Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns seit Monaten in einer permanenten Ausnahmesituation. Vor fast genau einem Jahr, am 27. Januar 2020, wurde der erste Coronafall in Deutschland gemeldet. Kurze Zeit danach, Anfang Februar, haben wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mehr als 100 deutsche Reiserückkehrer aus Wuhan zentral unter Quarantäne gestellt, in einer Bundeswehrkaserne im pfälzischen Germersheim. Wir haben die Situation bereits damals sehr ernst genommen. Doch kaum jemand konnte sich vorstellen, was dieses Virus für unser Land und die ganze Welt bedeuten würde.
Seit rund einem Jahr kämpft die Welt gegen dieses Virus. Für uns hier im Parlament, für die Bundesregierung, für die Landesregierungen waren seither Entscheidungen nötig, die schwere Konsequenzen für Millionen von Deutschen haben. Nie war das Abwägen zwischen Alternativen so schwierig. Nie war jede Entscheidung für so viele Menschen so folgenreich.
Wir mussten gerade wieder solche Entscheidungen treffen und das private und öffentliche Leben erneut einschränken. Der Ernst der Lage zwingt uns dazu. Wir müssen die noch immer zu hohen Infektions- und Todeszahlen senken.
Wir erleben jetzt im Januar 2021 eine Zeit der Gegensätze. Einerseits sind wir in einer der schwersten Phasen der Pandemie. Hinter den täglichen Zahlen stecken Schicksale, Familien, die trauern. Andererseits ist so schnell wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte ein sicherer Impfstoff gegen ein neues Virus verfügbar. Das ist ein großer Erfolg, auch ein deutscher Erfolg.
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Wir erleben deshalb auch eine Zeit der Zuversicht. Mit Start der Impfkampagne am 27. Dezember letzten Jahres sind wir jetzt auf dem Weg raus aus der Pandemie. Die Impfung bringt Licht ans Ende des Tunnels. Mehr als 750 000 Menschen wurden inzwischen in Deutschland geimpft.
Ich will zunächst einmal allen Danke sagen, die mithelfen, dass die größte Impfkampagne in der Geschichte unseres Landes so gut bei uns angelaufen ist. Da, wo geimpft wird, wird sehr professionell mit guter Aufklärung, Unterstützung und Hilfe geimpft, so wie wir es in Deutschland gewohnt sind, und genau so soll es auch sein. Deswegen ein herzliches Dankeschön an alle, die es tun.
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Ganz besonders möchte ich auch den mobilen Teams danken, die in den Pflegeheimen im Einsatz sind, den Pflegekräften, die sich zum Schutz der Verwundbarsten impfen lassen.
Es gibt verständlicherweise ein großes Informationsbedürfnis. Es gibt berechtigte Fragen, und es gibt Kritik. Wer regiert, muss sich erklären. Das ist die Stärke unserer Demokratie. Genau das macht unsere demokratische Kultur aus: dass wir Fragen beantworten, dass wir die Dinge debattieren, dass wir gemeinsam nach guten Lösungen suchen.
Wir glauben in unserer Demokratie nicht an absolute Wahrheiten. Wir setzen auf den Austausch von Argumenten auf der Basis von Fakten. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Austausch heute hier in diesem Parlament, bei uns im Bundestag, stattfindet. Diese Debatten stärken uns, wenn wir sie konstruktiv führen. Das haben wir seit nunmehr fast einem Jahr in der Pandemie immer wieder bewiesen.
Kein Land, keine Partei, keine Regierung allein kann dieses Virus besiegen. Es geht nur gemeinsam,
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indem wir im Alltag aufeinander achtgeben, indem wir Abstand halten, Maske tragen, so wie es Millionen Bürgerinnen und Bürger jeden Tag tun, und indem wir hier im Parlament zusammenarbeiten, im Kabinett, mit den Landesregierungen und unseren europäischen Partnern über Parteigrenzen und Parteiinteressen hinweg. Denn eines ist doch klar: Diese größte Impfaktion unserer Geschichte ist eine Gemeinschaftsaufgabe.
27 EU-Staaten beschaffen, 16 Bundesländer verimpfen, Tausende Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Notfallsanitäter und viele andere helfen mit. Nur wenn über das Jahr hinweg die allermeisten der Bürgerinnen und Bürger bereit sind, sich impfen zu lassen, können wir das Virus wirklich besiegen – im Miteinander von EU-Staaten, Bundesländern, Kommunen, betroffenen Ressorts in der Bundesregierung und allen, die mit anpacken, und mit einer Bundeskanzlerin an der Spitze, der die Bürgerinnen und Bürger in dieser Krise vertrauen wie kaum einer Regierungschefin oder einem Regierungschef auf der Welt. Wir krempeln zusammen die Ärmel hoch, damit diese Pandemie ihren Schrecken verliert.
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Manche haben in den letzten Tagen die Frage gestellt, ob es richtig war, bei der Impfstoffbeschaffung den europäischen Weg zu gehen. Lassen Sie mich deutlich sagen: Ja, es ist richtig, dass wir europäisch handeln.
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Wir dürfen Europa nicht nur in Sonntagsreden beschwören. Wir müssen unseren Worten auch Taten folgen lassen, gerade, wenn es darauf ankommt. Mit Verlaub, in dieser Jahrhundertpandemie und der größten Impfaktion der Geschichte kommt es darauf an. Den europäischen Weg zu gehen, liegt im nationalen Interesse Deutschlands und unserer Bürgerinnen und Bürger.
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Wir haben über Europa genügend Impfstoff für alle Deutschen bestellt. Allein die Mengen der beiden bereits zugelassenen Impfstoffe reichen, um allen Deutschen in diesem Jahr ein Impfangebot zu machen. Das war möglich, weil wir schon sehr früh mit der Impfstoffbeschaffung begonnen haben, nämlich im April, zunächst als Impfallianz zusammen mit Frankreich, Italien und den Niederlanden, dann ab Juni 2020 über die EU-Kommission.
Die EU und Deutschland haben die Impfstoffproduzenten zu einem Zeitpunkt unterstützt, als lange noch nicht klar war, wer einen wirkungsvollen Impfstoff entwickelt und wer dafür auch eine Zulassung bekommt. BioNTech etwa hat über die EU schon Mitte des vergangenen Jahres Fördergelder für Produktionskapazitäten erhalten, und der Bund hat das Unternehmen zu dieser Zeit ebenfalls massiv mit fast 400 Millionen Euro Forschungsgeldern unterstützt. Ohne diese Hilfe wäre der Impfstart in Deutschland und in Europa kaum möglich gewesen.
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Die Zusammenhänge sind manchmal sogar noch etwas komplizierter: Weil Deutschland sehr früh zugesagt hat, bis zu 100 Millionen Dosen etwa von BioNTech über EU-Verträge abzunehmen, war es überhaupt erst möglich, dass die EU einen Vertrag mit dem Unternehmen schließen konnte. So konnten wir kleineren Mitgliedstaaten ermöglichen, Teil des Vertrages zu sein.
Ja, Frankreich und Deutschland hätten vermutlich auch alleine Verträge schließen können. Beide sind eine große Marktmacht auf dem Pharmamarkt, aber viele weniger starke EU-Länder eben nicht.
Hätte uns ein Alleingang wirklich mittel- und langfristig weitergebracht? Was nützt es uns, wenn wir in wenigen EU-Staaten etwas mehr impfen könnten und andere weiter voll von der Pandemie betroffen wären? Die Tatsache jedenfalls, dass die Produktionskapazitäten jetzt zu Beginn begrenzt sind, hätte ein Alleingang nicht verändert, und ich habe großen Zweifel daran, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt dann deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung hätten.
Gleichzeitig hätte ein Alleingang handfeste negative Folgen für unser Land gehabt. Die deutsche Wirtschaft braucht offene Binnengrenzen und den freien Güterverkehr. Es ist eine Frage der ökonomischen Vernunft, dass wir nicht einzelne Nationen, sondern ganz Europa impfen. Erst so kommen wir wirtschaftlich wieder auf die Beine.
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Und ich frage auch all diejenigen, die den deutschen Alleingang bevorzugt hätten: Welches Signal hätten wir damit an unsere europäischen Partner gesandt?
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Hätten wir so das Vertrauen in Europa und in Deutschland gestärkt? Welche Konsequenzen hätte das für unsere Zusammenarbeit in der Zukunft, erst recht für Situationen, in denen wir mal auf Unterstützung und Zusammenarbeit angewiesen sind?
In dieser Jahrhundertpandemie den europäischen Weg zu gehen, wird Europa stärken. Gemeinsam sind wir als Europäer von der Pandemie betroffen, gemeinsam werden wir sie überwinden.
Während in anderen Staaten der Nationalismus wächst, rückt Europa zusammen.
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Das liegt in unserem Interesse: ökonomisch, politisch, sozial. Ein Blick in die USA zeigt uns doch, dass die europäische Handlungsfähigkeit dringlicher ist denn je. Die USA werden auf Jahre hinaus stark mit sich selbst beschäftigt sein. Ihre Rolle als globale Schutzmacht liberaler Interessen verblasst. Die EU wird daher eine viel größere Rolle einnehmen müssen, um für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit einzutreten, und dafür brauchen wir Vertrauen und Geschlossenheit.
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Spielen wir es einmal durch: Wenn unsere osteuropäischen und südeuropäischen Partner keinen Impfstoff über die Europäische Union erhalten hätten, wer wäre vermutlich eingesprungen? China? Russland? Wäre uns das lieber gewesen?
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Wollen wir, dass unsere engsten Partner in Krisen nicht nach Brüssel, Paris, Berlin blicken, sondern nach Peking oder Moskau?
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Ich verstehe gut, dass man in der aktuellen Lage lieber auf das schaut, was kurzfristig im nationalen Interesse liegen könnte. Aber das vermeintlich kurzfristige nationale Interesse ist oftmals nicht unser langfristiges.
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Wir müssen nicht abwägen, ob wir aus europäischer Verantwortung oder aus nationalem Interesse handeln; denn unser Vorgehen ermöglicht beides gleichermaßen.
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Hätte manches schneller gehen können? Hätten manche Abläufe zwischen EU, Bund und Ländern besser funktionieren können? Mit Sicherheit: Ja.
Natürlich ruckelt es bei der größten Impfkampagne der Geschichte, gemeinsam mit 27 Mitgliedstaaten, 16 Ländern und dem Bund. Natürlich stellt sich in der Rückschau heraus, dass nicht jede Entscheidung in den letzten Monaten richtig gewesen ist. Wir lernen aus den Erfahrungen, und wir machen besser, was wir besser machen können.
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Dass der Impfstoff gerade weltweit ein knappes Gut ist, ist aber eine Tatsache, die wir nicht ändern können. Da geht es uns wie fast allen anderen Ländern in der EU und auf der Welt. Grund für diese Knappheit zu Beginn der Impfkampagne sind fehlende Produktionskapazitäten, nicht fehlende Verträge. Deshalb müssen wir priorisieren und Reihenfolgen festlegen, deshalb müssen wir große Teile der Bevölkerung um Geduld bitten, deshalb sind auch die AHA-Regeln weiterhin wichtiger denn je.
Auch was manche als zu langsam im Vergleich zu anderen Ländern empfinden, hat Gründe. Aufgrund der Priorisierung werden zunächst vor allem Pflegeheimbewohnerinnen und ‑bewohner durch mobile Teams geimpft. Diese Impfungen sind aufwendiger als Impfungen in Impfzentren. Aber nach und nach werden die Bundesländer jetzt auch die Impfzentren in Betrieb nehmen und ihre Terminvergabe online und per Telefon optimieren. Die Zahl der täglich verabreichten Impfungen wird Zug um Zug steigen.
Bund und Länder haben gemeinsam entschieden, zunächst allen Bewohnern in den Pflegeeinrichtungen bis Mitte Februar ein Impfangebot zu machen. Schon dieses Zwischenziel der Impfung der Schutzbedürftigsten wird in dieser Pandemie einen entscheidenden Unterschied machen, und es wird dann nach und nach genug Impfstoff für alle in Deutschland geben. Wir können – Stand heute – voraussichtlich im Sommer allen ein Impfangebot machen.
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Das haben wir über die europäischen Bestellungen bei mehreren Herstellern sichergestellt. Allein von BioNTech und Moderna bekommt Deutschland mehr als 140 Millionen Impfstoffdosen, den neuen Vertrag noch gar nicht eingerechnet. Dazu kommen von CureVac mindestens 60 Millionen Dosen, von AstraZeneca mindestens 56 Millionen Dosen, von Johnson & Johnson mehr als 37 Millionen Dosen. Wohlgemerkt nicht alles sofort, aber in diesem Jahr. Schon im zweiten Quartal wird die Situation spürbar besser sein als jetzt zu Beginn im ersten Quartal.
Wir tun weiterhin alles, um die Verfügbarkeit von Impfstoffen zu erhöhen. Das Ziel zum Beispiel, dass BioNTech so schnell wie möglich einen weiteren Produktionsstandort in Marburg eröffnen kann, unterstützen wir nach Kräften. Wenn alles gut geht, wird das bereits im Februar der Fall sein. Das gelingt übrigens auch deshalb so schnell, weil wir bereits ab August aus unserem Ministerium heraus dieses Projekt unterstützt haben.
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Dann könnte das Unternehmen seine Impfstoffproduktion massiv hochfahren. Das hilft Europa, und das hilft Deutschland.
Kurzfristig hilft jetzt auch die mögliche Verimpfung von sechs statt fünf Dosen aus einer Ampulle von BioNTech/Pfizer. Das kann die Zahl der zur Verfügung stehenden Impfdosen um bis zu 20 Prozent erhöhen.
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Der Impfstoff des zweiten Herstellers Moderna kommt gerade in den Bundesländern an, der dritte Impfstoff von AstraZeneca steht, so die EMA, vor der Zulassung, und uns stehen zusätzliche Impfdosen durch den neuen EU-Vertrag mit BioNTech zur Verfügung. All das heißt mehr Impfstoff, mehr Schutz, weniger Angriffsfläche für das Virus.
Bereits im letzten Jahr haben wir bei uns vor Ort die notwendigen Strukturen aufgebaut, immer nach dem einfachen Grundsatz: Besser sind die Impfzentren zu früh einsatzbereit und stehen eine Weile teilweise leer, als dass Impfstoff da wäre und wir keine einsatzbereiten Impfzentren hätten. Ich halte diese Reihenfolge immer noch für die bessere.
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Jetzt haben wir dank des großen Einsatzes der Bundesländer, der Städte und der Landkreise eine Struktur, die funktioniert und die hochfahren kann und wird.
Nach wie vor richtig ist auch, dass wir uns für eine ordentliche europäische Zulassung entschieden haben. Lassen wir uns von den aktuellen Schlagzeilen nicht täuschen: Wenn wir das Virus besiegen wollen, wird es bald um die Impfbereitschaft gehen. Wirklich besiegen können wir dieses Virus nur, wenn sehr, sehr viele bereit sind, sich impfen zu lassen.
Ja, man kann Europa, den Zulassungsbehörden oder auch der Bundesregierung Kritik nahebringen, dass die Zulassung in anderen Ländern etwas früher erfolgt; das stimmt. Doch wir werden auf der Strecke merken, dass wir das Vertrauen in die Sicherheit des Impfstoffes noch sehr brauchen werden, und zu diesem Vertrauen trägt eine ordentliche Zulassung bei.
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Ich habe es bereits eingangs gesagt: Wir erleben eine Zeit der Gegensätze. Einerseits hat uns das Virus in den letzten Wochen härter getroffen als in der gesamten Zeit davor. Überall in Deutschland trauern Menschen, die Angehörige verloren haben. Überall in Deutschland sind Menschen gerade an Corona erkrankt. Überall in Deutschland sind Menschen in Quarantäne.
Die Maßnahmen, die wir ergreifen, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen, sind hart. Das verlangt uns allen viel ab. Das ist eine bittere Medizin. Es stellt das Leben in den Familien, in den Unternehmen, in den Schulen, in der Politik weiter auf den Kopf. Aber wir müssen da jetzt gemeinsam durch. Wir müssen füreinander durchhalten und auch einander unter Stress vertrauen, damit wir uns nicht auseinandertreiben lassen von Ängsten und solchen, die sie schüren. Nur so werden wir die Pandemie bezwingen und unsere Gesellschaft zusammenhalten.
Denn es gibt ja eben auch Grund zur Zuversicht. Unser Gesundheitssystem hat sich trotz der hohen Belastungen als widerstandsfähig erwiesen. Von vielen Intensivstationen wird berichtet, dass die Situation sich langsam bessert. Wir können heute sagen: Hunderttausende Menschen wurden bereits geimpft, und es werden jeden Tag mehr. Die deutsche Erfolgsgeschichte von BioNTech, den Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin und ihrem Team, hat uns und der Welt Hoffnung gemacht. Wir können stolz auf all diese Leistungen sein, genauso wie auf unsere engagierten Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, die Mitarbeiter des Öffentlichen Gesundheitsdiensts und alle anderen, die jeden Tag im deutschen Gesundheitswesen mithelfen, dass wir gut durch diese Pandemie kommen.
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Schritt für Schritt kommen wir dahin, dass wir unser Leben nicht mehr von der Pandemie kontrollieren lassen, sondern wir die Pandemie zu kontrollieren lernen. 2020 bedeutete durch Corona viele schreckliche Nachrichten. 2021 wird ein Jahr auch guter Nachrichten sein können: neue Impfstoffe, die wir dem Virus entgegensetzen können, und die Möglichkeit für alle Deutschen, sich impfen zu lassen. Ich kann verstehen, dass das viel Ungeduld erzeugt. Aber wir werden für unsere Geduld belohnt. Wir haben für dieses Jahr ein klares Ziel: die Rückgewinnung unserer gesundheitlichen Sicherheit und unserer gesellschaftlichen Freiheit.
Wichtig ist in diesen Wochen, dass wir realistisch bleiben. Wir werden auf unserem Weg raus aus der Pandemie noch einige Zeit mit den gewohnten Mitteln aufeinander achtgeben müssen. Abstand, Hygiene, die Alltagsmaske, FFP2-Masken, reduzierte Kontakte bleiben eine Notwendigkeit. Ich habe es oft gesagt, und es ist immer noch richtig: Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unterstützt den Kampf gegen die Pandemie und hilft mit. Die Pandemie hat an vielen Stellen das Beste in uns zum Vorschein gebracht: eine große Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit im Umgang miteinander, Kreativität und Forschergeist. Das Vertrauen in die Institutionen unseres Landes wurde in dieser Krise gestärkt, von den Kommunen über die Länder bis zum Bund. Damit das so bleibt, müssen wir, die Verantwortung tragen, unsere Entscheidungen immer wieder neu erklären. Wo nötig, müssen und werden wir nachbessern. Wir müssen in der Sache klar und kontrovers, aber konstruktiv miteinander diskutieren. So entsteht Vertrauen, und Vertrauen ist das höchste Gut in dieser Pandemie. Das war in den letzten zwölf Monaten so, das wird im weiteren Verlauf der Impfkampagne so sein. Tragen wir alle unseren Teil dazu bei! Geben wir weiter aufeinander acht!
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Jetzt eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Sebastian Münzenmaier, AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Spahn, „Wir werden einander viel verzeihen müssen“: Das waren Ihre Worte vor wenigen Monaten, und der eine oder andere auch aus der Opposition war bereit, zu akzeptieren, dass Anfang des Jahres 2020 eine neue Lage vorlag, die die wenigsten Personen erwarten konnten. Aber mittlerweile sind wir im Jahr 2021 angekommen, und das Versagen dieser Bundesregierung geht nahtlos weiter. Aus dem Schutzkleidungs- und Maskendesaster ist mittlerweile ein Impfstoff- und erneutes Lockdown-Desaster geworden, und die Liste an Fehlern, die wir Ihnen verzeihen sollen, wird immer länger.
Seit Monaten werden unsere Bürger durch ein Trommelfeuer von Infektionszahlen und durch weitere Horrormeldungen in Angst und Schrecken versetzt. Die Bundesregierung, flankiert von weiten Teilen der Medien, schürt Panik und sorgt für große Unsicherheit. Als einziges Licht am Ende des Tunnels wurde von Ihnen stets die Impfung erwähnt: Die Spritze wird es schon richten.
Es gibt keine Langzeitstudien zu Nebenwirkungen? Völlig egal. Ein neuartiger Impfstoff, der bisher noch nie zum Einsatz kam und in Rekordzeit zugelassen wurde? Zweifel spielen keine Rolle. Ihr Mantra: Nur die Impfung kann uns retten. Bis dahin wird ein ganzes Land lahmgelegt, Grund- und Freiheitsrechte werden eingeschränkt, verrücktgewordene Politiker, wie dahinten jemand sitzt, spielen sich als Coronasheriffs auf,
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und Merkels Ministerpräsidentenstammtisch vernichtet Hunderttausende von Existenzen in diesem Land.
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Der Lockdown bis zur Impfung gilt als alternativlos, obwohl viele namhafte Wissenschaftler und wir als AfD-Fraktion bereits seit Monaten darauf hinweisen, dass es durchaus weitere sinnvolle Alternativen zu diesem Vorgehen gibt. Statt über den Schutz der Risikogruppen sprechen die Altparteien lieber über „Privilegien für Geimpfte“ und wollen Teilen der Bevölkerung, die nicht in ihrem Sinne funktionieren, über längere Zeit die Grundrechte nehmen.
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An dieser Stelle deshalb noch einmal ganz deutlich: Ganz egal ob direkt per Gesetz oder indirekt durch Privilegien und indirekten Zwang, wir als AfD-Fraktion lehnen jede Coronaimpfpflicht ab,
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und wir werden hier alles dafür tun, um diese Impfpflicht zu verhindern, meine Damen und Herren.
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Aber als freiheitliche Fraktion setzen wir uns dafür ein, dass jeder Bürger, der sich freiwillig impfen lassen möchte, auch die Gelegenheit dazu haben muss. Auch hier haben Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wieder einmal versagt. Sie haben allen Bürgern eine Ohrfeige verpasst, die Ihren Versprechungen geglaubt und auf die Impfung vertraut haben. Ein Impfstoff, der mit deutschem Steuergeld gefördert und von einem Mainzer Unternehmen maßgeblich entwickelt wurde, ist für Deutsche kaum verfügbar.
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Die Bundesregierung warnt stattdessen vor „Impfstoffnationalismus“ und vergeigt die Bestellung ausreichender Mengen aus Rücksicht auf ein europäisches Vorgehen. Meine Damen und Herren der Bundesregierung, Sie sind nicht auf den Ruf der EU vereidigt, sondern auf das Wohl des deutschen Volkes.
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Also nehmen Sie Ihren Amtseid endlich einmal ernst, und handeln Sie in Zukunft klug und entschieden! Schützen Sie bitte die sogenannten Risikogruppen mit sinnvollen Maßnahmen! Ermöglichen Sie Sonderöffnungszeiten für diese Risikogruppen und Taxigutscheine, sodass die Menschen nicht in überfüllten Straßenbahnen sitzen müssen! Sorgen Sie für ausreichend Testkapazitäten in Alten- und in Pflegeheimen, sodass diejenigen geschützt werden, die von den Todeszahlen der vergangenen Wochen am meisten betroffen waren! Wir reden von über 10 000 Todesfällen in Alten- und Pflegeheimen; das ist ungefähr ein Drittel aller mit oder an Corona verstorbenen Menschen in Deutschland. Diese Menschen müssen wir schützen, anstatt ein ganzes Land in den Stillstand zu versetzen, meine Damen und Herren.
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Ermöglichen Sie unseren Kindern endlich wieder Präsenzunterricht, sodass dank Luftfiltern und einem Wechselmodell mit halbierten Klassen das Land der Dichter und Denker auch in Zukunft noch ein Bildungsstandort bleibt! Aber in erster Linie: Beenden Sie endlich diesen unverhältnismäßigen Lockdown!
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Die aktuellen wissenschaftlichen Zahlen von Professor Dr. Schrappe und seinen Kollegen haben bewiesen, dass der Lockdown vulnerablen Gruppen eben keinen ausreichenden Schutz bietet
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– egal wie laut Sie schreien –; dafür sorgen Sie dafür, dass nachfolgende Generationen mit kaum bezahlbaren Schulden belastet werden und ganze Wirtschaftszweige irreparabel beschädigt sind.
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Sehr geehrter Herr Minister, Menschen machen Fehler; da haben Sie recht. Aber intelligente Menschen lernen aus ihren Fehlern. Statt aus Ihren Fehlern zu lernen, Herr Spahn, tingeln Sie getreu dem Motto „Wer nix kann, kann Kanzler“ durch die CDU und werben um Unterstützung für Ihre Kanzlerkandidatur. Aber Helmut Schmidt wurde einst Kanzler, unter anderem weil er in der Sturmflut 1962 mit unbürokratischem und entschlossenem Krisenmanagement Hamburg rettete. Wenn Sie nicht schleunigst umdenken und diesen Lockdown beenden, dann reicht es bei Ihnen bestenfalls für einen Pförtnerjob da drüben im Kanzleramt, Herr Spahn.
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Lieber Herr Minister, Sie wollen ja, dass wir Ihnen Ihre Fehler verzeihen. Aber nur dem kann verziehen werden, der seine Fehler korrigiert. Also ergreifen Sie diese Chance, emanzipieren Sie sich von dieser Kanzlerin, und sorgen Sie für einen Kurswechsel in der Coronapolitik! Zu Ihrem eigenen Wohl, vor allem aber zum Wohl unseres deutschen Volkes.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Impfstart ist der entscheidende Schritt zur Bekämpfung dieser Pandemie. Es geht darum, dass wir schnellstmöglich viele Menschen impfen. Denn Impfen rettet Leben – dabei bleibe ich. Das ist auch so.
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Deshalb müssen wir alles dafür tun, an dieser Stelle besser zu werden.
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Und deshalb ist es richtig, dass wir dieses Thema zum Jahresbeginn jetzt noch einmal in den Fokus gerückt haben.
Es geht nicht darum – das will ich hier noch mal klarstellen –, dass wir einen isolierten Schritt gehen, sondern es war immer klar, dass wir gemeinsam europäisch bestellen und einkaufen, sodass ganz Europa Zugang zu diesem Impfstoff hat – übrigens zu einem Impfstoff, und da hat Deutschland sehr viel richtig gemacht –, in den wir in Deutschland mit sehr vielen Mitteln investiert haben, damit er überhaupt in so kurzer Zeit zur Verfügung steht.
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Die Fragen allerdings, die wir gestellt haben, sind nicht unanständig, und es ist auch keine Majestätsbeleidigung, wenn wir danach fragen, wie Europa in diesem Zusammenhang die Verträge geschlossen hat, ob das, was angeboten wurde, abgerufen wurde oder ob Deutschland hätte dazukaufen können. Hätte das vielleicht auch dazu geführt, dass jetzt mehr Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen würden? Diese Fragen sind, finde ich, nicht unberechtigt, weil es für die Menschen draußen wichtig ist, zu wissen, ob wir alles getan haben, dass der Impfstart am 27. Dezember erfolgreich war.
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Die Menschen draußen wissen auch, dass der Impfstoff nicht sofort für alle verfügbar ist. Deswegen haben wir uns auch über die Priorisierung unterhalten. Die Prioritäten, die wir jetzt haben, sind richtig: dass insbesondere die Älteren – weil hier auch viel über den Schutz der Älteren gesprochen wird – als Allererste geimpft werden, um schwere Erkrankungen und auch Todesfälle zu verhindern. Deshalb ist dieses Impfthema ein wichtiges, und man darf auch in einer Koalitionsfraktion fragen, ob da die richtigen Schritte eingeleitet wurden.
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Bei den Produktionskapazitäten – das will ich noch mal sagen – ist schon viel in die richtige Richtung angeschoben worden; keine Frage. Aber dennoch hat es nach meiner Kenntnis bisher so was wie einen Impfgipfel nicht gegeben, dass man alle Pharmaunternehmen an einen Tisch holt und fragt: Sind wir auf dem richtigen Weg? Wer kann noch helfen? Das findet jetzt statt, nachdem wir die Diskussion schon seit Anfang des Jahres führen. Das ist richtig, und es ist kein Selbstzweck, diese Diskussion zu führen, sondern sie muss in die Richtung führen, dass wir besser werden,
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dass wir schneller werden, dass die Leute draußen eine Perspektive bekommen. Das ist der Sinn und Zweck der Diskussion, die wir führen.
Deshalb finde ich es richtig, dass die Fragen, die im Hinblick auf diese Baustellen gestellt wurden, beantwortet werden. Das ist nicht nur Vergangenheitsbewältigung. Denn der Bundesgesundheitsminister sagt ja selbst, dass wir aus den Fehlern, die möglicherweise geschehen sind – davon kann sich niemand freisprechen –, lernen müssen.
Es geht um Planbarkeit. Auch die Länder haben zu Beginn des Jahres gesagt: Ja, wir wussten, wir bekommen eine bestimmte Menge. – Aber dann mussten wir öffentlich wahrnehmen, dass Liefertermine nicht eingehalten werden, dass es zu Differenzen kommt, dass Senioren am Telefon hängen und nach einem Termin fragen, nicht wissen, wie das kommunikativ abläuft. Ich finde, dass wir diesen Punkt deutlich diskutieren und fragen müssen, wie wir dort, wo im Land geimpft wird, besser werden können. Es läuft in vielen Ländern gut, aber in manchen auch nicht – jetzt unabhängig von der Regierung; das will ich hier ganz offen sagen. Diese Diskussion muss doch dazu führen, dass wir in der Tat gemeinsam besser werden.
Am Impfmanagement, an der Lösung der Frage, wie verimpft wird, kann man noch eine Menge verbessern. Ich glaube, da sind wir uns auch einig. Deshalb war es wichtig und richtig, dass wir diese Diskussion führen. Ich freue mich auch, dass Michael Müller da ist, der aus Sicht einer Landesregierung sicherlich sagen kann, an welcher Stelle man die Leute mitnehmen und ihnen vor allen Dingen die Ängste, dass sie nicht drankommen, dass sie keinen Termin bekommen, nehmen kann und ihnen beispielhaft zeigen kann, wie das in anderen Bereichen läuft.
Auch darum geht es bei einer berechtigten Kritik.
Man kann es sich leichtmachen, indem man, wenn kritisiert wird, einfach sagt: Ja, Wahlkampfgetöse! – Ich will hier deutlich sagen: Es ist kein Wahlkampfgetöse.
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Denn das ist für die Menschen ein elementar wichtiger Bereich.
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– Klar, die Union würde ja nie solche kritischen Fragen stellen; das ist klar.
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Deshalb geht es nicht darum, das als Selbstzweck zu betreiben, sondern darum, dass wir die Logistik verbessern, dass wir die Kampagnen verbessern.
Der Minister hat einen wichtigen Punkt angesprochen, den wir genauso sehen: Die Aufklärung muss jetzt beginnen. Es sind viele Verschwörungsmythen unterwegs, was das Impfen angeht, und ich halte es – noch mal in Richtung Söder gesagt – für absolut katastrophal, eine Berufsgruppe unter den Generalverdacht zu stellen, dass sie sich nicht impfen lassen will.
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Das ist vor Ort nicht so. In meinem Wahlkreis – in anderen auch – ist es so, dass die Zustimmung steigt, dass man sich zunehmend damit auseinandersetzt und dass auch jetzt schon da, wo geimpft wurde, deutlich wird, dass es kaum Nebenwirkungen gibt. Das ist ein Signal; das ist gut. Die Akzeptanz steigt. Wir müssen daran arbeiten, dass das Impfen sinnvoll organisiert wird, dass wir gemeinsam zu einer Kampagne kommen, durch die die Impfbereitschaft bei allen steigt.
Auch weil man das oft gefragt wird: Hätten wir uns als Parlamentarier vielleicht als Erste impfen lassen sollen, um auch ein Signal zu geben? Ich weiß, die Debatte wäre zum damaligen Zeitpunkt möglicherweise so gewesen, dass man gesagt hätte: Aha, die Privilegierten holen sich die Impfung zuerst. – Insofern haben wir uns anders entschieden. Wir sind jetzt dran, wann wir dran sind, und das ist richtig. Wir alle können etwas dafür tun, Aufmerksamkeit dafür zu erzeugen, dafür zu werben und aufzuklären. Aber der Bundesgesundheitsminister muss auch in diesem Bereich der Aufklärung noch ein Stück besser werden – ich will es mal so ausdrücken –, weil es darauf ankommt.
Wenn wir keine Herdenimmunität hinbekommen, werden wir uns noch lange damit befassen müssen, wie lange dieser Lockdown notwendig ist, und er ist im Moment noch notwendig, weil die Zahlen immer noch exorbitant hoch sind, weil Mutationen im Lande sind, von denen ich gedacht habe, dass deren Sequenzierung eigentlich schon stattfindet. Aber sie wird jetzt angeschoben, weil es wichtig ist, dass wir wissen, wie sich das Virus verändert und welche Konsequenzen das hat.
Insofern teile ich an der Stelle den Appell des Gesundheitsministers, dass Bund, Land und auch wir als Parlament, als Kontrollorgan, die Aufgabe haben, gemeinsam besser zu werden, um aus dieser Krise und der Pandemie rauszukommen; das sind wir den Leuten schuldig. Deshalb sind wir es den Menschen draußen auch schuldig, die richtigen Fragen zu stellen und vor allen Dingen die richtigen Antworten darauf zu finden.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Lindner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine hohe Zahl von Neuinfektionen, viele schwere Krankheitsverläufe, leider auch viele Sterbefälle, die zu beklagen sind, und nun auch noch eine Mutation des Virus. Wer die Realität erkennt, der kann die Gefährlichkeit dieser Pandemie nicht leugnen, der darf sie auch nicht relativieren.
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Unverändert sind wir alle aufgerufen, Vorsicht walten zu lassen, Rücksichtnahme zu üben, die Regeln zu achten. Und jede und jeder Einzelne von uns kann seinen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie dadurch leisten, dass wir mit unseren Freiheiten verantwortungsbewusst umgehen, um diese Prüfung zu bestehen.
Die Impfung ist eine große Chance, zur Normalität zurückzukehren; das war uns allen immer klar. Die segensreiche Innovation kommt aus Deutschland, aus Rheinland-Pfalz. Zum Glück haben sich jene nicht durchsetzen können, die schon vor 20 Jahren die Gentechnologie aus Deutschland zurückdrängen wollten.
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Seit Monaten hätte man einen Impfstart vorbereiten können und müssen. Tatsächlich aber sind die Logistik und das Tempo beschämend. Dass die Bundeskanzlerin gestern davon gesprochen hat, dass erst im zweiten Halbjahr hinreichend viel Impfstoff verfügbar sein wird, zeigt, dass der Impfstart verstolpert worden ist.
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Der Bundesgesundheitsminister hat auf die EU verwiesen. Sein europäisches Bekenntnis teilen wir. Wir hätten es uns auch im Frühjahr gewünscht, als Deutschland einseitig die Lieferung von Hilfsprodukten in der EU gestoppt hat. Wir hätten uns auch gewünscht, dass es nicht eigens eine Intervention des Kanzleramts gebraucht hätte, um auf einen europäischen Beschaffungsprozess zu setzen.
Aber wenn man über Europa spricht, muss man fragen, warum die Europäische Union auf der einen Seite 750 Milliarden Euro für Wirtschaftshilfe aufwendet und auf der anderen Seite bei der Beschaffung von Impfstoff knausert.
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Wer auf die Europäische Union verweist, der muss sich die Frage gefallen lassen, warum auch dort die Bestellmenge immer nur nach und nach – bis in diese Tage – erhöht wird. Und nicht zuletzt: Wer auf Brüssel zeigt, der muss auch die Frage beantworten, warum die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 nicht Einfluss genommen hat auf eine hinreichende Beschaffung von Impfstoff.
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Jens Spahn hat gefordert, Vertrauen entgegenzubringen. Diese Bitte um Vertrauen fand ich bemerkenswert, insbesondere nach dem Redebeitrag der Kollegin der SPD. Die Bitte um Vertrauen ist bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass der Vizekanzler gewissermaßen ein Misstrauensvotum in Form eines Fragenkatalogs über den Kabinettstisch gereicht hat.
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Und wenn am Ende die Bundeskanzlerin den Impfprozess teilweise an sich zieht, dann ist das auch kein Beleg dafür, dass alles so gut läuft.
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Das muss alles aufgeklärt werden. Aber eines ist schon jetzt klar: Bei der Forderung nach Opfern und Freiheitseinschränkungen ist die Regierung besser als bei kreativem Handeln und bei im besten Sinne unternehmerischer Initiative.
Nun müssen wir uns darauf konzentrieren, dass das Tempo der Impfungen erhöht wird. Wir haben schon vor Wochen angeregt, einen Dialog mit der deutschen Pharmaindustrie darüber zu führen, was getan werden kann, um die Kapazitäten zu erhöhen. Das wurde erst zurückgewiesen. Dann hat es sich der bayerische Ministerpräsident zu eigen gemacht, dann hat es die SPD gefordert. Und am 7. Januar dann hat Herr Spahn einen Brief an die Pharmaindustrie geschrieben. Wir begrüßen, dass Sie es sich zu eigen gemacht haben. Nun müssen den Worten aber auch Taten folgen.
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Wir haben noch andere Anregungen. Wir haben viele logistische Probleme vor Ort. Es muss geklärt werden, wie der niedergelassene Bereich möglichst bald in den Impfprozess eingebunden wird. Deshalb ist die Forderung unverändert richtig, auf einem Impfgipfel Bund, Länder, Kommunen, Wohlfahrtspflege, den niedergelassenen Bereich und die pharmazeutische Industrie zusammenzubringen, um Ideen und Möglichkeiten auszuloten.
Der nächste Rückschlag droht nun; denn die Sachverständigen betrachten die Rechtsverordnung zur Bestimmung der Impfpriorisierung als nicht hinreichend: Es könnten Menschen, die jetzt nicht an der Reihe sind, dagegen klagen. Davor haben wir bereits im Dezember gewarnt, und wir haben einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Das haben Sie in den Redebeiträgen seinerzeit zurückgewiesen.
Nun aber fordert der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, man brauche ein parlamentarisches Begleitgremium, um quasi im Nachhinein doch über ein neues Gremium Legitimation herbeizuführen. Wir haben einen anderen Vorschlag: Geben Sie sich einen Ruck, und sorgen Sie dafür, dass in der nächsten Sitzungswoche in der zweiten Beratung unser Entwurf für ein Impfgesetz beschlossen wird. Dann hätten wir Rechtssicherheit.
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Was die Kollegin der SPD gesagt hat – Aufklärung statt Impfpflicht für das pflegerische Personal –, kann man nur unterstreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade sind neue Verschärfungen in Kraft getreten: ein Bewegungsradius von 15 Kilometern, der auch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft und der eine krasse Ungleichbehandlung von ländlichem Raum und Ballungsgebieten darstellt, sowie die Regel „ein Haushalt plus eine Person“, die in der Praxis inhuman sein kann, wenn die Großeltern nicht gemeinsam zu Besuch kommen können oder wenn Kinderbetreuung in Nachbarschaftshilfe unmöglich gemacht wird. Da wäre die schleswig-holsteinische Regelung, die bisher galt, besser gewesen. Schulen und Kitas sind geschlossen. Die Verzweiflung in der Wirtschaft wächst.
In dieser Situation sagte die Kanzlerin – informell – gestern in einer internen Sitzung, man müsse sich auf acht bis zehn weitere Wochen der Härte einstellen, vielleicht gar bis Ostern. Das ist eine verstörende Perspektive, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Auch bei einer nationalen Kraftanstrengung geht einer Gesellschaft irgendwann die Puste aus. Wir können das Land nicht über Monate im Lockdown halten.
Deshalb ist unsere Forderung, dass wir nun gemeinsam an Öffnungsperspektiven arbeiten, an einem Wirkungsmechanismus, an Wenn-dann-Szenarien, wo regional unter welchen Bedingungen wieder geöffnet werden kann.
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– Entschuldigung, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU über diese Frage so echauffieren: Der Bewerber um den Vorsitz der CDU Friedrich Merz sagte vorgestern, der Punkt, dass es nicht mehr weitergeht, sei jetzt schon erreicht. „Schnell raus aus dem Lockdown, möglichst schnell zurück zum normalen Wirtschaften mit Hygienekonzept“, so Friedrich Merz. Ich bin gespannt auf die Machtauseinandersetzungen zwischen Konrad-Adenauer-Haus und Bundeskanzleramt, wenn der Bundesparteitag im Sinne von Herrn Merz entscheiden sollte – Konjunktiv; ist ja Ihre Sache.
Beklemmend ist die Lage bei den Sterbezahlen. Es wurde uns lange gesagt, die vulnerablen Gruppen können nicht geschützt werden. Frau Bundeskanzlerin, wir hatten zu der Frage hier eine Auseinandersetzung. Wir haben vorgeschlagen, FFP2-Masken auszugeben – Wochen später erst umgesetzt. Wir haben Teststrategien vorgeschlagen – erst im Januar Bestandteil der Bund-Länder-Beschlussfassung. Zögerlich wurden die Vorschläge umgesetzt. Bis heute ist kaum vermittelbar, dass Ski- und Rodelpisten besser kontrolliert werden als der Zugang zu Alten- und Pflegeheimen.
Und nun, in dieser Situation, wird Herr Brinkhaus heute in der „FAZ“ mit einem Satz zitiert: Es müsse gefragt werden, „ob wir darauf in den vergangenen Wochen angemessen reagiert haben“, also auf die Situation im Bereich der stationären Pflege. Herr Brinkhaus, Ihre rhetorische Frage will ich beantworten: Nein, Sie haben nicht angemessen reagiert. Es war ein Politikversagen mit Anlauf und mit Ansage.
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Wir brauchen nun alternative Strategien: Schutz der Risikogruppen, auch durch Taxigutscheine, auch durch die Möglichkeit, exklusive Zeitfenster beim Einkaufen zu haben – wir haben das vielfach hier vorgeschlagen –, die Beschleunigung des Impfens, ein regionaler Zugang. Und vielleicht sollten wir tatsächlich Markus Söders Forderung nach einer Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken sorgfältig prüfen.
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Auch dies hatte ich im Dezember – Frau Merkel, Sie erinnern sich – an diesem Pult schon vorgeschlagen als mildere Alternative zum kompletten Schließen des Handels. Nun schlägt Herr Söder es vor, und ich bin dafür, dass wir ein verpflichtendes Tragen von den besonders schützenden FFP2-Masken im öffentlichen Raum prüfen. Wir müssen prüfen, ob wir die Kosten dafür steuerlich abzugsfähig machen oder über die Bundesagentur für Arbeit auf den Regelsatz beim ALG II mit aufnehmen oder ob eine Erstattung – finanziert auch aus Bundeszuschuss – in der gesetzlichen Krankenversicherung möglich ist. Das kann man alles diskutieren. Aber das Ziel muss sein: Wenn Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken, dann Zug um Zug mit dem Wiedereröffnen von Handel, gesellschaftlich-kulturellem Leben, Kitas und Schulen
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und am Ende auch der Gastronomie.
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Zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben gesehen, dass die Novemberhilfen immer noch nicht ausgezahlt worden sind und dass im Nachhinein die Rechtsgrundlagen verändert worden sind, sodass ein neuer Antrag gestellt werden muss. Das ist für viele, die jetzt um ihre wirtschaftliche Existenz bangen und keine Hilfe haben, eine Tragödie, gerade wenn Frau Merkel die Ansage macht: vielleicht noch weitere zehn Wochen. – Die Auszahlung der Hilfen muss schneller und besser erfolgen.
Vor allen Dingen aber: Geben Sie innerhalb der Bundesregierung endlich Ihren Widerstand gegen den vollen Verlustrücktrag des Jahres 2020 in die Vorjahre auf. Denn das wäre über die Finanzämter eine schnell mögliche Überlebenshilfe für unseren Mittelstand, der vom Ertrinken bedroht ist.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Karin Maag, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Münzenmaier, Ihre Fraktionsvorsitzende hat heute Morgen im „ZDF-Morgenmagazin“ auf die Frage, ob sie sich denn persönlich impfen lassen wolle, ausweichend geantwortet; sie konnte sie schlicht nicht beantworten. Ihre Rede reiht sich jetzt in diesen verheerenden Eindruck ein;
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sie war frei von jeder Fach- und Sachkenntnis.
Herr Lindner, ganz ehrlich: Vielleicht geben Sie uns die Ehre, einmal den Gesundheitsausschuss zu besuchen. Das würde bei der Argumentation tatsächlich helfen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ansteckungs- und Sterbezahlen sind – das ist fürchterlich – weiterhin sehr hoch, und, ja, auch Mutationen, so wie sie in Großbritannien aufgetreten sind, sind noch mal eine neue Gefahrenquelle. Deshalb haben wir im Dritten Bevölkerungsschutzgesetz den Gesundheitsminister beauftragt, die Labore nicht nur zur Sequenzierung zu verpflichten, sondern vor allem auch die Daten an das RKI zu melden.
In vielen Regionen sind die Belastungsgrenzen erreicht. Kurz: Die Fallzahlen müssen runter. Deswegen ist es nicht nur richtig und unvermeidbar, dass wir den Lockdown bis zum 31. Januar aufrechterhalten und dass die Ministerpräsidentenkonferenz das Ganze sogar noch mal verschärft hat. Umso wichtiger – das ist ein Thema, das uns wirklich beschäftigt – ist doch, dass wir innerhalb eines Jahres schon zwei wirksame Impfstoffe zur Verfügung haben – ein großartiger Erfolg von Wissenschaft und Forschung. Ehrlich gesagt, finde ich es jammerschade, dass hier im Parlament der Versuch gemacht wird, solche Erfolge zu zerreden.
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Für mich und meine Fraktion geht es jetzt vor allem ums Impfen. Frau Bas, natürlich kann man Fragen stellen; es kommt aber immer auf den Kontext an, es kommt darauf an, wer sie stellt und in welchem Zusammenhang. Ich gehe davon aus, dass im Kabinett wirklich ausreichend Möglichkeit bestand, dies zu diskutieren.
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Es gibt kein Impfchaos. Im Gegenteil: Wir sind in der Union unserem Gesundheitsminister Jens Spahn für seine Weitsicht dankbar. Es war sein Weg, gemeinsam mit Europa zu bestellen. Die 26 anderen EU-Staaten haben doch in den nächsten zehn Jahren im Gedächtnis, wie sich das wirtschaftsstarke Deutschland in der Not verhalten hat. Bulgarien, Kroatien und Portugal würden heute nicht impfen ohne die europäische Initiative. Und er war es, der die Impfstoffallianz mit Frankreich, Italien und den Niederlanden bereits im April ins Leben gerufen hat, um der „America First“-Politik etwas entgegenzusetzen und auch für Europa gute Bestellergebnisse zu erzielen.
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Wenn alle Bestellungen bedient werden, dann verfügen wir in Deutschland über 300 Millionen Dosen Impfstoff und können – das wurde mehrfach schon gesagt – allen Deutschen bis zum Sommer ein Impfangebot machen. Wir haben also, Herr Lindner, kein Bestellproblem; aber der Impfstoff muss nach der Zulassung auch hergestellt werden. Und auch da unternimmt der Bundesgesundheitsminister alles, damit schnell mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Bereits genehmigt hat die EMA, die EU-Arzneimittelbehörde, die Ausweitung der regelhaften Entnahme auf sechs statt fünf Dosen aus den Behältnissen; das sind 20 Prozent mehr. Die Länder wissen seit dem 27. Dezember 2020 Bescheid.
Dass BioNTech und Pfizer auch in Marburg produzieren können, hat ebenfalls sehr viel mit dem Gesundheitsminister zu tun. Er hat sich bereits im August, als sonst noch niemand daran gedacht hat, um weitere Produktionsmöglichkeiten bemüht.
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BioNTech kann nicht zuletzt deshalb die Verdopplung seiner Produktionskapazitäten ankündigen. Der Bund und das Land Hessen streben einen Produktionsstart im Februar an. 2 Milliarden Dosen Impfstoff, das ist doch ein Wort! Der Gedanke jedenfalls, dass überall dort, wo Kopfschmerztabletten hergestellt werden, auch Impfstoff produziert werden kann, geht jedenfalls sehr entspannt mit Sach- und Fachkenntnis um und schlicht an der Realität vorbei.
Kurz: Wir sind im internationalen Vergleich nicht an der Spitze, aber auch bei Weitem nicht Schlusslicht.
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Bislang sind in Deutschland – der Minister hat es gesagt – 700 000 Impfungen gegen Covid-19 registriert. Wir werden täglich besser, und ich empfehle allen Nörglern, sich nur einmal mit den Bürgern in Frankreich oder in Holland zu unterhalten; das erdet ganz bestimmt. Und übrigens: Dort, wo geimpft wird, funktioniert es. Ich kann die Organisatoren und die Mitarbeiter zum Beispiel im Impfzentrum am Robert-Bosch-Krankenhaus bei mir in Stuttgart nur ausdrücklich loben. Ich war mit meiner 84-jährigen Mutter dort. Wir haben einen Impftermin für sie ergattert; es lief wie am Schnürchen.
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Was offensichtlich nicht funktioniert, ist das Einladungsmanagement. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Länder auf ein bundeseinheitliches Angebot unserer Kassenärztlichen Bundesvereinigung zurückgegriffen hätten. Nicht jedes Land muss sein eigenes Modell fahren; den tatsächlich mehr oder weniger erzielten Erfolg kann man an den unterschiedlichen Länderimpfquoten ablesen. Klar ist für mich: Die Menschen wollen einfach und schnell einen Termin. Dabei kommt es nicht auf zwei Tage mehr oder weniger an; es geht um die Sicherheit, dass sie tatsächlich einen Termin erhalten.
Unser wichtigstes Etappen- und Zwischenziel heißt jetzt, die über 80-Jährigen in den Pflegeheimen zu impfen und dann sukzessive auch den über 70-Jährigen ein Impfangebot zu machen. Wir können im Februar/März damit schon sehr weit sein. Das wird nicht nur unser Gesundheitssystem, die Krankenhäuser deutlich entlasten; es wird einen entscheidenden Sprung in der Bekämpfung der Pandemie geben. Ich bin dankbar für jeden, der sich impfen lässt.
Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Gesundheitsminister, Sie sagten: Es wird ruckeln am Anfang der Impfaktion. – Ich frage Sie: Wann hört es auf, zu ruckeln? Mir hat kürzlich ein älterer Mann, etwa Mitte 60, der schwer lungenkrank ist, gesagt, dass er von einer Impfhotline die Auskunft bekommen hat, dass er mit seiner Impfung nicht vor Oktober rechnen kann. Was sagen Sie diesem Mann? Nach wie vor herrscht bei der Vergabe der Impftermine an vielen Stellen Chaos. Und, Herr Minister, Sie können die Verantwortung dafür nicht einfach auf die Länder abschieben. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie es hinbekommt, diese wichtige Sache vernünftig mit den Ländern zu koordinieren.
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Statt Vertrauen schaffen Sie vor allem Verdruss. Und das Problem ist eben nicht nur, dass es teilweise chaotisch und kompliziert ist; das Problem ist vor allem, dass es an Impfstoff fehlt. Andere Länder zeigen, dass es schneller gehen kann: Die USA und Großbritannien haben bereits jetzt einen fünfmal so großen Anteil ihrer Bevölkerung geimpft, Israel sogar einen 33-mal so großen Anteil. Mit den Impfdosen, die nach Ihren Angaben, Herr Spahn, bis Ende März nach Deutschland geliefert werden sollen, können wir gerade einmal 7 Prozent der Bevölkerung impfen.
Sie haben gesagt, dass Sie bis Sommer jedem ein Impfangebot machen wollen. Ja, wie soll denn das konkret gehen?
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Erklären Sie das doch mal vernünftig! Auch deswegen hat meine Fraktion darauf bestanden, dass Sie hier heute eine Regierungserklärung abgeben. Aber Sie bleiben im Vagen. Sie nennen nur Lieferungen, die im Laufe des Jahres kommen sollen. Was ist konkret vereinbart für das zweite Quartal?
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Bei aller Unterstützung dafür, dass man bei der Impfstoffbestellung eine europäische Lösung gewählt hat – das war ja richtig –, muss man aber doch feststellen: Das ist nicht gut gelaufen. Während zum Beispiel die USA die Bestellung bei BioNTec bereits im Juli fix hatten, hat die EU erst im letzten November verbindlich bestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren große Kontingente der ersten Produktionschargen aber schon abverkauft, und das, obwohl BioNtec mit dreistelligen Millionenbeträgen sowohl von der EU als auch separat von Deutschland bei der Impfstoffentwicklung unterstützt worden ist. Das können Sie doch niemandem erklären.
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Inzwischen haben wir gehört, dass es bei den Bestellungen der EU eben nicht nur um Gesundheitsschutz ging, sondern auch darum, dass bei den Pharmaunternehmen aller großen EU-Mitgliedstaaten bestellt werden musste. Es standen also Wirtschaftsinteressen dahinter. Ich muss wirklich sagen, dass in dieser für die ganze Welt bedrohlichen Lage, bei der so viele Menschenleben auf dem Spiel stehen, offenbar Profitinteressen von Konzernen eine entscheidende Rolle gespielt haben, ist doch wirklich ein Skandal!
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Dazu passt, Herr Spahn, dass Sie unseren Vorschlag, die Lizenzen für die Impfstoffproduktion freizugeben, um so die Produktionskapazitäten zu erhöhen, sofort abgeschmettert haben. Dabei sieht Ihr Infektionsschutzgesetz genau diese Möglichkeit vor. Und – das möchte ich Ihnen auch als Juristin sagen – auch unser deutsches Patentrecht kennt eine solche Regelung; auch auf EU-Ebene wäre das möglich.
Herr Spahn, es muss wirklich endlich entschlossen gehandelt werden.
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Denn wenn das nicht geschieht, dann bleibt die rettende Herdenimmunität, die die Aufhebung der Infektionsschutzmaßnahmen garantiert, in weiter Ferne. Und das ist wirklich eine Hiobsbotschaft für die meisten, besonders für diejenigen, die schon seit Monaten unter der Situation sehr stark leiden.
Es ist ja so, dass die Bundesregierung es nicht schafft, die Auswirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen vernünftig abzufedern und überall da zu helfen, wo es nötig ist. Was ist zum Beispiel mit den versprochenen Hilfen für die krisengeschüttelten Unternehmen und die Soloselbstständigen, Herr Finanzminister Scholz, Herr Wirtschaftsminister Altmaier? Die November- und Dezemberhilfen sind nach wie vor nur zu einem ganz kleinen Bruchteil überhaupt geflossen. Schon jetzt stehen sechs von zehn Einzelhändlern vor dem Aus. Kulturschaffende stehen vor den Scherben ihrer Existenz.
Und noch mal, Herr Spahn: Was ist mit den Pflegekräften, die Sie so beklatscht haben? Noch immer haben nicht alle den versprochenen Pandemiezuschlag erhalten, von besseren Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen. Das geht doch nicht!
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Was ist mit den Angestellten im Lebensmitteleinzelhandel? Nach wie vor haben viele von ihnen nicht einmal einen Tarifvertrag. Was ist mit den vielen Paketzustellern, die für Armutslöhne arbeiten müssen und in den Zustellzentren auch noch ihre Gesundheit riskieren, weil dort die Infektionsschutzmaßnahmen nicht eingehalten werden? Wieso gibt es da immer noch keine ausreichenden Kontrollen? Das ist doch wohl das Allermindeste!
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Aber nein, die Lobbyinteressen von Amazon und Co scheinen wichtiger als Arbeitnehmerrechte und Gesundheitsschutz zu sein. Aber damit muss doch jetzt endlich Schluss sein!
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Und es geht auch nicht, dass die Verschärfungen der Infektionsschutzmaßnahmen ausschließlich den privaten Bereich betreffen und eben nicht den Arbeitsplatz. Wir brauchen aber ein Recht auf Homeoffice, überall da, wo es geht. Und überall da, wo Homeoffice nicht geht, brauchen wir verbindliche Vorgaben für den Arbeitsplatz, und die müssen auch kontrolliert werden.
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Das wäre wirklich nötig, um Infektionszahlen abzusenken. Und genau das muss dringend geschehen. Es kann so nicht weitergehen, auch nicht an den Schulen. Es geht nicht, dass Eltern sich jetzt wochen- und monatelang weiterhin sowohl um Homeoffice als auch um Homeschooling ihrer Kinder kümmern müssen. Das kann so nicht weitergehen.
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Die allermeisten Menschen warten sehnsüchtig auf die Impfung. Sie ist der Lichtblick nach all diesen trüben Monaten. Aber Sie, Herr Spahn, Sie verstolpern den Anfang, und Sie geben kein Vertrauen, dass es besser wird. Das ist vollkommen inakzeptabel.
Danke schön.
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Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Seit Beginn des Jahres mehr als 200 000 Neuinfizierte, fast 10 000 Menschen sind gestorben, dazu die Nachrichten aus Großbritannien, aus Irland, aus Südafrika. Die Entwicklung ist dramatisch, sie macht mir große Sorgen, sie sollte uns große Sorgen machen. Und ich finde, weite Teile dieser Debatte, wo es hier um „Wir gegen die“, „Was hat wer wann gemacht?“ ging, entsprechen nicht dem Ernst der Lage, in der wir uns gerade befinden, meine Damen und Herren.
({0})
Ich sage ganz ausdrücklich: Ja, der Impfbeginn macht uns allen große Hoffnung. Wer hätte Anfang letzten Jahres gedacht, dass es gelingt, gleich mehrere sichere Impfstoffe zu entwickeln? Das ist großartig, das ist gut. Wirklich vielen Dank an all diejenigen, die sich jetzt dafür engagieren, die ehrenamtlich oder hauptamtlich dafür sorgen, dass es mit dem Impfen richtig losgeht. Aber ich sage zugleich auch: Wecken wir keine falsche Illusion! Die Pandemie werden wir nicht auf Knopfdruck beenden. Und Herr Lindner, wir werden sie auch nicht dadurch beenden, wenn Sie das jetzt gerne wieder anders haben wollen und mit der FFP2-Maske gerne im Restaurant sitzen wollen. In meinem Kopf lief ein Film ab, wie das eigentlich gehen soll. Nein, so einfach geht es eben nicht, meine Damen und Herren.
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Wir brauchen einen reibungslosen Ablauf bei den Impfungen. Es braucht jetzt mehr Informationen, es braucht mehr Aufklärung. Es kann nicht sein, dass die Enkelin das Internet durchforsten muss, damit der 80-jährige Großvater einen Impftermin bekommt; das ist vollkommen richtig. Wir brauchen eine Kampagne. Wir müssen dafür sorgen, dass man sich einfach und bitte auch bundeseinheitlich informieren kann – gerne im Fernsehen, im Radio, überall –, dass man Termine zugeschickt bekommt.
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Eine solche Einfachheit wird auch das Vertrauen stärken. Darum geht es.
Es war verdammt richtig, europäisch zu handeln und nicht national.
({3})
Und es wäre noch viel wichtiger, klar zu sagen: Diese Pandemie werden wir erst besiegt haben, wenn wir sie weltweit besiegt haben, nicht nur in Europa und nicht nur in Deutschland, meine Damen und Herren.
({4})
Ja, Corona spannt uns alle an. Es geht uns auf die Nerven, es löst Angst aus, Verzweiflung. Menschen sind coronamüde, viele wollen nichts mehr davon hören. Ich kann das gut verstehen. Aber wir hier dürfen jetzt die Nerven nicht verlieren, nicht die Verantwortlichen und auch alle anderen nicht.
So sinnvoll, wie der Vorschlag von Herr Söder zu den FFP2-Masken ist: Das macht man doch aber nicht mal eben, und das macht man doch auch nicht, indem man sagt: Ja, dann muss halt jeder mal ein bisschen ins Portemonnaie greifen. – Wissen Sie eigentlich, wie sich die Maskenpreise entwickelt haben seit diese Ankündigung von Herrn Söder? Krass nach oben. Und was soll denn jetzt eigentlich diejenige sagen, die von Transferleistungen, von Hartz IV lebt und die es in dieser Zeit sowieso schon nicht auf die Reihe kriegen kann, zusätzliche Kosten, zusätzliche Ausgaben zu tragen? Deswegen: Solche Vorschläge, so sinnvoll sie sein mögen, müssen doch im Hinblick auf das Vertrauen in der Bevölkerung so ausgestaltet werden, dass es sich auch die Armen leisten können, dass es sich alle leisten können, meine Damen und Herren. Dann kommen wir einen deutlichen Schritt weiter.
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Herr Spahn, Sie haben von Vertrauen geredet. Ja, es sind nicht die Regeln und die Beschränkungen, die die Leute den Kopf schütteln lassen. Sie schütteln vielmehr den Kopf, weil die Regeln und Beschränkungen nicht nachvollziehbar, nicht transparent sind und weil so viele Regelungen so lebensfremd sind. Manchmal fragt man sich wirklich: Worüber sprechen Sie eigentlich genau, wenn Sie diese Regelungen machen?
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Dass Geschwister nicht zusammen zur Oma können, dass die Kitas, Schulen und Kultureinrichtungen zu sind, versteht keiner, wenn gleichzeitig alle ins Büro müssen.
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#MachtBuerosZu ist ein Hashtag, der im Internet nicht nur deswegen verbreitet wird, weil viele, die im Büro sitzen, sich darüber Gedanken machen, sondern auch alle anderen. Ich habe Rückmeldung bekommen von Menschen, die in Industrieunternehmen arbeiten und sagen: Ja, wir sitzen jeden Morgen im öffentlichen Nahverkehr; der ist total voll. Und wir möchten gern, dass die, die in den Büros arbeiten, nicht auch noch da sitzen, weil sie längst zu Hause arbeiten können. – Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das nicht hinbekommen kann.
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Da geht es um Arbeitsschutz. Herr Heil, da geht es um Arbeitsschutz, das können Sie machen. Sie haben im letzten Jahr hier, in diesem Parlament, die Möglichkeit bekommen, beim Arbeitsschutz in den Büros und in den Produktionsstätten viel stärker draufzuschauen. Wir brauchen beides. Es kann doch nicht sein, dass wir im Privaten alles einschränken, dass die Schule, die Kita zu hat, dass das Restaurant zu hat und in der Kultur alles zu ist, aber im Arbeitsleben geht es irgendwie dann doch noch so weiter wie bisher. Das geben die Zahlen nicht her. Wenn die Zahlen runterkommen sollen, dann müssen wir auch ans Arbeitsleben und an die Büros ran, meine Damen und Herren.
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Dazu gehört noch ein weiterer Punkt, und da geht es leider eben dann doch wieder um die Pandemiewirtschaft.
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Was ist mit den Schnelltests? Was ist mit den Schnelltests, die Laien anwenden können? Wir brauchen sie, und zwar flächendeckend, damit diejenigen, die dieses Land am Laufen halten – die Kassiererin, die Erzieherin in der Notbetreuung und viele andere –, auch tatsächlich sicherer sein können, damit sie das machen können, was wir alle brauchen: Schnelltests, die Laien anwenden können. Wir müssen eine Abnahmegarantie haben. Herr Spahn, bitte vergeigen Sie das jetzt nicht. Es kommt wirklich darauf an, dass wir diese Hilfe, diese Unterstützung in dieser Phase der Pandemie haben, und zwar überall, wo es irgendwie geht, meine Damen und Herren.
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Zum Vertrauen gehört auch, dass man das einhält, was man ankündigt. Gestern hat der Wirtschaftsminister – war es gestern? – verkündet, dass er jetzt eine gute Nachricht habe für alle, die Novemberhilfen beantragt haben. Seit gestern Mittag konnte man sie bekommen – seit gestern Mittag vielleicht! Das sind Novemberhilfen, wie der Name schon sagt. Wir haben jetzt Januar 2021. Menschen sind erschöpft. Es gibt Insolvenzen, und Menschen geben heute Geschäfte auf, weil sie nicht mehr können, weil sie nicht mehr nachvollziehen können, dass ihnen immer etwas versprochen wird, was dann nicht eingehalten wird. Wir werden, wenn wir aus dieser Pandemie herauskommen, erleben, dass wir Minister hatten in dieser Bundesregierung, die Dinge angekündigt und nicht eingehalten haben, und dass deswegen Läden, Cafés, Kultureinrichtungen zu sind und nicht wieder aufmachen können.
Ich finde, diese Verantwortung kann man nicht übernehmen. Deswegen sage ich: Ja, wir müssen einen Plan haben, wie wir rauskommen aus der Pandemie. Dazu muss das jetzt so laufen, dass man wirklich Vertrauen haben kann, dass diejenigen Hilfe bekommen, die sie brauchen. Es ist aber auch wichtig, dass wir mit einem klaren, deutlichen Stufenplan sagen, wie wir da wieder rauskommen, dass wir uns an Inzidenzen halten und sagen, was wann geht, was bei welcher Inzidenz geht, damit wir mit Hoffnung und mit Vertrauen in dieses Jahr starten können. Anders, meine Damen und Herren, geht es nicht.
Deswegen: Setzen Sie sich gern mit uns zusammen, dann machen wir das im Bundestag und Bundesrat. Dann ist es wirklich einheitlich, und wir haben nicht mehr dieses Hickhack wie jetzt.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider, SPD.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Bundesgesundheitsminister dankbar, dass er eine Regierungserklärung zum Impfstart abgegeben hat. Das gibt uns die Gelegenheit zu einer umfassenden Aussprache. Ich halte das für notwendig.
Die Situation in Deutschland und in Europa ist immer noch bedrohlich. Die Mutationen des Coronavirus, die in Großbritannien, in Irland, aber auch in Südafrika neu entdeckt wurden und dort zu einer extrem hohen Ansteckungsgefahr und höheren Infiziertenzahlen führen, haben dazu geführt, dass wir über einen Wettlauf mit der Zeit reden, einen Wettlauf mit der Zeit um Menschenleben, einen Wettlauf, bei dem es darum geht, wieder zum normalen Leben zurückzukommen.
Die Einschränkungen, die wir haben, sind gewaltig: ökonomisch, sozial und insbesondere bildungspolitisch für Kinder aus Familien, die nicht über die Kompetenzen verfügen und vor allen Dingen nicht die digitalen Voraussetzungen haben, um schulische Veranstaltungen, wie sie derzeit nur möglich sind, so wahrzunehmen, wie es sein sollte.
Von daher: Volle Konzentration auf den einzigen Lichtblick, den wir haben! Der einzige Lichtblick, den wir haben, ist der Impfstoff. Die SPD-Fraktion, um das einmal deutlich zu sagen – ich weiß nicht, zu wem Sie, Herr Spahn, das mit dem nationalen Alleingang gesagt haben –, ist klipp und klar dafür, dass wir europäisch beschaffen und dass diese europäische Beschaffung von zusätzlichem Impfstoff auch dazu führt, dass alle Länder in Europa, die der EU angehören und ihn kaufen wollen, auch Zugang dazu haben. Klipp und klar!
({0})
Der entscheidende Punkt ist aber – und das zu hinterfragen, gehört in einer Demokratie dazu –, ob die Entscheidungen, die sowohl in der EU-Kommission als auch von Ihnen in Ihrer Ressortverantwortung als Bundesgesundheitsminister und als Vorsitzender des Gesundheitsministerrates, den Sie im letzten halben Jahr innehatten, getroffen wurden, korrekt oder nicht korrekt waren.
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Es ist Kernaufgabe eines Parlaments, dies zu kontrollieren und zu hinterfragen – nichts anderes!
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Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen – ich habe die Debatten im Bundestag dazu verfolgt –: Mir war über ein Angebot von BioNTech und Pfizer, der EU 200 Millionen zusätzliche Impfdosen über die Menge hinaus, die gekauft wurde, zur Verfügung zu stellen, nichts bekannt; das war mir nicht bekannt.
Wenn Sie mich als Abgeordneten des Bundestages oder meine Fraktion gefragt hätten: „Sollen wir diese zusätzlichen Mengen kaufen, auch wenn die Gefahr besteht, dass wir sie vielleicht nicht brauchen?“, dann hätte ich Ihnen gesagt: Angesichts der sozialen und ökonomischen Kosten, die das Schließen, das Herunterfahren dieses Landes hat, sind die Kosten für die Beschaffung des Impfstoffes eine Lappalie, eine wirkliche Lappalie. Wir hätten es machen müssen, und Sie hätten sich das Einverständnis auch holen können.
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Meine Damen und Herren, das ist keine Kritik an der EU generell – im Gegenteil! Das ist eine Kritik an dieser Entscheidung, ein Hinterfragen der Entscheidung; denn bisher ist uns das offiziell so noch nicht mitgeteilt worden.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir als SPD-Fraktion eine ganz klare Priorität, nämlich impfen, impfen, impfen! Was wir dafür brauchen, ist der Impfstoff. Sie, Herr Spahn, haben heute gesagt: In diesem Jahr oder, ich weiß nicht ganz genau, bis zum Sommer könnte jeder, der möchte, eine Impfung bekommen. – Ich hoffe das sehr. Ich vermute aber, dass das nur möglich ist, wenn der Impfstoff von AstraZeneca zugelassen wird.
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Denn das, was Sie jetzt zusätzlich bestellt haben, verbunden mit einem Hochfahren der Industriekapazitäten, aber vor allen Dingen mit der Bestellung über die EU-Kommission, wird wahrscheinlich erst im zweiten Halbjahr – da reden wir über den Herbst dieses Jahres – zur Verfügung stehen, während die Menschen in anderen Ländern bereits geimpft sind. Das, meine Damen und Herren, ist eine politische Entscheidung, die ich für von solcher Relevanz für dieses Land halte, dass der Bundestag sich darüber unterhalten muss und auch eine klare Linie vorgeben muss.
Wir haben als SPD-Fraktion gefordert, dass es einer nationalen Kraftanstrengung bedarf, dass alle Kapazitäten – ich weiß nicht, ob Sie, Herr Lindner, damit einen Tag früher oder später kamen; das ist mir auch egal – gebündelt werden, um zusätzliche Produktion in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Dazu hat die Frau Kollegin Maag gesagt – ich war entsetzt, als ich das im „Tagesspiegel“ gelesen habe; ich zitiere –:
Maag äußerte die Befürchtung, der SPD-Vorschlag
– Impfgipfel und Ausweitung der Kapazitäten –
ziele womöglich auf Eingriffe in die Eigentumsrechte der Herstellerfirmen. „Ein solcher Eindruck wäre für unseren Forschungsstandort fatal“, sagte sie.
Meine Damen und Herren, das ist eine abenteuerliche Argumentation, die ich nur in aller Form zurückweisen kann. Ich bin auch froh, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU dies zumindest öffentlich korrigiert und gesagt hat,
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er sei auch klar für eine Ausweitung – wie im Übrigen auch der bayerische Ministerpräsident, der sonst ja mit sehr vielen Vorschlägen auffällt, aber auch mit diesem gekommen ist.
Zweiter Punkt. Die Begleitung der Pandemie wird uns noch viel Zeit kosten. Ich will hier auch klar sagen: Ich finde die zwei Entscheidungen, die das Kabinett heute getroffen hat,
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nämlich Sequenzierung und Einreiseverordnung – jemand, der aus Staaten, die als hohes Risikogebiet klassifiziert sind, einreist, muss einen negativen Test vorlegen –, absolut richtig. Ich frage mich nur: Die Mutation in Großbritannien ist seit dem 18./19. Dezember bekannt, die in Südafrika ähnlich lange. Die Reisenden – es soll ja Leute geben mit so viel Geld, die im hiesigen Winter dort ihren Sommerurlaub machen – sind bereits wieder da. Warum hat das so lange gedauert? Ich halte das für fahrlässig angesichts dessen, dass wir das ganze Land in weiten Teilen zurückgefahren und alle mit Einschränkungen zu leben haben.
Außerdem: Auch die Sequenzierung – –
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– Frau Kollegin Roth, Sie haben etwas gesagt?
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– Ach, es war die Kollegin Lemke. Ich bin dankbar für den Zuruf, den Sie jetzt gemacht haben. Ich wundere mich sowieso, dass die Grünen sich mittlerweile mehr als Regierungssprecher der CDU gerieren,
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als Oppositionspolitik zu machen; aber bitte schön. – Ich kann Ihnen nur sagen: In anderen Ländern, auch in Großbritannien, wird diese Sequenzierung gemacht. In Deutschland ist das erst seit heute durch die Verordnung möglich. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn ich Fachressortminister wäre an so einer Stelle, hätte ich schon längst auf diesem Recht bestanden und diesen Vorschlag gemacht.
Von daher, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Detlev Spangenberg, AfD, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Impfen ist – meine Damen und Herren, ich glaube, da sind wir uns alle einig – eine ganz bedeutende medizinische Errungenschaft. Mir fallen da immer gleich zwei Namen ein: Louis Pasteur und Robert Koch. Keiner wird bezweifeln, dass das wirklich für uns von großer Bedeutung ist.
Als am 31. Dezember 2019 die erste Infektion in Wuhan bekannt wurde, haben nicht Sie reagiert; die AfD hat reagiert – allein! -
({0})
mit dem Sechs-Punkte-Plan vom 13. Februar 2020. Mächtig peinlich für Sie, aber es ist einfach so.
({1})
Darin sind zwei wesentliche Forderungen enthalten, an denen Sie sich jetzt alle hochziehen – Sie kamen aber von uns –: Erstens Impfforschung, Impfentwicklung – damals für Sie kein Thema;
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Sie haben ja eben ausgeführt: erst seit August –
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und zweitens Schutz von Risikogruppen. Für Sie auch kein Thema.
({4})
Das ging sogar noch weiter. Unsere Meinung wurde von Ihnen kriminalisiert. Frau Kappert-Gonther sprach von menschenfeindlichen Anträgen. Aber was soll ich von so einer Fraktion auch anderes erwarten, meine Damen und Herren.
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Hass und Hetze gegen Andersdenkende auch beim Thema Gesundheit, anstatt an die Bevölkerung zu denken, das ist Ihre Politik. Sie haben überhaupt kein Interesse an einer demokratischen Entwicklung, sondern für Sie zählt nur irgendeine Ideologie.
Am 11. Januar 2021 hat das Bundesministerium für Gesundheit einen Bericht vorgelegt. Da frage ich noch mal: Warum wurde die Eigeninitiative Impfstoffbeschaffung mit drei anderen europäischen Staaten, nämlich Frankreich, Italien, Niederlande – wir haben dazu auch eine Anfrage gestellt –, nicht weiter verfolgt? Es wurde ausgeführt: Die europäischen Interessen wurden vor die deutschen Interessen gestellt. – Ich muss aber feststellen: Die Bundesregierung ist von der deutschen Bevölkerung gewählt worden, und in erster Linie ist erst mal die Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Impfstoffen sicherzustellen und nicht die der europäischen. Das ist unsere Meinung, meine Damen und Herren.
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Wenn Impfen als einzige und absolute Möglichkeit erkannt ist, dann muss diese Möglichkeit auch umsetzbar sein. Die Prognose „zweites Halbjahr 2021“ bedeutet, wenn ich es richtig sehe: tägliche Einkommensverluste, tägliches Sterben von Unternehmen und tägliches Einschränken der persönlichen Freiheit; denn Sie kommen ja vor dem zweiten Halbjahr nicht aus dem Knick.
Sie haben gemeinsam einen Plan für eine Nationale Impfstrategie erarbeitet; den habe ich mir angeschaut. Meine Damen und Herren, aber auch da hatte die AfD am 16. September bereits vorgeschlagen, dies in eine ständige Pandemiekommission miteinzubringen. Da hätten Sie auch schon reagieren können. Sie hinken immer hinterher. Die AfD ist immer einen Sprung schneller. Das haben Sie bis heute noch nicht verstanden, meine Damen und Herren.
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Weiter haben wir am 3. November 2020 einen Antrag zu Eigenverantwortung statt Vorschriften, Restriktionen usw. gestellt. Ja, meine Damen und Herren, die Eigenverantwortung ist von vielen auch ernst genommen worden. Sie haben Gesundheitsauflagen erfüllt, und trotzdem wurde ihnen die Bude dichtgemacht. Es schafft natürlich Verdruss, wenn Berufsverbote kommen, obwohl sie genau das machen, was Sie ihnen gesagt haben: Eigeninitiative. Heute Morgen hat der Bundesgesundheitsminister im Deutschlandfunk noch einmal angedeutet, dass er diese Eigeninitiative auch für richtig hält – zumindest habe ich das Interview so verstanden –, und ich denke, dann sollte man diese auch belohnen und nicht bestrafen.
({8})
Länderbezogene Maßnahmen wie Ausgangssperren, Kontaktverbote willkürlich, ohne wissenschaftliche Begründung einzuleiten, schafft natürlich Verdruss und Ablehnung, das ist ganz klar. Nach wie vor gibt es keine wissenschaftlich begründeten Maßnahmen; der Lockdown wirkt nicht. Professor Schade sagte heute Morgen: Na ja, wenn wir nichts gemacht hätten, wäre es vielleicht noch schlimmer geworden. – Das ist auch nur eine Hypothese. Das weiß ja keiner. Also jedenfalls könnte man die Maßnahmen einmal überdenken und vielleicht andere machen. Aber Fehlanzeige! Sie machen weiter wie bisher.
Prioritäten für die Impfung: Ja, da hat die FDP natürlich den schlauen Vorschlag, das hier zu diskutieren. Meine Damen und Herren, das ist so eine Art Klientelpolitik: Wen nehme ich denn zuerst dran? Wo habe ich die meisten Wählerstimmen? – Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel. Wir haben ja gesagt: die Risikogruppen zuerst. Wie sieht es denn eigentlich im Flugverkehr aus? Das kennt doch jeder: Wenn Druckabfall in der Kabine vorkommt, dann fallen die Masken runter. Wie ist da die Anordnung? Wer soll zuerst die Maske aufsetzen? Das Elternteil oder das Kind? Und da lautet die Anweisung ganz klipp und klar: das Elternteil, damit es dem Kind helfen kann, und nicht andersherum, sonst sind beide verloren. Also könnte man auch in dieser Situation eine andere Prioritätensetzung vornehmen. Aber wollen wir das hier diskutieren? Das wird doch nichts. Das sollten wir der Expertenkommission vorlegen, und das, denke ich, ist besser, als wenn Sie versuchen, über die Schiene Ihre 5-Prozent-Hürde zu erreichen, meine Damen und Herren.
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Dann geht es weiter: Misstrauen und Ablehnung. Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Sie sind es gar nicht mehr gewöhnt, dass die Menschen auch mal eine andere Meinung haben, meine Damen und Herren, das gehört einfach dazu. Es ist egal, ob es das Impfen, die Erprobungsphase, die Art des Impfstoffes betrifft: Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Bevölkerung Fragen hat, einiges nicht glaubt oder auch nicht glauben will. Das ist einfach so.
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Das gehört zur Demokratie. Daran müssen Sie sich messen lassen.
Meine Damen und Herren, wer geimpft werden möchte, der soll geimpft werden, und wer nicht geimpft werden möchte, der lässt es eben sein. Das ist eine ganz klare Ansage von der AfD.
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Gefährliche Diskussionen über die Ausgrenzung Nichtgeimpfter ohne wissenschaftliche Grundlage offenbaren undemokratisches Verhalten. Wenn es sich wie in Sachsen-Anhalt durch entsprechende Regelungen für Reiserückkehrer logischerweise ergibt, dass Geimpfte mehr Vorteile haben, ist das undemokratisch, meine Damen und Herren. Was ist in dem Land los? Das wird ja immer schlimmer. Wir haben mittlerweile schon Zeichen der Blockwartmentalität in Deutschland. Wir haben bei der Maskenpflicht schon gemerkt, dass diese miesen Charaktere ganz offen in der Öffentlichkeit rumturnen, so wie wir das aus den Berichten aus vergangenen schlimmen Zeiten schon gehört haben.
Offen sind die Fragen, ob Geimpfte möglicherweise weiterhin das Virus verbreiten, wie lange die Immunität anhält, ob es Impfschäden gibt. Das sind alles normale Fragen, denen sich die Politik stellen muss. Und geradezu ein Paradebeispiel fehlenden Demokratieverständnisses sind die Einlassungen von Ministerpräsident Söder vom 10. Januar 2021, wenn er von „Corona-Mob“, „Corona-RAF“ spricht. Meine Damen und Herren, wer diese linken Kriminellen mit einer demokratischen Opposition, gleich welche Art, ob hier oder draußen, in Verbindung bringt, hat kein Recht, sich als Demokrat zu bezeichnen.
Recht vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Spangenberg, ich habe mir fest vorgenommen: Sie können mich heute mal nicht aufregen.
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Das ist immer derselbe wirre Vortrag. Die Menschen in diesem Land sind ohnehin schon genug verunsichert.
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Es ist unsere vornehmste Aufgabe, Sicherheit in einer unsicheren Situation anzubieten. Das ist – das merkt man an diesem Widerspruch in sich – eine ganz schwer erfüllbare Aufgabe. Das geht aber gar nicht, meine Damen und Herren, wenn Teile der Politik zu früh und zur Unzeit in den Wahlkampfmodus wechseln.
Ich will das an der Stelle nicht vertiefen, obwohl auch ich eine innere Neigung habe, das zu tun; das gebe ich ganz offen zu. Nur so viel, meine Damen und Herren: Wer als Regierungsmitglied einem Ministerkollegen einen Fragebogen schickt, dokumentiert entweder mangelnden Überblick oder eine innere Pilatushaltung. Es geht hier eben nicht darum, die Hände in Unschuld zu waschen: weder für Minister noch, liebe Bärbel Bas, für stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Auch als Parlamentarischer Geschäftsführer, Herr Schneider, tut man sich an der Stelle denkbar schwer; denn natürlich sind wir alle miteinander in der Großen Koalition an dieser Stelle mitverantwortlich, was hier läuft. Und wenn Sie sich vertieft in diese Diskussion einbringen wollen, dann rate ich, das wirklich konstruktiv zu tun und nicht durch öffentlich gemachte Fragebögen.
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Die Spaltung in der Gesellschaft geht für mich an die Grenze des Erträglichen. Es muss hier jeder überlegen, welchen Beitrag er an der Stelle leisten möchte. Impfen ist da ein ganz kritischer Punkt, sage ich Ihnen ganz ehrlich. Viele Redner haben das vorhin qualifiziert als Licht am Ende des Tunnels, und deshalb muss man mit diesem Licht auch sinnvoll umgehen. Man muss sich schon mal fragen, warum wir uns nicht darüber freuen konnten, dass die Zulassung so früh gekommen ist. Da geht dann sofort wieder das Aber los.
Wir haben hier miteinander eine Priorisierung diskutiert, wer zuerst drankommt. Es kann doch keiner sagen, dass er angesichts dieser Diskussion nicht gewusst hat, dass der Impfstoff zumindest am Anfang knapp ist. Bei der ganzen Diskussion, meine Damen und Herren, geht der Respekt für die Leute, die jetzt das Impfen organisieren und durchführen, aus meiner Sicht unter. Das finde ich extrem bedauerlich.
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Christian Lindner hat recht, dass es wichtig ist, dass wir Biotechnologien und auch die Gentechnik nicht einer allgegenwärtigen Technikskepsis in diesem Land geopfert haben. Vielleicht sollten wir nach der Pandemie noch ein bisschen intensiver über solche Themen nachdenken.
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Nur wenn ich dann in der gleichen Debatte höre, dass die Linke fordert, den Patentschutz aufzuheben, dann frage ich mich, wie man in Zukunft Innovationsanreize setzen will.
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Das ist etwas, was für mich überhaupt nicht zusammenpasst.
Zu der Diskussion über die Beschaffung sage ich Ihnen ganz offen: Ich bin nun kein bekennender Fan der europäischen Bürokratie, das wissen viele hier. Aber eines muss man schon anerkennen: Europa hat an der Stelle richtig mitfinanziert, die Weichen richtig gemeinsam gestellt. Wir alle miteinander haben ein klares Interesse an offenen Grenzen. Deshalb ist es richtig, europäisch vorzugehen. Nationale Alleingänge, nationale Egoismen haben Deutschland noch nie weitergebracht. Noch nie!
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Wenn man weiß, dass Produktionskapazitäten der Engpass sind, kann man doch nicht sagen: Da muss man nur mit mehr Geld reingehen und mehr bieten. – Das führt doch auch nur dazu, dass im Wettbewerb die Preise steigen, und es wird nicht dazu führen, dass am Schluss Europa sinnvoll besser versorgt ist.
Was das Thema Impfbereitschaft angeht, so stelle ich fest, dass sie unterschiedlich ausgeprägt ist, was jetzt anfänglich bei knappen Impfdosen durchaus nicht problematisch ist. Aber ich appelliere schon leidenschaftlich gerade an die Leute aus dem Pflegebereich, aus dem ärztlichen und medizinischen Umfeld, sich impfen zu lassen. Das gebietet die Verantwortung gegenüber vulnerablen Patienten, aber auch die Solidarität gegenüber den Kollegen; denn derjenige, der nicht geimpft ist, fällt dann irgendwann aus. Ich glaube, dass das in dieser Gruppe verstanden wird, dass man dafür Aufklärung und Überzeugungsarbeit einsetzen kann. Und es bleibt dabei: Es wird in diesem Land niemand über eine gesetzliche Impfpflicht gezwungen. Niemand!
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Aber es wäre nicht Deutschland, sage ich Ihnen ganz offen, wenn wir nicht von Anfang an – die AfD hat es gerade wieder versucht –, schon vor der ersten Spritze, die Diskussion führen würden, ob der Geimpfte Privilegien haben soll – das wäre nicht Deutschland. Natürlich hat der Geimpfte ein Privileg zuallererst, nämlich dass er einen entsprechenden Impfschutz genießt, einen gesundheitlichen Vorteil.
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Den wollen wir ja erreichen, den wollen wir nicht verhindern, und wir wollen dafür Sorge tragen, dass durch viel Impfen es möglichst schnell kein Privileg mehr ist.
Dann ist die Frage, ob man auch Grundrechte von Immunisierten einschränken darf, zum Beispiel in Form von Verdachtsquarantäne. Diese Diskussion kann man in Form von juristischen Seminaren führen, meine Damen und Herren. Aber Fakt ist natürlich, dass wir dahin kommen müssen, dass wir alle miteinander zügig und schnell geimpft werden.
Ich meine, wir sollten die Zeit jetzt nutzen, trotz Mutation und trotz Risiken noch etwas zielgenauer mit den Restriktionen umzugehen. Natürlich stimmt auch das, was hier gesagt wurde: Auf lange Sicht werden wir einen Lockdown nach dem anderen finanziell nicht durchhalten. – Und deshalb muss man in der Phase sehr genau analysieren, was etwas gebracht hat und wie man sich dann auch auf die wichtigen und richtigen Mittel konzentriert. Denn eines steht fest: Der Virus braucht den Kontakt der Menschen untereinander. Aber, meine Damen und Herren, die Menschen brauchen diesen Kontakt untereinander eben auch.
Vielen Dank.
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Dr. Achim Kessler, Die Linke, erhält das Wort, sobald das Pult bereit ist.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit erheblichen Steuermitteln die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen sowie den Aufbau von Produktionskapazitäten gefördert.
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Meine Damen und Herren, das begrüßen wir ausdrücklich.
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Aber: Es ist vollkommen unverständlich, dass Sie die öffentliche Förderung nicht an die Bedingung geknüpft haben, dass die Forschungsergebnisse auch öffentlich zugänglich sein müssen. Und Sie haben darauf verzichtet, sich im öffentlichen Interesse den Einfluss auf die Preisgestaltung zu sichern. Sie haben durch Abnahmezusagen das unternehmerische Risiko minimiert, ohne dafür im Gegenzug irgendwelche Gegenleistungen zu verlangen. Angesichts der tödlichen Bedrohung durch das Coronavirus kann ich diese Art von Industrieförderung ohne Gegenleistung nur als unmoralisch bezeichnen; ich hätte fast „kriminell“ gesagt.
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Der Bundestag hat Ihnen mit dem Ersten Bevölkerungsschutzgesetz die Möglichkeit gegeben, in der gegenwärtigen Krisensituation Ausnahmen vom Patentschutz anzuordnen. Demnach kann die Bundesregierung Hersteller von Impfstoffen im öffentlichen Interesse zwingen, Lizenzen an andere Firmen zu vergeben, um die Produktionskapazitäten zu erhöhen; das ist eine reale Möglichkeit, die Sie haben. Und Sie können in die Preisgestaltung für die Impfstoffe eingreifen. Ich fordere Sie auf, diese Möglichkeiten, die Sie selbst durchgesetzt haben, jetzt auch tatsächlich zu nutzen.
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Aber Sie tun genau das Gegenteil: Durch die Geheimhaltung der Verträge schützen Sie die Interessen der Pharmalobby. Dabei ist es von herausragendem öffentlichem Interesse, zu wissen, wie hoch die Preise und Gewinnmargen für die Impfstoffe tatsächlich sind. Meine Damen und Herren, die Öffentlichkeit hat auch ein Recht darauf, zu erfahren, welche Haftungsvereinbarungen Sie getroffen haben. Herr Spahn, ich fordere Sie auf, die Verträge jetzt endlich offenzulegen.
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Denn durch die Geheimhaltung und die Intransparenz erschüttern Sie das Vertrauen der Bevölkerung, und das, meine Damen und Herren, ist wirklich verantwortungslos.
Die Bundesregierung verteidigt zu Recht die Entscheidung, die Impfstoffbestellung mit europäischen Partnerländern zu koordinieren. Denn es stimmt: Eine Pandemie kann tatsächlich nicht im nationalen Alleingang bewältigt werden. Aber, meine Damen und Herren, Sie denken nicht weit genug. Denn die Pandemie kann angesichts der globalen Vernetzung auch nicht auf einem einzelnen Kontinent bewältigt werden. Wir sind nur dann wirklich geschützt, wenn weltweit ein Großteil der Menschen durch Impfung vor dem Virus und seinen Mutationen geschützt ist. Auch deshalb müssen die Lizenzen freigegeben werden. Dazu gehört auch, den erforderlichen Technologietransfer abzusichern.
Meine Damen und Herren, die Produktionskapazitäten müssen jetzt schnell weltweit ausgeweitet werden. Dafür hätten Sie die volle Unterstützung der Linken. Aber ich muss Ihnen sagen: Was Sie im Moment hier abliefern, das ist wirklich ein Trauerspiel. Da treten sich die Aspiranten um den Parteivorsitz der CDU gegenseitig ans Schienbein, die Koalitionäre gehen aufeinander los. Pandemiebekämpfung funktioniert so nicht, meine Damen und Herren.
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Hören Sie auf, sich mit sich selber zu beschäftigen! Machen Sie endlich Ihre Arbeit! Darauf haben die Menschen in diesem Land einen Anspruch.
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Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin.
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Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit fast einem Jahr verbreitet sich ein neuartiges Virus weltweit und rasant, und dank der beispiellosen Anstrengung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – nicht nur hier bei uns, sondern weltweit – sind wir heute in der Lage, mit den Impfungen gegen Covid-19 zu beginnen. Wir sind auf dem Weg, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Aber Wollen alleine reicht noch nicht; man muss auch tun.
Herr Minister Spahn, ich hätte nicht nur erwartet, dass Sie eingestehen, dass Fehler gemacht wurden, sondern ich hätte heute auch mehr konkrete Forderungen und Vorschläge erwartet, wie die Bundesregierung in Zukunft tatsächlich vorgehen möchte. Das hat mir wirklich gefehlt. Das war eher kanzlerreif als gesundheitsministerreif.
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– Habe ich jetzt einen wunden Punkt in der CDU getroffen, oder was?
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Das freut mich. Das gehört auch zur Oppositionspolitik.
Von Anfang an war klar, dass zunächst nur wenige Impfungen möglich sind, meine Damen und Herren, und dass Impfen allein nur ein Baustein ist. Aber für eine gelingende Impfkampagne braucht es mehr als einen Impfstoff und Spritzen. Es braucht Infrastruktur und Personal, und es braucht vor allem auch Vertrauen in die Impfung gegen ein neuartiges Virus, Vertrauen in neuartige Impfungen und die Bereitschaft möglichst vieler Menschen, sich impfen zu lassen.
Bis heute fehlen allgemeine und spezifische Aufklärungskampagnen auf der Grundlage verschiedener wissenschaftlicher Kompetenzen. Wir haben, als es um die Begründung der Maßnahmen ging, von Anfang an gefordert, einen interdisziplinären Pandemierat einzusetzen, um jetzt in genau dieser Situation aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven Empfehlungen abzugeben.
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Meine Damen und Herren, wir können nicht länger auf eine effiziente Impfkampagne warten. Bund und Länder sind aufgefordert, endlich gemeinsam und einheitlich strategisch vorzugehen und die vorhandenen Impfstoffe nach und nach schnellstmöglich zum Einsatz zu bringen.
Statt wissenschaftsbasierter Aufklärung richten nun Politiker wie zum Beispiel Herr Söder die verbale Schrotflinte auf das Pflegepersonal. Zu Beginn der Pandemie, meine Damen und Herren, haben diese Pflegekräfte ohne Schutzausrüstung gearbeitet, waren selber in Gefahr. Sie machen seit Monaten regelmäßig Überstunden und leisten Sonderschichten, um die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, und das auf Kosten der eigenen Gesundheit. Pflegepersonal, meine Damen und Herren, ist systemrelevant für das Gesundheitswesen und auch – das wissen wir inzwischen – für unsere ganze Gesellschaft.
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Notwendig ist statt Beschimpfung Monitoring des geimpften Gesundheitspersonals, repräsentative Untersuchungen über Einstellungen und mögliche Vorbehalte sowie eine wissenschaftsbasierte Fortbildung zu Covid-19 und den Impfungen. Da sind auch die Einrichtungen, die Arbeitgeber und die Pflegekammern in der Pflicht.
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Meine Damen und Herren, wir befinden uns alle – die gesamte Gesellschaft – in einer weltweiten Gesundheitskrise. Da ist kein Platz für politischen Populismus.
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Wir alle sind genervt von den Einschränkungen des Alltags. Wir alle wissen, dass das Impfen ein wichtiger Weg aus der Krise ist. Aber gerade jetzt ist das Wichtigste in dieser Pandemie, dass unsere Gesellschaft zusammenhält – hier bei uns, europäisch und global.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Rudolf Henke, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich bin nicht übermäßig glücklich mit der Art, wie die Debatte verläuft. Eigentlich haben wir gedacht, wir machen hier eine gemeinsame Bestandsaufnahme und nutzen diese Bestandsaufnahme, um möglichst übereinstimmend und einvernehmlich an die Bürgerinnen und Bürger zu adressieren, wie es weitergeht und vor allem auch, dass es Gründe für Zuversicht gibt.
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Ohne jetzt auf jeden Einzelnen, der vorgetragen hat, einzugehen: Mein Eindruck ist ein bisschen, jeder dreht das Rad weiter, das er auch in den vergangenen Monaten gedreht hat: Ja, natürlich muss ein Pandemierat eingerichtet werden. Ja, natürlich muss gesagt werden: Lasst das doch alles laufen und hebt den Lockdown auf. Natürlich muss gesagt werden: Wir brauchen mehr Verstaatlichung, weniger Patente, wir brauchen im Grunde mehr Sozialismus in der pharmazeutischen Industrie.
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Aber helfen alle diese Botschaften uns in der aktuellen Situation tatsächlich weiter?
Dabei gibt es doch Gründe zur Zuversicht. Reinhard Sager aus Schleswig-Holstein, der Landrat des Kreises Ostholstein und der Präsident des Deutschen Landkreistages, hat Anfang Januar ein bemerkenswertes Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gegeben. Ich zitiere ihn:
Wir schwanken in der Diskussion von einem Extrem ins andere. Vor wenigen Wochen hatten wir noch eine Diskussion darüber, ob es zulässig ist, so schnell einen Impfstoff überhaupt zu genehmigen. Da war auch noch die Rede davon, dass frühestens erst im kommenden März mit dem Beginn der Impfkampagne zu rechnen sei. Das hielt man schon für flott. Jetzt streiten wir darüber, warum es nicht so viel früher mehr Impfstoffe gegeben hat. Das befremdet mich offen gesagt.
So Reinhard Sager. – Ja, mich befremdet das auch. So Rudolf Henke.
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Ich glaube, dass wir heute stehen, wo wir stehen, hat auch damit zu tun, dass sich die ruckelnden Prozesse besser einspielen. Wir haben derzeit am Tag eine Steigerung der Zahl Geimpfter um ungefähr 8 bis 10 Prozent. Laut RKI-Zahlen Stand heute wurden bisher 758 093 Personen geimpft. Ich habe nachgeguckt, ob es noch Meldeverzug gibt. – Nein, die Zahl stimmt mit der Zahl von Nordrhein-Westfalen von gestern mit einer Abweichung von 10 000 fast überein. Das heißt, wir machen Fortschritte, und wir werden in der Organisation besser.
Den Mangel an Impfstoff können wir jedoch nicht weghexen. Ist er neu? Ist er unerwartet? Ich habe hier einen Beschluss der 93. Gesundheitsministerkonferenz der Länder. Antragsteller waren alle Länder – alle Länder! –, und deswegen gab es auch das Votum 16 : 0 : 0. Im Beschluss vom 6. November heißt es:
Wirksame Impfstoffe gegen COVID-19 werden zur Bewältigung der Pandemie und für den Umgang mit dem Virus von entscheidender Bedeutung sein. Nach Zulassung eines Impfstoffs ist zunächst von einer begrenzten Anzahl verfügbarer Impfdosen auszugehen.
Es war ein Glück, dass der BioNTech/Pfizer-Impfstoff mit 50 Millionen Einheiten zum Zeitpunkt der Zulassung vorproduziert war und uns deswegen akut zur Verfügung gestellt werden konnte. Es hätte auch irgendeinen anderen Hersteller geben können, der das Rennen gemacht, aber nicht vorproduziert hätte. Dann wären wir jetzt in der Situation, dass wir vielleicht erst im März starten könnten.
Insofern: Ich finde, wir können aufgrund der schnellen Entwicklung des Impfstoffs und des Impfstarts – das hat geruckelt; es gibt immer noch Leute, die rufen irgendwo an und kriegen keine gute Nachricht – ein Stück weit Zuversicht, Optimismus und Hoffnung verbreiten; denn ohne Sinn durchhalten, das kann keiner. Deswegen, glaube ich, ist die Perspektive, jetzt die Menschen in den Pflegeheimen zu impfen und ihnen dadurch dort, wo die Krankheit am schlimmsten zuschlägt, Schutz zu gewähren. Dann folgen die Gruppen derer, die beruflich besonders exponiert sind, sowie die Gruppe der über 80-Jährigen.
Danach wird in der Bevölkerung nach und nach die Impfquote anwachsen. Wir werden, wenn zusätzliche Impfstoffe von AstraZeneca, vielleicht auch von Johnson & Johnson oder von CureVac zugelassen werden, im Sommer in der Tat die Chance haben, jedem ein Impfangebot zu machen. Das ist die Perspektive. Darüber bin ich froh. Ich finde, der Deutsche Bundestag darf das auch zeigen.
Herzlichen Dank.
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Jetzt erhält das Wort der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst vielen Dank für die Möglichkeit, im Rahmen dieser wichtigen Debatte einige Sätze aus Länderperspektive hinzuzufügen. Es ist im Verlauf der Debatte zu Recht mehrfach angesprochen worden, welch große Hoffnungen wir mit dem Thema Impfungen verbinden und dass die Menschen zu Recht die Hoffnung haben, wieder ein Stück Normalität zurückzugewinnen. Ich glaube, nicht zuletzt über das Impfen können wir für unsere Wirtschaft wieder Perspektiven schaffen.
Ja, mit dem Impfen ist endlich eine weitere Säule im Rahmen der Pandemiebekämpfung – neben den ganzen Einschränkungen, Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen, neben den erweiterten Testmöglichkeiten, die wir im Laufe der letzten Monate hinzugewonnen haben – hinzugekommen. Das Impfen stellt eine dauerhafte Entlastung dar. Es ist wirklich spektakulär, wie schnell die Wissenschaft auf die Herausforderung reagieren konnte. Nun kommt es darauf an, aus diesem wissenschaftlichen Erfolg schnellstmöglich Gesundheitsschutz für alle zu organisieren, meine Damen und Herren.
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Dass es aber Fragen und Kritik im Zusammenhang mit der Impfkampagne und aufgrund des Mangels an Impfstoffen gibt, kann nicht wirklich verwundern; denn die Erwartungen, die ab Mitte Dezember geweckt wurden, waren natürlich erheblich. Auch von Ihnen, Herr Spahn, wurden erhebliche Erwartungen geweckt, dass es sehr schnell losgeht. Die Länder sollten sich darauf vorbereiten, dass es im Dezember sehr schnell gehen kann. Und die Bundesländer haben sich vorbereitet: durch die Einrichtung von Impfzentren und mobilen Teams.
Ja – mein Vorredner hat es eben angesprochen –, wir wussten, dass es am Anfang begrenzte Kapazitäten geben wird. Aber das Entscheidende ist natürlich, wann wie viel bei uns ankommt, damit man planen kann. Lieferungen waren für Ende Dezember angekündigt, dann wurde die Ankündigung zurückgenommen. Dann wurde sie wieder erneuert, und es kam eine Impfstofflieferung. Dafür wurde im Januar nicht viermal geliefert, sondern nur dreimal. Das schafft Unsicherheiten.
Aus dieser Situation heraus stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? – Um es klar zu sagen: Mir sind die Rückschau, wann eventuell welcher Fehler gemacht wurde, und entsprechende Schuldzuweisungen nicht wichtig. Ich glaube, dass es völlig richtig war, sich in einem EU-weiten Prozess abzustimmen. Ein Weg nach dem Motto: „Wer mehr Geld hat oder der Stärkere in der Europäischen Union ist, der setzt sich durch“, das kann nicht im Ernst unser Weg sein in diesem vereinten Europa.
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Manche Fragen werden aber zu Recht gestellt: Warum wurde nicht von Beginn an auf verschiedene Impfstoffe gesetzt? Warum wurde nicht früher mehr bestellt? Jetzt wird nachbestellt. Abstimmungsrunden finden unter Federführung der Kanzlerin statt. Unternehmen werden angesprochen, ob die Produktion erhöht werden kann. Das passiert doch jetzt, weil es von Anfang an eben nicht gut gelaufen ist.
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Doch das Lernen für die Zukunft ist das Entscheidende. Wir müssen uns heute, aus dieser Situation heraus, darauf vorbereiten: Wie können wir in Zukunft besser aufgestellt sein, falls ähnliche Krisen auf uns zukommen? Darum geht es doch. Das war bei der Maskenbestellung oder bei den Desinfektionsmitteln genau das Gleiche.
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Wir müssen jetzt darüber reden, ob und welche Kooperationen mit Unternehmen wir brauchen, wie wir Produktionsketten und Produktionsabläufe verbessern können und wo die Bundesregierung Akzente setzten muss. Das ist in dieser Situation das richtige Vorgehen,
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und zwar auch deswegen, Herr Brinkhaus, weil Herr Spahn schon wieder große Erwartungen weckt.
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Auch heute wurden wieder Millionen Impfdosen angekündigt, Hunderte Millionen bis zum Sommer. Wir wollen bis zum Sommer jedem ein Impfangebot machen. – Mal ganz konkret für meine Stadt mit 3,8 Millionen Einwohnern: Das bedeutet, ich brauche bis zum Sommer theoretisch 7,6 Millionen Impfdosen. Dann ziehen wir noch alle ab, die gar nicht geimpft werden können oder sich leider nicht impfen lassen wollen.
Rechnen wir mal mit 5 Millionen Impfdosen, die wir brauchen bis zum Sommer. Geteilt durch die 180 Tage, die ich noch habe, um allen bis zum Sommer ein Impfangebot zu machen, bedeutet das: Jeden Tag müssten 28 000 Impfdosen verimpft werden. Meine Damen und Herren, das mache ich gerne. Und wir sind darauf, genauso wie die anderen Bundesländer, auch vorbereitet. Aber, meine Damen und Herren, diese 28 000 Impfdosen bekommen wir im Moment als Wochenlieferung und nicht als Tageslieferung. Deswegen müssen wir jetzt an dieser entscheidenden Stelle fragen: Wann bekommen wir welche Menge?
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Das ist keine abstrakte Diskussion; denn ein Einladungssystem und eine Terminvergabe, die hier angesprochen wurde, können erst erfolgen, wenn ich verlässlich weiß, wann ich wen einladen kann. Es wäre für uns alle eine Katastrophe, die 80-, die 70-Jährigen, die vulnerablen Gruppen einzuladen, sie bekommen einen Termin, sie stehen vorm Impfzentrum, aber der Impfstoff ist nicht da, meine Damen und Herren.
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Deswegen ist diese Diskussion so wichtig: jetzt zu erfahren – verlässlich zu erfahren –: Wann bekommen wir was? In Bezug auf die niedergelassenen Ärzte trifft das ganz genauso zu: Womit können sie wann rechnen?
Ich glaube, das sind die entscheidenden Fragen. Die Impfplicht ist mit Sicherheit eine Nebendebatte, die uns nicht weiterhilft, um das auch ganz klar zu sagen.
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Denn wir müssen es doch erreichen, dass das Personal in Pflege- und Krankenhäusern aus voller Überzeugung unseren Weg unterstützt, sich impfen zu lassen,
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und nicht, weil sie dazu gezwungen werden. Das, meine Damen und Herren, ist, glaube ich, eine abseitige Debatte. Es geht darum, Sicherheit und Vertrauen – auch das ist mehrfach in der Diskussion angesprochen worden – zu erhöhen.
Die Testkapazitäten, Herr Spahn, die Testmöglichkeiten – auch über Schnelltests – will ich an dieser Stelle auch noch kurz ansprechen. Vielleicht gibt es, wenn die Menschen sich selbst testen, auch Missbrauch von Kapazitäten. Und vielleicht gibt es nicht immer zu hundert Prozent korrekte Ergebnisse. Aber ich glaube, die Vorteile würden überwiegen, wenn Polizistinnen und Polizisten, wenn das Pflegepersonal, das Personal in den Krankenhäusern sowie Lehrerinnen und Lehrer durch den Einsatz von Tests und auch Selbsttests mehr Sicherheit bekommen würden, wo sie stehen mit ihrer Gesundheit.
Wir haben, meine Damen und Herren, zusammen viel erreicht in den letzten Monaten. Ich glaube, es geht jetzt darum, entschlossen diesen gemeinsamen Weg auch weiterzugehen und alle Möglichkeiten zu nutzen in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Das Klinikpersonal entlasten, vor allen Dingen aber auch die vielen Menschen, die jetzt physisch und psychisch an ihre Grenzen kommen in ihrem Dienst für uns alle, entlasten, Perspektiven bieten für die Schulöffnung, die Familien entlasten und nicht zuletzt auch der Wirtschaft wieder Perspektiven bieten: Diese Hoffnungen und Erwartungen erfüllen, das muss unser gemeinsames Ziel sein.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Erwin Rüddel, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der langersehnte Impfstoff ist da. Ich habe das Gefühl, wir diskutieren Probleme und haben verlernt, uns über diese gute Perspektive zu freuen. Wenn man im Spätsommer/frühen Herbst als Optimist gesagt hat: „Ich glaube, wir werden dieses Jahr noch impfen“, dann hat man ungläubige Blicke geerntet. Und wenn man dann gefragt hat: „Was glauben Sie denn, mit welchem Impfstoff?“, dann wurde als Erstes hier bei uns CureVac genannt und nicht BioNTech. Das zeigt, dass es Entwicklungen gab und wir Entscheidungen treffen mussten zu einem Zeitpunkt, wo noch viel Ungewissheit war. Ich bin froh, dass wir Entscheidungen hier getroffen haben und Entscheidungen getroffen wurden, die auf Risikostreuung gesetzt haben. Das war der richtige Weg.
Und aller Anfang ist schwer: Sie können nicht einfach einen Schalter umlegen und dann haben Sie morgen mehr Impfstoff.
({0})
Wir haben gegenüber der Bevölkerung eine große Verantwortung im Hinblick auf das Thema Sicherheit, Qualität, Vertrauen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man hier keine Verkürzungen macht. Die Produktionsprozesse sind sehr, sehr kompliziert. Der Impfstoff muss im Rahmen des Produktionsprozesses mindestens zweimal geprüft sein, bevor er dann der Bevölkerung zur Verfügung gestellt wird. Wenn hier der Eindruck erweckt wird, als wenn man dem Produzenten nur sagen müsste: „Ich hätte gern mehr“, und dann bekommt man mehr, dann muss ich sagen: Das ist nicht möglich, zumindest nicht in der Qualität, die wir hier für unsere Bürger in Deutschland erwarten.
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Ich denke, wir sollten stolz sein auf die Leistung der Wissenschaft und uns freuen über die Entwicklungen, über diesen besonders schönen Prozess.
Tatsächlich können die Länder den Impfstoff, den wir ihnen liefern, derzeit nicht verimpfen. Der Job des Gesundheitsministers ist, Impfstoff zu liefern. Der wird geliefert. Das, was geliefert ist, wird aber nicht in allen Ländern in der Dynamik verimpft, wie sie sein könnte. Ich will das gar nicht kritisieren, ich will damit nur deutlich machen, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat und dass wir die Leistungen und Erfolge nur gemeinsam einfahren werden, Bund und alle Länder zusammen.
Wir haben auf Europa gesetzt. Das halte ich für den richtigen Weg. Das ist nicht sentimental, das ist ein Gebot der Vernunft; denn Deutschland ist allein nicht in der Lage, die Pandemie zu bekämpfen. Deutschland hat eine andere Lage als Großbritannien oder die USA: Wir haben sehr viele Nachbarn. Wir können hier nicht isoliert handeln, sondern wir müssen gemeinsam mit den Nachbarn diese Pandemie bekämpfen. Grenzüberschreitend müssen wir wieder zur Normalität kommen.
Sorge macht mir die Impfbereitschaft, auch bei den Pflegekräften. Aber eine Impfpflicht ist der falsche Weg. Wir müssen die Menschen überzeugen, aufklären, dass der beste Gesundheitsschutz ein Impfschutz ist, und deutlich machen, dass hier bei der Zulassung der Impfstoffe alle Kriterien berücksichtigt worden sind. Impfstoffe in Deutschland sind sicher. Wir haben, was Wissenschaft, Sicherheit und Qualität angeht, keine Abstriche gemacht – wir haben Verwaltungsprozesse dynamisiert.
Impfen ist der Hoffnungsanker im Jahr 2021; es ist der Weg, um die Todeszahlen zu senken, die Infektionen einzudämmen, Überlastungen im Gesundheitssystem zu bremsen, die Schließung von Kitas, Schulen, Geschäften, Fitnesseinrichtungen oder Restaurants zu beenden und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Wenn im Februar die Menschen in den Heimen größtenteils ihre Impfchance erhalten haben, werden sich die Einschränkungen unseres Zusammenlebens sicherlich wieder reduzieren.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung zur Arbeit im Gesundheitsausschuss, der sich in den vergangenen Monaten als ein zentrales Gremium bei der Bewältigung der Pandemie bewährt hat. Der zuständige Minister hat sich in dieser Zeit als ebenso kompetenter wie souveräner und selbstkritischer Ressortchef erwiesen. Jens Spahn war bei allen regulären Sitzungen wie den zahlreichen Sondersitzungen des Ausschusses präsent,
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ist keiner Diskussion ausgewichen und hat immer zur Verfügung gestanden, bis auch die letzte Frage beantwortet war. Einen besseren Austausch zwischen Parlament und Regierung kann ich mir nicht vorstellen.
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Das hat fraktionsübergreifend zu konzentrierter, guter und sachbezogener Arbeit beigetragen in einer Zeit, die den Ausschuss herausgefordert hat wie vielleicht niemals zuvor. An dieser Stelle möchte ich auch allen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Gesundheit einen ganz herzlichen Dank für das großartige Miteinander bei der Bekämpfung der Pandemie aussprechen.
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Nächster Redner ist der Kollege Mario Mieruch.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! Corona ist zu ernst, um Pandemiemaßnahmen nach dem Trial-and-Error-Prinzip mal auszuprobieren. Es sei an dieser Stelle auch festgehalten, dass jeder, der sich für einen Platz auf der Bank rechts hinter mir einst bewarb, dies mit dem Anspruch tat, Kompetenzen mitzubringen und liefern zu können, wenn es dann einmal so weit ist. Und einst hat uns unser Gesundheitsminister Spahn erklärt, dass Masken sinnlos seien. Nun erklärt er uns, die Bundesregierung habe immer vor einer Impfstoffknappheit gewarnt. Nein, die Regierung hat wahlkampftaktisch falsche Erwartungen geweckt – und es wurde hier ja auch schon von dem einen oder anderen aufgegriffen –: Die Impfzentren seien startklar, gut gerüstet, die Kampagne würde mit großen Schritten beginnen. In der Realität stellt es sich leider nicht so dar. Die Krankenhäuser erhalten den Impfstoff für die Risikogruppen wahrscheinlich erst ab Februar. In Pflegeheimen wird er sogar verlost.
Den Lockdown in Salamitaktik jetzt zu verlängern, willkürliche Bewegungsradien, Ideen, Handydaten zu tracken, indirekte Impfpflicht über die Arbeitgeber, abstürzende Lernportale, Steuerberater in einer Endlosschleife der Nichtzuständigkeit, die gar nicht wissen, wie sie Überbrückungshilfe II und III beantragen sollen, weil das Ministerium die Berechnungsgrundlage nicht liefert, die hochnotpeinliche Auszahlung der Hilfsgelder an unseren Mittelstand – all diese Verfehlungen, Versprechen und ja, auch fragwürdigen Kompetenzen bereiten im Land natürlich auch den Nährboden für absurde Verschwörungstheorien. Aber die berechtigte und die sachliche Kritik an diesen Dingen, die ist eben keine Coronaleugnung. Das wäre zu einfach.
Die Frage, die sich aus der Impfstoffbestellung heraus ergibt, ist durchaus, ob Frau Merkel im Sommer Menschenleben gegen EU-Interessen abgewogen hat. Und wenn Jens Spahn bei der Beschaffung von den Impfstoffen anderer Meinung war, wo war sein lauter Aufschrei? Wer ist eigentlich der Gesundheitsminister, der alles dafür tun muss, dass wir diesen Impfstoff bekommen? Da stellt sich natürlich dann eben auch die Frage: Hätte ein solcher Aufschrei womöglich eigene Kanzlerambitionen infrage gestellt?
Aber eine noch viel wichtigere Frage, die sich hier auch für jeden Demokraten im Haus stellen muss, ist, mit welchem Mandat und wann dieses Hohe Haus die nationale Impfstoffbeschaffung an die EU übertragen hat. Und wo ist dieses Hohe Haus, wenn jedem förmlich ins Auge springt, dass die Maßnahmen nicht funktionieren, dass es so, wie es gerade läuft, nicht klappt? Versteckt es sich dann vielleicht sogar schon hinter dem Infektionsschutzgesetz? Wo ist das Bewusstsein für die Verantwortung jedes Einzelnen, welche man als Abgeordneter hier übertragen bekam?
Für die Liberal-Konservativen Reformer habe ich bereits am 4. Januar eine kritische Überprüfung dieser eindimensionalen und brachialen Coronapolitik in einem Untersuchungsausschuss gefordert. Und vielleicht sollten wir aufgrund der Erfahrungen, die wir gesammelt haben, auch schon die Handydaten sicherstellen; die kommen ja hier gerne mal weg.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Tino Sorge das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja nun in der Debatte hier schon eine ganze Menge gehört. Aber besonders bemerkenswert fand ich in dieser Debatte den Kollegen Müller, der ja von der Bundesratsbank hier zuhört und auch eine Rede gehalten hat. Dass sich ein Regierender Bürgermeister hier an dieses Rednerpult stellt, der es in seinem eigenen Bundesland nicht mal hinbekommt, die Impfdosen zu verimpfen – in Treptow mussten Impfdosen verworfen werden –, ist schon echt eine dreiste Nummer, Herr Kollege.
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Aber worüber reden wir hier in der ganzen Debatte? Ich glaube – dazu neigen wir Deutschen ja –, wir sehen immer nur, dass das Glas halbleer ist, und nicht, dass es halbvoll ist. Wir reden hier über einen Impfstoff, der innerhalb eines Jahres – vom Beginn der Pandemie bis zum Start der Impfung – entwickelt wurde. Ich glaube, da können wir hier in diesem Haus auch mal stolz sein und sagen: Das ist ein Meilenstein, das ist eine wissenschaftliche Sensation, und das ist so in der Geschichte noch nie vorgekommen.
Wenn so getan wird, als könne man bei der Impfstoffentwicklung – der Kollege Kessler hat ja wieder die feuchten Träume eines Enteignungsajatollahs hier zum Besten gegeben –
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einen Schalter umlegen, als könne man Impfstoffe innerhalb kürzester Zeit entwickeln, dann zeugt das von relativ wenig Fachkenntnis.
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Wenn ich mir andere Impfstoffe anschaue, egal ob gegen Kinderlähmung, Hepatitis B oder Tetanus, dann sehe ich, dass es von der Entwicklung bis zur entsprechenden Impfeinführung Jahrzehnte gedauert hat. Insofern sollten wir hier auch mal wieder ein bisschen den Fokus in die richtige Richtung lenken. Wir als Deutschland können stolz sein.
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Insofern müsste die Debatte heute heißen: Danke an Forscherinnen und Forscher, danke an diejenigen, die an diesem Impfstoff geforscht haben, aber auch ein ganz großes Dankeschön an die Industrie, die das möglich gemacht hat, und in diesem Sinne auch ein ganz großes Dankeschön an das Bundesgesundheitsministerium mit Jens Spahn; das möchte ich hier auch mal sagen.
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Wir haben ja in der Debatte auch immer die Kritik gehört: Warum ging das nicht schneller? Warum hat die Zulassung so lange gedauert? – Aber worüber sprechen wir denn? Wir sprechen über Impfakzeptanz. Im Fokus der Diskussion steht jetzt nicht die Frage, ob die Leute sich sofort impfen lassen wollen. Vielmehr stand noch vor einigen Tagen, vor einigen Wochen eher die Frage im Fokus, ob die Menschen sich überhaupt impfen lassen wollen. Und ich glaube, da wäre es völlig kontraproduktiv gewesen, mit Notfallzulassungen zu arbeiten, sie in einem Hauruckverfahren über die Rampe zu heben. Insofern bin ich auch wirklich dankbar, dass wir dem Druck standgehalten haben und das in einem ordentlichen EMA-Zulassungsverfahren, einem geordneten Verfahren, gemacht haben; denn nur so werden wir in der Bevölkerung Akzeptanz erreichen, weil wir sagen können: Dieser Impfstoff ist so gut getestet wie selten ein Impfstoff zuvor. – Insofern nehmen wir die Befürchtungen derjenigen, die vielleicht überlegen, ob sie sich impfen lassen wollen, ernst und räumen sie aus.
Zur Frage: Wie verimpfen wir? Es ist ja schon gesagt worden: Das ist eine Mammutaufgabe gewesen. Wir reden nicht nur über die Frage der Impfstoffbeschaffung innerhalb der Europäischen Union. Natürlich kann man sagen, Deutschland hätte sich den Impfstoff – koste es, was es wolle – auch zulasten anderer Nationen besorgen sollen. Aber ich will nur noch mal daran erinnern: Der Bundesgesundheitsminister hat schon sehr frühzeitig mit anderen Ländern Verhandlungen geführt, Vereinbarungen geschlossen, sodass wir in Deutschland relativ schnell den Impfstoff bekommen. Und es herrschte in den Diskussionen, sowohl im Gesundheitsausschuss als auch in anderen fraktionsübergreifenden Diskussionen, immer die klare Meinung, dass wir als Deutschland auch an einer europäischen Lösung mitarbeiten werden. Diejenigen, die sich jetzt hinstellen und suggerieren, als sei diese europäische Lösung der falsche Weg gewesen, verkennen, dass dieses Coronavirus und die Pandemie nur mit einer europaweiten Lösung bekämpft werden können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns doch gemeinsam die Diskussionen führen, lassen Sie uns doch die Widerstände, die Befürchtungen, die es in der Bevölkerung in Bezug auf das Impfen gibt, ausräumen, lassen Sie uns doch darüber sprechen, welche Kritik es da gibt, auch über die Frage, welche Vor-, welche Nachteile es beispielsweise bringt, bestimmte Kohorten, bestimmte Gruppen früher impfen zu lassen. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob die Festlegung der Personengruppen, die früher, prioritär geimpft werden können, die richtige ist. Aber es war doch immer klar, dass wir am Anfang nicht gleich genügend Impfstoff für alle zur Verfügung haben werden. Deshalb ist es richtig, dass wir uns auf die Gruppen, die am gefährdetsten sind, auf die vulnerablen Gruppen, auf ältere Menschen, auf Menschen in Pflegeheimen, in Senioreneinrichtungen fokussieren, weil gerade dort das Ausmaß der Pandemie, die Mortalitätsrate am höchsten ist. Insofern ist das doch der richtige Weg.
Ich glaube, wir alle sollten das Motto der Impfkampagne ernst nehmen: „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“. Wir sollten das im doppelten Sinne sehen: Einerseits krempeln wir die Ärmel hoch, um dieses Virus weiterhin so stark zu bekämpfen, andererseits krempeln wir gemeinsam die Ärmel hoch, damit bald jeder eine Impfung bekommen kann.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Claudia Schmidtke das Wort.
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe heute einen Blick in den Kalender geworfen, auf die erste Sitzungswoche des vergangenen Jahres vor ziemlich genau einem Jahr. Wir sprachen über die Neuregelung der Organspende, führten eine hochemotionale Debatte und stimmten ab – mit körperlicher Nähe. Die Woche war gefüllt mit Neujahrsempfängen und vielen Veranstaltungen, persönlichen Begegnungen; ich hatte eine Besuchergruppe aus dem Wahlkreis zu Gast. Das vermisse ich sehr, Ihnen geht es wahrscheinlich ähnlich.
Aus China erreichten uns beschwichtigende Meldungen über das neuartige Virus, von dem wir im Dezember erstmalig hörten. Am 13. Januar, also auf den Tag genau vor einem Jahr, gab es dennoch das erste Vorkommen außerhalb Chinas, nämlich in Thailand. Von der Entwicklung eines Impfstoffes war noch keine Rede. Erst am 11. März sollte Covid-19 zur Pandemie erklärt werden.
Die auf diese Tage im Januar 2020 folgenden Monate sollten uns in eine völlig andere Welt katapultieren, in der wir uns immer noch befinden. Wir trauern um Zehntausende Tote allein bei uns in Deutschland.
Hunderte Milliarden Euro zur Stützung der Wirtschaft haben wir bewilligt, und wir haben den Menschen im Land Kontaktbeschränkungen auferlegt. Die ganze Welt fuhr herunter – zunächst mit wenig Hoffnung auf rasche Besserung und viel Skepsis, ob es überhaupt gelingen wird, einen Impfstoff zu entwickeln.
Und nun zurück ins Heute: Bereits heute, im Januar 2021, wird weltweit ein revolutionärer Stoff verimpft, der vor dieser Krankheit, die die ganze Welt in Bann hält, effektiv schützt. Er ist gründlich getestet und regulär zugelassen, und er kommt aus Deutschland. Was ist das für eine Erfolgsgeschichte!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss zugeben: Auch ich habe Anfang des vergangenen Jahres eine derart schnelle Impfstoffentwicklung nicht für möglich gehalten. In einem anderen Punkt habe ich aber recht behalten: dass nämlich diese Rekordentwicklung mit dem neuen mRNA-Verfahren zu einer großen weltweiten Knappheit in den ersten Monaten führen wird und dass einige Länder schneller impfen können, die meisten Länder der Erde dagegen noch lange warten müssen.
Deutschland gehört zu denen, die schneller impfen können, nicht schnell genug, um ganz an der Spitze zu sein, aber schneller als etwa 170 andere Länder auf der Welt. Auch diese Wahrheit sollte man zur Kenntnis nehmen.
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Wir haben noch einige schwere Monate vor uns. Wir müssen angesichts der Bedrohung durch die in Großbritannien erkannte Mutationsform noch einmal alle Kräfte mobilisieren, um durch Kontaktbeschränkungen und geordnete Kontaktverfolgung überall dort, wo das möglich ist, die Infektionszahlen einzudämmen.
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Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich gönne Großbritannien diesen Impfstoff wirklich. Denn ich habe Kollegen dort vor Ort, und deren Geschichten sind wirklich ganz anders als bei uns in Deutschland. Dort gibt es über 83 000 Todesfälle. Das muss man sich auch noch mal verdeutlichen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal eindringlich an die Kommunen appellieren: Verwenden Sie bitte das Helmholtz-Nachverfolgungsprogramm SORMAS in Ihren Gesundheitsämtern!
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Verzichten Sie auf Insellösungen! Schon allein dieser Schritt kann Leben retten.
Was die Beschleunigung des Impferfolges angeht, brauchen wir neben der Optimierung der Infrastruktur vor allem die Bereitschaft, sich auch impfen zu lassen. Ich will mich daher mit einem Wort an die Gesundheitsberufe, die Ärztinnen und Ärzte, die Pflegekräfte in unserem Land wenden: Ich habe in der vergangenen Woche bei mir in Lübeck selbst mitgeholfen beim Impfen. Ich habe die Ärmel im wahrsten Sinne des Wortes hochgekrempelt, und ich sage Ihnen mal was, Herr Müller – der Kollege hat es schon gesagt –: In Schleswig-Holstein klappt das.
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Wir müssen auch keine Impfdosen verwerfen. Wir packen dort gemeinsam an.
Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ist die Bereitschaft enorm hoch. Über 80 Prozent wollen sich impfen lassen. Die Entscheidungsprozesse der Impflinge, mit denen ich gesprochen habe, waren überlegt und reflektiert. Man hat darüber nachgedacht, sich mit der Familie beraten und war sich doch vor allem bewusst, dass man an vorderster Front, im Umgang mit Patientinnen und Patienten, nicht nur ausgeliefert ist, sondern auch selbst ein Risiko darstellen kann.
Ich weiß aber auch, dass die Impfbereitschaft nicht überall gleich ist. Meine Überzeugung ist: Jetzt ist keine Zeit für Impfpflichtdebatten, jetzt ist Zeit für wissenschaftliche Vernunft.
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Drei Dinge möchte ich hervorheben, bevor ich gleich zum Schluss komme:
Erstens. Das Zulassungsverfahren ist der reguläre Goldstandard.
Zweitens. Wir sehen nach den ersten millionenfachen Impfungen weiterhin keine schwerwiegenden Nebenwirkungen.
Drittens. Die Impfung ist damit nicht nur intensiv geprüft, sondern sie ist vor allem eines: besser als die Krankheit.
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Ich wünsche mir von uns allen die Solidarität, die wir im vergangenen Jahr zu Beginn der Pandemie bewiesen haben. In unserer Zuversicht liegt unsere Kraft. Bleiben Sie gesund!
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Landwirtschaft muss viel leisten. Die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland sehen sich vielen gesellschaftlichen Erwartungen ausgesetzt. Sie sollen die Ernährung sichern, und selbstverständlich soll ihre Landwirtschaft die Landschaft und die Tiere pflegen, die Umwelt und die Ressourcen schützen und den Klimawandel stoppen. Diese Erwartungen zu erfüllen, kostet Geld. Und an diesem Geld entscheidet sich auch, ob ein Betrieb weitergeführt wird oder nicht, wenn das Ganze das Betriebsergebnis belastet und eventuell nicht getragen werden kann.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns immer wieder gewahr werden: Wer regionale Produkte will, der braucht auch regionale Bauern. Von daher ist es wichtig, dass wir eine Förderpolitik betreiben – und das tut diese Bundesregierung –, die diese Bäuerinnen und Bauern, die wir unterstützen wollen, auch dazu ermutigt, die Schritte zu gehen, die wir von ihnen gesellschaftlich erwarten. Diese Förderpolitik ist eine Politik, die gesellschaftliche Erwartungen mit Finanzen und Anreizen unterlegt, und das ist nicht, wie wir häufig hören, einfach nur platt eine Subventionsausschüttung.
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Deshalb ist es wichtig, dass wir die Schritte hin zu mehr Klimaschutz, mehr Umweltschutz, mehr Artenvielfalt, Naturschutz und auch Ernährungssicherung möglich machen und Lösungen anbieten. Also nicht in einem Schwarz-oder-Weiß, Alles-oder-Nichts, Gut-oder-Böse verharren. Eine Lösung ist zum Beispiel der Einsatz moderner Techniken.
Das zeigen wir zum Beispiel mit unserem Investitionsprogramm Landwirtschaft, das vor zwei Tagen an den Start gegangen ist und so den Nerv der Branche getroffen hat, dass schon nach kurzer Zeit die erste Tranche abgerufen war, um den Bedarf zu decken. Es ist wichtig, dass Gelder, die der Staat zur Verfügung stellt, auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
Für welche Techniken werden sie verwendet? Zum Beispiel sollen sich auch kleine Betriebe moderne Maschinen leisten können, die weniger Pflanzenschutzmittel und weniger Düngemittel einsetzen. Und damit dazu beitragen, dass es weniger Emissionen gibt, ohne dabei die Ernten und die Ernährungssicherheit zu gefährden. Es geht hier also nicht um ein Entweder-oder, sondern das ist ein ganz klares Standortbekenntnis.
Mehr als 50 Prozent dieser Anträge kommen aus kleinstrukturierten Regionen. Das Angebot ist passgenau, und es freut uns, dass kleine und mittlere Betriebe hier auch zugreifen. Mit dieser Förderung ermöglichen wir es auch ganz kleinen Betrieben, durch Zusammenschlüsse gemeinsam in gewisse Maschinen zu investieren.
Diesen Schwung wollen wir nutzen. Deshalb habe ich entschieden, die zweite Tranche der Förderung vorzuziehen. In sechs Wochen geht es weiter.
Natürlich ist es immer so, dass derjenige, der nicht zum Zuge kam, nicht groß erfreut ist, aber so ist das nun einmal bei Projekten, für die nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen. Wir machen es aber möglich, dass es noch mehr Mittel geben wird.
Für diesen Transformationsprozess. Die Politik hat die Aufgabe, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern auch zu zeigen, wie es möglich gemacht wird. Dort, wo es Zielkonflikte gibt, muss sie zeigen, wodurch diese gelöst werden können.
So ist es auch beim Tierschutz. Wir wollen mehr Tierschutz in Deutschland, aber wir müssen die Landwirte auch in die Lage versetzen, im Wettbewerb stark bleiben zu können.
Deshalb haben wir ein Förderprogramm in Höhe von 300 Millionen Euro aufgesetzt, damit Ställe so umgebaut werden können, dass sie mehr Platz bieten. Das kostet Geld, und da wollen wir die Landwirte unterstützen. Der Umbau muss bezahlbar sein; denn wenn Landwirte ihren Betrieb aufgeben oder wir bei Tierwohlfragen aufs Ausland verweisen, dann ist vielleicht kurzfristig dem guten Gewissen, nicht aber dem Tier geholfen. Das ist keine langfristige, nachhaltige Politik.
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Darum haben wir hier in diesem Parlament gemeinsam beschlossen, eine Machbarkeitsstudie zur Borchert-Kommission in Auftrag zu geben, was ich gemacht habe, und das Ergebnis kommt im Februar oder März.
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Unser Ziel ist es, in diesem Jahr noch die Weichenstellung zu beschließen und zu überlegen, wie wir den Umbau von Ställen – der unglaublich viel Geld kosten wird, wobei wir die Landwirte nicht alleine lassen können und was auch nicht allein die Verbraucher zahlen sollen – finanzieren und welchen Weg wir rechtssicher und europarechtskonform gehen.
So haben wir in Deutschland einen hohen Anspruch ans Tierwohl gezeigt, zum Beispiel beim Verbot des betäubungslosen Ferkelkastrierens – und zwar nicht nur mit einer Schmerzlinderung, sondern mit einer Schmerzausschaltung. Wir haben also einen hohen Anspruch und haben gezeigt, dass wir die hohen Anforderungen ans Tierwohl nicht einfach nur formulieren und erwarten, dass die Umstellung per Knopfdruck erfolgt. Vielmehr haben wir die Landwirte mit einem Förderprogramm begleitet, das unglaublich stark in Anspruch genommen worden ist. Zum 1. Januar dieses Jahres ist entsprechend weiteres Geld zur Verfügung gestellt worden.
In der kommenden Kabinettsitzung wird ein Gesetzentwurf für mehr Tierwohl vom BMEL besprochen werden. Auch hier gehen wir mit Augenmaß vor. Wir wollen Tierschutz verbessern und zugleich die Brütereien in Deutschland behalten. Wir gehen voran und machen es möglich, in Europa und weltweit, dass das Kükentöten beendet wird. Das geschieht nicht allein mit der bloßen Forderung, und dann wundert man sich, dass es irgendwann keine Brütereien mehr in Deutschland gibt, sondern wir haben mit unserer Förderung die Entwicklung alternativer Techniken ermöglicht.
Damit will ich schließen; ich sehe den Hinweis. Mein Eingangsstatement ist damit auch in zeitlicher Hinsicht beendet. Also, man kann politische Ziele erreichen, wenn man das will. Wir zeigen, wie das geht. Das ist Sinn und Zweck dieser Agrarpolitik.
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Danke, Frau Ministerin. – Wir beginnen die Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen der Bundesministerin und zum Geschäftsbereich sowie zu den vorangegangenen Kabinettsitzungen und mit allgemeinen Fragen. – Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelm von Gottberg.
Frau Präsidentin, danke fürs Wort. – Frau Ministerin, wir konnten der Presse entnehmen, dass Sie am 6. Januar dieses Jahres in einem Schreiben den Kolleginnen und Kollegen der Bundesländer die Frage vorgelegt haben, wie sie sich zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Nationalen Strategieplanes für die Förderperiode ab 2023 stellen.
Diese Nationalen Strategiepläne müssen bis zum Jahresende der Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden. Dass Sie diese Fragen stellen, liegt am neuen Umsetzungsmodell für die zukünftige EU-Agrarpolitik. Im Vorfeld der kommenden Agrarministerkonferenz des Bundes und der Länder am 5. Februar dieses Jahres fragen wir die Meinungsbildnerin, Frau Ministerin Klöckner: Wie stehen Sie zu den vorgeschlagenen Parametern Kappung und Degression, Junglandwirteprämie und eine mögliche Gemeinwohlprämie?
Bitte, Frau Ministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, danke für Ihre Frage. – Man kann in einer Minute nur sehr, sehr wenig von der großen Agrarreform anreißen, die für sieben Jahre gelten wird.
Zunächst will ich festhalten: Wir haben etwas erreicht, das eine Grundvoraussetzung darstellt: dass trotz des Brexits, trotz des Verlusts eines großen Zahlers, nämlich Großbritanniens, der Finanzplafond auf gleicher Höhe geblieben ist, und das auch dank unserer Bundeskanzlerin, die bei den Vorverhandlungen genau dafür gesorgt hat.
Ein zweiter Punkt, den wir erreicht haben mit der Agrarreform, mit den Schlussfolgerungen des Rates in Brüssel: Das ist ein ganz klarer Systemwechsel. Wir kommen weg von der Auszahlung, gemessen an der Fläche, die rein prozessorientiert erfolgt; stattdessen werden wir die Bewirtschaftung auf den Flächen in den Blick nehmen und ergebnisorientiert agieren. Das heißt, dass die Konditionalität ab dem ersten Euro bei der Direktzahlung in der ersten Säule gilt. Zusätzlich haben wir verpflichtend eine ambitionierte Ökoregelung von 20 Prozent. Beides hatte die Kommission in ihrem Vorschlag nicht vorgelegt gehabt; das ist also ein großer Erfolg.
Ich sehe es jetzt rot blinken und werde Ihnen, weil Sie wahrscheinlich gerne noch mehr gehört hätten, den Rest dann schriftlich nachreichen, wenn Ihnen das recht ist.
Sie haben eine Nachfrage. – Bitte schön.
Frau Ministerin, wir wissen, dass die Abwanderung der Menschen aus den ländlichen Räumen auch deshalb geschieht, weil im Abwanderungsgebiet keine oder nur eine unzureichende Zahl an Arbeitsplätzen vorhanden ist. Sehr viele landwirtschaftliche Betriebe, gerade im Osten, beschäftigen zahlreiche Mitarbeiter. Wird bei der Umgestaltung der ersten Säule der GAP das Kriterium „Anzahl der beschäftigten ganzjährigen Mitarbeiter“ neben der Flächenprämie ein weiteres Förderkriterium sein? Diese Maßnahme würde nach unserer Auffassung zu einer Entspannung auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt führen.
Danke sehr. – Auf diese Weise kann ich wieder auf die erste Frage zurückkommen. Es handelt sich um ein Gesamtkonzept. Es wird nichts helfen, nur einzelne Schubladen zu ziehen; dann wird keine ganze Kommode daraus.
Kurzum: Alles hängt von unseren Entscheidungen zur Konditionalität ab, wie viel Freiraum wir dann für die Ambitionen bei den Ökoregeln haben, welche Teile wir in die zweite Säule umschichten etc. Das heißt konkret: Wir haben die Möglichkeit, zu deckeln, zu kappen, die Degression einzuführen. Was wir jetzt schon machen: Wir fördern die ersten Hektare mehr, was ich für richtig erachte. Wir haben jetzt auch die Möglichkeit, stärker die Junglandwirte zu fördern. Wir können das Ganze berechnen. Wir müssen nur schauen, dass die Landwirte am Ende nicht mit mehr Bürokratie belastet werden als vorher.
Unser gemeinsames Ziel ist, den Strukturwandel zu stoppen und die landwirtschaftlichen Betriebe zu unterstützen. Vor allen Dingen betreiben wir mit der zweiten Säule ländliche Raumpolitik, die für die Landwirtschaft wichtig ist. Als Wirtschaftsministerium für die ländlichen Räume haben wir sehr viele nationale Programme, auch um Betriebe zu unterstützen.
Ich rege an, dass einige Länder jetzt endlich das Bodenmarktrecht angehen.
Bevor wir fortfahren, sei mir der Hinweis gestattet: Wir haben für den Fragesteller eine Fragezeit von einer Minute und eine Antwortzeit von einer Minute. Für die Nachfrage stehen 30 Sekunden zur Verfügung und für die Antwort auf die Nachfrage ebenfalls 30 Sekunden. Ich weiß, das ist technisch im Moment unzureichend gelöst, aber die Herausforderung sowohl für die Fragesteller als auch für die antwortenden Regierungsmitglieder ist, nach 30 Sekunden zu erkennen, dass sowohl die Frage- als auch die Antwortzeit – zumindest in der zweiten Runde – ausgeschöpft ist. Ich stelle anheim, das jetzt im weiteren Verlauf hinzubekommen und diese Herausforderung auch zu bestehen.
Gibt es noch eine weitere Nachfrage von anderen Abgeordneten zu dieser Frage? – Das ist nicht der Fall. Dann hat jetzt der Kollege Rainer Spiering das Wort.
Ihnen ein frohes, gesundes, glückliches und gerne auch mit konstruktiver Dynamik versehenes neues Jahr! – Sie haben mir Ende letzten Jahres die Studie des Fraunhofer-Instituts geschickt: 520 Seiten. Ich habe gedacht: Ach, die Ministerin hat bestimmt gemeint, der Herr Spiering hat zu Weihnachten nichts Besseres zu tun; der liest das mal komplett selber durch. – Es wäre ganz schön gewesen, wenn die Studie mit einem Kommentar versehen gewesen wäre; aber lassen wir das mal so stehen.
Sie werden wissen, dass sich sowohl die Landwirtschaft als auch die Industrie zu einer IT-Plattform bekannt hat und eigentlich von Ihnen erwartet, dass Sie jetzt, vorsichtig ausgedrückt, Gas geben. Sie haben großzügige Mittel vom Parlament bewilligt bekommen. Ich nenne mal Stichworte: Präzisionslandwirtschaft, Möglichkeiten von Steuererklärungen, von GAP-Erklärungen; Katasterdaten, die gebraucht werden; Schnittstellenfragen, Datensicherheit. Ich möchte wissen: Wo stehen wir? Wie weit sind Sie im Kontakt mit den Industriebetrieben und der Landwirtschaft? Klären Sie bitte das Parlament auf.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Spiering, gerne kläre ich Sie auf und wünsche Ihnen ebenso ein gutes, ein frohgemutes, gesundes neues Jahr und gerne auch Zeit zum Lesen.
Wo stehen wir? Es hat noch keine Bundesregierung gegeben, die so viel Gas gegeben hat bei der Fragestellung „Digitalisierung in der Landwirtschaft“.
Ich bin auch der Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt, Frau Dorothee Bär, sehr dankbar, dass wir da große Unterstützung haben; denn diese Bundesregierung setzt darauf, dass die Digitalisierung ein Weg ist, um Zielkonflikte zu lösen, um Ressourcen zu schonen, Arbeit zu erleichtern und am Ende auch den Beruf des Landwirts attraktiver zu machen.
Wir haben 14 digitale Experimentierfelder eingerichtet. Sie wissen, wie der Stand ist; das muss ich nicht berichten. Wir haben jetzt die Machbarkeitsstudie zu digitalen Datenplattformen, die wirklich sehr umfangreich ist. Sie wissen: Ich bin im engen Kontakt mit der Hochschule Kaiserslautern. Es ist wirklich eine sehr gute Machbarkeitsstudie vorgelegt worden.
Was haben wir vor, Herr Spiering? Wir wollen, dass eine Plattform in mehreren Schritten eingerichtet wird, dass sie von den Landwirten angenommen wird, dass die Landwirte wissen, dass ihnen die Daten gehören, aber dass sie optimiert werden. – Jetzt leuchtet es rot. Aber ich lade Sie gerne ein, dass wir das gemeinsam besprechen.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Das Angebot nehme ich gerne an. – Gleichwohl habe ich Ihnen konkrete Fragen gestellt: Schnittstellenfrage, Datensicherheit. Ich nehme ein Beispiel heraus: Sie brauchen für die Präzisionslandwirtschaft Katasterdaten von den Ländern. Wie weit sind Sie in den Verhandlungen, damit diese Daten zur Verfügung gestellt werden? Bitte konkret!
Gerne, Herr Spiering. – Ich freue mich, wenn auch die SPD-geführten Länder über Rheinland-Pfalz hinaus die Daten kostenlos zur Verfügung stellen.
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– Es gibt noch ein paar andere Länder, wie Sie wissen. – Insofern wünsche ich mir sehr – das wird im Übrigen auch ein Thema auf der nächsten Agrarministerkonferenz sein, von uns mit auf die Tagesordnung gesetzt –, dass wir zum einen darüber sprechen, dass öffentliche Daten kostenlos für die Landwirte öffentlich zugänglich werden, und dass zum anderen die Landwirte selbst entscheiden können, was mit ihren Daten geschieht, sodass sie am Ende auch den Nutzen einer solchen Plattform erkennen, um optimieren zu können, und der Staat umgekehrt auch.
Zu viele Formulare und zu viele Schnittstellenproblematiken sind also hinderlich.
Gibt es weitere Nachfragen dazu? – Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Nachfrage zulassen. – Auch von mir ein frohes neues Jahr an alle!
Bei der Frage nach der Digitalisierung muss ich natürlich kurz auf das zu sprechen kommen, was Sie in Ihrem Eingangsstatement angeführt haben, nämlich das Antragsverfahren zu dem Investitionsförderprogramm, das am Montag um 12 Uhr angelaufen ist. Dann lagen die Server platt; über Stunden hinweg war das Antragsverfahren nicht abrufbar. In den Abendstunden ging es wieder, und dann – Sie haben es beschrieben – waren die Fördermittel innerhalb kürzester Zeit aufgebraucht. Jetzt haben Sie ja angekündigt, dass das vorgezogen werden soll, was eigentlich für das zweite Halbjahr geplant war.
Daraus ergibt sich ein Haufen Fragen. Aber die Frage, die sich für mich stellt, ist die Frage nach dem Verfahren selbst. Warum haben Sie sich entschieden, –
Kolleginnen, auch hier gelten 30 Sekunden.
– dieses digitale Verfahren direkt mit der Rentenbank abzuwickeln? Warum haben Sie sich nicht dazu entschieden, das wie in der Vergangenheit zu machen, als die Landwirte mit ihren Hausbanken in Verbindung traten? Dieses bewährte Antragsverfahren hätte bestimmt nicht zu so viel Unmut geführt wie das, was jetzt da gemacht wurde.
Erst einmal danke, Frau Abgeordnete, für Ihre Frage.
Man kann zwei verschiedene Wege gehen. Man kann sagen, man hat Zeit und schaut, ob der Landwirt, der jetzt mit der Hausbank in Kontakt tritt, während die Hausbank wegen der Coronahilfen gerade mit vielen, vielen anderen Unternehmen zu tun hat – das wissen Sie –, dort einen Termin bekommt. Dann wartet man, bis die Bonität geprüft wird. Das kann man machen. Ich habe aber den Eindruck, dass den Landwirten etwas anderes wichtig ist: dass es schnell geht und dass sie jetzt zu Beginn des Jahres Maschinen ordern können, die spätestens bis Ende des Jahres auch ausgeliefert sind.
Dies haben wir synchronisiert. Deshalb wird die Landwirtschaftliche Rentenbank dieses Verfahren, das sich auch in anderen Zusammenhängen bewährt hat, weiterführen. Es zeigt sich ja, dass wir den Nerv gut getroffen haben. Das Geld wäre ja nicht weg, wenn die Menschen von diesem Verfahren abgeschreckt wären oder wenn es keiner bräuchte, um es mal kurz zu sagen. Deshalb werden wir die zweite Tranche jetzt vorziehen. Das ist also ein erfolgreiches Projekt.
Wir kommen nun zur Frage des Kollegen Dr. Gero Hocker.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr verehrte Frau Ministerin! Ausweislich des Plenarprotokolls vom 8. Dezember 2020, als wir hier in diesem Hohen Hause den Haushalt für Ihr Haus diskutiert haben, haben Sie Folgendes gesagt:
4,2 Milliarden Euro geben wir für die soziale Sicherung der Bauern aus; die FDP will das abschaffen. Das ist eine Entsolidarisierung mit dem bäuerlichen Berufsstand.
Ich habe Sie damals in meiner Rede, verehrte Frau Ministerin, mit dieser Aussage konfrontiert und Sie darum gebeten, einen Beleg dafür beizubringen, dass dies das Ansinnen der Fraktion sei. Bis zum heutigen Tag sind Sie diesen Beleg schuldig geblieben. Das liegt daran, dass es einen solchen Antrag, ein solches Ansinnen zu keinem Zeitpunkt gegeben hat.
Deswegen frage ich Sie vor diesem Hintergrund, ob es der neue Stil Ihres Hauses in diesem Wahljahr ist, mit Unwahrheiten zu operieren, oder ob es angesichts der prekären Situation von Tausenden Betrieben in ganz Deutschland nicht besser wäre, tatsächlich zum fachlich harten, aber dann doch fairen Umgang miteinander zurückzukehren.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wenn wir in die Fachlichkeit einsteigen, was ich ja präferiere, dann, so glaube ich, sollte die FDP schon zu dem stehen, was ihre Haltung ist und was ja auch in Ordnung ist. Wir haben unterschiedliche Sichtweisen auf die bestehenden diversen sozialen Sicherungssysteme. Da gibt es verschiedene Positionen. Auch mit den Kollegen von der SPD sind wir ja immer in der Diskussion.
Ich habe ganz klar gesagt: Wir als Bundesregierung, wir als Union haben eine andere Haltung dazu. Deshalb haben wir zum Beispiel 30 Millionen Euro bei der Krankenversicherung noch mal draufgelegt, um letztlich die Prämien nicht steigen zu lassen. Dass die FDP da eine andere Sichtweise hat – sehr geehrter Herr Hocker, ich war im Haushaltsausschuss dabei –, ist ja nicht verwerflich. Aber ich denke, am Ende kann man dazu auch stehen, oder?
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Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage. – Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass jetzt nur 30 Sekunden zur Verfügung stehen, sowohl für die Frage als auch für die Antwort.
Also, ich glaube, wir kommen bei diesem Punkt nicht weiter. Deswegen konfrontiere ich Sie mit einer anderen Frage zum Thema Haushalt.
Sie haben letzte Woche im „Tagesspiegel“, verehrte Frau Ministerin, verlautbaren lassen, dass Sie eine Verbrauchsabgabe auf Fleisch einführen wollen, also eine Abgabe, die zweckgebunden verwendet werden muss. Jetzt ist die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags, der ja auch eine Abgabe gewesen ist, gerade erst wenige Tage alt. Wir wissen aber, dass der Solidaritätszuschlag, diese Abgabe, ja nicht zweckgebunden verwendet wurde. Ehrlicherweise ist zu sagen, dass in den letzten Jahrzehnten davon keine Investitionen in den neuen Bundesländern bestritten wurden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich von Ihnen gerne wissen, wie Sie sicherstellen wollen, dass diese als Abgabe deklarierte zusätzliche Belastung tatsächlich in die Betriebe fließt und dort verwendet werden kann, um zum Beispiel Stallneubauten zu finanzieren, und wie Sie verhindern wollen, dass analog zum Solidaritätszuschlag diese Abgabe einfach allgemein im Bundeshaushalt untergeht.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, da ich meine Interviews ja kenne, würde ich das jetzt gerne ergänzen und nicht in Ihrer freien Interpretation der Zuspitzung so stehen lassen.
Ich habe das in die Äußerungen der Borchert-Kommission eingeordnet. Diese Kommission hat uns diverse Vorschläge gemacht, wie wir den Umbau der Tierhaltung so gestalten können, dass mehr Tierwohl möglich ist, was beim Stallumbau sehr teuer ist, und wie die Landwirte dabei mitgehen können. Da gibt es verschiedene Vorschläge; deshalb die Machbarkeitsstudie. Und ich habe deutlich gemacht, dass eine Abgabe eine Möglichkeit sein könnte.
Am Ende ist klar: Das Geld soll nicht zum Lebensmitteleinzelhandel, sondern das soll zum Umbau der Ställe dienen. Wir haben jetzt schon mit unserem 300-Millionen-Euro-Stallumbauprogramm begonnen.
Gibt es weitere Nachfragen zu dieser Frage? – Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Frage zulassen. – Auch von meiner Seite ein frohes neues Jahr an das Haus.
Frau Ministerin, auf das Thema Fleischabgabe hat der Kollege Hocker Sie schon angesprochen. Sie sprechen auch gerne vom Werbeverbot. Mich würde dabei interessieren, inwiefern es Ihnen bewusst ist, dass es eine Anfrage an Ihr Haus gab, woraufhin festgestellt wurde, dass keinerlei Zusammenhang zwischen einem Werbeverbot und einer Ertragssteigerung bei den Betrieben oder im Hinblick auf das Tierwohl festzustellen sei. Da würde mich Ihre Interpretation, die Interpretation aus Ihrem Ministerium, doch noch interessieren.
Sehr gerne, Frau Abgeordnete. – Wir müssen halt präzise sein, und das würde ich auch gerne von Ihnen erbitten. Ich bin nicht gegen ein Werbeverbot. Ich glaube, da müssen Sie schon konkret werden.
Es geht darum, ob die Preisgestaltung die alleinige wahre Aktivität sein soll, um am Ende aggressiv Verbraucher in den Laden zu locken, oder ob es nicht um weitere Angaben wie Regionalität, wie Qualität und anderes geht. Darüber sind wir sehr intensiv im Gespräch; das haben wir auch juristisch prüfen lassen. Ich glaube, wir sind uns doch einig, dass es höchst unanständig ist, wenn man Fleisch und Wurst – dafür sind Tiere geschlachtet worden – zu Tiefstpreisen anbietet, um jemanden mit Ramsch-, mit Lockangeboten in den Laden zu locken, um mischkalkulatorisch den Betrag wieder irgendwie aufs Waschpulver draufzuschlagen. Da ist weder Wertschätzung für Lebensmittel noch Wertschöpfung für die Landwirte drin.
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Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Albert Stegemann.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Bundesministerin! Allen Kollegen erst einmal ein herzliches „Glück in Nujahr!“, wie wir bei uns in Niedersachsen sagen.
Frau Ministerin, ich habe eine konkrete Frage. Die Coronapandemie hat uns natürlich alle fest im Griff. Auch landwirtschaftliche Betriebe sind davon betroffen. Da haben wir auf der einen Seite die hofnahe Gastronomie, die Hofläden und die Direktvermarkter, die davon betroffen sind, und wir haben auf der anderen Seite die Situation bei den Schweinehaltern, die zwar auch ASP-bedingt ein paar große Probleme haben, während Covid-19 die ganze Situation noch mal verschärft. Was unternimmt das BMEL, um diesen Betrieben zu helfen?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, das ist eine sehr existenzielle Frage für die Schweinehalter, aber auch für die Landwirtschaft insgesamt in der Coronakrise. Mit vielfältigen Maßnahmen sind wir als Bundesregierung und als Haushaltsgesetzgeber sehr schnell aktiv geworden. Es gab zwei Nachtragshaushalte. Ich habe auch Zahlen dabei – die würde ich gerne gleich vortragen –, welche Gelder zum Beispiel aus dem land- und forstwirtschaftlichen Bereich abgerufen worden sind. Wir haben die Überbrückungshilfen mit einem branchenübergreifenden Zuschussprogramm, das heißt, sie sind offen für Betriebe der Land-, Forst- und auch der Fischereiwirtschaft. Es gibt Zuschüsse für betriebliche Fixkosten. Wir haben jetzt auch die Überbrückungshilfe verlängert; die Überbrückungshilfe III läuft bis Juni. Sie wissen, dass wir zur Konjunkturbelebung und Krisenbewältigung ein Milliardenprogramm aufgelegt haben: 700 Millionen Euro für den Wald und 300 Millionen Euro für den Stallumbau. Es gibt Liquiditätssicherungsprogramme und Bürgschaftsprogramme. Es gibt die Entschädigung bei Dienstausfällen, Quarantänefällen, und es wurde ein Betriebshelfer zur Verfügung gestellt, wenn ein Landwirt selbst erkrankt war.
Es gab Anträge – wenn ich das abschließend noch sagen darf; das wird sicherlich von Interesse sein – über Soforthilfen: 16 418 Anträge von land- und forstwirtschaftlichen und Fischereibetrieben über 138 Millionen Euro. Die Rentenbank hat 243 Liquiditätssicherungsdarlehen ausgezahlt.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Ja. – Und zwar würde mich noch interessieren: Wie schaut es bei den Obst- und Gemüselandwirten aus? Wir wissen – wir haben das ja im letzten Frühjahr schon erlebt –, dass wir hier natürlich einen hohen Bedarf an Saisonarbeitskräften haben. Wie schätzt das Haus die Situation für das kommende Frühjahr ein?
Danke, Herr Stegemann.
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– Ich höre gerade den Zuruf von der AfD: „Vorbereitet!“ Das ist der Unterschied zwischen der Opposition – da muss man sich vorbereiten – und der Regierung: Da ist man täglich in den Themen drin.
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Deshalb will ich einfach noch einmal deutlich machen: Das Thema Saisonarbeitskräfte war im vergangenen Jahr sehr, sehr wichtig. Es musste gepflanzt werden, und es musste geerntet werden. Es war wichtig, dass wir ermöglicht haben, dass Menschen unter Infektions- und Gesundheitsschutzbedingungen einreisen konnten. Das Ganze wollen wir dieses Jahr wieder erreichen. Wir müssen nur eines sehen: Es wird, wenn das Virus mutiert, natürlich schwierig werden wegen der Frage, aus welcher Region jemand kommt. Es wird also ein Anmeldeverfahren geben. Aber wir setzen uns dafür ein, dass es wirklich eine praktische, pragmatische Lösung geben wird; denn wir wollen, dass wir regional mit Obst und Gemüse versorgt werden.
Eine weitere Nachfrage stellt der Abgeordnete Dr. Hoffmann.
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Frau Präsidentin, vielen Dank, dass Sie die Nachfrage zulassen. – Es wäre schon interessant, zu wissen, ob sich die Landwirte heute darauf verlassen können, dass die Saisonarbeitskräfte zu den gleichen Regeln wie im letzten Jahr zu uns kommen dürfen. Können Sie das garantieren, und garantieren Sie das heute?
Ich verstehe Ihr Ansinnen. Aber ich glaube, es ist nicht ganz redlich, in einer dynamischen Pandemie von Garantien für das ganze Jahr zu sprechen. Wir alle wissen nicht: Was passiert in welchen Herkunftsländern? Ein Beispiel: Wenn das Problem einer Virusmutation in einem der Herkunftsländer der Saisonarbeitskräfte – ich will jetzt kein Land nennen – sehr groß ist, würden Sie dann wirklich sagen: „Die Leute sollten hierherkommen können, ohne dass getestet wird, ohne dass wir unsere Bevölkerung und alle anderen Saisonarbeitskräfte sichern“? Deshalb sage ich: Wir müssen entsprechend der Pandemie immer pragmatische Lösungen schaffen, damit Landwirtschaft möglich bleibt.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Eva-Maria Schreiber.
Danke, Frau Präsidentin. – Geehrte Frau Ministerin, nach wie vor werden Pestizide aus Deutschland exportiert, die in Europa aus Umweltschutz- und Gesundheitsgründen verboten sind. Was hier zu giftig ist, darf in Länder des globalen Südens exportiert werden. Das sind Doppelstandards. Die Anwender dort haben häufig viel weniger Schutz; das hat gravierende Folgen. Jährlich vergiften sich rund 385 Millionen Menschen an Pestiziden, mindestens 10 000 Fälle enden tödlich. Wir haben das Thema auch im Entwicklungsausschuss diskutiert. Im Großen und Ganzen sind wir uns alle einig, dass es diese Doppelstandards nicht geben sollte und dass wir diese Substanzen nicht exportieren sollten.
Frankreich und die Schweiz haben es vorgemacht: Sie haben Gesetze beschlossen, die diese Praxis unterbinden. Auch Sie könnten handeln. Ihr Ministerium kann auf Basis von § 25 des Pflanzenschutzgesetzes diese Exporte verbieten. Daher meine Frage: Haben Sie vor, Frankreich und der Schweiz zu folgen und diese Doppelstandards abzuschaffen? Sehen auch Sie hier ein Problem? Was ist Ihre Haltung dazu?
Danke für Ihre Frage zu den Pestiziden. Ich denke, wir müssen immer unterscheiden: Es geht um Pflanzenschutzmittel. Das, was bei uns verboten ist, ist ja aus einem guten Grund verboten. Wir haben entsprechende Zulassungsverfahren, vor allen Dingen entsprechende Untersuchungen, was zum Beispiel die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Biodiversität angeht.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Es gibt eine Anfrage dazu, dass gebeiztes Saatgut, das Neonikotinoide enthält, pauschal exportiert werden darf. Ich habe dazu viele Briefe, auch von Abgeordneten, bekommen. Aus dem Grund, weil wir Neonikotinoide auch hier nicht pauschal zulassen, werde ich es nicht zulassen.
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Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
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Danke. – Deswegen würde ich ganz gerne wissen, ob Sie tatsächlich vorhaben, mit § 25 die Exporte, die ja stattfinden, zu verbieten. Ihr Experte aus dem Ministerium sagte, Sie exportieren das, damit die Souveränität der Länder nicht beeinträchtigt wird. Das ist jetzt eine völlig andere Antwort.
Das ist ja auch ein ethischer und moralischer Aspekt. Wir exportieren ja auch keine Kriegswaffen in kriegsführende Länder, oder das sollten wir zumindest nicht machen.
Kollegin Schreiber, achten Sie auf die 30 Sekunden.
Deswegen meine Frage: Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass § 25 auf diese hochgiftigen Pestizide angewandt wird?
Ich darf es nicht, aber ich hätte gern die Nachfrage gestellt, welche konkreten hochgiftigen Pestizide Sie meinen, die Sie mit Waffen gleichsetzen, während ich diesen Vergleich wirklich nicht ziehe.
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Ich glaube, da müssen wir ein bisschen achtgeben. – Deshalb ist es, glaube ich, wichtig, dass wir uns die Einzelfälle anschauen.
Ich will eines noch sagen: Sie sprachen von Doppelstandards. Standards erwarte ich auch von Ländern, die umgekehrt ihre Bevölkerung nicht schützen oder sich auf eine solche vor allen Dingen wissenschaftliche Prüfung nicht einlassen. Insofern bin ich da offen, keine Frage; aber das Ganze muss auch einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Lenkert das Wort.
Frau Ministerin, in den Vorschlägen zum 8. Umweltaktionsprogramm der Europäischen Union steht unter anderem konkret drin, dass der Export von Chemikalien, die in der EU verboten sind – darunter fallen auch Pestizide –, zukünftig verboten werden soll. Wie ist die Haltung Ihres Ministeriums dazu? Und werden Sie die Kommission bei der Durchsetzung dieses Zieles unterstützen?
Danke schön für Ihre Frage. – Das ist genau der Ansatz. Es bringt dann etwas, wenn man gemeinsam in Europa vorangeht. Da werde ich die Kommission gerne unterstützen. Wir müssen gemeinsam vorangehen; denn Sie wissen, wie es sonst läuft: Sonst wird etwas aus einem Land in ein anderes Land exportiert und dann in ein drittes Land. Ein gemeinsames europäisches Vorgehen ist immer die bessere Alternative.
Es wird gleich noch zwei weitere Nachfragen geben. Ich bitte die Grünen, sich zu einigen; denn ich habe hier bisher jeweils für alle gleiches Recht walten lassen.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Hocker.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie diese zusätzliche Frage zulassen. – Verehrte Frau Ministerin, Sie haben eben den Begriff „biologische Vielfalt“ in den Mund genommen und darüber gesprochen. Es gibt einen Gesetzentwurf Ihrer Kollegin Svenja Schulze zum Thema Insektenschutz. Dort wird keine Aussage darüber getroffen, welches Ziel mit diesem Gesetzentwurf eigentlich verfolgt werden soll. Geht es bei Insekten um biologische Vielfalt, oder geht es schlichtweg um die Vergrößerung der Insektenbiomasse? Ich möchte von Ihnen gerne wissen, wie Sie einen solchen Gesetzentwurf bewerten, in dem noch nicht einmal definiert ist, welches Ziel mit ihm überhaupt verfolgt werden soll.
Danke, Herr Abgeordneter, für diese präzise Frage. – Am Ende wird es darum gehen, Insekten, aber nicht Schädlinge zu schützen. Wir haben natürlich wie immer Zielkonflikte. Das heißt, auf der einen Seite ist die Landwirtschaft, um die Pflanzen gesund zu halten, auf Pflanzenschutzmittel angewiesen. Auf der anderen Seite gibt es unterschiedliche Pflanzenschutzmittel, die mitunter auch aus gutem Grund verboten werden, weil sie zu – ich nenne es einmal – Kollateralschäden führen, die schlecht für die Umwelt, für die Biodiversität und auch für die Insekten sind. Wir sind auf Insekten angewiesen. Deshalb sind wir in einem sehr konstruktiven Gespräch mit dem Bundesumweltministerium, um diese Fragen in genau dieser Ausgewogenheit zu klären.
Ich will einen letzten Punkt nennen. Wir haben in Deutschland bei Obst und Gemüse einen Selbstversorgungsgrad – das wissen Sie – von etwa 30 Prozent. Deshalb muss es möglich sein, dass, wenn wir regionale Lebensmittel wollen, Obst und Gemüse hier angebaut werden, und das geht eben nicht mit Pauschalverboten.
Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Krischer – in 30 Sekunden.
Frau Ministerin, die Kollegin der Linken hat eben eine Frage gestellt, die Sie nicht beantwortet haben; ich möchte sie wiederholen. Sind Sie bereit, den Export von Pflanzenschutzmitteln, die bei uns verboten sind, aber nach wie vor hier produziert werden, in andere Länder zu verbieten, ja oder nein?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wie ich eben schon sagte: Ich bin bereit, dass wir mit der EU hier gemeinsam vorankommen, damit es keine Schlupflöcher gibt.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Friedrich Ostendorff.
Seit Wochen protestieren Bäuerinnen und Bauern Tage und Nächte vor den großen Zentrallagern der Lebensmitteleinzelhändler. Frau Ministerin, Sie haben verbal – wie ich finde: zu Recht – den Handel wegen seiner Preisbildung attackiert. Ich fand das sehr bemerkenswert.
Was Sie vorgelegt haben, ist die europäische Umsetzung der UTP-Richtlinie. Da verwundert es aus meiner Sicht doch etwas, dass Sie über die Vorgaben Europas nicht deutlich hinausgegangen sind. Wir wissen alle, dass es um Listungsgebühren und Werbekosten geht. Warum haben Sie hier nicht schärfer reglementiert? Hat der Wirtschaftsminister Sie hier zurückgehalten oder Lobbyinteressen bestimmter Gruppen, die hier ja sehr wahrnehmbar waren?
Worauf meine Frage eigentlich abzielt, ist: Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, wie wir es schaffen, zukünftig die Verarbeitungsindustrie bzw. die Verarbeiter mit an den Tisch zu bekommen; denn die fehlen. Bauern und Bäuerinnen verhandeln über ihre Produkte ja in der Regel nicht mit dem LEH direkt, sondern dazwischen sitzen Verarbeiter.
Herr Kollege.
Und wir haben den Eindruck, dass die hier ungeschoren davonkommen.
Das war jetzt sehr umfangreich; also muss ich mir etwas heraussuchen. – Ich will etwas zur UTP-Richtlinie sagen. Ohne die aktive Mithilfe von Deutschland, vom BMEL und von mir, unter österreichischer Ratspräsidentschaft hätte es diese UTP-Richtlinie auf europäischer Ebene überhaupt nicht gegeben. Es war wirklich eine intensive Zuarbeit aus Deutschland. Wir gehen jetzt über die Eins-zu-eins-Umsetzung hinaus.
Ich will nur noch einmal in Erinnerung rufen, sehr geehrter Herr Abgeordneter Ostendorff, was wir verbieten werden. Ich will jetzt nicht alle elf Punkte vorlesen; aber so viel: Wir werden zum Beispiel dafür sorgen, dass Lieferbedingungen, Qualitätsstandards, Zahlungsbedingungen, Bedingungen für Listung, Lagerung und Vermarktung nicht mehr einseitig von einem Händler verändert werden können, dass verderbliche Ware nicht erst nach 60 Tagen bezahlt wird, dass, wenn es Kundenbeschwerden oder kurzfristig Stornierungen gibt, die Kosten nicht dem Lieferanten in Rechnung gestellt werden, dass für die Lagerhaltung nicht der Lieferant zuständig ist und diese bezahlen muss. Vieles werden wir ändern. Bei der UTP-Richtlinie haben wir die graue Liste; auch davon setzen wir einiges um. Das Ganze liegt jetzt im Parlament. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist sehr, sehr klar: Wir werden bei der BLE eine Stelle einrichten, die man zur Klärung kontaktieren kann. Wir haben hier das große Problem, dass beim LEH nur wenige zusammen eine Marktmacht von 85 Prozent haben. Ich fand einige Entscheidungen in der Vergangenheit, die Fusionen ermöglicht haben, falsch.
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Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage. – Ich bitte, auf die Dauer von 30 Sekunden zu achten.
Wunderbar. – Ihren letzten Satz aufnehmend: Sie sprachen selber davon, dass die zunehmende Konzentration des Lebensmittelhandels aus Ihrer Sicht sehr, sehr kritisch zu bewerten ist. Der neue Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats, Professor Spiller, hat eine Entflechtung – das ist natürlich ein sensibles Wort – in die Diskussion gebracht. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag? Werden Sie diesen Vorschlag umsetzen? Werden Sie diesen Vorschlag modifiziert übernehmen? Was können wir dort erwarten?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, eine Ad-hoc-Einschätzung eines Vorschlages, der nicht als Gutachten vorliegt, wäre für eine Bundesregierung nicht seriös. Das gilt auch dafür, jetzt von „Entflechtung“ oder „Zerschlagung von Unternehmen“ zu sprechen, die nach den Regeln dieses Landes entstanden sind.
Aber bei diesem Thema hat Herr Professor Spiller den wunden Punkt getroffen. Wir haben doch hier eine Marktmacht gegenüber den kleinen Unternehmen. Selbst die größte Molkerei ist in ihrer Marktstellung doch klein gegenüber dem Handel. Es geht bei Vertragsgesprächen um Centbeträge und um Auslistungen, und es geht am Ende darum, dass man fair miteinander umgeht. Da werden wir aktiv, und da sind wir noch lange nicht am Ende.
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Zu einer Nachfrage innerhalb der 30 Sekunden hat die Kollegin Renate Künast das Wort.
Frau Ministerin, ich möchte auf eine Frage zurückgreifen, die der Kollege Ostendorff angetippt hat. Ich habe den Eindruck, dass der Preisdruck, auch auf die Rohprodukte der Bauern, nicht nur aus dem Handel kommt, sondern auch aus der verarbeitenden Lebensmittelindustrie, in der Raubbau betrieben wird. Egal ob der Rohstoff von hierher kommt oder von woandersher: Sie machen einen Wahnsinnsdruck und üben gleichzeitig auch Druck auf den Lebensmitteleinzelhandel aus, um dort möglichst viel Geld für ihre verarbeiteten Produkte zu bekommen. Was sind eigentlich Ihre Ansatzpunkte an dieser Stelle, um da auch Gegenwehr zu organisieren?
Das ist ein richtiger Punkt, den Sie erwähnen. Deshalb hat die UTP-Richtlinie ja auch die Größe des jeweiligen Handelspartners mit im Blick. Denn es ist nicht immer nur so, dass der Lebensmittelhändler der allergrößte ist; es gibt auch Marken, die eine größere Marktmacht haben. Deshalb ist es wichtig, die Beziehung zwischen Erzeugergemeinschaften – Sie kennen bei uns zum Beispiel den „Pfalzmarkt“ – und LEH im Blick zu haben, aber vor allen Dingen auch die Verantwortung der kompletten Lebensmittelkette, und da ist Transparenz das Gebot der Stunde. Es gibt Aktivitäten wie „Du bist hier der Chef!“, an denen man erkennen kann, welcher Anteil vom Endverbraucherpreis überhaupt an den Bauern geht. Also: ganz klar miteinbeziehen und adressieren – Transparenz schaffen.
Ich erkenne erst einmal an, dass die Kollegin Künast heute als Erste tatsächlich den Zeitkorridor eingehalten hat.
Da es keine Nachfrage aus einer anderen Fraktion gibt, bekommt die Kollegin Dröge als Letzte noch das Wort zu einer Nachfrage innerhalb von 30 Sekunden.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Klöckner, Sie haben die Frage von Herrn Ostendorff zur UTP-Richtlinie an einem zentralen Punkt eigentlich nicht beantwortet, und zwar bei den „grauen Praktiken“. Wenn Sie das Thema so ernst nehmen und meinen, dass die Macht des Lebensmitteleinzelhandels so groß ist – wo ich Ihnen zustimmen würde –, warum haben Sie dann nicht beispielsweise auch die Praxis hinsichtlich Zahlungsverlangen des Käufers für Listungen oder Zahlungsverlangen für Werbemaßnahmen verboten? Das hätten Sie einfach machen können; das läge in Ihrer Kompetenz. Warum haben Sie das nicht gemacht?
Aus guten Gründen, Frau Abgeordnete: Man muss mit der Branche, mit den betroffenen Landwirten oder mit den betroffenen Erzeugergemeinschaften, sprechen. Es gibt zum Beispiel in einer Region, in der Obst und Gemüse hergestellt werden, Aktionen zu Jubiläen. Dort wird ganz bewusst gesagt: Wir wollen, indem wir uns an einer Werbeaktion beteiligen, anders gelistet werden. – Deshalb wäre dieses Verbot nicht im Sinne derer, die es als Anbieter selbst wollen.
Was wir von der grauen Liste genommen haben, ist zum Beispiel, dass Ware nicht am gleichen Tag storniert werden darf und dann die Entsorgung den Lieferanten in Rechnung gestellt wird. Das wird zum Beispiel verboten. Auch dass die Lagerhaltung vom Händler bezahlt werden muss, haben wir verboten.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Peter Felser.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, die Afrikanische Schweinepest ist seit ein paar Monaten in Deutschland angekommen. Wir haben sie halbwegs im Griff. Ich glaube, das ist auch der deutschen Jägerschaft geschuldet, die beim Schwarzwild eine Rekordstrecke nach der anderen liefert.
Wir sehen aber auch massive Einschränkungen bei den Bauern in den Hotspots, in den Sperrzonen. Wir haben es dort mit Ernteverboten zu tun, wir haben es mit Beschränkungen im Anbau zu tun. Meine Frage wäre: Gibt es eine bundeseinheitliche Perspektive fürs Frühjahr? März und April stehen vor der Tür; die Bauern wollen jetzt drillen, sie wollen die Aussaat nach draußen bringen. Was können die Bauern jetzt von Ihnen als Signal erwarten? Was können sie auf ihrem Grund und Boden im März, im Frühjahr ausbringen?
Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, eine einheitliche Vorgehensweise zur gleichen Zeit – just auch dort, wo überhaupt keine Afrikanische Schweinepest nur annähernd droht – wäre sicherlich nicht sinnvoll. Deshalb ist es richtig, dass wir dort, wo wir Hotspots haben, auch entsprechend der Infektionslage handeln. Deshalb bekommen Landwirte Entschädigungen aus den Ländern. Wir haben bundeseinheitlich geregelt, dass das möglich sein muss. Daher bleiben sie nicht auf ihren Kosten sitzen.
Aber ich will deutlich sagen: Wir können nicht jagen in einem Feld, das geerntet wird, wenn wir nicht wissen, ob infizierte Wildschweine dort sind und wir das Infektionsgeschehen dann in alle Himmelsrichtungen verbreiten. – Aber danke auch an die Jäger für ihre Arbeit!
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Vielen Dank, Frau Ministerin. – Erst mal schönen Guten Tag von mir! – Herr Felser, wollen Sie noch mal?
Gerne. – Auch vielen Dank an Sie als neue sitzungsleitende Präsidentin.
Danke schön. Ui, neuer Ton hier! – 30 Sekunden.
Wir hatten ja vorher die Debatte über den Impfstoff für Menschen, was Covid-19 und Corona betrifft. Da ging es ja ganz, ganz schnell bei den Impfstoffherstellern, hier was zu liefern. Vielleicht war das zu schnell; das werden wir in fünf oder zehn Jahren erst wissen. Wie sieht denn die Perspektive aus bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen ASP, gegen das Virus bei den Wildschweinen? Bei der Tollwut in den 70er-Jahren hat das auch gut geklappt. Was ist da die Perspektive aus Ihrer Sicht?
Guter Punkt, mit dem wir uns sehr intensiv beschäftigen, nicht nur national, sondern international vernetzt. Sie wissen, dass das Friedrich-Loeffler-Institut eines der angesehensten Institute ist, wenn es um die Themen „Tierseuche“, „Tierseuchenbekämpfung“, „Prophylaxe“ und „Forschung“ geht. In enger Absprache mit dem Institutsleiter müssen wir eines ganz klar festhalten: Der Erreger der Afrikanischen Schweinepest ist viel komplizierter als vieles andere, was wir bisher hatten. Deshalb wären alle Versprechungen, dass wir bald eine Impfung haben, Hoffnungmachen, wo wir nicht ehrlich wären.
Letzter Punkt dazu. Wir müssen klar sagen: Selbst eine Impfung würde uns wegen des Problems der Nachweisbarkeit nicht sofort die Märkte öffnen. – Aber jetzt ist meine Zeit um.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin: Carina Konrad, FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will noch mal nachfassen zu der Frage zur Bauernmilliarde. Sie sagen, es sei ein Erfolg. Die Landwirte, die am Montag vor abgestürzten Servern saßen, sehen das anders. Das werden Sie sicherlich verstehen, dass da auch viel Missmut erzeugt wurde.
Sie haben eben gesagt, der Grund für das Antragsverfahren sei die Schnelligkeit. Da frage ich mich aber: Entfällt deshalb jetzt eine Bonitätsprüfung durch die Hausbank? Die entfällt ja wahrscheinlich nicht. Wenn die Antwort Nein sein sollte, frage ich mich tatsächlich: Was ist denn dann der zeitliche Vorteil, den Sie eben genannt haben, der für dieses Verfahren spricht, wo erstmals Landwirte direkt mit der Rentenbank quasi ins Geschäft kommen? Sie müssen ihren Antrag bei der Rentenbank stellen, wodurch die Hausbanken erst später in das Verfahren involviert sind. Denn so war es ja wohl gedacht und nicht so, wie Sie es eben hier dargestellt haben.
Dann haben wir uns vielleicht falsch verstanden. Ich bleibe dabei: Es ist gut und richtig. Wir haben das Verfahren eröffnet, Frau Abgeordnete Konrad, dass man direkt bei der Rentenbank, die dieses Projekt managt, die Anträge stellt. Keiner der Anträge, die gestellt worden sind, verfällt; das will ich ganz klar sagen. Deshalb haben sehr viele derer, die die Anträge gestellt haben, ganz bewusst das in Anspruch genommen, was wir ja kommuniziert haben: Wir haben diese Förderrichtlinie bereits im Dezember kommuniziert, damit sich alle vorbereiten konnten. Sie haben nicht mehrere Anlaufstellen. So ist es.
Da Sie schmunzeln, will ich nur sagen: Die 70 Millionen Euro wären nicht so schnell nachgefragt worden, wenn – so wie Sie der Meinung sind – da keiner durchgekommen wäre. Es ist immer ärgerlich, wenn ein Server überlastet ist, weil bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank so viele darauf zugreifen. Wir werden jetzt eine zweite Tranche haben. Ich bin mir sicher, dass die Nachfrage da genauso groß ist. Das ist gut so, und das ist ein Erfolg.
Frau Konrad, wollen Sie noch mal nachhaken?
Ja, sehr gerne. – Wir werden im Nachgang gemeinsam bewerten, wer da alles welche Mittel abgerufen hat und inwieweit die Landtechnikindustrie das auch für sich genutzt hat.
Aber noch eine andere Frage. Es wurden kürzlich von der EU-Kommission bei Ihnen neue Auskünfte zur Umsatzsteuerpauschalierung angefordert. Sehr geehrte Frau Ministerin, können Sie uns da kurz aufklären: Was will die Kommission jetzt wissen, bzw. was passt der Kommission aus Ihrer Sicht an der Umsatzsteuerpauschalierung jetzt immer noch nicht?
Ich bitte Sie da wirklich um Nachsicht. Sie wissen: Während wir in einem Verfahren mit der Kommission sind, sind wir direkt mit ihr im Austausch und geben ihr Auskunft, weil wir für die Landwirte etwas erreichen wollen, was ihnen Sicherheit und Planbarkeit gibt. Sie wissen, wovon ich rede. Deshalb ist es – auch im Sinne der Kommission und einer möglichen Entscheidung – wichtig, zum jetzigen Zeitpunkt nicht öffentlich dazu zu debattieren; gerne in vertraulicher Ausschussrunde.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt kommen wir zu Herrn Kees de Vries von der CDU/CSU-Fraktion.
Danke, Frau Präsidentin. Auch von meiner Seite für Sie und alle anderen ein gesundes Neues! – Frau Ministerin, ich habe eine einfache Frage, aber, ich glaube, die schwirrt bei vielen Landwirten im Kopf herum: Warum betonen Sie immer wieder, dass die Sicherung der Ernährung in der Landwirtschaft das wichtigste Ziel ist? Für uns Landwirte ist das selbstverständlich. Meinen Sie, dass das infrage gestellt wird, oder sehen Sie eine Gefährdung?
Danke für diese Frage, Herr Abgeordneter. – Warum erwähne ich die Ernährungssicherung immer? Weil ich den Eindruck habe, dass in der Gesellschaft, die wenig mit Landwirtschaft zu tun hat, die selbstverständliche Annahme besteht – weil Regale voll sind –, dass Lebensmittel immer da sind. Wenn wir über Landwirtschaft auch hier im Parlament diskutieren oder dazu Vorschläge sehen, gewinnt man fast nur noch ein Eindruck: Es geht darum, wer von den Landwirten der bessere Landschaftsgärtner werden soll.
Ja, Umweltschutz ist wichtig, Naturschutz ist wichtig, Klimaschutz ist wichtig. Aber am Ende werden wir nichts davon haben, wenn alle Flächen Brachflächen, nichtproduktive Flächen werden; denn von nichtproduktiven Flächen können wir nicht leben, bekommen wir nichts zu essen. Deshalb ist es so wichtig, dass Naturschutz und Ernährungssicherung im Einklang sind und Nachhaltigkeit Ökologie und Ökonomie miteinander verbindet.
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Danke.
Herr Kollege de Vries, wollen Sie nachhaken?
Nein.
Sie sind rundum zufrieden. – Dann kommen wir zu Dr. Kirsten Tackmann.
Hallo, Frau Präsidentin! – Frau Ministerin, ich möchte noch mal auf die ASP zurückkommen, die natürlich eine wirklich akute Gefährdung darstellt. Ich habe ein bisschen den Eindruck – ich bin ja Epidemiologin –, dass in der Diskussion in Deutschland sehr viel über Zäune, über Einwanderung, über Schwarzwild geredet wird, aber sehr wenig über Sprunginfektion, das heißt durch Menschen eingetragene Infektion, die ja über viel weitere Strecken erfolgt. Belgien ist ein Beispiel dafür. Warum gibt es eigentlich noch keine mediale Kampagne, um tatsächlich dazu die Menschen aufzuklären? Die kleinen Schilder an den Parkplätzen der Transitstrecken und dergleichen sind ja gut und schön; aber es reicht natürlich nicht, um tatsächlich eine Awareness, ein Bewusstsein für dieses Risiko zu erzeugen.
Danke, Frau Abgeordnete. – Mit dieser Thematik beschäftigen wir uns schon lange und haben auch schon einiges an Geld für Kampagnen ausgegeben. So sind wir Menschen: Wir haben nur eine gewisse Aufnahmefähigkeit für Kampagnen. Jetzt haben wir die Kampagne zu AHA und den Coronaregeln, zur Prophylaxe.
Wir haben in Tageszeitungen in Grenzregionen in verschiedenen Sprachen – auch in der Landessprache der Länder, wo wir ein hohes ASP-Ausbreitungsgeschehen haben – Anzeigen geschaltet, was die Biohygienesicherheit anbelangt – Stichwort: keine Wurst über Landesgrenzen hinweg mitbringen. Ich habe mit Jens Spahn zusammen Pflegekräfte angeschrieben: Auch wenn es noch so gut gemeint ist, sollen sie keine Wurst aus ihren Ländern als Geschenke mitbringen. Wir haben die Jäger kontaktiert. Wir haben die Bundeswehr kontaktiert. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer hat es sehr intensiv kommuniziert; denn Sie wissen ja, dass zum Beispiel das Geschehen in Belgien, die Übertragung in den Wäldern, über Stiefel passiert ist.
Da sind wir massiv an Kampagnen dran. Wir versuchen es zielgerichtet. Es geht natürlich immer mehr; aber der Mensch ist nur begrenzt aufnahmefähig, wenn vieles auf ihn einströmt.
Frau Dr. Tackmann, wollen Sie nachhaken?
Ja, gerne. – Natürlich ist mir klar, dass es mit den Kampagnen schwierig ist, aber wenn die Leute nicht wissen, dass sie was falsch machen, dann wird es halt auch schwierig.
Zu einem anderen Aspekt. Es gibt in den Niederlanden eine Prämie für den Ausstieg aus der Schweinehaltung. Ich weiß, dass das ein bisschen komplizierter ist. Aber die Frage ist ja, dass viele Schweinehalterinnen und Schweinehalter derzeit aufgeben müssen, weil sie aus verschiedenen Gründen die Schweine nicht loswerden, weil sie keinen vernünftigen Preis kriegen usw. usf. Wäre es deshalb tatsächlich nicht mal an der Zeit, darüber nachzudenken, ob es nicht doch für die freiwillige Aufgabe von Schweinehaltung an der einen oder anderen Stelle Unterstützung gibt?
Sehr geehrte Frau Tackmann, wir erleben leider seit Jahren ständig, dass Schweinehalter ihre Betriebe aufgeben. Das ist unser Problem in diesem Land. Schweinehalter, gerade die kleinen, sind die Ersten, die aufgeben. Das ist die Frage – politisch –: Welches Zeichen wollen wir setzen? Wollen wir mit einer Prämie wirklich den Anreiz geben, dass just die Kleinen aufhören? Es sind nicht die Großen, die aufhören. Es wird zu stärkerer Konzentration kommen. Wir diskutieren zum Beispiel über Private Lagerhaltung. Interventionen sind schwierig. Also, darüber können wir gerne im Ausschuss diskutieren. Ich persönlich denke, dass ein solches Angebot, gerade weil der Rückgang der Schweinehaltung in Deutschland massiv ist und weil die Konzentration zugenommen hat, eher diejenigen animieren würde, aufzuhören, die wir eigentlich unterstützen wollten, dass sie weitermachen.
Vielen Dank. – Wir kommen jetzt zu Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, Sie seien im guten Gespräch mit dem Bundesumweltministerium zum Thema Insektenschutzgesetz. Sie haben im Dezember den Entwurf einer Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung in die Ressortabstimmung gegeben; der Gesetzentwurf zum Insektenschutzgesetz aber ist schon lange in der Ressortabstimmung. Das BMEL hat die Befassung mit dem Gesetzentwurf zum Insektenschutzgesetz lange verzögert. Bis heute steht dieses Gesetz nicht auf der Tagesordnung des Kabinetts. Deshalb meine Frage: Werden wir in den nächsten Wochen erleben, dass das Insektenschutzgesetz auf die Tagesordnung des Kabinetts kommt, obwohl Sie verlangt haben, dass das erst zusammen mit Ihrer Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung, die Sie aber erst viel später in die Anhörung gegeben haben, in das Kabinett kommt?
Vielen Dank für die Frage. – Frau Ministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Bundesregierung, die Große Koalition hat sich das klare Ziel gesetzt, Insekten zu schützen, weil wir Insekten für die Biodiversität brauchen, auch um Ernten zu schützen. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht mit Einzelmaßnahmen vorgehen; vielmehr müssen die Maßnahmen zusammenpassen. Unsere Bürger wollen regionales Obst und regionales Gemüse. Der Selbstversorgungsgrad bei regionalem Obst liegt in Deutschland etwa bei 22 Prozent. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch immer eine Folgeabschätzung machen. 100 Prozent Insektenschutz ist zum Teil auch Schädlingsschutz, das heißt, das wäre für unseren Obst- und Gemüseanbau schädlich. Aus diesem Grunde haben sich das BMU und das BMEL geeinigt, dass es eine Folgeabschätzung gibt; die hat das BMU nicht durchgeführt, deshalb hat sie das BMEL mit unserer nachgeordneten Behörde gemacht. Die Folgeabschätzung ist wichtig, damit man überhaupt eine Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung vorlegen kann. Wir arbeiten zusammen und haben vor, das in dieser Legislatur gemeinsam zu verabschieden.
Vielen Dank. – Nachfrage, Herr Ebner? Sie haben 30 Sekunden.
Gerne. – Zur Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung. Sie haben im Herbst von einer Minderungsstrategie für Glyphosat, von einer Reduktion um 75 Prozent gesprochen. In dem, was Sie jetzt vorlegen, wollen Sie aber auf allen erosionsgefährdeten Flächen Glyphosat weiterhin erlauben. Das Umweltbundesamt zählt aber die Hälfte der Ackerflächen zu den erosionsgefährdeten Flächen. Wenn Sie auf der Hälfte der Ackerflächen weiterhin erlauben, Glyphosat anzuwenden, wie wollen Sie dann eine Reduktion um 75 Prozent erreichen?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Erosionsgebiet ist nicht gleich Erosionsgebiet. Wenn Sie in die Verordnung genau reinschauen, was Sie sicherlich getan haben, dann sehen Sie, dass wir sehr differenziert vorgehen. Um es noch mal deutlich zu machen – das ist bei einigen auch angekommen –: Es ist schon gut, wenn sich Deutschland an Europarecht hält. Trotz aller strengen Forderungen aus der Grünenfraktion, Klöckner müsse das sofort verbieten: Das ist nicht erlaubt. Das geht nicht. – Das sagen auch Ihre Juristen, wenn ich mit ihnen spreche. Insofern glaube ich nicht, dass Sie mich weiterhin auffordern, europarechtswidrig zu handeln. Deshalb ist statt eines Totalverbots – das dürfen wir zurzeit nicht – eine Minimierungsstrategie wichtig. Das heißt, wir verbieten die Verwendung auf allen öffentlichen Flächen, in privaten Gärten, aber auch grundsätzlich in der Landwirtschaft; es sei denn, Ernten sind gefährdet oder – da kommen wir zum Zielkonflikt – wir müssen unsere Böden schützen; auch das wird von Umweltseite zu Recht gefordert. Wenn ich mechanisch vorgehe, dann habe ich eine Abtragung in Erosionsgebieten. Dort, wo es einen hohen Erosionsgrad gibt, muss ich abwägen. Diesen Punkt sprechen wir an; das wurde übrigens mit Wissenschaftlern entwickelt.
Danke schön. – Wir kommen jetzt zu Berengar Elsner von Gronow für die AfD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Frau Ministerin, mich interessiert der Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung im deutschen Forst. Welche Bilanz ziehen Sie, welche Bilanz zieht die Bundeswehr, was sagen die Forstbetriebe hierzu? Wie zielorientiert wurden denn die zur Verfügung gestellten Soldaten eingesetzt? Welche Aufgaben haben sie übernommen, gerade vor dem Hintergrund, dass ja die meisten Soldaten keine Qualifikation oder Kompetenz besitzen, um forstwirtschaftliches Gerät, Fahrzeuge und Ähnliches zu bedienen?
Danke für Ihre Frage. – Grundsätzlich: Unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten sind von so hoher Güte und Einsatzbereitschaft, dass man sie echt gut brauchen kann, um es kurz zu sagen.
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Was haben wir gemacht? Ich bin unserer Bundesverteidigungsministerin und unseren Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar, dass sie dort, wo es brennt – im übertragenen Sinne –, wirklich da sind. Ein Beispiel aus der Forstwirtschaft: Sie wissen, dass es aufgrund von Stürmen, Dürreschäden und Borkenkäferschäden eine unglaubliche Menge an Kalamitätsholz gibt. Diese Bäume mussten entrindet und aus dem Wald gebracht werden. Dabei konnte uns die Bundeswehr mit ihrem Gerät, aber auch mit ihrer Art und Weise des Anpackens wirklich helfen. Ich bin auch sehr dankbar, dass sie bei der Kadaversuche dabei sind, wenn es darum geht, in den Wäldern Kadaver von Wildschweinen zu finden, die wegen der ASP beprobt werden müssen. Insofern sind wir sehr, sehr dankbar. Die Hilfe ist sehr effektiv.
Herr Kollege, nachhaken?
Gerne. – Nach dem Aufräumen kommt ja bekanntlich der Aufbau. Der Waldumbau ist auf Bundes- und Länderebene natürlich ein sehr wichtiges Thema. Von Land- und Forstwirten höre ich aber doch immer wieder die Kritik, dass die Bedingungen für Hilfsmittel zu pauschal seien, örtliche, regionale Bedingungen nicht ausreichend berücksichtigt würden, die förderfähigen Maßnahmen dort unter Umständen nicht sinnvoll wären, somit dann viele Forstwirte die Hilfen nicht in Anspruch nehmen könnten. Kennen Sie diese Kritik, und, wenn ja, wie werden Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten auf Bundesebene darauf reagieren?
Erst mal: Ich bekomme viele Briefe aus der Forstwirtschaft – das habe ich so noch nicht erlebt –, in denen sich Forstwirte für unsere Aktivitäten bedanken, für die Flächenprämien, für die Unterstützung beim Waldumbau, für viele Förderprojekte. Ich kann nur sagen, dass wir zum Beispiel von der Flächenprämie, ich glaube, 60 Prozent – ich kann es nicht genau sagen, ich reiche es Ihnen gerne nach; denn ich habe nicht alle Zahlen parat – ausgezahlt haben. Das heißt, diese Förderprogramme werden massiv nachgefragt und auch massiv angewendet. An der einen oder anderen Stelle merken wir, dass es unterschiedliche Umsetzungen in den Ländern gibt. Nur mal ein Beispiel: Es gibt im Rahmen der Förderungen die Möglichkeit, neugesetzte Bäume, Setzlinge, durch eine Umzäunung zu schützen. Das ist relativ teuer. Diese Umzäunung kann gefördert werden. Das halte ich im Übrigen für richtig, damit Wald und Wild im Einklang sind. Aber mein Heimatbundesland Rheinland-Pfalz untersagt das und ermöglicht es nicht. Das halte ich für einen Fehler. Das sind länderspezifische Regelungen; da müssen wir uns an die Länder wenden. Deshalb versuche ich auch immer, den Ländern ganz aktuell einen Überblick über die unterschiedlichen Regelungen zu geben, damit sie sich annähern.
Vielen Dank. – Wir haben jetzt noch drei Minuten. Es sind noch zwei, drei Fragen möglich. – Ich komme zur FDP-Fraktion, da ist aus Frau Bauer Herr Busen geworden. Ja, manchmal geht so was.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie können sich vorstellen: Ich frage was zum Bundesjagdgesetz. Sie verteidigen ja den Ausgleich zwischen Wald und Wild. Eigentlich wollten Sie den Vorrang des Waldes vor dem Wild gesetzlich zementieren. Jäger werden also zu Erfüllungsgehilfen der Förster degradiert. Durch den jüngsten Entwurf des Bundesjagdgesetzes hinsichtlich der Hegeverpflichtung soll das weiter verschärft werden. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Lebensräume von Rehwild und Rotwild dennoch erhalten bleiben und keine Überjagung dieser Wildtierarten erfolgt? Vertreten Sie die Auffassung, dass Rehwild und Rotwild als Schadfaktoren für den Wald betrachtet werden?
Danke für Ihre Frage. – Was ich nicht teilen kann, ist Ihre Einschätzung, dass wir vorgehabt hätten: Wald vor Wild. Auch nicht: Wild vor Wald. Unser Mantra ist ganz klar: Wald und Wild.
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– Oder Wild und Wald; das können Sie sagen, wie Sie wollen.
Wir haben im Rahmen des Nationalen Waldgipfels, den ich sehr frühzeitig ins Leben gerufen habe, alle Beteiligten zusammengeholt und genau das definiert: dass wir „Wald und Wild“ hinbekommen müssen und, was ganz wichtig ist, dass die beiden Vertragspartner – Sie kennen sich aus, ich muss nicht in die Tiefe gehen – vor Ort die Möglichkeit haben, auf der Basis eines entsprechenden Vegetations- und Umgebungsgutachtens speziell zu entscheiden, ob es eine Abschussquote gibt, ob es einen Korridor gibt. Das haben wir ja definiert: nicht allein eine Mindest- und eine Höchstabschussquote, sondern einen Korridor. Die Verantwortung hierfür liegt auch bei den wirklich Verantwortlichen, und das halte ich für richtig.
Eine Nachfrage, Herr Busen?
Ja, eins liegt mir noch am Herzen. Ich habe im Sommer ein Wildpferdreservat besucht, das in Deutschland einzigartig ist. Der Eigentümer berichtete mir, dass in der Nähe ein Wolfsrudel aufgetaucht ist. Was würden Sie unternehmen, wenn ein Wolfsrudel diese Wildpferde dort angreift? In dem Fall wäre dieses Reservat für immer und ewig zerstört. Wie würden Sie dort vorgehen, da Herdenschutzmaßnahmen in diesem Reservat gar nicht möglich sind?
Ich weiß jetzt nicht, wo Ihr Freund wohnt.
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– Dann würde ich da mal auf die Landesregierung zugehen und fragen, was die Landesregierung vorhat. Das ist genau die Fragestellung; denn am Ende legen ja die Länder Wert darauf, dass der Bund ihnen nicht reinregiert, wo er das nicht darf. Ich kann Ihnen auch Kontakte vermitteln, damit Sie das tun können, aber am Ende, glaube ich, ist es wichtig, dass wir wegkommen von dem Gegeneinander, von dieser Schärfe in der Auseinandersetzung, wenn auch Wölfe entnommen werden. Auf der einen Seite geht es um den Artenschutz, Stichwort: Wolf. Ich meine, der gute Erhaltungszustand ist erreicht. Herdenschutz ist auch wichtig. Es ist ebenso wichtig, dass wir perspektivisch im Bundesnaturschutzgesetz Anpassungen vornehmen, damit auch Herdentiere oder freilaufende Tiere geschützt werden. Wir brauchen eine Balance und nicht das Entweder-oder.
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Vielen Dank, Frau Ministerin. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Die Zeit der Befragung ist zu Ende. Damit beende ich die Befragung und bedanke mich ganz herzlich für die mehr oder weniger konsequente Einhaltung der Rede- und Fragezeiten.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft setzen wir die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 um.
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Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem am 17. Juli 2020 veröffentlichten Beschluss wesentliche Befugnisnormen und polizeiliche Abrufregelungen zur sogenannten manuellen Bestandsdatenauskunft beanstandet und dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgegeben, und zwar insbesondere im Telekommunikationsgesetz, im Bundeskriminalamtgesetz, im Bundespolizeigesetz, im Zollfahndungsdienstgesetz sowie in den Nachrichtendienstgesetzen des Bundes. Karlsruhe hat ausgeführt, dass die Regelung einer Bestandsdatenauskunft zwar nicht per se verfassungswidrig sei, doch die aktuelle Ausgestaltung in verschiedenen Gesetzen die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses verletze.
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Die manuelle Bestandsdatenauskunft gibt ja den Sicherheitsbehörden das Recht, von den Telekommunikationsunternehmen Auskunft insbesondere über den Anschlussinhaber eines Telefonanschlusses oder aber einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse zu verlangen. Sowohl für die präventive als auch die repressive Arbeit unserer Sicherheitsbehörden ist das von großer Bedeutung; da dürften wir uns doch alle einig sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Unternehmen müssen den Behörden dann personenbezogene Daten der Kunden, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen stehen, mitteilen. Nicht mitzuteilen sind dagegen sogenannte Verkehrsdaten zu einzelnen Kommunikationsvorgängen.
Mit dem Gesetzentwurf, sehr geehrte Damen und Herren, differenzieren wir nun entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die jeweiligen Normen deutlich stärker aus. Sie enthalten zudem jeweils eigene Regelungen zum Abruf und zur Übermittlung der Daten, das sogenannte Doppeltürmodell, und die jeweiligen Verwendungszwecke werden begrenzt. Mit den vorgeschlagenen Regelungen halten wir uns inhaltlich eng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, und in der Umsetzung der erwähnten Doppeltürrechtsprechung schafft der Gesetzentwurf im Telekommunikationsgesetz und im Telemediengesetz Übermittlungsvorschriften für die Dienstanbieter – das ist die erste Tür – und damit korrespondierende Erhebungsvorschriften für die Strafverfolgungsbehörden, für die Polizeien des Bundes sowie die Nachrichtendienste; das ist die zweite Tür.
Die Übermittlungs- und Erhebungszwecke werden dem Bestimmtheitsgebot entsprechend normenklar geregelt. Die Übermittlung an das Bundeskriminalamt sowie das Zollkriminalamt als Zentralstellen wird zudem ausdrücklich normiert, und die Eingriffsvoraussetzungen werden am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet: Je weiter die Befugnisausübung im Vorfeld einer konkreten Gefahr ermöglicht wird, desto gewichtiger muss dann das zu schützende Rechtsgut oder desto schwerer die zu verhütende Straftat sein.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bei zwei anderen bereits von Bundestag und Bundesrat vor der Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts beschlossenen Gesetzentwürfen hat ja der Bundespräsident die Ausfertigung ausgesetzt, da sie Vorschriften enthalten, die inhaltlich mit den beanstandeten Regeln übereinstimmen, zum Beispiel beim Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Ich glaube, wir sollten deshalb eine zügige Beratung des Gesetzentwurfs in den Gremien anstreben. Wir haben ja bereits eine öffentliche Anhörung für den 25. Januar terminiert. Ich denke, wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass insbesondere auch der Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität alsbald dann auch ausgefertigt werden und in Kraft treten kann.
Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen und danke für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Kollegin Nina Warken. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Christian Wirth.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wir trauen Ihnen nicht. Wir trauen Ihnen nicht, weil Sie schon wieder einen Gesetzentwurf geschrieben und mit Ihren Mehrheiten durchgedrückt haben, der Ihnen von den Gerichten um die Ohren gehauen wurde – schon wieder. Dass Ihre eigenen Leute zu inkompetent sind, um einen verfassungskonformen Gesetzentwurf vorzulegen, das verwundert nicht. Aber dass all die teuren Berater, die wohlinvestierten Spenden der Wirtschaft anscheinend nicht ausreichend, um auch nur oberflächlich Korrektur zu lesen, ist schon überraschend. Nicht mal vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages haben Sie sich beeindrucken lassen.
Wir vertrauen Ihnen nicht; denn es ist ja kein Einzelfall. Der wilde und andauernde Rundumschlag der Bundesregierung in Sachen Corona und die Umsetzung in den Ländern sind von den Juristen und den Gerichten auf allen Ebenen so oft kassiert und kritisiert worden, dass man es kaum noch zählen kann.
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Selbst in einer Zeit, wo Sie sich einer parlamentarischen Mehrheit sicher sein können, haben Sie darauf verzichtet, auch nur die grundlegendste parlamentarische Beteiligung an den Coronamaßnahmen zu ermöglichen. Herr Maas erdreistet sich nunmehr noch, anderen Regierungen einen „Marshallplan für die Demokratie“ anzubieten. Das ist wirklich zum Fremdschämen.
Wir trauen Ihnen nicht, weil Sie von Tag eins an jede Ihnen zur Verfügung stehende Waffe auf allen Ebenen angewendet haben, um der einzigen Oppositionspartei im Bundestag zu schaden. Keine Ausrede war Ihnen zu peinlich, kein Paragraf zu obskur, und wo gewissenstreue Beamte Ihnen im Weg standen, wurden sie nach Sonnenkönigsart vom Hof gejagt.
Wir trauen Ihnen nicht, weil Sie trotz aller hier angebrachten Korrekturen weiter nur das korrigieren, was absolut mindestens nötig ist, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen. Sie ignorieren weiterhin die einstimmige Kritik aller betroffenen Bürger, Verbände und Unternehmen außerhalb ihrer eigenen Parteien.
Wir trauen Ihnen nicht, weil Sie statt einem konkreten, per Gericht benannten und geforderten Einblick in die Daten von Verbrechern und Terroristen die Passwörter als Generalschlüssel für eine beliebige Anzahl von Plattformen wollen, weil Sie weiter ignorieren, dass es nur eine technische Möglichkeit gibt, um ihre geforderte Passwortweitergabe überhaupt zu ermöglichen, nämlich das Speichern von Passwörtern als unverschlüsselter Klartext durch die Anbieter. Ein Geschenk für Hacker und ausländische Dienste.
Wir trauen Ihnen nicht, weil Sie von durch Steuergelder alimentierten NGOs das Gottesgeschenk „Hass und Hetze" erhalten haben, um legitime Regierungskritik in einen Topf mit widerlicher Menschenverachtung zu werfen. Mit dem Gesetz zur Hasskriminalität haben Sie Strafrecht und somit Hoheitsrecht in die Hände amerikanischer Konzerne gegeben und somit ein neues Besatzungsrecht geschaffen.
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Getreu nach Erich Mielke, „Genossen, wir müssen alles wissen!“, ist auch ihre erste Reaktion auf Regierungskritik, erst einmal herauszufinden, wer sich da einer eigenen Meinung erdreistet. Die Weitergabe von IP-Adressen und Portnummern ist Schritt eins zur Repression.
Wir trauen Ihnen nicht, weil Sie besonders in dieser Legislaturperiode bewiesen haben, dass Sie ein anderes Deutschland wollen, mit voller Kontrolle über die politische Meinung und ohne störende Parlamente oder Verfassungsgerichte. Wir trauen Ihnen aber auch deshalb nicht, weil keine Regierung eine solche Machtfülle haben sollte, selbst nicht, wenn sie von der AfD geführt wäre. Allein, dass Sie diese Vollmachten haben wollen, ist Grund genug, dass Sie diese nicht haben dürfen.
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Wir werden Ihnen nicht dabei helfen, Ihren Angriff auf das freie Internet mit dem hier vorgelegten Feigenblatt zu legitimieren.
Vielen Dank.
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Danke schön. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Uli Grötsch.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Wir beraten heute über strengere Regeln für unsere Sicherheitsbehörden bei der sogenannten Bestandsdatenauskunft – um zu Beginn meiner Ausführungen auf das Thema hinzuweisen, um das es hier eigentlich in den Beiträgen gehen sollte. Es geht also um die Frage, für welche Zwecke unter welchen Voraussetzungen unsere Polizeien und Nachrichtendienste auf Kundendaten und Passwörter bei Anbietern von Telekommunikations- und Onlinediensten zugreifen dürfen. Diese neuen Regeln sind aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts – Sie wissen es alle – notwendig geworden. Um es vorwegzunehmen: Ich bin mit der vorliegenden Umsetzung des Urteils grundsätzlich zufrieden; das wird Sie nicht überraschen.
Wir haben das sogenannte Doppeltürmodell umgesetzt, nach dem wir sowohl für die auskunftgebenden Telekommunikationsanbieter als auch für die auskunftverlangenden Behörden jeweils eine eigene verhältnismäßige Rechtsgrundlage und explizite Eingreifschwellen vorsehen. Es ist immer eine Gratwanderung und ein Spagat zwischen der Aufgabe des Staates auf der einen Seite, für Sicherheit in unserem Land zu sorgen und Kriminalität zu bekämpfen, und auf der anderen Seite unserem Anspruch, dass staatliches Handeln höchsten rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen muss. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht vom Gesetzgeber, von uns also, beides unter einen Hut zu bringen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommen wir dieser Aufgabe, die manchmal einer Quadratur des Kreises gleicht, beim Thema Bestandsdatenauskunft nach. Wir begrenzen die Datenabrufrechte von Sicherheitsbehörden auf besonders schwere Straftaten und ganz konkrete Gefahren, zum Beispiel einen Terroranschlag. Nur wenn bestimmte enge Voraussetzungen vorliegen, können zum Beispiel das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz oder die Bundespolizei persönliche Daten oder Passwörter abfragen, Internetnutzer über ihre IP-Adressen identifizieren oder die Herausgabe von Zugangsdaten, zum Beispiel für E-Mail- oder Facebook-Accounts, verlangen.
Die bisherige Regelung war sehr weit gefasst – klar –, sodass der Bundesdatenschutzbeauftragte, womöglich zu Recht, schon seit Langem kritisierte, dass Datenauskünfte bei Bagatelldelikten unverhältnismäßig seien.
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Es geht um das Recht einer jeden Bürgerin, eines jeden Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung. Deshalb ist die Abfrage zu Recht an sehr hohe rechtsstaatliche Hürden geknüpft.
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Diese Hürden gab es schon, und jetzt schrauben wir sie noch ein gutes Stück höher. Andererseits muss es auch weiterhin ein praxistaugliches Instrument für die Sicherheitsbehörden geben. Das ist wieder der Spagat, von dem ich eben gesprochen habe.
Ich erwarte erst einmal keine Nachteile für die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden und für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Ich bin überzeugt, dass unsere Sicherheitsbehörden ihren Aufgaben genauso gut nachkommen werden wie zuvor. Endgültig werden wir das aber erst in der Praxis beurteilen können, wie es in der Gesetzgebung so oft der Fall ist. Deshalb – das sage ich schon – sollten wir überlegen, ob eine regelmäßige Evaluierung nicht auch in diesem Fall festgeschrieben werden sollte.
Obwohl wir die Hürden jetzt höher setzen, haben Datenschützer und Experten Bedenken angemeldet; es sind ja auch tiefe Grundrechtseingriffe, und da darf man nicht nur, sondern da muss man sogar ganz genau hinschauen. Aber das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich nicht das Instrument kritisiert und – mehr noch – seine Notwendigkeit durchaus bestätigt. Grundsätzlich ist die Erteilung einer Auskunft über Bestandsdaten verfassungsrechtlich zulässig. Es geht bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um die Frage der verfassungskonformen Ausgestaltung des Instruments, also um das Wie. Diese Frage und andere mehr werden wir übernächste Woche mit Experten in einer Sachverständigenanhörung noch zu erörtern haben, um Schlüsse für die Ausgestaltung des Gesetzentwurfes zu ziehen.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten pochen seit Wochen und Monaten auf die Verabschiedung dieses Gesetzes und auch auf die Verabschiedung anderer Gesetze im Sicherheitsbereich, die wir für unbedingt notwendig halten. Es ist uns ein Anliegen, sie unbedingt noch in dieser Legislaturperiode hier im Hohen Haus zu verabschieden; denn die für verfassungswidrig erklärten Vorschriften im heute in Rede stehenden Gesetz sind auch Bestandteil unseres bereits im Juni vom Bundestag verabschiedeten Hate-Speech-Gesetzes, also des Gesetzes zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Netz. Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich sozusagen eine Reparatur, damit Bundespräsident Steinmeier das Hate-Speech-Gesetz unterzeichnen kann und es damit in Kraft tritt.
Wir haben keine Zeit zu verlieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hass und Hetze im Netz produziert Mörder. Das war im Kapitol in Washington so, das ist aber auch bei uns in Deutschland so, wie die rechtsextremistischen Terroranschläge von Hanau und Halle beweisen. Deshalb ist es genau richtig, dass wir bald eine Rechtsgrundlage schaffen, um diejenigen, die hinter oft anonymen Mordaufrufen, Anstiftung zu Gewalt, Neonazipropaganda oder Gewaltdarstellungen stecken, konsequent vor Gericht zu bringen. Je früher also das Hate-Speech-Gesetz unserer Bundesjustizministerin gilt, desto besser ist es für Deutschland. Das stärkt das Vertrauen in unseren Rechtsstaat, und das ist auch ein Signal an die schweigende Mehrheit der normalen Nutzer in den sozialen Medien, die sich angesichts der digitalen Umtriebe von Hetzern oftmals sogar zurückziehen. Das Netz gehört uns allen und sicher nicht denen, die am lautesten brüllen und hetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dabei handelt es sich im Übrigen zum allergrößten Teil um Anhänger der AfD, um das auch an dieser Stelle noch einmal gesagt zu haben.
Ich bin sehr stolz und dankbar, dass auf meine Initiative hin eine neue Bundesarbeitsgemeinschaft gegen Hass und Hetze im Netz gegründet wird. Sie wird sich die Hater-Szene, die Hetzerszene in den sozialen Medien wissenschaftlich vornehmen, damit wir systematisch deren Einfluss zurückdrängen können.
Wir haben mit der Bundeszentrale für politische Bildung einen Partner, der künftig verstärkt den Fokus auf Aufklärung über Verschwörungstheorien legen wird, und wir haben mit unserem Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Rassismus in den nächsten vier Jahren 1 Milliarde Euro – 1 Milliarde Euro! – für Projekte bereitgestellt, um den Einfluss von Demokratiefeinden in der digitalen und in der analogen Welt zurückzudrängen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb bitten wir um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf, gerne auch aufseiten der Opposition, damit wir zügig die Arbeit aufnehmen können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Uli Grötsch. – Das Wort hat für die FDP-Fraktion Manuel Höferlin.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Maxime der Bundesregierung bei Sicherheitsgesetzen lautet anscheinend viel zu oft: Wir machen erst einmal so weit und so viel, wie es geht, und dann schauen wir, was beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe herauskommt. So ist es auch in diesem Fall. Viele Sicherheitsgesetze der letzten Jahre sind so angegangen worden; der Scherbenhaufen musste dann vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zusammengekehrt werden.
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Das ist eigentlich ein Skandal und kann nicht die Arbeitsweise des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung sein, meine Damen und Herren.
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Die Regelungen bei der Bestandsdatenauskunft hat das Bundesverfassungsgericht letzten Sommer kassiert. Es konnte ja, sage ich einmal etwas ironisch, keiner ahnen, dass die Herausgabe von Bestandsdaten auch eine wasserfeste Rechtsgrundlage braucht und nicht nur die Abfrage durch die Strafverfolgungsbehörden. Nun gut. Dieses Mal hat die Bundesregierung den Bogen aber zu weit gespannt. Jetzt ist es sogar so weit gekommen, dass wir ein Gesetz hatten, das der Bundespräsident dann nicht unterschrieben hat, weil er gesagt hat: Na ja, das hätte man ja auch einmal machen können.
Es hat auch lange gedauert. Jetzt hat das Innenministerium ein Reparaturgesetz vorgelegt. Ich habe das Gefühl: Wir werden darüber in der nächsten Sitzungswoche intensiv sprechen; wir werden ja eine Anhörung haben. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Bundespräsident sehr intensiv zuhören lässt bei dem, was wir in der Anhörung im Innenausschuss erleben werden. Dann schauen wir einmal, ob nach dem Reparaturgesetz ein wasserfestes Gesetz steht oder ob es wieder zu einem Scherbenhaufen nach Karlsruhe führt.
Was in dem Gesetz leider nicht repariert wurde, das ist zum Beispiel die Meldepflicht für die Anbieter sozialer Medien. Das hätte man gleich berücksichtigen können; da hätte das Justizministerium etwas machen können. Ich habe die Befürchtung: Damit steuern Sie zielgerichtet das nächste Gesetz nach Karlsruhe, gleicher Weg. Was beinhaltet diese Meldepflicht für soziale Medien? Gemeldete Inhalte sollen nicht nur gesperrt oder gelöscht werden, sondern da wird, ja, eine Untersuchung der Vorfälle vorverlagert: Die Social-Media-Unternehmen sollen mit ihren Abteilungen prüfen, ob ein konkreter Verdacht auf eine Straftat vorliegt, und das dann in eine Verdachtsdatenbank des BKA geben, und zwar nicht nur den Inhalt, sondern auch gleich die zugehörige IP-Adresse des Nutzers, der den Inhalt gepostet hat.
Das ist schon interessant. In den letzten Tagen sagte die Bundeskanzlerin noch öffentlich anlässlich der Sperrung des Twitter-Kontos von Herrn Trump, dass nicht die Plattformen die Einschränkung der Meinungsfreiheit bestimmen, sondern dass das staatliche Aufgabe sei. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, warum die Bundesregierung wie beim NetzDG immer wieder den Gedanken aus der Schublade zieht, immer mehr staatliche Aufgaben auf diese Plattformen abzuschieben. Das ist jedenfalls ein Widerspruch zu dem, was die Bundeskanzlerin in den letzten Tagen gesagt hat, meine Damen und Herren.
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Ich sage es Ihnen ganz klar: Ich glaube, diese Meldepflicht für die Anbieter sozialer Medien, in der Form, dass dort solche Entscheidungen getroffen werden, die eigentlich staatliche Aufgabe sind, ist der nächste Riss im Fundament der digitalen Bürgerrechte. Ich wünschte mir, die Bundesregierung würde bei Sicherheitsgesetzen mehr nach der Maxime vorgehen: „Gestalte jedes Gesetz so, dass es auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe standhält“, und nicht umgekehrt; das wäre einmal ein guter Vorsatz. Von dieser Maxime ist die Bundesregierung bei der Meldepflicht für Anbieter sozialer Medien aber weit entfernt. Ich finde, sie muss ihr Verhältnis zur Meinungsfreiheit im Netz dringend einmal klären.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank, Manuel Höferlin. – Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke Niema Movassat.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heutige Gesetzentwurf ist ein Paradebeispiel für die Arbeit dieser Koalition; denn Ihr Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht und möglicherweise verfassungswidrig.
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Aber der Reihe nach: Als Reaktion auf den rechtsterroristischen Anschlag in Halle hatte die Bundesregierung Ende 2019 den Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, bekannt als Hate-Speech-Gesetz, vorgelegt. Das Gesetz wurde Mitte 2020 verabschiedet. Bundespräsident Steinmeier hat sich aber geweigert, Ihr Gesetz zu unterschreiben. Denn zwischenzeitlich gab es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts; dieses urteilte, dass die Regelungen zur Bestandsdatenauskunft – wie sie auch im Hate-Speech-Gesetz vorkommt – verfassungswidrig sind. Bestandsdatenauskunft bedeutet, dass zum Beispiel die Polizei bei einem Internetanbieter gespeicherte persönliche Daten wie Name oder Anschrift einer Person abfragt. Diese Abfrage und auch die Übermittlung durch den Anbieter stellen Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung und den Bundestag also dazu gezwungen, die Bestandsdatenauskunft zu reformieren; darum geht es heute.
Der allererste Entwurf dieses Gesetzes, den wir heute diskutieren, hat Herr Seehofer Ende November den zu beteiligenden Verbänden zugeleitet, damit diese Stellung nehmen können. Die Frist hierfür betrug gerade einmal eine Woche – eine Woche Zeit, um zu einem so komplexen Thema Stellung zu nehmen. So geht es nicht! Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen bis zum Ende des Jahres Zeit gegeben, das Urteil umzusetzen. Statt Eiltempo sollte die Koalition auf Sorgfalt setzen!
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Aber es wird noch besser. Ihr Gesetz soll die Entscheidung Bestandsdatenauskunft II umsetzen. Warum Bestandsdatenauskunft II? Weil die Regelungen zur Bestandsdatenauskunft schon einmal, nämlich 2012, für verfassungswidrig erklärt worden sind. Mit dem vorliegenden Gesetz laufen Sie also Gefahr, dass es bald zu einer Entscheidung Bestandsdatenauskunft III kommt. Ich sage Ihnen auch, warum: Sie regeln zwar die Abfrage der Bestandsdaten durch die Behörden neu, aber die problematischste Regelung im Hate-Speech-Gesetz, nach welcher Betreiber sozialer Netzwerke Bestandsdaten von sich aus bei Verdacht an die Polizei übermitteln müssen, das regeln Sie nicht neu. Um negative Konsequenzen zu vermeiden, werden die meisten Plattformbetreiber lieber zu viele Daten als zu wenige Daten weiterleiten, und das sind erhebliche Grundrechtseingriffe. Ob diese Regelung in Karlsruhe Bestand haben wird, ist völlig unklar. Viele Datenschützer sagen Ihnen auch: Das wird in Karlsruhe nicht durchkommen, das ist verfassungswidrig. – Das sagen wir als Linke auch.
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Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, wenn man Hausaufgaben aus Karlsruhe bekommt, dann sollte man diese Hausaufgaben auch ernst nehmen und sie mit der nötigen Sorgfalt erledigen. Noch ist es nicht zu spät. Ziehen Sie also Ihren Gesetzentwurf zurück und gönnen Sie sich eine Runde Homeschooling im Bereich Grundrechte!
Danke schön.
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Vielen Dank, Niema Movassat. – Der nächste Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Konstantin von Notz.
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Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität sollte die Reaktion auf den antisemitischen, verwerflichen Anschlag auf die Synagoge in Halle sein. Alle demokratischen Fraktionen in diesem Haus waren sich einig: Erstens. Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen. Zweitens. Wir brauchen mehr Sicherheit für die jüdischen Einrichtungen. Drittens. Wir müssen dem Hass scharf begegnen. Deswegen sind diese wichtigen Themen schnell und entschlossen anzugehen.
Man muss leider heute sagen, liebe Große Koalition: Sie haben es verbockt, meine Damen und Herren.
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Der Kollege Höferlin hat es gesagt: Sie stehen vor einem Scherbenhaufen. Bis heute gibt es kein überarbeitetes NetzDG. Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität ist offenkundig verfassungswidrig, sodass der Bundespräsident seine Unterschrift verweigert. Und eine Gesamtstrategie im Umgang mit digitaler Vernetzung von Antisemiten und Rechtsextremisten haben Sie bis heute nicht. Es war doch klar, es war offensichtlich, dass Ihr Gesetz mit den Vorgaben aus Karlsruhe nicht vereinbar ist, und darauf haben wir Sie hier im Haus mehrfach hingewiesen. Wir haben Ihnen Alternativen aufgezeigt. Sie haben alles in den Wind geschlagen. Deswegen sind Sie beim drängendsten sicherheitspolitischen Problem unserer Zeit 15 Monate – 15 Monate! – nach dem Anschlag von Halle ohne jede belastbare Antwort hier heute erschienen. Das ist einfach hochnotpeinlich und angesichts der Ernsthaftigkeit der Bedrohung unverantwortlich, meine Damen und Herren.
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Genauso skandalös war Ihr Umgang mit dem Parlament, das aus der Zeitung und durch unsere Nachfragen erfahren hat, dass dieses Gesetz nicht ausgefertigt wurde. Und so geht es nicht.
Jetzt kommen Sie mit Ihrem Reparaturgesetz – schon das Wort „Reparaturgesetz“!
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Wir werden uns damit im Innenausschuss – das versprechen wir – intensiv beschäftigen. Aber drei Probleme sind doch offenkundig: Erstens. Sie passen nur das manuelle Abrufverfahren an. Zweitens. Sie halten am völlig grenzwertigen Zugriff auf die Passwörter fest. Drittens. Sie dokumentieren Ihre Lernunfähigkeit damit, dass Sie die Vorratsdatenspeicherung und Nutzung der Daten für die Bestandsdatenauskunft trotz aller EuGH-Urteile erneut in diesen Entwurf schreiben. Wie kann man das so ignorant machen, meine Damen und Herren?
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Die zentralen Mängel des Gesetzes packen Sie eben nicht an – sie seien noch kurz genannt –: Die Gefahr einer faktischen Denial‑of‑Service-Attacke auf das BKA mit Daten bleibt sehr real. Es bleibt auch unklar, was mit den Daten beim BKA eigentlich genau passieren soll – das bleibt unbestimmt. Klare Löschfristen und die Stärkung der Rechte der Betroffenen: völlige Fehlanzeige.
Wir müssen bei diesem Thema endlich vorankommen. Wie wichtig das ist, haben die Vorkommnisse in den USA in den letzten Tagen gezeigt. Die Große Koalition ist müde und offenkundig unwillig, die Probleme zu lösen. Das ist ausgesprochen bedauerlich.
Trotz allem wünsche ich allen ein frohes neues Jahr!
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Vielen Dank, Dr. Konstantin von Notz. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Axel Müller.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anders als der Kollege Dr. Wirth von der AfD möchte ich keine Büttenrede halten, sondern mich in der Debatte über die Anpassung der Bestandsdatenauskunft an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai des vergangenen Jahres auf vier Punkte beschränken: Erstens. Was ist da geschehen? Zweitens. Aus welchem Grund ist es geschehen? Drittens. Was muss beachtet werden? Viertens. Erreichen wir das mit dem vorgelegten Gesetzentwurf?
Das Erste – die Kollegin Warken hat es schon erläutert –: Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung § 113 des Telekommunikationsgesetzes und verschiedene Fachgesetze, die die Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden begünstigen, für verfassungswidrig erklärt. Es geht dabei um den Zugriff auf die sogenannten Bestandsdaten, die einerseits das Vertragsverhältnis zwischen Nutzer und Anbieter betreffen und andererseits die beweglichen IP-Adressen, die insbesondere bei strafrechtlichen Ermittlungen von großer Bedeutung sind.
Daher liegt nun ein Gesetzentwurf vor, der „Reparaturgesetz“ genannt wird. Ich finde, das ist ein guter Begriff, Herr Kollege von Notz; denn wir haben es nicht mit einem Totalschaden zu tun, wie Sie ihn hier dargestellt haben.
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Vielmehr sagt das Bundesverfassungsgericht, bei den begehrten Auskünften handele es sich um ein Auskunftsrecht von „gemäßigtem Eingriffsgewicht“.
Warum ist das bisherige Gesetz für verfassungswidrig erklärt worden? Die Kollegin Warken hat auch darauf hingewiesen, dass wir seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983 wissen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit dem Grundrecht auf den Schutz der Menschenwürde auch die Selbstbestimmung des Menschen beinhaltet, über seine Daten selbst zu entscheiden, also darüber, ob er sie preisgibt oder der Verwendung zugänglich macht, spezialgesetzlich geregelt gemäß Artikel 10 des Grundgesetzes über das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Der bisherige § 113 TKG und die genannten Fachgesetze haben das zu wenig berücksichtigt; das war nicht ausreichend. Die Weitergabe von Bestandsdaten bzw. ein Auskunftsanspruch der Sicherheitsbehörden brauchen eine eigene Rechtsgrundlage, die sich am Maßstab des betroffenen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung orientiert.
Was muss man also bei der Reparatur beachten? Da hat das Bundesverfassungsgericht eine ganz konkrete Reparaturanleitung gegeben. „Anlass, Zweck und Umfang des jeweiligen Eingriffs sind … durch den Gesetzgeber bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen“, heißt es in der Entscheidung. Deshalb muss man auch nicht darüber hinausgehen, Herr Kollege Höferlin, sondern man muss sich an diese Vorgabe halten. Das Ganze muss natürlich verhältnismäßig sein.
Wir sind vom ursprünglichen Zweck des Bestandsdatengesetzes natürlich abgewichen – das muss man wissen –; denn die Daten zur Gestaltung des Vertragsverhältnisses sind ja weniger als das, was wir wollen. Wir wollen darüber hinausgehend Informationen für die Sicherheitsbehörden gewinnen. Das heißt dann ganz konkret, dass man sich hinsichtlich des Eingriffsanlasses auf tatsächliche Anhaltspunkte stützen muss, um diese Auskünfte einholen zu können. Einen Datenvorrat ohne einen konkreten Verdacht, eine konkrete Gefahr darf es nicht geben. Es ist deshalb in diesen Neufassungen die konkrete Gefahr benannt, die bestehen muss, um einen Eingriff vorzunehmen. Es muss bei einer Straftat ein Anfangsverdacht bestehen.
Nun die Schlussfrage: Erreichen wir das alles mit dem vorgelegten Gesetzentwurf? Ich habe es bereits beantwortet: Ja, das machen wir. TKG und Fachgesetze schaffen nun die Grundlage für eine verfassungskonforme Anwendung. Das gilt auch für das hier bereits genannte und gescholtene Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität.
Es bedarf dazu auch keines zweistufigen Verfahrens, wie die Grünen das wollen. Das geht an der Praxis auch vorbei, da ein solches zweistufiges Verfahren wegen der in Anspruch genommenen Dauer zu einem unwiederbringlichen Verlust an Informationen und Daten führen würde.
Dazu kann ich nur den Schlusssatz anmerken. Herr Habeck hat auf der letzten Klausur der Grünen gesagt, dass man einen Staat wolle, in dem sich die Menschen wohlfühlen – einen Wohlfühlstaat wollen die Grünen. Dazu möchte ich angesichts dieser Gesetzesfassung, die Ihnen vorschwebt, sagen: Vielleicht hat er da ganz unbewusst leider Gottes auch die Straftäter einbezogen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Axel Müller. – Letzter Redner in dieser Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Michael Kuffer.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetz fassen wir einzelne Regelungen zur Erhebung und Verarbeitung von Bestandsdaten im Telekommunikationsbereich neu. Wir setzen damit bekanntermaßen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Mai 2020 um. Entscheidend dabei war und ist: Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst einmal eindeutig klargestellt, dass die Erteilung von Auskünften über Bestandsdaten grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig ist. Es hat in seinem Beschluss lediglich Modifizierungen erbeten, und zwar, wie es das Gericht beschreibt, nach dem Bild einer „Doppeltür“. Das heißt, es geht um noch weiter auszudifferenzierende Tatbestandsvoraussetzungen sowohl für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter als auch für den Abruf dieser Daten durch unsere Sicherheitsbehörden. Letztlich geht es darum, die Verwendungszwecke der Daten noch enger einzugrenzen, und zwar explizit auf die Fälle konkreter Gefahren. Für die Zuordnung dynamischer IP-Adressen zu den dazugehörigen Daten des Anschlussinhabers sieht das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus als legitimen Zweck nur – so die Formulierung des Gerichts – „die Bewehrung von Rechtsgütern von hervorgehobenem Gewicht“ vor.
Es ist wichtig, sich das noch einmal zu verdeutlichen; denn das Bundesverfassungsgericht verlangt von uns als Gesetzgeber damit lediglich mikrochirurgische Eingriffe. Es hat deshalb die Regelungen auch vorläufig weiter gelten lassen. Das ist auch deshalb wichtig, weil somit zu keiner Zeit eine Sicherheitslücke entstehen konnte.
Deshalb, lieber Herr Kollege von Notz, sind Ihre Äußerungen dazu natürlich durchaus verräterisch. Sie haben in der Pressemitteilung von der „strukturellen Ignoranz der Bundesregierung gegenüber Freiheitsrechten“ gesprochen.
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Sie haben solche blamablen Formulierungen heute wiederholt, indem Sie von „Scherbenhaufen“ gesprochen haben. Drunter ging es also offensichtlich nicht.
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Damit sind Sie natürlich nicht nur über das Ziel hinausgeschossen, sondern Sie zeigen wieder etwas, was man von Ihnen kennt, was Sie neuerdings aber zu kaschieren versuchen – da bricht es halt wieder hervor –: Es ist Ihre Schadenfreude über jede mögliche oder vielleicht sogar von Ihnen gewünschte Schwächung unseres Sicherheitsapparats.
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Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Sie können natürlich hier schon mit Wahlkampf beginnen;
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aber dieser Spagat wird im Jahr 2021 nicht gut gehen.
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Die Schreierei zeigt, dass wir Sie da auf dem richtigen Fuß erwischt haben.
Insofern ist es vielleicht wichtig für Sie, zu erfahren, dass wir mit den Reparaturen jetzt sehr gründlich vorgehen. Wir nehmen uns sowohl das Telemediengesetz, das Telekommunikationsgesetz, die polizeilichen Abrufregelungen des Bundespolizeigesetzes, des BKA-Gesetzes, des Zollfahndungsdienstgesetzes und des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes als auch die nachrichtendienstlichen Abrufregelungen und die Strafprozessordnung vor. Insofern ist das eine gründliche Reparatur im graduellen Bereich.
Sie können aufhören, sich aufzuregen. Es ist alles in Ordnung, und die Lage ist absolut im Griff.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieses Jahres war eine der ersten Nachrichten, dass die Deutschen im letzten Jahr um 393 Milliarden Euro reicher geworden sind. Auf den privaten Bankkonten liegen 7,1 Billionen Euro. Das ist ein Rekord.
Die meisten Menschen dürften sich jetzt verwundert die Augen reiben, weil sie auf ihren Konten von dieser wundersamen Geldvermehrung nichts gemerkt haben. Im Gegenteil: Ein Drittel der Haushalte in Deutschland hatte im letzten Jahr – natürlich wegen Corona – weniger Geld zur Verfügung. Deswegen mussten viele Menschen mehr Geld ausgeben, als sie auf dem Konto haben; sie mussten ihren Dispo in Anspruch nehmen.
6 Millionen Menschen geht es regelmäßig so, und wenn auch der Dispo nicht mehr reicht, dann muss man zu einem teuren Überziehungskredit greifen. Irgendwann kann man die hohen Zinsen für den Dispo und den Überziehungskredit nicht mehr bezahlen, und man landet in der Überschuldung. Hier dürfen wir nicht wegschauen; hier müssen wir handeln.
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Immer häufiger kommen übrigens auch Selbstständige nur noch mithilfe ihres Dispos über die Runden und können nur noch damit ihren Geschäftsbetrieb aufrechterhalten. Gerade zu Weihnachten letzten Jahres konnten einige Familien ihren Kindern nur noch Geschenke machen, weil sie in den Dispo gegangen sind.
Etliche Banken in Deutschland lassen sich das viel zu teuer bezahlen. Im Durchschnitt nehmen sie fast 10 Prozent Zinsen, zwei Dutzend Banken sogar über 12 Prozent. Alle Appelle und freiwilligen Selbstverpflichtungen haben bisher nicht geholfen.
Und nun raten Sie mal, was die Antwort des SPD-Finanzministers und Kanzlerkandidaten Olaf Scholz auf diese existenziellen Sorgen von Familien mit Kindern und einem geringen Einkommen, von Alleinerziehenden, von Rentnerinnen und Rentnern, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, ist! Olaf Scholz sagt, sie sollen auf der privaten Webseite Check24 die Dispozinsen vergleichen. Das ist doch absurd.
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Check24 ist nicht neutral; Check24 bietet selber ein eigenes Girokonto an. Bei denen steht auch häufig nicht der oben, der am günstigsten ist, sondern der, der die höchsten Provisionen bezahlt hat. Gerade wurde Check24 von Verbraucherschützern verklagt.
Sich darauf verlassen zu müssen, ist keine Hilfe, sondern eine Frechheit. Das Finanzministerium hat sich offenbar bei Rousseau verlesen. Da steht nicht „Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es Check24, das befreit“, sondern das Gesetz.
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Genau zu dieser gesetzlichen Regelung fordern wir Sie heute auf.
Banken dürfen gerade in der Krise nicht an der Verzweiflung der Menschen Geld verdienen. Zinsexzesse müssen gesetzlich gestoppt werden, und wir beantragen daher eine gesetzliche Begrenzung der Dispozinsen und der noch teureren Überziehungskreditzinsen auf maximal 5 Prozent über dem Leitzins der Europäischen Zentralbank. Das wäre für die meisten Menschen derzeit eine Halbierung der Dispozinsen.
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Zurück zum Anfang. Wo ist denn jetzt das ganze Geld auf den Konten? Es gilt der alte Satz: Das Geld ist nicht weg, es ist nur woanders. – Jene, die ohnehin schon genug Geld haben, sind in der Coronakrise noch reicher geworden, weil sie gar nicht wissen, wie sie ihr vieles Geld ausgeben sollen. 45 Familien in Deutschland haben mehr Geld als die Hälfte der Bevölkerung, mehr Geld als 40 Millionen Menschen zusammen.
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Sie wissen wahrscheinlich nicht, wie hoch die Dispozinsen gerade sind, und es ist ihnen wahrscheinlich auch egal. Uns ist das nicht egal.
Nun las ich, dass der Kollege Lothar Binding von der SPD – immerhin der finanzpolitische Sprecher – auch für eine gesetzliche Regelung ist.
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Das finde ich gut. Überzeugen Sie zügig Ihren Finanzminister und Kanzlerkandidaten Olaf Scholz! Die Leute brauchen Hilfe, und zwar nicht auf dem Wahlplakat, sondern jetzt.
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Vielen Dank, Stefan Liebich. – Der nächste Redner steht schon da: für die CDU/CSU-Fraktion Matthias Hauer.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema „Deckelung von Dispozinsen“. So oft, wie Die Linke hier ähnliche Anträge gestellt hat – stets mit derselben staatsgläubigen Forderung, dass die Dispozinsen durch einen staatlichen Eingriff gedeckelt werden sollen –, ist der Antrag ja schon ein Klassiker. Zuletzt haben wir im Februar 2019 hierüber diskutiert, und natürlich wollen Sie auch im Wahljahr nicht auf diesen Klassiker verzichten.
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– Wir stellen zumindest ab und zu mal unterschiedliche Anträge; Sie beschränken sich ja darauf, immer dasselbe zu beantragen. Dazu aber gleich im Detail mehr.
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Einige politische Mitbewerber scharren jetzt mit den Hufen, zum Beispiel gehen das Positionspapier der SPD von Mitte Dezember und auch die Forderung der Grünen in der „Bild“-Zeitung vom 29. Dezember ja in ähnliche Richtungen. Neu daran ist ausschließlich, dass Sie das diesmal mit der Coronapandemie begründen.
Viele Menschen bangen in der Pandemie um ihre wirtschaftliche Existenz. Wir haben im Bundestag beispielsweise mit der Unterstützung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch mit Hilfen für mittelständische Betriebe tatkräftige Hilfen beschlossen. Wir alle hier schauen sehr genau hin, welche Hilfen ankommen und wie existenzielle Nöte verhindert werden können.
Gerade in einer solchen schweren Zeit klingen „Bild“-Schlagzeilen wie „Grünen-Chef will Dispo-Abzocke stoppen“ auf den ersten Blick natürlich erst mal recht sympathisch.
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Schauen wir uns das aber mal im Detail an.
Das Volumen dieser Überziehungskredite ist in den zurückliegenden Monaten keinesfalls gestiegen, wie man nach der Lektüre des Antrags der Linken vermuten könnte. Im Gegenteil erleben wir seit Langem einen kontinuierlichen Rückgang. Aktuell haben wir in diesem Bereich sogar das niedrigste Kreditvolumen seit fast 20 Jahren. Ein Coronaeffekt ist jedenfalls derzeit nicht erkennbar und sollte daher auch nicht zur Aufwärmung Ihrer altbekannten Forderung angeführt werden.
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Aber auch unabhängig von der Pandemie gibt es vieles zu Ihrem Antrag zu sagen:
Wozu dient ein Dispokredit? Er muss nicht gesondert beantragt werden und ist meist bereits im Girovertrag enthalten. Er ist erst mal eine bequeme und flexible Möglichkeit, einen kurzfristigen finanziellen Engpass aufzufangen. Niemand fragt nach der Verwendung des Geldes, nach den zusätzlichen Sicherheiten oder nach einer aktuellen Bonitätsprüfung. Dass diese Flexibilität und das höhere Ausfallrisiko über den Zins vergütet werden müssen, dürfte Konsens sein.
Der Wettbewerb bringt auch Ausreißer nach oben mit sich. Eine Grenze dafür wird schon durch § 138 BGB gezogen.
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Auch Dispozinsen dürfen nicht gegen das Wucherverbot verstoßen. Das wissen auch Sie. Eine darüber hinausgehende Deckelung der Dispozinsen durch staatlichen Eingriff lehnen wir deshalb auch ab.
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Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Liebich?
Sehr gerne.
Gut. – Herr Liebich, bitte.
Vielen Dank, Herr Hauer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Der Leitzins der Europäischen Zentralbank liegt ja im Moment bei minus 0,5 Prozent, und ich habe vorhin gesagt, der Durchschnittssatz der Dispozinsen – der Durchschnitt; es geht nicht um Exzesse – liegt im Moment bei 10 Prozent.
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Mich interessiert ganz konkret: Finden Sie das angemessen?
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Das war schon die Frage? – Da hätte ich jetzt mehr von Ihnen erwartet; denn das geht ja nicht über das hinaus, was Sie schon in Ihrer Rede gesagt haben. Ich werde jetzt einfach das, was ich gleich sagen wollte, in meine Antwort einbauen; so spare ich Redezeit.
Ich kann Ihnen sagen, dass niedrige Dispozinsen nur eine Seite der Medaille sind, was Verbraucherinnen und Verbraucher interessiert. Verbraucherinnen und Verbraucher interessieren sich dafür, aber sie interessieren sich zum Beispiel auch für niedrige Kontoführungsgebühren, für kostenloses Geldabheben oder das Vorhandensein vieler Geldautomaten. Wir wollen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher selbst entscheiden sollen, welche Kriterien bei ihrer Kontoauswahl maßgeblich sind; da sollte man sich nicht auf nur ein Kriterium konzentrieren.
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Anstatt in die Vertragsfreiheit einzugreifen, wollen wir volle Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher, damit sie die für sie günstigsten und passendsten Angebote herausfinden können. Sie hatten es schon erwähnt, Herr Kollege Liebich: Für diese Transparenz gibt es bekanntlich seit August letzten Jahres ein Angebot, nämlich eine TÜV-zertifizierte Vergleichswebsite nach dem Zahlungskontengesetz, das wir hier beschlossen hatten, über Check24; Sie haben das gerade angesprochen. Ich habe das für die Zuschauerinnen und Zuschauer auf meiner Homepage und meinen Seiten der sozialen Netzwerke entsprechend verlinkt, sodass sie direkt zu dieser Seite kommen können.
Natürlich muss man genau hinschauen. Sie haben es gerade schon angesprochen: Es gibt auch Vergleichswebsites, wo entsprechende Vergütungen gezahlt werden und wo auch nicht immer das beste Angebot oben steht. Es gibt aber auch eine TÜV-zertifizierte Seite,
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und anstatt Unklarheit zu säen, sollten Sie lieber darauf hinweisen und zur Transparenz beitragen. Das haben Sie mit Ihrem Beitrag gerade jedenfalls nicht getan.
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Sie können diese Vergleichswebsite im Übrigen auch gut per Suchmaschine finden, und Sie werden feststellen, dass es auch zahlreiche Institute gibt, die moderate Dispozinsen anbieten. Warum es allerdings zwei Jahre dauern musste, bis wir eine solche Vergleichswebsite – 2018 trat dieser Teil des Zahlungskontengesetzes in Kraft – endlich auf den Weg gebracht haben, müssen Sie den Bundesfinanzminister fragen.
Die Verschuldung und die Überschuldung von Menschen ist ein ernsthaftes Problem, das leider zu viele Menschen in Deutschland betrifft. Die staatliche Deckelung der Dispozinshöhe ist jedoch kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung dieses Problems. Wenn Sie durch Deckelung der Dispozinsen dafür sorgen, dass Banken die Kontoführungsgebühren erhöhen oder Bargeldabhebungen verteuern, erweisen Sie den meisten Kunden, auch denen mit kleinem Geldbeutel, einen Bärendienst.
Überziehungskredite dienen ausschließlich dazu, einen kurzfristigen Liquiditätsengpass auszugleichen, und so nutzen die allermeisten Bankkunden den Dispo entweder gar nicht oder nur ganz wenige Male im Jahr, jedenfalls nur für eine kurze Zeitspanne, und für Beträge von wenigen 100 Euro. Meist wird die Überziehung noch im selben Monat ausgeglichen, und die Zinsen, die dafür anfallen, liegen bei wenigen Euro.
Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode den Banken Informations- und Beratungspflichten auferlegt, falls Kundinnen und Kunden mehrere Monate den Überziehungskredit beanspruchen. Damit können die kostengünstigeren Alternativen zum Überziehungskredit aufgezeigt werden. Es kann auch auf entsprechende Beratungseinrichtungen hingewiesen werden.
Diese Transparenz, die freie Kundenentscheidung und die Beratungspflichten der Bank sind der richtige Weg.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Matthias Hauer. – Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion Stefan Keuter.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Dieser Antrag der Genossinnen und Genossen zielt darauf ab, den Dispositionszinssatz auf maximal 5 Prozent über dem sogenannten Leitzins der EZB zu deckeln.
Ja, wir haben es hier mit einem altbekannten Antrag zu tun, wie Herr Hauer gerade schon sagte. Wir haben diesen Antrag fast in identischer Form bereits am 1. Februar 2019, also vor gut zwei Jahren, hier im Plenum diskutiert. Diesmal ist noch der Zusatz „… infolge der Corona-Pandemie …“ beigefügt worden. Man hat also aufseiten der Linken versucht, einen Bezug zur Pandemie herzustellen.
Nun wollen wir den Linken nicht unterstellen, dass sie per se keine guten Anträge stellen können; aber uns wundert es schon, dass diese Oppositionskraft hier im Deutschen Bundestag, wenn sie schon das Thema Corona aufgreift, keine knackigen Themen bringt: dass sie beispielsweise das Staatsversagen beim Managen dieser Pandemie aufzeigt, dass sie vor der größten wirtschaftlichen Krise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland warnt, vor der Verschuldung der kommenden Generationen, vor der Corona-Angstmache des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder vor der Impfpropaganda.
Es wundert uns, dass sie die Angst vor der Mutation nicht aufklärt oder hinterfragt.
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Handelt es sich nur um eine Mutation – was Viren seit Millionen von Jahren machen – oder um einen neuen Stamm, der gegebenenfalls tatsächlich gefährlich sein könnte?
Sie könnte als Oppositionskraft hier auch eine Aufklärung zu den Risiken dieses neuen sogenannten mRNA-Impfstoffes fordern. Sie kann fragen, was dieser Impfstoff überhaupt kann.
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Richtig aufgeklärt wird darüber nämlich nicht. Sie kann den Kampf über die Diskussion der Impfpflicht aufnehmen.
Alles das tut sie nicht. Eine Übersterblichkeit haben wir nicht. Es wäre an Ihnen als Linke, den Menschen Hoffnung zu geben, wenn Sie einen Antrag einbringen.
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Stattdessen kommt ein alter Antrag: ein Angriff auf das darbende Bankgewerbe.
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Wir wollen ganz kurz uns mit Ihrem Antrag beschäftigen. Wir schauen uns die Banken und die Verbraucher an, und dann rechnen wir ein bisschen.
Was ist dieser Dispozinssatz? Es ist letztendlich ein Aufschlag, der eine Kreditmarge, das Ausfallrisiko der Banken, widerspiegelt und dann noch einen Gewinnaufschlag draufpackt, nämlich die Verzinsung des Eigenkapitals der Banken. Die Banken sollten schon eine Produktgestaltungsfreiheit haben. Sie müssen sich letztendlich mit ihren Produkten im Markt behaupten. Da brauchen wir von gesetzgeberischer Seite überhaupt nicht einzugreifen.
Schauen wir uns die Seite der Verbraucher an. Wozu ist ein Dispositionszinssatz da? Er ist dafür da, um kurzfristige ungeplante Ausgaben zusätzlich überbrücken zu können. Er dient nicht dem vorgezogenen Konsum, und es ist die Freiheit eines jeden Einzelnen, den Dispositionskredit in Anspruch zu nehmen oder halt nicht.
Sie als Linke wissen ganz genau, dass es die Pflichten der Banken gibt, darüber aufzuklären, wenn ein Kunde diesen Dispositionskredit über längere Zeit in Anspruch nimmt. Er kann dann günstig umschulden auf Ratenkredite, die im Moment bei circa 3 Prozent liegen. Wenn ein Konto nicht im Rahmen geführt wird und zudem, wie Sie vorhin sagten, Überziehungen in Anspruch genommen werden, dann stellt dieser Kunde eine schlechtere Bonität mit einem größeren Ausfallrisiko dar. Das muss natürlich irgendwo vergütet werden.
Wir rechnen einmal. Das „Handelsblatt“ hat eine Umfrage gemacht: Nur 11,8 Prozent der Dispokredite liegen über 1 500 Euro, 88 Prozent unter 1 500 Euro. Bei einem Durchschnittszinssatz von 9,72 Prozent pro Jahr beträgt die Zinslast 138 Euro pro Jahr.
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Ihre Deckelung würde eine Ersparnis von lediglich 63 Euro bringen; eine Zinslast von 75 Euro würde bleiben. Damit wollen Sie Ihre Verbraucher entschulden. Das ist lächerlich, meine Damen und Herren! In Wirklichkeit ist dies ein Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und auf die private Bankwirtschaft, die Ihnen ein Dorn im Auge ist.
Sie fordern in Ihrem Antrag außerdem stärkere Kontrollen und Regulierungen. Wir als AfD, als freiheitliche Partei, lehnen dies entschieden ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich danke Ihnen. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Ingrid Arndt-Brauer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dispokreditrahmen werden von den Banken festgelegt. Vielleicht kann man mit den Banken ein bisschen verhandeln. Verhandeln und verhindern kann man aber nicht, wenn man von der Bank von einer eingeräumten zu einer geduldeten Kontoüberziehung hingeleitet wird. Nicht bei allen, aber bei einigen Banken wird dann auf den normalen Dispozins noch mal ein Strafzins aufgeschlagen. Dem liegt ein Geschäftsmodell zugrunde, aber keine Gegenleistung vonseiten der Bank. Deswegen sollte dieser Strafzins untersagt werden.
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Meine gesamte – ich betone ausdrücklich: die gesamte – SPD-Fraktion hat im November letzten Jahres ein Positionspapier verabschiedet mit dem Titel: „Dispozinsen gesetzlich begrenzen“.
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Wir haben nämlich festgestellt, dass das Zahlungskontengesetz nicht alle Erwartungen erfüllt hat, die wir in das Gesetz gesetzt hatten.
Das „Handelsblatt“ hat, nachdem wir dieses Papier veröffentlicht haben, getitelt: „SPD und Union streiten über Deckelung der Dispozinsen“. Das stimmt leider. Im Gegensatz zu uns schreckt die Union ein bisschen davor zurück, in die Preisgestaltung der Kreditinstitute einzugreifen.
Die sechs SPD-Forderungen im Einzelnen: Der Zinssatz für vereinbarte Kontoüberziehungen darf maximal 6 Prozent über einem konkret festzulegenden Bezugszins liegen.
Darüber hinaus: Zusätzliche Zinsen für geduldete Überziehung dürfen nicht verlangt werden.
Dritte Forderung: Banken sollten schon bei dreimonatiger Kontoüberziehung auf Alternativkredite hinweisen. Die jetzige Frist ist eindeutig zu lang.
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Die nächste Forderung: Unabhängige Schuldnerberatungsangebote müssen ausgebaut werden. Wir haben welche, aber sie reichen unserer Meinung nach nicht aus.
Die nächste Forderung: Banken müssen schon bei Einräumung der Überziehung zu transparenter Beratung verpflichtet werden. Das ist mehr, als in Ihrem Antrag steht. Aber wir möchten einfach, dass die Transparenz schon am Anfang steht und die Leute von Anfang an wissen, was an Zinsbelastung auf sie zukommt, wenn sie mit ihrem Kreditrahmen nicht hinkommen.
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Die letzte Forderung: Wir haben nach dem Zahlungskontengesetz ein zertifiziertes Vergleichsportal. Frage: Reicht das aus? Eine Verstaatlichung, wie Sie es fordern, braucht es nicht; aber es reicht wahrscheinlich nicht aus. Wir brauchen eindeutig mehr Vergleichsportale, und wir brauchen auf alle Fälle mehr Transparenz.
Was wir aber auch brauchen, ist die Einsicht beim Koalitionspartner. Dann würden wir es nämlich demnächst noch beschließen, und wir können ja wahrscheinlich mit der Zustimmung der Linken und der Grünen rechnen. Das wäre sehr gut.
Der Bankenverband ist der Meinung, dass der Markt das alles geregelt hat, dass es eine breite Auswahl von Anbietern gibt und dass man von staatlichen Eingriffen absehen sollte. Wir sind dieser Meinung nicht und hoffen, dass wir die restliche Legislaturperiode dafür aufwenden können, den Koalitionspartner zu überzeugen und vielleicht noch etwas Vernünftiges im Sinne der Verbraucher hinzukriegen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Ingrid Arndt-Brauer. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Frank Schäffler.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Was mich entsetzt, ist eigentlich die fast schon bigotte Haltung einiger hier, was staatliche Leistungen und staatliche Fürsorge betrifft. Zu meinen, der Staat könne regeln, dass alle Zinsen, alle Preise, die Sparkassen für Girokonten auflegen, transparent darzustellen sind, das war schon der Kernfehler. Dass man meint, man könnte von Rosenheim bis Flensburg alle entsprechenden Konten vergleichen, ist doch schon an sich absurd. Ich kann in Rosenheim bei der Sparkasse wegen des Regionalprinzips gar kein Konto eröffnen. Schon deshalb ist es totaler Quatsch, zu sagen, alle diese Institute müssen auf ein entsprechendes Portal.
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Das zeigt eben die Allmacht, die man als Staat zu haben meint – dieser Staat kriegt nicht mal hin, innerhalb von 17 Tagen 2 Millionen Impfdosen zu verimpfen –, weshalb man glaubt, es würde am Ende tatsächlich besser funktionieren, wenn es der Staat macht.
Was man, finde ich, durchaus diskutieren kann, ist, inwieweit das vor Ort vielleicht besser funktioniert. Da will ich den Ball durchaus an Die Linke weitergeben oder zurückgeben; denn die Sparkassen vor Ort sind ja dem Gemeinwohl verpflichtet, und wenn es Girokonten kostengünstig geben sollte, dann doch bitte bei den Sparkassen, deren Auftrag es ist, gemeinwohlorientiert dem Bürger Finanzdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Da wäre es doch ganz schlau, wenn man vor der eigenen Haustür kehrt.
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Ich habe mir mal herausgesucht, wo eigentlich die Linkspartei Verwaltungsratsvorsitzende von Sparkassen stellt und wie hoch der Zinssatz in diesen Sparkassen tatsächlich ist.
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Im Landkreis Wittenberg, Sachsen-Anhalt, ist Jürgen Dannenberg Landrat für die Linkspartei.
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Dort beträgt der Zinssatz 9,2 Prozent. – In Mansfeld-Südharz, auch Sachsen-Anhalt, Landrätin Angelika Klein, beträgt der Zinssatz 7,63 Prozent. Und im Ilmkreis in Thüringen ist Peter Enders Landrat; da beträgt der Zinssatz 9,52 Prozent.
Herr Schäffler.
Also, man darf nicht – –
Herr Schäffler.
Nein, ich lasse keine Frage zu.
Ich frage Sie was.
Ja. Ich lasse aber keine Frage zu.
Ja, dann sagen Sie es mir anständig.
Ja, sage ich Ihnen hiermit.
Hallo!
Ja. Ich kann doch hier sagen, dass ich keine Frage zulasse.
Aber dann gucken Sie mich an; ich habe Sie nämlich nicht verstanden.
Ja, okay.
Ich habe Sie freundlich gefragt, und da können Sie mir eine freundliche Antwort geben.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich lasse keine Frage zu.
Deshalb ist es pharisäerhaft, sich hierhinzustellen und zu sagen, man möge doch bitte diese Frage regulieren, wenn man vor Ort selbst die Möglichkeit hat, es zu regulieren.
Vielen Dank.
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Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Liebich.
Herr Kollege Schäffler, schade, dass Sie keine Zwischenfrage zugelassen haben. Aber wir haben ja das Mittel der Kurzintervention.
Also, das war jetzt schon überraschend und auch für FDP-Verhältnisse ein bisschen dünn, sich nun ausgerechnet auf die Sparkassen zu stürzen, für die Sie ja sonst nicht als die größten Vorkämpfer gelten. Sie wissen schon, dass sich auch die Sparkassen, auch die regionalen, in einem wirtschaftlichen Umfeld bewegen, im Wettbewerb bewegen.
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– Ja, na klar.
Wenn man das Problem der Dispozinsen angehen will, dann muss man es für alle Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer regeln, nicht nur für einen.
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Ich finde es schon einen einigermaßen absurden Vorschlag, dass ausgerechnet die FDP nun findet, dass Landräte in den Aufsichtsgremien der Sparkassen die Zinssätze für die Dispozinsen bestimmen sollen. Das ist nun wirklich keine FDP-Position.
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Herr Liebich, Sie können sich jetzt hier natürlich herausreden. Aber im Sparkassengesetz der Länder steht, dass Sparkassen gemeinwohlorientiert zu agieren haben, und das haben Sie teilweise sogar mitbeschlossen. Dann machen Sie das doch gefälligst!
Was ich Ihnen vorwerfe, ist, dass Sie hier etwas anderes versprechen, als Sie vor Ort tun. Diese Pharisäerhaftigkeit lassen wir Ihnen hier nicht durchgehen.
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So, jetzt kommen wir zum nächsten Redner. Das ist für Bündnis 90/Die Grünen Stefan Schmidt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es der Markt nicht regelt, ja, dann muss es eben der Staat regeln. Das ist ein Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft, und Dispozinsen um die 10 Prozent, in der Spitze sogar knapp 14 Prozent, sind absolut inakzeptabel.
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Da hat der Markt versagt, und deshalb brauchen wir einen gesetzlichen Deckel, und zwar für alle.
Ich bin der Linken dankbar für ihren Antrag und die Debatte heute. Die hohen Zinsen sind nämlich weder gerechtfertigt noch verhältnismäßig. Warum? Zum einen sind Dispokredite für Banken nicht besonders teuer. Sie selbst können sich das Geld spottbillig leihen; der Leitzins liegt ja seit mehr als vier Jahren kontinuierlich bei exakt 0 Prozent.
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Zum anderen gehen die Banken mit Dispokrediten auch kein großes Risiko ein. In den allermeisten Fällen bekommen sie ihr Geld nämlich wieder zurück. Deshalb sind 10 Prozent und mehr für die Kontoüberziehung nicht angemessen, sondern einfach nur dreist.
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Ich leugne nicht – das kommt mir im Antrag der Linken etwas zu kurz –, dass viele Banken und Sparkassen unter Preisdruck stehen, vor allem die mit einem guten Filialnetz. Aber – da, Herr Hauer, müssen Sie jetzt besonders aufpassen – warum müssen die Banken das Geld ausgerechnet bei den Menschen holen, die ohnehin wenig haben, bei Arbeitslosen, bei Alleinerziehenden, bei Menschen in Kurzarbeit oder bei Selbstständigen, die ihre Coronahilfen viel zu spät erhalten? Wirtschaften auf Kosten der Finanzschwachen, das dürfen wir nicht zulassen.
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Mit einem wirksamen Zinsdeckel bei Dispokrediten dämmen wir auch die Überschuldungsgefahr ein. Ich will die Kontoüberziehung nicht grundsätzlich verteufeln. Sie kann ausnahmsweise und kurzfristig eine große Hilfe sein, wenn zum Beispiel die Waschmaschine ihren Geist aufgibt und das Geld auf dem Konto gerade nicht für eine neue reicht. Aber jeder zehnte Erwachsene in Deutschland ist regelmäßig im Minus. Für finanziell schwächer Gestellte sind 5, 10, 15, 20 Euro im Monat, und das jeden Monat wieder, oft eine Belastung zu viel. Die Menschen rutschen in die Dispospirale und kommen einfach nicht mehr raus. Das beobachten die Schuldnerberatungen schon lange, und auch die Bundesregierung warnt davor. Wir müssen verhindern, dass die völlig überhöhten Zinsen die Menschen in die Überschuldung zwingen.
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Ich freue mich, dass neben uns Grünen und der Linken auch die SPD einen Deckel auf das Fass der Dispozinsen setzen will. Ich hoffe, Ihr aktueller Fraktionsbeschluss ist mehr als nur Wahlkampfgeplänkel. Setzen Sie sich damit in der Koalition auseinander und bei der Union durch!
Darüber, wie hoch der Deckel genau sein muss, ob 5 Prozentpunkte über dem Leitzins, wie es Die Linke fordert, 6 Prozentpunkte darüber, wie es die SPD will, 8 Prozentpunkte darüber, was Stiftung Warentest für noch akzeptabel hält, können wir im Finanzausschuss diskutieren. Klar ist aber: Wir müssen den Mondpreisen für die Kontoüberziehung endlich ein Ende setzen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Stefan Schmidt. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Sebastian Brehm.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In regelmäßigen Abständen kommt ein Antrag der Linken zur Deckelung der Dispozinsen. Das letzte Mal haben wir im Februar 2019 – das wurde erwähnt – im Bundestag darüber diskutiert. Jetzt kommt er neu im Lichte der Coronapandemie.
Auch die SPD – das haben wir heute schon in der Debatte gehört – hat im Herbst 2020 ein Positionspapier wohl im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl auf den Weg gebracht und fordert die gesetzliche Begrenzung der Dispozinsen. Dieses Thema verschafft schnell Öffentlichkeit und klingt in einem ersten Schritt gut. Aber es ist ein süßes Gift.
Viele Kolleginnen und Kollegen – der Kollege Schäffler hat es ja angesprochen – sitzen als Kommunalpolitiker bei den Sparkassen in den Aufsichtsräten, Linke, Grüne, aber auch welche von der SPD
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– von der CDU und der CSU natürlich auch –, aber von ihnen wurden keinerlei Anträge wie von der Ihnen gestellt. Ich kenne es aus meiner Sparkasse: Da habe ich keinen von den anderen Parteien gehört, der sich mit dieser Herabsetzung der Zinsen beschäftigt. Insofern ist es ein reiner Schaufensterantrag, den Sie hier stellen,
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wahrscheinlich im Lichte der Bundestagswahl.
Sie wissen ganz genau, liebe Kolleginnen und Kollegen: Für die Berechnung der Dispozinsen gilt eben nicht der Leitzinssatz der EZB wie bei ganz normalen Darlehen. Es gibt vielmehr preisbestimmende Faktoren.
Erstens kann das benötigte Geld – das ist wiederum falsch gemacht worden – nicht von der EZB geliehen werden. Es muss aus den Kundeneinlagen, also aus dem Eigenkapital, mit erbracht werden.
Zweitens. Die Kontokorrentlinien führen zu massiven Kostensteigerungen und Mehrkosten aufgrund der Regulatorik und zu wesentlich höheren Eigenkapitalkosten der Banken.
Drittens. Die Kreditlinie muss vorgehalten werden, unabhängig von der Inanspruchnahme. Es muss also Geld hinterlegt werden, ob es beansprucht wird oder nicht. Es muss schnell verfügbar sein, und es gibt eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit.
Alle diese Punkte fließen in die Preisberechnung der Dispositionszinsen mit ein. Deswegen kann man eine Begrenzung nicht so pauschal fordern wie Sie, sondern es braucht eine differenzierte Betrachtung für die Bemessung der Zinsen für Dispositionskredite.
Aber natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es auch in unserem Interesse, dass die Zinsen nicht zu hoch sind und dass die Verbraucher nicht unnötig oder gar unüblich hoch belastet werden. Deswegen gibt es ja schon eine gesetzliche Begrenzung in § 138 BGB zu dem Thema Wucherzins. Aber ich sage klar: Das Problem muss mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und darf nicht mit planwirtschaftlichen Denkspielen gelöst werden.
Wir haben das 2018 im Zahlungskontengesetz gesetzlich geregelt. Da waren wesentliche Punkte – sie wurden heute ja in der Debatte erwähnt – die Transparenz und die Vergleichbarkeit. Ein zweiter wesentlicher Punkt in diesem Gesetz ist, dass bei einem Kontowechsel auch die Überweisungsdaten und Einziehungsaufträge mitgenommen werden können. Ich war in Vorbereitung auf die Rede heute gestern auf verschiedenen Vergleichsportalen, auch auf dem TÜV-gesteuerten Vergleichsportal. Hier variieren die Zinsen von 0 Prozent bis 11 Prozent, also hat jeder Kunde die Wahl.
In einem zweiten Gesetz haben wir mit der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie die wichtigen Beratungspflichten für die Banken bei einer langfristigen Inanspruchnahme ebenfalls gesetzlich geregelt, nämlich bei der Möglichkeit oder der Notwendigkeit, umzuschulden. Es ist richtig: In der Pandemie werden viele Berufsgruppen, gerade auch Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, vor große Herausforderungen gestellt. Deswegen unternehmen wir jeden Tag große Anstrengungen, um diese schwierigen Situationen zu beseitigen und Mängeln abzuhelfen.
Aber es sind andere Maßnahmen als die Dispositionszinsen, die wirken: Kurzarbeitergeld bis 2021 in Höhe von 80 bzw. 87 Prozent des Verdienstausfalls. Kinderbonus: 300 Euro pro Kind. Steuerfreier Coronabonus: 1 500 Euro im letzten Jahr. Erhöhung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende – wo waren Sie da? den haben wir nach vorne gebracht –: zunächst befristet, jetzt verlängert. Einführung der Homeoffice-Pauschale für diejenigen, die belastet sind. Wir haben die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für kleine und mittlere Einkommen; wir würden uns ja wünschen, dass er für alle Einkommen abgeschafft wäre.
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Wir haben den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung.
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Wir haben Hilfsprogramme für Künstlerinnen und Künstler, also gerade für die kleineren und mittleren Einkommen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Maßnahmen, die ankommen, das sind Maßnahmen, die wirken, und das sind auch wirkliche Entlastungen für die kleineren und mittleren Einkommen. Deswegen haben wir diesen Weg beschritten. Wir wollen eben noch keinen Wahlkampf machen wie Sie, insbesondere auch die Kollegen der SPD. Wir wollen sachorientiert an den Fragen arbeiten, und wir wollen Lösungen finden. Diese Lösungen haben wir gefunden.
Deswegen sage ich: Raus aus dem Schaufenster, ran an den Schreibtisch! Lassen Sie uns jeden Tag aufs Neue prüfen, wie wir die Pandemie und die Folgen der Pandemie sinnvoll bekämpfen und gerade denjenigen helfen können, die unter der Pandemie extrem leiden. Das sind natürlich auch die Bezieher der kleineren und mittleren Einkommen. Dafür arbeiten wir jeden Tag ganz hart, und wir werden es auch in den nächsten Wochen und Monaten tun.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Brehm. – Es macht sich bereit der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion. Er ist der nächste Redner. Bitte schön.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2011 ist die Zinsentwicklung sehr gut für die Kreditnehmer, aber schlecht für Sparer; sehr schlecht für den Einzelnen, aber sehr gut für den Staat. Also da merkt man: Bei Zinsen muss man ein bisschen genauer hingucken. Trotz guter Regulierung können wir sagen, dass die Kunden auf gute Alternativen hingewiesen werden müssen usw. Trotz all dieser Regulierung gibt es eben ein Marktversagen.
Das sollte uns nicht wundern, denn Angebot und Nachfrage unterliegen asymmetrischen Kraftfeldern. Der Kunde einer Bank ist nicht so ganz frei, jetzt zu entscheiden, wo er morgen hingeht. Formal ist er frei, emotional nicht. Er ist als Kunde in einer gewissen Weise gebunden: Er hat schon einen Kredit. Übrigens nutzen die Hälfte aller Kunden Dispokredite, oft genug die, die in einer Notlage sind. Oft müssen die, die am 25. des Monats kein Geld mehr haben, einen Dispokredit in Anspruch nehmen. Deshalb müssen wir uns um diese Leute kümmern.
Wir haben das schon gehört: Der Zinssatz für Dispokredite liegt im Moment bei 10 Prozent, interessanterweise doppelt so hoch wie der Durchschnitt in Europa. Das wundert einen doch, warum er doppelt so hoch ist. Da, glaube ich, haben Markt und Moral versagt.
Der Bankenverband hat heute einen Brief geschrieben und sagt, wir sollten heute bedenken: Vertriebskosten sind höher, die Eigenkapitalsituation ist anders gestaltet, Verwaltungskosten sind hoch, Informationspflichten sind hoch. – Das stimmt, aber das gilt ja in ganz Europa.
Schauen wir mal, in welchem Zinsumfeld wir eigentlich sind: Guthabenzinsen, Zinsen auf dem Sparbuch, Zinsen für Tagesgeld und Festgeld liegen irgendwo zwischen 0 und 1 Prozent. Wenn die Bank ihr Geld bei der EZB parken will, muss sie 0,5 Prozent bezahlen. Wenn die Bank von der EZB Geld beim Hauptfinanzierungsgeschäft bekommt, muss sie 0 Prozent bezahlen. In der Spitzenrefinanzierungsfazilität muss sie 0,25 Prozent bezahlen. Ich war im Moment im Bereich von minus 0,5 bis plus 0,25 Prozent.
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Jetzt muss man sich überlegen: Wenn das hier die Refinanzierungskosten der Bank sind, 5 Zentimeter, dann liegt der Dispokreditzins, ich will das mal sagen, bei – es braucht immer einen kleinen Moment – zwei Meter.
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5 Zentimeter ist der Refinanzierungssatz und zwei Meter der Dispozins. Der Dispokreditzins ist für die Armen besonders dramatisch. Ich kenne die Refinanzierungskosten, die die Banken kleinreden. Ihre Verwaltung reden sie groß, und alles andere? Komischerweise zählt, wenn ich einen Kredit will, das alles nicht mehr in der Form – ganz schwierige Angelegenheit. Auch der Euribor ist bei minus 0,5 Prozent. Das heißt, wenn die Banken sich wechselweise Geld geben, gilt auch da 0,5 Prozent.
Die Zinsen sind absolut im Keller, mit einer Ausnahme: der Dispozins für die armen Leute, die mal kurzfristig überziehen müssen. Deshalb gilt es, da etwas zu tun.
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Eine letzte Sache, zu Olaf Scholz. Ich finde es sehr gut, wenn der Olaf Scholz seinen Bürgern sagt: Kosten, Preise, Zinsen sollt ihr vergleichen, um das günstigste Angebot in Anspruch zu nehmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nehmen Sie Ihre Werkzeuge wieder mit.
Ich schließe die Aussprache.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das neue Jahr, 2021, beginnt mit Zuversicht: Einmal läuft die Impfung gegen Corona an, und nächste Woche bekommen die USA wieder einen vernünftigen Präsidenten.
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Eine seiner ersten Amtshandlungen wird sein, dem Klimaschutzabkommen von Paris wieder beizutreten.
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Das ist eine gute Entscheidung; denn die Erderwärmung und der Klimaschutz ist eine globale Herausforderung, der auch wir in der Land- und Forstwirtschaft begegnen müssen. Gerade die Land- und Forstwirtschaft hat die besten Antworten auf den Klimawandel. Sie ist vom Klimawandel betroffen, hat aber auch den Lösungsansatz.
Ein großer und wichtiger Lösungsansatz ist die Verbindung von Forst- und Landwirtschaft in sogenannten Agroforstsystemen. Jetzt könnte man meinen, das ist eine neue Erfindung dieser erfolgreichen Regierungskoalition. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, schon seit Jahrhunderten gibt es Streuobstwiesen, gibt es Hutewälder, gibt es Hecken in den Feldrainen. Alles das ist schon vorhanden; das müssen wir wieder zurückholen und reaktivieren.
Solche Agroforstsysteme sind ein gutes Beispiel, wie man biologische Vielfalt auch in der Fläche leben kann. Es ist ein Beitrag zur Kulturlandschaft, und es hat auch hervorragende Auswirkungen auf die Biodiversität, was das Wild, was die Hasen- und Rebhuhnpopulation anbelangt. Es ist eine gute Sache. Hier müssen wir endlich vorankommen. Agroforstsysteme müssen auch gepflegt werden. Das heißt nicht nur pflanzen und wachsen lassen, sondern irgendwann auch wieder auf den Stock zurücksetzen. Das heißt, ich kann durch Holz in Form von Hackschnitzeln und dergleichen Holzenergie generieren. Deshalb ist das eine gute Sache.
Der Antrag der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion will jetzt endlich auch die Möglichkeiten der Förderung dieser Agroforstsysteme wieder mehr in den Vordergrund rücken, damit wir im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik in der ersten und zweiten Säule diese Systeme fördern können, was bisher ein Hindernis in der Förderung und auch ein Hindernis für die Betriebe draußen war. Das wollen wir wieder bewerkstelligen.
Deutschland muss also Agroforstsysteme als förderfähige landwirtschaftliche Landnutzung anerkennen.
Deutschland muss auch eine klare und kontrollfähige Definition dieser Agroforstflächen vorlegen; denn hier gibt es sehr viele Voraussetzungen, sehr viele Kontrollmöglichkeiten. Das muss alles praxisgerecht geregelt sein.
Deutschland muss den Bäuerinnen und Bauern für diese Agroforstsysteme auch Rechtssicherheit geben. Wenn sich heute Landwirte entscheiden, etwas anzupflanzen, etwas anzulegen, dann darf nicht in fünf oder in zehn Jahren jemand daherkommen und sagen: Das ist jetzt ein Biotop; da machen wir jetzt die Ausweisung von einem Biotop oder einem Naturschutzgebiet. – Deshalb brauchen wir hier Rechtssicherheit, um Agroforstsysteme in der Zukunft lukrativ für unsere Bäuerinnen und Bauern zu machen.
Ich bin mir sicher, dass diese Systeme in der Fläche draußen, gerade wenn es um große Flächen geht, Potenzial haben. Gerade wenn ich in die neuen Länder schaue, in die Regionen in Sachsen-Anhalt, wo riesige Flächen sind, sehe ich sehr großes Potenzial für solche Agroforstsysteme, und ich kann nur dazu ermuntern, unserem Antrag zuzustimmen.
Ich hoffe und ich bin auch überzeugt, dass die Bundesregierung ihren Beitrag dazu leisten wird, dass wir bei diesem Thema weiter vorankommen – im Sinne des Klimaschutzes, im Sinne einer Zuversicht im Jahr 2021.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Artur Auernhammer. – Die Reinigungsarbeiten laufen an, und es macht sich bereit die Kollegin Franziska Gminder von der AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vieles hat Herr Kollege Auernhammer schon gesagt. Ich hoffe, Sie nicht zu langeweilen, wenn ich da etwas hineinpräzisiere. – Agroforstwirtschaft kombiniert Gehölze mit Ackerkultur und/oder Tierhaltung auf derselben Fläche – mit positiven Wechselwirkungen, ökologisch und ökonomisch.
Am 9. März 2020 gab es ein nichtöffentliches Fachgespräch mit zahlreichen Experten zu diesem Thema, und auch im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft haben wir darüber diskutiert. Jetzt haben es die weitgehend homogenen Anträge fast aller Parteien endlich ins Plenum geschafft. Das ist sehr erfreulich.
Leider sind Agroforstsysteme zurzeit keine anerkannten Landbausysteme. Daher münden alle Anträge in dieselbe Richtung: Agroforstsysteme sind als förderfähige Landnutzungssysteme in die erste Säule der GAP aufzunehmen; denn angesichts der strukturarmen Agrarsteppen, die sich vielerorts in Deutschland ausgebreitet haben, müssen wir endlich umsteuern. Ein Ende der Agrarsteppen!
Als positive Wirkungen der Agroforstwirtschaft sind zu nennen: Gehölzstreifen führen zur Senkung der Windgeschwindigkeit. Sie verringern die Bodenerosion und befördern den Humusaufbau. Sie ermöglichen zusätzliche Kohlenstoffspeicherung und die Verbesserung der Wasserqualität – denn weniger Nährstoffauswaschung verringert die Nitratwerte im Grundwasser –, einen guten Ernteertrag mit verbesserter Klimaresilienz, die Förderung der Biodiversität und die Erweiterung des Angebots landwirtschaftlicher Produkte.
Die AfD wünscht zusätzlich auch die Einbeziehung von Hecken in das Agroforstsystem, die Aufhebung der Mindestschlaggröße von 0,3 Hektar und keine Umtriebszeitbeschränkung, die die Standdauer der Gehölze bis 20 Jahre limitiert. Es ist Rechtsverbindlichkeit zu schaffen, dass Gehölze als Bestandteil von Agroforstsystemen nicht als besonders geschützte Landschaftselemente angesehen werden.
Eine Aufnahme der Agroforstwirtschaft in die landwirtschaftliche Offizialberatung sollte vorgenommen werden. Die übrigen Bundesländer müssen motiviert werden, Agroforst zu fördern. Bisher tun das nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.
Es braucht eine Ermittlung der Kosten für die Umstellung konventioneller Landwirtschaft auf Agroforstbetriebe sowie die Auszahlung entsprechender Umstellungsprämien für neue Agroforstleute.
Dabei sagen wir ganz klar: Die Förderung der Agroforstwirtschaft im Rahmen der GAP ist als erster Ansatz für die Renationalisierung unserer Agrarpolitik zu verstehen, gerade auch, weil es uns ja um eine Zurückdrängung der bürokratischen Hemmnisse geht, die von Brüssel ausgehen.
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Wir wollen uns vom Brüsseler Regulierungswahn freimachen. Brüssel war und ist das Problem, nicht die Lösung.
Es geht um die Wiederbelebung des ländlichen Raumes, um ein Ende der Landflucht und um die Renaissance von Identität. Daher haben wir in unserem zweiten Antrag zur Förderung der Agroforstsysteme auch ganz bewusst den Aspekt der Neuanlage von Hecken eingebracht. Diese bieten Lebensraum für Insekten, Kleinsäuger, Bodenbrüter und viele Zugvogelarten, deren Bestand gefährdet ist, und zwar nicht nur durch die Zerstörung ihrer Lebensräume hierzulande, sondern besonders beim Vogelzug durch die Bejagung im Mittelmeerraum mit der Tötung von 100 Millionen Zugvögeln jährlich.
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Die Bildung neuer Habitate macht nur Sinn, wenn der Zugvogelfang für den Kochtopf endlich beendet wird.
Wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Isabel Mackensen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute zum Thema Agroforstwirtschaft. Es ist zugegebenermaßen mein erster eigener Antrag, den ich als Berichterstatterin für Waldbau verhandeln durfte. Ich möchte hier, an dieser Stelle, dem Kollegen Alois Gerig für die konstruktive Zusammenarbeit danken, die es ermöglicht hat, dass wir diesen Antrag zusammen mit der CDU/CSU heute vorlegen können. Aber Sie sehen: Wir beraten heute nicht nur unseren Antrag, sondern es liegen insgesamt fünf Anträge vor. Daran sieht man auch, wie wichtig dieses Thema ist und welche Bedeutung es innerhalb der anderen Fraktionen hat. Ich denke, dass es auch zu einer entsprechenden Beschlussfassung kommen wird.
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Was ist Agroforst? Ein multifunktionales Landnutzungssystem; das haben wir schon gehört. Sie alle kennen Streuobstwiesen; hier treffen beispielsweise Obstbäume und grasende Schafe aufeinander. Es ist also eine Kombination aus verschiedenen Nutzungssystemen, die es schon – Herr Auernhammer hat es bereits gesagt – seit Jahrhunderten gibt.
Es gilt jetzt, dieses System wieder zurückzuholen in die Jetztzeit. Es gibt moderne Agroforstsysteme, die vor allem produktionsorientiert aufgebaut sind. Die Anlage ist hier nicht durcheinander wie auf Streuobstwiesen, sondern es wird in Reihen angelegt, damit auch maschinell bewirtschaftet werden kann. Der Vorteil hier ist, dass es die ökologischen Vorteile des Klima- und Umweltschutzes, die gerade schon dargestellt wurden – Stichworte „Humusbildung“, „CO2-Speicherung“ und „Artenvielfalt“ –, trotzdem beibehält. Das ist ein ganz großartiges System.
Jetzt ist natürlich die Frage: Warum mussten wir diesen Antrag schreiben, wenn es doch so unumstritten großartig ist? Es wurde auch schon gesagt: Die Rechtssicherheit fehlt an dieser Stelle. Eine Umtriebszeitbeschränkung ist wirklich schwierig, wenn man Angst haben muss, dass das Ackerland zu Wald wird. Deshalb fordern wir mit diesem Antrag, dass das Ministerium diese Regelungen insoweit ändert und die Grundlage dafür legt, dass die Bewirtschaftung für die Landwirtinnen und Landwirte ermöglicht wird.
Es ist nämlich nicht so, dass wir von Berlin aus eine fixe Idee haben und sagen: „Wir müssen dieses System den Landwirtinnen und Landwirten jetzt vorschreiben“, sondern an uns ist der Wunsch herangetragen worden, dieses System gerne umzusetzen. Das ist doch eine schöne Sache, wenn aus der Praxis heraus diese Forderung an uns gestellt wird und wir das in einem Antrag an das Ministerium weitergeben können.
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Ich möchte mich an dieser Stelle aber auch besonders bei Frau Dr. Tackmann bedanken, die das Thema schon lange auf die Agenda gesetzt hat. Die Fraktion Die Linke hat in ihrem Antrag leider das Ganze als Gesetzesforderung formuliert, weshalb wir ihm leider nicht zustimmen können. Aber ich möchte mich an dieser Stelle trotzdem noch mal bei ihr für ihr Engagement bedanken.
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Wie das Ganze in Praxis aussieht, habe ich mir am letzten Wochenende noch mal in Ebertsheim in der Pfalz angeschaut. Das ist in meinem Wahlkreis; das wird Sie nicht überraschen. Da gibt es die promovierten Biologen Hannah und Jessy Loranger, die 2018 begonnen haben, das Projekt eines Waldgartens umzusetzen. Das war eine großartige Gelegenheit, auch wenn es jetzt im Winter war; sie waren ein bisschen traurig, dass man jetzt nicht die ganze Vielfalt sehen konnte. Aber es war schon ein interessanter Blick. Sie haben sich extra eine Streuobstwiese ausgesucht, die besonders in Mitleidenschaft gezogen war. Der Boden war ausgedörrt, die Bäume haben nicht mehr viel getragen. Mit ihrem 2018 angelegten Waldgarten haben sie es geschafft, dass sich ein unglaublicher Humusaufbau und eine unglaubliche Bodenlockerheit entwickeln konnten, und ich konnte mich davon überzeugen – sogar im Winter –, wie großartig diese Systeme sind. Deshalb bin ich ganz positiv, dass wir mit diesem Antrag etwas Richtiges tun, in die richtige Richtung gehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der Nächste ist für die FDP-Fraktion der Kollege Karlheinz Busen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die verfügbaren Flächen zum Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse werden immer kleiner, fruchtbare Böden werden immer kostbarer, und die Bodenpreise schießen in die Höhe. Werden künftig Böden für Gehölze genutzt, können dort langfristig keine Lebensmittel mehr angebaut werden. Immer wieder gibt es Forderungen, der Lebensmittelerzeugung den Vorrang einzuräumen; das gilt hier aber auch. Es schadet dem Klima sogar, wenn fruchtbare Flächen, wie wir sie hier in Deutschland haben, künftig für Gehölze genutzt werden. Die logische Konsequenz: Heimische Kulturen werden wieder stärker importiert werden müssen.
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Meine Damen und Herren, die Motive der Antragsteller mögen edel sein. Die Forderungen sind im Kern aber nicht durchdacht:
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Erstens. Viele Landwirte bewirtschaften große Pachtflächen. Die Eigentümer solcher Flächen haben in der Regel kein Interesse daran, die Ertragskraft ihres fruchtbaren Bodens auf Dauer zu minimieren. Die logische Folge beim Pflanzen von Gehölzen, die erst in vielen Jahren Erträge liefern, ist aber genau das. Außerdem sind die Wechselwirkungen zwischen Gehölzen und Acker bisher überhaupt nicht geklärt.
Zweitens. Sind die Bäume einmal gepflanzt, werden plötzlich Habitate entstehen, die naturschutzrechtlich unter Schutz gestellt werden. So werden die Eigentümer durch die Hintertür enteignet.
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Drittens. Landwirtschaft und Forstwirtschaft sind nicht ohne Grund getrennte Landnutzungssysteme. Wertholz lässt sich nicht mal so eben nebenbei produzieren.
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Die letzten Jahre haben gezeigt: Flexibilität ist das A und O in der Landwirtschaft. Eine Förderfähigkeit von Agroforstsystemen führt nicht zu einer sinnvollen Flächennutzung, sondern setzt völlig falsche Anreize. Entfällt die finanzielle Förderung irgendwann, verschwinden auch die Agroforstsysteme wieder ganz schnell. Von einer Dauersubventionierung von künstlich geschaffenen Agroforstsystemen kann wohl keine Rede sein.
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Statt bürokratisch künstliche Agroforstsysteme mit hohen Beträgen zu fördern, sollten besser einzelne sinnvolle Maßnahmen stärker unterstützt werden. Wallhecken sind die besten Beispiele für einen aktiven Naturschutz, weil eine Wallhecke in vielfältiger Art und Weise zum Naturschutz, zur Verhinderung von Landerosion beiträgt. Wir Freien Demokraten lehnen deshalb alle hier vorgelegten Anträge ab.
Danke.
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Vielen Dank, Kollege Busen, auch für die eingesparte Zeit. -
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte geht es um Agroforstsysteme, also um die Kombination des Anbaus von Bäumen und Ackerkulturen oder auch Weidetierhaltung. Klingt selbstverständlich, ist in unserem Land aber nahezu revolutionär. Denn seit 200 Jahren wurde der Graben zwischen der Land- und Forstwirtschaft fast unüberwindbar vertieft, und in der Zeitschleife hängt der Kollege Busen auch noch. In anderen Ländern versteht man diesen Konflikt überhaupt nicht. Kakao zum Beispiel wächst im Schatten von Bäumen, das berühmte Ibérico-Schwein wird unter Bäumen gehalten.
Aber in Deutschland gab es bisher viele Vorbehalte dagegen und Hürden. Dabei gibt es bereits spannende Erfahrung mit Agroforstsystemen in Deutschland. Trotzdem war geradezu Pioniergeist notwendig, als im Juni 2019 der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft, DeFAF, gegründet wurde. Aber er hat richtig Dynamik in das Thema gebracht, und dafür großen Dank.
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Denn Agroforstsysteme sind ein wichtiger Baustein für eine klimaschonendere und naturschutzgemäße Agrarproduktion. Die ist übrigens auch im eigenen Interesse der Landwirtschaft; denn Starkregen, Spätfröste oder Dürren sind Ernte-, aber eben auch Einkommensrisiken in den Agrarbetrieben. Ernterisiken können ganz schnell zu Versorgungsrisiken werden. Das dürfen wir nicht vergessen.
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Auch das Verschwinden von Bestäubern bedroht die Ernte, auch Einkommen und Versorgung.
Gute Landwirtschaft geht uns also alle was an. Dabei geht es oft gar nicht darum, Dinge neu zu erfinden. Oft reicht es schon, traditionelles Wissen neu aufzugreifen, es anzupassen und weiterzuentwickeln. Und genau so ein Beispiel sind die Agroforstsysteme. Mich interessiert – vielen Dank, Frau Mackensen – dieses Thema schon sehr, sehr lange. Gerade als Linke will ich, dass die Potenziale von Bäumen auf Äckern und Weiden endlich auch bei uns gut genutzt werden können.
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Dafür hatte ich übrigens schon vor einigen Jahren eine Ausschussreise nach Frankreich und Großbritannien initiiert; an das Versuchsgut in der Nähe von Montpellier kann ich mich noch sehr gut erinnern. Die positiven Wechselwirkungen dort zwischen Weizen und Walnuss oder Weiden und Speierling waren damals für mich sehr beeindruckend. Diese positiven Wechselwirkungen werden noch deutlicher angesichts des beginnenden Klimawandels, aber auch mit wachsenden Erfahrungen und dem praktischen Umgang mit solchen Systemen.
Aber mindestens genauso beeindruckt war ich von dem völlig neuen Agrarlandschaftseindruck. Dieses landwirtschaftlich intensiv genutzte Versuchsgut wirkte wie ein großer Landschaftspark. Und auch viele Lebewesen haben dort neue Lebensräume gefunden. Und ja, als Tierärztin sage ich auch: Bäume gehören auch als natürliche Schattenspender auf Weiden, erst recht nach den Hitzesommern. Und sie gehören auch in die Freilandhaltung von Hühnern; denn Hühner sind eigentlich Waldbewohnende.
All das spricht eben für Agroforstsysteme. Deswegen hatte Die Linke als erste Fraktion bereits vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt. Wir haben das Fachgespräch initiiert. Es ist gut, dass heute der Antrag der Koalition vorliegt. Wir werden diesem auch zustimmen; denn es muss jetzt endlich vorangehen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für Bündnis 90/Die Grünen ist der nächste Redner der Kollege Harald Ebner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor gut zwei Tagen haben Wasserversorger aus ganz Europa um Hilfe gerufen. Sie fordern eine beherzte zukunftsfähige Transformation der Agrarwirtschaft zum Schutz unseres Trinkwassers. Ja, eine Agrarwende ist nötig. Dazu braucht es Anpassungsstrategien an die Klimakrise genauso wie natur- und klimaverträgliche Wirtschaftsweisen. Es ist also höchste Zeit, dass sich auch die Regierungskoalition mit dem Thema Agroforst befasst;
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denn Agroforstsysteme können ein wichtiger Schritt zu mehr Biodiversität und mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft sein. Sie halten Wasser in der Fläche, schützen Böden vor Erosion und Kulturen vor künftig zu starker Sonneneinstrahlung. Sie schaffen Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen und stellen neben Nahrungsmitteln auch Rohstoffe wie Bau- und Energieholz bereit. Das haben hier wohl alle kapiert, außer dem Kollegen Busen.
Der jahrzehntelangen Industrialisierung der Agrarwirtschaft mit katastrophaler Ausräumung unserer Kulturlandschaften haben die Agroforstpioniere was entgegengesetzt. Agroforstanbausysteme verbessern den Strukturreichtum der Landschaft und damit ihre ökologische Stabilität und setzen diese neue Struktur gleichzeitig auch betriebswirtschaftlich in Wert. Aber dazu muss Agroforst raus aus der Nische und rein in die Fläche, und dazu braucht es zielgerichtete Förderung und Beratungsangebote. Und da ist es außerordentlich bedauerlich, dass sich das im Haushalt 2021 überhaupt nirgends abbildet. So, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, läuft Ihr heutiger Antrag ins Leere und wird zum Feigenblatt. Solange Sie nicht endlich wirksamen Klimaschutz betreiben, Agrarpolitik ändern und Insektenschutz voranbringen, Frau Ministerin, ist das Ganze nur eine Luftnummer.
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Dieser Antrag kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Chance, die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik endlich umweltverträglich zu machen, unter deutscher Ratspräsidentschaft komplett vergeigt wurde. Die eingangs genannten Wasserversorger sagen dazu Folgendes:
Die Vorfestlegungen des EU-Parlaments und des (Agrarminister-) Rats stehen der dringend benötigten GAP-Neuausrichtung im Weg …
Größer kann ein Verriss kaum sein, und von einem Systemwechsel, Frau Ministerin, ist da keine Spur.
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Dass Sie jetzt mit dem Antrag davon ablenken wollen, dass Sie mit Ihrer Politik den Systemwechsel systematisch verhindern, lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Der Antrag selber ist an sich in Ordnung. Wir haben ein paar handwerkliche Ergänzungen. Aber wenn das alles ist, was Ihnen angesichts der großen Aufgabe, Landwirtschaft zukunftsfähig zu machen, einfällt, dann wird es wirklich allerhöchste Zeit, dass diese Koalition und Legislatur enden.
Danke schön.
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Der Nächste für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Alois Gerig.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Ministerin, schön, dass Sie bei diesem Thema hier vor Ort sind! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschäftigung mit Agroforst ist in der Tat ein schöner Einstieg in ein agrarpolitisches Jahr, das sicherlich noch viele Herausforderungen für uns bereithalten wird. Ich wünsche Ihnen für dieses Jahr alles erdenklich Gute, insbesondere Gesundheit. Fast noch wichtiger sind – wenn wir es weltweit betrachten – genügend Nahrungsmittel. Für die Menschen bei uns eine Selbstverständlichkeit: Die Regale sind voll; die Lebensmittel sind zum Leidwesen der Bäuerinnen und Bauern viel zu günstig. Aber in der Welt verhungern die Menschen.
Klimawandel, Wetterextreme, Ernteausfälle, Heuschreckenplage – das sind die Sorgen, die die Menschen begleiten. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass hier wieder manche versuchen, Greenwashing zu betreiben oder die Welt schönzureden. Das funktioniert definitiv nicht.
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Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss die Politik die Landwirtschaft stärken. Und sie muss bei uns in Deutschland insbesondere für Nahrungsmittelsicherheit sorgen, das heißt, die Produktion im Land halten und nicht wie jetzt, täglich Marktanteile verlieren; auch das ist wichtig im Zusammenhang mit Agrarpolitik. In diesem Sinne handeln wir und treiben das voran.
Dennoch kann die Landwirtschaft ohne Zweifel – das wissen auch unsere Bauern draußen – durchaus ökologischer werden, wenn auch zuallererst selbstverständlich Lebensmittelproduktion im Fokus steht. Und das wird sie auch. Deswegen haben wir gemeinsam mit der SPD – danke, liebe Isabel Mackensen, dass wir so konstruktiv zusammengearbeitet haben – diesen Antrag erarbeitet. In der Koalition klappt es nicht bei allen Themen gleichermaßen, aber bei uns in der Agrarwirtschaft sehr wohl.
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Ja, für mich ist der Bauer der Zukunft derjenige, der eine multifunktionale Landwirtschaft betreibt, das heißt Lebensmittelproduktion plus Klimaschutz plus Biodiversität, das heißt, Klima-, Insekten-, Umweltschutz und Artenschutz und Bodenschutz in seiner Produktion miteinander zu vereinen. Das geht sehr wohl. Dazu braucht er einen großen Werkzeugkasten mit vielen Instrumenten. Diese Instrumente muss die Politik anbieten, und sie muss sie mit Fördergeldern bespeisen. Eines dieser Instrumente ist eben der Agroforst.
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Es wurde technisch vieles dazu gesagt, deswegen kann ich mich da etwas kürzer fassen. Ich freue mich über die breite Zustimmung aus den unterschiedlichen Parteien. Und ja, dass die Grünen immer noch eine Agrarwende wollen und die Welt schlechtreden, kennen wir, und dass die FDP – auch das ist gängige Praxis – zunächst mal dagegen ist, beobachtet und nachher weiß, was alles falsch war, erleben wir auch alle Tage.
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Das hat beim Nichtregierenwollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch schon angefangen.
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Der ökologische Mehrwert von Agroforst ist unumstritten.
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Da geht es um Artenschutz, um Bodenschutz. Wir fordern deswegen, Agroforst in die Förderkulisse einzubauen. Deswegen brauchen wir gar nicht unbedingt riesige Haushaltsansätze – Kollege Ebner, hören Sie mir bitte zu –, sondern wir wollen, dass dieses Instrument mit Mitteln aus Brüssel, Berlin und den Bundesländern, mit Mitteln der GAP und der GAK gespeist wird. Das ist eine gute Möglichkeit für die Bauern, passgenau Landwirtschaft zu betreiben. Die konkreten Richtlinien werden sicher noch ausformuliert. Das System Agroforst passt auch hervorragend zum Green Deal und zur Farm-to-Fork-Strategie. Deswegen sage ich: Danke schön. Miteinander geht es, miteinander kriegen wir das hin.
Agroforst fördern heißt für mich, ackerbauliche Vorteile wie Verhinderung von Erosion, wie Wasser- und Bodenschutz mit ökologischen Vorteilen zu kombinieren. Wir fordern in unserem Antrag die Bundesregierung auf, solche Agroforstsysteme zu implementieren, die Förderprogramme auszubauen; sowohl in der ersten als auch in der zweiten Säule sollen sie sich wiederfinden. Es braucht Planungssicherheit. Möglichst bald müssen auch die Details feststehen, damit unsere Landwirte wissen, auf was sie sich einstellen können. Natürlich braucht es Umbruchbeschränkungen, damit die Pachtflächen und ‑verträge gesichert sind. Aber all das ist gut möglich.
Agroforst ist ein wichtiges Instrument. Ich freue mich über die breite Zustimmung.
Vielen Dank, sehr geehrte Damen und Herren.
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Vielen Dank, Alois Gerig. – Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Rainer Spiering, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dank an die Verhandler Alois Gerig und Isabel Mackensen, Dank an Kirsten Tackmann, die das so wohlwollend begleitet und sich fachlich mit eingebracht hat. Schade, dass Harald Ebner immer so verbissen reagieren muss und nicht einmal anerkennen kann, wenn etwas Gutes gemacht wird.
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Vielleicht noch ein Nachsatz an der Stelle: Das ist ein Koalitionsantrag. An dieser Stelle über die Ministerin herzufallen, ist sachlich einfach völlig falsch. Hier kommen wir als Koalition daher. Sparen Sie sich das auf für die Ministerin, wenn sie dran ist. Hier sind wir als Koalitionäre dran.
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Für die SPD sage ich: Der Antrag zur Förderung von Agroforstwirtschaft ist ein wichtiger Schritt hin zur Förderung von Ökosystemdienstleistungen als Element einer regenerativen Landwirtschaft. Das ist das, was wir wollen: öffentliches Geld für öffentliche Leistungen. Damit gehen wir einen wichtigen Schritt in die richtige Zukunft.
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In Vorbereitung dieser Rede ist mir ein Bild von zu Hause eingefallen. Der letzte Sommer war ja nicht so schrecklich heiß wie der vorherige, aber er war heiß. Und wir haben bei uns tatsächlich die vielen Blühstreifen, die vielen Waldstreifen, die wir hatten, wie Artur Auernhammer das beschrieben hat, verloren. Jetzt musste der arme Landwirt zwischen Hochspannungsmasten eine grüne Matte spannen, damit die Kühe darunter Schatten fanden. Ich finde, man kann auch mal anerkennen, dass das, was jetzt gemacht wird, dafür Sorge trägt, dass Tiere wieder eine angemessene Umwelt bekommen, sich gut bewegen und sich wohlfühlen können. Dafür ist der Antrag ein ganz, ganz wichtiger Schritt.
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An den Jäger Busen gerichtet: Wer den Antrag gelesen hat, der weiß, dass dieser Antrag Artenvielfalt bedeutet, der weiß, dass dieser Antrag bedeutet, dass Niederwild wieder Platz findet, der weiß, dass Jagdwild wieder Deckung findet.
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Aber das ist ihm offensichtlich nicht aufgegangen, dem Jäger Busen. Was sein Prinzip ist, das ist klar: Ackerboden bis zum Anschlag ausnutzen und alles, was Klimaschutz bedeutet, ablehnen.
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Der zweite Vorteil – dazu haben wir schon einen Antrag eingebracht – ist die Nutzung von Wertholz. Wir haben jetzt die Möglichkeit, eine stabile Wertholznutzung aufzubauen, und zwar divers. Ich habe bei Gängen bei uns durch den heimischen Wald gesehen – natürlich, wie alle anderen auch –, welche Baumarten von der Hitze betroffen waren. Wenn wir jetzt dieses Agroforstsystem gut aufbauen, dann können wir auf Vielfalt, dann können wir auf Beständigkeit und dann können wir auf Zukunftsfestigkeit setzen. Das ist unsere große Hoffnung bei dem Antrag.
Letzter Punkt: GAP. Das muss natürlich Bestandteil der Förderkulisse GAP werden, der ersten Säule und der zweiten Säule. Dazu will ich auch noch loswerden: Wenn man das vernünftig machen will, dann muss es natürlich digitale Lösungen geben, dann müssen die Leute, die Agrarforstwirtschaft betreiben, die Möglichkeit haben, kurzfristig digital einen Antrag zu stellen, um für die Leistung, die sie für die Gesellschaft erbringen, kurzfristig Geld zu generieren.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wäre genau zu diesem Zeitpunkt etwa die Hälfte des Hauses zu Terminen auf der Internationalen Grünen Woche unterwegs: die Agrarleute, die Ernährungsleute, die Umweltleute. Und alle würden ganz engagiert diskutieren über die Frage, wohin die Reise gehen soll. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt, über den Wandel zu diskutieren, darüber, ob wir wirklich gut aufgestellt sind dafür, in der Agrarpolitik neue Wege zu gehen, indem wir endlich auch Probleme lösen, meine Damen und Herren.
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Wir haben doch im letzten Jahr eines gemerkt, nämlich dass die Verbindung zu anderen Menschen für uns wichtiger ist, als wir bisher dachten, und dass wir als Menschen auch nur Teil der Natur sind, meine Damen und Herren. Und wenn wir in sie massiv eingreifen, schlägt sie, so könnte man fast sagen, zurück. Wir setzen uns Risiken aus. Damit meine ich nicht nur Corona, sondern auch die Folgen für das Klima und den massiven Verlust an Artenvielfalt, meine Damen und Herren. Jetzt ist wirklich der Zeitpunkt, das agrarindustrielle Modell zu beenden, die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur zu beenden und einen neuen Weg zu gehen.
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Was ist es denn sonst, wenn nicht Ausbeutung, wenn wir feststellen, dass wir heutzutage an die 75 Prozent Artenverlust haben, meine Damen und Herren?
Wir haben uns ja ein paar Regeln gegeben, zum Beispiel mit dem Pariser Abkommen. Das ist der große Kompromiss zu der Frage, was wir im Bereich Klimaschutz tun müssen. Wir müssen auf den Weg zum 1,5-Grad-Ziel kommen, meine Damen und Herren. Und mit relativ, ich sage mal, mittelgroßen Maßnahmen hat die Kommission Vorschläge gemacht: mit dem Green Deal, mit der Farm-to-Fork-Strategie, mit der Biodiversitätsstrategie. Ja, aber dann müssen wir auch – ich spreche an der Stelle Alois Gerig an, der ja gesagt hat, wir brauchen einen ganzen Werkzeugkasten – das notwendige Werkzeug in diesen Werkzeugkasten tun und nicht nur einen Schraubenschlüssel kleinster Größe.
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Das ist doch genau der Mangel: dass wir da nicht ausgerüstet sind, Herr Kollege.
Natürlich sagen Sie dann wieder: Ach, die Grünen wollen irgendwas verbieten oder reden die Welt schlecht. – Ich kann Ihnen da nur mit einem alten Indianerspruch antworten: Wenn du merkst, du reitest ein totes Pferd, steig ab – im doppelten Sinne des Wortes.
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– Der Satz ist noch älter.
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Meine Damen und Herren, wir haben die Aufgabe, anhand von Fakten Politik zu machen. Und das heißt jetzt, Zukunft für die Landwirtschaft zu organisieren. Wenn im Frühjahr das Saatgut nicht keimt, weil kein Wasser da ist, dann ist das keine Zukunft – drei Jahre Dürre, meine Damen und Herren! Wenn die Tierhaltung keine Akzeptanz mehr in der Bevölkerung hat, dann ist das auch keine Zukunft. Wir müssen zu einer anderen Tierhaltung kommen – das ist natürlich zu honorieren –, aber eben auch Tierzahlen reduzieren. Immer weniger Tiere immer besser halten, meine Damen und Herren, das ist die Devise.
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Wir kommen nicht um wirklich große Veränderungen herum: die Reduktion der Pestizide und der Antibiotika – resistente Keime sind ein Gesundheitsproblem, meine Damen und Herren – sowie ein Hochfahren des Ökolandbaus. Und deshalb plädieren wir dafür, jetzt wirklich einen Umbau in zwei Etappen zu machen: Lassen Sie uns diese GAP-Periode und die nächste nutzen, um zu einer 100-Prozent-Gemeinwohlprämie zu kommen! Lassen Sie uns aus den Direktzahlungen aussteigen und die Landwirte tatsächlich in den Wettbewerb treten, egal ob konventionell oder öko! Sie haben die Möglichkeit, für ökologische Maßnahmen mit einem hohen Stand Punkte zu bekommen. Das sorgt für Planbarkeit und Berechenbarkeit. Das hilft uns beim Schutz von Boden, Wasser, Luft, beim Klima und bei der Artenvielfalt. Das sind die Grundlagen für die Landwirtschaft und nicht kurzfristige Zahlsysteme, meine Damen und Herren.
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Und lassen Sie uns bitte eines tun – wir haben in unserem Antrag die Details ausgeführt –: die Dinge endlich zusammendenken. Ich glaube, dass eines unmöglich ist: dass wir zum Ende der Legislaturperiode zwar eine Zukunftskommission haben, aber die Zukunftskommission sich nicht um die GAP-Reform kümmern soll.
Frau Kollegin, die Redezeit.
Letzter Satz. – Die GAP-Leute warten auf den Zukunftsbereich. Dann haben wir noch die Borchert-Kommission, um die sich auch alle nicht kümmern sollen, wo nichts zusammenpasst.
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Meine Damen und Herren, wir lassen uns nicht unter Zeitdruck setzen.
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Agrar und Umwelt haben ein Recht, mitzureden. Agrar, Umwelt und globale Gerechtigkeit zusammen diskutieren und den Bauern wirklich reinen Wein einschenken – also ein neues System. Das ist die Zukunft und nicht Rumwurschteln.
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So, nach diesen vielen letzten Sätzen hat jetzt das Wort die Bundesministerin Julia Klöckner.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Künast, das Interessante ist ja nicht, was in Ihrem Antrag steht, sondern was überhaupt nicht drinsteht. Deshalb haben Sie wahrscheinlich auch nicht über den Antrag reden wollen: weil Sie eben selber ein bisschen unstrukturiert gewesen sind. Sie haben vorhin gesagt: Alles muss zusammenpassen. – Am Ende hat man gar nicht gewusst, was Sie gerade wollten.
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Um es mal konkret zu sagen: In diesem Antrag, in dem es um die Landwirtschaft in Deutschland, in Europa und auch weltweit geht, kommt auf sieben Seiten ein Wort kein einziges Mal vor: Ernährung. Das Wort „Ernährungssouveränität“ in Bezug auf Entwicklungsländer ja; aber ansonsten kommt „Ernährung“ nicht vor. Eines will ich hier deutlich sagen, nämlich was Sie und uns massiv unterscheidet: Für uns sind Landwirte diejenigen, die unsere Nahrungsmittel erzeugen, und sie werden von uns nicht zu reinen Landschaftsgärtnern umerzogen.
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Es ist, glaube ich, ganz wichtig, das hier noch einmal hervorzuheben.
Man weiß gar nicht, wo man bei Ihrem Antrag oder auch Ihrem Vortrag anfangen soll. Vielleicht nehme ich Sie einfach noch mal mit in die Realität, dahin, wo wir uns gerade befinden.
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Auf der einen Seite sagen Sie, Ihnen geht der Umbau der Landwirtschaft nicht schnell genug. Auf der anderen Seite sagen Sie: Wir lassen uns nicht drängen. – Also, ein bisschen entscheiden müssen Sie sich schon, weil mittlerweile Fakten geschaffen worden sind. Wir haben viel erreicht in Europa. Das mag Ihnen nicht passen; aber wenn ich Ihre Pressemitteilung als Ministerin damals zur GAP, die Sie bejubelt haben, durchlese, stelle ich fest: Da haben Sie die Schaffung der Flächenprämie, die Cross-Compliance-Regelung als einen totalen Systemwechsel, als eine absolute Umweltregelung, als die Umweltleistung schlechthin bezeichnet. Davon haben wir uns verabschiedet. Wir sind nämlich jetzt weggekommen von der klassischen Prozessorientierung, weggekommen von der klassischen Hektar-Bezahlung.
Frau Künast, wir haben einen Systemwechsel eingeleitet. Und dieser Systemwechsel wird jetzt Folgendes mit sich bringen.
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– Ja, es passt jetzt nicht ins Konzept; aber Fakten müssen in einem Parlament schon genannt werden.
({4})
Was ist die Folge? Die Folge wird sein, dass es keinen Euro an Direktzahlungen mehr ohne – –
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– Also, Sie hatten eben Zeit, zu reden – hat nicht so geklappt –, aber jetzt müssen Sie doch nicht die ganze Zeit reinrufen, wenn ich doch jetzt rede.
({6})
Da müssen wir doch mal ordentlich miteinander umgehen. Mensch, das muss man doch ein bisschen ertragen können!
({7})
– Gut. – Also, wie wird die neue Agrarpolitik sein?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beruhigen Sie sich. Es wird alles gut.
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Also, um es noch mal aufzugreifen: Ja, ich bin engagiert, weil ich mich für die Landwirte einsetze. Bei Ihnen hat nur Ökologie eine Rolle gespielt. Ökologie ist wichtig; aber wer Nachhaltigkeit herunterdekliniert, der muss sie komplett herunterdeklinieren. Und dazu gehören die Ökologie, aber auch die Ökonomie und die soziale Frage.
({0})
Das geht doch nicht, dass es überhaupt keine Rolle spielen soll, ob Landwirte überhaupt von ihrer Arbeit leben können.
Sie malen doch immer ein Bild von kleinen, schönen, schnuckeligen Höfen. In Ihrem Antrag sprechen Sie zwar die neuen Techniken im Bereich Precision Farming, also Präzisionslandwirtschaft, an, aber lehnen explizit deren Förderung ab.
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Da frage ich mich: In welcher Welt leben Sie? Im Jahre 1900 hat ein Landwirt fünf Leute ernährt; da hatten wir aber ganz andere Probleme. Heute ernährt er 150 Personen. Das ist für Sie wahrscheinlich schwierig, weil es eine Abkehr von dem schönen romantischen Bild ist.
Ich will mal eines deutlich machen: In der Coronazeit ist doch klargeworden, was es für die Bevölkerung heißt, wenn die Regale halbleer sind. Nahrungsmittel wachsen nicht einfach im Supermarktregal.
({2})
Wenn ich sehe, dass wir einen Selbstversorgungsgrad von nur 83 Prozent in Deutschland haben, und ich mir dann Ihre Positionierung zum Welthandel anschaue, dann kann ich nur sagen: Das ist ja purer Konsumnationalismus, was Sie hier predigen.
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Wir selbst sind doch angewiesen auf Handel. Wir selbst tragen dazu bei und umgekehrt. Es gibt in vielen Ländern dieser Welt landwirtschaftliche Gegebenheiten, die es überhaupt nicht ermöglichen, auf dieser Grundlage die Menschen dort zu ernähren. Es wäre doch arrogant, zu sagen: Jeder macht vor seiner Hütte nur sein eigenes Ding.
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Es muss doch zusammenpassen, was Sie hier fordern.
Was machen wir im Rahmen der neuen EU-Agrarpolitik? Jeder Euro aus der ersten Säule wird konditionalisiert, also an Umwelt- und Klimaschutzleistungen geknüpft. Dann kommen 20 Prozent an Ökoleistungen drauf. Das hat weder die Kommission vorgeschlagen, noch hat jemals jemand geglaubt, dass wir das verbindlich für alle einführen werden. Und das haben wir gemacht.
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Stattdessen fordern Sie, Deutschland hätte all das ignorieren sollen. Was ist das für eine Arroganz angesichts einer demokratisch getroffenen Mehrheitsentscheidung auf europäischer Ebene! Deutschland ist Deutschland, aber Sie schreiben – –
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– Na ja, passen Sie mal auf, Sie haben das in Ihrem Antrag geschrieben.
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Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, Deutschland hätte sich durchsetzen müssen. Sie haben ja GLÖZ und vieles andere genannt. Es ist vieles enthalten – das sind auch Dinge, die ich teile –,
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wo wir schon längst auf dem Weg sind. Beim Thema Grünlandumbruch sage ich: Guten Morgen! Das ist doch alles in unseren Papieren enthalten. – Ich habe das Gefühl, Sie haben sie gar nicht gelesen. Deshalb braucht auch Ihr Minister Günther noch ein bisschen Zeit, bis er meinem Brief antworten kann.
Aber ich will eines deutlich sagen: Die EU-Agrarpolitik wartet nicht auf Sie Grüne, bis Sie irgendwie mal austariert haben, ob Sie neue Pflanzenzüchtungsmethoden wollen oder nicht wollen. Da ist Ihnen ja die Debatte untersagt worden bzw. in Baden-Württemberg das Forschungsprojekt gestoppt worden.
Lassen Sie uns noch einmal zu dem Hauptpunkt kommen, der mir wichtig ist. Wir sind mit der Landwirtschaft auf dem Weg, dass sie umweltgerechter wird, dass mehr Tierschutz gefördert wird, dass wir vor allen Dingen Nahrungsmittel sichern und den jungen Landwirten eine Chance geben, in die Zukunft zu schauen.
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Das geht nicht ohne Landwirte. Das geht nicht, indem wir in Klein und Groß, in Gut und Schlecht unterteilen. Das geht auch nicht, wenn wir ökologische Landwirte gegen konventionelle ausspielen. Wir als CDU/CSU und als Bundesregierung machen im Rahmen der Großen Koalition ein Angebot. Das Angebot heißt: Zielkonflikte lösen, in Innovationen, Forschung und in Technik investieren. Dann können wir Pflanzenschutzmittel reduzieren, aber auch Ernten sichern.
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Das muss der Geist sein, den das Ganze atmet, sonst werden wir Lebensmittel importieren. Und dann haben wir auf deren Standards gar keinen Einfluss mehr.
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Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner: für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Stephan Protschka.
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Habe die Ehre, Herr Präsident! Frau Ministerin! Grüß Gott – das verstehe ich auch. Die Lockdown-Maßnahmen der Bundesregierung haben Deutschland in eine schwere, vielleicht sogar in die schwerste wirtschaftliche Krise seit dem Krieg gestürzt. Ganz besonders hart hat es vor allem die deutsche Landwirtschaft getroffen, die dank der verfehlten Agrarpolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ohnehin schwer angeschlagen war. Ausgerechnet mitten in der Krise belastet die aktuelle und vielleicht auch zukünftige Bundesregierung mit den Grünen die heimische Landwirtschaft mit noch mehr Auflagen und Verboten und erhöht weiterhin den Kostendruck auf die Landwirte.
Alle diese Verbote und Auflagen laufen dabei immer nach dem gleichen Muster ab. Sie werden unter dem Vorwand der Angst begründet und als alternativlos dargestellt. Beispiele dafür sind die Nitratbelastung des Grundwassers – hu! –, der dramatische Artenverlust oder das große Insektensterben. Das hört sich alles ganz schlimm an.
Ihnen fehlt in der Regel jegliche wissenschaftliche Grundlage, und es wird nie eine belastbare Folgenabschätzung durchgeführt. Fast immer klingen die geforderten Maßnahmen gut, führen aber genau zum Gegenteil dessen, was man eigentlich erreichen will. Nach dem Motto: Scheißegal, was die Maßnahme bringt. Das Wichtigste ist: Der Schmetterling weiß, wer ihn gerettet hat oder retten will, meine Damen und Herren.
Damit überfordern Sie die deutsche Landwirtschaft regelmäßig, weil Sie von den Betrieben viel zu viel auf einmal verlangen. Dazu kommt die Wettbewerbsverzerrung durch die Agrarpolitiker aufgrund der deutschen Sonderwege. Mittlerweile zahlen die deutschen Landwirte 246 Euro mehr pro Hektar als ihre europäischen Kollegen.
Wenn überhaupt, dann kann eine Gemeinsame Agrarpolitik nur dann funktionieren, wenn wir in Europa – ich spreche von Europa und nicht von der EU – einheitliche Rahmenbedingungen haben. Davon sind wir leider weit entfernt, weil unsere Regierung mit den nationalen Alleingängen immer alles viel schlimmer machen muss, als es die EU verlangt. Das hat leider mit einer Gemeinsamen Agrarpolitik nicht mehr viel zu tun.
Nur eine wirtschaftlich leistungsfähige Landwirtschaft, meine Damen und Herren, ist nachhaltig und zukunftsfähig. Viel ehrlicher ist deshalb unser Weg. Wir stehen für eine aufgeschlossene Agrarpolitik, die den bäuerlichen Familienbetrieb wieder in den Mittelpunkt stellt. Wir werden den Bauern wieder Mut und Sicherheit für die Gegenwart und auch für die Zukunft geben. Wir fordern deshalb, dass die Agrarpolitik wieder in das deutsche Parlament zurückgeholt wird; denn wir können in Deutschland besser und demokratischer über die Zukunft unserer Landwirte entscheiden als irgendwelche planwirtschaftlichen Schreibtischbürokraten in Brüssel.
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So wird es uns auch gelingen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirte wieder stärker wird. Ein wirtschaftlich starker, freier und unabhängiger Bauernstand ist der beste Garant für effektiven Umweltschutz, Naturschutz und Tierschutz. Nur das hat Zukunft, meine Damen und Herren. Aber das funktioniert nur mit der AfD.
Danke schön fürs Aufpassen! Einen schönen Tag noch! Habe die Ehre!
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Es macht sich bereit der Kollege Rainer Spiering, SPD-Fraktion. – Sie haben jetzt das Wort.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Protschka, Sie können fordern, was Sie wollen.
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Aber Sie bemühen Wissenschaft, obwohl Sie nicht eine einzige wissenschaftliche Ausarbeitung gelesen haben. Wenn Sie sich wenigstens mit den Ressortforschungseinrichtungen des Bundesministeriums beschäftigen würden. Ob es das Thünen-Institut, das Friedrich-Loeffler-Institut, das Max-Rubner-Institut ist: Bei allen Instituten wird Ihnen der Unsinn, den Sie verbreiten, widerlegt.
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Deswegen: Sagen Sie, was Sie wollen, aber bemühen Sie niemals Wissenschaft. Niemals – Sie nicht.
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Jetzt zur Frage der GAP. Ich habe im Vorfeld ein schönes Zitat von Ludwig Erhard gelesen.
Ein Kompromiss, das ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen.
Ja, das hat mich dann nachdenklich gemacht. Ich habe darüber nachgedacht: Wer hat denn jetzt den größten Teil des Kuchens bekommen? Ich kann in meiner Einschätzung irren, aber offensichtlich haben sich die Agrarminister so verständigt, dass sie der Meinung sind, jeder hätte den größten Teil des Kuchens bekommen.
Ob das auf der ökologischen Seite auch so bewertet wird, daran habe ich große, große Zweifel. Deswegen bemühe ich jetzt den Kommentar einer angesehenen Zeitung dazu, und zwar „Die Zeit“ vom 26. November 2020. Es geht um die Umstellung auf die Direktzahlung – Kurzform: „Mehr Hektar, mehr Geld“. Die Absicht war,
es sollte so lange fließen, bis die Betriebe durch effizienteres Wirtschaften konkurrenzfähig gemacht wären. Das war die Theorie. In der Praxis verschwanden trotzdem viele Betriebe – die Förderung machte die großen noch reicher, während die kleinen nicht überlebten. Wer viel Fläche besitzt, wurde bevorteilt.
– Das sagt „Die Zeit“.
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Ich glaube auch, dass das stimmt.
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Die Zahlen, die genannt werden, stimmen auch. 1998 555 000 Betriebe, jetzt 266 000 Betriebe. Das macht deutlich, dass sich diese Form der Förderung mit Geld pro Fläche weder ökologisch noch ökonomisch oder vor allem – das ist das Allerschlimmste – für die Landwirtschaft nicht ausgezahlt hat. Deswegen glaube ich, dass wir einen Paradigmenwechsel durchführen müssen.
Frau Klöckner, Sie haben dankenswerterweise angesprochen, dass wir das gemeinsam machen. Ja, das glaube ich auch. Das BMU hat heute eine Stellungnahme dazu abgegeben. Diese muss nicht jedem gefallen. Aber es ist auch ein starkes Ministerium. Ich würde Sie dringend bitten, im Schulterschluss mit dem BMU diese weitreichende Problematik für uns gemeinsam zu lösen. Ich glaube, wenn ein Wille dazu da ist, dann ist es auch machbar.
Jetzt möchte ich aufzeigen, welche Vorteile das für einen kleinen Betrieb bedeutet. Die Rechnung ist einfach: 100 Hektar 30 000 Euro, 10 Hektar 3 000 Euro. Das Europaparlament – Frau Ministerin, das ist auch eine demokratische Institution – wird immer noch für die 30 Prozent streiten. Timmermans wird für die 30 Prozent streiten. Phil Hogan hatte 40 Prozent vorgesehen aus der ersten Säule.
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Nehmen wir das einmal als Grundlage. Jetzt mache ich einmal folgende Rechnung auf: Ich reduziere den Betrag in der ersten Säule wirklich massiv – ich sage einmal – auf 60 Prozent und belohne dann Agroforstsysteme mit materiellen Leistungen aus der GAP. Dann kann der Zehn-Hektar-Hof nicht 3 000 Euro, sondern 5 000 oder 5 500 Euro bekommen. Das bedeutet für einen kleinen Hof – die Landwirte, die hier sitzen, wissen das alles – 400 bis 450 Euro pro Monat mehr Ertrag. Das ist für jeden kleinen Hof viel, viel Geld. Wir würden es den Kolleginnen und Kollegen aus der Landwirtschaft von Herzen gönnen, wenn sie für öffentliches Geld öffentliche Leistungen erbringen können und dafür Anerkennung bekommen – nicht nur materiell, sondern auch als moralische Tat – und wenn man ihnen auch zubilligt, dass sie das für die Gesellschaft tun.
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Wir müssen raus aus dieser Endlosschleife: Je mehr Geld Sie in das System pumpen, desto interessanter wird es natürlich für jeden, der auf Großimmobilien setzt. Sie kennen die Beispiele: Münchener Rück, Aldi, die Schwarz-Gruppe mit Lidl, deren Stiftung. Alle die stürzen sich auf diesen fetten Brocken sicherer Finanzierung und hoher Rendite durch die EU. Warum lassen Sie das zu? Warum suggerieren Sie auch noch den Kleinsten der Kleinen, die sich nicht wehren können, das sei etwas Gutes? Es ist nichts Gutes.
Ich will Ihnen auch mal sagen, warum einer wie ich will, dass kleine Landwirtschaft lebt: Unsere Dörfer zu Hause leben von dem Bild der kleinen Höfe, und natürlich brauchen die ein zusätzliches Einkommen, weil die Höfe in der Instandhaltung Unmengen Geld kosten. Man muss dafür wahnsinnig viel Geld verdienen. Ich habe zu Hause selbst so einen Klotz am Bein; dafür braucht man Geld. Aber dann dürfen wir es doch nicht denen geben, die sowieso Unmengen Geld haben, sondern wir müssen es denen geben, die ihre Höfe erhalten wollen.
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Damit können wir unsere Landschaft so erhalten, wie sie ist. Mein Gott, das kann doch nicht so schwer sein. Das Bild von einer intakten Landschaft, von honorierter Arbeit muss mehr wert sein als der Börsenwert, für den er im Moment verkauft wird. Mir tut das bitter leid.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Dr. Gero Hocker hat das Wort für die FDP-Fraktion.
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Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Überschrift des grünen Antrags „Landwirtschaft eine Zukunft geben“ liest, hat man zu Beginn dieses Wahljahres den Eindruck, dass hier eine weitere Annäherung zwischen Schwarz und Grün erfolgen soll.
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Nach den Aussagen von Markus Söder vor einigen Wochen und von Norbert Röttgen gerade ganz aktuell, die ja beide sehr deutlich ihre Sympathien füreinander und für ein Bündnis mit den Grünen zum Ausdruck gebracht haben, würde das ja auch gar nicht wundern. Ich sage Ihnen aber eins, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wenn dieser Antrag ein Vorbote von Schwarz-Grün in Deutschland ist, dann gibt es in diesem Lande am 26. September 2021 keinen einzigen Landwirt, der reinen Gewissens diesen Parteien seine Stimme geben wird, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Die Grünen loben in ihrem Antrag die sogenannte Farm-to-Fork-Strategie, die vorsieht, dass man beim Thema „Antibiotika“ und beim Thema „chemischer Pflanzenschutz“ pauschal Reduzierungen vornimmt. Sie lassen dabei aber völlig außen vor, dass verschiedene Nationalstaaten – Deutschland vorneweg – ja schon erhebliche Anstrengungen unternommen haben und auch Erfolge haben feiern können bei diesen Reduktionsstrategien. Da ist es völlig falsch, allgemeine Ziele zu definieren. Deswegen sage ich es Ihnen ganz ausdrücklich: Wenn solche pauschalen und ideologischen Vorstellungen Teil einer Bundesregierung werden sollten, dann hat Landwirtschaft, anders als Ihr Antrag das in der Überschrift benennt, nicht nur keine Zukunft mehr, sondern dann hat sie schon in fünf Jahren keine Perspektive mehr in Deutschland. Da müssen wir gegensteuern, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
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Fakt ist, dass innerhalb eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes immer noch Äpfel mit Birnen verglichen werden. Der deutsche Tierhalter, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss viel, viel höhere Tierhaltungsstandards einhalten als sein Berufskollege in Südeuropa oder in Osteuropa. Deswegen brauchen wir endlich ein verpflichtendes, mindestens europaweites Tierwohllabel und eine Herkunftskennzeichnung, damit Tiere zumindest im Binnenmarkt und nicht nur in Deutschland tiergerecht gehalten werden und damit es endlich auch fairen Wettbewerb zwischen den Betrieben in Südeuropa, Osteuropa und denen in Deutschland geben kann, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dass Sie, verehrte Frau Ministerin, die Zeit der EU-Ratspräsidentschaft, in der man das wunderbar hätte auf den Weg bringen können, quasi ungenutzt haben verstreichen lassen, das machen wir Ihnen zum Vorwurf.
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Natürlich hat es in den letzten Jahren eine ungemeine Verschiebung der Marktmacht vom Erzeuger hin zum Handel gegeben; da sind wir uns wahrscheinlich alle einig. Dass Landwirte, Milchviehhalter oder Milchbetriebe noch nicht mal wissen, welchen Preis sie für einen Liter Milch bekommen, wenn die Molkerei die Milch abholt, ist doch ein unerträglicher Zustand, und das gibt den Landwirten eben auch keine Planungsmöglichkeit und Planungsgrundlage. Landwirte leisten einen hervorragenden Job in Deutschland, sie erzeugen die weltweit hochwertigsten Lebensmittel, und deswegen ist es auch berechtigt, wenn sie fordern, dass sie angemessen honoriert werden.
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Ich sage Ihnen eins und komme damit zum Schluss: Wir brauchen gegenwärtig dreierlei, um die Situation der Landwirte zu verbessern:
Erstens. Wir müssen dafür sorgen, dass das Bundeskartellamt nicht nur besser ausgestattet wird, sondern auf seine Empfehlung auch gehört wird, weil es kontraproduktiv gewesen ist, dass Sigmar Gabriel seinerzeit sich über die Empfehlung des Kartellamtes einfach hinweggesetzt und eine zusätzliche Zusammenballung von Marktmacht aufseiten des Handels erlaubt hat.
Zweitens. Wir brauchen eine Erleichterung von Zusammenschlüssen von landwirtschaftlichen Betrieben, um der Marktmacht des Handels auch perspektivisch etwas entgegensetzen zu können.
Drittens. Meine Damen und Herren – das ist das Allerwichtigste –, wir müssen in der Politik auch mal wieder den Rücken gerade machen, auch und gerade in einem Wahljahr, und dem Verbraucher sagen, dass das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ nicht funktioniert und derjenige, der immer höhere Standards fordert, –
Herr Kollege, die Zeit ist um.
– auch bitte dafür einen angemessenen Preis zahlen muss.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht wieder mal um die zukünftige EU-Agrarpolitik. Das ist ein wichtiges Thema, nicht nur für die Landwirtschaft selbst, sondern für uns alle. Denn jetzt werden die Weichen dafür gestellt, wie in den nächsten Jahren Lebensmittel produziert werden, und diese brauchen wir nun mal zum Leben. Aber sie werden eben auch mit unseren Lebensgrundlagen produziert: Wasser, Boden, Luft. Das heißt, es geht um unser aller Zukunft. EU-Kommission, Rat und Parlament verhandeln dazu gerade im Trilog. Entscheidend wird für uns aber sein, dass die relativ ehrgeizigen Ziele der EU-Strategien für mehr Schutz des Klimas und für die biologische Vielfalt wirklich erreicht werden. Denn sonst läuft uns die Zeit davon, und das können wir nicht zulassen.
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Aber bei diesen Themen gibt es ja wenigstens ein bisschen Hoffnung auf Fortschritte. Dagegen droht die soziale Krise in der Landwirtschaft und in den ländlichen Räumen der EU ein blinder Fleck zu bleiben. Das wäre fatal, auch für die ortsansässigen Agrarbetriebe; denn die werden als Verbündete für eine neue Landwirtschaft, eine nachhaltige Landwirtschaft gebraucht. Ihnen müssen wir die Existenznöte nehmen. Dazu werden aus der Sicht der Linken zwei Grundsatzentscheidungen gebraucht. Erstens. Agrarförderung muss an soziale und ökologische Leistungen gebunden werden,
({1})
heißt: Gemeinwohlprämie. Zweitens. Es muss endlich Schluss sein mit einer konzernfreundlichen Agrarpolitik.
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Es gibt noch mehr Korrekturbedarf. Zum Beispiel werden spezifische Benachteiligungen von Frauen weitgehend ausgeblendet, auch bei der Bundesregierung übrigens; das hat die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken ergeben. Derweil wandern aber junge Frauen weiter aus den ländlichen Räumen ab, und das oft nicht freiwillig, sondern weil Einkommens- und Lebensperspektiven fehlen. Zum Beispiel gehört Deutschland mit mageren 7 Prozent Anteil von Frauen an der Spitze von Agrarbetrieben zu den Schlusslichtern in der EU. Wenn es keine Ökobetriebe und Genossenschaften gäbe, wäre die Situation sogar noch blamabler. Förderprogramme kommen oft bei Frauen nicht an. Sie passen nicht, oder sie haben zu hohe Hürden. Fehlende Angebote bei Bus, Bahn, Kultur, Bildung oder digitaler Teilhabe treffen eben gerade Frauen.
Ein besonders dramatisches Defizit greift der Deutsche LandFrauenverband gerade in einer aktuellen Petition auf. Statt knapp über 1 100 Geburtshilfestationen im Jahr 2000 gab es 2018 nur noch 778. Laut einer Umfrage im November 2017 mussten in den sechs Monaten davor sogar mehr als 35 Prozent der Geburtskliniken mindestens einmal Schwangere abweisen. Das trifft vor allem die Frauen auf dem Land. Eine Geburt lässt sich aber eben nicht beliebig lang räumlich oder zeitlich verschieben. Hier wird mit der Gesundheit und dem Leben von Mutter und Kind gespielt. Eine gut erreichbare Geburtshilfe ist kein Luxus, sondern muss selbstverständlich sein, auch in den ländlichen Räumen.
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Und es ist gut, dass die Landfrauen diese Entwicklung nicht länger akzeptieren.
Leider hat die Benachteiligung von Frauen System. Deshalb brauchen Frauen mehr Einfluss, auch in der Agrarpolitik. Genau das will Die Linke mit ihrem heute vorliegenden Antrag erreichen. Ich hoffe, dass er Zustimmung findet.
Vielen Dank.
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Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion.
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So, Hermann Färber, der Tisch ist gedeckt.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute drei ganz unterschiedliche Anträge der Opposition zum Thema Landwirtschaft. Eines haben diese drei Anträge allerdings gemeinsam: Sie zeigen ganz deutlich: An die deutsche Landwirtschaft werden sehr hohe Erwartungen gestellt. Zum einen geht es um die Erzeugung von gesunden, hochwertigen und sicheren Lebensmitteln, zum anderen geht es um die Themen Tierwohl, Umweltschutz und Klimaschutz.
Um die Umsetzung dieser Themen in die Praxis zu begleiten, hat das Kabinett im vergangenen Jahr die Zukunftskommission Landwirtschaft eingesetzt. Dieses Gremium erarbeitet nun bis voraussichtlich diesen Sommer Empfehlungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft unter Berücksichtigung der Themen Ökonomie, Ökologie und Soziales, Weiterentwicklung der GAP und zukünftige Handlungsperspektiven. Gleichzeitig soll ein Ausgleich zwischen den Interessen der Landwirtschaft, der Gesellschaft und den Verbänden des Umwelt- und Naturschutzes geschaffen werden.
Die Europäische Union hat mit der Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie sehr konkrete Ziele erarbeitet, zum Beispiel die pauschale Reduktion von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent. Meine Damen und Herren, ich bin selber Landwirt, und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Da rennt man bei den Landwirten in der Tat offene Türen ein. Wenn das so einfach funktionieren würde, würden sie nämlich nur noch halb so viel Geld dafür aufwenden müssen.
Aber wie es so oft bei europäischen Themen der Fall ist: Die Lösung wird nicht mitgeliefert. Wie Ziele umgesetzt werden sollen, das lässt man offen. Beide Strategien sollen eng mit der GAP 2020 verbunden werden. Die GAP ist nun einmal – ganz anders als man das hier und heute gehört hat – wesentlich stärker als bisher an ökologische Bedingungen geknüpft. Dazu kommt, dass nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Europäischen Union die Auszahlung an ökologische Bedingungen geknüpft ist.
Die Grünen waren vor Weihnachten sehr fleißig mit ihrem Antrag. Sie haben 42 Forderungen an die Ausgestaltung der GAP gestellt. Auf alle kann ich jetzt nicht eingehen – das würde ich gerne, aber der Präsident wird mir vorher das Mikrofon abschalten –, aber ein paar wesentliche Punkte möchte ich doch herausgreifen.
An der Verzahnung von Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie mit der GAP, meine Damen und Herren, wird doch schon längst gearbeitet. Wobei man ehrlicherweise sagen muss: Die Farm-to-Fork-Strategie, Frau Künast, geht uns nicht weit genug. Es ist zwar genau festgelegt, was die Landwirtschaft alles leisten muss, wie viel sie wo reduzieren muss. Im Bereich Verarbeitung müsste der Handel bis hin zum Verbraucher stärker eingebunden werden. Er ist aber komplett ausgespart. Man begnügt sich mit Selbstverpflichtungen und vielleicht noch mit irgendwelchen Verhaltenskodexen. Hier muss die EU noch nacharbeiten.
Eine starke Konditionalität und wirkungsvolle Eco-Schemes werden im nationalen Strategieplan momentan erarbeitet. Sie wurden aber nicht hier erarbeitet, sondern von den Ländern.
Rainer Spiering, du hast den Kommissar Hogan genannt, der 40 Prozent Konditionalität gefordert hat. Da musst du noch mal nachgucken; das wäre mir jetzt so nicht bekannt. Vielleicht ist irgendetwas durcheinandergekommen. Ich weiß nur, dass Herr Hogan den Systemwechsel eingeleitet hat, die Förderung nicht mehr an bestimmten Kriterien festzumachen, sondern die neun Ziele und die Erreichung der Ziele einfach als Maß der Dinge festzulegen.
({0})
– Ja, okay, aber nicht 40 Prozent Konditionalität.
Dann befürworten die Grünen in ihrem Antrag die Vergütung von klima- und naturschutzwirksamen Leistungen, lehnen aber gleichzeitig die Förderung von Technologien, die die Präzision verbessern, ab.
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– Okay, darüber müssen wir im Ausschuss noch beraten.
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Denn eines ist klar: GPS-gesteuerte, sensorgesteuerte und kameragesteuerte Technik ist für kleine Betriebe unerschwinglich. Deshalb ist es wichtig, dass sie auch wirklich gefördert werden.
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Das tierschutzpolitische Ziel mit einer verbindlichen vierstufigen Haltungskennzeichnung in der gesamten EU wurde im Rat befürwortet und wird derzeit bearbeitet. Einer meiner Vorredner – ich glaube, Herr Hocker war es – hat gesagt: Es ist nichts passiert. – Lesen Sie noch mal nach: Das ist auf europäischer Ebene von Deutschland in der Ratspräsidentschaft gesetzt worden.
({4})
Es spricht nichts dagegen, den ökologischen Landbau in den nächsten zehn Jahren auf 30 Prozent zu erhöhen. Die Frage ist nur, ob man die Märkte dafür schaffen kann.
Es hilft alles nichts, die Zeit ist um.
Ich komme zum Schluss.
Leider Gottes hat auch der FDP-Antrag nicht viel Neues enthalten. Wir werden die beiden Anträge an den Ausschuss überweisen. Der Antrag der Linken wurde schon beraten. Ihn lehnen wir ab.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Hermann Färber. – Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit der Zustimmung zum öffentlich-rechtlichen Vertrag zum Braunkohleausstieg erreichen wir einen weiteren wichtigen Meilenstein in unserer Energieversorgung, um zu einer klimafreundlichen Energiepolitik zu kommen.
Der Umbau geht voran. 2020 war ein Erfolgsjahr für die Energiewende. Zur Erinnerung: Wir haben in der Stromversorgung einen Anteil von 50 Prozent der erneuerbaren Energien erreicht. Das ist Spitze für ein Industrieland. Damit haben wir das Ziel, das wir uns vor ein paar Jahren vorgenommen haben, sogar übererfüllt. Das war ein ganz großer Erfolg, der in der Berichterstattung leider ein bisschen unterging. Trotzdem sind wir darauf gemeinsam stolz.
Wir haben im letzten Jahr unsere Klimaschutzziele erreicht. Wir haben bis 2020 eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 erreicht, und das nicht nur wegen der Coronapandemie, sondern auch, weil die Klimaschutzmaßnahmen greifen und wir wirklich vorangeschritten sind. Und deshalb sind wir hier auch in der Zielerfüllung über dem, was wir uns vorgenommen haben.
Des Weiteren – und das ist auch sehr erfreulich – haben wir im letzten Jahr viel Geld investiert in erneuerbare Energien, in die Bereiche Energieeffizienz und Sparsamkeit der Gebäude – auch das ist ein ganz wichtiger Beitrag, nicht nur zum Thema Klimaschutz –, auch im Gebäudebestand. Deshalb haben wir auch da einen ganz, ganz großen Erfolg gemeinsam erzielt.
({0})
Parallel zu den Investitionen in erneuerbare Energien in Verbindung mit Energieeffizienz und Sparsamkeit gestalten wir auch den Ausstieg aus den konventionellen Energien: Bis 2022 werden wir aus der Kernenergie aussteigen – immerhin ein Energieträger, der noch 14 Prozent unserer Stromversorgung sicherstellt.
Und – und darum geht es heute Abend – wir werden auch den Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht nur beschließen, sondern Stück für Stück verlässlich und rechtssicher umsetzen und so gestalten,
({1})
dass auch die Regionen, in denen die Menschen von diesem Energieträger nach wie vor leben, nicht vergessen werden. Auch das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt, den wir hier heute Abend, wie gesagt, mit beschließen werden.
Die Steinkohlekraftwerke, die mit einem Anteil von knapp 10 Prozent immer noch eine wichtige Säule unserer Energieversorgung darstellen, werden durch ein Ausschreibungsregime, durch eine marktorientierte Ausschreibung Stück für Stück aus dem Markt der Energieerzeugung genommen. Allein letztes Jahr, im Wechsel von 2020 auf 2021 haben wir über die Ausschreibung Steinkohlekraftwerke im Umfang von 5 GW Leistung aus dem Markt genommen. Auch das ist ein Erfolg, der zeigt, dass das marktorientierte Modell wirklich das richtige war und einen günstigen Pfad zum Ausstieg aus der Steinkohle gewährleistet.
Bei Braunkohle, um die es heute Abend geht, haben wir einen Weg gewählt, der verlässlich und planbar für die Erzeuger, aber auch für die Regionen ist. Wir haben uns, auch aufgrund dessen, dass wir nur noch zwei große und, ich sage mal, relevante Betreiber von Braunkohlekraftwerken haben, dafür entschieden, mit einem Vertrag zu versuchen, auch hier Planbarkeit und Verlässlichkeit zu gewährleisten. Der zweite Grund, warum wir diesen Weg der vertraglichen Vereinbarung gegangen sind, ist der, dass die Braunkohlekraftwerke mit dem Tagebau, dem Wassermanagement, dem Logistikbereich und der Rekrutierung ein ganz komplexes Gebilde sind, weshalb wir nur durch die vertragliche Vereinbarung über einen langjährigen Stilllegungspfad auch hier wirklich ein Ausstieg finden, der für alle Seiten befriedigend ist.
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Ich glaube, auch das war ganz wichtig. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ sieht dies auch so, hat es bestätigt und diesen Weg ganz explizit so empfohlen.
Grundlage des heutigen Beschlusses wird ein Vertrag sein, den wir die letzten Monate gemeinsam mit den Betreibern ausgearbeitet haben, vorrangig mit den Unternehmen RWE und LEAG, die gemeinsam mit uns diesen Stilllegungspfad entsprechend garantieren. Diese einvernehmliche Lösung bekommt nun mit dem vorliegenden öffentlich-rechtlichen Vertrag durch die Zustimmung des Bundestages die notwendige und richtige Grundlage und wird dann auch ganz konkret umgesetzt.
Der Vertrag schafft, wie gesagt, Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Er hat drei entscheidende Vorteile, die ich einfach noch einmal nennen will, weil ich glaube, dies ist wichtig, um den Weg zu verstehen:
Erstens. Der Vertrag regelt eine Gegenleistung für die Entschädigung: Der Bund bekommt die Garantie in der Form, dass die Unternehmen einen Klageverzicht erklären, dass also nicht geklagt wird gegen irgendwelche Ausstiegspfade, wie es beispielsweise beim Ausstieg aus der Kernenergie der Fall war.
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Wir haben hier auch die Gewährleistung, dass keine nationalen Gerichte oder internationalen Schiedsgerichte angerufen werden. Das schafft Rechtsfrieden, Rechtssicherheit; das ist an sich schon ein Wert, der für uns ganz entscheidend ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Zweitens wird mit der Entschädigung auch eine Wiedernutzbarmachung und Rekultivierung des Tagebaus gesichert. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt. Der Tagebau spielt bei der Braunkohle eine ganz entscheidende Rolle. Wir schaffen da einen verlässlichen Rekultivierungspfad. Der Rekultivierungspfad wird dadurch finanziell gesichert.
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Die Entschädigung für die LEAG fließt gar nicht an das Unternehmen, sondern in ein Sondervermögen und wird damit für die Zukunft gesichert. Im Fall der RWE sorgt eine Stärkung der Konzernhaftung nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz für ein ausreichend hohes Niveau an Sicherheit für die Zukunft. Wir stellen damit sicher, dass die Entschädigung für die Wiederherstellung der Landschaften tatsächlich zur Verfügung steht und dafür dann auch genutzt wird.
Drittens und letztens hat die Entscheidung gebracht, dass wir, wenn wir 2030 und folgende feststellen, dass wir die Braunkohle früher verlassen können, den Ausstieg dann beispielsweise von 2038 auf 2035 vorziehen können, ohne dass die Betreiber noch mehr Entschädigung bekommen. Auch das ist ein wichtiger Punkt für mehr Klimaschutz, wenn es hier eine entsprechende Sicherheit gibt.
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Auch das ist, glaube ich, ein Erfolg, nicht nur für die Energieversorgung, sondern auch für einen sicheren und guten Ausstiegspfad aus dem CO2-Verstromungsbereich.
All diese Punkte bringen entscheidende Vorteile für den Bund, die er ohne diesen Vertrag nicht hätte. Deshalb sind der Weg und das Instrument richtig. Aus diesem Grund bitte ich Sie um Zustimmung zum vorliegenden Vertrag; dafür herzlichen Dank.
Danke schön.
({7})
Vielen Dank, Thomas Bareiß. – Für die AfD hat jetzt das Wort der Abgeordnete Steffen Kotré.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Bareiß! 2020 war leider kein Erfolgsjahr. 20 Jahre gibt es die Energiewende jetzt schon, und sie muss immer noch subventioniert werden. Also, was daran ein Erfolgsjahr sein soll, das erschließt sich mir nicht.
({0})
Der Ausstieg aus der Kohle und der Ausbau der erneuerbaren Energien als Grundlage unserer Stromversorgung sind mitnichten marktwirtschaftlich, das gehört einfach zur weltdümmsten Energiepolitik, die wir hier haben – das sind nicht meine Worte, das sind die Worte des „Wall Street Journal“.
({1})
Erst am letzten Freitag ist das Stromnetz haarscharf an einem Blackout vorbeigeschrammt; es war der stärkste Frequenzeinbruch seit 2006.
({2})
Die instabile Wind- und Sonnenenergie erhöhen die Blackout-Gefahr massiv, weil sie nichts zur Regelleistung und damit zu einer Gefahrenabwehr beitragen können; davon ist keine Spur.
({3})
Es gibt eben auch keine Möglichkeit einer technologischen Aufhübschung sozusagen dieser Technologie – die erneuerbaren Energien sind und bleiben unzuverlässig.
({4})
Demgegenüber ist die Kohleverstromung verlässlich und günstig. Je mehr erneuerbare Energien im Stromnetz sind und je mehr sie die Kohleverstromung verdrängen, desto geringer ist leider die Versorgungssicherheit. Dennoch werden die modernsten und saubersten Kohlekraftwerke in irrationaler Art und Weise abgeschaltet, wie kürzlich in Hamburg-Moorburg.
In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung mir nicht einmal beantwortet, wie teuer uns der Spaß kommt, also wie hoch die Entschädigungszahlungen sind und mithin der Raubbau am Steuerzahler. Und das, meine Damen und Herren, spricht Bände.
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Der Kohleausstieg mit seinen Entschädigungszahlungen reiht sich ein in die vielen Maßnahmen der Bundesregierung, die an der Substanz unserer Volkswirtschaft zehren. Circa 150 Milliarden Euro wird uns dieser Spaß direkt kosten – indirekt natürlich noch viel mehr –; heruntergebrochen sind das für jeden etwa 1 000 Euro. Aber das ist leider nur ein Mosaikstein. Diese ganze Politik ist unsozial, hochgradig unsozial, vor allen Dingen für Niedrigverdiener, meine Damen und Herren.
Der Kohleausstieg – im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie – führt auch zur Versorgungslücke, die mittlerweile selbst von Vertretern der sogenannten Energiewende so gesehen wird. Die Frage, wo denn die Spitzenlastabdeckung 2023 herkommen soll, ist immer noch nicht beantwortet. Das ist hochgradig unverantwortlich und katastrophal für unseren Industriestandort Deutschland, meine Damen und Herren.
({6})
Die Strom- und Energiepreise gehen durch die Decke; wir haben die höchsten Strompreise aller Industrienationen. Das ist auch die Folge der mittelstandsfeindlichen Politik dieser Bundesregierung,
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wie auf vielen anderen Politikfeldern auch. Nur ein aktuelles Beispiel: Laut dem ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ist Deutschland bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Familienunternehmen nunmehr auf den 17. Platz von 21 Plätzen abgerutscht. Es gibt kein anderes Land, das einen stärkeren Abrutsch verzeichnete. Das ist leider die Politik, die wir auch hier beim Kohleausstieg sehen, das ist die Politik von Merkel. Dafür sind nicht zuletzt die hohen Steuern, die hohen Energiepreise verantwortlich. Das lehnen wir ab, meine Damen und Herren.
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Nein, wir brauchen eine sichere, wirtschaftliche und umweltfreundliche Energieversorgung.
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Sonst haben wir keinen ausreichenden Lebensstandard mehr, sonst haben wir keine Stabilität mehr, für die wir eigentlich in der Welt berühmt waren und sind.
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– Genau.
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Die Kernenergie, meine Damen und Herren, lehnen Sie ab. Dabei ist die Kernenergie mittlerweile sauber, sicher, umweltfreundlich. Tschernobyl kann es mit den neuen Technologien nicht mehr geben.
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Bitte legen Sie in diesem Falle Ihre ideologischen Scheuklappen ab, und stimmen Sie uns zu. Andere Länder setzen wieder auf die Kernenergie. Moderne Kernenergie für Deutschland – sauber, sicher und bezahlbar!
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Danke.
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Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Bernd Westphal.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich komme kurz zum Vorredner, der uns ja erzählt hat, wie teuer es wird, wenn wir aus der Kohle aussteigen. Ich kann nur sagen: Wenn wir nichts machen, wird es für die Gesellschaft und für die nächsten Generationen noch teurer.
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Deshalb ist jetzt engagiertes Handeln der Politik gefragt, und genau das machen wir.
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Wir verbinden Klimaschutz mit der Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze, mit Innovation, mit einer Modernisierung der Wirtschaft
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und des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Mit dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz, wie es heißt, also dem Kohleausstiegsgesetz, und dem Strukturstärkungsgesetz ist bereits der Rahmen beschlossen und festgelegt worden. Mit diesen zwei Gesetzen haben wir einen klaren Fahrplan für den Umbau unserer Energieversorgung.
Wir wollen dazu beitragen, den Strukturwandel nicht nur den Marktkräften zu überlassen, sondern mit planbaren, kalkulierbaren Strukturen vor allen Dingen für die Reviere eine Perspektive schaffen. Nichts anderes machen wir mit diesen Gesetzen. Mit bis zu 40 Milliarden Euro schaffen wir neue Arbeitsplätze, unterstützen eben genau diese klimafreundlichen Technologien. Wir beenden spätestens 2038, und wenn es die Rahmenbedingungen zulassen, also alternative Energieerzeugungsformen zur Verfügung stehen, vielleicht auch schon 2035 die Kohlenutzung. Das ist verantwortliche Politik, meine Damen und Herren.
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Natürlich brauchen wir auch die Impulse aus den Regionen. Die Länder sind in der Verantwortung, gemeinsam mit den Kommunen den Strukturwandel vor Ort mit innovativen Ideen zu organisieren. Insofern brauchen wir kreative und innovative Projekte als Voraussetzung für einen erfolgreichen Strukturwandel.
Was den sozialverträglichen Abbau der Arbeitsplätze angeht, haben wir ein bewährtes Instrument etabliert, das sogenannte APG, also Anpassungsgeld, was bei der Steinkohle sehr gut funktioniert hat. Dieses Instrument wird auch bei der Braunkohle, für die in den Kraftwerken Beschäftigten, angewendet und findet im Strukturwandel seine soziale Entfaltung.
Mit den öffentlich-rechtlichen Verträgen, die wir heute Abend hier diskutieren und beschließen, setzen wir die gesetzlichen Vorschriften, die die sogenannte Kohlekommission empfohlen hat, um. Anders als bei der Steinkohle, haben wir bei der Braunkohle die Situation, dass praktisch auf der Tagebaukante die Braunkohlekraftwerke stehen, also die angeschlossenen Betriebe dementsprechend mitberücksichtigt werden müssen. Genau das, was die Kohlekommission empfohlen hat, musste jetzt hier in Gesetzestext und in Vertragstext gegossen werden, und das ist hiermit gelungen, meine Damen und Herren.
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Die öffentlich-rechtlichen Verträge spiegeln nicht nur die Höhe der Entschädigung, sondern auch den Stilllegungspfad wider. Voraussetzung ist natürlich, in diesen Verträgen auch die gegenseitigen Rechte und Pflichten festzulegen. Das ist genau, wie es die Empfehlung der Kohlekommission vorsieht, gelungen.
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Der Vertrag beinhaltet auch detaillierte Vorkehrungen zur zweckgerichteten Verwendung der Entschädigung, so wie es im Lausitzer und auch im Rheinischen Revier vorgesehen ist. Es ist schon eine wirklich interessante und kluge Regelung, dass man die Entschädigungszahlungen, die jetzt erfolgen, zum Beispiel auf Treuhandkonten sichert und dass die Länder in der Verantwortung stehen, die ratierlichen Zahlungen über den langen Zeitraum vernünftig einzusetzen.
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– Ja, Kollege Krischer, auch für das Rheinische Revier können Sie durchaus Ideen einbringen, wie man das machen könnte.
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Wir haben in den öffentlich-rechtlichen Verträgen einen umfassenden Rechtsbehelfsverzicht der Betreiber sowie den Verzicht auf Anrufung internationaler Schiedsgerichte niedergelegt. Das ist auch etwas, was bei diesen Verträgen einen Wert darstellt, anders als bei der Kernenergie, wo wir ja sehen, was passiert, wenn man das nicht ausschließt; da ist es handwerklich schlecht gelaufen. Hier ist es jetzt besser gelaufen: Beim Braunkohleausstieg haben wir Rechtssicherheit für beide Seiten festgelegt, und das ist gut.
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Die Bundesregierung hat nun die Aufgabe, im beihilferechtlichen Verfahren gegenüber der EU-Kommission das bereits im Deutschen Bundestag und Bundesrat beschlossene Kohleausstiegsgesetz und auch diese öffentlich-rechtlichen Verträge in vollumfänglicher Art und Weise zu vertreten. Wir brauchen die beihilferechtliche Genehmigung; das ist das Einzige, was noch aussteht.
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Das kann aber logischerweise auch nur in der Folge passieren: Erst wenn wir hier ein Gesetz beschlossen haben, ist die beihilferechtliche Genehmigung einzuholen.
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Wir möchten als SPD-Bundestagsfraktion die deutschen und europäischen Klimaziele verlässlich erreichen. Das geht nur mit einem sozialverträglichen sowie energiepolitisch und volkswirtschaftlich verantwortungsvollen Ausstieg aus der Kohle.
Parallel dazu müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. Wir haben mit dem EEG-Gesetz im letzten Quartal des letzten Jahres schon den Weg dafür bereitet und die Eckpunkte hier im Parlament beschlossen. Im Entschließungsantrag sind weiterführende Dinge enthalten, etwa der Ausbaupfad für einen verlässlichen Ausbau der erneuerbaren Energien, die sich in die Struktur unseres Energiesystems einfügen müssen. Der Ausbau der Infrastruktur der Strom- und Gasleitungen, aber selbstverständlich auch der Struktur der Speicher- und der Wasserstofftechnologie werden uns helfen, diesen Strukturwandel in der Energieversorgung zu organisieren.
Die 28 Mitglieder der Kohlekommission mit ihren sehr unterschiedlichen Interessen haben es trotz verschiedener Zielkonflikte geschafft, ein Ergebnis vorzulegen. Das wird jetzt eins zu eins umgesetzt.
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Genau daran wollen wir uns orientieren. Wir schaffen Perspektiven für die Menschen in den Kohlerevieren. Wir schaffen Perspektiven für eine moderne Wirtschaft. Wir schaffen eine Klimaneutralität in unserer Gesellschaft, mit neuen Arbeitsplätzen und gutem Klimaschutz.
Herzlichen Dank und Glück auf!
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Der Nächste macht sich nach dem Abschluss der Reinigungsarbeiten bereit. Es ist Professor Dr. Martin Neumann von der FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es heute in dieser Debatte? Es geht um Nachwehen des Kohleausstiegsgesetzes, das wir im Sommer abgelehnt haben, weil – Kohleausstieg ja! – der Weg der Bundesregierung beim Kohleausstieg falsch ist. Jetzt geht es um den angekündigten öffentlich-rechtlichen Vertrag.
Meine Damen und Herren, was soll gemacht werden? Grundsätzlich gilt, dass bei ordnungspolitischen Eingriffen entschädigt werden muss. Das ist ein Prinzip, an das man sich halten muss. Aber – jetzt kommt das Aber – nachvollziehbar ist die Höhe der Entschädigungen nicht. Es gab kein transparentes Verfahren, keine Grundlage, um die Zahlen, die hier vorliegen, nachvollziehen zu können.
Die betroffenen Unternehmen – gerade ist es gesagt worden – müssen zusätzlich auf ihr Klagerecht verzichten. Doch wer weiß, meine Damen und Herren, auf welche Ideen künftige Regierungen nach Atom- und Kohleausstieg noch kommen?
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Ich weiß, dass der Handlungsspielraum durch diesen Vertrag in Zukunft massiv eingeschränkt würde. Ein durchregulierter Vertrag, obwohl wir bereits ein Instrument zur CO2-Senkung, nämlich den europäischen Emissionshandel, haben, ist deshalb hier nicht notwendig.
Meine Damen und Herren, was ist mit den Mehrkosten des vorgezogenen Ausstiegs? Sogar eine eigens von Ihnen, Herr Minister, in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es wirtschaftlichere Optionen als den Weg der Bundesregierung gibt – zu geringeren Kosten und mit weniger CO2-Ausstoß. Ganz pikant, Herr Minister, ist, dass dieses Gutachten erst ein Jahr nach Fertigstellung veröffentlicht wurde.
Ich nenne hier zum Beispiel das Steinkohlekraftwerk Moorburg und frage einfach mal in die Runde: Wem soll man noch erklären, dass so etwas möglich ist? – Da wird ein nagelneues Kraftwerk stillgelegt. Was hat das noch mit der Begrenzung von CO2-Emissionen zu tun?
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Ich glaube, an dieser Stelle feststellen zu können, dass wir hier wohl die einzige Fraktion sind, die sich ausschließlich auf die Senkung der CO2-Emissionen konzentriert. Die AfD leugnet sowieso alle wissenschaftlich-technischen Fortschritte,
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und die Grünen wollen Partys unterm Windrad machen.
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Ideologie hilft hier – und ich werde nicht müde, das immer wieder zu betonen – nicht weiter.
Was bleibt zum Schluss? Fazit: Wir lehnen diesen Vertrag ab, genauso, wie wir das Kohleausstiegsgesetz abgelehnt haben. Wir wollen – und das fasse ich hier noch mal zusammen – eben nicht nur einen ökologisch treffsicheren Kohleausstieg, sondern auch die wirtschaftlich effizienteste Möglichkeit ohne Verschwendung von Steuergeldern.
Ich bedanke mich.
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Vielen Dank, Kollege Neumann. – Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie erzählen ja immer wieder gerne, dass Ihnen die Heimat sehr wichtig wäre. Haben Sie schon einmal Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich oder Berverath besucht? Das sind Dörfer am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen. Dort leben auch Menschen. Sie haben ihre Träume, sie haben ihre Ängste, und sie leben teilweise schon seit Generationen in diesen Dörfern. Sie haben Bäume gepflanzt, ihre Gärten gepflegt, Kinder bekommen und sie aufwachsen sehen, und sie wollen dort gerne ihren Lebensabend verbringen.
Doch seit vielen Jahren kriecht eine Angst in den Alltag dieser Menschen, in ihre Gespräche und auch in ihre Träume: Müssen wir unsere Heimat verlassen? Werden wir vertrieben für eine Energieform des letzten Jahrtausends? Werden wir vertrieben für die Profite von RWE?
Mit der Klimabewegung kam eine neue Hoffnung. Durch den angekündigten Kohleausstieg hofften sie, dass sie ihr Zuhause behalten können. Diese Hoffnung wurde durch das Gutachten bestätigt, was Bundeswirtschaftsminister Altmaier in Auftrag gegeben hat. Doch leider haben Sie, Herr Altmaier, dieses Gutachten ein Jahr lang zurückgehalten, und es ist erst jetzt an die Öffentlichkeit gekommen. In diesem Gutachten wird ganz klar gesagt, dass das, was hier im Bundestag beschlossen worden ist – die Abbaggerung der Dörfer –, nicht notwendig gewesen wäre.
Deswegen sagen wir ganz klar: Stoppen Sie diese Politik der Enteignung und Vertreibung! – Wir sagen ganz klar: Alle Dörfer müssen bleiben!
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In diesem zurückgehaltenen Gutachten steht aber noch etwas, nämlich dass die Bundesregierung den Konzernen den Kohleausstieg vergolden will. Maximal 35 Millionen Euro entgehen den Unternehmen durch den zu späten Kohleausstieg 2038. Die Bundesregierung will aber das 50-Fache bezahlen, nämlich 1,75 Milliarden Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ich weiß, warum Sie Sofortabstimmung beantragen: Weil Ihnen dieser Vertrag peinlich ist. – Zu Recht!
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Sie wissen, was Sie heute durchs Parlament peitschen, ist ein Vertrag zur Verlängerung der Gewinnerzielung der Kohlekonzerne, und zwar in ungeheurem Ausmaße.
Sehr geehrter Herr Altmaier, auf der einen Seite verschleudern Sie damit Milliarden an Steuergeldern, und gleichzeitig nehmen Sie auf der anderen Seite Menschen ihre Heimat, indem Sie dieses Gutachten ein Jahr lang zurückgehalten haben. Wenn Sie tatsächlich konsequent wären – und das versucht man in dieser Bundesregierung in letzter Zeit ja sehr selten –, dann würden Sie Ihren Hut nehmen und zurücktreten.
Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Grüne hat das Wort der Abgeordnete Oliver Krischer.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem, was man hier von Herrn Bareiß und Herrn Westphal aus der Regierungskoalition zum Kohleausstieg gehört hat, denkt man ja eher ein bisschen an Alice im Wunderland. Mit der Realität Ihrer Politik hat das überhaupt nichts zu tun. Das muss doch mal klar gesagt sein.
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Hier geht es nicht um Strukturwandel. Hier geht es nicht um Klimaschutz. Hier geht es nicht um sozialen Ausgleich und um Anpassungsgeld für Beschäftigte im Bergbau. Nein, dieser Vertrag, den Sie heute hier vorlegen, gibt zwei Kohlekonzernen 4,3 Milliarden Euro für Kohlekraftwerke, die praktisch nichts mehr wert sind.
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Sie schmeißen diesen Konzernen Steuergeld hinterher und vergolden den Abschied eines Industriezweiges, der sowieso keine Zukunft mehr hat. Das muss man hier an der Stelle mal ganz klar und deutlich sagen.
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Das, was Sie im Kohleausstiegsgesetz vereinbart haben, reicht Ihnen nicht. Nein, Sie legen mit diesem Vertrag noch einen drauf, nämlich weitere, zusätzliche Rechte. Im Kohleausstiegsgesetz – das ist schon schlimm genug – erklären Sie den Tagebau Garzweiler für energiewirtschaftlich notwendig. Hier schreiben Sie plötzlich rein, alle Tagebaue seien energiewirtschaftlich notwendig. Wie gaga ist das denn, bei einem Kohleausstieg alle Tagebaue für energiewirtschaftlich notwendig zu erklären! Da zeigt sich der ganze Irrsinn Ihrer Politik.
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Um das mal deutlich zu machen – und das ist der eigentliche Sinn dieses Vertrages –: Sie wollen zusätzliche Rechte für die Kohlekonzerne schaffen. – Um den Ausstiegspfad zu ändern und Kraftwerke früher abzuschalten, muss eine zukünftige Regierung das acht Jahre vorher anmelden und angehen; das sind zwei Wahlperioden. Das bedeutet praktisch: Sie höhlen die Revisionsklauseln des Kohlausstiegsgesetzes aus und schreiben fest, wie es jetzt bis 2038 laufen soll. – Das, was Sie mit diesen Verträgen hier machen, ist eine Pervertierung von dem, was die Kohlekommission gesagt hat. – Da können Sie ruhig den Kopf schütteln. Das ist genau so!
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An dieser Stelle möchte ich klipp und klar sagen: Herr Westphal, Sie haben es ja sogar gefeiert, dass diese Entschädigungszahlungen – dieses Vergolden des Ausstiegs – für die Rekultivierung der Tagebaue benutzt werden. Ehrlich gesagt, verstehe ich das nicht, weil Sie im Kohleausstiegsgesetz sagen, das sei für die Stilllegung der Kraftwerke. Jetzt ist das plötzlich für die Tagebaue. Und vor allen Dingen: Ich habe immer gedacht, die Unternehmen zahlen das selber. – Das steht nämlich im Bundesberggesetz. Auf einmal nimmt man dafür öffentliches Geld. Nebenbei übertragen Sie mit diesem Vertrag die Verantwortung für die Altlasten der Braunkohle an die Öffentlichkeit, und das ist unglaublich.
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Zum Schluss möchte ich Ihnen eines sagen: Ein Jahr lang hat Peter Altmaier ein Gutachten versteckt gehalten, nach dem die letzten fünf Dörfer im Rheinischen Revier nicht abgebaggert und die Menschen nicht enteignet und vertrieben werden müssten, wenn Sie die Vorschläge der Kohlekommission eins zu eins umgesetzt hätten. Das belegt Ihnen das Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums. Wenn es Ihnen um eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Vorschläge der Kohlekommission gehen würde, wenn es Ihnen um Klimaschutz gehen würde, wenn es Ihnen um Menschenrechte gehen würde, dann würden Sie dieses Gutachten umsetzen, das Kohleausstiegsgesetz ändern und nicht diesen absurden Vertrag hier heute beschließen.
Deshalb sage ich für Bündnis 90/Die Grünen, für meine Fraktion, ganz klar und deutlich Nein zum Kohlevertrag.
Danke schön.
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Der voraussichtlich letzte Redner am heutigen Tag ist der Kollege Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger in den Kohlerevieren! Es freut mich außerordentlich, dass ich hier als Vertreter des Rhein-Erft-Kreises und damit eines Zentrumkreises im Rheinischen Revier Gelegenheit habe, am Ende der Debatte die Schauermärchen meiner Vorredner ins rechte Licht zu rücken und diese grauen Wolken, die da aufgezeichnet wurden, wegzuwischen.
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Seit 61 Jahren wohne ich im Rhein-Erft-Kreis und habe unbeeinträchtigt von irgendwelchen persönlichen und privaten Interessen Tagebaue und Kraftwerke kommen und gehen sehen – aus allen Himmelsrichtungen und natürlich verbunden mit zahlreichen Veränderungen, vor allen Dingen mit Erneuerungen der Technologie: Kraftwerkserneuerungsprogramme, durch die alte Turbinen und Blöcke gegen neue ausgetauscht wurden, eine höhere Effizienz geschaffen wurde und der Ausstoß von CO2 schrittweise zurückgefahren worden ist.
Das ist in der Zwischenzeit nach übereinstimmender Meinung der Bevölkerung nicht mehr Stand der Technik, und wir haben uns in dem Prozess, der am 6. Juni 2018 mit der Einsetzung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ begonnen hat, auf den Weg begeben, eine planbare, verlässliche und technologisch zu bewältigende Veränderung der Energieproduktion herbeizuführen.
Intensive Beratungen, kritische Beratungen, kontroverse Beratungen haben dann zu dem Bericht geführt, und jetzt, zweieinhalb Jahre später, zum Ende des Jahres 2020, ging dann im Vorgriff auf den Vertrag, über den wir heute entscheiden werden, im Kraftwerk Bergheim-Niederaußem der Block D mit 300 Megawatt vom Netz.
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Seit 1968 hat er zuverlässig Energie und Strom geliefert.
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– Ja, es war der älteste Block, Herr Krischer. Es gibt da eine genau planbare Geschichte, und das ist auch gut so.
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Aber was Sie in der ganzen Diskussion und in einer lautstarken Argumentation immer wieder vollkommen außen vor lassen, sind die Menschen, die sich hinter diesem Bereich und dieser Region verbergen.
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Mit dem Umlegen des Schalters am Kraftwerk Niederaußem sind von einer Minute auf die andere 300 Arbeitsplätze überflüssig geworden.
Herr Beutin, Sie haben eben gefragt: Haben Sie schon mal die Ortschaften am Rande des Tagebaus Garzweiler besucht? – Ja, habe ich; habe ich in der Tat. Aber haben Sie schon mal die Ortschaften Garsdorf, Königshoven, Manheim-neu oder Bedburg-Rath besucht? Die sind in den 70er- und 80er-Jahren umgesiedelt worden, zuletzt noch Anfang der 2000er-Jahre, und dort sind in gemeinsamen Planungsgruppen mit entsprechenden Räten die Umsiedlungsmaßnahmen begleitet und sozialverträglich abgestimmt worden.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gösta Beutin?
Nein, gestatte ich nicht. – Was wir hier und heute aber für die Menschen in den Regionen unbedingt sicherstellen müssen, sind Planungssicherheit sowie Zuverlässigkeit und Ruhe in den Revieren. Insofern hätte es Ihnen besser zu Gesicht gestanden, Herr Krischer, wenn Sie nicht nur den Hambacher Forst besucht und als wesentlich und wichtig eingestuft hätten,
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sondern sich vielleicht auch in den anderen Ortschaften einmal mit den Mitarbeitern der Werke und Tagebaue ausgetauscht hätten, um zu erfahren, wie man denn dort diesen Prozess wahrnimmt und wie man die Zukunft für sich selber sieht und gestaltet.
Herr Kollege, eine Zwischenfrage von Herrn Krischer?
Nein, auch das nicht.
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Jetzt besteht die Notwendigkeit, dass wir für die Menschen mit diesem öffentlich-rechtlichen Vertrag Rechtssicherheit und Planungssicherheit zwischen den Parteien schaffen.
Zu den Aufgaben, die bis spätestens 2038 bewältigt werden müssen, gehören unter anderem der Rückbau der Tagebaue, die entsprechenden Rekultivierungsmaßnahmen, vor allen Dingen aber der Ersatz der Arbeitsplätze für die Menschen, die jetzt in diesem Prozess aus ihrem angestammten Arbeitsverhältnis ausscheiden. Für diese Menschen müssen wir Perspektiven schaffen.
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Die Zeit der Diskussionen, die berechtigterweise und auch intensiv geführt worden sind, ist hier und heute vorbei. Jetzt muss die Tinte unter diesen Vertrag gesetzt werden und trocknen, damit die Planungs- und Umsetzungsarbeiten für die richtigen und wichtigen Schritte des Braunkohleausstiegs in Ruhe durchgeführt werden können.
Wir sind im Revier von diesem Prozess überzeugt. Wir alle werden konstruktiv und technisch orientiert an diesem Prozess mitarbeiten. Aber wir sind auch davon überzeugt, dass dieser Erfolg nur gemeinsam und mit einem konkreten Plan gelingen wird.
Herzlichen Dank und Glück auf!
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Herr Kollege Kippels, nachdem Sie zwei Kollegen, nämlich die Kollegen Gösta Beutin und Krischer, angesprochen, aber keine Zwischenfrage zugelassen haben, gestatte ich jetzt beiden eine Kurzintervention. Es beginnt der Kollege Gösta Beutin.
Sehr geehrter Herr Dr. Kippels, Sie haben mich ja direkt angesprochen. Natürlich haben wir uns in der Region auch neu entstandene Dörfer angeschaut, in denen Menschen unterbracht wurden, die vertrieben und enteignet worden sind.
Dazu darf Ihnen etwas erzählen. Ich empfehle Ihnen beispielsweise, sich einmal das Theaterstück „Verschwindende Orte“ anzuhören, das es jetzt beim WDR auch als Hörspiel gibt. Dort kommen die von Enteignung und Vertreibung Betroffenen tatsächlich zu Wort. Die werden Ihnen erzählen, wie es ist, wenn man in eine neue Siedlung kommt: Dann sind das nicht mehr die gleichen Bäume, sondern die sind vielleicht gerade neu gepflanzt worden. Man hat nicht mehr seinen Garten, und man hat auch nicht mehr das Haus, das man sich selbst gestaltet hatte.
Das ist die Problematik. Sie sagen, das sei sozialverträglich, aber ich sage Ihnen: Das sind Umsiedlungen; das sind Enteignungen und Vertreibungen, die ohne Not stattfinden, und die nicht notwendig wären. Sie wären auch laut dem Gutachten, das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde, nicht notwendig. Das heißt, man könnte diesen Kohleausstieg hinbekommen, ohne noch ein einziges Dorf abzubaggern.
Lassen Sie also den Menschen ihre Heimat. Diese Vertreibungen sind unnötig!
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Machen wir gleich die zweite Kurzintervention. – Herr Kollege Krischer.
Herr Dr. Kippels, Sie haben großen Wert darauf gelegt, dass Sie aus dem Rheinischen Revier kommen, dass Sie sich da auskennen und dass Sie angeblich wissen, wie die Menschen da ticken. Ich will Ihnen das gar nicht absprechen, aber vielleicht nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass sich auch andere Menschen dort sehr gut auskennen. Ich lebe da seit 51 Jahren; das ist erschütternd lange.
Ich finde es, ehrlich gesagt, in Ihrer Wahrnehmung ein bisschen daneben, dass die Einzigen, zu denen Sie sich in einer solchen Rede äußern, die Betroffenen sind, die in Kraftwerksblöcken und Tagebauen arbeiten. Es ist nicht in Ordnung, dass Sie die Umsiedlungen und das, was die Menschen dort über Jahrzehnte hinweg mitmachen mussten – all diese Schicksale –, auch noch als schön darstellen und sagen: Gucken Sie sich mal an, wie toll das gelaufen ist!
Das finde ich deshalb so besonders schlimm, weil es ein Gutachten vom Wirtschaftsministerium gibt, das nicht die Grünen, Greenpeace oder sonst wer in Auftrag gegeben haben, sondern der Mann, der da hinten sitzt: Peter Altmaier. Da kommt raus, dass fünf Dörfer im Rheinischen Revier – das ist Berverath, das sind Unterwestrich und Oberwestrich, das ist Keyenberg, und das ist Lützerath – nicht umgesiedelt werden müssten.
Sie tun das, obwohl es nicht notwendig ist. Sie tun das aus einem einzigen Grund, und das ist auch der Grund, weshalb Sie diesen Vertrag hier machen: weil Sie Geld in die Kassen von RWE schaufeln. Für Sie – und so habe ich auch Ihre Rede verstanden – ist es wichtiger, dass RWE profitiert, als dass die Region, das Klima und die Menschen profitieren.
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Das finde ich, ehrlich gesagt, nicht Ordnung für jemanden wie Sie, der das schon jahrzehntelang kennt und weiß, wie das im Rheinischen Braunkohlerevier läuft.
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Herr Kollege Kippels.
Herr Kollege Beutin, Herr Kollege Krischer, ich will es ganz kurz machen: Ich glaube, wir sollten an dieser Stelle nicht unbedingt die Lebenszeit aufwiegen, in der Sie oder ich in dieser Region gelebt haben.
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Aber Sie können versichert sein, dass in diesem Prozess der Umsiedlung im Laufe der Zeit eine ganz entscheidende Veränderung eingetreten ist. Wir sind jetzt im Endstadium dieses in der Tat dem Ende zugeführten Prozesses, und ich habe eben ausdrücklichen Wert darauf gelegt, dass wir diesen Prozess planungssicher und adäquat zu Ende bringen müssen. Wenn Sie sich diese Örtlichkeiten anschauen, dann stellen Sie fest, dass die Umsiedlung an diesen Orten schon in einem wesentlichen Umfang fortgeschritten ist und Veränderung stattgefunden hat.
Zu einer ordentlichen Umsiedlung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gehört für mich auch die Möglichkeit, eine Ortsgemeinschaft zu gestalten und umzulagern, was im gemeinsamen Miteinander durch entsprechende Umsiedlungsräte zum Beispiel in Manheim vor wenigen Jahren erfolgreich gelungen ist. Soziale Gemeinschaften sind dort umgesiedelt worden, weil man gemeinsam daran gearbeitet hat, und dieser Gemeinschaftsgeist ist auch ein Aspekt, der in diesem ganzen Prozess eine Rolle spielt.
Es geht keinesfalls darum, in die Kassen der Unternehmen in irgendeiner Form Kapital einzuschaufeln,
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sondern es geht darum, dass die wirtschaftliche Grundlage für die weiteren Aufgaben gelegt wird, weil auch ein Tagebau in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in einen Zustand versetzt werden muss, der sämtlichen Bewohnern dieser Region adäquate Lebens- und Erholungsbedingungen ermöglicht.
Das gelingt; das erfordert aber Geld, und das hätte durch die entsprechenden Laufzeiten erwirtschaftet und refinanziert werden können. Das wird immer ausgeblendet, und deshalb ist dieses Bild, das Sie auch durch die Bezugnahme auf das Gutachten zeichnen wollen, schlicht und ergreifend unvollständig.
Vielen Dank.
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Die Aussprache ist beendet.