiten dürfen!
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Wer soll denn bitte schön den Staat finanzieren, wenn keiner mehr etwas erwirtschaftet? Ich erlebe es in meinem Wahlkreis an der Ostsee. Viele Touristiker fragen: Wann können wir denn endlich wieder Urlauber empfangen? Die Einzelhändler fragen: Wann können wir endlich unsere Läden aufmachen? – Es macht mürbe auf die Dauer. Die Wirtschaft braucht endlich eine verlässliche und schnelle Öffnungsperspektive.
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Herr Altmaier, Sie haben gesagt: Wir werden alles tun, damit kein Arbeitsplatz verloren geht und kein gesundes Unternehmen wegen Corona schließen muss. Das war natürlich ein hehres Ziel, aber Sie sind krachend gescheitert. Die Zahlen sind deutlich: Im letzten Jahr haben wir im Schnitt eine halbe Million mehr Arbeitslose gehabt. Das Ifo-Institut schätzt, dass sich bis zu 750 000 Unternehmen in existenzieller Not befinden.
Es knirscht also immer lauter im Gebälk, und das können wir nicht auf Dauer mit immer neuen Überbrückungshilfen übertünchen. Dagegen hilft schon gar nicht, einfach nach Vogel-Strauß-Methode die Insolvenzantragspflicht immer weiter auszusetzen. Ich kann es ja verstehen, dass Sie sich über die nächste Wahl retten wollen, aber Sie schaden damit unserer Volkswirtschaft. Sie schaden damit unseren noch einigermaßen gesunden Unternehmen.
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Es war diese Bundesregierung, Herr Altmaier, die es nicht geschafft hat, gerade den kleinen Unternehmen mit den November- und Dezemberhilfen wirklich schnell unter die Arme zu greifen. Das liegt im Wesentlichen wohl nicht in Ihrem Ressort, das kann man sagen, aber es ist Ihre Bundesregierung, die das getan hat. Am Anfang der Pandemie kann man sich Softwareprobleme noch vorstellen, aber wenn da nach einem Dreivierteljahr immer noch nichts klappt, dann grenzt das an Totalversagen.
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Und wo sind die begleitenden strukturellen Verbesserungen, die Sie hätten treffen können, die jetzt wirklich sinnvoll wären? Wir haben das gefordert. Warum lassen wir die gesenkte Mehrwertsteuer nicht da, wo sie im letzten halben Jahr war? Das war ja ein richtiger Schritt. Warum konnten wir das nicht weiterlaufen lassen? Warum haben wir die Stromsteuer nicht längst aufs Minimum gesenkt? Warum haben wir die steuerlichen Verlustrückträge nicht deutlich ausgeweitet? Das alles hätte kommen müssen, und Ihre Bundesregierung hat es nicht geschafft.
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Stattdessen streiten Sie über Steuererhöhungen. Aber so groß scheint der Streit gar nicht zu sein: Zum 1. Januar dieses Jahres haben Sie die Spritsteuern erhöht und die Mehrwertsteuer wieder angehoben. Also, da scheint der Streit wirklich nicht groß zu sein.
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Allein der Gedanke an Steuererhöhungen in dieser Zeit ist ein Affront gegenüber den ohnehin schon gebeutelten Bürgern.
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Meine Damen und Herren, der ewige Lockdown ruiniert unser Land. Soloselbstständige, Einzelhändler, Gastronomen, Hoteliers – sie alle wollen endlich wieder ranklotzen dürfen. Wir müssen jetzt dazu kommen, dass dieser Lockdown endlich ein Ende hat! Schützen wir unsere Senioren in den Heimen, aber lassen wir die Wirtschaft und unsere Menschen im Land endlich wieder arbeiten.
Danke schön.
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Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht findet in einem ganz anderen Umfeld statt als in den Jahren zuvor. Die Coronapandemie, der Klimawandel, der zunehmende Wettbewerb durch Globalisierung, aber auch die demografische Entwicklung machen besondere Politik und besondere Konzepte notwendig. Diese Themen sind herausfordernd, und deshalb werden wir alles daransetzen, Lösungen zu finden.
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Es ist deshalb heute eine Beratung nicht nur zum Jahreswirtschaftsbericht, sondern auch über den Zustand, über die Perspektiven und Erwartungen an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Die heutige Generation verfügt über Können, über Möglichkeiten und Chancen wie keine Generation zuvor. Wissen, Technologie, Innovation, Bildung und Forschung eröffnen uns enorme Perspektiven für eine verantwortungsvolle Politik.
Wir besitzen die politische Kraft und die wirtschaftliche Stärke, gemeinsam in Europa und in internationaler Zusammenarbeit dafür zu sorgen, dass ein Leben in Würde gelingt, dass Arbeit zufrieden und nicht krank macht, dass klimaneutrales Wirtschaften möglich und eine solidarische Gesellschaft realisierbar sind. Die SPD hat wie keine andere Partei in über 150 Jahren ihrer Geschichte und mit ihren Erfahrungen die Organisation von Veränderungen sehr erfolgreich bewältigt.
Die Notwendigkeit für den tiefgreifenden Wandel ist für uns keine neue Erkenntnis. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben wir den Menschen Sicherheit im Wandel versprochen. Aber die Zeiten ändern sich. Und heute wissen wir genau, dass ohne einen Wandel in der Politik und in Wirtschaft und Gesellschaft und in der Art, wie wir unseren Konsum organisieren, die Zukunft nicht gestaltbar ist. Wir wissen heute genau, dass es nur eine sichere Perspektive für Arbeitsplätze und für Wirtschaft gibt, wenn sie mit dem Klima verträglich organisiert wird, und daran müssen wir arbeiten, meine Damen und Herren.
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Deshalb sagen wir nicht „Sicherheit im Wandel“, sondern „Sicherheit durch Wandel“, und das wird die Aufgabe der 2020er-Jahre sein. Kern der sozialen und ökologischen Modernisierung der Wirtschaft sind der Erhalt und der Ausbau von sozialer Gerechtigkeit, auch von Mitbestimmung, von Tarifbindung, von Teilhabe, von guter Arbeit, Schutz des Klimas und der Umwelt und natürlich auch Stärkung eines innovationsfreundlichen Umfeldes und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Der diesjährige Jahreswirtschaftsbericht ist ein Beweis für den wirklich agilen Zustand unserer Wirtschaft. Die Situation kann auch mit den Reden der AfD nicht schlechtgemacht werden. Ich weiß, dass Sie ein Interesse an schlechten Zuständen haben. Wir hingegen haben ein Interesse an guten Zuständen, und deshalb ist unsere Politik eine andere als die von Ihnen vorgetragene.
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Wichtig waren natürlich auch die Hilfsprogramme, die zur Unterstützung der Wirtschaft auf den Weg gebracht worden sind. Es war Olaf Scholz, der mit seiner Erfahrung und seiner Kompetenz die richtigen Instrumente für die Wirtschaft entwickelt hat. Es war Hubertus Heil als Arbeitsminister, der mit dem Kurzarbeitergeld genau das richtige Instrument auf den Weg gebracht hat, um den Arbeitsmarkt zu stabilisieren und die Menschen im Job zu halten. Das war das Ziel, und darum haben wir das gemacht.
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Spätestens jetzt wird doch allen klar, dass das zwei Seiten einer Medaille sind: auf der einen Seite ein starker, handlungsfähiger Staat und auf der anderen Seite die Wirtschaft. Genau diese Kooperation, dieses gegenseitige Vertrauen ineinander hat dafür gesorgt, dass wir mit der Wirtschaft heute so dastehen.
Wir finden die richtigen Ansätze im Jahreswirtschaftsbericht. Ich freue mich, dass auch die globalen Nachhaltigkeitsziele darin erwähnt worden sind. Genau aus diesem Grund bin ich Mitglied im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: weil wir die Verknüpfungen in der Politik organisieren. Jetzt sind weitere Investitionen in Infrastruktur, in Bildung, in klimaneutrale Antriebe und Kraftstoffe, aber auch in den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und den Hochlauf der Wasserwirtschaft zu organisieren. Das wird die Industrie in Deutschland halten, genau das wird unseren Wirtschaftsstandort stabilisieren. Für uns als SPD ist klar – –
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich sehe schon, die Uhr läuft irgendwie schneller heute. Vielen Dank. Sorry.
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Ich komme zum Schluss.
Also: Für uns als SPD ist klar, dass wir an den Coronaprogrammen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Familie und die Wirtschaft so lange festhalten werden, wie es notwendig ist. Sie können sich darauf verlassen, dass für die Menschen in diesem Land die SPD der Partner ist, der sie aus der Krise herausführt.
Herzlichen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Lindner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Dienstag ist ein Streitgespräch zwischen Minister Altmaier und mir im „Handelsblatt“ erschienen, und in dieser Begegnung hat Herr Altmaier einmal mehr sein wirtschaftspolitisches Wirken und die Wirksamkeit der Hilfen der Bundesregierung gelobt. Die Leserinnen und Leser mussten nur ein paar Seiten weiterblättern, und da lasen sie den dringenden Appell des Unternehmers Thomas Althoff, der sich um sein Lebenswerk betrogen fühlt, weil Hilfen nicht fließen.
Gestern stellt Peter Altmaier den Jahreswirtschaftsbericht vor, und zeitgleich meldet sich Herr Jerger, der Geschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, zu Wort und spricht davon, diese Bundesregierung befinde sich in einem konjunkturpolitischen Winterschlaf. Heute stellt sich Peter Altmaier hierhin und spricht von einem robusten Wachstum, und heute lesen wir in den Zeitungen vom baden-württembergischen Unternehmer Roland Mack, bei dem gar nichts an Hilfen angekommen ist und der gar keine Möglichkeiten hat, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Herr Kollege Altmaier, die Wahrnehmung, die Sie haben, und die Realität im Land klaffen immer weiter auseinander. Diese Schere sollten Sie schließen.
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Nun sprechen Sie hier tatsächlich von einer robusten Wachstumsperspektive, gar von einem Aufschwung. Herr Altmaier, das mag technisch natürlich stimmen, weil wir bestimmte Branchen haben, die enorme Marktanteile gewinnen – ich denke an den Onlinehandel –, aber die Kehrseite werden wir möglicherweise in einigen Monaten in unseren Innenstädten beobachten können. Wir haben viele Unternehmen, die sich fragen, ob sie überhaupt noch eine Fortsetzungsperspektive haben; denn die von Ihnen gerade gerühmte Aufhebung der Insolvenzantragspflicht, das Kurzarbeitergeld, das Hoffen auf Hilfen hält diese Unternehmen noch in einer Schwebelage. Aber die verdeckten Risiken in der Deutschlandbilanz werden von Tag zu Tag größer. Deshalb ist jetzt entschlossenes Handeln erforderlich.
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Dazu haben wir Ihnen in den vergangenen Monaten wiederholt Vorschläge gemacht:
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unser Kollege Christian Dürr, glaube ich, schon im April des vergangenen Jahres mit der dringenden Mahnung, den steuerlichen Verlustrücktrag möglich zu machen, das heißt, die Verluste des Jahres 2020 oder 2021 mit der Steuerschuld der Vorjahre zu verrechnen. Herr Altmaier, Sie haben diese Idee heute für sich mit reklamiert und verweisen dann auf die SPD. Man muss also doch öffentlich fragen: Was hält die Sozialdemokratie ab, dieses Instrument einzusetzen? Es bedeutet eine schnelle Liquiditätshilfe für die gesamte Wirtschaft, ohne dass dem Staat irgendeine Einnahme entgeht; denn ansonsten würden die Verluste in die Zukunft getragen.
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Der einzige Unterschied ist: Es würde in Zukunft noch Betriebe geben und nicht viel mehr Pleiten.
Mein Kollege Michael Theurer hat bei so vielen Gelegenheiten über Ihre Überbrückungshilfen gesprochen. Die Überbrückungshilfe III, die dem Handel im Dezember helfen sollte, kann man heute, im Januar, noch nicht beantragen, Herr Altmaier. Trotzdem erwähnen Sie sie hier. Also müssen wir doch hier über andere Instrumente nachdenken. Kollege Theurer hat gestern noch vorgeschlagen, mindestens auch rückwirkend zu ermöglichen, sich nicht an Umsatz und Fixkosten usw. zu orientieren, sondern – ganz einfach – das Betriebsergebnis der Vorjahre zur Grundlage zu machen und dann Hilfe unbürokratisch und schnell auszuzahlen.
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Mein Kollege Johannes Vogel hat so oft über Soloselbstständige gesprochen, die diese Bundesregierung auf die Hartz IV-Behörde verweist, statt einen Unternehmerlohn auszuzahlen, der im Übrigen nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Sicherung, sondern auch des Respekts wäre.
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All das finden wir bei Ihnen gegenwärtig nicht. Heute Morgen lese ich in den Tickern, dass Minister Jens Spahn jetzt offen ist für einen Impfgipfel. Wir haben hier im Haus schon länger vorgeschlagen, mit allen Beteiligten an einen Tisch zu kommen und zu schauen, was noch zu retten ist; gestern auch Herr Woidke, der SPD-Ministerpräsident von Brandenburg, heute die Umkehr bei Herrn Spahn. Offensichtlich sind viele Erwartungen, die geäußert worden sind, nicht so eingetroffen. Es hieß zum Beispiel wochenlang: Nein, kein anderes pharmazeutisches Unternehmen kann BioNTech-Impfstoffe produzieren. – Genau das macht nun Sanofi. Es macht also Sinn, mit der Branche, übrigens auch mit dem niedergelassenen Bereich, mit den Landkreisen zusammenzukommen und zu schauen, wie schneller geimpft werden kann.
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Gut, dass es diese Wende bei Herrn Spahn gibt. Herr Altmaier, Herr Scholz, wir würden Sie aber nicht auf Urheberrechtsschutz verklagen, wenn Sie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auch andere Ideen von uns aufnehmen würden.
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Vor allen Dingen – das ist ja klar – brauchen wir eine Perspektive auf Öffnung. Schleswig-Holstein hat nun einen Vorschlag für einen Perspektivplan gemacht, der nach einer klaren Wenn-dann-Regel die Öffnung von Kitas und Schulen, dann auch von Handel und Gastronomie ermöglicht. Ich verhehle nicht: Ich glaube, dass man mit innovativen Maßnahmen wie Luftreinigern und dem Einsatz der Bundeswehr und von Freiwilligen noch ambitionierter vorgehen könnte als die Koalition in Kiel. Aber – auch an Sie, Frau Bundeskanzlerin, gerichtet –: Wenn sich eine Koalition von CDU/CSU, Grünen und FDP mit allen Kompromissen auf einen Perspektivplan verständigt, dann ist das richtungsweisend für die ganze Republik und sollte es auch für Ihr Handeln im Bund sein.
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Und nun schauen wir nach vorne: Wie kommen wir aus der Situation heraus? Es gibt Vorschläge aus der Union, die Schuldenbremse zu modifizieren, also: höhere Schulden mit der Union. Aus der SPD gibt es den Vorschlag, die Steuern zu erhöhen und auf ein Konjunkturprogramm zu setzen.
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Die Grünen haben sich mit ihrem Grundsatzprogramm auf beides verständigt, also: höhere Schulden und höhere Steuern. Warum versuchen wir es nicht einfach mit einer wachstums- und wirtschaftsfreundlichen Politik –
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ohne höhere Schulden auf Dauer, ohne höhere Steuern? Das tut not. Der Kollege Brinkhaus hat vor einer Woche völlig zu Recht gesagt: Im Grunde müsste noch in diesem Sommer gehandelt werden. – Die Europäische Union unterstreicht das, weil sich Deutschland selbst für die Partizipation am EU-Aufbaufonds noch nicht qualifiziert hat wegen der Defizite bei der Digitalisierung im Bereich Bildung und – höre und staune! – wegen der zu hohen Steuer- und Abgabenlast. Also sollten wir hier ansetzen, und das rasch.
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Stattdessen gibt es – damit komme ich zum Schluss – ein buntes Füllhorn – auch heute wieder – von unterschiedlichen Investitionen und Maßnahmen, Programmen und Progrämmchen hier und dort. Diese Programme haben einen Mangel: Oft genug fließt das Geld nicht ab. Aus dem Konjunkturprogramm, das im vergangenen Jahr mit 10 Milliarden Euro ausgestattet worden ist, sind bis dato erst 800 Millionen Euro abgeflossen.
Man kann auch nicht immer sicher sein, dass man auf das richtige Pferd setzt. Wir werden ja sehen, was der Zukunftsantrieb sein wird. Ist es vielleicht der batterieelektrische Antrieb – manches spricht dafür –, oder ist es mindestens teilweise nicht auch der Verbrennungsmotor mit synthetischem Kraftstoff, von dem in Baden-Württemberg viele Arbeitsplätze abhängen, wobei diese Technologie durch die Euro-7-Norm erschwert wird? Also: Man kann es politisch seitens einer Regierung nicht wissen. Deshalb wäre es sinnvoll, durch Bürokratieabbau, geringere Energiekosten, Entlastung bei den Steuern die Angebotsbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern, damit wir als Investitionsstandort attraktiv werden.
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Tagesschau.de schreibt gestern in einem Porträt über den Bundeswirtschaftsminister angesichts seiner vielen Subventionen, Programme und Progrämmchen, er sei kein Ludwig Erhard. Lieber Herr Altmaier, ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen, ob Sie sich selbst in der Tradition von Ludwig Erhard sehen oder nicht; andere tun es nicht. Eines wissen wir aber: Einen Ludwig Erhard, der sich um Standortbedingungen bemüht, den könnte unser Land heute gut gebrauchen.
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Jetzt erhält das Wort der Kollege Dr. Carsten Linnemann, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir gestern Abend einmal die Zeit genommen und mir den Jahreswirtschaftsbericht des vergangenen Jahres angesehen.
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Wir haben uns fast exakt vor einem Jahr hier getroffen und ihn diskutiert. Damals war die Rede von einer fragilen konjunkturellen Lage.
Danach kam die Dampfwalze namens Corona. Es war ein exogener Schock, übrigens weltweit. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn der eine oder andere hier redet, dass das ein deutsches Problem wäre,
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dass wir hier irgendetwas gemacht hätten und deshalb hier jetzt diese Probleme haben. Das ist ein exogener Schock – unverschuldet, weltweit auf uns zugekommen. Wir sind, verdammt noch mal, alle in der Verantwortung, das Beste für dieses Land zu wollen, damit wir da wieder herauskommen.
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Natürlich konnten wir die Prognosen nicht halten. Die Arbeitslosenzahlen sind gestiegen und nicht gesunken, wie vorgesehen. Wir sind damals von 1 Prozent BIP-Wachstum ausgegangen; jetzt sind es minus 5 Prozent. Aber: Wir haben im letzten Jahr – seit Jahren zum ersten Mal – die Maastricht-Kriterien eingehalten, und zwar nicht nur die 3 Prozent, sondern auch das wichtige Maastricht-Kriterium – für mich das wichtigste –, die Schulden im Verhältnis zum Sozialprodukt auf unter 60 Prozent zu drücken. Es war die Leistung der Bundesregierung in den letzten zehn Jahren – also nicht nur dieser Bundesregierung, sondern auch der letzten und auch der mit Ihnen, der FDP –, dass wir gezeigt haben: Mit Haushaltskonsolidierung kann man gleichzeitig Wachstum schaffen und dieses Land in die Zukunft führen. Und genau da müssen wir wieder hin. Wenn wir aus dieser Krise erfolgreich herauskommen wollen, brauchen wir Haushaltskonsolidierung, um damit auf den Wachstumsweg zu gehen.
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Und zusätzlich brauchen wir neben dieser Haushaltskonsolidierung vier Punkte.
Der erste Punkt sind die Wirtschaftshilfen. Ja, auch ich kriege die Anrufe, lieber Christian Lindner – die kriegen wir alle –, von den Messebauern, von den Friseuren, von den Einzelhändlern, von den Restaurantbetreibern, von allen: Wo bleibt das Geld? – Ja. Aber ich finde es falsch und auch nicht redlich, die Schuld ausschließlich hier beim Bund zu sehen.
Ich komme selbst aus Nordrhein-Westfalen. Ich weiß selbst, was für eine Politik Herr Pinkwart als Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen macht, übrigens eine sehr gute.
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Und die Regierung von Armin Laschet war es übrigens auch, die in den letzten Wochen gekommen ist und gesagt hat: Wir müssen die Programme überarbeiten. – Wenn der stationäre Einzelhandel nicht mehr arbeiten kann, dann braucht er Unterstützung, nämlich dass wir die Saisonware als Fixkosten zumindest anteilig anrechnen.
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Und dadurch, dass die Nordrhein-Westfalen mit richtigen Argumenten, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt hat, auf uns zugekommen sind, mussten wir dieses Programm überarbeiten, und dadurch zieht es sich immer weiter hin.
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Am Ende des Tages sind natürlich auch Sie in den Ländern vertreten, auch die Grünen.
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Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Der Friseur, der Einzelhändler, der Messebauer, der Veranstalter, der Eventmanager, der Soloselbstständige, der Kulturschaffende interessiert sich nicht dafür, ob der Bund schuld ist, ob das Land schuld ist oder was auch immer, sondern das Geld muss auf sein Konto. Und deshalb danke, Peter Altmaier! Die Hälfte ist ausgezahlt, und die andere Hälfte muss jetzt in den nächsten Wochen kommen.
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Der zweite Punkt. Wir brauchen eine bessere Verlustverrechnung. Das Konzept – da hat Christian Lindner völlig recht – ist Marktwirtschaft pur, weil es genau die Unternehmen trifft, die in den letzten Jahren erfolgreich waren.
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Und wir dürfen den Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Die Beschäftigten in Deutschland, der Mittelstand in Deutschland zahlen Steuern, und mit diesen Steuern können wir unsere Infrastruktur, unsere Bildung und vieles mehr finanzieren. Deshalb müssen wir bei diesem Punkt weiterkommen. Herr Scholz, Sie müssen Ihr Veto bei diesem Punkt aufgeben.
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Es ist nicht groß haushaltsrelevant, sondern das Geld kommt durch höhere Steuern zurück.
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Der dritte Punkt. Ja, wir brauchen eine Perspektive für die Wirtschaft. Die Mutation ist da. Völlig berechtigt ist auch die große Sorge. Trotzdem brauchen wir Pläne, Stufenpläne, damit die Wirtschaft weiß, unter welchen Bedingungen, wenn die Zahlen weiter sinken, wenn die Situation gut ist, sie wann öffnen kann.
Vierter Punkt. Wenn wir wirklich durchstarten wollen,
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dann müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Die wichtigsten Rahmenbedingungen sind meines Erachtens die Rahmenbedingungen in Bezug auf Digitalisierung, um es ganz konkret zu machen: in Bezug auf Disruption. Digitalisierung ist in Wahrheit Disruption. Die Digitalisierung wird alle alten Geschäftsmodelle auf den Kopf stellen,
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mit datenbasierten Instrumenten.
Und dafür brauchen wir junge Menschen mit Gehirnschmalz, mit Lust auf Zukunft, die sagen, sie wollen ihre Idee umsetzen, ihre Ziele, ihre Projekte, ihre Vision. Und die müssen die Rahmenbedingungen haben, dass dies funktioniert, beispielsweise durch eine Gründerschutzzone, indem wir sagen: In den ersten ein, zwei Jahren müssen sich junge Menschen auf ihr Geschäftsmodell konzentrieren und nicht auf Bürokratie. Und wenn wir nach zwei, drei Jahren sehen, es funktioniert gut, dann rollen wir das in Deutschland aus. – Das ist nachhaltige, zukunftsorientierte Politik, und darauf müssen wir uns jetzt verständigen.
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Das Ganze funktioniert nur – und da schließt sich der Bogen –, indem wir an der Haushaltskonsolidierung festhalten.
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Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht zu der Schuldenbremse,
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weil die Schuldenbremse das entscheidende Disziplinierungsinstrument ist, damit auch wir uns an Regeln halten, damit wir nachhaltig auch im Lichte dessen, was die nächsten Generationen noch brauchen, nämlich Spielräume, Politik machen können. Und deswegen halten wir an der Schuldenbremse fest.
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Das ist übrigens auch im europäischen Kontext wichtig. Deutschland muss weiter Vorbild in Sachen Haushaltskonsolidierung bleiben. Europa darf nicht auf Schulden oder billigem Geld aufgebaut sein, sondern muss erstens auf Stabilität, zweitens auf Solidität und drittens auf gemeinsamen Regeln basieren.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Klaus Ernst, Die Linke.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Linnemann, jetzt habe ich einmal eine Frage. Wollen auch Sie Wirtschaftsminister werden? Da haben wir nämlich schon einen bei euch, der das will.
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Ich hatte eher den Eindruck, da hat ein Herr Merz gesprochen. Ich wundere mich, warum alle den Job vom Altmaier wollen. Viele fühlen sich berufen, nur wenige sind geeignet, kann ich da nur sagen.
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Meine Damen und Herren, es ist eine dramatische Lage. Der Wirtschaftsbericht macht es nur zum Teil deutlich. Wir haben 3 Prozent Wachstum prognostiziert, Herr Altmaier. Ob das wirklich so kommt, hängt an der Pandemie, daran, ob wir sie in den Griff bekommen oder nicht; es sind tönerne Füße. Wir wissen, dass wir 3,6 Milliarden Euro täglich für den Lockdown brauchen.
Und jetzt kommt das eigentlich Dramatische: Frau Merkel spricht inzwischen von einer Naturkatastrophe, andere sprechen von Schock. Meine Damen und Herren, nur durch ein rasches Impfen von 70 Prozent der Bürger – nicht nur bei uns, sondern eigentlich der Welt – können wir diese Pandemie bekämpfen. Wir haben auch deshalb zu wenig Impfstoff, weil die unter normalen Bedingungen sinnvollen Regelungen zum Patentschutz ein Hochfahren der Produktion behindern.
Ich weiß nicht, ob Sie sich vorgestern das „Handelsblatt“ angeguckt haben. Laut „Handelsblatt“ beklagt die indische Regierung
… weltweite Verzögerung in den Impfprogrammen wegen mangelnder Impfdosen, während gleichzeitig geeignete Produktionsanlagen in vielen Ländern nicht genutzt werden könnten – weil das geistige Eigentum an den Impfstoffen geschützt sei.
Wir haben also Regelungen, die verhindern, dass wir aus dieser Pandemie herauskommen, Herr Altmaier und Frau Merkel. Und da muss man doch mal darüber nachdenken, ob wir nicht die Bremsen lösen wollen, damit wir dort vielleicht ein Stück weiterkommen.
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Ich bin nicht der Erste, der vom Krieg gegen das Virus spricht. Ich bin auch nicht der Erste, der von Krisenproduktion spricht. Das war der FDP-Chef Lindner; er sagt ab und zu auch mal was Richtiges.
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Meine Damen und Herren, und da er ausnahmsweise mal recht hat: Wir sind nicht im Normalbetrieb, Frau Bundeskanzlerin, Herr Altmaier. Es muss alles unternommen werden, um möglichst rasch und so viel wie irgend möglich dieser Impfstoffe zu produzieren und zugänglich zu machen.
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Die sonst richtigen Regeln der freien Marktwirtschaft richten sich jetzt gegen die Interessen der Menschheit. Diese Krise ist persönlich und wirtschaftlich nur zu überwinden, wenn wir das ändern. Ich appelliere an Sie: Setzen Sie bitte diese Regelungen zum Patentschutz aus und greifen Sie in die Vergabe von Lizenzen ein! Wir haben genug Kapazitäten auf dieser Welt,
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dass wir möglichst rasch tatsächlich alle durchimpfen könnten. Da muss man aber sozusagen den Stecker reinstecken, sodass auch die Kapazitäten genutzt werden können.
Und eine letzte Bemerkung, Herr Altmaier, zu diesen 40 Prozent als Deckelung der Kosten für Sozialabgaben. Sie sagen, es sei ein Weg aus der Krise. Sie haben gestern im Ausschuss gesagt: Ja, wir machen das deshalb, damit wir so lange die Lohnkosten billig halten; dann gibt es nicht so viel Rationalisierung, weil die Unternehmen dann statt Maschinen lieber Arbeit nehmen. – Herr Altmaier, wissen Sie, das Pferd wäre auch dann vom Traktor ersetzt worden, wenn es versprochen hätte, weniger zu fressen und zu saufen.
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Und genau das ist der Zusammenhang: Wir brauchen für mehr Beschäftigung andere Lösungen als die, die Sie vorschlagen.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahrscheinlich war in einer Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht nie so eindeutig, was die Prioritäten für die nächsten Wochen und Monate sein müssen.
Die erste Priorität ist, alles, aber auch wirklich alles dafür zu tun, die Impfgeschwindigkeit zu beschleunigen. Es gibt aktuell für unser Land, für Europa, ja, für die ganze Welt keine wichtigere Aufgabe.
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Angesichts der enormen Kosten des Lockdowns ist die beste Wirtschaftspolitik, alle Ressourcen zu mobilisieren, um endlich ausreichend Impfdosen zu produzieren. Jeder Monat im Lockdown kostet uns 10 Milliarden Euro, 500 Millionen Euro pro Arbeitstag, und das nur für Deutschland. Wir müssen jetzt klare Signale für eine maximale Ausweitung der Produktionskapazitäten setzen,
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und dies am besten global. Aber Europa muss da sofort vorangehen. Wir können in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren gar nicht genug Impfstoff haben, zumindest global nicht.
Klar ist angesichts der gefährlichen Mutationen mehr denn je, dass wir Covid-19 erst besiegt haben, wenn wir Covid-19 weltweit besiegt haben. Dafür müssen wir jetzt massiv Finanzmittel zur Verfügung stellen. Wir können eigentlich, wenn man ehrlich ist, dafür kaum zu viel Geld ausgeben.
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Dafür müssen wir jetzt ideologiefrei jedes Instrument prüfen. Kooperation hat natürlich Vorrang. Aber auch verpflichtende Vergaben von Lizenzen müssen jetzt auf den Tisch. Dafür braucht es eine globale Taskforce bei der G 20. Mit der neuen Biden-Regierung sind die Chancen dafür so gut wie lange nicht.
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Leider habe ich Zweifel, dass Sie, liebe Bundesregierung, das mit dem nötigen Nachdruck verfolgen. Anfang Januar hat die Kanzlerin endlich eine Arbeitsgruppe dazu eingesetzt. Seitdem hat man davon nichts mehr gehört. Ich kann Sie nur auffordern: Machen Sie das zur allerhöchsten Priorität! Folgen Sie der Devise „Whatever it takes“!
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Und auch die zweite Priorität ist eigentlich klar: eine stringente Pandemiebekämpfung. Wieder wird der Widerspruch zwischen Pandemiebekämpfung und Wirtschaft bemüht. Und kaum sinken die Zahlen, rufen die Ersten schon wieder nach Lockerungen. Das ist falsch und vorschnell.
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Die Wirtschaft braucht nachhaltige Lockerungen, keine voreiligen. Denen geht es um Verlässlichkeit, um Planbarkeit, um eine Perspektive. Wenn wir zu früh lockern, dann haben wir doch in kürzester Zeit wieder Zahlen, die völlig außer Kontrolle geraten sind. Das haben wir doch inzwischen in Dutzenden von Ländern weltweit erlebt. Deshalb: Lassen Sie uns noch einige Wochen klar auf Kurs bleiben!
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Damit das klar ist: Eine Beibehaltung des Shutdowns darf keine Ausrede sein, anderes nicht zu tun. FFP2-Masken für alle zu günstigen Preisen, endlich Luftfilter in den Schulen, die Digitalisierung der Gesundheitsämter voranbringen und massenhaft Schnelltests strategisch einsetzen: All das muss jetzt kommen, schnell und mit Nachdruck.
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Drittens. Sorgen Sie endlich für eine schnellere Auszahlung der Hilfen! Sorgen Sie endlich für eine echte Existenzsicherung für Selbstständige! Und sorgen Sie endlich für ein Mindestkurzarbeitergeld!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz alledem bleibe ich Optimist: Wir werden diese Pandemie dank Wissenschaft, dank modernster Technologie in diesem Jahr in den Griff bekommen. Danach steht unser Land vor weiteren großen Herausforderungen: Klimaneutralität, Digitalisierung, der Wettbewerb mit China, die neue Zusammenarbeit mit den USA, die Modernisierung unserer Infrastruktur und Verwaltung. Das Jahrzehnt nach dieser Pandemie muss eine Dekade des Aufbruchs, eine Dekade der Gestaltung und der Modernisierung werden. Dazu brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung von Staat, Wirtschaft, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und der gesamten Gesellschaft. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, private, aber auch öffentliche.
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Der Staat muss mehr investieren in Breitband, in Quantencomputer und Spitzenforschung, in neue Schienen, in Ladesäulen, Wasserstoffinfrastruktur, in Schulen und Kitas. Die Rufe danach aus der Industrie, aus der Gewerkschaft sind laut und eindringlich. Hören Sie endlich darauf!
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Ihr Kanzleramtsminister Helge Braun hatte am Dienstag in Ihren Augen die Unverschämtheit, eine offenkundige Wahrheit auszusprechen. Wir werden nach der Coronapandemie und angesichts dieser Herausforderung nicht einfach zur alten Schuldenbremse zurückkehren können. Ich kann ja verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass kurz vor dem Wahlkampf Ihnen das recht ungelegen kam. Aber ich bitte Sie: Lassen Sie uns eine offene, eine an der Sache orientierte Debatte dazu führen. Eine Vielzahl von Ökonomen, die Experten der OECD, die Gewerkschaften, die Industrie, sie alle sagen: Lasst uns die Schuldenbremse beibehalten, aber sinnvoll weiterentwickeln.
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Wir schlagen dazu eine Investitionsregel vor. Das ist nachhaltige Haushaltspolitik und eine ganzheitliche Betrachtung auf der Höhe der Zeit. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken, getreu dem Motto: „Erst kommt das Land und dann das Partei- oder Fraktionsdogma“!
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Katzmarek, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich die circa 160 Seiten des Jahreswirtschaftsberichts kurz zusammenfassen wollte, dann würde ich das in drei Punkten tun. Ich würde feststellen, dass erstens die wirtschaftlichen Prognosen und die Arbeitsmarktlage besser sind, als die Wirtschaftsexpertinnen und ‑experten es vorausgesehen haben, dass zweitens Wirtschaftshilfen in nie gekanntem Ausmaß, Investitionen in Forschung und Entwicklung die Auswirkungen der Krise gemildert haben und dass drittens ein starker Sozialstaat sich als der stabile Faktor in der Krise bewährt hat.
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Es hat sich als richtig und notwendig erwiesen, nicht gegen eine Krise anzusparen, indem man Sozialleistungen kürzt; es ist richtig, in Sozialleistungen zu investieren. Wir haben es zum Beispiel beim Kurzarbeitergeld getan; Hubertus Heil, der Arbeitsminister, sitzt dort. Wenn wir es nicht getan hätten, wenn wir kein Kurzarbeitergeld haben würden, hätten wir – das wissen wir – viele Millionen Menschen mehr in die Arbeitslosigkeit gebracht.
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Ist das jetzt ein Grund, sich zurückzulehnen und zu sagen: „Ist ja alles gut“? – Nein, ist es bei Weitem nicht. Wir erinnern uns sehr genau an die Schwächen des letzten Jahres: fehlende Masken, fehlende Beatmungsgeräte. Und seit Neustem: fehlende Halbleiter in der Automobilindustrie. Ich habe sehr viele Automobilwerke bei mir im Wahlkreis, deren Bänder jetzt im Augenblick stillstehen.
Deshalb müssen wir doch eins feststellen: Die große Abhängigkeit von globalen Märkten in Deutschland und in Europa beschleunigt Krisen. Deshalb müssen wir genau dort hinschauen, Herr Altmaier, wenn wir die Zukunft unseres Standortes, des Industriestandortes sichern wollen und wenn wir Arbeitsplätze sichern wollen, wie Sie das ja auch gestern wieder im Wirtschaftsausschuss gesagt haben.
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Uns als SPD ist es wichtig, dass Deutschland ein stabiler Industriestandort bleibt, dass wir das Land der Industrie bleiben. Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass Liefer- und Wertschöpfungsketten in Deutschland und in Europa erhalten werden bzw. aufgebaut werden. Es darf die Schwachstellen, die ich benannt habe, nicht geben, Herr Altmaier. Wir müssen sie als Erstes identifizieren. Wir müssen darüber reden und uns anschauen: Was haben wir für Produktion? Was brauchen wir für die Produktion? Ist die Lieferung schwierig? Brauchen wir eine eigene Produktion, die wir aufbauen müssen? Nehmen Sie gerade den Bereich Arzneimittel in der Gesundheitswirtschaft! Das will ich Ihnen noch mal ans Herz legen. Auch das ist Ihre Aufgabe als Wirtschaftsminister. Wir haben darüber schon öfter diskutiert, und da sehe ich Defizite.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn wir den Standort Deutschland auch in der Zukunft stark erhalten wollen, wenn wir Arbeitsplätze erhalten wollen, brauchen wir einen Blick in die Zukunft, brauchen wir Handeln für die Zukunft. Das heißt, sich um Wertschöpfungsketten, um Lieferketten zu kümmern und Antworten zu geben. Da sind Sie gefordert, Herr Minister.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Steffen Kotré, AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Altmaier, Sie und die Bundesregierung vertreiben die Zukunft aus Deutschland. Das muss man leider so sagen.
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Den vorliegenden Bericht können wir getrost zur Seite legen. Ich sehe nichts, was wirklich zukunftsweisend sein könnte. Sie behandelten heute in Ihrer Rede Probleme, die wir ohne das falsche Handeln der Bundesregierung nicht hätten; denn nicht die Coronapandemie ist schuld daran, dass die Wirtschaft jetzt Schwierigkeiten hat,
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sondern schuld sind die falschen Maßnahmen, die die Wirtschaft behindern. Das ist das Problem, und das ist redlicherweise der Bundesregierung zuzurechnen.
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Herr Minister Altmaier, Sie handeln wie ein Alchimist. Sie verkaufen uns die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze, obwohl diese hochsubventioniert sind. Sie verkaufen uns Marktwirtschaft, obwohl wir immer weiter in die Planwirtschaft abgleiten. Sie verkaufen uns Wachstum, obwohl wir schon längst vor Corona in die Rezession geschlittert sind. Sie verkaufen uns die sogenannten Klimarettungsmaßnahmen und die sogenannte Energiewende als Chance, obwohl diese Werte vernichten,
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obwohl diese keine Werte schaffen und obwohl die Unternehmen dadurch aufgrund der Versorgungsunsicherheit und der hohen Energiepreise aus Deutschland vertrieben werden. Noch ein Detail: Sie wollen uns einen mit Wasserstoff produzierten Stahl als wettbewerbsfähig verkaufen, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist. Sie verkaufen uns Nachhaltigkeit, obwohl die mittlerweile aufgelaufenen Verpflichtungen Deutschlands Substanzverzehr und Raubbau bedeuten.
Die Stiftung Marktwirtschaft beziffert die Nachhaltigkeitslücke, also die Verpflichtung des deutschen Staates gegenüber den deutschen Bürgern und dem Ausland, auf 345 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – das war im Sommer 2020; die Zahl hat sich erhöht –, also auf das Dreieinhalbfache der jährlichen gesamtwirtschaftlichen Leistungen. Wie wir wissen, kann davon immer nur ein ganz kleiner Teil für die Tilgung von Schulden und die Erfüllung von Verpflichtungen herangezogen werden. Wir werden also die Verpflichtungen vermutlich nie erfüllen können. Die Konsequenz wird sein: Inflation und Enteignung der Bürger und der Unternehmen in diesem Staat, am Ende ein Schreckensszenario. Geben Sie uns einen anderen Ausweg. Das wäre sehr schön. Ich sehe ihn aber nicht. Auf 11,9 Billionen Euro belaufen sich die Verpflichtungen. Wie wollen wir die denn schultern? Das ist die ganz große Frage. Und die Realität sieht eben traurig aus.
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Die Bundesregierung, Sie, Herr Minister Altmaier, vertreiben die Zukunft aus Deutschland.
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Die Autoindustrie beispielsweise – jahrzehntelang Rückgrat der deutschen Wirtschaft – hat Millionen Arbeitnehmer in Lohn und Brot gebracht, und ohne Not wird dieser Industriezweig jetzt abgebaut, der Verbrennungsmotor verteufelt. Das kostet uns, laut Ihren eigenen Beratern, bis zu 410 000 Arbeitsplätze.
Anstatt Lieferketten und die Rohstoffbasis der deutschen Industrie zu sichern, beschäftigt sich die Bundesregierung lieber mit Quoten, mit Genderquatsch
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und mit Haftbarmachung deutscher Unternehmen für Fehler ausländischer Unternehmen. Daran kann man sehen, wo die Prioritäten dieser Bundesregierung liegen, und die sind grundfalsch. Wir vermissen hier ein Zukunftskonzept, das umfassend ist. Dahin sollte sich die Bundesregierung bewegen, damit wir Deutschland strukturell fit machen.
Wir haben es an Ihrer Rede gesehen, Herr Altmaier: Sie haben sich mehr mit den selbstgemachten Schäden beschäftigt als mit zukunftsweisenden Technologien.
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Daran müssen wir arbeiten.
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Als Beispiel: Es fehlen jetzt in unserem Land Mikrochips für unsere Autobauer.
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Sie mussten einen Brief nach Taiwan schreiben. Sie mussten also in Taiwan betteln, dass unsere Volkswirtschaft beliefert wird. Das ist unserer Volkswirtschaft nicht würdig. Es ist unwürdig für unsere Industrienation, dass wir das nicht selber hinbekommen.
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Kollege!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung vertreibt die Zukunft aus Deutschland. Wir sollten diesen vorliegenden Bericht einfach beiseitelegen, die Ärmel hochkrempeln und die Probleme strukturell angehen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht ist in der Tat immer eine Gelegenheit, zurückzublicken auf das, was im letzten Jahr gut gelaufen ist oder wo man sich verbessern kann, und er bildet immer auch den Auftakt der Debatte darüber, was im kommenden Jahr angepackt werden soll.
Auch ich, lieber Carsten, habe ihn mir gestern Abend mal angeschaut.
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– Nein, wir waren gestern Abend nicht zusammen in einem Haushalt.
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Fast genau vor einem Jahr, am 30. Januar letzten Jahres, haben wir hier den Jahreswirtschaftsbericht 2020 diskutiert. Es ging darum: Haben wir jetzt 1 Prozent Wachstum oder 1,1 Prozent oder 1,2 Prozent? Der Kollege Theurer hat die Kurzarbeit heraufbeschworen und gesagt, die Zahlen seien explodiert, in einzelnen Sektoren hätten sie sich verzehnfacht. Ich habe mir die Zahlen noch mal angeschaut: Sie sind in der Tat von Januar 2019 bis Januar 2020 von 354 000 auf 382 000 gestiegen. Das war damals viel. Aber sechs Wochen später – Carsten Linnemann hat es angesprochen – hatten wir den Lockdown. Weitere sechs Wochen später waren nicht 400 000, sondern über 6 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Deshalb ist, glaube ich, klar, vor welcher Herausforderung wir stehen und von welchen Dimensionen wir reden.
Die Politik hat gehandelt – gemeinsam gehandelt. Ich glaube, man sollte vielleicht etwas demütiger sein; denn wir haben im letzten Jahr erlebt, dass es nicht nur in unserer Hand liegt, was auf uns zukommt. Damit müssen wir umgehen.
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Wir haben gemeinsam ein Viertel bis ein Drittel des Sozialprodukts – 1,2 Billionen Euro, 1 200 Milliarden Euro – ins Schaufenster gestellt, um zu helfen, um mit Soforthilfen eine Brücke für die Wirtschaft zu bauen und um die Sozialsysteme am Laufen zu halten. Und wir können sagen: Es ist erfreulich, dass bis heute, anders als in vielen anderen Ländern in der Welt, die Arbeitslosigkeit bei uns nicht explodiert ist. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist leicht zurückgegangen, und insgesamt gab es – Gott sei Dank – keine sozialen Verwerfungen oder anderes. Das ist gut und erfreulich.
Aber darauf können wir uns nicht ausruhen, weil es – und das ist heute in der Debatte noch nicht angesprochen worden – in anderen Teilen der Welt, in anderen Ländern trotzdem – obwohl auch die sich in der Coronakrise befinden und obwohl diese dort sogar begonnen hat – weiter vorangeht. Während wir in Deutschland im Jahr 2020 ein Wirtschaftswachstum von minus 5 Prozent haben, gibt es in China 2,3 Prozent Wachstum. Während wir in Deutschland 9,9 Prozent weniger exportiert haben, hat China im letzten Jahr 3,6 Prozent mehr exportiert. Während wir 8,6 Prozent weniger importiert haben, wurde in China nur etwa 1 Prozent weniger importiert. Während wir in Deutschland im Moment weniger als 20 Prozent des Fluggastaufkommens von vor einem Jahr haben, lag es in China im September/Oktober wieder bei 100 Prozent, und im Moment liegt es bei ungefähr 80 Prozent; das hängt natürlich auch mit dem größeren Binnenmarkt, der Größe des Landes und anderen Faktoren zusammen, keine Frage.
Das heißt – auch das gehört zur Wahrheit dazu –: In China geht es voran, und wir rudern im Moment zurück. Deshalb müssen wir schnell und entschieden gemeinsam handeln, damit es keine weiteren Fesseln mehr gibt; wir müssen entfesseln. Und deshalb ist das, was der Koalitionsausschuss beschlossen hat, nämlich ein Belastungsmoratorium, zwingend einzuhalten.
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Zu diesem Belastungsmoratorium gehören – ich sage das noch mal für unsere Fraktion in aller Deutlichkeit – keine Steuererhöhungen. Die wären jetzt in der Krise Gift für Wachstum und Beschäftigung, und sie wären es auch nach der Krise.
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Es gehört aber auch dazu, dass wir hier in Deutschland kein Lieferkettengesetz mit privatrechtlicher Haftung machen.
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Das hilft nicht der Einhaltung der Menschenrechte, sondern im Gegenteil – wir hatten es in der letzten Debatte schon –: Es führt beispielsweise in Afrika dazu, dass unsere Unternehmen verdrängt werden und andere dann das Geschäft machen, und zwar zu schlechteren Bedingungen, als es bei uns der Fall ist.
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Wir brauchen auch kein Umwandlungsverbot im Baulandmobilisierungsgesetz, weil damit das Gegenteil eintritt: Es werden weniger Wohnungen gebaut. Auch das ist wieder schädlich und greift das Eigentum an.
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Wir brauchen in der Tat auch in der Zukunft solide Finanzen. Herr Hofreiter, ich meine, man kann sich doch anschauen – da müssen wir uns gar nichts Neues einfallen lassen –: 2008/2009 war zu beobachten, wie die Importe und die Exporte sogar noch weiter zurückgingen, als das jetzt der Fall ist, wie die Wirtschaft nach unten ging und wir in einer schwierigen Situation waren.
Es war klug und richtig, danach entsprechend solide zu wirtschaften, die Ausgaben stabil zu halten und entsprechend Wachstum zu generieren,
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Dynamik auszulösen, was wir auch jetzt tun, damit wir mehr Steuereinnahmen haben, um entsprechend zu handeln.
Herr Kollege Pfeiffer, der Kollege Schneider würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte, gerne.
Lieber Kollege Pfeiffer, wir sind ja in der Jahreswirtschaftsdebatte. Sie haben jetzt einen Gesetzentwurf des Kabinetts zum Baulandmobilisierungsgesetz aufgegriffen, das wir nachher gleich diskutieren, und gesagt, den Kernpunkt, das Verbot der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, trägt die Fraktion nicht mit. Gilt das für die gesamte Bundestagsfraktion? Können wir die Debatte nachher absetzen? Oder tragen Sie das mit, was das Kabinett mit der Bundeskanzlerin auch beschlossen hat?
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In der Tat: Es gibt die Exekutive, und es gibt die Legislative. Ich glaube, es war einer Ihrer Fraktionsvorsitzenden, der mal gesagt hat: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es in den Bundestag hineinkommt. – Das wird auch für das Baulandmobilisierungsgesetz gelten. Denn unsere Idee und unsere Vorstellung ist, dass wir mehr bauen, dass wir zum Eigentumserwerb ermutigen und nicht Hürden aufbauen, die dazu führen, dass im Ergebnis weniger gebaut wird, dass Eigentum gefährdet wird; das ist die falsche Antwort auf die Probleme. Deshalb werden wir alles dafür tun, dass dieses Baulandmobilisierungsgesetz nicht so ins Gesetzblatt kommt, wie es im Moment als Vorschlag vorliegt.
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Um was geht es? Es geht darum – leider bleibt nicht mehr viel Zeit; auch bei mir geht die Uhr relativ schnell voran –, eine Dynamik im Bereich des Handels auszulösen. Das sage ich auch noch mal an den Koalitionspartner gerichtet: Wir hatten kürzlich eine Debatte und eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss zu Freihandelsabkommen, zur Ratifizierung von CETA und anderem. Dort hat der frühere Außen- und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gesagt: Wenn wir es nicht mal mehr schaffen, mit einem Land wie Kanada, das in vielen Bereichen europäischer ist als mancher Mitgliedstaat der Europäischen Union, ein umfassendes, vorbildliches Freihandelsabkommen abzuschließen, mit wem sollen wir es dann noch machen? – Wenn wir sehen, wie es in China und anderen Regionen der Welt vorangeht, dann müssen wir hier alles geben, dass in freien Märkten entsprechendes Wachstum generiert wird; das ist unsere Aufgabe.
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Wir wollen Dynamik auslösen und lösen das aus mit mehr Wagniskapital bei Start-ups. Planungs- und Genehmigungsverfahren, Digitalisierung dauerhaft beschleunigen, Umlagebefreiung bei Wasserstoff, 5G-Campusnetze: Ich hatte mir vorgenommen, noch vieles zu sagen; aber, wie gesagt, die Zeit ist schneller vorangeschritten.
Wir werden auf jeden Fall diese Dynamik nutzen müssen, damit auch wir wieder nach vorne rudern und nicht zurück. Damit die Lücke zu anderen in der Welt nicht größer wird, sondern kleiner, dafür lassen Sie uns gemeinsam kämpfen.
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Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze, Die Linke.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Die Krise zeigt, dass sich in der Wirtschaft vieles verändert hat. Viele Selbstständige und kleine Unternehmen stehen vor einem Scherbenhaufen. Wenn ihre Märkte zusammenbrechen und Selbstständige unverschuldet in Existenznot geraten, dann geht das nicht ohne die Solidarität der Gesellschaft. Langfristig helfen hier keine Hilfszahlungen: Wir brauchen eine echte Arbeitslosenversicherung auch für Selbstständige und Unternehmer.
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Generell ist eine armutsfeste Absicherung aller Menschen notwendig. Sieht man, dass Menschen in Hartz IV, Obdachlose und Geringverdiener besonders betroffen sind, dann muss man ihnen einen Zuschlag von mindestens 100 Euro gewähren; damit wäre ihnen geholfen.
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Dieses Geld fließt eins zu eins in die Wirtschaft zurück, weil damit direkt konsumiert wird. Das zu verweigern, ist nicht nur unsolidarisch; es ist auch wirtschaftsfeindlich.
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Sie haben uns jahrelang gebetsmühlenartig erklärt – und heute wieder –, wie wichtig die schwarze Null sei. Das hat schon fast religiöse Züge.
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Da wäre es doch eine gute Idee, wenn Sie den Gedankenblitz des Kanzleramtsministers Braun aufgreifen würden, der die schwarze Null zumindest kurzfristig infrage gestellt hat. Also geben Sie sich doch mal einen Ruck! Die schwarze Null ist weder in der Krise noch danach ein geeignetes wirtschaftspolitisches Instrument.
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Nächster Punkt. Wie kann es sein, dass die Wirtschaft im Frühjahr 2020 wochenlang nicht in der Lage war, einfache medizinische Schutzmasken herzustellen? Wurden da aus Profitgründen lebenswichtige Produktionen ins Ausland verlagert? Den Leuten hat man erklärt, dass sie sich die Masken selber nähen können. Nun taugen auf einmal diese selbstgenähten Masken nichts mehr. Damit wird auch Vertrauen verspielt. Deshalb gibt es jetzt nur eins: Verteilen Sie die schützenden Masken an alle und das kostenlos! Im Vergleich zu den Gesamtkosten der Pandemie sind das Peanuts, sehr geehrte Damen und Herren.
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Gesundheit ist auch so ein Wirtschaftsbereich, der an seine Grenzen gestoßen ist. Viele Krankenhäuser wurden kapitalmarktorientiert ausgerichtet. Sie müssen 6 bis 8 Prozent Rendite erwirtschaften. Wir brauchen aber Krankenhäuser, die gemeinwohlorientiert arbeiten. Deshalb gehören alle Krankenhäuser in öffentliche Trägerschaft.
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Eine der wichtigsten Fragen ist aber: Wer bezahlt die Folgen der Krise? Fest steht, dass Konzerne wie Amazon genau durch diese Krise ihr Vermögen vervielfachen. Der aktuelle Oxfam-Bericht sagt, dass der Spalt zwischen Arm und Reich immer größer wird. Da ist es doch nur logisch, dass die Profiteure der Krise zur Kasse gebeten werden. Die Linke fordert, diese Herrschaften an den Kosten finanziell zu beteiligen. Die oberen Zehntausend werden es verkraften, wenn man ihren unbeschreiblichen Reichtum ein ganz kleines bisschen begrenzt. Doch das setzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, Mut voraus, der der Mehrheit hier im Bundestag fehlt.
Vielen Dank und herzliches Glückauf.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Timon Gremmels, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Altmaier, Sie sind ja nicht nur Wirtschaftsminister, Sie sind auch Energieminister, und zu diesem Punkt haben Sie im Jahreswirtschaftsbericht und hier heute gar nichts gesagt oder haben ihn allenfalls gestreift. Ich finde, das ist zu wenig.
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Beim Thema E-Mobilität gebe ich Ihnen recht, was die Ansiedlung von Instituten zur Batteriezellenforschung und Produktion hier angeht. Das ist gut; das ist Wirtschaftspolitik. Aber die entscheidende Frage bei der E-Mobilität ist doch: Woher kommt der Strom, den die E-Fahrzeuge tanken? Der muss aus erneuerbaren Energien kommen. Herr Altmaier, dazu haben Sie gar nichts gesagt.
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Man könnte jetzt sagen: Wir haben eine andere Krise, die Priorität hat, die Coronakrise, die Pandemiekrise. – Das ist richtig. Aber deswegen verschwinden andere Krisen ja nicht. Die Klimakrise ist trotzdem noch da. Wir haben jetzt die einmalige Chance, beide Krisen zeitgleich zu bearbeiten. Sehr geehrter Herr Altmaier, liebe Kolleginnen und Kollegen, das muss doch unsere Aufgabe sein. Wenn wir jetzt investieren, müssen wir nachhaltig investieren. Das sichert Arbeitsplätze. Das schafft gute Jobs.
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Herr Altmaier, Sie haben gerade gesagt: Wir können uns Umweltschutz nur leisten, wenn es der Wirtschaft gut geht. – Das ist zu kurz gedacht. Nur mit nachhaltiger Umweltpolitik, nur mit nachhaltiger Industriepolitik können wir zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen, die uns aus der Krise holen. Dazu brauchen wir jetzt im Nachgang zum EEG eine schnelle Umsetzung des Entschließungsantrags der Großen Koalition. Wir müssen jetzt die Ausbaupfade für erneuerbare Energien klar durchdeklinieren.
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Wir können zum Beispiel in der Photovoltaik, die eine große Akzeptanz in der Bevölkerung hat, einen Zubau von 10 bis 12 Gigawatt pro Jahr schaffen. Das schafft Arbeitsplätze, auch in Deutschland. Ein Blick in meinen Wahlkreis in Nordhessen zeigt Folgendes: Eine Studie der Uni Kassel hat die Investitionen in erneuerbare Energien von 2000 bis 2018 in Nordhessen untersucht. Es waren 4,4 Milliarden Euro in 18 Jahren. 43 Prozent der Kosten sind in der Region geblieben. Das heißt, es ist vor Ort eine Wertschöpfung von knapp 2 Milliarden Euro geschaffen worden. Das ist nachhaltige Industriepolitik, wie wir Sozialdemokraten sie uns vorstellen, Herr Altmaier. Da muss die Koalition noch ein bisschen mehr machen.
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Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, zu sagen: Wir investieren auch wieder verstärkt in die Modulproduktion von Solarzellen. Es gibt Ansätze in Sachsen und Sachsen-Anhalt, eine industrielle Produktion aufzubauen. Diese könnte 3 000 Arbeitsplätze schaffen. Wenn wir einen CO2-Fußabdruck für Solarzellen – vergleichbar mit dem der Franzosen – einführen, können wir die Wertschöpfung in Deutschland halten. Das übrigens soll ja ab Mitte der 2020er-Jahre für die Batteriezellen kommen. Was für Batteriezellen gilt, muss auch für Module gelten. Das ist nachhaltige Industriepolitik.
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Unser abschließender Appell lautet: Lassen Sie uns nachhaltige Industriepolitik und die Bekämpfung der Coronakrise gemeinschaftlich voranbringen. Beides können wir zeitgleich leisten. Das wäre wichtig für die deutsche Wirtschaft, für die Umwelt und für die nachhaltige Industrie. So bewältigen wir die Krisen, so lösen wir die Probleme.
In diesem Sinne: Glück auf und alles Gute.
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Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU, hat als Nächster das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht liegt vor. Dass wir in einer schwierigen Lage sind, dass wir uns in einer der schwersten Krisen seit Ende des Zweiten Weltkrieges befinden, das ist ja überhaupt keine Frage. Vor einem Jahr – nach zehn Jahren Aufschwung – war die Gemengelage noch eine gänzlich andere. Das zeigt, dass man Krisen nicht voraussagen oder gar verhindern kann. Aber man muss für Krisen gerüstet sein, und das ist man am besten durch finanzielle Solidität.
Auch deshalb ist der Hinweis der Sachverständigen richtig, dass bei einer zukünftigen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage das Augenmerk auf die Konsolidierung des Haushalts gelegt werden sollte. Da gibt es übrigens einen Unterschied: Grüne, SPD und Linke wollen die Schuldenbremse abschaffen.
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Wir wollen zurück zu soliden Haushalten; denn auch das ist Teil einer generationengerechten, einer nachhaltigen Politik.
Die Zahlen wurden genannt. Letztes Jahr hatten wir einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 5 Prozent. In diesem Jahr wird die Wirtschaft voraussichtlich um 3 Prozent wachsen. Teil der Wahrheit ist auch, dass der Rückgang in anderen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien, Frankreich und Italien, mit um die 10 Prozent wesentlich gravierender ist.
Wir sind aber nicht zufrieden damit, dass es noch schlechter laufen könnte. Wir müssen schnellstmöglich wieder heraus aus der Krise. Aus der Krise heraus kommen wir nicht mit Steuererhöhungen; das wäre ja so, als würde man jemandem, der gerade aus der Intensivstation entlassen wurde, noch mal Blut abnehmen. Wir wollen die Steuern nicht erhöhen. Sie wollen die Steuern erhöhen, meine Damen und Herren.
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Während die Wirtschaftsleistung um 5 Prozent zurückging, ging die Beschäftigung lediglich um 1 Prozent zurück. Dank des Kurzarbeitergeldes und anderer Maßnahmen haben wir die Beschäftigung stabilisiert. Natürlich kostet das Geld. Natürlich gibt es Missbrauch. Diesen wollen und müssen wir natürlich bekämpfen. Aber hier nicht zu handeln, wäre letztlich noch viel teurer.
Danken möchte ich an der Stelle all denjenigen, die die Wirtschaft jetzt noch in Gang halten. Danken möchte ich an dieser Stelle allen Unternehmerinnen und Unternehmern – wir alle bekommen ja viele Anrufe –, die nicht aufgeben, die weitermachen, auch wenn es schwierig ist, auch wenn die Hilfen, die jetzt ankommen, einen langen Anlauf benötigt haben. Herzlichen Dank an dieser Stelle.
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Ich möchte betonen, dass es richtig ist, das produzierende Gewerbe, auch das Baugewerbe, weiter laufen zu lassen. Gerade dieses konnte sich auch während der Krise behaupten und wuchs beispielsweise im letzten Jahr um 1,4 Prozent. Die wirtschaftlichen Einbußen wären sonst noch wesentlich dramatischer. Also ist es insgesamt ein wichtiger und richtiger Schritt.
Internationaler Handel schafft Wohlstand; das gilt es mehr denn je zu betonen. Gerade auch die Wahlen in den USA können der WTO einen neuen Schub geben. Wir brauchen einen regelbasierten, wir brauchen einen freien, einen fairen, einen auf Nachhaltigkeitskriterien beruhenden Handel. Die deutschen Exporte sollen in diesem Jahr wieder um 6,4 Prozent zunehmen. Wir wollen wirtschaftliches Wachstum auch durch Exporte, auch durch einen Außenbeitrag. Die Grünen beispielsweise wollen Außenhandelsüberschüsse zwangsweise abbauen. Aus unserer Sicht ist das der falsche Weg; dies würde die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beschneiden.
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Nur durch Innovationen kommen wir aus der Krise heraus. Dass wir bei Innovationen, bei Gründungen gut sind, das zeigt beispielsweise die Erfolgsgeschichte des Unternehmens BioNTech. Darauf können wir stolz sein. Das brauchen wir. Wir brauchen diese positiven Geschichten. Aber auch hier zeigt sich: Das Kapital kommt von der anderen Seite – bei BioNTech vom Pharmariesen Pfizer aus den USA – und sozusagen mit allen Nebenwirkungen. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir mit dem Zukunftsfonds – er umfasst über 10 Milliarden Euro – Wagniskapital bereitstellen und Beteiligungen und andere Wachstumsfinanzierungen stärken. So geben wir deutschen und europäischen Start-ups die Möglichkeit, in Deutschland, in Europa durch europäisches, durch deutsches Kapital zu wachsen.
({4})
Klar ist aber auch: Ohne die wirksame Bekämpfung von Corona wird es auch bei der Wirtschaft nicht wieder aufwärtsgehen. Im Sommer hat man gesehen, wie schnell die Wirtschaftsleistung wieder anstieg, als die Fallzahlen rapide abnahmen. Interessant war, dass die AfD im Ausschuss Weißrussland als Positivbeispiel bei der Pandemiebekämpfung genannt hat. Meine Damen und Herren, dazu fällt einem nichts mehr ein.
({5})
Es ist wichtig, dass wir die Pandemie effektiv bekämpfen. Dann können wir auch wieder durchstarten. Gleichzeitig brauchen wir auch ein stärkeres Denken in Szenarien, in Best Cases, in Worst Cases. Was könnte passieren? Wie könnten die unterschiedlichen Perspektiven aussehen? Denn Perspektiven geben letztlich Planungssicherheit.
Wir brauchen Strategien für das Wiederhochfahren der verschiedenen Lebensbereiche, der Schulen, der Kultur, aber vor allem natürlich auch der gesamten Wirtschaft. Wir müssen dabei weiterhin auf Nachhaltigkeit in allen Dimensionen setzen und mit Ökologie, Sozialem und Wirtschaft verbinden. Wir müssen letztlich die Weichen stellen, um dann wieder aus der Krise zu erwachsen und auch zu wachsen. Wir brauchen sicherlich einen Ruck, aber wir brauchen zunächst auch ein kräftiges Hauruck, das nur gemeinsam zu vollziehen ist.
In dem Sinne: herzlichen Dank.
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Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dennis Rohde, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Vergleich zu den Debatten um die Jahreswirtschaftsberichte in den Vorjahren muss man in diesem Jahr Haushalts- und Wirtschaftspolitik wahrscheinlich stärker zusammendenken; denn der Staat war gefordert, ein zentrales Versprechen des Sozialstaates im Jahr 2020 und im Jahr 2021 einzulösen, nämlich dass wir als Staat in Krisenzeiten an der Seite der Bürgerinnen und Bürger stehen.
({0})
Wir haben das als Bundesrepublik Deutschland mit großer finanzieller Entschlossenheit getan. Wir haben uns nicht auf eine kleine Maßnahme konzentriert, zumal es auch keine Schlüsselmaßnahme gibt, sondern wir haben große Pakete geschnürt. Zum einen ging das durch Steuerpolitik, zum Beispiel durch die Absenkung der Mehrwertsteuer, durch Verbesserungen bei den Abschreibungen, indem wir durch den Kinderbonus gezielt Anreize für Investitionen in konjunkturbefördernde Elemente gesetzt haben. Wir haben zum anderen als Staat selbst investiert. Und wir haben für Unternehmerinnen und Unternehmer, die vor der Krise erfolgreich waren, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vor der Krise einen Job hatten, Brücken gebaut, damit sie auch nach der Krise erfolgreich sein können und damit sie auch nach der Krise wieder einen Job haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Jetzt kann man natürlich – das gehört zur Demokratie dazu – einzelne Maßnahmen kritisieren. Man kann in dem Riesenkatalog, den wir gemacht haben, sicherlich auch Dinge finden, die nicht so gewirkt haben, wie sie wirken sollten. Aber das, was am Ende zählt, ist doch, dass das Gesamtpaket geholfen hat, dass wir wesentlich kraftvoller durch diese Krise gekommen sind, dass das Bruttoinlandsprodukt wesentlich weniger zurückgegangen ist, als wir im Sommer noch annehmen mussten. Wir gingen zeitweise davon aus, dass der Rückgang bei fast 8 Prozent liegt; wir sind bei 5 Prozent gelandet. Wir sind wesentlich besser durch diese Krise gekommen als die Euro-Gruppe in ihrer Gesamtheit,
({2})
die, von unserem Rückgang aus betrachtet, fast 50 Prozent mehr Wirtschaftseinbruch gehabt hat. Ich finde, das ist etwas, worauf wir als Bundesrepublik auch stolz sein können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Wir haben dafür gesorgt, auch gerade durch die Konjunkturanreize, dass Unternehmen eigenwirtschaftlich tätig sein können. Wir haben genau das gemacht, was man von einer antizyklischen Politik in Krisenzeiten zu erwarten hat. Und wir werden auch 2021 einen Rekordhaushalt aufstellen. Wir werden weiterhin Brücken bauen für Unternehmerinnen und Unternehmer, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir sind bis hierher gekommen, und die Botschaft ist: Wir werden auch in Zukunft die Menschen in diesem Staat nicht alleine lassen. Wir werden gemeinsam aus dieser Krise rauskommen.
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Wenn ich das noch sagen darf: Helge Braun hat in einem recht: 2022 ist nicht alles vorbei. – Vor uns stehen Riesenherausforderungen, auch im investiven Bereich, im Bereich Klima, im Bereich künstliche Intelligenz, in der Infrastruktur, in der Bildung. Das alles können wir 2022 nicht abbrechen. Uns ist als Sozialdemokraten klar: Wir wollen, dass dieser Staat auch ab dem Jahr 2022 ein starker Partner für die Bürgerinnen und Bürger ist. Wir sind nicht bereit, bei der sozialen, bei der inneren oder der äußeren Sicherheit zu sparen.
Wer das auch so sieht, wer findet, ab 2022 würden Sparbemühungen des Staates genau das Gegenteil bewirken – nämlich: das würde unserer Wirtschaft schaden –, der muss die Frage der Plausibilität seines Handelns beantworten, der muss die zentrale Frage beantworten, wie wir diesen Staat finanziell aufstellen. Denn eines ist klar: Allein durch Wachstum wird es nicht gehen. Der Dreiklang „keine Schulden, keine Mehreinnahmen, aber mehr Investitionen“, der wird nicht funktionieren. Wir Sozialdemokraten sind bereit für diese Debatte.
Vielen Dank.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundeskanzler Willy Brandt gab seiner Regierung ein Leitmotiv. Er sagte: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Wir Freien Demokraten knüpfen heute an diesen Gedanken wieder an.
({0})
Mit unserem Gesetzentwurf sagen auch wir: Wir wollen mehr Demokratie wagen, mehr parlamentarische Demokratie in der Pandemie, meine Damen und Herren!
({1})
Dass das Parlament in der Pandemie gestärkt werden muss, hat die letzte Plenarwoche bewiesen. Der Gesundheitsminister hielt hier eine Regierungserklärung.
({2})
Während er sprach, plante das Kanzleramt bereits tiefgreifende Grundrechtsbeschränkungen auf infektionsrechtlicher Grundlage.
({3})
Diese Dinge wollte die Kanzlerin dann in einer Besprechung mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, also in einer MPK, durchsetzen.
({4})
Dazu verlor der Minister hier im Plenum kein Wort, die Kanzlerin auch nicht. Stattdessen ließ sie am Donnerstag in einem Parteigremium die Katze aus dem Sack. Das wurde an Medien durchgestochen.
({5})
Ab Donnerstagabend gab es dann eine Berichterstattung dazu. Der Freitag war als Sitzungstag abgesagt. Später legte die Kanzlerin ihre Beweggründe nicht hier im Parlament, sondern in der Bundespressekonferenz dar.
({6})
Der Journalist Robin Alexander kommentierte die Vorgänge in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 22. Januar dieses Jahres wie folgt – ich zitiere –:
Blamiert ist der Bundestag ...
Und weiter:
... das grenzt an Selbstaufgabe.
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Meine Damen und Herren, das Parlament ist die Herzkammer unserer Demokratie. Behandelt wurde es in den letzten Wochen aber wie ein Wurmfortsatz.
({8})
Es sollte die gemeinsame Überzeugung aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier hier sein, das nicht länger hinzunehmen! Und dem dient unser Gesetzentwurf.
({9})
Die Bundesregierung verschärft mit ihrem neuerlichen Vorgehen ein altes Problem. Die Gewaltenteilung wird schon seit Jahren durch ein Phänomen untergraben, das der CDU-Kollege Thomas de Maizière in seinem sehr lesenswerten Buch „Regieren – Innenansichten der Politik“ wie folgt beschreibt – ich zitiere –:
Zentrale wichtige Entscheidungen verlagern sich zu sehr weg von Bundesregierung oder Koalitionsausschuss, Bundestag oder Bundesrat hin zu den Besprechungen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder.
Und seine Empfehlung ist – ich zitiere weiter –:
Die Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten darf nicht zur Hauptinstanz der politischen Willensbildung in Deutschland werden.
({10})
Meine Damen und Herren, der Kollege de Maizière hat recht. Aber das genaue Gegenteil betreibt diese Bundesregierung. Sie macht aus der MPK die „Hauptinstanz der politischen Willensbildung“ in der Pandemie. Das geht jetzt schon ein Jahr lang so. Wie lange wollen wir das eigentlich hier noch hinnehmen, meine Damen und Herren?
({11})
Bei der Stellung des Parlaments geht es nicht nur um demokratische Legitimation und um Gewaltenteilung, es geht auch um die Qualität der Beschlüsse, die am Ende dabei rauskommen. Die MPK ist auf Dauer kein gutes Entscheidungsformat. Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sind in der Coronakrise dauergestresst. Sie sind durchweg Generalisten, keine Spezialisten. Das Phänomen des Gruppendenkens setzt ein. Es führt selbst bei kompetenten Personen zu schlechteren und realitätsferneren Entscheidungen. Das hat die Wissenschaft immer wieder gezeigt. Zudem lassen mehr und mehr Aufmerksamkeit und Konzentration dort nach. Der Ministerpräsident Bodo Ramelow hat das erst vor wenigen Tagen in seinem Candy-Crush-Geständnis zugegeben, meine Damen und Herren.
({12})
So wundert es auch nicht, dass viele Ministerpräsidenten in der MPK immer wieder Beschlüssen zustimmen, von denen sie sich dann wenige Stunden später in Teilen wieder lossagen. Das ist doch verrückt! Und so wundert es auch nicht, dass nach solchen Sitzungen Novemberhilfen verkündet werden, die gegen das Beihilferecht der EU verstoßen, die dann erst wieder nachgebessert werden müssen mit der Folge, dass viele Betroffene heute immer noch auf diese Hilfen warten. Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger haben Besseres als das verdient! Und dem dient unser Gesetzentwurf.
({13})
Die Lösung für mehr parlamentarische Demokratie in der Pandemie sieht wie folgt aus: Möchte die Bundesregierung in der MPK eine bundesweit einheitliche Pandemiepolitik durchsetzen, dann braucht sie dafür auch eine Zustimmung des Deutschen Bundestages.
({14})
Denn bundesweite Angelegenheiten bedürfen einer bundespolitischen Legitimation.
({15})
Wenn nämlich die Bundesregierung mit bundesweiter Wirkung jenseits der technischen Kompetenzen des Bundes tätig wird, dann muss sie der Bundestag dabei auch politisch effektiv kontrollieren und steuern können. Und genau das ermöglicht unser Gesetzentwurf.
({16})
Der Bundestag ist auch schnell handlungsfähig; das hat er immer wieder bewiesen.
({17})
Die Bundeskanzlerin kann auch jederzeit eine Sondersitzung verlangen, schon von Verfassungs wegen.
({18})
Und deshalb frage ich mich, was man als Parlament überhaupt dagegen haben können sollte, seine Steuerungs- und Kontrollfunktion in dieser Weise effektiv auszuüben, meine Damen und Herren. Das sollte unser gemeinsames Interesse sein.
({19})
Dass man das Parlament in der Pandemie stärken kann, zeigt heute Morgen übrigens das Land Nordrhein-Westfalen: Die Koalition aus Union und FDP unter der Führung von Armin Laschet
({20})
und Joachim Stamp bringt in diesen Stunden ein „Gesetz zur parlamentarischen Absicherung der Rechtsetzung in der COVID-19 Pandemie“ ein.
({21})
Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt über diese Initiative, dass sie unter einem Motto von Willy Brandt stehen könnte:
({22})
„Mehr Demokratie wagen“. Wir wollen heute auch im Bund mehr Demokratie wagen, mehr parlamentarische Demokratie in der Pandemie wagen. Und genau dem dient unser Gesetzentwurf.
({23})
Nächster Redner ist der Kollege Rudolf Henke, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst begrüße ich mal den Wunsch nach einem bundeseinheitlich abgestimmten Vorgehen,
({0})
und ich begrüße auch, dass damit die gestern wiederholt vorgetragenen Plädoyers dafür wieder aufgegriffen werden.
Ich will an die gestern auch schon erwähnte Initiative des Landes Schleswig-Holstein erinnern:
({1})
Die Landesregierung Schleswig-Holsteins – unter Beteiligung der FDP, der Grünen und der Union –
({2})
schlägt vor, einen Perspektivplan für den Zeitraum ab 15. Februar bis April vorzulegen.
({3})
Der Bundesregierung vorzuwerfen, dass sie Pläne schmiedet, die sie mit den Ministerpräsidenten diskutieren will, und im Fall von Schleswig-Holstein zu sagen: „So ist es richtig“, das ist ein Widerspruch, den Sie erst mal auflösen müssten. – Erste Bemerkung.
({4})
Zweite Bemerkung. Fast alle Forderungen, die Sie hier vortragen,
({5})
sind bereits heute im Infektionsschutzgesetz vorgesehen, und sie werden auch bereits heute, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, in der Praxis gelebt,
({6})
und zwar durch ein allseits bekanntes Gesetz, dem Sie Mitte November – ich will über die Gründe nicht spekulieren – nicht zustimmen wollten: dem dritten Bevölkerungsschutzgesetz. Jetzt lese ich in Ihrer Begründung – Zitat –:
Der Deutsche Bundestag, der als Gesetzgeber auch die Möglichkeit hätte, das Bundesrecht zu ändern
({7})
und selbst hierdurch die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung zu vereinheitlichen …
Wenn das so ist,
({8})
dann nutzen Sie doch diese Möglichkeit!
({9})
Denn der Parlamentarismus würde doch damit gestärkt, wie Sie sagen, wenn Sie die Fehler, die die Koalition macht,
({10})
die die Ministerpräsidenten machen, hier konkret benennen würden und wenn Sie dann sagen würden:
({11})
Das holen wir zurück, dem stimmen wir zu, und das beschließen wir anders. – Aber warum machen Sie das denn hier nicht?
({12})
Sie haben die Möglichkeit.
Stattdessen konzentrieren Sie sich nur auf Verfahrensfragen.
({13})
Verfahrensfragen sind wichtig; aber diese Verfahrensfragen dürfen doch nicht dazu führen,
({14})
dass in der Bevölkerung der Eindruck entstehen muss, als wäre eine totale Uneinheitlichkeit da und als gäbe es keinen Diskurs, der vernünftig ist.
({15})
Und natürlich: Ich bin sehr dafür, dass wir die Parlamentsrechte stärken. Ich bin sehr dafür, dass wir in dieser Woche, ich glaube, 435 Minuten lang hier im Parlament über mit Covid zusammenhängende Sachverhalte diskutieren.
({16})
Ich bin sehr dafür, dass wir das stärker nach außen tragen. Aber ich kann doch, wenn ich 435 Minuten Parlamentszeit für die Covid-Debatten verwende, nicht sagen: „Es ist schlecht“, wenn sich dann auch mal die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten in dieser Ministerpräsidentenkonferenz verständigen.
Was wir brauchen, ist natürlich Kohärenz im Vorgehen. Und das, was wir heute liefern, ist leider Gottes – leider Gottes! – zu einem großen Teil nicht das Bemühen um Kohärenz, sondern vermittelt zu einem großen Teil den Eindruck, als ob die Zerstrittenheit und die Profilierung der einzelnen Oppositionsparteien im Vordergrund stehen sollten und müssten.
({17})
Herr Kollege Henke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin?
({0})
Bitte, ja, Frau Aschenberg-Dugnus, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Henke. – Würden Sie mir zustimmen, dass es nicht einem Parlamentsvorbehalt entspricht,
({0})
wenn man mal im Parlament darüber diskutiert,
({1})
und dass es ein Unterschied ist zwischen einem Parlamentsvorbehalt und einem Diskussionsvorbehalt nach dem Motto „Schön, dass wir mal darüber gesprochen haben“?
({2})
Parlamentsvorbehalt heißt, dass man vor den Entscheidungen
({3})
im Parlament darüber diskutiert und danach entscheidet.
({4})
Verehrte, liebe Kollegin Aschenberg-Dugnus, natürlich ist es ein Unterschied, ob Sie über einen Antrag diskutieren, ob Sie ein Gesetz verabschieden, ob Sie eine Verordnung in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Aber die Frage, wie wir mit diesen Themen umgehen, liegt doch bei Ihnen, bei uns und bei den Übrigen.
({0})
Deswegen ist doch diese Frage, wie wir uns dazu verhalten, eine, die von unseren Entscheidungen hier im Parlament abhängig ist.
Jetzt verstehe ich ja, dass Sie sagen: Das Bevölkerungsschutzgesetz, das uns diesen gesamten Raum gibt,
({1})
ist, weil wir als FDP ihm widersprochen haben, für uns nicht der Maßstab. – Aber es ist doch hier im Parlament beschlossen worden.
({2})
Wir haben es doch hier im Parlament mit der nötigen Mehrheit ausgestattet.
({3})
Jetzt können Sie doch auch jeden Paragrafen dieses Bevölkerungsschutzgesetzes nehmen und sagen: Den hätten wir gerne geändert. – Sie können auch jede Regelung, die der Bundesminister für Gesundheit oder die Bundeskanzlerin oder sonst jemand trifft, als übergriffig bezeichnen und dann sagen: Das muss zurückgenommen werden. -
({4})
Sie können sich dabei auf das Infektionsschutzgesetz und auf das Bevölkerungsschutzgesetz stützen. Aber warum tun Sie es denn nicht?
Sie tragen doch dort, wo Sie die Regierung mittragen, in aller Regel dazu bei, dass diese Beschlüsse tatsächlich auch umgesetzt werden. Ja, es regt mich auch auf,
({5})
dass nach jeder dieser Konferenzen, auf denen Einheitlichkeit verkündet wird, jeder Teilnehmer irgendeine Facette sucht, wo er ein bisschen abweicht. Aber wenn Sie sagen: „Wir wollen das nicht, wir wollen diesen Spielraum nicht“, dann könnten Sie doch auch konkret sagen: „Das, was jetzt abweicht in Nordrhein-Westfalen, das, was abweicht in Schleswig-Holstein, nehmen wir weg“, oder: Das, was in Baden-Württemberg abweicht, das, was in Hessen abweicht, soll unterbunden werden. – Aber darüber müssten wir dann hier diskutieren, und dann müssten Sie es sagen. Sie machen aber nur Verfahrensdebatten, und das finde ich etwas inhaltsarm.
({6})
Ein Bürger aus Ilsfeld in Baden-Württemberg – Herr Karl Kühner, den ich überhaupt nicht kenne – hat mich nach der letzten Sitzungswoche angeschrieben und darum gebeten, hier seinen Basisbürgergedanken vorzutragen – es ist nicht meiner, aber ich finde ihn interessant –, Zitat:
Dadurch, dass in den jetzigen Krisenzeiten die Theater geschlossen sind, schaue ich mir gerne Bundes- und Landtagsdebatten an;
({7})
denn da bekomme ich kostenlos Theater geboten. Es ist zwar traurig, dass ich so etwas schreiben muss, aber das Niveau hat doch deutlich nachgelassen.
({8})
Zitat Ende.
Herr Kollege Henke, es gibt noch eine Zwischenfrage von dem Kollegen Straetmanns, Die Linke.
Dann muss ich das nachher weiterführen. – Ja, gerne.
({0})
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege. – Ich glaube, eins ist doch klar geworden aus dem Antrag der FDP, aus unserem Antrag für ein Pandemiegesetz und aus Bemühungen der Grünen: dass wir insgesamt eine verstärkte Debatte nicht nur im Parlament einfordern und verlangen, sondern dass wir auch bessere Information haben wollen.
({0})
Wenn Sie sich hier dauerhaft verweigern, dann sorgen Sie auch dafür, dass die Akzeptanz aller Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise in der Bevölkerung immer mehr verloren geht.
({1})
Ich würde Ihnen empfehlen, sich doch mal den Ansichten der Opposition anzunähern; denn eine solche Krise kriegen wir nur gemeinsam in einem demokratischen Diskussions- und Entscheidungsprozess gelöst.
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Beispiel: Wir werden ja heute noch eine Debatte über die Frage haben, wie wir mit den Schnelltests umgehen wollen, den Antigentests, die nicht von Professionellen durchgeführt werden müssen, sondern die von den Bürgern selbst als Gurgeltest oder als Spucktest durchgeführt werden können.
({0})
Um diese Frage geht es in einem Antrag, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht hat. Frau Hilde Mattheis weiß, dass wir beide diese Frage in der vorigen Woche am Rande des Ausschusses für Gesundheit diskutiert haben. Wir haben sie auch mit dem Bundesminister für Gesundheit diskutiert, und wir haben – oh Wunder! – jetzt einen Referentenentwurf für eine Rechtsverordnung vorliegen, die genau diesen Punkt aufgreift.
Ich finde es falsch, die Dinge so darzustellen, als ob Ihre Themen nicht wahrgenommen würden und nicht diskutiert würden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Berichtspflicht der Bundesregierung ist ja nicht nur Gesetzestext, sondern sie ist auch gelebte Praxis. Wir haben sie im November in § 5 des Infektionsschutzgesetzes noch mal explizit bekräftigt.
({1})
Die Mitglieder des Gesundheitsausschusses und wir hier im Parlament wissen, dass wir inzwischen auch vor jeder Bund-Länder-Konferenz digitale Sondersitzungen des Ausschusses mit dem Bundesministerium für Gesundheit durchführen. Vielleicht sollten Sie sich in Ihren Fraktionen genauso mit den Gesundheitspolitikern austauschen, wie wir das in unseren Fraktionen machen. Vielleicht wäre das auch mal eine Idee, wie man den Informationsfluss verbessern könnte.
({2})
Ansonsten: Immer auf Verlangen. Und die Bundeskanzlerin steht hier auch in den Fragestunden der Bundesregierung Rede und Antwort.
Deswegen: Es ist legitim, diesen Antrag einzubringen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir den Antrag dann anschließend in der Ausschussberatung diskutieren;
({3})
da werden wir ihn auch noch mal auf Herz und Nieren prüfen. Aber Sie täten Ihrem eigenen Anliegen einen größeren Gefallen, wenn Sie sagen würden, was Sie geändert haben wollen, wo Sie andere Schwerpunkte setzen wollen, anstatt sich nur auf Verfahrensfragen zu konzentrieren.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Tobias Peterka, AfD.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Die FDP will die Gewaltenteilung retten; das habe ich zumindest kurz gedacht, als ich gestern den Gesetzentwurf gesehen habe. Aber seien wir doch mal ehrlich: Das wäre so, als würde man einen Hausbrand mit einer Flasche Selters löschen wollen, einen Hausbrand, bei dem die FDP selber fleißig mit gezündelt hat. Sie hat die epidemische Lage von nationaler Tragweite mitbeschlossen, den kritisierten Bund-Länder-Klüngel lange toleriert und noch selber ins Weltuntergangshorn mit gestoßen.
({0})
Und ja, ein bisschen wurde von der FDP immer traurig geschaut und dann auch – als Show – die Aufhebung der Lage beantragt. Im November wurde sich dann aber wieder nur enthalten; bravo, aber das reicht nicht, liebe FDP.
({1})
Bei der Covid-19-Welle haben unsere Entscheidungsträger auf allen Ebenen krachend versagt. „Staatsversagen“, nicht weniger wird in den Geschichtsbüchern stehen, nicht weniger wird in Jura- und Politikvorlesungen Einzug halten als klassisches Beispiel einer unverhältnismäßigen, panischen und arroganten Reaktion auf neue Sachlagen.
({2})
Ja, das Virus ist neu, das Virus ist für geschwächte Menschen nicht ungefährlich; aber wenn unsere gewählten Entscheidungsträger in Bund und Ländern derart kopflos nur in Maximalmaßnahmen reinrennen, dann ist das feige.
({3})
Wenn sie sich dafür ein verfassungsfremdes Direktorium gründen, das Grundrechte, Wirtschaft und Parlamente für zweitrangig erklärt, dann ist das gefährlich.
({4})
Das Direktorium „Bund-Länder-Runde“ ist verfassungswidrig. Es geht de facto weit über die Notstandsgesetzgebung der 1960er-Jahre hinaus.
({5})
Und wenn Sie mir jetzt damit kommen: „Es sind nur Empfehlungen, die Kommunen, die Länder können ja noch frei entscheiden“,
({6})
dann will ich Ihnen mal eines sagen: In dieser Bund-Länder-Runde herrscht schon lange die Bunkermentalität: Jetzt ist man so weit gegangen, jetzt muss im Nachhinein alles gerechtfertigt werden, von Merkel über Spahn bis zu Söder und jedem beliebigen Landrat – „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Ein ganz ungesunder Drall, der aus der panischen Angst vor dem Wähler gespeist wird.
({7})
Das, liebe FDP, wird jetzt alles dadurch geheilt, dass ein in der Mehrheit sowieso von Regierung und RKI beeinflusster Bundestag Coronamaßnahmen so hoppla-di- hopp absegnen soll, zur Not – also wohl in der Regel – sowieso im Nachhinein? Das ist doch ein Feigenblatt. Das Direktorium wird weiter dirigieren, dann eben über diese zusätzliche Bande. Als ob die Regierungsfraktionen ernsthaft Alternativen andenken würden! Als ob die Grünen ernsthaft zu echten Güterabwägungen in der Lage wären! Der Einsatz von Glaubwürdigkeit ist schon derart massenhaft auf den Pokertisch gelegt, dass es kein Zurück mehr gibt.
({8})
Recht behalten oder Abwahl, Sieg oder Untergang – das war noch immer die Losung in jedem Bunker.
Prost Mahlzeit!
({9})
Sabine Dittmar, SPD, ist die nächste Rednerin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, in den vergangenen Monaten haben Sie mit einigen durchaus guten parlamentarischen Initiativen wichtige Debatten in der Coronakrise bewegt und angeregt.
({0})
Der vorliegende Gesetzentwurf, den Sie mit „Stärkung des Parlaments“ überschreiben und zu dem Sie hier wieder sehr wortreich mit höchsten Appellen an die parlamentarische Demokratie vorgetragen haben, gehört definitiv nicht dazu.
({1})
Ihr politisches Kalkül ist leicht zu durchschauen; denn dort, wo Sie auf Landesebene mitregieren und in der Landesregierung Entscheidungsspielräume brauchen, haben Parlamentsrechte für Sie keinerlei Priorität.
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Blicken wir doch mal nach Nordrhein-Westfalen: „Gesetz zur parlamentarischen Absicherung der Rechtsetzung in der COVID-19 Pandemie“ steht über dem Gesetzentwurf; Sie haben es zitiert. In Ihrem Entwurf findet sich aber nichts, was auf eine stärkere Parlamentsbeteiligung hinweist. Sie wollen keinen Zustimmungsvorbehalt für das Parlament bei Verordnungen, die in Grundrechte eingreifen. Sie wollen kein Einspruchsrecht des Parlaments gegen alle anderen Verordnungen. Sie wollen keine verbindliche Abstimmung von Maßnahmen zwischen dem Parlament und der Landesregierung. Für die Unterrichtung des Parlaments genügt Ihnen einmal im Monat ein schriftlicher Bericht, „sobald die regierungsinterne Willensbildung abgeschlossen ist“. All das, wofür Sie hier auf Bundesebene so vehement streiten, ist der FDP auf Landesebene, wo nach dem Infektionsschutzgesetz wesentliche Entscheidungen mit Grundrechtsrelevanz für Bürgerinnen und Bürger zur Eindämmung der Pandemie beschlossen werden, nicht der Rede wert.
({3})
Das ist Ihr Verständnis von Parlamentsbeteiligung. Vielleicht schicken Sie Ihren nordrhein-westfälischen Kolleginnen und Kollegen beispielsweise das Berliner Covid-19-Parlamentsbeteiligungsgesetz; dort finden Sie wertvolle Anregungen.
({4})
Auf Bundesebene rufen Sie immer wieder nach mehr Parlamentsbeteiligung, obwohl dieses Parlament vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten hat und auch nutzt.
({5})
Wir haben die Bundesregierung gesetzlich verpflichtet, neben den Regierungsbefragungen dem Bundestag regelmäßig mündlich zu berichten. Darüber hinaus beraten wir hier in jeder Sitzungswoche seit Beginn der Pandemie in verschiedenen Debatten die Situation und das Geschehen,
({6})
erst gestern in einer Aktuellen Stunde, beantragt von den Koalitionsfraktionen, weil Die Linke die von ihr geplante abgesagt hat.
Uns ist es wichtig, das Thema hier zu debattieren. Der Bundestag wird im Februar eine Sitzungswoche vorziehen, um im Vorfeld des nächsten Treffens der Bund-Länder-Arbeitsgruppe die aktuelle Situation zu beraten. Wir beraten in Sonderausschusssitzungen vor und nach dem Bund-Länder-Treffen die Situation. Weil es Ihnen von der FDP politisch profitabel erscheint, fordern Sie trotzdem plakativ mehr parlamentarische Rechte ein, an anderer Stelle, dort, wo tatsächlich Entscheidungen zu treffen sind, aber leider nicht. Ihr Gesetzentwurf ist ein Feigenblatt und mehr auch nicht.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetz soll die Bundesregierung verpflichtet werden, eine Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen, wenn sie beabsichtigt, im Rahmen der Bund-Länder-Koordination bundeseinheitliche Maßnahmen herbeizuführen. Ich halte es für die ureigenste Aufgabe der Bundesregierung, in der Pandemiebekämpfung auf eine möglichst weitgehende Bundeseinheitlichkeit der Länderentscheidungen, abhängig vom jeweiligen Infektionsgeschehen, hinzuwirken.
({8})
Wir wissen doch nach einem Jahr Corona in Deutschland, dass die Eindämmung eines solchen flächendeckenden Infektionsgeschehens nur durch möglichst einheitliches und vergleichbares Handeln gelingt.
({9})
Aber am Ende sind es die Bundesländer, die nach geltendem Infektionsschutzgesetz konkrete Regelungen treffen sowie Absprachen und Verständigungen verbindlich umsetzen. Sie tun dies in eigener Verantwortung und Abwägung. Die konkrete Beteiligung der Parlamente an diesen Entscheidungen in vielen Bundesländern zeigt aber auch, dass Empfehlungen, Verabredungen der Bund-Länder-Konferenzen bei Weitem nicht nur blindlings nachvollzogen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Frage der Parlamentsbeteiligung auf Bundesebene immer wieder breit diskutiert und zuletzt im November im vergangenen Jahr im Dritten Bevölkerungsschutzgesetz auch eine ergänzende Regelung getroffen.
Ich denke, Transparenz, Information und Aufklärung über Entscheidungsprozesse sind uns allen ein wichtiges Anliegen. Deshalb beraten wir auch fraktionsübergreifend. Wir sind mit den Oppositionsfraktionen im Gespräch,
({10})
ob wir zum Beispiel einen – Arbeitstitel – „interdisziplinären Pandemieausschuss“ einsetzen können, um die regulären Arbeitsstrukturen sinnvoll zu ergänzen.
({11})
Kolleginnen und Kollegen, die Pandemie werden wir nur gemeinsam bekämpfen. Deshalb: Lassen Sie uns zusammenbleiben! Bleiben Sie gesund und passen Sie weiter auf sich und Ihre Nächsten auf!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({12})
Vielen Dank. – Als Nächster hat das Wort Jan Korte von der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich frage mich bei den Rednerinnen und Rednern der CDU/CSU und der SPD, warum sie in Pandemiezeiten hier überhaupt noch erscheinen. Also, wenn Sie finden, dass die Bundesregierung das mit den Ministerpräsidenten gut macht, dann können Sie einfach zu Hause bleiben.
({0})
Das kann doch nicht allen Ernstes Ihr Ansatz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Ich stelle heute fest: Die FDP hat zum zweiten Mal in dieser Wahlperiode einen brauchbaren Gesetzentwurf vorgelegt; den werden wir sehr wohlwollend begleiten.
({2})
Ich finde, darüber zu sprechen, ist sehr richtig und notwendig. Worum geht es? Alle kennen die berühmten Merkel-und-Ministerpräsidenten-Runden, wenn das ganze Land gebannt vor dem Bildschirm darauf wartet, was denn jetzt Neues verkündet wird. Das Grundproblem dabei ist doch Folgendes: Erstens ist diese Runde nirgendwo in der Verfassung überhaupt vorgesehen – daran muss man kurz erinnern –,
({3})
zweitens tagt diese Runde ausschließlich nichtöffentlich,
({4})
und drittens – das will ich dazusagen – wird sie von einem Gremium aus Beratern und Wissenschaftlern vorbereitet, dessen Zusammensetzung völlig intransparent ist und bei dem man sich fragt, ob das eigentlich nicht ein wenig einseitig ist. All das könnten wir mit dem Gesetzentwurf der FDP ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Ich will eines wirklich ganz deutlich sagen, das ist eine demokratische Grundsatzfrage: Wenn Grundrechte eingeschränkt werden, dann darf das niemals – das lehrt doch auch die Geschichte – durch Verordnungen und durch die Regierung geschehen.
({6})
Das muss hier diskutiert und hier entschieden oder abgelehnt werden. Das ist doch eine Grundsatzfrage. Ich verstehe nicht, wie man sich dem entziehen kann.
({7})
Und die Idee der Grundrechte ist doch gerade, dass Grundrechte natürlich auch und besonders in Krisenzeiten gelten und geschützt werden müssen. Deswegen kann man damit nicht so lax umgehen, wie das im letzten Jahr der Fall war, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Versammlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Religionsfreiheit: Diese so wertvollen Rechte können nicht einfach per Verordnung aufgehoben werden.
({9})
Sie sagen, dass hier ständig über diese ganzen Fragen diskutiert wird.
({10})
Ich will Ihnen mal eines sagen: Ohne den Druck der Öffentlichkeit
({11})
und durch die Medien und zumindest von einem Teil der Opposition, Kollege Grosse-Brömer, würde die Bundeskanzlerin hier gar nicht mehr einschweben und ihre Politik darstellen, um das mal klar zu sagen.
({12})
Das kommt doch nicht von Ihnen,
({13})
erzählen Sie doch nicht so einen Unsinn!
({14})
Die Grünen werden der Bundesregierung gleich zur Seite springen, ich weiß, das ist ja auch klar; das können Sie auch gleich machen.
({15})
Ich möchte aber noch mal deutlich sagen: Der Sinn dieser Ministerpräsidentenrunden ist doch, dass nicht danach – wenn gnädigerweise überhaupt –, sondern vorher die Bundeskanzlerin hier vorträgt, was sie dort gedenkt vorzuschlagen. Es ist doch auch logisch, so zu verfahren und nicht umgekehrt. Dann müssen wir darüber entscheiden, ob der Bundestag, jeder einzelne Abgeordnete, dem, was vorgeschlagen wird – zumindest was die bundeseinheitlichen Regelungen angeht –, zustimmen kann oder nicht.
({16})
Es ist doch ganz übersichtlich, so zu verfahren. Im Übrigen könnte es für die Bundesregierung, die im Moment wirklich viel zu tun hat – das Impfstoffdesaster und vieles andere mehr –, auch eine gewisse Hilfe und Unterstützung sein,
({17})
wenn sie zunächst einmal die Vorschläge verschiedener Fraktionen, verschiedener Abgeordnete hören könnte.
({18})
Ich glaube, das könnte hilfreich für Sie sein.
({19})
Letzter Punkt. Entscheidend ist doch, dass wir versuchen, die Akzeptanz in der Bevölkerung – sie sinkt! – zu erhöhen. Dadurch, dass wir die Maßnahmen hier transparent und breit diskutieren, können wir diese Akzeptanz wieder erhöhen und die Leute motivieren, mitzumachen. Denn dann werden sie sehen: Hier werden Sorgen und Ängste wahrgenommen. Hier werden vor allem auch die Schwächsten und Ärmsten thematisiert, die ansonsten keinen Zugang zur Öffentlichkeit haben. Das könnte die Akzeptanz erhöhen. Deswegen werden wir ausgesprochen wohlwollend und konstruktiv den heute vorgelegten Vorschlag der FDP unterstützen. Das sollten Sie auch tun.
Schönen Dank.
({20})
Vielen Dank. – Das Wort geht nun an Frau Dr. Manuela Rottmann von der Fraktion Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Marco Buschmann sich auf Willy Brandt bezieht,
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wenn er einen Gesetzentwurf einbringt, dann erwarte ich Großes. Die FDP kreißte, und sie gebar eine Ameise, und die Linkspartei ist darauf reingefallen.
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Wem oder was oder wozu – schon das steht nicht in Ihrem Gesetzentwurf – soll der Bundestag eigentlich zustimmen? Der Absicht der Bundesregierung, eine Bund-Länder-Koordinierung herbeizuführen? Termin, Tagesordnung und Kaffeepausen oder den Vorschlägen der Bundesregierung für die Koordinierung? Das beantworten Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht.
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Wir Grüne sind definitiv der Auffassung, dass das Informieren durch die Bundesregierung deutlich verbessert werden kann; das haben wir mehrfach beantragt.
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Wir kämpfen seit Monaten für die Einsetzung eines Pandemierats, und ich hoffe, dass das, was ich gerade von Sabine Dittmar gehört habe, nicht nur ein Versprechen war, aus dem wieder nichts wird.
Die FDP bescheidet sich in Ihrem Gesetzentwurf – oh wow wow – mit der Transparenz darüber – ich zitiere –, „mit welchen Vorschlägen“ die Bundesregierung „in die Bund-Länder-Koordination … hineingegangen ist und wie sich dies im Ergebnis widerspiegelt“. Das ist ja echt der Hammer!
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Was zur Hölle soll das? Sie stärken damit doch nicht den Bundestag, Sie machen aus ihm einen Schlaumeier am Spielfeldrand, der die Strichliste über gewonnene Zweikämpfe in der Ministerpräsidentenkonferenz führen darf.
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Diese Rolle mag Ihnen liegen, Herr Buschmann, uns liegt sie nicht.
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Was wer unter den Voraussetzungen der Pandemie darf, ist nicht ausreichend klar geregelt; da widerspreche ich Herrn Henke, und ich widerspreche auch Frau Dittmar. Der Bürger kann es nicht vorhersehen. Mit § 28a Infektionsschutzgesetz, der ein Schritt in die richtige Richtung ist, kommen wir nicht durch die nächsten Monate, davon bin ich überzeugt. Vielmehr müssen wir die Verordnungsermächtigungen im Infektionsschutzgesetz anpacken, die genauer gefasst werden müssen.
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Das mit der nötigen Flexibilität zu machen, ist wirklich schwierig.
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Die wesentlichen Entscheidungen müssen vom Bundestag selbst getroffen werden. Aber mit der Zustimmung zur Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz können Sie das doch nicht ersetzen. Nichts von dem, was die Wesentlichkeitstheorie verlangt, erfüllt der Gesetzentwurf der FDP.
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Zum Schluss. Wir hatten es ja jetzt wieder: Viele Männer präsentieren sich in den letzten Tagen als Experten für Kuschelopposition und wissen immer ganz genau, wer hier Kuschelopposition ist. – Ich will Ihnen mal sagen – ich habe viel mit Kollegen der Koalition geredet –, warum sich diese Koalition in manchen Punkten so stur weigert, die Verordnungsermächtigungen zu konkretisieren. Ich will es hier benennen, das hat einen Namen: Das ist Jens Spahn; wir haben das Problem nämlich nicht mit der Justizministerin. – Wenn ich richtig informiert bin, ist Ihr Fraktionsvorsitzender ganz eng mit Jens Spahn.
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Diesen Namen hier nicht zu nennen, ist die höchste Form von Kuschelopposition. Herzlichen Glückwunsch!
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Carsten Müller von der Fraktion der CDU/CSU.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich das Fazit meiner Rede gleich vorwegnehmen: Die FDP hätte bei ihrem Credo der momentanen Legislaturperiode bleiben sollen: besser kein Gesetzentwurf als ein grottenschlechter Gesetzentwurf. Dann wäre uns vieles erspart geblieben.
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Schon in Ihrer Grundannahme, die Ihrem Vorspann zu entnehmen ist, laufen Sie in die Irre. Ich zitiere:
Eine öffentliche Diskussion wie in einem Gesetzgebungsverfahren, in dem alle Positionen zu Wort kommen und Bedenken und Verbesserungsvorschläge vorgebracht werden können, findet nicht statt.
In der unmittelbar vorlaufenden Debatte rühmte sich Ihr Fraktionsvorsitzender, dass Sie in vielen Debatten irrsinnig gute Vorschläge eingebracht hätten. Da müssen Sie sich mal entscheiden: Gab es die Debatten, oder gab es sie nicht?
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Sie schreiben Unsinn, und diese Irreleitung erklärt auch Ihren abenteuerlichen Gesetzentwurf, meine Damen und Herren.
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Ich will Ihnen ein paar Beispiele geben: 435 Minuten – es ist genannt worden – diskutieren wir in dieser Woche über das Thema. Es gab 8 Aktuelle Stunden, 285 Anträge, mehr als 500 Kleine Anfragen, mehr als 1 500 schriftliche und 300 mündliche Fragen an die Bundesregierung, 6 Regierungserklärungen, 12 Regierungsbefragungen.
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Das Protokoll des Bundestages weist das Wort „Corona“ im letzten Jahr über 5 400-mal aus. Und – noch viel wichtiger – es gab 52 Gesetzgebungsverfahren, davon die meisten von der Koalition – sie sind auch die besten – sowie einige wenige von der Opposition, die keine Mehrheit gefunden haben. 52 Gesetzgebungsverfahren!
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In unterschiedlichen Ausschüssen und Expertenanhörungen wurde das Thema diskutiert.
Meine Damen und Herren, was mich besonders erschreckt: Ihre Ausführungen in Ihrem vorgelegten Gesetzentwurf – der passt übrigens auf eine DIN-A6-Seite in ausreichend großer Schrift –
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sind nicht nur irreführend, sondern auch unredlich. Sie sind deswegen unredlich, weil sie ein bewusst falsches Bild zeichnen, und das kennt man eigentlich nur von Ihren Sitznachbarn zur Rechten. Sie stellen sich dort in eine Reihe.
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– Sie kommen ab und zu mal mit rechts und links durcheinander. – Richtig ist allerdings, dass in diesem Haus kein Thema so intensiv wie das Coronathema im vergangenen Jahr und wahrscheinlich in der gesamten Geschichte des Bundestages diskutiert worden ist. Meine Damen und Herren, ich finde es auch unredlich, dass Sie die Abstimmungen zwischen Bund und den Ländern kritisieren und diskreditieren wollen.
Meine Damen und Herren, auf Basis der jeweils von den Parlamenten im Bund und in den Ländern beschlossenen gesetzlichen Rahmen sind genau dort, wo die Exekutive zum Handeln beauftragt ist, die Maßnahmen eingeleitet und verabschiedet worden. Jede der einzelnen Entscheidungen ist parlamentarisch kontrolliert und legitimiert.
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Wer etwas anderes behauptet – und das machen Sie –, legt die Axt an unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
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Meine Damen und Herren, Sie schreiben im Übrigen von bundeseinheitlichen Beschlüssen, die die Bundesregierung herbeizuführen beabsichtigt. Ich frage Sie: Was außer bundeseinheitlichen Beschlüssen soll die Bundesregierung denn sonst anstreben? Das zeigt schon mal, dass Sie sich auch in Ihren eigenen Texten vollkommen verheddert haben.
Meine Damen und Herren, ein Parlament muss nicht jeder Einzelmaßnahme der Exekutive, einer Regierung zustimmen.
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Die Kollegin der SPD hat es richtigerweise gesagt: In den Landesregierungen, in denen die FDP beteiligt ist – es ist zugegebenermaßen eine überschaubare Anzahl –, passiert das überhaupt nicht. Sie werden Ihren eigenen Ansprüchen überhaupt nicht gerecht. Meine Damen und Herren, wir haben den Gesetzentwurf sorgfältig gelesen.
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Das ging ja relativ schnell; bei intensiver Befassung mit Ihrem Gesetzentwurf braucht man etwa 15 Sekunden, um ihn vollständig durchzulesen. Sie werden Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Wir werden den Ansprüchen gerecht.
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Ein gutes Beispiel ist das Verfahren zum Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Nur am Rande – das ist einmal kurz erwähnt worden –: Sie wollten bereits feststellen lassen, dass es diese pandemische Lage nicht mehr gibt.
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Das zeigt: Sie sind staatsorganisatorisch und inhaltlich komplette Irrläufer. Erschreckend! Und, meine Damen und Herren, Ihnen ist offensichtlich – das wundert mich bei Ihnen, Dr. Buschmann – das Thema der Gewaltenteilung vollkommen abhandengekommen.
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Ich konzediere: Sie zeigen häufig eine ganz gute Präzision in Ihren Ausführungen. Davon ist bei Ihnen nichts mehr zu finden. Das Parlament kontrolliert die Regierung, es ersetzt nicht die Regierung!
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Ihrem Gesetzentwurf wohnt doch eines inne: der tiefe Schmerz, vor etwas über drei Jahren eine ähnlich irrsinnige Entscheidung getroffen zu haben wie mit diesem Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht.
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Meine Damen und Herren, ich will das Thema der Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung nicht noch ansprechen. Aber – das finde ich bemerkenswert – Sie erfreuen sich der Unterstützung der Linkspartei. Glückwunsch dazu! Sie sind endgültig in der politischen Candy-Crush-Liga angekommen.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Stephan Brandner von der AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alles wie immer: Frau Haßelmann ist hier schon wieder in Angriffsposition. – Aber ich kann Sie beruhigen, Frau Haßelmann: Ich lobe zunächst mal die Rede von Frau Rottmann. Tolle Rede! Inhaltlich haben Sie mir einiges weggenommen,
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deshalb kann ich mich umso kürzer fassen.
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Gute Rede auch von Herrn Müller. Ich weiß nicht, Herr Müller, ob Sie mitbekommen haben, dass Herr Buschmann dazwischengerufen hat, Sie seien ein Hetzer. Aber so sind halt die Reaktionen, wenn die Reden der FDP nicht so genehm sind.
Meine Damen und Herren, wir reden über einen Gesetzentwurf der FDP mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Parlaments in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite“. Da denkt man sich: Wow, bei dem Titel wird es jetzt richtig liberal, demokratisch und parlamentsstärkend. – Das denkt man aber nur kurz, nämlich solange, bis man Ihren Gesetzentwurf durchgesehen hat. Er besteht aus fünf Blättern, davon zwei nur halb beschrieben, eine Seite Floskeln, eine halbe Seite Namen, bleiben netto zweieinhalb Seiten.
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Die Gesetzesänderung umfasst gerade mal fünf Zeilen und zwei Sätze, die irgendwo im Infektionsschutzgesetz anzuhängen sind, und diese beiden Sätze sind inhaltlich auch noch von der AfD geklaut.
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Ich verweise beispielhaft auf unseren Antrag „Tiefe Grundrechtseingriffe bedürfen der parlamentarischen Kontrolle“ vom 1. Juli 2020, der vor über sieben Monaten von der AfD hier eingebracht wurde und den Sie gemeinsam mit allen Blockparteien abgelehnt haben. Es kreißte der Berg, Frau Rottmann, und gebar nicht einmal ein Mäuschen. Sie haben die Ameise genannt, auch die ist noch übertrieben.
Merken Sie was? Wir von der AfD bringen gute Gesetze, gute Ideen, gute Anträge ein.
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Sie von den Blockparteien lehnen sie geschlossen mit albernen Begründungsversuchen ab und bringen sie dann kurze Zeit später wieder ein. Das ist nicht gerade die feine englische Art. Aber was soll’s. Hauptsache, die AfD-Politik wird umgesetzt. Wir machen Politik über die Bande.
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Hier nun wieder ein FDP-Klassiker: gackern, wenn andere ein Ei legen, und sich selbst als politisches Windei erweisen. – Das sind Sie von der FDP: ein Fähnchen im Winde!
Genauso auch bei dieser Thematik: Lange Zeit gaben Sie sich ganz staatstragend und Merkel-berauscht. Christian Lindner – wo ist er eigentlich? Ihm ist der Gesetzentwurf wahrscheinlich so peinlich, dass er hier heute gar nicht auftaucht – jubelte zunächst über Klarheit, Besonnenheit, Transparenz der Bundesregierung. Sie müsse in dieser unsicheren Lage gestützt werden. Diejenigen, die jetzt für das Krisenmanagement Verantwortung trügen, müssten die ungeteilte Unterstützung des Parlaments erhalten. – Das war Christian Lindner im Nachgang zum Thüringen-Putsch. Da war einiges wiedergutzumachen.
Dann monatelanges Schweigen der FDP zu massiven Grundrechtseinschränkungen, zum Einsperren, zum Drangsalieren der Bürger,
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dafür aber weiterhin das Bejubeln von Merkel-Entscheidungen. Die gesamte Blockparteienschar einschließlich FDP scharte sich kritiklos und devot um Merkel. Dieses demokratischen Parteien völlig unwürdige, regierungstreue und unterwürfige Verhalten dauerte viele Monate an, in denen sich seit März 2020 die AfD als einzige Partei und Fraktion deutschlandweit
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gegen das nahezu absolutistische Exekutivherrschen in Deutschland stemmte: die Einzige, die für demokratische Zustände sorgen wollte, die Einzige, die die Thematik im Bundestag immer wieder ansprach, und die Einzige, die für Grundrechte und Bürgerrechte in diesem Land eingetreten ist –
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wie immer gegen Ihren Widerstand, wie immer gegen den Widerstand in Medien, Verbänden und Kirchen.
Nun, Herr Kubicki hat das aufmerksam verfolgt und hat wahrscheinlich dann gesagt: Leute von der FDP, macht doch mal irgendwas! – Und dann kam es – zwar sehr spät, oberflächlich und schlecht gemacht, aber immerhin – jetzt zu diesem Gesetzentwurf. Der aber, meine Damen und Herren, beweist auch, dass die FDP weder durchblickt noch Ahnung hat.
Was wollen Sie mit diesem Gesetzentwurf erreichen? Sie wollen diese verfassungswidrige Candy-Crush-Runde von Frau Merkel, diese Bund-Länder-Koordination, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf erwähnen, auch noch institutionalisieren. Also, Beschlüsse eines Gremiums, das keine verfassungsrechtliche Grundlage in Deutschland hat, das wir von der AfD von Anfang an kritisieren, wollen Sie jetzt über die Hintertür ins Infektionsschutzgesetz einbauen und diese Beschlüsse sozusagen irgendwie absegnen. Das ist mit der AfD nicht zu machen, liebe FDP.
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Was ihr hier vorgelegt habt, ist riesengroßer Murks. Ich hoffe: gut gedacht. Ich bin überzeugt: ganz schlecht gemacht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Hilde Mattheis von der SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine SPD-Fraktion und ich, wir nehmen für uns in Anspruch – ich glaube, das wird uns niemand versagen können –, dass wir zutiefst Demokratinnen und Demokraten sind
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– doch! –,
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dass wir das in der Vergangenheit immer bewiesen haben
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und dass wir in dem, was wir hier tun, genau diesen demokratischen Anspruch haben.
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Sie können mir glauben: Immer dann, wenn jemand Willy Brandt zitiert, geht unser Herz auf. Aber nicht immer dann, wenn Willy Brandt zitiert wird, ist das, wofür dieses Zitat als Begründung dient, richtig. Deshalb sage ich hier: Ich glaube, dass die FDP sich keinen Gefallen getan hat, diesen Gesetzentwurf vorzulegen.
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Wenn man sich den Text anguckt – das sind tatsächlich sechs dürre Zeilen –, dann sieht man: Das ist nichts anderes, als dass sich die Bundesregierung die Erlaubnis abholen soll, mit den Ministerpräsidenten zu reden.
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Das ist unter demokratischen Gesichtspunkten wirklich eine ziemlich dünne Nummer.
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Dann hätte ich Ihnen, Herr Korte, auch nicht geraten, das hier als einen brauchbaren Gesetzentwurf hochzustilisieren. Damit haben Sie Ihre ganze Argumentationskette eigentlich ad absurdum geführt. Ich glaube, dass uns allen klar ist: In diesen schwierigen Zeiten braucht es das Parlament, braucht es Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die sich mit genau diesen Dingen auseinandersetzen und die das auch transparent kommunizieren. Das tun wir.
Ich weiß nicht, wo Sie sind, wenn wir in den Ausschüssen reden. Wir von der SPD sind dabei. Wir wissen, wie viele Stunden wir uns damit selbstverständlich auseinandersetzen. Wir wissen, welche harten Nachfragen Herr Spahn da bekommt. Wir wissen, dass wir in internen Gremien, in jeder Fraktionssitzung genau dieses Thema rauf und runter diskutieren. Es vergeht keine Woche, in der wir darüber nicht mindestens zweimal debattieren.
Aber jetzt unter diesen Vorzeichen so einen Gesetzentwurf einzubringen, davon hätte ich Ihnen dringend abgeraten. Ich glaube – so habe ich die FDP bisher immer erlebt –, dass Ihnen Demokratie wichtig ist.
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Aber mit diesem Punkt hier wollen Sie medial einfach nur wieder mal vorkommen. Das ist schade. Damit tragen Sie nicht dazu bei, dass wir uns hier mit diesem Thema wirklich zielorientiert und sachorientiert auseinandersetzen. Das ist nur eine populistische Nummer; ich hätte Ihnen davon abgeraten.
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Wenn wir hier alle miteinander diskutieren, geht es uns doch vor allen Dingen darum, dass wir immer wieder auch reflektieren, ob die Maßnahmen, die getroffen worden sind, Maßnahmen zur jeweiligen Situationsbewältigung sind. Diesen Ansatz kann man uns ja hier wirklich nicht absprechen.
Ich glaube auch, dass wir mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz eine gute Grundlage gelegt haben. Damit war hier doch die Mehrheit des Parlaments einverstanden. Ja, wir sind immer wieder bereit, zu reflektieren, ob das, was wir beschlossen haben, auch jetzt noch richtig ist. Das werden wir auch in Zukunft tun. Man muss sich in der Politik auch immer wieder korrigieren, immer wieder anpassen dürfen.
Aber das sagt Ihr Gesetzentwurf nicht. Ihr Gesetzentwurf sagt: Bitte, Frau Merkel, holen Sie unser Einverständnis ein, mit den Ministerpräsidenten zu reden. – „Hallo?“, kann ich da nur sagen. Hallo? Dann hätte ich doch ganz gerne auch, dass die Ministerpräsidenten, die mit Frau Merkel reden, anschließend nach Hause gehen und bei dem bleiben, was sie mit Frau Merkel vereinbart haben.
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Mein Wahlkreis ist Ulm. Ich lebe in einem Bundesland mit grünem Ministerpräsidenten. Ich gucke über die Donau auf einen CSU-Ministerpräsidenten. Das ist nicht immer lustig.
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Menschen, die in Ulm wohnen und in Neu-Ulm arbeiten, wissen manchmal nämlich gar nicht, welche Maßnahme auf sie eigentlich zutrifft. Das ist ein bisschen schwierig. Also, vielleicht sollten wir uns, was die Kommunikation anbelangt, einfach mal auf das konzentrieren, was wirklich gebraucht wird.
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Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Susanne Ferschl von der Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat einige erstaunliche Argumente gebracht. Beachtlich finde ich allerdings, dass die Rede von den Grünen von den Fraktionen, die die Regierungskoalition stellen, mehr Applaus bekommen hat als von allen anderen. – Ich hoffe, Sie haben Ihre Oppositionsrolle noch nicht völlig vergessen.
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Wir als Linke begrüßen die Debatte, die die FDP initiiert hat. Es geht nämlich um eine Forderung, die wir schon seit Monaten erheben, nämlich dass dieses Parlament in der Pandemie gestärkt wird.
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Ich persönlich freue mich ja immer, wenn die FDP zu ihren urliberalen Themen greift und nicht zum Marktradikalismus.
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Im ersten Lockdown waren kurzfristige, einschneidende Maßnahmen notwendig, und auch heute besteht mit Blick auf die Infektions- und Todeszahlen Handlungsbedarf. Das Problem ist nur: Am Ablauf hat sich nichts geändert. Nach wie vor entscheidet die Klüngelrunde zwischen Ministerpräsidenten und Kanzlerin. Der Vorschlag aus dem Kanzleramt geistert schon Tage vorher durch die Presse. Am Entscheidungstag erfahren dann Deutschland und die gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Ergebnis irgendwann aus den Medien.
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Eines will ich Ihnen auf der Regierungsbank sagen: Die Debatte gehört raus aus dem Kanzleramt. Sie gehört hier rein, und zwar bevor die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin tagen. Das ist das, was Sie nicht verstehen wollen;
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denn nur hier wird öffentlich und transparent über den besten Weg gerungen, und alle Vorschläge und Bedenken werden diskutiert. Diese Debatte würde nicht nur die Qualität der Maßnahmen, sondern auch die Akzeptanz der Menschen erhöhen, und die ist dringend notwendig.
Aktuell ist keine Strategie erkennbar. Dieses Irrlichtern trifft auf eine erschöpfte Gesellschaft: auf Eltern, die mit Homeoffice und Homeschooling überfordert sind, auf Schulkinder, die Angst haben, zur Coronageneration zu werden, und auf Menschen, die zu Hause bleiben sollen; aber nicht überall ist es zu Hause schön. Die Verantwortung für das Infektionsgeschehen wird auf den Einzelnen runtergebrochen. Das fördert nicht die Solidarität, die die Kanzlerin ständig einfordert.
Ich fühle mich ein Stück weit in meine Kindheit zurückversetzt, als ich mit meinem Vater auf einer Wanderung war und ihn gefragt habe: „Papa, wie lange dauert es denn eigentlich noch?“, und er gesagt hat: Wir sind gleich da. – Und dann hat es stundenlang gedauert, und ich war frustriert. Genauso ist es jetzt: Wir hangeln uns von einer Verlängerung zur nächsten, ohne Ziel und ohne Plan. Ja, auch wenn die pandemische Lage dynamisch ist: Hauruck-Verfahren und par ordre de mufti als Regierungsstil sind jetzt überholt.
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Abschließend will ich noch eines sagen – spätestens da enden auch jegliche Gemeinsamkeiten mit der FDP –: Wir brauchen andere politische Weichenstellungen. Das Gesundheitswesen muss endlich der Marktlogik entzogen und entprivatisiert werden.
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Und der Sozialstaat muss ausgebaut werden. Das sichert auch die Demokratie.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort hat Britta Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fange mal so an: Nachdem ich Ihren Beitrag gehört habe, glaube ich, dass hier ein bisschen was in Schieflage geraten ist. Im Ziel sind wir uns einig, beim Weg haben wir unterschiedliche Auffassungen. Was ist daran so schlimm? Warum ist es eigentlich notwendig, das ins Lächerliche zu ziehen? Wenn Sie von den Linken sich Ihren eigenen Pandemie-Gesetzentwurf angucken und sich darauf beziehen würden, könnten sie diesen Gesetzentwurf nicht gut finden.
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Denn er ist in der Sache nicht gut.
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Und nur weil das Stichwort „Beteiligung“ darübersteht, ist doch nicht alles gut. Jetzt lasst uns doch wirklich mal in der Sache diskutieren.
Lieber Marco Buschmann, wir beide arbeiten sehr oft und sehr viel zusammen.
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Deshalb halte ich nichts von diesen ganzen Nummern nach dem Motto: „Wer ist hier die wahre Opposition? Und wer muss sich morgen überlegen, wo der Bleistift ist? Wer hat hier was vorbereitet oder nicht?“ Wir beide wissen nämlich sehr genau, wer hier Dinge für das Parlament, für die Ausschüsse und für die Frage, was im Geschäftsordnungsausschuss an Absicherung für die Beteiligung des Parlamentes erfolgt, vorbereitet.
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Im Ziel sind wir uns einig: Beratung, Entscheidung und Kontrolle liegen beim Parlament. Das müssen wir jeden Tag aufs Neue durchsetzen, und zwar gegenüber der Bundesregierung und der MPK.
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Ich habe schon vor zwei Jahren davor gewarnt, welche Entwicklung in großen Koalitionen das Institut der Ministerpräsidentenkonferenz, das es in der Verfassung nicht gibt, einnimmt. So weit, so schlecht.
Der vorgeschlagene Weg ist aber dennoch schlecht, und es ist legitim und richtig, im Parlament darüber zu diskutieren und darum zu ringen, was denn der beste Weg zur Parlamentsbeteiligung und zu deren Absicherung ist. Da sage ich für meine Fraktion – genauso wie die Kollegin Rottmann –: Es ist nicht der beste Weg, dass man das Gremium der Ministerpräsidenten- und Ministerpräsidentinnenkonferenz, das in der Verfassung keinen verbindlichen Rang hat, aber dennoch etwas regeln kann, quasi zu einem Gremium macht, das verbindliche Entscheidungen trifft. Das ist aber in Ihrem Gesetzentwurf so angelegt.
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Meine Damen und Herren, ich will die MPK nicht aufwerten, auf gar keinen Fall. Sie ist kein Institut, und deshalb trifft sie auch keine Entscheidungen. Sie kann Empfehlungen abgeben, die dann in den Landesparlamenten oder im Bundesparlament umgesetzt werden, oder, weil Sie dem mehrheitlich zugestimmt haben, per Rechtsverordnung einzelner Minister. Ich bin ganz klar dafür, dass wir Herrn Spahn ein paar Kompetenzen abnehmen.
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Ich freue mich, wenn im März alle dabei sind; denn dann stehen ganz viele Rechtsverordnungen zur Verlängerung an, meine Damen und Herren. Das sind harte Punkte.
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Auch vermisse ich im Gesetzentwurf der FDP den Parlamentsvorbehalt. Wo ist er denn? Der ist nämlich gerade nicht drin, wie Sie vorhin gesagt haben, Frau Aschenberg-Dugnus. Der ist nicht darin vorgesehen. Das ist auch ein Problem.
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Dann stellt sich die Frage: Warum suchen wir nicht noch zwei, drei andere Wege? Was ist mit Artikel 84 Absatz 2 Grundgesetz? Darüber können wir ja mal diskutieren. Was ist mit der Änderung des § 28 Infektionsschutzgesetz? Bitte, wo waren Sie denn da? Verdammt noch mal, wer hat denn die Begründung und die Befristung durchgesetzt in Gesprächen mit der SPD und der CDU/CSU?
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Das war verdammt mühsam, meine Damen und Herren.
Frau Kollegin.
Ich finde, wir sollten gemeinsam die wirklichen Parlamentsbeteiligungsfragen angehen. § 5 Infektionsschutzgesetz muss geändert werden. § 28 Infektionsschutzgesetz muss geändert werden. Wenn wir über die Stärkung des Parlamentes reden, dann in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren.
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Dazu haben wir schon Vorschläge gemacht. Sie liegen dem Parlament vor.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Ich bitte künftig um Einhaltung der Redezeiten.
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– Nein, sie war nicht verdoppelt.
Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion hat das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir drei Anmerkungen zum Gesetzentwurf der FDP:
Zunächst einmal – das ist die erste Anmerkung – erwecken Sie wiederholt den Eindruck, dass dieses Parlament im Rahmen der Pandemiebekämpfung nicht ausreichend beteiligt ist.
({0})
Das ist nicht richtig. Sie verschweigen nämlich – auch heute wieder – beflissentlich, dass über Corona in diesem Parlament – exklusiv über Corona – mehr als über hundertmal debattiert worden ist. Sie verschweigen, dass der Bundesgesundheitsminister, der auch heute bei der Debatte anwesend ist,
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in fast jeder Sitzung des Gesundheitsausschusses Rede und Antwort steht, und zwar allen Fraktionen.
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Und Sie verschweigen, dass das Bundesgesundheitsministerium allein bis zum 21. Januar dieses Jahres 103 Anfragen von Abgeordneten dieses Hauses bekommen und beantwortet hat. Unter Juristen, Kollege Buschmann, gestatte ich mir auch mal den lockeren Hinweis, dass es seit der Pandemie Hunderte Anträge auf gerichtliche Entscheidung im ganzen Land gab, und nicht einem einzigen dieser Anträge mit der Begründung stattgegeben wurde, dass dieser Deutsche Bundestag nicht ausreichend beteiligt gewesen ist.
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Ich möchte zur zweiten Anmerkung kommen. Sie suggerieren, dass der Bundestag für die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zuständig ist. Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner ist ein Spezialist darin. Mit betretener Miene tritt er vor die Kameras und ist besorgt über die parlamentarische Demokratie.
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Fakt ist, dass das, was er da sagt, meine Damen, meine Herren, mit der Realität und der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung nach unserem Grundgesetz überhaupt nichts zu tun hat.
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– Hören Sie mir zu! Sie haben vorhin selbst von Gewaltenteilung gesprochen.
Unser Staat wird getragen vom Grundsatz der Gewaltenteilung als wesentliches Staatsprinzip. Die Gewaltenteilung besteht aus drei Gewalten: die gesetzgebende Gewalt, die ausführende Gewalt und die rechtsprechende Gewalt. Das, was jetzt kommt, ist wirklich kein staatsrechtliches Hochreck,
({6})
sondern Wikipedia.
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Gesetzgebende Gewalt sind die Landtage und der Bundestag. Ausführende Gewalt – so steht es sogar in Wikipedia – sind die Regierungen und die Verwaltungen. Und die rechtsprechende Gewalt sind die Gerichte. Dennoch erwecken Sie immer wieder den Eindruck, dass, wenn die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zusammensitzen, etwas verfassungsrechtlich furchtbar Unanständiges passiert. Ich will Ihnen sagen, was da passiert: Da sitzen die zusammen, die nach unserer Verfassung zuständig sind für diese Maßnahmen der Exekutive;
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denn die Ministerpräsidenten stehen den Exekutivorganen der Länder vor. Wenn es um Gesetze geht, ist der Bundestag gefragt und sind auch die Landtage gefragt.
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Zusammenfassend muss man also sagen, dass das, was Sie uns heute vorgelegt haben, insoweit hanebüchen ist, weil es in eklatanter Art und Weise gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstößt. Sie fordern hier eine Zustimmung. Deswegen ist das, was Sie uns heute vorlegen, juristisch völlig wertlos.
Damit möchte ich zu meiner dritten Anmerkung kommen. Ich sage Ihnen von der FDP: Sie fahren einen gefährlichen Kurs, weil Sie ganz bewusst versuchen, bei den Menschen falsche Eindrücke zu erwecken.
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Das tun Sie letztendlich, um Wählerstimmen abzubekommen. Dazu sind Sie bereit – das ist es, was ich Ihnen persönlich vorwerfe –, eine Spaltung der Bevölkerung in Kauf zu nehmen.
Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner tritt in diesen Tagen vor die Kamera und spricht im Zusammenhang mit den Problemen beim Impfen von einem vorsätzlichen Versagen.
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Dass da Fehler passieren, will niemand wegdiskutieren. Hier aber zu behaupten, dass Menschen diese Fehler wissentlich und willentlich machen, ist unanständig!
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Ihr Bundestagsvizepräsident Kubicki forderte die Menschen Anfang November letzten Jahres, als es um den Lockdown light ging, auf, gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zu klagen.
({13})
– Ausnahmsweise mal richtig. -
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Gegen den Freistaat Bayern gab es über 500 Verfahren, keine zehn davon haben zum Erfolg geführt. Und das Problem an dieser Aussage ist: Er suggeriert damit, Corona sei nicht so schlimm, zumindest nicht so schlimm wie die Freiheitsbeschränkungen.
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Wir haben mittlerweile über 50 000 Tote im Land, weil es in der Bevölkerung tragischerweise zum Teil tatsächlich die Stimmungslage gibt, Corona sei nicht so schlimm. Deswegen sage ich Ihnen: Mit einer solchen Aussage wird er seiner Rolle als Bundestagsvizepräsident nicht gerecht.
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Auch das müssen Sie sich an einem solchen Tag wie heute mal sagen lassen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Heike Baehrens von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu wenig, zu schnell, zu langsam – so kritisierte gestern der Fraktionsvize der FDP, Michael Theurer, die Arbeit der Regierung. Große Töne für eine Partei, die im Juni 2020 groß auftrumpfen wollte mit einem Antrag, der die epidemische Lage für beendet erklärte. Wie gut, dass Sie selbst vor drei Jahren entschieden haben, keine Regierungsverantwortung in diesem Land zu übernehmen.
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In einer Debatte zu einem Sechszeilenantrag bleibt es nicht aus, dass man sich wiederholen muss.
In Ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf kritisieren Sie, dass keine öffentliche Debatte über Coronamaßnahmen geführt wurde. Meinen Sie das eigentlich wirklich ernst?
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Allein in dieser Woche – Sie haben es gerade gehört, Herr Dr. Buschmann – gibt es neun Einzeldebatten zu diesem wichtigen Thema. Hier ringen wir um den richtigen Weg in der Pandemiebekämpfung. Die öffentliche Diskussion über die Angemessenheit von Maßnahmen zur Bewältigung dieser großen Gesundheitskrise findet statt, und sie wird breit geführt. Es gibt keinen Grund, Zweifel an der Funktionsfähigkeit unseres Staates zu säen, wie es die FDP heute mit diesem Gesetzentwurf und mit so manch anderen Anfragen und Anträgen immer wieder tut. Das ist mehr als nur unnötig; denn damit zahlen Sie immer auch auf das Konto der Demokratieverächter ein, und das ist einfach schändlich, auch wenn Sie das vermutlich so nicht beabsichtigen.
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– Nein, das ist keine Unverschämtheit. Sie müssen das auch verantworten, was Sie bewirken.
Die öffentliche Debatte ist ein wesentliches Kernelement unserer Demokratie, und sie hat in den letzten Monaten immer wieder zu wichtigen Kurskorrekturen in dieser schwierigen Gesundheits- und Wirtschaftskrise geführt, eben weil unsere Demokratie funktioniert, weil hierzulande auch die Krisenpolitik demokratisch kontrolliert und begleitet wird.
Wenn es darum geht, die Kompetenzen des Parlaments in der Pandemiebekämpfung zu stärken, dann haben Sie uns als SPD-Fraktion an Ihrer Seite. In diesem Zusammenhang haben wir bereits im Herbst letzten Jahres wichtige Veränderungen vorgenommen und das Infektionsschutzgesetz präzisiert. Dafür ist es nicht nötig, die demokratische Legitimation des Krisenmanagements dieser Regierung anzuzweifeln.
Völlig zu Recht fordert die FDP in ihrem Gesetzentwurf Transparenz.
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Ja, es braucht und es gibt diese Transparenz. Jetzt lassen Sie mich noch einen etwas anderen Akzent in der Debatte setzen: Permanent wird über Vorüberlegungen, Forderungen, Zwischenstände und neue Ideen berichtet. Echte Experten und Tausende von Hobbyvirologen sowie selbsternannte Maskenberater wetteifern um den richtigen Weg und den Zugang zu den Mikrofonen. Die Omnipräsenz der Pandemiediskussionen und Sondersendungen in allen Medien und Netzwerken steigert bei vielen die Orientierungslosigkeit und vergrößert die Ungeduld. Was wir in dieser Phase zurückgehender, aber weiter hoher Infektionszahlen und besorgniserregender Mutationen wirklich brauchen, sind Durchhaltevermögen, Zutrauen in die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen und einen langen Atem.
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Darum rufe ich alle Demokratinnen und Demokraten in diesem Haus und in den anderen Parlamenten unseres Landes auf:
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Lassen Sie uns gemeinsam und verantwortungsvoll diesen Kraftakt stemmen, weiter nachschärfen, wo es nötig ist, und lockerlassen, wo es ohne Schaden möglich ist,
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aber vor allem weiter öffentlich für Verständnis und Akzeptanz werben. Denn es geht noch immer zuallererst darum, Gesundheit und Leben zu schützen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte spricht Erwin Rüddel von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP möchte, dass wir vorab etwas beschließen, was nachher als Ergebnis, als Kompromiss festgelegt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die Sorge um unser Grundgesetz und um die Grundrechte unserer Bürger in allen Ehren. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass ich mit dem Kollegen Professor Hirte vom Rechtsausschuss Anfang November letzten Jahres öffentlich dafür plädiert habe, die rechtlichen Möglichkeiten im Infektionsschutzgesetz zu präzisieren, damit die rechtlichen Grundlagen nachgeschärft werden können, wie es dann einige Tage später vom Bundestag in ähnlicher Form beschlossen wurde.
Niemand von uns hat ein Interesse daran, Rechte des Parlaments einzuschränken oder auszuhebeln. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass der Gesundheitsausschuss auf seine 140. Sitzung zusteuert und dass wir in diesem Monat bereits fünf Sitzungen hatten, an denen fast immer auch der Minister teilgenommen hat: viermal von fünfmal. Ich glaube, dass nächste Woche, also in der sitzungsfreien Woche, die nächste Sitzung stattfinden wird. Hier findet ein ausgesprochen sachkundiger, offener, transparenter Austausch statt. So viel zur praktischen Umsetzung und zur Parlamentsbeteiligung.
Aber werfen wir einen Blick auf die praktischen Konsequenzen, wenn der Entwurf der FDP Gesetz würde. Die Forderung nach einer Entscheidung „auf Vorrat“ seitens des Parlaments leuchtet mir schon deshalb nicht ein, weil die konkreten Beschlüsse von Bund und Ländern überhaupt erst aufgrund der Beratung in der Kanzlerinrunde zustande kommen.
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Zudem haben wir es aufgrund der Pandemie mit einer Situation zu tun, in der es jederzeit erforderlich sein kann, gezielt und unverzüglich zu handeln, um die Bevölkerung wirksam vor einem hochinfektiösen Virus zu schützen. Es liegt nun einmal in der Verantwortung der Politik, die vitalen und notwendigen Funktionen in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, und das erst recht angesichts möglicher Steigerungen bei Neuinfektionen und Todesfällen, dem Ausbruch lokaler Hotspots oder der drohenden Überlastung von Krankenhäusern.
Niemand bestreitet, dass die von der Kanzlerin und den Länderchefs praktizierte Bund-Länder-Koordination in der Verfassung nicht erwähnt wird. Sie wird vom Grundgesetz aber auch in keiner Weise ausgeschlossen. Überdies werden die Beschlüsse dieser Runde in der Regel gar nicht bundesweit einheitlich angewandt, sondern die einzelnen Länder setzen das eigenverantwortlich – häufig durchaus unterschiedlich – um, auch mit Beteiligung der FDP. Jemand, der als Erstes einen Sonderweg fordert, ist der stellvertretende Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, der in Berlin als Generalsekretär Ihrer Partei tätig ist. Der Appell der FDP sollte sich folglich an die Länder richten. Sie sind es, in deren originäre Kompetenz die Umsetzung der allermeisten Beschlüsse fällt. Die Länder können durch ihre Parlamente in Gesetzesform gießen, was die Runde mit der Kanzlerin beschlossen hat, wie es inzwischen ja teilweise geschieht.
Meine Damen und Herren, etwas anders verhält es sich mit der ergänzenden Forderung der FDP-Fraktion, für Beschlüsse der Bund-Länder-Koordinierung die nachträgliche Genehmigung durch den Deutschen Bundestag einzuholen. Darüber werden wir im Ausschuss sorgfältig beraten. Ich gebe allerdings zu bedenken, was ich soeben mit Blick auf die Kompetenzen gesagt habe: Die konkrete Umsetzung der Beschlüsse fällt zumeist in die Zuständigkeit der Bundesländer.
Lassen Sie mich abschließend aber nochmals mit Nachdruck unterstreichen, dass die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger nicht in Gefahr sind. Außergewöhnliche Notlagen sind stets Stunden der Exekutive.
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Aber unser Parlament, der Deutsche Bundestag, steht keineswegs außen vor. Basis des staatlichen Handelns ist hier das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, über das wir im November diskutiert und entschieden haben. Dieses Gesetz läuft Ende März aus. Dann wird es eine neue Debatte geben. Darauf bin ich gespannt.
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Fest steht: Das Parlament hat das letzte Wort.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Cyberbedrohungslage in unserem Land ist anhaltend hoch. Der Bericht zur Lage der IT-Sicherheit 2020 belegt es eindrucksvoll: Die Zahl der Schadprogramme hat die Milliardengrenze überschritten. Täglich gibt es 320 000 neue Schadprogrammversionen. Die Angriffsmethoden werden immer aggressiver, insbesondere durch Erpressung von Beteiligten.
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Glücklicherweise ist uns in den letzten Tagen im Kampf gegen die Schadsoftware Emotet ein großer Erfolg gelungen. In der Ukraine konnte ein Tatverdächtiger von Spezialeinheiten in seiner Wohnung festgenommen werden, während er dort am Rechner saß. Der Beschuldigte scheint kooperativ zu sein. Zugangsdaten für die Deaktivierung der Emotet-Infrastruktur konnten erlangt werden. Die infizierten Systeme kommunizieren jetzt nicht mehr mit der Täterinfrastruktur, sondern mit einem BKA-Beweissicherungssystem. Das ist gleichbedeutend mit der erfolgreichen Übernahme und Zerschlagung weiter Teile der Emotet-Infrastruktur. So können wir die Opfer ermitteln, ansprechen und ihnen bei der Bereinigung ihrer Systeme behilflich sein.
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Das ist eine wirklich gute Nachricht. Ich bin sehr froh, dass wir dies auch der hervorragenden Arbeit des Bundeskriminalamtes und der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität zu verdanken haben, denen ich hier meinen Dank aussprechen möchte.
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Emotet zeigt, wie wichtig die IT-Sicherheit für uns alle ist. Das erste IT-Sicherheitsgesetz 2015 war bereits ein wesentlicher Schritt zur Schaffung von mehr Cyber- und IT-Sicherheit in Deutschland. Ein hohes Schutzniveau erfordert aber gerade in diesem Bereich, der sehr dynamisch ist, eine stetige Anpassung an die rasanten technischen Entwicklungen.
Mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0, das wir heute in erster Lesung beraten, stärken wir den rechtlichen Rahmen und setzen den Koalitionsvertrag um. Der Gesetzentwurf – das möchte ich gleich vorweg sagen – enthält mehr als die ohnehin wichtigen Regelungen zu 5G, nämlich erstens den Schutz der Wirtschaft und der Allgemeinheit durch einen besseren Schutz der kritischen Infrastruktur und kritischer Komponenten und weiterer Unternehmen im öffentlichen Interesse, zweitens den Verbraucherschutz durch das BSI – ein Sicherheitskennzeichen des BSI soll zunehmend die Funktion eines Verbraucherschutzes für alle übernehmen – und drittens den Schutz der Bundesverwaltung durch Kontrolle und Mindeststandards.
Cybersicherheit der oft diskutierten 5G-Mobilfunknetze, das sind die zukünftigen Datenautobahnen; sie bieten zahlreiche Chancen und Anwendungsfelder, etwa bei der Mobilität und bei der Fabrik der Zukunft: Die Absicherung dieser Netze muss daher möglichst umfassend gewährleistet sein. Technische und nichttechnische Risiken wehren wir mit der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs ab: Den Netzbetreibern werden hohe Sicherheitsanforderungen vorgegeben. Kritische Komponenten müssen zertifiziert werden. Es gibt künftig ein gesetzliches Verfahren, das die Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit der Hersteller ermöglicht und als Ultima Ratio auch eine Ex-ante-Untersagung des Einsatzes bestimmter Komponenten, das heißt: Untersagung vor Einbau.
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Das wurde lange diskutiert. Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung dem Parlament diese weitreichenden Vorschläge machen kann.
Neben den kritischen Infrastrukturen sollen jetzt auch Unternehmen erfasst werden, die für unser Leben von zentraler Bedeutung sind – Unternehmen in besonderem öffentlichen Interesse, wie wir sie im Gesetzentwurf nennen –, etwa Unternehmen im Rüstungsbereich, aber auch Unternehmen, die besondere Bedeutung für die Volkswirtschaft haben. Beispiel: Bei einem großen deutschen Autobauer stehen aufgrund einer Cyberattacke zwei Wochen lang die Fließbänder still. Das hat natürlich auch gesamtwirtschaftliche Bedeutung.
Vertrauen, meine Damen und Herren, ist eine Schlüsselressource in der Cybersicherheit. Unternehmen sollen in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem BSI auf mehr Sicherheit hinwirken: durch bessere Information, Austausch relevanter Erkennungsmuster für Systeme und überhaupt – viele erkennen die Angriffe gar nicht – zur Angriffserkennung. Risiken bestehen zunehmend auch in Verbraucherhaushalten, zum Beispiel durch die Vernetzung von Geräten – „Internet der Dinge“ als Stichwort, „der smarte Kühlschrank“ als weiteres Stichwort. Mehr Vernetzung bedeutet nämlich mehr Risiken, etwa weil Geräte zu Botnetzen zusammengeschaltet werden.
Verbraucherschutz wird im Aufgabenkatalog unserer Bundesoberbehörde BSI verankert. Verbraucher sollen von dem freiwilligen IT-Sicherheitskennzeichen profitieren, das die IT-Sicherheit eines Produktes für den Verbraucher sichtbar macht und auf das er sich auch verlassen kann. Beim Kauf beispielsweise eines smarten Kühlschranks soll der Verbraucher also nicht nur den Energieverbrauch am Energielabel sehen können, sondern auch die enthaltenen Cybersicherheitsfunktionen.
Schließlich und letztens noch der Schutz der Bundesverwaltung, ein ganz wichtiger Punkt. Wir konnten bisher alle Angriffe abwehren. Das zeigt auch das hohe Niveau unserer Bundesbehörden. Das soll jetzt durch dieses Gesetz noch stärker gestaltet werden.
Ich möchte abschließend sagen: Die letzten Monate in der Pandemie haben uns allen deutlich vor Augen geführt, wie wichtig IT-Sicherheit ist, wie wichtig aber auch die Nutzung von IT anstelle der Zettelwirtschaft ist und dass dieser Digitalisierungsschub, der jetzt eingetreten ist, mit mehr Sicherheit verbunden wird. Mehr Nutzung braucht auch mehr Sicherheit. Deshalb gibt es dieses Sicherheitsgesetz 2.0. Ich bitte um Ihre Unterstützung und schließlich dann auch um eine rechtzeitige Verabschiedung dieses wichtigen Gesetzes.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Joana Cotar von der AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Über zwei Jahre warteten wir jetzt auf das IT-Sicherheitsgesetz 2.0. Die Bedrohungslage im Bereich der IT-Sicherheit hat deutlich zugenommen. Der Schutz von kritischen Infrastrukturen – Energie, Wasser, Telekommunikation – muss erhöht und den neuesten Entwicklungen angepasst werden. Immer wieder haben wir von der Opposition nach dem Stand des Gesetzes gefragt, immer wieder wurden wir vertröstet. Jetzt, kurz vor Weihnachten, war es dann soweit, und dann musste auch alles ganz schnell gehen; denn die Legislatur neigt sich dem Ende zu.
So kam, was kommen musste: Für einen wirklich durchdachten Gesetzentwurf hat es nicht mehr gereicht. Ich fühle mich an die Digitalstrategie der Bundesregierung erinnert. Auch hier: kein klares Konzept, keine Definition von Schutzzielen, keine wirkliche Strategie zur Verbesserung der Sicherheitslage, nur ein fröhliches Nebeneinander verschiedener Behördenwünsche, purer Aktionismus, garniert mit ein bisschen Hilflosigkeit.
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Dabei hätte es so einfach sein können. Das Allerwichtigste ist die Evaluierung des IT-Sicherheitsgesetzes 1.0, die wir von der AfD fordern. In der ersten Fassung des Gesetzes, der von 2015, ist diese vorgeschrieben. Doch das haben Sie in bekannter Art einfach ignoriert. Zu untersuchen, was im ersten Gesetz funktioniert hat und was nicht, was Sinn gemacht hat und was nicht, wo Fehler gemacht wurden, die wir jetzt in der Neuauflage verhindern können, das wäre wirklich sinnvoll gewesen.
Doch Entscheidungen aufgrund von exakten Daten und Realitäten zu treffen, das ist anscheinend nicht so Ihr Ding, werte Bundesregierung. Das haben Sie auch beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz bewiesen: Das wurde verschärft, bevor es evaluiert wurde.
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Damit man Ihnen das beim nächsten IT-Sicherheitsgesetz nicht wieder unter die Nase reiben kann, haben Sie die Evaluierung jetzt einfach ganz rausgelassen. So kann man es auch machen.
Die zweite Chance, die Sie verpasst haben, ist die Einbindung der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie haben ihnen einen Tag gegeben, um das Gesetz zu lesen und darauf zu reagieren –einen Tag für ein Gesetz, das erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird. Der Chaos Computer Club nennt das eine gezielte Sabotage demokratischer Prozesse. Die AG KRITIS geht sogar noch weiter und spricht von einem „Mittelfinger ins Gesicht der Zivilgesellschaft“.
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Beide haben recht. Diese Art des Umgangs ist ein Unding, meine Damen und Herren, und darf sich so nicht wiederholen.
Kommen wir zum BSI. Das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik wird durch dieses Gesetz mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet und entwickelt sich zu einer Art Polizeibehörde inklusive der Lizenz zum Hacken, dem aktiven Eingreifen in die IT-Sicherheit von Unternehmen, der Ausweitung von Speicherung von Protokolldaten und der Zurückhaltung von Informationen bezüglich Sicherheitslücken. All das sehen wir von der AfD kritisch; gerade Letzteres birgt große Gefahren. Wer bewusst Sicherheitslücken offenlässt, um Behörden Zugriff zu verschaffen, gefährdet die gesamte IT-Sicherheit, meine Damen und Herren.
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Solche Lücken müssen, sobald sie entdeckt werden, an die Unternehmen weitergegeben werden, um maximale Sicherheit der IT-Systeme zu garantieren.
Letzter Punkt. Sie haben es in diesem Gesetz sehr bewusst vermieden, eine klare und endgültige politische Entscheidung darüber zu treffen, ob staatsnahe Netzwerkausrüster aus undemokratischen Ländern am 5G-Ausbau beteiligt werden dürfen, zum Beispiel Huawei. Wollen wir unsere kritische Infrastruktur wirklich in die Hände der Chinesen legen, wenn wir doch gute europäische Alternativen haben? Sie sind doch sonst immer für die EU! Wieso nicht in diesem Fall, wo es ausnahmsweise mal wirklich Sinn machen würde, meine Damen und Herren?
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Liegt das vielleicht daran, dass Huawei Ihre Parteitage sponsert, liebe CDU und liebe SPD?
Fakt ist: Der vorgelegte Gesetzentwurf gefährdet einen schnellen und rechtssicheren Ausbau der Netze. Hier muss endlich eine klare Entscheidung getroffen werden. Suchen Sie noch ein bisschen. Vielleicht bekommen Sie ja noch irgendwie den Mut, vor der Verabschiedung dieses Gesetzes doch noch eine klare Entscheidung zu treffen.
Fazit: Das Gesetz ist ein Kessel Buntes. Die Schnelligkeit, mit der es zusammengeschustert worden ist, merkt man ihm deutlich an. Wir sehen erheblichen Nachbesserungsbedarf und werden dem so nicht zustimmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort Sebastian Hartmann von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein moderner Staat gewährt und sichert Sicherheit. Gerade der moderne demokratische Rechtstaat sichert diese Sicherheit, weil sie Voraussetzung für die Freiheit in unserem Land ist. Deswegen wird mit zunehmender Verschmelzung von analoger und digitaler Sicherheit die Bedeutung von IT-Sicherheit immer wichtiger.
Wir sind stolz darauf, dass wir in Deutschland bereits vor fünf Jahren das IT-Sicherheitsgesetz 1.0 beschlossen haben und dass wir in diesem Koalitionsvertrag auch vereinbart haben, das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 vorzulegen. Natürlich ist es lange überfällig, dass es zu einem Update unseres Betriebssystems kommt, dass wir eben auch auf Erfahrung und entsprechende Gefahren in unserem Rechtstaat noch mal neu reagieren können.
Es sind Hunderte von Schadprogrammen angesprochen worden, die Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger in unserem Land bedrohen. Wir haben erlebt, dass Arzneimittelbehörden der europäischen Ebene angegriffen worden sind oder dass auch Unikliniken plötzlich vor der Herausforderung standen, dass sie sich nicht mehr um Patientinnen und Patienten kümmern konnten. Umso wichtiger ist es, dass wir als Koalition jetzt reagieren und dass endlich das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 vorliegt.
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Es ist nicht so, dass dem keine Entscheidungen vorausgegangen sind. Wir haben über die Monate gerungen, und es ist in mancher öffentlichen Debatte etwas verkürzt worden, als ob es ausschließlich um die kritischen Komponenten oder bestimmte Hersteller und Ausrüster geht. Hier ist ein gangbarer Weg gefunden worden, dass man eben die technische Überprüfung kritischer Komponenten klar von einer politisch-strategischen Entscheidung trennt, für die ein deutscher Staat auch auf europäischer Ebene einstehen muss, weil wir europäische digitale Souveränität wollen.
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Ein weiterer Gedanke ist, dass wir dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik auch eine zentrale Rolle zuweisen. Die Stärkung der Säule des Verbraucherschutzes hat hier besondere Bedeutung. So geht damit einher, dass wir Hunderte von neuen Stellen eingerichtet haben und dafür sorgen, dass mehr Mittel zur Verfügung stehen und dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land darauf verlassen können: Das BSI steht an ihrer Seite. – Wir sollten nicht vergessen, dass ein Viertel aller Deutschen, statistisch gesehen, schon einmal Opfer von Cyberkriminalität geworden sind.
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Der nächste Gedanke ist, dass wir natürlich auch dafür sorgen müssen, dass nun das parlamentarische Verfahren beginnt. Hier schlägt die Stunde des Parlaments, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier kommen wir nun zu unserer Verantwortung.
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– Ich bin mir sehr sicher, Herr Kollege von Notz, dass wir zum Beispiel über Fragen, welche Fristen wir brauchen, wenn es um entsprechende IT-Komponenten geht, die verbaut werden, oder auch über Fragen, wie wir den Verbraucherschutz noch stärken können, nun im parlamentarischen Verfahren auch unter Einbeziehung der kritischen, konstruktiven und demokratischen Opposition sicher reden werden, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, der FDP und den Linken.
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Dazu gehört aber auch, dass wir dann Hinweise aus der Community ernst nehmen: Die Verbände, die Initiativen,
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aber auch die Unternehmen haben sich entsprechend positioniert. Das wird nun in der parlamentarischen Beratung auch eine wesentliche Rolle spielen. Es gilt das Struck’sche Gesetz.
Aber eines sollten wir hier gemeinsam vereinbaren: Nachdem es so lange gebraucht hat, bis das Parlament mit diesem Gesetz erreicht worden ist, sollten wir uns darauf verständigen, dass es in dieser Legislaturperiode endlich zum überfälligen Update unseres Betriebssystems kommt. Das sind wir der IT-Sicherheit schuldig. Das sind wir allen Bürgerinnen und Bürgern im Land schuldig. Denken Sie auch an diejenigen, die gerade wegen Corona den Schub in der Digitalisierung erfahren haben. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass wir uns nun darum kümmern. Damit haben wir eine gute Vorlage, die in diesem Parlament zur Beratung ansteht.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Manuel Höferlin von der FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wurde gestern darauf angesprochen, dass wir heute über das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 entscheiden. Man könnte fast den Eindruck haben – so lange reden wir schon darüber –, es läge jetzt etwas zum Beschließen vor. Dabei ist es erst jetzt endlich eingebracht. Man könnte meinen: Was lange währt, wird endlich gut. – Hm, ja, Sie haben richtig gesagt, Herr Innenminister: „Die Cybersicherheit ist die Achillesferse der modernen Gesellschaft“, der Informationsgesellschaft; so würde ich sie nennen. Deshalb ist Cybersicherheit auch wirklich wichtig. Aber so richtig gut finden wir Freie Demokraten an vielen Stellen das IT-Sicherheitsgesetz nicht. Vor allen Dingen fehlen einige wesentliche Dinge, und auf die möchte ich jetzt gerne eingehen.
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Drei Punkte habe ich mir herausgesucht; es gibt noch mehr.
Erster Punkt. Ich kann es wirklich nicht verstehen: Sie haben es nach so langer Zeit nicht geschafft, ein echtes Schwachstellenmanagement in einem IT-Sicherheitsgesetz zu verankern. Es geht doch darum, dass neben einer Meldepflicht zum Beispiel auch ein Rückkanal aufgebaut wird, dass die Unternehmen auch etwas zurückkriegen, informiert werden. Außerdem – das fordern wir Freie Demokraten schon lange – müssen alle staatlichen Stellen Sicherheitslücken und Schwachstellen in der Software dem BSI melden. Diese müssen auch den Herstellern gemeldet und zeitnah geschlossen, ansonsten veröffentlicht werden. Das ist der einzige Weg, Cybersicherheit herzustellen, wenn Sie es wirklich ernst nehmen, Herr Minister.
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Zum IT-Sicherheitskennzeichen. Ich würde mal sagen, ich nenne es gerne auch „Aufkleber auf Software“. Lassen Sie das kurz mal wirken! Alles, was wir haben, auch die Hardware, wird mit Patches und Updates permanent bespielt. Die Sicherheitslücken entstehen ja gerade dann – das haben wir bei aktuellen Sicherheitsvorfällen wieder gemerkt –, wenn diese Patches Schadsoftware enthalten. Deswegen reicht es eben nicht, dass Sie ein freiwilliges Sicherheitskennzeichen machen, mit dem gesagt wird: Es wird schon alles gut. – Haben Sie doch mal den Mut, eine Produkthaftung für diese Hersteller einzuführen, sodass sie am Ende, wenn sie grob fahrlässig, obwohl sie es zugesagt haben, keine Updates und keine Patches aufspielen, eben auch für den Schaden haften. Das wäre etwas, was die Cybersicherheit voranbringen würde, meine Damen und Herren.
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Zuletzt zum BSI. Sie haben uns auf Ihrer Seite, wenn Sie das BSI zu einer der zentralen Cybersicherheitsstellen in Deutschland ausbauen wollen. Sie haben in den letzten fünf Jahren den Personalaufwuchs dort massiv zu Recht vorangetrieben. Sie haben das Personal in den letzten fünf Jahren verdoppelt, wenn ich es richtig im Kopf habe. Aber das BSI gerät zunehmend in die Schere zwischen dem Schließen von Sicherheitslücken und – in Ihrem Haus, Herr Minister – dem Offenhalten von Sicherheitslücken,
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um Staatstrojaner, Onlinedurchsuchungen etc. weiter durchsetzen zu können. Es spielt keine Rolle, ob Sie das „Backdoor“ oder „Frontdoor“ nennen; am Ende geht es darum, dass dies nicht der Cybersicherheit dient. Nehmen Sie das BSI endlich aus dem BMI raus! Wir würden vorschlagen – Sie wissen das –, Sie unterstellen es einem Digitalministerium. Da gehört es hin; da sind die Nerds unter sich und können die Cybersicherheit am Ende gewährleisten.
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Meine Damen und Herren, wir Freie Demokraten werden das IT-Sicherheitsgesetz positiv begleiten. Sie werden eine große Anzahl von Änderungsanträgen von uns bekommen. Schreiben Sie sie ab, fügen Sie sie ein, damit das IT-Sicherheitsgesetz am Ende so gut wird, dass die Dinge, die fehlen, auch noch drin sind!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Als Nächstes geht das Wort an Anke Domscheit-Berg von der Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere digitale Gesellschaft ist äußerst verwundbar, wenn ihre IT nicht sicher ist. Deshalb ist dieses Gesetz ja so wichtig, und deshalb ist es unerträglich, dass die Bundesregierung es so in den Sand setzt.
Schon sein Entstehungsprozess war ein Problem. Völlig zu Recht gab es harte Kritik aus der Zivilgesellschaft – ich zitiere: das war ein Stinkefinger ins Gesicht der Demokratie –, weil ein Gesetzentwurf über ein Jahr herumlag und dann für den letzten von vier Entwürfen, die in vier Wochen kamen, nur 24 Stunden zur Kommentierung für Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft bereitstanden und darin keine einzige Änderung markiert war, als gäbe es keinen Änderungsmodus.
Außerdem war in Version eins des Gesetzes eine Evaluation „unter Einbeziehung eines wissenschaftlichen Sachverständigen“ vorgeschrieben, und das neue Gesetz kommt trotzdem ohne diese. Die Bundesregierung macht dieses neue Gesetz, ohne eine Ahnung zu haben, ob die Maßnahmen im ersten Gesetz überhaupt zur Erhöhung der IT-Sicherheit beitragen oder eben nicht. Als Linksfraktion fordern wir faktenbasierte Politik und eine zeitnahe Evaluation.
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Wenn das einzige Ziel dieses Gesetzentwurfes wäre, die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von IT-Systemen sicherzustellen, dann müssten sich ja unsere langfristigen Forderungen darin finden, das BSI endlich unabhängig vom BMI und seinen Geheimdiensten zu machen.
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Das BSI müsste endlich verpflichtet sein, jede einzelne gefundene Sicherheitslücke sofort den Herstellern zu melden, damit sie geschlossen wird. Aber beides ist immer noch nicht der Fall. Es geht gar nicht nur um die Widerstandsfähigkeit der IT gegen Angriffe; es geht auch um die Befähigung der Geheimdienste, gefundene Sicherheitslücken für Überwachungstätigkeiten ausnutzen zu können. Die Bundesregierung unterwandert damit weiterhin unser aller IT-Sicherheit. Das lehnen wir entschieden ab.
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Aber auch im Detail geht der Gesetzentwurf am Ziel vorbei. So ist das geplante IT-Sicherheitskennzeichen völlig überflüssig, sinnlos und kein Beitrag zum Verbraucherschutz.
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Es ist überflüssig; denn im neuen § 9a des BSI-Gesetzes soll bereits die Umsetzung eines europäischen Kennzeichens stehen. Warum denn dann ein deutsches Sonderkennzeichen in § 9c? Es ist auch sinnlos; denn es ist freiwillig. Und ganz anders, als Sie, Herr Seehofer, behaupten, gibt es künftig keine Chance für Verbraucher, unsichere Produkte zu erkennen. Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Dann gibt es nämlich nur noch Kühlschränke, auf denen „A+++“ steht, weil alle anderen gar kein Label haben. Niemand erklärt sein eigenes Produkt freiwillig für unsicher.
Das Kennzeichen basiert außerdem nur auf Selbsterklärungen der Hersteller; eine Prüfung erfolgt nur anhand der Plausibilität eingereichter Papiere. Nur manchmal, optional, gibt es eine Prüfung, ob die Selbsterklärung überhaupt den Tatsachen entspricht. Nach dem Cybersecurity Act der EU hätte das Kennzeichen damit völlig zu Recht die Vertrauenswürdigkeitsstufe „niedrig“.
Dieses Gesetz, Herr Seehofer, ist eine einzige Sicherheitslücke. Als Linksfraktion werden wir das nicht mittragen.
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Im Übrigen gehören Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht ins Strafrecht. § 219a gehört abgeschafft.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Ich erteile das Wort Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vom Stuxnet-Angriff 2010 bis SolarWinds jetzt gerade – auch der Minister hat es gesagt –: Im Bereich der IT-Sicherheit brennt die Hütte lichterloh. Sie brennt lichterloh; darauf weisen wir aus der Opposition hier seit vielen Jahren hin. Und was hat die Bundesregierung die letzten zwei Jahre gemacht? Nichts. Sie haben nicht geliefert, meine Damen und Herren.
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Statt zu regulieren und Standards zu setzen, haben Sie vollkommen sinnfreie 5G-Diskussionen über einzelne Anbieter geführt. Sie halten an den Instrumenten der Massenüberwachung fest, und Sie handeln und hehlen selbst mit Sicherheitslücken. Wer so agiert, der dokumentiert sein eigenes Unverständnis bei einem der drängendsten sicherheitspolitischen Themen unserer Zeit.
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Dem Staat kommt eine direkte Verantwortung – ja, eine Pflicht – für den Schutz unserer digitalen Infrastruktur zu. Sie agieren aber nicht dementsprechend; vielmehr tun Sie das Gegenteil. Das BMI – es ist hier mehrfach gesagt worden – sinniert über das Aufbrechen von Kryptografie. Während Sie den Bürgerinnen und Bürger in allen Sonntagsreden sagen: „Ihr müsst verschlüsseln“, reden Sie über das Brechen von Verschlüsselungen. Sie schreiben überall „Vorratsdatenspeicherung“ rein, obwohl sie europarechtswidrig ist. Das ist kontraproduktiv. Das hilft niemandem weiter.
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Ihre Bilanz in diesem Bereich ist verheerend. Deshalb brauchen wir eine konsequente Kehrtwende. Jetzt legen Sie in der letzten Kurve dieser Legislatur zwar diesen Gesetzentwurf vor, aber er enthält diese Kehrtwende nicht. Nur ein Beispiel – Kollege Höferlin hat es angesprochen –: Das BSI bauen Sie zu einer Art Ersatznachrichtendienst aus; dabei müssten Sie es unabhängig stellen.
Herr Kollege Hartmann, es gibt viele gute Vorschläge, die Sie – wie ich es verstanden habe – jetzt alle aufnehmen werden. Wir brauchen klare Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung und neue Strukturen zur Erkennung hybrider Bedrohungslagen. Wir brauchen Rechtsgrundlagen, zum Beispiel für die Zusammenarbeit im Cyber-Abwehrzentrum. Wir brauchen die Meldepflicht für Sicherheitslücken.
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Wir brauchen eine durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, neue Haftungsregeln, weniger Massenüberwachung und mehr freie und offene Software. Das Beispiel SolarWinds zeigt: Wir brauchen endlich klare Vorgaben bei der Zertifizierung, beim Erstellen und Verbauen von Software. All das bleiben Sie hier und heute schuldig, und das nach zwei Jahren Stillstand. Meine Damen und Herren, so geht es nicht!
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Wir haben zu all diesen Themen Vorschläge vorgelegt. Sie haben es geschafft, innerhalb Ihrer kurz gesetzten Fristen alle Verbände maximal auf die Palme zu bringen. Das muss man erst mal hinkriegen, bei einem so wichtigen Thema so desaströs vorzugehen. Wir stehen trotzdem für konstruktive Gespräche zur Verfügung. Ich sage Ihnen auch: Meine Hoffnung, dass wir in diesem wichtigen Bereich zu irgendetwas kommen, stirbt langsam. Deswegen: Geben Sie sich einen Ruck! Das Thema ist zu drängend, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Thorsten Frei von der Fraktion der CDU/CSU.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um den Rahmen noch etwas größer zu ziehen: Das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 ist ein ganz zentrales Sicherheitsgesetz. Es ist aber nicht das einzige, das wir zum Ende dieser Legislaturperiode hier noch durchs Parlament bringen möchten; vielmehr sehen wir es in einem durchaus größeren Rahmen. Wir werden Sicherheit in allen Bestandteilen ausbuchstabieren.
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Es ist zu Recht in dieser Debatte deutlich gemacht worden, dass dieses Gesetz eine lange Vorgeschichte hat. Nun höre ich, dass wir hier etwas schnell durchs Parlament peitschen wollten und dass es keine Debatte in der Zivilgesellschaft und im öffentlichen Raum gegeben habe. Nein, dieses Gesetz hat eine lange Vorgeschichte. Es ist auch nie herumgelegen, sondern es ist in den unterschiedlichsten Bereichen breit diskutiert worden.
Ein Thema stand dabei besonders im öffentlichen Fokus; das heißt aber nicht, dass es das einzige gewesen wäre, das wir bearbeitet hätten. Im besonderen öffentlichen Interesse stand die Frage: Welche Telekommunikationsausrüster dürfen sich am Aufbau der 5G-Infrastruktur in Deutschland beteiligen? Auch die Frage „Ist es möglich, dass man eine Ex-ante-Untersagungsmöglichkeit dann schafft, wenn überwiegende öffentliche Interessen dagegenstehen, wenn es also vor allem um sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland geht?“ ist mit diesem Gesetzentwurf klar beantwortet, und diese Antwort deckt sich mit dem, was die Regierungsfraktionen Union und SPD bereits vor einem Jahr in Positionspapieren formuliert haben. Wir sind sehr zufrieden mit dem Gesetzentwurf, der heute auf dem Tisch dieses Hauses liegt.
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Es ist vollkommen klar: Ja, wir brauchen die Möglichkeit, dass die Regierung beschließen kann – wenn elementare Sicherheitsinteressen unseres Landes berührt sind –, auch ex ante eine solche Untersagung zu erlassen. Woran liegt das? Was ist der leitende Gedanke? Wir haben es beim 5G-Netz mit einem System, mit einer Infrastruktur zu tun, die hoch dynamisch und komplex ist und bei der die technischen Überwachungsmöglichkeiten durchaus begrenzt sind. Deswegen müssen an die Sicherheit, aber auch an die Vertrauenswürdigkeit ganz besondere Anforderungen gestellt werden.
Wir sind mit dem Gesetzentwurf auf der Höhe der Zeit. Wenn sich nämlich die Untersagungsmöglichkeiten auf kritische Komponenten bezieht, dann machen wir das nicht statisch, sondern behalten letztlich die Dynamik des Netzausbaus im Blick, indem wir sagen: Heute sind periphere Netze keine kritische Infrastruktur, aber sie können es mit dem weiteren Ausbau des Netzes durchaus werden.
Es ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, dass dies nur ein Bestandteil des IT-Sicherheitsgesetzes ist. Wir regeln darin vieles andere mehr. Gerade die aktuellen Ereignisse – der Bundesminister ist darauf eingegangen – zeigen doch, wie notwendig das ist – nicht nur, weil wir in Zeiten der Coronapandemie merken, wie das Digitale immer mehr unser gesamtes Leben und das der gesamten Bevölkerung durchströmt.
Wenn wir Sicherheit in den Netzen nicht gewährleisten können, dann kostet das enorme Summen Geld. Emotet beispielsweise hat in Deutschland Stadtverwaltungen, Gerichte, Krankenhäuser und kritische Infrastruktur angegriffen. Der Schaden in Deutschland – nur der, der bekannt ist – beträgt 14,5 Millionen Euro; weltweit sind es vermutlich 2,5 Milliarden US-Dollar oder noch sehr viel mehr. Das macht doch deutlich: Wir müssen in diesem Bereich aufrüsten. Das ist unsere Verantwortung. Das ist Teil unseres Sicherheitsversprechens an die Menschen in unserem Land.
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Deshalb ist es richtig, dass wir das BSI, unsere technische Cyberabwehrbehörde, massiv gestärkt haben und, Herr Höferlin, in den letzten fünf Jahren die Personalzahl nicht nur verdoppelt haben, sondern um 231 Prozent gesteigert haben. Damit machen wir die Behörde fit für die Herausforderungen, die jetzt auf sie zukommen. Das bedeutet noch besseren Schutz, nicht nur für die Bundesbehörden, sondern insbesondere auch für die Gesellschaft. Dazu gehört, dass wir den Verbraucherschutz stärken. Dazu gehört auch, dass wir mit einem einheitlichen IT-Sicherheitssiegel die Möglichkeiten für Verbraucher, sich ein Bild zu machen, stärken. Wir brauchen natürlich auch eine bessere Zusammenarbeit der Länder. Wir brauchen dort Unterstützungsmöglichkeiten, weil sich der Cyberraum eben nicht an Ländergrenzen orientiert.
All das ist in diesem Gesetzentwurf drin. Deswegen ist es ein guter Gesetzentwurf. Wir werden ihn jetzt gemeinsam beraten. Ich bin absolut zuversichtlich, dass wir es hinkriegen, ihn gemeinsam zügig durch das Parlament zu bringen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Die Aussprache wird beendet mit dem Redebeitrag von Falko Mohrs für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, wir sind abhängig in Deutschland: abhängig vom Funktionieren unserer Infrastruktur, abhängig davon, dass insbesondere kritische Infrastrukturen wie unser Energienetz oder das Telekommunikationsnetz funktionieren. Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen bei Fragen von Redundanzen und Plan B bedarf es gerade im Bereich der Cybersicherheit einer zusätzlichen Anstrengung, um unsere Sicherheit, um unsere kritischen Infrastrukturen zu schützen.
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– Ich sehe, es ist erkannt worden. Herzlichen Dank dafür.
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Wenn wir die Infrastrukturen im Cyberbereich schützen wollen, dann – es ist eben schon zur Sprache gekommen – müssen wir darüber debattieren, wie massiv sich die Bedrohungslage in den letzten Jahren verändert hat. Wenn dann von einigen noch behauptet wird, es gebe ja gar keine Evidenz dafür, gar keine Betrachtung der Lage, wie sich das, was sich dort in den letzten Jahren entwickelt hat, ausgewirkt hat, dann ist das völlig falsch. Sie lesen offensichtlich den jedes Jahr erscheinenden Lagebericht des BSI überhaupt nicht. Denn dann würden Sie sehen, in welche Richtung sich die Bedrohung tatsächlich entwickelt hat, und dann würden Sie auch begreifen, dass das, was hier mit dem Gesetz heute vorgelegt wird, eine gute, eine wichtige Antwort auf diese veränderte Bedrohungslage ist, meine Damen und Herren.
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Wir haben in der Debatte über einen Bereich, in dem es sozusagen um das Nervensystem unserer Infrastruktur geht, um die Telekommunikation, in dem es um 5G, die fünfte Mobilfunkgeneration, geht, in der Tat sehr intensiv und hart gerungen. Ich hätte mir manchmal gewünscht, es wäre weniger öffentlich gewesen. Ich hätte mir an vielen Stellen gewünscht, es wäre deutlich schneller gegangen. Aber wir haben jetzt am Ende einen Weg eingeschlagen, bei dem wir sagen: Es gibt eben beides:
Es gibt auf der einen Seite eine technische Überprüfung der kritischen Komponenten. Das heißt, dass eben nicht einfach geglaubt wird, was irgendwo vorgelegt wird, sondern es wird technisch überprüft.
Weil wir aber der festen Überzeugung sind, dass beispielsweise bei Software mit Codes mit einem Umfang von Millionen von Zeilen eben nicht alles technisch überprüfbar ist, gibt es danebengestellt eine Vertrauenswürdigkeitsüberprüfung, eine politische Überprüfung. Und das, meine Damen und Herren, ist ein wichtiges Element, das wir in der Debatte in den letzten anderthalb Jahren erreicht haben.
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Darüber bin ich froh, auch wenn sich manche, die in den letzten, ich sage mal, zwei Jahren nicht immer die Vorkämpfer für diese Maßnahme waren, hierfür applaudieren lassen. Ich finde es aber gut, dass wir am Ende das in den Gesetzentwurf bekommen haben. Meine Damen und Herren, wir schaffen also hier mit diesem Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die Beratungen im parlamentarischen Verfahren.
Herr von Notz, wir nehmen gute Vorschläge bestimmt gerne auf. Sie haben eben den kritischen Blick schon in die richtige Richtung gewendet. Weniger gute Vorschläge werden wir aber eben nicht aufnehmen; so ist das nun mal im Leben.
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass es uns in den anstehenden parlamentarischen Beratungen gelingen wird, ein gutes Update für das IT-Sicherheitsgesetz vorzulegen. Ich freue mich auf die Beratungen.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht einmal zweieinhalb Jahre her, dass hier in Berlin ein Wohngipfel stattgefunden hat – mit allen Akteuren der Wohnungswirtschaft, und seitdem ist viel passiert. Die Bundesregierung hat einschließlich des heute zu beratenden Gesetzes praktisch alle Maßnahmen umgesetzt.
Sie wissen, unser Ziel ist, 1,5 Millionen neue Wohnungen fertigzustellen bzw. in Bau befindlich zu haben. Dieses Ziel werden wir innerhalb der uns selbst gesetzten Marke von vier Jahren erreichen. Der Bund investiert auf Rekordniveau in den sozialen Wohnungsbau. Wir stellen bis 2021 5 Milliarden Euro zur Verfügung, und damit werden mehr als 100 000 versprochene Sozialwohnungen gebaut.
({0})
Die Städtebauförderung bleibt ebenfalls auf Rekordniveau. Das Baukindergeld ist eine sprichwörtliche Erfolgsgeschichte. Wir haben die steuerliche Absetzbarkeit von Wohnungsbau verbessert. Und worauf ich besonders stolz bin: Wir haben in dieser Legislaturperiode das Wohngeld zweimal erhöht und nach jahrzehntelangem Kampf endlich dynamisiert.
({1})
Das heißt: automatische Anpassung an die steigenden Lebenshaltungskosten. – Auch das ist eigentlich einen Beifall wert.
({2})
Jetzt nun als weiterer Meilenstein der Wohnungsbaupolitik das Baulandmobilisierungsgesetz. Die Formel ist einfach: Ohne Bauland keine neuen Wohnungen. Und wir setzen mit diesem Gesetz genau da an. Wir nutzen alle rechtlichen Stellschrauben, um den Wohnungsbau zu erleichtern, vereinfachen die Verfahren und beschleunigen Prozesse, wenn Wohnraum geschaffen wird, und Wohnraum – ich kann das nicht oft genug sagen – ist die soziale Frage unserer Zeit.
({3})
Die Kommunen sollen leichter Bauland mobilisieren können; Baugenehmigungen sollen leichter erstellt werden.
Worauf es mir bei diesem Gesetz besonders ankommt: Wir haben als Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf ausschließlich Dinge realisiert, die in der Baulandkommission beschlossen wurden oder die von den Koalitionsspitzen in Koalitionsbeschlüssen vereinbart worden sind.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage von dem Abgeordneten Klaus Mindrup?
Ja.
({0})
– Ist ja unser Partner.
({1})
Herr Minister, herzlichen Dank. – Vielleicht wäre es ja noch gekommen; aber es ist immer schwierig, vorauszusagen, was in der Rede noch kommt.
Sie haben eben betont, wie wichtig der Neubau ist, und das unterstütze ich auch ausdrücklich. Wir haben im Koalitionsvertrag auch geregelt, dass bezahlbarer Wohnraum ausdrücklich zu sichern ist. Das ist ja auch noch ein ganz wichtiges Ziel, das wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Ich kann mich noch gut an die Verhandlungen erinnern. Vielleicht erinnern Sie sich noch an das erste Gespräch, das wir hatten. Da ging es um die Frage des Umwandlungsschutzes. Ich möchte aus einem Protokoll der Bayerischen Staatsregierung bzw. aus einem Bericht der Kabinettssitzung vom 4. Februar 2014 zitieren; vielleicht können Sie sich noch daran erinnern.
({0})
Da gab es eine Pressekonferenz mit Ihnen in Ihrer alten Funktion. Dort haben Sie die Einführung des Genehmigungsvorbehaltes in Milieuschutzgebieten vereinbart. Dort wird ausdrücklich gesagt:
Die Einführung des Genehmigungsvorbehalts
– also der Umwandlungsschutz, in diesem Fall in Milieuschutzgebieten –
dient gleichfalls einem besseren Mieterschutz. Damit setzen wir um, was wir vor der Landtagswahl angekündigt hatten und was im vergangenen Jahr am Widerstand der FDP gescheitert war.
({1})
Sie haben also in der Koalition mit der FDP diesen Mieterschutz in Milieuschutzgebieten offenbar nicht hinbekommen. Als Sie alleine regiert haben, haben Sie es hinbekommen.
Wir wollen jetzt diesen Mieterschutz – so war es ja auf dem Mietengipfel bei der Bundeskanzlerin vereinbart, und so ist es im Koalitionsausschuss vereinbart worden – ausdehnen: auch außerhalb der Milieuschutzgebiete. Meine Frage ist: Was brauchen Sie denn noch an Unterstützung aus der Bevölkerung, damit wir das auch hinkriegen?
({2})
Denn der Widerstand kommt ja diesmal nicht nur aus der FDP, sondern auch noch aus Ihren eigenen Reihen.
Herzlichen Dank.
({3})
Also, ich habe ja gerade darauf hingewiesen, Herr Kollege, dass wir alles, was wir umsetzen, mit den Koalitionsspitzen besprochen bzw. in der Baulandkommission erarbeitet haben. Es waren also so ziemlich alle beteiligt. Man kann gerade bei diesem Gesetz nicht oft genug darauf hinweisen.
Dazu kommt, dass das, was vereinbart ist, auch meiner persönlichen Überzeugung entspricht,
({0})
gerade aus der Erfahrung von zehn Jahren in der Verantwortung in Bayern. Da waren wir mit der FDP sehr unterschiedlicher Ansicht. Das hat der FDP dann in der Wahl 2013 offensichtlich ein bisschen Belastungen verschafft; dafür kann ich aber nichts. Ich hatte ihr prophezeit, dass dies so kommen wird.
Deshalb bin ich froh, dass wir, wie ich finde, eine auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft stehende Regel zum Umwandlungsrecht gefunden haben, die im Gesetzgebungsverfahren durchaus noch mal unter die Lupe genommen werden kann –
({1})
– Ja. – Zum Beispiel: Auf den Fall, dass jemand zur Alterssicherung eine Eigentumswohnung hat und die umwandeln möchte, weil er sie jetzt vermietet hat, kann man noch mal schauen, dass man das sehr sauber absichert, damit das eine Ziel, die Mieter zu schützen, nicht das andere Ziel konterkariert, dass ein gesunder Wohnungsmarkt auch Wohnungseigentum braucht. Beides gehört zusammen.
({2})
Deshalb ist – dies haben Sie mir durch Ihre Frage vorweggenommen; sie war aber nicht bestellt –
({3})
eine Umwandlungsregelung in diesem Gesetzentwurf vorgesehen. Sie wurde von den Partei- und Fraktionsvorsitzenden in Auftrag gegeben. Dass da unterschiedliche Ansichten bestehen, haben Sie alle ja mitbekommen.
Wir haben den sektoralen Bebauungsplan, und wir haben das Vorkaufsrecht – damit stützen wir unsere Kommunen –, aber nicht im Sinne von Enteignungsmaßnahmen oder Ähnlichem, sondern auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft.
({4})
Ich denke, das ist jetzt der letzte Baustein, den wir auf Grundlage der Beschlüsse des Wohnungsgipfels noch realisieren. Ich hoffe darauf, dass wir den Gesetzentwurf jetzt zügig beraten. Wir sind – das sage ich auch im Nachklapp zur gerade beendeten Diskussion zur Digitalisierung – ja immer bereit, bei Gesetzentwürfen mitzuwirken: Wie kann man sie noch optimieren? Wie kann man sie verbessern? Gemeinsames Ziel muss immer bleiben, dass wir die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum im Auge haben. Das muss unser Ziel bleiben. Dem dient auch dieser Gesetzentwurf – nach vielen anderen Dingen, die wir in dieser Legislatur schon gemacht haben und die garantieren, dass wir die Ziele, die wir uns in der Großen Koalition gesetzt haben, auch erreichen.
Ich bitte also um konstruktive Beratungen in den nächsten Wochen und zügige Verabschiedung.
Danke.
({5})
Vielen Dank, Herr Minister. – Das Wort geht an Marc Bernhard von der AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist in mehrfacher Hinsicht ein Offenbarungseid dieser Regierung. Sie wollen die Krise auf dem Wohnungsmarkt, die durch Ihre katastrophale Wir-haben-Platz-Politik verursacht wurde, auf Kosten der Bürger ausbaden.
({0})
Dieser Gesetzentwurf zeigt ganz offensichtlich, dass die Bundesregierung keinen Respekt vor dem Eigentum der Menschen hat und die Wohnungskrise seit Jahren nicht in den Griff bekommt.
({1})
Jetzt wollen Sie den Eigentümern nach Mietpreisbremse und Mietpreisbindung noch ein Verkaufsverbot aufdrücken. Ihr sogenanntes Baulandmobilisierungsgesetz ist ein einziger Etikettenschwindel. Richtig müsste es „Baulandsozialisierungsgesetz“ heißen;
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denn Sie wollen ja offensichtlich gar kein Bauland mobilisieren. Sie wollen insbesondere durch ein Umwandlungsverbot von Mietwohnungen in Eigentum den Markt an Eigentumswohnungen künstlich verknappen.
Während die Wohneigentumsquote in Rumänien bei 96 Prozent, in Bulgarien bei 91 Prozent und selbst im EU-Durchschnitt immer noch bei 70 Prozent liegt,
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beträgt die Eigentumsquote in Deutschland gerade mal 46 Prozent. Alles, was Sie mit Ihrem Gesetz erreichen, ist, dass unsere Wohneigentumsquote die niedrigste in der EU bleibt und gleichzeitig der Anteil der großen Wohnungsgesellschaften weiter ansteigen wird. Dass der entsprechende Paragraf dann auch noch mit „Bildung von Wohnungseigentum in ... angespannten Wohnungsmärkten“ überschrieben wird, schlägt wirklich dem Fass den Boden aus; denn Ihr Gesetz schafft keine einzige neue Wohnung.
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Die grauenhafte juristische Schlampigkeit, mit der Sie hier gearbeitet haben, setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf. In Ihrem Entwurf wimmelt es nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen, wo am Ende niemand mehr weiß, wann die Regelung gilt und wann eben nicht – genauso wie bei Ihrer Mietpreisbremse; da sind zwischenzeitlich die Gerichte massenhaft mit Ihrem Gesetzespfusch beschäftigt. Die dort gemachten juristischen Fehler werden nicht behoben, sondern in diesem Gesetzentwurf einfach fortgeführt. Mehr Wohnungsbau durch mehr Bürokratie wird mit Sicherheit nicht funktionieren.
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Was Sie jedoch tun müssen, ist, die Wohneigentumsquote zu erhöhen und die Kosten des Wohnens zu senken. Das erreichen wir nur durch eine Entrümpelung bei den kostentreibenden Bauvorschriften – Sie alle hier wollen die immer erhöhen –, durch eine drastische Absenkung der Grunderwerbsteuer und eine Abschaffung der Grundsteuer.
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Aber nichts von dem, gar nichts von dem passiert. Diese Regierung – Sie haben es ja vorhin gesagt, Herr Minister Seehofer – hat auf dem Wohngipfel 2018 versprochen, bis zum Ende der Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen. Und was machen Sie jetzt, Herr Minister Seehofer? Sie loben sich doch tatsächlich dafür, dieses Ziel fast erreicht zu haben, indem Sie einfach 740 000 Wohnungen im Bauüberhang mitzählen. Das sind 740 000 geplante und genehmigte Wohnungen, die gerade wegen Ihrer verfehlten Politik eben nicht gebaut werden, und daran schuld sind Gesetze wie dieses.
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Genau das ist das Problem Ihrer Politik, Herr Seehofer: Es fehlen die politischen Rahmenbedingungen dafür, dass Wohnungen eben nicht nur geplant und genehmigt, sondern auch wirklich gebaut werden.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Claudia Tausend von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Bundesminister Seehofer, nach Ihrem Einführungsbeitrag bin ich fast verleitet, auf meine Rede zu verzichten.
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Denn Sie haben alles Nötige gesagt und richtig dargestellt.
({1})
Dafür erst mal herzlichen Dank von unserer Seite.
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Wir kennen uns schon sehr lange, und, ich glaube, wir waren uns noch nie so einig wie bei der Frage dieses Baulandmobilisierungsgesetzes. Ich freue mich, dass wir nach einer sehr wechselvollen Geschichte heute endlich in die parlamentarischen Beratungen eintreten dürfen. Ich sage: Es geht nicht nur um mehr Wohnraum. Wir haben genügend Teuerstwohnraum, Luxuswohnraum in Deutschland, gerade in den Großstädten, in den Ballungsräumen, in den Universitätsstädten. Was uns fehlt, ist bezahlbarer Wohnraum für Mieterinnen und Mieter.
({3})
Dafür steht auch dieses Gesetz.
Der Minister hat es dargestellt: Kaum ein Gesetz, Kolleginnen und Kollegen, ist so intensiv vorberaten und mit allen Beteiligten, mit den Verbänden, mit den Experten, diskutiert worden wie dieses Gesetz. Wir wollen mit diesem Gesetz nicht nur die Ausweisung von Bauland erleichtern, sondern auch erste Schritte – und das ist uns als Sozialdemokraten besonders wichtig – zu einem sozialeren Bodenrecht gehen. Wir wollen die Kommunen stärken: bei den Vorkaufsrechten, bei den Baugeboten und mit einem neuen sektoralen Bebauungsplan für sozial orientierten und geförderten Wohnraum.
({4})
Mehr Gerechtigkeit, Kolleginnen und Kollegen, auch im Bodenrecht! Gerade Hans-Jochen Vogel hat dieses Anliegen in seinen letzten Lebensjahren maßgeblich vorangetrieben. Ich darf Ihnen allen noch mal das Büchlein, wo dies niedergelegt ist, ans Herz legen.
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Er war auch der große Ideen- und Impulsgeber für die Kommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“, in der wir wirklich ein Jahr lang diesen Gesetzentwurf vorberaten haben. Wir haben umfangreiche Handlungsempfehlungen für die Länder, für die Kommunen, aber eben auch für den Bund vorgelegt. Jetzt sind wir am Zug.
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Ich darf mich bei allen an dieser Aufgabe Mitwirkenden bedanken, namentlich noch mal beim Ministerium. Sie haben diese Vorschläge sehr ernst genommen und im Regierungsentwurf abgebildet. Ich sage auch: Alles andere würde eine Entwertung dieser Arbeit darstellen.
({7})
Natürlich gibt es an einigen Stellen unterschiedliche Auffassungen. Das ist beim verbesserten Umwandlungsschutz deutlich worden. Wir als Sozialdemokraten wollen hier Mietraum sichern und Spekulation eindämmen, und wir wollen eine Nachschärfung des Baugebots; dies ist ein zweiter Punkt, der in der Presse dargestellt worden ist. Denn in Erwartung weiter steigender Preise werden Baugenehmigungen liegen gelassen; sie werden nicht ausgeschöpft. Es sind derzeit 750 000, die in Erwartung höherer Preise nach wie vor nicht ausgeschöpft werden.
Ich möchte mich beim Kabinett bedanken, beim Bundesminister, bei unseren Beteiligten, natürlich bei Olaf Scholz und Christine Lambrecht. Wir haben immer gezeigt, dass es uns um die Stärkung der Kommunen geht und um die Belange von Mieterinnen und Mietern: für bezahlbaren Wohnraum und gegen die weitere Unterstützung von spekulativen Renditeerwartungen.
({8})
Nur noch ein kurzer Satz. Wir hätten uns mehr gewünscht, und zwar mehr Mut, mehr Mut auch bei weiteren Schritten hin zu einem sozialen Bodenrecht, zum Beispiel ein preisgedämpftes Vorkaufsrecht.
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Denn natürlich ist es gut, wenn wir heute mit diesem Gesetzentwurf die Möglichkeit schaffen, dass die Kommunen ein allgemeines Vorkaufsrecht bekommen; man muss es aber auch bezahlen. Ich glaube, da sind weitere Schritte nötig.
In erster Linie wollen wir das Gesetzesvorhaben aber zügig zum Abschluss bringen. Das ist, bei allen inhaltlichen Unterschieden, auch der Wunsch der Mehrheit der Verbände und auch der Länder. Der Bundesrat lobt die Ausgewogenheit dieses Maßnahmenpaketes, das es ist, und fordert eine zügige Beschlussfassung. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
Um weitere Missverständnisse auszuschließen, schlage ich eine Änderung des Namens des Gesetzes vor, nämlich in „Baulandmobilisierungs- und Wohnraumsicherungsgesetz“.
({10})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank. – Das Wort geht als Nächstes an Daniel Föst von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, ich glaube, Sie sind mittlerweile eher ein Mitglied der SPD. Also Respekt dafür!
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Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja unbestritten: Es herrscht immer noch akuter Wohnungsmangel in den Ballungsräumen. Der Wohnungsmarkt ist wie leergefegt.
({1})
Die sozialistischen Pläne, die sozialistischen Ideen wie der Mietendeckel in Berlin tun ihr Übriges dazu. In Berlin hat sich das Wohnungsangebot halbiert! Es müsste jetzt auch dem Letzten klar geworden sein, dass man Wohnungsmangel nicht wegregulieren kann. Wohnungsmangel muss man beheben, und dafür muss man mehr bauen, schneller bauen und günstiger bauen.
({2})
So löst man das Problem.
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Die Bundesregierung hatte ja angekündigt, 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen – knapp 400 000 pro Jahr. Ich bin bei den Freien Demokraten, ich habe kein Problem mit ehrgeizigen Zielen, aber man muss sich auch fragen: Hat man das geschafft? Nein, das haben Sie nicht! Sie reißen jedes Jahr Ihre eigene Latte: 150 000 Wohnungen zu wenig! 100 000 Wohnungen zu wenig! Und im Land steigen die Wohnkosten weiter. An diesem Problem, dass Sie Ihre Ziele nicht erreichen und die Wohnkosten steigen, wird dieses Baulandmobilisierungsgesetz nichts ändern.
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Auch ich bin für eine Namensänderung, Frau Kollegin Tausend, weil zu Baulandmobilisierung in diesem Gesetz nichts drin ist.
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Dabei ist Baulandmangel eines der Probleme, wenn es um Neubau geht. Die Experten sind, wenn sie Ihre Gesetzgebung dahin gehend bewerten, ob Sie damit Bauland schaffen, der einhelligen Meinung: Nein. Denn da, wo es tatsächlich Erleichterungen gibt, da, wo Sie beschleunigen und verbessern, konterkarieren Sie dies durch mehr Bürokratie, neue Verzögerungen und Eingriffe ins Eigentumsrecht.
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Sie wollen beschleunigen, aber stehen gleichzeitig auf der Bremse und kommen deshalb keinen Schritt voran.
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hat sich die Union von der SPD beim Umwandlungsverbot am Nasenring durch die Manege ziehen lassen.
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Zu Recht treibt das Teilen der Union, werte Kolleginnen und Kollegen der Union, die Schamesröte ins Gesicht.
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Ich muss das mal deutlich formulieren: Das Umwandlungsverbot wird zum Lackmustest für die Union, wie sie wirklich zum Wohneigentum steht.
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Wenn Sie wie wir Freie Demokraten Deutschland zu einer Eigentümernation machen wollen, dann verzichten Sie auf das Umwandlungsverbot und führen Sie lieber einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer ein.
({10})
Und wenn Sie jetzt eh nicht nur den Namen ändern, sondern dem Baulandmobilisierungsgesetz vielleicht auch einen guten Inhalt geben wollen, dann streichen Sie die zusätzlichen B-Pläne, die Baugebote, die vielen Baubremsen und Bauverlangsamer aus diesem Gesetz.
Wir haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, der einen ganzen Stapel mutiger Schritte hin zu einer echten Baulandmobilisierung aufzeigt. Wir brauchen endlich mehr Bauland! Wir brauchen endlich mehr Digitalisierung! Wir brauchen endlich mehr Flexibilität und Geschwindigkeit beim Bauen! Nur so entstehen in Deutschland die Wohnungen, die die Menschen brauchen. Die Bürgerinnen und Bürger warten drauf. Handeln Sie!
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Caren Lay von der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der große Zankapfel bei diesem Gesetzentwurf ist die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen; denn diese Umwandlung boomt gerade auf angespannten Wohnungsmärkten.
({0})
In Berlin ist es beispielsweise so, dass im letzten Jahr in den Milieuschutzgebieten so viele Umwandlungen beantragt wurden wie nie zuvor. Die Umwandlung in Eigentumswohnungen ist der neue Goldesel der Immobilienbranche.
Aber für Mieterinnen und Mieter heißt das, dass sie einem ganz anderen Verdrängungsdruck ausgeliefert sind. Das Damoklesschwert der Kündigung schwebt über ihnen.
({1})
Am Ende des Tages erwerben – das zeigen Auswertungen – weniger als 1 Prozent der Mieterinnen und Mieter die umgewandelten Wohnungen selbst. Also hier von einer Förderung des Wohneigentums zu reden, das ist wirklich nur vorgeschützt! Es ist bestenfalls Wohneigentum zum Preis der Verdrängung von anderen – und das kann ja wohl wirklich nicht sein!
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Deswegen, meine Damen und Herren, muss doch jedem klar sein, der auch nur ein bisschen Mitgefühl hat: Lassen Sie uns die alteingesessenen Mieterinnen und Mieter schützen! Keine Umwandlungen in angespannten Wohnungsmärkten!
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Doch nicht so die Union. Ein monatelanges Gezerre ging der Einbringung des Gesetzentwurfes voraus. Nur zu dem Preis einer weiteren Aufweichung wurde er heute überhaupt eingebracht. Selbst heute Morgen noch haben Abgeordnete der Union angekündigt, dass sie weiter den Aufstand gegen dieses sogenannte weiche Umwandlungsverbot wagen wollen.
({4})
Aber das heißt im Kern natürlich nichts anderes, als dass Sie diesen Gesetzentwurf insgesamt gefährden, und auch, dass Sie Ihrem eigenen Bauminister in den Rücken fallen. Ich muss sagen: Er wäre der erste Bauminister, der keine Novelle des Baugesetzbuches hinbekommt. Ersparen Sie Ihrem eigenen Minister diese Blamage!
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Sie müssen sich übrigens auch gar keine Sorgen machen, dass Ihren Freunden aus der Immobilienbranche oder der Maklerszene nun dadurch das Geschäft verhagelt würde. Es ist ja nicht so, dass die bestehenden Schlupflöcher geschlossen werden. Im Gegenteil: Es kämen noch neue hinzu. In den Milieuschutzgebieten, also da, wo der Rubel so richtig rollt, da würde sich die Situation für Mieterinnen und Mieter sogar noch verschlechtern. Das ist die Wahrheit.
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Meine Damen und Herren, dieses Gesetz muss an vielen verschiedenen Stellen nachgebessert werden. Kommunen müssen Häuser und Grundstücke leichter erwerben können. Deswegen fordern wir gemeinsam mit dem Mieterbund und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund ein preislimitiertes Vorkaufsrecht.
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Vorhin haben – das will ich hier noch sagen – Menschen, betroffene Bürgerinnen und Bürger, über 44 000 Unterschriften vor dem Reichstagsgebäude übergeben. Die SPD war da. Die Grünen waren da. Die Linke war da. Wer nicht da war, war die Union, namentlich Sie, Herr Wegner. Ich finde das wirklich ganz schön traurig, meine Damen und Herren.
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Zu guter Letzt: Wenn man ein Baulandmobilisierungsgesetz ankündigt, dann muss man auch Bauland mobilisieren. Dazu brauchen wir Baugebote, die deutlich schärfer sind als das, was jetzt im Gesetz steht. Wir brauchen einen Bodenpreisdeckel. Wir müssen endlich verhindern, dass Bauen immer teurer wird, weil die Spekulation mit Grundstücken zunimmt. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz muss dringend nachgebessert werden!
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. – Das Wort geht an Daniela Wagner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf reicht angesichts weiterer Zersiedelung, vielfach öder Ortskerne bei gleichzeitiger Wohnungsnot und brachliegendem Bauland nicht aus.
Meine Damen und Herren, Kommunen brauchen mehr Unterstützung in der Bodenpolitik
({0})
für lebenswerte und nachhaltige Städte und Ortskerne. Dazu gehören eine echte Innenentwicklung, wirklicher Umwandlungsschutz, bessere Vorkaufsrechte für Kommunen und einfachere Baugebote.
({1})
Und, meine Damen und Herren: Die Große Koalition hat nicht so ganz verstanden, dass Naturschutz lebenswichtig, ja überlebenswichtig ist und lebendige Ortskerne identitätsstiftend sind.
({2})
Die politische Weichenstellung für Zersiedelung ist derart aus der Zeit gefallen und realitätsfremd, dass § 13b BauGB unbedingt gestrichen werden muss.
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Das Leben auf dem Land darf und muss längst nicht mehr mit Zerstörung von Lebensräumen und natürlichen Ressourcen einhergehen. Es gilt jetzt, die vorhandenen Flächenressourcen im Inneren der Städte und Gemeinden entschlossen, ökologisch, sozial und nachhaltig zu aktivieren.
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Bei dennoch erforderlichen Eingriffen in den Außenbereich sind Umweltprüfungen, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorzunehmen und Ersatzgeldzahlungen dürfen sie nur dann kompensieren, wenn kein direkter Ausgleich möglich ist. Hier, an dieser Stelle muss der Entwurf nachgebessert werden.
Meine Damen und Herren, es ist gut, dass der Regierungsentwurf Erleichterungen von Baugeboten enthält – aktuell haben wir einen historischen Höchststand an brachliegenden und baureifen Grundstücken, für die Baurecht besteht. Vor Ort kann das genau das richtige Instrument sein, um Bewegung in den spekulativen Stillstand zu bringen.
Die Regierung unterbreitet auch erste Vorschläge zum stärkeren Schutz vor der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das ist auch dringend geboten; denn durch die Umwandlungen drohen der Verlust preiswerter Wohnungen, kostspielige Gewinnmitnahmen von Zwischenerwerbern und Luxusmodernisierungen. Deswegen muss der Schutz jetzt auch rechtssicher ausgestaltet werden. Darauf kommt es ganz entscheidend an!
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In Milieuschutzgebieten, meine Damen und Herren – das ist ganz besonders wichtig –, darf der vorhandene Schutz auf keinen Fall ausgehebelt werden. Sonst hätten Sie nämlich mit Zitronen gehandelt. Sie müssen im weiteren Verfahren darauf achten, dass wir bereits gesetzlich verankerte Schutzmechanismen nicht im Nachhinein durch diesen Gesetzentwurf sozusagen torpedieren.
Denn eins scheint ganz entscheidend und wichtig zu sein: Die explosionsartige Kostendynamik muss raus aus den Märkten, damit Wohnungen für alle Menschen bezahlbar sind, bleiben und werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Daniela Wagner. – Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen Donnerstagmittag!
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Kai Wegner.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das bezahlbare Bauen und Wohnen hat eine Toppriorität für diese Koalition. Gemeinsam haben wir in dieser Legislaturperiode auch schon viel erreicht: bei der sozialen Wohnraumförderung, bei der steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus, beim Baukindergeld, beim Wohngeld. Und jetzt kommt auch noch das Baulandmobilisierungsgesetz dazu. Mit dem Gesetz wollen wir die in der Baulandkommission gemeinsam mit den Ländern gefundenen Lösungen umsetzen. Worum geht es? Es geht um mehr Baugrundstücke, um schnellere und flexiblere Planungen, kurzum um mehr Wohnungsbau in kürzerer Zeit. Das ist der Auftrag, den uns die Baulandkommission mitgegeben hat.
({0})
Ich begrüße ausdrücklich die guten Ansätze, lieber Herr Minister, in dem Entwurf. Ich will drei nennen:
Ich nenne die Flexibilisierung der Vorgaben des Bebauungsplans, wenn es um Verdichtung und Aufstockung geht. Gerade unsere Städte, die Ballungsräume brauchen genau diese Flexibilisierung.
Ich nenne den neuen Baugebietstyp „Dörfliches Wohngebiet“, mit dem das gute Miteinander von Wohnen und Landwirtschaft gestärkt werden soll.
({1})
Und ich nenne, Frau Wagner, auch die Fortsetzung des vereinfachten Bebauungsplanverfahrens für Flächen am Ortsrand, damit Kommunen auch in Zukunft leichter Bauland ausweisen können, selbstverständlich unter Beachtung des gesetzlichen Vorrangs der Innenentwicklung, Frau Wagner.
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Zur Wahrheit gehört aber auch, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen auch von der SPD, dass einige Dinge im Entwurf stehen, die nicht oder zumindest nicht in dieser Form in der Baulandkommission vereinbart worden sind – Dinge, bei denen ich mich persönlich frage, ob sie am Ende wirklich der Baulandmobilisierung dienen.
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Deshalb müssen wir jetzt im parlamentarischen Verfahren diese Vorschläge noch einmal genau unter die Lupe nehmen.
Wir wollen zum Wohnungsbau ermutigen, meine Damen und Herren. Deshalb sollten wir im Bauplanungsrecht auf partnerschaftliche Lösungen setzen: mehr Miteinander, weniger Gegeneinander.
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– Ja, auch für die, selbstverständlich.
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Ich bin optimistisch, dass wir da als Koalition etwas Gutes hinbekommen: im Sinne der Baulandkommission, im Sinne des Wohngipfels, im Sinne des Koalitionsvertrages, aber vor allem, meine Damen und Herren, im Sinne der Menschen in unserem Land.
Die Richtung beim Neubau stimmt. Die Kräne drehen sich, und das trotz Corona. Mit dem Baulandmobilisierungsgesetz wollen wir weitere Impulse beim Wohnungsbau setzen, auch über diese Legislaturperiode hinaus. Lassen Sie uns also gemeinsam aus diesem Entwurf jetzt ein richtig gutes Gesetz machen!
Herzlichen Dank.
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Ich danke Ihnen, Herr Wegner. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Meiser von der Linken.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Wegner, Sie haben hier jetzt ja als erster Redner für die CDU/CSU-Fraktion gesprochen und warme Worte dafür gefunden, wie was fürs Bauen getan werden muss, und gesagt, dass im Gesetzgebungsprozess aber noch einiges aus Ihrer Sicht nachgebessert werden müsse. Da will ich Sie doch ganz direkt mal fragen – es geht um den großen Zankapfel, also das „Umwandlungsverbot soft“, das jetzt in das Baugesetzbuch reingeschrieben werden soll –: Sind Sie, auch als Landesvorsitzender der CDU mit einigen Ambitionen in unserem Bundesland, der Meinung, dass dieses Umwandlungsverbot erhalten bleiben muss, oder wollen Sie, dass dieses Umwandlungsverbot wieder aus dem Gesetzentwurf rauskommt?
In meinem Wahlkreis, in Prenzlauer Berg, ist es so, dass gerade Hunderte Mieter Angst haben, weil der schwedische Immobilienkonzern Akelius ihre Mietwohnungen außerhalb eines Milieuschutzgebietes in Eigentumswohnungen umwandeln will.
({0})
Ich würde schon sehr gerne wissen, was ich diesen Mieterinnen und Mietern dazu sagen soll, was die Berliner CDU eigentlich zu diesem Thema zu sagen hat.
({1})
Vielen Dank. – Herr Wegner.
Ich würde mir wünschen, Herr Meiser, dass diese Fragen dann auch mal im Preußischen Landtag, im Abgeordnetenhaus, gestellt werden,
({0})
wo Rot-Rot-Grün ja in der Verantwortung ist, wo man deutlich mehr für Mieterschutz machen könnte, als jetzt passiert. Es wurden heute schon Zahlen genannt, wie der Mietwohnungsneubau stagniert
({1})
und die Menschen gerade in dieser Stadt immer größere Sorge haben, keine bezahlbare Wohnung zu finden, wenn sie sich vergrößern oder verkleinern wollen.
({2})
Für mich geht es in der Tat darum: Wir müssen jetzt mit unserem Koalitionspartner in die Gespräche eintreten – wir sprechen ja auch schon längst –, wie wir den vorliegenden Gesetzentwurf optimieren können.
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Wir haben im Koalitionsausschuss einmal formuliert: Wir wollen Umwandlungen einschränken. Wir wollen sie aber nicht faktisch verbieten. Und ich habe gesagt: Wir brauchen ein besseres Miteinander.
Worum es mir tatsächlich geht – ein Vorredner hat über die Eigentumsquote in Deutschland gesprochen; ich könnte Ihnen jetzt die viel zu geringe Eigentumsquote in Berlin nennen –: Ich glaube, wir dürfen Eigentum nicht verbieten, wir dürfen nicht zu stark in Eigentumsrechte eingreifen, und wir müssen trotzdem Mieterinnen und Mieter optimal schützen. Das ist ein Miteinander und kein Gegeneinander, Herr Meiser. Das wünschen wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und davon wünsche ich mir mehr in Berlin: Schluss mit Gegeneinander, mehr Miteinander.
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Vielen Dank, Herr Wegner. – Dann kommen wir zum nächsten Redner, und der ist für die SPD jetzt gleich am Redepult: Bernhard Daldrup.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Woche um Woche bewegen wir uns immer mehr auf die Zielgerade dieser Legislaturperiode zu. Ich bin, ganz offen gesagt, sehr froh – genau wie Kai Wegner und Sie auch, Herr Minister –, dass es uns tatsächlich gelingt, den Entwurf des Baulandmobilisierungsgesetzes in den Bundestag einzubringen und ihn hoffentlich zeitnah zu verabschieden. Das Gesetz komplettiert nämlich eine insgesamt gute Bilanz der Wohnungsbaupolitik dieser Großen Koalition. Wir haben sehr viel erreicht, auch wenn das oppositionell immer wieder bestritten wird, und das Baulandmobilisierungsgesetz gehört dazu.
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Meine Kollegin Claudia Tausend hat eben schon auf einige Inhalte hingewiesen, und ich will an dieser Stelle sagen: Ich weiß, dass viele ein Interesse daran haben, den Inhalt allein auf das Umwandlungsverbot zuzuspitzen. Aber nein, es gibt eine ganze Reihe von Bauerleichterungen und Verbesserungen für die Kommunen, und es ist nicht einfach nur die Frage des Umwandlungsschutzes zu beantworten. Auch die Kollegin Wagner hat eben darauf hingewiesen, dass wir ebenso Antworten auf soziale, auf ökologische Fragestellungen der Baulandentwicklung brauchen.
Dieser Gesetzentwurf ist eine Folge des Koalitionsvertrages vom 12. März 2018, der vorsieht, die Kommunen bei der Aktivierung von Bauland und der Sicherung von bezahlbarem Wohnraum zu unterstützen. Herr Föst, ich sage Ihnen einmal: Die Kommunen zu unterstützen, ist wichtig; und das kann nur wahrnehmen, wer kommunal verankert ist, wer die Probleme in den Städten und Gemeinden kennt. Darauf gibt dieser Gesetzentwurf Antwort.
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Der Entwurf verbessert die kommunale Planungshoheit. Er stärkt die kommunale Selbstverwaltung, die Freiheit vor Ort. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt dieses Gesetzentwurfes. Keine Kommune ist ja gezwungen, etwa einen sektoralen Bebauungsplan aufzustellen, aber die Kommunen erhalten mehr Freiheit, dies tun zu können. Das erwarten die Kommunen auch von uns; und das ist gut so. Diesen Erwartungen entsprechen wir mit diesem Gesetzentwurf.
({2})
Wir haben das Bauen und Wohnen ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt und dort gehalten. Horst Seehofer war keineswegs allein, er hat uns immer an seiner Seite gewusst. Ich verweise auch auf den Wohngipfel, der unter der Beteiligung der Kanzlerin, aller Länderchefs, vieler Akteure aus der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft stattfand, und auf eine breit aufgestellte Expertenkommission, die wir extra aufgestellt haben, damit wir in dieser Wahlperiode nicht nur einen Bericht einer Enquete-Kommission haben, sondern handlungsorientierte Umsetzungsvorschläge; die sind der Kern dieses Gesetzentwurfes, und an all denen ist die Expertenkommission beteiligt gewesen. Das war Gegenstand des Koalitionsausschusses im August 2019; und auch dort ist das alles bestätigt worden.
Ja, es ist richtig: Wir haben in der Koalition Debatten. Wir haben Kontroversen über bestimmte Themen. Das ist überhaupt keine Frage; sonst wäre der Entwurf auch schon ein bisschen eher, lieber Kai, hier im Parlament erschienen. Aber das ist jetzt nicht so ungewöhnlich; und wir haben es ja geschafft. Wir debattierten etwa über die Bedeutung des Bodens als ein unvermehrbares Gut – Claudia Tausend hat gerade auf das Erbe von Hans-Jochen Vogel hingewiesen, das wir hier tatsächlich noch mal erwähnen dürfen – oder über die Stärkung des kommunalen Vorkaufsrechtes. Wir haben gerade eben 44 500 Unterschriften einer Petition entgegengenommen, in der das preislimitierte Vorkaufsrecht gefordert wird. Menschen beschäftigen sich konkret mit solch abstrakten Rechtsfragen, weil sie Ängste und Sorgen haben. Das weiß man aber nur, wenn man mit diesen Menschen zu tun hat.
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Deswegen ist es wichtig, sich darum zu kümmern.
Das gilt auch für die Frage des Schutzes von Mieterinnen und Mietern in ihren angestammten Quartieren, in ihrer Heimat, ihrem Zuhause vor Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Die einen wollen es marginalisieren, die anderen wollen es dramatisieren. Richten Sie den Blick auf die konkreten Abgeschlossenheitsbescheinigungen in den Kommunen, und dann werden Sie sehen: Es ist ein wirkliches Problem.
Wir laden Sie alle ein, mitzumachen und daran mitzuwirken, dass das Baulandmobilisierungsgesetz gelingt. Wir sind ins Gelingen verliebt, nicht ins Scheitern.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Bernhard Daldrup. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Emmi Zeulner für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Lay, der Ansprechpartner in dieser heutigen Debatte ist tatsächlich nicht unser Bauminister, sondern es ist das Parlament; denn dieses Gesetz liegt jetzt in der Hand des Parlaments. Und es ist immer so, dass Gesetze – und ganz grundsätzlich gilt das für jedes Gesetz, das ins Parlament kommt – nicht so rausgehen, wie sie reingekommen sind.
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– Marianne, du hast recht, beim Bedarfsplangesetz ist es anders.
Es gibt viele Themen, bei denen wir mit der SPD sehr eng sind, und ich wünsche mir natürlich, dass wir in diesen Bereichen zu guten Ergebnissen kommen. Aber um zu diesen Ergebnissen zu kommen, wäre es gut, sich den Antrag der FDP einmal anzuschauen; denn da stehen gute Ansätze drin.
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Es soll gemeinsam gehen. Aber gerade wir als Union verstehen uns im Bereich des Bauens und auch im Bereich des Wohnens als Partei des Ausgleichs. Wir wollen also sowohl die Mieter als auch die Vermieter im Blick haben. Wir wollen Klimaschutz adressieren und wollen gleichzeitig, dass kostengünstiges Bauen möglich ist. Uns ist auch bewusst, dass wir flächenschonender bauen müssen; aber wir brauchen halt auch mehr Bebauung und mehr Wohnungen.
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Das alles zusammenzubringen, ist eine große Herausforderung. Ich halte es da mit unserem Bundesbauminister Horst Seehofer, der sagt: Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. – Deswegen ist es auch legitim, dass wir über die soziale Frage unserer Zeit streiten, diskutieren und um die besten Lösungen ringen.
Wir haben das Baulandmobilisierungsgesetz auf den Weg gebracht. Unser klares Ziel hierbei ist, dass wir mehr bauen und weniger regulieren wollen. Dazu trägt beispielsweise die neue Gebietskategorie „Dörfliches Wohngebiet“ bei, durch die das Nebeneinander von Wohnen, Landwirtschaft und Gewerbe möglich wird. Da brauchen wir zum Beispiel auch eine Experimentierklausel im Bereich der TA Lärm. Das alles sind Themen, über die wir noch sprechen müssen.
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Auch bei der Nachverdichtung schaffen wir Erleichterung: für den Dachgeschossausbau, aber auch grundsätzlich bei der Aufstockung. Wir ermöglichen für die Wohnbebauung auch eine flexiblere Handhabung von Bebauungsplänen.
Das sind alles Themen, die gut adressiert sind. Aber was mit uns nicht gehen wird, ist – und das hat man heute mal wieder gesehen –, dass die Probleme unserer heißgeliebten Bundeshauptstadt Berlin zu den Problemen von ganz Deutschland gemacht werden. Das Umwandlungsverbot von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen tragen wir deshalb so, wie es jetzt diskutiert wird, ganz konkret nicht mit.
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Ich als Christsoziale halte es da wie die Sozialdemokraten in Hamburg.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte gerne zum Schluss kommen.
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– Gut, dann gerne eine Frage.
Nein, jetzt haben Sie Nein gesagt; dann bleibt es auch dabei. Aus die Maus!
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Frau Zeulner, Sie sind noch dran, Sie haben noch ein paar Sekunden.
Genau. Ich habe jetzt versucht, die verbleibenden Sekunden noch gut einzusetzen. – Ich als Christsoziale halte das wie die Sozialdemokraten in Hamburg. Die haben ganz klar adressiert, dass mit dem Milieuschutz gegen die Verdrängung von Mietern eine Antwort gegeben wird. Deswegen müssen wir darüber noch einmal konkret sprechen.
In diesem Sinne hoffe ich natürlich, dass wir dieses Gesetz miteinander auf den Weg bringen, aber dass Sie uns dazu auch noch mal tief in die Augen schauen und dass auf uns zugegangen wird,
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um die besten Lösungen für die Eigentümer, für die Mieter, für die Vermieter in unserem Land erreichen zu können – mit dem Ziel Flexibilisierung und mehr Bauen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Testen und vor allem das Schnelltesten ist neben der Impfung, Kontaktnachverfolgung und den Shutdown-Maßnahmen eine zentrale Säule in der jetzigen Phase der Pandemiebekämpfung. Wer beruflich vielen Menschen begegnet oder Angehörige in einem Pflegeheim besucht, sollte kurzfristig und selbstständig einen Test durchführen können.
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Auch in Schulen und Kindergärten können systematisch eingesetzte Schnelltests die Infektionsgefahr deutlich reduzieren. Und mittlerweile wurden Schnelltests entwickelt, die auch von jeder Bürgerin und jedem Bürger zuverlässig und einfach durchgeführt werden können. Deshalb haben wir Grüne schon vor Wochen die Bundesregierung aufgefordert – und bringen heute den entsprechenden Antrag ein –, die nationale Schnellteststrategie auszubauen und Schnelltests zur Selbstanwendung zuzulassen. Wir betrachten Schnelltests hier nicht als Wundermittel, aber als wichtigen ergänzenden Baustein in der nationalen Schnellteststrategie.
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Nun hören wir aus dem Bundesgesundheitsministerium: „Jetzt bald“, „demnächst“, „in ein paar Wochen“ – ja, wir wissen immer noch kein konkretes Datum – sollen irgendwann Schnelltests zur Selbstanwendung für den Eigengebrauch zur Verfügung stehen. Liebe Bundesregierung, mir geht es hier um konstruktive Kritik, und deswegen möchte ich auf ein Muster aufmerksam machen, das uns in dieser Krisenpolitik langsam aufstößt. Und dieses Muster lautet: immer mindestens drei Schritte zu langsam.
Bei der Verimpfung der vorhandenen Vakzine sind wir nicht so schnell, wie es möglich und nötig wäre – Beispiel: Dänemark.
Die Ausweitung des Homeoffice kam viel zu spät und erst auf unseren Druck hin.
Und jetzt das gleiche Muster bei den Schnelltests: Österreich hat es letzte Woche vorgemacht und Schnelltests zur Selbstanwendung zugelassen. Die Regierung verteilt mittlerweile kostenlose Tests, beispielsweise an Schülerinnen und Schüler. Und bei uns in Deutschland? Noch nicht mal Hausärztinnen und Hausärzte können bei ihren Patientinnen und Patienten immer und unter allen Umständen, wenn es indiziert ist, einen Schnelltest auf Kosten der Krankenkassen anbieten.
Ja, ich habe das Gefühl, nach einem Jahr hat die Bundesregierung noch immer nicht verstanden: Eine Pandemie ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
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Wir können es uns nicht leisten, drei Schritte zu langsam zu sein oder notwendige Maßnahmen nur zögerlich und nacheinander anzupacken. Es geht um Leben und Tod. Und die weiterhin hohen Todeszahlen sollten uns allen Auftrag genug sein, dass wir konsequent, zeitgleich und jetzt handeln.
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Nun haben wir ja am Wochenende alle aus den Medien erfahren, dass auch das Bundesgesundheitsministerium Schnelltests zur Selbstanwendung zulassen wolle und auch die Medizinprodukte-Abgabeverordnung jetzt geändert werden solle. Und trotzdem bekommen wir kurzfristig keine Schnelltests, weil angeblich die Hersteller die Schnelltests erst zertifizieren lassen müssen. Ja, ich weiß als Arzt, dass Medizinprodukte hinsichtlich der Zuverlässigkeit zertifiziert und geprüft werden müssen.
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Aber wie bei den FFP2-Masken könnten Sie angesichts der Lage auch bei den Schnelltests eine Ausnahmegenehmigung wirkungsvoll erteilen und wie in anderen europäischen Ländern Schnelltests endlich einsetzen.
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Herr Minister, die wissenschaftlichen Belege liegen vor. Handeln Sie, kümmern Sie sich, setzen Sie nicht nur den Rahmen, sondern übernehmen Sie konkret Verantwortung, dass Schnelltests zur Eigenanwendung endlich zur Verfügung stehen!
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Die Zögerlichkeit und das Nacheinander zeigen sich bei dem Thema Schnelltests sehr deutlich. Da kündigen Sie im September letzten Jahres die Ausweitung der Schnelltests an, kümmern sich dann angesichts anderer Themen zunächst nicht weiter darum, verlassen sich einseitig auf die angekündigten Impfstoffe und starten dann nun im Januar ein Förderprogramm zur Ausweitung der Produktionskapazitäten für Schnelltests. Und es kommt noch schlimmer: Nach den Förderunterlagen ist absehbar, dass diese Schnelltests frühestens Ende des Jahres zur Verfügung stehen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Angesichts 50 000 Toter, 30 000 davon allein in den letzten zwölf Wochen, können wir nicht länger warten. Herr Altmaier, Herr Spahn, kümmern Sie sich darum, dass die Dinge endlich vernünftig laufen!
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Ich fasse noch einmal zusammen: Schnelltests sind a) einfach und auch sicher in der eigenen Durchführung, sie sind b) preiswert und verfügbar, sie sind c) schnell und damit als systematisches Instrument, gerade wenn wir aus den Schutzmaßnahmen rauswollen, wirkungsvoll einsetzbar. Also, was hindert uns denn daran, im zwölften Monat der Pandemie endlich so ein wichtiges ergänzendes Instrument einzusetzen?
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung der Kollegin von der CDU-Fraktion?
Ja.
Herzlichen Dank, dass ich die Zwischenfrage stellen kann. – Sie sind ja nun auch ärztlicher Kollege und wissen, wie schwierig es mit Selbsttests für Patienten ist, und Sie wissen, dass die Herstellung solcher Schnelltests natürlich ein bisschen länger braucht. Es gibt sie im Moment einfach noch nicht. Ich habe – ich weiß nicht, ob Sie es auch getan haben – mit Firmen gesprochen und gefragt, wie weit sie sind, und natürlich steht auch das BMG im Austausch mit den Firmen.
Also, ich glaube, wir müssen die Aussage, dass die Schnelltests zur Verfügung stehen und nicht eingesetzt werden, mal ein bisschen runterfahren. Es gibt sie im Moment definitiv einfach noch nicht.
Vielen Dank.
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Da muss ich Ihnen leider widersprechen. Selbstverständlich führen wir in dieser schwierigen Zeit viele Gespräche, wenn es darum geht, entsprechende Strategien umzusetzen. Ich darf Ihnen versichern, dass allein fünf Hersteller aktuell genau an dem Punkt sind, anterior-nasale, also für den vorderen Nasenraum anwendbare Schnelltests einzuführen, die wie In-der-Nase-Popeln – so sagen es die Österreicher – einfach für jeden durchführbar sind. Diese Tests brauchen wir hier; die sind verfügbar. Österreich setzt sie ein. Warum also nicht wir? Wo ist hier das Problem?
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Liebe Bundesregierung, sorgen Sie für eine funktionierende Schnellteststrategie! Wir liefern mit unserem Antrag hierfür den ersten Baustein. Sorgen Sie für einen flächendeckenden, sozialverträglichen Einsatz von sicheren FFP2-Masken! Sorgen Sie für einen schnelleren systematischen Ausbau der Sequenzierung! Sorgen Sie für eine Kontaktnachverfolgung, nicht nur, aber auch durch eine funktionierende Corona-Warn-App, in der möglichst auch neue Schnelltestergebnisse mit eingestellt werden, damit wir hier nicht in eine Surveillance- bzw. Überwachungslücke laufen.
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Also sorgen Sie dafür, kommunizieren Sie, erklären Sie, warum was wann erforderlich ist, warum wir einheitliche Risikostufen und Grenzwerte brauchen! Wo ist denn die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in dieser schwierigen Phase?
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Wo ist denn das Bundesamt für Katastrophenschutz in der epidemischen Lage von internationaler Tragweite? Wir müssen doch jetzt alle Kräfte bündeln und hier endlich zu einem konsequenten gemeinsamen Handeln kommen.
Ich appelliere also an die Bundesregierung: Lassen Sie uns wenigstens bei dem Thema „Schnelltests zur Selbstanwendung“ nicht weiter unnötig Zeit verlieren! Lassen Sie hier eine Ausnahme zu, damit diese Tests sofort zur Verfügung stehen! Denn in dieser Pandemie gilt, dass nur schnelles und konsequentes Handeln die Ausbreitung des Virus eindämmt und Leben von Menschen in diesem Land rettet.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Janosch Dahmen. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Rudolf Henke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin gar nicht sicher, ob der Dissens, der jetzt riesig erscheint, wirklich so groß ist. Und ich weiß auch nicht, ob man jetzt einen Gegensatz herstellen muss zwischen Ihren Intentionen und den Intentionen der Bundesregierung, der Koalitionsfraktionen. Wir unterstützen jedenfalls, dass es einen Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für eine Dritte Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung gibt und dass dessen Ziel genau darin besteht, die Schnelltests für den Eigengebrauch zuzulassen. Und das ist auch nichts, was uns irgendwie vorgestern oder so eingefallen wäre, sondern die in Vorbereitung befindliche Verordnung basiert ja auf Entscheidungen, die wir in der Vergangenheit getroffen haben. Wir haben also die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen; das fällt ja nicht vom Himmel.
Man kann natürlich – wie immer – alles auch so darstellen, als ob der andere irgendwie nicht von dieser Welt ist und alles nicht richtig versteht und irgendwie alles verkehrt macht. Ich kann das auch verstehen, denn, wie Erwin Rüddel heute Morgen in der Debatte gesagt hat, Krisen sind immer die Zeit der Exekutive. Die Exekutive rückt dann natürlich besonders in den Fokus, man will aber auch selbst vorkommen. Deswegen ist es auch nachvollziehbar, dass man in der parlamentarischen Debatte dann auch hitzig und klar und robust argumentiert.
Nur eins, lieber Kollege, finde ich schon noch mal überlegenswert: Wenn Sie sagen: „Wir machen das jetzt unabhängig von der Frage, ob die Schnelltests von den Herstellern beantragt sind und durch ein reguläres CE-Verfahren durchgehen“, dann ist die Folge, dass Sie sie praktisch aus der unternehmerischen Haftung für ihr ja immer noch privatwirtschaftlich erzeugtes und – mit privatwirtschaftlichem Gewinninteresse verbunden – produziertes Produkt entlassen.
Ich weiß nicht, ob das wirklich ein kluger Weg ist; denn das ist genau der Weg, den wir vielfach bei der Beschaffung der persönlichen Schutzausrüstungen im vergangenen Frühjahr – auch bitter notwendig – rund um die Glücksritter kritisiert und erlebt haben, die mit fragwürdigen Produkten gekommen sind und uns alle belämmert haben, uns alle angerufen haben und uns allen angeboten haben, sie würden uns Wunders wie wirksame und qualitativ gut abgesicherte persönliche Schutzausrüstungen liefern.
Damals ist der Minister dafür kritisiert worden, dass er sie denen nicht schnell genug abgenommen hätte, sondern dass wir dann gesagt haben: Ja, wir kaufen, was wir kriegen können; aber wir bestehen darauf, dass es natürlich zertifiziert werden muss, dass es in der Qualität überprüft werden muss. – Ich weiß, dass manche Hersteller dann gesagt haben: Ja, wie kann das denn sein? Wir haben ihm das auf den Hof gestellt, und jetzt kommt er, schneidet da rein, analysiert das und zählt die Lagen nach, die in diesen Masken drin sind. Was ist das denn für ein Genauigkeitspedant?
Nein, ich finde schon: Wenn wir privat hergestellte Produkte zum Nutzen der Menschen einsetzen – das ist richtig – und wenn wir das beschleunigen, dann kann es nicht sein, dass wir, weil es um Produkte geht, die in der Not gebraucht werden, jetzt sagen: Das übertragen wir alles in die Staatshaftung; da spielt private Haftung des Herstellers gar keine Rolle mehr.
Wir werden uns natürlich im Ausschuss mit dem Antrag befassen. Aber für den Moment sage ich: Bei mir und, ich glaube, auch bei uns in der Fraktion und beim Koalitionspartner müssen Sie jedenfalls noch eine steile Treppe mit Ihren Argumenten überwinden, warum bei solchen Produkten jetzt plötzlich die Staatshaftung gelten soll. Das machen wir bei Beatmungsgeräten auch nicht. Das machen wir bei andere diagnostischen Materialien auch nicht.
Alle neuen kreativen Ideen gehören auf den Tisch; das finde ich in Ordnung, darüber muss man auch nachdenken. Aber wenn wir jetzt dazu beitragen, einen Systemwandel herbeizuführen in der Frage: „Haften die Hersteller privat?“, und wir Abschied davon nehmen, dass sich die Hersteller zu den Eigenschaften ihres Produktes selber bekennen müssen und sie auch den Beweis antreten müssen, dass die positiven Eigenschaften des Produktes da sind, dann fällt mir das zunächst einmal ein bisschen schwer. Deswegen habe ich sehr viel Verständnis dafür und lobe es, dass das in der dritten Verordnung noch nicht drinsteht.
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Wir werden erleben, wie sich die Bundesländer dazu verhalten. Wir werden erleben, wie sich die Verbände dazu verhalten. Ich möchte gerne möglichst schnell möglichst viele Schnelltests haben, die auch von Laien durchgeführt werden können – nicht nur mit dem Bohren in der vorderen Nase, sondern besser mit den Gurgellösungen, besser noch mit den Spucklösungen; vielleicht geht auch das. Aber es möchte schon qualitätsgesichert sein. Dafür ist der, der ein neues Verfahren produziert, in der Beweispflicht. Da möchte ich ihn nicht einfach aufgrund einiger weniger Studien aus dem Rennen lassen, sondern dafür muss er schon einen qualitätsgesicherten Beleg erbringen, auch wenn es eilig ist, auch wenn es dringlich ist. Aber wir schaffen jetzt die Voraussetzung für die Zusage, dass wir das in reicher Fülle beschaffen wollen. Ich glaube, das ist das, was auf die Hersteller wirkt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Rudolf Henke. – Nächste Redner: für die AfD-Fraktion Uwe Witt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer! Meine Damen und Herren! Werte Kollegen! Lassen Sie mich, bevor ich beginne, zwei Sätze zu Ihren Ausführungen sagen, Herr Henke: Ihre Ausführungen zum Qualitätsanspruch für Masken sehen wir genauso. Da sind auch wir der Meinung: Das sind wir unseren Bürgern schuldig.
Seit über zwölf Monaten ist die Welt mit dem Coronavirus konfrontiert. Vor ziemlich genau einem Jahr, Anfang Februar, hat Minister Spahn hier im Parlament gesagt, dass Deutschland gut auf einen Coronaausbruch und auf andere Krankheiten vorbereitet wäre. Die Aussage, die zwar von Herrn Spahn getätigt wurde, aber auf den Einschätzungen der Experten und Fachleute beruhte, mit denen die Regierung auch heute noch zusammenarbeitet, war die erste große Fehleinschätzung diese Expertengruppe;
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wie wir heute wissen, leider nicht die letzte.
Die Lockdown-Maßnahmen für unsere Wirtschaft, die auf Anregung dieser Experten erfolgten, die bei den Regierungspolitikern leider auf mehr als fruchtbaren Boden fielen und die sich wie ein Perpetuum mobile immer wieder auf neue und schärfere Maßnahmen aufschaukelten, haben unser Vaterland heute in eine mehr als bedrohliche Situation gebracht.
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Wir müssen davon ausgehen – das wissen Sie alle, werte Kollegen –, dass die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr sprunghaft in die Höhe steigen wird. Die Arbeitslosenquote ist auf dem besten Wege, wieder zweistellig zu werden. Soloselbstständige, Künstler und viele andere Berufsgruppen sind auf Hartz-IV-Leistungen dringend angewiesen. Eines sollten wir nicht vergessen: Nicht der Virus richtet den Wirtschaftsstandort Deutschland zugrunde, sondern die völlig unkoordinierten, unlogischen und nicht nachvollziehbaren Lockdowns dieser Regierung und der korrespondierenden Landesregierungen.
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Unter diesen Prämissen diskutieren wir heute wieder einmal über parlamentarische Versuche der Oppositionsparteien, den Bürgern dieses Landes zu helfen. Die jüngsten Zahlen des Robert-Koch-Instituts sprechen eine deutliche Sprache: rückläufige Infektionszahlen, ein R-Wert unter 1 – Gott sei Dank –, deutlich weniger Tote als noch vor ein paar Wochen, Tote, über die Statista unter Berufung der RKI-Zahlen eine klare Aussage getroffen hat: Stand 13. Januar 2021 waren 89 Prozent aller Menschen, deren Tod in Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion gebracht wurde, im Alter von 70 plus. Lediglich 0,9 Prozent lagen im Alterscluster von 0 bis 49 Jahre.
Damit kommen wir auf des Pudels Kern: Das Hauptanliegen im Kampf gegen das Coronavirus kann nur eines sein: Schützen Sie endlich unsere älteren Bürger! Sichern Sie Alten- und Pflegeheime vor Einschleppung des todbringenden Virus!
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Dass dieser Standpunkt – die Forderung der AfD seit Anbeginn der Coronakrise – auch bei der Regierung, bei Frau Merkel und bei Gesundheitsminister Jens Spahn, angekommen ist, hören wir seit Monaten gebetsmühlenartig auf jeder Pressekonferenz. Frei nach Goethe: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Konzepte gibt es ja zur Genüge, nur leider mangelt es an der Umsetzung. Dazu gehört es selbstverständlich, dass sich jeder, der ein Alten- oder Pflegeheim betreten will – unabhängig ob Besucher, Pflegekraft oder anderer Mitarbeiter –, einem Schnelltest unterziehen muss.
Der Reservistenverband hat ganz eindeutig Stellung bezogen, dass diese Aufgabe bundesweit flächendeckend von der Bundeswehr und deren Reservisten zum Wohle unserer Senioren und damit zum Wohle der gesamten Bevölkerung übernommen werden kann. Vielen Dank, für dieses Angebot, unseren Reservisten! Aktuell werden nur 1 350 Soldaten vor Heimen für Schnelltests eingesetzt – ein Armutszeugnis für die Verteidigungsministerin.
Diese Schnelltests – dabei kommt es nicht explizit darauf an, ob wir uns nur auf Alten- oder Pflegeheime konzentrieren; nein, hier geht es auch um andere systemrelevante Einrichtungen wie Krankenhäuser, Einrichtungen der Behinderten- und Obdachlosenhilfe und verschiedene andere – müssen der Bevölkerung und den Einrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, gerade um den Schutz unserer älteren Bürger und vulnerablen Personengruppen zu gewährleisten und Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen zu unterbinden.
Wir werden daher der Überweisung des Antrags der FDP und des Antrags der Grünen in den Ausschuss gerne zustimmen; denn wir müssen gemeinsam an einer tragbaren Lösung arbeiten.
Daher appelliere ich an Sie, werte Kollegen, unserem Antrag „Corona-Pandemie – FFP2-Masken für Risikogruppen“ zuzustimmen. Darin fordern wir die Bundesregierung auf, die sogenannte Schutzmasken-Verordnung zu korrigieren bzw. die Gruppe der Anspruchsberechtigten zu erweitern. Die aktuelle Schutzmasken-Verordnung aus dem BMG sieht leider nur Menschen über 60 sowie Menschen mit aufgelisteten neun Vorerkrankungen für den Bezug von jeweils zweimal drei FFP2-Masken vor.
Der Kreis der Risikogruppen muss dringend um folgende Personengruppen erweitert werden: Erwerbungsminderungsrentner und Menschen, die aufgrund ihrer Schwerbehinderung in die vorzeitige Altersrente zwangsverrentet sind. Hierbei handelt es sich um Menschen, die in der Regel chronische Vorerkrankungen haben und damit der vulnerablen Gruppe zugehörig sind.
Über die Menge der zur Verfügung gestellten Masken kann ich nur den Kopf schütteln. Sechs Masken für zwei Monate sind aus medizinischer und auch aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht nicht haltbar. Wie Sie alle wissen, beträgt die maximale Tragezeit einer FFP2-Maske ohne Ausatemventil 75 Minuten mit anschließender Mindesterholungsdauer von 30 Minuten. Daher ist die Kernforderung unseres Antrages die Erhöhung der Anzahl der Masken für Risikogruppen auf 20 Stück pro Monat. Wir hoffen auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Uwe Witt. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Sabine Dittmar.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greift auch ein mir sehr wichtiges Anliegen auf. Für die Überwindung der Coronapandemie und die Wiedererlangung unserer persönlichen Freiheiten gibt es nicht die eine alles entscheidende Maßnahme. Erforderlich ist ein breites Instrumentarium, und der Einsatz von Antigenschnelltests gehört hier zweifellos dazu.
Die Entwicklung der Antigenschnelltests verläuft rasant. Immer mehr schnelle und auch kostengünstige Schnelltests, die im Vergleich zu dem aufwendigen und auch sehr zeitintensiven PCR-Tests eine ebenfalls hohe Sensitivität und Spezifität haben, also in ihrer Aussagekraft sehr zuverlässig sind, stehen zur Verfügung.
Antigenschnelltests sind daher bereits seit einiger Zeit Bestandteil der nationalen Teststrategie und kommen bisher vor allem in medizinischen Einrichtungen, in Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter und pflegebedürftiger Menschen, in ambulanten Pflegediensten und Diensten der Eingliederungshilfe und in Tageskliniken zum Einsatz. Künftig werden sie auch in vielen weiteren Einrichtungen möglich sein, beispielsweise in Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe, in Hospizen und in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe.
Derzeit wird die Coronavirus-Testverordnung überarbeitet. Die Antigenschnelltests leisten hier einen wertvollen Beitrag, um besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen, sie ermöglichen ihnen und ihren Angehörigen bei allen weiter notwendigen Einschränkungen ein so wichtiges Minimum an sozialen Kontakten und Teilhabe, und sie helfen, die Einrichtungen und Dienste aufrechtzuerhalten.
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Mit den Änderungen der Medizinprodukte-Abgabeverordnung sind zudem bereits Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass Antigenschnelltests auch in Kitas und Schulen abgegeben werden dürfen und durch geschulte Laien zur Anwendung kommen.
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Aktuell findet eine weitere Überarbeitung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung statt. Antigenschnelltests werden zeitnah auch in Bereichen der kritischen Infrastruktur zum Einsatz kommen, also Strukturen, die für das Funktionieren des Gemeinwesens eine hohe Bedeutung haben, wie Transport, Wasser, Energieversorgung, Ernährung, Medien oder auch Verwaltung. Es wird dann auch den Bürgerinnen und Bürgern möglich sein, Antigenschnelltests zur Eigenanwendung zu Hause zu erhalten.
Ich sage hier: Ich begrüße das ausdrücklich. Es gibt hier wirklich vielversprechende Forschungsansätze. Ich gehe ganz fest davon aus, dass da auch in Kürze entsprechende Tests die notwendige und unverzichtbare Zertifizierung erhalten werden und danach für die Eigenanwendung in Deutschland zugelassen und angeboten werden können.
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Eines ist wichtig: Auch Heimtests müssen die hohen Anforderungen an Sicherheit und Leistungsfähigkeit erfüllen. Wir würden uns einen Bärendienst erweisen, wenn beispielsweise durch eine schwierige oder unsichere Probenentnahme falsch negative Testergebnisse und damit ein trügerisches Sicherheitsgefühl erzeugt würde.
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Herr Kollege Dahmen, wenn Sie sagen, fünf der bereits vorhandenen Antigentests erfüllen diese Voraussetzungen, dann bitte Antrag beim BfArM auf eine Sonderzulassung, und sie können zum Einsatz kommen.
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Wichtig ist dabei aber vor allem die gute Information und Aufklärung der Anwenderinnen und Anwender. Jeder muss verstanden haben, dass ein negatives Testergebnis eine Momentaufnahme ist und kein Freibrief.
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Hygiene- und Abstandsregeln sind nach wie vor zwingend zu beachten. Ein positiver Test bedeutet sofortige Selbstisolation, Information des Gesundheitsamtes und eine Bestätigung durch einen PCR-Test. Deshalb ist es wichtig, dass die Möglichkeiten des Eigentests verantwortungsvoll genutzt werden.
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Und ja, wir werden auch darüber zu beraten haben, wie Antigenschnelltests in die Teststrategie eingebunden werden können, damit alle Bürgerinnen und Bürger von ihnen profitieren können.
Kolleginnen und Kollegen, viele Forderungen im vorliegenden Antrag sind bereits oder werden demnächst erfüllt. Wir werden mit sicheren und leistungsfähigen Antigenschnelltests für die Eigenanwendung ein weiteres sehr wichtiges Instrument zur Verfügung haben, um Infektionswege rechtzeitig zu erkennen und Infektionsketten zu unterbrechen.
Wir werden dadurch natürlich mehr persönliche Freiheiten zurückgewinnen, wenn es das Infektionsgeschehen in seiner Gesamtheit erlaubt. Denn eines ist klar: Corona wird uns noch viele Monate begleiten, und wir brauchen diesen mehrschichtigen Ansatz. Das heißt: Kontakte weiterhin minimieren, Neuinfektionen reduzieren, dem Virus und seinen Mutanten keine Chance geben, mehr sequenzieren.
Wir werden Test- und Impfstrategien abhängig vom Infektionsgeschehen und von der Verfügbarkeit und der Zulassungseigenschaften der Impfstoffe immer weiter anzupassen haben, und wir müssen sehr viel mehr in die Entwicklung von neuen Therapien investieren.
Und an die Redezeit denken.
Vor allen Dingen müssen wir bis auf Weiteres achtsam bleiben und auf uns und unsere Nächsten aufpassen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Dittmar. – Nächster Redner: für die Fraktion der FDP Dr. Andrew Ullmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Die Maske darf ich hier ja ablegen. Dann versteht man mich auch besser.
Beim Reden dürfen Sie das.
In der Pandemie ist es wichtig, dass wir begreifen – wir haben alle keine Erfahrung –, dass wir neuen Ideen nachgehen müssen. Wir dürfen nicht nur den ausgetretenen Pfaden folgen. Es gibt nicht nur gut und richtig oder böse und falsch, sondern wir müssen miteinander ringen, neue Wege gehen und auch angestammte Pfade verlassen, wenn wir erkennen, dass Maßnahmen nicht ausreichend sind, nicht verhältnismäßig oder überflüssig sind.
Hierzu gehört auch ein Update der Teststrategien. Ich wünsche mir – da gibt es Anzeichen von der Koalition – mehr Selbstkritik und auch eine Fehlerkultur. Bis dato kam bezüglich Laientestungen oder Heimtestungen gar nichts, bis ausgerechnet diese Woche ein Referentenentwurf aus dem Ministerium kam, mit dem diese Möglichkeiten eröffnet würden.
Wir als Opposition bieten Ihnen aber, lieber Herr Spahn, eine weitere Serviceleistung an; denn wir müssen endlich schneller und besser werden. Bereits im November letzten Jahres hat die FDA in den Vereinigten Staaten einen Hometest freigegeben, damit in den USA zu Hause getestet werden kann. Ich muss ehrlich sagen: Was die Amerikaner können, können wir in Europa genauso. Das sollten wir so auch durchführen.
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Wir müssen die Fehler korrigieren. Im Dritten Bevölkerungsschutzgesetz ist die Möglichkeit eröffnet worden, dass ein Arztvorbehalt für die Testungen ausgeschlossen wird. Aber es gibt eine Medizinprodukte-Abgabeverordnung, die das verhindert. Nichtärzte dürfen deshalb nicht testen. Wir wollen die Testmöglichkeiten aber auf Testungen daheim erweitern. Auch hier setzen wir auf Qualität, lieber Herr Dahmen; denn Qualität ist hier so wichtig wie in der medizinischen Praxis. Sie wissen genauso wie ich, dass wir uns darauf verlassen können müssen, dass Produkte gut sind, Testverfahren gut sind, Medikamente gut sind. Es darf nicht nach dem Prinzip von „Jugend forscht“ vorgegangen werden: Wir lassen einfach alles zu, und dann schauen wir, wo wir dann sind. – So funktioniert das nicht. Das ist nicht seriös.
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Wir können aber auch gleichzeitig Entlastungen schaffen. Neben der Möglichkeit der Laientestungen gibt es drei Punkte, die für uns wichtig sind.
Erstens. Es bedarf dringend einer Verbesserung der Kommunikationsstrategie, und das schon seit Monaten. Die Leute draußen sind verunsichert, haben Angst. Nur durch Aufklärung schaffen wir Akzeptanz, egal ob es um die SARS-CoV-2-Infektionen geht oder ob es um Impfungen geht. Da ist sehr viel Unsicherheit in diesem Bereich, und da bedarf es einer besseren Aufklärung auf verschiedenen Kanälen.
Ganz speziell zu den Tests können wir bereits Aufklärungen durchführen, vor allem die Begrenztheit dieser Tests klarmachen und auch erklären, wie so ein Test möglich ist; denn bei guter Aufklärung braucht man kein Medizinstudium, um einen solchen Test durchzuführen.
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– Aber es hilft, natürlich.
Zweitens. Bei den flächendeckenden Tests bedarf es eines Ergebnisses innerhalb von 24 Stunden. Das ist in der Zwischenzeit besser geworden; aber die Meldeverzüge müssen beseitigt werden. Wir müssen erreichen, dass diese Meldeverzüge nicht mehr existieren. Die Ergebnisse müssen sowohl dem RKI als auch den Gesundheitsämtern gemeldet werden. Herr Spahn, vielleicht können Sie einmal mit Frau von der Leyen sprechen. Wo bleibt eigentlich die europäische Teststrategie, auf die wir seit Monaten warten? Da passiert ja auch nichts.
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Zu guter Letzt: Eine Sorge treibt uns um – nicht nur mich als Mediziner und Infektiologe –, und zwar die mutierten Viren. Viren mutieren. Das ist etwas Biologisches, Selbstverständliches und nichts Ungewöhnliches. Aber die Sorge vor Escape-Mutanten haben wir durchaus. Hier klafft in unserer Teststrategie ebenfalls eine riesige Lücke. Die Maßnahmen, die bis jetzt ergriffen worden sind, sind unzureichend. Das hat etwas mit ungenauem Testen zu tun. Deshalb müssen wir die klinisch relevanten Virusvarianten rechtzeitig erkennen. Alle Menschen in Krankenhäusern, die mit SARS-CoV-2 erkrankt sind, die nach einer Impfung infiziert sind oder eine Infektion durchgemacht haben, müssen auf mutierte Viren achten.
Meine Damen und Herren, wir haben Vertrauen in die Menschen in unserem Land, sie können diese Testungen durchführen, sie müssen sich aber darauf verlassen können, dass wir Teststrategien updaten.
Herr Dr. Ullmann.
Nur mit einer guten, sinnvollen Ergänzung dieser Maßnahmen kommen wir an das hehre Ziel, diese Pandemie endlich auch global zu beseitigen.
Herzlichen Dank.
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Danke schön, Dr. Ullmann. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Janosch Dahmen.
Mir geht es darum, eines klarzustellen: Hier wird der Eindruck erweckt, als wollten Bündnis 90/Die Grünen mit dem Antrag erreichen, Testversuche ohne jegliche Sicherheit an irgendwelchen Menschen durchzuführen. Ich möchte auf den Test hinweisen, der seit letzter Woche kostenfrei in Österreich zur Selbstanwendung an Schülerinnen und Schüler verteilt wird und der frei zur Selbstanwendung erwerbbar ist. Das ist ein Test, der nicht nur inzwischen auf der Seite des BfArM geführt ist, sondern der auch CE-zertifiziert ist. Es geht lediglich darum, dass plötzlich der Eindruck erweckt wird, dass bei Tests, die CE-zertifiziert sind, noch einmal extra nachgewiesen werden muss, dass sie auch von Laien eingesetzt werden können.
Im Übrigen haben wir das auch in Bezug auf Lehrerinnen und Lehrer nicht eingefordert. Es gibt keine Zertifizierung für Lehrertests, sondern wir wollen die Tests flächendeckend einsetzen, und das haben wir möglich gemacht.
Insofern ist der Eindruck, wir würden hier irgendetwas Ungesichertes einsetzen wollen, schlichtweg falsch, und ich weise das ausdrücklich zurück.
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Herr Dr. Ulllmann.
Es ist schon einmal ein gutes Zeichen, dass Sie Ihren Antrag jetzt wahrscheinlich diesbezüglich ergänzen; denn das ist in dem Antrag und auch in Ihrer Rede wirklich nicht so klar dargestellt, und deswegen gab es auch diese Reaktion von verschiedenen Fraktionen. Ich halte es für einen guten Ansatz, dass die Grünen erkennen, dass Qualität und Zertifizierungen notwendig sind.
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Da sind wir wieder in einem Boot, und es ist gut, dass Sie etwas dazugelernt haben. – Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Achim Kessler.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Selbst wenn in Zukunft immer mehr Menschen gegen das Coronavirus geimpft werden können, bleiben Tests auch weiterhin eine wichtige Säule bei der Bekämpfung der Pandemie. Die Schnelltests haben den Vorteil, dass man das Ergebnis nicht erst nach einigen Tagen, sondern schon nach wenigen Minuten bekommt. Das bringt in sehr vielen Situationen deutlich mehr Sicherheit, und zwar umso mehr, je mehr Schnelltests zur Verfügung stehen. Deshalb fordert Die Linke seit dem letzten Sommer immer wieder, dass die Bundesregierung nicht nur für Impfungen, sondern auch für Schnelltests dringend Geld in die Hand nehmen muss. Meine Damen und Herren, Schnelltests müssen in möglichst großer Zahl und für alle verfügbar sein.
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Insoweit begrüßen wir auch den Vorschlag der Grünen, die Kapazitäten für Schnelltests auszubauen und die Selbstanwendung von Schnelltests zu ermöglichen.
Seit Gesundheitsminister Spahn die Durchführung von Testungen durch geschulte Laien ermöglicht hat – was im Übrigen grundsätzlich völlig in Ordnung ist –, gibt es aber einen völligen Wildwuchs von kommerziellen Testzentren. Für deren Eröffnung ist keinerlei Zulassung erforderlich, und es gibt keine ausreichenden Kontrollen, ob die Hygieneregeln eingehalten und ob die Daten an die Gesundheitsämter übermittelt werden. Ich fordere Sie auf, diesen ungeregelten Zustand so schnell wie möglich zu beenden.
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Aber schlimmer noch ist, dass nicht diejenigen die Tests bekommen, die sie brauchen, sondern diejenigen, die sie bezahlen können. Meine Damen und Herren, das ist genau das Gegenteil von einer sinnvollen Teststrategie in einer Pandemie. Der Antrag der Grünen fordert zwar eine Priorisierung bei der Verteilung von Antigenschnelltests, um zu verhindern, dass Engpässe durch kommerzielle Testzentren entstehen; aber das reicht bei Weitem nicht aus. Der Wildwuchs kommerzieller Testzentren muss sofort beendet werden.
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Herr Gesundheitsminister, Sie haben Ende des letzten Jahres die Preisverordnung für Antigenschnelltests aufgehoben und haben damit die Tore für überhöhte Preise weit geöffnet. Seither sind die Preise auf bis zu 100 Euro angestiegen. Einige Anbieter nutzen die Situation der Menschen tatsächlich schamlos aus.
Wenn Alten- und Pflegeheime keine eigenen Schnelltests anbieten, ist der Besuch von Angehörigen demzufolge nur noch für Gutverdienende möglich. Das geschieht beispielsweise in meinem Bundesland Hessen. Dort wälzt die schwarz-grüne Landesregierung die Verantwortung zum Testen kaltschnäuzig auf die Besucherinnen und Besucher von Pflegeheimen ab. Sie müssen den Test selbst organisieren, und sie müssen ihn auch selbst bezahlen. Wer seine Angehörigen sehen möchte, darf Woche für Woche tief in die eigene Tasche greifen, und wer sich das nicht leisten kann, der hat eben Pech gehabt. Meine Damen und Herren, das ist ein untragbarer Zustand, der schnellstmöglich beendet gehört.
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Deutschland ist aus epidemiologischer Sicht mit einem blauen Auge durch die erste Welle der Pandemie gekommen. Das lag, meine Damen und Herren, vor allem daran, dass die Bürgerinnen und Bürger mit großer Disziplin und großer gegenseitiger Solidarität die Maßnahmen eingehalten haben. Doch je ungleicher die Lasten verteilt werden, desto mehr wird das Vertrauen der Menschen verspielt. Zu Recht erwarten die Menschen, dass der Staat in einer gesellschaftlichen Krise seine soziale Verantwortung wahrnimmt.
Wer seit Monaten eindringlich an die Verantwortung der Menschen appelliert, darf nicht selbst die Verantwortung abgeben. Es ist doch offensichtlich, dass das Gesetz von Angebot und Nachfrage uns von einer gemeinwohlorientierten Lösung immer weiter entfernt. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, die Preise für Schnelltests staatlich zu regulieren. Nutzen Sie die gesetzlichen Möglichkeiten, die Sie sich mit dem ersten Bevölkerungsschutzgesetz selbst gegeben haben!
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Wenn nur noch Besserverdiener sich Testungen leisten können, dann trägt das zur Entsolidarisierung der Gesellschaft bei und fördert ihre Spaltung. Das gefährdet auch eine erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie. Wir würden doch nie akzeptieren, wenn jetzt zuerst die Menschen geimpft würden, die den großen Geldbeutel haben, und dann erst die mit dem großen Risiko. Meine Damen und Herren, warum akzeptieren Sie das bei den Tests? Die Linke jedenfalls akzeptiert das nicht. Das muss beendet werden.
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Die Linke fordert, dass die Kommunen jetzt finanziell unterstützt werden, damit sie ambulante Testteams einsetzen können. Es gilt, allen Menschen einen Zugang zu Antigenschnelltests niedrigschwellig zu ermöglichen. Außerdem – und das ist jetzt sehr wichtig – müssen Menschen, die in selbstbestimmten Pflegemodellen zu Hause leben, durch präventive Tests ihrer Pflege- und Assistenzkräfte geschützt werden. Das muss selbstverständlich auch für pflegende Angehörige gelten.
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Diese Forderungen sind für eine sinnvolle Teststrategie unabdingbar. Der Antrag der Grünen greift hier trotz mancher positiver Ansätze deutlich zu kurz; deshalb werden wir uns dazu enthalten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dr. Achim Kessler. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Michael Hennrich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei Anträge: zum einen den Antrag der AfD „Corona-Pandemie – FFP2-Masken für Risikogruppen“ und zum anderen den Antrag der Grünen zur Ausweitung von Schnelltests und zu Public-Health-Screenings.
Lassen Sie mich nur kurz auf den Antrag der AfD eingehen, weil es sich gar nicht lohnt, darüber richtig zu diskutieren. Der Antrag kommt von einer Partei, die sich vor etwa sechs Wochen noch vehement gegen die Maskenpflicht aufgelehnt hat.
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Ich kann mich noch an die Debatte mit Ihnen, Frau Präsidentin, erinnern. Diese Partei hatte vorgesehen, dass auf dem Parteitag keine Masken getragen werden müssten – und jetzt kommt sie als letzte Partei, die für Risikopatienten FFP2-Schutzmasken fordert. Ich sage Ihnen: Wir sind in der Diskussion schon viel, viel weiter als Sie. Deswegen das nur kurz am Rande.
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Für mich wichtiger und spannender ist die Frage nach den Schnelltests für Selbstanwender, Public-Health-Screenings und Ähnlichem. Wenn man sich den Antrag anschaut, sieht man: Der datiert vom 6. Januar dieses Jahres. Dazu ist zu sagen – Herr Dahmen, darüber kann man bestimmt diskutieren –, dass wir da noch nicht so weit waren, wie das heute der Fall ist. Trotzdem ist dies ein guter Beitrag zur Debatte und zur Diskussion.
Ich glaube aber, es ist auch ganz wichtig, zu erkennen, was sich seitdem getan hat. Wir haben für dieses Jahr zum Beispiel 545 Millionen Antigenschnelltests reserviert. Das Bundesministerium für Gesundheit ist weiterhin dabei, neue Kapazitäten zu erwerben.
Wir diskutieren darüber, wie wir das Testen in den Pflegeheimen optimieren können. Wir haben vieles erreicht, und wir haben Geld zur Verfügung gestellt. Wir alle haben erlebt, dass es nicht an den Tests scheitert oder an dem Geld, sondern dass das eigentliche Problem schlicht und ergreifend darin besteht, dass das Personal fehlt. Deswegen ist es wichtig, auch darüber zu diskutieren. Und auch da sind wir ein gutes Stück vorangekommen.
Stichwort „Public Screenings“. Über die Weihnachtsfeiertage haben sich in den Regionen bei mir im Landkreis die Rettungsdienste mit den Ärzten zusammengetan und haben auf den Marktplätzen die Menschen getestet, damit es wieder zu Begegnungen kommen konnte. In Böblingen und in Tübingen sind Schnelltests etabliert worden. Auch da hat sich viel getan.
Ihr Antrag ist daher ein bisschen aus der Zeit gefallen, weil wir im Grunde genommen das meiste schon erledigt haben: Wir haben die Testungen freigegeben für Apotheker und für Zahnärzte. In Baden-Württemberg gibt es jetzt Teststrategien. Susanne Eisenmann hat Vorschläge dazu gemacht, wie wir das im Bereich Einzelhandel oder im Bereich von Schulen und Kitas ausbauen können. Da ist unheimlich viel in Bewegung; da ist Dynamik drin, und wir passen laufend an.
Ich bin dem Kollegen Andrew Ullmann dankbar dafür, dass er das Thema Schnelltests zur Selbstanwendung noch einmal ins richtige Licht gerückt hat. Das ist in der Tat eine schwierige Debatte. Herr Dahmen, Sie haben vielleicht die Diskussionen in Österreich mitbekommen. So toll sind die Erfahrungen, was Testungen angeht, in Österreich nicht. Deswegen ist es klug und gut, dass wir das Ganze geordnet dahin gehend prüfen, ob die CE-zertifizierten Tests vorhanden sind, und dass wir uns auch mit der Frage auseinandersetzen, wie wir das qualitätsgesichert schaffen können.
Was passiert denn mit den Tests? Gestern gab es eine Diskussion in den Medien, wo es hieß, dass wir natürlich auch einen Rahmen dafür schaffen müssen, dass das Testergebnis irgendwo Niederschlag findet, wenn jemand einen Schnelltest macht. Es lohnt sich nicht, jemandem einen Test auszuhändigen, und dann passiert mit dem Ergebnis nichts. Dazu steht nichts in Ihrem Antrag drin.
Deswegen ist es wichtig und richtig, das alles noch mal sauber zu überarbeiten. Wie gesagt, das Ministerium macht das; wir befassen uns mit der Frage: Wie können wir mit diesen Selbsttestungen umgehen? Wie können wir das angehen? Einfach nur eine Idee in den Raum zu werfen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, ohne vernünftig abzusichern, was die Qualität betrifft, was die Testergebnisse angeht und wie wir das zum Beispiel auch mit dem Thema Mutation zusammenbringen, halte ich für nicht richtig.
Wenn wir jetzt von Mutationen und Ähnlichem reden, wir aber noch gar nicht wissen, wie sich das Ganze weiterentwickelt, wäre es vielleicht ein falsches Zeichen, die Menschen durch Schnelltests und ähnliche Selbsttests entlasten zu wollen, obwohl man noch gar nicht weiß, wohin die Reise geht.
Deswegen lehnen wir den Antrag ab. Es gilt das Motto: Sorgfalt und Qualität haben Vorrang. Deswegen prüfen wir, und deswegen wird darüber diskutiert. Das alles wird auch umgesetzt, aber es wird kein Schnellschuss.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Michael Hennrich. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Christine Aschenberg-Dugnus.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Schnelltests sind ein sehr wichtiger Baustein für die Pandemiebekämpfung. Sie bieten ein enormes Potenzial, dieses gefährliche Virus einzudämmen; denn durch einen Schnelltest kann die Frage „infektiös oder nicht?“ relativ einfach geklärt werden, auch wenn wir natürlich erwähnen müssen, dass es nur eine Momentaufnahme ist. Aber immerhin ist es eine Momentaufnahme.
Das Tückische an Covid-19 ist doch, dass man bereits Träger des Virus sein kann, ohne selbst überhaupt Symptome zu haben. Regelmäßige Schnelltests können dazu beitragen, dass gerade systemrelevante Berufe ihrer Arbeit nachkommen können. Das gilt – und das ist mir besonders wichtig – vor allem in Alten- und Pflegeeinrichtungen, die leider immer noch ein sehr hohes Infektions- und Ausbruchsgeschehen vorweisen.
Uns alle machen doch die hohen täglichen Todeszahlen betroffen. Wir merken zwar, dass die Infektionszahlen sinken, aber die Zahl derjenigen Menschen, die jeden Tag an Covid-19 versterben, ist immer noch viel zu hoch. Gestern waren es allein 982, heute 941 – das ist zu viel, meine Damen und Herren. Deswegen sage ich auch ganz deutlich: Der Schutz vulnerabler Gruppen muss oberste Priorität haben,
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insbesondere in der stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung, in Pflege-, Reha- und Behinderteneinrichtungen und in der ambulanten Pflege. Da schaue ich ganz besonders meine Kollegin Nicole Westig an.
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass niemand mehr eine Pflegeeinrichtung betritt, der mit Covid-19 infiziert ist, und das heißt ganz konkret: tägliches Testen der Mitarbeiter, des Pflegepersonals, des Reinigungspersonals genauso wie der Besucher.
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Bei diesem Testen müssen wir die Pflegeeinrichtungen unterstützen. Es reicht eben nicht, nur finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Es freut mich übrigens, dass der Kollege Hennrich das auch so sieht.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der SPD-Fraktion?
Ja, sicher.
Liebe Frau Kollegin, vielen Dank, dass ich eine Zwischenfrage stellen darf. – Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie vonseiten der FDP für eine tägliche Testpflicht in Pflegeeinrichtungen für Bewohner, für Besucher und Pflegekräfte plädieren?
Wir haben schon heute Morgen diskutiert. Sie haben zu dem Thema „Grundrechtseingriffe“ an verschiedenen Stellen Anträge und Fragen gestellt. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, dass eine verpflichtende Testung zum Beispiel eines Menschen mit einer demenziellen Erkrankung als Grundrechtseingriff erlebt werden kann, noch dazu, wenn diese täglich durchgeführt wird.
Ich weiß nicht, ob sie direkte Kontakte zu Pflegeeinrichtungen haben.
Sehr viel.
Viele Menschen, die pflegebedürftig sind und in Pflegeeinrichtungen liegen, haben inzwischen Angst, wenn die Pflegekräfte mit dem Testset hereinkommen. Von daher möchte ich Sie fragen: Können Sie sich vorstellen, dass auch diese Variante einer Testpflicht ein Grundrechtseingriff sein kann?
Danke, Frau Baehrens. – Frau Aschenberg-Dugnus, bitte.
Vielen Dank. – Ich gebe Ihnen völlig recht. Ich habe das Wort „Pflicht“ aber überhaupt nicht in den Mund genommen. Ich bin sehr viel in Pflegeeinrichtungen unterwegs, Frau Kollegin. Es gibt viele Pflegeeinrichtungen, die sagen: Alle drei, vier Tage ist uns nicht genug. Wir würden gerne sehr viel mehr testen, und unsere Pflegerinnen und Pfleger möchten das auch.
Insofern ist das keine Pflicht. Ich könnte mir aber vorstellen – darauf komme ich noch im Laufe meiner Rede –, dass die Einrichtungen, die ihr Personal und die Besucher gerne täglich testen möchten, nicht nur die Mittel bekommen, sondern auch Unterstützung bei der Testung selbst. Ich gebe Ihnen 100 Prozent recht: Eine Pflicht lehnen wir in diesem Sinne völlig ab. Das Wort „Pflicht“ habe ich auch gar nicht den Mund genommen. Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt.
Es gibt viele Pflegeeinrichtungen, die eine tägliche Testung haben möchten. Wenn das der Fall ist, muss es auch möglich sein. Ich glaube, wir sind uns einig, dass Covid-19 gerade von außen in die Pflegeeinrichtungen, in die Behinderteneinrichtungen hereingetragen wird und so zu den vielen Ausbrüchen führt. Es ist doch ein Beitrag für die Sicherheit in den Einrichtungen, wenn diese sagen: Wir würden unser Personal und die Besucher gerne täglich testen. – Das ist der Ansatz, den wir wählen. Also bitte: keine Pflicht, sondern die Möglichkeit. Aber das hätten Sie sich bei einer Freien Demokratin auch denken können, Frau Kollegin.
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Dann möchte ich gerne in meiner Rede fortfahren. Allein das Zurverfügungstellen von Mitteln reicht nicht, sondern wir müssen besonders den Einrichtungen helfen – ich habe es gerade gesagt –, die nicht ausreichend Personal haben, um die Testungen durchzuführen. Das Pflegepersonal ist im Moment sowieso sehr überlastet. Das heißt auch, dass wir dort unbürokratisch helfen und auf Freiwillige zurückgreifen müssen, meine Damen und Herren.
Noch etwas zu den Schnelltests und der Eigenanwendung. Das finden wir sehr gut, aber sie müssen zertifiziert sein. Den Ansatz des Antrages, über konkrete Anwendungen von Schnelltests und das notwendige Verhalten bei positiven bzw. negativen Ergebnissen zu informieren, finden wir sehr richtig und notwendig. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank, Christine Aschenberg-Dugnus. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Hilde Mattheis.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir uns, was die Teststrategie anbelangt, in wesentlichen Punkten einig sind. Ich finde es auch gut, dass wir anlässlich dieses Antrags der Grünen hier darüber reden, wie weit unsere Überlegungen schon gediehen sind. Jetzt kann man nämlich sagen, dass es einen Referentenentwurf gibt, der auch die Eigentests möglich macht. Ich glaube, dass wir uns gemeinsam auf den richtigen Weg begeben und den Public-Health-Ansatz und die Maßnahmen, die Sie in Ihrem Antrag zu Recht herausheben, in einer breiten Öffentlichkeit diskutieren können.
Aber eines muss uns allen klar sein: Kontaktbeschränkungen, Abstandsregelungen genauso wie Impfstrategien dürfen nicht vernachlässigt werden. Deshalb ist es auch wichtig, darauf abzuheben: Das Ganze muss mit einer sehr guten und klaren Kommunikationslinie flankiert werden. Das ist richtig und wichtig. Auch bei anderen Dingen wäre die Kommunikation zu verbessern; das gebe ich an der Stelle gern unumwunden zu. Aber gerade bei diesem Thema „Selbst- und Eigentestungen“ ist das, glaube ich, fundamental wichtig.
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Wir haben schon Erfahrungen mit Eigentests beim Thema HIV. Da gibt es die schon längst, und die Verantwortung der Menschen ist groß.
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Also ist es dieser Punkt, der uns veranlassen muss, auch hier verstärkt in diese Richtung zu denken. Denn das ist eine Perspektive, wieder ein Stück in die Normalität gehen zu können. Und nichts wünschen wir uns doch mehr, als der Bevölkerung eine Strategie offenbaren zu können, die eine Normalität wiederbringt und den Weg ins – in Anführungszeichen – „normale“ Leben weist: zu Sozialkontakten, zu Begegnungen, zu Teilhabe. Das alles bietet eine solche Säule innerhalb unseres gesamten Maßnahmenkatalogs. Deswegen ist das gut.
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Ich gebe Herrn Kessler gerne recht: Der Zugang muss für alle gleich sein.
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Was nützt eine solche Strategie, wenn es eine elitäre Angelegenheit ist? Ich sage einmal so: Wenn der Apothekerverband schon wieder Dollarzeichen in den Augen hat und meint, einen solchen Test für 10 Euro verkaufen zu können, ist das der falsche Weg. Wir brauchen eine breite Anwendung von Eigentests. Es muss möglich sein, dass man, wenn man sich mal wieder mit Freunden oder Freundinnen treffen will – zu dritt womöglich, irgendwann –, einen solchen Eigentest anwendet, um den Schutz zu garantieren. Auch für den, der wieder in den Sportverein geht und sagt: „Ich möchte nicht, dass meine Sportkumpel oder Kickerkumpel durch mich gefährdet werden könnten“, ist ein solcher Eigentest gut.
Also: Das ist der richtige Weg, und zwar für alle und flächendeckend. Das muss doch unser Bestreben sein. Kleine Sprengsel für wenige Ausgesuchte helfen uns als Maßnahme nicht.
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Es ist schlicht und ergreifend die Herausforderung, mit solchen Eigentests für die gesamte Bevölkerung eine Maßnahme zu organisieren und zu finanzieren, die wieder zur Normalität führt und Perspektiven aufzeigt; denn – da sind wir uns ja sicher einig – die Perspektive weiterer Shutdowns ist nicht sehr gut und trägt auch nicht dazu bei, dass wir die Bevölkerung beruhigen können. Die Impfstrategie – das wissen wir auch – braucht wahrscheinlich bis in den Sommer hinein. Also müssen wir doch sämtliche Überlegungen anstellen und Kraftanstrengungen unternehmen, um bis dahin eine Perspektive aufzuzeigen, und das ist eine.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Hilde Mattheis. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Stephan Pilsinger.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Antigenschnelltests sind ganz ohne Zweifel ein hervorragendes Instrument, um Coronainfektionen zügig und ohne großen Aufwand erkennen zu können, und zwar überall direkt vor Ort, sei es in Pflegeheimen, in medizinischen Einrichtungen, in Schulen, in Kitas und neuerdings auch in sozialen Einrichtungen.
Mit der Dritten Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung erweitern wir deshalb nun erneut die Einsatzgebiete der Schnelltests. Auch in Einrichtungen, in denen viele Menschen in beengten Räumen zusammenkommen, beispielsweise in Asylunterkünften, Gemeinschaftseinrichtungen und Justizvollzugsanstalten, soll von nun an getestet werden können. Zudem sollen Einrichtungen der kritischen Infrastrukturen künftig ebenfalls Antigenschnelltests erwerben und einsetzen können. Ich begrüße es sehr, dass unsere Teststrategie damit den aktuellen Entwicklungen angepasst wird; denn, meine Damen und Herren, Testen gehört zu den wichtigsten Werkzeugen bei der Bekämpfung des Coronavirus.
Als Arzt und Gesundheitspolitiker warne ich jedoch an dieser Stelle davor, den Bürgerinnen und Bürgern die Schnelltests als Allheilmittel gegen die Pandemie zu verkaufen; denn ganz sicher sind sie auch wieder nicht. Im Gegenteil: Ein Großteil der auf dem Markt befindlichen Tests muss zwangsläufig von medizinischem Fachpersonal oder von entsprechend geschultem Personal angewendet werden. Das fängt bereits bei der Probeentnahme an. Wer hier nicht sorgsam vorgeht, riskiert schnell ein falsch negatives Testergebnis.
Voraussichtlich ab März werden wir aber auch Schnelltests auf dem Markt sehen, die einen einfacheren Abstrich aus den vorderen Nasenregionen zulassen. Aus diesem Grund haben wir nun auch frühzeitig beschlossen, Schnelltests, die explizit für die Eigenanwendung bestimmt sind, zuzulassen und von der Abgabebeschränkung auszunehmen. Aus meiner Sicht muss sich hier aber in der Praxis erst zeigen, wie genau diese Tests wirklich sind.
Diese Einschränkung trifft aber auch auf die bisher angebotenen Schnelltests zu. Im Vergleich zum PCR-Test ist nämlich in der Regel eine deutlich größere Virusmenge notwendig, damit sie ein positives Testergebnis auch wirklich zeigen. Außerdem kommt es bei Schnelltests deutlich häufiger vor, dass ein positives Ergebnis angezeigt wird, wenn die Person gar nicht infiziert ist.
Zudem geben auch aktuelle Untersuchungen Anlass zur Sorge. In einer jüngst veröffentlichten Studie des RKI wurde die klinische Performance eines neuen Sars-CoV-2-Antigentests in der Notaufnahme eines großen Krankenhauses untersucht. Das Ergebnis: Bei asymptomatischen Patienten weist der verwendete Schnelltest lediglich eine Sensitivität von 38,9 Prozent auf. Ein Großteil der Infektionen blieb also unentdeckt.
Für mich zeigt diese Studie ganz klar: Wir müssen die Ergebnisse von Schnelltests mit Vorsicht genießen. Insoweit muss die hohe Erwartung an die Schnelltests an dieser Stelle auch etwas gebremst werden; denn Testen ohne medizinischen Anlass führt zu einem falschen Sicherheitsgefühl. Auch ein negativer Test ist nur eine Momentaufnahme und entbindet uns nicht von der Einhaltung der Coronamaßnahmen.
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Meine Damen und Herren, die Situation ist weiter ernst. Mehr denn je müssen wir uns jetzt an die geltenden Beschränkungen halten. Wir müssen die weitere Ausbreitung der Virusmutation jetzt mit allen Mitteln bremsen. Unser Gesundheitssystem würde eine Vervielfachung der ohnehin viel zu hohen Fallzahlen nicht verkraften.
Es ist daher weiter wichtig, zu betonen: Auch mit dem regelmäßigen Einsatz von Schnelltests können die geltenden Einschränkungen weder aufgehoben noch gelockert werden. Die Tests helfen uns lediglich bei der Eindämmung der Pandemie und beim Schutz vulnerabler Gruppen. Sie werden das Virus aber nicht besiegen. Dazu brauchen wir die Impfung. Doch bis wir genug Impfstoff haben, um allen ein Impfangebot machen zu können, ist es noch ein langer Weg. Lassen Sie uns daher weiter mit aller Kraft gemeinsam gegen die Ausbreitung des Virus kämpfen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Stephan Pilsinger. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Martina Stamm-Fibich.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Antrag ist es wie mit so vielen Dingen in der Pandemie: Eigentlich verfolgen wir alle das gleiche Ziel, aber über den Weg dorthin gibt es dann doch die eine oder andere Uneinigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie haben recht damit, dass wir mehr testen müssen, um das Infektionsgeschehen besser in den Griff zu bekommen, und es stimmt ebenfalls, dass in diesem Zusammenhang Antigenschnelltests zur Selbstanwendung ein wichtiger Baustein unserer Teststrategie sein können, nämlich immer dann, wenn ein PCR-Test oder ein Point-of-Care-Test nicht möglich ist.
Allerdings halte ich es für den falschen Weg, die aktuell zugelassenen Antigenschnelltests jedem Laien einfach so zugänglich zu machen. Deshalb lehne ich den Antrag in seiner jetzigen Fassung ab. Ich halte dies für kritisch, weil die korrekte Anwendung der Tests durch den Laien aktuell nicht immer und vollständig gewährleistet werden kann. Jeder, der schon mal so einen Rachenabstrich mitgemacht hat, weiß, wie unangenehm das sein kann. Und ich bin mir sicher, dass es auch viele Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, selbstständig diesen Abstrich wirklich korrekt durchzuführen.
Hinzu kommt, dass die korrekte Interpretation der Ergebnisse ebenfalls nicht garantiert ist. Wenn wir Antigenschnelltests zur Selbstanwendung einführen wollen, dann müssen wir zuerst garantieren, dass diese Tests in der Anwendung auch absolut sicher sind. Gleichzeitig müssen wir regeln, dass die Abgabe solcher Tests mit einer entsprechenden Aufklärung über die richtige Einordnung der Ergebnisse einhergeht. Was wir auf jeden Fall unterbinden müssen, ist, dass Menschen sich testen, fälschlicherweise ein negatives Ergebnis erhalten und danach in einem falschen Sicherheitsgefühl durch die Gegend laufen und womöglich sogar zu Superspreadern werden.
Aktuell sind mehrere Antigenschnelltests zur Selbstanwendung im Notifizierungsverfahren. Wir rechnen damit, dass die Zulassung zeitnah erfolgt. Die rechtlichen Anpassungen, die eine Abgabe der Tests ermöglichen, sind bereits in Arbeit. Bis es so weit ist, gilt es allerdings, noch einige wichtige Fragen zu klären. Unter anderem muss die nationale Teststrategie überarbeitet werden und um die Nutzung der Antigenschnelltests zum Eigengebrauch ergänzt werden. Die Bundesregierung und die Länder müssen sich darüber verständigen, wo der großflächige Einsatz der Tests Sinn macht und wo nicht. Regelungsdurcheinander, Einzellösungen und Alleingänge müssen wir an dieser Stelle verhindern.
Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass die Tests, die sich im Markt befinden, die notwendigen Anforderungen an Sensitivität und Spezifität auch tatsächlich erfüllen. Einige Studien weisen nämlich darauf hin, dass die Herstellerangaben und die tatsächliche diagnostische Sensitivität in einigen Fällen weit auseinanderklaffen.
Der Kollege Pilsinger hat auf die RKI-Studie hingewiesen. Angesichts dieser Untersuchung, bei der nur 39 Prozent der asymptomatisch Infizierten erkannt wurden, bin ich wirklich erschrocken. Da habe ich mir gedacht: Deswegen müssen wir darauf wirklich ein Auge haben. Deshalb macht es vielleicht auch Sinn, die Tests, die auf dem Markt sind, noch einmal unabhängig auf ihre Qualität zu überprüfen. Denn welchen Sinn macht es, Antigentests als Public-Health-Tool einzusetzen, wenn sie fehlerhaft sind und nicht halten, was sie versprechen?
Und schlussendlich müssen wir uns auch mit der Kostenfrage befassen. Wann kommt eventuell eine Erstattung infrage und wann nicht?
All diese Fragen müssen beantwortet sein, bevor wir den Antigentest zur Selbstanwendung großflächig einführen. Alles andere führt nur zur Verwirrung und schadet mehr, als es nutzt. Ich glaube, es verbindet uns in großen Teilen, dass wir das alle nicht wollen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Martina Stamm-Fibich. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als Letzter in dieser erneuten Gesundheitsdebatte darf ich noch einmal zusammenfassen: Am 27. Januar 2020, also gestern vor einem Jahr, wurde die erste Infektion mit dem Coronavirus in Deutschland festgestellt, in Bayern. Seitdem versuchen wir alle, mit dieser gewaltigen Herausforderung umzugehen.
Der Beginn der Impfkampagne lässt grundsätzlich und nachhaltig hoffen. Aber wir sind hier erst am Beginn des Weges. Die jüngsten Zahlen der an oder mit Sars-CoV-2 Verstorbenen zeigen eindrücklich, dass die Pandemie ihren Schrecken noch lange nicht verloren hat. Auch am Schluss dieser Debatte möchte ich nachdrücklich darauf hinweisen, wie wichtig es bis auf Weiteres bleibt, die AHA-Regeln einzuhalten, also Abstand, Hygiene, Alltagsmaske – am besten eine FFP2-Maske –; ebenso wichtig ist eine Reduktion der Kontakte, so schwer uns dies auch fällt.
Meine Damen und Herren, eine ganz zentrale Rolle, um eine stabile Kontrolle über das Infektionsgeschehen zu bekommen, haben nach wie vor Testungen und die damit zusammenhängende Teststrategie. Hier muss im Lichte neuer Rahmenbedingungen und Erkenntnisse immer wieder neu justiert werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer wahrscheinlich hohen Dunkelziffer an bisher nicht erkannten Infektionen.
Als positives Beispiel möchte ich hier auf die Hansestadt Rostock hinweisen. Dort wird schon seit Beginn der Pandemie über die RKI-Empfehlungen hinaus getestet, mit dem Ergebnis, dass der Sieben-Tage-Inzidenzwert schon längere Zeit unter 50 liegt – aktueller Stand: sogar nur bei 34,9.
Meine Damen und Herren, ich begrüße, dass wir heute den Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zum Ausbau der Sars-CoV-2-Schnelltests diskutieren. Ich möchte mich hierauf beschränken; zum Antrag der AfD hat, wie ich finde, der Kollege Hennrich alles Erforderliche gesagt.
Dieser Antrag geht in die richtige Richtung. Im Wesentlichen sprechen Sie darin an, dass Schnelltests da wichtig und sinnvoll sind, wo keine PCR-Testungen erfolgen können, zum Beispiel für Pflegepersonal und Besucherinnen und Besucher von Pflegeeinrichtungen, auch für Lehrkräfte und für Bürgerinnen und Bürger, welche in Regionen mit einer hohen Prävalenz leben. Aber, meine Damen und Herren Antragsteller, Sie kommen mit Ihrem Antrag zu spät. Der Bundesminister für Gesundheit, dem ich an dieser Stelle herzlich dafür danken möchte – ich bitte, ihm das zu übermitteln –, geht bereits mit dem jüngst vorgelegten Referentenentwurf einer „Dritten Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ – an der Länge des Namens macht sich die Bedeutung fest – den, wie ich finde, entscheidenden weiteren Schritt, der nun auch von Ihnen gefordert wird. Die Verordnung erlaubt künftig die Abgabe von Schnelltests an alle Einrichtungen, in denen viele Menschen in engen Räumen zusammenkommen. Auch Einrichtungen der kritischen Infrastruktur werden berücksichtigt. Und der Verkauf an Laien wird möglich.
Noch gibt es entsprechende Tests am Markt nicht. Solche Tests müssen vom Hersteller mit einer entsprechenden CE-Zertifizierung zur Eigenanwendung zertifiziert werden. Rudolf Henke hat sehr umfassend am Beginn der Debatte darauf hingewiesen.
Als Berichterstatter meiner Fraktion für Medizinprodukte ist es mir trotzdem noch mal wichtig, auch an dieser Stelle zu betonen, dass solche Tests den Vorgaben des Medizinproduktegesetzes unterliegen. Dies muss den benannten Stellen gegenüber nachgewiesen werden. Es muss auch sichergestellt sein, dass die Gebrauchsinformationen Anwenderinnen und Anwender über das erhaltene Ergebnis detailliert aufklären. Welche Bedeutung das Ergebnis hat, muss eindeutig klar werden.
Die Verordnung, meine Damen und Herren, gibt den Herstellern jetzt aber das richtige Signal, um entsprechende Tests anzubieten und dort Kapazitäten zu schaffen. Antigenschnelltests bieten die Möglichkeit, vermehrt zu testen und Infektionen schneller zu erkennen. Infektionsketten können so früher unterbrochen werden. Ja, vielleicht können erweiterte Testungen und neue, umfassende Teststrategien zukünftig helfen, weitere Lockerungen zu ermöglichen. Testungen in Unternehmen, im Einzelhandel, in der Gastronomie, im Fitnessstudio oder in ähnlichen Einrichtungen ermöglichen zukünftig hier, wie ich finde, weitere Möglichkeiten. Selbstverständlich ist klar, dass die PCR-Tests aufgrund ihrer hohen Verlässlichkeit weiterhin wichtig bleiben. Deshalb muss ein positives Antigenschnelltestergebnis immer mittels eines PCR-Tests bestätigt werden.
Meine Damen und Herren, aufgrund der Tatsache, dass der Verordnungsentwurf vorliegt, müssen wir leider Ihren Antrag ablehnen.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wenn alle Menschen außer einem derselben Meinung wären …, dann wäre die ganze Menschheit nicht … berechtigt, diesen einen mundtot zu machen …
Zitiert nach John Stuart Mill, mit Erlaubnis der Präsidentin.
Die globalistische Linke im Bündnis mit Big Tech will dagegen jeden mundtot machen,
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der nicht an ihre Wahrheit glaubt. Sie halten ihre Meinung für alternativlos, für die absolute Wahrheit und für das absolut Gute. Migration, Klimawandel, Gender und Europa: Wer es wagt, eine andere Meinung zu haben, der ist ein Ketzer, ein Feind, ein Klima- und Coronaleugner, ein Hassredner, ein Rassist, ein Nazi. Und er ist absolut böse, er muss aus jeder sozialen Kommunikation gesäubert, geächtet und sozial vernichtet werden, er muss in den sozialen Medien aufhören zu existieren; das ist das Ziel von Cancel Culture und Deplatforming.
Dahinter steht der Geist der Zerstörung, das Bündnis der Kulturmarxisten mit den Big-Tech-Konzernen.
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Die haben eine Arbeitsteilung: Die linken Terrorhorden von Antifa und Black Lives Matter
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schüchtern mit massiver physischer Gewalt politische Gegner ein, mobben unbequeme Wissenschaftler von der Universität, boykottieren und attackieren Unternehmen und schänden Denkmäler, laut und schmutzig.
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Die Löscharmeen der Plattformen von Big Tech löschen, sperren und entziehen Reichweite, machen Beiträge unauffindbar, zerstören so Wettbewerber, schneiden Organisationen von ihren Spendern, Nutzern, Konsumenten ab, leise und schmutzig, ohne Gesetz, millionenfach – die reine Willkür.
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Und deren Faktenchecker sind ein Wahrheitsministerium – wahr ist, was links ist;
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links ist gut, rechts ist böse –, und dieses Wahrheitsministerium ist ein Weltwahrheitsministerium, ein sehr mächtiges. Es sind im Prinzip fünf Konzerne, die das Netz, die Plattformen, die Bezahlfunktionen, die gesamte technische Infrastruktur kontrollieren, weltweit, global. Smartphone-Betriebssysteme: beherrscht von zweien, Google und Apple; Social Media beherrscht von zweien: Facebook und Twitter; Videoplattformen: einer, YouTube, also Google; Suchmaschinen: einer, Google; Cloud-Infrastruktur: drei: Amazon, Microsoft und Google; und bei den Onlinebezahlsystemen zusätzlich noch PayPal.
Auf Knopfdruck einer Handvoll von Big-Tech-Milliardären, der Herren Bezos, Zuckerberg, Dorsey, Pichai und Nadella, kann jeder auf der Welt gesperrt und digital ausgelöscht werden – und sie tun es, Tag für Tag, millionenfach. Das sind die mächtigsten Männer der Welt.
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Ein Herr Dorsey konnte den amtierenden amerikanischen Präsidenten Trump mundtot machen, und nach der Löschung von Trump hat ein Herr Bezos seiner gesamten Ausweichplattform, Parler, den Stecker gezogen – zig Millionen Nutzer mit Hunderten Millionen Meinungsäußerungen: klick, weg, tot.
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Im 21. Jahrhundert gehört der Zugang zur digitalen Öffentlichkeit zur Grundversorgung wie Wasser und Strom.
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Monopolisten dürfen Bürgern Wasser und Strom nicht abdrehen, weil sie eine „falsche“ Meinung haben, so wie Big-Tech-Konzerne Bürger nicht mundtot machen dürfen wegen der „falschen“ Meinung. Aber genau das tun sie, und dagegen muss die Politik, muss die Regierung, muss dieser Bundestag vorgehen. Und das geht auch. Die polnische Regierung hat mal wieder gezeigt, wie das geht.
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Sie hat ein Gesetz vorgelegt: Was polnische Gerichte nicht verboten haben, darf nicht mehr gelöscht werden; sonst gibt es hohe Geldstrafen für die Konzerne. Das ist der richtige Weg.
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Bei uns ist es genau andersherum: Da wird nicht Zensur bestraft, sondern das Nichtzensieren wird bestraft; das ist das NetzDG dieser Regierung.
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Wir stehen vor einer Zeitenwende: Vor unseren Augen entsteht ein globaler Überwachungsstaat und ein so perfektes Zensurregime, wie es das noch nie in der Geschichte der Menschheit gab. Das ist digitaler Totalitarismus. Den müssen wir stoppen – für die Meinungsfreiheit der Bürger, für die Demokratie, gegen den Totalitarismus von Big Tech und gegen die Herrschaft des Silicon Valley.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Jan-Marco Luczak das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Storch, Sie sind ja von Hause aus eigentlich Rechtsanwältin; so sollte man hier eine gewisse juristische Vorbildung erwarten. Aber das, was Sie uns hier dargeboten haben, das war ja wirklich Science-Fiction, das war Dystopie – und das bei einem wirklich ernsten und auch rechtlich außerordentlich schwierigen Thema.
Wir haben ja gesehen, was am Nachmittag des 6. Januar in den USA passiert ist – das war in der Tat etwas Ungeheuerliches –: Anhänger von US-Präsident Donald Trump sind auf das Kapitol marschiert,
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haben sich dort gewaltsam Zugang verschafft zum Sitz des Kongresses, der Herzkammer der amerikanischen Legislative,
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wo zu dieser Stunde der gerade gewählte Präsident Joe Biden bestätigt werden sollte. Am Ende dieses Tages hatten fünf Menschen ihr Leben verloren, viele waren verletzt. Den größten Schaden hat vermutlich die US-amerikanische Demokratie genommen. Was hat das jetzt mit unserem Thema zu tun,
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was hat das mit Meinungsfreiheit im Netz zu tun? Ja, das will ich Ihnen sagen: Trump hat den klaren Wahlsieg von Joe Biden nicht anerkannt.
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Trump hat auf Twitter 90 Millionen Follower, eine enorme Reichweite gehabt, und er hat in den Tagen zuvor – wie in der gesamten Präsidentschaft – falsche Fakten dargelegt: Er hat gesagt, die Wahl wurde ihm gestohlen. Er hat in seiner ganzen Präsidentschaft gelogen und damit den Boden für den Sturm auf das Kapitol bereitet. Und Twitter hat dann reagiert, es hat am Ende den Account des Präsidenten gesperrt, und auch Facebook, Instagram, andere soziale Kanäle haben in einer ähnlichen Art und Weise reagiert.
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Nun kann man sagen: Richtig so, gut, dass Trump endlich abgeschaltet wurde.
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Vier von fünf Deutschen denken auch so.
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Ich will aus meiner persönlichen Meinung gar keinen Hehl machen: Auch ich finde, es ist gut, dass er abgeschaltet worden ist.
Aber wie sieht das denn als Gesetzgeber aus? Können wir uns das wirklich so einfach machen? Was wäre denn gewesen, wenn nicht Trump abgeschaltet worden wäre, sondern
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vielleicht Obama – oder auch Merkel? Und das zeigt, glaube ich, dass wir über den Tag hinaus denken müssen, wir müssen fragen: Wer entscheidet eigentlich, was in meinungsträchtigen Netzwerken gesagt werden darf,
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wer entscheidet, wer sich an der weltweiten Kommunikation beteiligen darf?
({9})
Und da, meine Damen und Herren, wird die Sache dann schon ein bisschen komplizierter. Natürlich ist Twitter ein privates Unternehmen, und als private Unternehmen dürfen natürlich Twitter, Facebook und andere erst mal selbst entscheiden, wer auf ihren Plattformen ist und auch unter welchen Bedingungen.
({10})
Aber Twitter, Facebook und die anderen sozialen Netzwerke sind mittlerweile für den öffentlichen Diskurs, für das, was in der Gesellschaft diskutiert wird, für unsere Meinungen, für unsere Trends auch wesentlich. Ohne Twitter wäre Trump wahrscheinlich nie Präsident geworden. Ohne Twitter würde es keinen Trumpismus geben. Ohne Twitter hätte es vermutlich diesen Sturm auf das Kapitol auch nicht gegeben. Das zeigt deutlich, dass für die öffentliche Kommunikation, für den Prozess der Meinungsbildung Twitter, Facebook, andere soziale Netzwerke eine zentrale, vielleicht sogar übermächtige Stellung haben.
Was folgt jetzt daraus? Die Meinungsfreiheit, sie ist für unsere Demokratie schlechthin konstituierend. Deswegen haben wir als Staat eine Schutzpflicht, nämlich den offenen Diskurs, den Prozess der Meinungsbildung, die Meinungsfreiheit zu gewährleisten. Dazu gehört dann auch, dafür zu sorgen, dass Twitter, Facebook als zentrale Kommunikationskanäle, als Torwächter der Meinungsfreiheit den Grundrechten verpflichtet sind. Das Bundesverfassungsgericht hat das in der Entscheidung „Recht auf Vergessen I“ sehr schön zum Ausdruck gebracht, als es von der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten sprach. Auch private Unternehmen, wenn ihnen eine solch übermächtige Stellung und Funktion zukommen, können und dürfen die Verwirklichung von Grundrechten nicht ignorieren. Die Regeln des Rechtsstaates, die Freiheitsgewährleistung des Grundgesetzes müssen gelten und nicht die Geschäftsbedingungen von Tech-Giganten.
Dafür brauchen wir einen klaren gesetzlichen Rahmen. Wir haben das an verschiedenen Stellen gemacht, etwa mit dem Gesetzentwurf zu Hasskriminalität.
({11})
Wir werden heute noch über die Bestandsdatenauskunft sprechen. Wir werden ermöglichen, dass das Gesetz bald in Kraft treten kann.
Man muss da klar differenzieren: Diejenigen, die Hass und Hetze betreiben, die andere beleidigen und bedrohen, fallen schon a priori nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit. Da haben wir kein Problem.
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Deswegen haben wir mit dem Gesetz gegen Hasskriminalität nicht nur die Strafen verschärft, sondern haben die Netzwerke auch in die Pflicht genommen, strafrechtlich inkriminierte Inhalte auszuleiten an das Bundeskriminalamt, sodass am Ende eine Strafverfolgung erfolgen kann. Das ist auch richtig so, meine Damen und Herren.
({13})
Beim NetzDG und bei Trump ist es aber ein bisschen anders. Nicht alle Tweets von Trump waren strafbar. Erst aus dem Gesamtzusammenhang, aus der Interpretation seiner Tweets hat sich am Ende ergeben, dass er den Sturm auf das Kapitol vorangetrieben hat, dass er das angefacht hat. Das mag einem gefallen oder nicht, aber: Auch diese Äußerungen fallen unter den Schutz der Meinungsfreiheit, fallen unter Artikel 5 Grundgesetz.
Das adressieren wir jetzt mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Netzwerke wie Facebook müssen sich an den Wertentscheidungen von Artikel 5 messen lassen. Wir erhöhen den Rechtsschutz, und zwar nicht nur dann, wenn sich Menschen über das, was auf den Netzwerken gepostet wird, beschweren, sondern auch, wenn die Netzwerke selber löschen. Auch das muss zukünftig in einem Gegenvorstellungsverfahren, also in einem internen Überprüfungsverfahren, von den Netzwerken überprüft werden. Deswegen gehen wir gegen die Gefahr des Overblocking vor. Wir gewährleisten die Meinungsfreiheit im Netz. Ich glaube, das ist etwas, was für viele Millionen Menschen und am Ende auch für unsere Demokratie, für unseren freiheitlichen Rechtsstaat wichtig ist.
Herr Kollege!
Ich würde mir am Schluss wünschen, meine Damen und Herren, dass wir nicht nur in den Grenzen des Strafrechts diskutieren, nicht nur in den Grenzen von Artikel 5, sondern vor allen Dingen am gegenseitigen Respekt orientiert. Daran können vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der AfD, sich ein Beispiel nehmen.
Danke schön.
({0})
Während das Pult vorbereitet wird – dafür bedanke ich mich –, mache ich noch einmal darauf aufmerksam: Wir sind hier in dem Format „Aktuelle Stunde“. Das heißt, Redezeitüberziehungen sind nicht nur nicht erwünscht; vielmehr kann ich die Zeit auch nicht auf nachfolgende Rednerinnen und Redner derselben Fraktion anrechnen. Also: Exakt fünf Minuten Redezeit für jeden Abgeordneten.
Das Wort hat der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wissen, ich bin immer dankbar und froh, wenn wir zu einer so prominenten Zeit über Internetthemen, Digitalthemen, gerade über Meinungsfreiheit im Internet sprechen. Ich bin aber auch etwas betrübt, dass durch diese Aktuelle Stunde eine Aktuelle Stunde zu den Vorkommnissen in Russland verdrängt wird.
Es ist geradezu frappierend, wenn Frau von Storch hier über „Vernichten“ und „Ausschalten“ im Kontext von Herrn Trump spricht und wir durch Ihre Aktuelle Stunde, die Aktuelle Stunde der AfD, im Kontext von Ausschalten nicht über Herrn Nawalny und über Demokratie und Freiheitsrechte und Oppositionsrechte in Russland sprechen können.
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Man könnte fast meinen, es stünde eine Absicht dahinter, meine Damen und Herren, dass Sie von der AfD diese Aktuelle Stunde heute aufsetzen, um das zu verdrängen, um lieber ein anderes Thema, ein älteres Thema in den Vordergrund zu bringen.
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Und es entlarvt übrigens auch Ihre Grundhaltung zur Meinungsfreiheit.
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– Das müssen Sie sich jetzt anhören. – Ihre Grundhaltung zur Meinungsfreiheit, die gilt nur, wenn es Ihnen passt, nur wenn es Ihnen in den Kram passt. Wenn es aber Ihren Freund und Gönner Putin betrifft, dann schieben Sie es lieber weg. Das ist Ihre Haltung zur Meinungsfreiheit im Gesamten, meine Damen und Herren von der AfD.
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Zu der Debatte heute muss ich sagen: Wenn ich ihr einen Facebook-Status geben wollte, hieße er: Es ist kompliziert! Es ist kompliziert, da an dieser Debatte drei Parteien beteiligt sind, da es um ein Dreiecksverhältnis geht. Das ist oft kompliziert. Es geht einerseits um Plattformbetreiber, die auf den Plattformen ihr Hausrecht ausüben wollen. Es geht zum anderen um die Nutzerinnen und Nutzer, die Meinungsfreiheit, die Gleichbehandlung wollen. Und es geht um den Staat, der geltendes Recht durchsetzen will und der die Bürgerinnen und Bürger schützen muss.
Nehmen wir die Sperrungen der Accounts von Präsident Trump als Praxisbeispiel. Hierzu erleben wir in den USA eine Debatte, die sich primär um das Verhältnis Nutzer zu Unternehmen dreht, also um ein privatrechtliches Vertragsverhältnis. Es ist fast schon ein bisschen putzig, zu sehen, dass im Silicon Valley gerade entdeckt wird, dass Plattformen möglicherweise an mehr gebunden sind als nur an die Nutzungsbedingungen, die sie sich selbst gegeben haben. Wir in Deutschland kennen das schon lange: die Drittwirkung der Grundrechte – das wurde gerade genannt –; auch deren Durchgriff auf private Rechtsverhältnisse ist uns längst bekannt. Darum geht es.
Darüber hinaus geht es um weitere komplexe Fragestellungen, zum Beispiel um den Unterschied zwischen privaten und staatlichen Accounts. Was ist denn, wenn ein Account ein offizieller Account einer Regierung, eines Präsidenten ist? Was ist denn – darüber sollten wir einmal nachdenken –, wenn Meinungsplattformen wie Twitter, Facebook oder andere essenzielle Strukturen der Meinungsfreiheit, der Meinungsbildung im demokratischen Gefüge sind? Gibt es überhaupt Ausweichoptionen? Also zusammengefasst: Es ist eben kompliziert.
Und immer, wenn es kompliziert wird, neigen viele dazu, einfache Lösungen herbeizuholen. Das ist dann übrigens auch die Stunde der Populisten, die es sich sehr einfach machen. Aber es ist auch für andere Teilnehmer nicht einfach. Ich finde, dass es sich die Bundesregierung einfach gemacht hat; ich finde auch, dass es sich die Plattformen zu einfach machen, und – man muss auch selbstkritisch sagen – wir User machen es uns eben manchmal auch zu einfach.
Die Bundesregierung macht es sich zu einfach, wenn sie mit dem NetzDG beispielsweise die Durchsetzung von Strafrecht im Netz im Ergebnis zunehmend auf Private verlagert, wenn strafrechtliche Vorermittlungen – verfassungsrechtlich höchst bedenklich – in Abteilungen privater Unternehmen stattfinden sollen. Viel gefährlicher ist übrigens, dass dieses System von autokratischen Regimen, von minderdemokratischen Regimen als Vorbild und Entschuldigung für ihr eigenes System genommen wird, wobei wir wieder beim Thema Russland wären.
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Auch die Plattformen machen es sich zu einfach. Sie berufen sich auf Community Standards. Ich habe Fälle erlebt – gerade gestern wieder in einem Gespräch –, dass Dinge nach Community Standard behandelt werden und nicht nach den tatsächlichen rechtlichen Bedingungen in den Ländern. Die Plattformen haben da viel nachgelegt, aber da ist noch viel Luft nach oben. Wenn die Plattformen die User nicht als Kunden haben – wir sind als User ja Teil des Produkts –, dann geht das eben, von der Sichtweise her, an der Rechtslage vorbei. Und das ist kompliziert.
Und auch wir haben es selbst in der Hand. Wir machen es uns selbst manchmal zu einfach, wenn wir die Verantwortung für das eigene Handeln zu sehr in staatliche Hände legen. Ich will jetzt nicht anfangen mit der Netiquette. Es gibt eigentlich seit 30 Jahren Grundregeln im Internet, wie man sich zu verhalten hat. Aber wenn wir uns auch außerhalb des Internets unglaublich verhalten – übrigens auch in diesem Haus machen das manche Fraktionen – und verbal auf eine schlechte Art und Weise um uns schlagen, darf man sich nicht wundern, wenn sich das nachher im Netz widerspiegelt. Deswegen sind einfache Lösungen am Ende nicht geeignet.
Ich hoffe, dass wir die Debatte rund um Deplatforming und den Trump Ban für eine Gesamtreflexion nutzen, dass wir für Nutzerinnen und Nutzer, für Plattformen und für den Rechtsstaat gute Lösungen finden und dass wir am Ende nicht vergessen: Es geht um das freie Internet.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der große Aufmacher im Netz diese Woche – was war das? Das könnte zum einen die Frage der Verfügbarkeit von Impfstoff gewesen sein. Interessanterweise haben wir noch vor zwei Wochen heftigst im Internet darüber diskutiert, ob man sich überhaupt impfen lassen sollte. Da sieht man schon, wie schnell sich auch online die Zeiten ändern. Aber wahrscheinlich war auch die Frage, wie ein Ministerpräsident sich während MPKs verhält und welche Computerspiele er da spielt, zumindest noch am Montag etwas, was – wie sagt man so schön? – viral gegangen ist. Es hat sich verteilt wie ein Lauffeuer, alle haben darüber geredet, kaum einer war dabei. Auch ein neues soziales Netzwerk, das wahrscheinlich noch nicht zu Big Tech gehört, war in aller Munde.
Wir können ganz klar feststellen, dass das Internet, die sozialen Medien auch für uns als Politikerinnen und Politiker eine ganz große Chance bieten – eine Chance für den Meinungsaustausch, auch eine große Chance, schonungslos Defizite offenzulegen. Aber es ist eben, wie es immer mit diesen Chancen ist: Es gibt auch zahlreiche Risiken. Und das sehen wir immer wieder; das haben wir in den USA gesehen.
Aber ich finde, man braucht gar nicht so weit wegzugehen. Das, was am 6. Januar in Washington passiert ist, hatte doch frappierende Ähnlichkeiten mit dem, was hier – ich gucke quasi genau auf die Treppe vor dem Reichstagsgebäude – bei den sogenannten Querdenker-Demos passiert ist und was auch wir alle hier erlebt haben. Ich bin mir sicher: Viele von uns Kolleginnen und Kollegen haben sich am 6. Januar daran erinnert, was hier los war, als wir das letzte Mal über das Infektionsschutzgesetz debattiert haben ‑daran können wir alle uns noch erinnern. Ich habe es in meinen fast acht Jahren im Bundestag kein einziges Mal erlebt, dass plötzlich mit Maschinenpistolen bewaffnete Kolleginnen und Kollegen der Bundestagspolizei an den Eingängen gestanden haben und auch nicht wussten, was als Nächstes passiert. Das war hier bei uns im Bundestag, und es hat sehr, sehr viel mit den sozialen Netzwerken und auch mit dem Missbrauch der sozialen Netzwerke zu tun. Da gucke ich natürlich hier auf die rechte Seite im Plenum. Der Missbrauch der sozialen Netzwerke für Meinungsmache, für Manipulation
({0})
und auch um Menschen aufzustacheln, ist doch Ihre Leibspeise, meine Damen und Herren.
({1})
Das muss an dieser Stelle auch mal klar gesagt werden.
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– Da können Sie so viel brüllen, wie Sie wollen. Ich stehe jetzt hier am Mikrofon und nicht Sie, und das hat einen großen Vorteil.
Wenn man sich mal anschaut, was Twitter, Instagram, Facebook, YouTube, also all diese sozialen Netzwerke, die Frau von Storch eben gerade so kritisiert hat, gemeinsam haben – ich kann es Ihnen sagen; denn ich habe extra noch mal nachgeschaut –: Frau von Storch ist auf allen diesen sozialen Netzwerken aktiv. Sie scheinen also ganz schön schlimm zu sein, wenn Sie sie so ausgiebig nutzen und da, wie man sieht, auch viele Menschen erreichen.
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– Ja, das müssen Sie sich an dieser Stelle gefallen lassen,
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dass man mal feststellt, wie Sie damit umgehen.
Zur Frage, wie wir mit einer Sperrung wie der von Donald Trump in Zukunft umgehen sollten: Das Bauchgefühl hat doch bei ganz vielen von uns gesagt: Endlich, es wurde aber auch Zeit.
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Aber – und das haben meine Vorredner gesagt – es ist eben um einiges komplizierter. Und genauso, wie wir den ganzen Kram ertragen müssen, den viele von Ihnen dort permanent posten,
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werden wir in Zukunft vielleicht auch von einem neuen Donald Trump viel ertragen müssen; denn es kann aus meiner Sicht keine Lösung sein, ihn einfach abzuschalten. Es war mit Sicherheit in den USA eine Ausnahmesituation, die sich keiner vorstellen konnte. Aber – und auch das ist klar – es zeugt nicht von Mut dieser großen Technologieunternehmen, dass sie zwölf Tage vor Ende der Amtszeit von Donald Trump diesen Schritt gegangen sind.
({7})
Sie haben vier Jahre lang dem Treiben von Donald Trump und vor allem von seinen Millionen Anhängerinnen und Anhängern zugeschaut.
Da will ich schon eine Lanze für den Deutschen Bundestag brechen: Ja, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist nicht perfekt; aber wir haben als Deutscher Bundestag erkannt,
({8})
dass wir diese Entscheidungen eben nicht alleine großen Unternehmen überlassen können.
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Und das ist auch gut so.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Anke Domscheit-Berg für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelanger Beschäftigung mit den negativen Folgen digitaler Monopole bin ich als Netzpolitikerin inzwischen fest davon überzeugt, dass eine Wurzel des Problems die vollständige Kommerzialisierung eines zutiefst menschlichen Bedürfnisses ist, des Bedürfnisses, miteinander zu kommunizieren und sich zu vernetzen. Dieses Bedürfnis wird einem Algorithmus unterworfen, der nur einem einzigen Zweck dient, nämlich Werbeeinnahmen aus Anzeigen zu maximieren. Und es ist dieser direkte Zusammenhang zwischen Werbeeinnahmen und Aufmerksamkeit, der Algorithmen entstehen ließ, die Hass und Desinformation bevorzugt verbreiten und so unsere Gesellschaft vergiften.
({0})
Mehr als 60 Prozent aller Beitritte zu extremistischen Gruppen auf Facebook erfolgten nach Empfehlungen durch Facebook-Algorithmen. Und nur weil es profitabel war, ließ Facebook den Hass auf seiner Plattform in Myanmar eskalieren, während die Worte längst in Gewalt und Völkermord gegen die Rohingya umschlugen. Als Linksfraktion verurteilen wir so etwas aufs Schärfste.
({1})
Ohne diese profitmaximierenden Algorithmen wäre der Welt wahrscheinlich ein US-Präsident Trump erspart geblieben. Er hätte nicht 30 000-mal im Amt lügen können und nicht 70 Prozent der Desinformation zur US-Wahl auf Twitter verursachen können.
({2})
Die gleichen digitalen Großkonzerne, die ihn am Ende seiner Amtszeit von ihren Plattformen verstießen, haben jahrelang alle Hühneraugen zugedrückt, egal wie krass er gegen ihre Regeln verstieß, weil sie an ihm verdienten, weil er Aufmerksamkeit erzeugte und damit Werbeeinnahmen. Sie handelten erst, als die Gewalt nicht im fernen Myanmar, sondern vor der eigenen Haustür aus dem Ruder lief. Das ist viel zu spät, meine Damen und Herren.
({3})
Ich finde es richtig, dass Trump, nachdem er den Sturm aufs Kapitol anzettelte, endlich einmal Konsequenzen zu spüren bekam. Nicht richtig ist jedoch, dass die Regeln dafür völlig willkürlich angewendet werden, dass generell die selbstgemachten Regeln digitaler Plattformen nicht nachvollziehbar und eindeutig sind,
({4})
dass es weder demokratische Kontrolle noch einklagbare Widerspruchsrechte gibt.
({5})
Das ist ein Problem; denn es gibt nicht nur Trump, sondern auch andere, weniger bekannte Fälle. So sperrte Twitter kürzlich einen Arzt, der angesichts voller Intensivstationen feiernde Querdenker in Nürnberg beklagte und härteres Durchgreifen forderte. Die „Jüdische Allgemeine“ wurde gesperrt, nachdem sie twitterte, dass der israelische Botschafter mit der AfD wegen ihrer Einstellung zum Holocaust nicht reden will. In beiden Fällen dürften organisierte Meldungen aus antisemitischen und rechten Lagern algorithmenbasierte Sperrungen ausgelöst haben. Der grüne Landtagskandidat Dietrich Herrmann musste sich nach einer Sperrung wegen eines Witzes sogar durch mehrere Instanzen klagen. Bis er endlich wieder twittern durfte, waren die Wahlen längst vorbei.
Es ist inakzeptabel, dass digitale Konzerne willkürlich sperren und gleichzeitig massenhaft Beleidigungen oder Drohungen gegen Individuen tolerieren, die keine Meinungen sind, in Deutschland die Annahme von Gerichtspost verweigern, Rechtsprechung ignorieren und kaum Steuern zahlen. Die Schonzeit für Monopole muss endlich vorbei sein.
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Sie sind Fehlentwicklungen des freien Marktes, und sie gehören zerschlagen.
Außerdem brauchen wir eine Alternative, ein gemeinwohlorientiertes soziales Netz, das nur einem einzigen Zweck dient: das menschliche Bedürfnis nach Kommunikation und Vernetzung zu erfüllen, ohne jede Kommerzialisierung.
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Dieses Netzwerk sollte als soziale Infrastruktur der digitalen Gesellschaft zur Daseinsvorsorge gehören. Finanziert von der EU, könnte es frei sein von Profitzwang,
({8})
mit transparenten Regeln, entwickelt von der Zivilgesellschaft.
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Ihre Durchsetzung muss fair und überprüfbar sein, mit klaren Prozessen für Widersprüche. Eine Pflicht zur Interoperabilität würde sicherstellen, dass man dorthin umziehen kann, ohne bestehende Kontakte zu verlieren. Und Nutzer/-innen hätten maximale Autonomie darüber, wie ihnen Inhalte angezeigt werden. Sie könnten selber wählen, ob sie lieber eine chronologische Anzeige haben wollen oder zuerst die Freunde oder Inhalte der Region oder zu bestimmten Schlagworten sehen wollen. Wenn Menschen diese Algorithmen selbst bestimmen können, werden Hass und Desinformation ja nicht verschwinden, aber ihnen wäre die Grundlage dafür entzogen, auf der sie sich heute viral verbreiten.
({10})
Facebook ist kein Naturgesetz. Es geht auch anders. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben, § 219a gehört abgeschafft.
({11})
Da Dr. Hänel diese Informationen auf ihrer Webseite nicht mehr veröffentlichen darf, werden sie ab sofort auf meiner Webseite zu finden sein.
({12})
Bitte machen Sie das nach.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Tabea Rößner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die AfD von Meinungsfreiheit spricht, meint sie eigentlich nur Meinungsfreiheit für sich selbst.
({0})
Diese Widersprüchlichkeit zieht sich durch all ihre Reden. Wir mussten es ja gerade eben wieder ertragen, dass Sie Ihre Meinung hier ganz frei äußern können, wobei Lüge eben nicht unter die Meinungsfreiheit fällt.
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Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung genießen auch Feinde des Rechtsstaates. Das ist Demokratie „at its best“, meine Damen und Herren.
({2})
Polen ist sicher kein gutes Beispiel für Demokratie; denn dort wurden die Mediengesetze geändert, und die Regierung nimmt massiv Einfluss auf die Berichterstattung. Dass Sie dieses Beispiel anführen, wundert mich nicht, weil es das ist, was Sie eigentlich wollen.
({3})
Warum ist Meinungsfreiheit ein so hohes Gut? – Sie ist elementar für die Demokratie.
({4})
Die Vielfalt von Meinungen gewährleistet erst den freiheitlichen Meinungsbildungsprozess. Dieser verlagert sich immer mehr ins Netz. Deshalb müssen auch dort die demokratischen Prinzipien für soziale Netzwerke gelten, und zwar gerade für die Netzwerke, die besonders hohe Nutzerzahlen haben und dadurch eine große Macht entwickeln. Mit dieser Macht haben die Internetkonzerne eine Steuergewalt über den öffentlichen Raum, und das darf nicht sein.
Deshalb müssen auch Plattformen kommunikative Chancengerechtigkeit gewährleisten. Das ist aber eben oft nicht der Fall; das wurde schon erwähnt. Was radikaler, krasser, polarisierender ist, erhält mehr Klicks, generiert mehr Werbeeinnahmen und wird von Algorithmen prominenter an die Nutzerinnen und Nutzer ausgespielt. Davon hat Twitter übrigens beim ehemaligen US-Präsidenten massiv profitiert.
Wirtschaftliche Interessen bestimmen, was jemand zu sehen bekommt. Darunter leiden die Meinungsvielfalt und damit der Meinungsbildungsprozess. Wir brauchen dafür dringend klare Regelungen. Die Profite von Internetkonzernen dürfen nicht über dem Schutz der Grundrechte stehen.
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Das gilt auch, wenn die Plattform willkürlich Accounts sperrt. Deshalb braucht es gesetzliche Regeln, die gewährleisten, dass sich mächtige Plattformen an die demokratischen Prinzipien halten. Dazu gehört auch die Einhaltung allgemeiner Gesetze, wenn illegale Inhalte verbreitet werden, wenn Menschenwürde verletzt wird oder Volksverhetzung stattfindet.
Für die Durchsetzung dieser Gesetze gibt es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Dieses muss dringend verbessert werden; denn im Moment ist es für viele Menschen immer noch zu kompliziert, Inhalte zu melden, und gleichzeitig wird das Gesetz missbraucht. So müssen sich Menschen, die sich zum Beispiel auf Twitter gegen Rassismus äußern, nicht nur Hasskommentaren aussetzen. Ihre Tweets werden oft ohne genauere Prüfung gelöscht oder ihre Accounts gesperrt, weil rechtsradikale Aktivisten sie melden. Meist dauert es dann viele Tage oder Wochen, bis Twitter die Sperrung aufhebt. Die AfD und ihre Anhänger, die sich gerne als Opfer inszenieren und ihre Meinungsfreiheit durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eingeschränkt sehen, sind in Wahrheit diejenigen, die die Meldefunktion der Plattform missbrauchen, um ihnen missliebige Meinungen aus dem Diskurs zu drängen.
({6})
Wie absurd, wie hässlich ist das denn eigentlich?
({7})
Wir stehen also vor verschiedenen Herausforderungen, um die freie Meinungsbildung im Netz zu gewährleisten. Erstens müssen wir Hass und Hetze wirksam bekämpfen. Opfer von Hasskriminalität dürfen nicht aus dem öffentlichen Diskurs gedrängt werden; denn das hat wirklich Folgen für die Meinungsvielfalt.
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Zweitens brauchen wir klare Regelungen dort, wo Algorithmen und Geschäftsmodelle sozialer Medien den Meinungsbildungsprozess beeinflussen, weil bestimmte Inhalte bevorzugt ausgespielt werden. Der Digital Services Act, der deshalb auf der EU-Ebene verhandelt wird, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
({9})
Drittens müssen wir Regelungen immer daraufhin überprüfen, ob die Teilnahme am Meinungsbildungsprozess gewährleistet ist. Ich denke da sowohl an Uploadfilter, die uns jetzt auch im Zuge der Urheberrechtsreform drohen könnten, als auch an die Gefahr des Overblockings beim NetzDG. Was wir brauchen, ist eine staatsfern organisierte Aufsicht und ganz sicher kein Wahrheitsministerium. Das ist ja das, was die AfD eigentlich will.
({10})
Und wir brauchen eine wirksame Selbstregulierung, damit strafbare Inhalte effektiv und trotzdem grundrechtswahrend entfernt werden und ein Overblocking vermieden wird.
({11})
Plattformen müssen transparent machen, was wie und warum gelöscht oder gesperrt wird, und Betroffenen muss es unbürokratisch möglich sein, Beschwerde einzulegen, damit fälschlicherweise gesperrte Inhalte schnell wiederhergestellt werden.
({12})
Wir sprechen beim Digital Services Act genau über diese Punkte. An dieser Stelle müssen wir uns ins Gesetzgebungsverfahren einbringen und konstruktive Vorschläge machen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat die Staatsministerin Dorothee Bär.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand ignoriert, welche Macht Plattformen haben. Plattformen bieten fast unbegrenzte Möglichkeiten der ungehinderten Informationsbeschaffung und Meinungsäußerung. Sie ermöglichen aber in einem ebenso unbegrenzten Umfang den Missbrauch dieser Freiheit auf Kosten anderer. Natürlich müssen hier ganz klare Grenzen gezogen werden.
Obwohl man tatsächlich davon ausgehen sollte, dass sich jeder an die gute Kinderstube hält, an das, was vielleicht die Großeltern oder die Urgroßeltern gelehrt haben – sei es Empathie oder Erziehung –, gilt eben leider auch für die sozialen Netzwerke, dass Antisemitismus, Rassismus, Hass und Hetze und jede andere Form der Diskriminierung und Aufforderung zur Gewalt leider Gottes dort auch ihren Platz haben. Sie dürfen nirgendwo ihren Platz haben, aber das scheint leider noch nicht bei allen angekommen zu sein.
Sehr geehrte Frau von Storch, Sie haben ja diese Aktuelle Stunde mit beantragt. Hass ist natürlich für einige, gerade in Ihrer Fraktion in diesem Hohen Hause, der Nährboden und das Futter. Er ist die Währung, mit der Sie Stimmung machen und Stimmen kaufen, und das ist leider Gottes wirklich extrem skandalös.
({0})
Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es Anlass, zu lachen, dass ausgerechnet Sie hier über die Bewahrung des demokratischen Kurses diskutieren wollen.
({1})
Es ist doch mehr als scheinheilig, wenn ausgerechnet Sie hier die Grenzen der Meinungsfreiheit zelebrieren wollen. Warum beantragt ausgerechnet die AfD diese Aktuelle Stunde? Das ist so, als würde Jack the Ripper sagen: Verbietet Messer. Das ist wirklich an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten, was Sie hier machen.
({2})
Sie und Ihre Verbündeten sind diejenigen, die das Gift in alle Netzwerke träufeln lassen.
({3})
Schauen Sie doch mal nach Kassel, wo heute ein Urteil fiel, ein Urteil über einen, der sich von Ihren Worten angesprochen, von Ihren Worten ermuntert gefühlt hat,
({4})
der Ihren Worten jene Taten folgen ließ, von denen Sie sich natürlich wieder distanzieren: Wir haben ja nur geredet,
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wir haben ja nur den Boden bereitet für einen, der glaubte, dass es folgerichtig ist, Walter Lübcke zu erschießen. – Für mich haben Sie mitgeschossen.
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Wenn Sie Meinungsfreiheit sagen, meinen Sie Reichweite und Aufmerksamkeit für Hass und Hetze. Hätten Sie den Talmud gelesen:
({7})
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte; achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
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Das sollten Sie sich mal hinter die Ohren schreiben.
({9})
Ihre Reden im Parlament halten Sie doch nicht für den politischen Diskurs. Wir alle halten hier Reden, weil es um Kolleginnen und Kollegen geht; es geht um die Zuhörerinnen und Zuhörer, es geht um die Bürgerinnen und Bürger.
Bei Ihnen steht vorher schon fest, welche Schnipsel der Rede Sie wie wo posten. Sie posten ja schon vorbereitete Reden in Vorbereitung auf die Reden, die Sie hier halten.
({10})
Sie missbrauchen die sozialen Netzwerke! Wir bräuchten doch gar nicht so viele Regelungen, Gesetze, wenn es nicht so Menschen wie Sie gäbe.
({11})
Sie meinen es nicht ernst mit dem Einsatz für die Demokratie; das hat man gestern hier im Parlament gesehen, als eine Holocaustüberlebende gesprochen hat. Wenn an diesem Pult, in diesem Haus Reden gehalten werden, um gegen Antisemitismus vorzugehen, bringen Sie es noch nicht einmal fertig, aufzustehen, zu klatschen und zu sagen: Nie wieder. – Das schaffen Sie einfach nicht an dieser Stelle.
({12})
Ich habe mir heute Morgen die Mühe gemacht – das ist wirklich sehr masochistisch von mir gewesen –, mir die neuesten Posts und Videos von Ihnen anzuschauen. Schwer erträglich, schwer erträglich – aber was tut man nicht alles für eine gute Vorbereitung. Und es dauert auch gar nicht lange, es sind wirklich My-Sekunden, und sofort zeigen sich Hass, Hetze, Demokratieverächtlichkeit – die ganze Zeit. Normalerweise müsste man jetzt ein paar Beispiele nennen von dem, was Sie absondern. Normalerweise würde ich hier stehen und sagen: Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin. – Wissen Sie was, ich mache es nicht; denn der Mist, den Sie verbreiten, Hass und Hetze
({13})
werden hier nicht mehr von uns zitiert. Das kommt überhaupt nicht infrage.
({14})
Das würden Sie ja nur wollen. Ihr Leitmotto ist doch: semper aliquid haeret, immer bleibt etwas hängen. So arbeiten Sie doch, die ganze Zeit.
({15})
Das ist lateinisch; ich weiß, das ist etwas zu hoch für Sie, deswegen habe ich es auch übersetzt.
({16})
Es ist doch auch nicht so – das haben die Kollegen hier auch angesprochen –, dass erst die Erstürmung des US-Kapitols und die Sperrung von Trumps Accounts die Rolle der sozialen Medien verdeutlicht hat. Hier besteht natürlich Handlungsbedarf, selbstverständlich! Spannend ist übrigens auch, dass sich die AfD-Kollegen in vorbereitenden Reden auf diese Aktuelle Stunde – ich habe es mir angeschaut; ich erspare es Ihnen, Kolleginnen und Kollegen; das müssen Sie nicht mehr machen – mit Donald Trump verglichen haben. Das sagt meines Erachtens auch einiges über Ihr Selbstverständnis aus.
({17})
Die Kolleginnen und Kollegen haben recht: Ein in der ersten Sekunde vielleicht gefühltes Aufatmen über die Sperrung von Trumps Account darf natürlich nie darüber hinwegtäuschen, was es eigentlich bedeutet, wenn private Netzwerke, die in der heutigen digitalen Welt de facto den Raum für Öffentlichkeit und demokratischen Diskurs stellen, bestimmen, wer seine Meinung äußern darf und wer nicht. Deswegen ist es natürlich nicht richtig, wenn Konzerne darüber entscheiden, wer was sagen darf – ganz klar nein –; denn Konzerne dürfen niemals entscheiden, wer die vermeintlich Richtigen und wer die vermeintlich Falschen sind. Wir brauchen diesen Streit darüber, auch als Grundlage für unsere Demokratie, die wir übrigens weder von innen noch von außen aushöhlen wollen, so wie Sie das jeden einzelnen Tag tun. Aber, wie gesagt, das schaffen Sie nicht.
({18})
Wir haben als Bundesregierung mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz – das ist ein Baustein – und den entsprechenden Änderungsgesetzen, deren Einführung jetzt bevorsteht, wichtige Regelungen zur Regulierung geschaffen. Aber der digitale Raum macht natürlich nicht an Grenzen halt, nationale Regelungen reichen nicht aus. Deswegen begrüße ich auch den Vorschlag der Kommission zur Regulierung von Plattformen, sowohl im Digital Services Act als auch im Digital Markets Act. Wir müssen natürlich auch hinsichtlich der Umsetzung der Vorschläge in den weiteren Verhandlungen prüfen, ob wir da nicht einheitliche europäische Mindeststandards gegen illegale Inhalte im Netz als Grundvoraussetzung für alle Plattformen brauchen, genauso wie wirksame und faire Gegendarstellungs- und Beschwerdeverfahren, mindestens wie es das NetzDG vorsieht.
Wir müssen im Digital Services Act aber auch Maßnahmen gegen Overblocking und gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit einführen. Monopolstellungen dürfen einfach nicht den Plattformen überlassen bleiben. Aber auch da denken wir größer als die AfD, die einen nationalen Flickenteppich will.
({19})
Wir wollen europäisch denken, wir wollen weltweit denken. Ich glaube auch, dass ein transatlantisches Bündnis zur Regulierung von Digitalkonzernen, wie es Ursula von der Leyen erst vor zwei Tagen angeboten hat, ein ganz starkes Zeichen ist.
Noch einmal: Ich bin schon erstaunt, dass Sie jetzt mit Ihrer gespielten Empörung – die Videos werden jetzt schon wieder alle fertig sein – glauben, hier einen Punkt setzen zu können.
({20})
Aber ich will es noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Es wird einer AfD nicht gelingen, die Demokratie in unserem Land zu zerstören.
({21})
Nicht nur für die CDU/CSU, sondern auch für alle anderen demokratischen Parteien in diesem Parlament gilt: Wir werden diese Demokratie verteidigen. Es wird Ihnen nicht gelingen, und dann wird hoffentlich eine Fraktion dieses Parlamentes nur ein Fliegenschiss der Geschichte sein.
({22})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen!
({0})
Ich wollte meine Rede eigentlich etwas anders beginnen, als ich es tue. Ich begrüße sehr, Frau Präsidentin, dass Sie sich diese Debatte hinterher noch einmal durchlesen; denn dann werden Sie sehen und merken, dass die viel beschworenen Begriffe „Hass“ und „Hetze“, die hier immer wieder verwandt werden, nicht von meiner Fraktion ausgehen;
({1})
vielmehr sind wir eher Opfer von Hass und Hetze in diesem Plenum.
({2})
Frau Staatsministerin Bär, Sie werfen uns vor, die Demokratie zerstören zu wollen,
({3})
und das tun Sie immer dann, wenn wir hier für Demokratie und Meinungsfreiheit eintreten,
({4})
wie mit dieser Aktuellen Stunde.
({5})
Es geht hier nämlich um Meinungsfreiheit, die ein ganz wesentliches Element der Demokratie ist. Deswegen werden wir uns von Ihnen nicht vorhalten lassen, die Demokratie zu zerstören.
({6})
Zum Thema, meine Damen und Herren. Zur größten Gefahr für die Meinungsfreiheit, für die Freiheit überhaupt sind die inzwischen übermächtigen Technologieplattformen aus den USA und aus China geworden – sie wurden hier schon oft heute benannt –: Amazon, Google, Apple, Facebook, Microsoft, also die Big Tech, wie man sie auch nennt. Jeder von diesen hat – jeder für sich – eine höhere Marktkapitalisierung als alle DAX-Konzerne zusammen. Ihr Wert spiegelt sich in den Daten, die sie speichern: Daten über Menschen, Daten, die weit über biografische Angaben hinausgehen. Bewegungsprofile, Kaufverhalten, Interessen, Vorlieben und auch menschliche Abgründe sind auf deren Servern gespeichert,
({7})
Daten, die geeignet sind, Menschen zu steuern, sie vor allem aber auch bei Bedarf mundtot zu machen.
({8})
Keiner kann sich mehr der Welt dieses „Big Tech“ entziehen. Die virtuelle Welt durchdringt nicht erst seit Corona alle Lebensbereiche; zu meinen, sich davon fernhalten zu können, ist völlig weltfremd. Wenn du was Falsches sagst, machen wir deinen Account dicht, wenn du an falscher Stelle bei Facebook ein Like setzt, sperren wir dein Google Pay, wenn du die Cookies nicht akzeptierst, sperren wir dich aus dem öffentlichen Leben aus: Das ist keine Illusion mehr, meine Damen und Herren, das ist Realität. Ein paar Menschen, ein paar CEOs in San Francisco und Seattle haben heute die Macht, darüber zu befinden, was gesagt und getan werden darf.
Und da ist sie, die in vielen Beiträgen schon erwähnte Global Governance. Das Problem ist nicht nur, dass es sie gibt; das Problem ist: Niemand hat diese Global Governance gewählt. Und dennoch erhebt sie sich über Recht, über Gesetz und über demokratisch gewählte Regierungen. Wie kommt Twitter denn dazu, den Account eines amtierenden Präsidenten Trump zu löschen, eines Mannes, dem ein paar Wochen zuvor immerhin 4 Millionen Amerikaner ihre Stimme anvertraut haben?
({9})
Man kann von Trump ja halten, was man will; aber auch er hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, egal übrigens, ob er recht hat oder nicht oder ob er höflich ist oder nicht. Für Grenzüberschreitungen gibt es nämlich auch in den USA das Strafrecht.
Herr Dr. Luczak, nur das Strafrecht ist maßgeblich dafür, dass Meinungen unterdrückt oder gesperrt werden können, nur das Strafrecht.
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Man kann das Strafrecht aus meiner Sicht gerne verschärfen; aber strafen dürfen nur Richter, keine Geschäftsführer.
Doch anstatt zu handeln, diniert Frau Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum – pikanterweise dieses Jahr in der Pseudodemokratie Singapur statt in der basisdemokratischen Schweiz – lieber mit genau diesen Konzernchefs und dem WEF-Direktor Schwab. Dabei geht es dann um den sogenannten Great Reset, ein Resetten, ein Herunterfahren von Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Weg hin zu einer neuen Normalität. Diese neue Normalität, meine Damen und Herren, diesen Reset, wollen wir nicht; denn wir wollen die Freiheit.
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Wir müssen diesen Konzernen, die hier in Deutschland Milliarden Euro verdienen und kaum Steuern zahlen, die Macht nehmen.
Unsere Regierung dagegen schreibt ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das diese Privatjustiz noch legitimiert. Sie von der Regierung wollen diese Meinungszensur; denn Sie bedienen sich der linken Logik, dass andere Meinungen nicht einfach nur abweichende Standpunkte sind. Sie unterscheiden noch nicht einmal zwischen richtig und falsch. Sie unterscheiden nur zwischen Gut und Böse.
Nun, wir sind anderer Meinung als Sie, und Sie werden sich dies weiterhin anhören müssen; denn wir werden nicht müde werden, für Freiheit und Demokratie einzutreten – hier im Bundestag, auf der Straßen und, solange es noch geht, auch in den sozialen Medien.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Florian Post das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ging es wie bestimmt vielen von Ihnen: Als ich gehört habe, dass der damals noch amtierende Präsident Trump bei Twitter und dann auch bei Facebook gesperrt wurde, habe ich zunächst gesagt: Jawoll, richtig so! – Ich finde es auch im Nachhinein richtig, dass er gesperrt wurde.
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– Ja, wenn Sie gesperrt werden würden, wäre es mir auch recht.
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Aber man muss ja auch Blödheiten ertragen.
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Man hat ja eindrucksvoll sehen können, wozu Hass und Hetze führen, nämlich an den schrecklichen Bildern der Erstürmung des Kapitols, wo es ja auch Todesopfer zu beklagen galt.
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Donald Trump ist nur das prominenteste Beispiel in dieser Reihe. Weniger Prominenz ist dort drüben zu sehen; Frau von Storch, Sie beweisen es jeden Tag eindrucksvoll aufs Neue.
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Aber es ist auch richtig, dass ein Gefühl, das einen beschleicht, natürlich keine Bewertungsgrundlage im politischen Diskurs und im politischen Entscheidungsprozess sein kann. Das ist ein Dilemma, das wir beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz ausführlich diskutiert haben und auch bei der Novellierung noch ausführlich diskutieren werden.
Zweifelsohne ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein wirksames Instrument gegen Hass und Hetze im Internet. Schwierig ist natürlich die Abgrenzung zwischen noch zulässiger Meinungsäußerung und Straftat. Dürfen also Beiträge auch dann gelöscht werden, wenn sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen?
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Damit ist die Frage verbunden, ob Twitter und Facebook eigene Regeln erlassen und damit selbst definieren können, welche Beiträge ihnen genehm sind und welche nicht. Diese Problematik sehen wir, und dieser stellen wir uns natürlich.
Es ist nachvollziehbar, dass ein Forum der Katzenzüchterfreunde auch nur Katzenfreunde zulässt; das ist klar. Problematisch wird es aber dann, wenn eine Plattform allein durch ihre Größe und durch ihre Nutzeranzahl eine erhebliche Rolle für die gesellschaftliche Debatte und Meinungsbildung spielt.
Aber dass man gar nicht sperrt, wenn kein Strafrecht berührt ist, kann ja auch nicht sein; so einfach ist das nicht. Es ist nämlich auch so, dass gerade diejenigen von einem gesellschaftlichen Klima profitieren, die dieses gesellschaftliche Klima der Angst durch ihren Hass und ihre im Internet verbreitete Hetze erst erzeugen und sich danach auf die Meinungsfreiheit berufen. Es werden auch schon Menschen im Vorfeld von der Debatte ausgeschlossen, die sich einfach nicht mehr diesem Hass und dieser Hetze in den sozialen Medien stellen wollen und lieber ruhig sind, weil sie sagen: Das tue ich mir nicht mehr an. – Das ist auch nicht gewollt; das kann nicht das Ziel sein.
Wer darf also die Regeln festlegen? In einer Demokratie ist es in der Tat schwer vermittelbar, dass das alleine Entscheidungsträger bei sozialen Netzwerken und Manager im Silicon Valley sein dürfen. So ist es bei uns ja auch nicht; deswegen haben wir das Instrument des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes geschaffen. Ja, es ist nicht perfekt. Es gilt, es weiterzuentwickeln. Genau das tun wir.
Man braucht dazu ein Spektrum aus der Zivilgesellschaft, das uns hierbei berät. Auch das findet statt. Und es braucht zuvorderst ein Höchstmaß an Transparenz und Regeln sowie die Möglichkeit für jeden und jede, der oder die sich ungerechtfertigt gesperrt sieht, in einem Gegenvorstellungsverfahren wiederum seine oder ihre Argumente vortragen zu können. Und dann braucht es wieder Transparenz, um das Ergebnis dieses Gegenvorstellungsverfahrens öffentlich darzustellen.
Genau das werden wir im Rahmen der Novellierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das hoffentlich im April abgeschlossen sein wird, tun. Ich freue mich auf die weiteren Diskussionen und Debatten hier im Hause.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Carsten Müller das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle sind Zeuge geworden, dass die Fraktion, die heute die Aktuelle Stunde beantragt hat, Schwierigkeiten mit Hausordnungen hat, und zwar in der wirklichen Welt – vor wenigen Wochen in einem unglaublichen Vorfall hier im Deutschen Bundestag – wie auch in der virtuellen Welt. Meine Damen und Herren, solche Hausordnungen in der virtuellen und in der realen Welt haben in Deutschland eines gemeinsam: Sie fußen auf verfassungsmäßigen gesetzlichen Regelungen.
Die Meinungsfreiheit in unserem Land ist ein geschütztes Gut von besonders hohem Wert. Eine Tatsache steht fest: Die Freiheit im Internet ist nicht durch unsere Gesetze bedroht, sondern durch Diffamierung und Hetze, durch Hass und Hassrede, die nur zu oft unter dem Deckmantel der angeblich freien Meinungsäußerung daherkommen und die gezielt gegen Andersdenkende instrumentalisiert und eingesetzt werden.
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Bereits 2017 haben wir deswegen in diesem Haus mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz darauf reagiert. Auf der Grundlage dieser Norm werden strafrechtlich relevante Inhalte in sozialen Netzwerken gelöscht, und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen von Hass und Hetze werden wirksam verteidigt.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz war seinerzeit durchaus umstritten.
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Es betrat auch Neuland. Mittlerweile haben wir eine andere Situation – die Einlassungen der Kollegin sprechen für sich; sie hat in der Vergangenheit einen Tunnelblick entwickelt. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat sich bewährt.
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Diese Bewährung unterstützen wir mit einer Novelle, die im Übrigen seit etwa zweieinhalb Jahren intensiv vorbereitet und sehr sachlich diskutiert wird.
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Dieses Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist in den wesentlichen Punkten – das finde ich besonders gut und interessant – auch in die Überlegungen zum Digital Services Act eingeflossen, und zentrale Bausteine sind dort integriert worden. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Meine Damen und Herren, insofern haben wir hier in diesem Haus – jedenfalls diejenigen, die konstruktiv am Netzwerkdurchsetzungsgesetz gearbeitet haben – dazu beigetragen, dass wir in einer durchaus nicht unkomplizierten Gemengelage ein – so förmlich – Grundgesetz für Onlinedienste entwickelt haben. Denn tatsächlich ist es eine große Herausforderung, mit einer nationalen oder auch europaweiten Regelung international tätige Großkonzerne zu regulieren. Es hat ziemlich gut geklappt, und was noch nicht so gut geklappt hat, machen wir besser.
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Ich bin froh, dass wir mit dem NetzDG 2.0 – so will ich es mal nennen – in der aktuellen Beratung in wenigen Wochen hier weitere neue Maßstäbe setzen werden. Ein wichtiger Punkt für die Unionsfraktion ist – da fußen wir auf dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus 2019; Recht auf Vergessen I –, dass Intermediäre die öffentliche Meinungsbildung ganz wesentlich beeinflussen. Dann kommen wir zur Drittwirkung der Grundrechte.
Meine Damen und Herren, das Hausrecht der Plattformbetreiber ist unstreitig ein hohes Gut. Aber dieses Hausrecht steht niemals über dem Gesetz. Wir ordnen das im NetzDG 2.0 ganz neu und deutlich und sehen uns damit auf dem richtigen Weg. Wir als Union haben eine Reihe von Forderungen aus den sehr sachlichen Diskussionen aufgenommen und finden es gut, dass es uns gelingen wird, beispielsweise neuartige Transparenzregelungen in der Novelle zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu etablieren. Ebenso finden wir es wichtig – auch dort haben wir uns durchsetzen können –, dass es bei Sperrungen nach Hausrecht Gegenvorstellungsverfahren gibt. Auch insofern gibt es also maximale Transparenz.
Wenn ich den Redebeitrag der Kollegin Rößner von den Grünen noch mal Revue passieren lasse, dann kann ich für mich eigentlich recht fröhlich feststellen, dass die Grünen dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz 2.0 werden zustimmen können,
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weil wir praktisch alle Punkte, die Sie als Ihre Meilensteine dargestellt haben, umgesetzt haben. Wir haben da eine große Übereinstimmung erzielt. Und das lohnt sich.
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Meine Damen und Herren, am heutigen Tag ist der Mörder von Walter Lübcke zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden, und anschließend wird es eine Sicherungsverwahrung geben. Der Fall Walter Lübcke, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, war ein tiefer Einschnitt. Dort sind Hass und Hetze im Netz zu einer abscheulichen Mordtat in der Realität geworden. Gerade an einem solchen Tag sollten wir das wichtige Thema der Meinungsfreiheit, aber auch das entschlossene Entgegentreten gegen Hass und Hetze thematisieren. Insofern war – das sei Ihnen zugestanden – diese Aktuelle Stunde von besonderer Wichtigkeit.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Martin Rabanus das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde entspricht einmal mehr dem üblichen Muster: Vermeintlich setzt sich die AfD für Meinungsfreiheit ein. In Wirklichkeit geht es ihr selbstverständlich um etwas vollkommen anderes.
Ja, Twitter, Facebook und andere haben Hunderte Propaganda-Accounts, Fake-Accounts, Bot-Accounts gesperrt. Und ja, das reduziert bei dem einen oder anderen von Ihnen die Zahl der Follower empfindlich. Auch das stimmt. Da gibt es hinreichend larmoyante Posts auf ebendiesen sozialen Netzwerken. Das ist allerdings mit Sicherheit kein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern ist richtig so. Ich würde fast sagen: Das ist nur recht und billig. Dazu haben sich erfreulicherweise nicht nur die Netzwerke selber verpflichtet – ich will nicht all das wiederholen, was zu Recht zur Frage der Transparenz gesagt worden ist, zum Hausrecht dieser Plattformen, dazu, dass diese Regelungen nicht willkürlich sein dürfen –; dazu haben auch wir als Gesetzgeber die Plattformen verpflichtet, beispielsweise wenn die Inhalte strafbar sind. Wir haben die Plattformen dazu verpflichtet, Beschwerdemechanismen einzuführen und Einträge zu prüfen und zu löschen, wenn sich Inhalte als rechtswidrig erweisen, oder den Zugang zu sperren. Wir haben auch aus gutem Grund eine Meldepflicht der sozialen Netzwerke begründet, beispielsweise bei Volksverhetzung oder Morddrohungen. Zudem verpflichten wir mit unterschiedlichen Regelungen Medienplattformen und Intermediäre zur stärkeren Sicherung von Medienvielfalt, zu fairem Wettbewerb, zu Meinungs- und Persönlichkeitsrechtsschutz. All das tun wir, und das ist richtig; denn Maßnahmen gegen Hass und Hetze sind für die Verteidigung unserer Demokratie unerlässlich.
Das gefällt der AfD nicht.
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Wir wissen schon länger, dass Ihnen das nicht gefällt. In Wahrheit – und darum geht es am Ende in dieser Aktuellen Stunde – haben Sie Angst davor, dass Sie und Ihresgleichen nicht mehr jeden unappetitlichen Cocktail zusammenrühren können, und zwar straflos, und den Menschen vorsetzen dürfen. Ihr rechtspopulistisches Geschäftsmodell ist es, mit Hass, mit Hetze, mit Halbwahrheiten, mit Lügen und Verschwörungsmythen um die Ecke zu kommen. Dieses politische Geschäftsmodell sehen Sie für sich bedroht. Das ist der Grund, warum Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben.
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Aber ich will an dieser Stelle auch klar sagen: Je realer und je begründeter Ihre Angst ist, die Angst, dass Ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, umso besser haben wir hier gearbeitet, umso mehr nehmen auch soziale Plattformen und Netzwerke ihre Verantwortung selber wahr.
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Ich will lieber darüber reden, welche Probleme wir wirklich im Bereich der Meinungsfreiheit haben. Wir haben das Problem, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und darüber hinaus mehr und mehr ein Klima haben, das die Arbeit von freien und unabhängigen Medien erschwert oder gar gänzlich infrage stellt; denn durch Fake News oder Diffamierungen von Medienhäusern, aber auch von Medienschaffenden, von Menschen, die eine Meinung artikulieren, die bestimmten lautstarken Gruppen nicht gefällt, wird es für diese Menschen immer schwieriger. Diffamierungen wie „Lügenpresse“ oder „gleichgeschalteter Staatsrundfunk“ zeigen das ja auch bei uns in Deutschland. Da sind genau Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen – nicht „liebe“, aber Kolleginnen und Kollegen – der AfD,
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ganz vorne mit dabei. Sie sind tatsächlich das Problem und nicht die Lösung.
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Erfreulicherweise folgen Ihnen da nicht besonders viele Menschen – das belegen viele Umfragen –, insbesondere in Bezug auf die Glaubwürdigkeit von Medien, von Quellen für Informationen. Ich will an dieser Stelle als Beispiel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nennen, der gerade in der Pandemie viel Zuspruch erhalten hat – und Sie eben nicht.
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Sosehr ich mich darüber freue, dass wir bei der Regulierung der großen Plattformen vorankommen, auch darüber, dass die sozialen Netzwerke ihre Verantwortung zunehmend selbst wahrnehmen, so sehr müssen wir natürlich perspektivisch die Frage stellen: Wo ist eigentlich der öffentliche europäische digitale Debattenraum? Wie können wir es schaffen, neben die rein profitorientierten US-amerikanischen Großplattformen etwas Europäisches, nicht Profitorientiertes zu stellen? Das ist aber eine andere Debatte, die wir führen werden und führen müssen, weil sie in die Zukunft weist. Das Sperren von Propaganda-Accounts sollte selbstverständlich sein.
Herzlichen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Volker Ullrich das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend zum Thema Meinungsfreiheit zusammenfassen: Die Meinungsfreiheit ist Voraussetzung einer offenen und demokratischen Gesellschaft. Und wir müssen auch abseitige Meinungen ertragen. Die Grenzen liegen aber in den geschützten Rechten anderer und im Strafrecht. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, zu betonen, dass Volksverhetzung und Holocaustleugnung abseits der Meinungsfreiheit stehen. Wir müssen diese Vorkommnisse mit der ganzen Härte des Rechtsstaats bekämpfen – warum? –, weil Verrohung und Entwürdigung letztlich einer Entwicklung Vorschub leisten, an deren Ende die Meinungsfreiheit selbst, Toleranz, Respekt und ein friedliches Zusammenleben nicht mehr möglich sein werden. Deswegen sind wir an dieser Stelle sehr wachsam, meine Damen und Herren.
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Es macht mich betroffen, wenn auch hier wieder die Lüge verbreitet wird, man werde mundtot gemacht, es gebe Zensur oder man dürfe in diesem Land nicht mehr alles sagen. Das ist aus vielen Gründen falsch: Erstens. Ihre Aussagen hier im Parlament, aber vor allen Dingen auch die Ihrer Vorfeldorganisationen zeigen, dass man eben doch viel sagen darf. Zweitens. Meinungsfreiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit. Sie müssen Gegenrede aushalten, wenn Gegenrede von Demokraten angezeigt ist.
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Und drittens. Die Behauptung, man dürfe nicht alles sagen, ist doch perfide, weil es eine unzulässige Parallele darstellt zu Unrechtsstaaten, die unterdrückt haben, wie der DDR oder dem Nazi-Regime. Dieser Vergleich verhöhnt die Opfer. Sie haben damit ein Ziel – das muss man deutlich ansprechen –: Sie wollen das Vertrauen in den demokratischen Verfassungsstaat erschüttern, und das werden wir Ihnen nicht durchlassen.
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Jetzt heißt die Aktuelle Stunde „Big Tech und die Meinungsfreiheit im Internet“. Ich vermute, dass Sie diesen Titel nicht von ungefähr gewählt haben. Erst vor wenigen Tagen hat der russische Präsident Wladimir Putin in Davos davon gesprochen, dass Big Tech die Meinungsfreiheit nicht einschränken dürfe. Auch der ausgeschiedene US-Präsident Donald Trump hat das Wort „Big Tech“ verwandt und davon gesprochen, dass es Meinungsfreiheit nicht mehr gebe. Aber es ist schon seltsam – nicht seltsam, sondern eigentlich offenkundig –, dass Sie sich mit dieser Aktuellen Stunde in die Tradition von Trump und Putin stellen.
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Sie müssen mal sehen, welche Medien von Trump und Putin empfohlen werden. Bei Trump sind das „OAN“ und „Newsmax“, und bei Putin sind es „Epoch Times“ und „Russia Today“. Das sind Medien, die gezielt Falschinformationen verbreiten und das Ziel haben, westliche Gesellschaften und die Demokratie zu erschüttern und zu destabilisieren. Und in diese Tradition stellen Sie sich.
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Die Plattformen haben richtig gehandelt, wenn sie Aufrufe zu Gewalt und gezielte Falschinformationen ungeschehen machen oder zumindest dafür Sorge tragen, dass sie von den Plattformen entfernt werden. Vielleicht ist das zu wenig, und es kam zu spät. Aber der entscheidende Punkt ist, dass auch in den sozialen Netzwerken nicht toleriert werden darf, wenn sich in Echokammern und durch Algorithmen letztlich die Lüge oder der Aufruf zu Gewalt immer stärker durchsetzt. Wir leben davon, dass in den sozialen Netzwerken Anstand und ein respektvoller Umgang und letztlich auch die Wahrheit herrschen. Deswegen sind soziale Medien in der Pflicht, das auch durchzusetzen.
Wir müssen uns fragen, wie die westlichen Gesellschaften das Augenmerk ein Stück weit stärker auf soziale Netzwerke lenken müssen. Da geht es um die Frage: Wie sind Algorithmen gestaltet? Befördern Algorithmen Emotionen und Hass, oder befördern sie die sachliche Aufklärung? Was macht das mit den gesellschaftlichen Strukturen der Konzerne, und welche Verantwortung tragen diese Netzwerke selber? – Das werden wir demokratisch und offen angehen, aber im Sinne der Redefreiheit, im Sinne der Demokratie und nicht in Ihrem Sinne, die Sie dieses Land nur destabilisieren wollen.
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner der Debatte darf ich zusammenfassen, richtigstellen und natürlich Lösungsvorschläge präsentieren.
Wir haben es gehört: Anlass dieser Aktuellen Stunde der AfD ist, dass der Twitter-Account ihres Freundes Trump gesperrt wurde. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – wie viele andere Redner hier auch –: Gott sei Dank!
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Es war nicht mehr zu ertragen, was dieser Mann an Falschinformationen und Hetze verbreitet hat. Ich persönlich finde – wie viele Redner heute hier –: Die Netzwerke haben da viel zu spät reagiert.
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Ich finde daher auch, dass die Netzwerke nicht unberechtigt in die Meinungsfreiheit eingegriffen haben, fernab der berechtigten Debatte, inwieweit durch mittelbare Drittwirkung von Grundrechten diese gebunden sind oder ob es einer gesetzlichen Grundlage für diese Sperrung bedarf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, ich glaube, Doro Bär hat zu Ihren Rednern heute alles Wesentliche gesagt.
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Ich darf an der Stelle vielleicht einfach noch mal Charlotte Knobloch in Erinnerung rufen, die gestern von dieser Stelle aus sehr zu Recht zu Ihnen gesagt hat – ich zitiere –: „Sie haben Ihren Kampf vor 76 Jahren verloren.“
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausgangspunkt dieser Debatte sind nicht Google, Facebook oder Twitter. Ausgangspunkt der heutigen Debatte ist die Meinungsfreiheit in Artikel 5 unseres Grundgesetzes. Artikel 5 differenziert dabei sehr klug in Schutzbereich und Schranken. Der Schutzbereich umfasst natürlich die Meinungsbildung und die Meinungsäußerung. Wert oder Unwert einer Äußerung sind nicht maßgeblich. Werturteile und Tatsachenbehauptungen werden umfasst. Ausgenommen sind – Tabea Rößner hat darauf hingewiesen – Schmähkritik und unwahre Tatsachenbehauptungen. Soweit wir Fake News unter „unwahre Tatsachenbehauptungen“ fassen, fällt eben gerade die Verbreitung von Fake News nicht in die Meinungsfreiheit.
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Der zweite wichtige Punkt: Trumps Gewaltaufruf vom 6. Januar 2021. Ein Gewaltaufruf ist in Deutschland tatsächlich von der Meinungsfreiheit umfasst. Aber das Grundrecht auf Meinungsfreiheit darf beschränkt werden, und zwar durch allgemeine Gesetze; so steht es in der Verfassung. Allgemeine Gesetze sind die, die nicht per se eine Meinungsäußerung verbieten. Das wichtigste Gesetz, die wichtigste Grenze ist natürlich das Strafgesetzbuch – aber nicht nur. Daher haben wir eben mit übler Nachrede, Beleidigung und Verleumdung Äußerungsdelikte, die zu Recht diese Meinungsfreiheit einschränken, und auch § 111 StGB, die öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Sie sehen: Die Verhinderung dieses Aufrufs zu Gewalt ist möglich; das ist kein ungerechtfertigter Eingriff in die Meinungsfreiheit.
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Meine Damen und Herren, ein weiterer absurder Vorwurf in dieser Debatte: Das NetzDG beschränkt die Meinungsfreiheit. – Blödsinn! Es geht darum, dass ich mein Recht, nämlich nicht beleidigt zu werden, nicht verleumdet zu werden, auch online in einem sozialen Netzwerk durchsetzen kann. Daher heißt es ja „Durchsetzungsgesetz“. Das Gesetz begründet gerade keine neuen Straftatbestände oder Strafbarkeiten.
Als Deutscher Bundestag sind wir mit dieser Plattformregulierung weltweit vorangegangen – das haben viele Redner hier betont –, und die EU zieht jetzt mit dem Digital Services Act nach. Als Gesetzgeber verlangen wir ausdrücklich, dass das Löschen von Posts unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein muss; Carsten Müller hat darauf hingewiesen. Wir haben die Transparenzberichte der Netzwerke. Wir debattieren über eine Forschungsklausel, und wir bearbeiten gerade die Novelle zum NetzDG. Das heißt: Auch Netzwerke haben Verantwortung für die Debattenkultur. Das ist etwas, was wir als deutscher Gesetzgeber mit dem NetzDG deutlich gemacht haben. Die EU zieht jetzt nach; wir sind Vorreiter.
Meine Damen und Herren, aber die Netzwerke selber leisten in ihren Gemeinschaftsstandards auch einen wichtigen Beitrag zur Debattenkultur. Sie haben klare Regeln aufgestellt, gerade auch mit Blick auf Fake News und Gewalt. Diese wurden beispielsweise nach den Ereignissen vom 6. Januar in Washington noch mal überarbeitet. YouTube – das können Sie nachschauen – hat ein dreistufiges Verwarnungssystem, wenn die Gemeinschaftsstandards nicht eingehalten werden. Erste Verwarnung: eine Woche Sperre. Zweite Verwarnung: zwei Wochen Sperre. Dritte Verwarnung: Schließen des Kanals. Das Schließen bzw. das Sperren des Kanals ist also die Ultima Ratio, das letzte Mittel, was diesem Netzwerk verbleibt. Auch das Netzwerk kennt damit den Begriff der Verhältnismäßigkeit.
Die politische Frage ist doch – das hat diese Debatte heute deutlich gemacht –, ob es notwendig ist, dass wir als Gesetzgeber Vorgaben machen mit Blick auf diese Gemeinschaftsstandards und bei Verstoß ganz konkrete Rechtsfolgen anordnen. Das kennen wir letztlich schon aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, für die wir ja im BGB klare Vorgaben machen. Das können wir auch diskutieren. Rechtlicher Anknüpfungspunkt dieser Debatte ist dabei für mich der Digital Services Act. Wenn Sie nachschauen: Der Erwägungsgrund 68 greift genau diese Problematik auf. Ich lade Sie herzlich ein, sich an dieser Debatte konstruktiv zu beteiligen.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der ersten Lesung habe ich bereits erwähnt, wie viele Maßnahmen wir im Zuge dieser Pandemie schon im Konjunkturpaket auf den Weg gebracht haben, nämlich an die 70. Diese zahlreichen Maßnahmen, die wir auf den Weg bringen, sind kleinere und größere Stellschrauben, um Arbeitsplätze zu erhalten, Unternehmen zu helfen und alles sozial und gerecht auszugestalten. Heute kommen weitere größere und kleinere Stellschrauben hinzu.
Erstens. Wir verlängern beispielsweise die Steuererklärungsfrist in beratenden Fällen; das heißt, wir erleichtern die Arbeit für steuerberatende Berufe. Wir verlängern auch die zinsfreie Karenzzeit für Erstattungs- und Verzugszinsen um sechs Monate. Warum tun wir das? Wir tun das, weil zahlreiche Anträge für Wirtschaftshilfen vorliegen, für Überbrückungshilfe III und November- und Dezemberhilfen. Jetzt werden die Anträge gestellt, und wir handeln, damit den Unternehmen geholfen werden kann. Dafür brauchen die steuerberatenden Berufe entsprechend mehr Zeit, und diese gewähren wir ihnen. Das ist, so glaube ich, eine richtige Maßnahme.
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Wir übertragen diese Regelung auch auf beratende land- und forstwirtschaftliche Unternehmen und Forstwirte. Die Erklärungsfrist wird hier um fünf Monate verlängert. Um zu verdeutlichen, dass das notwendig ist, nenne ich Ihnen die Zahlen vom 26. Januar zu den beantragten November- und Dezemberhilfen: Es lagen 545 000 Anträge im Volumen von 8,37 Milliarden Euro vor – ein großer Betrag und zahlreiche Anträge. Deswegen ist es gut, dass wir diese Regelungen treffen.
Zweitens. Wir wissen, dass die Bearbeitung derart zahlreicher Anträge Zeit in Anspruch nimmt, Zeit, die manche Unternehmen nicht haben; denn sie warten auf diese Hilfsmittel. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir mit diesem Gesetz solchen Unternehmen helfen, die vor der Pandemie gesund waren und die ein funktionierendes Geschäftsmodell haben, damit sie nicht auf den letzten Metern zahlungsunfähig werden, weil bewilligte Mittel unter Umständen verzögert ankommen. Deswegen verlängern wir die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. April 2021. Das gilt aber nicht für alle Unternehmen – wie bisher übrigens auch –, sondern nur für solche Unternehmen, die staatliche Hilfe erwarten können und den entsprechenden Antrag zwischen dem 1. November 2020 und dem 28. Februar 2021 stellen. Wir wollen all denen helfen, die auch in Zukunft Arbeitsplätze bereitstellen und über ein funktionierendes Modell verfügen. Ich glaube, das ist eine wichtige Hilfe für die Unternehmen und die Arbeitsplätze in Deutschland.
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Ausgenommen bleiben Unternehmen – das ist wichtig zu betonen; wir haben es auch in den Ausschusssitzungen noch mal deutlich gemacht –, bei denen offensichtlich keine Aussicht auf Gelder aus staatlichen Hilfsprogrammen besteht oder die trotz Hilfen insolvent sind. Das heißt, wir werden nicht Unternehmen helfen, die diese Hilfen nicht dazu benutzen können, weiter ein funktionierendes Geschäftsmodell zu betreiben. Wir wollen also gesunden, zukunftsfähigen Unternehmen helfen, Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist ein weiteres Stellschräubchen, das wir gedreht haben.
Zuletzt beschließen wir noch, befristet bis zum 31. März 2021, einen Anfechtungsschutz für Zahlungen auf Stundungsvereinbarungen. Was heißt das? Das heißt, dass wir Gläubiger besser schützen, nämlich solche, die ihren Schuldnern entgegenkommen und auf Zahlungen verzichten oder Zahlungen stunden. Diese sollen bei einem späteren Insolvenzverfahren die erhaltenen Nachzahlungen, die Ratenzahlungen nicht wieder zurückzahlen müssen. Das ist gut sowohl für private wie auch für öffentliche Gläubiger, auch für die Sozialversicherungsträger.
Wir helfen hier wieder mit kleinen und großen Stellschrauben, damit wir gut durch diese Krise kommen. Deswegen können wir dieses Gesetz mit breiter Mehrheit verabschieden.
Danke schön.
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Für die AfD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Fabian Jacobi das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Laut Tagesordnung behandeln wir den Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung. Er sieht eine Verlängerung der Frist zur Abgabe von Steuererklärungen vor. Viele Steuerberater sind aktuell überlastet durch die Betreuung der von Coronamaßnahmen gebeutelten Unternehmen. Ihnen mehr Zeit für die Erstellung der Steuererklärung zuzubilligen, ist sinnvoll. Deshalb wollen wir dem Gesetzentwurf eigentlich zustimmen.
Auf der Tagesordnung steht weiterhin unser Antrag zur Neuregelung der gesetzlichen Zinshöhe im Steuerrecht. In der Abgabenordnung findet sich immer noch eine feste Zinshöhe für Steuernachzahlungen von 6 Prozent pro Jahr. Der Bundesfinanzhof hat in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass diese Zinshöhe vor dem Hintergrund der über viele Jahre verfestigten Nullzinspolitik wohl verfassungswidrig sein dürfte und dass der Gesetzgeber gefordert ist, dem abzuhelfen. Das ist bisher nicht geschehen unter Verweis darauf, dass das Thema auch beim Bundesverfassungsgericht anhängig sei. Wir meinen aber, dass es uns als Gesetzgeber gut anstünde, von uns aus die Warnungen des Bundesfinanzhofs aufzugreifen und nicht zu warten, bis man uns unsere Untätigkeit in Karlsruhe um die Ohren haut.
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Darauf zielt unser Antrag ab, den ich Ihnen daher gerne zur Zustimmung empfehle.
Man sieht: Das, was in der Tagesordnung steht, ist ganz unproblematisch. Dann kommen wir zu dem, was da nicht steht. Sie haben nämlich – mit „Sie“ sind die beiden heutigen Regierungsfraktionen und die zukünftige Regierungsfraktion der Grünen gemeint –
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gestern im Finanzausschuss an diesen Gesetzentwurf zum Steuerrecht noch etwas drangehängt, und zwar, schon wieder einmal, eine verlängerte Aussetzung von Insolvenzantragspflichten und von Regeln über die Insolvenzanfechtung. Das ist schon auf der formalen Ebene nicht korrekt. Der Finanzausschuss durfte nach unserer Geschäftsordnung nur das entscheiden, was der Bundestag dorthin überwiesen hat – und das war das Steuerrecht, nicht das Insolvenzrecht.
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Ausnahmen sind nur zulässig für Fragen, die mit dem überwiesenen Gegenstand in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Das ist spätestens dann nicht mehr der Fall, wenn man in das Sachgebiet eines ganz anderen Ausschusses gerät. Wenn Sie sagen, es gehe ja bei alledem irgendwie um Corona, dann nehmen Sie das, glaube ich, selber nicht ganz ernst. Sie haben sich halt einfach die ordnungsgemäße Einbringung, die erste Beratung im Plenum und die Überweisung an den zuständigen Ausschuss gespart. Ja, nun.
Auch in der Sache gehen wir hier nicht mit. Sie wollen erneut, diesmal bis April, Teile des Insolvenzrechts aussetzen für Unternehmen, die Anträge auf Staatshilfen gestellt haben oder stellen könnten. Das ist bemerkenswert. Zuerst schlägt man mit der gröbsten verfügbaren Keule, dem sogenannten Lockdown, auf die Unternehmen ein. Dann bemerkt man: „Ups, wir ruinieren ja gerade Zehntausende Existenzen“, und lobt eilig Staatshilfen aus, will also mit viel Geld auf Pump die angerichteten Schäden zukleistern. Dann bekommt man es organisatorisch nicht hin, dass die entsprechenden Anträge überhaupt gestellt werden können. Und als man das wiederum realisiert, nimmt man wieder die Keule und zertrümmert einfach noch ein bisschen von unserer Rechtsordnung.
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Die Insolvenzantragspflicht und auch die Regeln über die Insolvenzanfechtung sind ja kein Selbstzweck. Diese Regeln haben einen Sinn. Sie schützen den restlichen Wirtschaftsverkehr, so gut es eben geht, vor Schäden durch insolvente Unternehmen. Mit diesem Gesetz nun werden für manche Gläubiger, insbesondere für den Fiskus und die Sozialkassen, Anreize gesetzt, Forderungen zu stunden,
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indem es diese Gläubiger privilegiert für den Fall, dass die Krise später doch in die Insolvenz mündet. Damit verschaffen Sie vielleicht dem einen Schuldnerunternehmen für eine kurze Zeit Erleichterungen. Sie tun das aber, indem Sie Insolvenzrisiken verlagern auf alle übrigen, nicht privilegierten Gläubiger, die sich dagegen nicht einmal wehren können. Das ist die große Geste des Retters, aber zulasten Dritter. Das ist ordnungspolitisch verfehlt,
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und deswegen lehnen wir diesen Teil Ihres Gesetzes ab.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Sebastian Brehm das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich auch heute an dieser Stelle bei den vielen Menschen bedanken, die mit der Bearbeitung der wirtschaftlichen Coronahilfen Tag für Tag mit einem hohen Arbeitsaufwand befasst sind: die Finanzverwaltung mit den zahlreichen Anträgen auf Herabsetzung und Stundung, die Sozialversicherungsträger mit den Anträgen auf Stundung, die Agentur für Arbeit mit der Bearbeitung des Kurzarbeitergeldes, auch die bearbeitenden Stellen – bei uns in Bayern ist es zum Beispiel die IHK München –, die die Vielzahl der Anträge bearbeiten, und natürlich auch die Kolleginnen und Kollegen Steuerberater mit ihren Teams, die all das beantragen müssen.
Es ist ein wirtschaftlicher Kraftakt, den wir zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie unternehmen. Wir setzen alles daran, dass kein Unternehmer coronabedingt aufgeben muss und dass auch kein Arbeitsplatzabbau coronabedingt erfolgt.
Die Bescheide über die Novemberhilfe und die Überbrückungshilfe II werden derzeit versandt und ausgezahlt. Die Abschlagszahlungen für die Dezemberhilfe werden ausgezahlt. Die Überbrückungshilfe III steht kurz vor der Beantragung.
Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir alles unternehmen, diese Hilfen schneller an den Antragsteller auszuzahlen. Gerade jetzt im zweiten Lockdown werden die Hilfen so dringend gebraucht wie nie zuvor. Schnelligkeit ist also das Gebot der Stunde. Deshalb werbe ich dafür, dass wir die Abschlagszahlungen bei der Überbrückungshilfe III erhöhen. Damit nimmt man den Druck aus der komplizierten Bearbeitung. Es erfolgt ja eh eine Abrechnung Ende des Jahres 2021, wodurch dann auch die Korrekturen vorgenommen werden können.
Die Beantragung der Hilfen und vor allem die Bearbeitung jedes Einzelfalls – ich kann das aus der Praxis sagen – nehmen enorme Zeit in Anspruch. Jeder Fall muss detailliert angesehen werden, sodass eine ordnungsgemäße Bearbeitung erfolgen kann. Daher bleibt gerade bei den Steuerberaterinnen und Steuerberatern nicht die notwendige Zeit für die Bearbeitung und die Einreichung der Steuererklärungen 2019, die normalerweise bis Ende Februar 2021 eingereicht werden müssen.
Mit der heutigen Beschlussfassung schaffen wir die gesetzliche Grundlage für eine Verlängerung der Abgabefristen um sechs Monate, also bis zum 31. August 2021. Zusätzlich wird auch die zinsfreie Karenzzeit, also die Verzinsung insbesondere der Steuernachzahlungen, um sechs Monate verlängert.
Normalerweise beginnt der Zinslauf für Steuernachzahlungen und Steuerrückerstattungen für 2019 am 1. April 2021 mit 0,5 Prozent pro Monat. Dieser Zinslauf beginnt nun mit dem heutigen Beschluss am 1. Oktober 2021. Im parlamentarischen Verfahren haben wir zudem erreicht, dass wir auch die Abgabefristen für die Landwirte verlängert haben. Die haben ein abweichendes Wirtschaftsjahr, vom 1. Juli bis 30. Juni. Hier haben wir die Abgabefrist um die zinsfreie Karenzzeit ebenfalls um fünf Monate verlängert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen aber auch – das müssen wir noch erledigen – eine Verlängerung der Fristen zur Einreichung der Bilanzen beim elektronischen Unternehmens- und Handelsregister. Wir brauchen aber auch eine Verlängerung der Fristen zur Einreichung der notwendigen Bilanzen bei den Banken, um keine Ratingverschlechterungen in Kauf nehmen zu müssen. Das ist übrigens für beide Seiten wichtig: einerseits für den Kunden, damit er nicht schlechtere Zinsen und ein schlechteres Rating hat, und andererseits für die Banken, damit nicht mehr Eigenkapital hinterlegt werden muss. Das müssen wir noch tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der zweite wichtige Teil, den wir im parlamentarischen Verfahren geschafft haben – selbstverständlich ist das alles ordnungsgemäß im Ausschuss behandelt worden –, sind die Anpassungen der insolvenzrechtlichen Regelungen. Gerade hier ist es wichtig – Kollege Schrodi hat es gesagt; mir ist es auch ganz wichtig –, dass wir kommunizieren: Es ist keine generelle Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für alle Unternehmerinnen und Unternehmer. Einen Insolvenzantrag muss man stellen, wenn man eine bilanzielle Überschuldung hat oder wenn Zahlungsunfähigkeit besteht. Die bilanzielle Überschuldung kann normalerweise geheilt werden durch die Einreichung einer positiven Fortführungsprognose. Aber bei Zahlungsunfähigkeit ist zwingend innerhalb von drei Wochen ein Insolvenzantrag zu stellen. Ansonsten hat man mit strafrechtlichen Konsequenzen wegen Insolvenzverschleppung oder Eingehungsbetrug zu rechnen.
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Bis zum 30. September war diese generelle Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Aber vom 1. Oktober – das muss man wirklich kommunizieren – bis zum 31. Januar ist sie begrenzt auf die bilanzielle Überschuldung, die coronabedingt entstanden ist. Jetzt, ab dem 1. Februar, wird die Insolvenzantragspflicht nur ausgesetzt für Unternehmen, die staatliche Hilfsleistungen erwarten können, aber auch nur dann, wenn sie den Antrag bis 28. Februar 2021 gestellt haben. Das ist für meine Begriffe wirklich der springende Punkt in der Kommunikation. Ich möchte daher heute noch einmal herausstellen: Wir helfen natürlich allen Unternehmern, die pandemiebedingt in Schwierigkeiten gekommen sind. Aber bei Unternehmen, die schon vorher oder aus ganz anderen Gründen in Schwierigkeiten waren oder jetzt sind, ist die ganz normale Insolvenzantragspflicht weiterhin gegeben.
Wenn man diese spezielle Insolvenzantragspflicht verschiebt, dann ist es eine logische Konsequenz, dass man dann natürlich auch die Aussetzung der insolvenzbedingten Anfechtung verlängert. Also: Wenn Menschen großzügige Stundungen oder Ratenzahlungen aufgrund der Pandemie gewähren, dann kann es ja nicht sein, dass sie bei einer späteren Insolvenz von Anfechtungen betroffen werden und sie die gesamten Beträge zurückzahlen müssen. Deswegen ist es richtig, dass wir dieses auch verlängern, eben im Hinblick auf die pandemiebedingten Fälle.
Es ist ein gutes und durchdachtes Gesetz. Es nimmt auch den Druck aus der Bearbeitung der zahlreichen Aufgaben. Deswegen bitte ich Sie alle herzlich, dass wir im gesamten Hause diesem Gesetz zustimmen. Ich glaube, das wäre das richtige Signal am heutigen Tag.
Herzlichen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Katja Hessel das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Brehm hat vieles Richtige und Wichtige gesagt.
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Einem möchte ich mich ganz besonders anschließen, nämlich dem Dank an alle, die die Folgen dieser Pandemie in den Ämtern bearbeiten müssen. Ein ganz besonderer Dank geht natürlich auch an die Kollegen Steuerberater, die hier auch an vorderster Front mit den vielen, vielen Problemen zu kämpfen haben.
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Diese Probleme sind vielfältig. Die Ausgestaltung der Coronahilfe kam sehr spät. Es gibt sehr, sehr viele Fragen, die nicht geklärt sind. Es gibt eine Hotline beim BMWi, die zwar in Spitzenzeiten angeblich mit 180 Personen besetzt ist, aber trotzdem viele, viele Fragen nicht beantworten kann. Deswegen ist auch vielen Unternehmerinnen und Unternehmen bange, weil sie gar nicht wissen, ob sie November- oder Dezember- oder Überbrückungshilfen bekommen.
Wir haben jetzt mit dem Gesetzentwurf zur Verlängerung der Abgabefrist für die Steuererklärungen bei den Steuerberatern und ihren Mandanten den Druck herausgenommen. Das ist richtig und wichtig. Dazu ist auch in der ersten Lesung schon viel gesagt worden.
Was wir uns gewünscht hätten, lieber Kollege Brehm, ist, dass wir bereits in diesem Gesetz das Jahr 2020 angedacht hätten, damit wir nicht wieder diskutieren und den Kollegen nicht wieder diese Hängepartie zumuten müssen.
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Wir hätten uns auch gefreut, wenn wir eine gesetzliche Regelung für die Verspätungszuschläge bekommen hätten, die wir momentan nicht haben.
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– Ja, „wir machen immer alles noch“. Aber das ist das Problem, lieber Kollege Brehm, bei der ganzen Pandemie und bei der Bundesregierung und leider auch bei den sie tragenden Fraktionen. Es heißt immer: „Wir machen das alles noch.“ Aber „wir“ machen es nur nie richtig zuverlässig. Drum sitzen wir heute da und müssen im Finanzausschuss ein Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht mitbeschließen
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– das mag richtig sein – –
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– Ja, „wir haben sofort reagiert“. „Wir wussten in der letzten Sitzungswoche noch nicht, dass der 31. Januar an diesem Sonntag ist; das ist uns leider entfallen.“
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„Wir wussten vor einer Woche im Finanzausschuss auch noch nicht, dass die November- und Dezemberhilfen haken. Das ist ganz plötzlich vom Himmel gefallen, dass es zu Antragsstaus kommt, dass es keine Software dafür gibt. Das haben wir alles nicht gewusst.“
Das ist das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie lassen die Unternehmen ein Stück weit im Regen stehen.
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Wir machen immer wieder eine Symptombehandlung, geben eine Beruhigungspille, aber wir gehen da nicht heran.
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– Was unverschämt ist, da könnte ich noch ganz viel anderes erzählen, lieber Kollege Schrodi.
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Unverschämt ist es zum Beispiel, denen, die jetzt Schäden haben, zu sagen: Ich möchte Ihnen hinterher das Geld wieder nehmen. – Das ist unverschämt.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit geht leider dem Ende entgegen. – Wir werden natürlich der Fristverlängerung zustimmen. Der Insolvenzantragsaussetzung können wir nicht zustimmen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Alexander Ulrich das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der ersten Lesung dieses Gesetzes hat mein Kollege Stefan Liebich eine historische Rede gehalten, die sich im Internet noch einmal anzuschauen ich Ihnen allen empfehle. Eigentlich hatte ich gedacht, heute könnte man es genauso kurz halten. Aber dadurch, dass das Gesetzgebungsverfahren doch noch ein paar Wendungen genommen hat, kommen Sie als Regierungsfraktionen hier nicht so einfach durch.
Ja, wir tun den steuerberatenden Berufen durch das, was in den letzten Monaten durch die Coronapandemie an Arbeit aufgelaufen ist, einiges an, und wir machen es ihnen auch deshalb nicht leicht, weil der Gesetzgeber permanent mit Unklarheiten bei der Umsetzung der Coronahilfe vorgeht und auch ständig das Verfahren verändert. Oder es ist so, dass man Anträge überhaupt nicht einreichen kann, weil es offenkundig Softwareprobleme gibt. Deshalb ist das Vorgehen, dass man das verlängert, aus unserer Sicht in Ordnung und wird auch von uns als IG Metall –
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– als Die Linke – mitgetragen.
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Aber ich sage Ihnen auch eins: Die IG Metall hat zum Beispiel – deshalb komme ich auf die IG Metall – bei der Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Gesetzes auch deutlich gemacht: Beim Insolvenzrecht sind die Arbeitnehmerinteressen nicht ausreichend berücksichtigt. Das zwingt uns als Linke dazu, dass wir dem Gesetz heute nicht zustimmen können, sondern uns enthalten müssen.
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Jetzt komme ich aber auch zur Insolvenz. Sie tun so, als geht es Ihnen wirklich darum, Arbeitsplätze zu retten und Unternehmen zu retten.
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– Ja, aber wenn man sich anschaut, wie viele Industriezweige, wie viele Zweige der Wirtschaft Sie bisher überhaupt nicht berücksichtigen, dann kommt es uns so vor, als wollten Sie mit dieser ständigen Verlängerung der Insolvenzantragsfrist nur über die Bundestagswahl hinwegkommen.
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Denn noch immer gibt es viele Zweige in der Wirtschaft, die bis heute auf Hilfe warten. Die Forderung nach einem Unternehmerlohn, die wir von Anfang an erhoben haben, ist bis heute nicht umgesetzt. Das wäre Hilfe. Die Leute warten nicht auf die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht, sondern sie wollen endlich Hilfe von der Bundesregierung,
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und da bleiben Sie leider auf halbem Weg stehen.
Der Schwachpunkt dieser Coronahilfe ist das Wirtschaftsministerium.
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Herr Altmaier ist bei Ankündigungen zwar immer ganz schnell dabei; aber bei der Umsetzung lässt er auf sich warten. Heute Morgen hat er hier bei der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht auch wieder gesagt: Kein Unternehmen soll in Insolvenz, weil es 8 oder 14 Tage länger auf die Hilfen warten muss. – Die Unternehmer wären ja froh, wären es nur 8 oder 14 Tage – es sind Monate, die sie warten müssen!
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Bis wann soll denn die Novemberhilfe ausgezahlt werden? Bis wann soll denn die Dezemberhilfe kommen? Und bei der Überbrückungshilfe III ist bis heute noch völlig unklar, wie sie umgesetzt werden soll,
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zum Beispiel, wie die Saisonware abgeschrieben oder geltend gemacht werden kann. Wirtschaftsminister Altmaier ist in dieser Coronakrise ein Totalausfall. Da muss ich Friedrich Merz sogar mal recht geben.
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Deshalb: Der wirksamste Schutz vor Insolvenzen wären schnelle und effektive Hilfen. Damit können Insolvenzen vermieden werden; da könnten Arbeitsplätze gesichert werden. Aber da lässt die Bundesregierung viele, viele Einzelhändler und viele, viele Zweige der Wirtschaft im Stich. Deshalb können wir uns heute maximal enthalten.
Herr Kollege.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Manuela Rottmann das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass Sie alle genau wie ich viel mit Betrieben aus Ihrem Wahlkreis reden, mit jungen Leuten, die die Familienbrauerei und die Brauereigaststätte übernommen haben und die jetzt keine November- und Dezemberhilfen bekommen, weil sie nicht unter die Kriterien für diese Hilfen fallen, mit Selbstständigen aus der Veranstaltungsbranche, die seit Monaten, seit fast einem Jahr, keinen Umsatz haben, oder mit den Inhabern bisher gutgehender Friseurgeschäfte, die beschlossen haben, endgültig zuzumachen. Darunter ist kaum einer, der die Notwendigkeit der Maßnahmen infrage stellt. Aber es sind viele – sehr viele – darunter, die tief verzweifelt sind, weil die Hilfen nicht ankommen.
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Wir Grüne fanden von Anfang an ein stabiles Hilfsprogramm richtig, ein einfaches Programm, das man an- und abschalten kann. Im Sommer wäre die Zeit gewesen, die Programme, die im Frühjahr ja ganz gut gelaufen sind, auf Missbrauchsanfälligkeiten zu überprüfen, es wäre die Zeit gewesen, die Abwicklung der Auszahlungen zu stabilisieren. Sie aber, Herr Altmaier und Herr Scholz, haben im Oktober den Wechsel zu einer völlig anderen Logik beschlossen. Ich verstehe bis heute nicht, was Sie dazu bewogen hat, noch einmal komplett das Pferd zu wechseln und statt auf Kostenerstattung auf Umsatzsteuererstattung zu setzen. Ich verstehe es nicht.
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Die Probleme mit der Programmierung, die Probleme im Beihilferecht, die willkürliche Ungleichbehandlung von Unternehmen, all dieser Schlamassel beruht auf dieser Fehlentscheidung vom Oktober.
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Der Druck auf Betriebsinhaber übersteigt mittlerweile all ihre Kräfte. Viele sind von der Unsicherheit, von der Enttäuschung, vom Kleingedruckten in Ihren Programmen zermürbt, und die Steuerberater sind es übrigens auch. Die Antwort darauf kann nicht die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sein. Wenn man aber schon zu diesem Notnagel greift, dann muss man die Risiken für Gläubigerinnen und Gläubiger, so gut es geht, begrenzen. Nein, Herr Schrodi, das ist kein Stellschräubchen, das wir da drehen. Wir greifen da tief, tief ein, und es birgt erhebliche Risiken, was wir hier machen.
Heute Morgen wurde von der FDP und von den Linken ja noch das Hohelied auf mehr Beteiligung des Parlaments bei der Pandemiebewältigung gesungen.
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Wenn es dann wirklich etwas zu gestalten gibt, dann erlahmt Ihr Engagement allerdings spürbar; denn die Einzigen, die Änderungsanträge zu diesen insolvenzrechtlichen Regelungen eingebracht haben, waren wir Grünen.
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Leider hat die Koalition auch diese Verbesserungen nicht übernommen.
Wir ringen uns durch; mir persönlich fällt es schwer. Aber ich finde, die Betriebe sollten nicht die Fehlentscheidung des Wirtschafts- und des Finanzministers ausbaden müssen. Deswegen stimmen wir heute – ich sage es ausdrücklich: ein allerletztes Mal – einer weiteren Aussetzung für die antragsberechtigten Unternehmen zu. Aber kommen Sie in die Pötte, Herr Altmaier, Herr Scholz. Sie stehen Monate, nachdem Sie die Bazooka angekündigt haben, mit einer Wasserpistole in der Gegend herum. Die Hilfen müssen in die Betriebe, und zwar jetzt.
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Das Wort hat Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte es mir jetzt einfach machen und diesen Spätnachmittag verkürzen, indem ich sage: Der Kollege Brehm hat eigentlich fast alles gesagt, was zu sagen ist. Es war richtig, was er angesprochen hat. Also schenke ich Ihnen diese Zeit. -
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Aber nachdem mir meine Fraktion drei Minuten zu sprechen zugebilligt hat, erliege ich trotzdem diesem Charme, in diesen drei Minuten noch etwas zu dem heute zu beratenden Gesetzentwurf anzusprechen.
Wir haben ja ganz außergewöhnliche Zeiten, und außergewöhnliche Zeiten bedürfen auch außergewöhnlicher Regelungen, außergewöhnlicher Gesetze und außergewöhnlicher Herangehensweisen. Ich will deshalb ganz deutlich sagen: Wir haben in meinen Augen vier wichtige Bereiche zu regeln – die Umstände sind außergewöhnlich durch die Schließung gesamter Branchen, durch die Schließung unterschiedlicher Unternehmen, durch die Schließung von Schulen, von Kinderbetreuungseinrichtungen; um nur einiges zu nennen –, da wir andernfalls eine Insolvenzwelle vor uns herschieben würden:
Zum einen. Wir haben zu regeln, dass die entsprechenden Hilfsprogramme wie Novemberhilfe, Dezemberhilfe oder die Überbrückungshilfe auf den Weg gebracht und dann von der Administration auch umgesetzt werden.
Wir haben darüber hinaus zu regeln, dass die Steuerberaterinnen und Steuerberater in der Lage sind, die Grundlagen zu ermitteln und die Steuerklärungen so abzugeben und, dass diese Hilfen auch ausgezahlt werden können; denn ohne deren Mithilfe ist dies nicht möglich.
Wir haben gleichzeitig zu regeln, dass die Unternehmen, die durch die Maßnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie in Schieflage geraten sind, eine Überlebensstrategie haben. Wir haben für das Jahr 2019 die entsprechenden steuerrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen, die wir durch die Verlängerung der Abgabefrist um sechs Monate und die Verlängerung der Karenzzeit um ebenfalls sechs Monate für die Besteuerung geregelt haben.
Außerdem haben wir den Unternehmensbranchen, die wir als Politik gebeten haben, großzügig mit ihren Schuldnerinnen und Schuldnern – den Sozialversicherungsträgern, den Energielieferanten, der Kreditwirtschaft, der Immobilienwirtschaft – umzugehen, Stundungen ermöglicht. So bieten wir auch ihnen Sicherheit für die Zukunft, um nicht im Konzert der Gläubiger die Letzten im Spiele zu sein. Denn Sozialversicherungsträger, Energieversorger, Immobilienwirtschaft haben es nicht so einfach, wie es der eine Kollege darstellte: Sie unterliegen oft dem Kontrahierungszwang, wie man so schön sagt. Das heißt, sie müssen bestimmte Verträge abschließen. Wir haben als Gesetzgeber die Verantwortung, ihnen entgegenzukommen.
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Ein paar Worte zum Ende meiner kurzen Redezeit. Eine Frage, die immer wieder aufkommt: Zu welchem Zeitpunkt soll dieses heute beratene Gesetz gelten, bei dem es richtig ist, die steuerrechtlichen, die insolvenzrechtlichen und die anfechtungsrechtlichen Bereiche anzuhängen? Natürlich rückwirkend für das gesamte letzte Jahr; denn das war das Jahr, das die Unternehmerinnen und Unternehmer getroffen hat. Dieses Jahr soll Bemessungsgrundlage sein.
Wir hoffen alle miteinander und sind uns sicher, dass mit den getroffenen Maßnahmen der richtige Weg beschritten wird. Wir werden noch das Jahr 2020 einbeziehen müssen.
Kollege Brunner, die drei Minuten waren nicht die Mindestredezeit, sondern die Höchstredezeit, die ich Ihrer Fraktion zugestanden habe.
Ich bedanke mich für den charmanten Hinweis. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, wünsche eine weiterhin gute Beratung und bitte um Zustimmung.
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Den Mund-Nasen-Schutz bitte auch aufsetzen.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Heribert Hirte das Wort.
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Frau Präsidentin! Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Ende der Debatte die insolvenzrechtlichen Fragen noch einmal kurz aufgreifen.
Es geht bei den Insolvenzen immer um eine Frage. Unternehmen, die zu retten sind, wollen wir retten. Da ist jeder Aufwand gerechtfertigt, das zu tun, und das tun wir mit viel staatlichem Einsatz, gerade in dieser Krisenzeit. Umgekehrt gilt volkswirtschaftlich, wirtschaftspolitisch: Bei Unternehmen, die es leider nicht schaffen werden, müssen wir möglichst früh den Schnitt machen. Das Problem ist nur: Wir wissen es vorher nicht genau.
Vor diesem Hintergrund haben wir vor ziemlich genau einem Jahr – Anfang März war es – gesagt: Die Insolvenzantragspflicht, die letztlich die Grenze zwischen diesen beiden Gruppen von Unternehmen zieht, diese gesetzlich vorgesehene und strafbewehrte Insolvenzantragspflicht setzen wir aus.
Aber wir haben sie von Anfang an nur ausgesetzt – dieses muss hier noch einmal betont werden – für die Unternehmen, die einerseits krisenbedingt in die Insolvenz geraten sind und die andererseits eine Fortführungsprognose haben. Für andere gilt das alles nicht. Deshalb ist es richtig, dass in dem Fall Galeria Kaufhof – er ging gerade durch die Medien – genau hingeguckt wird, ob es da nicht um Schulden geht, die sich schon vorher angehäuft haben, oder ob es wirklich um coronabedingte Insolvenz geht. Das ist die Abgrenzung, die wir aus wirtschaftspolitischen, volkswirtschaftlichen und darauf aufbauend rechtlichen Gründen vorgenommen haben.
Was machen wir heute? Wir gehen noch einmal einen Schritt weiter – ich sage ganz klar: hoffentlich zum letzten Mal; denn wir wissen nicht, was auf uns zukommt – und setzen für eine noch kleinere Gruppe, nämlich für diejenigen, die einen Anspruch auf Hilfe haben und die die Hilfe noch nicht ausgezahlt bekommen haben, die Insolvenzantragspflicht noch einmal aus. Das ist ein richtiger Schritt im Interesse der Unternehmen, und das ist ein großer, wichtiger Beitrag zur Krisenbewältigung.
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Wir stellen bei dieser Gelegenheit einen anderen Punkt für die Sozialversicherungsträger klar, die letztlich auf unsere Initiative hin, auf unsere Anweisung hin, auf unser Bitten hin ihre Forderungen nicht geltend gemacht haben und Stundungen vorgenommen haben, um die Unternehmen zu retten: In einem sich dann anschließenden, späteren Insolvenzverfahren können diese Gelder von den Insolvenzverwaltern nicht zurückgefordert werden.
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Das ist ein wichtiger Schritt. Es ist letztlich ein Beitrag, den die Sozialkassen geleistet haben und den wir nicht rückgängig machen wollen.
Wir sehen – ich erinnere an ein Wort vom Kollegen Brunner, das er im Rechtsausschuss gesagt hat –, dass die Regelung, die wir getroffen haben, vielleicht ein bisschen zu weit geht, weil auch der Fiskus an manchen Stellen davon mit profitiert, an Stellen – die Grünen haben einen Änderungsantrag gestellt –, die hiermit vielleicht nichts zu tun haben. Ich sage ganz deutlich – es ist ein Zitat –: Beifang in diesem Bereich, das wäre volkswirtschaftlich eigentlich nicht geboten. – Ich tue mich an dieser Stelle auch schwer, das zu verteidigen. Wir sehen aber andererseits, dass die Konsensbildung so weit ist, dass wir über diese Detailfrage nicht mehr wirklich reden können.
Was aber zu betonen ist – ich freue mich, dass wir eine Anhörung am letzten Montag zu dem ganzen Komplex hatten –: Wer wirklich pleite ist und weitere Verbindlichkeiten eingeht, der begeht immer noch eine Straftat. Der Eingehungsbetrug – nämlich der Betrug gegenüber der Gegenseite, wenn man vorspiegelt, dass man zahlungsfähig bleibt – bleibt bestehen, und das ist selbstverständlich so.
Ein letzter Punkt. Wenn wir auf die weiteren Regelungen schauen, sehen wir eine kleine Nummer 2 in Artikel 1 des Gesetzentwurfs. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit natürlich das SanInsFoG, das das StaRUG zum 1. Januar in Kraft gesetzt hat, noch einmal angesehen und haben gesehen, dass da noch Verweisungsfehler zu korrigieren sind. Ich bin froh, dass wir als Parlament diese Korrektur vorgenommen haben. Wir haben dies rückwirkend zum 1. Januar getan.
In diesem Zusammenhang – Kollege Brunner hat es schon angesprochen – kam immer die Frage auf: Heißt das denn, dass die Verschiebung von § 64 GmbH-Gesetz in § 15b der Insolvenzordnung auch die alten Sachverhalte betrifft, die im letzten Jahr galten? Natürlich betrifft sie diese Sachverhalte. Das Gleiche gilt bei § 313 BGB, wo wir, was den Wegfall der Geschäftsgrundlage angeht, auch eine Neuregelung zum 1. Januar vorgenommen haben. Denn das ist ja der Sinn der Sache: dass die Sachverhalte, wenn sie jetzt von den Gerichten beurteilt werden, nach der neuen Rechtslage beurteilt werden. Dafür sitzen wir hier zusammen. Das brauchen wir nicht klarzustellen, weil es selbstverständlich war.
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In diesem Sinne: Herzlichen Dank. Ich bitte um breite Zustimmung für das Gesetz. – Das waren jetzt die zwölf Sekunden weniger, die Herr Brunner überzogen hatte.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit drei Anträgen, die Frauen und Mädchen vor Missachtung, vor Zwang und vor Gewalt schützen sollen, vor Vielehen, vor Kinderehen und vor Genitalverstümmelung.
Beginnen wir mit der Problematik der Vielehe in Deutschland. Wie Sie wissen, dürfen sich Männer im Islam bis zu vier Ehefrauen nehmen. Solche Vielehen sind mittlerweile auch in Deutschland weit verbreitet. Die Vielehe ist unserer Rechtsordnung allerdings fremd. Sie missachtet die Rechte der religiös verheirateten Zweit- und Drittfrauen. Diese haben keinen Anspruch auf Unterhalt und Zugewinnausgleich und keine Erbansprüche gegenüber ihrem Ehemann. Meist arbeiten sie nicht, werden als „Kindesmutter, alleinerziehend“ geführt und leben von Sozialleistung. Das heißt, Männer, die sich in ihren Herkunftsländern nie mehr als eine Ehefrau leisten können, können das in Deutschland. Das darf nicht sein. Es passiert auf Kosten der Steuerzahler.
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Was wollen wir dagegen tun? Zunächst fordern wir die Bundesregierung dazu auf, die Zahl der Vielehen in Deutschland überhaupt zu erfassen. Es gibt zwar Schätzungen, dass 30 Prozent der arabischen Männer in Berlin mehrere Ehefrauen haben, aber so genau weiß das eigentlich niemand. Es gibt dazu keinerlei staatliche Erhebung. Man will das Ausmaß der Problematik offenbar gar nicht feststellen.
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Als weitere Maßnahme muss man das Personenstandsgesetz ändern und das Verbot der religiösen Voraustrauung wieder einführen. Das gab es früher: Man durfte erst religiös heiraten, wenn man davor standesamtlich geheiratet hat. Insbesondere muss man die Strafbarkeit nach § 172 StGB, also das Verbot von Doppelehen, auch auf religiöse Ehen ausweiten.
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Das wird zur Folge haben, dass zukünftig nur noch eine einzige religiöse Trauung nach einer einzigen staatlichen Eheschließung stattfinden kann; denn wir leben immer noch in Deutschland und nicht im Orient. Doppel-, Dreifach- und Vierfachehen haben bei uns nichts verloren, Zwangsehen ebenso wenig.
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Der zweite Antrag enthält die Aufforderung an die Bundesregierung, Kinderehen endlich effektiv zu bekämpfen. Das ist bislang nicht geschehen. 2017 trat zwar ein Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft; es blieb allerdings bislang nahezu wirkungslos. Eine Studie von Terre des Femmes hat ergeben, dass in den ersten zwei Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes lediglich 813 Fälle offiziell bundesweit registriert wurden und ganze 10 Kinderehen aufgehoben wurden. Es ist unerträglich, dass vier Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes die tatsächliche Anzahl von Kinderehen in Deutschland nach wie vor unbekannt ist.
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In einigen Bundesländern werden nicht mal Statistiken geführt.
Wie mangelhaft die praktische Umsetzung des Gesetzes in den Ländern gehandhabt wird, zeigt die massive Diskrepanz zwischen den Zahlen aus Berlin und Bayern. Während in Berlin innerhalb eines Jahres nur 3 Kinderehen überhaupt erfasst wurden, hat man in Bayern im gleichen Zeitraum 370 Kinderehen registriert. Es fehlt hier offenbar jeder politische Wille, das Gesetz mit der nötigen Konsequenz durchzusetzen. Für die betroffenen Minderjährigen ist das eine Katastrophe.
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Wir fordern daher unter anderem die bundesweite statistische Erfassung von Kinderehen. Der Staat muss Beratungsstellen so ausstatten, dass sie die Betroffenen aufklären und ihnen tatsächlich helfen können. Meine Damen und Herren, jeder von uns hat die Hochzeitsbilder von 70-jährigen bärtigen alten Männern mit 9-jährigen kleinen Ehefrauen im Kopf. Solche kulturfremden Traditionen dürfen hierzulande nicht einmal ansatzweise Fuß fassen.
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Kinderehen sind zu ächten und zu bekämpfen; denn wir leben immer noch in Deutschland und nicht in Afghanistan.
Im dritten Antrag geht es um den Schutz von Frauen und Mädchen vor Genitalverstümmelung. Die Anzahl weiblicher Genitalverstümmelungen ist in den letzten drei Jahren explodiert: Sie ist um 44 Prozent gestiegen. Fast 70 000 Frauen sind bereits betroffen und fast 15 000 Mädchen akut davon bedroht.
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– In Deutschland.
Bei der weiblichen Genitalverstümmelung handelt es sich um eine bestialische Unsitte, die in Deutschland zu Recht unter Strafe steht. Derartige Misshandlungen werden in der Regel unter katastrophalen hygienischen Bedingungen ohne Betäubung mit Glasscherben oder Rasierklingen vorgenommen. Es ist bestialisch, es ist primitiv, und es ist zutiefst frauenverachtend.
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Viele der betroffenen kleinen Mädchen sterben bereits an den unmittelbaren Folgen des Eingriffs; aber auch bei den Überlebenden bleiben massive lebenslange körperliche und seelische Schäden zurück. Wir erleben Steinzeitmethoden im 21. Jahrhundert.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Etliche Fälle von weiblicher Genitalverstümmelung bleiben aber leider unerkannt und können strafrechtlich nicht verfolgt werden.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir fordern also Aufklärungskampagnen und Prävention sowie die Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht. Frankreich macht das bereits so. Kleine Mädchen müssen endlich konsequent vor solchen bestialischen Traditionen geschützt werden.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
So etwas hat in Deutschland keinen Platz.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Sylvia Pantel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man das gerade gehört hat, glaubt man, dass wir hier im gesetzfreien Raum leben würden. Zwangsverheiratungen, Kinderehen, Vielehen und Genitalverstümmelungen
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sind in Deutschland verboten, gehören verfolgt, bekämpft und bestraft – und das tun wir.
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Das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat wurde bereits 2011 beschlossen. Die Verstümmelung weiblicher Genitalien ist seit 2013 strafbar,
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und das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen wurde 2017 beschlossen.
({3})
Die heute vorliegenden Anträge der AfD kommen zu spät, sind oberflächlich und helfen in der Sache nicht weiter, zumal sie auch einfach den Föderalismus übersehen.
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Wir haben sinnvolle Gesetze als Basis und einen großen Strauß an Maßnahmen beschlossen. Informations-, Präventions- und Aufklärungsarbeit sind den Gesetzen gefolgt, und Studien dienen aktuell der Verbesserung für die Praxis.
Wer einen Menschen mit Gewalt oder durch Drohung zum Eingehen einer Ehe nötigt, wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft.
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In Deutschland dürfen keine staatlichen Ehen mehr mit Minderjährigen geschlossen werden. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Ausländerinnen müssen von den Jugendämtern begleitet werden. Der Staat ist verpflichtet, ungeklärte nichtverwandtschaftliche Verhältnisse daraufhin zu prüfen, ob es sich um eine Minderjährigenehe handelt, um dann tätig werden zu können.
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– Das funktioniert. Ich weiß ja nicht, wo Sie wohnen, aber bei uns funktioniert es.
({7})
Das Justizministerium hat im Sommer die Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vorgelegt. Demnach werden religiöse Eheschließungen noch im Dunkelfeld praktiziert, und das gehen wir an. Deshalb benötigen wir Kontrollen und sehen Handlungsbedarf, auch wenn in § 11 Personenstandsgesetz festgelegt ist, dass religiöse Eheschließungen von Minderjährigen verboten sind. Bußgelder können gegenüber Geistlichen und Sorgeberechtigten verhängt werden, gemäß § 70 Personenstandsgesetz je nach Fall bis zu 5 000 Euro.
Ächtung und Bestrafung sind wirksame Maßnahmen, um gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von Mädchen und Frauen zu ermöglichen. Weitere Maßnahmen zur Bildung und Qualifizierung von Mädchen und Frauen gehören selbstverständlich dazu.
Wer die äußeren Genitalien einer Frau oder eines Mädchens verstümmelt oder plant, dies zu tun, riskiert in Deutschland eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren.
({8})
Dies gilt auch dann, wenn der Tatort im Ausland liegt. Unser Passgesetz kann Ausreisen verhindern, wenn jemand eine Genitalverstümmelung im Ausland plant.
Der Bund entwickelt derzeit einen allgemeinen Schutzbrief. Dieser informiert über die Strafbarkeit von Genitalverstümmelung in verschiedenen Sprachen. Schon vor Jahren habe ich in meinem Wahlkreis in Düsseldorf einen solchen Schutzbrief unterstützt. Da wir das parteiübergreifend gemacht haben, habe ich das damals mit Frau Strack-Zimmermann gemacht; das ist schon Jahre her.
Ärzte schalten derzeit bereits bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung das Jugendamt ein. Die Entbindung von der Schweigepflicht regeln § 4 Absatz 3 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz oder auch der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB. Für eine bessere Aufklärung des Fachpersonals haben wir 2020 auch die Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen verändert.
Unter Leitung des Familienministeriums wurde außerdem eine Arbeitsgruppe zur Genitalverstümmelung mit Bund und Ländern gegründet. Fünf Bundesministerien sind beteiligt: Innen, Außen, Justiz, Gesundheit sowie das Entwicklungsministerium, damit auch alle Aspekte fachübergreifend mitbedacht werden können.
Die Überschriften der Anträge der AfD sollen vermuten lassen, dass wir untätig sind. Wir haben aber bereits gute Gesetze erlassen und stehen mit den Praktikern vor Ort im Austausch. Nur gemeinsam werden wir den Schutz der Frauen verbessern, und das tun wir – nicht nur mit plakativen Überschriften.
Danke.
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Vielen herzlichen Dank, Sylvia Pantel. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Stephan Thomae.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute drei Anträge der AfD-Fraktion zur Kinderehe, zur Vielehe und zur Genitalverstümmelung. Das sind alles Themen, die nicht zum ersten Mal in diesem Haus beraten werden, und eigentlich hat es sich die Fraktion der AfD sehr leicht gemacht, Anträge, die alle hier schon mal beraten worden sind, einfach nur abzuschreiben.
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Aber das ist so wie in der Schule, jedenfalls in Vor-Corona-Zeiten. Es gab die einen, die beim Banknachbarn abschreiben und aus ihrer Drei oder Vier dann noch eine Eins oder Zwei machen, und die anderen, die abschreiben, bleiben trotzdem bei einer Fünf oder bei einer Sechs hängen, und zur zweiten Gruppe gehören irgendwie Sie.
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Ich will Ihnen auch kurz erklären, warum das so ist, und Ihnen das am Beispiel der Vielehen, der Mehrehen exemplifizieren. Denn – Frau Kollegin Pantel hat es gerade eben völlig richtig gesagt – gesetzgeberisch – de lege lata – ist da alles gemacht. Natürlich sind Genitalverstümmelungen, Vielehen, Mehrehen in unserem Land nicht erlaubt. Sie sind verboten, rechtswidrig, strafbar. Das ist mit unserer Rechtskultur nicht vereinbar, und das ist Konsens in diesem Hause.
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Nur jetzt kommen Sie, Frau Harder-Kühnel, genau zu dem Punkt, dass Sie sagen: Es gibt ja neben diesen bürgerlichen Ehen noch die religiösen Ehen, und wir müssen, um zu der Strafbarkeit zu kommen, auch noch die religiösen Ehen – die „faktischen“ Ehen, wie Sie im Antrag schreiben – den rechtlichen, den bürgerlichen Ehen gleichstellen, damit wir auch diese noch verbieten und bestrafen können.
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– Doch, genau das steht drin in Ihrem Antrag, Herr Baumann.
Nur – jetzt passen Sie auf, was Sie damit anrichten; denn jetzt kommt der Clou des Ganzen –: Es gibt ja auch jede Menge christliche Ehen, die nicht nur vor dem Standesamt geschlossen werden, sondern wo auch noch eine kirchliche Trauung stattfindet. Und dann haben wir in diesem Fall eine Doppelung, eine Kombination der bürgerlichen Zivilehe und einer religiösen Ehe, die kirchlich geschlossen worden ist.
Nun werden in Deutschland etwa 150 000 Ehen pro Jahr geschieden, und darunter sind ganz, ganz viele Ehen, die nicht nur vor einem Standesamt geschlossen worden sind, sondern auch noch auf einer kirchlichen Trauung beruhen. Kirchliche Ehen werden aber in Deutschland in ganz, ganz geringer Zahl – es sind wenige Hundert pro Jahr – annulliert oder aufgelöst.
Das heißt, wenn sich nun so jemand wieder verheiratet, dann lebt er in einer neuen bürgerlichen Zivilehe, aber nach kanonischem Recht immer noch in der alten kirchlichen, religiös geschlossenen Ehe. Das heißt, wir erzielen auf diese Art und Weise, wenn wir Ihrem Gesetzesvorschlag folgen, Hunderttausende Mehrehen, die nach Ihrem Gesetzentwurf mit fünf Jahren Freiheitsstrafe zu bestrafen wären. Das ist doch Irrsinn!
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Deswegen kann ich nur sagen: Beim Abschreiben aufpassen! Wer da nicht aufpasst, der kann schwer reinfallen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Stephan Thomae. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Leni Breymaier.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Anträge der AfD zu Kinderehen, zu Vielehen und zur Genitalverstümmelung. Die frauenfeindlichste Partei im Deutschen Bundestag tut so, als würde sie die Lebenssituation der ausländischen Frauen in Deutschland tatsächlich interessieren.
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Ausgerechnet die Partei, die Plakate aufhängt mit Sätzen wie „‚Burkas?ʼ Wir steh’n auf Bikinis.“, freilich gleich mit passendem Foto dabei; ausgerechnet die Partei, in der Herr Bystron von einer Parteikollegin beschuldigt wird, ihr geraten zu haben, doch besser an der Stange zu tanzen; ausgerechnet die Partei, deren Herrn Reusch im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages tatsächlich die steile Formulierung einer „knackigen Vergewaltigung“ einfällt; ausgerechnet die Partei, die Frauen muslimischen Glaubens hier im Hohen Hause pauschal als „Kopftuchmädchen“ diffamiert – ausgerechnet Sie spielen sich hier auf als die großen Frauenversteher.
Ihre Anträge sind ein leicht durchschaubarer Versuch, Ihre Islamophobie und Ihren Hang zur staatlichen Überwachung von Menschen nichtdeutscher Herkunft unter dem Deckmäntelchen von Frauenrechten zu verkaufen.
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Natürlich bekämpfen wir Genitalverstümmelung als eines der schlimmsten und abscheulichsten Verbrechen, das an Mädchen und Frauen verübt wird, ein Verbrechen, das lebenslang quält.
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Die Welt wartet hier wirklich nicht auf Ihre vor Scheinheiligkeit triefenden Anträge.
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Glauben Sie ernsthaft, mit einer Meldepflicht und Kontrollen der Jugendämter würde das Vertrauen in unser Gesundheitssystem gestärkt? Meinen Sie, die Frauen und Mädchen gingen dann überhaupt noch zu einem Arzt oder zu einer Ärztin?
Übrigens: Weibliche Genitalverstümmelung ist als Fluchtgrund anerkannt und oft sogar genau der Grund für den Aufenthalt in Deutschland, gerade weil Frauen ihre Töchter vor diesem Martyrium schützen wollen, weil es bei uns Gesetze gibt.
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Die Bundesregierung – Frau Pantel hat es ausgeführt – arbeitet seit Jahren in engem Schulterschluss mit den Ländern und den NGOs im Rahmen der Bund-Länder-AG zur Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland zusammen und konzipiert Maßnahmen zur Aufklärung und Beratung. Auch aktuell wird daran gearbeitet; es wird immer daran gearbeitet – bis wir das Problem komplett im Griff haben. Aber Gesetze haben wir genug; es braucht auch viel, viel, viel Sensibilität und Zugänge zu den Kulturen.
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Ja, es gibt viel zu tun beim Thema „Gewalt gegen Frauen“ – gegen alle Frauen, und nicht nur gegen die Frauen, die Sie sonst überhaupt nicht hier im Land haben wollen. Die Betroffenen brauchen viel Unterstützung, aber ganz sicher nicht die der AfD. Ihre Anträge helfen nicht.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Leni Breymaier. – Die nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Doris Achelwilm.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kennen es zur Genüge: Die AfD ruft dann nach Frauenrechten, wenn sie ihren Rassismus damit als Notwehr verkaufen und akzeptabler machen will. Die Themen Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung und Polygamie sind Ihnen heute das Mittel zum Zweck der Spaltung und Hetze.
Maßstab der hier vorgelegten Anträge ist nicht, was Frauen in Gewaltverhältnissen, die unabhängig vom sozialen und kulturellen Background weit verbreitet sind, brauchen. Der AfD geht es um Stimmungsmache gegen vermeintliche Parallelgesellschaften. Die Sorge um die körperliche Selbstbestimmung von Frauen treibt die AfD nur dann um, wenn sie sich gegen Zuwanderung richten lässt und eigene Überlegenheitsgefühle bestätigt. Diesen Pseudofeminismus, der regelmäßig antimuslimisches Gerede und Gehetze zur Grundlage hat, den braucht wirklich niemand.
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Wir lehnen also mit Nachdruck auch diesen Versuch der AfD ab, Frauenpolitik zu instrumentalisieren, um patriarchale Missstände anderen Kulturen zuzuschreiben.
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Um die Themen, um die es hier geht, nicht der Mythenbildung der AfD zu überlassen, noch ein paar Gedanken zur Versachlichung:
Weibliche Genitalverstümmelung wie auch die Verheiratung in polygame Ehen und Zwangsehen mit Minderjährigen stehen in vielen Ländern, darunter Deutschland, unter Strafe. Wir wissen auch, dass das allein keine Lösung ist, die die Unabhängigkeit und Unversehrtheit betroffener Frauen sicherstellt. Weibliche Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung, der Ausbau von Aufklärungs- und Beratungsstrukturen selbsterklärend notwendig.
Nur erfahren die, die in diesem Sinne Wichtiges leisten – Frauen- und Mädchenorganisationen, Sexualpädagogik, pro familia –, von rechts nun wirklich alles andere als Anerkennung – und diese Widersprüche merken Sie noch nicht einmal.
Geflüchtete Frauen, denen Genitalverstümmelung droht, sollten unbefristetes Aufenthaltsrecht bekommen; auch dafür setzt sich die AfD definitiv nicht ein.
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Eine große Hilfe wäre außerdem, die medizinische und psychologische Nachbehandlung dieser Genitalverletzung als Kassenleistung zur Verfügung zu stellen.
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Die von der AfD stattdessen geforderte Meldepflicht für behandelnde Ärztinnen und Ärzte hingegen ist problematisch. Aus Großbritannien wissen wir, dass sich Opfer weiblicher Genitalverstümmelung aus Angst vor Repressionen bei geltenden Meldepflichten weniger behandeln lassen und mit ihren Qualen oft unversorgt bleiben. Das können wir nicht wollen.
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Was die rechten Anträge zur Bekämpfung religiöser Mehrfachehen und Ehen mit Minderjährigen anbetrifft, bleibt noch kurz zu sagen, dass es statt Forderungen nach Abschiebung und dergleichen differenzierte Initiativen und mehr interkulturelle Kompetenz braucht und, nicht zu vergessen, die ökonomische Unabhängigkeit und körperliche Selbstbestimmung von Frauen als Schlüssel.
Wenn die AfD stattdessen traditionelle Familien- und Rollenbilder propagiert und sich gegen Migration, Sexualaufklärung, schützende Aufenthaltsrechte und dergleichen stellt, hat sie nicht verstanden, dass sie Teil des Problems und sicher nicht Teil der Lösung ist.
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Vielen Dank, Doris Achelwilm. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katja Keul.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da sind sie wieder, die Rechtspopulisten,
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die sich angeblich um frauenpolitische Belange kümmern – in Wirklichkeit nutzen sie das Elend verstümmelter Frauen und verheirateter Kinder für ihre Propaganda, und das ist schlicht widerwärtig.
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Kinderehen sind ein weltweites Problem, das uns nicht erst dann stört, wenn die Menschen bei uns einwandern. Und es gibt sie leider nicht nur im Süden und im Osten, sondern auch im Westen: Ausgerechnet in den USA wurden innerhalb von zehn Jahren mehr als 200 000 Minderjährige verheiratet, Tausende davon zwischen 12 und 15 Jahre alt. Viele davon stammen aus konservativ-christlichen Kreisen. Ich wünsche von hier aus den Frauen der Organisation „Unchained At Last“ viel Erfolg im Kampf um die Rechtsänderungen im Eherecht der Vereinigten Staaten.
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Wenn Sie hier in Deutschland was für die Frauen tun wollen: Unterstützen und fördern Sie Beratungsstellen für Migrantinnen! Aber was fordert die AfD in ihren skurrilen Anträgen? Meldepflichten und statistische Erfassungen! Damit waren die Rechten ja schon immer besonders gut.
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Da sollen also Ärzte Frauen mit verstümmelten Genitalien melden – tolle Idee; dann trauen sich diese Frauen nicht mal mehr zum Arzt und werden noch weiter isoliert.
Auch die Migrantinnen, die als Kinder im Ausland geheiratet haben, brauchen keine Erfassung in Strafverfolgungsstatistiken. Wenn wir ihr Selbstbestimmungsrecht ernst nehmen wollen, müssen wir sie anhören und sie über ihr weiteres Leben entscheiden lassen.
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Sie damit alleinzulassen, dass ihre Ehe seit 2017 in Deutschland nichtig ist und auch immer bleiben wird, egal wie lange sie diese Ehe leben und wie viele Kinder sie haben, wird dem nicht gerecht. Der BGH hat die Rechtsänderung von 2017, die wir hier schon damals kritisiert haben, dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Sie sehen, wir ringen hier schon seit Jahren in differenzierter Weise um den besten Weg. Da brauchen wir die AfD nicht. Die Zahl der verheirateten minderjährigen Migranten kann man übrigens ohnehin im Ausländerzentralregister abfragen.
Bei der Polygamie wollen Sie künftig die Auslandsehen aufheben, die unterhaltsrechtlichen Ansprüche der Frau dabei aber erhalten. Hut ab! Das ist für Ihre Verhältnisse schon weit mitgedacht. Nur eines haben Sie vergessen: den aufenthaltsrechtlichen Status. Den müssen wir den Frauen ja wohl auch erhalten; denn wenn wir sie abschieben, können sie ihre Unterhaltsansprüche wohl kaum erfolgreich durchsetzen.
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Kurz gesagt: Sparen Sie sich Ihre scheinheiligen Bemühungen – sie sind einfach zu leicht zu durchschauen.
Wir müssen die Frauen unterstützen, die sich in ihren Ländern gegen Polygamie, Kinderehen und Genitalverstümmelung einsetzen,
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und wir müssen diejenigen, die zu uns kommen, sorgfältig anhören und beraten, damit sie endlich selbstbestimmt leben können.
Was diese Frauen definitiv nicht brauchen, ist die AfD und deren Meldepflichten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Katja Keul. – Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Michael Kuffer.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stimmen – davon gehe ich aus – in der Haltung überein, dass die weibliche Genitalverstümmelung ein an Abscheulichkeit kaum zu übertreffendes Verbrechen an Frauen und Mädchen weltweit ist und wir es mit aller Kraft und mit allen Mitteln bekämpfen und verhindern wollen.
Der Schutz bedrohter Gruppen vor solchen Taten ist integraler Bestandteil unserer Frauen- und Familienpolitik, und wir führen seit Jahren einen fortdauernden Kampf, um dieses Geschehen zu ächten, darüber aufzuklären und zu informieren und so möglichst jedes Kind vor dieser Straftat zu bewahren. Dazu haben wir in der Vergangenheit eine Vielzahl von Maßnahmen vorangebracht und Anstrengungen unternommen, um im Austausch mit allen wesentlichen Akteuren die weibliche Genitalverstümmelung abschließend zu überwinden.
Ich erspare Ihnen jetzt die Aufzählung der langen Liste von Maßnahmen; ich knüpfe an das an, was die Kollegin Pantel zutreffend ausgeführt hat, weil es deutlich macht, welche Linie sich hier durch unser politisches Handeln zieht. Wichtig war und ist – das sage ich auch in Richtung der AfD ganz deutlich –, dass einer der wesentlichen Ansätze unserer Politik ein präventiver ist.
Ihr Ansatz, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist vor allem repressiver Natur, und er ist so, wie er ausgestaltet ist, vor allem auch wirkungslos. Die Vorschläge der AfD scheitern vor allem an ihrer mangelnden Umsetzbarkeit und an ihrer mangelnden Wirksamkeit. Zur Meldepflicht beispielsweise ist schon zutreffend ausgeführt worden, dass dies – das zeigen Erfahrungen in anderen Ländern – schlicht und ergreifend dazu führen würde, dass Arztbesuche vermieden werden, wenn bekannt wird, dass es eine solche Meldepflicht gibt. Letztlich würden Sie damit eher der Verschleierung dieser Verbrechen und der Stigmatisierung der Opfer Vorschub leisten, als dass Sie einen positiven Effekt erzielen würden. Insofern hilft es uns in derartigen sensibelsten Fragen der inneren Belange betroffener Frauen und Kinder deshalb leider nicht, mit sturer Regulatorik vorzugehen. Wir müssen hier im Sinne der Betroffenen präventiv vorgehen. Das bedeutet – ob es uns gefällt oder nicht –, dass vor allem ein Ansatz der Aufklärung und Kommunikation notwendig ist, wenn wir hier weiterkommen wollen.
Darüber hinaus würden die Vorschläge der AfD natürlich auch das Problem der Beweisbarkeit hinsichtlich der Frage des Tatzeitpunkts und des Tatortes aufwerfen, weil man schlicht und ergreifend nicht sagen kann, wann die Verstümmelung vorgenommen worden ist, wenn man sie feststellt, was aber für die Frage der Strafbarkeit – Stichwort „Tatortprinzip“ und dergleichen; die Frage: ist es ein deutscher oder ist es kein deutscher Tatort, und wo ist die Tat dann begangen worden? – von entscheidender Bedeutung ist. Deshalb ist das auch insoweit ein unwirksamer Vorschlag. Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Genauso werden wir mit Ihren Anträgen zu den Kinder- und Vielehen umgehen; denn leider liefern Sie auch da erneut den Beweis, dass es Ihnen nicht um die betroffenen Opfer geht, sondern Sie, ein weiteres Mal, den billigen Versuch unternehmen, das Leid dieser Menschen für Ihre Politik zu missbrauchen.
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Wie Sie wissen – das wissen Sie ganz genau –, sind wir als Gesetzgeber in dieser Sache zuletzt 2017 tätig geworden. Wir haben uns im Umgang mit den sogenannten Kinderehen von unter 18-Jährigen klar und eindeutig positioniert. Wir haben dies aus Überzeugung getan, und wir stehen zu den Grundsätzen unserer damaligen Regelungen.
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– Für Sie wäre es gut, wenn Sie die Gewaltenteilung respektieren würden. Darum geht es nämlich an dieser Stelle.
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Sie wissen, dass zum besagten Gesetz derzeit eine Prüfung beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Und solange diese Prüfung nicht abgeschlossen ist, verbietet sich jedes weitere gesetzgeberische Vorgehen in diese Richtung.
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Ihre Anträge formulieren daher bisweilen, wie so oft, redundante Positionen, und sie sind nichts weiter als nutzlose Schaufensterpolitik, weshalb wir die Anträge ablehnen werden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Michael Kuffer. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Karl-Heinz Brunner.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ja den Spruch von neuem Wein in alten Schläuchen; der würde zumindest die Schläuche zum Bersten bringen. Aber dieser alte Wein, der in den alten Schläuchen ist, wird diesen Schläuchen nicht mal Bewegung angedeihen lassen. Deshalb denke ich, dass die halbe Stunde, in der wir heute über die Anträge der AfD zu Maßnahmen zur Bekämpfung von Vielehen, zur Meldepflicht für Fälle weiblicher Genitalverstümmelungen und zur effektiveren Bekämpfung von Kinderehen debattieren, absolut vergeudete 30 Minuten sind. Das stiehlt uns Arbeitszeit, dient nicht der Sache und vor allen Dingen nicht den Kindern und den Frauen, also den Personen, die in den Überschriften stehen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen alle miteinander – und das sollten Sie auch wissen, auch wenn Sie dem Hohen Haus damals nicht angehörten –, dass wir bereits im Sommer 2017, in der letzten Legislatur, die Kinderehen ausführlich behandelt haben und dass auch bereits im Sommer 2017, wie es die Kollegin angesprochen hat, ein Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehen in Kraft getreten ist. Auch wenn es ausschließlich Änderungen im BGB und in zivilrechtlichen Gesetzesvorschriften waren, hat der Staat damit ein wirksames Instrument in der Hand, Kinderehen zu unterbinden.
Wir gehen noch ein bisschen tiefer in die Geschichte. Die sogenannte Genitalverstümmelung ist seit September 2013, seit dem Inkrafttreten des 47. Strafrechtsänderungsgesetzes – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien – verboten und wurde zusätzlich als eigener Straftatbestand in § 226a StGB und zusätzlich in § 5 StGB aufgenommen.
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Auch die Frauenbeschneidungen – egal in welchem Bereich – sind strafbar geworden.
Unabhängig vom Recht des Tatorts, der Nationalität des Täters und des Opfers soll das deutsche Strafrecht auch dann gelten, wenn das Opfer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Dies bildet eine ordentliche rechtliche Grundlage zum Schutz von betroffenen Mädchen und Frauen.
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Noch viel wichtiger ist es, das Beratungsangebot für die Opfer niederschwellig weiter auszubauen; denn jeder von uns weiß, dass die meisten Straftaten in der Familie stattfinden, diese aber am seltensten angezeigt werden. Um diese Dunkelziffer zu beleuchten, müssen wir es als Gesellschaft schaffen, eine vertrauensvolle Anlaufstelle für alle Opfer zu sein. Dazu gehört nicht Stigmatisierung, dazu gehört nicht Denunzieren, dazu gehören nicht Anzeigepflichten, und dazu gehören keine Listen, wie wir sie aus Zeiten kennen, in denen mit, gelinde gesagt, Sippenhaft und Ähnlichem ganze Familien oder Religionsgemeinschaften unter Generalverdacht gestellt wurden.
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Ich weiß, was die Intention Ihrer Anträge ist. Die Intention – wir können es in allen drei Anträgen ganz sauber lesen und durchdeklinieren – ist im Ergebnis: Abschiebung der betroffenen Personen.
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Damit helfen wir keinem Kind, keiner Frau, die genitalverstümmelt wird, keinem Menschen in diesem Lande. Das wollen wir nicht, und deshalb werden wir diese Anträge ablehnen.
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Vielen Dank, Dr. Brunner. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Katja Leikert.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für jeden von uns hier im Hohen Haus ist eines ganz klar: Was wir in unserem Land nicht dulden, was wir zutiefst verurteilen und bekämpfen, ist Gewalt an Frauen, und zwar ganz besonders Gewaltformen, die jegliches Menschenrecht mit Füßen treten, wie Genitalverstümmelung, Zwangsehe und Kinderehe. Betroffen sind hier immer die Schwachen. Frauen werden zum Opfer der Willkür ihrer direkten Verwandten. Das hat in unserem Land nichts zu suchen. Genau deshalb setzen wir uns als CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit unserem Koalitionspartner SPD aktiv für Frauenrechte ein.
Klar ist auch: Solche Verbrechen haben auch weltweit nichts zu suchen. Genau deshalb setzt sich Bundesminister Müller beim Kampf gegen Genitalverstümmlung im Übrigen auch seit Jahren intensiv und in vorbildlicher Art und Weise ein. Ich möchte allen, die hier an einem Strang ziehen – im Familienministerium, im Innen- und im Justizministerium sowie im BMZ –, herzlich für ihren großen Einsatz danken.
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Worüber es hier im Hohen Haus aber offensichtlich keinen Konsens gibt, ist, dass man mit solchen Themen keine Symbolpolitik betreibt. Beim besten Willen kann ich nicht feststellen, dass es in der AfD auch nur eine Frauenrechtlerin oder einen Frauenrechtler geben würde.
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Seit 2017 warte ich hier auf ernsthafte Beiträge von Ihnen zu den Themen „Gleichstellung von Frauen im Beruf“, „Menschenhandel“ oder „Prostitution“. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Ich erinnere mich nur an seltsame Beiträge der Kollegin Höchst zum „Gleichstellungstotalitarismus“ oder an den hochgeistigen Diskurs des Kollegen Dr. Jongen zum „Radikalfeminismus“. Seien Sie wenigstens ehrlich! Ihnen liegt nichts an diesen Themen.
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Dabei wäre es ja sehr wichtig, dass sich alle Fraktionen zu diesen Themen einbringen; denn für jede einzelne betroffene Frau ist das eine hochtraumatisierende, existenzielle Situation. Statt hier herumzutheoretisieren, reden Sie doch lieber mit Menschen, die hier wohnen – das ist Ihnen ja angeblich so wichtig –, zum Beispiel mit der Frauenrechtlerin Düzen Tekkal. Oder besuchen Sie in Ihrem Wahlkreis mal eine Einrichtung, die sich wirklich kümmert! Ich habe Sie in unserem gemeinsamen Wahlkreis noch nie irgendwo dort gesehen, Frau Harder-Kühnel. In Ihren Anträgen zeigt sich ja irgendwie immer, dass Sie ein Informationsdefizit haben. Informieren Sie sich einfach mal vor Ort!
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Wir sind eine freiheitlich-pluralistische Gesellschaft, wir sind ein Einwanderungsland, wir haben klare Regeln, die für alle gelten. Was wir nicht dulden, sind jegliche Formen von Gewalthandlungen gegen Frauen, egal von woher die Täter kommen. Je klarer der Rechtsstaat hier positioniert ist, desto besser ist das für die Frauen. Und unser Rechtsstaat – wir haben es heute schon öfter gehört – ist hier sehr klar ausgerichtet. Genitalverstümmelung, Kinderehe, Zwangsheirat: Alles ist verboten. – Da, wo wir noch etwas für die Frauen tun können, arbeiten wir daran, aber dafür brauchen wir eben nicht Ihre pseudobesorgten Anträge.
Wir stehen mit einem ernsthaften Interesse an der Seite der Frauen. Sie verdienen seriöse Gesetze, effektive Umsetzung und keine halbgaren Schnellschüsse.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend das Gesetz zur Reform der medizinisch-technischen Assistentinnen und Assistenten und anderer Berufe. Damit reformieren wir die Ausbildung, machen den Berufsstand zukunftsfest und machen deutlich, dass es sich um viel mehr als reine Assistenz handelt. Es sind medizinische Technologinnen und Technologen, die nicht zuletzt in den letzten Monaten in den Laboren, in der Radiologie oder in der Funktionsdiagnostik gezeigt haben, dass sie eine Schlüsselfunktion für die qualitativ hochwertige Versorgung von Patienten innehaben.
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Die wichtigsten Punkte der Reform sind für mich:
Erstens: die neu eingeführte verpflichtende Ausbildungsvergütung. Mit dieser wertschätzen wir die Arbeit der Auszubildenden und machen die Ausbildung für junge Menschen attraktiver.
Zweitens. Die Abschaffung des Schulgelds ist uns gerade für die Gesundheitsfachberufe ein großes Anliegen. Auch in dieser Reform setzen wir das um. Denn nur so bleiben diese Berufsausbildungen wettbewerbsfähig im Kampf um die besten Köpfe.
Drittens. Wir verzahnen die Schulen und die Krankenhäuser durch Kooperationsverträge eng miteinander, sorgen so für eine engmaschige Begleitung der Auszubildenden und legen mit dem Gesetz auch den Grundstein für die Finanzierung der humanmedizinischen Schulen über das Krankenhausfinanzierungsgesetz.
Viertens. Wir legen auch das erste Mal in dieser Ausbildung eine verpflichtende Praxisanleitung fest. Die Praxisanleitung ist ein zentraler Schlüssel für die Ausbildung, und ich freue mich, dass wir hier eine Steigerung von 10 auf 15 Prozent erreichen konnten. Das ist die Grundlage für eine zukunftsfeste Ausbildung.
Ein weiterer Punkt war mir in der Diskussion um das Gesetz sehr wichtig: So konnten wir in den Verhandlungen erreichen, dass die Heilpraktiker nicht in ihren Befugnissen beschnitten werden, sondern ihren Beruf auch in diesem Bereich wie bisher ausüben dürfen. Ich bin grundsätzlich für eine Reform der Ausbildung der Heilpraktiker und für eine große Lösung mit Einbezug des BMG-Gutachtens; aber ich hätte es falsch gefunden, ohne eine wissenschaftliche Grundlage und eine umfangreiche Diskussion vorab Befugnisse schlicht zu beschränken. Das wäre kein guter Stil gewesen.
({1})
Zum Schluss beinhaltet dieses Gesetz einen echten Meilenstein: die Rechtssicherheit für unsere Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Dass wir diese wirklich durchgesetzt haben, macht mich stolz, und ich bin sehr dankbar, weil wir damit einen Durchbruch in einer jahrelangen Diskussion erreicht haben. Und das macht für mich gute Politik aus: die gesetzliche Grundlage zu schaffen, die in der Praxis wirklich zu einer spürbaren Erleichterung führt und die für die Menschen direkt gemacht wird. Und das macht die neue Regelung.
Wir ermöglichen es den Notfallsanitätern für das Zeitfenster bis zum Eintreffen des Arztes, dass sie rechtssicher Heilkunde auch invasiver Art ausüben dürfen, wenn sie dies in der Ausbildung erlernt haben und es erforderlich ist, um eine Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von dem Patienten abzuwenden. Damit geben wir ein ganz klares Signal: Wir wissen um eure Kompetenz und sichern euch in diesem Rahmen ab. Und die Patienten erhalten die Versorgung, die ihnen zusteht.
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Dass wir nach den langen Verhandlungen und den vielen Fachgesprächen wirklich die bestmögliche Lösung für die Notfallsanitäter erreichen konnten, habe ich an manchen Tagen und nach mancher Debatte selbst nicht zu hoffen gewagt.
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Aber es gibt Bereiche, da wäre jeder Kompromiss falsch; davon bin ich fest überzeugt. Danke an die beteiligten Kolleginnen und Kollegen, vor allem an die, die dem vielleicht ein bisschen angespannt zugestimmt haben. Aber ich danke, dass wir das gemeinsam umgesetzt haben. Ich danke dem geschätzten Kollegen Dirk Heidenblut für seinen Einsatz und natürlich auch der coolsten Staatssekretärin, die wir in diesem Haus haben, Sabine Weiss; denn ohne sie wäre das so nicht möglich gewesen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Emmi Zeulner. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Paul Podolay.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Heilpraktiker! Die heutige Debatte ermöglicht es uns, über eine spezielle und wertvolle Berufsgruppe zu sprechen: die Heilpraktiker. Sie sind fester Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems und bereichern unsere Patientenversorgung seit Jahrzehnten.
Aktuell praktizieren rund 47 000 Heilpraktiker in deutschen Praxen. Bei Patienten erfreuen sie sich großer Beliebtheit, da sie ein ganzheitliches Bild des Menschen vertreten. Wenn ein Patient zum Beispiel wissen möchte, was er zusätzlich zu den herkömmlichen Tabletten gegen seinen Bluthochdruck tun kann, dann ist das sein absolutes Recht als mündiger Bürger. Dies schlägt sich auch in der Statistik nieder: Pro Jahr verzeichnen Heilpraktiker 46 Millionen Patientenkontakte. Das macht rund 128 000 Kontakte pro Tag! Und der Trend ist steigend, obwohl die Leistungen kostenpflichtig sind.
Warum sind die Menschen also bereit, für dieses Behandlungsangebot zu zahlen? Heilpraktiker bedienen die wachsende Nachfrage der Patienten nach alternativen Methoden wie der traditionellen chinesischen Medizin oder auch der klassischen Akupunktur. Sie stehen nicht in Konkurrenz zu den herkömmlichen Verfahren, sondern ergänzen und erweitern diese. Nichtsdestotrotz steht es den Menschen offen, zusätzlich auch einen Arzt oder Psychotherapeuten zu konsultieren.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass sie sich für ihre Patienten Zeit nehmen. Dies ist etwas, was im Abrechnungssystem der gesetzlichen Krankenkassen schon lange nicht mehr möglich ist. Hier sind Behandler gezwungen, die Patienten wie am Fließband abzuarbeiten, und der Patient kommt regelmäßig zu kurz.
Unseren Bürgern muss die Inanspruchnahme dieses Behandlungsangebotes weiterhin offenbleiben; denn letztlich ist der Patient selbst dafür verantwortlich, durch wen er sich behandeln lässt, und hat die Freiheit, zu entscheiden. Schließlich sind wir nicht in der DDR, in der man auf die korrupte Poliklinik angewiesen war.
Um diesen traditionsreichen Beruf zu erhalten und zukunftsfähig zu machen, fordern wir deshalb in unserem Antrag den Ausbau des Berufsbildes. Konkret bedeutet dies, dass wir die Pflicht einer bundeseinheitlichen vierjährigen Berufsausbildung vorsehen, die mit einer staatlichen Abschlussprüfung endet. Erst nach Abschluss dieser Ausbildung soll die Berufsbezeichnung „staatlich geprüfter Heilpraktiker“ geführt werden dürfen.
Mit diesem Vorgehen wollen wir eine einheitliche Qualität im Berufsbild etablieren und die Angriffe der Altparteien obsolet machen, die auch beim MTA-Reform-Gesetz wieder sichtbar wurden. Denn diese wollen den ganzen Berufsstand abschaffen – sogar die Grünen, die dafür ihre eigene Stammwählerschaft vergraulen.
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Die AfD steht für eine freie Behandlungswahl und stellt sich mit diesem Antrag absolut gegen die Abschaffung des Heilpraktikers und für den Ausbau des Berufsbildes des Heilpraktikers.
Danke.
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Danke schön, Kollege Podolay. – Die nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Bettina Müller.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Medizinischen Technologinnen und Technologen – wie sie künftig nämlich genannt werden –, die ja heute noch die alte Berufsbezeichnung MTAs tragen, gehören zu den Berufsangehörigen, deren Bedeutung uns in der aktuellen Pandemie besonders vor Augen geführt wurde. Zugleich haben wir auch gesehen, dass in diesem Bereich viele Fachkräfte fehlen. Wenn wir also wollen, dass in Zukunft Analyselabore besetzt und arbeitsfähig sind, dass Röntgengeräte und MRTs bedient und EKG-Untersuchungen gemacht werden können, dann müssen wir die Rahmenbedingungen für diesen wichtigen Beruf deutlich verbessern.
({0})
Und genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist uns mit dem MTA-Reform-Gesetz wirklich gelungen. Aus dem längst veralteten Berufsgesetz von 1993 mit seinen dürren 15 Paragrafen ist nun ein stattliches Regelwerk mit fünffachem Umfang geworden, das den weiterentwickelten Berufsfeldern endlich wieder gerecht wird.
Das Gesetz modernisiert die Ausbildung in den vier medizinisch-technischen Berufen und richtet sie mit Blick auf den technologischen Fortschritt in der Radiologie, in der Labordiagnostik, in der Funktionsdiagnostik neu aus. Die vorbehaltenen Tätigkeiten werden erweitert, die Ausbildungsziele künftig kompetenzorientiert vermittelt. Uns als SPD war es natürlich besonders wichtig, dass auch in diesem Beruf das Schulgeld endlich abgeschafft und eine Ausbildungsvergütung obligatorisch wird.
({1})
Auch die Praxisanleitung, ein wichtiges und zentrales Element der praktischen Ausbildung, konnte gesetzlich verankert werden. Im parlamentarischen Verfahren haben wir es außerdem geschafft, sie auf einen Anteil von 15 Prozent anzuheben.
Leider ist es uns nicht gelungen, eine zusätzliche akademische Ausbildungsoption, zumindest in Form einer Modellklausel, zu vereinbaren. Das hätte die medizinisch-technischen Berufe auch für Abiturientinnen und Abiturienten attraktiver machen können. Hier sollte im Rahmen der noch ausstehenden Umsetzung eines Gesamtkonzepts für die Gesundheitsberufe unbedingt nachgeregelt werden. Diese neue medizinisch-technische Ausbildung beginnt ja auch erst 2023.
Insgesamt, liebe Kolleginnen und Kollegen, handelt es sich um eine sehr gelungene Ausbildungsreform, die helfen wird, dass wir auch in diesem medizinisch-technischen Bereich den längst bestehenden Fachkräftemangel besser in den Griff bekommen. Es freut mich besonders – das ist schon angeklungen –, dass es mit dem Gesetz auch gelungen ist, endlich Rechtssicherheit für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter zu schaffen. Auf dieses Thema wird der Kollege Heidenblut gleich noch näher eingehen.
Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Regelungen zu anderen Gesundheitsberufen, die mit diesem Artikelgesetz rechtlich umgesetzt werden. Aus Zeitgründen will ich an dieser Stelle nur auf die sozialversicherungsrechtlichen Ausnahmen eingehen, die wir für die Ärztinnen und Ärzte einführen, die sich neben ihrer niedergelassenen oder Angestelltentätigkeit auch noch in den Impf- und Testzentren zur Verfügung stellen. Wir haben die Freistellung von der Verbeitragung in der Sozialversicherung und die Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung beschlossen. Dies erleichtert es diesen Berufsgruppen, sich für diese wichtige Aufgabe für das Gemeinwohl zu entscheiden und damit die Impfungen weiter voranzubringen.
Ich komme zum Schluss. Ich bedanke mich bei allen Berichterstatterinnen und Berichterstattern: Emmi Zeulner, Dirk Heidenblut, allen anderen, die an diesem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben. Das Ergebnis zeigt es: Es hat sich gelohnt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Bettina Müller. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Wieland Schinnenburg.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich hatte in der ersten Lesung bereits darauf hingewiesen, dass es sehr gut ist, dass hier ein neues Gesetz beschlossen wird. Das alte Gesetz – das wurde schon erwähnt – ist fast 30 Jahre alt, und in diesen 30 Jahren hat sich sehr viel getan. Es bestand dringender Neuregelungsbedarf. Insofern begrüßen wir das als FDP-Fraktion außerordentlich.
Wir finden es auch gut, dass der Begriff des Assistenten nicht mehr verwendet wird; denn es geht eben nicht um eine assistierende Tätigkeit, sondern um eine anspruchsvolle, selbstständige Aufgabe. Es ist gut, dass das auch in der Berufsbezeichnung zum Tragen kommt. Auch das ist gut.
Wir haben schließlich durch die Coronapandemie festgestellt, wie wichtig medizinische Technologie ist. Medizinische Technologie wird genutzt, um Menschen das Leben zu erleichtern, oft sogar, um es zu retten. Ich persönlich bin besonders stolz, dass Gentechnik eingesetzt wurde, um Impfstoff zu generieren. Einige Fraktionen im Haus finden sie ja nicht so gut; wir als Freie Demokraten setzen uns sehr für die Gentechnik ein, meine Damen und Herren.
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Nun ist es so, dass in der Anhörung ganz erhebliche Kritik formuliert wurde, die von den Rednern der Koalition bisher natürlich nicht groß erwähnt wurde. Aber ich muss ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Wir als FDP haben die Anhörung sehr ernst genommen und insgesamt acht Änderungsanträge vorgelegt. Die Koalition fand es richtig, sie alle abzulehnen. Ergebnis: Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf, über den wir gleich abzustimmen haben, hat nach wie vor schwere Mängel. Lassen Sie mich die wichtigsten Mängel erwähnen:
Der erste Punkt – man glaubt es gar nicht –: Auch nach einem Jahr Coronapandemie ist die Digitalisierung in diesem vom Ministerium erarbeiteten Gesetzentwurf nicht angekommen. Man kann nach wie vor den Ausbildungsvertrag nur schriftlich, nicht elektronisch schließen, und der Begriff „E-Learning“ taucht gar nicht erst auf. Meine Damen und Herren, es ist geradezu peinlich, dass das Thema Digitalisierung nach einem Jahr Pandemie in einem neuen Gesetz immer noch nicht berücksichtigt wird. Die Koalition ist bei der Digitalisierung nicht angekommen.
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Der zweite Punkt. Die Ausbildungsvergütung, die hier groß gelobt wird, ist ja im Prinzip richtig. Nur – das steht auch im Gesetz drin –: Drei Viertel der Sachleistungen des Arbeitsgebers können auf die Ausbildungsvergütung angerechnet werden. Ergebnis: Die ach so tolle Ausbildungsvergütung wird wahrscheinlich in vielen Fällen drastisch reduziert. Das ist alles andere als motivierend, meine Damen und Herren.
Der dritte Punkt: die Praxisanleitung, die hier groß gelobt wurde. Sie haben nicht erwähnt, dass es eine zehnjährige Übergangsfrist gibt. Erst im Jahr 2031 ist nach Ihrem Gesetzentwurf eine angemessene Praxisanleitung vorgesehen. Das steht ganz im Gegensatz zu dem, was in der Anhörung gefordert wurde.
Der vierte Punkt, vielleicht der schlimmste: Die Finanzierung, etwa 100 Millionen Euro pro Jahr, erfolgt über die GKV. Ja, Sie haben richtig gehört, nicht Bund und Länder, die eigentlich Ausbildungen bezahlen, sondern die GKV soll das bezahlen. In der Konsequenz würde das bedeuten, dass demnächst auch das Medizinstudium von der GKV bezahlt werden müsste. Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst. Dieser Punkt ist ein kapitaler Fehler.
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Der fünfte Punkt: Die Ausbildungsschulen werden gegen ihr ausdrückliches bittendes Flehen weiter gezwungen, Kooperationsverträge mit Krankenhäusern abzuschließen. Das ist falsch.
Und schließlich der sechste Punkt, ganz typisch für Herrn Spahn: Die wesentlichen Dinge werden nicht im Gesetz geregelt, sondern in eine Rechtsverordnung ausgelagert. Erneut soll dieses Parlament die Katze im Sack kaufen. Wir machen das nicht mit. Wenn Sie das mitmachen wollen, ist das Ihre Sache.
Meine Damen und Herren, die Auszubildenden, die Schulen und die Beitragszahler hätten ein besseres Gesetz verdient gehabt. Deshalb können wir uns leider nur enthalten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Wieland Schinnenburg. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Harald Weinberg.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal geht das mit den Fachdebatten und den Anhörungen ja ganz gut; dann kommt hinten auch durchaus was Vernünftiges raus. Das vorliegende MTA-Reform-Gesetz ist dafür durchaus ein gutes Beispiel. Mit ihm soll das Berufsbild der medizinisch-technischen Assistenzberufe reformiert werden. Das war wirklich lange überfällig – das haben wir schon gehört –; denn das alte Berufsgesetz ist seit den 90er-Jahren in Kraft.
Wir begrüßen diese Neuregelung. Es gibt aus unserer Sicht viele positive Elemente, die wir unterstützen: ein klar geregelter Ausbildungsvertrag mit Ausbildungsvergütung, Spezifizierung der Ausbildungsziele, Ausweitung der Praxisanteile, vor allen Dingen Abschaffung des Schulgeldes und auch die neue Berufsbezeichnung „Medizinische Technologinnen und Technologen“.
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Wir hätten uns an ein paar Stellen mehr gewünscht, zum Beispiel bei der Finanzierung der Ausbildungskosten. Aber insgesamt ist das am Ende durchaus ein sehr gelungenes Gesetz.
Im ursprünglichen Gesetzentwurf war der Versuch enthalten, den Notfallsanitäterinnen und ‑sanitätern Rechtssicherheit zu geben, wenn sie ohne Notarzt zu einem Unfallort kommen und erste heilkundliche Maßnahmen durchführen müssen. Die Anhörung hat gezeigt, dass die gewählte Formulierung ungeeignet war. Wir haben daraufhin einen Änderungsantrag eingebracht, um dies zu ändern. Die Koalition hat bei der abschließenden Beratung im Ausschuss ebenfalls einen Änderungsantrag eingebracht. Wir finden nach wie vor, dass unserer weiter geht, weil er nämlich auch die Schmerzzustände mitberücksichtigen würde. Aber auch der Änderungsantrag der Koalition stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber der ursprünglichen Formulierung dar. Das muss man schlichtweg anerkennen.
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Die merkwürdige, sachfremde Regelung zu den Laborleistungen der Heilpraktiker ist wieder aus dem Gesetz rausgeflogen. Das ist gut so; denn eine Auseinandersetzung mit dem Berufsbild sollte offen geführt werden und nicht durch die Hintertür.
Insgesamt haben uns die Änderungsanträge positiv überrascht. Fast alle unsere Einwände wurden noch berücksichtigt. Somit ist das Gesetz tatsächlich ein großer Schritt in die richtige Richtung, der aber auch dringend notwendig war. Seit Monaten arbeiten die Menschen in den Assistenzberufen, die Laborkräfte am Rande ihrer Möglichkeiten. Diese Reform wird das nicht rausreißen; denn eigentlich müsste sofort eine Entlastung kommen. Aber vielleicht ist es ein gutes Zeichen der Anerkennung und eine gewisse Aussicht auf Verbesserung der Situation, wenn dieses Gesetz gleich auch mit den Stimmen relevanter Teile der Opposition verabschiedet wird. Wir werden auf jeden Fall zustimmen.
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Vielen Dank, Harald Weinberg. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Janosch Dahmen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor gut zwei Monaten haben wir hier im Plenarsaal zuletzt über den vorliegenden Gesetzentwurf und damit auch über die Reform des Notfallsanitätergesetzes gesprochen. Vieles im Entwurf der Bundesregierung war damals gut gemeint, aber schlecht gemacht. Bisher – zurückgeblickt – gab es hier eine schwierige rechtliche Grauzone und viel Unsicherheit. Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen mussten sich im Zweifel auf eine rechtliche Regelung im Strafgesetzbuch berufen, um Menschen in Lebensgefahr richtig helfen zu können: Ein unhaltbarer Zustand – das hat uns geeint –, der dringend behoben werden musste und der mit der überarbeiteten Fassung endlich abgestellt wird.
Ich darf deshalb zunächst einmal Danke sagen in Richtung der Kolleginnen und Kollegen, ganz besonders in Richtung der Berichterstatter und Berichterstatterinnen der Regierungsfraktionen, Emmi Zeulner und Dirk Heidenblut, die sich für diesen Punkt auf Regierungsseite sehr stark gemacht haben,
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aber auch ein offenes Ohr für die Opposition hatten, für meine Kollegin Kirsten Kappert-Gonther, die das Thema schon lange betreut, und auch für die Kollegen der Linksfraktion, die sich ebenso mit viel Fachverstand und konstruktiver Kritik eingebracht haben und über Experten aus der Praxis in der Anhörung deutlich gemacht haben, dass hier dringend Nachbesserungsbedarf bestand.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ziel sind wir noch nicht. Was wir tun müssen, ist doch, den Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern mehr Handlungsspielräume zum Wohle der Patienten und Patientinnen einzuräumen. Da bestehen auch im aktuellen Entwurf weiterhin Lücken. So bleibt beispielsweise Notfallsanitätern und Notfallsanitäterinnen im Rettungseinsatz ohne eine Ärztin oder einen Arzt weiterhin nicht erlaubt, Opiate als Schmerzmittel an eine Patientin oder einen Patienten zu verabreichen.
Stellen Sie sich also einmal ganz konkret folgende Situation vor: Sie haben einen Notfall. Aufgrund plötzlicher Nierensteine, einer Nierenkolik, haben Sie wahnsinnig starke, krampfartige Schmerzen, sind verzweifelt und in Panik. Neben Ihnen steht eine Notfallsanitäterin, die Ihnen in dieser Situation diese akuten, starken Schmerzen mit einem Opiat nehmen könnte, denn sie hat das gelernt, sie hat also die Befähigung dazu, aber sie darf das nicht tun, weil das Gesetz – auch nach der vorliegenden Reform – dies nicht erlaubt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, versteht doch kein Mensch. Das ist unnötiges Leid, das man verhindern kann, wenn man hier endlich konsequent realitätsnahe Regelungen treffen würde.
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Was bleibt also trotz dieses guten Entwurfes noch zu tun? Ich kann vorwegnehmen: Wir werden diesem zustimmen.
Erstens. Der Bund muss das Betäubungsmittelgesetz ändern,
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damit auch Opiate generaldelegiert und somit auch von Notfallsanitätern und Notfallsanitäterinnen im Einsatz rechtssicher angewandt werden können.
Zweitens. Der Bund muss das Heilpraktikergesetz ändern, damit auch außerhalb der akuten Lebensgefahr Gesundheitsfachberufe in der Patientenversorgung bzw. Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen im Einsatz eine spezifische, klar umgrenzte Heilkundebefugnis haben.
Drittens – ich komme zum Schluss-: Die Länder müssen dringend wirkungsvolle SOPs, medizinische Handlungsanweisungen, erlassen, die im Alltag eingesetzt werden können.
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Dieser Dreiklang bleibt notwendig.
Ich danke trotzdem allen für die guten Beratungen. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen.
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Vielen Dank, Dr. Janosch Dahmen. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Roy Kühne.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir bringen heute das MTA-Reformgesetz zum Abschluss, und ich möchte Ihnen gleich zum Anfang meine Meinung sagen: Es ist erfolgreich.
Es hat lange gedauert. Es war ein Ringen. Ich glaube, dass viele Punkte modernisiert wurden, der Zeit entsprechend angepasst, den Erfordernissen angepasst, das, was draußen im Alltag passiert, hat die Politik umgesetzt. Ich schließe mich den Dankesworten an die Berichterstatter an, und ich danke auch allen Beteiligten. Hin und wieder gab es – meine Kollegin hat es schon angesprochen – ein deutliches Ringen um Formulierungen, um Leistungen und Finanzen, Leistungen, die möglich oder eben nicht möglich sein sollen. Aber zum Schluss wurden wertvolle Übereinkommen erzielt; dafür bin ich allen Beteiligten hier in diesem Hohen Haus sehr dankbar. Diejenigen, die es irgendwann einmal betrifft, egal ob das Notfallsanitäter sind, die Patienten unmittelbar vor Ort, auf der Straße versorgen, werden es danken, der Patient und der Notfallsanitäter.
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Ich begrüße weiterhin, dass es klare Signale hinsichtlich der Modernisierung der Gesundheitsberufe gibt. Ich bin dem Minister auch sehr dankbar für diesen Impuls – ich darf ihn zitieren –:
Unser Gesundheitssystem stellt seine Stärken in dieser Pandemie unter Beweis. Dazu gehören gut ausgebildete Frauen und Männer in Gesundheitsfachberufen wie die Medizinisch-technischen Assistenten. Mit dem MTA-Reformgesetz modernisieren wir ihre Ausbildung, schaffen auch hier das Schulgeld ab und stellen für alle Auszubildenden eine angemessene Vergütung sicher. Damit wollen wir noch mehr junge Menschen motivieren, sich für einen der wichtigen Berufe in der Gesundheitsversorgung zu entscheiden.
Das MTA-Reformgesetz ist eine konsequente Fortsetzung der Gedanken, die wir in diesem Haus entwickelt haben, nämlich zu schauen: Welche Kompetenzen können wir in diesem Gesundheitssystem abholen, wen können wir wie verantwortungsvoll einbringen? Wir wissen, dass wir in vielen Bereichen gut qualifizierte, hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Es gilt, glaube ich, diesen Schatz weiter zu heben, zu loben – das muss man auch glasklar sagen – und nicht diese Arbeit, die wirklich viele Fleißige bis an die Grenze ihres Leistungsvermögens ausüben, einfach als selbstverständlich hinzunehmen. Deshalb hier auch noch einmal meinen ganz herzlichen Dank an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitsfachberufen, die momentan in dieser Pandemie nach meiner Meinung einen tollen Job machen.
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Wir regeln in diesem Gesetz die Kompetenzen, Vergütung und Verantwortung und – es wurde schon mehrfach angesprochen; das ist für mich ein ganz, ganz wichtiger Punkt – das Schulgeld. Das ist in den letzten Jahren in vielen Bereichen ein deutlicher Nachteil gewesen. Wenn Eltern ihre Kinder fragen: „Was willst du werden?“, dann waren Gesundheitsfachberufe irgendwie immer mit dem Makel belegt: Hier muss Geld bezahlt werden. – Man kann das sogar als Diskriminierung bezeichnen. Hier sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg, in einem ersten Schritt zu überlegen: Wie können wir das umsetzen?
Mein lieber Kollege Schinnenburg, ich weiß, dass die Finanzierung natürlich immer eine Frage ist; aber klar ist doch, glaube ich, dass wir momentan überlegen müssen: Wie gehen wir neue Wege? – Ich könnte jetzt durchaus das Handwerk als Beispiel nennen, wo sich beteiligt wird. Wir haben das im Bereich der Pflege sehr erfolgreich umgesetzt. Da sollten wir überlegen, wie wir weitermachen. Daher bin ich für diese Schritte sehr dankbar. Sie mögen sicherlich nicht immer auf den ersten Blick klar sein. Aber ich weiß, dass es in der Politik immer wieder einmal ruckelt, und ich bin froh, dass wir diesen Weg gehen.
Ein Beispiel. In meinem Wahlkreis gibt es eine Schule, wo Heilerziehungspflegerinnen ausgebildet werden. Sie zahlen teilweise immer noch Geld für ihre Ausbildung bzw. gehen nebenbei arbeiten. Ich habe eine Untersuchung durchgeführt: Zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler dieser BBS in Osterode gehen nebenbei, neben ihrer Arbeit, wöchentlich acht Stunden arbeiten. Ich glaube, das wollen wir nicht. Ich glaube, wir brauchen hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und da bin ich, ehrlich gesagt, für jeden Vorschlag erst einmal sehr dankbar.
Ein weiterer wichtiger Punkt – das wurde auch schon angesprochen – sind die Notfallsanitäter. Jeder, der einmal ein Praktikum bei ihnen gemacht hat, weiß, mit wie viel Herzblut, aber auch mit wie viel Angst ihr Job in der Vergangenheit verbunden war. Ich bin sehr froh, dass wir dafür eine Lösung gefunden haben. Wir schaffen Rechtssicherheit; sie können – auf Deutsch gesagt – loslegen, solange der Notarzt noch nicht da ist; sie haben es gelernt, sie können es beweisen. Das Gleiche gilt für Heilpraktiker. Ich bin froh, dass wir erst einmal diese Rückwärtsrolle machen. Lassen Sie uns bitte die Untersuchung abwarten, und dann können wir über Fakten reden. Das ist wichtig.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dr. Roy Kühne. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dirk Heidenblut.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das scheint mir so ein bisschen das Gesetz des Dankeschöns zu sein; deshalb will ich damit auch nicht brechen. Ich starte einfach direkt damit, dass ich mich ganz herzlich bei Bettina und auch bei dir, Emmi, bedanke für die für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter wirklich gut gelaufenen Superberatungen und dafür, dass wir da an einem Strang gezogen und durchgehalten haben. Und manchmal, Emmi, ist es halt schwieriger, Dinge aus dem Gesetz als ins Gesetz zu bekommen. Das haben wir dabei gelernt; denn am Ende ging es sozusagen mehr um Streichungen. Am Anfang also herzlichen Dank dafür!
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Der größte Dank, liebe Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter, geht eigentlich an Sie. Denn Sie stehen Tag und Nacht – jeden Tag – bereit, um dafür zu sorgen, dass wir in einer Notfallsituation auf die nötige Hilfe bauen können. Lieber Roy, die können nicht loslegen; denn das haben die schon getan – trotz der Rechtsunsicherheit, trotz der Sorgen. Die haben nämlich nicht darauf verzichtet, zu helfen. Es gibt ja § 34 StGB, aber das war eigentlich ein Unding. Insofern ganz herzlichen Dank dafür!
Es ist richtig, dass wir einen Grundfehler des Gesetzes, der damals bereits in der Gesetzgebung entstanden ist – ich will nur darauf hinweisen, dass er von der SPD benannt, von CDU/CSU und FDP damals aber abgewiesen wurde –, nämlich diese Rechtssicherheit nicht zu schaffen, endlich beseitigen.
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Jetzt sind die Notfallsanitäterinnen und ‑sanitäter nicht nur in der Lage – das waren sie schon immer; sie sind nämlich gut ausgebildet –, sondern können auch mit weniger Rechtsunsicherheit im Bauch diese Rettungen durchführen und für uns alle da sein. Das ist zentral wichtig. Ein paar Punkte sind gerade angesprochen worden, wo wir noch etwas tun müssen, allerdings auch ein paar Punkte, bei denen die Länder noch ein bisschen tun können.
Vor diesem Hintergrund muss ich noch einen großen Dank sagen, nämlich an die Länder. Die Bundesländer waren es, die den Stein wieder ins Rollen gebracht haben, ganz vorneweg dabei Rheinland-Pfalz, von dem sehr massive Unterstützung kam; Bayern ist auch dabei gewesen. Die Länder haben es am Ende auf die Tagesordnung gesetzt; wir haben es aufgegriffen. Natürlich hat es auch das Ministerium aufgegriffen.
Man muss sagen, dass das vielleicht einer der Punkte ist, bei denen wir hinterher sagen können: In der Kürze liegt die Würze. Denn es war einfach ein bisschen viel, was plötzlich ins Gesetz geschrieben war. Das, was zu viel hineingeschrieben war, hat eher Rechtsunsicherheit geschafft, hat genau das, was wir brauchen, nicht sichergestellt. Das stellen wir mit dem Gesetz jetzt sicher: Wir schaffen Rechtsklarheit.
Allein vor diesem Hintergrund finde ich: Dieses Gesetz ist jeder Zustimmung wert. Ich würde mich über viel Zustimmung freuen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dirk Heidenblut. – Letzter Redner in dieser sehr harmonischen Debatte: Alexander Krauß für die CDU/CSU-Fraktion. Jetzt müssen Sie liefern.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, ändert sich für Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker nichts, und das ist gut so. Sie können weiterhin Laborleistungen beauftragen, weil das auch im Interesse der Patientinnen und Patienten ist, die natürlich eine genaue Diagnose für sich selber wollen.
Das heißt aber nicht, dass bei den Heilpraktikern alles so bleiben muss, wie es ist. Wir hatten vor einem halben Jahr ein interfraktionelles Informationsgespräch, wo Heilpraktiker selbst Vorschläge für eine Initiative zur Qualitätssicherung im Heilpraktikerberuf vorgetragen haben. Also der Berufsstand selber hat mit der genannten Initiative und mit anderen Initiativen Vorschläge gemacht, wie man den Beruf weiterentwickeln kann, um ein hohes fachliches Ausbildungsniveau zu halten und die Qualität der Arbeit zu sichern.
Ich finde, die Reformvorschläge, die jetzt anstehen und auf die wir uns freuen, sollten vor allem von den Heilpraktikern selbst und ihren Verbänden kommen. Es geht nicht nur darum, den Beruf des freien Heilpraktikers als freien Heilberuf ebenso beizubehalten wie eine Therapiefreiheit, sondern eben auch darum, den Beruf weiterzuentwickeln.
Die Zahl der Heilpraktiker wächst von Jahr zu Jahr. Das liegt daran, dass auch die Zahl der Patienten von Jahr zu Jahr wächst. Und das spricht wiederum dafür, dass es eine sehr hohe Anerkennung für diesen Beruf gibt. Das gilt vom Erzgebirge bis zur Nordsee, im ganzen Land. Es ist, finde ich, eine erfreuliche Botschaft, dass Heilpraktiker eine so hohe Anerkennung genießen.
Worüber sollte man nun beim Thema Ausbildung sprechen? Was sind denkbare Regelungen zur Sicherung und Erhöhung der Ausbildungsqualität? Ich finde, es muss weiterhin eine fundierte Ausbildung zu medizinischen und rechtlichen Fragen geben. Es muss auch klar sein: Wo sind die Grenzen des Berufs? Es muss eine praxisorientierte Ausbildung mit einem Praxisanteil sein, also keine akademisierte Ausbildung. Und was sollte neu sein? Dass wir eine bundeseinheitliche Regelung finden, eine bundeseinheitliche Ausbildung schaffen. Ich finde auch, dass sich die Heilpraktikerschulen akkreditieren lassen sollten und dass es eine vorgeschriebene Stundenzahl für den Unterricht gibt.
Lassen Sie uns gemeinsam mit den Heilpraktikern über diese Reform sprechen – nicht nur über sie, sondern mit ihnen. Ich lade ganz herzlich alle Heilpraktikerverbände ein: Machen Sie Vorschläge, was wir gemeinsam tun können! Ich finde, wir werden etwas Gutes hinbekommen.
Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Alexander Krauß. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen erging das Urteil im Mordfall Walter Lübcke, zu einer Tat, die gezeigt hat, was Hass und Hetze für schreckliche Folgen haben können, einer Tat, die gezeigt hat, dass aus Worten Taten werden können. Diese Postings und die widerlichen Kommentare findet man tagtäglich im Netz und auch anderswo. Dem wollen wir Einhalt gebieten.
Deswegen hat der Bundestag bereits letztes Jahr ein Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität beschlossen. Das muss jetzt endlich in Kraft treten. Klar ist: Ohne die Bestandsdatenauskunft – darum geht es heute – kann dieses Gesetz nicht wirksam greifen, nicht umgesetzt werden.
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Wir haben erst am Montag in der Anhörung erneut gehört, dass wir von 250 000 Weiterleitungen an das BKA ausgehen müssen. Es gibt immer Bedenken, ob das dann leistbar ist. Aber wir sollten vor der schieren Masse an derartigen Hasskommentaren nicht kapitulieren; denn über die reine Zahl von Ermittlungen und von Urteilen hinaus hat dieses Gesetz einen präventiven Mehrwert, wenn nämlich an den Computern, an den Bildschirmen, an den Handys zweimal darüber nachgedacht wird, welchen Kommentar man absetzt und was man likt, und dadurch auch der eine oder andere Kommentar oder das eine oder andere Hassposting erst gar nicht in die Welt geht.
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Das Bundesverfassungsgericht hat uns Hausaufgaben für konkrete Regelungen gegeben, was Eingriffsschwellen anbelangt. Dieser Aufgabe kommen wir heute mit einem – etwas despektierlich wird es so genannt – Reparaturgesetz nach, indem wir genau die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfüllen – nicht mehr und nicht weniger.
Es wurde und es wird immer wieder einmal nach einer umfassenden Gesamtreform gefragt. Aber das ist jetzt, glaube ich, nicht angezeigt. Wir wollen das Gesetz schnell in Kraft setzen. Angesichts von Bundestagswahl und Regierungsbildung bis zum Ende der vom Verfassungsgericht gesetzten Frist Ende 2021 scheint eine solche Gesamtreform nicht möglich.
Egal ob große Reform oder Reparaturgesetz: Das Spannungsfeld zwischen effektiven Strafermittlungen und effektiver Gefahrenabwehr auf der einen Seite und dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung auf der anderen Seite bleibt immer gleich. Da kann man bemängeln, dass es da kein „One-size-fits-all“-Gesetz gibt. Aber wir wollen die Anforderungen des Verfassungsgerichts erfüllen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Möglichkeiten unserer Sicherheitsbehörden weiter uneingeschränkt gegeben sind.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Anhörung am vergangenen Montag hat BKA-Präsident Münch uns über dieses Gesetz hinaus eine weitere Aufgabe mit auf den Weg gegeben – erneut und zum wiederholen Male, es ist kein neues Thema – : Allein bei 2 594 Fällen, die im letzten Jahr von den USA an das BKA im Bereich von Kindesmissbrauch weitergeleitet wurden, war die IP-Adresse der einzige Ermittlungsansatz – der allerdings nicht genutzt werden konnte, weil dafür eine Vorratsdatenspeicherung und die Nutzung derselben notwendig gewesen wäre und das momentan aus bekannten Gründen in Deutschland nicht möglich ist. Jetzt will ich nicht, dass wir uns wiederum gegenseitig die Schuld zuweisen oder mit Besserwisserei anfangen. Herr Münch hat gesagt: Das Leid, das hinter den Meldungen steckt, konnte nicht beendet werden. – 2 594 Fälle nur aus den USA! Deswegen bitte ich alle offiziellen und selbsternannten Datenschützer in Deutschland und der Europäischen Union: Datenschutz ist gut und wichtig. Er darf in der Abwägung aber nie zum Täterschutz werden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Alexander Throm. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Christian Wirth.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Vor zwei Wochen habe ich der Regierungskoalition in der ersten Lesung des Bestandsdatenauskunftsgesetzes vorgeworfen, dass sie nicht in der Lage ist, ein verfassungskonformes Gesetz vorzulegen, und habe natürlich Häme kassiert.
Letzten Montag tagten hochkarätige Sachverständige zu diesem Gesetzentwurf. Immerhin haben zeitweise drei Fachpolitiker der Regierungskoalition Zeit gefunden, dieser Anhörung beizuwohnen. Für die übrigen 47 Abgeordneten der Großen Koalition aus dem Innen- und Rechtsausschuss und die übrigen Interessierten darf ich einige Ergebnisse der Anhörung, die die Rechtsauffassung der AfD stützen, wie folgt zusammenfassen: Auch dieses Reparaturgesetz bedarf einer Reparatur und wird den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 nicht gerecht.
Unverhältnismäßig sind zumindest die Erlaubnisse zur Übermittlung von Bestandsdaten bei „einfachen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und zur Verfolgung beliebiger Straftaten und Ordnungswidrigkeiten“ sowie der Übermittlung von Telemedia-Nutzungsdaten. Dem „Entwurf fehlen Ermächtigungen zur Inhaltsüberwachung von Telemedien“. Die „Erlaubnisse zur Übermittlung von Bestandsdaten, die durch die Zuordnung einer dynamischen IP-Adresse ermittelt wurden, verletzen unionsrechtliche Vorgaben“. Da bin ich, Herr Throm, auf Ihrer Seite: Das bedarf der Überarbeitung.
Nun noch – wegen der Zeit – einen entscheidenden Punkt:
Der Gesetzentwurf begnügt sich bedauerlicherweise damit,
– so der Gutachter –
zu versuchen, die vom BVerfG vorgegebenen Differenzierungen nachzuzeichnen oder wörtlich zu paraphrasieren, und übernimmt damit die in diesen angelegten Unzulänglichkeiten und Ungereimtheiten, ohne ein eigenes Ordnungssystem zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, dieses Urteil ist doch nicht vom Himmel gefallen. Bereits nach der Entscheidung des Gerichts im Januar 2012 zu den Bestandsdaten war doch klar, wohin die Reise geht. Nicht umsonst haben nicht nur wir von der AfD, sondern auch die FDP und sogar die Grünen bei der Entfristung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes im letzten Jahr eine unabhängige Evaluierung und eine völlige Neuausrichtung der Sicherheitsstruktur in Deutschland verlangt – leider vergebens, obwohl die Zeit da war.
Trotz dieser Kritikpunkte werden Sie mit Ihrer Mehrheit wieder einmal ein offensichtlich verfassungswidriges Gesetz durchboxen. Auf diese Weise verspielen Sie einmal mehr das Vertrauen des deutschen Volkes in dieses Parlament als Gesetzgebungsorgan.
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Aber dieser Verstoß ist ja leider kein Einzelfall, wie wir wissen. Alle Parteien außer der AfD haben im März 2020 zu Anfang der Coronakrise ihre grundgesetzlich vorgeschriebene Pflicht als gesetzgebendes Organ an der Garderobe des Dienstboteneinganges des Kanzleramtes abgegeben und damit das souveräne deutsche Volk zum Untertan degradiert. Sie haben die Macht dieses Parlamentes an ein verfassungsrechtlich nicht legitimiertes Kaffeekränzchen aus Kanzlerin und Ministerpräsidenten abgegeben.
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– Das ist Thema. – Deshalb einmal die Frage an den Verfassungsschutz: Wer verstößt in diesem Land eigentlich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung?
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Doch wohl die, die vorsätzlich verfassungswidrige Gesetze erlassen, doch wohl die, die mit berechtigter Angst um ihre Posten und Mandate auf das Volk schauen und deshalb auch mit diesem Gesetz jetzt den gläsernen Bürger wollen
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– Ihren Nazi können Sie sich als SED-Linker sparen –,
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doch wohl die, für die Widerspruch und unangenehme Fragen Hass und Hetze sind und diejenigen verfolgen wollen, die die Weisheit der Regierung hinterfragen.
In diesem Zusammenhang darf ich mit Erlaubnis der Präsidentin den ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Dr. Maaßen, der sich diesem Ansinnen widersetzt hat, zitieren:
Die Behandlung politisch Andersdenkender als Feinde oder Verrückte und ihre Ausgrenzung, Herabwürdigung und Denunziation sind klassische Symptome des Sozialismus.
Das haben wir heute in diesem Hause oft genug gehört.
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An Sie alle in diesem Haus, die dieses Geschäft betreiben, auch mithilfe mancher Medien: Seien Sie sich gewiss, dass Ihr Handeln vom Wähler durchschaut und abgestraft wird!
Vielen Dank.
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Ihnen vielen herzlichen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Uli Grötsch.
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Vielen Dank. – Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn noch einmal darauf hinweisen, was hier in Rede steht und um was es geht. Das ist meiner Wahrnehmung nach bei meinem Vorredner nicht so ganz klar geworden. Gegenstand des Gesetzentwurfes ist die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der sogenannten manuellen Bestandsdatenauskunft, und sonst nichts. Dass diese Befugnis, also das Anfordern von Kundendaten bei Telekommunikationsanbietern, für unsere Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste generell notwendig ist, bestreiten weder hier ernsthaft jemand noch das Bundesverfassungsgericht und auch nicht die Experten. Ganz im Gegenteil: Wenn Sicherheitsbehörden künftig Handy- und Internetdaten von Straftätern oder Gefährdern abfragen, sollen sie genauer darlegen, auf welcher rechtlichen Grundlage und zu welchem konkreten Zweck sie das tun. Diese strengeren und verhältnismäßigen Regeln finden auch wir als SPD gut – selbstverständlich.
Ich fand auch, dass wir am Montag dieser Woche eine wirklich gute Sachverständigenanhörung hatten, bei der wir über Parteigrenzen hinweg sachlich mit den Sachverständigen diskutiert haben, und dafür danke ich an dieser Stelle auch mal allen, die daran beteiligt waren.
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Die Frage, ob der vorliegende Gesetzentwurf die beanstandeten Mängel bei der Übermittlung und Einholung von Bestandsdaten behebt, haben die Experten eindeutig bejaht. Das vom Bundesverfassungsgericht geforderte sogenannte Doppeltürmodell ist adäquat umgesetzt. Aber natürlich sind sie auch mit Wunschlisten gekommen und haben uns gesagt, wo man noch etwas verbessern könnte. Das sollen sie auch; das ist ja ihre Aufgabe.
Einen Wunsch, der mir auch sehr wichtig ist und den ich in der ersten Beratung hier im Plenum bereits erwähnt hatte, wollen wir gerne aufgreifen; das haben wir im Innenausschuss gestern auch so beschlossen. Es geht um eine statistische Erfassung der manuellen Bestandsdatenauskünfte, also darum, wer wann welche Daten, Zugangsdaten oder Passwörter anfordert, damit wir dann eine wissenschaftliche Evaluierung vornehmen können, so wie es sich bei vielen Gesetzen im Bereich der Sicherheitsgesetzgebung bewährt hat. Bislang kann auch das Bundeskriminalamt nämlich nur schätzen, dass es sich um mehrere Tausend manuelle Auskunftsverfahren jährlich handelt.
Das hätten wir aber in zwei Tagen nicht in den Gesetzentwurf einarbeiten können, weil hierfür auch Abfragen in den Bundesländern notwendig sind. Verschieben wollten wir die Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfs auch nicht, weil dann auch die Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität verzögert worden wäre, und das kann in diesem Haus wiederum auch niemand ernsthaft wollen.
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Deshalb haben wir also einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir das festhalten. Schade, dass FDP und Grüne, obwohl sie das gestern im Innenausschuss selbst gefordert haben, sich nicht durchringen konnten, dem zuzustimmen.
Eine Evaluierung ist wichtig – das haben uns die Sachverständigen auch gesagt –, weil die Gesetzgebung im Sicherheitsbereich derart ausdifferenziert und ja auch kompliziert ist, dass wir durch mehr Transparenz auch öffentliche Kontrollmöglichkeiten schaffen.
Wir werden bald eine Expertenanhörung haben, wo wir unsere Sicherheitsgesetzgebung in der Summe und im Verhältnis zu unseren Freiheitsrechten besprechen. Es wird sicher gut sein, eine Überwachungsgesamtschau zu diskutieren;
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denn die Stimmen aus der Wissenschaft sagen uns, dass es langsam unübersichtlich wird. Das hat sicher auch damit zu tun, dass das Bundesverfassungsgericht uns sehr kleinteilige Vorgaben macht. Aber das ist eine andere Thematik, die wir bei anderer Gelegenheit hier diskutieren werden. Heute geht es um eine notwendige Reparatur von einzelnen Fachgesetzen und nicht um eine Kernsanierung. Ich bitte Sie für diesen Gesetzentwurf um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Uli Grötsch. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Manuel Höferlin.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem jetzt schon zwei Kollegen gelobt haben, wie hervorragend doch die Anhörung zu dem Thema war, bin ich etwas irritiert, weil Sie es doch wirklich vollbracht haben, keine einzige Anregung aus der Anhörung in das Gesetzesvorhaben zu überführen. Eigentlich kann man, so habe ich während der Vorbereitung gedacht, die Rede der ersten Lesung fast genauso noch mal halten; es hat sich nämlich nichts verändert. Irgendwie sind Sie anscheinend auch bei Überwachungsgesetzen so imprägniert, dass alle kritischen Argumente, selbst die Ihrer eigenen Sachverständigen, von Ihnen abperlen. Das ist phänomenal, meine Damen und Herren. Phänomenal!
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– Genau. Kollege von Notz, ich halte die Rede einfach noch mal. Nein, ich habe mir ein paar neue Sachen ausgedacht und an Formulierungen gearbeitet. Nicht mal das hat die Große Koalition leider bei ihrem Gesetzentwurf geschafft.
Es gab auch von Ihren eigenen Sachverständigen Kritik – übrigens auch fundamentale Kritik. Es war nicht so, dass es einfach nur kleine Punkte waren. Der Sachverständige der SPD sagte, als Lehrender im Bereich der Sicherheitsbehörden hätte er wesentliche Probleme, die Komplexität noch zu vermitteln. Selbst Herr Münch hat gesagt, es sei alles so komplex; man könne gar nicht mehr ins Gesetz schauen, sondern man müsse im BKA Leitfäden erstellen, damit am Ende in der Praxis festgestellt werden könne, was denn rechtens sei und was nicht. Aber, meine Damen und Herren, so kann man doch keine Sicherheitsgesetzgebung machen.
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Aber das tun Sie wiederholt. Ich bin fassungslos.
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Ich will noch zwei Punkte bringen:
Erstens. Die Herausgabe von Passwörtern bleibt weiter bestehen, trotz massiver Kritik. Wenn Passwörter verhasht sind, sagten Sie, müsste man halt so lange probieren, bis man sie irgendwann hacken kann. Das geht mit einfachen Passworten, mit schweren nicht. Es stellt sich also die Frage, ob das überhaupt geeignet ist. Sie zerstören aber allein mit diesem Instrument das Vertrauen in Sicherheitsbehörden und auch in die Integrität von Cybersicherheit, und das, nachdem Sie heute Morgen über das IT-Sicherheitsgesetz gesprochen haben. Phänomenal, meine Damen und Herren! Das ist unglaublich.
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Zweitens. Sie haben einen Entwurf eines Reparaturgesetzes vorgebracht und haben wesentliche Punkte nicht repariert, die man auch hätte mitreparieren können, zum Beispiel die Meldepflicht für Social-Media-Anbieter, die bald im NetzDG steht. Da gibt es einige Punkte, die Sie gleich hätten miterledigen müssen. Nein, auch hier haben Sie sich auf einen kleinen Punkt fixiert.
Auch die Sachverständigen sagten zum Beispiel, na ja, Telekommunikationsdaten seien nicht wirklich dasselbe wie Telemediendaten. Oder um es einfacher zu sagen: Telefonie ist nicht gleich E-Mail. – Aber Sie scheren das über einen Kamm. Das ist unfassbar. Sie lassen sich von den Sachverständigen Sachen sagen, loben diese Anhörung und kommen hierhin und verändern gar nichts.
Es ist für mich als Parlamentarier unfassbar, dass Sie nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, dass Sie bei Sicherheitsgesetzen immer bis über die Grenze des Verfassungsgemäßen gehen und sich nachher von Verfassungsgerichten in die Schranken weisen lassen. Das ist Ihr Anspruch an Sicherheitsgesetzgebung hier in Deutschland. Das zerstört übrigens auch das Vertrauen in die Politik, die wir hier im Saal machen. Und daran haben Sie wieder nichts geändert, auch hier wieder nicht.
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Es ist auch jetzt wieder zweifelhaft, ob das einer neuen verfassungsgemäßen Überprüfung standhält.
Ich bin mal gespannt, nachdem der Bundespräsident das letzte Mal gar nicht unterschreiben wollte, weil es klar verfassungswidrig war, ob der Entwurf denn einer nächsten verfassungsmäßigen Überprüfung standhält. Ich befürchte, dass wir am Ende wieder hier sind und dann über ein Reparaturgesetz 3.0 sprechen. Das ist schade, gerade wenn es um die Sicherheitsgesetzgebung geht; denn die baut auch auf Vertrauen der Bürger in diese Gesetzgebung hier. Das haben Sie aber nicht geleistet.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Manuel Höferlin. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Niema Movassat.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden über einen Gesetzentwurf zur Bestandsdatenauskunft. Das klingt bürokratisch und langweilig, und ich glaube auch, dass es der Koalition und auch der Bundesregierung ganz recht so ist. Sie wollen gar nicht, dass man wirklich mitbekommt, worum es heute geht. Doch ich sage es: Es geht um den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf das Kommunikationsverhalten der Bevölkerung. Es geht um die Ausforschung von Telefonanschlüssen bis hin zur Kommunikation bei Whatsapp oder Facebook. Das sind sehr grundrechtsintensive Befugnisse. Sie operieren am Herzen des Grundgesetzes, und Sie operieren wie ein Medizin-Erstsemester.
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Fast alle Sachverständigen haben Ihren Entwurf in der Anhörung kritisiert, auch Ihre eigenen Experten.
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Statt den Gesetzentwurf in Ruhe zu überarbeiten, legen Sie ihn heute fast unverändert wieder vor. So ein Umgang mit Expertenmeinungen in diesem Hohen Hause ist einfach nur noch peinlich.
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Sie regeln Bestandsdatenabfragen durch Sicherheitsbehörden neu. Dabei stellen Sie Telekommunikationsdienste mit Telemediendiensten gleich. Das klingt fast identisch, ist aber etwas sehr Unterschiedliches. Bestandsdaten bei Telekommunikationsdiensten sind zum Beispiel die Vertragsdaten eines Mobilfunkkunden. Der Staat weiß nach einer Abfrage relativ wenig, nämlich nur, wer unter welcher Adresse beispielsweise mit der Telekom oder Vodafone einen Vertrag abgeschlossen hat.
Ganz anders verhält es sich bei Telemedienbestandsdaten. Das können Name und E-Mail-Adresse eines Bürgers sein, der sich in einem Internetforum angemeldet hat, wo sich Krebspatienten austauschen. Wenn der Staat jetzt den Telemedienanbieter, also den Forumsanbieter, auffordert, die Daten herauszugeben, dann kann der Staat aus diesen Daten folgern: Dieser Bürger hat Krebs. – Das sind sehr sensible Informationen, und dafür braucht es hohe Hürden, um sie abzufragen, höhere Hürden, als Adressdaten bei einem Handyvertrag abzufragen.
({3})
Aber Sie packen im Gesetzentwurf beides auf die gleiche Stufe, was die Voraussetzung für den Datenabruf durch die Polizei angeht, und das ist ein inakzeptabler Umgang mit persönlichen Informationen.
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Der sensibelste Punkt, den Sie neu regeln, ist die Auskunft über Nutzungsdaten. Nutzungsdaten sind zum Beispiel Informationen darüber, wann und wo und mit welchem Gerät sich eine Person zum Beispiel bei Facebook eingeloggt hat. Diese Daten lassen noch größere Rückschlüsse auf das Onlineverhalten einer Person zu. Sie packen die Nutzungsdatenauskunft jedoch in eine Kategorie mit den Bestandsdaten. Beides unterliegt in Ihrem Gesetzentwurf den gleichen geringen Voraussetzungen für den Abruf.
Ja glauben Sie denn wirklich, dass Sie damit vor dem Bundesverfassungsgericht durchkommen? Das ist doch eklatant verfassungswidrig, und das haben die Experten Ihnen auch gesagt.
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Karlsruhe wird sich auch damit befassen, wie schlecht Ihr Gesetz handwerklich ist. Es ist voller unbestimmter Rechtsbegriffe, die vermutlich nicht mal die Sicherheitsbehörden verstehen werden. Das BKA hat das auch gesagt. Wir haben es gerade gehört, dass man dort gesagt hat: Wir müssen einen Leitfaden erstellen, weil das Gesetz nicht verständlich ist. – Und schon gar nicht werden die Telemedienanbieter verstehen, welches die Voraussetzungen sind, unter denen sie Daten herausgeben müssen.
Ihr Gesetz ist inhaltlich schlecht, und es ist handwerklich schlecht. Wir als Linke werden es ablehnen.
Danke schön.
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Vielen Dank, Niema Movassat. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Konstantin von Notz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen haben wir hier über das Bestandsdaten-Reparaturgesetz diskutiert – schon der Titel spricht Bände. Herr Kollege Grötsch, ich finde es nett, dass Sie sagen, wie konstruktiv doch die Koalition bei der Anhörung mitdiskutiert hat.
Die Wahrheit ist: Die Anhörung war für die Große Koalition ein einziges Desaster. Ein Desaster war das! Praktisch alle Sachverständigen, außer dem geschätzten, aber im Weisungsstrang des BMI stehenden Präsidenten des BKA, haben auf die schweren verfassungswidrigen Probleme in Ihrem Gesetz hingewiesen. Sie aber schlagen das alles in den Wind, und das bei der Vorgeschichte. Das ist parlamentarisch unterirdisch!
({0})
Sie sind auf dem allerbesten Weg, ein drittes Mal in Karlsruhe zu scheitern – es wurde schon gesagt –, und dieses Scheitern – das müssen wir vielleicht mal außerhalb unserer fachpolitischen Innenblase allen erläutern – wäre katastrophal. Denn mit Ihrem Reparaturgesetz – mit diesem „Reparaturgesetz“ – sind zahlreiche weitere, höchst relevante Gesetze eng verknüpft: das Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität, das NetzDG, aber beispielsweise auch so schöne Gesetze wie das Telekommunikationsmodernisierungsgesetz samt TDDSG.
All diese Initiativen gefährden Sie mit Ihrem handwerklich schlechten Gesetz, und das bei dieser innenpolitischen Bedrohungslage. Im Mordfall Walter Lübcke wurde heute das Urteil gesprochen; seit 1990 verzeichnen wir über 200 Ermordete – und in einem derart sensiblen Bereich agieren Sie so! Ich kann es nicht verstehen, meine Damen und Herren.
({1})
Es wurde Ihnen ganz dezidiert und sehr konstruktiv aufgezeigt, wo Sie dieses Gesetz verbessern können. Ich nenne mal einige Punkte: bei der verfassungsrechtlich hochsensiblen Frage rund um die Passwörter oder bei der Frage nach verbindlichen Statistikpflichten. Auch das automatisierte Verfahren muss endlich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gebunden werden. Es braucht klare Löschfristen und eine Stärkung der Rechte der Betroffenen. Es muss sichergestellt werden, dass das BKA nicht unter einer Flut von Meldungen schlicht absäuft.
Die Vorratsdatenspeicherung, von der wir alle wissen, dass sie europarechtswidrig ist, die Sie aber mit solch einer ideologischen Vehemenz weiter ins Haus tragen und in jedes Gesetz reinschreiben, macht dieses Gesetz hochproblematisch. Nicht mit uns, meine Damen und Herren!
({2})
Zu guter Letzt: Was Sie vorlegen, ist eine Kleinständerung, und dabei streichen Sie eines der wenigen Sicherungsinstrumente, nämlich den Richtervorbehalt. Das muss man sich mal vorstellen! So geht es nicht; das ist ignorantes Agieren. Es lässt einen sprachlos zurück, und ich kann nur sagen: Ihr Reparaturgesetz – es ist kaputt.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Dr. Konstantin von Notz. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Carsten Müller.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Worüber wir uns heute unterhalten, ist schon mehrfach ausgeführt worden. Einigen wir uns auf die Begrifflichkeit „Reparaturgesetz“. Zu Beginn meiner kurzen Rede will ich kurz auf das abheben, was der Kollege Movassat hier zum Besten gegeben hat.
Es geht hier nicht um die Ermittlung, wer in diesem Land an Krebs erkrankt ist oder nicht. Es geht um nicht mehr, aber vor allen Dingen auch um nicht weniger als die Verfolgung von Gewalttätern, um die Verhinderung von extremistischen Übergriffen und – am heutigen Tage umso wichtiger – um die Ermittlung von Mördern. Es geht darum, solche Taten im Idealfall im Vorfeld zu verhindern. Das, was Sie heute fabriziert haben, war aber Täterschutz at its best.
({0})
Das machen wir nicht mit.
Wir wollen die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an die Qualität der Rechtsgrundlagen zur Abfrage und Übermittlung der Bestandsdaten auch im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität umsetzen.
({1})
Namentlich dreht es sich hier um § 10 BKA-Gesetz und § 15a Telemediengesetz. Wir wollen das zügig umsetzen.
Lassen Sie mich aus rechtspolitischer Sicht die Diskussion und die Notwendigkeiten kurz zusammenfassen. Wir haben dieses Thema bereits im März und im Juni vergangenen Jahres umfangreich diskutiert. Ich hatte den Bezug zu den Taten von Halle und Hanau sowie zum Mord an Walter Lübcke dargestellt. Wir beobachten immer mehr, dass Hass, Hetze und Einschüchterungsversuche gegenüber Andersdenkenden in der realen Welt, allerdings auch im Netz, um sich greifen. Diesen Entwicklungen wollen wir entgegentreten mit dem Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität, mit strafrechtlichen Verschärfungen und auch einer Meldepflicht für die großen Anbieter der sozialen Netzwerke.
Wir verfolgen als Union dabei den Ansatz „Verfolgen statt löschen“. Was bedeutet das? Wir ordnen dem BKA eine Zentralstellenfunktion zu. Das BKA nimmt die gemeldeten Inhalte – es ist übrigens gut dafür gerüstet – entgegen, prüft diese, und wenn es einen Anfangsverdacht bejaht, dann leitet es die Inhalte an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiter.
Die Grünen haben einen Änderungsantrag vorgeschlagen. Sie wollen ein zweistufiges Verfahren. Wir können diesen Änderungsantrag nicht mittragen. Warum können wir das nicht? Weil im Rahmen der Strafverfolgung jeder Tag, jede Stunde zählt. Ihr Verfahren ist aus unserer Sicht nicht zügig genug, wenngleich uns der Ansatz eint, Hasskriminalität, rechtsradikalen und insgesamt radikalen Straftaten entgegenzutreten.
Meine Damen und Herren, ich bin unter rechtspolitischen Gesichtspunkten der festen Überzeugung, dass wir uns heute für die unbürokratischste, effektivste – auch verfassungsgemäße – und damit insgesamt angemessenste Variante der rechtlichen Problemlösung entschieden haben. Und wie funktioniert das? Wir werden neben der Übermittlung des Inhaltes auch die Übermittlung der IP-Adresse und der Portnummer festlegen, und dann können die Strafverfolgungsbehörden, wenn einem Anfangsverdacht nichts im Wege steht, mit der Arbeit beginnen. – Wir können, kurzgefasst, dem Antrag der Grünen heute nicht zustimmen.
({2})
Leider sehen es nicht alle so in diesem Hause, dass wir gegen Hasskriminalität einschreiten müssen; wir haben aber im Grundsatz eine Einigkeit darüber. Insofern bitte ich trotzdem um Ihre Zustimmung. Überdenken Sie Ihre Einlassungen. Wir würden uns freuen, und es würde der Sache helfen.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Carsten Müller. – Nächster Redner – er steht schon bereit –: für die SPD-Fraktion Dirk Wiese.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Abschluss des heutigen Gesetzgebungsverfahrens macht es möglich, dass das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität in Kraft treten kann. Es ist ein Gesetz, das ein Zeichen setzen soll gegen die Verrohung, gegen den mangelnden Respekt, gegen die teilweise – ja, man hat das Gefühl – tätliche Auseinandersetzung in den sozialen Netzwerken, die viele jeden Tag erleben müssen und die ein Ausmaß angenommen hat, gegen das man ein klares Stoppsignal setzen muss. Wir haben gesehen – gerade auch heute, wo das Urteil im Prozess gegen den Mörder von Walter Lübcke gefallen ist –, was passieren kann, wenn sich eine Stimmung aufheizt und aus Worten Taten werden. Darum ist es gut, dass heute mit dem Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens dieses wichtige Gesetz ein Zeichen setzt und in Kraft tritt.
({0})
Mit dem Gesetz wollen wir gerade auch diejenigen schützen, die an der Basis, in den Stadträten, in den Kreistagen täglich für unsere Demokratie da sind. Die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die immer wieder Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sind, und gerade auch das Personal in den Rettungsstellen wollen wir zukünftig mit diesem Gesetz besser schützen. Wir wollen weiterhin, dass große soziale Netzwerke – das ist wichtig – zukünftig strafbare Inhalte melden sollen. Wir wollen wissen, wer diejenigen sind, die sich nicht mehr hinter der Anonymität verstecken, die mit ihrem Klarnamen strafbare Inhalte verbreiten. Auch hiergegen soll das Gesetz letztendlich vorgehen. Wir wollen, dass Hetze, Drohungen, Beleidigungen wegen ihrer besonderen Reichweite aufgrund der Möglichkeiten, die soziale Netzwerke bieten, besser verfolgt werden können. Dieses Gesetz setzt ein klares Signal und ist auch wichtig.
({1})
Wenn wir uns an die gestrige Gedenkstunde und an die wichtige Rede von Charlotte Knobloch erinnern, dann ist es wichtig, dass in diesem Gesetz ein dritter Punkt hinzukommt. Zukünftig wirken antisemitische Beweggründe – sie werden leider mehr; wir merken, dass jüdisches Leben an vielen Stellen nicht sicher ist – für die Begehung von Taten verschärfend bei der Strafzumessung. Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt, der mit diesem Gesetz, das wir heute auf den Weg bringen, in Kraft tritt. Er setzt ein wichtiges Zeichen in dieser Zeit.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss Nelson Mandela zitieren. Er hat gesagt: „Niemand wird mit dem Hass auf andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe … oder Religion geboren. Hass wird gelernt.“ – Ein Gesetz alleine kann keinen Hass verhindern. Nein, wir alle müssen gesamtgesellschaftlich Respekt zeigen, aufstehen, unsere Stimme erheben gegen diejenigen, die in den sozialen Netzwerken unterwegs sind. Es ist eine Aufgabe für uns alle, dagegen ein Zeichen zu setzen. Hier sind wir alle gefordert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dirk Wiese. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Axel Müller für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mehrfach hier gesagt worden: Wir wollen mit dem Gesetzgebungsverfahren das sogenannte Reparaturgesetz zum Abschluss bringen, weil das bisherige Telekommunikationsgesetz und die entsprechenden Begleitgesetze nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechtliche Mängel hatten, die aber nicht so schwerwiegend gewesen wären, als dass man das nicht hätte in Ordnung bringen können. Das haben wir mit dem heute zu beschließenden Gesetz getan.
Entsprechend den gerichtlichen Vorgaben sind nunmehr Anlass, Zweck und Umfang des jeweiligen Eingriffs in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung präzise und normenklar festgelegt. Mehr mussten wir nicht und mehr wollten wir nicht, Herr Kollege Höferlin und Herr Kollege von Notz. Dass wir das Ziel erreicht haben, haben uns die Sachverständigen auch mehrheitlich bestätigt. Sie wollen allerdings über die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts hinausgehen, und das ist nicht erforderlich.
Die Rollen von Anbieter und Behörde – das sogenannte Doppeltürmodell; es ist genannt worden – haben wir klar definiert. Die Anbieter sorgen für die Daten. Die Behörde prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Auskunftsverlangen vorliegen. Die dabei anzulegenden Maßstäbe geben wir mit diesem Gesetz nachvollziehbar vor, abgestuft nach der Intensität des Eingriffs in das bereits genannte Grundrecht.
Für die einfachen Bestandsdaten in Gestalt der Vertragsdaten zwischen Anbieter und Nutzer gibt es ein automatisiertes Auskunftsverfahren, und für die sensibleren, die sogenannten IP-Adressen, ein manuelles, wobei sich die abzuwendende Gefahr für die Rechtsgüter konkretisiert haben muss. Je geringer die Konkretisierung ausfällt, desto gewichtiger muss das Rechtsgut sein, das Schaden nehmen könnte, bis hin zu der Verengung, die uns § 100a der Strafprozessordnung vorgibt. Das entspricht exakt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zu dessen Einhaltung uns das Bundesverfassungsgericht ermahnt hat.
Zugleich schaffen wir – das ist auch schon genannt worden – damit die Voraussetzungen für ein Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, das bisher an den gleichen Mängeln litt und das wir dringend brauchen, um unser Deutschland, wie es Charlotte Knobloch in ihrer beeindruckenden Rede gestern formuliert hat, gegen die Feinde von Demokratie und Toleranz zu verteidigen.
({0})
Dafür ist der Antrag der Grünen eben nicht geeignet. Sie wollen ein Zweistufenmodell. Erst soll der Anbieter die Daten an das BKA übermitteln – erste Stufe. Dann soll das BKA prüfen, ob die Voraussetzungen für die Strafverfolgung vorliegen – zweite Stufe. Aber diese Daten sollen nur zwei Wochen lang gespeichert bleiben. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Erfahrung in der Verfolgung von Straftaten und deren Aburteilung muss ich Ihnen sagen: Sie haben keine Ahnung von der Praxis.
({1})
Das ist nicht zu schaffen. Der gestrige Schlag gegen die Cyberkriminalität oder die Internetkriminalität als solche wäre mit Ihrer Haltung nicht gelungen.
({2})
Diese extreme zeitliche Einschränkung ist nach den Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung auch gar nicht erforderlich. Ein Glück für Sie,
({3})
dass man Strafvereitelung nur begehen kann, wenn man absichtlich oder wissentlich handelt.
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Sie wissen es schlicht und einfach nicht, obwohl Sie eigentlich immer besserwisserisch und vor allem misstrauisch gegenüber den Ermittlungsbehörden unterwegs sind.
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Darf ich Sie trotzdem an die Redezeit erinnern?
Ja, ich bin gleich fertig. – Sosehr Sie kommunikativ immer auf die politische Mitte schielen, Herr von Notz,
({0})
Sie haben ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen die Sicherheitsbehörden in unserem Land, und das kommt in Ihrem Antrag einmal mehr zum Ausdruck.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Axel Müller. – Ich schließe die Aussprache.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie hat es noch einmal deutlich an den Tag gebracht: Jetzt ist die Zeit für einen Systemwechsel in der Krankenhauspolitik, der sich am Gemeinwohl orientiert und den ökonomischen Druck von den Krankenhäusern nimmt.
({0})
Der Zweck eines Krankenhauses ist nicht, Profite zu erwirtschaften, sondern die Bevölkerung bedarfsgerecht zu versorgen. Krankenhäuser sind Teil des Sozialstaates. Sie in einen wirtschaftlichen Wettbewerb zu zwingen, war ein großer politischer Fehler, der korrigiert werden muss.
({1})
Ein pauschales Vergütungssystem, wie es das diagnoseorientierte Fallpauschalensystem ist, schafft immer Gewinner und Verlierer und verändert die Krankenhauslandschaft nachhaltig. Manche meinen ja auch, dass dies die eigentliche Absicht dieses Systems ist.
Zu den Verlierern gehören Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung vor allem in den ländlichen Regionen, die nicht aus den roten Zahlen herauskommen und von Schließungen bedroht sind. Von den Bereichen, die mit den Pauschalen nicht kostendeckend arbeiten können, wie zum Beispiel die Geburtshilfe und die Kinder- und Jugendmedizin, sind in den letzten Jahren viele geschlossen worden, obwohl es einen Versorgungsbedarf gegeben hat.
Die Beschäftigten in den Krankenhäusern gehören ebenfalls zu den Verlierern, besonders diejenigen im nichtärztlichen Bereich. Bei den Beschäftigten führt der Zwang zur Kostensenkung zu einer massiven Überlastung und Ausdünnung des Personals. Über Jahrzehnte wurden im nichtärztlichen Bereich Stellen abgebaut und nicht neu besetzt. Mit dem Ziel der Tarifflucht werden immer mehr Tätigkeiten in Tochtergesellschaften ausgelagert. Diese Entwicklungen verschlechtern nicht nur die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, sie gefährden auch die Versorgung der Patientinnen und Patienten, die insgesamt damit auch zu den Verlierern gehören.
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Zu den Gewinnern gehören zweifellos die privaten, profitorientierten Krankenhausträger. Deren Anteil an allen Krankenhäusern hat sich seit 1991 mehr als verdoppelt, von 15 Prozent auf aktuell 37 Prozent.
Und apropos Trägervielfalt, die ja als Grundsatz 1984 in das Krankenhausfinanzierungsgesetz hineingeschrieben worden ist: Im Markt der Privaten gibt es keine Vielfalt, sondern ein Oligopol. Es gab insgesamt vier und gibt inzwischen nur noch drei große Krankenhauskonzerne: Helios, Asklepios, Sana und ehemals Rhön. Rhön ist inzwischen aufgekauft worden, zu einem Teil von Helios, zu einem Teil von Asklepios. Jetzt sind es nur noch drei; sie teilen sich insgesamt in ihrem Markt der privaten Träger 80 Prozent der Fälle und haben dabei in den letzten zehn Jahren über 10 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Über 10 Milliarden Euro Gewinn in den letzten zehn Jahren!
({3})
Und nur, um noch mal ganz deutlich zu sagen, wo dieses Geld herkommt: Das sind die Krankenversicherungsbeiträge der gesetzlich Versicherten, die am Ende an Eigentümer und Anteilseigner dieser Krankenhauskonzerne gehen. Das ist ein skandalöser Vorgang der Ausplünderung der Sozialkassen, der so nicht weitergehen darf.
({4})
In den vergangenen Jahren hat die Kritik am System der Fallpauschalen zugenommen. Pflegekräfte kämpfen und streiken mit ihrer Gewerkschaft Verdi für Entlastung und mehr Personal. Beschäftigte in den Tochterunternehmen setzen sich gegen Tarifflucht und Niedriglöhne zur Wehr. Ärztinnen und Ärzte und ihre Organisationen kritisieren die Zwänge der kommerzialisierten Medizin. Bürgerinnen und Bürger protestieren gegen die Schließung von Stationen und ganzen Krankenhäusern aus wirtschaftlichen Gründen.
Und Ihre Landräte und Bürgermeister schlossen sich diesen Protesten vielfach an und fordern immer vehementer von der Bundespolitik – von Ihnen als Gesetzgeber! – eine grundlegende Änderung in der Krankenhausfinanzierung.
({5})
Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz war eine Reaktion auf die vom DRG-System, vom Fallpauschalensystem, verursachten massiven Fehlentwicklungen in der Krankenpflege und auf die lautstarken Kritiken daran und Proteste dagegen. Die Herausnahme des Pflegepersonalbudgets aus den DRGs ist ein Wiedereinstieg in die kostendeckende Finanzierung. Diesen Weg müssen wir jetzt konsequent weitergehen.
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Das DRG-System als Finanzierungssystem ist gescheitert. Wenn es überhaupt noch eines Beweises dafür bedürfte, hat ihn die Coronakrise erbracht. Ohne diese dem System fremden Finanzierungsinstrumente mit fragwürdiger Verteilungswirkung wäre die Krankenhausversorgung zusammengebrochen. Aber auch so drohen in den nächsten Jahren –
Herr Kollege, die Zeit ist um.
– ich komme zum Schluss – ein zunehmendes Krankenhaussterben und eine weitere Privatisierungswelle. Ein Finanzierungssystem, das derart krisenuntauglich und gegen die Interessen der Patientinnen und Patienten wie der Beschäftigten ausgerichtet ist, –
Herr Kollege, letzter Satz.
– muss abgeschafft werden. Jetzt ist es Zeit für eine grundlegende Neuausrichtung der Krankenhauspolitik. Krankenhaus statt Fabrik, das muss die Losung sein.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind erheblich im Verzug. Ich bitte Sie wirklich, sich an die Redezeiten zu halten. Ich möchte auch alle ermutigen, ihre Reden zu Protokoll zu geben, falls sie sie schriftlich verfasst haben.
Der Kollege Lothar Riebsamen hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Beim Antrag der Linken – Herr Weinberg hat es ausgeführt – geht es ja in erster Linie um die Krankenhausfinanzierung im Allgemeinen und die Fallpauschalen im Besonderen.
({0})
– Ja, danke. Man hat sich schon daran gewöhnt und merkt es nicht mehr.
Sie führen § 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in Ihrem Antrag an. Das ist auch richtig so. Es ist sozusagen die Generalklausel der Krankenhausfinanzierung. Aber es lohnt sich schon, § 1 etwas genauer zu betrachten. Darin steht: Bei der wohnortnahen Versorgung mit leistungsfähigen Krankenhäusern ist der Grundsatz der Vielfalt der Krankenhausträger zu berücksichtigen. – Und das sind die kommunalen, die freigemeinnützigen, die kirchlichen im Wesentlichen und auch die privaten.
Und in § 1 heißt es weiter: „Dabei ist nach Maßgabe des Landesrechts insbesondere die wirtschaftliche Sicherung freigemeinnütziger und privater Krankenhäuser zu gewährleisten.“ – Und genau das, was hier in dieser Generalklausel beschrieben ist, nennt man Subsidiaritätsprinzip, und auf diesem Subsidiaritätsprinzip baut unser gesamtes Sozialsystem in unserem Land auf.
({1})
Ich will Ihnen ein Beispiel sagen, gerade aus dem Bereich der Krankenhäuser. Ich habe in meinem Wahlkreis ein kommunales Krankenhaus, das vor zehn Jahren privatisiert wurde. Und weil auch bei den Privaten bei einem kleinen Landkrankenhaus die Bäume nicht in den Himmel wachsen, stand man vor drei Jahren wieder vor dem gleichen Problem. Und was ist geschehen? Es fand sich kein Privater; es fand sich kein Gemeinnütziger. Das Subsidiaritätsprinzip hat gegriffen. Es ist nun wieder ein Privater, wenn auch ein anderer, der dieses Krankenhaus betreibt. Das ist der Beweis dafür, dass das Subsidiaritätsprinzip der Garant für unser Sozialsystem ist, und daran werden wir auch festhalten.
({2})
Warum ist denn die Trägervielfalt so wichtig? Sie ist wichtig, glauben Sie es mir. Nehmen Sie mal an, wir würden den Krankenhäusern einen Betrag X zusätzlich zur Verfügung stellen, meinetwegen 20 Prozent obendrauf. Dann wäre es doch wiederum wichtig, dass aus diesem zusätzlichen Geld das Beste gemacht wird: das Beste für die Patienten, das Beste für die Innovationen – von der Diagnostik über Therapien bis hin zu neuen OP-Methoden oder Digitalisierung – und ja, auch für die Effizienz.
Und Sie führen in Ihrem Antrag an, Sie wollen das Selbstkostendeckungsprinzip wieder einführen.
({3})
Das Selbstkostendeckungsprinzip ist innovationsfeindlich. Es gibt keinen Grund mehr für Innovationen, wenn ich jede Rechnung einfach bezahlt bekomme, ohne zu überlegen, ob ich das nicht auch vernünftiger und wirtschaftlicher machen kann. Wir brauchen aber diese Innovationen.
({4})
Es geht vor allem auch um Qualität. Wir wollen für dieses zusätzliche Geld auch die beste Qualität haben. Diesen Prozess, den ich jetzt beschrieben habe, nennt man Wettbewerb. Dieser Wettbewerb, dieses Ringen um die beste Ergebnisqualität, ist der Garant für die beste Qualität, so wie das Subsidiaritätsprinzip der Garant für das Funktionieren unseres Sozialsystems ist. An diesem Wettbewerb wollen wir festhalten.
({5})
Jetzt haben Sie in Ihrem Antrag durchaus auch Punkte stehen, die ich teile, zum Beispiel beim Thema Investitionen. Ja, es ist wahr, dass die Länder ihrer Verpflichtung, die Investitionen zu 100 Prozent zu finanzieren, nicht nachkommen. Deswegen sehe ich hier Handlungsbedarf. Dass Geld im laufenden Betrieb fehlt, Defizite entstehen und Träger ins Minus kommen, liegt auch daran, dass Geld aus den Erlösen entnommen wird, –
Herr Kollege, Ihre Zeit ist abgelaufen.
– um zu investieren. Dies ist falsch. Das müssen wir ändern.
Aber insgesamt – ich komme zum Schluss – legt Ihr Antrag die Axt an das Subsidiaritätsprinzip, an die Trägervielfalt und an den Wettbewerb. Deswegen müssen wir den Antrag leider ablehnen.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Dr. Robby Schlund.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Herr Weinberg hat gerade schon gesagt, dass ich wohl wieder zum PRP-System sprechen werde. Aber ich muss Sie leider enttäuschen; denn die Krankenhausfinanzierung wird ja noch im Ausschuss besprochen. Ich werde mich heute mal ausschließlich um unsere Anträge zu Regressverfahren und zur Videotherapie kümmern; denn ich denke, das interessiert unsere Zuschauer zu Hause am meisten.
({0})
Um weiterhin eine exzellente Gesundheitsversorgung im ambulanten Bereich anbieten zu können, müssen unsere Ärzte draußen besser unterstützt werden. Nur so können wir Krisen wie die Pandemien in der Zukunft viel besser meistern. Dazu ist es essenziell nötig, sämtliche Regressverfahren sofort auszusetzen und in der Zukunft, wenn es geht, ganz abzuschaffen. Regresse basieren nämlich auf Budgetierungen, die sich nicht am Krankheitsbild des Patienten und dem ethischen Anspruch des Arztes orientieren, sondern ganz allein an Wirtschaftlichkeitserwägungen.
Vollmundig erklärte Herr Spahn bereits 2018 gegenüber dem „Ärzteblatt“, dies im TSVG hinreichend klären zu wollen. Die Ärzte werden aber, wenn man es sich genau anguckt – Sie wissen das, wir haben es im Ausschuss eingehend besprochen –, nicht wirklich entlastet, sondern weiterhin mit unsinnigem Dokumentationsaufwand im Rahmen des Prüfverfahrens drangsaliert. Das, meine Damen und Herren, ist ein Potemkinsches Dorf.
({1})
Effiziente Patientenversorgung sieht allerdings ganz anders aus. Sie ist nicht nur Daseinsfürsorge, sondern definitiv auch ein präventives Mittel, um Folgekosten zu sparen. Zusammen mit dem unsinnigen Krankenhausabrechnungssystem DRG – da gebe ich Ihnen von den Linken durchaus recht – führen Budgetierungen und Regresse bei den niedergelassenen Ärzten zur Überlastung der Solidargemeinschaft. Deshalb muss das Regressproblem sogar gelöst werden, um nachhaltig Kosten zu sparen und den Beruf des niedergelassenen Arztes wieder attraktiv zu machen, um zukünftig das Praxissterben und die massive Kapitalisierung dort zu verhindern.
({2})
Damit steht die AfD allerdings nicht allein da; denn die Linken in Sachsen fordern beispielsweise auch die Abschaffung des Regressverfahrens. Wir verstehen, ehrlich gesagt, nicht, warum Sie unserem Antrag dann nicht zugestimmt haben. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen möchte gerne die Abschaffung des Regresssystems. Machen wir endlich Nägel mit Köpfen, helfen gemeinsam den Ärzten und machen Sacharbeit, unabhängig von unseren politischen Überzeugungen!
({3})
Unabhängig von unseren politischen Überzeugungen ist uns allen doch auch klar, dass die bis Juli mögliche Videotherapie Patienten und Therapeuten in der Coronakrise in der Tat geholfen hat. Umso unverständlicher ist es, dass Sie auch hier unseren Antrag im Ausschuss abgelehnt haben. Damit führen Sie doch Ihre Homeoffice-Strategie und Ihre digitale Agenda im Pandemiemanagement selbst ad absurdum, zumal die Videotherapie zu erheblichen Kosteneinsparungen führt, wie etwa bei den Krankentransporten.
Über die Anträge der FDP und der Linken werden wir natürlich noch im Ausschuss diskutieren. Wie ich anfangs erwähnt hatte, finden wir aber grundsätzlich die Unterstützung kommunaler Krankenhäuser empfehlenswert und auch dringend notwendig, nicht nur im Rahmen der Pandemie. Denn alle wissen: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Dr. Schlund. – Der nächste Redner: für die Fraktion der SPD der Kollege Dr. Edgar Franke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Coronapandemie hat gezeigt, wie wichtig eine krisenfeste Gesundheitsversorgung ist. Dafür brauchen wir eine flächendeckende Versorgung mit gut ausgerüsteten Krankenhäusern. Ärzte und Pflegekräfte leisten momentan eine hervorragende Arbeit; ich glaube, das können wir alle sagen. Wir haben auch gelernt, dass unsere Kliniken das Krisenpolster der Gesellschaft sind. Wir haben vor zwei Jahren noch diskutiert, dass wir die Hälfte der Krankenhäuser abschaffen könnten; die Bertelsmann-Stiftung hat uns das nahegelegt. Aber wir merken, dass wir gerade deshalb, weil wir viele gut ausgerüstete Krankenhäuser haben, besser durch die Pandemie als viele andere europäische Länder gekommen sind.
Wir müssen aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür sorgen, dass die Krankenhäuser auch in Zukunft auskömmlich finanziert werden. Überall genügend Personal und Betten, nicht nur im städtischen, sondern auch im ländlichen Bereich: Das muss unser politischer Anspruch sein. Deshalb müssen wir unser Abrechnungssystem im Krankenhaus praxis- und vor allen Dingen patientenorientiert weiterentwickeln.
In den letzten Jahren haben wir in der Großen Koalition schon erhebliche Verbesserungen erzielt.
Erstens. Ich erinnere: Wir haben Personalkosten für die Pflege aus den Fallpauschalen herausgenommen. Es lohnt sich eben nicht mehr, auf Kosten der Pflege zu sparen – um sozusagen mal mit diesem Vorurteil aufzuräumen. Es lohnt sich jetzt nicht mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({0})
Zweitens. Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz stellt der Bund 3 Milliarden Euro für moderne und digitale Kliniken bereit, und das, obwohl er eigentlich gar nicht zuständig ist. Hiermit stärken wir nicht nur die Krankenhäuser, sondern vor allen Dingen auch die Konjunktur.
Drittens. Lieber Harald Weinberg, die Sozialdemokraten waren es, die es durchgesetzt haben, dass bedarfsnotwendige Krankenhäuser eine Bundesförderung bekommen. Sie wurde erst in diesem Monat nochmals erhöht. Es ist so: Bedarfsnotwendige Kliniken können jetzt zur Sicherstellung einen Betrag von 400 000 bis 800 000 Euro zusätzlich pro Jahr erhalten. Auch das ist ein großer Fortschritt, meine sehr verehrten Damen und Herren. So geht gute Krankenhauspolitik für die Menschen in Deutschland.
({1})
Wir stehen – durch die Pandemie mehr denn je – natürlich auch vor großen Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung; so ehrlich muss man sein. Unser Krankenhaussystem, unser Abrechnungssystem ist sicherlich nicht perfekt, aber es ist viel besser als sein Ruf, da kann ich dem Kollegen Riebsamen durchaus recht geben. Das gilt auch für die Fallpauschalen, die DRGs. Dass viele Kliniken unterfinanziert sind, liegt nicht in erster Linie an den DRGs; es liegt vielmehr daran, dass die Länder ihrer Investitionsverpflichtung nicht nachkommen. Das gilt auch für die Länder, wo die Linken oder die FDP mitregieren.
({2})
Es ist Aufgabe der Länder, die Finanzierungslücke zu schließen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Natürlich hat das Fallpauschalensystem Mängel, wie jedes finanzielle Anreizsystem. Das haben Sozialdemokraten immer gesagt. Wir müssen vor allen Dingen verhindern, dass sich manche Diagnosen mehr lohnen als andere. Wir müssen auch verhindern, dass die Klinikkonzerne nur Rosinenpickerei betreiben und sich auf die Diagnosen beschränken, die das meiste Geld bringen; das ist vollkommen klar. Aber jede Klinik bekommt die gleiche Vergütung für die jeweilige Diagnose bzw. Operation. Das sorgt auf jeden Fall für Transparenz, das sorgt für Effizienz, und das sorgt auch für Wettbewerb um Qualität. In Deutschland muss eben niemand ein Jahr auf eine Hüft-OP warten. Das ist auch im Sinne der Patienten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Allerdings gibt es in manchen Ballungszentren Überkapazitäten und Parallelstrukturen. Dort sollten wir die Versorgung sektorenübergreifend an die tatsächlichen Bedarfe anpassen, schon allein um unsere Fachkräfte, die ja nicht mehr werden, optimal einzusetzen.
Dagegen erzielen kleinere Kliniken, zum Beispiel auf dem Land, oft nur geringere Erlöse, weil dort weniger Menschen behandelt und weniger Diagnosen gestellt werden. Deshalb sollten wir endlich die Vorhaltekosten stärker berücksichtigen, und zwar erlösunabhängig. Lieber Harald Weinberg, dafür braucht es einen Systemwechsel.
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Der jährliche Bundeszuschuss für bedarfsnotwendige Krankenhäuser – ich habe es eben erwähnt – ist ein Schritt in die richtige Richtung. Momentan profitieren davon 140 Krankenhäuser, allerdings nur in dünn besiedelten Regionen und auch nur, wenn die nächste Klinik nicht so weit entfernt ist. Hier muss man nachsteuern. Die Förderkriterien für bedarfsnotwendige Kliniken müssen offener gestaltet und an die Versorgungsrealitäten anpasst werden. So wird der Zuschuss zu einem flexibleren Instrument für eine optimale, weil zielgenaue Versorgung vor Ort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Vorschlag der Linken, zum Selbstkostendeckungsprinzip zurückzukehren, ist wirklich ein Rezept von gestern; das muss ich leider sagen.
({5})
Dieses System hat schon früher nicht funktioniert, und deswegen hat man es abgeschafft. Es hat zu Ineffizienz und vor allen Dingen zu Kostensteigerungen geführt.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das hat das DRG-System auch!
Wirtschaftliches Denken im Gesundheitsbereich, lieber Harald, ist nichts grundsätzlich Unethisches. Ganz im Gegenteil: Nur wenn wir finanzielle Anreize für einen effizienten Mitteleinsatz setzen, können wir die Menschen bestmöglich versorgen, und zwar unabhängig vom Geldbeutel, unabhängig vom Wohnort und unabhängig vom Alter.
({6})
Über den Weg sind wir nicht immer einer Meinung, aber eins ist klar: Der Patient muss immer im Mittelpunkt stehen
({7})
und eben nicht das Geld, das mit ihm verdient wird.
({8})
Ich danke Ihnen.
({9})
Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Andrew Ullmann.
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Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Die Linken haben das Problem, das es bei der Krankhausfinanzierung gibt – also die Symptome –, tatsächlich erkannt, doch sie haben weder die richtige Diagnose noch einen Therapieansatz gefunden, der nachhaltig wirken kann. Denn für die richtige Therapie, lieber Harald Weinberg, bedarf es einer Diagnose, und dazu bedarf es einer genauen Untersuchung und vor allem einer Analyse der Daten. Deshalb möchte ich gerne auf unseren Antrag verweisen und kurz vier Punkte daraus erläutern.
Erstens. Die duale Finanzierung ist die Hauptursache für die Schieflage bei der Krankenhausfinanzierung; denn bei den Investitionskosten sparen die Länder unterschiedlich stark, und das seit Jahrzehnten. Gespart wird auf dem Rücken des Personals und auf dem Rücken der Patienten. Von den Krankenkassen werden Teile ihrer Erlöse in den Investitionstopf des Krankenhauses gesteckt. Es wird Zeit, dass die Länder ihren Verpflichtungen nachkommen, wie es bereits in Schleswig-Holstein der Fall ist.
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Zweitens. Das DRG-System, verehrte Damen und Herren, ist gut. Sie wissen vielleicht gar nicht, wie es früher war. Die Verkürzung der unnötig langen Liegezeiten ist im Sinne der Patientinnen und Patienten. Allerdings wurden durch fehlende Reformbereitschaft und fehlendes Geld im Investitionstopf Fehlanreize geschaffen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weinberg?
Meinetwegen.
Kurz und präzise.
Vielen Dank. Herr Präsident, ich versuche es wirklich sehr kurz und präzise. Vielen Dank, Herr Kollege Ullmann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Mir geht es nur um eine Sache. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie auch bei den letzten Haushaltsberatungen unserem Änderungsantrag, in dem es um die Kofinanzierung der Investitionskosten, die die Länder zu tragen haben, geht, nicht zugestimmt haben. Erklären Sie mir bitte mal, warum Sie wieder nicht zugestimmt haben. In unserem Änderungsantrag schlagen wir eine Kofinanzierung durch Bund und Länder vor, um Anreize zu setzen, damit die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nachkommen. Sie lehnen diesen Änderungsantrag regelmäßig ab, und zwar schon seit acht Jahren. Aber dann können Sie sich doch nicht hierhinstellen und sagen: Was ist mit den Investitionskosten?
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Herr Weinberg, Sie wissen, dass die Finanzierung der Krankenhäuser eigentlich Ländersache ist; das ist ja relativ klar. Deswegen haben wir von der FDP-Fraktion auch einem Digitalpakt zugestimmt; denn die Digitalisierung im Krankenhauswesen ist dringend notwendig. Aber würden Sie mir zustimmen, dass sich in Thüringen seit 2010 die Krankenhausinvestitionen um die Hälfte reduziert haben? Herr Ramelow ist ein Mitglied der Linken. Hier wird klar, in welche Richtung Ihre Idee der Krankenhausfinanzierung geht: Die Investitionen gehen nach unten und nicht nach oben. Schleswig-Holstein ist ein gutes Gegenbeispiel dafür, wie es besser geht.
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Bei dem DRG-System, werte Damen und Herren, ist der Schwerpunkt auf komplizierte Therapien gelegt worden. Das ist gut so, aber auch hier muss sicherlich nachgebessert werden. Es muss mehr für Zuwendungsmedizin am Patientenbett bezahlt werden. Das ist etwas ganz Wichtiges; denn Patienten sind keine Maschinen, die wir in der Klinik zur Reparatur abgeben. Nein, Patienten sind soziale Wesen, die Heilung und Linderung brauchen. Sie haben ein Recht auf professionelle und gute Hilfe.
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Dritter Punkt. Ambulante Versorgung muss gestärkt werden. Wir müssen auf mehr ambulante Betreuung mit guter Qualität statt auf stationäre Betreuung setzen. Dazu bedarf es einer besseren Zusammenarbeit der verschiedenen Sektoren mit fairer Entlohnung.
Viertens. Wir brauchen eine Expertenkommission, die eine solide, wissenschaftlich untermauerte Position zu einer notwendigen qualitativen Strukturreform der Krankenhäuser und zu einer Reform der Krankenhausfinanzierung, zum Beispiel mit einer dritten Säule der regionalen Basisfinanzierung, erarbeitet. Die komplexe Situation der stationären Versorgung bedarf der regelmäßigen Nachkorrektur.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Diese Multidimensionalität blenden die Linken gerne aus. Sie sehen nur eine Dimension. Aber Gesundheitsstrukturen in Deutschland sind komplex und mehr als nur eine DRG-Abrechnung.
Herzlichen Dank.
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Ich sehe gerade: Das ist gar nicht meine Maske, die hier liegt.
Das wäre suboptimal, wenn Sie eine andere als Ihre nehmen würden.
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Der Besitzer der Maske wird aufgefordert, sie wieder abzuholen.
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Die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist die Abgeordnete Maria Klein-Schmeink.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Drei Minuten Redezeit zur Krankenhauspolitik bei dem Reformstau, den wir in der Bundesrepublik haben, sind ganz schön wenig. Das Programm, das angegangen werden muss, ist ausgesprochen umfangreich. Es herrscht sehr großer Mangel, den wir an allen Stellen spüren. Man muss sagen: Es ist bedauerlich, erleben zu müssen, wie stark unser Krankenhaussystem, unsere Krankenhausstruktur durch die Pandemie unter Druck stehen und dass diese Regierungskoalition kein Konzept und kein Rezept für die Zukunft vorlegt.
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Europaweit liegen wir bei der Anzahl der Betten auf dem Spitzenplatz. Wir liegen aber auch an der Spitze bei der Relation, wie viele Patientinnen und Patienten durch eine einzige Pflegekraft gepflegt werden müssen. Jetzt in der Pandemie zeigt sich, dass das ein sehr großes Problem ist. Wir sind am Rande dessen, was geleistet werden kann; ganz oft sind wir leider auch darüber. Dieses Eingeständnis müssen wir zum Anlass nehmen, dafür zu sorgen, dass es bei der Reform der Krankenhauspolitik jetzt endlich vorangeht.
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Das schulden wir den erschöpften Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im System, und das schulden wir auch denjenigen, die vielleicht zukünftig den Weg in dieses System nehmen wollen. Wir müssen sie ermutigen dadurch, dass sie dort auch tatsächlich gute Arbeit vorfinden können.
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Und: Die Krankenhäuser sind eine zentrale Säule unserer Daseinsvorsorge. Man muss sagen: Diese Säule haben wir durch Regierungshandeln sowohl auf Bundesebene als auch auf Länderebene stark beschädigt, und das muss sich ändern. Deshalb brauchen wir eine grundlegende Strukturänderung,
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die daran ansetzen muss, dass wir eine Krankenhausplanung haben, die fragt: Was ist denn eigentlich ein bedarfsnotwendiges Krankenhaus? Das wissen wir heute nämlich nicht.
Zweitens. Wir brauchen eine Finanzierung, die die Erfüllung des Versorgungsauftrags auch tatsächlich gewährleistet, und zwar so, dass es qualitativ gut ist, dass es verlässlich ist und dass dieses Angebot gleichzeitig auch zugänglich ist.
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Das sind die Herausforderungen, die zu meistern sind.
Gleichzeitig wissen wir: Wir haben einen immensen Investitionsstau in den Ländern. Wir reden von 30 Milliarden Euro – mindestens – und jährlich 5 bis 6 Milliarden Euro laufende Kosten. Da müssen wir ansetzen, und da müssen wir gemeinschaftlich, Bund und Länder, endlich anpacken, und zwar in eine Richtung, die sicherstellt, dass jeder sich in diesem Land darauf verlassen kann, eine gute und verlässliche und gleichzeitig patientenorientierte Versorgung vorzufinden.
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Und da muss ich sagen, Herr Weinberg: –
Die Zeit ist abgelaufen, Frau Kollegin.
– Daseinsvorsorge ist mehr als nur die Kritik an Privatisierung,
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sondern es geht darum, einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen, und das sollten wir gemeinsam mit allen Akteuren angehen.
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Der nächste Redner: der Abgeordnete Alexander Krauß, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die AfD hat den Regressteufel an die Wand gemalt. Ich finde, das hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Das ist eine Phantomdebatte, die da angestoßen worden ist; denn Regresse sind in unserem System die absolute Ausnahme. Wir haben im Übrigen auch eine sinkende Zahl von Regressen, durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz wurde das noch mal verstärkt.
Ich will mal ein paar Zahlen nennen: Wir hatten 2016 im Bundesland Berlin bei 9 000 Ärzten 2 Regresse – 9 000 Ärzte, 2 Regresse! Hessen 2017: 9 Regresse, Rheinland-Pfalz: gar kein Regress. Sie sehen: Es ist die Ausnahme.
Der Arztberuf ist ein freier Beruf mit Therapiefreiheit, und das ist auch gut so. Wenn allerdings vom durchschnittlichen Verordnungsverhalten abgewichen wird, dann, finde ich, ist es okay, wenn man eine Begründung dafür geben muss, wieso man Mehrausgaben hat. Und wenn ein Missbrauch stattfindet – was die absolute Ausnahme im System ist, weil die Ärzte sehr zuverlässig sind –, dann finde ich, dass man auch für den Schaden aufkommen muss.
Wenn zum Beispiel eine Behandlungseinheit 45 Minuten dauert und ein Arzt pro Tag 40 Behandlungseinheiten abrechnet, dann finde ich es in Ordnung, dass eine kassenärztliche Vereinigung mal nachfragt, warum der Tag für den einen Arzt 30 Stunden hat, während er für die anderen immer 24 Stunden hat. Es ist das legitime Interesse einer kassenärztlichen Vereinigung als Zusammenschluss von Ärzten, auch mal nachzufragen, wie es dazu kommt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch noch etwas zu den privaten Anbietern im Krankenhausbereich sagen. Wenn man die Linken so hört, hat man doch den Eindruck, dass sie Lenin wieder zum Leben erwecken wollen.
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Mir wäre es lieb, wenn Sie Lenin im Mausoleum lassen würden und Ihre Ideologien auf dem Müllhaufen der Geschichte.
Der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern ist im Interesse der Patienten. Das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hat die Krankenhäuser miteinander verglichen; ich kann Ihnen die Studie nur empfehlen. Es gibt keinen signifikanten Unterschied bei der Patientenzufriedenheit – um die es geht –, egal ob bei freigemeinnützigen, privaten oder kommunalen Trägern. Auch bei der Beteiligung an der Notfallversorgung – uns ist wichtig, dass die Krankenhäuser sich dort beteiligen – gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Trägern.
Die behandelten Patienten in privaten Krankenhäusern sind im Durchschnitt um mehr als zwei Jahre älter als bei anderen Trägern. Das heißt, es gibt keine Rosinenpickerei durch private Krankenhausträger. Private Kliniken haben im Regelfall eine bessere Behandlungsqualität. So ist das Verhältnis aus beobachteter und erwarteter Sterblichkeit bei privaten Krankenhausträgern besser als der Durchschnittswert über alle Träger. Also: Man kann nicht sagen, dass die Qualität schlechter ist, ganz im Gegenteil.
Wenn ich mir die Bezahlung anschaue, dann kann ich nur für meine Region, für das Erzgebirge, sagen: Da sind die privaten Träger eher im oberen Bereich. Die müssen sich also nicht Vergleichen mit freigemeinnützigen oder kommunalen Trägern entziehen. Im Regelfall bezahlen sie besser, weil sie natürlich die Fachkräfte brauchen.
Deswegen meine Bitte: Beerdigen Sie Marx und Lenin und Ihre anderen ideologischen Leichen, die Sie hier immer wieder vortragen! Stellen Sie sich der Realität – ohne Scheuklappen!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Kollege Krauß. – Der nächste Redner: der Kollege Marco Bülow.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke titelt den Antrag: „Systemwechsel im Krankenhaus“. Genau das braucht es: Es braucht einen Systemwechsel in der ganzen Pflege. Denn unser System ist insgesamt immer mehr darauf aufgebaut, alle Lebensbereiche zu ökonomisieren, zu kommerzialisieren. Gewinne werden privatisiert; die Risiken werden und bleiben weiter vergesellschaftet. Darauf müssen wir besonders im Bereich der Daseinsvorsorge achten, und deswegen müssen wir genau dort, in der Pflege, einen Systemwechsel durchführen.
Es ist schwer, das in zwei Minuten alles zu fassen. Deswegen konzentriere ich mich auf diejenigen, die in den Krankenhäusern arbeiten, und auf diejenigen, die im Pflegebereich tätig sind.
Man müsste sich nur mal vorstellen – es wurde auch gerade schon erwähnt –, die Bertelsmann-Stiftung hätte sich durchgesetzt und man hätte diese ganzen Krankenhäuser geschlossen. Wir brauchen mehr Pflegekräfte, die sich um weniger Menschen kümmern. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Wir haben immer weniger Pflegekräfte, die sich um mehr Menschen zu kümmern haben, und genau dort brauchen wir diesen Systemwechsel.
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Das gilt eben nicht nur für Corona und für schwierige Zeiten, sondern das gilt immer. Wir haben nämlich auf der einen Seite immer höhere Belastungen, wir haben eine hohe Verantwortung des Pflegepersonals, aber auf der anderen Seite teilweise – sogar größtenteils – keine gute Bezahlung, keine guten Absicherungen und erst recht keine guten Arbeitsbedingungen, die es eigentlich bräuchte.
Es geht nämlich nicht immer nur um mehr Gehalt. Es geht vor allen Dingen um die Würde der Menschen, die dort arbeiten, und auch um die Arbeitsbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Da wird Würde mit Füßen getreten.
Es ist eigentlich ein doppeltes Problem und doppelt unwürdig, weil es natürlich auch um die Patienten geht. Und da stimme ich dem nicht zu, was gerade gesagt worden ist: Die Patienten und Patientinnen stehen eben nicht mehr im Mittelpunkt der Versorgung und erst recht nicht das Pflegepersonal, und genau das muss sich ändern. Und wenn es das nicht tut, dann nützt auch kein Applaus, sondern dann wird das als Hohn empfunden.
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Nicht zu Unrecht, sondern zu Recht hat die Pflegerin Nina Böhmer ein Buch daraus gemacht und hat gesagt: „Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken“ – und wenn ihr das sonst wo nicht haben wollt, dann ändert dieses System.
Vielen Dank.
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Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist uns natürlich allen klar, dass unsere Krankenhäuser zur Daseinsvorsorge gehören und dass wir sie nicht nur reinen Marktkräften überlassen können.
Aber ich muss schon darauf hinweisen, lieber Kollege Weinberg, dass Sie in Thüringen in Verantwortung stehen. Und wenn man da auf die Investitionskosten für Krankenhäuser schaut, dann wird einem ganz schön angst und bange. Deswegen fordere ich Sie auf – weil ich weiß, dass Sie ein Guter sind und es gut meinen –, dass Sie in Thüringen dafür sorgen, dass dieses Defizit behoben wird. Es ist nämlich in der Verantwortung Ihrer Partei.
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Das Selbstkostendeckungsprinzip – es wurde schon angesprochen – verhindert Innovationen und ist wirklich ein Griff in die Mottenkiste. Deswegen lade ich Sie ein: Lassen Sie uns das System weiterentwickeln – das wollen auch wir als Union –, aber lassen Sie uns nicht etwas hervorholen, was nachweislich nicht funktioniert hat! Auch ich bin ein Freund kommunaler Strukturen. Aber wenn wir den Antrag von Ihnen anschauen, müssen wir einfach feststellen, dass lediglich das Umwandeln von freigemeinnützigen und privaten Häusern in kommunale Strukturen das Problem ja nicht löst. Es gibt kommunale Häuser, die sind hervorragend, es gibt aber leider auch kommunale Häuser in schwierigen Situationen. Deswegen finde ich es schwierig, da die Dinge gegeneinander auszuspielen. Wir stehen zu Trägervielfalt; aber wir wollen natürlich, dass in allen Häusern ordentlich gearbeitet wird.
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Wir haben als Große Koalition wirklich einiges erreicht – es wurde schon angesprochen –: Wir haben in den Koalitionsverhandlungen erstmalig festgelegt, dass wir die Pflege aus den Fallpauschalen herausnehmen. Wir wollten nicht, möchten nicht, dass die Pflege in einigen Krankenhäusern weiter das Sparschwein dieser Häuser ist; die Gründe wurden angesprochen. Wir geben ihnen ein eigenes Budget, sodass nicht mehr auf die Gelder der Pflege zugegriffen werden kann und das Geld nicht zweckentfremdet werden kann, zum Beispiel im Bereich der Investitionskosten.
Wir haben einen weiteren Schritt getan: Wir haben Personaluntergrenzen eingeführt, um die schwarzen Schafe zu stellen. Es war nicht unsere Idee, was jetzt leider in manchen Krankenhäusern geschieht: dass durch gewisse Verschiebungen bei Stationszuschnitten diese Untergrenzen unterlaufen werden. Deswegen haben wir als CSU im Deutschen Bundestag zu Beginn dieses Jahres auf unserer Klausurtagung beschlossen, dass wir ein bürokratiearmes, verbindliches und auf den tatsächlichen Pflegebedarf abgestimmtes Personalbemessungsinstrument, unter Berücksichtigung der dazugehörigen Assistenzberufe, wollen. Das ist CSU-Position. Wir machen das deshalb, weil der Bedarf von Patienten natürlich unterschiedlich ist. Wenn jemand am Meniskus operiert wird, dann macht es einen Unterschied, ob es eine ältere, hochbetagte Dame ist, die vielleicht pflegebedürftig ist, in verschiedenen Graden, oder ob es jemand ist, der supersportlich ist und eigentlich kaum einer Unterstützung bedarf. Diese Unterschiede müssen wir auch in einem Pflegepersonalbemessungsinstrument deutlich machen.
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Leider ist meine Redezeit jetzt zu Ende.
Durchaus.
Ich bemühe mich immer, meinem oberfränkischen Kollegen nicht zu widersprechen.
Würde ich dringend raten.
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Deswegen freue ich mich darüber, wenn wir weiterhin über dieses wichtige Thema im Gespräch bleiben. Deshalb danke, dass Sie dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben.
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Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Endlich keine langen Formulare mehr ausfüllen!
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Endlich keine langen Wartezeiten mehr auf der Amtsstube!
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84 Millionen Stunden, hat der Normenkontrollrat vorgerechnet, können Bürgerinnen und Bürger sparen durch dieses Gesetz. Und auch für die Verwaltung und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist einiges drin: Nicht nur Einsparungen von 2 Milliarden Euro wird die Digitalisierung der Verwaltung bringen, sondern längst vorhandene Registerdaten können endlich vernetzt und digital nutzbar gemacht werden.
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Unsere föderale Registerlandschaft – wir haben Register von der Kommune bis zum Bund – schützt uns per se schon vor Missbrauch. Wir setzen mit diesem Gesetz weitere, wegweisende Maßnahmen obendrauf. Das Datencockpit stellt sicher, dass Bürgerinnen und Bürger zukünftig sehen können, wer Daten abfragt und welche Daten abgefragt worden sind. Das 4‑Corner-Modell beispielsweise verhindert, dass Behörden ohne Berechtigung querkommunizieren – sie müssen das über Dritte, über einen Intermediär tun. Wir schützen also vor Datenmissbrauch und stellen gleichzeitig die Weichen für die bürgerfreundliche Verwaltung der Zukunft.
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Damit aber auch nur die Daten des jeweiligen Antragstellers abgerufen werden und Verwechslungen ausgeschlossen sind, setzen wir auf die robuste, bewährte und auch bekannte Steuer-ID. Mit dieser ID werden nur die Daten des jeweiligen Antragstellers übermittelt. Auch das trägt zur Datensparsamkeit bei und ist damit datenschutzrelevant.
Aber hier fing in den Beratungen der Dissens schon an. BfDI, die Datenschutzkonferenz, aber auch Teile der Opposition haben sich dafür starkgemacht, für jeden Verwaltungsbereich eine ID, ein Kennzeichen, einzusetzen; sie haben sich damit mehr oder weniger für den österreichischen Weg, das österreichische Modell starkgemacht. Nicht nur, dass dieses Modell, glaube ich, auch Bürgerinnen und Bürger sehr überfordern würde, wenn wir mit mehreren IDs operieren, man muss auch festhalten: Kein Land in Europa ist dem österreichischen Weg gefolgt, und die Länder in Österreich – obwohl Österreich im Wesentlichen nur eine zentrale Registerlandschaft hat – haben große Probleme mit der Umsetzung, wünschen sich hier, jedenfalls in weiten Teilen, deutliche Änderungen.
Trotzdem stützen sich BfDI und Opposition in weiten Teilen auf ein mittlerweile fast vier Jahrzehnte altes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das ist für mich, ehrlich gesagt, ein bisschen die Kaninchen-vor-der-Schlange-Haltung. Ich kann natürlich aus Angst vor einer möglicherweise anderen Sichtweise des Gerichts auf größtmögliche Distanz zu den notwendigen Änderungen gehen und es sozusagen mit zu großer Sicherheit versuchen.
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Das ist aber keine Innovation. Wir sind verfassungstreu und gleichzeitig zukunftsorientiert.
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Ich glaube, wir müssen datenschutzpolitisch endlich in die Zukunft aufbrechen.
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Wir haben schlichtweg keine Zeit, zehn Jahre in den Umbau unserer deutschen Registerlandschaft zu investieren, um dem österreichischen Weg zu folgen.
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Wir wollen in die digitale Zukunft, und so setzen wir auf dieses Gesetz.
„Der Datenschutz macht uns kaputt“, habe ich letztens noch bei Unternehmergesprächen gehört.
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Es ist schade, dass eine immer sehr, sehr restriktive und zu wenig auf Beratung und Unterstützung ausgelegte Grundhaltung auch manches Datenschützers dazu führt, dass das Ansehen des Datenschutzes in Deutschland so ist, wie es ist. Ich glaube, wir haben da auch ein Problem in der Wahrnehmung zwischen Berliner Blase und der Realität.
Wir haben den Spagat zwischen Sicherheit/Schutz und Zukunftsfähigkeit mit diesem Gesetz hinbekommen. Wir haben im Änderungsantrag und auch im Entschließungsantrag im Ausschuss noch viele Bedenken aufgenommen, insbesondere was die Zweckbindung zu den OZG-Leistungen anbelangt. Die Ampel steht auf Grün. Wir wollen die schnelle, die digitale und die bürgerfreundliche Verwaltung. Ich glaube, die vielen kompetenten und engagierten Mitarbeiter in unseren Verwaltungen werden mit den gegebenen Werkzeugen auch so vertrauensvoll umgehen, dass das mit diesem Gesetz auch verfassungstreu gelingt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei YouTube! Heimlich, still und leise sind wir auf einem Weg, auf dem der Mensch reduziert wird: zu einer Ansammlung von Eigenschaften, Kaufentscheidungen, Kommunikationsdaten und Bildern. Der Mensch wird zum Datensatz. Und da unsere Regierung in ihren Fehlentscheidungen auch immer sehr konsequent ist, ist es nur logisch, dass sie unseren Bürgern nun auch noch eine einheitliche Identifikationsnummer verpassen will. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Mikrozensusurteil festgestellt, dass es der menschlichen Würde widerspreche, den Menschen zu einem bloßen Objekt im Staat zu machen. In dem Urteil heißt es – Zitat –:
Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren ... und ihn damit wie eine Sache zu behandeln …
Wer findet, dass das sehr weit hergeholt ist, dem sage ich Folgendes: Wir sind gerade genau auf diesem Weg. Die Regierung will Ihnen erzählen, dass unsere Verwaltung modernisiert werden und endlich im digitalen Zeitalter ankommen müsse. Deswegen habe man ja das Registermodernisierungsgesetz überhaupt erst gemacht. Man will es den Bürgern ja nur leichter machen und ihnen die Arbeit abnehmen, und überhaupt ist das alles ganz wunderbar.
Doch Verfassungsrechtler, der Bundesbeauftragte für Datenschutz, die Datenschutzkonferenz, die gesamte Opposition, der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages und viele, viele mehr sind sich einig, dass das Registermodernisierungsgesetz verfassungswidrig ist und den Weg zum gläsernen Bürger frei macht. Dieses Gesetz ist ein direkter Anschlag auf unsere Grundrechte und auf unsere Verfassung.
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Normalerweise würde es jetzt auch einen Sturm der Entrüstung geben. Es bleibt aber alles still. Da es in sämtlichen Nachrichten und Magazinen sowie im Internet nur noch das Thema Corona gibt, bleibt eine öffentliche Debatte aus. Diese Regierung hat es wieder mal geschafft.
Als im Jahr 2007 die Steuer-Identifikationsnummer eingeführt wurde – also die Nummer, die jeder von uns von Geburt an hat –, warnten Kritiker, dass diese Nummer in Zukunft als Personenkennzahl genutzt werden würde. Man befürchtete, dass sich mit einer solchen Nummer alle Datensätze verknüpfen lassen würden, die der Staat über seine Bürger sammelt. Die Regierung wiegelte damals – genauso wie heute – ab und bezeichnete die Debatte als hysterisch und unbegründet.
Nun sind wir im Jahr 2021, und die Regierung macht genau das, was 2007 befürchtet wurde. Mit dem neuen Gesetz wird es technisch möglich sein, die Registerdaten aus mehr als 50 verschiedenen deutschen Registern zusammenzuführen.
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Das reicht von den Daten aus dem Anwaltsverzeichnis über solche der Agentur für Arbeit bis zu denen der Krankenversicherungen.
Die Regierung sagt: „Nein, nein, das machen wir alles nicht“, und dabei schielen Sie doch schon auf die Daten aus den circa 150 weiteren Registern, die es in Deutschland gibt. Das nennt man Salamitaktik, und alle Regierungen unter Angela Merkel sind absolute Meister in dieser Disziplin.
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Die Freiheit stirbt scheibchenweise, sei es mit dem automatisierten Datenabruf im Bundesmeldegesetz und im Personalausweisgesetz oder sei es das unsägliche NetzDG. Meine Redezeit ist leider zu kurz, um das alles aufzuzählen, aber wenn wir eines gelernt haben, dann, dass die Regierungen unter Angela Merkel seit 2005 ihre Befugnisse und Kompetenzen systematisch ausgeweitet haben. Die größte Datenkrake ist der Staat unter Angela Merkel, und diese Regierung will immer noch mehr, mehr und noch mehr.
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Das müssen wir endlich stoppen. Wir brauchen Brandmauern um unsere Grundrechte und unsere Daten, um den Missbrauch durch den Staat gar nicht erst zu ermöglichen.
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Wir werden diese Regierung mit ihrer Datensammelwut auf jeden Fall entschieden bekämpfen. Deswegen lehnen wir das Registermodernisierungsgesetz auch ab und fordern die Bundesregierung auf, auf verfassungskonforme Weise den Weg in die digitale Verwaltung zu ebnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Thomas Hitschler.
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Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend das Registermodernisierungsgesetz, und wir haben es vom Kollegen von der CDU schon gehört: Das ist eine wichtige Weichenstellung auf dem Weg zu einer digitalen, bürgerfreundlichen Verwaltung.
Wir haben aber schon früher damit angefangen. Mit dem Onlinezugangsgesetz haben wir bereits 2017 die ersten Voraussetzungen dafür geschaffen. Das OZG verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 fast 600 Verwaltungsdienstleistungen auch online anzubieten.
Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Erst Ende letzten Jahres haben wir gemeinsam den Startschuss dafür erteilt, dass Eltern mit einem einfachen digitalen Antrag gleichzeitig die Geburtsurkunde für ihr Kind, Kindergeld und Elterngeld beantragen können. Ich kann Ihnen als Betroffener von früher sagen: Es ist richtig gut so, dass das jetzt einfacher und digital geht.
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Das ist aber nur eine von Hundert Verwaltungsdienstleistungen. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger in naher Zukunft möglichst viele dieser lebenspraktischen Leistungen einfacher beantragen, aber auch einfacher abwickeln können. Dazu bedarf es neuer Prozesse. Wir brauchen die vollständige Digitalisierung von Datenbeständen und die Möglichkeit des elektronischen Datenaustausches zwischen den Behörden. Mit dem Registermodernisierungsgesetz wollen wir weitere gesetzliche Voraussetzungen dafür schaffen.
Jeder von uns, jeder Mensch in unserem Land hat in seinem Leben zahlreiche Behördenkontakte. Wenn ich umziehe, muss ich zum Einwohnermeldeamt, wenn ich eine Arbeit aufnehme, werden meine Daten an die Rentenversicherung, an die Sozialversicherung und an die Krankenkasse gemeldet. Tagtäglich generieren und verarbeiten Behörden Tausende personenbezogene Daten.
Viele dieser Daten werden in Verzeichnissen, den sogenannten Registern, gespeichert. Ein gutes Beispiel dafür ist das Personenstandsregister. Dort sind Daten aller Bürgerinnen und Bürger in Teilregistern, wie dem Geburten-, dem Ehe- oder dem Sterberegister, verzeichnet. Register führen Bund, Länder und Kommunen jeweils für sich. Auch die behördliche Datenhaltung ist genau so aufgebaut.
Durch das Nebeneinander von circa 220 Registern in Deutschland, das ich gerade beschrieben habe, kommt es allerdings zu unnötigen Mehrfachnennungen. Immer gleiche Daten von Bürgerinnen und Bürgern werden immer wieder erhoben. Dabei kommt es zu Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Registern. Deshalb finde ich es nachvollziehbar, wenn es Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nervt, dass sie beim Kontakt mit der Verwaltung immer wieder die gleichen Daten für die Beantragung von Leistungen angeben müssen – und erst recht, wenn diese der Verwaltung an anderer Stelle bereits bekannt sind.
Mit dem Registermodernisierungsgesetz schaffen wir deshalb die rechtliche Grundlage für ein modernes, registerübergreifendes Identitätsmanagement. Wir machen das, damit die öffentliche Verwaltung auch in Zukunft effektiver zusammenarbeiten kann, und wer sich ein Stück weit mit Verwaltungsmodernisierung auseinandersetzt, der weiß, dass das dringend nötig ist und dass wir alles dafür geben müssen, damit das auch schnell passiert.
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Wir wollen – und das wollen, glaube ich, die meisten von uns hier –, dass die Bürgerinnen und Bürger entlastet werden, dass das Leben für sie einfacher wird, dass sie weniger Nachweise gegenüber der Verwaltung erbringen und Daten nicht mehr mehrfach angeben müssen, indem die Behörden in den vorgesehenen Fällen Daten und Nachweise auch untereinander digital austauschen können und nicht erst in verschiedenen Akten und Registern nachschauen müssen. Deshalb bleiben wir bei der bewährten dezentralen Registerstruktur.
Dann braucht es aber auch ein eindeutiges Merkmal, das die Zuordnung zu einer bestimmten Person auch ermöglicht. Wir haben lange und intensiv darüber diskutiert, wie genau wir das ausgestalten wollen. Ich verrate sicher kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass Deutschland nicht unbedingt an erster Stelle steht, wenn es um Verwaltungsdigitalisierung geht. Andere Länder sind hier schon weiter, und sie sind teilweise auch andere Wege gegangen.
Daraus ist beispielsweise die Diskussion erwachsen, ob eine oder mehrere Identifikationsnummern genutzt werden sollten. Problematisch wird es nämlich tatsächlich, wenn mit gespeicherten Datenbeständen umfassende Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Mit der Verwendung mehrerer bereichsspezifischer Identifikationsnummern wäre diese Gefahr sicherlich geringer.
Auch bei uns schlagen bei diesem Thema zwei Herzen in der Brust. Wir haben intensiv abgewogen und uns am Ende für die vom BMI vorgeschlagene Verwendung der bestehenden Steuer-Identifikationsnummer entschieden.
Kolleginnen und Kollegen, unsere Aufgabe war es, eine verfassungskonforme und sichere Nutzung der Steuer-ID als Identifier sicherzustellen.
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Wir haben daher gemeinsam einen sehr intensiven parlamentarischen Prozess gehabt und dort auch weitere Verbesserungen, Konkretisierungen und Verschärfungen vorgenommen. Wir haben die Grenzen der Nutzung gezogen und trotzdem die Nutzbarkeit gewährleistet.
Ich bin wirklich davon überzeugt, dass wir dort viel erreicht haben. Wichtigster Punkt ist die klare gesetzliche Begrenzung der Zweckbindung auf die Erbringung von Verwaltungsdienstleistungen.
In einem Entschließungsantrag des Innenausschusses definieren wir zusätzlich noch einmal unsere Ansprüche, was diese Zweckbindung angeht. Register, die nicht im Zusammenhang mit Dienstleistungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern stehen, haben wir gestrichen. Das betraf Register im Justizbereich, etwa das Schuldnerverzeichnis oder das Insolvenzregister.
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Zukünftige Entscheidungen, weitere Register einzubeziehen oder auszunehmen, werden durch den Gesetzgeber – durch uns – getroffen und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, allein durch die Exekutive.
Wir begrüßen auch ausdrücklich das sogenannte 4-Corner-Modell. Dabei kontrolliert eine dritte unabhängige Stelle, ob Behörde A überhaupt befugt ist, von Behörde B Daten abzurufen, und im sogenannten Datencockpit können Bürgerinnen und Bürger künftig zusätzlich einsehen, wann welche ihrer Daten von welcher Stelle abgerufen wurden. Hier haben wir ergänzend geregelt, dass nicht nur Protokoll-, sondern auch Inhaltsdaten eingesehen werden können, damit klar ist, was von wem wann an wen übermittelt wurde.
Kolleginnen und Kollegen, so sperrig, wie der Name des Gesetzes ist, so schwierig waren auch die Beratungen und so schwierig war das parlamentarische Verfahren. Ich will deshalb meine letzte Minute dafür nutzen, derjenigen Frau zu danken, die eigentlich an dieser Stelle stehen und für die SPD die Rede halten sollte, nämlich unserer wunderbaren Kollegin Elisabeth Kaiser. Sie kann heute leider nicht hier sein, weil sie im Mutterschutz ist. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, erlaube ich mir einerseits, ihr im Namen der SPD-Bundestagsfraktion für die gute Arbeit zu danken, und ihr andererseits – ich hoffe von einem Großteil dieses Hauses – viel Glück zu wünschen für die nächsten Wochen, die ihr bevorstehen. Wir sind in Gedanken bei ihr. Liebe Elisabeth, alles Gute für dich!
Danke schön.
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Vielen Dank. Wir schließen uns den guten Wünschen gemeinsam an. – Der nächste Redner ist für die FDP der Kollege Manuel Höferlin.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es ganz klar sagen: Uns eint der Wille, die Verwaltungsmodernisierung, Verwaltungsvereinfachung und auch die Registermodernisierung voranzubringen. Denn es ist klar: Ein Prinzip, wonach einmal Daten an Verwaltungen gegeben werden und immer wieder abgerufen werden können, bzw. eine moderne Verwaltung funktioniert nur, wenn Register modernisiert werden.
Aber leider enden da auch schon unsere Gemeinsamkeiten, meine Damen und Herren. Denn die Gretchenfrage ist doch nicht, dass das gemacht wird, sondern wie das gemacht wird. Und die einheitliche Kennziffer für alle Bürger werden wir so nicht mittragen, meine Damen und Herren.
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Damit stehen wir auch nicht alleine. Die gesammelte Front aller Datenschutzbeauftragten in Deutschland – alle 17 –, Verbände, Experten und die komplette Opposition haben Sie dringend vor der Nutzung der Steuer-ID als einheitliches Kennzeichen gewarnt, und zwar nicht weil sie einfach dagegen sind, sondern weil es von allen Seiten massive verfassungsrechtliche Bedenken dagegen gibt. Aber das ignorieren Sie einfach. Sie glauben einfach, das geht so, weil es eben am einfachsten ist, meine Damen und Herren. Das stimmt aber nicht.
Wir Freien Demokraten plädieren für die Nutzung bereichsspezifischer Identifier. Sie haben das Österreich-Modell schon genannt. Nennen wir es „Österreich-plus-Modell“; denn es gibt einige Unterschiede, aber dass es geht, haben auch Experten gesagt. Die anderen europäischen Staaten machen das anders, das heißt aber nicht, dass wir es nicht verfassungsfest machen könnten, wenn man es denn will, meine Damen und Herren.
Das Einzige, was man mit der Steuer-ID gewinnt, ist Zeit, und das ist der entscheidende Punkt. Sie müssen nämlich einfach fertig werden, weil Sie bis Ende dieses Jahres 575 Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert haben wollen und sonst nichts daraus wird. Unter dem Zeitdruck riskieren Sie also wieder einmal, am Ende vor dem Verfassungsgericht zu landen. Ich habe es vorhin schon mal in einer anderen Sache gesagt: Das ist nicht die Politik, mit der man verfassungsfest Gesetze macht, auch in diesem Fall nicht. Das werden wir nicht mittragen.
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Es gibt nicht nur verfassungsrechtliche, sondern auch politische und historische Bedenken dagegen. Um zur Erinnerung kurz den Rahmen aufzuzeigen: Es gab 1970 schon mal eine einheitliche Personenkennziffer in der DDR. Da wurden einheitliche Personenkennzahlen vergeben. Was dahinterstand, brauche ich nicht zu erklären. 2003 wurde zur Einführung der Steuer-ID gesagt: Das wird ausschließlich im Steuerrecht verwendet. – Eine Zweckbindung.
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Heute höre ich: Ja, wir haben eine Zweckbindung reingeschrieben. – Meine Damen und Herren, wenn 2003 eine Zweckbindung eingeführt wurde, die jetzt gebrochen wird, wie viel ist dann die Zweckbindung wert, die Sie jetzt reinschreiben?
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Mir kommt das bekannt vor. Sie sagen: Wir führen was ein für einen gewissen Zweck, und sonst wird es nicht genutzt. – Das kennen wir. Ich würde sagen, es ist der Soli der Bürgerrechte, den Sie gerade verwenden. Das wird versprochen und gebrochen mit Ansage. Auch der Bundesfinanzhof hat damals gesagt: Es wird nur deshalb kommen. – Ich glaube, diese Zweckbindung können Sie so nicht halten.
Zusammengefasst: Die Nutzung der Steuer-ID ist verfassungsrechtlich und politisch hochproblematisch, hochbedenklich. Es gibt gangbare Alternativen. Wir haben sie in unserem Antrag vorgeschlagen, dem alle anderen Fraktionen dieses Hauses zugestimmt haben. Machen Sie sich mal Gedanken darüber! So einig sind wir uns sonst eher nicht.
Sie riskieren wieder den direkten Weg nach Karlsruhe, wieder eine Klatsche vor dem Verfassungsgericht. Die Steuer-ID ist damit unhaltbar. Bitte hören Sie doch auf die Opposition und die vielen Experten, und stimmen Sie unserem Vorschlag zu, den wir mit unserem Antrag vorgelegt haben!
Herzlichen Dank.
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Die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die geschätzte Kollegin Petra Pau.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörerinnen und Zuhörer! Der vorliegende Gesetzentwurf, um den es nunmehr abschließend geht, sieht die Einführung einer Identifikationsnummer für jede und jeden vor. Ich schließe an den Kollegen Höferlin an. Er hat es einfach erklärt, und zwar auf der Grundlage der Steuer-ID.
Das Ansinnen ist nicht neu, macht es aber nicht besser. Die Linke teilt die Bedenken von Datenschützerinnen und Datenschützern und Bürgerrechtlern.
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Mittels der elfstelligen Steuer-ID soll es nun den Behörden erleichtert werden, Zugriff auf persönliche Daten zu erhalten. Das sei bürgerfreundlich, zumal in Zeiten zunehmender Digitalisierung, heißt es zur Begründung. Das klingt gut, ist es aber nicht, jedenfalls nicht in der Umsetzung, die die Koalition gewählt hat.
({1})
Ich erinnere nur an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anno 1983; allgemein ist es als Volkszählungsurteil bekannt. Mit ihm wurde der Datenschutz auf Verfassungsrang gehoben, wohlgemerkt der Datenschutz und nicht etwa der Datenzugriff. Das gilt im Jahr 2021 erst recht.
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Datenschutz muss natürlich auch im digitalen Zeitalter entsprechend praktiziert werden.
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Eigentlich drängt das in Zeiten der Digitalisierung sogar viel mehr als vor einem knappen halben Jahrhundert. Deshalb wird die Fraktion Die Linke dem Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD nicht zustimmen.
({4})
Auch die FDP ist gegen dieses Gesetz, aus ähnlichen Gründen wie Die Linke; wir haben es eben gehört. Sie hat einen Antrag vorgelegt, der die Koalitionsfraktionen auffordert, verfassungsgemäße Alternativen vorzulegen.
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Dem stimmen wir zu. – Und ich nehme Ihren Zwischenruf gern auf, Herr Höferlin; ich habe noch 50 Sekunden. Ich habe es satt: Seit spätestens 2001, also auch in unterschiedlichsten Konstellationen, beschließen Mehrheiten in diesem Haus deutlich grundgesetzwidrige Gesetze. Wir treffen uns in Karlsruhe wieder. Dort wird das Gesetz kassiert. Gleichzeitig dehnen Sie aber den Rahmen aus; er wird dann bei den Nachbesserungen immer weiter gefasst. Machen Sie doch endlich mal ein grundgesetzkonformes Gesetz! Dann haben Sie uns auch dabei.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Abgeordnete Dr. Konstantin von Notz.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Henrichmann, Sie haben den Satz gesagt – als Zitat, aber allen Ernstes –: „Der Datenschutz macht uns kaputt.“
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– Ja, als Zitat. – Aber Sie sagen das hier im Hohen Haus. Ich will Ihnen mal was sagen: Der Datenschutz schützt keine Daten, Herr Henrichmann. Der Datenschutz schützt die Menschenwürde, die Privatsphäre, die Errungenschaften dieses Landes und unseres Rechtsstaates.
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Wer so borniert daherredet, der muss verfassungswidrige Gesetze bauen. Wie kann man so was hier sagen?
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Es ist unmöglich. Das ist ignorant. Und ich sage Ihnen: Deswegen kacheln Ihre Gesetze in Karlsruhe an die Wand, und das ist völlig inakzeptabel, meine Damen und Herren.
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Warum scheitern Sie denn mit all den IT-Großprojekten aus dem BMI? Weil Sie genau diese Haltung an den Tag legen.
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Die Mehrheit der Expertinnen und Experten – es wurde mehrfach gesagt –, die geladenen Sachverständigen in der Anhörung, die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder – aller Bundesländer! -
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sagen, es geht nicht mit der Steuer-ID als Identifier. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt, der baut ein verfassungswidriges Gesetz. So schlicht und einfach ist das, meine Damen und Herren.
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Gerade weil die Registermodernisierung so wichtig ist – sie ist wichtig, und der ganze OZG-Prozess hängt da dran –, ist es Wahnsinn, auf diese Karte zu setzen. Sie bauen dieses wichtige Gesetz aus Kosten- und Zeitgründen allen Ernstes auf diesen sandigen Boden. Ich sage Ihnen: Wenn das in drei Jahren scheitert, dann haben wir ein Kosten- und Zeitproblem biblischen Ausmaßes.
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Und deswegen ist das mit uns nicht zu machen, meine Damen und Herren.
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So geht es nicht. Das wurde Ihnen mehrfach gesagt. Im parlamentarischen Verfahren sind minimale Änderungen vorgenommen worden; das ist auch in Ordnung.
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Ja, wir sagen nicht, dass alle Änderungen Mist sind. Aber wir sagen nach Abwägung: Das Risiko ist zu hoch. Deswegen fordern wir Sie allen Ernstes noch mal auf: Denken Sie nach! Wenn wir in drei Jahren dieses Gesetz kaputtgemacht kriegen und dann vielleicht auch noch die Steuer-ID gefährdet ist, die nämlich auch gar nicht so unproblematisch ist, dann haben wir einen wirklich hohen Preis für Ihre Huschi-Aktion hier gezahlt.
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Das können wir uns nicht leisten, nicht digitalpolitisch und nicht verfassungsrechtlich.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege von Notz. – Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Philipp Amthor.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Konstantin von Notz, das war jetzt natürlich mal so ein aufgeplusterter Auftritt. Ich kann mir richtig vorstellen, wie es im Büro von Notz zuging.
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Da hat man sich gedacht: Mensch, da ist dieses gute Registermodernisierungsgesetz, das von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der SPD-Bundestagsfraktion unterstützt wird, unsere Gegenargumente sind so sperrig, was mache ich? Da suche ich mir ein Zitat vom Kollegen Henrichmann raus und pluster mich ein bisschen auf. – Das war unterhaltsam, Niveau hatte das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Ich will es ja auch nicht so ganz langweilig gestalten. Ich will aber schon sagen: Schon anhand des Titels – Registermodernisierungsgesetz – weiß man: Ja, das ist eher etwas Verwaltungstechnisches, das ist eher juristische Feinheit.
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Ich sage aber auch: Es ist Ausweis dessen, dass man sich im Bundesinnenministerium zum Glück mehr Gedanken über die Verfassungsmäßigkeit
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und die juristische Richtigkeit von Gesetzen macht als über Gesetzesframing. Wir hätten das hier auch „E-Government-Durchbruchs-Gesetz“ nennen können. Das ist es in gewisser Weise. Aber wir sind im Innenministerium noch sachlich. Die Bundestagsfraktion ist es auch. Und ich finde: Das ist ein Gewinn zu später Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Schauen wir uns das einmal inhaltlich an, liebe Kollegen. Wir wollen die Vorteile digitaler Verwaltung nutzen, wir wollen einen besseren Service für die Bürgerinnen und Bürger, wir wollen eine moderne, bürgerfreundliche Verwaltung, und wir wollen – das klang schon an – aufschließen zu unseren europäischen Nachbarn. Denn auch wenn Sie uns dafür kritisieren: Das, was wir hier vorschlagen, das Verwenden einer einheitlichen Personenkennziffer in allen öffentlichen Registern, das macht der Großteil der anderen Länder in Europa auch so, im Übrigen mit demselben Rechtsrahmen des vergemeinschafteten Datenschutzrechts in der Europäischen Union. Wir sagen: Das, was andere Länder an der Stelle können, das können wir auch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich möchte auch angesichts der verfassungsrechtlichen Kritik, die wir gehört haben, noch mal deutlich sagen: Es ist natürlich richtig, die Registermodernisierung soll eben nicht dazu führen, dass der Staat jetzt Rückschlüsse auf ein Persönlichkeitsprofil der Bürger ziehen kann, und es ist auch nicht so, dass das Datensammeln Selbstzweck wäre, sondern es geht bei diesen Registern darum, dass wir mit diesem einheitlichen Identifier dafür sorgen wollen, dass die Bürger ihre eigenen Daten eigenverantwortlich mit den Behörden teilen können. Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Es geht darum, hier modern zu werden, und das kann man nicht erreichen, indem man nur erklärt, warum das alles nicht geht. Wir haben nach konstruktiven und guten Lösungen gesucht. Das ist der richtige Ansatz. Anders kann man Digitalisierung der Verwaltung nicht hinbekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich möchte dann doch auch noch mal auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts eingehen. Das ist ja in allen Debatten immer wieder genannt worden. Richtigerweise ist auch das Jahr genannt worden, in dem diese Entscheidung ergangen ist: 1983. Richtig ist: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der Einzelne soll nicht in seiner ganzen Persönlichkeit registriert werden, und deswegen kann es nicht eine übergreifende Identifikationsgröße geben. – Das ist aber aus der Zeit von 1983. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seitdem ist bei Datenschutz und technischen Standards ein bisschen was passiert. Und wenn Sie sich das von Konservativen erklären lassen müssen, dann sagt das doch etwas über Ihre Vorstellung.
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Sie argumentieren mit Gesetzen, mit Entscheidungen aus 1983. Da gab es noch keinen ISDN-Anschluss. Dann sind Sie hier paralysiert, stecken den Kopf in den Sand und sagen, wir kriegen keine modernen Register hin. – Nur modern reden macht keine moderne Verwaltung. Das bekommt man nur mit mutigen, mit guten Gesetzen hin. Deswegen werbe ich aus voller Überzeugung hier um Zustimmung und sehe auch entspannt einem Wiedersehen in Karlsruhe entgegen, lieber Herr von Notz. Das wird eine gute Runde. Wir werben um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
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Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Heilmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer an den digitalen Endgeräten! Das Verfassungsgerichtsurteil von 1983, lieber Herr von Notz – lieber Herr von Notz, Sie wollten doch eine Antwort, dann müssen Sie auch zuhören; sonst wird das nichts –, verbietet zu Recht die Profilbildung durch den Staat. Aber dieses Gesetz erleichtert die Profilbildung nicht, sondern es erschwert sie. Und das ist der Unterschied in der Beurteilung zwischen uns beiden.
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Warum erschwert es die Profilbildung? Erstens. Es werden nicht mehr Daten vom Staat gesammelt, und zwar von keiner der Ebenen, sondern dieselben Daten werden seltener gesammelt in den dezentralen Registern. Das ist der nächste Vorteil für die Bürger, weil damit die Gewähr besteht, dass die Daten, die gesammelt werden, auch richtig sind; denn es gibt ja kein Interesse des Bürgers, dass der Staat irgendwelche falschen Daten hat und deswegen falsche Entscheidungen trifft. Zweitens – Herr Höferlin, das ist die Antwort auf Ihre Prognose, wir würden den Zweck verändern –: Der Zweck kann nicht Profilbildung sein, und zwar nicht nur, weil es jetzt im Gesetz verboten ist, sondern weil das auch zukünftigen Gesetzgebern verfassungsrechtlich – in der Tat zu Recht – verwehrt ist. Deswegen kann die Profilbildung auch nicht mit einem weiteren Gesetz plötzlich geschaffen werden.
({1})
Und dann ist da noch etwas: Dieses Gesetz schafft auch technische Hemmnisse, Profilbildung zu machen. Es gibt ja ein verbindendes Element. Das ist heute der Vorname, der Nachname, die Adresse, der Geburtsort und das Geburtsdatum. Auch damit kann ich heute schon eine Person identifizieren und über mehrere Register zusammenfügen. Nach der Logik, die hier zum Teil vorgetragen wurde, wäre auch die gegenwärtige Praxis rechtswidrig. – Es findet nur eine vereinfachte Automatisierung statt. Bei dieser Automatisierung haben wir jetzt über das 4-Corner-Modell zwei zusätzliche Hürden, und mit dem strafrechtlichen, eindeutigen Verbot haben wir sogar eine dritte Hürde geschaffen; denn jetzt müssen wir über eine andere Behörde gehen; das muss man ja nach dem Status quo gar nicht. Das ist ein tatsächliches und rechtliches Hemmnis. Nur mit der Automatisierung ist es denkbar, dass der Bürger hinterher sehen kann und damit auch selber kontrollieren kann, was mit seinen Daten passiert ist.
Zusammenfassend will ich noch mal klarstellen: Profilbildung ist und bleibt verboten. Es werden nicht mehr Daten gesammelt; kein einziges Datum mehr wird durch dieses Gesetz gesammelt. Die Verknüpfung ist heute schon denkbar, aber heute ohne einfache Kontrolle und ohne das 4-Corner-Modell, also der zwischengeschalteten Behörde. Deswegen ist das eine Verbesserung des Datenschutzes und keine Verschlechterung.
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Ich hoffe sehr, dass wir alle in diesem Haus das irgendwann feiern werden. Man hätte jetzt zur Automatisierung noch mehr sagen können, aber das erlaubt meine Redezeit nicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Heilmann. – Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft leidet unter Ihren Lockdown-Maßnahmen. Die beantragten Novemberhilfen sind noch nicht einmal zur Hälfte an Unternehmen in Not ausgezahlt worden. Hunderttausende Bürger wissen nicht mehr, wie sie Rechnungen oder Miete zahlen sollen. Eltern schuften im Homeoffice, sind gleichzeitig Erzieher und Lehrer und dürfen nach 20 Uhr in meiner Heimat Baden-Württemberg noch nicht einmal mehr das Haus verlassen.
Und als wäre das alles noch nicht genug, halten Sie noch immer an Ihrem Lieferkettengesetz fest.
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Sie verkaufen dem Bürger das Lieferkettengesetz als Wohltat. Das Lieferkettengesetz – das muss man den Menschen da draußen immer wieder sagen – ist der Versuch, die deutschen Unternehmen dafür zur Kasse zu bitten, dass in Entwicklungsländern nicht nach deutschen Standards produziert wird. Im Extremfall heißt das: Wenn ein schwäbischer Handwerker in Sindelfingen einen Nagel in den Schrank treibt, der in China hergestellt wurde, und nicht nachweisen kann, dass bei der Herstellung bestimmte soziale und ökologische Standards eingehalten wurden, dann darf er in Zukunft zahlen. Laut Referentenentwurf der Bundesregierung können dann Bußgelder in Millionenhöhe fällig werden.
Meine Damen und Herren, das wäre nicht nur in Coronazeiten eine unerträgliche Zumutung für viele Bürger. Es ist auch vollkommen missraten, Gesetzgebung und Durchsetzung von Gesetzen zu privatisieren.
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Wir können doch nicht von deutschen Unternehmen erwarten, dass sie Aufgaben übernehmen, die an jedem Ort auf dieser Erde ureigene Verantwortung von Regierungen und Verwaltungen sind. Sie schieben die Zuständigkeit vom Staat auf deutsche Unternehmen ab. Gerade bei größeren Unternehmen sind die Lieferketten bereits in der zweiten und dritten Stufe unüberschaubar, mit teils Tausenden von Zulieferern und Subunternehmen.
Ihr Gesetz würde ausschließlich für deutsche Unternehmen gelten. Das wäre im internationalen Vergleich ein absurder Wettbewerbsnachteil. Das gibt es mit uns von der AfD nicht.
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Wir kennen das ja: Sie präsentieren sich immer wieder gerne als Anwalt des globalen Südens. In Wahrheit zerstören Sie für Marketing und Wellness Arbeitsplätze in diesen Ländern. Als in den USA eine Art „Lieferkettengesetz light“, der Dodd-Frank Act, eingeführt wurde, das die Dokumentationspflicht für Konfliktmineralien im Kongobecken vorsah, war die Konsequenz eben nicht, dass amerikanische Unternehmen begonnen haben, lückenlos die Lieferketten zu dokumentieren. Nein, sie zogen sich einfach aus den Entwicklungsländern zurück. Das kostet Arbeitsplätze, das schadet Entwicklungsländern, und am Ende kommt China und kauft alles auf.
Wenn Sie sich wirklich Sorgen darum machen, dass Menschen in Entwicklungsländern nicht ausgebeutet werden, dann gibt es meiner Meinung nach zwei deutlich vernünftigere Ansätze: Beenden Sie die Zusammenarbeit mit hochkorrupten Regierungen, und beenden Sie Ihre politische Korrektheit! Wer heute ernsthaft immer noch daran glaubt und darüber sinniert, das Geber- und Nehmerverhältnis zu überwinden, der hat nichts verstanden. Glauben Sie eigentlich, dass wir außerhalb Ihrer Entwicklungshelferblase zur Hausbank gehen und sagen können: „Lieber Bankberater, also, das mit dem Kredit machen wir jetzt auf Augenhöhe, und ich entscheide jetzt, wann die nächste Tilgung fällig ist“? Das ist doch völlig absurd, meine Damen und Herren. Das ist doch völlig entgegen der Realität.
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Ein Geber knüpft seine Hilfe immer an Bedingungen. Das ist richtig, das ist gut, und das ist vor allem eines: eine Selbstverständlichkeit, meine Damen und Herren. Das Lieferkettengesetz ist ein Gesetz zur Plünderung der deutschen Wirtschaft, und nicht ein Verband hat das nicht kritisch begleitet. Aber Sie wissen es wie immer wieder besser. Darum sagen wir ganz klar: Sagen Sie dieses Gesetz endlich ein für alle Mal ab!
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Dann ist der nächste Redner der Kollege Stefan Rouenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade beim Vorredner gemerkt: Die Standpunkte zum Lieferkettengesetz sind bei uns im Bundestag ziemlich unterschiedlich. Trotz aller Differenzen zwischen den sechs Fraktionen hier im Bundestag denke und hoffe ich, dass es in zwei Punkten einen Grundkonsens gibt: Erstens. Deutsche Unternehmen sollen sich auch künftig in Schwellen- und Entwicklungsländern wirtschaftlich engagieren. Zweitens. Das Auslandsengagement deutscher Firmen muss dort die Lebenssituation der Menschen verbessern: Arbeitsplätze schaffen, die wirtschaftliche Entwicklung fördern, Bildungschancen für Kinder und Jugendliche verbessern. Diese Punkte sollten Maßstab unseres Handelns sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schaue jetzt auf die linke Seite des Parlaments: Aus Ihrer Sicht ist ein Lieferkettengesetz umso besser, je umfassender die Auflagen für Unternehmen sind. Ihre weitgehenden Forderungen, gerade auch aufseiten der Linken, kommen bei Ihren Anhängern ganz sicher gut an; aber damit machen Sie sich das Leben auch verdammt einfach. Wenn in Schwellen- und Entwicklungsländern deutsche Investitionen wegen zu hoher gesetzlicher Anforderungen oder Rechtsunsicherheit ausbleiben, ist den Menschen vor Ort nicht geholfen, insbesondere dann nicht, wenn Unternehmen aus anderen Ländern mit niedrigeren Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards auf die Märkte drängen. Wenn wir den Lebensstandard der Menschen in weniger entwickelten Ländern wirklich verbessern wollen, dann müssen wir die deutsche Wirtschaft als unseren Partner sehen und nicht als unseren Gegner.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns allen ist klar: Deutsche Unternehmen engagieren sich nicht aus Wohltätigkeitszwecken im Ausland. Unsere Unternehmen wollen wirtschaftlich erfolgreich sein. Dazu nutzen sie die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung. Darunter waren in den vergangenen Jahren auch schwarze Schafe aus Deutschland – das möchte ich hier überhaupt nicht unter den Tisch kehren –, Firmen, die nicht nach unseren Vorstellungen gehandelt haben. Aber zur Wahrheit gehört eben auch: Neben diesen schlimmen Einzelfällen haben die allermeisten Unternehmen durch Handel und Investitionen das Leben der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern erheblich verbessert.
({1})
– Wollen Sie das verneinen? – Hunderte Millionen Menschen wurden aus der Armut geholt. Die Lebenserwartung hat sich seit 1950 fast verdoppelt. Das Bruttoinlandsprodukt der Schwellen- und Entwicklungsländer ist in den letzten 30 Jahren zweieinhalbmal so stark gestiegen wie in den Industrieländern. Hierzu hat unsere leistungsstarke deutsche Wirtschaft einen wichtigen Beitrag geleistet.
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Ich verneine überhaupt nicht, dass es noch eine ganze Menge zu tun gibt; das ist gar nicht das Thema. Aber wenn wir verbindliche Sorgfaltspflichten wollen, dann müssen wir sicherstellen, dass sie nicht zu einem Bürokratiemonster werden, dass sie praktikabel und verhältnismäßig sind. Auch sollten wir nach meiner Meinung sehr genau überlegen, ob wir mit einer neuen Regelung sehr unterschiedliche Branchen tatsächlich über einen Kamm scheren wollen.
Einen weiteren Punkt sollten wir bei unseren aktuellen Überlegungen ebenfalls nicht ausblenden: Die Coronapandemie hat Deutschland in die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit gestürzt. Damit verbunden ist ein deutlicher Rückgang deutscher Direktinvestitionen im Ausland. Und wer leidet darunter am meisten? Vor allem Schwellen- und Entwicklungsländer, mit den entsprechenden negativen Folgen für die dort lebenden Menschen.
Ich weiß, dass einige – gerade auf der linken Seite – jetzt wieder sagen werden: Es ist falsch, das Lieferkettengesetz und die Wirtschaftskrise miteinander in Verbindung zu bringen, weil es ja für das Lieferkettengesetz längere Übergangsfristen geben soll. – Aber bitte lassen Sie uns nicht vergessen: Investitionsentscheidungen werden nicht ad hoc getroffen, sondern Jahre im Voraus. Deshalb sollten wir nicht ausgerechnet jetzt, auf dem Höhepunkt der Coronakrise, die Unsicherheiten in den Handels- und Investitionsbeziehungen mit Drittstaaten vergrößern.
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Aber genau das würden wir machen, wenn wir beispielsweise die zivilrechtliche Haftung, die ja hier von Ihnen gefordert wird, und die Kontrolle der gesamten Lieferkette in einer neuen Regelung verankern würden. Was wir jetzt brauchen, sind Realismus und Pragmatismus, das, was unser Wirtschaftsminister Peter Altmaier in den laufenden Verhandlungen an den Tag legt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allen Diskussionen über eine nationale Regelung, wissen wir doch alle hier: Eine einheitliche europäische Lösung zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten wäre eindeutig der bessere Weg. Die EU hat ein viel größeres wirtschaftliches Gewicht in der Welt und eine deutlich bessere Chance, neue Standards auch international durchzusetzen. In Brüssel ist die Diskussion über eine gesetzliche Regelung aktuell in vollem Gange. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir – statt nationaler Schnellschüsse – jetzt unsere gesamte Energie in eine tragfähige europäische Lösung stecken, gemeinsam mit unseren Partnern in der EU.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Rouenhoff. – Die nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion die Abgeordnete Sandra Weeser.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Niemand möchte ein T-Shirt oder ein Telefon, das unter menschenunwürdigen Bedingungen gefertigt wurde.
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Ja, immer noch erreichen uns Bilder von Kinderarbeit und von schlimmen Unfällen. Das zeigt uns, dass weiterhin Defizite bestehen. Da müssen wir ran, da müssen wir handeln. Deshalb ist es gut, dass viele Unternehmen großen Aufwand betreiben, um die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern zu verbessern. Es ist auch gut, dass NGOs und soziale Unternehmen Konzepte für fairen Handel entwickeln und so neue Standards in den Markt bringen. Es ist auch gut, wenn deutsche Unternehmen in Entwicklungsländern nicht nur die Rohstoffe einkaufen, sondern auch mit Ausbildungszentren und mit Community-Arbeit die Entwicklung vor Ort weiter voranbringen. – All das findet statt, meine Damen und Herren. Wir brauchen noch mehr davon.
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Es ist Aufgabe der Politik, die Unternehmen zu unterstützen, die hier an einer Verbesserung der Zustände arbeiten. Da muss die Politik Hindernisse aus dem Weg räumen, statt neue Hürden zu schaffen. Hier gibt es noch viel zu tun. Aber was machen unsere zuständigen Minister? Die Herren Heil und Müller befeuern eine populistische These: Menschenrechtsverstöße in der Welt könnten wir beenden, indem wir deutsche Mittelständler möglichst scharf in Haftung nehmen, quasi als die Sündenböcke für Verbrechen, an deren Täter noch nicht einmal die Bundesregierung herankommt.
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Das ist realitätsfremd und bestraft kleine Unternehmen ohne eine Rechtsabteilung, die gerade ohnehin ums Überleben kämpfen.
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Ich frage Sie: Wie soll ein mittelständiger Betrieb 200 Zulieferer überwachen und dann die Zulieferer der Zulieferer und dessen Zulieferer? Wie soll das gehen? Erklären Sie es mir!
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Ihr geplanter nationaler Alleingang schafft nur Bürokratie und einen europäischen Flickenteppich.
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So liefern die Herren Heil und Müller nur die Vorlage für den rechten Populismus, den uns die AfD hier heute mal wieder vorgetragen hat.
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Viel wichtiger ist aber: Diese billige Antiunternehmensrhetorik vergiftet die Stimmung und blockiert den Raum für eine vernünftige Debatte über echte Lösungen.
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Wir Liberalen wollen, dass der Staat die Unternehmen mit praktischen Mitteln unterstützt. Ein guter europäischer Rechtsrahmen kann hier einheitliche Standards und Klarheit bringen, insbesondere für große Unternehmen.
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Dabei brauchen wir auch einen KMU-Schutz. Es kann nicht sein, dass große Konzerne ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen per Vertragsklausel an die kleinen Unternehmer abdrücken.
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Ich appelliere an Sie als Bundesregierung: Setzen Sie sich für einen europäischen Rechtsrahmen ein! Unterstützen Sie die Unternehmen dabei, ihre Sorgfaltsprozesse zu verbessern, anstatt ihnen noch weitere Hürden aufzuerlegen.
Danke schön.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass ich als vierter Redner in dieser Debatte – nach Vertretern der AfD, der CDU/CSU und der FDP – zu einem Thema, bei dem es darum geht, Menschenrechte zu schützen, der Erste bin, der sich ganz klar und offen dazu bekennt, dass Menschenrechte gesetzlich geschützt werden müssen.
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Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Ich weiß nicht, was für ein Unternehmerbild der Kollege Rouenhoff oder die Kollegin von der FDP hat. Aber es gibt viele ehrbare, gute Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland, die sich seit Jahren darum bemühen, internationale Standards, zum Beispiel die OECD-Guidelines, einzuhalten,
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um den Menschenrechten Geltung zu verschaffen und keine Ausbeutung zu betreiben. Diese Unternehmerinnen und Unternehmer sind viel weiter als Sie und als die Vertreter des BDI und der Industrieverbände.
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Sie sagen uns: Wir wollen faire, gleiche Wettbewerbsbedingungen. Wir wollen, dass Ausbeutung kein Wettbewerbsvorteil ist. Deswegen wollen wir, dass alle verpflichtet werden, die Menschenrechte gesetzlich verbindlich einzuhalten.
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Worum geht es hier eigentlich? Wir haben 1,4 Milliarden Menschen auf der Erde, die unter schlimmsten, menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssen. Die Zahl der Hungernden wird bald wieder auf 1 Milliarde Menschen steigen, noch verschärft durch die Pandemie. Es gibt 156 Millionen Kinder, die in ausbeuterische Arbeit gezwungen werden, die in Minen schuften und auf Kakaoplantagen arbeiten für unsere Schokolade. Ich habe mir das vor Ort angeschaut; ich habe das schon mehrmals erlebt. Wer das einmal gesehen hat, den lässt das nicht mehr los. Da kann man doch nicht sagen: Ach, es ist eine freiwillige Sache, ob sich ein Unternehmen daran hält oder nicht. – Das kann nicht Ihr Ernst sein! Deswegen sind wir Sozialdemokraten ganz klar dafür, ein Lieferkettengesetz national verbindlich auf den Weg zu bringen. Wir freuen uns, dass unser Arbeitsminister Hubertus Heil das unterstützt. Wir wissen, dass wir auch bei der CDU/CSU mit dem Entwicklungsminister Gerd Müller jemanden haben,
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der das befördert. Die Union scheint manchmal wirklich aus zwei verschiedenen Parteien zu bestehen. Ja, Herr Kekeritz von den Grünen, ich weiß, Sie sehen das anders. Aber viel Spaß, wenn Sie sich mit denen jetzt schon fast ins Bett legen für die nächste Koalition.
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Sie werden sehen, was Sie da zum Teil für Partnerinnen und Partner bekommen.
An die Kollegen der Union sage ich: Wir haben ja Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der immer sagt, wie schlimm Corona sei, dass man da helfen müsse, und dann werden hier Milliarden organisiert. Ich finde es auch richtig, dass man sagt: Gesundheit geht vor wirtschaftlichen Profit. – Aber dann können wir doch nicht gleichzeitig weiter zulassen, dass Menschen in Entwicklungsländern an Hunger und Armut sterben, dass sie ausgebeutet werden – und jetzt sind sie noch verwundbarer. Wir können doch nicht sagen: Das interessiert uns nicht. – Nein! Ich würde mir manchmal wünschen, dass, wenn wir die Zahl der Coronatoten in der „Tagesschau“ sehen, auch mal eingeblendet wird, wie viele Tausende Menschen täglich an den Folgen von Hunger und Armut sterben, unter anderem auch, weil sie durch Ausbeutung nicht ihren Lebensunterhalt verdienen können, weil sie krank werden.
Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen.
Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie uns jetzt auf nationaler Ebene mit einem Lieferkettengesetz vorangehen. Danach können wir gerne auf europäischer Ebene eine scharfe Verordnung machen.
In dem Sinne: Lassen Sie uns für Menschenrechte kämpfen und keine Kompromisse eingehen!
Danke.
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Liebe Kollegen, ich bitte wirklich: Wir müssen die Zeit diszipliniert einhalten. Wir hängen sehr hinterher.
Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke der Abgeordnete Michel Brandt.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die 25-jährige Kala ist Textilarbeiterin im indischen Tamil Nadu. Sie macht Überstunden und bekommt den Mindestlohn von 131 Euro im Monat. Die Fabrik, in der sie arbeitet, produziert für H & M, Lidl und andere. Ihr Vorgesetzter ist dafür bekannt, Arbeiterinnen zu belästigen. Er bestellt Kala Anfang dieses Monats in die Fabrik. Erst vergewaltigt er sie, dann bringt er sie um. – Das ist kein Einzelfall, sondern Alltag. Gewalt, gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne gehören für die 45 Millionen Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter in Indien zum Alltag.
Die gesamte Weltwirtschaft mit Tausenden von undurchsichtigen Lieferketten fußt auf diesem Modell: Menschenrechtsverletzungen, Rohstoffklau und Umweltzerstörung. Durch ein Lieferkettengesetz könnten wir dem endlich real etwas entgegensetzen.
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Es würde Unternehmen zum ersten Mal dazu verpflichten, ihre Lieferketten zu kontrollieren, offenzulegen, Arbeitsstandards einzuhalten und Menschenrechtsprobleme zu beheben – eigentlich doch eine Selbstverständlichkeit.
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Wir als Linke wollen die unangetastete Konzernmacht und die Intransparenz in den Lieferketten endlich durchbrechen. Deswegen kämpfen wir für umfangreiche soziale und ökologische Sorgfaltspflichten für Unternehmen.
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Damit stehen wir nicht alleine. 70 Ökonominnen und Ökonomen haben in einer Stellungnahme gerade erst deutlich gemacht, dass ein Lieferkettengesetz auch wirtschaftlich längst überfällig ist.
Die Bundesregierung kündigt uns nun schon seit über einem Jahr einen Gesetzentwurf an. Nur, wo bleibt er? Wirtschaftsminister Altmaier blockiert, getrieben von der Wirtschaftslobby. Er setzt alles daran, dass das Gesetz wirkungslos wird. Durch die Streichung der Haftung bei Verstößen will er dem Gesetz die Zähne ziehen. Wir brauchen aber Rechtsmöglichkeiten für Betroffene, damit sie sich gegen Konzernverbrechen wehren können. Die Haftung ist entscheidend für ein wirksames Gesetz.
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In der Coronakrise hat man die Anfälligkeit internationaler Lieferketten noch deutlicher gesehen: Aufträge wurden von einem Tag auf den anderen gekündigt, Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern im Globalen Süden verloren ihren Lohn und ihre Arbeit. Dass Altmaier ausgerechnet in dieser Situation Corona als Vorwand nimmt, um ein Gesetz für den Schutz der Menschenrechte in der Lieferkette aufzuhalten und Konzerne zu schonen, das ist schäbig. Sie von der SPD dürfen diesen Weg auf keinen Fall mitgehen.
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Es wird Zeit, dass deutsche Unternehmen für ihre Lieferkette Verantwortung übernehmen müssen. Das Konzept der Freiwilligkeit – das hat der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ doch nun wirklich bewiesen – ist mehr als gescheitert.
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Der Antrag der AfD, um den es in dieser Debatte geht, ist es übrigens auch. Man muss wirklich nicht viele Worte dazu verlieren. Angstmache sowie rassistische und neokoloniale Plattitüden kommen dabei raus, wenn von rechts außen Menschenrechtsdebatten geführt werden.
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Die Zeit ist abgelaufen.
Wir als Linke fordern, dass Arbeiterinnen und Arbeiter, Indigene, Gewerkschaften, NGOs und Konsumentinnen und Konsumenten endlich befähigt werden, gegen dieses Unrecht anzukämpfen. Wir als Linksfraktion kämpfen weiter für ein starkes Lieferkettengesetz.
Danke schön.
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Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Uwe Kekeritz.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der AfD-Antrag ist wie immer eine Sammlung selbstgebastelter Argumente, die Sie brauchen, um sich selbst zu überzeugen. Mit den Fakten haben diese herzlich wenig zu tun. Wie in allen Reden und Anträgen der AfD lautet die wesentliche Botschaft: Deutschland und die deutsche Wirtschaft, sie sind das Opfer. – In diesem Antrag wird die abenteuerliche Theorie noch etwas ergänzt. Es heißt, das Gesetz werde die Korruption in den Entwicklungsländern fördern. Die Regierungen würden sogar grundsätzlich freigesprochen, sie bräuchten keine Verantwortung mehr zu übernehmen. Die Investoren würden abziehen, und – wir haben es gehört – die Chinesen kauften alles auf. Ein wachsendes Elend in den Ländern des Südens! – So weit, so armselig die Analyse der AfD.
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Es gibt aber auch etwas Positives zu berichten. Die Tatsache, dass wir dieses Thema heute erneut diskutieren, ist doch erfreulich; denn diese Regierung schafft es seit Jahren nicht, ein Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen. Man könnte also sagen, dass das derzeitige konkrete Regierungshandeln die AfD-Forderungen voll erfüllt. Auch deshalb ist der Antrag allerdings überflüssig.
Diese Regierung ignoriert seit Jahren die Vorgaben der UN. Sie hat jahrelang versucht, den NAP-Prozess an die Wand zu fahren. Und Sie halten sich nicht einmal an Ihren eigenen Koalitionsvertrag. Ihre Minister liegen sich seit Monaten in den Haaren, und Altmaier blockiert seit Jahren. Deshalb fordern wir die Regierung wieder einmal auf: Bringen Sie endlich ein wirksames Gesetz auf den Weg, das Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen in den globalen Lieferketten wirksam bekämpft, das aber auch soziale Standards verbessert.
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Vergessen Sie auch nicht: Deutschland hat sich zu Recht verpflichtet, die Nachhaltigkeitsagenda umzusetzen. Ein Lieferkettengesetz ist nicht der einzige, aber ein absolut notwendiger Hebel dafür.
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Folgen Sie endlich Ihren Ministern Müller und Heil! Ich weiß, Sie halten nichts davon. Wenn Sie ihnen gefolgt wären, hätten wir schon längst ein Gesetz. Diese Forderung wird übrigens von der Zivilgesellschaft, den Kirchen, Gewerkschaften, von der Wissenschaft, von immer mehr Menschen, aber auch von immer mehr Unternehmern und Unternehmerinnen unterstützt. Diese verlangen endlich Klarheit und wollen, dass die Regierung ihren anachronistischen Schleiertanz beendet. Sie sagen zu Recht: Es ist Aufgabe der Regierung, gleiche Bedingungen für alle Unternehmen zu schaffen.
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Eine klare Gesetzgebung schafft Rechtssicherheit. Diese muss als Investition für die Zukunft, auch für die Zukunft der deutschen Wirtschaft, gewertet werden.
Der AfD-Antrag zeigt wieder einmal eindrucksvoll, dass sich die AfD nicht seriös mit der Thematik auseinandersetzen will. Ich vermute fast: Sie kann es gar nicht.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Vielleicht können Sie es nicht. Sie wollen es auf jeden Fall nicht.
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Danke schön.
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Der nächste Redner macht sich bereit – in der Ruhe liegt die Kraft –: Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich so die Debatte verfolge, frage ich mich, warum wir eigentlich in allen Entwicklungs- und Schwellenländern immer wieder darauf angesprochen werden, ob wir nicht deutsche Investoren bewegen könnten, in diesem oder jenem Land zu investieren. Warum wird man denn überall nach deutschen Investoren gefragt? Weil deutsche Unternehmen, wenn sie im Ausland investieren, wenn sie im Ausland Geschäfte machen, höchste Standards in dieses Land bringen.
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Die deutschen Unternehmen kümmern sich darum, dass modernste Produktionsverfahren installiert werden. Die deutschen Unternehmen kümmern sich um die Ausbildung ihrer Leute.
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Die deutschen Unternehmen kümmern sich darum, dass die Angestellten Löhne bekommen, die dem Lohnniveau des Landes entsprechen. Genau deswegen haben deutsche Investoren einen sehr guten Ruf in der Welt, meine Damen und Herren.
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Es ist einfach dreist von einigen Rednern, ganz speziell von zwei Rednern, allen, die sich nicht für ein Lieferkettengesetz aussprechen, einfach zu unterstellen, dass sie gegen die Einhaltung von Menschenrechten sind,
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dass sie dagegen sind, dass Leute faire Löhne bekommen und faire Lieferketten ins Leben gerufen werden. Ich finde das schon ein starkes Stück, muss ich mal sagen, weil das nämlich an der Sache völlig vorbeigeht, und das wissen Sie ganz genau.
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Sie polemisieren für Ihre Klientel, und das ist auch schon alles.
Man muss für unsere Fraktion ganz klar sagen: Ein Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene ist nicht der Weg, den wir einschlagen wollen. Denn wenn wir schon eine Europäische Union haben, dann macht es aus meiner Sicht nur Sinn, dass es ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene gibt und kein nationales.
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Sie können mir ja gleich damit kommen: In Frankreich und Holland gibt es auch solche Gesetze. – Aber Sie wissen ja selbst genau, dass das völlig stumpfe Zähne sind, die dort beschlossen worden sind.
Meine Damen und Herren, wenn man an ein Lieferkettengesetz denkt, dann kann das eben nur für Großunternehmen infrage kommen und nicht für den Mittelstand und für kleinere Unternehmen.
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Wir wollen keine zivilrechtliche Haftung. Sie müssen sich doch mal überlegen, was das heißt. „Zivilrechtliche Haftung“ heißt, dass sozusagen der Unternehmer, der Waren einkauft, für jeden Lieferanten, den er beauftragt, noch die Haftung übernehmen muss. Ja, wo kommen wir denn da hin, meine Damen und Herren? Das ist doch kein normales Wirtschaften mehr.
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Wenn man damit beginnt und mittelständische und kleine Unternehmen die Lieferketten nachweisen sollen, dann werden die – ich kann Ihnen sagen, was passiert – keine Geschäfte mehr dort machen, ganz einfach. Jedes dieser Unternehmen wird sich dann aus diesen Ländern zurückziehen.
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Meine Damen und Herren, die Beweislast muss beim Kläger liegen, und wir brauchen die Verantwortung auch nur in der ersten Zulieferstufe. Ich will mal aus dem Textilbündnis von 2014 zitieren. Das ist ja ein erster Schritt gewesen, um im Bereich der Textilwirtschaft, wo die Zustände wahrscheinlich am schlechtesten sind, etwas Ordnung zu schaffen. Im Dokument zum Textilbündnis geht es im Prinzip nur um alle von den Unternehmen selbst beauftragten Produktionsstätten; diese werden einbezogen. Es gibt aber keine Haftung für Lieferanten. Dort heißt es weiter: Einfluss auf weitere Zulieferstufen zu nehmen, stellt für Unternehmen eine größere Herausforderung dar, da hier in der Regel keine direkte Geschäftsbeziehung besteht und es sich um global arbeitsteilige und komplexe Produktionsprozesse handelt. – Der, der das verfasst hat, hat Ahnung – im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kekeritz. Der hat verstanden, wie eine solche Sache funktioniert.
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Das Textilbündnis ist eine gute Sache. Und wenn das Textilbündnis das so formuliert, ist das ein Leitfaden auch für weitere Aktivitäten.
Ich kann deswegen nur sagen: Der Antrag von der AfD ist überflüssig. Wir werden weiterhin dafür streiten, dass wir auf der EU-Ebene eine gute Regelung bekommen. Wir brauchen kein nationales Lieferkettengesetz, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank, Andreas Lämmel. – Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Abgeordnete Bernd Rützel, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Produkte, die wir besitzen, die wir konsumieren, kommen aus der ganzen Welt. Ich hoffe, dass hier im Deutschen Bundestag, im Hohen Haus, die Mehrheit dafür ist, dass Menschenrechte auf der ganzen Welt eingehalten werden; denn darum geht es, wenn wir heute über das Lieferkettengesetz diskutieren, um Menschenrechte auf der ganzen Welt.
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Diese Menschenrechte, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nicht verhandelbar. Man kann sich diese Menschenrechte auch nicht verdienen. Sie können einem auch nicht weggenommen werden. Man hat diese Menschenrechte von Geburt an. Sie sind universell, sie sind unveräußerlich, und sie sind unteilbar. Deshalb müssen wir genau hinschauen und dürfen nicht wegschauen. In dieser Debatte ist viel Unwahres und viel Unsinn erzählt worden. Es geht einfach darum, hinzusehen – und nicht wegzusehen –, wie es den Näherinnen und Nähern in Bangladesch geht
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oder den Arbeiterinnen und Arbeitern in den Platinminen in Brasilien oder in Südafrika oder auf den Teeplantagen im Assam oder den 2 Millionen Kindern, die Kakao für uns ernten. Davor dürfen wir in Zukunft die Augen nicht mehr verschließen.
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Der erste Punkt ist, hinzusehen und genau zu wissen, wie es dort zugeht. Der zweite Punkt ist, sich davon berühren zu lassen. Das hat mit dem Herzen zu tun. Es ist wichtig, Anteil zu nehmen. Der dritte Punkt ist, daraus zu lernen, zu sagen, wie es da zugeht, und zu fragen: Wie können wir die Bedingungen dort verbessern? Die Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann nicht am Werkstor oder an der deutschen Staatsgrenze enden. Dafür hat man immer Verantwortung.
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Wir haben doch gesehen, liebe Kollegin Weeser, dass freiwillige Selbstverpflichtung nicht funktioniert. Auf der Webseite vom Business & Human Rights Resource Centre sind ganz viele Betriebe, große Unternehmen aufgelistet – das kann man nachgucken –, die das einhalten und einfordern.
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Und die sind erfolgreich auf diesem Markt. Es ist also nicht so, dass das alles hemmt. Das ist ein großes Plus.
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Ich kämpfe dafür, und meine Partei, die SPD, kämpft für dieses Lieferkettengesetz. Viele Menschenrechtsorganisationen, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Wissenschaft, alle kämpfen dafür. Die haben das verstanden. Lieber Koalitionspartner, ich empfehle Ihnen erstens, mal in den Koalitionsvertrag zu gucken,
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und dann empfehle ich Ihnen, auf den Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU zu hören – das ist nämlich ein guter Mann –; dann kriegen wir das hin. Die SPD steht Ihnen nicht im Weg. Wenn Sie wollen, dann machen wir noch im Februar ein Lieferkettengesetz.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Wahlen gibt es keine Demokratie, ohne Kandidaten aber gibt es keine Wahlen. Am 26. September findet die nächste Bundestagswahl statt, und bis zum 19. Juli müssen die Wahlvorschläge dafür eingereicht sein. Simple Daten, simple Fakten.
Wer die Zeit geringer Coronainfektionszahlen im letzten Sommer nicht genutzt hat, hat bei der gegenwärtigen Pandemielage ein Problem. Artikel 39 unseres Grundgesetzes bestimmt, dass alle vier Jahre ein neuer Bundestag zu wählen ist. Diese Vierjahresfrist ist unbedingt und ist unabdingbar. Würde die gegenwärtige Coronapandemie es verhindern, dass Bundestagskandidaten, dass Landeslisten der Parteien zur Wahl rechtzeitig aufgestellt werden können, so gäbe es keine verfassungskonforme Bundestagswahl; darum geht es. Die Folge wäre nicht nur eine politische Krise, sondern dann eine veritable Verfassungskrise, die es zu vermeiden gilt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Am 14. Januar hat der Bundestag darum förmlich festgestellt, dass Versammlungen zur Kandidatenaufstellung derzeit unmöglich sind. „Unmöglich“ bedeutet nicht, dass sie nach den infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen der Länder generell verboten sind, sondern – nicht mehr, aber auch nicht weniger – dass man es nicht verantworten kann, Mitglieder und Delegierte einem hohen regionalen Infektionsrisiko auszusetzen oder sie aus Angst vor Ansteckungen in einem Hochrisikogebiet von der Wahrnehmung ihrer Mitgliedschaftsrechte abzuhalten. Parteien würden hier jedenfalls ein denkbar schlechtes Beispiel setzen in einer Zeit, in der es auf die Vermeidung von Kontakten gerade ankommt.
Das Bundeswahlgesetz schreibt für die Kandidatenaufstellung der Parteien Versammlungen der Mitglieder oder Delegierten vor. Wir ermöglichen mit dieser Verordnung als Notfallregelung, in der Coronalage Wahlbewerber ausnahmsweise in digitaler, in schriftlicher oder in gemischter Form aufzustellen. Die Schlussabstimmung muss aber weiterhin nachprüfbar auf Stimmzetteln erfolgen.
Wenn die Verordnung des BMI abweichende Verfahren erlaubt, hilft das alleine aber noch nicht, wenn die Parteisatzungen solche Verfahren zugleich verbieten. Die Verordnung lässt darum zu, dass die Parteien in der Krise von ihren Satzungen abweichen dürfen. Ob eine Partei das will, entscheidet eben nicht der Staat, sondern der eigene Landesverband, und der Parteitag kann den Beschluss natürlich auch wieder aufheben.
Der Staat muss für Chancengleichheit auch in der Coronakrise sorgen, gerade bezüglich der Wahlen. Nicht jede Partei und nicht jeder Kreisverband kann einen solch erheblichen Aufwand ermöglichen wie beim digitalen CDU-Parteitag am vorletzten Wochenende. Der Entwurf sieht darum für Wahlvorschlagsträger eine große Bandbreite an Möglichkeiten als Alternative zu der – natürlich immer vorzugswürdigen – Präsenzveranstaltung vor.
Der Innenausschuss hat dem Deutschen Bundestag die Zustimmung nach Maßgabe verschiedener Erwägungen und Ergänzungen empfohlen. Das Bundesinnenministerium als Verordnungsgeber teilt die darin festgehaltenen Erwägungen. Die gewünschten Ergänzungen werden wir in die Verordnung übernehmen. Die Verordnung kann dann bereits in der nächsten Woche in Kraft treten.
Meine Damen und Herren, was bis jetzt getan werden musste, um die Bundestagswahlen sicher durchzuführen, ist damit getan. Hoffen wir gemeinsam, dass von den Möglichkeiten dieser Verordnung nur in Einzelfällen Gebrauch gemacht werden muss und dass wir in der Pandemiebekämpfung bis September über den Berg sind.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nachfolgender Redner ist der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Willkommen zum dritten und vorläufig letzten Akt des Schauspiels „Die Demokratie in den Zeiten der Corona“. Als Akt eins haben Sie das Bundeswahlgesetz geändert und eine Art Notstandswahlrecht ermöglicht, das der Innenminister im Verordnungswege schafft. Dass auf entsprechende Kritik hin noch ein Vorbehalt der Zustimmung des Bundestages eingebaut wurde, macht es allenfalls marginal weniger schlecht. Wir halten diese Verordnungsermächtigungen nach wie vor für falsch. Das Wahlrecht ist wesentlich für die Demokratie, und Wesentliches hat der Gesetzgeber selbst im Wege eines ordentlichen Parlamentsgesetzes zu entscheiden und nicht die Regierung.
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Als Akt zwei haben Sie vor 14 Tagen beschlossen, Aufstellungsversammlungen seien – teilweise – unmöglich. Begründet haben Sie dies vor allem mit den diversen Coronaverordnungen der Bundesländer. Das ist schon im Ansatz verfehlt; denn so würde sich die Unmöglichkeit von Versammlungen schlicht danach richten, ob Landesregierungen sie verbieten. Die im Bundeswahlgesetz vorgesehene Feststellung durch den Bundestag wäre damit sinnentleert und bar jeder eigenen Entscheidung, vielmehr ein bloßer Reflex der Vorgaben von Landesregierungen.
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Es würde so vorgegaukelt, der Bundestag sei Herr des Verfahrens, während er eigentlich bloßer Statist wäre.
Nein, der vom Bundestag zu treffenden Feststellung muss schon eine eigene Erhebung und Bewertung von Tatsachen zugrunde liegen. Darauf meinten Sie allerdings verzichten zu können. Zu allem Überfluss waren auch noch die Angaben zu den Regelungen in den Ländern – wenigstens teilweise – schlicht falsch. So wurde behauptet, in Nordrhein-Westfalen als größtem Bundesland seien Aufstellungsversammlungen gänzlich verboten. Das traf und das trifft nicht zu.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion gratulieren. Er stammt, wie ich, aus Nordrhein-Westfalen. Vor 14 Tagen hat er hier mit abgestimmt und festgestellt, dass Aufstellungsversammlungen unmöglich seien. Am vergangenen Wochenende dann ist er in seinem Wahlkreis als Direktkandidat aufgestellt worden, und zwar wie? Durch eine Präsenzversammlung in der örtlichen Schützenhalle.
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Man ist an eine alte Autoreklame erinnert: SPD – nichts ist unmöglich.
So, und nun Akt drei: die Verordnung. Es verwundert nicht wirklich, dass nach diesen beiden ersten Akten auch der dritte ein Murks geworden ist. Wenn es um Kandidatenaufstellungen zu Wahlen geht, dann gibt es eine Sache, die für alle, die sich damit in der Praxis auseinandersetzen müssen, von äußerster Wichtigkeit ist: Das ist die Rechtssicherheit, und zwar schon deshalb, weil die spätere Zulassung der aufgestellten Wahlvorschläge durch Wahlausschüsse erfolgt, die ganz oder mehrheitlich aus Parteienvertretern bestehen, und ein Rechtsschutz gegen Fehlentscheidungen dieser Gremien nur rudimentär existiert.
Es sei hier bloß an das Drama um die AfD-Liste zur sächsischen Landtagswahl erinnert, wo es einer sehr innovativen Entscheidung des Landesverfassungsgerichts bedurfte, um die fehlerhafte Anwendung des Wahlgesetzes durch den Wahlausschuss noch rechtzeitig zu korrigieren.
Ein gutes Wahlgesetz muss also über die Maßen präzise und eindeutig regeln, wie eine Kandidatenaufstellung abzulaufen hat. Dem wird diese Verordnung nicht ansatzweise gerecht. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Im Text der Verordnung taucht ein im Wahlrecht bisher unbekannter Begriff auf, nämlich die Schlussabstimmung. Was das sein sollte, darüber konnte man zunächst rätseln. Im Bericht des Innenausschusses taucht nun erstmals eine Art Erläuterung auf; ob allerdings demnächst die Wahlausschüsse und im Konfliktfalle später die Gerichte sich diese Erläuterung zu eigen machen werden, das bleibt ungewiss; denn im eigentlichen Text der Verordnung findet sich nichts davon wieder. Rechtssicherheit für diejenigen, die mit dieser Verordnung arbeiten sollen, sieht anders aus.
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Wir lehnen diese Verordnung ab, und zwar aus den eingangs genannten grundsätzlichen Erwägungen, aber auch, weil sie einfach schlecht gemacht ist.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Jacobi. – Nächster Redner ist der Kollege Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von einer Fraktion, die Coronaleugnerinnen und ‑leugner in ihren eigenen Reihen hat, habe ich eigentlich keine bessere Rede erwartet.
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Ich halte es da mit Bertolt Brecht:
Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.
Sie können sich überlegen, zu welcher Gruppe Sie zählen.
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Wir haben hier im Plenum oft über diese Verordnung und über das Bundeswahlgesetz gesprochen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir heute eine gute parlamentarische Vorbereitung der Bundestagswahl am 26. September 2021 vorgenommen haben. Das ist eine gute, eine rechtssichere Regelung, die auch Notfallmechanismen kennt, um Parteigliederungen im Fall der Fälle einen zusätzlichen Instrumentenkasten an die Hand zu geben.
Wir verändern für diejenigen nichts, die keinen Gebrauch davon machen wollen, und die Möglichkeiten sehen, unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen für Gesundheitsschutz und Infektionsschutz auch Präsenzveranstaltungen durchzuführen, so wie mein Kollege Dirk Wiese das im Sauerland gemacht hat. Für uns als Sozialdemokraten, aber auch für uns als Koalition bleibt ganz klar: Die Präsenzveranstaltung geht immer vor. Das ist der Grundsatz. Mit dem zusätzlichen Instrumentarium geben wir zusätzliche Erleichterungen an die Hand, die man jeweils kombinieren kann. Wenn Sie das nicht verstehen, haben Sie anscheinend das Gesetz, die Verordnungsermächtigung und die Rechtsverordnung nicht richtig gelesen.
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Die Wahlgrundsätze im Grundgesetz, die Wahlgrundsätze im Bundeswahlgesetz sind für uns unumstößlich, genauso wie die Satzungshoheit der Parteien im Übrigen. Deshalb sind wir dort auch sehr behutsam, sehr vorsichtig rangegangen. Wir haben beispielsweise bei den Mindestzahlen, die an eine Beschlussfähigkeit einer Vollversammlung oder einer Delegiertenversammlung geknüpft werden, mit der Verordnung sehr behutsam Möglichkeiten geschaffen.
Wir schaffen mit dieser Verordnung und diesem Gesetz aber auch Chancengleichheit, dass alle Parteien für den 26. September 2021 Bewerberinnen und Bewerber aufstellen können. Keine Partei dürfen wir am 26. September ohne Wahlkreisbewerberinnen oder Wahlkreisbewerber lassen, geschweige denn, dass er oder sie nicht zu einer Landesliste zugelassen werden konnte, weil diese Aufstellung nicht stattfinden konnte. Im Übrigen haben wir nicht von einer generellen Unmöglichkeit gesprochen, sondern haben im Deutschen Bundestag in der letzten Sitzungswoche die teilweise Unmöglichkeit festgestellt. Das schließt ein, dass mit dieser Verordnung sowohl Präsenzveranstaltungen als auch Veranstaltungen mit Nichtpräsenten, unter Einsatz von digitalen Medien, Telefonschaltkonferenzen usw., weiterhin möglich sein werden.
Wir haben vielfach betont, dass wir in dieses Gesetz einen Notmechanismus hineingeschrieben haben, den wir mit der Rechtsverordnung technisch sehr zügig umsetzen können. Wir haben uns das nicht leicht gemacht. Ich habe, als wir über die Rechtsverordnung gesprochen haben, sehr deutlich gemacht, dass wir sehr hart gerungen haben. Es gab vor der Sommerpause gegen eine solche Regelung erheblichen Widerstand. Man hat uns gesagt: Ihr wollt doch nicht allen Ernstes das Bundeswahlgesetz anfassen und althergebrachte Verfahren über den Haufen werfen. – Aber als Richtung Herbst die zweite Welle kam, wurde ganz schnell klar – wir sind darin bestätigt worden, als vor Weihnachten die Verschärfungen des Lockdowns gekommen sind –, dass man ein solches zusätzliches Instrumentarium benötigt.
Am Ende des Tages haben wir als Parteien eine Vorbildfunktion. Dieser Vorbildfunktion müssen Mandatsträger, Parteien, aber auch Kandidierende zur Bundestagswahl am 26. September gerecht werden. Deshalb ist es gut, dass wir den Parteien ein solches Instrumentarium per Rechtsverordnung zusätzlich an die Hand geben, weil Mitglieder möglicherweise nicht zu einer Veranstaltung kommen können oder möchten, Angst um ihre Gesundheit haben. Auf solche Dinge, auf solche Aspekte, auf solche Argumente müssen Parteien vor Ort eingehen können.
Ich betone hier ganz deutlich, dass neben dem Grundsatz der körperlichen Anwesenheit auch Kombinationen der Instrumente in der Rechtsverordnung möglich sind, weil wir zwei Phasen haben: die Phase, in der Kandidatinnen oder Kandidaten sich vorstellen können, befragt werden können, aber auch die Phase, wo am Ende des Tages rechtssicher gesagt werden muss: Das ist die Bewerberin, das ist der Bewerber für die entsprechende Partei. – Diese Phasen sind getrennt. Aufgrund des Infektionsschutzes haben die Parteien einen weiten Spielraum, Präsenzveranstaltungen durch Videokonferenzen, durch Telefonschaltkonferenzen, aber auch durch ein schriftliches Verfahren zu ersetzen, um am Ende des Tages die Schlussabstimmung im Rahmen einer Briefwahl oder einer Urnenwahl durchzuführen. Das gilt im Übrigen für das gesamte Verfahren: von der Delegiertenaufstellung bis hin zur Vollversammlung.
Wir haben hier ein sehr sorgfältiges und sehr ausgiebiges Verfahren an den Tag gelegt. Ich betone, dass dieses sorgfältige und ausgiebige Verfahren so manch ein Gesetzgebungsverfahren in der Qualität schlecht aussehen lässt. Das, was Sie behaupten, nur weil man eine Rechtsverordnungsermächtigung ins Bundeswahlgesetz schreibt und per Rechtsverordnung handelt, weise ich zurück. Diese Rechtsverordnung unterliegt im Übrigen einem doppelten Parlamentsvorbehalt: Erst stellt das Parlament fest, ob diese Lage vorliegt, und dann muss das Parlament die vorgelegte Rechtsverordnung noch einmal genehmigen, damit sie überhaupt ins Werk gesetzt werden kann. – Das sucht seinesgleichen. Da lasse ich die Kritik nicht gelten, dass wir uns als Bundestag hier per Rechtsverordnung einer gewissen Souveränität entledigen, der Regierung das feilbieten und sagen: Wir ergeben uns quasi. – Das ist nicht der Fall; das sage ich ganz deutlich. Diese Kritik geht in die Richtung der Fraktion Die Linke.
Viele Vorschläge der Opposition haben wir aufgenommen und in der Begründung auch noch mal klargestellt. Im Rahmen der Berichterstatterrunden und der Gespräche haben wir zahlreiche, auch sehr wertvolle Kritikpunkte aufgenommen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der konstruktiven Opposition für diese Vorschläge.
Ich glaube, dass Teile der Gliederungen auch aus Ihren Parteien dringend auf diese Regelungen warten. Ich erinnere mich, dass viele Gliederungen, auch über Parteigrenzen hinweg – im Übrigen ist ja das Gebrauchmachen dieser Verordnung ungefähr seit dem 25. November 2020 möglich –, an mich herangetreten sind und gefragt haben: Wann kommt denn endlich diese Regel? Heute können wir ihnen sagen: Dieser Notmechanismus wird heute vom Deutschen Bundestag – wenn Sie zustimmen, wozu ich Sie herzlich aufrufe – genehmigt werden. Dann können die Parteien rechtssicher, verbindlich, unter Wahrung des Gesundheitsschutzes und unter Wahrung der Bedenken ihrer Mitglieder Kandidierende für die Wahl zum nächsten Deutschen Bundestag aufstellen.
Es ist, glaube ich, ein gutes Zeichen, das wir hier aussenden: dass wir die Lage und die pandemische Entwicklung im Land vor Augen haben und am Ende des Tages sehr behutsam, aber nicht leichtfertig handeln und unsere Demokratie nicht aus der Hand geben. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Özdemir. – Nächster Redner ist der Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 26. September dieses Jahres findet die Bundestagswahl statt, und sie findet statt – Corona hin, Corona her. Deswegen brauchen die Parteien auch unter den besonderen Bedingungen dieser Pandemie rechtssichere Regeln, damit sie Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl aufstellen können. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern der anderen Fraktionen, dass die Findung dieser Regeln getragen war von dem Bemühen, eine rechtssichere Regelung zu vereinbaren. Denn wie ist die Situation momentan? Aktuell finden teilweise Aufstellungsversammlungen nicht statt wegen Corona. Nichts anderes haben wir hier vor zwei Wochen festgestellt. Damit haben wir dem Bundesinnenministerium rechtlich die Möglichkeit gegeben, uns diese Verordnung vorzulegen. Heute gucken wir sie uns dahin gehend an, ob wir damit einverstanden sind.
Wir sind als Freie Demokraten einverstanden damit, dass diese Verordnung bis zum Ende des Jahres befristet ist; denn es darf unter dem Deckmantel der Coronapandemie unser Wahlrecht, an das die Bürgerinnen und Bürger gewöhnt sind, nicht durch die Hintertür abgeschafft werden. Es muss nach dieser Coronapandemie wieder zurückgekehrt werden zum regulären Wahlrecht, an das der Souverän gewöhnt ist.
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Wir sind als Freie Demokraten außerdem einverstanden mit der Regelung, dass der Landesvorstand einer Partei darüber entscheiden kann, ob er diesen gesamten Mechanismus überhaupt zur Anwendung bringt. Wir haben bei uns in der FDP Landesverbände, die so gut wie fertig oder sogar schon fertig sind. Da sind alle Landeslistenplätze besetzt. Da sind alle Wahlkreise besetzt. Die brauchen dieses Verfahren gar nicht; die sind fertig. Wir haben andere, bei denen noch zwei, drei Wahlkreise offen sind. Die werden das in Präsenzveranstaltungen schaffen. Und wir haben wieder andere, die fest vorhaben, von diesem Notmechanismus überhaupt keinen Gebrauch zu machen. Dass diese Freiheit in der Verordnung enthalten ist, ist ein guter Schritt. Deswegen findet dieser Schritt auch die Unterstützung der Freien Demokraten.
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Es gibt allerdings auch negative Punkte, die am Ende dazu führen, dass wir der Verordnung heute nicht zustimmen können. Ich will ganz kurz auf drei Punkte eingehen:
Erstens sind wir der Auffassung, dass das Wahlrecht die Domäne des Parlaments ist, und es muss auch in der Pandemie die Domäne des Parlaments sein. Deswegen wäre es besser gewesen, die gesamte Regelung im Wege eines Parlamentsgesetzes zu beschließen und nicht wieder im Verordnungswege, wie wir das schon bei anderen Fragen in der Coronapandemie erleben.
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Zweitens haben wir eine Regelung zur Schlussabstimmung hier in der Verordnung, bei der aus dem Verordnungstext nicht klar wird, ob der in der digitalen Abstimmung Unterlegene noch an der Schlussabstimmung teilnehmen kann. Dazu will ich eines ganz deutlich sagen: Für uns ist völlig klar: Das, was am Ende zählt, ist die schriftliche Schlussabstimmung, und an der schriftlichen Schlussabstimmung muss jeder teilnehmen können. Das wird hier nicht hinreichend deutlich. Damit wird der Gleichheit und der Geheimhaltung der Wahl nicht hinreichend Genüge getan. Deswegen unterstützen wir das nicht.
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Ganz kurz, letzter Punkt. Es wird auch ein schriftliches Verfahren hier vorgeschlagen. Wir hätten uns gewünscht, dass deutlich ist: Digital ist die Regel, rein schriftlich ist die Ausnahme. Das wäre im Sinne der Öffentlichkeit der Wahl der richtige Weg gewesen.
Ich freue mich auf den Wahlkampf, auch unter Coronabedingungen, und freue mich über viele demokratische Gespräche im Zusammenhang mit der Wahl.
Wir enthalten uns.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Den Parteien werden mit der hier behandelten Verordnung aus dem Innenministerium alternative Möglichkeiten zur Aufstellung von Wahlbewerbern angeboten, die die Satzungen bisher nicht vorsahen. So können Versammlungen elektronisch abgehalten werden. Dies scheint auf den ersten Blick eine wesentliche Erleichterung zu sein.
Doch Vorsicht! Der Blick täuscht. Der Pferdefuß versteckt sich auf Seite 4 der Begründung der Verordnung: Zwar muss die Schlussabstimmung über die Landesliste der jeweiligen Partei schriftlich erfolgen, also durch Brief- oder Urnenwahl; aber die zur Abstimmung vorgeschlagene Liste wird durch elektronische Abstimmung vorausgewählt. Ausdrücklich erklärt das Innenministerium sogar, dass den bei der elektronischen Abstimmung unterlegenen Kandidatinnen und Kandidaten eine Teilnahme an der schriftlichen Schlussabstimmung nicht ermöglicht werden muss und dass dazu noch über die Liste dann en bloc abgestimmt werden kann.
Nein, Herr Seehofer! Man kann es auch übertreiben. Die Stimmen aus der Parteibasis, die technisch eventuell nicht so up to date sind, müssen auch in Pandemiezeiten gehört werden.
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Willensbildung muss bis zur Schlussabstimmung möglich sein und aktiv ausgeübt werden! Auch in Krisenzeiten sollte hier sorgfältig abgewogen werden, und dazu sollten wir unsere Parteien auch anhalten.
Deshalb und auch, weil wir die grundsätzliche Vorgehensweise der Bundesregierung falsch finden, hier an der üblichen Befassung des Bundestages vorbei mit Verordnungen zu agieren, werden wir dieser Rechtsverordnung nicht unsere Zustimmung geben können.
Selbstverständlich wünschen wir uns für die Parteien Möglichkeiten, in einer Pandemielage politisch zu arbeiten und Abstimmungen durchzuführen, ohne dass die Gesundheit der Mitglieder gefährdet wird. Dies darf aber eben nicht den Preis haben, dass wir manche Mitglieder ausschließen. Daher äußere ich an dieser Stelle die vorsorgliche Empfehlung an die Gliederungen meiner Partei, von den Optionen, die diese Rechtsverordnung ermöglicht, nur äußerst zurückhaltend Gebrauch zu machen.
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Es werden schwierige Abwägungen zu treffen sein, um die Coronaschutzmaßnahmen einzuhalten und zugleich eine Beteiligung aller Parteimitglieder zu gewährleisten. Die Rechtsverordnung hilft aufgrund ihrer zahlreichen rechtlichen Unklarheiten hier nicht weiter.
Diese Rechtsverordnung steht daher auch für mich symptomatisch in einer Reihe mit den Handlungen der Regierung im Umgang mit der Coronakrise. Anstatt Coronamaßnahmen wöchentlich auf den demokratischen Prüfstand zu stellen, greifen Sie seit Monaten am liebsten zum Mittel kurzfristiger Verordnungen oder faktischer Handlungen und versuchen, sich der Debatte hier im Bundestag zu entziehen. Einbeziehung und Diskussion sind allerdings das, was wir im Wahlrecht, aber auch hier im Bundestag brauchen, um Vertrauen zu erzeugen.
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Deswegen: Durchdrücken und Alternativlosigkeit sind keine Möglichkeit. Dies führt zu Misstrauen. Fangen Sie an, es anders zu machen!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Straetmanns. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade sagte der Staatssekretär aus dem Bundesinnenministerium: Was getan werden musste, ist getan. – Leider nicht, meine Damen und Herren. Leider ist es eben nicht so, weder beim Bundeswahlgesetz noch bei der Rechtsverordnung, die wir heute beschließen, dass wir alles getan haben, was möglich ist, um Ansprüche an Rechtssicherheit, Klarheit und Bestimmtheit einzulösen. Wir hätten präziser sein müssen,
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wir hätten klarer sein müssen, und wir hätten bestimmter sein müssen.
Ich bedanke mich ganz ausdrücklich für die konstruktiven Gespräche. Ich hätte mir aber gewünscht, dass auch einige unserer Vorschläge oder solche der FDP in diese Rechtsverordnung eingeflossen wären
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und dass wir ganz grundsätzlich mit einem Gesetz agiert hätten. Denn wir sind doch ein starkes Parlament, und es geht um das Wahlrecht. Deshalb haben wir von Anfang an gesagt: Meine Damen und Herren, was treibt Sie eigentlich dazu, an dieser Stelle wieder eine Rechtsverordnung zu machen? Ein Gesetz, das der Bundestag auf den Weg bringt, befristet in der Coronasituation, das wäre für ein selbstbewusstes Parlament der richtige Weg gewesen. Schade, dass wir diesen Weg nicht gegangen sind!
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Meine Damen und Herren, mit dem Ausgangsgesetz, das wir am 9. Oktober 2020 beschlossen haben, haben wir seinerzeit eine Menge an Problemen gesehen; sie haben wir auch thematisiert. So lässt es die Begrifflichkeit der Unmöglichkeit einfach an Bestimmtheit mangeln, und das ist in der Ausgangssituation ein Problem. Das ist jetzt aber die Ausgangslage. Es ist klar, dass mit Mehrheit beschlossen worden ist, dass eine Rechtsverordnung den Rest regelt. Klar ist auch, dass es hier einen Feststellungsbeschluss geben muss. Er ist erfolgt.
Wir alle wissen um die große Unsicherheit in unseren Parteien. Wir alle wissen, dass in jedem Landesverband, in jedem Kreis- und Ortsverband darüber diskutiert wird: Kann ich jetzt gerade eine physische Aufstellungsversammlung machen? Will ich dieses Risiko eingehen – für die Mitglieder, für die Kandidierenden, die kommen? – Ebenso wissen wir, dass viele zu der Auffassung kommen: Nein, in dieser Coronapandemielage tue ich das nicht. – Und: Alle sehen den Bundestagswahltermin und die Aufstellungstermine und ‑fristen. Deshalb ist es, glaube ich, richtig und notwendig, dass der Bundestag, auch wenn wir die Ausgangslage kritisiert haben, heute zur Zustimmung zu einer Rechtsverordnung kommt.
Wir hätten uns hier mehr Klarheit beim Thema Schlussabstimmung gewünscht, ebenso bei der Frage der Satzung. Ich bin froh, dass am Ende geklärt ist, dass die Landesvorstände die Entscheidungen treffen. Aber viele der Unsicherheiten sind mit den Formulierungen und auch mit dem Maßgabebeschluss der Koalition nicht ausgeräumt. Deshalb können wir uns heute zu dieser Rechtsverordnung nur enthalten.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Haßelmann. – Nächster Redner ist der Kollege Ansgar Heveling, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Ouvertüre gestern von Herrn Brandner und den Beiträgen der AfD im Innenausschuss war ja auch damit zu rechnen, dass wir heute wieder von der AfD die Mär von der Abschaffung der Demokratie auf dem Verordnungswege zu hören bekommen. Unsere Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden, aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Räuberpistole werden wir der AfD auch heute wieder nicht durchgehen lassen.
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Von daher gilt es, einige Punkte ganz in Ruhe klarzustellen – gerne auch zum Mitschreiben für die AfD; schaden tut es sicherlich nicht –:
Erstens. Es lohnt sich immer, ins Grundgesetz zu schauen. Es reicht nicht, es sich nur plakativ aufs Pult zu stellen. Dort normiert Artikel 80, was Rechtsverordnungen sind und wie sie zustande kommen dürfen. Rechtsverordnungen sind also mitnichten die Erfindung irgendwelcher finsterer Gesellen im Bundesinnenministerium zur Ausschaltung der Demokratie. Sie sind ein probates Mittel der Rechtsnormgestaltung. Und ich wage sogar die Behauptung: Ohne sie würde unser parlamentarisch-republikanisches Regierungssystem nicht wirklich funktionieren. In Artikel 80 steht auch nichts davon, dass das Wahlrecht von Verordnungen per se ausgeschlossen sei.
Alles das lernt der Jurist im Übrigen im ersten Semester des Studiums bei der Vorlesung „Staatsorganisationsrecht“. Es ist also kein Geheimnis. Aber vielleicht waren die AfDler im ersten Semester ja nicht so fleißig.
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Halten wir also fest: Verfassungswidrig ist hier gar nichts. Rechtsverordnungen sind auch im Wahlrecht zulässig und kommen – das ist mein zweiter Punkt – schon lange zum Einsatz. Wenn Sie Wahlhelfer bei der Bundestagswahl sind – gut, das setzt voraus, in einem Mindestmaß etwas für unsere parlamentarische Demokratie übrigzuhaben –, erhalten Sie eine dicke Mappe mit Papier. Die ist viel dicker als das Bundeswahlgesetz. Sie enthält nämlich die Bundeswahlordnung.
Beinahe unser gesamtes Wahlprozedere ist jetzt schon durch Verordnung geregelt, und das nicht erst seit heute. Seit dem 21. Mai 1957 gibt es entsprechende Verordnungen des Bundesinnenministers. Erlassen wird die Bundeswahlordnung im Übrigen alleine vom Minister, ohne Beteiligung des Parlaments. Wesentliche Teile unseres parlamentarisch-demokratischen Wahlprozederes werden also seit über 60 Jahren im Verordnungswege geregelt. – Gut, für Reichsbürger ist das vielleicht der Beweis, dass alle Wahlen seit der dritten Bundestagswahl verfassungswidrig waren.
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Eine andere Frage ist im Übrigen – das möchte ich ganz deutlich mit Blick auf die anderen Fraktionen sagen –, ob man es für besser hält, die Punkte der Rechtsverordnung gesetzlich zu regeln. Das ist eine Abwägungsfrage, und wir als Koalition sind zu der Auffassung gekommen, dass eine Rechtsverordnung mehr Flexibilität bietet. Gleichwohl darf ich mich herzlich bedanken, dass sich die Fraktionen in die Diskussion eingebracht haben. Die Parteien brauchen dringend Regelungen, und zwar die unterschiedlichsten.
Das alles dient dem Ziel, dass die Bundestagswahl am 26. September, die nicht verschoben werden kann, ordnungsgemäß und wie gewohnt, vor allem aber mit einer Vielfalt von Kandidatinnen und Kandidaten sowie von Parteien durchgeführt werden kann.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Heveling. – Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Frieser, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Weil es heute Abend ansonsten keiner gemacht hat, will ich mich mal herzlich beim Innenminister und seinen Kräften für die Vorlage bedanken
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und vor allem auch für das nicht ganz einfache zeitliche Umsetzen des Willens des Parlamentes zur Präzisierung, das hier immer so angegriffen wurde. Da waren auch Nachtschichten dabei.
Insofern kann ich nur sagen: Für mich war das ein sehr starker, sehr eindrücklicher Beweis dafür, dass das Parlament genau seine Wünsche geltend macht und in einem Maßgabebeschluss auch deutlich macht, wie diese Verordnung am Ende des Tages umzusetzen ist. Was kann ein besserer Beleg dafür sein, dass das Parlament seine Rechte nicht nur wahrnimmt, sondern sie auf diesem Weg auch deutlich mit einbringt? Deshalb noch mal herzlichen Dank dafür!
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Es ist ein neues Terrain. Wir nehmen einen Fall an, den wir noch nicht sehen können. Stellen Sie sich vor, dass wir wirklich, was Gott verhindern möge, hohe Infektionszahlen haben werden; im Augenblick sehen wir sie Gott sei Dank wieder etwas nach unten gehen. Aber wir reden alle in diesem Land zum Beispiel über eine Mutation des Virus. Es kann gut sein, dass uns auf dem Weg, den wir vor uns haben, auch noch die eine oder andere dunkle Phase droht. Dafür ist es auch wichtig, dass wir möglichst flexibel sind.
Da fängt es verfassungsrechtlich an problematisch zu werden. Es ist ein ganz schmaler Grat zwischen der Frage der Selbstorganisationshoheit der Parteien auf der einen Seite – sie dürfen selbst entscheiden, wie sie ihre Wahlen und Aufstellungsversammlungen durchführen – und auf der anderen Seite dem hohen Gut des verfahrensrechtlichen Anspruches des Artikels 38 des Grundgesetzes im Hinblick auf Transparenz und Kontrolle. Das muss alles erfüllt sein.
Insofern ist es nicht etwa eine leichte Geste, mit einer Briefwahl, mal so dahingesagt: Wir stellen jetzt mal ein paar Bewerber auf. – Es ist ein bedeutendes Verfahren, das Überprüfungen auch standhalten muss, das in der Lage sein muss, Mitgliedsrechte zu wahren, jedem Vorschläge zu machen, um am Ende des Tages trotzdem rechtssicher und unangreifbar zu einem Ergebnis zu kommen. Kein leichter Weg!
Wir alle sind als Parteien auf die Präsenz angewiesen. Wir wollen miteinander vor Ort Politik machen und auch Kandidaten aufstellen. Deshalb ist es, wo immer es geht, der leichtere Weg und der sicherere Weg. Aber auch an dieser Stelle müssen wir uns für eine Herausforderung wappnen. Das hat das Parlament mit einem deutlichen Willen, mit einer starken Stimme, wie in den letzten acht, neun Monaten auch, getan. Deshalb, glaube ich, können wir den Bürgern mit Fug und Recht sagen: Die Arbeit haben wir bewältigt. Ihr könnt, auch wenn es noch so dicke kommt, eure Rechte für eine Wahl am 26. September wahrnehmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Frieser. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir sind in großer Sorge, weil es Zigtausende Unternehmerinnen und Unternehmer gibt, die mit dem Rücken zur Wand stehen, die durch staatlich verfügte Schließungen ihrer Geschäfte, ihrer Hotels, ihrer Gastronomiebetriebe jetzt nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen. Daran hängen im vielgerühmten Mittelstand Zigtausende Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Meine Damen und Herren, viele dieser Menschen wenden sich derzeit an uns, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehen; denn die Hilfen, die die Regierung großspurig versprochen hat, kommen nicht an. Man kann sagen: Die Hilfen – zu spät, zu wenig, zu bürokratisch. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren.
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Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Wir verstehen nicht, warum das Modell, das mein Kollege Christian Dürr entwickelt hat – die negative Gewinnsteuer, der Verlustrücktrag –, nicht endlich umgesetzt wird. Gewerkschaftsnahe Ökonomen halten das Modell für richtig, das Institut der deutschen Wirtschaft hält es für richtig, viele Verbände halten es für richtig, mehrere Fraktionen hier im Haus halten es für richtig; es wäre für den Staat auch ein Nullsummenspiel. Wir verstehen nicht, warum sich der Finanzminister Scholz hier noch wehrt. Wir fordern an dieser Stelle: Macht den Weg frei für Verlustrückträge! Dann kommt die Liquidität bei den Betrieben über das Finanzamt an.
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Mit unserem Antrag wollen wir zu dem Verlustrücktrag, zu der negativen Gewinnsteuer ein Modell hier vorstellen: das Kieler Modell – Professor Felbermayr hat es mit Kollegen entwickelt –, das darüber hinaus zielgenauer als bisher die Hilfe zu den Betroffenen bringt. Denn wir haben ein einziges Wirrwarr; wir haben ein Antragschaos. Bei der Soforthilfe sind von 50 Milliarden Euro nur 14 Milliarden Euro ausgezahlt worden. Bei den Überbrückungshilfen I und II, die auf Fixkosten basieren, sind von 25 Milliarden Euro nur 2,8 Milliarden Euro abgerufen worden. Die Novemberhilfen konnten erst im Dezember beantragt werden und sind bei den meisten überhaupt noch nicht angekommen.
Lasst uns dieses Wirrwarr beenden! Diese drei unterschiedlichen Hilfen ersetzen durch eine Hilfe, die sich am Rückgang des Betriebsergebnisses orientiert, das wäre der richtige Maßstab. Unbürokratisch, schnell, zielgenau – das ist das Kieler Modell, das die FDP hier heute beantragt.
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Wir bitten Sie, dass Sie dem zustimmen.
Herr Kollege Theurer, darf ich Sie kurz unterbrechen? ich würde die Kolleginnen und Kollegen im hinteren Teil des Plenarsaals bitten, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen, weil es unerträglich ist, die Lautstärke der Unterhaltung hier vorne wahrnehmen zu müssen. – Ganz kleinen Moment, Herr Kollege Theurer. – Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich von Ordnungsmaßnahmen Gebrauch machen werde, wenn meiner Bitte keine Folge geleistet wird.
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– Das gilt auch für Sie, Herr Kollege Dehm. – So, Herr Kollege Theurer, Sie können fortfahren, bitte.
Vielen Dank; das erleichtert es mir als Redner. – Ich möchte zusammenfassend an der Stelle darauf hinweisen: Die bisherigen Hilfen diskriminieren zwischen Fremd- und Eigenkapital. Wenn jemand zum Beispiel sich etwas vom Mund abgespart hat, etwa die Friseurin das Geld für den Friseursalon, dann wird die Person schlechtergestellt als eine Mieterin oder ein Mieter. Der Mittelstand geht im Antragsdickicht verloren. Wir sagen: Bündelt die Hilfen beim Finanzamt! Das Finanzamt hat alle Daten. Es hat die Steuerbilanz. Warum, um Gottes willen, müssen die Unternehmen jetzt auch noch eine Subventionierungsrechnung vorlegen, zusätzlich zu dem, was sie sowieso schon alles machen müssen? Baut diese unnötige Bürokratie ab! Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Das leistet das Kieler Modell, das die FDP in den Deutschen Bundestag einbringt.
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Meine Damen und Herren, damit entsteht ein Stück weit eine Entschädigung für den Staatseingriff der Schließung von Betrieben. Der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier weist darauf hin, dass es einen Rechtsanspruch auf die Hilfen geben sollte. Die FDP hat das im November beantragt. Herr Papier sagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Ein „Sonderopfer zum Wohle der Allgemeinheit“ sei nicht gerechtfertigt. Kein Rechtsanspruch auf Hilfen sei „aus rechtsstaatlichen Gründen … fragwürdig“. Meine Damen und Herren, auch hier haben wir mit dem Kieler Modell eine Lösung. Ich hoffe, dass wir hierfür im Deutschen Bundestag endlich eine Mehrheit finden – im Interesse der betroffenen Unternehmen und ihrer Beschäftigten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Theurer. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, richte ich meine herzliche Bitte noch einmal insbesondere an Kollegen der Fraktionen von CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen, dem Redner zu folgen und die Gespräche einzustellen. Das ist meine letzte Bitte. Als Nächstes werde ich, wie gesagt, von den Möglichkeiten der Geschäftsordnung Gebrauch machen.
Nächster Redner ist für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Bareiß.
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Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Theurer, wie immer: Gut gebrüllt, aber leider hat es in vielen Punkten nichts gebracht. Teilweise haben Sie leider auch falsche Zahlen genannt und falsche Angaben gemacht. Sie konnten mit Ihrem Ansatz nicht zeigen, dass das Kieler Modell den Unternehmen besser hilft.
Ich glaube, wir sind derzeit sehr gut unterwegs. Wir haben sehr viel auf den Weg gebracht. Wir versuchen, die Unternehmen, die wirklich schwer unter der Krise leiden, gut durch die Krise zu bringen. Wir versuchen, Strukturen zu bewahren und den Mittelstand zu sichern. Das ist unser Auftrag. Die Verantwortung hierfür nehmen wir auf uns.
Ich frage mich: Wo sind die Kollegen der FDP auf der Bundesratsbank: der Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Herr Buchholz, Herr Pinkwart aus NRW oder der Herr Wissing, der FDP-Generalsekretär, aus Rheinland-Pfalz? Denn zur Wahrheit gehört, dass auch die Länder ein entscheidender Baustein sind. Für die gemeinsamen Hilfepakete von Bund und Länder übernehmen wir die Koordinierung. Wir versuchen im Bund, Programme auf den Weg zu bringen und Gelder schnell zur Verfügung zu stellen. Die Länder sind vor Ort für die Koordination verantwortlich, damit die Hilfen auch ankommen.
Ich möchte ein praktisches Beispiel nennen, wie wir versuchen, die Hilfen auf den Weg zu bringen. Wir haben ganz konkret gesagt, dass wir die Novemberhilfe, die auch Thema in Ihrer Rede war, relativ schnell vor Ort ankommen lassen. Wir haben in der Ministerpräsidentenkonferenz Ende Oktober den Teil-Lockdown für November beschlossen. Innerhalb weniger Tage haben wir eine entsprechende Software auf den Weg gebracht und am 25. November das Antragsportal für die Novemberhilfe online gestellt. Die Anträge konnten noch im November gestellt werden. Wir haben ganz klar gesagt: Wir müssen im November Abschlagszahlungen leisten, damit die Mittelständler das Geld haben, um in den nächsten Wochen sicher zu bestehen.
Leider waren die Länder nicht in der Lage, relativ schnell ein System aufzubauen, das garantiert, dass die Abschlagszahlungen innerhalb von wenigen Tagen geleistet werden können. Deshalb hat der Bund die Haftung übernommen. Er hat gesagt: Der Bund übernimmt über die Bundeskasse die Auszahlung. Damit ist gewährleistet, die Menschen zu versorgen.
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Es hat auch funktioniert. Wir haben innerhalb von zwei Tagen die Abschlagszahlungen ausgezahlt und die Menschen mit neuer Liquidität versorgt. Auch das zeigt: Wir haben im Bund schnell Verantwortung übernommen.
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Wir haben Sicherheit geschaffen. Damit haben wir gezeigt, dass wir die Verantwortung wahrnehmen, die wir auf uns genommen haben.
Darüber hinaus haben wir die tatsächliche Auszahlung ab dem 13. Januar sichergestellt. Auch da ist die Situation nicht so schlecht, wie sie immer dargestellt wird. Innerhalb von sechs Wochen konnten wir die Spitzabrechnung vorlegen. Wir konnten die Menschen mit den endgültigen Geldern versorgen. Auch das zeigt, dass wir wirklich alles tun, um für eine schnelle Antragstellung und auch für eine schnelle Bearbeitung zu sorgen und um die Unternehmen innerhalb von sechs Wochen mit dem Geld zu versorgen, das sie so dringend benötigen.
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Die Hilfen müssen unbürokratisch sein; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das haben wir mit der Auszahlung der Soforthilfe ganz zu Beginn gezeigt.
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Zu Beginn der Pandemie haben wir relativ schnell innerhalb von wenigen Tagen ein System auf den Weg gebracht, das gerade den kleinen Unternehmen hilft. Wir haben 9 000 bzw. 15 000 Euro zur Verfügung gestellt. Noch am gleichen Tag, an dem wir hier im Haus das Vorliegen einer Pandemie festgestellt haben, haben wir es geschafft, Hilfen auf den Weg zu bringen. Ab dem 25. März, 9 Uhr, konnten die Menschen einen Antrag stellen, und wenige Tage später war das Geld auf ihrem Konto.
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Auch das zeigt, dass wir gerade den kleinen und mittelständischen Unternehmen schnell helfen. Das war ein ganz wichtiger Punkt.
Die Coronahilfen umfassen derzeit insgesamt sechs große Programme, unter anderem für Darlehen, Zuschüsse, Versicherungen. Mit dem WSF, der wiederum für größere Unternehmen da ist, wird Eigenkapital gesichert. Für alle Bereiche der deutschen Wirtschaft, die sehr vielfältig sind, haben wir Programme auf den Weg gebracht. Wir haben bisher 80 Milliarden Euro ausgezahlt. 80 Milliarden Euro! Das sind 52 Millionen Euro jeden Tag seit Beginn der Pandemie an konkreten Hilfen für die Unternehmen. Darüber hinaus wurde Kurzarbeitergeld in Höhe von rund 23 Milliarden Euro ausgezahlt. Das zeigt, dass wir schon sehr viel gemacht haben und dass wir unserer Verantwortung gerecht werden.
Herr Kollege Bareiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dürr?
Sehr gerne.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
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Herr Kollege Bareiß, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben eben von 80 Milliarden Euro gesprochen. Das könnte den Eindruck erwecken, dass bis heute Zuschüsse in Höhe von 80 Milliarden Euro geflossen sind. Wie viel sind, Stand heute, tatsächlich an Zuschüssen – ich rede nicht von Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen – durch den Bund an die Unternehmen in Deutschland geflossen? Nennen Sie mir die Zahl!
Es sind circa 24,5 Milliarden Euro.
Es sind laut Ihren eigenen Angaben 20,1 Milliarden Euro. Ich will das in aller Klarheit sagen, Herr Bareiß.
Herr Kollege Dürr.
Sie arbeiten mit falschen Zahlen!
Herr Kollege Dürr!
Es sind meiner Ansicht nach rund 24 Milliarden Euro; aber wir können das gerne noch einmal prüfen. Sie setzen sich zusammen aus 14 Milliarden Euro Soforthilfen, den Überbrückungshilfen I, II und III und den Abschlagszahlungen für die November- und Dezemberhilfe. Das ergibt insgesamt eine Summe von 24,5 Milliarden Euro – ich kann es Ihnen gerne schriftlich nachreichen –, und es wird jeden Tag mehr, weil wir ab dem 13. Januar die Novemberhilfe spitz abgerechnet auszahlen. Wir werden in den nächsten Tagen beginnen, die Dezemberhilfen auszuzahlen. Die Auszahlungen werden bald erfolgen.
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Wir haben im globalen Vergleich einen Spitzenplatz; das möchte ich betonen. Wir haben in Deutschland derzeit ein Programmvolumen von 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. 40 Prozent! Das ist Spitze in der Welt. In Frankreich und Großbritannien liegt das Volumen bei unter 30 Prozent des BIP. Die USA haben nur 15 Prozent ihres BIP an Hilfen angeboten, Spanien nur 13 Prozent des BIP.
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Das zeigt, dass wir umfangreiche Hilfen zur Verfügung stellen. Das können wir übrigens deshalb, weil wir in den letzten Jahren vorgesorgt haben. Wir haben zehn starke Jahre hinter uns. Dadurch waren wir als Bundesregierung jetzt in der Krise handlungsfähig. Wir konnten unsere Reserven zur Verfügung stellen.
Ohne Frage: Es muss schneller gehen, auch in den nächsten Wochen. Die Novemberhilfen mit den größeren Beträgen müssen relativ schnell programmiert werden. Die nächsten zwei Wochen brauchen wir, um das Programm für die großen Unternehmen auf den Weg zu bringen. Ab Mitte Februar soll die Auszahlung erfolgen. Auch die verbesserte Überbrückungshilfe III ist eine ganz wichtige Säule und muss relativ schnell auf den Weg gebracht werden.
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Hier haben wir ein ganz wichtiges Moment für den Einzelhandel, der gerettet werden muss. Es geht um Zukunftsfragen. Auch hier ist die Aufgabe, die Strukturen in wichtigen Bereichen unserer Gesellschaft zu bewahren. Das ist unser großes Ziel, um den Menschen in dieser Krise Sicherheit zu geben. Wir setzen die Hilfe konsequent um. Wir versuchen, die Maßnahmen relativ schnell auf den Weg zu bringen, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.
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Meine Damen und Herren, es ist richtig: Wir befinden uns in einer ganz schweren Phase der Krise. Das Gesamtstimmungsbild ist schwierig. Wir brauchen jetzt relativ schnell Perspektiven und Planungssicherheit. Jede Woche wird es besser: mit dem Impfen und auch mit dem Sommer. Wir werden Licht am Horizont sehen. Es ist für die Wirtschaft ganz wichtig, dass in den nächsten Wochen wieder geöffnet werden kann, dass Perspektiven geschaffen werden können und dass wir aus der Krise gestärkt hervorgehen.
In diesem Sinne: Wir übernehmen Verantwortung. Wir setzen auch in den nächsten Wochen unsere ganze Kraft ein.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich nehme den Zwischenruf aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von vorhin mit Wohlwollen entgegen. Es wird keine weiteren Zwischenfragen und Kurzinterventionen mehr geben. Wir sind bereits bei 23.30 Uhr. Wir wollen die Sitzung noch heute schließen.
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Nächster Redner ist der Kollege Enrico Komning, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr Staatssekretär Bareiß, Sie tun mir ja immer so ein bisschen leid, wenn Sie den Mist, den der Minister verzapft, hier wie auch im Ausschuss ausbaden müssen. Das ist immer sehr bedauernswert.
Ich habe Ihnen im Übrigen richtige Zahlen mitgebracht. Sie haben ja Herrn Theurer vorgeworfen, die falschen Zahlen zu haben. Ihnen wiederum wurde auch vorgeworfen, falsche Zahlen zu haben. Ich habe heute richtige Zahlen dabei, Zahlen, die ganz klar erkennen lassen, dass hier ein Versagen der Bundesregierung vorliegt. Denn die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten sehr eindrucksvoll bewiesen, dass sie Krise nicht kann.
Mit großen Versprechen wurden die Unternehmer und die Arbeitnehmer beruhigt, ja sogar ruhiggestellt. Und ich will den jetzt schon ausgelatschten Bazooka-Rohrkrepierer-Vergleich gar nicht mehr bemühen. Aber das von der Bundesregierung zu verantwortende Coronahilfenchaos wird nicht nur Nerven kosten, sondern zusätzlich auch viele selbstständige Existenzen und Arbeitsplätze, und das, meine Damen und Herren, ist nicht hinnehmbar.
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Und wenn ich dann an Herrn Altmaiers frühe Märchenstunde von heute Morgen denke, dann muss ich ihn doch wirklich fragen, in welcher Welt er eigentlich lebt. Ich komme aus einer Welt mit kleinen Handwerksbetrieben, mit Betreibern von Ferienpensionen, Autowerkstätten, Buchläden und Heimatmuseen. Und da, meine Damen und Herren, erwartet niemand mehr ein solides Wachstum in diesem Jahr, vielmehr das Ende der beruflichen Existenz. Und es ist schon ein Hohn, wenn die Regierung niedrige Insolvenzzahlen als Erfolg anführt, wenn sie doch selbst die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt hat und die Aussetzung auch immer weiter verlängert.
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Um sich das Ausmaß des Regierungsversagens mal klarzumachen, muss man nur die Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft bemühen, die zeigt, dass Ende 2020 von den Überbrückungshilfen I und II erst 8 Prozent der Gelder abgeflossen waren, bei den November- und Dezemberhilfen zum Jahresende wegen der bekannten IT-Probleme – wir hatten es auch im Ausschuss angesprochen – sogar nur 4 Prozent.
Und das Chaos, Herr Bareiß, ist hausgemacht. Wurde ursprünglich der Ersatz von Umsatzausfällen versprochen, sind es auf einmal – auf Druck aus Brüssel – nur noch die Fixkosten. Die Folge: Die Anträge sind falsch; bereits ausgezahlte Hilfen müssen zurückgezahlt werden. Steuerberaterkosten schießen deshalb in die Höhe, und viele Kleinstunternehmer und Freiberufler, deren Hauptkosten das eigentliche Gehalt ist, gucken ganz in die Röhre.
Meine Damen und Herren, Coronahilfen sind Schadensersatz, Ersatz für Schäden, an denen die Bundesregierung zum großen Teil selbst schuld ist.
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Und die Schäden bestehen eben nicht nur aus Fixkosten. Ich komme nicht umhin, die Briten darum zu beneiden, dass sie eben nicht mehr Brüssel fragen müssen, bevor sie etwas für ihr Land tun dürfen.
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Insoweit ist vieles in dem FDP-Antrag richtig und vernünftig. Die Ausrichtung der Überbrückungshilfen muss sich an den kleinen Unternehmen messen und nicht nur die Kosten, sondern auch einen anständigen Unternehmerlohn berücksichtigen. Und auch Anreize zur eigenen Krisenbewältigung zu setzen, hilft, Missbrauch vorzubeugen.
Es wurde heute schon mehrfach, zu Beginn auch von dem Kollegen Theurer, angesprochen: Die Ausweitung der steuerlichen Verlustrückträge zur schnellen und unbürokratischen Liquiditätssicherung auf Unternehmerseite und die unbefristete Senkung der Mehrwertsteuer zur Stärkung der Nachfrageseite könnten vielleicht noch das Schlimmste verhindern.
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Mir fehlen im FDP-Antrag allerdings Schwerpunkte, die auf eine Lockdown-Exit-Strategie zielen. Denn die einzige wirkliche Breitenwirkung entfaltende Coronahilfe ist der Ausstieg aus dem Lockdown, und das jetzt sofort.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Komning.
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich daran erinnern, dass die laufende Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 21 um 22.05 Uhr beendet sein wird. Also: Sie haben noch circa zehn Minuten Zeit, an der namentlichen Abstimmung teilzunehmen. Um 22.05 Uhr werden die Urnen geschlossen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Poschmann, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal frage ich mich, mit welcher Intention hier Themen diskutiert werden. Mit Verwunderung lese ich die populistische Wortwahl der FDP: „Chaos bei den Überbrückungshilfen“.
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Was bezwecken Sie damit in der Krise? Verstehen Sie mich nicht falsch: Kritik ist angebracht, in jeder Lebenslage. Aber ist es richtig, jetzt die zum Teil verunsicherte Wirtschaft durch solche Sachen noch weiter zu verunsichern?
Ich frage mich auch, welches Chaos Sie beenden wollen. Deutschland steht wirtschaftlich gegenüber anderen EU-Staaten relativ gut da. Das Gleiche gilt für den Arbeitsmarkt. Mehrere Faktoren tragen dazu bei: die robuste Wirtschaft, keine Einschränkung im Warenhandel und – Volkswirte bestätigen es; hört! hört! – die Entschlossenheit der Bundesregierung.
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Dazu gehören finanzielle Hilfen für Unternehmen und die Kurzarbeit.
Schauen wir mal auf die Abfolge der Hilfen. An den Soforthilfen gab es nichts zu meckern, außer leider den Missbrauch weniger. Danach folgten die Überbrückungshilfen I bis III und die November- und Dezemberhilfen als außerordentliche Wirtschaftshilfe. Veränderte Rahmenbedingungen, Branchengespräche, Abstimmungen in den Ländern führten zu Anpassungen. Das war – müssen wir doch zugeben – für uns alle ein Lernprozess, und natürlich braucht das auch Zeit. Aber, meine Damen und Herren, das ist mein Verständnis von Demokratie: Anhörung der Betroffenen und die Prozesse weiterentwickeln.
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Nach den Beschlüssen folgte die Umsetzung durch das Wirtschaftsministerium samt Programmierung. Natürlich habe auch ich den Wirtschaftsminister gefragt: Geht es nicht etwas zügiger? – Ich kann Unternehmen verstehen, denen es nicht schnell genug geht; denn ihre Liquidität liegt langsam bei null. Sie kämpfen ums Überleben. Aber die Gelder, die bei den Unternehmen ankommen, steigen stetig; das muss man jetzt mal feststellen.
Ich habe, als Beispiel, bei der Bearbeitungsstelle NRW mal nachgefragt:
Erstens. Die Überbrückungshilfen II sind zu über 90 Prozent ausgezahlt.
Zweitens. Die November- und Dezemberhilfen sind durch die Abschläge ausgezahlt. Auch die Spitzabrechnung läuft mittlerweile, und auch hier kommt es zur Auszahlung.
Drittens. Die Überbrückungshilfe III soll kurzfristig – was heißt „kurzfristig“? – mit Abschlägen erfolgen, leider erst im Februar. Ich hoffe, auch hier bekommen wir noch etwas Beschleunigung hin. Aber eventuell sollen drei Monate gleichzeitig als Abschlag laufen. Auch das würde Liquidität in die Unternehmen spülen, und das würde den Unternehmen Hoffnung und Mut geben und nicht Unsicherheit.
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Unterstützt wird das Ganze natürlich hoffentlich durch mehr Impfstoff, in größeren Mengen, der zur Verfügung steht – und das Ganze auch noch beschleunigt. Schlimm wäre es, meine sehr geehrten Damen und Herren, das System jetzt auf den Kopf und wie beim FDP-Antrag rückwirkend bis November wieder auf eine ganz andere Basis zu stellen. Das trägt nicht gerade zur Beschleunigung bei. Im Gegenteil: Das, meine Damen und Herren, wäre Chaos.
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Wenn man mal nachliest, stellt man fest: Es ist von den Wissenschaftlern des Kieler Modells auch gar nicht so gedacht, sondern es ist ein Denkmodell für zukünftige Krisen. Wir können über alles sprechen. – Unbürokratisch ist das Kieler Modell aber im Übrigen auch. Ich wollte mir schon den Spaß machen und an dieser Stelle mal eine Passage vorlesen. Aber ich erspare uns das; denn zu dieser Zeit würde uns das, glaube ich, den Rest geben.
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Wo wir aber umsteuern müssen, meine Damen und Herren, ist beim Thema Kommunikation. Denn ich denke, das hat zur Unsicherheit beigetragen und an unserer Glaubwürdigkeit gekratzt. Wenn wir uns hinstellen und sagen: „Das Geld steht bereit“, dann heißt das für die in Not geratenen Unternehmen: Das Geld ist in den nächsten Tagen eventuell auf dem Konto. – Hier braucht es eine klare Mitteilung, wann Unternehmen mit der Zahlung rechnen können; denn die Existenz hängt davon ab.
Zum Schluss möchte ich das Wirtschaftsministerium dazu auffordern – man redet gerade, höre ich; ich sehe es gar nicht – –
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Ich würde Sie an dieser Stelle gerne dazu auffordern – ich habe es schon einmal getan –, einen Ansatz für den Wiedereinstieg der Unternehmen zu erarbeiten: Also wann und zu welchen Bedingungen sind zum Beispiel Veranstaltungen wieder möglich oder können auch Geschäfte wieder öffnen? Natürlich ist das von den Auswirkungen des Virus abhängig; das wissen wir alle. Aber auch hier müssen wir Unternehmen und damit auch Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen eine Perspektive bieten, und damit meine ich: bundeseinheitlich.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Poschmann. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde eine durchaus sinnvolle Debatte, bei der wir über die Coronahilfen reden; denn jeder von uns bekommt ja jeden Tag Hunderte, Dutzende oder wie viele Anfragen auch immer von Händlern, von Selbstständigen, die vor großen wirtschaftlichen Problemen stehen, die oftmals auch ihre Existenz bedroht sehen und teilweise über ganz schlimme Dinge berichten.
Herr Bareiß, Sie haben sich hierhingestellt und so getan, als wäre alles wunderbar, hier Zahlen präsentiert, die hinten und vorne nicht stimmen. Heute Mittag hat doch die Regierungskoalition hier den Offenbarungseid geleistet: Sie haben sich heute Mittag hierhingestellt und haben das Insolvenzrecht verändert. Weil Sie wissen, dass viele Firmen vor dem Ende ihrer Existenz stehen, und weil Sie mit den Coronaauszahlungen nicht nachkommen, mussten Sie die Antragsfrist verändern, damit das nicht der Grund ist für die Insolvenz. Das war doch heute Mittag im Prinzip der Beweis dafür, dass die Coronahilfspolitik vollkommen gescheitert ist.
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Und da hat Ihr Haus natürlich eine große Mitschuld.
Aber, liebe FDP, ich lasse Sie hier nicht so einfach davonkommen. Sie sprechen im Titel Ihres Antrags von „Chaos“. Und wo es Chaos gibt, gibt es Chaoten; das muss ja so sein. Jetzt haben wir den einen oder anderen Chaoten im Wirtschaftsministerium hier in Berlin. Aber als jemand, der aus Rheinland-Pfalz kommt, der die Coronahilfspolitik in Rheinland-Pfalz gesehen hat, das, was der Generalsekretär der FDP, Volker Wissing, zu verantworten hat, will ich Ihnen einmal sagen: Er ist beim Chaotisieren genauso stark wie Herr Altmaier.
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Insoweit bin ich gerade froh, dass Ihre wirtschaftspolitische Wunderwaffe Volker Wissing hier nicht sitzt und hier die Verantwortung zu tragen hat; denn dann wären wir wahrscheinlich noch viel schlechter dran. Es fängt schon bei der Coronasoforthilfe in Rheinland-Pfalz an. Die kam für viele viel zu spät. In keinem Bundesland ist die Coronasoforthilfe so spät ausgezahlt worden wie in Rheinland-Pfalz.
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Und, ganz nebenbei, weil Sie immer behaupten, sich für den Mittelstand einzusetzen: Rheinland-Pfalz hat keinen einzigen Euro draufgelegt auf die Bundesmittel. Das macht die FDP mit dem Mittelstand. Wenn es nach Ihnen ginge, hätten wir heute hunderttausend Arbeitslose mehr.
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Denn Sie waren auch gegen Konjunkturpakete, und Sie waren auch gegen die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. Das ist die Wahrheit; die muss hier an diesem Abend auch angesprochen werden.
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Und es geht gerade so weiter, Herr Bareiß. Groß angekündigt wurde diese Woche mal wieder die Überbrückungshilfe III. Und dann haben Sie erklärt, Sie hätten jetzt verstanden, der Einzelhandel braucht Hilfe bei den verderblichen Waren, bei der Saisonware. Als ich Sie im Ausschuss darauf angesprochen habe, wie das denn umgesetzt wird, gaben Sie mir gegenüber offen zu: Wir sind da im Ministerium blank, wir sind mit Fragen konfrontiert und wissen gar nicht, wie wir es umsetzen wollen. – Sie haben jetzt wieder nach außen signalisiert, in die Bevölkerung, in die Unternehmerschaft: Wir können da etwas tun. – Aber Sie haben keinen Plan, wie Sie es umsetzen wollen. Und so geht es immer, Woche für Woche weiter.
Dieses Wirtschaftsministerium ist ein Schwachpunkt in dieser Coronahilfspolitik. Und deshalb: Herr Altmaier muss sich nicht wundern, wenn Herr Merz sagt: Dieser Mann gehört ausgetauscht. – Rein rechnerisch muss es die halbe Unionsfraktion auch so sehen. Deshalb: Kommen Sie erst einmal aus dem Pott, und belobigen Sie sich hier nicht auch noch für diese falsche Politik! Die Unternehmer in diesem Land, viele Soloselbstständige sind am Existenzminimum, brauchen Hilfe, schnelle Hilfe. Das, was Sie machen, ist eine Verzögerung, die viele Existenzen und viele Arbeitsplätze kosten wird. Wir Linke haben das von Anfang an kritisiert.
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Herr Kollege, kommen Sie freundlicherweise zum Schluss.
Ein allerletzter Satz. – Wir als Linke haben von Anfang an gesagt: Gerade für die Soloselbstständigen und die Kleinunternehmer brauchen wir den Unternehmerlohn. Es ist unwürdig, dass sie zu Hartz IV überwiesen werden. Dieser Unternehmerlohn ist hier auch mal diskutiert worden. Sie haben ihn abgelehnt.
Kollege Ulrich, bitte.
Das ist eine soziale Verwerfung. Deshalb: Machen Sie endlich mal Ihre Hausaufgaben!
Vielen Dank.
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Herr Kollege Ulrich, erlauben Sie mir die Anmerkung: Ich glaube, auch in Rheinland-Pfalz gehen die Uhren wie im Rest der Republik und nicht anders.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Minister Altmaier hat gestern im Ausschuss betont, wie wichtig Verlässlichkeit für Unternehmen sei. Ich fand das, ehrlich gesagt, schon fast frech; denn seit Monaten fordern ich und meine Kolleginnen und Kollegen ihn und Minister Scholz genau dazu auf, endlich für Planungssicherheit für die Unternehmerinnen und Unternehmer durch langfristig angelegte Coronahilfen zu sorgen.
Ihre kurzfristigen Hilfszeiträume, die immer neuen Programme und – Frau Poschmann hat es auch zugegeben – die mangelhafte Kommunikation haben dazu geführt, dass wir eine große Verunsicherung und einen großen Vertrauensverlust in die Politik haben; denn die Unternehmer/-innen können kaum abschätzen, wie hoch die zu erwartenden Hilfen sind. Und dann die Angst, vielleicht auf den Beantragungskosten sitzen zu bleiben. Und dann: Wann kommen die Gelder? In welcher Höhe kommen sie? Und: Müssen sie vielleicht zurückgezahlt werden? Das ist ja das, was wir jetzt momentan haben: Dadurch, dass nachträglich FAQs geändert wurden und nicht richtig kommuniziert wurde, wie das Beihilferecht aussieht, wird es so sein, dass viele ihre Mittel zurückzahlen werden; und das ist nicht hinzunehmen.
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Dieses Chaos – ja, ich benutze dieses Wort – ist von Ihnen hausgemacht.
Es ist schlicht und ergreifend in so vielen Sachen etwas verpasst worden, nicht nur bei den Hilfen; darüber haben wir ja im Frühjahr zum ersten Mal gesprochen. Wir haben Sie bereits im Sommer gebeten, eine Form von Pandemiewirtschaft aufzusetzen, dass wir wirklich das Thema Impfstoffproduktion angehen, dass wir das Thema Maskenproduktion angehen. Was ist passiert? Nichts. Wir haben Zeit verloren, weil Sie nicht zugehört haben.
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Sie haben ein Chaos veranstaltet; und das ist nicht hinnehmbar.
Wie prekär die Situation ist, sieht man zum Beispiel bei den Soforthilfen: 13,7 Milliarden Euro Soforthilfen wurden ausgezahlt. Bis jetzt wurden davon bereits 567 Millionen entweder zurückgezahlt oder werden zurückgefordert. Und das läuft – entgegen der Aussage des Ministers – eben nicht immer mit Augenmaß ab. Wer sich davon überzeugen will: Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland hat Fälle von Rückforderungen zusammengetragen und solche, wo Menschen jetzt wegen Subventionsbetrug strafverfolgt werden. Es ist wirklich unfassbar, was das für Gründe sind. Da ist eine Nachbesserung dringend notwendig; denn es tut unserer Gesellschaft nicht gut, wenn engagierte Unternehmer/-innen, die aufgrund mangelnder Kommunikation, aufgrund falscher Information Dinge missverstanden haben, jetzt kriminalisiert werden. Ich bitte Sie, hier wirklich mit Augenmaß vorzugehen. Die Rückzahlung ist für die meisten bereits Strafe genug.
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Zum Thema Kommunikation: Sie reden an jeder Stelle von Fixkosten. Es sind aber nicht die Fixkosten, es sind die ungedeckten Fixkosten. Das ist ein himmelweiter Unterschied und hat Auswirkungen auf die Höhe. Sie versprechen etwas – Sie reden von schneller und umfassender Hilfe –, und wenn man sich dann die Details anschaut, muss man feststellen: Genau das wird nicht erfüllt.
Und dann das Petitum. Sie lassen die Selbstständigen, die Gründer/-innen, die Unternehmer/-innen im Stich. Es gibt keine Anrechnung der Lebenshaltungskosten, es gibt keine Anerkennung der Krankenkassenkosten. Was Sie für diese Gruppe haben, sind warme Worte und sonst nichts. Und das haben die Menschen in diesem Land nicht verdient.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Mit diesen Worten und dem Nachfolgehinweis, dass der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion, angesichts der fortgeschrittenen Zeit seine Rede – wie ich finde: vorbildlich –zu Protokoll gegeben hat
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 13. Bundesimissionsschutzverordnung leistet schon seit den 80er-Jahren einen wichtigen Beitrag zu sauberer Luft. Sie ist notwendig für den Schutz von Umwelt und Gesundheit, und sie setzt den Rahmen dafür, dass die großen industriellen Anlagen zur Energieumwandlung auf dem aktuellen Stand der Technik sind. Das gilt für alle größeren kohle-, gas- oder ölbetriebenen Wärmekraftwerke, für größere Blockheizkraftwerke, Gasturbinen sowie Verbrennungsmotoren.
Bei diesen Anlagen gehen wir mit dem heute vorliegenden Verordnungsentwurf weiter. Im Mittelpunkt der 13. Bundesimissionsschutzverordnung stehen die Emissionsgrenzwerte für Staub, Quecksilber, Kohlenmonoxid, Stickstoff, Stickoxide, Schwefeloxide, Formaldehyd und Methan. Zugleich werden die Grenzwerte für Methanemissionen aus Gasmotorenkraftwerken sowie für den Ausstoß von Stickstoffoxid zum Beispiel aus Kohlekraftwerken gesenkt. Das ist ein wichtiger, notwendiger und anspruchsvoller Beitrag zur Minderung der Luftschadstoffe aus Industrieanlagen.
Künftig sinkt etwa der Tagesmittelwert für Quecksilberemissionen von 30 auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Abgasluft. Zusätzlich werden dem Stand der Technik angemessene Jahresmittelwerte für Quecksilberemissionen von Großfeuerungsanlagen eingeführt, die sich zum Beispiel nach der Art der Kohle, dem Alter oder der Größe der Anlage richten. Denn jede Anlage soll nicht weniger als das leisten, was technisch möglich und ökonomisch sinnvoll ist.
Auch deswegen haben wir die Betreiber, die Stakeholder von Anfang an bei den Vorarbeiten miteinbezogen, mitbeteiligt, uns mit ihren Anregungen und Einwänden auch intensiv auseinandergesetzt, auch mit denen der Umweltverbände natürlich. Diejenigen, die bei der praktischen Umsetzung jetzt gefordert sind, haben sich also bei der Ausgestaltung umfassend eingebracht und wissen jetzt auch, was auf sie zukommt.
Es ist mir wichtig, dabei zu betonen, dass die vorliegende Verordnung alle Anforderungen der europäischen Vorgaben innerhalb der Bandbreiten umsetzt und daher auch recht anspruchsvoll ist. Viele Betreiber müssen dadurch natürlich kräftig investieren. Besonders bei Kohlekraftwerken wird die Einhaltung der verbindlich vorgeschriebenen EU-Anforderungen zu hohen Investitionskosten führen.
Die Änderung der Verordnung bringt den Betreibern, aber auch den Genehmigungsbehörden endlich die dringend erforderliche Planungssicherheit; denn in der zweiten Jahreshälfte werden die EU-Vorgaben unmittelbar geltendes Recht. Ohne diese Verordnung würde das bedeuten, dass dann die Länder für jede betroffene Anlage im Einzelfall Anordnungen auf Grundlage des Bundesimissionsschutzgesetzes in Verbindung mit dem EU-Recht treffen müssten. Das würde dann auch bedeuten, dass wir unterschiedliche Regelungen hätten. Deswegen ist es wichtig, dass wir die nationale Umsetzung haben, und zwar schnellstmöglich; das garantiert auch einen fairen Wettbewerb.
Ich glaube, das ist nachhaltig, wir sind hier beim Schutz der Gesundheit und der Umwelt einen großen Schritt vorangekommen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich merke schon, das Thema interessiert ganz viele.
Doch, ich war daran sehr interessiert. Aber die Tatsache, dass Ihnen aus den regierungstragenden Fraktionen kaum jemand zugehört hat, zeigt mir, sie müssen die Rede schon kennen – ansonsten fände ich das ziemlich bemerkenswert.
Herr Kollege Bareiß, ich hatte vorhin versucht, Ihnen Gehör zu verschaffen. Es wäre einfach nur höflich gewesen, Sie hätten Ihrer Kollegin auch gelauscht. Bitte würden Sie Ihre Diskussion jetzt einstellen oder vielleicht nach draußen gehen.
Der nächste Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Dr. Rainer Kraft.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Wir treffen uns und sprechen hier über die Umsetzung des EU-Papiers 1442 in deutsches Recht. Dieses wurde geltend gemacht im August 2017, und die Grenzwerte für Bestandsanlagen werden gelten ab August 2021. Bis dahin sind es nur noch sechs Monate. 42 Monate wurden bei der Umsetzung dieses Papiers verschwendet. 42 Monate lang wurden die Besitzer von Bestandsanlagen im Unklaren gelassen, welche Grenzwerte denn ab Sommer dieses Jahres gelten. Diejenigen unter Ihnen, denen das „Groß“ im Wort „Großfeuerungsanlagen“ nichts sagt, möchte ich darauf hinweisen, dass wir hier von Millionen Euro teuren, Tausende Tonnen schweren Anlagen sprechen, die man nicht mal eben in Wochen- oder Monatsfrist umbaut.
Warum haben die Betreiber nur noch eine unzulässig kurze Frist für die Umsetzung dieser Grenzwerte? Das liegt am Versagen dieser Bundesregierung und hat zwei Gründe:
Der erste Grund ist das komplette Versagen beim Umsetzen dieses EU-Papiers. Und, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Das Umsetzen von EU-Vorgaben ist doch das Brot-und-Butter-Geschäft einer Regierung heutzutage. Das passiert in einer Legislatur ungefähr Dutzende, wenn nicht Hunderte Male. – Es gibt auch keine kreative Gesetzgebungskompetenz mehr, da man die Kompetenzen dafür nach Brüssel verschenkt hat. Wozu braucht man also 42 Monate, wenn man nur der Erfüllungsgehilfe der Eurokraten ist?
({0})
Der zweite Grund ist der zwanghafte Wahn der Regierung, der Klassenstreber innerhalb der EU sein und auf jeden Grenzwert noch irgendwas obendrauf setzen zu müssen.
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– Das stimmt!
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Ich weiß nicht, ob Sie es merken, aber Sie torpedieren damit auch den Gedanken an einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum. Ein europäischer Wirtschaftsraum ist dann fair und gerecht, wenn für alle die gleichen Rahmenbedingungen gelten. Das ist hier nicht mehr der Fall. Sie verletzen den Grundgedanken eines europäischen Wirtschaftsraums durch Ihre ökologische Kleinstaaterei und durch Ihre nationalen Alleingänge.
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An dieser Stelle sei direkt darauf hingewiesen, dass wir, obwohl meine AfD-Fraktion sehr EU-kritisch ist,
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selbstverständlich der Meinung sind, dass in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum für alle die gleichen fairen und gerechten Rahmenbedingungen gelten müssen. Sie aber untergraben diese europäischen Rahmenbedingungen innerhalb des gemeinsamen Wirtschaftsraums mit Ihren Alleingängen, von denen niemand etwas hat.
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Es gibt einen weiteren Kritikpunkt, und das ist Ihre Forderung, dass die Grenzwerte für alle Betriebszustände der Großanlagen gelten müssen, also auch für die Zustände beim An- und Abfahren. Das passiert eigentlich selten bei Großanlagen und könnte vernachlässigt werden, allerdings nicht im Bereich der Kraftwerke; denn dank Ihrer Energiepolitik – mithin bekannt als die dümmste Energiepolitik der Welt – müssen die Kraftwerke in Deutschland ständig an- und wieder abgefahren werden, um den Strom zu produzieren, den Sie mit den von Ihnen favorisierten minderwertigen Energieerzeugungsmethoden – Wind und Sonne – außerstande sind zu produzieren.
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Ansonsten gehen in Deutschland nämlich die Lichter aus – und das alles zum Schaden der einheimischen, der deutschen Wirtschaft.
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Damit sind wir schon beim Fazit.
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Just in dem Augenblick, in dem die Unternehmen – auch wegen Ihrer Politik – in den Abgrund der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg blicken, präsentiert uns diese Regierung eine Verordnung, die den Unternehmern nicht nur unzulässig kurze Übergangsfristen für die Bestandsanlagen präsentiert, die nicht nur zwanghafte Betriebsänderungen in Großfeuerungsanlagen in den Verantwortungsbereich der Unternehmen überführt und die nicht nur – –
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und die nicht nur auf die EU-Grenzwerte ohne Zwang noch einen obendrauf setzt. Für diese Nichtleistung benötigt diese Regierung dann auch noch 42 Monate. Meine Damen und Herren, das ist vollkommen unzulässig.
Liebe Regierung, vielen Dank für gar nichts.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kraft. Auch Schweigezeiten sind Redezeiten.
Herr Präsident! Herr Kraft, Herr Kraft!
({0})
Es ist nicht die dümmste Energiepolitik der Welt, die wir machen;
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Sie können sie kritisieren. Aber zweifellos war Ihre Rede eine der dümmsten der Welt; und nicht umsonst haben Sie zwischendurch öfter den roten Faden verloren,
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weil von einem Gedankengang, geschweige denn von Logik, überhaupt nichts zu erkennen war.
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Gucken wir uns die Geschichte mal genauer an. Warum hat die EU die Kompetenz, uns in diesen Fragen Vorschriften zu machen? Einfache Antwort: Wir haben ihr die Kompetenz gegeben.
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Aber warum? Wir haben ihr die Kompetenz gegeben, weil zwei Dinge dadurch sichergestellt werden sollen:
Erstens. Die Regelungen, die von dort initiiert werden, sollen für alle Länder in der EU gelten und damit Wettbewerbsgleichheit hergestellt werden. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist: Auf diese Weise wird sichergestellt, dass in allen Ländern der EU unter gleichen Bedingungen der Stand der Technik realisiert wird; denn es geht hier darum, dass wir auf der Basis des Stands der Technik einen optimalen Gesundheitsschutz hinsichtlich der Emissionen dieser Großfeuerungsanlagen erreichen können. Und genau das geschieht, auch wenn die Grünen der Meinung sind, dass das nicht zutrifft.
Wir haben eine Anhörung durchgeführt. In dieser Anhörung ist sehr deutlich geworden, dass die Regelungen, die wir getroffen haben und die wir in nationales Recht übersetzen, exakt widerspiegeln, was in der EU als beste Technik, die verfügbar ist, definiert wurde. Die Bandbreiten für die Emissionen halten wir ein.
Wenn Sie bemängeln, dass der Prozess so lange gedauert hat: Er hat unter anderem deshalb so lange gedauert, weil vor der genauen Festlegung innerhalb der Bandbreite über die Möglichkeiten, die Kosten, die Notwendigkeiten, den Gesundheitsschutz und die ökonomischen Fragen ausführlich diskutiert worden ist.
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Dies ist das Ergebnis, und das ist ein optimales Ergebnis, was wir hier erreichen konnten.
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Bedauerlicherweise schießen die Grünen aus allen Rohren darauf, also nicht nur mit ihren Anträgen und ihrem Entschließungsantrag heute, sondern auch mit der begleitenden Pressemusik. Ich will noch mal sehr nachdrücklich kritisieren: Auch dort wird wieder mit dem Propagandamittel gearbeitet, dass es 26 000 Tote durch Emissionen aus Kohlekraftwerken von 2022 bis 2038 geben werde. Abgesehen davon, dass wir langsam wissen müssten, dass solche Zahlen statistische Spielereien sind, gibt es selbstverständlich Gesundheitsbelastungen. Mit solchen Zahlen zu arbeiten, ist aber absolut unseriös.
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Wenn man das macht, dann verabschiedet man sich aus einer verantwortungsvollen Politik.
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Die betreiben wir nämlich.
Warum tun die Grünen das – Fundamentalopposition gegen diese Verordnung? Wenn man noch höhere Anforderungen verlangt und behauptet, sie seien umsetzbar – bis auf einen Sachverständigen haben alle Sachverständigen gesagt, das sei nicht sinnvoll und zum Teil auch gar nicht möglich –, dann hat das nur einen Zweck: Durch die Verteuerung der Produktion von Strom in solchen Kraftwerken will man sie noch schneller unrentabel machen und das, was man beim Kohleausstieg zeitlich nicht geschafft hat, vielleicht hier durch die Hintertür erreichen, indem man Kraftwerke nicht wettbewerbsfähig macht, sodass sie früher vom Netz gehen. Ich kann davor nur warnen.
Ich warne die Grünen auch sehr davor, zu versuchen, das im Bundesrat, dessen Zustimmung notwendig ist, sozusagen wieder auszuhebeln; denn die Kraftwerke, die wir haben, müssen funktionieren. Ich erinnere nur mal daran: Anfang Januar hatten wir eine Situation, in der durch den Ausfall eines Umspannwerks in Kroatien über eine Stunde lang die Gefahr eines Blackouts auch in unserem Verteilsystem ganz groß war. Warum? Dort gab es einen Stromüberschuss, hier ein Defizit. Das konnte nicht ausgeglichen werden, und Deutschland konnte nicht liefern, weil wir keine Reserven hatten.
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Wir waren darauf angewiesen, dass die Österreicher mit Strom aus den Wasserspeichern die Situation gerettet und in Frankreich Fabriken Lastabschaltungen vorgenommen haben, damit das Netz stabilisiert wurde.
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Das bedeutet: Wir brauchen die Möglichkeiten, die wir haben. Wir sind ausgereizt. Wenn wir aus Kohle und Atomenergie aussteigen wollen, dann können wir das nur auf einer Zeitschiene machen, die garantiert, dass unsere Energieversorgung sicher ist.
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Deswegen: Von einem Persilschein für die Kohleindustrie zu sprechen, liebe Frau Kollegin Hoffmann, ist, finde ich, wirklich reine Propaganda und keine seriöse Politik.
Wir sind dafür, dass wir diese Verordnung so verabschieden, wie sie ist. Sie ist das Beste für die Gesundheit, sie ist verträglich für die Unternehmen. Und das ist das, was wir erreichen wollen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit zu dieser späten Stunde.
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Vielen Dank, Herr Kollege Möring. Das überraschend frühe Ende ist ja sehr vorbildlich.
({0})
– Jedenfalls bis Herr Dr. Köhler kommt; solange können Sie jetzt klatschen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man würde es ja nicht vermuten, aber im Kern liegt dieser ganzen Verordnung eine interessante Geschichte zugrunde, auch wenn das am Anfang der Debatte vielleicht noch nicht mit ganz so viel Interesse betrachtet wurde. Die Idee der Umsetzung dieser Verordnung aus dem europäischen Recht ist tatsächlich richtig, und man muss der Bundesregierung da zugestehen, dass es richtig war, die Umsetzung so vorzunehmen, wie es gemacht worden ist; die Gründe dafür hat der Herr Kollege Möring gerade, glaube ich, sehr schön ausgeführt.
Das Interessante an dieser Geschichte ist aber eigentlich die Zeitschiene. Denn vor vier Jahren haben wir den Auftrag bekommen, diese Verordnung in deutsches Recht umzusetzen. Das hätte bedeutet, dass wir uns ein Jahr lang damit beschäftigen können, wie wir das übertragen und welche Grenzwerte in dem Rahmen, den uns die EU vorgibt, gewählt werden, um dann drei Jahre lang den Unternehmen die Chance zu geben, das umzusetzen und anzupassen. Meine Damen und Herren, das ist leider nicht passiert, und man muss wirklich darauf hinweisen: Da hat die Bundesregierung geschlafen.
Das Problem ist, dass wir jetzt nur noch sechs Monate Zeit haben, massive Umsetzungen vorzunehmen; und es geht hier nicht um den Kamin zu Hause, sondern um Großfeuerungsanlagen, also um Kraftwerke, bei denen das nicht so einfach ist, bei denen das nicht so schnell geht, bei denen wir das nicht einfach in sechs Monaten umsetzen können.
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Sich mit Tricks zu behelfen, indem man nicht ganz genau darauf achtet, wie das jetzt umgesetzt wird, und vielleicht nicht jede Strafe sofort ausspricht: Ich glaube, das ist nicht der Weg, wie wir uns hier Politik vorstellen sollten, und das ist auch nicht der Weg, wie wir hier in diesem Hohen Haus Politik machen können. Meine Damen und Herren, die Unternehmen brauchen Planungssicherheit. Sie müssen wissen, was sie umsetzen müssen, und das muss für jeden Tag gelten.
Im Kern dieser Geschichte geht es um Effizienz, und diese Effizienz ist verloren gegangen. Meine Damen und Herren, es geht in dieser Verordnung um die beste verfügbare Technik. Ich finde, die Bundesregierung sollte hier die bestmögliche Umsetzung vornehmen und das anständig tun. Das ist leider nicht passiert, und zwar wegen der Zeitschiene, und das ist ein Problem.
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Lieber Kollege Möring, einen Punkt möchte ich noch aufgreifen. Sie haben nämlich völlig recht: Wir befinden uns in einer massiven Transformation, in einem massiven Umbau in der Energiepolitik, und deshalb muss das effizient geschehen. Deswegen, liebe Damen und Herren von den Grünen, ist es jetzt klug, den längst beschlossenen Kohleausstieg – und zwar nicht über das Kohleausstiegsgesetz, sondern über den Emissionshandel – seinen Weg gehen zu lassen und nicht durch die Hintertür zu versuchen, das Ganze zu beschleunigen. Das wäre nämlich ein Weg, auf dem wir ganz sicherlich nicht mit der Energie- und der Stromwende vorankommen würden.
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Wir haben einen Kohleausstieg vereinbart, und das, meine Damen und Herren, ist die Geschichte dieser Verordnung. Die Geschichte dieser Verordnung ist so interessant, weil sie zwei Dinge beinhaltet: eine Ineffizienz auf der einen Seite und auf der anderen Seite vor allen Dingen das Problem mit der Zeitschiene. Ich glaube, mit Rechtsumsetzung werden wir sehr viel sinnvoller umgehen können, wenn die Unternehmen Planungssicherheit haben, wenn wir in der Transformation, mit unserer Energiewende vorankommen. Das geht nur sinnvoll und effizient durch die Marktwirtschaft.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Köhler. – Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dass Atommüll sehr gefährlich ist, wissen inzwischen fast alle – okay, vielleicht außer der AfD. Aber ich hätte nicht gedacht, dass mir Quecksilber einmal genauso viel Kopfzerbrechen bereitet. Atommüll verliert die Strahlungsaktivität nach 1 Million Jahren; Quecksilber verliert seine Giftigkeit nie. Dass man Radioaktivität nicht freisetzt, weiß jeder; bei Quecksilber akzeptiert die Gesellschaft die Freisetzung und verdrängt, dass es sich in Böden, Wasser und der Atmosphäre anreichert und dauerhaft die Umwelt vergiftet.
In der Anhörung zur Verordnung über Großfeuerungs-, Gasturbinen- und Verbrennungsmotoranlagen wiesen die Sachverständigen explizit auf die Risiken durch Quecksilber hin, das bei der Verbrennung von fossilen Rohstoffen und von Abfällen freigesetzt wird. Quecksilber, das über Nahrung und Wasser in unsere Körper gelangt und sich in Tieren und Menschen anreichert, schädigt Seh- und Hörnerven, das Gehirn, vermindert die Motorik, verursacht Schäden an Leber und Nieren, verstärkt das Herzinfarktrisiko und verringert die Fortpflanzungsfähigkeit.
Deswegen fordert die WHO, dass die Quecksilbergrenzwerte so weit wie möglich gesenkt werden. Sie hat definiert, dass Erwachsene pro Woche nicht mehr als 300 Mikrogramm zu sich nehmen sollten. Mit einer Portion Thunfisch haben Sie diese Menge bereits aufgenommen.
90 Prozent des freigesetzten Quecksilbers stammt von den Menschen, zwei Drittel davon aus Verbrennungsanlagen, aus der Verbrennung von Kohle und Erdöl. Deswegen ist es gut, dass die EU vorhat, die Grenzwerte für Großfeuerungsanlagen deutlich zu reduzieren, insbesondere für Quecksilber. Das begrüßt Die Linke.
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Wir bedauern, dass die Bundesregierung eine Minimalumsetzung gewählt hat. Selbst in den USA sind die Grenzwerte deutlich strenger, und die Kohlekraftwerke in den USA, ob neu oder nachgerüstet, halten diese Grenzwerte ein – mit deutscher Technik. Das sollte doch auch bei uns gehen.
({1})
Dass die Ausnahmen bei den Grenzwerten für Abfallmitverbrennung in der Industrie und in Zementwerken so umfangreich gestaltet werden, kritisiert Die Linke. Für uns hat die Gesundheit heutiger und zukünftiger Generationen Vorrang. Deswegen brauchen wir strengere Grenzwerte.
({2})
Leider setzte die CDU die Minimalverschärfung der Grenzwerte durch – aus Rücksicht auf die Profite der Industrie.
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Wir fordern als Linke, dass die Industrie Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen und der Umwelt nehmen muss.
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Nur dank der Europäischen Union gab es überhaupt eine Verschärfung der Grenzwerte. Wegen der CDU/CSU wurde diese nicht bestmöglich umgesetzt. Schade!
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– Ihr wart doch schuld!
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Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Bettina Hoffmann, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Schadstoffe in der Luft machen krank. Das gilt insbesondere für Quecksilber, das unsere Kohlekraftwerke seit Jahrzehnten in die Luft blasen. Quecksilber ist nicht irgendein Stoff, den man vernachlässigen kann; es ist ein hochgiftiges Schwermetall.
In der Umwelt breitet es sich über Luft und Wasser überall aus. Niemand kann sich davor schützen. Praktisch alle Flüsse in Deutschland sind daher in einem schlechten chemischen Zustand. Quecksilber reichert sich an, es kommt in die Nahrungskette. Schwangere werden davor gewarnt, Fisch zu essen. Warnung allein reicht aber nicht. Neugeborene Kinder sind heute schon mit Quecksilber belastet, wenn sie auf die Welt kommen. Das Nervengift schädigt sie für ihr ganzes Leben.
Es ist deswegen völlig klar, dass wir die Verbreitung von Quecksilber verhindern müssen.
({0})
Denn was einmal an Quecksilber in der Umwelt ist, das lässt sich nie mehr zurückholen. Das ist auch ein internationales Ziel. Deutschland hat die Minamata-Konvention unterschrieben und sich verpflichtet, den Eintrag von Quecksilber in die Umwelt zu reduzieren.
Doch die Verordnung, über die wir heute abstimmen, widerspricht dem Abkommen auf ganzer Linie. Jedes Jahr emittieren deutsche Kraftwerke rund 4 Tonnen Quecksilber. Quecksilber wirkt aber in Spuren, im Mikrogrammbereich. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet. Diese Giftmenge, Herr Möring, könnte man um satte 80 Prozent reduzieren, hätten alle Kraftwerke eine Abgasreinigung nach dem wirklich aktuellen Stand der Technik.
({1})
Doch offenbar wollen das die Regierungsfraktionen nicht.
Bei der Novelle der Bundesimmissionsschutzverordnung geht es um die Frage: Schützen wir Mensch und Natur bestmöglich vor Quecksilber, oder behelligen wir die Kohleindustrie nicht weiter? Vor diese Entscheidung gestellt, ist auf SPD und Union immer zu 100 Prozent Verlass: im Zweifel pro Kohleindustrie und kontra Gesundheit. – Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({2})
Dabei ist saubere Technik ja vorhanden. Das zeigt ein Blick in die USA; seit Jahrzehnten geht das da schon. Das hat auch die Anhörung im Umweltausschuss gezeigt. Es gibt Möglichkeiten. Für Steinkohle ist eine Halbierung der Quecksilberemissionen pro Kubikmeter technisch möglich und wirtschaftlich machbar, für Braunkohle sogar noch mehr. Diese Fakten ignorieren Sie, und das ist einfach nur fahrlässig.
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Es gibt noch eine weitere Baustelle: die Abfallverbrennung in Zementwerken. Seit Jahren wird immer mehr Müll verbrannt. Zementwerke dürfen aber mehr Schadstoffe ausstoßen als Müllverbrennungsanlagen. Mit diesen Ausnahmen muss Schluss sein.
Abschließend gilt: Die Grenzwerte der Verordnung sind nicht akzeptabel, es sind nämlich nicht die bestmöglichen. Wichtige Baustellen werden nicht angegangen. Sie verschleppen den Schutz von Umwelt und Gesundheit, wo es nur geht. 2018 hätten Sie diese Verordnung einbringen müssen; dann wäre die Umsetzung bis 2021 überhaupt gar kein Problem gewesen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Jetzt fällt Ihnen ein, dass das in sechs Monaten nicht geht, und Sie verschleppen es einfach weiter.
Frau Dr. Hoffmann, Sie müssen zum Schluss kommen.
Vor allem aber – das möchte ich zum Schluss noch sagen – rechtfertigt der Kohleausstieg nicht, dass wir den Schutz unserer Gesundheit bis 2038 vertagen.
({0})
Was Sie hier machen, ist gesundheitspolitisch und umweltpolitisch grob fahrlässig. Da machen wir nicht mit.
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Das war jetzt aber sehr großzügig von mir. – Das letzte Wort in dieser Debatte hat die Kollegin Ulli Nissen, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu meiner Vorrednerin freue ich mich, dass wir heute diese Verordnung beschließen. Zehntausende Menschen sterben jährlich durch Luftverschmutzung; auch deshalb muss die Luftqualität deutlich besser werden.
Auch die SDGs, die Nachhaltigkeitsziele 2030, fordern im Ziel 3 – Gesundheit und Wohlergehen – unter Punkt 9:
Bis 2030 die Zahl der Todesfälle und Erkrankungen aufgrund gefährlicher Chemikalien und der Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden erheblich verringern.
Im Ziel 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden – steht unter Punkt 6:
Bis 2030 die von den Städten ausgehende Umweltbelastung pro Kopf senken, unter anderem mit besonderer Aufmerksamkeit auf der Luftqualität und der kommunalen und sonstigen Abfallbehandlung.
Schön, dass wir weiter an der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele arbeiten. Mit der hier vorliegenden Verordnung werden die Grenzwerte für Quecksilberemissionen und andere Schadstoffe für Großfeuerungsanlagen verschärft. Betroffen sind industrielle Anlagen wie Kraftwerke, die fossile oder biogene Energieträger durch Verbrennung in Energie umwandeln. Zugleich senken wir die Grenzwerte für Methanemissionen aus Gasmotorenkraftwerken sowie für den Ausstoß von Stickoxid, unter anderem aus Kohlekraftwerken.
In Deutschland ist im BImSchG festgelegt, dass eine nationale Umsetzung der Kommissionsbeschlüsse erfolgt. Das machen wir, um bei der Vielzahl der Anlagen, die es in vielen anderen Mitgliedstaaten so nicht gibt, einen fairen nationalen Wettbewerb sicherzustellen.
Etwa 580 Großfeuerungsanlagen und 13 000 weitere Industrieanlagen sind betroffen. Künftig sinkt der Tagesmittelwert für Quecksilberemissionen von 30 auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Abgasluft. Zusätzlich führen wir dem Stand der Technik angemessene Jahresmittelwerte für Quecksilberemissionen von Großfeuerungsanlagen ein. Diese richten sich unter anderem nach der Art der Kohle, dem Alter und der Größe der Anlage; denn jede Anlage soll nicht weniger als das leisten, was technisch möglich ist.
Damit folgen wir den Vorgaben aus den Schlussfolgerungen zu den bestmöglichen Techniken für Großfeuerungsanlagen. Diese wurden 2017 von den EU-Mitgliedstaaten beschlossen und schreiben für Industrieanlagen in der EU Schadstoffgrenzwerte vor – und dies erstmalig auch für Quecksilberemissionen. In gleicher Weise werden strengere Grenzwerte für die Emission von Stickoxid und Methan festgelegt. Auch für Gaskraftanlagen schreiben wir anspruchsvolle Grenzwerte für die Methanemission fest.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam die Luftqualität verbessern. Ich bitte um Unterstützung und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, liebe Kollegin Ulli Nissen. – Damit schließe ich die Aussprache.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stromnetze sind die Lebensadern einer stabilen Energieversorgung. Das ist eine Binsenwahrheit; das ist richtig. Aber angesichts des Wandels, der Transformation hin zu neuen Erzeugungsarten ist das Thema nach wie vor aktuell. Ohne ausreichende Leitungskapazitäten nützt nämlich die gesamte Debatte über weitere Ausbaupläne und Ausbaukapazitäten nichts. Der Strom muss schließlich zum Verbraucher gebracht werden.
Das Bundesbedarfsplangesetz ist somit ein Schlüsselelement für unsere Energiepolitik. Damit wird der Weg freigemacht, sodass die Leitungen, die laut Planfeststellungsbeschluss jetzt baureif sind, ohne Verzögerung gebaut werden können.
Was war uns in den Berichterstattungen wichtig? Erstens. Wir können keine weiteren Verzögerungen hinnehmen. Zweitens. Wir wollen nicht, dass Deutschland in zwei Preiszonen geteilt wird. Da war die Expertenanhörung im Ausschuss sehr wichtig. Das war ein wichtiger Input. Wir haben im Verfahren sowohl bei einzelnen Ausbauvorhaben als auch hinsichtlich der Entbürokratisierung und der Beschleunigung einige, wenn auch wenige Verbesserungen erreicht. Aber wir konnten auch einigen Bedürfnissen vor Ort nachkommen und zum Beispiel in einigen Fällen Erdkabelverlegungen vorsehen, wo die Projekte noch nicht begonnen haben. Leider kann man in solch einem Verfahren nicht auf alle Wünsche eingehen, vor allem bei den Projekten, die schon planfestgestellt sind, weil wir sonst Verzögerungen um mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre, hinnehmen müssten.
Aber bei der Entbürokratisierung ist uns, glaube ich, etwas sehr Gutes gelungen. Denn aufgrund der Barrierefreiheit in den Ausschreibungen wäre es zu Verzögerungen von mehreren Monaten gekommen, wenn es bei der ursprünglichen Planung geblieben wäre. Hier konnten wir, auch aufgrund des Inputs der Übertragungsnetzbetreiber, die Anforderungen an die Barrierefreiheit in den Ausschreibungen auf das Notwendigste reduzieren.
({0})
Und ja, es ist auch richtig, dass jede Region besondere Bedürfnisse und jeder Wahlkreisabgeordnete auch mindestens eine Bürgerinitiative in seinem Wahlkreis hat: gegen Wind, für Wind, gegen Stromanlagen, für Erdkabel – alles Mögliche. Erdkabel sind zurzeit die Wunschtechnologie schlechthin, nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Aber leider ist es nicht so trivial, wie es sich anhört. Denn im Höchstspannungsbereich ist es immer noch ein schwieriges Unterfangen, einfach alles unter die Erde zu verlegen. Es gibt noch keine ausreichenden Erfahrungen damit, und wir wissen: Die Anlagen, die gebaut wurden, sind höchst prekär. Deswegen müssen wir damit vorsichtig umgehen.
Wir versuchen dennoch, den bestehenden Wünschen entgegenzukommen, obwohl der Finanzbedarf gerade bei der Erdkabelverlegung um ein Vielfaches höher liegt. Zeit und Geld müssen wir aber gerade bei der Netzversorgung im Fokus behalten. Allem, was uns um Jahre zurückwirft und was extrem teurer wird, müssen wir mit aller Vorsicht begegnen.
Wir brauchen diese Leitungen. Wir brauchen jede einzelne, und wir können uns keine Verzögerung leisten. Wir haben aber Änderungsanträge vorgelegt und sind auf die Bedürfnisse einiger Regionen, einiger Länder und einiger Projekte eingegangen. Ich darf an das Projekt NOR-7 erinnern, das wir festgeschrieben haben, weil dann der Offshorestrom sicher abtransportiert werden kann. Das war uns an dieser Stelle sehr wichtig.
Andere Forderungen aus anderen Bereichen, insbesondere aus der Länderkammer, wurden – leider, aus meiner Sicht – nicht aufgegriffen, obwohl hier auch erheblicher Diskussionsbedarf besteht. Aber wir wollen und müssen uns der Diskussion mit dem Ministerium, mit der Bundesnetzagentur und mit den Planern auch in Zukunft stellen. Denn wir dürfen uns nicht verschließen, wenn es Alternativen zu Technologien bzw. zu Trassenführungen gibt. Es darf nicht sein, dass jede Planung in Stein gemeißelt ist, und wir setzen das um. Wir müssen hier in Zukunft wie auch früher schon flexibler werden.
Wir haben auch über SuedLink 3 gesprochen. Es war natürlich verlockend: Bei SuedLink 3 können wir mit einem relativ geringen Aufwand 50 Prozent Kapazitätserweiterung erreichen. Weil der Bedarf da ist, bringt uns das natürlich auf den Plan. Aber in der Debatte, insbesondere auch aufgrund der uneinheitlichen Darstellung der Übertragungsnetzbetreiber, war es uns nicht möglich, das letztendlich noch mit hineinzunehmen. Da wäre aus meiner Sicht eine Expertendebatte sinnvoll gewesen, dass man im Gespräch wirklich noch mal schaut: Was ist möglich und was nicht? Aber am Ende konnten wir das aufgrund der möglichen Verzögerung nicht mit hineinnehmen.
Wir haben eine Entschließung vorgelegt. Insbesondere geht es uns darum, dass wir einen Rahmen für das Wasserstoffnetz schaffen. Das haben wir jetzt noch nicht geschafft. Wir wollen einen diskriminierungsfreien Zugang, der unkompliziert ist. Das werden wir im EnWG erreichen.
Fazit ist: Wir können uns keine Halbherzigkeiten und langen Verfahrensdauern mehr leisten. Für unsere Versorgungssicherheit sind die Netze wichtig. Deswegen ist auch dieses Gesetz wichtig.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Koeppen. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Steffen Kotré, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Netzbau nur für die sogenannte Energiewende ist überflüssig. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir müssen nicht diese riesigen Strecken von 800 oder 1 000 Kilometern überwinden. Nein, wir haben ein bestehendes System. Da gibt es Stromerzeugung, und da gibt es in der Nähe – 100 bis 200 Kilometer – diejenigen, die den Strom abnehmen. Das funktioniert. Wir brauchen das neue System nicht, das nicht funktionieren wird: die Energiewende.
Wir haben ein bestehendes System, aber leider wird mit der Energiewende dieses bestehende System ausgehöhlt. Wir haben funktionierende Kraftwerke, nur leider werden sie stillgelegt, und wir werden irgendwann eine Stromlücke haben, und keiner kann uns erklären, woher dann unser Strom kommen soll.
({0})
Denn die sogenannten instabilen Erneuerbaren können das nicht leisten.
Also, noch haben wir Strom, wenn auch mit abnehmender Qualität.
({1})
Die äußert sich in der Folge leider darin, dass sich Unternehmen aus Deutschland zurückziehen. Es gibt schon seit Jahren eine Deindustrialisierung, eine Desinvestition im Bereich der energieintensiven Unternehmen.
Das alles ist leider Ausdruck der Energiewende. Um diese sogenannte Energiewende noch zu retten, versucht man jetzt, mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen die Sache noch zu retten, aber das macht sie nur noch schlimmer. Wir haben mit diesen Leitungen erhebliche Probleme, vor allen Dingen Akzeptanzprobleme, die völlig zu Recht bestehen. Denn warum sollen wir unsere Landschaft und unsere Umwelt weiter verschandeln für eine Sache, die nicht funktionieren kann?
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Wir sehen ja, dass die Bundesregierung einfach Erzeugungskapazitäten für Strom abbaut, ohne zu sagen, wo neue herkommen. Wie gesagt, Erneuerbare können es nicht sein. Und wenn dann gesagt wird: „Das ist die weltdümmste Energiepolitik“, dann wird das völlig zu Recht gesagt.
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Das ist die weltdümmste Energiepolitik, wenn wir sagen, dass wir aus zwei heimischen Energieträgern gleichzeitig aussteigen, meine Damen und Herren.
Und was kommt jetzt? Jetzt sollen also Windindustrieanlagen vermehrt ins Meer gestellt werden. Dadurch wird die Umwelt weiter zerstört werden. Wir haben es gehört. Wir haben es in den Ausschüssen gehört, wir hören es auch von den Umweltverbänden: Wir stören die Meerestiere,
und wir stören die Strömungen dort.
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Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Das kann eigentlich auch nicht im Sinne einer grünen Politik sein, die sich eigentlich mal dem Ziel verschrieben hat, die Umwelt zu schützen. Aber davon ist nichts übrig geblieben.
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Wenn es darum geht, Windindustrieanlagen zu bauen, dann können die überall stehen. Sie können im Meer stehen. Sie können im Wald stehen; dann wird der Wald abgeholzt und Schindluder mit der Umwelt getrieben. Das verstehe ich eigentlich nicht.
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Wir haben es hier mit einer ideologiegetriebenen Politik zu tun, und die Fantasten der Energiewende versuchen, die Physik und die Ökonomie auszuhebeln. Nur, das wird nicht klappen. Das wird uns wieder auf die Füße fallen, und leider werden wir dann im Dunkeln sitzen.
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Wir haben jetzt schon, wie gesagt, Stromausfälle im Kleinen, im Millisekundenbereich, und die Gefahr eines großen Stromausfalls kommt näher. Je mehr instabile erneuerbare Energien im Netz sind, desto mehr ist das so. Genau deswegen sind auch die weiteren Übertragungsleitungen so schädlich: nicht weil wir dann Strom transportieren können, sondern weil wir dadurch vermehrt Strom aus Erneuerbaren transportieren und unser Stromsystem dadurch immer anfälliger machen.
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Ich rede schon seit ein, zwei Jahren darüber,
({9})
und ich verstehe nicht, warum sich hier nicht mal Technologen zu Wort melden
({10})
und sagen: Nein, so geht es nicht. – Die Energiewende kann so nicht funktionieren. Wir haben auch keine Speicherkapazität mehr.
Wir müssen konstatieren: Die beste Lösung ist, statt neue Stromleitungen zu bauen, –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– das Bestehende auszubauen und wieder zur Kernenergie zurückzukehren, die sicher ist.
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Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Nur das kann uns weiterbringen, aber nicht irgendwelche Leitungen, die in der Erde verbuddelt sind und dort den Boden entsprechend aufwärmen.
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Dann ist keine Landwirtschaft mehr möglich, und im Übrigen verschandeln wir mit den Trassen die Landschaft. Dafür stehen wir von der AfD, die für Umweltschutz stehen, nicht zur Verfügung.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kotré von der AfD, es gibt ja gar nicht mehr die Erwartung, dass Sie mit Sachkompetenz hier Reden halten. Ich will Ihnen nur sagen: Das, was Sie hier erzählen, ist ignorant. Das ist Verdrängen von Wahrheiten und Verbreiten von Phrasen. Nicht ein vernünftiger Beitrag ist hier von Ihnen in dieser Debatte zu hören. Vor allen Dingen ist es ein zynisches Weiter-so gegenüber den Menschen, die heute schon unter dem Klimawandel und den Katastrophen, die wir zu erwarten haben, leiden müssen. Deshalb ist es zynisch, was Sie hier machen.
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Zur Versorgungssicherheit nur eins: Wir haben jetzt in Deutschland rund 45 Prozent Strom aus Erneuerbaren.
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Wir sind übrigens das Land mit der sichersten Stromversorgung weltweit und den kürzesten Stromausfallzeiten.
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Deshalb ist es Unsinn, was Sie hier behaupten.
Zum Thema. Wir haben mit der Energiewende ein Mammutprojekt vor uns, und wir machen das, weil wir unseren Standort modernisieren wollen und weil wir der Wirtschaft eine Perspektive geben wollen. Das hat natürlich auch mit vielen Veränderungen zu tun.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat damit zu tun, dass wir den Netzausbau synchronisieren müssen. Mit dem Bundesbedarfsplangesetz, das wir heute beraten, wird mit den Übertragungsnetzbetreibern genau festgelegt, welche Leitungen wir in Deutschland brauchen. Das sind Hochspannungsleitungen und bundesländerübergreifende Leitungen. Deshalb ist es ein Gesetz, das diese Projekte auf Bundesebene regelt.
35 Projekte sind neu dazugekommen. Dabei geht es um Leitungen, die neu gebaut werden müssen, und um die Verstärkung bestehender Leitungen. Das entspricht sehr genau der Kapazität, die wir brauchen, um den Strom aus erneuerbaren Energien, der in Norddeutschland erzeugt wird, in den Süden zu transportieren.
Aber darüber hinaus haben wir natürlich auch den Ausbau der erneuerbaren Energien in das Netz zu integrieren. Deshalb brauchen wir in einer neuen Energiewelt, die wir jetzt aufbauen, neben dieser Netzinfrastruktur Speicher. Wir brauchen Wasserstofftechnologie. Das wird zukünftig zur Versorgungssicherheit beitragen.
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Wir haben zusätzlich zu dem Gesetz auch eine Entschließung auf den Weg gebracht, in der wir auch die Finanzierung eines sogenannten Startnetzes für Wasserstofftechnologie finanzieren und auf den Weg bringen wollen. Das ist eine Technologie, die wir brauchen,
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nicht nur zum Speichern, sondern auch für die Stahlindustrie und die chemische Industrie, um den Produktionsstandort Deutschland abzusichern. Und wir haben eine Technologie, die seit einigen Jahren neu am Start ist. Das ist der sogenannte DC-Schalter, ein Leistungsschalter für das Hochspannungs-Gleichstrom-Netz. Dies erlaubt nicht nur, die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen von Nord nach Süd – also oben Strom rein und unten Strom raus – zu organisieren, sondern mit dieser Technologie ist es auch möglich, Querverbindungen in Deutschland zu schaffen. Es ist also eine Vermaschung dieser Hochspannungsleitungen, eine weitere Technologie, die wir auch damit fördern wollen. Auch das ist moderne, innovative Technologie, die hier mit auf den Weg gebracht wird. Ich bitte um Zustimmung.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Vielen Dank, Herr Kollege Westphal. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Martin Neumann, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es zu dieser späten Stunde? Es geht um den Ausbau der Übertragungsnetze in Deutschland, und ich gehe davon aus, dass ein großer Teil hier im Saal dem zustimmt und dass es auch außerhalb des Saales als wichtig erachtet wird.
Ich musste schmunzeln, als ich im Gesetzentwurf den Hinweis auf § 1 NABEG gelesen habe, in dem steht – so wie damals beim EEG –, dass – ich zitiere – die Vorhaben in diesem Gesetz im überragenden öffentlichen Interesse und im Interesse der öffentlichen Sicherheit sind. Ja, meine Damen und Herren, das ist in diesem konkreten Fall wirklich Tatsache. Denn im Gegensatz zum EEG ist das hier auch richtig. Das Stromnetz ist sozusagen das Nervensystem unserer Welt. Das ist die Grundlage der zivilisierten und digitalisierten Welt. Und wenn hier und da immer mehr schwankende Komponenten hinzukommen, dann kann dieses Nervensystem überlastet werden und im schlimmsten Fall zusammenbrechen. Deshalb brauchen wir einen zügigen Netzausbau. Deswegen stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu.
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Was hier aber noch einmal ganz deutlich angesprochen werden muss: Die Umsetzung des Netzausbaus hinkt im wahrsten Sinne des Wortes kilometerweit der Planung hinterher. Von den 6 000 Kilometern der geplanten Vorhaben sind knapp 10 Prozent fertig, also ungefähr 500 Kilometer. In der Schule würde man sagen: Ungenügend. – Wir müssen das Tempo deshalb deutlich anziehen; denn die Klimaziele werden strenger. Das bedeutet, dass immer mehr volatile Energie – also aus Wind und Sonne – in das Netz kommt, es muss immer mehr Strom transportiert werden. Das heißt, in Zukunft ist Flexibilität im Energiebereich das A und O. Die Netze müssen ein ganz starkes Rückgrat bilden.
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Ein kleiner Denkanstoß von mir – wir haben es im Wirtschaftsausschuss angesprochen –: Wir müssen die Gas- und Stromnetzplanung künftig ganzheitlich denken und diskutieren. Die barrierefreie Planung – teuer – ist vom Tisch, aber was auf jeden Fall geblieben ist, ist das Thema Akzeptanz. Mein kleiner Hinweis – auch im Ausschuss – war bereits, dass wir uns über intelligentere Mediationsverfahren Gedanken machen sollten.
Was nicht passieren darf, ist, dass die neue Übergangsregelung für Batteriespeicher im Besitz der Übertragungsnetzbetreiber in Zukunft dafür benutzt wird, die Grundsätze der Entflechtung im Energiebereich auszuhöhlen. Sonst kommen wir wieder in Richtung der Linken, die immer mit ihren Verstaatlichungsfantasien diskutieren. Warum sollen wir die Übertragungsnetze verstaatlichen? Lieber Herr Kollege Kotré, wenn ich Sie mir hier anhöre, muss ich sagen: Ich glaube, bei Ihnen ist da schon Stromausfall im Oberstübchen gewesen. So geht es nicht.
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Und – wer hätte es gedacht – es gibt schon wieder eine Entschließung der Großen Koalition. Wann setzen Sie denn endlich die Dinge um, die Sie tatsächlich erreichen wollen? Sie haben hier doch die absolute Mehrheit.
Fazit – kurze Zusammenfassung –:
Erstens. Wir sehen den Netzausbau als ökonomisch sinnvoll an.
Zweitens. Es ist die kostengünstigste Option, Energie in das Stromnetz zu integrieren.
Herr Kollege.
Drittens. Es stärkt – das ist mir ganz wichtig – den europäischen Energiebinnenmarkt.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie in eine neue Wohnung umziehen, sich neu einrichten, dann haben Sie Vorstellungen zur Einrichtung. Sie prüfen, was Sie mitnehmen, weiterverwenden, Sie prüfen, was Sie nicht mehr brauchen, prüfen Alternativen, stellen natürlich fest, was Sie sich leisten können, und machen Kosten-Nutzen-Analysen. All dies hat diese Bundesregierung bei dem durch den Klimawandel veranlassten Start eines neuen Energiesystems nicht getan.
Als Techniker hätte ich mir vor dem Systemwechsel einige Punkte zu Gemüte geführt: Wie und in welcher Form wird Energie zukünftig bereitgestellt?
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Wie wird die Stromerzeugung bei Dunkelheit und Windflaute gesichert? Wie wird saisonal Energie gespeichert?
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Ich hätte geprüft, welche bestehenden Anlagen und Stromtrassen weiter nutzbar sind, was zusätzlich benötigt wird, welche Varianten es gibt, um die zukünftigen Aufgaben zu lösen. Vor allem hätte ich zu den Varianten eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt, wie es das europäische Recht erfordert.
Aber die Bundesregierung bzw. das CDU-geführte Wirtschaftsministerium hat all diese Überlegungen nicht angestellt,
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hat keine Kosten-Nutzen-Analysen gemacht. Trotzdem bringt sie ein Bundesbedarfsplangesetz zum Bau unendlich vieler neuer Stromtrassen auf den Weg. 80 Milliarden Euro wird dies bis jetzt kosten. Haushaltskunden, Handwerker, Firmen müssen dann 4 Cent je Kilowattstunde mehr bezahlen – nur für den Netzausbau. Für Großunternehmen wurden allerdings rechtzeitig Rabatte eingeführt.
Aus meiner Sicht, Herr Bareiß, hat das Bundeswirtschaftsministerium keine Vorstellung davon, wie das Stromsystem 2050 aussehen soll. Deswegen haben Sie auch keine Alternativen geprüft, und das verstößt gegen EU-Recht.
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Die Linke fordert, Alternativen umzusetzen und zu prüfen: eine dezentrale Netzsteuerung mit direkter Verknüpfung der Regionalverteilnetze, wie es Prognos empfiehlt, endlich eine Beteiligung der Stromhändler, die für 77 Prozent des Netzausbaus verantwortlich sind, an den Kosten des Netzes.
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Eine Trennung der Preiszonen, wie es die EU vorschlägt, sorgt für sinkende Strompreise in Nord- und Süddeutschland – außer bei Großunternehmen. Das Biogas müsste für die Dunkelflaute bereitgestellt werden und dürfte nicht für die Grundlast sinnlos verheizt werden.
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Natürlich brauchen wir auch einen Ausbau von Speichern, und Strom-, Gas-, Wärmenetze müssen zusammengedacht werden. Fernwärmenetze und Gasnetze sind ebenfalls als Speicheroptionen zu führen.
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Herr Bareiß, Herr Minister, prüfen Sie endlich diese Alternativen! Wenn dieses Gesetz bleibt, dann schieben Sie den Übertragungsnetzbetreibern Jahr für Jahr zusätzliche Profite von 2,8 Milliarden Euro zu; das ist unverschämt.
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Kolleginnen und Kollegen, verhindern Sie den Verstoß gegen EU-Recht. Wir können den Weg zu einem kostengünstigen Stromnetz ohne Ultranet, ohne SuedLink, ohne SuedOstLink beschreiten. Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ingrid Nestle, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum ersten Mal verabschieden wir heute Abend ein Gesetz zum Bedarf an Stromleitungen, nachdem tatsächlich ein Szenario ganz ohne Kohlestrom gerechnet worden ist. Das haben wir Grüne schon lange gefordert. Das ist ein großer Erfolg, und darüber freue ich mich sehr.
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So wird zum ersten Mal wirklich transparent, dass wir diese Stromleitungen brauchen.
Natürlich brauchen wir sie; wir brauchen sie, damit sich die Erneuerbaren gegenseitig unterstützen können und die Regionen mit viel Wind und die Regionen mit viel Sonne vernetzt sind.
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Gemeinsam sind die Erneuerbaren stark. Wir brauchen die Stromleitungen natürlich auch, um den Strom aus den Erzeugungszentren im Norden – vor allem auch von offshore – in die Mitte und den Süden Deutschlands zu bekommen. Und ja, wir brauchen die Stromleitungen, um die Versorgungssicherheit auch in Süddeutschland sicherzustellen. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf, der von einer breiten Mehrheit getragen wird, hier heute auch zustimmen.
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Es ist aber natürlich nicht damit getan, hier heute Abend die Hand zu heben. Wir als Parlament beschließen den Bedarf an neuen Stromleitungen, wir als Parlament tragen die Verantwortung dafür, wo in unserem Land neue Stromleitungen gebaut werden, und das müssen wir laut sagen; denn es gibt immer noch sehr viele Menschen, die glauben, dass irgendwelche Konzerne mit obskurem Eigeninteresse die Stromleitungen planen, nur um Geld zu verdienen. Nein, so ist es nicht. Wir bestimmen, welche Stromleitungen gebaut werden, und dazu müssen wir laut und öffentlich stehen.
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Leider bin ich nicht wirklich zuversichtlich, was Ihre Haltung dazu angeht. Sie wollten dieses Gesetz hier heute ohne Debatte beschließen. Wir mussten dafür kämpfen, dass es im Ausschuss überhaupt eine öffentliche Anhörung gab.
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Das wird diesem Gesetz nicht gerecht; denn Netzausbau braucht Transparenz.
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Das müsste eigentlich gerade Sie von der Regierungskoalition sehr interessieren; denn Sie haben erst in der vorletzten EEG-Novelle den Ausbau der Erneuerbaren absichtlich gedeckelt und gebremst. Das Argument, das ich am häufigsten gehört habe, war: Die Stromleitungen sind ja noch nicht da. – Dann müssen Sie doch wenigstens jetzt, wenn es um den Zubau von Stromleitungen geht, mit vollem Engagement dabei sein, anstatt zu sagen: Na ja, ohne Debatte, das reicht auch. – Für Sie müsste das eigentlich besonders wichtig sein.
Natürlich brauchen wir Erneuerbare und Stromleitungen,
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natürlich muss das Tempo ein bisschen stimmen. Was Sie aber machen, ist, dass Sie immer das, wo der Ausbau gerade schneller geht, bremsen. Wenn Sie das Gefühl haben, der Ausbau der Erneuerbaren geht schneller als der Ausbau der Stromleitungen, dann sagen Sie: Oh, wir brauchen weniger Erneuerbare. – Wir können schon jetzt sehen, dass Sie beim nächsten NEP, dem nächsten Netzentwicklungsplan, sagen werden: Oh, so viele Erneuerbare können wir leider nicht annehmen, weil die ja irgendwie nicht ankommen können. – Sie nehmen immer an, dass Sie das, was gerade zu schnell ausgebaut wird, bremsen müssen. Das ist armselig; denn der Ausbau der Erneuerbaren und der Stromleitungen muss viel, viel schneller vorangehen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie ist anstrengend, die Energiewende kostet Kraft,
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und Ehrlichkeit macht Mühe. Aber Demokratie lohnt sich, die Energiewende ist die Kraft wert, und Ehrlichkeit ist einfach unverhandelbar. Deswegen hoffe ich sehr, dass wir gemeinsam engagiert für das einstehen, was wir hier heute beschließen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Nestle. – Der Kollege Mark Helfrich, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.
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– Mehr Beifall hätte er mit seiner Rede wahrscheinlich auch nicht erhalten. – Deshalb ist jetzt der letzte Redner heute der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion, dem wir in voller Andacht lauschen.
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– Er spricht Hochdeutsch, keine Sorge.
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Herr Kollege Saathoff, Sie haben das Wort.
Jedenfalls vorwiegend Hochdeutsch, Herr Präsident. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Energieleitungen werden künftig das zentrale Nervensystem der Energiewende sein, und die Stromerzeugung wird sich verändern – nicht für die Ewiggestrigen versteht sich; die wollen weiterhin Atomstrom und Kohlestrom und den Leuten suggerieren, das sei alles gesund.
Die Stromerzeugung wird sich verändern; sie wird erneuerbar, und sie wird dezentral. Wenn sie dezentral und erneuerbar wird, dann brauchen wir neue Stromleitungen. Dieses Gesetz regelt, dass 35 neue Stromleitungen in den Bundesbedarfsplan aufgenommen werden, und das ist gut so.
Uns lag ein guter Gesetzentwurf vor, und wir haben ihn noch ein kleines Stück verbessert. Wir haben nämlich dafür gesorgt, dass die Offshoreanbindungen optimiert werden, und wir haben dafür gesorgt, dass auch Netzbooster möglich sind, dass das reglementiert wird.
Was sind Netzbooster? Netzbooster sind große Batterien, durch die Netze im Bereich von Millisekunden gefahren und ausgeglichen werden können. Das dürfen die Übertragungsnetzbetreiber nach unserem Änderungsantrag künftig dann, wenn es nach den Ausschreibungen günstiger ist; dann können die Übertragungsnetzbetreiber das machen.
Daneben gibt es Herausforderungen im Netzbetrieb. Um das klar zu sagen: Wir brauchen noch andere Dinge als Netzbooster. Wir brauchen digitale Betriebsführungen,
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wir brauchen automatisierte Betriebsführungen, wir brauchen ein Temperaturmonitoring für Seile, wir brauchen die Möglichkeit, dass Verteilnetze und Übertragungsnetze im Netzbetrieb viel mehr als in der Vergangenheit gemeinsam gedacht werden.
Wir haben auch über SuedLink 3 gesprochen. Ich persönlich finde, eigentlich müsste man das möglich machen, was technisch möglich ist, und 525 kV sind weiß Gott keine Raketentechnologie. Trotzdem haben wir uns in der Koalition dagegen entschieden, um Verzögerungen zu vermeiden. Der Vorteil wäre gewesen, dass auf gleicher Trasse statt 4 Gigawatt 6 Gigawatt hätten transportiert werden können; das wäre eine ganze Menge mehr gewesen. Oder, wie man in Friesland sagt: Hebben is beter as bruken. – In zwei, drei, fünf Jahren werden wir den Menschen erklären müssen, warum wir auf der gleichen Trasse nicht 50 Prozent mehr Strom transportieren dürfen.
Ich habe selber einen Eindruck davon gewonnen, wie die Netzausbausituation, in Schwandorf, im Naabtal, ist, und ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Ich hätte mir gewünscht, dass es uns in der Koalition gelungen wäre, für diesen Bereich des Ostbayernrings auch eine Erdverkabelung vorzusehen.
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Das haben die Menschen dort eigentlich dringend verdient. Es lag nicht an uns, dass es nicht so weit gekommen ist.
Wir haben in der Entschließung auch die Startregulierung der Wasserstoffnetze aufgenommen. Künftig muss man Wasserstoff, Methan und Strom gemeinsam denken. Gemeinsam muss austariert werden, wo man welche Übertragung von Energie für das zentrale Nervensystem der Energiewende am besten nutzen kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. – Damit schließe ich die Aussprache.