Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/27/2021

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt nach einer solch eindrücklichen Gedenkstunde, wie wir sie jetzt erlebt haben, natürlich nicht ganz leicht, in den normalen Parlamentsalltag überzugehen. Aber das ist notwendig; denn wir machen heute den Weg frei für einen weiteren Schritt zur Pandemiefestigkeit unseres Wahlrechts, indem wir nämlich die Verordnung des Bundesinnenministeriums auf den Weg bringen, die es den Parteien in dieser Sondersituation ermöglichen wird, Bundestagskandidaten notfalls auch ohne Präsenzveranstaltungen aufzustellen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verhehle es ausdrücklich nicht: Als wir im Oktober des vergangenen Jahres mit der Änderung des Bundeswahlgesetzes die Rechtsgrundlage für diesen Mechanismus, für diese Flexibilisierung der Wahlbewerberaufstellung, geschaffen haben, da haben wir eigentlich alle gehofft, dass wir diese Regelung niemals in Anspruch nehmen müssen und dass die Lage des pandemischen Geschehens besser wird. Aber wir müssen reagieren, und das aktuelle Pandemiegeschehen zeigt uns, dass es im Oktober eine vorausschauende Entscheidung war, die Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass jetzt per Verordnung und mit Zustimmung des Parlaments eine Flexibilisierung für die Aufstellung von Bundestagskandidaten geschafft werden kann. Viele Kolleginnen und Kollegen – auch einige, die jetzt der Debatte beiwohnen, auch ich selbst – sind in den Wahlkreisen schon nominiert, viele aber warten noch auf ihre Nominierung. Wenn ich in meinen Nachbarwahlkreis an der Ostseeküste, Vorpommern-Rügen, schaue, stelle ich fest, dass es dort so aussieht: Da gibt es das Schicksal des Bundestagskandidaten, der im November letzten Jahres schon fest an die Nominierung glaubte, und der jetzt von Monat zu Monat die Veranstaltungen verschiebt. Hier gibt es hohe organisatorische Hürden, und deswegen müssen wir reagieren. Ich weiß, es gibt manche Kritik an der Art und Weise, wie diese Verordnung konzipiert ist. Ich möchte aber eines deutlich sagen: Wir haben uns die Regelung über das Wahlrecht an keiner Stelle von der Exekutive aus der Hand nehmen lassen, sondern wir waren als Parlament zu jedem Zeitpunkt Herr des Verfahrens. Und auch die Tatsache, dass wir in dieser Woche in allen drei Lesungen unsere Zustimmung erteilen und den Maßgabebeschluss zu dieser Verordnung fassen, ist kein unzulässiges Schnellverfahren, sondern eine legitime Nutzung parlamentsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Vor allem eines ist mir wichtig: Wir greifen mit dieser Regelung nicht in die Gestaltungsfreiheit der Parteien ein, sondern wir schaffen Flexibilität und zusätzliche Möglichkeiten. Die Präsenzveranstaltung als Regelfall wird nicht abgelöst; sie wird nur um Alternativen ergänzt. Ich glaube, die Parteien, die in der jetzigen Situation nominieren wollen und den Gesundheitsschutz ihrer Mitglieder als Verfassungsgut im Blick haben, sind froh darüber, dass diese Regelung geschaffen wurde. ({0}) Es gibt keinen Rabatt auf die Wahlrechtsgrundsätze. Wir bleiben hier in einem vernünftigen System, und deswegen eignet sich diese Debatte nicht für großen Widerspruch, sondern dafür, dass wir alle verantwortungsvoll mit dieser Situation umgehen. Ich werbe um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Amthor. – Dann erteile ich das Wort dem Abgeordneten Stephan Brandner, AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es heute? Es geht nach dem Willen der Altfraktionen – jedenfalls dem der Regierungsfraktionen; wie Die Linke, die FDP und die Grünen sich verhalten, da bin ich gespannt – darum, wieder mal ein Stückchen Demokratie abzuschaffen. Diesmal haben Sie es auf die innerparteiliche Demokratie abgesehen und sich diese als Opfer ausgesucht. Dabei gehen Sie ganz klassisch vor: Erst mal Angst machen, nach dem Motto: „Wählen gefährdet die Gesundheit“. Dann Ihr Hilfsangebot: Wir haben eine bittere Medizin; es gibt aber nur Risiken und Nebenwirkungen, und die stammen von den Altparteien und von Frau Merkel. Und was ist nun diese bittere Medizin? Das ist die heute zu debattierende Rechtsverordnung, die morgen auch noch mal debattiert wird, mit der Sie in noch nie dagewesener Art und Weise in die innere Verfasstheit der politischen Parteien hineinregieren und fundamentale Wahl- und Demokratiegrundsätze in einem ersten Schritt zur Disposition stellen und in einem zweiten Schritt wohl abschaffen werden. Und was sind die Risiken und Nebenwirkungen, die Sie bewusst in Kauf nehmen, ja wohl beabsichtigen? Sie geben den Behörden, also der Exekutive, mit dieser Verordnung, die Sie verabschieden wollen, alle Möglichkeiten, von nun an ordentliche, demokratische, transparente und vom Präsenzprinzip geprägte Aufstellungsversammlungen zu verbieten. Solche Versammlungen, die hier offensichtlich problemlos möglich sind, sollen und werden für Parteien unmöglich gemacht werden; das sage ich Ihnen voraus. Das ist absehbar. ({0}) Und weil aus Ihrer Sicht Wahlen gesundheitsschädlich sind, doktern Sie auch seit einiger Zeit an dunklen Ideen und Plänen zur Briefwahl herum, um damit weitere Wahlgrundsätze wie die Geheimheit der Wahl und die Öffentlichkeit der Wahl abzuschaffen und Wahlergebnisse in Ihrem Sinne beeinflussen zu können. Ihnen von den Altparteien das Wahlrecht in der Hoffnung auf mehr und bessere Demokratie anzuvertrauen, ist in etwa so, wie auf einen Quacksalber und dessen Gebräue und Gemische zu setzen. – Da kommt jetzt Applaus von meiner Fraktion, vielen Dank. ({1}) Sie von den Altparteien sind die Quacksalber der Demokratie, und Ihnen kommt das, was Sie heute und morgen mit dieser Verordnung tun, sehr entgegen; denn Sie halten von innerparteilicher Demokratie und Demokratie im Allgemeinen sowieso nichts. Sie labern darüber, Sie leben sie aber nicht. Für uns von der AfD – und das gilt auch für meine schweigenden Kollegen auf der rechten Seite – gehört die Demokratie jedoch zu unserem Markenkern. Sie ist für uns unverzichtbar. Und das ist genau der Grund, weshalb wir diese bittere, nutzlose Medizin, die Sie uns hier verabreichen wollen, ablehnen. Ohne Wenn und Aber sagen wir Nein zu dieser Rechtsverordnung. Vielen Dank. ({2}) – Und jetzt sind sie dann doch aufgewacht!

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Mahmut Özdemir. ({0})

Mahmut Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Richtung meines Vorredners sage ich nur: Wer viel redet, glaubt am Ende auch das, was er sagt. ({0}) Das sollte an dieser Stelle Warnung genug sein. Das, was wir heute mit diesem Verfahren tun, zeigt: Der Deutsche Bundestag ist der Souverän für die Parteiendemokratie und die Wahlgrundsätze. Er ist der Ort der Entscheidung. Wir sind diejenigen, die darüber richten und feststellen, ob eine Lage höherer Gewalt vorliegt und teilweise die Unmöglichkeit von Versammlungen vorliegt. Wir sind auch diejenigen, die die Rechtsverordnung genehmigen oder nicht. Wir haben uns gerade im Innenausschuss die Rechtsverordnung im Detail angeschaut und haben darüber diskutiert. Es ist auch viel im Verfahren daran gearbeitet worden. Ich bedanke mich insbesondere bei den Oppositionsfraktionen, die sich konstruktiv beteiligt haben – bei der Linken, bei den Grünen, bei der FDP-Fraktion –, dass diese Verordnung eine gemeinsame Geschäftsgrundlage für unsere Bundestagswahl sein kann; denn darum geht es. Es geht um die Wahlvorbereitungen für den 26. September 2021. Jede Partei soll ohne Angst, ohne Restriktionen, ohne Fehlerquellen die Möglichkeit haben, ihre Kandidierenden, ihre Landeslisten aufzustellen, um am Ende des Tages das komplette Verfahren von der Delegiertenwahl über die Vertreterwahlen, aber auch das Vollversammlungssystem handhabbar zu machen. Seit November sprechen uns die Parteien immer wieder an und fragen: Wie können wir das Verfahren rechtssicher machen? Unsere Mitglieder haben Bedenken, zu Veranstaltungen zu kommen. Unsere Mitglieder haben Bedenken, in geschlossenen Räumen zu Hunderten Delegierten zu sitzen und auch Entscheidungen durchzuführen. – Das ist eine Situation, die uns hier nicht kaltlassen kann. Es kann uns einfach nicht kaltlassen, dass es Parteien und Gliederungen gibt, die sagen: Wir können keine Versammlungen durchführen, weil unsere Mitglieder sich weigern oder das nicht wünschen, aus Angst um ihre Gesundheit, aber auch aus Angst um ihre Vorbildfunktion. – Ich sage dazu ganz deutlich: Wir Parteien und wir Mandatsträger, aber auch die Kandidierenden, die am 26. September in dieses Hohe Haus einziehen möchten und sich bewerben möchten, müssen ihre Vorbildfunktion ausüben. Deshalb halte ich es für einen sehr verantwortungsvollen Weg. Ich halte es für einen Weg, den wir uns nicht leichtfertig ausgedacht haben. Seit der Sommerpause des letzten Jahres diskutieren wir über dieses Regelungsgefüge. Das heißt, hier ist nichts im Geheimen, nichts im Verborgenen passiert. Es ist alles transparent. Es ist alles mehrmals offen diskutiert worden. Der Deutsche Bundestag ist die letzte Instanz, die über diese Rechtsverordnung befindet. Das tun wir morgen Abend im Rahmen unserer Plenardebatte. Dann können wir die Verordnung gerne noch einmal im Einzelnen durchgehen und im Lichte der Öffentlichkeit debattieren, sodass alle Kandidierenden und alle Parteien in diesem Land die gemeinsame Geschäftsgrundlage kennen. Die Regel ist und bleibt das Bundeswahlgesetz. Wir gewähren jetzt den Parteien Erleichterungen, um die Situation handhabbar zu machen und um für ihre Mitglieder Sicherheit für sich selbst und für ihre Gesundheit zu gewährleisten. Gerade deshalb ist es ein sehr gutes Vorgehen. Ich bitte für meine SPD-Fraktion um Zustimmung. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Jetzt hat das Wort für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Konstantin Kuhle. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 26. September 2021 findet die nächste Bundestagswahl statt. Wir leben in aufgeregten Zeiten. Deswegen ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger sich hundertprozentig darauf verlassen können, dass diese Wahl am 26. September stattfindet und dass die Wahl selber und ihre Vorbereitungshandlungen einschließlich des Wahlkampfes nach allen Regeln der Kunst stattfinden. Wir sollten uns in dieser Woche miteinander darüber unterhalten, wie man sicherstellen kann, dass auch in einem Jahr der Pandemie der demokratische Diskurs im Vorfeld einer Bundestagswahl stattfinden kann und dass übrigens auch im Wahlkampf über diese Coronapandemie gesprochen wird, meine Damen und Herren. Wir haben jetzt eine Verordnung aus dem Bundesinnenministerium vorliegen, mit der wir als Freie Demokraten in Teilen nicht einverstanden sind. Ich sage Ihnen das ganz offen: Ich glaube, dass eine Präsenzveranstaltung immer den Vorrang haben muss. Man kann sich dort ein Bild machen von den verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten. Man kann sich bei einer Präsenzveranstaltung darauf verlassen, dass auch im letzten Moment jemand noch an einer Abstimmung teilnehmen kann. ({0}) All das ist hier mit bestimmten Rechtsunsicherheiten verbunden. Wir glauben aber, dass die Große Koalition und die Bundesregierung insgesamt einige Punkte in der Rechtsverordnung aufgegriffen haben und bedanken uns dafür. Insgesamt ist sie aber noch mit Rechtsunsicherheiten behaftet. Ich kann schon einmal ankündigen, dass wir morgen über diese Rechtsverordnung noch einmal im Detail sprechen werden, und lade Sie alle herzlich ein, morgen Abend dabei zu sein. Heute geht es aber gar nicht um die Verordnung als solche. Heute geht es darum, ob der Bundestag in dieser Woche über diese Verordnung spricht. Und darüber sprechen will eigentlich nur die AfD. Das will sie, weil sie ein elementares Interesse daran hat, ({1}) Zweifel am demokratischen Wahlprozess zu säen, weil sie davon lebt, weil sie sich davon ernährt, dass Menschen in Deutschland in Zweifel ziehen, dass im Bundestag alles mit rechten Dingen zugeht. Und Herr Brandner stellt sich hierhin und ballert einfach drei Minuten Unsinn heraus. ({2}) Irgendetwas wird schon kleben bleiben und am Ende dazu führen, dass sich bestimmte Bürgerinnen und Bürger seine Youtube-Videos gegenseitig zuschicken und sagen: Ach guck mal, der Brandner, der hat da doch einen Punkt genannt, da ist doch irgendwas nicht in Ordnung, was da im Bundestag eigentlich gemacht wird. ({3}) Dieser Move, den Sie hier gerade aufgeführt haben, der hat offensichtlich sogar in Ihrer eigenen Fraktion dazu geführt, dass sich noch ein Mindestmaß an Anstand – hätte man gar nicht gedacht – breitmacht ({4}) und dass die Leute vor Scham im Boden versinken; denn man muss sich doch wirklich einmal fragen: Wie wird man eigentlich so? Man tritt 2013 wegen der Euro-Krise oder 2015 wegen der Migration in eine Partei ein, will ein paar konstruktive Vorschläge machen und plötzlich sitzt man in einer Partei mit Impfgegnern, Reichsbürgern und Neonazis auf Kommunalwahllisten, die hier irgendeinen Unsinn verbreiten. ({5}) Ich frage mich wirklich manchmal: Was fühlen Sie eigentlich? Was empfinden Sie eigentlich, wenn Sie selber in den Spiegel gucken und wenn Sie sich den Brandner hier am Rednerpult vergegenwärtigen? Bitte machen Sie das einmal mit sich selber aus, aber lassen Sie es sein, Ihren Frust und die Verbitterung ({6}) über Ihr Leben in den letzten dreieinhalb Jahren auszuleben, indem Sie sich an der Demokratie vergehen und hier solche Shows abziehen. Lassen Sie es sein und lassen Sie uns in dieser Woche darüber sprechen, wie wir in Bundestagswahlzeiten eine rechtssichere Durchführung der Bundestagswahl gewährleisten können. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Abgeordnete Friedrich Straetmanns. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als wir im vergangenen September das erste Mal im Plenum über die Kandidatenaufstellung in Pandemiezeiten gesprochen haben, haben wir als Linke klargemacht, dass wir die Regelung per Rechtsverordnung für eine ziemliche Schnapsidee halten. ({0}) Parteiinterne Vorgänge haben nichts in den Händen des Bundesinnenministers verloren. Dazu stehen wir auch heute noch. Auch das damals von Ihnen vorgebrachte Argument des Zeitmangels hat sich absolut nicht bestätigt. Wir hätten in der Zeit, in der wir uns nun mit der Rechtsverordnung auseinandersetzen konnten, locker den normalen Gesetzgebungsverlauf durchlaufen können. Dass Sie das nicht gemacht haben, halten wir für einen großen Fehler. ({1}) Sie haben aber auch handwerklich – ich muss sagen: wieder einmal – schlecht gearbeitet. Es finden sich zahlreiche Unklarheiten in den Formulierungen, bei denen ich mir sicher bin, dass sie zu einigem Ärger an der Parteibasis, die sie umsetzen muss, führen werden. Sie wissen so gut wie ich: Ein gescheiterter Bewerber wird nach jedem Strohhalm greifen, der sich bietet. Nicht zu stark in die Parteiinterna eingreifen zu wollen, halte ich zwar für einen guten Vorsatz, nur darf es niemals zulasten der Rechtssicherheit gehen; denn genau das ist es doch, was wir hier schaffen wollen und was sich unsere Mitglieder an der Basis wünschen. Hier ist es in der Rechtsverordnung nicht gelungen. Zum anderen halte ich Ihr Vorgehen aber auch für taktisch äußerst unklug. Seit Jahrzehnten hören wir von steigender Parteien- und Politikverdrossenheit. Seit nunmehr über drei Jahren erleben wir auch im Bundestag, wie die AfD jede Chance ergreift – eben Herr Brandner –, um politische Institutionen und den Parlamentarismus zu beeinträchtigen. Ganz besonders in der Zeit seit Beginn der Coronakrise mahnen nicht nur wir als Linke an, dass der Glaube an Verschwörungsmythen und der Mangel an Diskussionsbereitschaft zusammenhängen. ({2}) In diesem Kontext ist es für uns vollkommen unbegreiflich, wie man so unglücklich agieren kann und völlig ohne Not den klassischen Weg der Gesetzgebung hier verlässt. ({3}) Es muss doch bei der Regierung angekommen sein, wie sich antiparlamentarische Kräfte bei diesen Vorlagen bedienen und sie nutzen. Genau deswegen würde ich mir von Ihnen in Zukunft nicht nur bessere Gesetze und Verordnungen wünschen, sondern auch mehr Fingerspitzengefühl. ({4}) Es sollte Ihnen eben nicht nur darum gehen, wie Sie Dinge möglichst schnell und möglichst in Ihrem Sinne durchbringen, sondern Sie sollten bei Ihren Vorhaben mal mehr in den Mittelpunkt rücken, dass Sie nicht zu viel verbrannte Erde demokratischer Kultur hinterlassen. ({5}) Ganz nach dem Vorbild ihres Idols Donald Trump hat die AfD schon erste Testballons steigen lassen, indem sie die Rechtmäßigkeit von Wahlen anzweifelt. Es ist unser aller Aufgabe, das auf dem Schirm zu haben und dem mit aller Bestimmtheit etwas entgegenzusetzen. Wir sind als Opposition gefragt, mit unserer Kritik stets präzise, nicht pauschal zu sein. Und dann sind Sie aber als Regierung besonders gefragt, indem Sie Ihre Macht nicht dazu nutzen, notwendige Debatten auszulassen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Dann kommen wir zu der letzten Rednerin. Das ist die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren morgen – für alle diejenigen, die interessiert sind – in der Sache noch mal über genau dieses Thema. Der Bundestag duckt sich hier nicht weg, der Bundestag berät intensiv. Regierung und Opposition – FDP, Linke und Grüne – sind an der einen oder anderen inhaltlichen Stelle vielleicht unterschiedlicher Auffassung über den Tatbestand der Regelungen, die heute bzw. morgen verabschiedet werden. Aber sitzen Sie bitte nicht diesen Argumenten auf, die immer wieder von der AfD kommen. Meine Damen und Herren, sie sind wirklich nur dazu da, Zweifel am Vertrauen in demokratische Institutionen und auch in das Parlament und die Beratungen der Abgeordneten zu säen. Sitzen Sie dem nicht auf, meine Damen und Herren. ({0}) Denn auch wenn ich in der Sache mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an vielen Stellen zu einer anderen Auffassung gekommen bin und auch versucht habe, Sie zu überzeugen, dass wir gute Argumente hatten, das Bundeswahlgesetz anders zu formulieren und für mehr Bestimmtheit und Rechtsklarheit zu sorgen, auch wenn ich an der Rechtsverordnung inhaltlich wirklich noch Kritik habe und wir deshalb morgen, wenn wir nach der Debatte abschließend entscheiden, nicht zustimmen werden, ({1}) kann man doch dem Brandner das hier so nicht durchgehen lassen, meine Damen und Herren. ({2}) Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee, es sei nicht beraten worden? Meine Damen und Herren, das stimmt einfach nicht. ({3}) Es ist gelogen, meine Damen und Herren, schlichtweg gelogen; denn wir haben die Änderung des Bundeswahlgesetzes diskutiert, hier parlamentarisch mit Mehrheit verabschiedet, gegen die Stimmen der Grünen. Aber ich sage es trotzdem: Wir haben einen demokratischen Beschluss gefasst. – Das nennt man Demokratie, wenn hier Mehrheiten zustande kommen. ({4}) Und da sollten Sie nicht in der Öffentlichkeit Zweifel säen. Es ist fahrlässig – wirklich fahrlässig –, so zu tun, als wäre hier irgendwas gemauschelt oder getrickst worden. Mit Mehrheit, die mir und Bündnis 90/Die Grünen nicht gepasst hat, ist hier ein Beschluss zustande gekommen. Ich finde auch, dass wir alle uns als kritische Opposition mit Verbesserungsvorschlägen, mit inhaltlichen Auffassungen einbringen sollen. Wo sind die denn von Ihnen? Sie von der AfD sind doch blank, bei jedem dieser Punkte sind Sie doch absolut blank. Sie können doch nichts Konstruktives beisteuern, meine Damen und Herren. ({5}) Ich finde es gut, wenn wir morgen die Debatte in aller Ernsthaftigkeit in der Sache führen. Wir hätten uns hier mehr Rechtssicherheit und mehr Klarheit für die Parteien gewünscht. Wir wissen aber, dass alle demokratischen Parteien und Kräfte darauf drängen, dass es jetzt endlich eine Regelung gibt. Deshalb sind wir auch sehr bereit, mit Ihnen morgen darüber zu diskutieren, meine Damen und Herren. Ich glaube, es ist einfach nicht Brandners Woche. ({6}) Das erkennt man, wenn man sich anguckt, was in den sozialen Medien los ist, wo Sie ja zu Hause sind. Schalke 04 ist nicht mein Verein – ich bin für Arminia Bielefeld –; ({7}) aber der Verein hatte gestern recht, als er getwittert hat: Schalke wird nie auf Ihr Niveau absteigen. – Ich hoffe, wir alle auch nicht – ich bin mir ganz sicher. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das war die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1.

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Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich heute die Gelegenheit habe, mal wieder mit Ihnen in den Austausch zu kommen und Ihnen auch einen kleinen Einstieg in die aktuelle Politik für die Familien, die Senioren, die Frauen und die Jugend im Land zu bieten. Natürlich ist auch in unserem Ressort alles, was wir tun, alles, was wir aktuell an Notwendigkeiten sehen, verbunden mit der Pandemie und mit den Auswirkungen, die sie auf Familien und die Menschen von Jung bis Alt in unserem Land hat. Wir haben im letzten Jahr allein in unserem Bereich etwa ein Dutzend Maßnahmen ergriffen, die den Familien, den Kindern, den Jugendlichen, den älteren Menschen in der Pandemie helfen sollen, die konkrete Verbesserungen für ihr Leben in dieser schwierigen Zeit ermöglichen. Ich will nur kurz den Kinderbonus, den Kinderzuschlag, den wir um einen Notfall-Kinderzuschlag ergänzt haben, die Regelungen für das Elterngeld in Pandemiezeiten und die jüngst erfolgte Ausweitung der Kinderkrankentage nennen. Wenn ich heute, da wir schon bald am Ende der Legislatur sind, auf die letzten drei Jahre zurückblicke, bin ich sehr zufrieden mit dem, was wir in der Familienpolitik für Deutschland erreicht haben. Wir sind damals mit drei Grundsätzen gestartet, die wir uns für unsere Politik vorgenommen haben. Ich will kurz etwas zu diesen drei grundlegenden Thesen und letztendlich zur Ausrichtung unserer Politik sagen. Der erste Grundsatz ist: Wir arbeiten dafür, dass es jedes Kind packt. Und das haben wir gemacht: mit dem Gute-KiTa-Gesetz, mit dem Starke-Familien-Gesetz, ({0}) mit unserem Bemühen, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder durchzusetzen, woran wir aktuell noch intensiv arbeiten, mit dem neuen Jugendmedienschutzgesetz oder im Zusammenhang mit den Kinderrechten, wo auch wir daran mitgearbeitet haben, dass sie hoffentlich ins Grundgesetz kommen. Ich freue mich auch darüber, dass wir in dieser Woche im Bundestag das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, die SGB‑VIII-Reform, einbringen können Der zweite Grundsatz: Wir kümmern uns um die Kümmerer, und zwar um die, die sich professionell um andere kümmern, aber auch um die, die das ehrenamtlich tun: Indem wir die Pflegekräfte stärken, indem wir mit unserer Konzertierten Aktion Pflege gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium und dem Gesundheitsministerium daran arbeiten, die Situation gerade in der Ausbildung zu verbessern. Wir haben insgesamt das Thema „Aufwertung der sozialen Berufe“ vorangebracht und die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt gegründet. Und ich bin stolz darauf, dass wir unser Demokratieförderprogramm „Demokratie leben!“ deutlich aufstocken und ausbauen konnten. Der dritte Grundsatz: Frauen können alles. Das überschreibt ein bisschen unsere Gleichstellungspolitik. Sie wissen, dass mir das ein wichtiges Anliegen ist. Wir haben die erste Gleichstellungsstrategie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ressortübergreifend auf den Weg bringen können. Wir haben mit dem Zweiten Führungspositionen-Gesetz im Kabinett beschlossen, dass wir eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen wollen. Und wir haben dafür gesorgt, dass wir zum allerersten Mal ein wirklich großes Investitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ mit 30 Millionen Euro im Jahr auf den Weg bringen, das eine herausragende Wirkung haben wird. Dies läuft jetzt alles an. Wir treffen mit allen Bundesländern Vereinbarungen – und ich freue mich, dass es so einen großen Zuspruch hat –, um die Frauenhausinfrastruktur in Deutschland zu stärken. Ich bin darüber hinaus natürlich immer von dem Gedanken getrieben, dass wir einen Gesamtblick auf die Familien als Querschnittsaufgabe in Deutschland haben. Deshalb haben wir eine Grundüberzeugung, nach der wir arbeiten: Wir arbeiten für starke Familien in einem starken Land. Das tun wir mit den verschiedensten Gesetzgebungsvorhaben; ich kann Ihnen heute in der kurzen Impulsrede natürlich gar nicht alles darlegen. Ich denke, wir kommen gemeinsam darüber ins Gespräch, und hoffe, alle Fragen, die Ihnen am Herzen liegen, zu beantworten. Vielleicht noch eines, das mir wichtig ist: die Digitalisierung der Familienleistungen; auch daran arbeiten wir. Aber jetzt ist Ihre Stunde. Ich stehe gerne für Ihre Fragen zur Verfügung und wünsche uns eine gute Regierungsbefragung und eine gute Diskussion. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wir beginnen jetzt mit der Regierungsbefragung, und zwar erstens zu den Ausführungen der Ministerin, zweitens zu ihrem Geschäftsbereich, drittens zu vorangegangenen Kabinettssitzungen und schließlich zu allgemeinen Fragen. Es beginnt der Abgeordnete Thomas Ehrhorn, AfD-Fraktion.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, etwa vor einem Jahr gab es Berichte – nicht nur von den Eltern betroffener Kinder, sondern auch von verschiedenen Medien, unter anderem vom Magazin „Kontraste“ – über Missbrauchsfälle in deutschen Kindertagesstätten im Zusammenhang mit dem sogenannten pädagogischen Konzept „Original Play“. Dort wird es wildfremden erwachsenen Männern gestattet, mit den Kindern in intensiven Körperkontakt einzutreten, mit ihnen zu kuscheln, sie zu streicheln, zu drücken und zu rangeln. Es liegt natürlich auf der Hand, dass ein solches Konzept pädophile Übergriffe begünstigt, und dazu ist es ja ganz offensichtlich auch gekommen. Deswegen meine Frage an Sie: Wie stehen Sie, wie steht die Bundesregierung zu einem bundesweiten Verbot dieses pädagogischen Konzeptes und ähnlicher pädagogischer Konzepte?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Ministerin.

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Wir haben uns als Bundesregierung und auch als Bundesfamilienministerium ganz klar von solchen Methoden distanziert. Weder unterstützen wir das, noch fördern wir das, noch befürworten wir das. Das sind Methoden, die aus unserer Sicht nicht zu vertreten sind. Aus diesem Grund ist auch ganz klar, dass das in allen Förderbereichen des Bundes – auch in der Diskussion mit den Ländern gibt es da eine sehr einhellige Meinung – nicht unterstützt wird, nicht geduldet wird. Insofern ist es in der praktischen Lebensrealität so, dass diese Dinge unterbunden werden. Es gab nach den öffentlichen Diskussionen auch ein ganz klares Bekenntnis aller Landesregierungen in diese Richtung. Insofern denke ich, dass wir jetzt schon eine Situation haben, in der diese Dinge in den Kitas nicht mehr stattfinden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nachfrage, Herr Kollege?

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. Danke schön. – Meinen Sie nicht trotzdem, dass es ein wichtiges Zeichen auch für die Eltern der Kinder in den Kindertagesstätten wäre, wenn sich die Bundesregierung ganz klar durch ein eindeutiges Verbot solcher Konzepte positionieren würde? Denn ich glaube, wir müssen doch die Weichen dafür stellen, dass die Eltern ihre Kinder mit einem Gefühl der Sicherheit in die Kindertagesstätten geben und wirklich ganz klar wissen, dass es so etwas, wie es leider vorgekommen ist, nie wieder in deutschen Kindertagesstätten geben wird.

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Ich möchte hier noch einmal ganz klar sagen, dass Sie eine Gefahr aufzeigen, deren Prävention längst erfolgt ist. Wir haben ein Kinder- und Jugendhilferecht, das den Kinderschutz in den Mittelpunkt stellt. Wir werden am Freitag die erste Lesung einer Reform haben, mit der wir den Kinderschutz noch mal verstärken und erhöhen. Wir haben mit allen Kindertagesstätten, mit den Ländern entsprechende Qualitätsvereinbarungen getroffen. Darin ist eine ganz klare Positionierung enthalten – ich empfehle das Gute-Kita-Portal der Bundesregierung –; das ist Inhalt aller Landeskonzepte. Der Kinderschutz ist Realität; das ist klare Handlungsanweisung. Die Eltern können sich auch darauf verlassen, dass das umgesetzt wird. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Es gibt eine weitere Nachfrage von dem Abgeordneten Kraft. – Bitte schön.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, dann muss ich natürlich, in Anlehnung daran, die Frage stellen: Wie konnte es denn so weit kommen? Wenn Sie sagen, Ihre Präventivkonzepte seien ausgearbeitet, der Schutz der Kinder stehe im Zentrum, wie konnte das dann überhaupt passieren in dieser Legislaturperiode, Frau Ministerin? Das ist jetzt die entscheidende Frage. Wo ist hier die Prävention? ({0}) Und wie stellen Sie sicher, dass es nicht wieder passiert? Das ist eine wichtige Nachfrage. Sie sagen, Sie hätten alles getan. Aber anscheinend ist nicht genug getan worden. Es ist passiert.

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Ich will noch mal ganz klar sagen, dass der Kinderschutz und die Umsetzung vor Ort, in den Kindertagesstätten, Landesaufgabe ist. Wir als Bund schaffen die Rahmenbedingungen dafür. Wenn es Fälle gibt, in denen gegen den Kinderschutz verstoßen wird, dann muss man natürlich dagegen vorgehen; das ist auch erfolgt. Aber dem Eindruck, den Sie hier erwecken, dass das ein flächendeckendes Phänomen ist und eine unmittelbar drohende Gefahr, will ich ganz klar widersprechen. In den Fällen, die bekannt geworden sind, ist unmittelbar, sofort reagiert worden. Das ist auch richtig so. Dafür haben wir Kinderschutzverfahren und kinder- und jugendhilferechtliche Vorgaben, und in dem Sinne ist dort auch reagiert worden. Aber dem Eindruck, dass das ein Massenphänomen ist oder ein flächendeckend verbreitetes Verfahren, würde ich doch sehr widersprechen wollen. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Dann ist der Nächste der Kollege Marcus Weinberg. ({0}) – Ach so. Nein, es geht jetzt nur zu diesem Thema. Dann ist die nächste Fragestellerin die Kollegin Syvia Pantel, CDU/CSU. ({1}) – Du bist die Nächste; es hilft nichts.

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Alles klar, neues Thema. – Frau Ministerin, wir haben den Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen, der ja ein sehr großes Erfolgserlebnis ist. Es hat eine ganze Menge an Hilfen gegeben, was die Frauenhausplätze angeht. Die Digitalisierung, gerade bei Corona, nimmt einen erheblichen Schub. Da ist meine Frage: Wie läuft denn jetzt die Zusammenarbeit? Wie funktioniert das mit der Digitalisierung? Wissen wir, wie viele unterschiedliche Frauenhausplätze es in den verschiedenen Ländern gibt? Gibt es auch eine Kooperation? Und ist geplant, dass man die unterschiedlichen Kosten übernimmt?

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Im Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ haben wir sowohl einen investiven Teil als auch einen innovativen Teil. Das Thema „Digitalisierung, Vernetzung, Frauenhausplatzvergabe“ ist im innovativen Teil. Der investive Teil ist mit 30 Millionen Euro pro Jahr ausgestattet, der innovative Teil mit 5 Millionen. Die Digitalisierung ist ein ganz wesentliches Thema. Wir arbeiten mit den Bundesländern gemeinsam daran und haben von uns aus jetzt, in den Pandemiezeiten zusätzlich ein Programm aufgelegt, um die Frauenhäuser verstärkt mit den technischen Möglichkeiten auszustatten und Beratung und Unterstützung entsprechend vornehmen zu können. Das ist auch in Anspruch genommen worden, und wir entwickeln das kontinuierlich weiter.

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sagen also, dass der Austausch funktioniert?

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Der Austausch funktioniert sehr intensiv. Wir werden im Frühjahr den nächsten Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen haben. Das ist ja ein Gremium, das zum allerersten Mal in dieser Legislatur etabliert wurde mit Bund, Ländern, Kommunen und auch den Frauenhäusern selbst. Dieser Austausch läuft sehr gut. Ich kann Ihnen auch berichten, dass wir jetzt mit allen 16 Bundesländern die Vereinbarung für die Frauenhausförderung geschlossen haben und die entsprechenden Projekte jetzt in die Umsetzung gehen. Wir sind sehr zufrieden, dass das jetzt Fahrt aufnimmt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Dazu gibt es noch eine Frage der Kollegin Nicole Bauer.

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, meine Frage konkretisiert das Ganze noch einmal. Seit 2018 tagt nun der Runde Tisch. Mich bewegt, mich treibt um, was nun mit Frauen ist, die Partnerschaftsgewalt erleben und außerhalb der eigenen Kommune einen Frauenhausplatz suchen. Ist zu erwarten, dass Sie ein komplettes Finanzierungskonzept vorlegen, das auch dieses Problem mit aufnimmt? Gibt es am Ende eine einheitliche Finanzierung?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Das Thema Finanzierung ist ja sehr eng verbunden mit der Frage der rechtlichen Regelungen und gegebenenfalls eines Rechtsanspruchs auf einen Frauenhausplatz. Wir haben in Kooperation mit den Ländern zunächst einmal die Frauenhausinfrastruktur analysiert und beraten: Wo sind weiße Flecken? Wo muss investiert werden, um die Infrastruktur auszubauen? – Mit dieser Orientierung setzen wir jetzt das Bundesprogramm um, um genügend Frauenhausplätze zu schaffen. Das, was Ihnen wichtig ist, geht noch einmal darüber hinaus: eine über Bundeslandgrenzen hinausgehende Platzvergabe. Dort gibt es Abstimmungsgespräche. Man muss aber auch ganz klar sagen, dass die Länder da doch große Unterschiede in ihrer Sichtweise aufweisen. Wir werden uns im Frühjahr über Möglichkeiten für einen Rechtsanspruch austauschen. Das ist aber etwas, was mit hohen finanziellen Mitteln verbunden ist, die die Länder aufbringen müssen. Wir als Bund geben so viel wie noch nie mit dem Investitionsprogramm, um die Länder dabei zu unterstützen. Aber eine Platzvergabe über Bundeslandgrenzen hinaus ist natürlich auch mit einer entsprechenden Prioritätensetzung der Mittel in den Ländern verknüpft. Wir arbeiten daran, das voranzubringen; aber das liegt nicht allein in unserer Hand.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Dann ist die Nächste zu diesem Thema die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Grüne.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich frage da auch noch mal nach. Insbesondere mit Blick auf die Unterfinanzierung der Frauenhäuser, was wir ja jetzt seit Jahrzehnten diskutieren, gibt es immer wieder eine Auseinandersetzung darüber, was der Bund mehr tun kann. Sie haben das Investitionsprogramm erwähnt. Das ist ja gut; das sind investive Mittel. Aber das stärkt natürlich weder die Personalstrukturen noch die Möglichkeiten, Frauenhäuser in dem Maße auszubauen, wie es notwendig ist. Laut Istanbul-Konvention fehlen ja Plätze. Deswegen noch mal die Frage – Sie haben über den Rechtsanspruch gesprochen; wir als Bündnis 90/Die Grünen haben konkret im vorletzten Jahr einen Vorschlag mit einem Rechtsanspruch auf den Schutz vor Gewalt vorgelegt –: Wo bleibt Ihr Vorschlag dazu, um als Bund konkret –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– Vorschläge zu machen und nicht nur auf die Länder zu warten?

Not found (Minister:in)

Wir warten hier überhaupt nicht. Wir haben in dieser Legislaturperiode zum allerersten Mal einen regelmäßigen Fachaustausch mit den Ländern dazu, mit den großen Runden Tischen, die mehrmals stattfinden. Wir haben, wie gesagt, den Fokus dieses Fachaustausches am Runden Tisch zunächst einmal darauf gelegt, dieses Bundesinvestitionsprogramm gut auf die Beine zu bringen. Das ist jetzt erfolgt; mit allen Ländern wurden entsprechende Vereinbarungen geschlossen. Sie alle haben jetzt ein Handlungskonzept, wo sie investieren wollen, wo die weißen Flecken sind. Dort erfolgen jetzt Investitionen. Und der nächste Schritt ist der rechtliche Rahmen. Aber Sie wissen auch, dass es da große Unterschiede gibt. Es gibt Frauenhäuser, die sagen: Wir sind eigentlich nicht so für den Rechtsanspruch, wir hätten lieber eine pauschale Finanzierung. – Andere sind dafür. Ich wäre dafür. Aber es ist ein Diskussions- und Findungsprozess; wir sind dabei. Der nächste Runde Tisch wird im Frühling stattfinden. Das ist etwas, woran wir alle gemeinsam noch politisch arbeiten müssen, weil die Auffassungen dazu in den Ländern eben sehr unterschiedlich sind. Wir machen das vonseiten des Frauenministeriums, und zwar erstmals auch mit finanziellen Mitteln in einem Größenrahmen wie noch nie, um die Länder dabei zu unterstützen. Jetzt ist es wichtig, dass das auch adäquat umgesetzt wird.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Schauws?

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch eine Nachfrage.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte schön.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich meine, mich erinnern zu können, Frau Ministerin, dass Sie vor eineinhalb Jahren im Rahmen der Debatte um den 25. November herum schon angekündigt haben, den Rechtsanspruch in Angriff zu nehmen. Ein Rechtsanspruch vonseiten des Bundes würde ja auch ermöglichen – und das ist der Vorschlag, den wir vorlegen –, dass der Bund in die Finanzierung eintritt und die Länder nicht alleine finanziell dafür zuständig bleiben. Diese Diskussion ist von Ihrer Seite bisher nicht angestoßen worden. Ich glaube, dass es ein Thema des Runden Tisches sein muss, wie die bessere Finanzierung auch von Bundesseite aussehen kann. Deswegen noch mal die Nachfrage: Haben Sie vor, mit dem Rechtsanspruch in dieser Wahlperiode noch konkreter zu werden?

Not found (Minister:in)

Frau Schauws, Sie irren, wenn Sie behaupten, dass das nicht angesprochen wurde. Natürlich ist das angesprochen worden. Wir können Ihnen gerne die Protokolle des Runden Tisches zukommen lassen. Wir haben darüber diskutiert. Es gab aber unterschiedliche Auffassungen zu dieser Frage, die sich natürlich auch um Finanzierungsfragen ranken. Wir haben in diesem Sinne ganz klar gesagt: Das, was der Bund jetzt bis 2024 tut – jedes Jahr 30 Millionen plus die Investitionsmittel von 5 Millionen –, ist eine Vorlage, mit der wir den Ländern die Möglichkeit geben, über weitere Schritte nachzudenken, auch gemeinsam mit uns. Und es ist Thema des nächsten Runden Tisches, über rechtliche Rahmenbedingungen zu sprechen, über Schritte, wie man einen Rechtsanspruch vorbereiten kann. Wir sind im intensiven Austausch darüber. Aber Sie wissen auch: Wenn es unterschiedliche Positionen gibt, dauern Einigungen öfter länger. Das, was wir tun können – mit unserer Initiative „Stärker als Gewalt“, mit den Aktionen, die wir jetzt in der Pandemie gemacht haben, mit den verschiedenen Partnerschaften, die wir eingegangen sind, um Gewalt vorzubeugen, um das Hilfetelefon zu stärken, um die Infrastruktur, die es für Hilfe gibt, zu stützen –, machen wir. Und wir sind auch an diesem Thema dran, von Anfang an. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Behauptung, dass wir das nicht thematisieren, ist so nicht richtig.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächstes Thema, nächster Fragesteller: Grigorios Aggelidis, FDP-Fraktion.

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, die Zahl der Kinderkrankentage zu erhöhen, was Eltern quasi als Entschädigungszahlung nutzen können, ist in der jetzigen Situation sehr zu begrüßen, auch wenn Sie es aus unserer Sicht komplett hätten freistellen sollen. Nur gilt das leider nicht für Eltern, die freiberuflich oder selbstständig tätig sind, die privat krankenversichert oder in der gesetzlichen Versicherung freiwillig versichert sind. Um diese Lücke, die Union und SPD auf Bundesebene geschaffen haben, zu schließen, hat NRW ein eigenes Hilfsprogramm zur finanziellen Entschädigung aufgelegt; sonst fallen die Selbstständigen ja wieder durch den Coronarost. Haben Sie vor, die Unterstützungsleistung, so wie sie NRW umsetzen will, bundesweit für freiberuflich oder selbstständig arbeitende Eltern umzusetzen, und, wenn nicht, welche Begründung geben Sie den betroffenen Eltern?

Not found (Minister:in)

Ich will das noch mal kurz würdigen. Die Kinderkrankentage und die Regelung, sie zu verdoppeln und auszuweiten auch auf gesunde Kinder, die jetzt nicht betreut werden können, betreffen ein Budget, bei dem wir uns entschieden haben, mindestens 300 Millionen Euro aus Steuermitteln in den Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenkassen zu geben, wenn notwendig, auch mehr. Das ist eine große Entlastung für viele Familien. Sie haben recht, dass die Privatversicherten nicht darunterfallen. Ich will aber darauf hinweisen, dass eine Information, die Sie gegeben haben, nicht korrekt ist: Die Selbstständigen, die freiwillig gesetzlich versichert sind, können selbstverständlich davon profitieren. Und für die Selbstständigen, die privat versichert sind, gelten die Regelungen nach dem Infektionsschutzgesetz: Entschädigungsanspruch, wenn Kinder nicht in der Kita oder Schule betreut werden können. Wir befinden uns in einem Diskussionsprozess, ob man vielleicht auch hier noch Verbesserungen erreichen kann. Aber wir haben eben die ganz klare Situation: Gesetzlich Versicherte werden mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen zusätzlich unterstützt. Privatversicherte können Mittel und Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz in Anspruch nehmen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nachfrage, Herr Kollege? – Bitte schön.

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Weil Sie das angesprochen haben, Frau Familienministerin: Nach meinen Informationen ist es mitnichten so, dass alle, die freiwillig versichert sind, davon nicht betroffen sind. Sie sind davon betroffen, wenn sie nicht explizit einen besonderen Tarif ausgewählt haben. Insofern ist der Kreis der betroffenen Eltern natürlich sehr viel größer; es sind nicht „nur“ die Privatversicherten. Darüber hinaus – Sie haben es hier korrekt wiedergegeben – werden diese Mittel aus Steuermitteln finanziert. Insofern stellt sich die Frage, warum nicht alle Eltern davon profitieren. Die Coronakrise und die Erkrankung machen keinen Unterschied in Bezug darauf, bei welcher Versicherung die Kinder oder die Eltern sind.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass auch die Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz aus Steuermitteln finanziert sind, hälftig von Bund und Ländern, und dass diese Mittel auch denjenigen, die privat versichert sind, zur Verfügung stehen. Das ist in der Systematik der Kinderkrankentage über die gesetzlichen Krankenversicherungen so gelöst worden. Das war der Weg, mit dem wir eine große Zahl von Kindern gut erreichen konnten. Und ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass das Infektionsschutzgesetz genauso Entschädigungen nach Steuerrecht ermöglicht. Wir überlegen, in die Diskussion einzubringen, inwieweit man im Infektionsschutzgesetz noch Erleichterungen vornehmen kann, um hier einen leichteren Zugang zu ermöglichen. Wir müssen in der Koalition diskutieren, ob man das an dieser Stelle auch noch mal nachschärfen kann, um es den Privatversicherten und den Selbstständigen hier ein Stück weit leichter zu machen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Danke, Frau Ministerin. – Zum selben Thema die Kollegin Katrin Werner.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. – Sie haben es ja erwähnt: Die Zahl der Kinderkrankentage ist verdoppelt worden. Kurz nachdem das hier im Bundestag debattiert und verabschiedet wurde, gab es schon erste Reaktionen vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter, die darauf hinweisen, dass jetzt schon absehbar ist, dass die Anzahl nicht reichen wird. Daher auch konkret die Nachfrage, ob jetzt schon in den Blick genommen wird, das noch einmal langfristiger für dieses Jahr zu klären. Wir haben ja bereits mit verschiedenen Maßnahmen, wie das Verschieben der Winterferien oder die Verlängerung des Homeschooling bis hin zu der Bitte, Kinder zu Hause zu lassen, Probleme, sodass jetzt schon absehbar ist, dass die Tage ausgereizt sind. Weil wir in dem Zusammenhang auch von Homeschooling reden, für das die Regelung bis 12 Jahre gilt, knüpft sich die Frage an: Was ist mit denen, die 13 oder 14 sind und natürlich nicht alleine Homeschooling machen können und deren Eltern davon im Moment ausgeschlossen sind? Wie sind da die Planungen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kolleginnen und Kollegen, 30 Sekunden für die Nachfrage. Ich bitte, die Zeit einzuhalten. – Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Ich will es hier noch mal sagen: Die Kinderkrankentageregelung ist ja gerade für die Alleinerziehenden getroffen worden. Alleinerziehende haben bisher 20 Kinderkrankentage pro Jahr. Jetzt ist eine Verdoppelung auf 40 Tage – pro Kind, wohlgemerkt – vorgenommen worden. Damit kommt man schon ein Stück weit. Wir müssen uns natürlich anschauen, wie der weitere Pandemieverlauf ist; da gebe ich Ihnen recht. Wir sind ja im Moment in der Situation, dass wir erst mal den 14. Februar als Lockdown-Datum gesetzt haben. Und es wird davon abhängen, wie es weitergeht. Sollte es dann Verlängerungen und weitere Einschränkungen geben, muss man natürlich auch in den Blick nehmen, inwieweit die Regelung, die wir für die Kinderkrankentage getroffen haben, ausreichend ist. Ich will aber auch sagen, dass das schon eine sehr, sehr weitreichende Regelung ist, die bei vielen Eltern erst mal Entlastung schafft. Sollte es wirklich erforderlich sein – das hängt vom Pandemiegeschehen ab –, müssen wir uns das noch mal anschauen. Das machen wir auch jetzt schon und nicht erst dann; wir beschäftigen uns natürlich mit dieser Frage. Ich würde Ihnen sagen, wir haben das im Blick, aber im Moment noch keine konkreten Gründe, um zu sagen: Das wird noch mal verlängert.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kurze Nachfrage? – Kurz!

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. – Zur Grenze bei 12- oder 14-Jährigen: Wird darüber nachgedacht?

Not found (Minister:in)

Die Kinderkrankentage werden auch im Normalfall bei kranken Kindern bis zum zwölften Lebensjahr gewährt. So ist auch die Entscheidung getroffen worden. Wissen Sie, es macht schon einen großen Unterschied, ob Sie ein Kind zu Hause haben, das 12 Jahre oder 13, 14 Jahre alt ist. Ich glaube schon, dass sich ein 13-, 14-jähriges Kind, ein fast Jugendlicher, auch mal ein paar Stunden alleine beschäftigen kann. Natürlich muss man die besonderen Bedürfnisse berücksichtigen, wenn Kinder Einschränkungen haben, wenn sie Behinderungen haben. Dazu will ich noch mal ganz klar an dieser Stelle sagen: Für Kinder mit Einschränkungen, mit Behinderungen, mit schweren Erkrankungen gelten die Kinderkrankentageregelungen über das zwölften Lebensjahr hinaus. Das ist eine wichtige Information. Wenn es Kinder gibt, die wirklich nicht alleine bleiben können, ist für sie Vorsorge getroffen, auch mit der Regelung, die wir jetzt haben.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Jetzt folgt der Kollege Johannes Huber zur nächsten Nachfrage.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Auch von mir gibt es eine Nachfrage zu den Kinderkrankentagen. Zwar ermöglichen Sie durch ein relativ kompliziertes Verfahren auch unter Einbezug der Arbeitgeber, dass die 20 Tage des einen Partners komplett auf den anderen Partner übergehen können. Aber meine Frage ist: Wieso haben Sie die Rechtsposition der Eltern nicht so weit gestärkt, dass sie diese Tage flexibel und frei unter sich aufteilen können? Sehen Sie da noch Handlungsbedarf?

Not found (Minister:in)

Ich will ganz klar sagen, dass für uns handlungsleitend ist, dass dann, wenn sich beide um das Kind kümmern, sowohl Mütter als auch Väter die Möglichkeit haben, diese Tage zu nehmen und flexibel aufzuteilen. Zum Beispiel muss man sie nicht am Stück nehmen, sondern kann einzelne Tage nehmen. Für uns war entscheidend, dass wir es so leicht wie möglich machen. Wir haben den Eltern sowohl mit „Häufig gestellte Fragen“ als auch mit der Musterbescheinigung, die wir für Kitas und Schulen ausgestellt haben, einen sehr leichten Weg ermöglicht, das mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Ich finde schon, dass hier ein Rahmen gesetzt wird, mit dem sehr wohl ermöglicht wird, dass Eltern sich die Woche einteilen und sagen können: Ein, zwei Tage nimmt die Mutter, vielleicht zwei Tage nimmt der Vater in Anspruch. – Das ist ja möglich mit der Regelung, die wir haben. Aber die grundsätzliche Aufteilung, dass jeder Elternteil erst mal gleich viele Krankentage in Anspruch nehmen kann, finde ich richtig; denn damit geht die Frage der Gleichberechtigung bei Sorge und Erwerbsarbeit einher.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kurze Nachfrage, Herr Huber? – Bitte.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, gerne eine kurze Nachfrage. – Sie sprechen von Flexibilisierung, haben jetzt aber noch mal betont, dass es doch bei dieser starren Aufteilung von jeweils 20 Tagen bleibt. Dadurch greifen Sie ja insbesondere in die Wahl der Familienmodelle ein. ({0}) Deswegen meine Nachfrage – da denke ich insbesondere an die Frauen –: Denken Sie nicht auch, dass die Frauen selbst ihre Interessen im partnerschaftlichen Miteinander klären können ({1}) und Frau und Mann jeweils zusammen mit dem Partner unter sich aufteilen können, wie viele Tage sie in Anspruch nehmen?

Not found (Minister:in)

Das ist ja schon möglich. Die Überlegung, wer wann mit dem Kind zu Hause bleibt und beim Arbeitgeber die Krankentage nimmt, ist ihnen ja unbenommen. Insofern: Wir haben die Grundlage geschaffen, dass beide zu gleichen Anteilen eine Verdopplung und Ausweitung der Kinderkrankentage bekommen. Wann wer diese Tage nimmt und ob der Mann sie zuerst nimmt oder die Frau, wird dann im Einzelnen ausgehandelt. Außerdem gibt es ja sehr wohl die Möglichkeit, dass diese Tage übertragen werden können. Insofern sehe ich jetzt nicht die Problematik dabei.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Zum selben Thema der Kollege Norbert Müller.

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, im Beschluss der Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin am 13. Dezember 2020 fand sich der Satz: Für Eltern werden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, für die Betreuung der Kinder im genannten Zeitraum bezahlten Urlaub zu nehmen. „Bezahlter Urlaub“ würde heißen: Urlaub nach Bundesurlaubsgesetz. Das würde insbesondere zulasten jener Arbeitgeber gehen, die bisher nicht von der Kurzarbeiterregelung profitiert haben und damit zur Bewältigung der Krisenkosten herangezogen werden könnten. Das wäre ja eine sinnvolle Maßnahme. Lange folgte dann nichts. Was wir jetzt haben, ist ein Rückgriff auf die Kinderkrankentage, wo es aber maximal 90 Prozent vom Netto gibt, und nicht wie bei Urlaub nach Bundesurlaubsgesetz an dieser Stelle eine volle Lohnfortzahlung. Mich würde interessieren: Was hat die Bundesregierung verleitet, von diesem Beschluss der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin abzurücken zum Nachteil der Beschäftigten und zum Vorteil der Arbeitgeber, die bisher nicht auf Kurzarbeit zurückgreifen mussten und jetzt auch wiederum geschont werden, während die Beschäftigten die Zeche zahlen, indem sie auf maximal 90 Prozent ihres bisherigen Einkommens kommen?

Not found (Minister:in)

Herr Müller, wenn Sie sagen: „Hier müssen Menschen die Zeche zahlen, wenn sie 90 Prozent ihres Einkommens bekommen“, würde ich das gerne mal umdrehen: 90 Prozent werden aus Steuermitteln auf Kosten der Gemeinschaft übernommen. ({0}) Das ermöglicht, dass die Eltern eben nicht Homeschooling und Homeoffice miteinander vereinbaren müssen, sondern dass sie sagen können: Wenn ich mein Kind während der Kitazeit, die ich nicht in Anspruch nehmen kann, und während der Schulzeit betreuen muss, dann habe ich die Möglichkeit, auch das Homeoffice sein zu lassen und mich voll auf mein Kind zu konzentrieren. Das ist ja ein wesentlicher Unterschied, eine Lehre aus dem letzten Jahr. Wir haben nicht gesagt, dass man das in Anspruch nehmen muss, sondern es ist eine Möglichkeit. Es ist die Möglichkeit, um eben nicht den Arbeitgebern aufzuerlegen, dass sie das komplett übernehmen müssen. Das war auch ein Abwägungsprozess in der Koalition, inwieweit die Wirtschaft noch mal stärker dadurch belastet wird. Die Arbeitgeber sind auch in einer schwierigen Situation. Wir haben uns deshalb entschieden, eine Regelung über eine Unterstützung aus Steuermitteln zu treffen, die die Arbeitgeber nicht noch mal über Gebühr belastet, sondern besagt: Wir geben den Familien diese Unterstützung aus der Gemeinschaft, aus Steuergeldern, in einer großen Höhe. Für diese 90 Prozent können sie eben mit ihren Kindern zu Hause bleiben, können sie betreuen und müssen das alles nicht mit Homeoffice unter einen Hut bringen. Ich glaube, das ist erst mal eine deutliche Entlastung der Situation. Man kann immer sagen: „Es muss noch mehr sein“, aber ich will darauf hinweisen, dass wir hier schon einen Schritt gegangen sind, der Familien wirklich in Millionenhöhe entlastet. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte schön, aber kurz.

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kurz. – Frau Ministerin, Sie sprechen von der Belastung der Arbeitgeber. Aber es ist ein Unterschied, ob Arbeitnehmer in Kurzarbeit sind, das heißt ein Unternehmen sie gerade nicht bezahlen kann und sie sozusagen anderweitig ihr Einkommen bestreiten, nämlich über die Kurzarbeit, und deswegen auch zu Hause sind und sich natürlich ohne Homeoffice um ihre Kinder kümmern können, oder ob ein Unternehmen ohne Schaden durch die Pandemie gekommen ist und nun über Sonderurlaubsregelungen an den gesellschaftlichen Kosten beteiligt werden kann. Wie kommen Sie darauf, dass diese Unternehmen, die keine Kurzarbeit brauchen, wenn es darum geht, dass ihre Beschäftigten für ihre Kinder Betreuungsmöglichkeiten brauchen, über Gebühr belastet worden wären, wenn es um einige Tage zusätzlichen Urlaub gegangen wäre?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

„Kurz“ ist kürzer. – Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Herr Müller, es ist wie immer: Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Ich will erst mal sagen: Wir haben uns als Bundesregierung dazu entschlossen, an dieser Stelle aus Steuergeldern die Krankenkassen entsprechend zu unterstützen und einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Unternehmen, die Wirtschaft das alles weiter schultern können, und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu ermöglichen, dass sie eben nicht Homeoffice und Homeschooling miteinander vereinbaren müssen. Das ist ein großer Unterschied – ich sage es noch mal – zum letzten Jahr, und ich denke, diese Regelung kommt den Eltern entgegen. Niemand ist verpflichtet, sie in Anspruch zu nehmen, aber es gibt diese Möglichkeit. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Signal.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Danke. – Zum selben Thema Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich bleibe bei dem Thema. Wenn es im Februar zu einer Verlängerung des Shutdowns kommen sollte, was wir ja alle nicht wissen, kann es passieren, dass die 20 Tage pro Elternteil ziemlich schnell aufgebraucht sind. Werden Sie in dem Fall in dem Zeitraum die Regelung über die 20 Tage noch mal verlängern, sodass die Eltern weiterhin die Möglichkeit haben, auf die Kinderkrankentage zurückzugreifen?

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal ist Ihre Frage geleitet von der Annahme, dass wir jetzt eine Überlegung haben, die langfristige Optionen von Schließungen von Kitas und Schulen erwägt. Dem will ich widersprechen. Ich glaube, es ist ganz, ganz wichtig, dass wir uns bei der Öffnungsstrategie, die jetzt von der Bundesregierung vorbereitet wird, dafür einsetzen, dass Kitas und Schulen die Ersten sind, die wieder öffnen. Ich möchte mich nicht auf eine Option von langfristigen Kita- und Schulschließungen einrichten, sondern darauf, wie wir die Kinder schnellstmöglich wieder in die Betreuung, in die Beschulung führen können, weil es notwendig ist, weil wir hier Kinderschutzthemen haben, weil wir sehen, dass durch diese Schließungen Kinder auch Schäden erleiden: Übergewicht, Vereinsamung, Depression und Bewegungsmangel, ganz zu schweigen von den Mängeln bei der Bildungsgerechtigkeit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In diesem Sinne arbeiten wir daran, dass Kitas und Schulen so schnell es geht wieder öffnen können. Das ist der erste Fokus. Sollte das Infektionsgeschehen so aussehen, dass keine Öffnung möglich ist – ich denke aber, dass wir eine Öffnung ermöglichen können –, dann muss man, wenn Eltern weiter belastet werden, darüber sprechen, wie man bei den Kinderkrankentagen etwas nachsteuern kann. An dem Punkt sind wir aber im Moment noch nicht. Wir bereiten uns auf eine solche Situation vor und überlegen, wie wir dann vorgehen könnten; aber im Moment liegt unser Fokus darauf, nach dem 14. Februar in eine Öffnungsstrategie eintreten zu können. Dann – das ist mein Plädoyer als Kinder- und Familienministerin – müssen Kitas und Schulen zu den Ersten gehören, die wieder öffnen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kurze Nachfrage?

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. – Ich will nur sichergehen: Es ist unser aller Wunsch, dass Kitas und Schulen wieder öffnen. Wenn es aber anders kommt – und im Moment gibt es eine Wahrscheinlichkeit –, werden Sie sich dann dafür einsetzen, dass es eine Verlängerung bei den Kinderkrankentagen gibt, und werden Sie sich, zweitens, auch für die Wiedereinführung des Kinderbonus, den es im letzten Jahr gab, einsetzen?

Not found (Minister:in)

Das sind jetzt zwei Fragen. – Auf Ihre erste Frage antworte ich Ihnen ganz klar: Ja, ich werde mich dafür einsetzen. Aber, wie gesagt, an dem Punkt sind wir noch nicht. Zum Kinderbonus kann ich Ihnen die Rückmeldung geben: Wir haben im letzten Jahr 4,3 Milliarden Euro für den Kinderbonus ausgegeben, um allen Kindern, auch denen im Hartz-IV-Bezug, Unterstützung zu gewähren. Wir haben an 16 Millionen Kinder Zahlungen geleistet, 300 Euro jeweils, und zwar zusätzlich zum Kinderzuschlag, der monatlich gewährt wird, als Einmalzahlung zum Anschieben der Konjunktur. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Studien zeigen, dass die Mittel für den Notfall-Kinderzuschlag und den Kinderbonus über Gebühr dazu beigetragen haben, Familien mit Einkommensverlusten und einkommensschwachen Familien tatsächlich Unterstützung zu gewähren. Insofern: gute Erfahrungen. Eine Diskussion darüber, wie es weitergeht, wird bereits geführt. Wir werden sie auch weiterführen. Ich denke, dass sich in den nächsten Tagen noch einiges entwickeln wird.

Margit Stumpp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004909, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, es ist unbestritten, dass die Erweiterung der Kinderkrankentage Druck von den Eltern genommen hat. Auf der anderen Seite mussten die Eltern feststellen, als sie am nächsten Tag ihr Kind in die Notbetreuung geben wollten, dass die Konditionen für die Notbetreuung immer weiter eingeschränkt werden. Sie hatten im Gegenzug zur Erweiterung der Kinderkrankentage keinen Anspruch mehr auf Notbetreuung und wurden von den Einrichtungen stringent darauf verwiesen, dass sie doch ihre Kinderkrankentage nehmen sollten. Das heißt, der Druck wurde den Eltern, die systemrelevante Berufe haben, nicht genommen; vielmehr wurde er von anderer Seite erhöht. Wie wollen Sie dieser Entwicklung begegnen?

Not found (Minister:in)

Ich weiß nicht, aus welcher Empirie Sie berichten. Ich kann Ihnen sagen, dass es ein ganz breites Spektrum gibt. Mit der Corona-KiTa-Studie, die seit Mai letzten Jahres läuft, wird das Geschehen in den Kitas deutschlandweit beobachtet. 12 000 Kindertagesstätten haben sich bisher registrieren lassen. Die Studie zeigt, dass es ein ganz großes Spektrum bei der Auslastung gibt: Sie bewegt sich zwischen 20 und 70 Prozent, je nachdem, wie die Regelungen in den einzelnen Bundesländern aussehen. Man kann als Faustformel zugrunde legen: Je strenger die Regelung, desto weniger Kinder sind tatsächlich in der Betreuung. Das ist logisch. Wir sehen aber auch, dass durch die Einschränkung das Infektionsgeschehen in den Kitas gesenkt werden kann. Wir haben ja bei den Null- bis Fünfjährigen ein geringes Infektionsgeschehen; aber zwei Drittel der Fälle, die in Kitas auftreten, betreffen die Erwachsenen, die Erzieher. Insofern muss man auch verstehen, dass Kitas, wenn das Personal Ängste hat und auf den eigenen Schutz bedacht ist, die Auslastung reduzieren, und sie bewegt sich eben zwischen 20 und 70 Prozent.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Unser Petitum ist ganz klar: Wir wollen die Eltern unterstützen, die ihre Kinder aus der Kita nehmen können. Hierzu hat es entsprechende Appelle gegeben. Diejenigen Eltern, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, brauchen natürlich eine Betreuung ihrer Kinder. Das ist die ganz klare Vereinbarung. Ich glaube, man muss den Einzelfall betrachten. Wenn Sie mir sagen, um welches Bundesland es sich in Ihrem Beispiel handelt, können wir den Vorgang vielleicht im Nachgang klären, indem man mit der Landesregierung Kontakt aufnimmt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen und auch Frau Ministerin, ich habe eben angekündigt, dass ich versuche, an den Punkt zu kommen, dass jede Fraktion in diesem Tagesordnungspunkt zu Wort kommt. Voraussetzung dafür ist Disziplin. Wir haben die Verabredung, dass die angemeldete oder sich meldende Fragestellerin oder der Fragesteller eine Minute Zeit hat. Dann geht es mit Nachfragen von 30 Sekunden weiter und auch mit Antworten, welche in 30 Sekunden und nicht in dreimal 30 Sekunden gegeben werden. Nur dann, wenn wir so miteinander umgehen, können wir nicht nur möglichst viele Fragen aufrufen, sondern wir können auch das Informationsbedürfnis hier stillen. Ich bitte also alle darum, sich jetzt daran zu halten. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulrike Bahr von der SPD.

Ulrike Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, gerade die Grundschulkinder benötigen ein wirklich gutes Bildungsfundament. Das droht aktuell – natürlich pandemiebedingt – zu wackeln. Was schlagen Sie kurz-, mittel- und auch langfristig vor, um die Bildungs- und Lebensperspektiven von Kindern im Grundschulalter zu verbessern?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Das ist natürlich ein ganzes Spektrum: von der Kinder- und Jugendhilfe bis – ich denke, darauf spielen Sie an – zum Thema „Ganztagsbetreuung in der Grundschule“. Das ist für uns nicht nur eine Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch von Bildungsgerechtigkeit. Deshalb arbeiten wir für den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Das Gesetz ist auf Bundesebene so gut wie fertig. Wir haben gemeinsam mit dem Bildungsministerium die Federführung. Wir hoffen, dass die Einigung dazu mit den Bundesländern, die schon seit über einem Jahr aussteht, auch gelingt. Die Gespräche dazu laufen. Gerade die Länder, die dem kritisch gegenüberstehen, fordern wir auf, jetzt diesen Schritt zu gehen. Der Bund gibt 3,5 Milliarden Euro an Investitionsmitteln, und er hat auch ein Angebot zur Beteiligung an den Betriebskosten gemacht. Ich hoffe, dass wir zügig zu einer Einigung kommen, damit der Rechtsanspruch noch in dieser Legislatur in Kraft treten kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine Nachfrage?

Ulrike Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Wie genau beurteilen Sie die Erfolgsaussicht dieser von der Koalition geplanten Gesetzgebungsinitiative im Hinblick auf den Rechtsanspruch?

Not found (Minister:in)

Das hängt davon ab, ob sich insbesondere Hessen und Baden-Württemberg bewegen, und das hängt davon ab, ob wir zusätzlich zu der Ausgestaltung der Inhalte auch eine Einigung darüber, ab wann das gilt, hinbekommen. Wir wollen ab dem Jahr 2025 anfangen und den Rechtsanspruch dann stufenweise erhöhen. So weit ist es vereinbart. Für die Umsetzung müssen sich die Länder jetzt bewegen und dieses Angebot des Bundes, das historisch einmalig hoch ist, in Anspruch nehmen, sodass wir tatsächlich zum Gesetzgebungsverfahren kommen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Abgeordnete Kraft.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, eine ganz kurze Frage: Was nützt ein Anspruch auf Ganztagsbetreuung, wenn die Schule wegen Corona geschlossen ist?

Not found (Minister:in)

Nun ja, ich habe ja hier über die Zeitperspektive gesprochen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir bis 2025 eine Grundsatzdebatte über Corona führen werden, sondern wir werden hoffentlich schon in diesem Jahr eine starke Verbesserung der Situation haben. Es geht bei dem Anspruch um eine Langfristperspektive. Es geht darum, die Möglichkeiten, Ganztagsbetreuung in Anspruch zu nehmen, zu verbessern, damit Familien eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreichen und Kinder mehr Bildungsgerechtigkeit erfahren. Die Schulschließungen wegen Corona sind endlich. Sie werden sukzessive abgebaut werden. Bei der Einführung eines Rechtsanspruchs geht es um eine Langfristperspektive. Das wird in Deutschland langfristig ein Gamechanger sein: für hohe Erwerbstätigkeit, für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die gleichberechtigte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Noch eine Nachfrage? – Ich bitte, das in Zukunft ein bisschen früher deutlich zu machen, Herr Rix.

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Entschuldigung. – Können Sie noch mal sagen, wie hoch die Summe ist, die der Bund für das Projekt Ganztagsbetreuung insgesamt zur Verfügung stellen will?

Not found (Minister:in)

Ja. Wir haben im Koalitionsvertrag bereits 2 Milliarden Euro vereinbart. Dafür ist ein Sondervermögen eingerichtet worden. Im Rahmen des Konjunktur- und Krisenbewältigungspaketes der Bundesregierung sind jetzt noch mal 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zugesagt worden. Insgesamt sind es also 3,5 Milliarden Euro. Es gibt auch Bewegung bei den Betriebskosten; da sind wir noch in den Verhandlungen. Das ist eigentlich eine ganz klassische Länderaufgabe; aber um eine Einigung zu erzielen, hat sich der Bund beweglich gezeigt. Der Bundesfinanzminister hat ein entsprechendes Angebot gemacht. Ich hoffe sehr, dass wir jetzt zu einer Einigung kommen und dass auch die Länder, gerade in Pandemiezeiten, das deutliche Signal aussenden, dass die Ganztagsbetreuung wesentlich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist und dass wir unsere Anstrengungen entsprechend bündeln. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Doris Achelwilm.

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin Giffey, in der Pandemie haben sich bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bekanntermaßen in vielerlei Hinsicht verschärft. Es geht um Einkommen, Vermögen, Zeit, Kinderbetreuung, Pflegeverantwortung, wo die ungleiche Verteilung massiv zugenommen hat. Es ist kürzlich ein Beitrag der Hans-Böckler-Stiftung erschienen, wonach auch beim Bezug des Kurzarbeitergeldes entsprechende Schieflagen nachweisbar sind, sowie eine Studie von Professor Claudia Wiesner, die besagt, dass das Konjunkturpaket der Bundesregierung ganz überwiegend Branchen und Unternehmensformen unterstützt, die eben nicht gerade frauendominiert sind; um es ganz vorsichtig auszudrücken. Teilen Sie unsere und meine Einschätzung, dass die Einkommensdifferenz zwischen den Geschlechtern wie auch die Pflegelücke im Laufe des letzten Jahres zugenommen hat bzw. auch 2021 weiter zunehmen wird? Und was sind die konkreten Maßnahmen, die Sie gegen diese Art von Armutsentwicklung ergreifen möchten?

Not found (Minister:in)

Wir sehen ganz deutlich, dass natürlich dort, wo es schon Ungleichheiten gab, wir auch eine Verschärfung dieser Ungleichheiten haben. Wenn es in den Familien eine unterschiedliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen in bestimmten Bereichen und ein unterschiedliches Einkommen gibt – die Frauen verdienen häufig weniger – und wenn die Frage ist: „Wer steckt in der Zeit der Pandemie bei der erforderlichen Kinderbetreuung zu Hause ein Stück weit zurück?“, dann zeigt sich: Es sind schon zu einem großen Teil die Frauen, die das tun. Wir haben hier also eine Situation, in der Unterschiede, die bisher auch da waren, sich noch mal verstärkt gezeigt haben, und es ist für uns eine große Aufgabe, dem entgegenzuwirken. Damit beginnen wir beispielsweise schon, wenn ein Kind geboren wird und wir das Elterngeld partnerschaftlicher ausrichten. Die Elterngeldreform wird ja übermorgen hier im Bundestag in zweiter/dritter Lesung beschlossen. Das ist eine konkrete Maßnahme, um dem entgegenzuwirken. Aber auch all das andere Bemühen – gute Kinderbetreuungsinfrastruktur, Aufwertung der sozialen Berufe und die Frage, wie wir Familien finanziell unterstützen können, zum Beispiel, indem wir Kinderkrankentage gleichberechtigt aufteilen und andere Rahmenbedingungen schaffen – steht für die Punkte, die wir angehen müssen, um diese Ungleichheiten ein Stück weit zu beseitigen und ihnen entgegenzuwirken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch das Wort zu einer Nachfrage.

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wird es bei zukünftigen Programmen eine verstärkte Hinwendung geben zu Kriterien von Gender-Budgeting, also dass tatsächlich diese Art von Schere, die sich da weiter auftut, berücksichtigt wird und dass damit auch messbar wird, inwiefern dort Erfolge zu verzeichnen sind? Das ist ja beim letzten Konjunkturpaket nicht passiert, und es ist auch schon bei der Finanzkrise 2008/2009 ein Fehler gewesen, aus dem man hätte lernen können. Was ist zum jetzigen Zeitpunkt Ihre Erkenntnis, was in der Zukunft dahin gehend anders laufen muss?

Not found (Minister:in)

Ich will dem noch mal ein Stück weit widersprechen. Die These, dass in diesem Konjunkturprogramm nichts für Frauen und Familien getan wird, die stimmt schlicht nicht. ({0}) Ich habe hier ausgeführt, dass wir alleine für das Ganztagsprogramm 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt haben. Es gab 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Ausbau der Kitaplätze. Wir haben bei den Überbrückungshilfen der Wirtschaft im Gastronomie-, im Veranstaltungs-, im Kulturbereich Milliardeninvestitionen vorgenommen, die natürlich auch gerade den Branchen zugutekommen, in denen viele Frauen arbeiten. Insofern muss man da schon noch mal ein bisschen genauer hinschauen. Und alles, was der Vereinbarkeit dient, was der Mobilität dient, was der Frage von Branchen, in denen viele Frauen arbeiten, dient, ist für mich auch Unterstützung von Frauen im Wirtschaftsleben. ({1}) Insofern würde ich gerne empfehlen, dass man da noch einmal genau hinschaut. Wir werden uns natürlich auch weiter für dieses Thema einsetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Abgeordnete Huber.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Eine Nachfrage von mir zur sozialen Ungleichheit, weil es ja gerade Familien mit niedrigem Einkommen bzw. Kinder mit geringeren Bildungschancen sind, die von den Schul- und Kitaschließungen besonders betroffen sind. Aufgrund der ganzen Benachteiligungen im Homeschooling durch beengte Wohnverhältnisse und unterschiedliche Lebenssituationen sollen, haben Sie gesagt, Schulen und Kitas als Erstes wieder geöffnet werden. Ganz konkrete Nachfrage: Was sagen Sie der Bundeskanzlerin Frau Merkel diesbezüglich, damit das auch passiert? Denn immerhin wird ihr ja auch in diesen Runden vorgeworfen, dass sie Kinder quält.

Not found (Minister:in)

Ich würde gerne diesem Vorwurf widersprechen wollen. Natürlich sage ich der Kanzlerin das Gleiche, was ich Ihnen sage. Sie kennt meine Position, und wir sind da auch überhaupt nicht auseinander. Denn es ist ganz klar: Auch die Bundeskanzlerin weiß, wie wichtig die Fragen von Bildungsgerechtigkeit, von guter Kindertagesbetreuung hier an dieser Stelle sind. Es ist ganz klar, dass niemand mit Absicht die Kinder zu Hause hält, sondern dass das wirklich auch immer unser letztes Mittel war. Ich will noch eines zu Ihrem Einwand sagen, dass einkommensschwache Familien besonders darunter zu leiden haben. Ich glaube, alle Kinder, alle Familien leiden darunter, wenn Kinderbetreuung nicht möglich ist. Aber ich will auch sagen: Die Instrumente, die wir geschaffen haben, funktionieren. Vom Notfall-Kinderzuschlag über den Kinderbonus über die Hilfen für Familien mit kleinen Einkommen: All das ist schon angekommen. Es gibt aktuelle Studien, die zeigen, dass das besonders wirksam war für Familien mit kleinen Einkommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt Ulle Schauws.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Frau Ministerin, ich habe eine Frage zu einem Gerichtsverfahren, das in den letzten Tagen stattgefunden hat: Die Ärztin Kristina Hänel ist vor dem Oberlandesgericht Frankfurt erstmals rechtskräftig nach dem § 219a StGB verurteilt worden. Sie muss jetzt die Informationen über Schwangerschaftsabbrüche für ihre Patientinnen, die sie auf der Webseite stehen hatte, runternehmen. Jeder Mensch – Sie, ich, jeder hier im Saal – dürfte auf seiner Homepage diese Informationen zur Verfügung stellen, aber nicht die Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Da die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, nachdem Sie die Reform des § 219a StGB auf den Weg gebracht haben, immer noch keine vollständige Liste von Ärztinnen sowie entsprechende Informationen zur Verfügung stellt: Sind Sie der Meinung, dass dieses reformierte Strafgesetz § 219a in der Form trägt, wie Sie es zugesagt hatten?

Not found (Minister:in)

Ich will noch mal darauf hinweisen – das wissen Sie auch, Frau Schauws –, dass der § 219a StGB ein politischer Kompromiss war. Es war ein Versuch der Vermittlung zwischen zwei völlig unterschiedlichen Positionen, der hier unternommen worden ist. Das heißt, wir haben uns mit unserem Koalitionspartner auf einen Weg geeinigt, der zu einer Verbesserung der Lage führen sollte. Dass das nicht der Ursprungswunsch des Frauenministeriums war, das ist Ihnen bekannt. Man muss sich aus meiner Sicht anschauen, wie dieses Gesetz jetzt gewirkt hat. Man muss auch kritisch mit der entsprechenden Liste umgehen und dann auch zu Nachschärfungen kommen. Ich glaube – das ist dann aber ein Thema auch für nächste Legislaturen –, da ist da noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich halte aus meiner Sicht als Frauenministerin hier eine Verbesserung der rechtlichen Situation für wünschenswert. Ich muss aber auch sagen: Wir haben in der Koalition hier eine gemeinsame Linie verabredet, die wir auch umgesetzt haben, und man muss sich in der Umsetzung des Gesetzes anschauen, wo hier noch tatsächlich Nachbesserungsbedarf ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine Nachfrage.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Konkrete Nachfrage. Sie haben jetzt gerade gesagt, dass es ein Kompromiss war. Das mag sein. Aber es gab eben damals auch die klare Aussage von Ihnen in der Koalition, dass alle Informationen für Frauen und dass eine Liste von Ärztinnen zugänglich gemacht werden sollten. Das ist aber bis heute nicht geschehen, und die Verabschiedung dieses Gesetzes ist im vorletzten Jahr gewesen; wir erinnern uns alle daran. Meine Frage ist: Was werden Sie konkret in den nächsten Wochen und Monaten bis zum Ende der Wahlperiode tun, damit diese Informationen vollständig zugänglich werden?

Not found (Minister:in)

Wir haben mit dem Bundesgesundheitsminister, auch mit der Bundesärztekammer und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Liste der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und die dann auch Informationen teilen, verabredet. Man sieht in der Umsetzung, dass bei Weitem nicht alle Ärztinnen und Ärzte bereit sind, sich auf dieser Liste verzeichnen zu lassen, weil sie Sorge vor eventuellen Angriffen haben, wenn ihre Adressen öffentlich sind. Das ist das gleiche Problem, das Ärzte haben, wenn sie auf ihrer Homepage veröffentlichen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Ein jeder, der das veröffentlicht, muss auch Sorge vor Anfeindungen haben. Das ist eine Realität, auch eine traurige Realität. Trotzdem – das ist ja gerade mein Punkt hier an dieser Stelle; wir haben dazu auch schon Gespräche mit dem Gesundheitsministerium geführt – muss man sich diese Liste kritisch ansehen und auch noch mal darüber sprechen. Wir haben eine Zusage, dass dort nachgearbeitet werden soll; das liegt ja in der Verantwortung des Gesundheitsministeriums. Trotzdem werden wir in dieser Lage die Situation haben, dass Ärztinnen und Ärzte sagen: Das wollen wir, das will ich als Arzt persönlich nicht. – Und damit müssen wir umgehen, und an der Stelle gibt es dann vielleicht doch noch mal rechtlichen Regelungsbedarf.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte, im Folgenden wirklich kollegial auf die Antwort- und Fragezeit zu achten. Bei Nachfragen sind es nur 30 Sekunden, nach wie vor. Eine Nachfrage zu dieser Frage stellt noch die Kollegin Bauer.

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werte Frau Ministerin! Meine Kollegin Ulle Schauws hat es schon angesprochen – ich möchte noch mal nachfragen –: Die Modifizierung dieses Gesetzes diente ja eigentlich dazu, mehr Rechtssicherheit zu schaffen, um den Ärzten einen Überblick zu geben. Ich komme aus Niederbayern. Dort gibt es so gut wie keinen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Wie wollen Sie die Versorgung gewährleisten? Denken Sie nicht, dass Ihr Gesetz, diese Modifizierung, dahin gehend gescheitert ist?

Not found (Minister:in)

Ich würde das Gesundheitsministerium bitten, dazu auch einmal Stellung zu nehmen. Wir haben ja eine sehr umfängliche Diskussion, eine Zusammenarbeit an dieser Stelle. Ich bin der Meinung, wir müssen uns noch mal damit auseinandersetzen. Die Regelungen, die jetzt getroffen sind, sind nicht ausreichend zielführend, um Rechtssicherheit hinsichtlich der Bereitstellung von Informationen und auch eine Erweiterung des Angebotes zu erreichen. Das ist aber etwas, was aus meiner Sicht ein Thema für die nächste Legislatur sein wird, weil wir in dem Zeitrahmen, der vor uns liegt, wahrscheinlich keine darüber hinausgehende Einigung erzielen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Johannes Huber.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Neues Thema. Sie wollen diesem Haus in Bälde ein neues Gesetz vorliegen, und zwar geht es dort um die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. In Norwegen ist das bereits der Fall. Die Konsequenz daraus war, dass die dortige Behörde für Kinder- und Jugendschutz eine Reihe von Inobhutnahmen durchgeführt hat, die – auch nach Beurteilung der deutschen Medien – nach unseren Standards nicht nachvollziehbar und auch nicht verständlich waren. Deswegen die Fragen an Sie, Frau Ministerin: Welche Konsequenz ergibt sich Ihrer Auffassung nach aus der Verankerung der sogenannten Kinderrechte für Inobhutnahmen durch das Jugendamt in Deutschland? Und: Wie gedenkt die Bundesregierung, hier Missbrauch zu verhindern und insbesondere zu gewährleisten, dass den Familien eine Garantie gegeben wird, dass sich der Staat nicht weiter zwischen sie und ihre eigenen Kinder stellt?

Not found (Minister:in)

Herr Huber, was Sie hier suggerieren, entspricht einfach nicht den Tatsachen. Erstens. Das Gesetz wird nicht durch unser Haus eingebracht, sondern durch das Bundesjustizministerium. Wir haben daran mitgearbeitet; die Federführung liegt beim Bundesjustizministerium. Zweitens. Das Thema Inobhutnahme ist geregelt in einem Gesetz, das ich verantworte: Das ist das Kinder- und Jugendhilferecht. Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz werden wir am Freitag hier einbringen, um eine Reform in diesem Bereich durchzuführen. Dort wird das Thema „Kinderschutz“ eine wesentliche Rolle spielen, aber auch das Thema „Beteiligung und bessere Aufklärung“. Dazu gehört auch die Klarstellung, dass eine Inobhutnahme immer nur – das ist auch jetzt schon so – das allerletzte Mittel ist. Dem, was Sie jetzt suggerieren – dass mit der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz Inobhutnahmen Tür und Tor geöffnet werden soll –, muss ich hier vehement widersprechen. Denn bei den Kinderrechten geht es darum, die Rechte des Kindes gegenüber dem Staat zu regulieren, nicht aber – das ist ein ganz wesentlicher Punkt – ins Elternrecht einzugreifen. Die Elternrechte werden in keiner Weise beschränkt. Es geht darum, die Rechte des Kindes gegenüber dem Staat zu stärken und Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit einem eigenen Grundrechtsanspruch zu würdigen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine Nachfrage?

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, gerne. – Welches Ministerium hier federführend ist?- Geschenkt! Nach unserer Auffassung ist es doch so, dass die Kinderrechte bereits jetzt im Grundgesetz verankert sind. In Zeiten des Lockdowns ist aber auffällig geworden, dass die Bundesregierung und auch die Länderregierungen durch ihre Maßnahmen diese Kinderrechte ausgesetzt haben. Das Recht der Kinder auf Bildung wurde zum Recht auf Schutz vor Kindern umgekehrt. Kinder wurden als Virenschleudern degradiert, obwohl durch Studien nachweislich bewiesen ist, dass insbesondere Kinder bis zum Grundschulalter überhaupt keinen nennenswerten Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten. Da Kinder nirgendwo alleine hingehen, bedeutet insbesondere die Ausweitung der Kontaktbeschränkungen für Kinder unter 14 Jahren, dass sie quasi einem Kontaktverbot unterliegen. Deswegen meine Frage zum Kontaktverbot für Kinder unter 14 Jahren: Wollen Sie das sofort wieder zurückfahren, oder halten Sie das für verhältnismäßig?

Not found (Minister:in)

Ich will grundsätzlich sagen, dass wir den Kinderschutz in jeder Phase der Pandemiebekämpfung im Blick gehabt haben. Kinderschutz ist auch Gesundheitsschutz. Das Ganze ist immer ein Abwägungsprozess. Selbstverständlich spielt das Thema Kinderschutz auch in allen Regularien, die wir bisher getroffen haben, eine wesentliche Rolle. In sehr vielen Bundesländern sind die Kinder von Beschränkungen im privaten Bereich ausgenommen. Es sind Sonderregelungen für Alleinerziehende getroffen worden. Natürlich geht es auch darum, dass im weiteren Fortgang die entsprechenden Kinderschutzrechte gewürdigt werden. Insofern liegt unser Fokus ganz klar auf Lockerungen der Maßnahmen für die Kinder. Aber da, wo Beschränkungen im Sinne des Gesundheitsschutzes nötig sind, müssen wir sie auch vornehmen. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich bleibe bei dem Thema „Kinderrechte in die Verfassung“. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist ja jetzt im Kabinett verabschiedet worden. Es gibt eine Erklärung von allen großen Kinderrechtsverbänden – Deutscher Kinderschutzbund, UNICEF, Deutsches Kinderhilfswerk, Deutsche Liga für das Kind – , die sagen, dass die Vorlage weit hinter den geltenden Gesetzen und Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen zurückbleibt. Was sagen Sie als Kinder- und Familienministerin zu dieser Stellungnahme? Teilen Sie diese Stellungnahme, und, wenn Sie diese Stellungnahme nicht teilen, warum nicht?

Not found (Minister:in)

Unsere Intention ist ganz klar, dass die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention das Mindeste ist, was erreicht werden muss, wenn wir die Kinderrechte im Grundgesetz verankern wollen. Der Dreiklang aus Schutz, Förderung und Beteiligung ist uns als Kinderministerium immer wichtig gewesen. Ich muss Ihnen sagen, dass wir als Kinderministerium natürlich auch noch Erweiterungsmöglichkeiten und weiteren Spielraum an dieser Stelle sehen. Wir wünschen uns auch, dass im parlamentarischen Verfahren entsprechende Formulierungen ausgeweitet werden. Auf der anderen Seite waren wir tatsächlich noch nie so weit wie jetzt. Dass überhaupt ein Vorschlag zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz vorliegt, ist ein riesengroßer Erfolg, ein historischer Schritt. Das will ich gewürdigt wissen. Wir haben das parlamentarische Verfahren, wir haben auch die Möglichkeit der Beteiligung der Kinderschutzverbände und können diese Dinge dann entsprechend dort mit aufnehmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Bahr.

Ulrike Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werte Frau Ministerin, Kinderrechte, Kinderschutz sind Themen bei der Reform der Kinder- und Jugendhilfe, die jetzt ansteht. Am Freitag wird das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz in der ersten Lesung beraten. Hier sind viele spürbare Verbesserungen für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien dabei, und natürlich sind auch viele Abstimmungen mit den Kommunen, mit den Ländern, mit den Trägern notwendig. Mich würde jetzt interessieren: Wie ist der derzeitige Verfahrensstand der Vermittlungen und Beratungen mit den Trägern und mit den Kommunen?

Not found (Minister:in)

Wir haben ja einen ganz umfangreichen Prozess der Beteiligung am Kinder- und Jugendstärkungsgesetz 2019 angestoßen. Es sind über 9 000 Beiträge dazu gesammelt worden; Onlinekonsultationen, aber auch Fachgespräche sind durchgeführt worden. All diese Impulse aus dem Beteiligungsprozess sind im letzten Jahr in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. Es gibt eine hohe Identifikation mit dem Gesetz, und die Landesregierungen warten jetzt auch darauf, dass es kommt. Die Kinder- und Jugendhilfen vor Ort freuen sich darauf. Durch die große Beteiligung haben wir auch ein hohes Maß an Akzeptanz. Die Einbringung des Gesetzentwurfs – die erste Lesung ist am nächsten Freitag – wird mit Spannung erwartet. Ich bin guten Mutes, dass wir gut in ein Beteiligungsverfahren gehen können und die Landesregierungen und all diejenigen, die seit Jahren für dieses Thema streiten, mitnehmen können und am Ende ein gutes Gesetz haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Nachfrage stellt der Abgeordnete Brandner.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Sie haben ja ausgeführt, dass Kinder mit Grundrechten gewürdigt werden sollen. Nach meiner Auffassung und der Auffassung der AfD sind Kinder per se umfassende Grundrechtsträger. Also, kein einziges Grundrecht, das im Grundgesetz statuiert ist, fehlt den Kindern. Vor diesem Hintergrund hätte ich von Ihnen gern mal gewusst: Was vermissen Sie denn? Welche Grundrechte haben Kinder in Deutschland noch nicht? In diesem Zusammenhang eine Frage. Unsere Grundrechte sind ja so strukturiert, dass sie Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind. Das heißt, wenn Sie jetzt die Kinderrechte im Grundgesetz stärken wollen, dann sollen das ja wohl auch Abwehrrechte gegenüber dem Staat werden. Oder planen Sie eine ganz andere Art von Grundrechten, die plötzlich nicht mehr als Abwehrrecht gegenüber dem Staat konstruiert sind, sondern irgendwie anders?

Not found (Minister:in)

Also, es ist ganz klar, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind und dass auch sie eigene Grundrechte verdienen; das ist unsere tiefe Überzeugung. So wie es richtig ist, dass in Artikel 3 des Grundgesetzes die Frauen bzw. die Gleichberechtigung der Geschlechter besonders erwähnt sind und dort formuliert ist, dass der Staat auf die Gleichstellung hinwirkt, so ist es auch richtig, wenn auf den besonderen Schutz, die Förderung, die Beteiligung von Kindern auch noch mal gesondert eingegangen wird – in einem eigenen Grundrecht. Denn natürlich bedeutet das, dass das nicht nur in der Ausbildung der Juristen eine stärkere Rolle spielt, sondern auch in jeder Form von Rechtsprechung. Rechte gegenüber dem Staat zu haben, bedeutet, dass Kinder eben Anspruch auf rechtliches Gehör haben, auf Beteiligung an Dingen, die sie betreffen, und das geht vom Kinderspielplatz bis zur Frage von Stadtentwicklung, Stadtgestaltung, oder das gilt auch – im schlimmsten Fall – bei der Frage von Inobhutnahmen oder von sexuellen Missbrauchsfällen. Da hatten wir immer wieder die Situation, dass Kinder nicht gehört worden sind, dass ihre Interessen nicht genug gewürdigt worden sind. Das ist einfach eine ganz große Stärkung für die Kinder – Anspruch auf rechtliches Gehör, auf Teilhabe und Beteiligung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Aggelidis für die FDP.

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, aktuell müssen die Familien wieder die fehlenden und eingeschränkten Bildungs- und Betreuungsangebote ausgleichen. Darunter leiden sie nicht nur finanziell, sondern vor allem auch psychisch. Auch das Bildungsniveau der Kinder wird nicht vergleichbar sein mit dem der Jahrgänge vor der Coronakrise, speziell bei Kindern, die – ich sage jetzt mal – nicht so ein besonders üppiges Umfeld haben, was das Thema „digitale Ausstattung, räumliche Ausstattung etc.“ angeht. Deswegen meine Frage: Welche Maßnahmen werden jetzt schon auf den Weg gebracht, um die diversen Lücken und entstandenen Ungleichheiten wieder auszugleichen?

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal sind ja bereits umfangreiche Maßnahmen am Laufen. Wir hatten zum Beginn dieses Jahres nicht nur eine Kindergelderhöhung, sondern auch eine Erhöhung des Kinderzuschlages auf bis zu 205 Euro pro Monat, die es zusätzlich zum Kindergeld gibt, und eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Wir haben die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, die letztes Jahr durch das Starke-Familien-Gesetz erweitert wurden, schon lange. Und wir haben jetzt aktuell gerade ein Bemühen und ein Anschieben durch Hubertus Heil, den Bundesarbeitsminister, hier an dieser Stelle noch mal die Ausstattung von Kindern mit zusätzlichen digitalen Geräten, mit Druckern, mit Endgeräten zu unterstützen. Und ich will natürlich auch nicht vergessen, den DigitalPakt Schule zu erwähnen. Die Umsetzung in den Ländern läuft sehr unterschiedlich; das wissen Sie. Aber die Bundesregierung tut hier mit der Bereitstellung von Mitteln in Milliardenhöhe wirklich sehr viel, um auch finanziell Härten abzufedern – ganz besonders für Familien mit kleinen Einkommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In dem Zusammenhang: Abgesehen von dem Geld, das Sie den Familien zur Verfügung stellen, was planen Sie vor allem, um auch beim Thema „Infrastruktur und Zugang“ – Sie haben den DigitalPakt angesprochen – wirklich zu einer Beschleunigung zu kommen? Und noch eine kurze Nachfrage zu Ihrer Antwort an die Kollegin Werner. Sie haben das so gleichgestellt. Es macht mich als Vater schon sehr betroffen, wenn Sie sagen: 13- bis 15-jährigen Kindern kann man unterstellen, dass sie sich mehrere Stunden am Tag auch alleine beschäftigen können. – Da gebe ich Ihnen zwar recht. Die Frage ist aber, ob Sie das mit mehreren Wochen hintereinander Lernen im Homeschooling gleichstellen. – Danke.

Not found (Minister:in)

Herr Aggelidis, ich will ganz klar sagen: Natürlich ist es eine Belastung gerade auch für die älteren Kinder, wenn sie eben nicht regulär in die Schule gehen können; das wird doch gar keiner bestreiten. Deswegen ist es ja auch wichtig, dass wir das so kurz halten, wie es irgend geht, und dass man bei Öffnungsschritten, wenn sie gegangen werden, mit Wechselunterricht und Hybridunterrichtsmodellen usw. arbeitet. Aber ich muss Ihnen sagen: Ich bin auch Mutter. Und ich erlebe, dass in den Schulen, wenn man das mit dem letzten Jahr vergleicht, nun auch nicht überall nur die Katastrophe herrscht, sondern dass viele Schulen sich aufgestellt haben, dass es eben die Lernplattformen gibt, dass es die Tablets gibt, dass es die verschiedenen Wege von digitaler Beschulung, wie regelmäßige Videokonferenzen mit dem Klassenlehrer, gibt. Das hängt natürlich immer davon ab, wie engagiert Lehrer und Lehrerinnen das machen. Aber wir sehen schon, dass es eine deutliche Verbesserung auch des digitalen Lernens im Vergleich zum letzten Jahr gibt. Darauf müssen wir stärker den Fokus legen – sowohl was die Technik als auch was die Lerninhalte und Möglichkeiten angeht. Ich glaube, da gibt es Entwicklung; das sehen wir ja auch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Stefan Schwartze.

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, es wurden in dieser Runde vielfach die Leistungen für Familien in dieser Zeit angesprochen. Ich glaube, wir haben an vielen Stellen auch etwas gemacht. Wir haben viele Hilfs- und Rettungsprogramme gestartet, die genau die Existenz und das Familieneinkommen sichern sollten. Ich nenne nur das Kurzarbeitergeld und die Verbesserungen, die es in dem Verfahren gegeben hat. Ich nenne die Anpassungen beim Elterngeld, die wir vorgenommen haben, damit es da nicht zu Einbußen kommt. Ich nenne den Kinderbonus. Über die Kinderkrankentage haben wir eben schon in großer Breite gesprochen. Können Sie vielleicht noch mal zusammenfassen, was dort schon alles geschehen ist und welche Erfahrungen Ihr Haus daraus für die Zukunft mitnimmt?

Not found (Minister:in)

Es ist ganz eindeutig, dass diese zusätzlichen Unterstützungsmaßnahmen gegriffen haben. Wir müssen jetzt darüber sprechen, inwieweit weitere Verlängerungen notwendig sind und inwieweit wir auch daraus lernen können für die Zeit danach. Was ich ganz wichtig finde – darauf würde ich gern einen Schwerpunkt legen –, ist die Frage: Wie können wir auch dafür sorgen, dass die Einrichtungen der Familienhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe, die in der Krise auch geschlossen waren – von der Familienferienstätte bis zu den Jugendherbergen – und nicht ihre normalen Angebote machen konnten, nach der Krisenzeit noch da sind? Ich will mich an dieser Stelle noch einmal bedanken. Der Bundestag hat all diese finanziellen Möglichkeiten mit ermöglicht und uns mit einem Sonderprogramm für die Kinder- und Jugendhilfe sehr geholfen – 100 Millionen Euro im letzten Jahr, auch in diesem Jahr wieder 100 Millionen Euro –, damit wir dafür sorgen können, dass sowohl der internationale Jugendaustausch als auch die Jugendherbergen und die Kinder- und Jugendbildungsstätten erhalten bleiben und über diese Zeit kommen. Das finde ich ganz, ganz wichtig, auch mit dem Blick auf die Zeit danach. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben keine Nachfrage. – Dann hat die Abgeordnete Gminder das Wort.

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für das Wort. – Frau Ministerin, ich habe eine Frage. Es war im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vorgesehen, zur Förderung der Familien mit Kindern eine gesonderte Regelung bei der Grunderwerbsteuer zu finden. Dies ist jetzt nicht mehr vorhanden. Ich frage Sie: Ist das jetzt ganz unter den Tisch gefallen? ({0}) Es war ja beabsichtigt, dass je nach Anzahl der Kinder die Grunderwerbsteuer für den Erwerb einer Immobilie für den Eigengebrauch der Familie gesenkt werden soll. Das hatten wir als AfD ja auch beantragt. ({1}) Wir werden ja diese Woche noch über Baulandgewinnung usw. abstimmen. Da kommt das nicht mehr vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

30 Sekunden! Ich bitte wirklich alle, sich jetzt daran zu halten.

Not found (Minister:in)

Ich will noch mal sagen: Wir haben in dieser Legislatur sehr viel für das Thema Baukindergeld getan und es mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet. Zu den steuerlichen Fragen, was den Grunderwerb angeht, würde ich – Frau Präsidentin, wenn Sie einverstanden sind – entweder das Finanzressort oder auch das Wirtschaftsressort – je nachdem, wer dazu etwas sagen kann – bitten, hier an dieser Stelle noch etwas detaillierter auszuführen –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Oder es nachzureichen, –

Not found (Minister:in)

– oder es schriftlich nachzureichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

– wenn keines von beiden jetzt dazu in der Lage ist. Das würde ich anregen; denn das war die Nachfragemöglichkeit zur Ausgangsfrage, die 30 Sekunden umfasst. Ich befürchte, dass das unvorbereitet innerhalb von 30 Sekunden kaum beantwortet werden kann. Vielleicht kann die Bundesregierung das einfach nachreichen. ({0}) – Wir sind sowieso schon in der Nachspielzeit. Auch in dieser wäre es möglich, noch zu weiteren Themen als zum vorgetragenen zu fragen. Ich habe auch nicht vor, die Befragung über die mir möglichen 15 Minuten hinaus weiter auszudehnen. Deshalb hat jetzt als Nächstes die Abgeordnete Katrin Werner das Wort zu ihrer Frage.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte das Thema „Einsamkeit im Alter“ noch mal ansprechen. Wir haben es ja auch schon im Ausschuss diskutiert, als es um die Frage der Senioren ging. Wir haben den siebten Altenbericht diskutiert, in dem viele Modellprojekte von Ihnen vorgestellt worden sind. Durch die Pandemiesituation hat dieses Thema aber noch einmal eine ganz andere, völlig neue Dimension erhalten. Wer in diesen Tagen Familienmitglieder in Seniorenheimen, aber auch zu Hause hat, weiß, wie schlimm Einsamkeit im Alter ist. Da würde mich noch mal interessieren – aufgrund der Situation, die sich jetzt noch mal verschärft hat –, welche langfristigen Themen oder Pläne Sie haben, nicht nur auf die Modellprojekte bezogen.

Not found (Minister:in)

Vielen Dank. – Ich will dazu sagen, dass sich das Thema „Einsamkeit im Alter“ im letzten Jahr tatsächlich noch mal verschärft hat. Es ist ein Thema für das Bundesseniorenministerium. Wir arbeiten mit unseren Mehrgenerationenhäusern, die sich jetzt auch digitalisiert haben, sehr dafür, Jung und Alt zusammenzubringen, Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen. Wir haben im letzten Jahr ein Modellvorhaben angestoßen, um Einsamkeit im Alter entgegenzuwirken. Es sind 29 Teilprojekte, die dazu umgesetzt werden; ich hatte Ihnen ja zugesagt, Frau Werner, dass wir Ihnen die Detailinformationen gerne noch mal schriftlich zukommen lassen. Es geht darum, dass wir dieses Thema angehen. Wir sagen: Das muss querschnittsmäßig behandelt werden, damit wir in allen Bereichen mehr Begegnung zwischen den Generationen ermöglichen. – Da ist die digitale Teilhabe natürlich ein riesengroßes Thema, das wir unterstützen; darauf weist ja auch der Altenbericht der Bundesregierung hin.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die 30-sekündige Nachfrage.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, Sie hatten das Angebot gemacht. Aber mir geht es nicht nur speziell um das Thema Digitalisierung, sondern darum: Muss man nicht vielleicht noch mal grundsätzlich über die Grundausstattung in Seniorenheimen nachdenken, darüber, ob man hier unterstützend wirken kann? Ansonsten ist – das haben Sie in Bezug auf das Zusammenleben der Generationen ja angesprochen – Einsamkeit nicht nur ein Problem des Alters. Das Thema Einsamkeit hat in den letzten Wochen und Monaten auch Alleinerziehende, Familien und Kinder dermaßen getroffen, dass, glaube ich, viele Projekte vertieft werden müssten.

Not found (Minister:in)

Ich kann das bestätigen. Wir haben ja unsere Hilfetelefone auch breit ausgebaut, nicht nur das Hilfetelefon „Gegen Gewalt an Frauen“, sondern auch das Elterntelefon oder die „Nummer gegen Kummer“ für Kinder und Jugendliche, und wir werten immer ein Stück aus: Was sind die Hauptanliegen? – Viele – gerade Kinder und Jugendliche, aber auch Ältere – haben im Moment das Problem von Langeweile und Einsamkeit. Das wird ganz häufig genannt. Wir versuchen, durch diese Hilfetelefone, durch Angebote, die wir machen, die Lage etwas zu verbessern. Ich gebe Ihnen aber recht: Das ist ein großes Thema. Wir setzen uns damit auch auseinander.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine Nachfrage stellt der Kollege Rix.

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben gerade im Zusammenhang mit der Seniorenpolitik die Engagementpolitik angesprochen und gesagt, dass es auch auf diesem Feld freiwillig Engagierte braucht. Mehrgenerationenhäuser waren gerade ein Thema. Wir haben ja hier die Deutsche Engagementstiftung beschlossen. Können Sie da den Sachstand einmal mitteilen?

Not found (Minister:in)

Ja, die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt ist letztes Jahr im Sommer in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern gegründet worden. Wir haben ein tolles Vorstandsteam, das sofort losgelegt und auch das erste Programm aufgelegt hat. Ich muss Ihnen sagen: Wir sind von der Resonanz überwältigt worden. Es gab für das erste Programm, das im September gestartet ist, um die Digitalisierung des Ehrenamts voranzubringen, über 12 500 Förderanträge. Fast 2 000 konnten bewilligt werden. Es geht ganz in die Breite. Das ist genau das, was wir jetzt brauchen: eine bessere Aufstellung und eine Stärkung der ehrenamtlichen Strukturen im digitalen Bereich. Wir sind da äußerst zufrieden. Wir konnten alle Mittel, die die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt hatte, binden und sind sehr guten Mutes, dass wir das in diesem Jahr auch machen können. Da kann ich Gutes vermelden. Wenn Sie mehr wissen wollen: Es gibt auch ein sehr schönes Webportal mit allen Projekten und Förderbedingungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage zu diesem Tagesordnungspunkt stellt die Kollegin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Ende des letzten Jahres wurde im Kabinettsausschuss ein großes Programm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus beschlossen. Bisher sind uns aber Ihre Umsetzungspläne nicht bekannt. Könnten Sie uns diese bitte kurz erläutern? Wann können wir damit rechnen, und wie planen Sie das umzusetzen?

Not found (Minister:in)

Der Kabinettsausschuss „Rechtsextremismus und Rassismus“ hat ja ein ganzes Maßnahmenpaket von über 90 Maßnahmen beschlossen, ({0}) die nicht alle in unserem Bereich liegen. Uns ist natürlich vor allen Dingen die Umsetzung des Programms „Demokratie leben!“ ganz besonders wichtig und auch die Vereinbarung, ein Wehrhafte-Demokratie-Fördergesetz auf den Weg zu bringen. Das ist das, woran wir im Moment sehr intensiv arbeiten. Es ist ja vereinbart worden, dass dieses Gesetz von meinem Haus und vom Bundesinnenministerium gemeinsam auf den Weg gebracht werden soll. Es gab jetzt erste Abstimmungsgespräche dazu. Wir sind dabei, Eckpunkte für einen Kabinettsbeschluss zu erarbeiten, auf deren Grundlage dann ein entsprechender Gesetzentwurf erarbeitet werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre Nachfrage.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie uns ein Datum, wann das im Kabinett sein soll, schon nennen?

Not found (Minister:in)

Da wir wollen, dass das in dieser Legislatur noch durch das parlamentarische Verfahren geht, wir aber durch die Dauer der Legislaturperiode begrenzt sind, ist klar, dass wir demnächst mit einer Vorlage im Kabinett sein müssen, um das auch zu schaffen. Ein genaues Datum kann ich Ihnen heute noch nicht nennen; das wird im Moment noch geklärt. Aber das wird sicherlich in kurzer Zeit möglich sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte maximal 30-sekündige Nachfrage stellt der Abgeordnete Brandner.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich brauche nur wenige Sekunden. – Sie haben gerade gesagt, der Kabinettsausschuss habe einen Maßnahmenkatalog mit über 90 Maßnahmen vorgelegt. Mir ist ein Maßnahmenkatalog mit 89 – also unter 90 – Maßnahmen bekannt. ({0}) Kam da noch was dazu, oder habe ich was verpasst? Bringen Sie uns mal auf den neusten Stand, welche Maßnahmen Sie sich noch so erdacht haben.

Not found (Minister:in)

Ja, Herr Brandner, es kann sein, dass es 89 statt 90 Maßnahmen sind; ich würde das gerne noch mal überprüfen. Wahrscheinlich haben Sie sich intensiv damit beschäftigt. Somit kann es sogar sein, dass Sie recht haben, dass es 89 statt 90 Maßnahmen sind. ({0}) Ich würde das noch mal prüfen. Ich glaube aber, das tut der Sache keinen Abbruch. ({1}) Wir bekennen ganz klar: Der Rechtsextremismus ist eine der größten Gefahren für die Innenpolitik, für die Sicherheit, für die Demokratie in unserem Land, egal ob es 89 oder 90 Maßnahmen sind, ({2}) -Oder auch über 90. Wissen Sie was? Wir können Ihnen noch viel mehr anbieten. Wir haben ja mehrere Hundert Modellprojekte, Kompetenzzentren, mehr als 300 Partnerschaften für Demokratie, die wir durch „Demokratie leben!“ Gott sei Dank auch fördern und unterstützen können. Da bin ich gerne bereit, mit Ihnen über die Zahlen zu streiten. Das Ziel ist ganz klar, nämlich jeder Form von Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Hass gegen andere, egal ob im Netz oder analog, konsequent entgegenzutreten. Und da ist es ganz egal, wie viele Maßnahmen das sind. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich beende die Befragung. – Danke, Frau Ministerin.

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute diese Aktuelle Stunde aufgerufen, um als Koalitionsfraktionen die Pandemie aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Lassen Sie mich ein paar Worte zum Thema Wirtschaft und zur aktuellen Gemengelage in der Wirtschaft sagen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Linnemann, entschuldigen Sie; ich habe die Uhr noch mal angehalten. – Ich bitte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die notwendige Aufmerksamkeit herzustellen. – Ich gehe davon aus, dass jetzt die notwendigen Umgruppierungen im Plenum vollbracht sind. Bitte, Kollege Linnemann, Sie haben das Wort.

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Ich denke, es gibt einen wichtigen Punkt – um mal so einzusteigen –: Wir haben eine Situation in der Wirtschaft, die in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen wird, als sie eigentlich ist. Die Öffentlichkeit sieht auf der einen Seite: Ja, es gibt Gewinner, es gibt Profiteure. Ich denke an die Hersteller von Masken, von Hygieneartikeln usw., Anbieter von Onlinediensten, den Lebensmittelbereich, die Drogerien usw. Dann gibt es den zweiten Bereich der Wirtschaft, und dieser Bereich ist existenziell für diese Zeit, weil er noch vergleichsweise gut läuft. Da reden wir über die Industrie, da reden wir über das verarbeitende Gewerbe, da reden wir über große Bereiche des Mittelstandes, über die Maschinenbauanlagen, Bau, Chemie bis zum Bereich Elektro. Diese Bereiche laufen noch vergleichsweise gut, und das muss auch so bleiben. Das ist nämlich entscheidend dafür, dass wir im Moment noch einigermaßen gut durch diese Krise kommen. Die letzten Monate waren gut. Aktuell bekommen wir etwas Schwierigkeiten, aber die Hoffnung ist da, dass wir, wenn wir einigermaßen durch diese Pandemie kommen, wieder Licht sehen und dass dann gerade diese Branchen viel besser durchstarten, als es viele prognostizieren. Dann haben wir einen dritten Bereich. Mit diesem Bereich, glaube ich, haben wir Abgeordneten im Moment am meisten zu tun. Mir zumindest geht es so. Ich sitze an meinem Schreibtisch und telefoniere mit Menschen aus den Branchen, die volle Pulle vom Lockdown betroffen sind, die faktisch ein Berufsausübungsverbot haben, dem Beruf nicht mehr nachgehen können. Die Telefonate gehen einem zum Teil sehr nahe, weil man die Menschen kennt. Ich denke an den Schausteller, den man von den Volksfesten kennt, der stellvertretend für alle Schausteller in Deutschland steht. Ich denke an den Einzelhandel, die Messebauer, die Gastronomie, den Tourismus und was es nicht alles gibt. Wenn ich mit diesen Menschen rede – ja, es stimmt –, dann werden Fragen zur Überbrückungshilfe, zur Novemberhilfe, zum beihilferechtlichen Rahmen gestellt: Warum geht das nicht alles schneller? – Ja, ja, ja. Aber am Ende des Telefongesprächs gibt es nur ein Thema, und das ist die Perspektive. Diese Unternehmer sagen mir: Wir möchten gar nicht Bittsteller sein, wir wollen auch nicht abhängig sein, sondern wir möchten wieder arbeiten und brauchen eine Perspektive. Und über diese Perspektive müssen wir reden. Die Sorge vor der Mutation ist außerordentlich berechtigt; das will ich überhaupt nicht kleinreden. Trotzdem müssen wir der Wirtschaft eine Perspektive geben, ({0}) damit sie weiß, unter welchen Bedingungen sie wann wieder öffnen kann. Deswegen bin ich dem Ministerpräsidenten Daniel Günther dankbar, dass er gestern mit seinem Stufenplan eine Debatte angefacht hat. ({1}) Ich glaube, das ist extrem wichtig. Wenn wir diesen Perspektivplan gepaart mit einer besseren Datenbasis – das ist genau das, was die Expertenkommission aus Nordrhein-Westfalen sagt: dass wir eine Datenbasis brauchen, damit die Ansteckungsorte der Menschen identifiziert werden – schaffen, dann können wir der Wirtschaft eine Perspektive geben. Diese Perspektive brauchen wir, und wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden da, wo wir können, helfen: zielgerichtet, aber auch verantwortungsvoll. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Armin-Paulus Hampel für die AfD-Fraktion. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich wollte noch warten, Frau Präsidentin, bis die Frau Bundeskanzlerin gegangen ist; sie geht ja sonst immer, wenn wir reden. Aber ich freue mich, wenn Sie heute dableiben, Frau Bundeskanzlerin. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Dame besucht nach dem ersten Lockdown in Niedersachsen ihre Mutter in einem Pflegeheim. Die Mutter begrüßt sie mit den Worten: Du kommst allein. Sind alle anderen tot? – Was für eine Angst muss diese alte Dame gehabt haben, was für eine Vorstellung von Corona – als ob die Menschen zu Tausenden in den Straßen hier in Deutschland sterben würden! Und diese Angstpolitik – Frau Bundeskanzlerin, Ihre Regierung ist dafür verantwortlich – setzen Sie konsequent seit Februar/März vergangenen Jahres durch. Anfangs war es noch eine Krankheit – laut Herrn Spahn –, die uns nicht betrifft, und dann wurde aufgedreht, mit einer Angstpolitik ohnegleichen. Eine vernünftige Bundesregierung hat nicht Angst zu schüren, sondern sie hat den Menschen Hoffnung zu machen, ({0}) und sie hat ihnen zu sagen: Ja, wir haben eine Krankheit, die ist neu in unserem Lande, aber die gute Nachricht ist: 85 Prozent der Infizierten sind von dieser Krankheit gar nicht oder nur leicht bedroht. 15 Prozent der Infizierten sind gefährdet, ein geringer Teil von ihnen an Leib und Leben. – Diese Nachricht hätte als Allererstes transportiert werden müssen. ({1}) Stattdessen ignorieren Sie genau diese 15 Prozent, bei denen von Anfang an – und kein Experte hat das bisher bestritten – klar war: Es sind Menschen, wie wir jetzt wissen, über 80 – damals sagte man „60 plus“. Die „Bild“-Zeitung mag ja nicht immer die Wahrheit schreiben, aber in Zahlen sind sie ganz gut. 88 Prozent aller Verstorbenen des vergangenen Jahres waren 80 Jahre und älter, 25 Prozent über 90 Jahre. Das sind die Menschen, die bei uns in den Alten- und Pflegeheimen sitzen. Das ist die Generation, wie es der Kollege in der „Bild“-Zeitung richtig beschrieben hat, zu der die Trümmerfrauen und Heimkehrer der Nachkriegszeit gehören, die dieses Land aufgebaut haben ({2}) und die Sie, Frau Merkel, seit zehn Monaten ununterbrochen im Stich lassen und alleinelassen. Das sind die, von denen die jungen Grünen und die Jungsozialisten sagen: Das ist ja die Nazigeneration, da ist es nicht so schlimm. ({3}) – Gucken Sie mal in Ihren eigenen Reihen nach! Da finden Sie diese Stimmen, jawohl! ({4}) Diese alten Menschen haben Sie im Stich gelassen. Und der Punkt ist: Seit zehn Monaten kriegen wir es nicht in den Griff, in diesen Alten- und Pflegeheimen eine professionelle Schutzmaßnahme durchzuführen. Dabei ist es ganz einfach: indem Sie das Personal und auch die alten Menschen rundum schützen und vor einer Erkrankung bewahren. Das lässt sich organisieren. Neuerdings will das die Bundesverteidigungsministerin übernehmen, mit bisher 5 000 Soldaten – angedacht sind 20 000 –, beruft sich aber heute im ZDF-Frühstücksfernsehen darauf: Da müssten erst die Verfassungsbedenken ausgeräumt werden, die Bundeswehr könne nur angefordert werden. ({5}) Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, da kann ich Ihnen sagen: Bei der Hochwasserkatastrophe in Hamburg, da war ein Innensenator Helmut Schmidt, der hat die Bundeswehr nicht angefordert, der hat sie eingesetzt. ({6}) Und nebenbei: Er hat auch noch alliierte Besatzungssoldaten kommandiert. ({7}) Danach hat er sich das Plazet geholt, das die verfassungsmäßige Ordnung herstellte. So reagiert man im Krisen- und Katastrophenfall, ({8}) und nicht so kleckerweise, wie die Bundesregierung es tut. Es kommt noch was hinzu: Seit dem März des vergangenen Jahres werden ernstzunehmende Wissenschaftler, die fortlaufend und immer wieder Kritik an den zweifelhaften Praktiken des RKI und anderer geäußert haben, bewusst ausgegrenzt – nicht nur das: Sie werden ignoriert, sie werden lächerlich gemacht, teilweise sogar in ihren Berufen bedrängt –, weil sie darauf hinweisen, was jetzt, letzte Woche, die WHO gesagt hat – das RKI hat übrigens noch gar nicht reagiert –: dass der PCR-Test eben keine fundierte Grundlage für die Feststellung einer Erkrankung bildet, also die Zahlen, die wir schon rückwirkend korrigieren müssen, nicht stimmen können. Sie seien zu hoch, weil dieser Test nur mit einem weiteren Test und einer ärztlichen Diagnose funktionieren könne. Wir brauchen zehn, elf Monate dafür, um das in unseren wissenschaftlichen Kreisen überhaupt erst mal zu erwähnen. Diskutiert wird es selten, und akzeptiert wird es gar nicht. ({9}) – Reden Sie mit der WHO, Herr Kollege! Ich habe das nicht gesagt; das hat die WHO letzte Woche gesagt. Das können Sie in ihren Verlautbarungen nachlesen. ({10}) Was wir gemacht haben, ist: Wir haben einen Impferreger geschaffen. Und was machen wir jetzt? Die Tabletten, die Donald Trump in Amerika geheilt haben, muss jetzt die Bundesregierung bestellen. Diese Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat auf der ganzen Ebene, in vielen Kritikpunkten, die ich hier noch anführen könnte, versagt. ({11}) Frau Merkel, alle Mitglieder Ihrer Bundesregierung müssen die Konsequenzen aus diesem völligen Versagen der deutschen Politik ziehen und zurücktreten. ({12}) Ich danke Ihnen. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. – Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt nach wie vor eine hohe Solidarität in unserer Gesellschaft, es gibt insbesondere die Solidarität der Jungen mit den Ältesten in unserer Gesellschaft. Das ist ein hohes Gut. Und ich glaube, diese Unterstützung, die die Jungen leisten, sollten wir alle, insbesondere auch Sie von der AfD, verbal leisten. Denn jede Attacke dieser Art, wie wir sie gerade gehört haben, ist nicht dazu geeignet, die Maßnahmen einer stärkeren Akzeptanz zu unterwerfen, sondern trägt dazu dabei, sie zu unterhöhlen. Alles das, was bisher gemacht worden ist, hat doch immer noch in unserer Gesellschaft eine hohe Akzeptanz. Ich finde, man kann nicht oft genug würdigen, was in den Pflegeheimen von dem Pflegepersonal geleistet wird, was in den Krankenhäusern für die Menschen, die erkrankt sind, geleistet wird. ({0}) Ich denke, solche politischen Attacken, wie wir sie gerade gehört haben, sind nicht dazu geeignet, die Situation zu meistern. ({1}) Ich glaube, dass es in dieser Situation wichtig ist, mit den Ministerpräsidenten, so wie es die Bundeskanzlerin gemacht hat, einvernehmlich den weiteren Weg zu gestalten. Seit einem Jahr diskutieren wir fast in jeder Sitzungswoche über die Coronakrise – ich finde das richtig –, damit wir den Austausch haben, damit wir uns auch selber immer reflektieren, damit wir mit unseren Maßnahmen auch immer wieder an den neuesten Stand der Wissenschaft anknüpfen können. Das ist gut und richtig. Und dass die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder in diesem lernenden Prozess mitziehen, ist auch richtig. Auch wenn es ab und zu Querschüsse in Sachen Schulpolitik gibt, glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir alle zusammenbleiben, um die politischen Ansprüche, die wir gemeinsam haben, nach außen zu tragen und Sicherheit zu bieten, dass wir uns sicher sind in dem, was wir tun. ({2}) Ich glaube, dass unsere Demokratie sich hier tatsächlich bewiesen hat. Sie hat sich in allen Punkten bewiesen, die wir bisher als Maßnahmen miteinander vereinbart haben. Und sicher, wir sind ein lernendes System. Deshalb will ich auch nicht damit hinterm Berg halten, dass wir als SPD uns in dem einen oder anderen Punkt eine schnellere Gangart gewünscht hätten. Ich nenne da nur bespielhaft den ÖGD. Wir von Bundesseite hätten uns gewünscht, dass wir nicht mehrere Monate nach dem ersten Beschluss der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung wieder sagen müssen: Schafft bitte ein einheitliches Kontaktverfolgungssystem an! Schafft in eurem Bundesland, in eurem ÖGD, in eurem Gesundheitsamt nicht irgendwie eine eigene Möglichkeit der Kontaktnachverfolgung, sondern vernetzt euch! Nehmt das ernst, was euch das Helmholtz-Institut anbietet! – Das ist doch ein Punkt, auf den wir immer wieder hinweisen müssen. Da müssen wir lernen und besser werden. ({3}) Genauso ist es auch beim Thema Kohortenforschung. Manche Wissenschaftler sagen uns: Wir wissen immer noch nicht genügend über das Virus. – Ja, wir stellen jetzt fest, dass uns die Mutanten schlicht und ergreifend vor weitere Herausforderungen stellen und wir da, was die Datenbasis anbelangt, besser werden müssen. Darauf sollten wir einen Schwerpunkt legen; da bin ich sicher. Nachdem wir für unsere Impfstrategie mit unserem dritten Bevölkerungsschutzgesetz eigentlich eine sehr gute Grundlage geschaffen haben und die Verordnung ebenfalls darauf aufbauend angepasst ist, haben wir jetzt das Problem mit den Impfdosen; das ist klar. Und das muss gelöst werden; auch das ist klar. Das ist ein eindeutiger Auftrag an den Bundesgesundheitsminister. Aber ich glaube, es ist angekommen, dass wir da eine eindeutige, verlässliche vertragliche Grundlage brauchen, um die Bevölkerung in dem, was wir an Ausstiegsstrategien – bis wieder zum normalen Leben hin – brauchen, auf einen sicheren Weg zu bringen. Ich sage noch einen Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist – und der mittlerweile durchgedrungen ist, auch im Bundesgesundheitsministerium, wo es jetzt einen Referentenentwurf gibt –: Ich glaube, dass wir auch die Strategie der Eigentests sehr viel stärker in den Fokus nehmen müssen, ({4}) weil – neben sämtlichen Maßnahmen, die es jetzt bereits gibt und die eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung haben – klar ist: Jeder ist eigenverantwortlich. Wir müssen den Bereich der Eigentests anbieten, damit Menschen wieder das Gefühl haben: Ich gehe in eine Normalität zurück, aber ich gefährde niemanden, weil ich das Bestmögliche tue, was ich tun kann, nämlich mit einem Eigentest vor einem Kontakt sicherzustellen: Ich bin negativ. Und wenn ich dann positiv bin, bedeutet das, die nächsten Maßnahmen einzuleiten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Mattheis.

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber wenn ich negativ bin, bedeutet das nicht, alle anderen Maßnahmen außer Acht zu lassen. In diesem Sinne – da sind wir uns doch hier fast alle einig – müssen wir diesen Weg weiter beschreiten. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Theurer für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine große Tageszeitung titelt heute: „Söder rechnet mit Regierung ab“. Da liest der CSU-Vorsitzende der Regierung die Leviten und spricht von einem Totalversagen der Bundesregierung. Frau Bundeskanzlerin, wenn ich jetzt die Regierungsbank anschaue, stelle ich mir die Frage, ob die CSU ihre Minister schon aus Ihrem Kabinett abgezogen hat. ({0}) Es wäre ja konsequent, wenn der Vorsitzende der CSU mal dafür sorgen würde, dass das, was er da sagt, auch bei der Regierung hier ankommt. Meine Damen und Herren, zur Sache. Ich bin in Tübingen geboren, in der Nähe aufgewachsen, in Horb am Neckar, und habe in Tübingen studiert. Deshalb blicke ich mit Sicherheit genauer dorthin, was in der Universitätsstadt Tübingen stattfindet. Hier wurde über den Schutz vulnerabler Gruppen gesprochen. Wir haben als Freie Demokraten den Schutz von Risikogruppen immer gefordert. ({1}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es gehe nicht darum, alte Menschen wegzusperren. – Genau, darum geht es nicht, sondern es geht darum, sie wirksam zu schützen. ({2}) Meine Damen und Herren, warum ist es nicht möglich, die Inzidenz bei den über 90-Jährigen deutlich zu senken? Viermal höher ist sie als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Was in Tübingen mit dem Tübinger Modell erfolgreich praktiziert wird, muss in ganz Deutschland möglich sein. Hier sehen wir massive Vollzugsdefizite, ({3}) und wir fordern die Bundesregierung auf, den Schutz vulnerabler Gruppen mit den Ländern jetzt auch durchzusetzen. ({4}) Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang hören wir jetzt viel über die Gefahr von Mutationen. Es war völlig klar – die Virologen haben uns auch darauf hingewiesen –, dass diese Flucht- bzw. Escapemutationen eine große Gefahr darstellen. Wir hören jetzt aus Freiburg, dass da eine neue Mutation aufgetreten sein soll. Ich teile also die Sorge, Frau Bundeskanzlerin, die Sie artikuliert haben, über die Gefährlichkeit von Mutanten. Es stellt sich aber in dem Zusammenhang die Frage, warum zum Beispiel die Warnungen von Professor Hengel vom Universitätsklinikum Freiburg, die schon im November 2019 an den Bundesgesundheitsminister gerichtet wurden, nicht ernst genommen wurden. Die Virologen haben gefordert, dass in Deutschland mehr sequenziert wird. Bitte erklären Sie dem Deutschen Bundestag und damit dem ganzen deutschen Volk, warum um Gottes Willen das nicht gemacht wurde und wir dadurch gar nicht wissen, welche Mutationen bereits in Deutschland im Land sind. Meine Damen und Herren, das ist ein Versäumnis, ({5}) ein Versagen der Regierung, und Sie müssen das aufklären! In dem Zusammenhang Reiseverbote und die Einstellung des Flugverkehrs zu fordern, ist doch ein Doktern an Symptomen. Wir haben gehört und gelesen, dass Einreisende aus Risiko- und Hochrisikogebieten getestet werden müssen. Warum funktioniert denn das nicht? Sich um Vollzugsdefizite zu kümmern, ist doch eine Aufgabe der Regierung; dafür ist doch die Exekutive zuständig. Und an die Adresse der Linken: Das liegt auch nicht daran, dass das private Unternehmen sind. Im Regelfall ist der Staat ja an Flughäfen beteiligt, oder sie sind sogar insgesamt in Staatsbesitz. Also, der Staat versagt da. Es gelingt offensichtlich nicht, das entsprechend durchzusetzen. Auch hier ist die Frage: Wer ist eigentlich zuständig? Warum gelingt es nicht, nach dem Zoll Teststationen aufzubauen, Schnelltests für alle, die da einreisen? Statt jetzt zu versuchen, die wenigen Flugreisen – und es sind ja wenige, die reisen müssen, Geschäftsreisende – jetzt zu verbieten, sollte man sicherstellen, dass durch die notwendigen Tests, die dann auch umgesetzt werden, das Risiko minimiert wird. Wir sagen: auch hier Vollzugsdefizite der Regierung auf der ganzen Linie, die unbedingt beseitigt werden müssen. ({6}) Und beim Impfen: zu spät, zu wenig, zu langsam. Die Bundesregierung hat das Thema nicht als Wettlauf gegen die Zeit verstanden. Wer wenig Impfstoff bestellt, wird auch wenig bekommen. Ich habe bereits im Sommer, im Juni, Kontakt zum Beispiel zum Impfstoffhersteller IDT in Dessau-Roßlau aufgenommen. Schon damals haben die Manager uns auf die Problematik der Vorhaltung von Produktionskapazitäten hingewiesen. Ich sage an der Stelle nur: Das ist nicht gut gelaufen. Das Impfdesaster, meine Damen und Herren, ist für jeden erkennbar, trotz allen Tarnens und Täuschens. Jetzt allerdings muss es darum gehen, dass das Impfdesaster beseitigt wird. Ich finde es deshalb gut, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie gesagt haben, Sie machen das zur Chefsache. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Sie einen Impfminister ernennen. ({7}) Berufen Sie einen Impfgipfel ein! Es muss jetzt alles dafür getan werden, dass die Impfkapazitäten in Deutschland nach oben gefahren werden. Impfen, Impfen, Impfen ist die einzige Antwort – in Kombination mit Genomsequenzierung, damit wir auch wissen, ob der Impfstoff gegen die Mutanten wirkt, meine Damen und Herren. ({8}) Wir glauben – ein Schlusssatz –, dass die Herausforderungen der Zeit, ob Klima oder Corona, durch technologisch-wissenschaftlichen Fortschritt bewältigt werden können. Packen wir es gemeinsam an! In diesem Sinne unterstützen wir die Bundesregierung durch kritische Nachfragen im Wettbewerb der Ideen. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke schön. – Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Theurer, das war eine stabil marktradikale Rede, ({0}) wie man sie von der FDP erwartet, hilft aber in dieser Pandemie leider überhaupt gar nicht. Ich möchte heute darüber sprechen: „Was bewegt eigentlich die Leute in diesem Land?“, und da müssen wir natürlich auch über die Frage sprechen: Wer trägt eigentlich Verantwortung für die Situation, in der wir sind, sowohl für das, was klappt, als auch für das, was nicht klappt? Zunächst einmal möchte ich über die Frage des Impfens sprechen. Das ist angekündigt worden und mit so viel Hoffnung verbunden, dass es besser wird. Die Realität ist katastrophal. Ein ganz konkretes Beispiel: Ich habe mit meiner Oma gesprochen – sie ist 94 –; sie hat bis heute keinen Impftermin. Es ist eine Katastrophe, wie hier vorgegangen worden ist, und ich frage mich: Wer trägt dafür eigentlich die politische Verantwortung? Sie, Herr Gesundheitsminister, machen sich einen ganz schlanken Fuß und schieben das auf die EU. Aber Sie sind da doch wohl irgendwie involviert gewesen. Ich finde, das muss aufgearbeitet werden. ({1}) Und eines will ich noch mal deutlich sagen: Liebe Freunde von der FDP, diesen Impfstoff in so kurzer Zeit zu entwickeln, das hätte es ohne den Staat gar nicht gegeben. Um das hier klar zu sagen: Millionen Euro Steuergelder sind dort hineingeflossen; da hätte der Markt einen Scheiß geregelt, um das mal ganz deutlich zu sagen. ({2}) Wenn das so ist – und das haben Sie selbst, Herr Gesundheitsminister, in Ihren Gesetzen so festgelegt –, wenn so viele Steuergelder geflossen sind, dann ist es doch wohl das Mindeste, dass nunmehr die Lizenzen freigegeben werden, ({3}) damit andere Unternehmen den so dringend benötigten Impfstoff produzieren können. Das ist ja wohl das Mindeste nach so vielen Millionen Euro. Und das wird im Übrigen die Gewinne der Pharmaunternehmen sicherlich nicht schmälern. Dann will ich zum Zweiten etwas dazu sagen, was diese Pandemie offengelegt hat – worauf wir schon öfters hingewiesen haben und viele andere Wissenschaftlerinnen, Soziologen und andere auch –, nämlich die schreiende Ungerechtigkeit in diesem Land. Die gab es nämlich schon vor der Pandemie. Sinnbildlich konnte ich es heute Morgen in der S-Bahn erkennen. Da ist es schön, dass ich als Abgeordneter und die, die ordentlich Kohle verdienen, denen es gut geht, die sicheren FFP2-Masken haben. Aber die, die in Kurzarbeit sind, die nicht wissen, wie sie durch den Monat kommen sollen, erkennt man daran, dass sie die billigen, nicht so sicheren OP-Masken haben. Das ist ein unerträglicher Zustand, und deswegen müssen die Regierung und der Staat, wie es gemäß Infektionsschutzgesetz übrigens möglich ist, FFP2-Masken zentral beschaffen, den Preis deckeln und für alle zur Verfügung stellen. Diese Zustände sind unerträglich. ({4}) In diesem Zusammenhang will ich schon mal näher darauf eingehen und fragen: Wer trägt dafür eigentlich die Verantwortung? Wir alle haben die neuen Oxfam-Zahlen sicherlich gelesen. Man muss sich das mal reinziehen: Während dieser Coronakrise, wo Leute in Kurzarbeit sind und nicht wissen, ob sie am Ende des Monats noch einen Job haben, wächst die Zahl der Milliardäre in Deutschland von 114 auf 116. Man muss sich diese Perversität einmal reinziehen und überlegen, was hier eigentlich falsch läuft. Man muss doch mal sehen, wie es bei Leuten ankommt, wenn ein DAX-Vorstand durchschnittlich 5,6 Millionen Euro Jahresgehalt hat. Dafür müsste eine Pflegekraft 156 Jahre arbeiten. Hier stimmt doch etwas nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier brauchen wir dringend eine Kurskorrektur. ({5}) Zum Dritten möchte ich noch eine Anmerkung zu den Krankenhäusern machen. Laut „Berliner Zeitung“ von letzter Woche – man glaubt ja, man liest nicht richtig – sind im Jahre 2020, wo in diesen Horrorzeiten der Pandemie so viele Leute sterben, wo sich Leute auf den Intensivstationen totarbeiten – man muss sich das mal reinziehen –, allen Ernstes 21 Kliniken in Deutschland geschlossen worden. Was sind das denn, bitte schön, für Zustände? ({6}) 1991 gab es 2 411 Krankenhäuser in Deutschland, heute sind es nur noch 1 940. Was für ein unerträglicher Skandal! ({7}) Und um es auf den Punkt zu bringen, wo das Problem ist: Krankenhäuser müssen keinen Profit abwerfen, sondern sie müssen bestmöglich Patienten gesund machen. Das muss die Maxime in der Politik sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Deswegen ist es von zentraler Bedeutung: Krankenhäuser gehören in staatliche, in öffentliche Hand, und Krankenhäuser gehören eröffnet und nicht geschlossen, gerade in den ländlichen Gebieten, um Ihnen das mal klar zu sagen. Diese falsche Politik haben Sie zu verantworten! ({9}) Was also ist zu tun? Wir haben einige Vorschläge gerade vorgetragen. Ich glaube, dass es, weil Politik, Frau Kanzlerin, ja auch etwas mit Symbolik zu tun hat, geboten ist, dass man sich nicht ständig nur mit Autobossen und solchen Leuten trifft, sondern dass es gut wäre, einen Sozialgipfel zu machen, um sich mal mit den Leuten zu treffen, die an der Kasse sitzen oder in den Schlachthöfen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten, damit man mal mitbekommt, was an der Basis unserer Gesellschaft eigentlich so abgeht. ({10}) Der Irrweg des Personalabbaus, der Privatisierung, besser gesagt: der Verscherbelung von öffentlichem Eigentum, muss beendet werden. Der Profit um jeden Preis, gerade im Gesundheitswesen, ist tödlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier brauchen wir Umkehr. ({11}) Letzte Anmerkung; das will ich auch noch ansprechen. Angesichts dieses unerträglichen Chaos im Bildungssystem frage ich: Wer trägt dafür eigentlich die Verantwortung? Vielleicht brauchen wir dringend eine neue Föderalismuskommission, die sich mal mit dieser Frage auseinandersetzt. Und die Bundesbildungsministerin – Karliczek heißt sie, glaube ich – ist ja bis jetzt wirklich nur dadurch aufgefallen, sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Andi Scheuer um die Position des schlechtesten Ministers zu liefern. Das ist unerträglich in dieser Situation. ({12}) Wir brauchen Topschulen, einen starken Sozialstaat, und das Ganze kann nur funktionieren, wenn wir das endlich mal wieder ordnen und vor allem auf die hören, die in den Schulen arbeiten, und auf die, die, nebenbei gesagt, alles versuchen, um ihre Kinder unter schwierigsten Bedingungen durch diese Pandemie zu bringen. In diesem Sinne sollten Sie handeln. Da haben Sie jetzt echt viel zu tun und leider sehr viel verpennt. Vielen Dank. ({13})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank, Herr Korte. – Als Nächstes geht das Wort an Kordula Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet „Verantwortung und Risikoverringerung“. Und ich kann nur alle bitten: Populismus hat an dieser Stelle nichts zu suchen. Aber es sind gute Stichworte, diese Bundesregierung aufzufordern, endlich Verantwortung wahrzunehmen, sie zu übernehmen, um das Maßnahmenchaos und die chaotische Vielstimmigkeit, die die letzten Monate bestimmt haben, endlich zu beenden. ({0}) Wir brauchen eine einheitliche Strategie, und dies natürlich auf nationaler Ebene und mit entsprechenden regionalen Anpassungen an die jeweilige Lage, wo es nötig ist. Das gemeinsame Ziel dieses Hauses, von rechts abgesehen, muss es doch sein, die Pandemie tatsächlich zu beenden, aus der Krise zu kommen. ({1}) Und das Sinken der Fallzahlen macht uns ja hoffnungsvoll. Aber sie sinken zu langsam, und dies auch bis zum 14. Februar. Verantwortung heißt, vorausschauend zu handeln. Was braucht es, um gut durch die nächsten Monate zu kommen? Fünf Bereiche sind in der Pandemiebekämpfung bekannt, um dies zu schaffen: das Impfen, die Schutzmaßnahmen, das Testen, Testen, Testen, die Kontaktnachverfolgung und die Kommunikation. Und in allen diesen Bereichen hat diese Regierung erheblichen und dringenden Nachbesserungsbedarf, meine Damen und Herren. ({2}) Und nicht oder gar nicht aufgestellt ist diese Regierung bei der Frage von Schnelltests zur Selbstanwendung, bei der weiter gehenden Umsetzung von Homeoffice, als es bisher der Fall ist, beim Tragen sicherer FFP2-Masken, bei Konzepten für Schule und Kita und auch bei der Frage des Umgangs mit alten Menschen in unseren Einrichtungen, aber auch zu Hause. Das betrifft das Pflegepersonal, also diejenigen, die zu Recht auch schon mehrfach für ihren Einsatz gelobt wurden, der mit einem hohen Risiko für ihre eigene Gesundheit verbunden ist. Der zweite Punkt, bei dem es tatsächlich einen großen Bedarf für Nachbesserungen gibt, ist aus meiner Sicht die Information der Bevölkerung, die Aufklärung, die Begründung, das Erklären: Was? Warum? Wie? ({3}) Eines der wirklich ganz großen Defizite zeigt sich in der Kommunikation mit der Bevölkerung und besonders mit Zielgruppen, die wir erreichen müssen: bestimmte Berufsgruppen, bestimmte Bevölkerungsgruppen, bestimmte Gruppen, die eben nicht durch die Medien erreicht werden, usw. usf. Hier, glaube ich, müssen wir in der Kommunikation wirklich nachlegen, Verständnis wecken und die Leute mitnehmen. Das ist die zentrale Frage, vor der wir gerade stehen. ({4}) Ich sage das so mit Nachdruck, weil wir in dieser Pandemie an einem kritischen Punkt angekommen sind. Wir haben ja gerade das Gift von rechts gehört, das hier in diesen Raum und auch in die Gesellschaft zu streuen versucht wurde. Aber Sie haben mit diesen scheibchenweisen Verlängerungen und mit immer neuen Regeln, die nicht nachvollziehbar waren – und manche konnten auch gar nicht nachvollzogen werden –, die Menschen trotz der großen Akzeptanz, die wir bisher hatten, wirklich müde und mürbe gemacht. In dieser Situation befinden wir uns, und deswegen braucht es eine Strategie des Weges zur Öffnung hin, zur Einheitlichkeit, Transparenz und Verlässlichkeit der Strategien und der Maßnahmen, verbunden mit klaren Kriterien für die nächsten Monate. ({5}) Wir müssen die Fallzahlen schnell herunterbekommen, und wir müssen die Fallzahlen langfristig kontrollieren können. Wir Grünen haben übrigens mit einem Stufenplan – ich bin ja immer froh, wenn unsere Ideen aufgegriffen werden, und wenn es auch nur der Titel ist – schon vor Monaten angefangen. Wir fordern seit Monaten gerade auch für die Kommunikation einen interdisziplinären Pandemierat, um die verschiedenen wissenschaftlichen Aspekte, die in einer Pandemie eine Rolle spielen, auch tatsächlich zusammenzuführen und Maßnahmen zu entwickeln, die wirklich helfen und nicht nur diesen Eindruck erwecken. ({6}) – Das Letzte, was mir einfiele, wäre, Nazis zu zitieren. Meine Damen und Herren, man sagt: In einer Krise schlägt die Stunde der Exekutive. – Das ist richtig. Aber in einer Demokratie gehört mehr dazu, nicht nur eine gut funktionierende Regierung oder, wenn wir in die Bundesländer gucken, gut funktionierende Landesregierungen, sondern aktive, problemlösungsorientierte Parlamente und vor allem ihre demokratischen Fraktionen sowie die vielen Akteure in den Gesundheitsämtern, auf den Intensivstationen, in Pflegeheimen, in anderen Berufen und ihre Verbände, die Zivilgesellschaft und die vielen Bürgerinnen und Bürger, die die Maßnahmen verstehen wollen, die die Maßnahmen nachvollziehen wollen und auch wollen, dass sie sie umsetzen können. Und auch das ist eine soziale Frage. Wir haben eine Spaltung der Gesellschaft, die auch in sozialen Fragen voranschreitet, wenn wir dem nicht entgegenwirken. ({7}) Diese Chancen, meine Damen und Herren, die ich versucht habe aufzuzeigen, müssen jetzt die Regierung und wir gemeinsam hier als demokratisch gewähltes Parlament ergreifen, zusammen mit allen Demokratinnen und Demokraten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Wenn ich mir die Schuldzuweisungen hier anhöre, dann befürchte ich, dass hier etliche glauben, wir sind über den Berg. Wir sind nicht über den Berg. Wir sind auf einem guten Weg, der aber noch nicht zu Ende gegangen ist. Wir muten den Menschen mindestens bis zum 14. Februar noch einen Lockdown zu. ({0}) Wir sehen auf der einen Seite, meine Damen und Herren, dass diese Maßnahmen wirken, weil sie situationsangemessen sind, weil sie eine, wenn auch bröckelnde, aber immer noch vorhandene Akzeptanz finden. Wir sehen auf der anderen Seite aber auch, dass der Lockdown-Verdruss wächst und die ökonomischen Risiken ganz genauso. In dieser doch komplexen Situation kommt die Mutation dazu, in drei Varianten. Wenn man sich mit der Spanischen Grippe von 1918 beschäftigt, dann lernt man, wie sich damals ein Virus an den Menschen angepasst hat und die zweite Welle letztendlich die tödliche war. Deshalb ist natürlich Vorsicht sinnvoll und auch geboten. Aber was ist kompliziert an der Situation? Kompliziert wird jetzt Folgendes: Wir haben nach und nach sinkende Zahlen, einen Druck der belasteten Menschen, insbesondere derjenigen, die Kinder haben, die gleichzeitig arbeiten sollen, die beschulen, und ein potenzielles Risiko, über das wir zugegebenermaßen zu wenig wissen. Man kann diskutieren: Warum ist das so? Aber es ist halt nun mal so. Und in der Situation werden wir am 14. Februar stehen und uns überlegen: Wie geht das ganze Thema weiter? Da hat Armin Laschet zum Beispiel schon im November gesagt: Der Lockdown ist nicht das Mittel der Wahl; wir müssen uns über längerfristig tragende Alternativen Gedanken machen. – Und er hat recht an der Stelle. Wir müssen uns an der Stelle Gedanken machen, wie man nicht einfach trotz der Risiken öffnet, weil die Zahlen passen, sondern wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie man eine solche Öffnung so machen kann, dass wir nicht das erleben, was uns im letzten Jahr passiert ist, nämlich dass danach die Zahlen wieder steil nach oben gehen. Da ist, meine Damen und Herren, das, was hier Vorredner gesagt haben, ein wichtiges Thema, nämlich das Testen. Ich bin persönlich schwer enttäuscht darüber, dass es nicht gelingt – und da liegt die Verantwortung nicht bei der Regierung –, vor Altenheimenbesuchen sinnvoll zu testen und auszuschließen, dass Viren hineingetragen werden. ({1}) – Die Verantwortung liegt vor Ort mit Verlaub; das wird nichts sein, was letztendlich die Bundesregierung regeln und kontrollieren kann. – Wir müssen trotzdem diese Tests in die Breite tragen. Das muss Teil einer Strategie sein, so wie die Ministerpräsidentenkonferenz es beschlossen hat. Wir müssen diese Tests in die Breite tragen und Selbsttests ermöglichen. Wir müssen eine Meldepflicht für die Schnelltests einführen. Wir müssen aus meiner Sicht auch gucken, dass diese Eigentests ohne medizinisches Personal schnell in Gang kommen, dass man auch für sich selber testen kann, und wir müssen die Angebote annehmen, die im betrieblichen Bereich da sind. Der TÜV beispielsweise sagt: Wir können die betriebsärztliche Seite massiv verstärken, um dort Tests durchzuführen. ({2}) Denn wir können es uns, meine Damen und Herren, natürlich nicht auf Dauer leisten, alles herunterzufahren und zu gucken, was an der Stelle passiert. ({3}) Deshalb sind diese Alternativstrategien aus meiner Sicht jetzt das, was man entwickeln muss und womit wir tatsächlich ein Stück vorankommen müssen. Das gilt übrigens auch für die Analyse dessen. ({4}) Wir haben ein Datenschutzproblem in diesem Land, bei dem wir noch etwas tun müssen dafür, dass wir auf der einen Seite den angemessenen, notwendigen Schutz des Einzelnen sicherstellen können und dass wir auf der anderen Seite dafür sorgen können, dass wir Gesundheitsdaten haben, die am Schluss auch verwertbar sind. Ich nehme als Beispiel mal das Schließen der Friseursalons. Waren denn in der Zeit, wo die Friseursalons offen waren, tatsächlich Friseure diejenigen, die überproportional häufig angesteckt waren? Vermutlich nein; ich kann es aber nicht sagen, weil ich es nicht weiß. ({5}) Also muss man sich mit solchen Fragen aus meiner Sicht stärker auseinandersetzen, weil das Mittel der Wahl in Zukunft so aussehen muss, dass wir das ganze Thema effizienter gestalten müssen, je länger uns die Pandemie beschäftigt und verfolgt. Das ist das, was ich an der Stelle deutlich unterstreichen muss. Wir müssen jetzt etwas dafür tun, dass wir ab dem 14. Februar effizient weiter diese Pandemie bekämpfen; denn sie wird am 14. Februar nicht weg sein, meine Damen und Herren. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht gleich an Herrn Dr. Robby Schlund von der AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Robby Schlund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004875, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Gesunder Menschenverstand, was bedeutet das? Dass wir tief drin in uns einen uralten, reflektorisch geprägten Steuermann haben, der unsere einzelnen Sinne so koordiniert, dass sie ein möglichst reales Bild unserer Welt vermitteln. ({0}) Der Verstand trifft damit meistens Entscheidungen, die uns und unserer Gemeinschaft nicht schaden, sondern zum Vorteil gereichen sollten. Der gesunde Menschenverstand, meine Damen und Herren, ist ein wichtiger Teil eines effizienten Selbsterkenntnisprozesses des Einzelnen, einer Familie, unseres Volkes oder auch der Wissenschaft oder der Gemeinschaft. ({1}) Dieser Selbsterkenntnisprozess, meine Damen und Herren, ist geprägt von einer im Normalfall gesunden Risiko-Nutzen-Abwägung. Dieser Risiko-Nutzen-Abwägungsprozess findet nicht nur bei jedem einzelnen Menschen in jedem Augenblick unter Abwägung mit dem gesunden Menschenverstand statt, sondern auch kybernetisch auf allen Systemebenen. Wir entscheiden selbst, ein Risiko einzugehen, ob wir nun abseits der Piste im Tiefschnee fahren, uns ins Auto setzen, ins Flugzeug setzen oder einem bedrohten Menschen unter Einsatz unseres eigenen Lebens zu Hilfe eilen. Wir wissen, wann wir Risiken eingehen und wann nicht. Da brauchen wir keinen, der uns sagt, was zu tun oder zu lassen ist. ({2}) Statt notorischer Angst, Panik und Mutlosigkeit sowie Verbote brauchen wir Konzepte, die man auch mit gesundem Menschenverstand mittragen kann, meine Damen und Herren. Nicht die Umstände machen uns krank, sondern der falsche Umgang mit den Umständen. 170 000 Unternehmen in Deutschland stehen vor der Pleite. 54  Prozent der Deutschen sind laut aktueller Infratest-Studie nicht mehr zufrieden wegen des Chaos beim Krisenmanagement der Bundesregierung. Fast genauso viele finden die Einschränkungen übertrieben. Was wir brauchen, ist wieder ein realistisches, an Risiko-Nutzen-Abwägungen orientiertes Management mit eben genau dem sogenannten gesunden Menschenverstand. Wider den gesunden Menschenverstand schließt man zum Beispiel Tourismuseinrichtungen, Gaststätten, Einzelbetriebe, Schulen, Fitnesseinrichtungen, die für die Gesundheit und das Immunsystem gut sind und die mit den entsprechenden Hygienekonzepten, in die in der Zeit dazwischen investiert wurde, ohne Probleme betrieben werden könnten. Wider den gesunden Menschenverstand macht man auch weiter so undurchdachte Alleingänge: durch das Gesundheitsministerium, durch Sie, Frau Bundeskanzlerin, und auch durch Sie alle von den anderen Altparteien hier. Die Alleingänge kosten nicht nur viel, viel Geld, sondern rauben auch uns und unseren zukünftigen Generationen ihre Lebensgrundlage und Visionen. ({3}) Zum Ende September 2020 beziffern wir die Staatsschulden auf sage und schreibe 2,2 Billionen Euro. Lassen Sie sich das bitte auf der Zunge zergehen! ({4}) – Für Sie sowieso nicht. Für Sie ist ja Geld immer in großem Maße da. ({5}) 2,2 Billionen Euro! Dazu werden wir seit einem Dreivierteljahr durch Ihr Missmanagement in unseren Grundrechten und Freiheiten erheblich eingeschränkt, obwohl die AfD-Fraktion bereits im Februar 2020 aufgezeigt hatte, was es heißt, schnell, zielführend und mit gesundem Menschenverstand zu handeln. Sie wissen genau: Im Februar haben wir unser gestuftes Rastermanagement vorgestellt. Damals haben Sie gelacht und gesagt: Alles zu zeitig, es ist nicht so schlimm, wir haben alles im Griff. – Wir haben gesagt: Wir müssen den Feind kennen. Und wir haben gesagt, dass wir die drei Säulen des Pandemiemanagements brauchen: Prävention und Schutz der Risikogruppen, Medikation zur Virusexpressionshemmung und die freiwillige Impfung systemrelevanter Gruppen mit der Möglichkeit der freien Wahl der Impfstofftypen. Damit hätten wir uns sämtliche Lockdown-Maßnahmen erspart. Vielen Dank. ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Kerstin Tack von der SPD-Fraktion. ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schlund, Glückwunsch zur Auseinandersetzung mit dem gesunden Menschenverstand! Wie sagt man so schön: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Vielleicht können Sie bei Ihrer Reflexion die eigenen Überlegungen stärker in den Blick nehmen. ({0}) Wir befinden uns in einer Situation, die ihresgleichen sucht und in der es keine Vorerkenntnisse und keine Vorerfahrung gibt. Und da wundert man sich manchmal schon, was man sich hier in diesem Hohen Hause an Schlauschwätz und an „Habe ich immer gesagt!“ anhören muss. ({1}) Fakt ist: Es ist wie beim Fußball. Es gibt Tausende von Trainern, aber keiner hat bisher selber trainiert. Deshalb will ich sagen, dass es manchmal nicht ganz verkehrt ist, ein bisschen innezuhalten und auf den Hinweis zu verzichten, dass man etwas angeblich schon einen Tag früher gesagt hat – allerdings ohne einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten. Das ist ein bisschen mau, auch für eine Oppositionsfraktion. ({2}) Heute geht es unter anderem um die Frage: Wie kommen wir wieder zu Öffnungen? Ich kann den Wunsch nach einer Öffnung gut nachvollziehen. Jeder von uns hat ein hohes Maß an Sehnsucht nach einem Alltag, der für uns alle endlich nicht mehr so viele Einschränkungen bringt. Darauf freuen wir uns. Aber wer über eine Öffnung reden will, der muss heute auch alles dafür tun, dass wir überhaupt in eine Lage kommen, in der es Sinn macht, solche Diskussionen zu führen. Unter allen Maßnahmen, die wir im letzten Jahr und auch in diesem Jahr veranlasst haben, gab es Maßnahmen, die überarbeitet, überprüft, ergänzt und erweitert werden mussten. Aber etwas hat uns die ganze Zeit hindurch getragen, und das war die Erkenntnis, dass das einzig Hilfreiche ist, Abstand zu wahren und miteinander so umzugehen, dass wir uns und andere bestmöglich schützen. ({3}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es richtig, alles dafür zu tun, dass wir an dieser Stelle weiterkommen. Wir haben in den letzten Wochen darüber geredet, wie wir, was die Arbeitswelt angeht, noch besser werden können. Es hat vor Weihnachten von der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten den dringenden Appell an die Unternehmen in Deutschland gegeben, dort, wo immer möglich, dafür zu sorgen, dass die Zahl der Begegnungen weiter reduziert und möglichst von Zuhause gearbeitet wird. Das war ein richtiger Appell, es war aber auch ein eindringlicher Appell. Es gibt viele Unternehmen in Deutschland, in denen die Arbeitgeber mit den Arbeitnehmern gemeinsam gute Lösungen gefunden haben; dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Dass wir jetzt noch mal nachschärfen müssen, hat damit zu tun, dass es immer noch viele Unternehmen gibt, in denen noch mehr an Kontaktbeschränkung und ‑vermeidung möglich wäre. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir zur Vermeidung von noch stärkeren Maßnahmen, die keiner von uns will, noch einmal sehr deutlich machen: Bitte sorgt dafür, dass in euren Unternehmen alles Erdenkbare getan wird. Es ist richtig, dass wir nicht nur über Homeoffice, sondern auch über die Arbeitsschutzregeln in den Unternehmen und über die Zurverfügungstellung von Masken geredet haben; denn unser gemeinsames Anliegen kann doch nur sein, noch härtere Maßnahmen und größere Lockdowns, auch für die Wirtschaft, zu vermeiden. Wer das möchte, der muss heute dafür sorgen, dass an dieser Stelle nichts anbrennt. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass wir heute zu weiteren Maßnahmen gekommen sind. Ich glaube aber, dass wir uns besonders um die kümmern müssen, die durch die verschärften Maskenregeln mehr belastet werden. Sozialpolitisch ist es geboten, nicht nur an die Unternehmen zu denken, sondern auch an diejenigen, die es jetzt in der Krise besonders schwer haben. Deshalb ist es richtig, dass sich das Bundeskabinett heute entschieden hat, die Vergabe von Masken an diejenigen kostenfrei zu organisieren, für die der Kauf dieser Masken aus finanziellen Gründen nicht möglich ist. Es ist außerdem richtig, dass wir jetzt einen weiteren Schritt machen und diejenigen, die in schwierigen Lebenssituationen sind, mit einem Coronazuschuss unterstützen. Meine dringende Erwartung an die Bundesregierung ist, dass das in den nächsten Tagen gemeinschaftlich gut diskutiert und nach vorne gebracht wird. Ich glaube, bei allen Einschränkungen ist auch erforderlich, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass es einige in diesem Land ganz besonders hart trifft. Auch für diejenigen tragen wir Verantwortung. Dafür möchte ich an dieser Stelle werben. Herzlichen Dank. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht als Nächstes an Andreas Jung von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Georg Nüßlein hat vorhin gesagt: Wir sind noch nicht über den Berg. – Es ist wahr. Wir alle miteinander machen nach wie vor eine harte Zeit durch, die für die Menschen in Deutschland viele Herausforderungen mit sich bringt. Es ist auch wahr, dass wir in einer Zeit leben, in der es Hoffnung gibt, weil die Inzidenzen sinken und weil das Impfen begonnen hat. Andererseits gibt es neue Herausforderungen durch die Mutanten und die Unsicherheiten, die diese mit sich bringen. Ich will zunächst eine Bemerkung zur Schutzstrategie machen. Es wäre, glaube ich, völlig falsch, wenn hier der Eindruck erweckt wird, dass es keine Einigkeit darüber gibt, dass es notwendig ist, die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen besonders zu schützen. ({0}) Und genau das tut die Bundesregierung seit langer Zeit, frühzeitig. ({1}) Der Bund hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass es nicht nur Tests gibt, sondern dass die Kosten für die Tests und für die Durchführung übernommen werden und dass Personal zur Verfügung steht. Das heißt, der Bund hat frühzeitig den Rahmen, die Voraussetzungen geschaffen. Wahr ist: Wir alle in Deutschland – über die Ebenen hinweg: Bund, Länder, Kommunen und die Träger der Einrichtungen – müssen das noch konsequenter umsetzen. Vom Kollegen Michael Theurer ist gefragt worden: Wie ist es in Tübingen? – Lieber Michael Theurer, da wir beide Baden-Württemberger sind, will ich in diesem Zusammenhang daran erinnern: Tübingen hat dieselbe Bundesregierung wie alle anderen Kommunen in Deutschland auch. ({2}) Wenn wir jetzt den Eindruck gewinnen, dass es in manchen Städten und Gemeinden besser geht und in anderen noch nicht so gut, ({3}) dann muss es für uns doch umso mehr Anlass sein, daraus nicht irgendwelche parteipolitische Spielchen zu machen; dann müssen wir an die Strukturen ran. Bund, Länder, Kommunen, Träger der Einrichtungen: Wir müssen jetzt gemeinsam und konsequent handeln. Wir haben den entsprechenden Rahmen geschaffen, und jetzt müssen wir gemeinsam die Maßnahmen konsequent zum Erfolg führen. ({4}) Dazu gehört, dass der Bund Personal anfordert. Herr Hampel, ich muss Ihnen sagen: Sie sind aus der Zeit gefallen. ({5}) Sie haben sich in der Zeit ganz sicher verrechnet. Weil Sie Helmut Schmidt angesprochen haben, will ich Sie daran erinnern: Als die Sturmflut damals war – gucken Sie es nach –, da war Helmut Schmidt nicht etwa Verteidigungsminister, ({6}) er war Innensenator und hat selbstverständlich die Bundeswehrsoldaten angefordert. ({7}) Ich wollte Sie hören, wenn es umgekehrt wäre, wenn plötzlich, ohne dass es jemand angefordert hätte, Bundeswehrsoldaten vor der Tür stehen würden. Deshalb: Ersparen Sie uns doch solche Debatten. ({8}) Das Angebot ist klar; das Angebot ist da. Es wird ja auch schon davon Gebrauch gemacht. Die Soldatinnen und Soldaten sind im Einsatz. Die Hilfe beschränkt sich nicht nur darauf. Durch die Initiative des Bundes wurden Tausende Freiwillige angeworben. Das Deutsche Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen helfen in den Alten- und Pflegeheimen und weit darüber hinaus. Es sind fast 15 000 Bundeswehrsoldaten in der Coronahilfe im Einsatz: in den Gesundheitsämtern bei der Nachverfolgung, in den Impfzentren und jetzt auch zur Unterstützung der Alten- und Pflegeheime. Deshalb, finde ich, haben wir eigentlich Anlass, auch und gerade in dieser Stunde, ein Dankeschön zu sagen allen freiwilligen Helfern, allen Ehrenamtlichen, den Hilfsorganisationen, den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und allen Menschen, die hier in herausragender Weise mithelfen, dass wir gemeinsam Corona bewältigen. ({9}) Ein Wort zu den Wirtschaftshilfen. Wir sind uns genauso einig: Dort, wo Betriebe jetzt hart getroffen sind, da muss stark geholfen werden, und wir haben dafür die Mittel zur Verfügung gestellt. ({10}) Es sind im Jahr 2021 Milliardenbeträge dafür in den Haushalt eingestellt. Wir haben die gemeinsame Erwartung, dass die jetzt zeitnah bei den Unternehmen ankommen. Ich begrüße ausdrücklich, was auf den Weg gebracht worden ist, auch noch einmal in der letzten Woche mit der Verbesserung, der Vereinfachung, der Verstärkung der Hilfe. ({11}) Das muss jetzt konsequent umgesetzt werden. Dazu gehört, dass die EU bereit ist, wie die Bundesregierung es fordert, den Rahmen zu erweitern, wenn die Pandemie jetzt länger geht. Dazu gehört, dass die Hilfen gut aufeinander abgestimmt sind, und dazu gehört, dass man bei einer länger dauernden Pandemie jetzt noch mal genau guckt: Wo kann und muss stärker geholfen werden? Das ist der richtige Weg; den unterstützen wir mit Nachdruck. Herzlichen Dank. ({12})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht als Nächstes an Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich sind wir noch mitten in der Pandemie. Aber es ist auch eine Gelegenheit, zu überlegen, welche ersten Lehren man aus Corona eigentlich ziehen kann. Deswegen ist es mir wichtig, an der Stelle noch mal darauf hinzuweisen – trotz Versorgungsengpass beim Impfstoff, trotz Terminvergabeschwierigkeiten –, dass es eine große Leistung der Forschung in Deutschland und in Europa ist, dass der Impfstoff elf Monate nach dem ersten Auftreten hier in Deutschland an die ersten Menschen verimpft werden konnte. ({0}) Das ist ein großes Verdienst, und das zeigt, dass Forschung einen entscheidenden Beitrag zur Lösung von großen Menschheitsfragen beitragen kann, wenn wir sie geschickt einbinden und auf sie hören. Impfstoffentwicklung – das gehört aber auch dazu – steht nicht alleine, sondern Impfstoffentwicklung, die Beschaffung des Impfstoffes und die Bereitstellung von zusätzlichen Produktionskapazitäten gehören zusammen. Das hat bis jetzt nicht so gut geklappt; da muss die Regierung vielleicht noch ein Stück besser werden. Aber wir müssen das als Aufgabe für uns alle annehmen, dass der Fortschritt, der durch Forschungsergebnisse möglich wird, schneller bei den Menschen ankommt, und dafür müssen diese drei Aufgaben zusammengedacht werden. ({1}) Corona, meine Damen und Herren, ist eine außerordentliche Herausforderung mit Blick auf das Recht auf Bildung. Die Eltern sind ersatzweise mit Bildung und Betreuung zu Hause befasst, möglicherweise gleichzeitig im Homeoffice. Es gibt große Sorge um verpassten Unterrichtsstoff, um die Abschlussvorbereitungen. Die sozialen Kontakte, die für die junge Generation besonders wichtig sind, sind schon seit langer Zeit massiv eingeschränkt. Deswegen gilt es, an dieser Stelle auch noch einmal Danke zu sagen den Lehrerinnen und Lehrern, die Unterricht auf Distanz machen, den Erzieherinnen und Erziehern, die in einigen Ländern den Notbetrieb aufrechterhalten, den Eltern, die ihre Kinder nicht im Stich lassen. Das ist eine große Leistung, und dafür gebührt ihnen Dank. ({2}) Wir müssen aber auch auf die berechtigten Ansprüche einer Generation achten, die gerade um ein Lebensjahr in Bildung und Aufwachsen gebracht wird und die nicht zur Coronageneration werden will und nicht werden darf und auch nicht werden wird, weil wir alle dagegen ankämpfen. Deshalb – das ist die Erwartung an die Ministerpräsidentinnen- und Ministerpräsidentenkonferenz Anfang Februar – muss dem Recht auf Bildung die höchste Priorität neben dem Gesundheitsschutz eingeräumt werden. Das heißt auch: Wir brauchen Öffnungsperspektiven für Kitas und Schulen. Damit meine ich nicht, dass jetzt jeder unabgesprochen loslaufen soll, wie Baden-Württemberg das macht. Damit meine ich auch nicht, dass es am 14. Februar direkt losgehen muss. Aber wir müssen eine Perspektive eröffnet bekommen, bei der alle spüren: Sobald es geht, werden Kitas und Schulen auch wieder geöffnet, und dieses Mal sind alle gut vorbereitet, und alle Länder machen das gemeinsam und auf dem gleichen Weg. Das ist, glaube ich, eine Erwartung, die wir an diese Konferenz richten müssen. ({3}) Meine Damen und Herren, Corona hat gezeigt, dass es mindestens drei große Herausforderungen gibt, die Bund und Länder für das Recht auf Bildung gemeinsam angehen müssen und auch angehen können. Das ist zum einen die Digitalisierung. Wir haben mit dem DigitalPakt Schule jetzt die Aufholjagd in der Digitalisierung begonnen. Das war richtig, das ist gut, und das Geld ist da; der Finanzminister hat an der Stelle geliefert. Nun sind die Länder natürlich in der Verantwortung, das Ganze auch umzusetzen und möglichst unkompliziert zu machen. Aber digital unterstütztes Lernen ist eben nicht nur digitale Endgeräte. Da geht es auch darum – und darum müssen wir uns kümmern –, dass aus digital unterstütztem Unterricht perspektivisch besserer Unterricht wird, mehr Fördermöglichkeiten entwickelt werden, mehr Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler entstehen. Das müssen wir gemeinsam angehen, Bund, Länder und Kommunen, schneller und unkomplizierter. Das ist eine der Lehren aus der Coronapandemie. Zweitens. Wir verlieren gerade jeden Tag Schülerinnen und Schüler, die es ohnehin schon am schwersten in der Bildung haben: die, die kein Endgerät zu Hause haben, die vielleicht keinen oder nur einen unzureichenden Internettarif zu Hause haben, die keinen Schreibtisch zu Hause haben, die Eltern haben, die ihnen nicht helfen können. Ich glaube, wir können auf sie nicht verzichten, weder als Fachkräfte noch weil wir an eine Gesellschaft glauben und für sie arbeiten, bei der alle die gleichen Chancen haben, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Deswegen ist es, glaube ich, richtig, Ungleiches ungleich zu behandeln. Es ist schön, dass heute das Programm „Schule macht stark“ mit 200 Schulen aus besonderen sozialen Lagen gestartet ist. Das zeigt: Es wichtig, dafür zu kämpfen, dass kein Kind in der Coronakrise zurückgelassen wird. Dritte Herausforderung. Familien leisten Großes in der Krise; das ist völlig klar. Sie leisten das für ihre Kinder, und sie verdienen, dass wir aus ihrer Lage die richtigen Lehren ziehen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird derzeit auf eine massive Probe gestellt; das wird jedem im Alltag klar. Deswegen sehen wir derzeit, wie wichtig verlässliche Bildung und Betreuung sind. Unser Ziel als Koalition ist es, noch in dieser Wahlperiode den Rechtsanspruch auf verlässliche Ganztagsbetreuung in den Grundschulen tatsächlich umzusetzen. Wir wollen jetzt von den Ländern wissen, ob sie da mitmachen, ob Baden-Württemberg die Blockade aufgibt. Die Eltern, die das wollen und die das brauchen, dürfen wir nach den Erfahrungen, die wir in dieser Pandemie gemacht haben, nicht im Stich lassen. Herzlichen Dank. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Als letzten Redner in der Aktuellen Stunde hören wir Thorsten Frei von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass wir uns hier im Deutschen Bundestag sehr oft und sehr intensiv mit dem Thema „Wie bewältigen wir die Konsequenzen aus der Coronapandemie?“ beschäftigen und auseinandersetzen. Es war die Unionsfraktion, die dafür gesorgt hat, dass wir heute in einer Aktuellen Stunde über all diese Themen sprechen ({0}) und – wir haben es bei den Vorrednern gehört – die Bekämpfung der Folgen der Pandemie aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten. Genau so ist es richtig, weil wir hier im Deutschen Bundestag alle wesentlichen Entscheidungen treffen, die im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen in dieser Pandemie wichtig sind ({1}) und diese Schutzmaßnahmen eben immer auch – das wissen wir – Eingriffe in Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger darstellen. ({2}) Es war die Unionsfraktion, die diese Debatte beantragt hat. Es ist schon interessant, dass die Bundeskanzlerin nahezu die ganze Debatte über da ist, dass der Bundesgesundheitsminister die ganze Debatte über da ist, dass aber ausgerechnet die Vorsitzenden der Fraktionen, die letzte Woche noch eine Sondersitzung haben wollten, heute in dieser Debatte fehlen. Das ist bezeichnend, und es spricht dafür, wie wenig Sie sich eigentlich für die Auseinandersetzung in der Sache interessieren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir haben heute einen Jahrestag; heute vor einem Jahr wurde der erste Mensch in Deutschland positiv auf Covid-19 getestet. ({4}) In den letzten 366 Tagen hat sich vieles im Leben der Menschen verändert, im persönlichen, im familiären Leben, in den beruflichen Verhältnissen. Einschneidende Maßnahmen mussten getätigt werden, und Begriffe wie „Intensivstationen“, „Lockdown“, „Homeschooling“ und anderes mehr sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Wir hätten uns das vor einem Jahr nicht vorzustellen gewagt. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir jetzt alles Notwendige tun, um weiterhin den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Denn hier wird keine Angst geschürt, Herr Hampel, wie Sie das gesagt haben; ({6}) wir reden über 53 972 Tote in dieser Pandemie. Das ist die Realität, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Vor diesem Hintergrund beschließen wir die Schutzmaßnahmen, und zwar alle, die notwendig sind. ({7}) In der aktuellen Debatte wird ganz häufig benannt, was alles nicht geht. Ich will es ausdrücklich sagen: Ich halte es für richtig, dass der Bundesinnenminister in dieser Debatte auch darauf hinweist, ({8}) dass wir Grenzschließungen dort, wo es angezeigt ist, in den Blick nehmen. ({9}) Das ist keine Maßnahme, die wir wollen. Im Gegenteil: Sie ist Ultima Ratio und kann nur die äußerste aller Maßnahmen sein. Wichtiger als das ist eine enge Zusammenarbeit sämtlicher Partner in Europa. Aber wir haben doch auch damit zu kämpfen, dass jetzt mehrfach Mutationen bei uns im Land aufgetreten sind, beispielsweise heute um 14 Uhr in einer Kindertagesstätte in Freiburg. Wir müssen dafür gewappnet sein. Das bedeutet, dass wir insbesondere Länder in den Blick nehmen müssen, wo es diese Virusmutationen gibt. In Frankreich und den Niederlanden ist die Inzidenz doppelt so hoch wie bei uns, in Irland und Großbritannien viermal so hoch, in Tschechien fünfmal so hoch. Wir müssen schauen, dass wir zu einer konsistenten und abgesprochenen Politik in Europa kommen, um diese Gefahr zu bannen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss alles getan werden, um die Bevölkerung zu schützen. Dabei gilt es insbesondere, einzelne Maßnahmen in den Blick zu nehmen, sie gegeneinander abzuwägen und zu schauen, wo besonders drastische Grundrechtseingriffe vorliegen und wo Maßnahmen möglich sind, die die Rechte der Menschen so wenig wie möglich beeinträchtigen. Ja, wir wissen es: Das sind Eingriffe in das Recht auf Freiheit, in die Kunstfreiheit, in die Berufsfreiheit, in die Religionsfreiheit und anderes mehr. Aber dort, wo es notwendig ist, müssen wir das machen. In einem weiteren Schritt – auch das ist angesprochen worden – müssen wir den Menschen nicht nur klarmachen, dass wir diese Maßnahmen konsequent durchsetzen und dass Verstöße auch Konsequenzen haben, vielmehr müssen wir auch einen Pfad aus diesem Lockdown aufzeigen. Deswegen will ich noch mal aufgreifen, was mein Kollege Carsten Linnemann in der ersten Rede heute gesagt hat: Ja, es ist richtig und notwendig, dass wir auch über einen Plan sprechen, wie wir Schritt für Schritt aus dieser Krise wieder herauskommen. Das kann man Stufenplan nennen; das kann man Perspektivplan nennen. Wichtig ist, glaube ich, dass wir auf der Basis der Inzidenzen eine Idee entwickeln, wie wir gerecht und in sich schlüssig aus dieser Krise wieder herausfinden. ({10}) Wir als Regierungsfraktionen reichen unsere Hand, sprechen auch mit den Oppositionsfraktionen, die daran Interesse haben. Diesen Kurs werden wir auch so fortsetzen. Herzlichen Dank. ({11})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zur Debatte stehenden Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts wollen wir unsere in Europa und international anerkannte Stellung im gewerblichen Rechtsschutz absichern. Die letzte große Reform ist nun zehn Jahre her. Deshalb war es an der Zeit, zu überprüfen, ob die geltenden gesetzlichen Regelungen noch den Anforderungen entsprechen, die ein effektiver und ausgewogener Schutz von gewerblichen Schutzrechten erfordert. Die Überprüfung hat ergeben, dass lediglich ein punktueller Bedarf an Vereinfachung und Modernisierung des nationalen Patentrechts besteht. Mit dem Gesetzentwurf adressieren wir also vor allem Fragen im Patentrecht. Durch die Änderung des § 139 Absatz 1 Patentgesetz stellen wir klar, dass Verhältnismäßigkeitserwägungen in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht und der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise zu einer Beschränkung des Unterlassungsanspruchs führen können. Meine Damen und Herren, dabei handelt es sich um eine Klarstellung in § 139, um eines der Kernstücke der Patentrechtsnovelle. Die Klarstellung ist notwendig, um einen weiterhin ausgewogenen Schutz bei Patentverletzungen sicherzustellen. Gleichzeitig ist die vorgeschlagene Änderung so begrenzt, dass sie den Wert und die Bestandskraft von Patenten nicht infrage stellt. Unser Haus, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, hat zahlreiche Gespräche mit Vertretern der Justizwissenschaft und von Wirtschaftsverbänden geführt. Wir haben die jeweiligen Kreise an der Ausarbeitung sowohl des Diskussionsentwurfs als auch des Referentenentwurfs beteiligt und ihre Stellungnahmen sorgfältig ausgewertet. Ich bin daher überzeugt davon, dass der Regierungsentwurf einen ausgewogenen Mittelweg zwischen den beteiligten divergierenden Interessen der verschiedenen innovativen Branchen vorschlägt. ({0}) Darüber hinaus, meine Damen und Herren, wird der Gesetzentwurf zu einer Beschleunigung der Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht beitragen. Hierfür wird das Verfahren vor dem Bundespatentgericht zwischen Zustellung der Klage und dem qualifizierten Hinweisbeschluss gestrafft, sodass dieser innerhalb von sechs Monaten nach Klagezustellung erlassen werden kann. Auf der Basis dieses Hinweisbeschlusses kann ein mit einem parallelen Verletzungsverfahren befasstes Zivilgericht dann entscheiden, ob hinreichende Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des streitbefangenen Patents bestehen, sodass das Verletzungsverfahren bis zur Entscheidung über die Nichtigkeit des Patents auszusetzen wäre. Das ist eine gute Nachricht für die patentrechtliche Praxis, die übereinstimmend eine bessere Synchronisierung der Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren gefordert hat. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf stärkt darüber hinaus auch den Schutz des geistigen Eigentums. So wird der Schutz vertraulicher Informationen in Patentgebrauchsmuster- und Halbleiterschutzstreitsachen verbessert, indem die Anwendung einzelner Bestimmungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen auf diese Verfahren erstreckt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der großen Bedeutung der vorgeschlagenen Neuregelung, insbesondere für die patentrechtliche Praxis, setze ich auf eine zügige und konstruktive parlamentarische Beratung und hoffe auf Ihrer aller Unterstützung. Herzlichen Dank. ({1})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht als nächstes an Tobias Matthias Peterka von der AfD-Fraktion. ({0})

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Das geistige Eigentum ist in der Tat eine der wichtigsten Stützen der deutschen Wirtschaft. Rechtsdogmatisch haben wir damals noch einmal die Kurve gekriegt und die komplizierte Konstruktion aus gewerblichem Rechtsschutz und Urheberrecht in sinnvolle Gesetze überführt; in anderen Rechtskreisen lief das etwas pragmatischer. Aber trotz dieser spitzfindigen Startschwierigkeiten hat sich Deutschland in den letzten 150 Jahren zu einer der führenden Nationen bei den Patentanmeldungen entwickelt, gestützt von solider und unabhängiger Gerichtsbarkeit, welche übrigens von Beginn an ein Markenzeichen des 1871 gegründeten modernen deutschen Nationalstaats war. Leider ein – zumindest bisher – verpasstes Jubiläum in 2021. ({0}) – Dass Sie da lachen, ist mir klar.Zum Gesetzentwurf: Erfreulich ist, dass die ganze Richtung zumindest auf den ersten Blick auf die Glättung von Unstimmigkeiten im Rechtsstreit abzielt – dies bei einem meiner Meinung nach fast gelungenen Interessenausgleich zwischen Rechteinhaber und potenziellem Verletzer. Das Grundproblem bei Patentsachen ist schon immer gewesen, dass es sehr empfehlenswert ist, dass das entscheidende Gericht zumindest einige Kenntnisse über die technischen Grundlagen besitzt. Für das Verletzungsverfahren wurde anscheinend a priori entschieden, dass die reguläre Zivilgerichtsbarkeit dies durch motivierte Richter oder eingearbeitete Spruchkammern im Ganzen zu erreichen hat. Für die Nichtigkeitsklage wurde aber folgerichtig recht bald das Bundespatentgericht eingeführt – auch wenn der generelle Weg über Spezialgerichte meiner Meinung nach von Beginn an besser gewesen wäre, allemal bei dem technischen Stand heutzutage und übrigens auch in höheren Instanzen. Die Straffung der Nichtigkeitsklage, die hier versucht wird, ist aber zumindest ein erster guter Schritt. Denn was macht der Beklagte im Verletzungsverfahren – es wurde schon angesprochen – und vor allem oft nur zur Verzögerung? Er reicht Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht ein. Wo kein Patent, da keine Verletzung. Jahrelange Hängepartien können die Folge sein. Der baldigste Hinweisbeschluss des Bundespatentgerichts an das ordentliche Gericht, ob denn an diesem Manöver überhaupt etwas dran ist, ob das Patent nichtig sein könnte, ist damit durchaus sinnvoll und zu begrüßen. Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs anzugehen – ja, das ist durchaus auch fällig gewesen. Patentrecht ist nun mal ein Mittel des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfs. Wenn ich meinen Konkurrenten drankriegen kann, dann mache ich eben alles, was geht. Das heißt je nachdem Rückruf und Verschrottung von komplexen Maschinen ohne Rücksicht darauf, dass vielleicht nur ein kleines Teil fehlerhaft ist und ausgebaut gehört. Hier gehört die Verhältnismäßigkeit durchaus ins Gesetz – als Wink mit dem Zaunpfahl auf dem Beipackzettel meinetwegen; denn Entschädigungen können im genannten Beispiel die wirtschaftliche Vernichtung des Kontrahenten verhindern, was hier vertretbar wäre. Ausgedehnt werden darf dieser Ansatz aber nicht auf den Schutz von Kundeninteressen am Produkt; das würde definitiv zu weit gehen. Weiter soll das Geschäftsgeheimnisgesetz direkt mit dem Patentprozess verzahnt werden, und die obengenannte Konkurrenzsituation lässt das auf den ersten Blick auch noch sinnvoll erscheinen; denn eine De-facto-Ausforschung meines Kontrahenten in der Wirtschaft ist schnell mal ein größerer Gewinn für mich, als den eigentlichen Verletzungsprozess zu gewinnen. Dies muss, so gesehen, unterbunden werden, kann aber jetzt schon – durch Richterrecht entwickelt – so erreicht werden. Zu weitgehende Geheimhaltung gerade im Verhältnis Anwalt/Prozesspartei schießt über das Ziel hinaus. Das beschneidet die Prozesshoheit der Streitparteien zu sehr, weil sie gar keine Entscheidungsgrundlage mehr haben, wenn der Anwalt ihnen Informationen nicht in ausreichendem Maße weiterleiten darf. Der Inhalt von Auskunftsansprüchen muss hier anders ausgeformt werden, um dieses Ziel zu erreichen; da geht die Sache viel zu weit. Vielen Dank. ({1})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Und als nächsten Redner erwarten wir Ingmar Jung von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingmar Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über das zweite Patentrechtsmodernisierungsgesetz in erster Lesung und hatten schon verschiedene Entwürfe, über die wir gemeinsam und mit Interessenvertretern aus der Justiz, aus der Forschung im Vorfeld – ich glaube, das kann ich auch für andere sagen – sehr intensiv diskutieren konnten. Bei Ihnen, Herr Staatssekretär, ist es eben schon angeklungen. Ich hatte noch nie ein Gesetzgebungsverfahren – ich bin auch noch nicht so lange dabei –, bei dem ich so viele Gespräche im Vorfeld und zwischendurch zu den verschiedenen Entwürfen geführt habe wie bei diesem. Daran sieht man: Das bewegt die Menschen und bewegt auch die Betroffenen, und das erfordert am Ende auch abgewogene Entscheidungen. Ich will zwei Punkte ganz besonders in den Blick nehmen, über die wir hier reden: einmal die Frage – auch das ist schon angeklungen – des Auseinanderfallens, also der fehlenden Synchronisierung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren. In Deutschland ist es ja so: Wenn Sie eine Patentverletzung geltend machen wollen, dann tun Sie das vor einem ordentlichen Gericht, einem Zivilgericht. Gleichzeitig kann der Angegriffene – das kann er auch ohne das zivilgerichtliche Verfahren – die Nichtigkeit des Patents, also die Überprüfung des Bestehens des Patents überhaupt, vor dem Bundespatentgericht anstrengen. Oft führt das dann dazu, dass im Verletzungsverfahren möglicherweise Unterlassungsansprüche durchgesetzt werden, dass teure Vergleiche geschlossen werden und sich dann lange Zeit später im Nichtigkeitsverfahren herausstellt, dass das Patent eigentlich gar nicht bestanden hatte. Das ist im Ergebnis eine unbefriedigende Situation. Da brauchen wir eine engere Synchronisierung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man das angehen kann. Immer wieder wird vorgetragen, man könne die Verfahren doch einfach zusammenführen. Man könnte doch einfach vor den Zivilgerichten das Verfahren insgesamt führen, die Nichtigkeit und gleichzeitig die Verletzung überprüfen; dann würde das nicht mehr auseinanderfallen. Das aber, meine Damen und Herren, berücksichtigt eben nicht die Stärke dieser Verfahren, die wir hier haben. Wir haben ein hochspezialisiertes Bundespatentgericht mit eigenen Richtern mit hoher technischer Expertise, mit hoher Fachkompetenz, die in der Lage sind, gerade heute, in einer Zeit, in der Patente immer komplexer werden, immer verschränkter werden, das fachlich sauber zu beurteilen und somit eine fachlich saubere Expertise direkt in den Spruchkörper mit einzubringen. Mir wurde schon öfter vorgeschlagen, das könne man doch vor Zivilgerichten dadurch gewährleisten, dass man einfach Sachverständigengutachten einholt. Na ja, wer schon einmal gerichtlich irgendwie tätig war, der glaubt kaum daran, dass Sachverständigengutachten zwingend jedes Verfahren beschleunigen. Deswegen glaube ich, dass das Trennungsprinzip, das wir haben, hier schon sinnvoll ist. Aber wir müssen es schaffen, dass die Verfahren enger zueinanderkommen, weil sonst auch die Missbrauchsmöglichkeiten groß sind. Ich glaube, dass der vorgeschlagene Weg ein sehr vernünftiger ist: dass wir den qualifizierten Hinweis jetzt auch wirklich rechtzeitig bekommen, indem wir das Verfahren vor dem Bundespatentgericht so straffen, dass es auch in die Lage versetzt wird, diesen qualifizierten Hinweis entsprechend zu geben. Ich hoffe, wir diskutieren auch noch ein Stück weit darüber, wie wir denn sicherstellen, dass die Synchronisierung dann in der Praxis auch tatsächlich funktioniert. Möglicherweise kann man über Aussetzungsempfehlungen sprechen, möglicherweise über noch klarere Hinweise. Das alles können wir noch miteinander diskutieren. Aber ich glaube, der Weg, der jetzt eingeschlagen werden soll, ist sehr gut. Der zweite Punkt – das ist auch schon angeklungen – läuft unter dem Stichwort „Verhältnismäßigkeitsprüfung“. Warum diskutieren wir denn überhaupt über diese Frage? In Deutschland haben wir – das ist grundsätzlich auch gut so – ein sehr starkes Patentrecht mit Ausschließlichkeitscharakter, mit einem im Grundsatz absolut durchsetzbaren Unterlassungsanspruch. Wer ein Patent hat, wer eine Idee gehabt hat, wer eine Innovation hat, der darf zunächst mal entscheiden, wer diese nutzen darf. Er darf auch entscheiden, dass nur er sie nutzen darf und niemand anders. Jetzt gibt es aber Fälle, in denen genau diese Ausschließlichkeit massiv missbraucht wird; das läuft unter dem Stichwort „Patenttrolle“. Das ist die Situation, in der Unternehmen gezielt Patente aufkaufen, um sie wirtschaftlich zu nutzen; das allein ist nicht illegitim. Aber wenn sie ein Patent kaufen, das Bestandteil eines großen Produktes ist, dort aber nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt – heute haben wir oft Steuerungselemente, in denen 5 000, 10 000, 20 000 Patente enthalten sind –, um die gesamte Produktionskette mithilfe dieses Unterlassungsanspruchs zu stoppen, obwohl das eine Patent kaum eine Rolle bei der Gesamtproduktion spielt, und sein Gegenüber wirtschaftlich so unter Druck setzt, dass dieser nur noch die Wahl hat, entweder den Produktionsprozess komplett zu stoppen, ein Netz abzustellen oder was auch immer oder jede Forderung zu begleichen, dann haben wir einen echten Missbrauch. Und an der Stelle müssen wir, glaube ich, in der Tat nachsteuern, meine Damen und Herren. Deswegen ist der Weg in diese Verhältnismäßigkeitsprüfung oder in ein Eröffnen einer Prüfung, ob Missbrauch besteht, sicher der richtige. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir die Stärke des deutschen Patentrechts an der Stelle nicht aufweichen, meine Damen und Herren. Deswegen bin ich sehr dankbar, Herr Staatssekretär, dass Sie von einer Klarstellung gesprochen haben. Denn Ausgang all dieser Diskussionen ist die Wärmetauscher-Entscheidung, in der in einem echten Missbrauchsfall festgestellt wurde, dass zumindest absolut der Unterlassungsanspruch dann nicht bestehen kann, hauptsächlich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben. Im Diskussionsentwurf war das eigentlich ein Übersetzen der Wärmetauscher-Entscheidung ins Gesetz, damit auch die Untergerichte wissen: Okay, der Gesetzgeber sieht das so. Der Gesetzgeber will, dass das so angewendet wird. Jetzt haben wir eine Erweiterung drin – oder zwei –: Die Grundsätze von Treu und Glauben sind draußen, und die Drittinteressen sind unmittelbar berücksichtigt. Da, gebe ich zu, würden wir gerne noch einmal gemeinsam diskutieren, welche Auswirkungen das in der Praxis hat. Dafür ist das parlamentarische Verfahren ja auch da. Ich glaube, wir sollten in den Blick nehmen, auf welchem Weg wir das gemeinsame Ziel – starker Patentschutz auf der einen Seite und Ausschluss von Missbrauchsmöglichkeiten auf der anderen Seite – am besten erreichen. Ich freue mich darauf, das mit Ihnen gemeinsam hinzukriegen. Herzlichen Dank. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Als nächsten Redner erwarten wir Roman Müller-Böhm von der FDP-Fraktion. ({0})

Roman Müller-Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004833, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es, glaube ich, sehr, sehr selten, aber heute wirklich ohne jeglichen Sarkasmus und ohne irgendwelche Ironie: Ich habe mich wirklich gefreut, dass die Bundesregierung jetzt, zum Ende dieser Legislatur, noch einen Gesetzentwurf vorlegt, mit dem sie die Modernisierung des Patentrechts betreiben möchte. Denn ich glaube, gerade in der Phase, in der wir aktuell leben, sieht man, dass Patente, die die Grundbausteine für Innovation, Forschung und Erfindung legen, geschützt werden und auch in einer modernen Zeit ankommen. Ich glaube aber gleichzeitig auch, dass dieser Gesetzentwurf an einigen Stellen noch nachjustiert werden muss. Beispielsweise werden viele Dinge gar nicht erst angesprochen, Stichwort „Verfahrenskostenhilfe“, Stichwort „Miterfinderschaft“ oder eben auch die Vertretung von Mandanten, die während des Verfahrens ihren Sitz oder Wohnsitz ins Ausland verlegt haben. Genau das ist in diesem Gesetzentwurf noch gar nicht aufgeführt. Kommen wir aufgrund meiner kurzen Redezeit zum eigentlichen Kern dieser Novelle, zum schon oft angesprochenen § 139 Patentgesetz. Im Grunde ist das Kernproblem – das wurde alles schon richtig ausgeführt –, dass das Auseinanderfallen des Verfahrens in ein Verfahren vor einem normalen Zivilgericht und ein Verfahren vor dem Patentgericht zu extrem langen Unterlassungszeiten führen kann bzw. Unternehmen Produkte nicht mehr weiter produzieren können und damit in die Situation, erpressbar zu sein, kommen. Das ist die erste Problemlage. Aber es gibt auch den genau gegenteiligen Effekt, nämlich dass kleine Erfinder, die einen guten Beitrag dazu leisten, dass es technologisch vorangeht, von Wirtschaftsgiganten unter Druck gesetzt werden oder möglicherweise einfach nicht beachtet werden. Es wird ignoriert, dass ihnen eine geeignete Erfindung gelungen ist. Genau da macht uns der neue Passus der Verhältnismäßigkeit Sorgen: Erreicht er wirklich genau das, was die Bundesregierung dargestellt hat, nämlich durch ein sehr gezieltes Vorgehen vor sogenannten Patenttrollen zu schützen? Wir denken, hier braucht es eine Modifikation bzw. weitere Lösungen. Wir stellen uns beispielsweise vor, dass sich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur derjenige beziehen kann, der dargelegt hat, dass er vorher eine gründliche Recherche zu möglichen Patentverletzungen betrieben hat, sodass klar ist und er davon exkulpiert werden kann, dass nicht einfach so versucht wird, ein Patent zu verletzen. Ich glaube, das wäre eine sinnvolle Erweiterung, die wir im parlamentarischen Verfahren vornehmen könnten. Ich denke, dass unsere Anhörung im Rechtsausschuss noch Weiteres beitragen kann. So leisten wir miteinander einen guten Beitrag dazu, dass der Patentschutz auch in der Zukunft in Deutschland stark ausgestaltet ist. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort Gökay Akbulut von der Fraktion Die Linke. ({0})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition hat sich das Ziel gesetzt, das Patentgesetz und andere Gesetze im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes zu modernisieren. Wenn Sie es sich schon auf die Fahne schreiben, das Patentrecht zu modernisieren, dann sollten Sie endlich anfangen, nicht nur von Erfindern, sondern auch von Erfinderinnen im Gesetzestext zu schreiben. ({0}) Diese Anmerkung gilt auch für alle anderen Gesetzentwürfe, die Sie derzeit vorlegen. Es ist kein Zufall, dass Gesetze traditionell die grammatikalisch männliche Form verwenden und die weibliche Form nicht vorkommt. Es waren ja schließlich auch fast immer Männer, die sich damit Rechte sicherten. Dies sollte man gerade im Bereich des Patentrechts, wo es um Ideen und Innovationen geht, ändern und mit gutem Beispiel vorangehen; ({1}) gerne auch in diverser Sprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen das Anliegen der Bundesregierung, Patentnichtigkeitsverfahren zu beschleunigen und den Geheimnisschutz in Patentstreitsachen zu verbessern, haben aber auch Kritik an dem derzeitigen Gesetzentwurf. Der Entwurf benachteiligt weiterhin Einzelerfinderinnen und ‑erfinder. Mit dem neuen Gesetzentwurf trägt die Patentinhaberin das Risiko der Rechtsbeständigkeit und der oder die potenziell Verletzte das Risiko der Rechtsdurchsetzung. Große Unternehmen haben hier die nötigen Geldmittel, um solche Verfahren zu führen. Im Zweifel können sie auch einfach das Risiko eines Prozesses und der Folgekosten eingehen. Zwar gibt die Koalition vor, dass sie hier eine Anpassung vornimmt; das ist jedoch nicht ausreichend. Das im Gesetzentwurf zitierte Urteil „Wärmetauscher“ des BGH macht deutlich, dass es einer Ergänzung der vorgesehenen Regelungen um weitere Kriterien oder Regelbeispiele bedarf; das hat auch der Bundesrat festgestellt. Außerdem sollte die Recherchepflicht mit aufgenommen werden. Wir fordern einen besseren Schutz, insbesondere für Einzelerfinderinnen und ‑erfinder. Aber auch Forschungsorganisationen und ‑initiativen, kleine und mittelständische Unternehmen und Start-ups benötigen einen starken und differenzierten Patent- und Innovationsschutz. Ihre Kritik an den vorgesehenen Regelungen sollte berücksichtigt und mit aufgenommen werden. Beim Patentrecht geht es trotz der Offenlegung der hinter dem Patent stehenden Idee auch um eine Privatisierung von Wissen. Als Linke setzen wir uns für eine linke und emanzipatorische Politik ein. Dabei stellen wir klar, dass Beteiligungsmöglichkeiten und der öffentliche Zugang zu Wissen für Innovationen wichtig sind. ({2}) Dies berücksichtigt der aktuelle Entwurf der Koalition jedoch nicht. Eine Modernisierung des Patentrechts unter Berücksichtigung der verschiedenen Kritikpunkte der Sachverständigen ist notwendig. Wir freuen uns auf die Anhörung hierzu und werden unsere konkreten Vorschläge in den folgenden Ausschusssitzungen einbringen. Vielen Dank. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Tabea Rößner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will, wie schon deutlich geworden ist, das Patentrecht vereinfachen oder klarstellen, wie Sie gesagt haben, Herr Staatssekretär Lange. Das ist ein wichtiges Thema, weil Innovation auch ganz stark von einem starken Patentschutz abhängt. Das Herzstück unseres hohen Schutzniveaus für Patente ist der Unterlassungsanspruch; aber genau den wollen Sie aufweichen. Das sehe ich kritisch, weil dies den Innovationsstandort Deutschland bedroht. ({0}) Warum? Der Unterlassungsanspruch ist aktuell das einzige Rechtsinstrument, mit dem eine Patentinhaberin verhindern kann, dass ihre patentierte Erfindung ohne ihre Zustimmung weitergenutzt wird. Nun wollen Sie also einen Ausschluss des Unterlassungsanspruches aus Gründen der Verhältnismäßigkeit festschreiben. Ich will Ihnen keinen bösen Willen unterstellen, aber Ihre Argumente tragen da nicht. Zum einen wird immer wieder auf das Szenario verwiesen – Kollege Jung hat das auch gemacht –, dass bei einem Unternehmen eine komplette Produktserie lahmgelegt werden könnte, wenn nur ein einziges Patent verletzt und der Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird. Nur: In der Realität kommt das sehr, sehr selten vor. Zum anderen verweisen viele auf die Regelung in den USA. Der Vergleich zwischen Deutschland und den USA ist aber ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen, weil wir völlig unterschiedliche Rechtssysteme haben. In den USA sorgen astronomisch hohe Schadensersatzsummen bei Patentverletzungen für Abschreckung, in Deutschland haben wir den Unterlassungsanspruch als ein scharfes Schwert und brauchen diese finanzielle Drohkulisse deshalb gar nicht. Ausgerechnet dieses scharfe Schwert wollen Sie jetzt abstumpfen. Das verstehe ich nicht. ({1}) Es wurde schon gesagt: Es wären leider wieder gerade die kleinen und mittleren Unternehmen und Start-ups, die gegenüber großen Konzernen ins Hintertreffen geraten würden. Geht ein kleines Start-up gegen einen großen Konzern wegen einer Patentverletzung vor, macht das Unternehmen Unverhältnismäßigkeit geltend. Der eigentliche Rechtsstreit zieht sich dann über Jahre hin, das Start-up ist irgendwann pleite. Bei einem Prozesserfolg käme die Entschädigung nur noch der Insolvenzmasse zugute. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Wenn deutsche KMUs sich nicht mehr darauf verlassen können, dass die Ergebnisse ihrer langjährigen Investitionen in Forschung und Entwicklung effektiv geschützt werden, schädigt das die Bereitschaft, in Innovation zu investieren. Ein kurzes Wort zur Impfstoffdebatte, weil das ja auch immer wieder im Zusammenhang mit dem Patentrecht debattiert wird. Die Pandemie lässt sich nur erfolgreich bekämpfen, wenn auch die Länder im Globalen Süden Zugang zu Impfstoffen haben. Daher würde ich eine temporäre Aussetzung der Patentrechte an den Coronaimpfstoffen in der jetzigen Pandemie begrüßen. Selbst die Bundeskanzlerin hat den Impfstoff als globales öffentliches Gut bezeichnet. Es fällt der Bundesregierung jetzt aber auf die Füße, dass sie bisher ziemlich knauserig bei den Investitionen in die Forschung war. Ich hoffe, Sie lernen daraus und nehmen in Zukunft mehr Geld für die Forschungsförderung in die Hand. Das wird nach der Novelle wahrscheinlich noch nötiger werden. Vielen Dank. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Nina Scheer von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Präsidentin! Ich möchte ebenfalls auf die beiden in den Fokus genommenen Punkte eingehen, die zwar nicht den kompletten Referentenentwurf abdecken, aber doch als Kernelemente bezeichnet werden können: zum einen die Optimierung, die verfahrensrechtlich bedeutsam ist, und zum anderen die Fragen rund um die Verhältnismäßigkeitsklausel, die aufgenommen wird. Zur Optimierung. Die missliche Situation mit der jetzigen Rechtslage – es ist schon gesagt worden – besteht darin, dass wir ein Auseinanderfallen von Patentgerichtsbarkeit und von Zivilgerichten haben, die für Nichtigkeitsklagen und Verletzungsverfahren zuständig sind. Insofern ist es nur folgerichtig, dass man sich da eine andere Lösung überlegt. Herr Jung hat ja gerade schon sehr ausführlich dargestellt, welche Optionen es da geben könnte. Ich denke auch, dass wir hier ein sehr effektives Mittel mit dem qualifizierten Hinweis gefunden haben, der innerhalb einer Frist von sechs Monaten vom Patentgericht zu geben ist. Damit ist man dann einfach auf der rechtssicheren Seite, wenn man wissen möchte, ob denn eigentlich ein bestandskräftiger Patentschutz, ein wirksames Patent gegeben ist. Damit das tatsächlich in sechs Monaten zu leisten ist, ist auch daran zu denken, dass man eine gewisse personelle Ausstattung dafür braucht. Es brächte ja nichts, eine solche Regelung auf den Weg zu bringen, wenn man zugleich wüsste, dass die Patentgerichtsbarkeit dies nicht leisten könnte. Also auch die personelle Ausstattung des Bundespatentgerichts ist mit bedacht und soll entsprechend ausgeweitet werden. ({0}) Im zweiten Kernbereich des Vorhabens – es ist ebenfalls schon erörtert worden – geht es um die Sicherstellung gerechter Einzelfallentscheidungen. Da sind wir im Kern bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die eingeführt werden soll. Es ist insofern nichts Neues in der rechtlichen Handhabung von Patenten, als dass der Bundesgerichtshof hier schon im Jahr 2016 einen Maßstab gesetzt und gesagt hat: Es kann nicht sein, dass aus Patentrecht ein Unrecht gemacht wird in der Praxis, nämlich ein Missbrauch. Recht hat nun mal die Anfälligkeit, dass man bei Lücken und bei einer Handhabung, bei der das Recht sinnverkehrt in der Praxis angewendet wird, im Missbrauchsbereich ist. Es ist an uns, es nicht einfach nur als Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen, sondern es auch rechtlich in Gesetzesform zu gießen. Insofern ist hier eine Regelung gefunden worden, die eine sehr gute Grundlage bietet, auch für uns im parlamentarischen Verfahren. Es geht darum, dass es nicht sein kann, dass die Rechtslage so verkehrt wird und sich aus einer Fülle an Einzelpatenten, die manchen Produkten zugrunde liegen, etwas herausgepickt wird. Das führt dann dazu, dass man – übrigens gilt das auch für Start-ups – mit Patentrechtsklagen überzogen wird. Da liegt dann tatsächlich ein Missbrauch vor, und da muss man dann eben auch hineingrätschen. Ich komme jetzt leider aus Gründen der Zeit kaum noch zum dritten Punkt. Es geht um den Drittschutz; den hat Herr Jung auch schon angesprochen. Da möchte ich noch mal ganz kurz darauf hinweisen, dass es schwierig ist, wenn diese Missbrauchsfälle – etwa in Zeiten der Coronapandemie – dazu führen, dass möglicherweise eine rechtswirksame Anwendung nicht gegeben ist und somit die Menschen, die dringend – Stichwort „Corona“ – auf die Impfung warten, leer ausgehen, weil Patentrechtstreitigkeiten auch zu einem Produktionsstopp führen können. Den Drittschutz müssen wir uns noch genauer anschauen, Herr Jung; in der Tat. Das darf auch nicht zu einer Aushöhlung führen.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Aber bitte in der nächsten Ausschusssitzung, nicht hier.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In der Ausschusssitzung. Ich muss leider wirklich zum Schluss kommen. – Aber es gibt Anknüpfungspunkte, in denen das berechtigt ist. Das wollte ich nur sagen. In diesem Sinne: Ich freue mich auf die Auseinandersetzung in der Ausschusssitzung. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Als letztem Redner in der Debatte erteile ich das Wort Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, eine Vorbemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Ich war sehr dankbar, dass Sie die Brücke zum Thema Impfstoff geschlagen haben. Es ist auch völlig in Ordnung, wenn Sie bei der Bundesregierung anmahnen, mehr Geld für die Impfstoffbeschaffung in die Hand zu nehmen. Ich werte das aber gleichzeitig als ein ganz klares Bekenntnis der Grünen dafür, dass im Wirtschaftsstandort Deutschland, im Forschungsstandort Deutschland gentechnische Innovationen herzlich willkommen sind. Wir haben das bei manch anderen Themen bei Ihnen in dieser Eindeutigkeit leider noch nicht erlebt. ({0}) Meine Damen, meine Herren, reden wir über das Patentrecht. Das Patentrecht hat zwei Funktionen, und beide Funktionen hängen letztendlich zusammen; der Kollege Jung hat es vorhin schon mal angerissen. Zunächst einmal geht es um Eigentumsschutz. Wer ein Patent hat, der hat eine Idee entwickelt, die ist sein geistiges Eigentum, und das steht unter Schutz. Ich glaube, dass ein Rechtsstaat sich dazu deutlich bekennen muss; denn nur dann gewährleistet er Funktion Nummer zwei: Es geht nämlich natürlich auch um die Attraktivität eines Wirtschaftsstandorts. Ein Wirtschaftsstandort ist für Gründer, für innovative Unternehmen und überhaupt für mittelständische und größere Unternehmen letztendlich nur attraktiv, wenn er auch einen verlässlichen Rechtsrahmen bieten kann. Jetzt gibt es Konstellationen, wo diese zwei Funktionen nicht so miteinander verknüpft sind, dass sie sich gegenseitig unterstützen, sondern wo sie einander quasi zuwiderlaufen. Das ist das, was der Kollege Jung vorhin schon angerissen hat mit dem Begriff der Patenttrolle. Es gab auch schon die Bezeichnung „Patenterpresser“; aber dazu gibt es Rechtsprechungen, dass man das, da es als Verleumdung angesehen wird, in einem konkreten Fall so nicht mehr sagen darf. Wir reden dem Grunde nach über drei denkbare Konstellationen. Allen ist gemein, dass ein Unternehmen ein Patent kauft, um es wirtschaftlich zu nutzen. Drei mögliche Ausgestaltungen gibt es: Das Unternehmen setzt das Patent gegen einen möglichen Verletzer durch, ohne selbst das betreffende Produkt herzustellen oder es zu benutzen. Die zweite Konstellation ist: Das Unternehmen setzt ein Patent durch, ohne selbst in den Besitz dieses Patents gelangt zu sein, zum Beispiel durch Forschung. Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass das Unternehmen an der Durchsetzung des Patents eigentlich nur deshalb interessiert ist, um sich eine Monopolstellung zu verschaffen. In allen drei Fällen stellt sich irgendwann die Frage des Rechtsmissbrauchs, wenn man merkt, dass es unter Umständen gar nicht so sehr um den Patentschutz an sich geht, also um den Schutz des geistigen Eigentums, sondern letztendlich darum, einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen. Besonders verbreitet ist das in der Automobilindustrie; es gibt verschiedene Fälle, die einem Sorge machen müssen. In den USA zahlen Unternehmen zum Teil Millionenbeträge, um weiterproduzieren zu können; denn da droht unter Umständen ein Auslieferstopp einer ganzen Modellreihe, bzw. es stehen erhebliche Schadensersatzforderungen im Raum. Firmen wollen sich natürlich aus Gründen der Rechtssicherheit von diesen Forderungen befreien. Bislang ist es so gewesen, dass die Rechtsprechung sich da mit Verhältnismäßigkeitserwägungen geholfen hat. Allerdings war das, ich sage jetzt mal, eine ganz, ganz vorsichtige Rechtsprechung, weil man ehrlicherweise sagen muss, dass die Patentgesetze das so, in dieser Eindeutigkeit, nicht hergegeben haben. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Gesetzentwurf jetzt genau an dieser Stelle eine Lösung anbietet. Es soll jetzt die Möglichkeit geben, den Unterlassungsanspruch einzuschränken, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls deutlich wird, dass es für den Betroffenen, zum Beispiel eben für den Automobilhersteller, zu einer nicht hinnehmbaren, ungerechtfertigten Härte kommen würde. Ich glaube, das ist eine Überlegung in die richtige Richtung. Wir sollten uns aber im parlamentarischen Verfahren die Zeit nehmen – das hat der Kollege vorhin auch schon angesprochen –, das vertieft zu beleuchten, meine Damen, meine Herren. Wenn wir attraktiver Wirtschaftsstandort bleiben wollen, dann, glaube ich schon, wird es am Ende eine richtungsweisende Entscheidung sein, wie wir mit diesem Konflikt umgehen. Das sollten wir nicht leichtnehmen. Deswegen freue ich mich auf das parlamentarische Verfahren mit Ihnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann überhaupt nicht mehr zählen, wie oft Die Linke hier schon für eine starke Arbeitslosenversicherung geworben hat. Die Pandemie zeigt doch schonungslos, wo das soziale Netz die größten Löcher hat. Die Verantwortung für eine gute Arbeitslosenversicherung, meine Damen und Herren, liegt bei der Bundesregierung. Und was tun Sie? Sie haben noch 2019 der Bundesagentur für Arbeit den Geldhahn zugedreht. Ein paar kleine, befristete Korrekturen bei den Leistungen hat es gegeben; aber das reicht nicht. Ich frage Sie: Wann, wenn nicht jetzt, meine Damen und Herren der Regierung, ist der Zeitpunkt gekommen, die Arbeitslosenversicherung grundlegend zu stärken? ({0}) Die Linke fordert höhere Leistungen, die man leichter und länger beziehen kann. Das wäre eine gute Arbeitslosenversicherung! ({1}) Heute reden wir über die Selbstständigen, die in der Wirtschaftskrise komplett durchs Raster fallen. Von April bis September 2020 haben sich im Vergleich zum Vorjahr elfmal so viele Selbstständige neu arbeitsuchend gemeldet und mussten direkt Grundsicherung beziehen. Das waren über 80 000 Menschen, und sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Im Sommer gaben nämlich 41 Prozent aller Selbstständigen an, ihnen sei ihr Geschäft völlig weggebrochen. Diese Situation, meine Damen und Herren, ist dramatisch. Trotzdem konnten die Hilfen des Bundes und der Länder zunächst meist nicht für die Kosten des Lebensunterhalts eingesetzt werden. Auch die Neustarthilfe ist in der aktuellen Höhe ein schlechter Witz. Sie lassen die Selbstständigen im Regen stehen. Was es jetzt braucht, sind strukturelle Verbesserungen und Veränderungen. Wären Selbstständige vor Beginn der Pandemie arbeitslosenversichert gewesen, wären sie besser durch die Wirtschaftskrise gekommen als jetzt. Wenn sie nur über Hartz IV und Ad-hoc-Programme abgesichert sind, dann ist das für die öffentlichen Haushalte wesentlich teurer. Selbstständige wissen dann aber trotzdem nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Eine gute Absicherung gibt es nur mit einer starken Sozialversicherung, und das fordert Die Linke. ({2}) Das geltende Recht macht es für Selbstständige denkbar schwer und unattraktiv, sich gegen Arbeitslosigkeit zu versichern. Auf der einen Seite haben wir strenge Zugangsvoraussetzungen, kurze Fristen und einkommensunabhängige Beiträge und auf der anderen Seite Arbeitslosengeld pauschal nach beruflicher Qualifikation. Da ist es doch kein Wunder, dass nur 2 Prozent aller Selbstständigen arbeitslosenversichert sind. Kurz gesagt: Die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige in ihrer jetzigen Form ist gescheitert. Die Linke fordert eine Arbeitslosenversicherung, in der alle Selbstständigen zu fairen Konditionen abgesichert sind. ({3}) Wir wollen Beiträge anhand des tatsächlichen Einkommens, und wir wollen Leistungen, deren Höhe sich nach dem beitragspflichtigen Einkommen richtet, also das, was für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit jeher gilt. Allerdings trägt bei ihnen der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge. Selbstständige mit kleinem Einkommen können nicht einfach den doppelten Beitrag stemmen. Deshalb brauchen Selbstständige in der Sozialversicherung eine Lösung für die zweite Hälfte des Beitrags. Wir wollen ein Beitragsmodell mit einer Auftraggeberbeteiligung, damit niemand mehr von den Sozialversicherungsbeiträgen überfordert ist. ({4}) Verschiedene Ansätze sind denkbar; einer wird mit der Künstlersozialversicherung seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert. Meine Damen und Herren, die Uhr steht auf fünf nach zwölf. Und deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, jetzt eine Lösung zu entwickeln, mit der auch Selbstständige ordentlich über eine Arbeitslosenversicherung abgesichert sind. Danke schön. ({5})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Jana Schimke von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe der Linken in einem Punkt recht ({0}) – hätten Sie es gedacht, Herr Birkwald? –: Die freiwillige Arbeitslosenversicherung ist für Selbstständige in der Tat ein Instrument, das in seiner Attraktivität ausbaubar ist; ich will ich es mal so formulieren. ({1}) Aber um das abschließend zu bewerten, muss man sich schon ein Stück weit die Historie angucken. Diese Regelung wurde ja 2006 in befristeter Form geschaffen. Was hatten wir 2006 für eine Situation am Arbeitsmarkt? Wir hatten natürlich keine Vollbeschäftigung. Im Gegenteil: Der Arbeitsmarkt musste belebt werden. Es galt, die Menschen in Arbeit zu bringen und natürlich auch Anreize für Selbstständigkeit zu setzen. Jeder weiß: Wer sich selbstständig machen will, geht ein hohes Risiko ein und braucht natürlich auch eine gewisse Sicherheit. Und diese Sicherheit hat der Gesetzgeber damals versucht zu geben, indem er gesagt hat: Wir schaffen attraktive Rahmenbedingungen bei der Vorsorge im Falle von Erwerbslosigkeit. Diese Regelung war befristet und lief Ende 2010 aus. Man entschied sich seitens des Gesetzgebers dazu, diese Regelung fortzuführen, aber unter veränderten Rahmenbedingungen. Sie war fortan nicht mehr so attraktiv für Bestandsselbstständige, sondern vornehmlich für Gründer. Das hatte auch seinen Zweck, weil der Gesetzgeber damals aus gutem Grund zur bewährten Systematik von Selbstständigkeit zurückgekehrt ist. Selbstständigkeit – das wissen wir – folgt der Auffassung, dass Eigenverantwortung und Haftung eine Einheit sind. Insofern war es auch in diesem Hause immer Auffassung, dass Selbstständigkeit diesem Gedanken folgt. Das heißt, jeder, der selbstständig ist, sorgt selbst vor und haftet auch für seine unternehmerischen Risiken. Nichts anderes hat der Gesetzgeber 2011 geregelt. – Punkt eins. Punkt zwei. Das Obligatorium, das Die Linke jetzt vorschlägt, ist ein falscher Ansatz. Selbstständige, meine Damen und Herren, sind verantwortungsbewusst, und sie haben auch kein Motivationsproblem bei der eigenen Vorsorge. Das haben wir ja gesehen: In den Jahren nach 2006 hatten wir bis zu 260 000 Versicherte in der freiwilligen Arbeitslosenversicherung. Als die Anreize später abnahmen, wurden es selbstverständlich weniger. Aber das zeigt – das sehen wir im Übrigen auch bei den Zahlen zur Vorsorge im Alter, bei der Frage „Wie sorgen Selbstständige fürs Alter vor?“ –: Sie tun eine Menge und tun es dann, wenn es sich lohnt. Das ist eine ganz entscheidende Aussage an dieser Stelle: Vorsorge muss sich lohnen. – Dann ist dieser Gruppe auch tatsächlich geholfen. Ich bin der Auffassung – das ist auch das, was mich in meinem politischen Handeln immer leitet –, dass Selbstständige positive Anreize brauchen und eben keinen Zwang; das ist an dieser Stelle nicht nötig. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, letztendlich geht es hier natürlich auch um das Selbstverständnis von Selbstständigkeit; das soll an dieser Stelle auch mal gesagt werden. Die Einheit von Risiko und Haftung ist etwas, was ich gerade eben schon ausgeführt habe. Selbstständige sind aber auch, meine Damen und Herren – ich will es mal so pauschal sagen –, keine auffällige Gruppe, was die Arbeitslosigkeit betrifft. Selbstständige sind Personen, die ihr letztes Hemd dafür geben würden, dass sie ihr Unternehmen weiter am Laufen halten, dass der Laden läuft. Man hört von Selbstständigen auch kein großes Klagen und erlebt Zurückhaltung – auch jetzt, in Coronazeiten, bei Hartz IV. Das ist in der Tat eine Gruppe, die von einer hohen Leistungsbereitschaft geprägt ist, und deswegen, glaube ich, ist es unsere Aufgabe, ihnen diese Freiheit auch weiterhin zu lassen und hier keinen Zwang auszuüben. Selbstständige müssen weder gezwungen noch bevormundet oder dazu gedrängt werden, für ihr eigenes Leben zu sorgen. ({2}) Ein letzter Gedanke, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken. Ich erlebe immer wieder, für was Corona in dieser Situation alles herhalten darf. Corona hat zu einer Ausnahmesituation geführt. Natürlich geht es unserer Wirtschaft im Moment in vielen Bereichen nicht gut – nicht nur den Soloselbstständigen –, aber wir dürfen die Situation durch Corona und die Existenzängste, die in diesem Bereich jetzt gerade auftreten, nicht zum Anlass dafür nehmen, neuen Zwang auszuüben, neue Vorschriften zu machen und nach außen den Eindruck entstehen zu lassen, diese Gruppe sei nicht in der Lage, für sich selbst vorzusorgen. Ich möchte eine ganz feine, aber wesentliche Unterscheidung treffen: Es handelt sich mit Blick auf die Menschen, die hier in diesem Bereich zurzeit Existenzängste auszustehen haben und nicht wissen, wie es mit ihrer Firma weitergeht, nicht um ein Scheitern von unternehmerischen Fähigkeiten oder ein Scheitern des Geschäftsmodells, sondern schlicht um ein Berufsverbot. Das ist ein ganz großer, massiver Unterschied, und wir dürfen nicht den Fehler machen, daraus die falschen politischen Schlüsse zu ziehen. ({3}) Deswegen: Lassen Sie uns doch darüber nachdenken, wie wir diese Menschen wieder in die Lage versetzen können, zu arbeiten, den Job zu machen, den sie gut können und seit Jahren gut machen, und nicht mit neuen gesetzlichen Regularien belasten. Vielen Dank. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Herzlichen Dank. – Das Wort geht an Martin Sichert von der AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Sie von den Linken wollen die Selbstständigen in die Arbeitslosenversicherung zwingen, gerade jetzt, in einer Zeit, in der viele Hunderttausend Selbstständige ums Überleben kämpfen und die Konten abgeschmolzen werden – die Konten, wohlgemerkt, auf denen sie auch für den Notfall und fürs Alter vorgesorgt haben. Und warum das Ganze? Wegen eines Generallockdowns, den die Bundesregierung und die Bundesländer verhängt haben. Dass dieser Lockdown unsinnig ist, wissen wir spätestens seit den letzten Tagen, seitdem es die Daten des Statistischen Bundesamtes gibt, die uns ganz klar sagen, dass 2020 in der Altersgruppe von 0 bis 80 Jahre weniger Menschen gestorben sind als 2016 oder 2017 oder 2018. Man schließt alles und ruiniert Hunderttausende Selbstständige. Frau Schimke, wenn Sie hier jetzt schon sagen, wir müssen uns überlegen, wie wir diese Leute wieder ans Arbeiten kriegen, dann wäre es doch mal eine Überlegung, zu sagen: Warum geht man nicht aufs Tübinger Modell? – Sie von der Union reden doch ständig von einer Koalition mit den Grünen. Dann nehmen Sie sich doch Tübingen als Vorbild und sagen Sie: Wir führen jetzt bundesweit flächendeckend Taxigutscheine für Leute über 80 Jahre ein, sodass sie Taxi zu den Kosten des öffentlichen Personennahverkehrs fahren können. – Das würde uns viel weniger kosten als dieser Generallockdown, und das würde viele Selbstständige retten und es ihnen ermöglichen, zu arbeiten. ({0}) Stattdessen schickt man die Menschen über 80 Jahre weiterhin in die Busse, in die Straßenbahnen, in die U-Bahnen, wo sie den Aerosolen von Dutzenden anderen ausgesetzt sind, und dann wundert man sich, wenn in dieser Altersgruppe die Anzahl an Infektionen steigt. Wir können diese Variante, das Tübinger Modell, aber nur noch eine gewisse Zeit wählen, weil auch die Taxiunternehmer ein Teil der betroffenen Selbstständigen sind. Alleine bei mir in Nürnberg sind es 300 Existenzen von Selbstständigen, die im Taxigewerbe gerade auf der Kippe stehen. Die haben Umsatzeinbrüche von 70 Prozent und mehr. Das heißt, die zahlen momentan drauf. Die verdienen keinen einzigen Cent, sondern zahlen dafür, dass sie weiter Taxi fahren können und die Arbeitsplätze ihrer Arbeitnehmer sowie ihr Unternehmen erhalten. Das ist eine großartige Leistung dieser einzelnen selbstständigen Unternehmer, aber es ist eine Katastrophe, dass diese staatlichen Eingriffe in diesem Land sie überhaupt erst in diese Lage gebracht haben. ({1}) Meine Damen und Herren, die elementare Frage, die man sich immer wieder stellen muss und die man sich hier bei jedem Antrag – auch zur Sozialpolitik – stellen muss, ist die Frage: Wollen wir in einer sozialistischen oder in einer freiheitlichen Gesellschaft leben? ({2}) Wollen wir in einer Gesellschaft mit unternehmerischer Freiheit leben, die den Wohlstand in Deutschland überhaupt erst ermöglicht hat? Unternehmer sind keine Melkkühe für die Sozialversicherungen. Unternehmer brauchen eine gewisse unternehmerische Freiheit. Dazu gehört, dass sie selbst für Notlagen vorsorgen und auch dass sie unternehmerische Risiken stemmen. All das können sie, all das wollen sie. Was sie nicht brauchen und was ganz Deutschland nicht braucht, ist noch mehr überbordende Bürokratie. Wir haben schon eine Sozialgesetzgebung, die ausgedruckt vom Boden bis zur Decke reicht, und die ist so komplex, dass sich selbst unsere Behörden nicht mehr auskennen. Das zeigen zahllose verlorene Verfahren vor den Sozialgerichten jedes Jahr. Nein, wir brauchen nicht noch mehr Bürokratie, nicht noch mehr Sozialismus, nicht noch mehr staatliche Eingriffe, nicht noch mehr staatliche Regelungen. Wir brauchen mehr Freiheit und mehr Eigenverantwortung in Deutschland; denn blühende Landschaften kann es nur mit Freiheit geben. Vielen Dank. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Dagmar Schmidt von der SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, ob und, wenn ja, wie Selbstständige sozial abgesichert werden, hat in der Pandemie an Bedeutung gewonnen. Uns beschäftigt es aber bereits eine ganze Weile länger. Nicht erst seit der Pandemie verändert sich die Arbeitswelt. Erwerbsbiografien werden flexibler, daneben gibt es Beschäftigungsformen wie unständig Beschäftigte, die aus der Zeit gefallen scheinen: früher Tagelöhner am Hafen, heute Schauspielerinnen oder Synchronsprecher, die befristet jeweils weniger als sieben Tage arbeiten. Und daneben gibt es das Thema „soziale Absicherung für Selbstständige“, das in der Pandemie zu Recht an Bedeutung gewonnen hat. Für alle diese Fragen wollen wir am liebsten eine Lösung. Für abhängig Beschäftigte haben wir die solidarisch getragene Arbeitslosenversicherung. Eine solche solidarische Möglichkeit, sich abzusichern, haben wir für Selbstständige nicht. Bisher gibt es die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige nur mit einer Brückenfunktion – Frau Schimke hat es gesagt – für diejenigen, die sich aus der abhängigen Beschäftigung heraus selbstständig machen. Wir glauben, dass wir dort mehr brauchen. Trivial ist das allerdings nicht, und deswegen ist es auch richtig, Frau Zimmermann, dass Sie ein solches Gesetz in sozialdemokratische Hände beim Arbeits- und Sozialministerium geben wollen. ({0}) Es gibt aus unserer Sicht zwei Lösungswege: Der eine Lösungsweg ist, für unterschiedliche Arbeitsformen und Branchen eben auch unterschiedliche Versicherungen zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Künstlersozialkasse. Die zweite Möglichkeit – die ist mir deutlich sympathischer, und die wäre aus meiner Sicht auch besser – ist eine Versicherung für alle; denn unser Sozialstaat ist schon kompliziert genug, vor allem für die Bürgerinnen und Bürger. ({1}) Eine Versicherung, die durch die Erwerbsbiografien begleitet, so unterschiedlich diese auch sein mögen, wäre sicher die bürgerfreundlichste Lösung. Dann entstehen allerdings andere Probleme und Gerechtigkeitsfragen, die es zu lösen bzw. zu beantworten gilt: Wann sind denn Selbstständige arbeitslos? Bisher gilt als arbeitslos unter anderem, wer den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung steht, sich bemüht, die Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und weniger als 15 Stunden in der Woche arbeitet. Was könnte das für Selbstständige heißen? Was sind vergleichbare Kriterien? Soll es eine Pflichtversicherung sein, oder soll es eine freiwillige Versicherung sein? Und wie stelle ich dann sicher, dass nicht nur die in schwierigen sozialen Lagen an der Solidargemeinschaft beteiligt sind und andere keinen Beitrag leisten, während bei den abhängig Beschäftigten alle solidarisch organisiert sind, unabhängig von ihrer Einkommenssicherheit? Was sind die Grundlagen und der Rahmen für den Versicherungsfall? Folgen wir weiter dem Tagesprinzip, oder wechseln wir zu einem Monatsprinzip? Welches Einkommen legen wir wann und wie zugrunde? Alles das werden wir weiter beraten und diskutieren. Es ist ein wenig komplizierter, als der Antrag der Linkspartei glauben machen will. ({2}) Aber es ist die Mühe wert – nicht nur zu Zeiten der Pandemie. Ich freue mich auf die weitere Diskussion. ({3})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Johannes Vogel von der FDP-Fraktion. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ersten wenigen Zeilen des Antrags der Linken sind ausnahmsweise zustimmungsfähig: Selbstständige sind von dieser Krise schwer getroffen. – Das stimmt. Danach, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, hört es dann allerdings schon auf. ({0}) Ihnen fällt nichts anderes ein, als Selbstständige zwangsweise in der Arbeitslosenversicherung für Angestellte zu versichern. ({1}) Das lässt tief blicken und zeigt, wie Ihr Weltbild aussieht. Das ist allerdings keine Lösung für den modernen Arbeitsmarkt. ({2}) Das überrascht aber nur wenig. Überraschender fand ich, dass die von mir persönlich sehr geschätzte Kollegin von der SPD hier gerade sehr ähnliche Gedanken offenbart hat. Und das lässt leider nochmals tief blicken und zeigt, was das Problem mit dieser Koalition und den Selbstständigen eigentlich ist. Das ist hier ja ein ganz besonderer Witz von New Work: Während wir bei den Angestellten immer mehr Selbstständigkeit in der Anstellung haben, wollen Sie Selbstständige alle zu Angestellten machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist aber keine zukunftsgerechte Antwort. ({3}) Das Problem – und das ist offenbar auch die Ursache, warum Sie von der Koalition bis heute kein geeignetes Kriseninstrument für die Selbstständigen in dieser wirklich existenziell schwierigen Situation haben –, das Problem ist offenbar, dass Sie die Natur der Krise und ihre besondere Auswirkung auf Selbstständige nicht verstanden haben. Jetzt verstehe ich auch immer besser, warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sagen: „Dann sollen die Selbstständigen doch zum Jobcenter gehen“, während Sie beim Kurzarbeitergeld extra in der Krise die Regeln für Angestellte verändern. Jetzt verstehe ich das. Aber das ist nicht nur keine Lösung – weil Selbstständige zum Beispiel eine Altersvorsorge haben, die sie erst mal aufbrauchen müssen oder weil Selbstständige oft in einer Beziehung leben und sich nachvollziehbarerweise natürlich nicht trennen wollen, um Hilfen zu bekommen –, sondern es verkennt auch die Natur dieser Krise. ({4}) Es geht nicht darum, ob Selbstständige eingezahlt haben, sondern es geht darum, dass Sie von der Koalition – wir von der Politik – Selbstständigen das Geschäft verbieten – aus guten, gesundheitspolitischen Gründen zur Eindämmung der Pandemie; aber am Ende verbieten wir ihnen trotzdem das Geschäft. Dann wäre es aber auch angemessen, die Menschen mit einem vernünftigen System zu entschädigen. ({5}) Darauf warten die Selbstständigen in dieser Krise noch heute, und das müssen wir ändern. ({6}) Das sorgt für zwei, wie ich finde, gefährliche Prozesse. In den letzten Wochen habe ich viel mit Selbstständigen geredet. ({7}) Vor wenigen Tagen hat mir eine Selbstständige gesagt: Johannes, du bist da immer so auf den Punkt bei unseren Themen, aber du bist dabei noch viel zu nett. Du müsstest die Kolleginnen und Kollegen mal fragen, ob die Lack gesoffen haben! – Da entsteht Wut, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das ist nicht gut. Von anderen Selbstständigen, IT-Freelancern zum Beispiel, bei denen die Geschäfte noch gut laufen, bekommt man immer häufiger gespiegelt, dass sie darüber nachdenken, unser Land zu verlassen. Und das ist für die Innovationsfähigkeit unseres Landes auch nicht gut. ({8}) Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir die Natur des modernen Arbeitsmarktes endlich verstehen und mehr Fairness für Selbstständige schaffen durch dauerhaft passende Sicherungssysteme und Regeln und durch eine faire Entschädigung in dieser Krise. Darauf warten wir noch heute, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Das muss sich ändern! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krise zeigt sehr deutlich, wo es Lücken in unserem sozialen Netz gibt, und davon sind insbesondere die Selbstständigen sehr stark betroffen. Die Lösung der Bundesregierung besteht darin, sie zum Jobcenter zu schicken und ihnen verbesserte Möglichkeiten für die Grundsicherung zu bieten, was wir unterstützt haben. Nach einigen Monaten – es ist fast schon ein Dreivierteljahr – sieht man aber: Das hilft nicht. Als wir das damals beschlossen haben, hieß es vonseiten der Bundesregierung, dass bis zu 1 Million Selbstständige Anspruch auf Grundsicherung haben könnten. Wenn man sich die Zahlen anschaut, erkennt man, dass die Grundsicherungszahlen für Erwerbstätige gar nicht gestiegen sind. Das heißt, die Selbstständigen nehmen das Angebot nicht in Anspruch; das Geld kommt bei ihnen nicht an. Und das müssen wir ändern. ({0}) Es gibt aus unserer Sicht vor allen Dingen zwei Schlussfolgerungen daraus. Die erste Schlussfolgerung: Wir müssen Hartz IV überwinden, und das würde insbesondere den Selbstständigen zugutekommen. Wir haben dazu gerade ein Konzept vorgelegt, in dem wir sagen, dass wir keine aufwendige Vermögensprüfung wollen. Wir wollen bei Nichtverheirateten das Partnerinnen- und Partnereinkommen nicht anrechnen. Wir wollen, dass bei Selbstständigen oder Erwerbstätigen, wenn sie Garantiesicherung beziehen, zusätzliche Einnahmen nicht vollständig angerechnet werden. Zudem wollen wir prüfen, ob wir die Garantiesicherung ins Steuersystem integrieren können. Das würde gerade Selbstständigen besonders helfen. ({1}) Die zweite Schlussfolgerung: Wir wollen die Arbeitslosenversicherung ausweiten. Wir haben schon vor einem Jahr, noch bevor es mit Corona richtig losging, hier einen Antrag eingebracht, in dem wir gesagt haben, dass wir die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln wollen. Einer der Forderungspunkte lautete, dass wir die freiwillige Arbeitslosenversicherung für alle Selbständigen öffnen wollten. Es hat sich gezeigt, wie gut es gewesen wäre, wenn auch die Selbstständigen jetzt Kurzarbeitergeld bekommen hätten. Das ist übrigens ein Aspekt, der in dem Antrag der Linken fehlt. Sie sprechen über die Beitragsseite, was sehr richtig ist, und Sie sprechen über die Probleme, was ebenfalls sehr richtig ist. Nicht enthalten ist jedoch die Leistungsseite. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass es nicht nur bei den Beiträgen eine Gleichstellung mit den abhängig Beschäftigten gibt, sondern auch auf der Leistungsseite, damit Selbstständige nicht nur Arbeitslosengeld bekommen, sondern auch Kurzarbeitergeld. Auch das ist eine wichtige Schlussfolgerung aus dieser Krise. ({2}) Das sind alles Schlussfolgerungen für die Zukunft. Was wir aber jetzt sofort brauchen, und was die Bundesregierung immer noch nicht gemacht hat, ist eine schnelle, unbürokratische Lösung, um das Existenzminimum für Selbstständige, freiberuflich Tätige und Künstlerinnen und Künstler endlich schnell und unbürokratisch abzusichern. ({3}) Da ist die Bundesregierung immer noch gefordert. Vielen Dank. ({4})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht an Peter Aumer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken zeigt mal wieder, dass Sie keine Ahnung von Wirtschaft haben. ({0}) Sie fordern eine Arbeitslosenpflichtversicherung für Selbstständige. Die Hälfte des Beitrags soll der Auftraggeber bezahlen, steht in Ihrem Antrag. ({1}) Wissen Sie überhaupt, wer das in der Praxis finanzieren soll? Diese Antwort geben Sie nämlich nicht. Den Betrag einfach auf eine Rechnung zu schreiben, das funktioniert auch nicht wirklich. Sie sollten sich schon fundamental Gedanken machen, wenn Sie hier etwas einbringen. Außerdem zeigen Sie wieder einmal, dass Ihre populistischen Forderungen keine Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit geben. Sie fordern die Bundesregierung auf, Ihren lebensfernen Vorschlag umzusetzen. Die Bundesregierung hat im Moment wirklich andere Dinge zu tun, als so etwas auf den Weg zu bringen. ({2}) Ihren Antrag, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, stützen Sie auf den Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Haben Sie diesen denn auch bis zum Ende gelesen, oder ziehen Sie wieder einmal falsche Schlüsse? Ergebnis des IAB-Berichtes ist nämlich nicht, dass es zu einer Arbeitslosenpflichtversicherung für Selbstständige kommen soll; vielmehr zeigt das IAB ganz klar vier Handlungsfelder auf, wie man die freiwillige Versicherung stärken kann. Und darüber kann man durchaus nachdenken. ({3}) Es ist schon öfter gesagt worden: Die Coronapandemie stellt gerade die Selbstständigen vor große Herausforderungen. Ich habe in meinem Wahlkreis viele Gespräche mit Einzelhändlern, Friseuren, Taxifahrern und vielen anderen Selbstständigen geführt, die von der Pandemie betroffen sind. Viele haben Angst – Angst um ihre Zukunft, Angst um ihre Existenz. Viele fragen: Wie sollen wir offene Rechnungen bezahlen? Wie soll unser Unterhalt bestritten werden? Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, Ihr Vorschlag zur Arbeitslosenpflichtversicherung ist sicherlich keine Antwort auf diese Fragen, die hier gestellt wurden. ({4}) – Ich gebe Ihnen eine Antwort: Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten viel auf den Weg gebracht. Man kann einiges kritisieren, vielleicht auch manchmal zu Recht, zum Beispiel dass die Hilfen erst spät ankommen, aber wir haben in dieser Zeit trotzdem viel erreicht. Wir haben mit dem Kurzarbeitergeld verhindert, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit gehen mussten. ({5}) Und Sie wollen jetzt mit der Pflichtversicherung die Selbstständigen in Arbeitslosigkeit schicken. Meine sehr verehrten Damen und Herren der Linken, das ist wirklich schizophren. Wir wollen, dass die Selbstständigen nach der Pandemie wieder arbeiten und Geld verdienen können. Wir unterstützen die Selbstständigen auf diesem Weg. Wir haben – es ist angesprochen worden – die Überbrückungshilfen, November- und Dezemberhilfe, auf den Weg gebracht. Die Auszahlung begann schleppend, aber sie kommt jetzt an. Ich bin viel im Austausch und frage immer, ob das Geld ankommt. Mittlerweile funktioniert das auch. Ich glaube, man muss den Behörden zugestehen, dass dies auch dort in einer solch schwierigen Zeit eine Herausforderung ist. Lieber Herr Kollege Vogel, ich denke, auch Sie sind wie die Grünen die Antworten schuldig geblieben. Ich glaube, dass man in einer solchen Zeit nicht nur gemeinsam kritisieren soll, sondern auch mithelfen soll, Antworten zu geben. Wir haben das Sozialschutz-Paket I auf den Weg gebracht und damit Erleichterungen beim Zugang zur Grundsicherung geschaffen. Das haben Sie in Ihrem Antrag nicht einmal aktualisiert. Darin schreiben Sie über einen Fernsehbericht vom August 2020. Wir haben das im Oktober 2020 geändert. Wenn Sie verantwortungsvolle Politik für unser Land machen wollen, dann sollten Sie auch Ihre Punkte aktualisieren und Ihre Anträge auf die Höhe der Zeit bringen. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, Ihr Antrag beweist wieder einmal, dass mit sozialistischen Einheitsantworten und Gleichmacherei Zukunft nicht gestaltet werden kann. Wir setzen auf die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft, auf Unternehmergeist und Mut zur Innovation. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank. ({6})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Das Wort geht als letztem Redner in der Debatte an Dr. Martin Rosemann von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sichert von der AfD hat über das Tübinger Modell gesprochen. Ich weiß nicht, ob es vielleicht besser gewesen wäre, Sie hätten etwas zur Sache gesagt anstatt zum Tübinger Modell. Mein Eindruck als Tübinger Abgeordneter war: Sie haben vom Tübinger Modell so wenig Ahnung wie von unserem Sozialstaat. ({0}) Herr Sichert, wir haben auch in Tübingen einen Lockdown. Das Herzstück des Tübinger Modells, die Schnelltests für alle, die in Pflegeheimen ein- und ausgehen, sind Teil der Teststrategie dieser Bundesregierung. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Coronapandemie hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig ein starker, ein handlungsfähiger, ein funktionsfähiger Sozialstaat ist. Viele profitieren von der guten Absicherung, der Sozialstaat rettet Existenzen. Der Sozialstaat gehört zu einer sozialen Marktwirtschaft. Der Kollege Aumer von der CSU hat sich hier zur sozialen Marktwirtschaft bekannt, während mich die Ausführungen von Frau Schimke in der gleichen Debatte schon ein bisschen wundern. Der Sozialstaat, Frau Schimke, ist kein Folterinstrument, sondern Hilfe und Unterstützung für diejenigen, die auf ihn angewiesen sind. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sichert von der AfD?

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. – Natürlich zeigt die Coronapandemie auch Lücken. Viele kritisieren – Kollege Vogel hat es eben wieder gemacht –, dass Selbstständige keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben: Aber sie haben auch keine Beiträge in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung gezahlt. ({0}) Ich finde, wir müssen in der Krise die Dinge klar auseinanderhalten. Es gibt die Wirtschaftshilfen, dazu gehören auch die Neustarthilfen. Dann gibt es Versicherungsleistungen, für die Beiträge gezahlt wurden, und schließlich Grundsicherungsleistungen, wenn man bedürftig ist. Dafür haben wir den Zugang vereinfacht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die Linken argumentieren, wegen Partnereinkommen gibt es keine Grundsicherung, kann ich nur sagen: Das ist kein Spezifikum von Selbstständigen; sondern das gilt für alle. ({1}) Trotzdem zeigt Corona, dass es gerade bei Selbstständigen Handlungsbedarf gibt. Aber das sehen wir jetzt nicht nur bei Corona; denn wir haben seit Jahren, seit Jahrzehnten ein verändertes Bild von Selbstständigkeit: Mehr Soloselbstständige, viel mehr Selbstständige mit geringerem Einkommen, die Abgrenzung wird schwieriger, die Übergänge zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit werden häufiger – bei manchen Berufsgruppen wie Schauspielern beinahe einmal in der Woche. Deswegen gibt es viele Gründe, Selbstständige in die Sozialversicherung einzubeziehen; wir werden damit bei der Rentenversicherung starten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb spricht auch vieles dafür, Selbstständige in die Arbeitslosenversicherung zu integrieren. Aber wir müssen uns die Frage stellen: Geht das so einfach? Zum Beispiel setzt die Versicherung in der Arbeitslosenversicherung voraus, dass man bereit ist, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen. Ist es das, was die Selbstständigen wollen? Wird das der besonderen Situation von Selbstständigen gerecht? Geht es bei Selbstständigen nicht vielleicht an vielen Stellen um eine Einkommensabsicherung? Es sind also viele Fragen offen. Corona hat uns deutlich gemacht: Wir müssen daran arbeiten. Damit haben wir begonnen. Leider hilft der Antrag der Linken dabei überhaupt nicht weiter. ({2})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Nachhaltige Landwirtschaft gibt es natürlich nicht umsonst. Ein menschenwürdiges Einkommen, faire Preise für die Bauernfamilien müssen selbstverständlich sein. Es geht nämlich um Fairplay im und am Markt. In der Verantwortung steht die gesamte Liefer- und Verarbeitungskette landwirtschaftlicher Produkte, wie auch wir auf Verbraucherseite. Selbst wenn Lebensmittelpreise steigen: Was kommt überhaupt bei den Landwirten an? Meist der nach unten zu ihnen weitergegebene Preisdruck. Mit dem Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken nimmt die Große Koalition eine klare politische Weichenstellung vor. Wir stärken die Landwirte gegenüber dem Einzelhandel für bessere Erlöse, für Fairplay für unsere Bäuerinnen und Bauern. Aus gutem Grund gehen wir über die Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Richtlinie hinaus. Sie wissen: Ohne die aktive Mithilfe Deutschlands, unseres Ministeriums, hätte es die europäische UTP-Richtlinie gar nicht gegeben. ({0}) Erhebliche Widerstände gab es beispielsweise vonseiten des Handels. Traurig genug, dass es notwendig wurde, aber wir müssen jetzt ordnungsrechtlich gegen unlautere Handelspraktiken vorgehen. Seien es kurzfristige Warenstornierungen zulasten der Lieferanten, ohne Bezahlung. Monatelang müssen Lieferanten heute auf ihr Geld warten, obwohl die Ware schon längst abverkauft worden ist. Einseitige Änderungen der Lieferbedingungen zulasten der Landwirte stehen auf der Tagesordnung. Schilderungen dieser Praxis erreichen uns in der Regel – das kennen Sie, verehrte Damen und Herren – anonym, aus Angst, vom Handel ausgelistet zu werden. David gegen Goliath. In Deutschland haben die vier größten Handelsketten einen Marktanteil von über 85 Prozent. Das ist ein Problem, und die Ministerentscheidung des ehemaligen SPD-Wirtschaftsministers für eine weitere Fusion war damals nicht richtig. ({1}) Unser Gesetz stärkt nun die Marktposition kleinerer Lieferanten und landwirtschaftlicher Betriebe. Wir stellen für die Zukunft sicher, dass Landwirte und Hersteller ihre Bezahlung binnen 30 Tagen erhalten. Vertragliche Vereinbarungen müssen eingehalten und dürfen nicht einseitig vonseiten des Käufers geändert werden. Bisher konnte der Händler kurzfristig zum Beispiel eine geänderte Verpackung fordern, und der Landwirt musste eine andere, neue Verpackung bereitstellen, und zwar auf seine Kosten. Damit ist jetzt Schluss.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004191

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Abgeordneten Pahlmann?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Gerne. ({0})

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin Klöckner, ich weiß, dass Sie in Gesprächen mit der Landwirtschaft sind. Jetzt ist meine Frage: Haben Sie mit den Landwirten auch mal konkret über die UTP-Richtlinie gesprochen? Wie stehen denn die Landwirte dazu? ({0}) Was sagen die Landwirte zu den Inhalten, die jetzt auf dem Tisch liegen?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Danke, Frau Abgeordnete Pahlmann. – Es sind ja aktuell Landwirte in Berlin. Sie demonstrieren, was ihr gutes Recht ist. Sie stehen finanziell und auch gesellschaftlich unter enormem Druck; sie sollen immer mehr Auflagen erfüllen. Ja, wir begleiten sie dabei mit Programmen – das ist wichtig –; aber das Problem ist, dass der Handel stetig steigende Anforderungen an sie stellt, aber nicht dafür bezahlt. Ich habe heute bei mir vorm Ministerium mit vielen Landwirten genau darüber gesprochen. Auch wenn nicht alle Landwirte direkt Verhandlungen mit dem Handel führen, weil es Zwischenhändler gibt, haben die Landwirte dennoch etwas von dieser UTP-Richtlinie; denn der Preisdruck kommt von oben nach unten und landet am Ende beim Urerzeuger. Deshalb ist das neue Gesetz ein wichtiger Schritt, der auch von den Landwirten begrüßt wird. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass wir das europaweit mit Mindeststandards regeln. Ohne uns, ohne Deutschland, wären wir nie so weit. Deshalb sage ich: Hier wird David im Kampf gegen Goliath stärker gemacht. ({0}) Ich möchte ein Weiteres sagen: Wir verbieten im Übrigen auch nachträgliche Zahlungsforderungen des Käufers an den Lieferanten, wenn die Ware bereits in den Besitz des Käufers übergegangen ist und er danach vielleicht meint, mögliche Qualitätsminderungen feststellen zu können. Was regeln wir noch? Zukünftig darf sich der Käufer nicht mehr weigern, eine geschlossene Liefervereinbarung schriftlich zu bestätigen. Man wundert sich, was heute alles möglich ist. Und stellen Sie sich vor: Heute ist es möglich, dass der Käufer von einem Lieferanten Entschädigung für die Bearbeitung von Kundenbeschwerden verlangt, ohne dass ein Verschulden des Lieferanten vorliegt. Wir gehen mit diesem Entwurf weiter als die europäische Richtlinie; denn wir sagen auch: Wenn der Händler zukünftig in der Saison zum Beispiel großzügig Erdbeeren bestellt, diese aber nicht verkauft bekommt, muss er trotzdem den vereinbarten Preis bezahlen. Heute ist es so, dass storniert wird und für die Entsorgung auch noch der Landwirt oder der Lieferant zahlen muss. Das schmälert natürlich den Preis, das schmälert natürlich den Gewinn, und das geht zulasten derer, die Sorge und Angst haben, dass sie ausgelistet werden. Damit ist jetzt Schluss, damit machen wir gesetzlich Schluss. ({1}) Was es auch nicht mehr geben wird – auch das muss man sich vorstellen –: Wenn ein Händler jederzeit auf alles Mögliche zurückgreifen will und deshalb viel einlagert, nimmt er heute von dem Lieferanten Kosten für die Lagerung, stellt ihm das also in Rechnung. Auch das werden wir verbieten. ({2}) Insofern sage ich, sehr geehrte Damen und Herren: Wer bestellt, der muss bezahlen. Und wer sich nicht daran hält, der wird mit einem Bußgeld von bis zu 500 000 Euro sanktioniert. Wir werden nicht das Wettbewerbsprinzip außer Kraft setzen; aber wir wollen, dass die soziale Marktwirtschaft hier endlich zum Tragen kommt. ({3}) Das ist ein wichtiger Schritt zum Erhalt einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Wir sind für eine gerechte Verteilung der Erlöse, mehr Wertschätzung für Lebensmittel, stärkere regionale Lieferketten, Würdigung nationaler Herkunft. Deshalb haben wir es auf europäischer Ebene unter unserer Ratspräsidentschaft erreicht, dass die Herkunftskennzeichnung klarer, eindeutiger und nachvollziehbarer wird. ({4}) Das ist gut für Verbraucher, das ist gut für den Landwirt, und das ist gut für eine nachhaltige Landwirtschaft. Zum Schluss, auch als Appell an die Lebensmittelhändler: Es kann nicht sein, dass Lebensmittel, Mittel zum Leben, wie Billigware verramscht werden. ({5}) Das ist keine Wertschätzung, das ist keine Wertschöpfung. Hier ist der Handel in der Verantwortung. ({6}) Außerhalb des Protokolls möchte ich sehr herzlich Herrn Spiering, dem agrarpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, zum Geburtstag gratulieren. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner ist der Abgeordnete Wilhelm von Gottberg, AfD-Fraktion. ({0})

Wilhelm Gottberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004730, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Ministerin Klöckner! Meine Damen und Herren! Der hier debattierte Gesetzentwurf betrifft das Agrarmarktstrukturgesetz von 1969. Ursprünglich enthielt dieses Gesetz 14 Vorschriften. Derzeit sind es noch 11 überschaubare Vorschriften, vom Umfang her durchaus unternehmer- und bürgerfreundlich. Aufgrund der EU-Vorgaben muss Deutschland nun bis zum 1. Mai die UTP-Richtlinie bezüglich unlauterer Handelspraktiken in nationales Recht umsetzen. Das soll durch eine Einfügung in das Agrarmarktstrukturgesetz erfolgen. Ziel der Richtlinie ist es, den finanziellen Druck auf die Landwirte und andere Lebensmittelerzeuger durch stärkere Regulierung der unlauteren Handelspraktiken zu senken. Die Mitgliedstaaten können nationale Vorschriften zu unlauteren Handelspraktiken, die über diese Richtlinie hinausgehen, ersatzlos streichen oder beibehalten. Das Verbot der unlauteren Handelspraktiken – in der sogenannten schwarzen Liste der UTP-Richtlinie aufgelistet – ändert nichts an dem strukturellen Verhandlungsungleichgewicht und der schwachen Verhandlungsposition der Landwirtschaft gegenüber der Ernährungsindustrie und dem Handel. ({0}) Ganz im Gegenteil: Der Preisdruck auf die deutschen Bauern wird sich wahrscheinlich noch erhöhen. Denn der Handel wird die Kosten, die ihm durch das höhere Risiko entstehen, durch noch härtere Preisforderungen kompensieren. Die Unternehmen der Ernährungsindustrie werden sich darauf einlassen müssen und den Preisdruck an das Ende der Kette durchreichen, nämlich zu den Bauern. Wenn man die Marktstellung der landwirtschaftlichen Betriebe stärken will, muss man auf der Angebotsseite das Angebot stärker bündeln. Das heißt, landwirtschaftliche Betriebe müssen sich verstärkt zu Erzeugerorganisationen zusammenschließen. Denn nur so sind sie von § 1 des Kartellgesetzes freigestellt und dürfen Preisabsprachen und Preisbindungen treffen. ({1}) Nur so haben die landwirtschaftlichen Betriebe eine echte Chance, auf Augenhöhe zu verhandeln. Das allein wird aber nicht ausreichen. Die deutsche Landwirtschaft kämpft seit Jahren mit ständig steigenden Produktionskosten. Schuld daran sind vor allem immer neue behördliche Auflagen. Es ist schlicht und ergreifend unfair, dass deutsche Bauern die höchsten Standards erfüllen müssen, gleichzeitig aber massenhaft Billiglebensmittel aus dem Ausland importiert werden können, die diese Standards nicht zu erfüllen brauchen. ({2}) Die UTP-Richtlinie sieht vor, dass in jedem Mitgliedstaat eine Durchsetzungsbehörde mit Ermittlungs- und Sanktionskompetenzen einschließlich Bußgeldern eingerichtet wird. Dafür schlagen wir das Bundeskartellamt vor. Es ist zu hoffen, dass dieser Punkt von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung realisiert wird und die UTP-Richtlinie vom Obst- und Gemüsesektor auch auf den Milch-, Fleisch- und Pflanzenproduktionssektor übertragen wird; denn nur so ist eine nachhaltige Gleichstellung von Landwirten mit dem Lebensmitteleinzelhandel möglich. Wir begrüßen, dass es zu dem Gesetzentwurf am 22. Februar eine Anhörung geben wird. Das wird die Erörterung des Entwurfs im Agrarausschuss erleichtern und insgesamt für mehr Klarheit sorgen. Danke. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

So, jetzt macht sich bereit die Kollegin Ursula Schulte von der SPD-Fraktion. – Bitte schön. ({0})

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was würden die Menschen auf der Straße wohl sagen, wenn wir sie zum Agrarmarktstrukturgesetz oder zur UTP-Richtlinie befragen würden? Ich bin mir sicher, die allermeisten könnten mit diesen Begriffen nichts anfangen. Dabei steckt in der UTP-Richtlinie richtig Musik; denn es geht um unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette. Ziel der Richtlinie ist es, die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Erzeugern und Lieferanten auf der einen und den Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen auf der anderen Seite zu verändern und mehr Augenhöhe herzustellen. Die von der Richtlinie definierten unlauteren Handelspraktiken sind aufgegliedert in die sogenannte schwarze Liste, die absolut unzulässige Handelspraktiken umfasst, und eine graue Liste mit Praktiken, die nur erlaubt sind, wenn die Handelspartner sie einvernehmlich vertraglich miteinander vereinbaren. Die Praktiken der schwarzen Liste – aber die der grauen Liste durchaus auch – haben mit dem ehrbaren Kaufmann, von dem so oft die Rede ist, nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({0}) Die EU-Richtlinie verbietet nur die Praktiken der schwarzen Liste. Sie verbietet sie vollkommen zu Recht; denn da geht es unter anderem um die Nutzung oder Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen des Lieferanten durch den Käufer und um vieles andere mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lange Zeit wollten Sie, Frau Ministerin, die UTP-Richtlinie nur eins zu eins umsetzen, ({1}) obwohl wir als Mitgliedstaat durchaus das Recht haben, über diese Richtlinie hinauszugehen und etwa auch Praktiken der grauen Liste zu verbieten. An der geplanten Umsetzung gab es natürlich Kritik, auch von unserer Seite. Warum? Auch die relativ unzulässigen Praktiken der grauen Liste gehen in der Regel zulasten des Lieferanten. Da hilft es auch nicht, wenn diese Praktiken scheinbar einvernehmlich miteinander vereinbart werden; denn die Vereinbarungen finden ja nicht auf Augenhöhe statt. Dafür ist die Macht einfach zu ungleich verteilt: 85 Prozent des Marktes beherrschen die Big Four. Es besteht also eine Abhängigkeit des Erzeugers von den großen Vier. Im Zweifelsfall werden also die Lieferanten den Praktiken zustimmen, ganz einfach, um ihre Existenz zu sichern. Sie, Frau Ministerin, haben auf die Kritik reagiert. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf sollen zwei weitere Praktiken der grauen Liste verboten werden, und das ist auch gut so. ({2}) Nach der Vorstellung des Gesetzentwurfs gab es empörten Protest der Vorstandsvorsitzenden von Aldi, Lidl, Edeka und Rewe; sie fühlten sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Ehrlich gesagt, ich verstehe diesen Protest nicht; denn, meine Damen und Herren, es geht schlicht und ergreifend um mehr Fairness und Augenhöhe auf dem Lebensmittelmarkt, darum, den landwirtschaftlichen Betrieben wieder eine Perspektive zu geben, Betrieben, die seit Jahren unter dem enormen Preiswettbewerb im Handel mit all seinen Auswüchsen leiden und die um ihre Existenz fürchten. Ich sage es klar: Wir wollen keine Handelspraktiken, die die Landwirte in die Knie zwingen; denn ein derartiges Geschäftsgebaren hat mit Wertschätzung für die Arbeit von Landwirten nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({3}) Konsequent wäre es deshalb, nicht nur zwei, sondern gleich alle Handelspraktiken, die auf der grauen Liste stehen, zu verbieten oder, um es mit den Worten der geschätzten Kollegin Connemann zu sagen: Aus Grau muss Schwarz werden … Ich möchte für Deutschland nur eine Liste – die schwarze Liste. – Zitate aus „topagrar“ vom 14. Januar. – „Klasse“, habe ich gedacht, „das wollen wir als SPD ja schon lange“. Wenn die Union uns jetzt in diesem Punkt unterstützt, dann kann uns niemand mehr daran hindern, genau das zu beschließen; denn, mal ehrlich: Unlauter ist unlauter, unzulässig ist unzulässig. ({4}) Für uns als SPD-Fraktion ist außerdem wichtig, dass eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet wird, an die sich von unfairen Handelspraktiken Betroffene wenden können. Wir halten diese Ombudsstelle für niedrigschwelliger und besser geeignet als die bisher vorgesehene Regelung, nach der die Durchsetzungsbehörde allein für Beschwerden zuständig sein sollte. Die Ombudsstelle sollte unabhängig von der BLE sein und auch offen sein für kleine Händler; denn auch die sind dem Druck der großen Zulieferer ausgeliefert. Die SPD-Fraktion hat zudem ein großes Interesse daran, dass Lebensmittel, insbesondere tierische Produkte, nicht unterhalb der Produktionskosten verkauft werden. Ich zitiere hier die Kanzlerin, weil ich ihre Auffassung vollkommen teile: Der Verkaufspreis darf nicht unter dem Erzeugerpreis liegen. Ich freue mich jetzt auf die Auseinandersetzung in den weiteren Beratungen, auch auf die Anhörung zu dem Thema, und hoffe, dass wir anschließend in dritter Lesung ein Gesetz miteinander verabschieden, das den Landwirten wirklich hilft. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat als Nächster das Wort der Kollege Dr. Gero Hocker. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Man hat, wenn man im Jahr 2021 auf Landwirtschaftspolitik in Deutschland schaut, manchmal den Eindruck, dass die Bundesregierung versucht, sich noch so eben bis September, bis zum Wahltermin, durchzuwurschteln. Bei diesem Thema hat man den Eindruck, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass Sie in puren Aktionismus verfallen, weil Sie bei der Umsetzung der UTP-Richtlinie derart über das Ziel hinausschießen. ({0}) Leidtragende davon – das werde ich Ihnen gleich erläutern – sind die Landwirte in Deutschland. ({1}) Viele, viele Existenzen im ländlichen Raum werden hierunter zu leiden haben. Meine Damen und Herren, natürlich ist es richtig, gegen unlautere Handelspraktiken vorzugehen. Es ist doch nicht erträglich, dass zum Beispiel Preisvereinbarungen nach Abschluss eines Vertrages noch einmal diskutiert werden oder dass der Abnehmer höhere Standards fordert. Aber jetzt tun Sie mir doch mal den Gefallen, das, was Sie hier vorgelegt haben, auch einmal zu Ende zu denken. Der Handel kauft international ein. Wenn Sie die Daumenschrauben zu fest anziehen, dann stammt das Obst in den deutschen Supermarktregalen künftig eben nicht mehr aus dem Alten Land, dann stammt das Schweinefleisch nicht mehr aus dem Emsland, sondern aus Spanien oder aus Südamerika. Das sind massive Wettbewerbsnachteile, die hiermit für die deutsche Landwirtschaft einhergehen können. ({2}) Sie schütten das Kind mit dem Bade aus und riskieren damit landwirtschaftliche Existenzen, meine Damen und Herren. ({3}) Wenn Sie wirklich einen Beitrag dazu leisten wollen, dass Landwirte mit einem breiteren Kreuz gegenüber dem Handel auftreten können, dann müssten Sie dreierlei tun, verehrte Frau Ministerin: Erstens. Setzen Sie sich endlich dafür ein, dass es innerhalb Europas zumindest eine Angleichung von Wettbewerbs- und Produktionsstandards gibt! Solange das nicht passiert, ist es innerhalb eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes nicht möglich, fairen Wettbewerb zu haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Zweitens. Orientieren Sie sich bei Ihren politischen Entscheidungen künftig bitte mehr an wissenschaftlichen Erkenntnissen als daran, was Ihnen vielleicht irgendwelche NGOs einflüstern, oder an dem, was vielleicht Ihr Bauchgefühl ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landwirtschaft hat eklatante Herausforderungen zu bewältigen. Wir haben die Situation, dass die Landwirtschaft einen Beitrag leisten muss im Kampf gegen den Klimawandel. Weltweit steht immer weniger Fläche zur Verfügung. Und wir haben eine explodierende Weltbevölkerung. Da zu glauben: „Wir machen einfach ein bisschen mehr Bio, das wird dann schon funktionieren“, das klappt nicht. Wir brauchen technologischen Fortschritt, Innovation, Kreativität und keine Fata Morgana von Landwirtschaft aus dem Jahre 1950, als nichts, aber auch gar nichts besser gewesen ist in der Landwirtschaft, ({4}) nicht das Tierwohl, und Boden, Luft und Wasser ebenfalls nicht. Deswegen: Hören Sie auf, solchen Vorstellungen nachzuhängen! Und mein letzter Punkt, meine Damen und Herren – das sage ich ausdrücklich gerade auch in einem Wahljahr –: Hören Sie bitte endlich auf, dem Verbraucher Honig um den Bart zu schmieren und es ihm durchgehen zu lassen, dass er immer höhere Standards bei der Produktion einfordert, aber nicht bereit ist, hierfür einen angemessenen Preis zu bezahlen. Das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ wird nicht funktionieren. Wenn Sie hier den Rücken gerade machen würden, dann bräuchten Sie nicht solche Scheingefechte zu führen, wie das bei diesem Gesetzesvorschlag der Fall ist. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Hocker. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es um die Umsetzung der UTP-Richtlinie der EU gegen unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelkette. Ministerin Klöckner wollte das zügig umsetzen, bis spätestens Ende 2020. Aber mit der ersten Lesung heute und der Anhörung Ende Februar wird die Frist zum 1. Mai gerade so noch erreicht. Ja, gründlich geht vor schnell. Aber wenn das Haus lichterloh brennt, sollte man wissen, woher man das Wasser kriegt. ({0}) Und in der Lebensmittelkette brennt es lichterloh, und zwar schon lange. Wieder fahren Trecker durch Berlin – für faire Erzeugerpreise –, übrigens Öko- und konventionelle Landwirtschaft gemeinsam. Ja, der Berufsstand hat zu lange stillgehalten. Aber die soziale Not ist eben unterdessen in vielen Agrarbetrieben Realität. Und sie hat Brandbeschleuniger: übermächtige Molkerei-, Schlacht- und Lebensmittelkonzerne. Das zu durchschauen, ist ja nun keine Raketenwissenschaft. Als Linke kritisiere ich seit Jahren die erpresserisch niedrigen Erzeugerpreise. Sie werden trotzdem nach wie vor billigend in Kauf genommen, und das ist unverantwortlich. ({1}) Es werden ja nicht mal die aktuellen Standards kostendeckend bezahlt, obwohl klar ist, dass sie ethisch bedenklich und für Boden, Wasser, Luft, Klima und biologische Vielfalt riskant sind. 12 Prozent der Agrarbetriebe haben laut Statistischem Bundesamt seit 2010 aufgegeben – nicht freiwillig. Dahinter stehen menschliche Existenzen und quasi eine Enteignung über den sogenannten freien Markt. Das ist schwer zu ertragen. Aber es wird eben auch mit unserer Ernährungssouveränität und unseren natürlichen Lebensbedingungen gepokert. Und das muss endlich aufhören. ({2}) Dabei geht es auch nicht nur um persönliches Fehlverhalten; es geht auch nicht nur um Marktversagen. Es ist hier ein System, das versagt, weil es eben nicht um Verantwortung gegenüber der Gesellschaft geht, sondern um Profit und Macht. Deshalb bestimmen doch vor allem Tönnies, Arla oder Supermarktketten, was in den Ställen oder auf dem Acker passiert. Für den Milchmarkt hat das selbst das Bundeskartellamt schon vor Jahren festgestellt. Und in der Pandemie sind die Erzeugerpreise sogar noch gesunken, während die Lebensmittelpreise gestiegen sind. Das ist doch absurd. ({3}) Statt über freiwillige Verhaltenskodizes zu fantasieren, gehören diese Konzerne endlich an die Kette. Das Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken ist ein erster Schritt. Ja, seine Lücken können wir im parlamentarischen Verfahren noch schließen. Aber das allein wird eben nicht reichen. Zum Beispiel muss Werbung mit Dumpingpreisen verboten und muss das Kartellrecht verschärft werden. Und wenn alles nicht hilft, müssen wir auch über Entflechtung reden. Das darf kein Tabu sein. Als Gesetzgeber dürfen wir nicht dulden, dass Agrarbetriebe vor allen Dingen für Konzerne und ihre Profite arbeiten. Und weil mit diesen Profiten auch noch Acker und ganze Agrarbetriebe gekauft werden, sage ich für Die Linke: Das hört jetzt auf! Danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Friedrich Ostendorff. ({0})

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während der vergangenen Treckerblockaden vor den Zentrallagern der LEH-Riesen übten auch einige Unionspolitiker und Unionspolitikerinnen scharfe Kritik am Handel. Mit diesem Gesetzentwurf heute bleiben Sie aber hinter ihren Ankündigungen zurück. Natürlich sind einige Regelungen in Ihrem Vorschlag gut und wichtig. Ministerin Klöckner sagt immer wieder, man müsse die gesamte Lebensmittelkette in die Verantwortung nehmen, will aber erstaunlicherweise die unsäglichen Praktiken wie Listungsgebühren, Werbekostenzuschüsse und all das, was es dort an Hochzeitsrabatten gibt, nicht verbieten. Etwas verwirrend für uns: Kollegin Connemann hingegen versprach den Bauern und Bäuerinnen, sie sei nur mit einer Überführung aller unfairen Praktiken in die schwarze Liste zufrieden. Sie will alles dort hineinbringen und die graue Liste abschaffen. Doch davon findet sich nichts in Ihrem Gesetzentwurf. Wie sollen wir das verstehen? Der Lebensmittelhandel darf weiter mit seinen oft unverschämten Listungsgebühren und Werbekosten bei ohnmächtigen Lieferanten abkassieren. Wir Grünen stehen Ihnen bei der Schwärzung der grauen Liste nicht im Weg. Nein, wir fordern sogar weitere unlautere Handelspraktiken auf der Verbotsliste; denn an den oft unfairen Machenschaften der Verarbeitungsindustrie geht die UTP-Richtlinie aktuell völlig vorbei. Dabei sind die Verarbeiter in der Regel die Hauptabnehmer landwirtschaftlicher Produkte. Gerade dort, in den Verträgen der Bauern und Bäuerinnen mit den Molkereien, Schlachthöfen und Mühlen, gibt es viele unfaire Geschäftsbeziehungen, die ihnen das Wasser bis zum Halse stehen lassen. Da müssen wir ran. ({0}) Schärfen Sie endlich nach, und unterstützen Sie die landwirtschaftlichen Betriebe. Die Probleme sind bekannt: die nachträgliche Festsetzung des Milchauszahlungspreises, unverschämt lange Kündigungsfristen – zwei Jahre – und Vertragslaufzeiten bei den Molkereien. Frau Klöckner, wieso setzen Sie im Agrarmarktstrukturgesetz nicht endlich Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung um? Das würde Ihnen doch die Möglichkeit geben, im Milchmarkt endlich wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Ist Ihnen die Lobby im Rücken wichtiger als Gerechtigkeit und faire Preise für unsere Bäuerinnen und Bauern? ({1}) Es ist ein Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Milcherzeuger ihre Milch seit Jahren nicht mehr kostendeckend absetzen. Wir fordern Sie auf, ein Verkaufsverbot von Lebensmitteln unter Erzeugungskosten zu prüfen, ähnlich wie es Spanien schon längst tut, damit Schluss damit ist, dass gute Produkte unter Wert verramscht werden. ({2}) Natürlich macht die UTP-Richtlinie keine höheren Preise, aber sie kann etwas mehr Augenhöhe schaffen. Ich bin gespannt, wie streng Sie den Handel am Ende dieses Prozesses in die Schranken weisen oder ob Sie am Ende doch lieber Wasser predigen, aber Lobbywein trinken. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Abgeordnete Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Pandemie hat uns alle fest im Griff. Das hat unter anderem zur Folge, dass zwei Dinge so oft geschoben wurden wie noch nie. Da sind zum einen zwischenmenschliche Treffen, zum anderen ist das der Schwarze Peter. Und nein, ich meine nicht unseren Wirtschaftsminister. Ich spreche davon, dass die Schuld für niedrige Erzeugerpreise munter hin und her geschoben wird. Die Landwirte schauen verächtlich auf den Lebensmitteleinzelhandel, dieser wäscht seine Hände in Unschuld und zeigt auf die Politik. Und die Politik selbst stellt klar, sie habe keinen Einfluss auf Angebot und Nachfrage und damit auf Marktpreise. Somit grüßt täglich das Murmeltier. Bei Tageslicht betrachtet ist es doch so, dass das Oligopol im Lebensmitteleinzelhandel seinen Ursprung in der Preissensibilität des Verbrauchers hat. Ohne dieses in der Tat sehr deutsche Phänomen dieser Geiz-ist-geil-Mentalität gäbe es diese Ungleichheit, gäbe es diese Asymmetrie der Marktkräfte doch gar nicht. Am Ende ist es der Verbraucher, der einen sehr großen Einfluss auf landwirtschaftliche Produktionsbedingungen nimmt. Orientiert er sich jedoch ausschließlich am Preis, hat das auch Einfluss auf die Handelspraktiken des Lebensmitteleinzelhandels. Die Umsetzung der UTP-Richtlinie in deutsches Recht setzt genau hier an. Vorweg sei jedoch gesagt, dass es eigentlich sehr traurig ist, dass wir ein solches Gesetz auf den Weg bringen müssen. Denn würde sich der Lebensmitteleinzelhandel wie ein ehrbarer Kaufmann verhalten, bräuchten wir diese Regelung überhaupt nicht. Aber der brutale Preiskampf unter den Discountern um mehr Marktanteile hat es leider mit sich gebracht, dass die Erzeuger unter die Räder kommen. Und deshalb müssen wir hier als Politik ordnend eingreifen. Julia Klöckner hat ja bereits hinreichend dargestellt, in welchen Situationen die Richtlinie greift. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz herzlich dafür bedanken, dass sie diese UTP-Richtlinie so schnell in nationales Recht umgesetzt hat. ({0}) Deutschland ist das erste EU-Mitgliedsland, das hier tätig wird und die Richtlinie in nationales Recht umsetzt. Dafür noch mal Danke. ({1}) Dennoch werden wir als Koalitionsfraktionen intensiv darüber beraten, ob es nicht sinnvoll sein kann, den sogenannten Anwendungsbereich zu erweitern, also dafür Sorge zu tragen, dass deutlich mehr Unternehmen in den Genuss dieses Schutzes vor unfairen Handelspraktiken kommen. Außerdem befassen wir uns noch einmal intensiv – das klang ja schon mehrfach an – mit der grauen Liste. Wir wollen hier für mehr Verbindlichkeit sorgen. Auch das unterstützt die Unionsfraktion. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass dieses Gesetz gegen unfaire Handelspraktiken ein Schwert im Kampf zwischen David und Goliath ist. Und wenn wir dieses Schwert im parlamentarischen Verfahren noch etwas schärfen können, tun wir David damit sicherlich einen Gefallen. Am Ende möchte ich noch eine kleine Bemerkung loswerden. Gero Hocker hat hier sehr deutlich geäußert, was er davon hält. Er hat viele Probleme beschrieben, aber nicht eine Lösung dargestellt. ({2}) Ich weiß, wie sich die FDP und auch Gero Hocker in diesen Tagen auf verschiedensten Demonstrationen zeigen. Jetzt wird hier mal was für Bauern getan, und dann zeigt die FDP ihr wahres Gesicht. Dafür solltet ihr euch schämen. Das hätte ich nicht von euch gedacht. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: der Kollege Rainer Spiering, SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin, ich habe eben mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass Sie sich massiv für ein Lieferkettengesetz aussprechen. Dazu herzlichen Glückwunsch! Ich denke, die Union wird Ihnen jetzt an dieser Stelle folgen; denn das Plädoyer, das Sie geführt haben, war ein eindeutiges Plädoyer für ein Lieferkettengesetz. ({0}) Die SPD wird sich glücklich schätzen, wenn die Union diesem Vorschlag folgt. Frau Ministerin, eine weitere Anmerkung. Ja, man kann natürlich Sigmar Gabriel im Nachhinein gut bekritteln – dafür mag es auch Gründe geben –; aber wenn Sie behaupten, er hätte Marktkonzentration befördert, während Sie selbst als Ministerin die Konzentration in der Tierhaltung in Deutschland befördern, dann sollten Sie mal die neutrale Brille aufsetzen und gucken: Was mache ich, und was haben andere gemacht? Ich glaube, dann kommen wir auch zu einem vernünftigen Ergebnis. ({1}) Die Frage der wissenschaftlichen Erkenntnisse treibt mich schon seit langer Zeit um. Ich danke Ursula Schulte ausdrücklich dafür, dass sie unsere Haltung zur UTP-Richtlinie gut und klar dargestellt hat. Für mich persönlich ist die Ombudsstelle eine ganz wichtige Stelle, weil man von da aus regulieren kann, und zwar ohne gleich Gerichte in Anspruch zu nehmen. Aber ich möchte doch Wissenschaft zur Kenntnis nehmen. Es gab wieder einen „Zeit Online“-Artikel. Darin ist der jetzige Chef des Wissenschaftlichen Beirates zu Wort gekommen. „Kurz nach der Wiedervereinigung war Deutschland ein Nettoimporteur von Schweinefleisch.“ Heute ist Deutschland nach den USA und Spanien der drittgrößte Exporteur der Welt. Das hat Folgen. Er sagt: Ja, man kann Aldi und Co Vorwürfe machen, aber vom Klima und vom Wetter, von Getreideernten, vom Wechselkurs und von dem, was politische Entscheidungen des Auslands machen, sind die Entscheidungsdrücke viel höher. Ich habe einen „Zeit Online“-Artikel zu dem Schicksal eines Landwirts in Österreich gelesen, der an seinem eigenen Handeln gescheitert ist und dann Suizid begangen hat. Das ist mir echt an die Nieren gegangen. Es ist seine Entscheidung als Bioproduzent gewesen, in den Weltmarkt zu gehen. Deswegen lautet mein dringendes Petitum: Hört mit diesem Wahnsinn auf, Exportweltmeister beim Schweinefleisch zu sein! Hört damit auf! ({2}) Geht zurück in die regionale Erzeugung! Geht mit uns mit, Krippen, Kitas, Schulen, Mensen mit Geld so auszustatten, dass sie regionale Produkte bezahlen können! Geht mit uns gemeinsam diesen Weg, um die Kreislaufwirtschaft in unserem Land in Gang zu bringen, um den Bäuerinnen und Bauern wieder die Nähe zu den Menschen vor Ort zu geben, ihnen die Anerkennung und vor allen Dingen auch das Geld zu geben, um ihre Höfe erhalten zu können! Diese Exportwirtschaft in der deutschen Schweinehaltung macht die deutsche Landwirtschaft kaputt, und das tut mir bitter, bitter leid. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Matthias Heider, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Lebensmittelmarkt, der Einzelhandel, ist einer der am stärksten umkämpften Märkte in unserem Land. Ich bin Ihnen, Frau Ministerin, liebe Frau Klöckner, ganz dankbar, dass Sie noch mal deutlich gemacht haben: Wenn sich vier Unternehmen 85 Prozent des Marktes teilen, dann muss man auf die Einhaltung der Spielregeln aufpassen. Lieber Herr Kollege Spiering, ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, dass es Ihr Minister gewesen ist, der dem größten Marktteilnehmer vor einigen Jahren seinen Marktanteil noch mal vergrößert hat. ({0}) Das war übrigens der Anlass dafür, dass unsere beiden Fraktionen das Ministererlaubnisverfahren im Wettbewerbsrecht noch einmal neu geregelt haben und mit Funktionen der Berichterstattung an den Deutschen Bundestag versehen haben, damit Exekutive eben nicht einfach das tut, was sie will, und etwas durchwinkt, sondern damit sich das der Kontrolle des Parlamentes nicht entzieht. Das haben wir auch jetzt in der Wettbewerbsrechtsnovelle noch einmal bestätigt. Das war eine gute Entscheidung für den Deutschen Bundestag, eine gute Entscheidung für den Wettbewerb. Meine Damen und Herren, wir haben es jetzt mit dem Kampf gegen unfaire Vertragspraktiken zu tun, die insbesondere den Lieferanten im Lebensmitteleinzelhandel große Sorgen machen. Diese starke Marktkonzentration drückt in Deutschland die Preise sogar unter das Preisniveau vieler Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Eine hohe Verkaufsstellendichte, der verstärkte Rückgriff des Einzelhandels auch auf Eigenmarken, die hohe Erwartungshaltung der deutschen Verbraucher an niedrige Preise: All das erhöht den Druck in den Preisverhandlungen zwischen Lieferanten und den Abnehmern. Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe ist es, auf die Spielregeln in diesen Preisverhandlungen zu achten. Der Bundesgerichtshof hat in seiner berühmten Entscheidung zu den Hochzeitsverhandlungspreisen gesagt, dass „hartes Verhandeln als immanentes Element funktionsfähigen Wettbewerbs“ auch für Unternehmen mit starker Marktstellung gilt. Das hat seine Grenzen jedoch da, wo es um Konditionen geht, die keiner sachlichen Rechtfertigung mehr zugänglich sind. Hier bringt dieses Gesetz Licht in das Dunkel der Preisverhandlungen in der Lieferkette. Es bringt Licht da, wo wir zulässige Vertragsklauseln haben, wo wir unfaire Vertragsklauseln haben und wo wir rechtswidrige haben. Eine solch strikte Unterscheidung müssen wir für alle Marktteilnehmer durchführen. Ich freue mich, dass die Bundesanstalt für Landwirtschaft jetzt mit dieser Aufsicht betraut wird; das ist eine Sonderzuständigkeit im Wettbewerbsrecht. Wir werden, wie ich glaube, schon bald eine ganze Reihe von Praktiken besichtigen können. Die müssen wir uns dann auch im Wege einer Rückschau auf das Gesetzgebungsverfahren hier noch einmal vornehmen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Matthias Heider. – Ich schließe die Aussprache.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das vergangene Jahr war das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Wir haben vorhin über Agrarpolitik gesprochen: drei Dürresommer in Folge. Die Erderwärmung liegt bereits 1,2 Grad über dem Niveau des vorindustriellen Zeitalters. Der UN-Generalsekretär hat Ende letzten Jahres noch einmal gesagt: Wir, die Weltgemeinschaft, müssen „den Krieg gegen die Natur … beenden“. Wir sind mitten in der Coronakrise; aber gleichzeitig findet die Klimakatastrophe statt. Wir müssen jetzt handeln und jetzt umdenken. ({0}) Das müssen wir in allen Sektoren tun, eben gerade auch bei dem Thema, das wir heute haben: beim Bauen. Der ökologische Fußabdruck von Gebäuden ist enorm und riesengroß, viel größer, als manche glauben, und leider auch viel größer, als manche von Ihnen hier im Deutschen Bundestag wissen oder auch glauben. 40 Prozent – 40 Prozent! – der indirekten und direkten CO2-Emissionen entstehen im Gebäudesektor: beim Bauen, beim Betreiben, aber auch beim Abriss von Gebäuden. 52 Prozent des Abfallaufkommens entstehen dabei. Es ist vollkommen klar: Ohne eine Bauwende ist die Klimakrise nicht zu stoppen. ({1}) Ich bin deswegen sehr froh, dass uns im Deutschen Bundestag eine Petition von Architects for Future erreicht hat, die nichts anderes einfordert, als dass wir Baupolitik endlich auch als Klimapolitik begreifen. Ich finde, hier sollten wir endlich unseren Job machen. ({2}) Wir Grüne bringen heute Anträge zur Wärmepolitik, zur Klimapolitik, zur Ressourcenpolitik, zur Planungspolitik und zur Baupolitik ein. Kurz gesagt: Es geht uns um eine Bauwende. Wir deklinieren durch, was in den nächsten zehn Jahren gemacht werden muss, um diesen Sektor endlich auf den Pariser Klimapfad zu bringen. Wenn ich in das vergangene Jahrzehnt schaue, in dem größtenteils Sie in der Großen Koalition die Verantwortung hatten, dann muss ich sagen: Das war ein vergeudetes Jahrzehnt für dieses Themenfeld. Bei der Bau- und Wärmewende sind wir nicht vorangekommen. ({3}) Ein Beispiel dafür – Herr Gremmels, Sie schütteln mit dem Kopf; aber das sehen Sie doch genauso –: Die Standards, die das Gebäudeenergiegesetz, das letztes Jahr hier beschlossen worden ist, vorsieht, sind nicht Paris-kompatibel. Das haben Herr Altmaier und die Große Koalition zu verantworten. Das ist ein Riesenfehler. ({4}) Oder schauen wir ins Bauministerium. Ich finde es skandalös, dass Herr Seehofer die Mantelverordnung, also die Verordnung, die regelt, wie Baustoffe in Deutschland recycelt werden, in diesen Tagen blockiert, und zwar rein aus bayerischen Lobbyinteressen heraus. Das können wir uns nicht länger leisten. ({5}) Das ist zukunftsvergessen und industriefeindlich, weil es die Kreislaufwirtschaft ausbremst. Wir haben kein technisches Problem bei der Umsetzung, sondern ein politisches. Das höchste Holzhaus der Welt steht leider nicht in Deutschland, sondern in Norwegen, weil es dort eine nationale Holzbaustrategie gibt. Bei der Wärmewende rennen wir Dänemark hinterher, weil wir nicht bereit sind, endlich mal darüber zu sprechen, wie wir mehr Erneuerbare in den Markt bringen können. Bei der Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden sind wir gesetzgeberisch noch meilenweit von dem Standard entfernt, den es in der Industrie schon seit 20 Jahren gibt. Ich finde, hier müssen wir als Politik endlich loslegen. ({6}) Es gibt die Idee, die Stadt von morgen aus nachwachsenden Rohstoffen zu errichten und damit als CO2-Senke zu betrachten. Damit können wir uns Stück für Stück aus der Klimakrise herausbauen. Holz, nachwachsende Rohstoffe oder Recyclingbaustoffe sind die Zukunft. Ich finde die Idee bestechend, und ich finde, wir sollten sie umsetzen. ({7}) Wenn Sie von der Union mir das nicht glauben, dann schauen Sie einfach nach Brüssel zu Ursula von der Leyen. ({8}) Die EU-Kommission bringt eine Renovation Wave auf den Weg, ein umfassendes Konzept, wie wir den Gebäudesektor in Zukunft CO2-frei gestalten sollen. Ich finde, Sie als Union sollten auf Ihre Parteikollegin hören, wenn Sie uns schon nicht trauen. Danke schön. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Christian Hirte. ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns dem Grunde nach einig: Der Bausektor gehört zu den besonders ressourcenintensiven Wirtschaftszweigen. Schon bei der Herstellung der Baumaterialien und beim Bau benötigt man große Stoffmengen. Schließlich entstehen dabei, wie auch bei der Sanierung und beim Abriss, große Abfallmengen. Für Wärme und Klimatisierung in Gebäuden wird in Deutschland etwa ein Drittel der Primärenergie eingesetzt. Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bau- und Gebäudesektor sind also zentrale Bausteine im Rahmen unserer Klimaziele. Uns liegen zu dieser Thematik nun drei Anträge der Grünen und ein Antrag der FDP vor. Da geht es etwa um das Recycling von Baustoffen. Wie sieht es denn zurzeit in Deutschland damit aus? Bau- und Abbruchabfälle unterliegen der Gewerbeabfallverordnung als Teil des geltenden Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Grundsatz ist das verpflichtende Getrennthalten der Abfälle und das Zuführen zum Recycling. Eine gemischte Sammlung ist heute nur zulässig, wenn die separate Erfassung technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Auf diese Weise können Böden, Bauschutt und Straßenaufbruch sowie einige weitere Bauabfallarten zu rund 90 Prozent im Stoffstromkreislauf gehalten werden. Das BMWi hat schon 2015 die Energieeffizienzstrategie Gebäude mit konkreten Ansatzpunkten der Beratung aufgelegt. Diese Strategie integriert die Handlungsfelder Strom, Wärme und Effizienztechnik. Damit schafft sie einen klaren Handlungsrahmen für einen besseren Energieeinsatz im Gebäudebereich. Das Bundesministerium des Innern hält Informationen über nachhaltiges Bauen des Bundes bereit und bietet konkrete Leitfäden an, die auch ständig aktualisiert werden. Wir sind da also schon auf dem richtigen Weg. Zwar werden vor allem im Straßenbau aufbereitete Baustoffe aus dem Abriss eingesetzt, aber nicht immer reicht die Produktqualität aus. Die Grenzwerte für Schadstoffe werden zunehmend schärfer. Boden- und Grundwasserschutz gehen vor. Solange aber die Fragen der Grenzwerte von Recyclingbaustoffen nicht geklärt sind, werden Bauherren und Baufirmen diese Stoffe nicht verwenden. Deswegen müssen wir uns hier darum kümmern. Ebenfalls unklar bleibt bei vielen Stoffen, ob sie überhaupt recycelbar sind. Bei der klassischen Gipskartonwand mag das noch einfach erscheinen. Bei anderen Stoffen ist der Wiederaufbereitungsaufwand aber so hoch, dass sich Recycling praktisch nicht lohnt. Es ist auch ein Irrglaube, dass recycelbare Baustoffe in einem immer fortwährenden Kreislauf den künftigen Bedarf zu 100 Prozent decken könnten. Wenn man sich zum Beispiel die Gipskartonwand noch mal anschaut: Auch hier muss dem recycelten Material ständig neuer Gips zugefügt werden. Wegen des Kohleausstiegs stehen uns aber die bisherigen Stoffströme nicht mehr zur Verfügung, und wir müssen künftig ausschließlich auf Naturgips zurückgreifen. Der Abbau dieser Ressource wird aber torpediert, wenn mit dem Hinweis auf den Naturschutz Vorkommen nicht erschlossen werden können – Gleiches gilt für Kiese und Sande –, und es kann ja nicht angehen, dass wir in solchen Bereichen auf ausländische Ressourcen zurückgreifen müssen. Den Grundsatz, mehr Baustoffe wiederzuverwerten, teile ich voll und ganz. Daher ist es auch zielführender, zunächst nach Bau- und Ersatzstoffen zu forschen, die von vornherein auf Wiederverwertung zu akzeptablen Preisen angelegt sind. Außerdem müssen wir die Abläufe beim Bauen stärker in den Blick nehmen. Dabei sind die Möglichkeiten des ressourcenschonenden Bauens vielfältig: Durch einen stärkeren Einsatz von Modularisierungskonzepten können Bauteile und Bauprodukte vielseitig eingesetzt und wiederverwendet werden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf unseren Koalitionsantrag „Innovativ, zukunftssicher und nachhaltig – Vorbild Bund – Das Bauen von Morgen heute fördern“. Dort sind wesentliche Punkte wie eine Holzbauoffensive – gerade angesprochen vom Kollegen Kühn – oder nachhaltiges Bauen bereits aufgegriffen. In den Anträgen der Grünen gibt es einige richtige Ansätze – das gilt übrigens auch für den Antrag zur Wärmewende –; es mangelt aber jeweils an einer praxistauglichen Berücksichtigung von Kosten- und Wirtschaftlichkeitserwägungen. ({0}) Nur wenn klimagerechtes Bauen und Sanieren mit vernünftigen Preisen einhergeht, können Wohnungen in ausreichender Zahl am Ende auch zu vernünftigen Mieten am Wohnungsmarkt angeboten werden. Ausreichende und bezahlbare Wohnungen schafft man jedenfalls nicht mit Regulierung. Diese Wohnungen müssen schlicht gebaut werden, vorzugsweise in privater Initiative. ({1}) Die historischen Erfahrungen gerade hier in Berlin zeigen doch, dass eine staatliche Zwangsbewirtschaftung nicht zu den gewünschten Erfolgen führt. Auch der aktuelle Mietendeckel zeigt, dass die Wohnungswirtschaft rückläufig ist und wir weniger Neubau haben. ({2}) Nach unserer Überzeugung sollte man Mietern vielmehr ermöglichen, Wohnungseigentum zu erwerben; denn der beste Schutz gegen Mieterhöhungen ist die eigene Immobilie. ({3}) Umwandlungsverbote für Mietwohnungen und Mietendeckel sind jedenfalls nicht die richtigen Instrumente zur Bekämpfung des Wohnungsmangels. ({4}) In den anstehenden parlamentarischen Beratungen zum Baulandmobilisierungsgesetz werden wir sicherlich auch darüber noch zu reden haben. Schließlich fordern die Grünen eine massive Ausweitung von staatlichen Förderungen und die Einführung des Drittelmodells. Dazu will ich sagen: Auch das können wir nicht machen mit einer Vereinbarung zulasten Dritter, nämlich des Steuerzahlers, der ja nicht irgendein abstrakter Dritter ist; vielmehr wären es am Ende die Bürgerinnen und Bürger, die für all diese Kosten aufzukommen hätten. ({5}) Meine Damen und Herren, am Ende muss man schauen, dass man die Klimaschutzpolitik und den Bürger so zusammenbringt, dass es auch vernünftig funktioniert. ({6}) Das bringen Ihre Anträge leider nicht. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Christian Hirte. – Der nächste Redner: für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Marc Bernhard. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 84 Prozent der Deutschen träumen von den eigenen vier Wänden, und Sie von den Grünen erklären das Traumhäuschen im Grünen nun zu einem Flächenvernichter, einem Baulandfresser und einem Ressourcenverschwender. Nachdem Sie begonnen haben, mit Ihrer grünen Politik den Menschen das Auto wegzunehmen, vergreifen Sie sich jetzt auch noch am Wohneigentum. ({0}) Denn die von Ihnen angestrebte Bauwende offenbart die Scheinheiligkeit und völlige Substanzlosigkeit Ihrer Politik. ({1}) Sie stören sich mal wieder an der Art, wie gebaut und geheizt wird: zu viel Zement, zu viele Steine, zu viel Stahl. ({2}) Stattdessen wollen Sie jetzt Baustoffe aus Hanf und Pilzen verwenden. So soll also aus Sicht der Grünen Deutschlands technologischer Fortschritt 2021 aussehen. Sie von den Grünen sollten wirklich aufhören, dieses Zeug zu rauchen, dann würden Sie vielleicht auch sinnvolle Anträge stellen. ({3}) Seit 20 Jahren kann Ihnen die Fassadendämmung gar nicht dick genug sein. Genau Sie haben uns dazu verdonnert, zu dämmen, bis der Arzt kommt. Fast 500 Milliarden Euro sind in Form von Styropor an die Häuser geklebt worden. Und mit welchem Effekt? Mit welchem Effekt denn? Mit dem einzigen Effekt, dass noch mehr CO2 in noch kürzerer Zeit in die Luft geblasen wurde, als wenn wir gar nichts gemacht hätten. Denn Ihnen selbst fällt ja jetzt auch plötzlich auf, dass die Herstellung der Dämmmaterialien nämlich mit einem massiven CO2-Ausstoß verbunden ist, und trotzdem wollen Sie in Ihrem Antrag das Niveau eines Effizienzhauses 40 als Standard festschreiben, um noch mehr Dämmmaterialien an die Hauswände kleben zu können. Die Idiotie der von Ihnen seit Jahren geforderten angeblich so klimafreundlichen Maßnahmen lässt sich durch ganz einfache Mathematik auch beweisen. ({4}) Denn selbst wenn man durch die Dämmung den Wärmeverlust unrealistischerweise auf null reduzieren könnte, würde die CO2-Bilanz für ein Einfamilienhaus immer noch so aussehen: 50 Tonnen CO2 entstehen allein bei der Herstellung des Dämmmaterials, und diesen 50 Tonnen steht eine lächerliche CO2-Einsparung von gerade mal einer einzigen Tonne CO2 pro Jahr gegenüber. Also haben wir bis heute 500 Milliarden Euro in Ihren Dämmwahn investiert und damit kein einziges – kein einziges! – Gramm CO2 eingespart. Während Sie hier ernsthaft darüber diskutieren, anstelle von Beton und Stahl mit Stroh und Pilzen zu bauen, setzen andere Nationen wie beispielsweise Indien alles daran, ihre Strohhäuser endlich durch Häuser aus Beton und Stahl zu ersetzen. Mit anderen Worten: Es interessiert den Rest der Welt nicht die Bohne, ob wir hier mit Pilz-, Stroh- oder Hanfbauweise arbeiten. Das Einzige, das jedoch mit Sicherheit erreicht wird, ist, dass die Bürger nur noch mehr fürs Bauen und Wohnen bezahlen müssen, genau das. ({5}) Und im Ergebnis, Herr Kühn, werden Sie von den Grünen sowieso zu dem Schluss kommen, dass das Wohnen in Höhlen am ökologischsten ist. ({6}) Ihre Bauwende ist nicht grün und auch nicht nachhaltig. Ihre Bauwende ist genauso wie die Energiewende und die Verkehrswende: teuer, nutzlos und umweltschädlich. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Klaus Mindrup. ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich geboren wurde, betrug der CO2-Gehalt in der Atmosphäre 318 ppm; heute liegen wir bei 415 ppm. Es ist vollkommen klar, dass diese Entwicklung gestoppt werden muss, weil sie viel zu gefährlich ist. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vollkommen klar: Wir müssen die planetaren Grenzen einhalten. Wir müssen deswegen unsere Art, zu leben, ändern, unsere Art, zu wirtschaften. Wenn wir das nicht tun, ist das Leben nicht mehr sicher. Wir haben hier schon oft über die Naturkatastrophen gesprochen. Früher hat man gesagt: Sicherheit im Wandel. Heute müssen wir sagen: Sicherheit gibt es nur durch einen Wandel. ({1}) Das ist auch der Hintergrund des Klimaschutzabkommens von Paris, das wirklich ein elementarer Fortschritt ist, und ich freue mich sehr, dass die US-Amerikaner mit dem Präsidenten Biden sofort wieder beigetreten sind. Das ist ein wichtiger Fortschritt, den wir hier auch feiern müssen. ({2}) Wir diskutieren heute Anträge der Kolleginnen und Kollegen von der FDP und den Grünen in erster Lesung. Die Kollegen der Grünen haben drei Anträge gestellt mit einem Baukasten von Vorschlägen. Da sind gute dabei; aber es sind auch nicht nachvollziehbare dabei. Was mich besonders irritiert hat, ist, dass Sie in dem Antrag „Faire Wärme“ davon ausgehen, dass wir das Klimaschutzziel 2030 definitiv verfehlen werden. Da muss ich sagen: Da haben Sie nicht verstanden, welche Gesetze wir hier im Bundestag beschlossen haben. Wir haben ein Klimaschutzgesetz beschlossen. Darin sind verbindliche Ziele enthalten, und die werden jedes Jahr überprüft. Wenn sie nicht eingehalten werden, müssen Sofortmaßnahmen kommen, um diese Ziele einzuhalten. ({3}) Und: Wir haben ein Sachverständigengremium eingesetzt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Von wo?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Aus der Fraktion Die Grünen.

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Lieber Klaus Mindrup, euer Klimaschutzgesetz, das sichert nicht, dass CO2-Emissionen eingespart werden. Es besagt nur, dass ihr euch etwas vorgenommen habt. Die Frage ist doch: Warum gehen die CO2-Emissionen seit Jahren, seit vielen, vielen Jahren, in genau diesem Gebäudesektor nicht runter? Warum geht der Anteil der erneuerbaren Energien für das Heizen nicht nach oben, seit vielen, vielen Jahren? Als Antwort darauf haben wir Vorschläge vorgelegt. Die könnten wir sofort umsetzen, und die wären zielgerichtet, und die würden dabei helfen, das Klimaschutzziel 2030 zu erreichen. Jetzt gerade hören wir hier, es sei ja noch gar nicht klar, ob man das 2030er-Ziel schafft oder nicht schafft. Wir haben eine EU-Zielverschärfung, die vor uns steht bzw. die schon beschlossen ist, und die bedeutet, dass man natürlich auch das nationale Ziel in Deutschland anpassen muss. Das wiederum bedeutet, dass mehr passieren muss als das, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, kurz und präzise.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– was diese GroKo in den letzten Jahren im Gebäudesektor hingekriegt hat. ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das waren jetzt im Kern drei Fragen. Kommen wir zu dem ersten Punkt: Wirkung des Klimaschutzgesetzes. Das werden wir zum ersten Mal in diesem Jahr sehen, wenn wir einen Bericht bekommen, wie die Emissionen im letzten Jahr waren. Wahrscheinlich erfüllen wir wegen der Coronapandemie die Ziele; also gibt es keine Sofortmaßnahmen. Aber es gibt auch den Bericht der Wissenschaftler und eine Debatte darüber, was wir hier tun müssen. Also: Das Klimaschutzgesetz wirkt; das werden wir hier ganz konkret sehen. ({0}) Der zweite Punkt ist, dass wir bei der Frage der CO2-Mengen eine Verkopplung haben zwischen dem Klimaschutzgesetz und dem Brennstoffemissionshandelsgesetz. Dort gibt es wie im europäischen Emissionshandel einen sogenannten Cap für die Emissionen aus fossilen Brennstoffen. Das wird wirksam ab 2027, und bis dahin greifen die Sofortmaßnahmen. Das ist ein unglaublich scharfes Schwert. ({1}) Dann kommen wir zum dritten Punkt, zu der Frage der Vergangenheit. Warum haben wir denn das Gebäudeenergiegesetz geschaffen? Warum haben wir das EEG geschaffen? Warum haben wir die Bedingungen für die Quartierslösungen verbessert? Warum haben wir die Bedingungen für die Solarenergie verbessert? Na, weil wir einen Handlungsbedarf gesehen haben! Und auch das fängt an, zu wirken. Das sehe ich daran, dass ich viele, viele unterstützende Schreiben aus der Solarenergiebranche erhalte. Vollkommen klar ist – ich glaube, jetzt habe ich die Fragen beantwortet –: Wir müssen natürlich noch mehr tun; deswegen stehen wir hier gemeinsam. Aber dann müssen wir auch über die Ziele reden. So. Und das Ziel im Klimaschutzgesetz ist Klimaneutralität. Bei der Wirtschaft ist es angekommen, weil die Unternehmen wissen: Es gibt kein Schlupfloch mehr. Wir müssen auf 100 Prozent erneuerbare Energien gehen, alle Emissionen vermeiden, die nicht prozessbedingt sind. Aber in Baden-Württemberg haben Sie das Ziel 90 Prozent. Das heißt, da gibt es noch diese Schlupflochdebatte. Und da sage ich: Da sind wir hier progressiver als das Land Baden-Württemberg, das von Ihnen und Ihrem Ministerpräsidenten geführt wird. ({2}) Jetzt kommen wir zu der Frage: Warum funktioniert es in bestimmten Bereichen nicht? Und da sehe ich bei Ihnen eine falsche Schwerpunktsetzung. Sie wollen KfW 55 im Altbaubestand. Jetzt wissen Sie, ich habe ein Hobby: Ich bin seit fast 20 Jahren im Aufsichtsrat einer Wohnungsbaugenossenschaft. Das Ziel können wir mal gerne konkret mit meinen Genossen diskutieren; denn uns gehören die Häuser, und wir sind gleichzeitig Mieter. Oder wir können das mit den Mieterinnen und Mietern in meinem Wahlkreis diskutieren. Das funktioniert nicht. Das Problem dabei ist, dass Sie den erneuerbaren Energien nicht vertrauen; wir müssen im Klimaschutz natürlich eine Mischung aus Effizienz und erneuerbaren Energien finden. Die erneuerbaren Energien werden immer billiger und besser. Es ist zu Recht Dänemark genannt worden. Den dänischen Weg wollen wir als SPD gehen – das ist der Quartiersansatz –; der ist sozialverträglich. ({3}) Da würde ich gerne mit Ihnen zusammenarbeiten, übrigens auch bei der Frage des Holzbaus. Die Chance des Holzbaus besteht darin, CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, dauerhaft zu binden. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Aber KfW 55 – das kann ich Ihnen sagen – ist nicht sozialverträglich. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Danke schön. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Es macht sich bereit der Abgeordnete Hagen Reinhold, FDP-Fraktion. – Bitte schön. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fasse erst mal zusammen: Mir fallen kaum Leute ein, die Ressourcen verschwenden wollen und mehr Ressourcen verbrauchen wollen. Ein Bauherr braucht keine dicken Wände und keine dicke Dämmung; er will für sein Geld ein optimales Haus, und zwar idealerweise zwischen den Wänden und nicht in den Wänden. Der Baubetrieb bestimmt auch nicht; denn wenn ich einen Vorteil gegenüber meinen Konkurrenten haben will, brauche ich nicht mehr Beton, sondern weniger Beton. Ich also auch nicht. Laut dieser Debatte die Politik auch nicht. Sie macht nur blöderweise Gesetze und Verordnungen, die dagegensprechen: mehr Dämmung, Sand können wir nicht mehr einbauen, wo wir wollen, müssen sogar abtransportieren, Gips holen wir bald aus Afrika, dazu kommen hohe Anforderungen. Was mir in der Debatte auffällt und was wir vermeiden müssen, ist, das Augenmerk auf ein Haus zu richten und zu sagen: Dieses Haus gucken wir uns jetzt in diesem Moment an. – Das macht nämlich keinen Sinn, auch wenn ein Weitwinkel eingesetzt wird; denn – das wollen wir Liberale – man muss den kompletten Zyklus von Gebäuden – Material, Rohstoffe, Erstellung, Abriss – betrachten, aber auch die Lebensdauer und was im Laufe dieser Zeit passiert. Und da sage ich ganz ehrlich: Ich bin ein Fan von Holz. Viergeschosser, als fünfte Etage einen Holztafelbau obendrauf gesetzt, ein Staffelgeschoss, ergibt 25 Prozent mehr Wohnraum in Ballungsräumen – geniale Sache. Aber eins weiß ich auch: Holz ist kein Baustoff, der ewig lange hält, und das gehört zur Ressourcenschonung dazu. ({0}) Gucken Sie sich das Kolosseum in Rom an! ({1}) Beim Kolosseum in Rom sind die Stangen für das Sonnensegel längst weg; der Rest steht. Warum? Weil es römischer Beton ist. Beton hält nämlich ewig und drei Tage. Allein aus Holz, Pilzen und Stroh mache ich keine Bauwände. Warum sage ich das? Jeder denkt jetzt mal nach und stellt sich die ältesten Gebäude in seiner Gemeinde vor. Das war früher ein Schloss, dann ein Hospital, dann war es eine Schule, dann hat ein Betrieb darin gearbeitet; jetzt sind es Wohnungen. Warum sage ich das? Unser Baurecht ist nicht flexibel genug, eine andere Nutzung von Gebäuden als geplant zu ermöglichen. Das verschwendet Ressourcen, das ist Unsinn! ({2}) Flexible Nutzung muss möglich sein. ({3}) Dazu kommt die Digitalisierung. Die BIM-Methodik hilft nicht nur beim Planen und Bauen, sondern kann zusätzlich Qualitäten von Rohstoffen erfassen. Wir wissen also: Was kommt für eine Reparatur auf uns zu? Was für ein Recycling ist möglich bei einem Gebäude? Damit habe ich einen echten Footprint vom Gebäude, und dann sage ich: Da sind 50 Prozent weniger Rohstoffe drin. – Dann heißt es zwar: „Oh scheiße, jetzt ist der Job in der Rohstoffindustrie weg“, aber ist auch okay. Wir übernehmen ja bald Verantwortung; dann habe ich was zu tun in Berlin. ({4}) Was braucht es wirklich für nachhaltiges Bauen? Es braucht die Ausnutzung aller digitalen Möglichkeiten, die Betrachtung des gesamten Gebäudezyklus über die Lebensdauer, flexibles Baurecht, kein GEG, das die Nutzung im Altbestand völlig unmöglich macht, einen echten ETS und Technologieoffenheit. Dann wird was aus ressourcenschonendem Bauen. Ich bin überzeugt: Wir schaffen das! Aber wir müssen wirklich die Nutzungsdauer von Gebäuden und das, was in dieser Zeit stattfindet, mit betrachten, und das passiert noch nicht. ({5}) Zum grünen Drittelmodell muss ich noch was sagen – dazu ist ein Antrag vorgelegt worden, in dem übrigens nicht nur Schlechtes steht, sondern auch Gutes, das uns vereint –: Sie haben es geschafft, in Ihrem Antrag in acht Punkten 16 Milliarden Euro aufzulisten, die der Staat ausgeben soll. Sie wollen also staatlich vorschreiben und glauben, dass Sie, wenn Sie dann sagen: „Wir verteilen die Kosten auf diese drei Leute“, die Leute animieren, was zu machen. Wem ich etwas aufdrücke, der macht nie freiwillig irgendwas. Wir haben ein besseres Modell. Die FDP sagt: Wir setzen eine Teilwarmmiete, also Miete und eine Grundwärme, als Anreiz und sagen: Lieber Vermieter, wenn du es schaffst, dein Gebäude effizient zu gestalten, dann behältst du die gleiche Miete, auch wenn du weniger Heizkosten hast; dann hast du was davon: Cash in de Täsch. – Und der Mieter, der trotzdem verbrauchsabhängig bezahlt, spart auch Nebenkosten und hat was davon. Anreizmodelle, bei denen die Menschen Lust haben, Energie zu sparen, ({6}) sind richtig und nicht Zwang, wie Sie das wollen. Daraus wird nichts werden. Ich danke Ihnen recht herzlich. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat die Abgeordnete Caren Lay, Fraktion Die Linke. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir heute über die Bauwende sprechen; denn das ist der ungehobene Schatz beim Klima- und beim Ressourcenschutz. ({0}) 30 Prozent der Treibhausgasemissionen, 40 Prozent des Endenergieverbrauches, 60 Prozent des Abfallaufkommens und sage und schreibe 90 Prozent des Rohstoffabbaus in Deutschland entstehen im Bau- und im Gebäudebereich. Allein der Baustoffkonzern HeidelbergCement stößt im Jahr weltweit so viele Treibhausgase aus wie die gesamte Landwirtschaft in Deutschland. Das ist ja wohl ein bisschen viel, und das belegt auch: Hier muss endlich mehr passieren. ({1}) Was macht die Bundesregierung? Zum einen setzt sie sich das Ziel, erst 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudesektor zu haben. Das ist zu spät! Die Klimaschutzziele im deutschen Gebäudesektor wurden im letzten Jahr verfehlt, und das Gebäudeenergiegesetz vom letzten Jahr hält an einem veralteten Standard fest. Hier muss endlich mehr kommen für eine zukunftsfähige, für eine ökologische Baubranche. ({2}) Das Wichtigste ist – das kann man einer neubaufixierten Politik nicht oft genug sagen –: Sanierung des Bestandes vor Neubau. Damit sparen wir Energie, schonen die Ressourcen und verhindern den Flächenfraß. ({3}) Was den Neubau anbelangt, so muss so schnell wie möglich auf einen klimaneutralen Neubau umgestellt werden, um die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten. ({4}) Die Förderpolitik sollte sich nach unserer Auffassung daran orientieren: je größer die Energieeinsparung, desto höher die Förderung. Meine Damen und Herren, ein Punkt ist uns als Linke sehr wichtig, und der ist heute wirklich viel zu kurz gekommen: Ja, die Bauwende muss kommen, aber sie muss auch sozial sein, um zu gelingen! ({5}) Die Kosten für Sanierung und für nachhaltiges Bauen dürfen nicht alleine auf Mieterinnen und Mieter abgewälzt werden. ({6}) Nach wie vor überhilft die Modernisierungsumlage zum Beispiel die Kosten für die Sanierung alleine Mieterinnen und Mieter. Das ist ungerecht! ({7}) Deswegen wollen wir sie auch – im Gegensatz zu den Grünen – komplett abschaffen. Wir brauchen stattdessen ein ambitioniertes Förderprogramm von mindestens 5 Milliarden Euro, damit die Kosten gerecht verteilt werden. ({8}) Meine Damen und Herren, einen letzten Punkt möchte ich in dieser Debatte noch ansprechen. Bereits seit Jahresbeginn gibt es die CO2-Bepreisung auf Wärmeenergie. Diese Preise können nach jetzigem Stand auf Mieterinnen und Mieter umgelegt werden und werden es dann vermutlich auch. Das ist weder ökologisch noch sozial gerecht. ({9}) Deswegen fordern wir gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund: Der CO2-Preis muss von Vermieterinnen und Vermietern getragen werden. Nur so entfaltet er eine Lenkungswirkung. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Es macht sich bereit der Kollege Michael Kießling, CDU/CSU-Fraktion, und er hat das Wort. Bitte schön. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen vor großen gesellschaftspolitischen und klimapolitischen Herausforderungen; das ist, glaube ich, uns allen klar. Es geht um lebenswertes Leben in der Stadt und im ländlichen Raum; es geht um energetische Sanierung, und es geht auch um bezahlbares Bauen und Wohnen. Und dafür müssen wir gemeinsam Lösungen finden, alle, die am Bauprozess beteiligt sind; aber wir müssen für Eigentümer, Vermieter und Mieter eine Lösung finden, die auch bezahlbar ist. Die Grünen schaffen es mit einem Antrag von sieben Seiten, eine Bauwende herbeizuführen. Wenn man sich diese sieben Seiten anschaut, dann sieht man: Das ist eine Sammlung von Ideen, ohne die ökonomischen Folgewirkungen zu betrachten. Richtig ist – das haben wir heute oft genug gehört –, dass die Bauwirtschaft einen großen CO2-Footprint und hohen Ressourcenverbrauch nach sich zieht. Das löst bei den Grünen den typischen Effekt aus, mit Verboten und Quoten zu handeln. ({0}) Meine Damen und Herren, dadurch werden wir es nicht schaffen, nachhaltig, bezahlbar und wirkungsvoll Veränderungen zu erzielen. Sie werden einzig Ihrem Ruf gerecht, indem Sie mit Ihrem typischen Handeln verbieten, bevormunden und moralisieren. Meine Damen und Herren, wenn wir wirklich Veränderungen herbeiführen wollen, dann müssen wir alle Aspekte der Bauwende – so wie Sie es nennen – betrachten, auch die Gesamtkosten. Sie bieten zwar in einem weiteren Antrag für die Finanzierung das Drittelmodell an, aber auch diese Kosten muss jemand tragen – das haben wir vorhin schon von meinem Kollegen gehört –; die trägt dann der Steuerzahler. Wir müssten natürlich schauen, wie wir die Lasten entsprechend verteilen. Nur, so setzen wir keinen Impuls für nachhaltiges und klimafreundliches Bauen. Wir haben schon geliefert – zusammen mit unserem Koalitionspartner – und haben zum Beispiel das Gebäudeenergiegesetz auf den Weg gebracht. Damit komme ich zum Antrag der FDP. Sie fordern eine technologieoffene Herangehensweise, um kosteneffizient zu sanieren oder zu bauen. Das haben wir im GEG schon umgesetzt, und zwar mit der Innovationsklausel – ({1}) wir mussten zwar etwas diskutieren, haben es aber dann doch geschafft –, mit der ein kostengünstiger Weg zwischen Gebäudeeffizienz und Einbindung erneuerbarer Energien möglich wird. Aber wir müssen mehr tun und haben auch schon einiges getan. Wir haben in dieser Legislaturperiode die steuerliche Förderung für die Sanierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht, die wir eingeführt haben, um Anreize zu schaffen. Wir haben die Förderung für effiziente Gebäude neu konzipiert. Und wir haben das KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ weiterentwickelt. Alle diese Maßnahmen stehen im Einklang mit den Kosten. Wir brauchen die Akzeptanz der Menschen vor Ort, die das letztendlich bezahlen müssen: Das ist der Eigentümer; das sind der Vermieter und der Mieter. Wir müssen auch darauf achten, dass Bauen und Wohnen, privat und gewerblich, bezahlbar bleiben. Zu dieser Wahrheit gehört leider, dass Bauen, wenn wir uns weiter so verhalten, teurer wird. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht, das Thema Digitalisierung voranzutreiben. Wir haben einen Antrag gestellt, um das BIM weiterzuentwickeln. Im Januar haben wir auf der Klausurtagung der CSU – einige werden es gelesen haben – den nächsten Schritt getan und neue Ansätze mit aufgenommen: Mithilfe von künstlicher Intelligenz wollen wir die Prozesseffektivität beim Bauen heben, aber auch die Lebensphase eines Bauwerks komplett betrachten. Uns ist es wichtig, dass wir nicht nur die Entstehungskosten, sondern auch die Nutzungsphase bis hin, ich sage mal, zum Recycling eines Bauwerks betrachten; das müssen wir in den Blick nehmen, und dabei können uns neue Technologien durchaus helfen. Deshalb fordern wir als CSU – das steht in unserem Papier –, dass wir ein KI-Cluster für das Bauwesen anstreben, in dem wir zentrale Akteure zusammenbringen. KI hilft nicht nur, Prozesse zu verbessern, sondern auch neue Baustoffe zu entwickeln, die wir dringend brauchen, um – wenn wir wollen – klimabewusst und nachhaltig neue Gebäude zu errichten, aber auch bestehende Gebäude zu sanieren. Frau Lay, Sie haben gesagt: Wir müssen bestehende Gebäude sanieren. – Ich war selber Bürgermeister. Wenn Sie anfangen, eine Schule umzubauen, dann kommt es schnell dazu, dass der Bestandsschutz aufgehoben ist. Sie müssen die Regelungen zum Thema „Brandschutz, Fluchtwegeplanung“ einhalten. Leider ist es momentan so, dass ein Neubau dann günstiger wäre, als den Bestand zu pflegen. Da müssen wir schauen: Wo sind unsere Ansprüche? Und wie können wir das effektiv, effizient, aber auch nachhaltig und sicher gestalten? So einfach können wir es uns hier leider nicht machen. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns technologieoffen Klimaschutz betreiben und so auch unsere Gebäude sanieren und neu bauen. Dazu gehören alle Baustoffe – am richtigen Ort, in der richtigen Verwendung. Wir brauchen Holz; wir brauchen Stahl; wir brauchen Beton; wir brauchen Ziegel. Diese Baustoffe müssen wir in vernünftiger Kombination zusammenbringen, sodass wir Gebäude für die Zukunft bauen, die nachhaltig und energieschonend bzw. energieneutral sind. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Michael Kießling. – Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wahlperiode neigt sich dem Ende entgegen, und wir können ein Fazit ziehen in der Frage: Wo stehen wir beim Thema Wohnen? Beim klimafreundlichen Wohnen für alle sind wir in dieser Wahlperiode einen weiteren Schritt vorangegangen. Es reicht noch nicht, aber die Richtung stimmt, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Wir haben hohe energetische Standards festgelegt, zum Beispiel im Gebäudeenergiegesetz. Hier haben wir ein modernes Ordnungsrecht geschaffen für kosteneffizienten Klimaschutz. ({1}) Wir haben im Gebäudeenergiegesetz sichergestellt, dass künftig der Quartiersansatz berücksichtigt wird: dass man nicht nur Gebäude einzeln betrachtet, sondern ganze Quartiere; das ist ein großer Schritt nach vorne. Und wir haben im Gebäudeenergiegesetz dafür gesorgt, dass Solarenergie berücksichtigt wird; auch das ist ein großer Schritt nach vorne. ({2}) Außerdem sagen wir: Die öffentliche Hand muss eine Vorbildfunktion einnehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren. – Das haben wir ordnungsrechtlich gemacht. Aber, liebe Grüne, es gibt nicht nur das Ordnungsrecht – es ist wichtig und richtig –; es gibt auch die Frage, wie wir finanzielle Anreize schaffen können, um Menschen zu animieren, mehr im und für den Bausektor zu tun. Da haben wir einiges erreicht. Die Förderprogramme wurden massiv aufgestockt. Das Fördervolumen wurde verdreifacht. Ein Beispiel: Wir haben die Gelder für die CO2-Gebäudesanierung im letzten Haushalt, über den Nachtragshaushalt, von 2 Milliarden auf 6 Milliarden Euro verdreifacht, und wir haben sie im Bundeshaushalt 2021 verstetigt: ({3}) 6 Milliarden Euro Bundesförderung für effiziente Gebäude, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das zeigt: Die Große Koalition hat den Gebäudesektor im Blick, und das ist gut so. ({4}) Ja, seit dem 1. Januar dieses Jahres werden Öl und Erdgas unattraktiver. Auch das ist richtig, weil wir mit der CO2-Bepreisung Anreize schaffen wollen, dass auch die Vermieter investieren in moderne Heizungen, in Energieeffizienz. Sie sind die Einzigen, die das tun können; das kann der Mieter nicht. Deswegen ist es richtig, dass der CO2-Preis von den Vermieterinnen und Vermietern getragen werden muss; denn nur sie haben es in der Hand, eine Wohnung energetisch zu sanieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Für die Mieterinnen und Mieter gibt es auch eine Entlastung. Seit dem 1. Januar haben wir die EEG-Umlage auf 6,5 Cent gesenkt. Ohne diese Maßnahme würde die EEG-Umlage heute bei 9,6 Cent liegen. Auch das zeigt, dass wir das im Blick haben. ({6}) Ausblick: Wir wollen eine ganzheitliche Betrachtung des Lebenszyklus haben. Wir müssen auch einen Schwerpunkt auf die graue Energie legen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir da im GEG mehr erreichen. Aber dort ist zumindest ein Forschungsauftrag verankert. ({7}) Das muss zeitnah besser werden; hier brauchen wir mehr. ({8}) Wir brauchen auch eine Weiterentwicklung des Energieausweises zum Ressourcenausweis. Dafür steht die SPD. ({9}) Wir – das sollen meine letzten Worte sein, Herr Präsident – sind sehr gespannt. Die Petition „Bauwende JETZT!“ hat ihr Quorum erfüllt. Sie gibt Rückenwind. Ich bin froh, dass ich als Berichterstatter im Petitionsausschuss mich um das Thema kümmern kann. Am 1. März 2021 haben wir diese Petition in öffentlicher Beratung. Sie wird uns Rückenwind geben, und sie wird all diejenigen unterstützen, die der Auffassung sind: Für ein effizientes, klimaneutrales Wohnen muss mehr getan werden. – Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Guten Abend, sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir führen das Jagdrecht in die Zukunft und schützen unseren Wald. Das, was wir heute beraten, ist somit die erste größere Novelle des Bundesjagdgesetzes seit 1976, also seit 45 Jahren. Nach so vielen Jahren wird es Zeit, eine Anpassung des Bundesjagdgesetzes vorzunehmen – für die heutige und für die zukünftige Zeit. Wir tragen damit den Bedürfnissen der Jägerinnen und Jäger Rechnung; sie sind im Übrigen wichtige Partner bei der Bekämpfung der Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest. Ebenso schaffen wir einen Ausgleich zwischen Jägern und Waldbesitzern. Unser Motto lautet „Wald und Wild“, „Wald mit Wild“; ({0}) wir wollen nicht das Gegeneinander von beidem. Dass dieser Ausgleich nicht einfach ist, da müssen wir gar nicht drum herumreden; denn es hat mehrere Legislaturperioden gedauert, bis so etwas in den Bundestag eingebracht worden ist. Diejenigen, die glauben, einen Kompromiss hinzubekommen, indem sie einer Seite nach dem Mund reden, irren. Beides zusammenzubekommen, heißt, einen Kompromiss zu schließen. Mit der Regelung zu Wild und Wald wird auch der nachhaltige Waldumbau flankiert. Mit der Neuregelung eines vernünftigen Ausgleichs zwischen Wald und Wild zeigen wir, dass die Wiederbewaldung und der Waldumbau gelingen können, wenn der Wildbestand angemessen angepasst ist – vor Ort, durch Absprache zwischen den Beteiligten. Die Eigenverantwortung unterstreichen wir durch die Einführung eines sogenannten Abschusskorridors und dadurch, dass wir zu einem Vegetationsgutachten noch ein Lebensraumgutachten hinzuziehen können. Das sind sinnvolle Instrumente. Wir haben auch weitere rechtliche Klarstellungen vorgenommen. Ich will klar sagen: Die Jägerinnen und Jäger sind nicht nur hier, sondern auch im Kampf gegen die ASP unsere sehr starken Partner. ({1}) Sie sind es – das will ich sehr klar sagen –, die gemeinsam mit den Förstern Wald und Wild hegen und pflegen. Mit diesem Gesetz schaffen wir eine Balance. Die Hegepflicht und das Gebot des Tierschutzes im Grundgesetz sind hinreichender Schutz dafür, dass Arten nicht so stark reduziert werden, dass sie in ihrem Bestand bedroht werden. Alles andere wäre auch absolut fatal. Wer davon redet, hier gehe es um die Ausrottung des Rehwildes, der macht Panik und wird dem Ziel einer Kompromissfindung nicht gerecht. ({2}) Deshalb sage ich auch: Ja, es ist wichtig, dass wir hier auch Weiteres beschlossen haben. Wir haben uns in dieser Vorlage auch das Thema „Nachtzieltechnik und Infrarotaufheller“ vorgenommen. Wir haben das Verbot unter klaren, strengen Auflagen bei der Jagd des Schwarzwildes aufgehoben. Warum? Weil wir die Jägerinnen und Jäger an unserer Seite brauchen bei der Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest. Wir gehen auch weiter, wenn es um die Frage der Bleimunition geht. Zur Bleimunition – auch das wissen die Fachleute – gibt es klare Untersuchungen. Nach diesen Untersuchungen – Stichwort: „Risikobewertung“ – ist nicht völlig auszuschließen, dass bei Extremverzehrern von Wildbret ein Risiko besteht; das ist das eine. Aber darüber hinaus ist auch der Bleieintrag in die Umwelt ein Problem, eine Belastung für die Umwelt. Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, den Verbraucherschutz und den Naturschutz zu stärken, aber gleichzeitig auch den Tierschutz sicherzustellen. Die Munition muss eine ausreichende, zielgerichtete Tötungswirkung haben, damit die Tiere nicht unnötig leiden müssen. ({3}) Was haben wir noch geregelt? Ein bundesweiter Schießübungsnachweis für Gesellschaftsjagden wird eingeführt. Wir vereinheitlichen die Jäger- und Falknerausbildung sowie ‑prüfung, da sich in den vergangenen 40 Jahren wirklich deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern herausgebildet haben. Wir modernisieren die Jägerausbildung. Wildbrethygiene und Lebensmittelsicherheit werden eine stärkere Rolle spielen – das ist im Übrigen auch im Interesse der Jägerinnen und Jäger –, ebenso wie die Fächer Waldbau und Wildschadensvermeidung. Dann: das Verbot des Kaufs und Verkaufs von Tellereisen aus Tierschutzgründen und das Verbot der Jagd an Wildquerungshilfen im Sinne des Natur- und Artenschutzes, das Verbot von fangbereiten Fallen für Greifvögel, mit Ausnahme für Falkner, im Sinne des Tier- und des Tierartenschutzes und eine ergänzende Regelung bei der Festlegung der Jagdzeiten. Der Bußgeldrahmen wird sich verändern. Die Jagdhaftpflichtversicherung wird sich verändern. Und es gibt auch eine einheitliche Regelung zum Schutz vor Wildverbiss. Das ist alles nicht einfach, aber wir haben es angepackt. Diejenigen, die sich einzelne Punkte rausnehmen und kritisieren, um ein Ganzes zu verhindern, die handeln unverantwortlich. Wir als Große Koalition handeln verantwortlich. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner ist der Abgeordnete Peter Felser, AfD-Fraktion. ({0})

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wäre der deutsche Wald ohne das in ihm heimische Wild, Hirsch, Sau, Fuchs und Reh? Beides gehört doch untrennbar zusammen: Wald und Wild. ({0}) Mit Verlaub und mit allem Respekt, Frau Ministerin: In Ihrem Entwurf steht das Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben. „Wald gegen Wild“ ist dort leider Ihr Leitmotiv. ({1}) – Doch. – Dieser Gesetzentwurf ist getrieben von Angst: Angst vor dem Klimawandel, Angst vor Wildschäden und vor allem Angst vor wirtschaftlichen Einbußen in der Forstwirtschaft. Schwarz-Rot fordert hier: Feuer frei auf Leittiere, also auch auf Muttertiere; ({2}) Feuer frei auf Tiere mit ungeborenem Nachwuchs; Feuer frei zu allen Tageszeiten, ({3}) zur Not sogar mit Nachtzielgeräten – Sie haben es gerade angesprochen –, ({4}) wie sie sonst nur von Soldaten im Krieg benutzt werden. ({5}) Das lehnen unsere Jäger ab, und das lehnen auch wir mit Nachdruck ab. ({6}) Lassen Sie uns sachlich darüber reden. ({7}) Wir von der AfD sind bekannt dafür, dass wir den Waldumbau mit sachlichen Argumenten voranbringen wollen. Sie haben es ja im Ausschuss auch mitbekommen: Wir gehen die Sache ganzheitlich an. Zum Beispiel fordern wir seit Langem eine Fokussierung auf die Verbesserung von forstlichem Saatgut. Wir müssen jetzt die Baumarten züchten und weiterzüchten, die unseren Wald auch noch in 30, 50 oder 80 Jahren stärken. Wir fordern immer wieder im Ausschuss oder in unseren Anträgen, endlich das Personal in den Forstämtern wieder aufzustocken. So gelingt Waldumbau! ({8}) Bei Ihnen hat man das Gefühl, dass hier einseitig die Forstpartie gegen die Jäger ausgespielt wird. Die Forstwirtschaft wird gegen die heimischen Wildtiere und gegen den Tierschutz ausgespielt. Zeile für Zeile sprechen aus Ihrem Entwurf das Weltbild der Lobbyverbände mit ihren Forderungen, die Profitgier und die rein wirtschaftlichen Aspekte heraus. Genau das ist der Inhalt Ihrer Gesetzesvorlage. Das ist ein Lobbygesetz und nichts anderes, liebe Kollegen. ({9}) Aus zwanzigjähriger Erfahrung als Jäger weiß ich, dass zum Schutz des Waldes und der Wildbestände Eingriffe nötig sind – das ist klar –, aber ich wehre mich mit Nachdruck dagegen, alle bisherigen Regeln ohne Not über den Haufen zu werfen. Das, was Sie vorschlagen, ist in der Praxis auch gar nicht möglich. Sie hätten einmal die Jäger und die Jagdverbände fragen sollen; aber die wurden erst gar nicht richtig eingebunden. ({10}) An dieser Stelle möchte ich mich für das Engagement unserer Jäger bedanken. Frau Ministerin, auf diese engagierten Frauen und Männer werden Sie bei der Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest noch dringend angewiesen sein. Mein aufrichtiger Dank geht an dieser Stelle an die deutschen Jäger. ({11}) Der Wald kann nicht von allein und ohne Schutzmaßnahmen wachsen. Jetzt haben Sie in der Vorlage auch noch den Begriff „Naturverjüngung“ gestrichen; der Wald soll sich nun nur noch selbst verjüngen. Wenn wir für den Waldumbau Douglasien, Eiben, Elsbeere und auch Ahorn pflanzen, dann geht das nicht ohne Schutzmaßnahmen. Das weiß jeder, der auch nur ein wenig im Wald oder mit dem Wald zu tun hat. Gerade bei den fremdländischen Baumarten brauchen wir weiterhin einen Verbissschutz. Sie können unser Schalenwild bekämpfen, wie Sie wollen: Das allerletzte Reh, das dann irgendwo noch übrig bleibt, wird Ihnen diese Bäume dann doch wieder verbeißen oder schälen. ({12}) Hören Sie endlich auf, das Reh als Schädling zu diffamieren! Hören Sie auf, unserem heimischen Wild die Schuld am Klimawandel zu geben! ({13}) Die Jagd, das Schießen ist doch nicht der einzige Aspekt, wenn wir über den Waldumbau sprechen. Diesen Irrsinn machen wir nicht mit. Liebe Kollegen, kehren Sie zurück zu einem Wald-Wild-Management, das nachhaltig ist, nachhaltig im wahrsten Sinne des Wortes. Kehren Sie zurück zu den ethischen Grundsätzen, die wir dem heimischen Wild schuldig sind. Wald mit Wild, das sind wir im 21. Jahrhundert der Natur, unserer Umwelt, unserer Heimat schuldig. Liebe Kollegen, kehren wir zurück zu dem Grundsatz „Den Schöpfer im Geschöpfe ehren“, wie es Hunderttausende Jäger in diesem Land gelernt und verinnerlicht haben. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Jetzt kommt die Kollegin Isabel Mackensen, SPD-Fraktion. ({0})

Isabel Mackensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004949, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der uns vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Änderung des Bundesjagdgesetzes, des Bundesnaturschutzgesetzes und des Waffengesetzes vor. Wir stehen beim Thema „Wald und Wild“ vor Zielkonflikten zwischen der Jägerschaft und den Waldbesitzenden; das ist schon angesprochen worden. Beiden Seiten geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Auf der einen Seite haben wir die Jägerschaft. Jägerinnen und Jäger erhalten Natur- und Lebensräume, sie regulieren die Wildbestände nachhaltig, tragen zur Verringerung der Wildschäden im Wald bei und sorgen für die Verkehrssicherung. Natürlich nicht zu vergessen: Sie stellen ein hochwertiges Nahrungsmittel bereit; denn beim Wildbret handelt es sich um ein saisonales, regionales und heimisches Naturprodukt, welches höchste ethische und tierschutzrechtliche Standards erfüllt. Und – es ist schon angesprochen worden – bei der Afrikanischen Schweinepest leistet die Jägerschaft unglaubliche Unterstützung, um – bis vor Kurzem – den Ausbruch zu verhindern und jetzt eben die Ausbreitung zu reduzieren. Dazu zählen die verstärkte Bejagung von Schwarzwild sowie die Fallwildsuche. ({0}) – Herr Busen, Sie können ja gleich noch – ich freue mich schon darauf – Ihren Antrag weiter vorstellen. Auf der anderen Seite haben wir die kommunalen und privaten Waldbesitzenden, die vor riesigen Herausforderungen stehen; denn der Klimawandel ist bereits da. Wir sehen ihn vor allem im Wald. Wir haben ein zweites Waldsterben infolge von Stürmen und Borkenkäferbefall sowie des dritten Trockenjahrs, das wir in den Wäldern jetzt sehen. Deshalb geht es nicht darum, dem Wild den Klimawandel unterzuschieben, zu sagen, es sei schuld; vielmehr sehen wir, dass der Klimawandel da ist. Wir müssen jetzt handeln. Damit wir dem Klimawandel begegnen können, damit wir einen Mischwaldbestand in den Wäldern aufbauen können, müssen wir junge Bäume nachwachsen lassen. ({1}) Das Problem bei diesem Nachwachsen ist, dass das Rehwild insbesondere von jungen Bäumen die Triebe frisst und die Rinde abschält, vor allem von denen, die selten im Revier vorkommen. Es ist aber für die Etablierung klimaresilienter Mischwälder neben der Naturverjüngung – Naturverjüngung heißt, dass der natürliche Nachwuchs durch Samen von umstehenden Bäumen erfolgt – besonders wichtig, dass wir die Pflanzen und die Aussaat von Mischbaumarten in den Wald miteinbringen; denn nur das schafft den klimaresilienten Wald. Und das muss im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen erfolgen. Es ist schon angesprochen worden, und es steht auch im Antrag der FDP: Es wäre natürlich wünschenswert, wenn wir das hinbekommen könnten mit Schutzmaßnahmen. Es ist aber aufgrund der riesiggroßen Schadfläche nicht zu finanzieren und nicht umsetzbar. Deshalb müssen wir jetzt über die Regelung der Abschussplanung gehen; das wurde schon vorgestellt. ({2}) Es ist vorgesehen, dass wir eine Vor-Ort-Regelung treffen, eine Absprache vor Ort zwischen den Beteiligten, den Jägerinnen und Jägern und den Waldbesitzenden. Diese sollen ein Vegetationsgutachten über die Verbisssituation erstellen, auf dessen Grundlage dann ein Mindest- und ein Höchstabschuss vereinbart werden. Wenn keine Einigung vor Ort stattfindet, wird die zuständige Behörde eingreifen und einen Abschussplan vorstellen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion wollen die Eigenverantwortung vor Ort stärken. Wir wollen, dass sich die Jägerschaft und die Waldbesitzenden auf Augenhöhe begegnen. Mit dem Gesetzentwurf werden die Verantwortlichen vor Ort in die Pflicht genommen, und der Bund soll lediglich den dafür notwendigen Rahmen vorgeben. Deshalb halten wir dieses Vorgehen auch für absolut sinnvoll. Weiterhin ist es auch wichtig – das unterstützen wir –, eine Lebensraumanalyse vor Ort anzufertigen, nicht nur, um festzustellen, wo das Wild zurückgedrängt werden kann, sondern auch, um zu gewährleisten, dass es einen Rückzugsort findet, der frei von Freizeitdruck ist und Äsungsflächen bietet. Denn das Wild ist kein Schädling; es gehört zum Wald und ist ein wichtiger Teil des komplexen Waldökosystems. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, stehen ganz klar für Wald und Wild. Im anstehenden parlamentarischen Prozess ist es unsere Aufgabe, einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden, ganz nach dem Motto: Miteinander statt gegeneinander. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Mackensen. – Der nächste Redner ist der Kollege Karlheinz Busen, FDP-Fraktion. ({0})

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wald mit Wild“ wird gepredigt, aber leider steht im Gesetzentwurf „Wald vor Wild“. Frau Ministerin, Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass durch Mindestabschussquoten für Rehwild und durch Vegetationsgutachten, welche durch die Forstbehörden erstellt werden, die Aufforstungen und Naturverjüngungen geschützt werden können. Der Waldumbau mit der Waffe muss insgesamt hinterfragt werden. Rehwild ist nur ein Faktor. Vergessen Sie nicht die Schäden durch Mäuse im Wald, ({0}) die massiv an Jungpflanzen nagen und sie vernichten. Statt also Jägerinnen und Jäger zu verpflichten, Rehwild in großen Mengen zu schießen, sollten mehr störungsfreie Ruhezonen geschaffen werden, gerade in unseren Staatswäldern. ({1}) Frau Ministerin, mit diesem Gesetzentwurf degradieren Sie die vielen ehrenamtlichen Jägerinnen und Jäger zu Erfüllungsgehilfen für die Waldwirtschaft. Statt Wald und Wild miteinander in Einklang zu bringen, treiben Sie einen Keil zwischen Jäger und Förster. Wir alle wissen: Die Jägerinnen und Jäger erledigen seit Jahren ihren Job; das zeigen auch die Wildstrecken. ({2}) Natürlich gibt es Verbiss in den Wäldern. Das hat natürlich auch mit Wildbeständen zu tun; aber vielmehr müssen die Verbesserung der Lebensräume und das Äsungsangebot im Vordergrund stehen. ({3}) Das bedeutet, dass wir auch über die Verhaltensregeln im Wald nachdenken müssen, um zu erreichen, dass Waldnutzer auf den Wegen und Pfaden bleiben und nicht das Wild ständig beunruhigen und vertreiben. Ich kenne gute Beispiele, wo Wald mit Wild auch so funktioniert. Meine Damen und Herren, mit dem Erhalt eines gesunden und artenreichen Wildbestandes hat dieser Gesetzentwurf wenig zu tun. Die Hegepflicht wird hier entkernt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, Frau Ministerin, sind dabei ebenfalls nicht zu unterschätzen. Statt mildere Maßnahmen zum Schutz der Wälder zu fördern, sollen Wildtiere in großer Zahl erlegt werden. Das aktuelle Bundesjagdgesetz bietet bereits Maßnahmen zur Verminderung von Wildschäden, und das reicht auch völlig aus. Was im Gesetzentwurf nach Vereinbarungen auf Augenhöhe aussieht, ist in Wahrheit also genau das Gegenteil: Die Jägerschaft hat im Zweifel dann das zu tun, was die Forstbehörden vorgeben. – Genauso wie der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ist aber auch der Schutz der Tiere in Artikel 20a des Grundgesetzes Staatsziel in unserer Verfassung. Wir begrüßen allerdings in Ihrem Gesetzentwurf die einheitliche Jagdausbildung. Die ist längst überfällig, und das wollen wir auch mittragen. Wir stimmen dem Antrag auf Überweisung zu. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke, hat als Nächstes das Wort. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht in der Debatte um das Ziel, zu hohe Wildbestände deutlich zu reduzieren – und das mit jagdlichen Mitteln. Ja, in vielen Regionen sind Wildbestände leider so hoch, dass junge Bäume den Schutz von Zäunen brauchen. Das ist teuer und zerschneidet Lebensräume – hat also Nachteile. Diese jungen Bäume werden aber dringend gebraucht: nicht nur für den Waldumbau, der schneller gehen muss, sondern leider unterdessen auch für den Ersatz in Wäldern mit Sturm- oder Dürreschäden. Zum Glück gibt es einen Konsens in der Gesellschaft und auch hier im Bundestag, nämlich dass wir unseren Kindern gesunde und zukunftsfähige Wälder hinterlassen müssen. ({0}) Gerade unserem Land wird ja auch ein geradezu mystisches Verhältnis zum Wald nachgesagt, was es übrigens umso absurder macht, dass noch immer Wälder für Tagebaue oder Autobahnen gerodet werden. ({1}) Es ist unstrittig, dass Wildbestände vielerorts reduziert werden müssen. Dabei geht es auch nicht nur um Forstinteressen. Als Veterinär-Epidemiologin warne ich seit vielen Jahren vor dem hohen Risiko historisch hoher Schwarzwildbestände im Zusammenhang mit Afrikanischer Schweinepest. Gleichzeitig sind die Ursachen hoher Wildbestände aber sehr vielfältig. Gerade als Tierärztin muss ich vor dem ganzen großen Halali trotzdem daran erinnern: Auch Wildtiere sind Lebewesen, und sie gehören zum Ökosystem Wald. ({2}) Sie dürfen nicht auf Forstschädlinge reduziert werden! Also nicht Wald vor Wild – das ist hier schon mehrfach gesagt worden –, sondern Wald und bzw. mit Wild; darum geht es. Die Zweifel, ob die Neuregelungen erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sind, müssen wir deshalb – aus meiner Sicht jedenfalls – in der Anhörung noch mal sehr ernsthaft diskutieren. Es gibt aber sehr gute Beispiele, wie Wald mit Wild gelingen kann. Von diesen Erfahrungen müssen wir dringend lernen. Das Ziel ist klar: Waldumbau und Wiederaufforstung müssen erfolgreich sein, und zwar möglichst ohne Zäune. Ja, dazu werden standortangepasste Wilddichten gebraucht, und kluge Jagdkonzepte gehören unbedingt dazu. Gelingen kann das aber nur in enger Zusammenarbeit vor Ort: zwischen Landbesitzenden, der Land- und Forstwirtschaft, der Jägerschaft und den Behörden. Die Debatte wäre aus meiner Sicht sehr viel leichter, wenn es ein gesellschaftlich anerkanntes Leitbild Jagd gäbe. Denn bei der Frage nach der Aufgabe von Jagd und ihren erlaubten Handlungsspielräumen ist ein sehr, sehr breites Meinungsspektrum festzustellen. In der Waldstrategie 2020 hatte die damalige Bundesministerin Frau Aigner ein solches Leitbild Jagd angekündigt. Das war sehr mutig, und ich war schon sehr neugierig auf die sicherlich sehr spannungsgeladene Debatte; nur hat sie eben nicht stattgefunden – leider. Aus linker Sicht muss Jagd als Gemeinwohlaufgabe im Ökosystem Wald definiert werden. ({3}) Und: Jagdausübung darf kein Privileg elitärer Geldbeutel sein, sondern muss auf der Leidenschaft für einen gesunden, standortangepassten Wildbestand beruhen. Außerdem wird zur Konfliktlösung mehr Jagd- und Wildforschung gebraucht, genauso wie gut ausgebildetes und gut bezahltes Personal im Wald. Nur allein mehr Jagd wird das Problem nicht lösen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Abgeordnete Harald Ebner. ({0})

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Laut Europäischer Chemikalienagentur gelangen EU-weit über Jagdmunition jedes Jahr 19 000 Tonnen Blei in die Umwelt. Das belastet Ökosysteme, wildlebende Arten und über Bleirückstände im Wildfleisch auch die menschliche Gesundheit. Deshalb muss diese andauernde Vergiftung endlich ein Ende haben! ({0}) Es gibt sichere, bleifreie Munition, die die Anforderungen erfüllt. Aber entgegen aller schönen Worte von Ministerin Klöckner traut sich die Bundesregierung nicht an das Thema ran. Sie verschleppen mit Ihrer Jagdgesetznovelle den Bleiausstieg auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Sie stellen das Ziel der Bleifreiheit nicht nur unter Wirtschaftlichkeitsvorbehalt und schaffen damit scheunentorgroße Schlupflöcher, sondern Sie sehen auch keine Aufbrauchfrist für alte Bleimunitionsbestände vor. Das heißt: Wer nicht umsteigen will, kann sich jetzt noch schnell mit Bleimunition eindecken, am besten mit einem Lebensvorrat, und dann jahrzehntelang weiter die Umwelt belasten. Frau Klöckner, das ist kein Bleiausstiegsgesetz, sondern eine Einladung für Bleimunitionshamsterkäufe. ({1}) Bleifrei ist aber nicht nur an der Zapfpistole, sondern auch in der Jagdwaffe möglich und vor allem überfällig. Ein zweiter Punkt wurde schon angesprochen: der Wald. Seit Jahren ist klar, dass Nadelholzmonokulturen in der Klimakrise keine Zukunft haben, weder ökologisch noch ökonomisch. Drei Dürrejahre in Folge haben das eklatant verdeutlicht. Ein zügiger Waldumbau hin zu naturnahen Mischwäldern mit mehr Laubbäumen ist nötiger denn je, um stabile Waldökosysteme zu erreichen. ({2}) Dabei sind wir auf so viel Naturverjüngung wie irgend möglich angewiesen. Auch um diese zu ermöglichen, muss die Jagd ihren Teil dazu beitragen, sodass alle standortheimischen Haupt- und Nebenbaumarten des Waldes ohne Schutzmaßnahmen wie Zäune aufwachsen können. Das heißt: angepasste Wilddichten im Rahmen eines modernen Wildtiermanagements, Kollege Busen. Aber genau das machen Sie eben nicht, Frau Klöckner! Vegetationsgutachten können aufzeigen, ob Wald- und Wildbestand im Gleichgewicht stehen oder ob gezielt mit Maßnahmen nachgesteuert werden muss. Dabei müssen auch Störfaktoren für das Wild und das landschaftliche Waldumfeld bedacht werden. Aber solche objektiven, faktenbasierten Analysen sind im Gesetzentwurf eben nicht verbindlich vorgesehen, und das Ausmaß des Problems bleibt dann allzu oft im Dunkeln. In jedem Fall kann besseres Wildtiermanagement nur zusammen mit den Nutzerinnen und Nutzern sowie Grundbesitzerinnen und ‑besitzern gelingen; deren Rolle ist zu stärken. Wir fordern, dass Sie den Gesetzentwurf in diesen Punkten nachschärfen. Danke schön. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Novelle zum Bundesjagdgesetz liegt auf dem Tisch. Die Inhalte wurden von der Frau Ministerin schon erwähnt: die Bleiminimierung in der Büchsenmunition, die Vereinheitlichung der Jäger- und Falknerprüfung, der Schießübungsnachweis bei Gesellschaftsjagden, die Definition, was eigentlich eine Gesellschaftsjagd ist, das Thema „Nachtzieltechnik für die Bejagung von Schwarzwild und invasiven Arten“, das Thema „überjagende Hunde“, die Erhöhung der Deckungssumme bei der Haftpflichtversicherung, die Unterstützung beim Schutz der Waldverjüngung und noch mehrere Dinge – also sehr umfangreich. Allerdings, Herr Kollege Felser, steht das, was Sie hier vorgetragen haben, da alles nicht drin. ({0}) Da wäre es gut, Sie würden vielleicht mal Ihr Dokument prüfen; vielleicht haben Sie in einem falschen Dokument gelesen. ({1}) Einige dieser Punkte sollen bundesweit einheitlich geregelt werden und erhalten mit diesem Gesetz einen entsprechenden rechtlichen Rahmen; andere können nur vor Ort geregelt werden. Nicht erst seit der Pandemie haben die Menschen den Wald wieder für sich entdeckt. Das ist ja auch sehr erfreulich, diese Neuentdeckung der Natur durch den Menschen. Andererseits bringen natürlich Spaziergänger – ob jetzt mit oder ohne Hunde –, Wanderer, Pilzsammler, Mountainbiker und Geocacher im Wald viel Unruhe und auch gewaltige Herausforderungen mit sich. Das gilt zum einen für die Waldbauern; denn Sicherheitsmaßnahmen werden ignoriert und Holzfällarbeiten immer gefährlicher und schwieriger. Das gilt für die Jäger, die von Joggern selbst noch lange nach Einbruch der Dunkelheit im Wald berichten und deshalb kaum noch schießen können. Es gilt aber auch für das Wild; denn durch die zunehmende Beunruhigung steigt der Energiebedarf, und das Wild zieht sich immer mehr und mehr in den Wald zurück und frisst natürlich durch den gestiegenen Energiebedarf immer mehr Pflanzen ab. ({2}) Deshalb soll neben der Verjüngung der Vegetation künftig auch der Lebensraum des Wildes eine Rolle spielen. Der eigentliche Geist dieser Novelle setzt deshalb überhaupt nicht auf staatliche Vorgaben, sondern auf Vereinbarungen der Vertragspartner vor Ort. Lieber Herr Kollege Busen, der Mindestabschuss soll eigentlich gar nicht vom Staat festgesetzt werden, sondern erst dann, wenn die Vertragsparteien vor Ort zu keiner Verständigung kommen – dann muss es ja auch eine Lösung geben; dann muss es ja auch irgendwie weitergehen –, soll sich das Jagdamt der Sache annehmen und sich darum kümmern. Solange die Vertragspartner vor Ort zu einer Lösung kommen und diese auch plausibel ist, ist das überhaupt nicht notwendig. ({3}) Das betrifft nicht nur die Höhe der Abschusszahlen, sondern auch die Schwerpunktbejagung auf Verjüngungsflächen, Wildlenkungen mithilfe von Äsungsflächen, Wildruhezonen und damit auch die Lenkung menschlicher Freizeitaktivitäten. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Carsten Träger. ({0})

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie oft haben wir an dieser Stelle über die Klimakrise und ihre Folgen debattiert! Wie oft haben wir an dieser Stelle über die genauso bedrohliche Krise des Rückgangs der Artenvielfalt in Deutschland debattiert! Deswegen ist es gut, dass wir heute über die Novelle des Bundesjagdgesetzes debattieren; denn sie leistet einen wertvollen Beitrag, um beiden Krisen zu begegnen. Sie leistet einen Beitrag zum Naturschutz in unseren Wäldern. Kolleginnen und Kollegen, der Wald braucht unsere Hilfe, und deshalb haben wir vor wenigen Wochen hier den Weg freigemacht, um 500 Millionen Euro in die nachhaltige Waldbewirtschaftung fließen zu lassen. Deswegen müssen wir jetzt auch B sagen und den Weg für die Aufzucht von klimaresilienten Baumarten freimachen. Uns muss bewusst sein, dass gesunde Mischwälder nicht nur ein wichtiger CO2-Speicher sind. Sie sind auch ein wichtiger Rückzugsraum für die unterschiedlichsten Arten im Wald. Sie sind die Trutzburg der Artenvielfalt, und wir schützen, wenn wir sie schützen, auch unsere Lebensgrundlagen. Damit wir unsere Wälder nun auch klimaresilient aufforsten können, enthält diese Novellierung auch Regelungen zur Anpassung von Rehwildbeständen. Ich halte den Abschusskorridor mit einer Ober- und einer Untergrenze, die von den Fachleuten vor Ort vereinbart wird, für einen gangbaren Kompromiss, in dem sich sowohl die Jäger als auch die Waldbesitzer wiederfinden können. Die Rehwildbestände können so auf ein waldverträgliches Maß angepasst werden, und das Ökosystem mit gesunden Wildbeständen bleibt im Gleichgewicht. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, funktioniert eine zukunftsfähige Waldbewirtschaftung. ({0}) Zu guter Letzt begrüße ich sehr, dass wir im Rahmen dieser Novelle – es ist schon gesagt worden – eine ganze Reihe von anderen Themen anpacken werden. Ich möchte noch darauf eingehen, dass wir nun bleifreie Alternativen zur Büchsenmunition fordern; denn die Folgeschäden von bleihaltiger Munition sind enorm – nicht zuletzt für die kleineren Tiere im Wald und die Vögel, die das verschossene Schrot mit der Nahrung aufnehmen und dann an diesem Gift elendig zugrunde gehen. Deswegen sind eine Reduzierung der Bleiabgabe, aber auch die Forschung mit dem Ziel einer verbesserter Tötungswirkung für mich wichtige Gründe für eine Neuregelung. Die Novelle des Bundesjagdgesetzes ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Klima-, Natur- und Umweltschutz, und deswegen glaube ich, dass wir gute Beratungen haben werden. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Das letzte Wort am heutigen Tag ({0}) hat der Kollege Artur Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Jagdrecht ist schon seit Generationen Teil des Eigentumsrechtes; das muss man hier auch mal erwähnen. Teil des Eigentumsrechtes heißt: Jeder Waldbesitzer und jeder Landwirt besitzt das Jagdrecht als Teil seines Eigentums. Und es werden Jäger beauftragt, die Jagd durchzuführen. In erster Linie ist es diesen beiden Parteien auferlegt, sich zu einigen, wie die Jagd aussehen und geregelt werden soll. Das funktioniert in sehr vielen Revieren in Deutschland, und das ist auch gut so, meine Damen und Herren. ({0}) Trotzdem gibt es in Bezug auf das Bundesjagdgesetz einen Regelungsbedarf. Wir haben im Koalitionsvertrag dazu vereinbart, dass wir das Thema Bleiminimierung angehen – auch vor dem Hintergrund des Tierschutzes durch Weiterentwicklung guter Munition – und dass wir auch – das ist mir besonders wichtig – das Thema Schießübungsnachweis, gerade für Gesellschaftsjagden, angehen; denn wer schon mal auf einen laufenden Keiler geschossen und ihn verfehlt hat, der weiß, dass es besser gewesen wäre, wenn er dies vorher im Schießkino schon einmal probiert hätte, um nicht unnötiges Tierleid hervorzurufen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, immer mehr junge Menschen legen die Jagdprüfung ab, und es freut mich ganz besonders, dass 25 Prozent der Jungjäger weiblich sind. Wir müssen zusehen, dass wir bundesweit eine einheitliche Jäger- und Fischerprüfung bekommen. Das wäre ein gutes Signal, weil sich diese Menschen draußen im Wald und auf dem Feld für Naturschutz und Biodiversität sowie für Hege und Pflege der Natur engagieren. Deshalb ist diese einheitliche Jägerprüfung wichtig. Wir wollen keinen Tourismus von Jägerprüfungsanwärtern, die vielleicht sogar im Ausland ihre Prüfung ablegen, sondern wir wollen hier eine einheitliche Vorgehensweise. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Jäger und die Jägerinnen haben sehr viele Aufgaben. Die Themen „Afrikanische Schweinepest“ und „Artenvielfalt und Naturschutz“ sind angesprochen worden. Wir haben vor Ort – insbesondere beim Miteinander von Jagd und Landwirtschaft – natürlich auch Schwierigkeiten; das wollen wir nicht in Abrede stellen. Im Rahmen der Gemeinsamen Agarpolitik haben wir aber auch entsprechende Instrumente geschaffen, zum Beispiel dass Schussschneisen angelegt werden und der Mais nicht bis zu den Waldrändern angepflanzt werden muss, sondern auch Alternativen angepflanzt werden können. Das alles ist in der Gemeinsamen Agrarpolitik bereits geregelt, und das sollten auch die Akteure vor Ort umsetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein Satz zum Waldumbau, wenn Sie erlauben, Herr Präsident. Es ist wichtig, dass wir einen Blick auf die Rehwildbestände werfen. Auch wenn es auf einer Fläche von 500 Hektar Wald vielleicht nur noch ein einziges Reh gibt, wird dieses Reh, wenn wir eine neue Baumart in den Wald einbringen bzw. anpflanzen – so ist meine Erfahrung –, diesen Baum finden. Es wird in diesem Fall also nicht ohne Schutz gehen, und deshalb müssen wir hier einen ausgewogenen Vorschlag machen. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Der Regierungsentwurf ist sehr gut, und es gilt das alte parlamentarische Gesetz: So wie ein Gesetz eingebracht wird, wird es diesen Bundestag nicht verlassen. ({1}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, freue mich auf die Beratungen, und zum Schluss dieser Debatte noch ein Waidmannsheil an alle. Danke schön. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Artur Auernhammer. – Ich schließe die Aussprache.