Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht ist dieser Haushalt ja tatsächlich der letzte, den eine von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, geführte Bundesregierung vorlegt. Dem Land und seinen Bürgern wäre das zu wünschen. Die Frage ist nur: Wie viel Unheil wollen Sie in Ihrer verbleibenden Amtszeit noch anrichten?
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Die katastrophale Bilanz dieses Coronajahres, Ihr planloser und grotesker Umgang mit der Herausforderung durch das SARS-CoV-2-Virus, lässt nichts Gutes ahnen. Eine verlogene Lockdown-Politik hat das kürzlich Ihr Parteifreund, der Staatsrechtler und Verteidigungsminister a. D. Professor Rupert Scholz genannt, einer jener vernünftigen und qualifizierten Köpfe, die in der von Ihnen dominierten Partei keine Chance mehr haben.
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Auch nach einem Dreivierteljahr stochern Sie immer noch im Nebel und klammern sich an die untaugliche Holzhammermethode Lockdown, die mehr Kollateralschäden anrichtet, als Nutzen im Kampf gegen das Coronavirus zu bringen.
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Ihr bayerischer Adlatus, Markus Söder, greift noch tiefer in die Trickkiste autoritärer Herrschaft und wirft sogar mit Ausgangssperren um sich. Statt das Gebotene zu tun und gezielt die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu schützen, sperren Sie die Bürger ein, vernichten Existenzen, treiben ganze Branchen in den Ruin und versuchen, bis an den Wohnzimmertisch in das Privatleben der Bürger hineinzuregieren.
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So kann es nicht weitergehen.
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Der Staat kann auch nicht unbegrenzt Betriebe, die faktisch mit Berufsverbot belegt wurden, auf Kosten der Steuerzahler entschädigen. Das sagen Sie ja sogar selbst.
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Dann ziehen Sie aber auch die Konsequenzen und beenden die kontraproduktive Lockdown-Politik. Alles andere ist – in den Worten von Rupert Scholz – verlogen.
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Die zur Untätigkeit verurteilten und vom Ruin bedrohten Gewerbetreibenden durften jetzt erst erfahren, dass die großartig versprochenen Novemberhilfen wohl erst irgendwann im Januar kommen, weil noch ein Softwaretool fehlt. So viel zur Digitalisierung, die Sie seit Jahr und Tag im Munde führen, ohne dass sich etwas tut. Schnell sind Sie mit Milliardenhilfen nur bei großen Konzernen, die Sie im Gegenzug sukzessive unter Staatskontrolle bringen.
Alle paar Wochen maßt sich Ihre von der Verfassung nicht vorgesehene Kungelrunde mit den Ministerpräsidenten an, neue widersprüchliche und übergriffige Maßnahmen zu verhängen. Obendrauf haben Sie sich noch mit einem fragwürdigen, euphemistisch als Bevölkerungsschutzgesetz ausgegebenen Konstrukt einen Blankoscheck ausstellen lassen, um das Parlament zu umgehen. Das haben Sie übrigens – anders als die Auszahlung der Novemberhilfen – an nur einem Tag über die Bühne und durch alle Instanzen gebracht.
Bürger, die gegen Ihre Maßnahmenpolitik protestieren, werden als Extremisten diffamiert, mit dem Verfassungsschutz bedroht und mit Wasserwerfern und Polizeigewalt auseinandergetrieben. Sie sind es, Frau Bundeskanzlerin, die dieses Land und diese Gesellschaft spalten.
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Gelenkte Wirtschaft und Demokratie, ein verarmter Mittelstand aus hinters Licht geführten Selbstständigen und Gewerbetreibenden, eingeschüchterte Bürger – das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Am Horizont ziehen Massenarbeitslosigkeit und bislang nicht gekannte Pleitewellen auf. Dazu kommt ein abnorm hoher Schuldenberg. Für die vermeintlichen Geschenke, die Sie im kommenden Wahljahr verteilen wollen, werden künftige Generationen noch lange zu zahlen haben. Diese Bilanz allein dürfte schon reichen, um Ihre Kanzlerschaft als katastrophal in die Geschichte eingehen zu lassen; aber das ist nur der Gipfel.
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Die schwersten Grundrechtseingriffe seit Bestehen der deutschen Nachkriegsdemokratie, die Sie zu verantworten haben, reihen sich nahtlos an die drei fundamentalen Rechtsbrüche, die auf immer mit Ihren Regierungsjahren verbunden bleiben werden: Erstens: die Transformation der Währungsunion in eine Haftungs- und Schuldenunion. Zweitens: die Industrialisierungs- und Wohlstandsvernichtung durch Energiewende, Autowende, Kohle- und Atomausstieg. Drittens: die unkontrollierte Einwanderung unter Missbrauch des Asylrechts.
Nach 15 Merkel-Jahren ist Deutschland ein Land, das seine Grenzen nicht gegen illegale Einwanderung schützen will, aber seine Bürger mit Ausgangssperren überzieht und Heerscharen von Polizisten zur Kontrolle der Maskenpflicht im Zugverkehr abkommandiert.
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Also bitte, in den 15 Jahren Ihrer Kanzlerschaft haben Sie verspielt, was Ihnen Ihre Amtsvorgänger an Reformkapital hinterlassen haben.
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Die Fehler der Vorgängerregierungen haben Sie nicht korrigiert, sondern verschlimmert. Das Deutschland, das Sie hinterlassen, ist tief gespalten, in seinen Grundlagen erschüttert und weit nach links abgedriftet.
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Aus einem leidlich sicheren Land mit funktionierender Wirtschaft und stabiler Energieversorgung ist ein Land des Misstrauens geworden, in dem die Straßen nicht mehr sicher sind und importierte Kriminalität und islamistischer Terror
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zu alltäglichen Bedrohungen geworden sind. Es ist ein Land der Widersprüche geworden.
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Die Bundeswehr ist unter Ihrer Regierung zwar gendersensibel geworden, ist aber kaum noch einsatzfähig. Dafür sehen Polizisten immer häufiger wie Soldaten aus. Wenn aber in Berlin oder Essen ein Clankrieg ausbricht, sind die Beamten zum Zuschauen verdonnert, bis ein muslimischer Friedensrichter aus der migrantischen Paralleljustiz den Streit geschlichtet hat.
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Unsere Nachbarländer ergreifen im Krieg gegen den islamistischen Terror die Initiative. In Deutschland wird mit Phrasen beschwichtigt und lieber noch eine Milliarde für den Kampf gegen rechts ausgegeben. Frauen trauen sich nachts nicht mehr auf die Straße,
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aber die Regierung regelt akribisch, wer wen zu Weihnachten besuchen darf und wer nicht.
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Die industrielle Basis bröckelt. Hunderttausende Arbeitsplätze sind schon weggefallen oder ins Ausland verlagert.
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Industriefeindliche Politik ist die Ursache. Die Coronakrise hat diese Entwicklung beschleunigt und verschärft.
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Tatenlos nimmt diese Regierung hin, dass absurde EU-Grenzwerte der deutschen Automobilindustrie den Garaus machen. Ergebnis jahrelanger Autohasserpolitik: Die Premiumhersteller BMW und Daimler verlegen den Bau von Verbrennungsmotoren wohin? Ins Ausland. Hochtechnologie, in Deutschland erfunden und perfektioniert, wandert ab. Zulieferer und gut bezahlte Jobs werden folgen. Elektromobilität, die auch durch noch so horrende Subventionen auf absehbare Zeit nicht wettbewerbsfähig wird, ist dafür kein Ersatz und wird es auch nie sein.
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Im Namen der Klimaschutzhysterie schließen in Deutschland modernste Kohlekraftwerke und sichere Atommeiler. Dafür wird dann Kohle- und Atomstrom aus dem Ausland importiert, wenn in den Windradwäldern, die unsere Landschaft verschandeln und Raubvögel erschlagen, wieder mal Flaute herrscht.
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Die bislang absurdeste Idee kommt von Rot-Grün in Hamburg: Buschholz aus Namibia importieren, um es in Deutschland zu verfeuern. Das ist Olaf Scholz’ Home Turf. Was haben wir anderes zu erwarten?
Bürger und Unternehmen zahlen für diese wirtschaftspolitische Kakofonie mit den höchsten Energiepreisen, Steuer- und Abgabenlasten aller Industrieländer. Obwohl die Deutschen beim Privatvermögen und Rentenniveau weit hinter den meisten Euro-Ländern zurückliegen, dürfen sie demnächst für weitere Milliardentransfers in die südlichen Krisenstaaten zahlen. Hinter dem Vorhang der Coronakrise haben Sie nämlich auch das Verbot der Vergemeinschaftung von Staatsschulden weiter aufgebrochen. Die Eurobonds heißen jetzt Coronawiederaufbaufonds.
In diesen Tagen entscheidet sich, ob Großbritannien die EU mit oder ohne Brexit-Vertrag verlässt. Den Ausschlag für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gab der Kontrollverlust in der bis heute ungelösten Migrationskrise, mit dem Sie einen tiefen Keil zwischen die Europäer getrieben haben. Die Briten haben das nicht vergessen.
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Während diese Regierung die Grundlagen unseres Wohlstands unterminiert, brummt in China schon wieder die Wirtschaft, gehen chinesische Staatsfonds auf Einkaufstour im gebeutelten deutschen Mittelstand, schafft Peking die größte Freihandelszone der Welt. In Deutschland beschäftigen wir uns derweil lieber mit der Frauenquote in Unternehmensvorständen.
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– Da höre ich schon: „Richtig!“ – Radikal linke Ideologien wie Gendermainstreaming oder der kommunistische Kampfbegriff „Antifaschismus“ sind in den Mainstream gerückt,
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während Konformismus und Gesinnungsdruck, sozialistischer Irrglaube und planwirtschaftlicher Wahn eine absurde Wiederauferstehung erleben. Auch das gehört zur fatalen Bilanz Ihrer Regierungszeit.
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In der Tat: Frau Merkel, Sie sind die beste Kanzlerin, die Grüne und Linke je hatten. Die Begeisterung, die man Ihnen von dort entgegenbringt, ist der beste Beleg.
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Es schmerzt mich, was aus diesem Land geworden ist,
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und wir sind angetreten, um diese Schieflage zu korrigieren. Wir wollen erreichen, dass Recht, Gesetz und Verfassung überall und unbedingt gelten und nicht nach Belieben zurechtgebogen und ignoriert werden,
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dass Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger im Mittelpunkt der Politik stehen und nicht Bevormundung in immer weitere Lebensbereiche. Unser Ziel ist, dass Staat und Verwaltung sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, das heißt die Gewährleistung des rechtlichen und ordnungspolitischen Rahmens und die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit und nicht die ständige und übergriffige Einmischung in das Privatleben und die wirtschaftlichen Entscheidungen der Bürger.
Frau Merkel, kommen Sie heraus aus Ihrem geistigen Wandlitz! Blicken Sie über den Tellerrand Ihres Kanzleramts, das Sie in schwersten Krisenzeiten für 600 Millionen Euro vergrößern wollen, und schauen Sie sich an, wie es wirklich aussieht in diesem Land!
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Hören Sie damit auf, sich in Ihrer Filterblase aus politischen Jasagern und medialen Schmeichlern das eigene Versagen schönzureden und sich für Ihre Irrtümer auch noch feiern zu lassen! „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, hat Ingeborg Bachmann einmal treffend gesagt.
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Zur Wahrheit gehört aber auch: Dieses Land kann Sie und Ihre Politik nicht mehr lange aushalten.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 500 Milliarden Euro umfasst der Bundeshaushalt 2021, über den wir ja seit gestern sprechen. Nach einer Neuverschuldung im Jahre 2020 von 218 Milliarden Euro haben wir 2021 neue Schulden in Höhe von fast 180 Milliarden Euro veranschlagt.
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Eine Entscheidung über die Aufnahme von Schulden in dieser Größenordnung ist alles andere als leicht. Das fühlt und spürt jeder hier.
Wir hatten viele Jahre, in denen wir nicht mehr über neue Schulden sprechen mussten, sondern einen ausgeglichenen Haushalt hatten. Wir müssen uns auch immer wieder vergegenwärtigen, was öffentliche Schulden bedeuten. Es bedeutet natürlich die Belastung künftiger Haushalte, es bedeutet die Notwendigkeit, das zurückzuzahlen, und es bedeutet Einschränkungen für künftige Ausgaben und für künftige Generationen.
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Aber – das ist das, was für uns wichtig ist, und ich bin sehr dankbar, dass die Mehrheit dieses Hauses das genauso sieht –: Wir leben in einer Pandemie. Wir leben damit in einer Ausnahmesituation. Wir leben mit einer Herausforderung, wie sie die Bundesrepublik Deutschland noch nicht in dieser Art gekannt hat. Wir müssen etwas dafür tun, dass wir in dieser besonderen Situation auch besonders handeln, und das drückt dieser Haushalt aus.
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Was leitet uns dabei? Uns leitet dabei, dass Deutschland ein starkes Land ist, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, ein wichtiger Partner in der Europäischen Union, der NATO, bei den Vereinten Nationen, ein weltweit anerkanntes, freies, offenes, demokratisches Land und ein Land mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und einer starken Zivilgesellschaft.
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Diese Stärke – das ist das, was uns leitet in diesem Haushalt – wollen wir auch in dieser Ausnahmesituation erhalten und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir nach Überwindung der Pandemie da wieder anknüpfen und diese Rolle auch weiterspielen können. Das ist das, was uns leitet.
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Es macht ja niemand für uns. Dass wir das früher waren und heute sind, das reicht ja nicht aus, sondern wir müssen dafür arbeiten, dass das auch für die Zukunft gesichert ist. Ich habe es schon mehrfach hier gesagt: Diese Pandemie ist ja etwas, was die Kräfteverhältnisse auf der Welt durchaus erst einmal ökonomisch, aber vielleicht auch gesellschaftspolitisch neu ordnet. Das heißt, wir müssen schauen, wie wir eingebettet sind in die globalen Zusammenhänge.
Wenn wir uns die Wirtschaftsprognosen des Internationalen Währungsfonds anschauen, dann sehen wir, dass viele Länder sehr, sehr starke Wirtschaftseinbrüche haben, schon nach den heutigen Prognosen, die sich ja immer wieder ändern können. Darunter sind auch viele europäische Länder – Italien, Frankreich, Großbritannien –, die alle einen Wirtschaftseinbruch von circa minus 10 Prozent für dieses Jahr verzeichnen. Dann gibt es eine Mittelgruppe – USA, Deutschland gehört im Augenblick laut Prognosen dazu, Australien –, die bei einem Wirtschaftseinbruch von minus 4 bis minus 6 Prozent liegt. Und dann gibt es Länder wie zum Beispiel China, die aus diesen Jahren mit einem Plus von 1,9 Prozent herauskommen werden,
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und zwar im Kampf gegen das gleiche Virus.
Das heißt: Wir müssen also alles tun, damit der Weg der Erholung, auf den wir im dritten Quartal nach einem massiven Einbruch im zweiten Quartal gekommen sind, auch fortgesetzt werden kann, und wir müssen alles dafür tun, dass die Prognosen, die besagen, dass wir 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreichen können, auch wirklich Realität werden.
Was wir immer wieder beachten müssen, ist, dass sich weltweit zeigt: Die Wirtschaft ist genau dort vor allem widerstandsfähig, wo die Pandemie unter Kontrolle ist. Es geht eben nicht um Kampf für die Gesundheit gegen Kampf für Wirtschaft und Bildung und Kultur und anderes, sondern beides miteinander in Einklang zu bringen, das ist die komplizierte Aufgabe, die wir täglich neu austarieren müssen. Wir wissen zwar immer mehr über das Virus; aber wir wissen nicht alles, zum Beispiel natürlich auch nicht, wie wir jetzt im Winter reagieren müssen.
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Das heißt also: Wir müssen sehen, dass Deutschland zu denjenigen Ländern zählt, die diese Zeit erfolgreich bewältigen, und ich bin der Meinung, der Bundeshaushalt schafft damit die richtigen Voraussetzungen.
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Danke auch an die Haushälter, die ja diesmal irgendwie etwas mehr zu tun hatten, um die Regierungsvorlage in ein Gesetzeswerk zu bringen, als das in normalen Zeiten der Fall ist. Deshalb ein ganz besonderer Dank!
Wir haben die Aufgabe, die Folgen der Pandemie abzufedern und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt so gut wie möglich zu sichern. Und wir müssen belastbare Grundlagen schaffen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der Zukunft.
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Deshalb haben wir auch Rekordinvestitionen in den Haushalten 2020 und 2021. Ich habe sehr wohl gestern in der Debatte gehört, dass man sagt: Regierung, jetzt habt ihr Geld; nun gebt es aber bitte auch aus. – Das nehmen wir sehr ernst. Ich sage ganz offen: An manchen Stellen müssen wir sicherlich auch etwas schneller handeln,
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auch manchmal in den Absprachen mit den Ländern schneller handeln. Das Geld ist da, und jetzt muss es eingesetzt werden. Denn von der Planung im Haushalt allein entsteht noch kein Wirtschaftswachstum, sondern nur, wenn das Geld auch fließt.
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Aber wir investieren klug in die Zukunft. So ist es zum Beispiel richtig, dass wir 750 Millionen Euro für Impfstoffforschung und ‑entwicklung ausgeben. Wir können ja auch alle miteinander stolz sein, dass wir zwei Firmen in Deutschland haben, und zwar BioNTech, die jetzt schon mit Pfizer zusammen in der Zulassungsphase sind, und CureVac, die auf der gleichen Basis einen Impfstoff entwickeln. Wir geben 9 Milliarden Euro in den nächsten Jahren für eine Nationale Wasserstoffstrategie aus, 2 Milliarden Euro für künstliche Intelligenz, 2 Milliarden Euro für Quantentechnologie, 2 Milliarden Euro für die zukünftigen Kommunikationstechnologien 5 G und 6 G.
Aber das Geld muss eingesetzt werden und dahin kommen, wo es gebraucht wird.
Deutsche Unternehmen sollen im internationalen Wettbewerb mithalten können. Aber mir ist natürlich bewusst, dass viele Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Coronasituation tiefe Einschnitte hinnehmen müssen. Da denke ich natürlich wie viele andere hier auch als Allererstes daran, wie viele Menschen das in ihrer persönlichen Lebensgestaltung betrifft.
Wir hatten im November 2020 2,7 Millionen Arbeitslose. Das sind 519 000 mehr als im November 2019: Das sind 519 000 Familien, die heute Sorge haben, riesige Sorge haben. Andere haben Sorge um ihren Arbeitsplatz. Deshalb war es natürlich als Erstes richtig, das Kurzarbeitergeld einzusetzen.
Dieses Kurzarbeitergeld ist für sehr viele eine Brücke. Gerade nach den Einschränkungen, die wir jetzt im November und Dezember vornehmen müssen, haben wir wieder 537 000 neue Anmeldungen allein im November gehabt. Das zeigt: Diese Brücke funktioniert, und sie muss deshalb auch fortgesetzt werden. Dafür haben wir ja die richtigen Rahmenentscheidungen getroffen.
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Es geht darum, den Betroffenen schnell zu helfen; auch darüber ist gesprochen worden. Das ist natürlich eine gigantische Summe von Anträgen, die behandelt werden müssen. Vielen geht es zu langsam, aber ich weiß, dass hier die Regierung sehr hart arbeitet. Ich bin sehr froh, dass die Abschlagszahlungen jetzt auf 50 000 Euro erhöht werden konnten, sodass die Hilfe da besser ankommt.
Meine Damen und Herren, es waren schwere und schmerzhafte Entscheidungen, die wir bis hierher mit den Einschränkungen im November schon treffen mussten und die wir dann am 2. Dezember noch einmal verlängert haben, aber sie waren absolut notwendig. Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass wir die deutsche Stärke nicht nur im wirtschaftlichen Bereich erhalten. Es geht nicht nur um ökonomische Daten, sondern es geht eben auch um einen weltweiten Systemwettbewerb, den wir ja spüren, um unterschiedliche politische und gesellschaftliche Systeme. Unser Handeln ist anders als das Handeln in Ländern, die stärker einer Diktatur gleichen; das ist vollkommen klar.
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Deshalb wird die Wahrnehmung von uns natürlich auch durch die Frage bestimmt: Wie seid ihr denn durch diese schwierigen Monate gekommen? – Wir werden anerkannt als freiheitliche Demokratie mit offener und stark individualisierter Gesellschaft; darauf sind wir stolz.
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Der wichtigste Schlüssel, den wir haben, sind nicht die Verbote und Schließungen und Kontrollen; diese müssen an vielen Stellen sein. Der wichtigste Schlüssel zur erfolgreichen Bekämpfung des Virus bei uns ist das verantwortliche Verhalten jedes Einzelnen und die Bereitschaft zum Mitmachen.
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Wir wissen, dass wir verbindliche Regeln brauchen. Wir wissen auch, dass sich nicht alle daran halten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die große Mehrheit der Bevölkerung hat gezeigt, dass sie bereit ist, Rücksicht zu nehmen, eigene Interessen zurückzustellen, mitzuziehen. Ich bin davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Bevölkerung dazu auch weiter bereit ist, weil sie die Dinge so sieht, dass wir hier mit einer außergewöhnlichen Situation konfrontiert werden. Dafür bin ich von Herzen dankbar, und das sollten wir alle miteinander sein.
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Aber dieser Dank darf natürlich keine Sonntagsrede sein; im Gegenzug erwarten die Bürgerinnen und Bürger, dass wir ihre Sorgen und ihre Bedürfnisse in der Gemeinschaft auch ernst nehmen.
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Das heißt ganz konkret: Wir müssen jetzt bei der Verabschiedung dieses Bundeshaushalts an möglichst viele Gruppen in der Gesellschaft denken, die alle Einschnitte und Rückschritte im Zusammenhang mit dieser Pandemie hinnehmen müssen.
Lassen Sie mich mit den Älteren beginnen. Meine Damen und Herren, wir alle haben den Älteren und den ganz Alten in unserem Land viel zu verdanken. Die Pandemie macht das Leben in Heimen und Einrichtungen einsamer – wir haben oft darüber gesprochen –, und die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sind noch belastender, als man sich das eigentlich wünschen würde. Wir haben 800 000 Menschen in Deutschland, die in Pflegeeinrichtungen leben. Aber wir haben auch Millionen Menschen, die ambulante Pflege in Anspruch nehmen oder durch Familienangehörige gepflegt werden; auch an die sollten wir denken.
Ich habe vor drei Wochen Gespräche mit Pflegebedürftigen und Pflegekräften geführt. Und ich habe gespürt, unter welch unglaublichem Druck gerade die Pflegekräfte, aber auch die zu Pflegenden stehen. Die Zahl der Infektionen in den Alters- und Pflegeheimen nimmt besorgniserregend zu. Deshalb müssen wir alles tun: Wir haben dafür auch Vorsorge mit Schnelltests getroffen, die leider oft nicht so schnell zur Verfügung stehen, wie wir uns das wünschen würden, und mit besserer Ausstattung der Pflegeheime.
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Aber wir haben hier eine noch wirklich große Aufgabe vor uns.
Der Hoffnungsschimmer, den wir alle haben, ist, dass die zügige Impfung von Risikogruppen jetzt Anfang des Jahres auch beginnen wird. Ich will an der Stelle allerdings sagen: Wir sollten hier an die Dinge sehr realistisch herangehen. Wir werden im ersten Quartal 2021 – das ist das Winterquartal – noch nicht so viele Impfungen durchführen können, dass wir sozusagen eine signifikante Veränderung in der Bevölkerung sehen werden.
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Aber wir haben die Chance, gerade Hochbetagte zu impfen, Pflegekräfte zu impfen und damit da, wo im Augenblick die meisten Todesfälle auftreten, wirklich schon einen Effekt zu erreichen. Damit wäre schon mal viel gewonnen. Ich bin den Ländern für die Vorbereitung der Impfzentren und die vorbereitenden Arbeiten sehr dankbar und natürlich auch dem Bundesgesundheitsminister.
Meine Damen und Herren, neben den Älteren müssen wir natürlich auch auf die Jüngeren achten. Wir haben als Lehre aus dem Frühjahr gesagt: Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um Kitas und Schulen offen zu halten.
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Wir werden alles tun, um Kitas und Schulen offen zu halten. Allerdings gehört in den Wintermonaten auch das Lüften dazu.
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Das ist einfach so, weil wir besondere Bedingungen haben.
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Die Pandemie hat manche Defizite offengelegt, an deren Überwindung wir jetzt arbeiten; ich denke an die Digitalisierung. Auch da ist es so: Von der Entscheidung, dass zum Beispiel jeder Lehrer einen Laptop bekommt, bis zu der Umsetzung, dass jeder Lehrer einen Laptop in der Hand hält, dauert es in Deutschland immer Monate. Wir können an allen Stellen schneller werden, aber genügend Geld ist da.
Wir werden das nächste Jahr zu einer Bildungsoffensive im digitalen Bereich nutzen. Wir werden mit den Ländern Kompetenzzentren für digitale Bildung entwickeln. Wir werden eine digitale Bildungsplattform schaffen, und zwar nicht nur für Schulen, sondern auch für Berufsschulen und für andere Bildungsbereiche.
Meine Damen und Herren, wir müssen auf die Familien achten. Die Familien stehen unter einem besonderen Stress und einer besonderen Herausforderung in diesen Zeiten. Da war es absolut richtig, dass wir den Anspruch auf jeweils 15 Kinderkrankentage pro Kind pro Jahr für jedes Elternteil beschlossen haben und für Alleinerziehende 30 Tage. Jeder ahnt, was jetzt in den Familien los ist, wenn man morgens nicht weiß: Hat das Kind Schnupfen? Kann es in die Schule gehen? Was ist in der Schule los? Was wartet auf uns?
Diesen Stress, der jetzt gerade in der kalten Jahreszeit da ist, müssen wir uns wirklich immer wieder vor Augen halten. Aber ich glaube, wir haben für Familien vieles getan, was sich in diesem Haushalt auch widerspiegelt: Wir werden das Kindergeld erhöhen. Wir werden den Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende verdoppeln. Der Solidaritätszuschlag fällt ab 1. Januar weg. Das sind Spielräume für Familien, die absolut wichtig sind. Und deshalb ist dieser Schwerpunkt im Haushalt von großer Bedeutung.
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Meine Damen und Herren, die Pandemie ist ja nichts, was sich auf Deutschland beschränkt, sondern wir sind als Mitglied in der Europäischen Union in die Gesamtherausforderung eingebettet. Deutschlands Stärke ist ja gerade auch die Verankerung in starken europäischen und internationalen Partnerschaften. Deshalb hat uns das natürlich auch in unserer EU-Ratspräsidentschaft beschäftigt. Wir alle hatten uns diese Ratspräsidentschaft wirklich anders vorgestellt. Vieles konnte dabei nicht umgesetzt werden; das ist schade.
Das bestimmende Thema war natürlich die Pandemie. Deshalb kann ich sagen, dass wir hier in den letzten Monaten besser geworden sind, was die Koordinierung anbelangt: Wir haben jetzt mehrere Videoschalten mit allen Staats- und Regierungschefs gehabt, wo wir uns immer wieder koordiniert haben.
Ich will nur daran erinnern, dass unsere Betrachtung der Zahl der Inzidenzen, zum Beispiel mit 50 als Zielmarke, inzwischen in Europa weitestgehend akzeptiert wird, auch von der ECDC, der Europäischen Gesundheitsbehörde, dass wir mehr Harmonisierung, wenn auch noch keine vollständige, bei Quarantäneregelungen haben, dass es uns jetzt in der zweiten Welle weitestgehend gelungen ist, den freien Warenverkehr doch aufrechtzuerhalten. Das hat uns ja in der ersten Welle der Epidemie sehr geschadet.
Es ist eine gute Sache, dass zusammen mit den Mitgliedstaaten die Europäische Kommission auch die Impfstoffe beschafft hat. Für uns ist manchmal gar nicht so ersichtlich, dass das so wichtig ist. Aber für die vielen kleineren europäischen Länder ist es ganz, ganz wichtig, dass wir nicht 27-mal die Vertragsverhandlungen mit jedem Impfstoffhersteller führen, sondern dass wir hier zu einer fairen Verteilung kommen, dass wir bereits mit sechs Partnern, mit sechs Unternehmen solche Verträge abgeschlossen haben und dass auch keine Neiddiskussion zumindest innerhalb der Europäischen Union aufkommen wird bezüglich der Verfügbarkeit dieser Impfstoffe.
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Meine Damen und Herren, morgen wird der Europäische Rat stattfinden. Ich würde Ihnen gerne mehr erzählen, was wir auf diesem Europäischen Rat am Ende, am Freitag, herausbekommen werden. Aber fast alles ist noch im Fluss. Wir werden natürlich über die Frage des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union und die vertraglichen Grundlagen sprechen. Der britische Premierminister wird heute Abend bei der Kommissionspräsidentin sein. Die Kommission führt für uns die Verhandlungen. Wir haben da volles Vertrauen. Es gibt nach wie vor die Chance eines Abkommens. Ich glaube nicht, dass wir schon morgen wissen, ob das gelingt oder nicht; das kann ich jedenfalls nicht versprechen. Wir arbeiten jedenfalls weiter daran. Aber wir sind auch vorbereitet auf Bedingungen, die wir nicht akzeptieren können, also wenn es Bedingungen von britischer Seite, die wir nicht akzeptieren können, gibt, einen Weg ohne Austrittsabkommen zu gehen. Eines ist klar: Die Integrität des Binnenmarktes muss gewahrt werden können.
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Da gibt es eine Reihe komplizierter Fragen, die vor allen Dingen darin bestehen, wie man die Dynamik behandelt. Wir starten jetzt von einem mehr oder weniger gleichen, harmonisierten Rechtssystem. Aber über die Jahre werden sich die Rechtssysteme natürlich überall – im Umweltrecht, im Arbeitsrecht, im Gesundheitsrecht – auseinanderentwickeln. Wie reagiert die jeweils andere Seite darauf, wenn sich die Rechtssituation – entweder in der Europäischen Union oder in Großbritannien – ändert? Wir können nicht einfach sagen: „Darüber sprechen wir nicht“, sondern wir müssen ein Level Playing Field nicht nur für heute haben, sondern auch für morgen und übermorgen. Dafür muss man Absprachen treffen, die festlegen, wie wer reagieren kann, wenn der andere seine Rechtssituation verändert. Ansonsten kommt es zu unfairen Wettbewerbsbedingungen, die wir unseren Unternehmen nicht zumuten können. Das ist die große, schwierige Frage, die noch im Raum steht neben Fragen der Fischquoten und Ähnlichem. Aber die Frage des fairen Wettbewerbs in sich auseinanderentwickelnden Rechtssystemen ist die eigentlich große Frage, auf die wir befriedigende Antworten brauchen.
Wir werden beim Europäischen Rat über die Beziehung der Europäischen Union zur Türkei sprechen. Leider ist das Angebot, das wir zu Beginn unserer Präsidentschaft sehr intensiv gemacht haben, mit der Türkei in einen intensiven Dialog zu kommen, nicht in dem Maße aufgegriffen worden, wie ich mir das gewünscht hätte. Die Aktivitäten im südlichen Mittelmeer sind nach wie vor da. Zypern hat darunter besonders zu leiden. So werden wir darüber entscheiden müssen, wie wir weiter vorgehen.
Und da liegt natürlich die Aufgabe des europäischen Finanzrahmens und Aufbaufonds vor uns. Sie wissen, dass es hier schon im Juli schwierige Verhandlungen gab. Es war schon damals absehbar, dass die Geldsummen alleine nicht das Problem sind, sondern auch die Frage der Rechtsstaatlichkeit, der Konditionalität eine große Rolle spielt; sie hat uns schon im Juli sehr beschäftigt. Das Ganze musste jetzt in einem Rechtsakt umgesetzt werden. Ungarn und Polen haben daraufhin gesagt, dass sie dem so nicht zustimmen können. Wir suchen jetzt unter Beibehaltung des Rechtsstaatsmechanismus nach Lösungen, um diese Blockade aufzuheben. Auch da kann ich Ihnen leider noch nicht sagen, ob das gelingen wird oder nicht. Die deutsche Präsidentschaft arbeitet sehr eng zusammen mit dem Rat daran.
Das wiederum liegt als Problem vor einer anderen, eigentlich bestimmenden Frage für den morgigen Europäischen Rat, nämlich der Frage: Wie verpflichtet sich die Europäische Union zu ambitionierteren Klimazielen? Am Sonnabend findet eine außerordentliche UN-Konferenz statt. Eigentlich haben wir alle gesagt: „Wir wollen im Jahre 2020 unsere Ziele erhöhen“, und die Europäische Union steht hier unter Druck. Ich will nur daran erinnern: China hat gesagt, es werde 2060 CO2-frei sein und vor 2030 den Peak bei den CO2-Emissionen erreichen. Das sind sehr ambitionierte Vorhaben. Wir wissen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Wechsel der Administration wahrscheinlich wieder zurückkehren werden zum Pariser Abkommen. Das heißt, es lasten große Erwartungen auf Europa. Unser Ziel ist, hier mindestens 55 Prozent für alle Mitgliedstaaten zu vereinbaren. Die jeweiligen rechtlichen Regelungen werden ja dann erst 2021 erarbeitet. Ob uns das gelingt, hängt sehr stark auch davon ab, wie weit wir kommen bei den finanziellen Fragen.
Wir wissen leider schon jetzt mit Blick auf die Finanzen für den Haushalt 2021, dass wir nicht pünktlich starten können mit der mittelfristigen finanziellen Vorausschau und dass die Ausgangssituation, wenn wir keinen Haushalt haben, dann monatlich ein Zwölftel des vergangenen Haushaltes bedeutet, der aber geringer wird, weil Großbritannien ausgetreten ist. Das bedeutet für viele Programme, die auch hier in Deutschland eine große Rolle spielen, die Sozialprogramme, die Kohäsionsprogramme, dass erst einmal sehr große Unsicherheit sein wird. Deshalb müssen wir uns da auf eine schwierige Zeit einstellen.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit, international zusammenzuarbeiten, hat sich während der Pandemie ja noch einmal verstärkt; wir sehen das. Ein Beispiel, wo uns der Wert globaler Partnerschaften noch mal richtig vor Augen geführt wurde, sind sicherlich die Entwicklung wirksamer Impfstoffe und ihrer fairen Verteilung. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir in den G-20-Staaten schon im März vereinbaren konnten, dass wir eine globale Initiative für die faire Verteilung von Impfstoffen starten werden, den sogenannten ACT-Accelerator mit der Plattform Covax. Wir werden jetzt darauf achten, dass hier auch wirklich genügend Geld ist. Es ist noch nicht genügend Geld da. Deutschland hat sich allerdings stark beteiligt, damit eben Impfstoffe beschafft werden können, nicht nur für Europa, nicht nur für Großbritannien, nicht nur für die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern genauso für die Entwicklungsländer.
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Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben – das spüren wir alle – ganz besondere Wochen. Wir sind in einer entscheidenden, vielleicht in der entscheidenden Phase der Pandemiebekämpfung, und alle historischen Erfahrungen lehren, dass gerade die zweite Welle einer Pandemie weitaus anspruchsvoller ist als die erste. Sie lehren auch, dass eine solche zweite Welle sehr schmerzhaft sein kann. Deshalb denken wir auch an die Menschen, die Tag für Tag an oder mit dem Virus sterben. Wir denken an die, die zu dieser Stunde in den Krankenhäusern um ihr Leben kämpfen, an die, die alles für sie geben, die Ärzte und Pfleger. Und ich sage Ihnen ganz offen: Das kommt mir in diesen Tagen manchmal etwas zu kurz. Was sich da abspielt, was da geleistet wird, dafür ein herzliches Dankeschön!
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Daran sehen wir, dass die zweite Welle dieser Pandemie es in sich hat; das zeigen auch die historischen Erfahrungen, und es ist jetzt nicht anders, als es früher war. Wir erleben dabei ja so etwas wie ein Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite, finde ich, können wir durchaus stolz darauf sein, wozu wir in den letzten zehn Monaten seit Beginn der Pandemie in der Lage waren, jeder und jede Einzelne von uns, aber auch wir als Gemeinschaft. Wir haben schon ein sehr großes Stück des Weges zurückgelegt. Wir hatten es am Anfang des Jahres mit einem ganz unbekannten Virus zu tun. Wir wissen heute sehr viel mehr über die Wege der Infektion, über die Möglichkeiten, sich zu schützen, über Symptome und Behandlungswege. Wir konnten zu Beginn des Jahres niemandem sagen, wie schnell es gelingen würde, einen Impfstoff zu entwickeln. Dass heute in Deutschland an vielen Orten Impfzentren errichtet werden – und zwar mit der begründeten Hoffnung, dass dafür auch ein Impfstoff da ist –, das ist etwas, was es in einer so kurzen Zeit in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat. Das müssen wir uns vor Augen führen.
Also: Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Warum ist das so? Das ist so, weil wir Menschen kreativ sind und weil wir einen unglaublichen Forschergeist haben, weil weltweit die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler uns gezeigt haben, was im Menschen steckt. Ich bin überzeugt: Wenn diese Pandemie überhaupt irgendetwas Gutes hat, dann zeigt sie uns, wozu wir Menschen imstande sind, wenn wir unser Herz in die Hand nehmen, wenn wir mit Ausdauer und Kreativität handeln und wenn wir über Grenzen hinweg zusammenarbeiten.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben von einem Wechselbad der Gefühle gesprochen. Das heißt, dass zu dem gesamten Bild auf der anderen Seite eben leider auch gehört, dass die seit dem 2. November geltenden Kontaktbeschränkungen zwar das dramatische, exponentielle Wachstum der Neuinfektionen in den letzten Wochen stoppen konnten, dass aber die Trendumkehr ausgeblieben ist. Die Fallzahlen liegen auf einem viel zu hohen Niveau, und ganz alarmierend ist, wie stark die Zahl der Menschen, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, und die Zahl der Menschen wachsen, die an dem Virus sterben. Ich will es uns noch mal vor Augen führen: Die erste Lesung dieses Haushalts begann am Dienstag – da wurde er eingebracht –, dem 29. September. Da hatten wir 1 827 Fälle an einem Tag, 352 belegte Intensivbetten und 12 Tote. Heute haben wir 20 815 Fälle – 3 500 mehr als vor einer Woche –, 4 257 belegte Intensivbetten – das ist die Zahl von gestern; die von heute ist noch nicht da – und 590 Tote. Die Konklusion heißt einfach: Die Zahl der Kontakte ist zu hoch. Die Reduktion der Kontakte ist nicht ausreichend.
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– Wissen Sie, das ist der Unterschied; das ist ja auch nicht so schlimm. Es ist schade, aber es ist nicht so schlimm.
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Ich glaube an die Kraft der Aufklärung. Dass Europa heute dort steht, wo es steht, hat es der Aufklärung zu verdanken und dem Glauben daran, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die real sind und an die man sich besser halten sollte.
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Und da bin ich ganz sicher. Ich habe mich in der DDR für das Physikstudium entschieden – das hätte ich in der alten Bundesrepublik wahrscheinlich nicht getan –, weil ich ganz sicher war, dass man vieles außer Kraft setzen kann, aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindigkeit nicht und andere Fakten auch nicht. Und das wird auch weiter gelten, meine Damen und Herren. Da brauchen wir uns gar keine Sorgen zu machen.
({31})
Weil die Zahlen so sind, wie sie sind, müssen wir etwas tun, und zwar Bund und Länder gemeinsam. Ich kenne die Zuständigkeiten der Länder beim Infektionsschutzgesetz – wir haben hier viel darüber gesprochen –, und ich achte diese Zuständigkeiten auch. Ich weiß aus den vielen Runden, die wir miteinander hatten: Wir können es nur gemeinsam machen. Aber ich kenne natürlich auch meine besondere Verantwortung, auch die Verantwortung der Bundesregierung, und deshalb halte ich es schon für geboten, dass Sie wissen, was mich leitet. Da will ich sagen, dass ich glaube, dass wir gut daran tun, das, was uns die Wissenschaft sagt, nämlich gestern die Leopoldina, wirklich ernst zu nehmen.
({32})
Wir freuen uns, wenn die Wissenschaft einen Impfstoff entwickelt. Wir freuen uns, wenn wir Menschen haben, die bei uns den PCR-Test entwickelt haben. Wenn uns die Wissenschaftler aber etwas sagen, dann fangen wir an, zu überlegen: Na ja, könnte sein, kann aber auch nicht sein. – Ich kann nur sagen: Nehmen wir das ernst!
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Die Leopoldina hat uns gestern in drei Stufen genannt, was jetzt notwendig ist.
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Da gibt es eine Entwicklung, über die ich mich sehr freue, und die betrifft die Stufe 2: Was tun wir ab dem 24. Dezember? – Es scheint doch weitgehend unstrittiger zu werden, dass wir danach eine Phase brauchen, vielleicht bis zum 10. Januar.
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Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ziel heißt: Runter auf 50 Fälle pro 100 000 in sieben Tagen!
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Das Ziel heißt nicht, nach Tagen zu rechnen. Das Ziel heißt, nach Resultat zu rechnen; sonst entgleitet uns die Pandemie wieder und wieder. Wir können den Menschen nicht zumuten, sie immer wieder darüber im Unklaren zu lassen. Das ist ganz, ganz wichtig.
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Deshalb sind die Empfehlungen meiner Meinung nach richtig, dann die Geschäfte zu schließen und die Zahl der Menschen, die sich treffen, so klein wie möglich zu halten. Wir haben Regelungen getroffen, dass zu Weihnachten Familienfeste möglich sein sollen; aber ich appelliere an jeden, hier wirklich vorsichtig zu sein. Und ich sage es noch einmal – ich habe es schon öffentlich gesagt, aber ich sage es auch hier noch mal –: Ich halte die Öffnung von Hotels für die Übernachtung von Verwandten für falsch, weil sie wieder Anreize schafft, die vielleicht nicht notwendig sind.
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Aber das ist jetzt etwas, was wir nicht mehr überwinden werden.
({39})
Ich halte es auch für richtig, die Schulen in dieser Zeit entweder durch Verlängerung der Ferien bis zum 10. Januar zu schließen oder aber Digitalunterricht zu machen, was auch immer – das ist egal. Wir brauchen aber Kontaktreduzierungen.
Ich sage Ihnen, was mir jetzt Sorge macht – darüber müssen wir sehr schnell in den nächsten Tagen sprechen –, und das ist die Entwicklung im Augenblick: 3 500 Fälle mehr als vor einer Woche. Ich weiß, dass wir Bundesländer haben – Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt –, in denen wir einen ziemlich freien Anstieg der Fälle sehen. Aber selbst wenn wir die herausrechnen, haben wir immer noch Anstiege. Und bis Weihnachten sind es von heute an noch genau 14 Tage – 14 Tage! Wir müssen alles tun, dass wir nicht wieder in ein exponentielles Wachstum kommen.
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Nun hat uns die Leopoldina gesagt, für diese Zeit sollten wir wirklich alle Kontakte, die nicht absolut notwendig sind, reduzieren und meiden.
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So hart das ist – und ich weiß, wie viel Liebe dahintersteckt, wenn Glühweinstände oder Waffelbäckereien aufgebaut werden –:
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Das verträgt sich nicht mit der Vereinbarung, dass wir zum Beispiel Essen nur zum Mitnehmen für den Verzehr zu Hause einkaufen. Es tut mir leid, es tut mir wirklich im Herzen leid,
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aber wenn wir als Preis dafür Todeszahlen von 590 Menschen am Tag in Kauf nehmen sollen, dann ist das nicht akzeptabel aus meiner Sicht. Und deshalb müssen wir da ran!
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Wenn die Wissenschaft uns geradezu anfleht, vor Weihnachten, also bevor man Oma und Opa und andere ältere Menschen sieht, eine Woche der Kontaktreduzierung zu ermöglichen, dann sollten wir vielleicht doch noch mal nachdenken, ob wir nicht irgendeinen Weg finden, die Ferien nicht erst am 19. Dezember beginnen zu lassen, sondern vielleicht schon am 16. Dezember. Was wird man denn im Rückblick auf ein Jahrhundertereignis einmal sagen, wenn wir nicht in der Lage waren, für diese drei Tage noch irgendeine Lösung zu finden?
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Es mag ja sein, dass die Aufhebung der Schulpflicht das Falsche ist; dann muss es eben der Digitalunterricht oder sonst etwas sein. Ich weiß es nicht; das ist auch nicht meine Kompetenz, da will ich mich nicht einmischen. Ich will nur sagen: Wenn wir vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend die letzten Weihnachten mit den Großeltern waren, dann werden wir etwas versäumt haben.
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Das sollten wir nicht tun, meine Damen und Herren!
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Die Leopoldina hat auch recht, wenn sie uns mahnt, nach der Zeit des Zurückfahrens die möglichst höchste Berechenbarkeit für die weiteren Maßnahmen aufzuzeigen. Wenn wir ganz realistisch sind, dann sehen wir: Die Winterzeit geht bis Mitte März. Das ist eine überschaubare Zeit von Anfang Januar bis Mitte März, und das kriegen wir hin. Wir werden dann nach menschlichem Ermessen einen Impfstoff haben, und dann wird sich die Lage von Monat zu Monat verbessern.
Wir müssen uns jetzt noch ein Mal anstrengen. Wir haben jetzt schon so viele Monate mit diesem Virus verbracht, und wir haben doch gelernt: Wir können etwas dagegen tun! Es ist ein bisschen unmenschlich, dass ich immer auf Distanz gehen muss, dass ich niemanden treffen soll, und wenn, dann nur mit Schutzvorrichtung – das ist richtig –, mit dem Mund-Nase-Schutz. Aber das ist ja auch nichts, was unser Leben total zerstört. Deshalb sollten wir schauen, dass wir nicht zu viele Menschenleben zerstören und gleichzeitig – das wissen wir ja – auch die Wirtschaft am Laufen halten. In diesem Sinne bitte ich Sie, auch die nächsten, nicht einfachen Tage mit uns gemeinsam durchzustehen.
Herzlichen Dank.
({48})
Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Lindner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie beschäftigt uns nun bald ein Jahr. Wir haben viel gelernt. Eine anfängliche Hoffnung hat sich nicht bestätigt, nämlich dass es eine harmlose Erkrankung sei. Im Gegenteil ist Covid-19 nicht nur, aber insbesondere für Menschen mit einer Vorerkrankung oder höherem Lebensalter eine ernstzunehmende oder auch tödliche Gefahr. Die Reduzierung von Kontakten, Frau Bundeskanzlerin, ist deshalb notwendig. Es ist notwendig, Abstand zu halten, Maske zu tragen, auf die Hygiene zu achten, die Warn-App zu nutzen und zu lüften, wo immer das möglich ist. Gerade vor Weihnachten als dem Familienfest sind wir alle in besonderer Weise gefordert, auch Rücksicht zu nehmen auf unsere älteren Familienangehörigen. Wir müssen weiter gemeinsam auf Verantwortungsgefühl, auf Vernunft und auf Vorsicht setzen. Der Umgang mit Corona ist auch Ausdruck der sittlichen Reife eines jeden Einzelnen.
({0})
Das letzte Mal haben wir eine Debatte kurz nach einer Bund-Länder-Runde geführt; nun führen wir eine Debatte vermutlich kurz davor. Die ursprünglich für den November geplanten Freiheitseinschränkungen wurden zwischenzeitlich schon bis in den Januar ausgedehnt. Verschiedene Länder haben die für den Dezember beschlossenen Maßnahmen inzwischen zum Teil verbindlich verschärft, und die Frau Bundeskanzlerin hat sich hier heute die Empfehlungen der Leopoldina zu eigen gemacht, einen tiefgreifenden und länger andauernden Lockdown in unserem Land zu beschließen. Unabhängig von der Bewertung – dazu später im Einzelnen – zeigt sich: Die Halbwertszeit der Ankündigungen, Erklärungen und Verhaltensregeln wird immer kürzer. Damit wird auch die wichtigste Ressource in dieser Krise immer knapper, nämlich die Berechenbarkeit staatlichen Handelns.
({1})
Herbst und Winter kamen offenbar so überraschend, dass wir nun wieder genau dort sind, wo wir im Frühjahr schon einmal waren.
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Man kann, man darf einer Regierung nicht zum Vorwurf machen, dass wir in einer Pandemie leben. Das kann und darf man ihr nicht zum Vorwurf machen. Aber man muss kritisieren, dass der Sommer und viele Monate und die Möglichkeiten des Gesamtstaates nicht genutzt wurden, um genau diese Situation, vor der wir jetzt stehen, abzuwenden.
({3})
– Ja, in der Tat, Herr Brinkhaus, wir haben bereits im Frühjahr dringend dazu aufgerufen, flächendeckend die Versorgung mit FFP2-Masken sicherzustellen.
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Wir haben schon im Frühjahr angeregt, auch die Kapazitäten der Veterinär- und Zahnmedizin zu nutzen, um die Testkapazitäten auszuweiten.
({5})
Insofern sollten Sie nicht den Eindruck erwecken, es habe keine Hinweise und unterstützenden Stimmen gegeben.
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Der bayerische Ministerpräsident hat sogar schon mit großer Geste neue Maßnahmen beschlossen. Der Kollege Mützenich hat das Auftreten als theatralisch bezeichnet; das möge jeder für sich beurteilen.
({7})
Aber welche Wirkung soll beispielsweise eine Ausgangssperre von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens haben? Vom Gassigehen mit dem Hund um den Block geht jedenfalls keine Infektionsdynamik aus.
({8})
Das sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Notwendigkeit der Kontaktbeschränkungen und der Pandemiebekämpfung, rein symbolische Einschränkungen,
({9})
die erstens unwirksam sind, zweitens unverhältnismäßig in die Freiheit der Menschen eingreifen und die drittens dem Publikum ein planvolles Vorgehen nur simulieren sollen. Das braucht niemand.
({10})
Vom Bundesgesundheitsminister hat neulich ein Zitat Karriere gemacht.
Man würde mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen, … keinen Einzelhandel mehr schließen. Das wird nicht noch mal passieren.
Das sagte Jens Spahn Anfang September im Rückblick auf das Frühjahr. Wie lautet wenige Wochen später die aktuelle Fassung davon? Etwa so: Mit dem Wissen von heute würde man gestern nicht mehr gesagt haben, dass die Entscheidung vorgestern unnötig war.
({11})
Niemand wirft der Regierung vor, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen und sich zu korrigieren.
({12})
– Nein, das mache ich nicht. – Ich werfe etwas anderes vor: Die fortwährende Korrektur der Korrektur wirft Fragen nach der wissenschaftlichen Evidenz aller Maßnahmen auf – nach wenigen Wochen.
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Dabei hat Jens Spahn ja recht: Unverändert fehlt der Beleg für pauschale Gefahren, die von der Kultur, von Museen, von der Speisegastronomie mit Hygienekonzepten, von Kosmetikstudios oder Schulen ausgehen sollen.
({14})
Und nun geht es an den Handel; für den gilt dasselbe.
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Unverändert fehlt eine dauerhaft durchhaltbare Strategie, die auf wissenschaftlich begründete Maßnahmen setzt. Kein Zweifel: Bei hohem Infektionsgeschehen sind regional weitere Reduzierungen der Kontakte nötig. So hatten wir den Beschluss der Bund-Länder-Runde indessen auch verstanden. Zitat:
Bei besonders extremen Infektionslagen mit einer Inzidenz von über 200 Neuinfektionen … und diffusem Infektionsgeschehen sollen die umfassenden allgemeinen Maßnahmen nochmals erweitert werden, um kurzfristig eine deutliche Absenkung des Infektionsgeschehens zu erreichen.
Damit liegt eine Regelung für ein regional differenziertes Handeln gegen steigendes Infektionsgeschehen doch auf dem Tisch. Warum setzen Sie nicht einfach das um, was Sie bereits in der Bund-Länder-Runde beschlossen hatten?
({16})
Aus unserer Sicht sind nicht pauschale und flächendeckende Maßnahmen nötig, sondern regionales und vor allem berechenbares Handeln. Wir hatten mit unseren Anträgen zum § 28a des Infektionsschutzgesetzes Vorschläge gemacht, wie wir Bevölkerung und Behörden mit einer klaren Wenn-dann-Zuordnung Handlungssicherheit geben könnten. Genau diese Berechenbarkeit fehlt nun. Liebend gern würden wir darauf verzichten, binnen nur drei Wochen die praktische Bestätigung für unsere Befürchtung erhalten zu haben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Werbespot der Bundesregierung zu besonderen Helden der Pandemie war gewiss amüsant gemeint.
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In diesem Haus denken die allermeisten, wenn nicht wir alle, bei Coronahelden vermutlich zuerst an die Beschäftigten in Heilberufen, an diejenigen, die in unserem Land den Alltag aufrechterhalten; wir denken bei Coronahelden auch an diejenigen, die sich trotz der Gefährdung der eigenen wirtschaftlichen Existenz den Mut nicht nehmen lassen. Das sind die Helden! Im Spot bestand das Heldentum des Studenten darin, faul wie ein Waschbär auf der Couch zu liegen. Viele Studierende bemühen sich mühsam um Kontakt zu Dozenten und vermissen digitale Lernangebote schmerzlich. Wer den Verlust von Lebenszeit fürchten muss, der wird über die Einladung zum Gammeln auf der Couch nicht unbefangen lachen können.
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Aber darum geht es nicht. Das ist geschenkt! Aber – das ist eben noch einmal zum Ausdruck gekommen – dieser Clip bringt die Krisenstrategie der Bundesregierung auf den Punkt: der Stillstand als nationale Kraftanstrengung.
Frau Bundeskanzlerin, nun steht uns ja ein weiteres Kapitel bevor, wie Sie hier eben dargelegt haben. Manche haben schon vor dem Ratschlag der Leopoldina mit Frankreich argumentiert. Dort gab es einen mehrwöchigen harten Lockdown, um die Fallzahlen zu reduzieren. Jetzt wird bei uns der Eindruck erweckt, es würde ausreichen, einmalig bis zum 10. Januar zu schließen, um danach wieder eine Form der Normalität zu erreichen.
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Daran habe ich in der Tat Zweifel; denn ausgerechnet gestern kamen die aktuellen Zahlen aus Frankreich, und leider steigt dort die Zahl der Neuinfektionen wieder. Das wird man beobachten müssen.
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– Dazu gleich.
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Damit ist doch klar: Ohne einen umfassenden Einsatz des Impfstoffs, der noch lange auf sich warten lassen wird, gibt es keine Garantie, dass aus kurzer Härte nachhaltiger Erfolg wird.
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Im Gegenteil: Es ist unsicher, ob nicht die kurze Härte zu einer langen Härte werden muss.
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Danach ist dann nur eines sicher, nämlich der hohe soziale und wirtschaftliche Schaden durch den Stillstand des Landes.
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Deshalb sollten wir vor einer Bund-Länder-Runde miteinander besprechen, ob es strategische Alternativen gibt.
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Ja, wir brauchen Distanz im Alltag. Aber wir bleiben dabei angesichts der Zahl der Toten und wer betroffen ist, angesichts der Zahl der Hospitalisierung und wer hospitalisiert ist, angesichts des besonderen Risikos, das ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen tragen: Der Kernpunkt der Krisenbewältigung, wenn sie dauerhaft durchhaltbar sein soll, muss der Schutz der besonderen Risikogruppen sein. Sie gehören in das Zentrum staatlichen Handelns.
({27})
Jetzt ist hier gesagt und oft genug vorgetragen worden, dabei handele es sich nach der Zahl des Gemeinsamen Bundesausschusses um 27,35 Millionen Menschen, die könne man ja gar nicht alle schützen. Dabei weiß die Regierung selber es besser. Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Rechtsverordnung zum Impfen, mit Ihrem Impfplan haben Sie ja bereits eine Clusterung nach unterschiedlichem Risikoprofil vorgelegt. Da sind zum einen die Menschen mit Vorerkrankungen und die Hochbetagten; die haben ein anderes Risikoprofil als noch sportive Mittsechziger. Das entnehme ich Ihrer Impfstrategie. Aus diesem Grund kann und muss sich der Schutz vulnerabler Gruppen auch praktisch bewähren, indem wir dafür sorgen, dass zum Beispiel in Altenpflegeheimen die von Herrn Brinkhaus in der letzten Debatte angesprochenen Defizite beseitigt werden,
({28})
und indem wir Menschen im Alltag, Frau Bundeskanzlerin, nicht zumuten, jetzt draußen im Kalten vor dem Handel in einer Schlange zu stehen – möglicherweise achtet auch nicht jeder auf den Abstand –, um danach nahezu allein einkaufen zu gehen, nachdem man zuvor auch eng sitzend im Bus angereist war. Da haben wir im Alltag bessere Möglichkeiten, um den Menschen zu helfen.
Aktuell setzen wir jeden Monat rund 20 Milliarden Euro ein, um die Einnahmeverluste für die pauschalen Schließungen zu kompensieren. Was hätten wir mit diesem Geld alles tun können? Wir hätten Taxigutscheine finanzieren können, Schulen und Altenheime mit Luftfiltern ausstatten können, Testkapazitäten ausweiten können. Da ist der Unterschied: Sie setzen Milliarden ein, um die Schäden des Stillstands zu dämpfen. Wir wollen Mittel einsetzen, um öffentliches Leben zu erhalten – dort, wo es möglich ist.
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Das wäre im Übrigen auch für den Steuerzahler langfristig der bessere Weg.
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Wir haben konkrete Maßnahmen ganz konkret in den Haushaltsberatungen beantragt.
({31})
Das RKI hat 68 zusätzliche Stellen für die Informationstechnik beantragt; denn ein großes Problem der Nachverfolgung von Infektionsketten ist doch, dass noch mit Fax und unzureichender IT gearbeitet wird. Was hat die Große Koalition gemacht? Trotz Milliarden Mehrausgaben: Von den 68 vom RKI beantragten Stellen haben CDU/CSU und SPD gerade einmal vier Stellen genehmigt, und das ist eine krass falsche Schwerpunktsetzung. Da ist von Ihnen an der falschen Stelle gespart worden.
({32})
Wir haben konkret beantragt, 1 Milliarde Euro zur Versorgung der vulnerablen Gruppen mit FFP2-Masken bereitzustellen, nachdem Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der letzten Debatte gesagt haben, die normalen Alltagsmasken böten zum Beispiel beim Einkauf keinen hinreichenden Schutz. Das haben wir ernst genommen, und wir haben daraus die Konsequenz gezogen, dass wir die staatlichen Mittel dort einsetzen müssen, damit den Menschen mit höherem Schutzniveau ein Alltagsleben ermöglicht wird.
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Die Folgen Ihrer Strategie, meine Damen und Herren, sind
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am Haushalt ablesbar: 180 Milliarden Euro neue Schulden. Die wirklichen Folgen für den Arbeitsmarkt und die deutsche Wirtschaft werden wir erst langfristig im nächsten Jahr und in den nächsten Jahren sehen.
Wir würden milder über die Schulden urteilen, Frau Bundeskanzlerin, wenn die Hilfsprogramme wenigstens ankämen. Es wurden aber großzügige Hilfen in Aussicht gestellt. Ich sage weiter: Damit wurde auch ein gewisses Stillhalten von Ländern und Branchen erreicht. Doch was ist daraus geworden?
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Von den Hilfen ist nichts ausgezahlt worden.
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– Wir wollen keine Hilfen kürzen, Herr Schneider.
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Wir wollen, dass die Hilfen tatsächlich ankommen. Deshalb ist unser konkreter Vorschlag: Folgen Sie dem Rat der Länderwirtschaftsministerinnen und ‑wirtschaftsminister! Erhöhen Sie die Abschlagszahlungen auf 500 000 Euro! Und fassen Sie die November- und Dezemberhilfe in einer Hilfe zusammen, die unbürokratisch ausgezahlt werden kann, damit aus der Infektionswelle nicht eine Pleitewelle wird!
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Der Finanzminister könnte und sollte sich öffnen, wenn auch der Wirtschaftsminister sich inzwischen dafür ausspricht, den steuerlichen Verlustrücktrag auszudehnen. Herr Scholz, ich weiß nicht, warum sich Ihr Haus dagegen sperrt. Es ist ein reiner Liquiditätseffekt für den Staat; denn ob die Verluste dieses Jahres in der Zukunft genutzt werden oder ob die Verluste dieses Jahres gegen die vergangene Steuerschuld angerechnet werden, ist für die Liquidität des Staates ein Unterschied, aber nicht für das Steueraufkommen insgesamt. Es gibt nur einen einzigen Unterschied: Zukünftig Steuern zahlen können nur Betriebe, die es dann überhaupt noch gibt.
({39})
Deshalb sollten Sie einen Beitrag dafür leisten, dass diese Betriebe über diese schwierige Zeit kommen.
Das Dilemma Ihrer Krisenpolitik ist, dass das Schließen und Kompensieren des Einnahmeausfalls selbst in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt irgendwann an Grenzen stößt. In bemerkenswerter Offenheit hat das der Kollege Brinkhaus in der Debatte in der letzten Sitzungswoche auch gesagt. Er hat gesagt: Ab dem nächsten Jahr könnten sich die Länder nicht mehr darauf verlassen, dass aus dem Bundeshaushalt allein die Hilfen geleistet werden. – Herr Brinkhaus, da haben Sie in der Tat die Grenzen dessen, was fiskalisch möglich ist, angesprochen. Nur, ob es aus dem Bundeshalt oder aus den Länderhaushalten geleistet wird, ist am Ende einerlei; denn für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist es die gleiche Steuerlast, die sie tragen müssen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stehen nämlich dem Gesamtstaat gegenüber und nicht den Länderhaushalten oder dem Bundeshaushalt.
({40})
Wenn Sie also die Grenzen der fiskalischen Leistungsfähigkeit unseres Staates zu Recht betonen, dann müssen Sie auch die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen.
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180 Milliarden Euro Neuverschuldung, die höchste Neuverschuldung! Diese Zahl ist noch unvollkommen; denn hinzu kommen noch unsere Haftungsverpflichtungen, beispielsweise für „Next Generation EU“, das 750-Milliarden-Euro-Programm der Europäischen Union. Nun, vor diesem Hintergrund, angesichts dieser enormen Dimension, sagt der Bundesfinanzminister: Die Grenze der Verschuldung ist nicht erreicht. – Für mich ist das keine Entwarnung, sondern ganz im Gegenteil: Das klingt für mich geradezu wie die Rechtfertigung zusätzlicher Schulden. Herr Scholz, die Grenze der Verschuldung darf in Deutschland niemals überhaupt in Sicht geraten. Das heißt nämlich nicht nur etwas für unsere eigene Schuldentragfähigkeit.
Wir wirtschaften hier doch nicht allein nur für uns. Die Bonität und die fiskalische Stabilität der Bundesrepublik Deutschland haben doch eine enorme Bedeutung für die Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt. Wo steht denn die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa ohne „AAA+“-Bonität Deutschlands? Wir haben eine fiskalische Vorbildfunktion für andere in Europa. Deshalb müssen wir weiter der Stabilitätsanker der Europäischen Union, der Wirtschafts- und Währungsunion bleiben. Deshalb dürfen wir nicht mehr Schulden machen als überhaupt nur notwendig.
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Schon jetzt wird in Italien darüber gesprochen, zu einem Schuldenerlass zu kommen. Unsere französischen Partner und Freunde sprechen offen darüber – wie in Deutschland übrigens die Grünen –, dass man doch nach der Coronapandemie nicht mehr zu den Stabilitätsregeln des Vertrages von Maastricht zurück kann. Deshalb geht es nicht nur um die aktuellen Hilfen jetzt, nicht nur um die deutsche Schuldentragfähigkeit, nicht nur um Fairness gegenüber unseren Steuerzahlenden, nicht nur um Fairness gegenüber der nächsten Generation. Es geht um die Integrität und Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt. Die Coronakrise darf nicht der Ausgangspunkt der nächsten Euro-Schuldenkrise werden.
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Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat unsere Fraktion konkret in über 527 Änderungsanträgen zum Entwurf des Bundeshaushaltes 2021 dargelegt, dass es möglich ist, die Schuldenaufnahme zu halbieren,
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und zwar ohne Voodoo und Zaubertricks. 20 Milliarden Euro alleine sind die Ausgabenreste des Jahres 2020. Gut 50 Milliarden Euro ist die Asylrücklage, die wir natürlich zur Reduzierung der Neuverschuldung in diesem Jahr auflösen wollen. Sie wollen sie bis ins Jahr 2022 mittragen, als Rücklage. Ja, da ahnt man doch, um was es geht: dass nach der nächsten Bundestagswahl noch Milliardensummen als Wahlkampfkonto zur Verfügung stehen. Notkredite, wie wir sie jetzt aufnehmen, dürfen aber nur aufgenommen werden, wenn danach auch alle Rücklagen im Haushalt aufgelöst sind.
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Das ist auch ein Gebot der Haushaltswahrheit und ‑klarheit. Das sagen nicht nur wir, sondern das schreiben Ihnen auch führende Verfassungsrechtler – gestern noch in einem bemerkenswerten Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ – ins Stammbuch. Also: Eine Halbierung der Schulden ist möglich.
Dann wird es darum gehen: Wie gelingt die dauerhafte Sanierung der öffentlichen Finanzen nach der Pandemie? Der Bundesfinanzminister hat völlig zu Recht gesagt: Wir müssten aus unseren Schulden herauswachsen, also eine wachstumsorientierte Politik machen bei zugleich wieder neuer finanzieller Solidität. – Das war eine Strategie, wie sie nach 2010 unter der Ägide des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble erfolgreich umgesetzt worden ist – aber unter ganz anderen Voraussetzungen. Damals haben wir Haushalte sanieren können, weil aufgrund der Euro-Krise die Zinsen nach unten gegangen sind, wir die Zinsgewinne nutzen konnten. Das steht nicht mehr zur Verfügung.
({46})
Die Zinsen werden nicht sinken, sondern es bestehen Risiken, dass sie vielleicht dereinst wieder steigen könnten.
Wir hatten die breiten Schultern der Babyboomer mit ihrer gesamten finanziellen Feuerkraft ein Jahrzehnt zur Verfügung. Die wechseln jetzt aber auf die Seite der Bezieher von Ruhestandseinkommen; die gehen in den Ruhestand. Wir hatten noch die Reformdividende der Agenda 2010. Die ist reichlich genutzt und verbraucht worden, steht jetzt aber nicht mehr zur Verfügung. Deshalb wird uns allen gemeinsam in diesem Haus mit dem nächsten Haushalt, dem Haushalt für 2022 – jeder hat seine Meinung dazu –, ein vollkommen neuer Aushandlungsprozess bevorstehen, wie wir öffentliche Finanzen neu aufstellen, wie wir die Investitionsbedürfnisse von Staat und Privat neu ausbalancieren.
Inzwischen sehen wir auch schon, in welche Richtung das geht: Die Sozialdemokratie und der Finanzminister sprechen darüber, eine Vermögensteuer einführen zu wollen.
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– Ja, aber stellen Sie sicher, dass es überhaupt noch Vermögen gibt, die man besteuern kann!
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– Ach, wissen Sie, ich bin da total entspannt. Ich würde nur gerne einmal einen praktischen Vorschlag für eine Vermögensteuer sehen, der nicht einen bürokratischen Tsunami auslöst, der mehr Kosten verursacht, als Einnahmen erzielt werden.
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Wir könnten über einen solchen konkreten Vorschlag sprechen, den gibt es aber nicht.
Bündnis 90/Die Grünen sagen, sie wollen die Steuern erhöhen, unter anderem vielleicht auch, um die neue Leitidee des bedingungslosen Grundeinkommens zu finanzieren.
({50})
Gestern sagte ein Haushaltspolitiker der Grünen, nach der Krise dürfe man doch um Gottes willen nicht zur Politik der schwarzen Null zurückkehren, wegen der Investitionen.
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Ich bin auch für Investitionen.
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Ich glaube auch, dass wir in den öffentlichen Haushalten einen Schwerpunkt im investiven Bereich setzen müssen, nachdem wir fast ein Jahrzehnt konsumtive Ausgaben gesehen haben, insbesondere im Bereich der Rentenpolitik, die nun wie eine Hypothek im nächsten Jahrzehnt die öffentlichen Haushalte belasten werden.
({53})
Dennoch gibt es einen Bewertungsunterschied. Sie setzen bei Investitionen – das ist Ihre DNA, und das sei Ihnen zugestanden – auf den Bereich der öffentlichen Investitionen, inklusive der Investitionslenkung durch den Staat,
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der Planung der Transformation am wortwörtlichen grünen Tisch. Das kann man auch so wollen. Wir setzen aber auf ein anderes Konzept. Wir setzen auf die soziale Marktwirtschaft, in der der Staat gute Rahmenbedingungen dafür setzt, dass private Investitionen Zukunft schaffen.
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Dann haben wir im Übrigen auch die Möglichkeit, öffentliche Verschuldung entbehrlich zu machen, weil Deutschland endlich wieder attraktiv für ausländische Direktinvestitionen werden könnte, die in unser Land fließen. Davon haben wir gegenwärtig zu wenig.
Immerhin die CDU sagt, sie schließt Steuererhöhungen aus. Wir erinnern uns allerdings auch an das Jahr 2005, als trotz des Ausschlusses von Steuererhöhungen danach die Mehrwertsteuer erhöht worden war. Also: Wir werden sehen, in welche Richtung es geht.
Für uns ist klar: Wir werden die wirtschaftliche Erholung nicht erreichen, indem wir den Bürgerinnen und Bürgern und Betrieben zusätzliche Belastungen in Aussicht stellen. Dafür kann jeder werben. Wer das will, möge in diesem Land für diese Position werben. Unsere ist eine andere. Unsere Position ist, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen verdient haben; das haben sie während der Pandemie gezeigt. Unsere Position ist, dass Erfindergeist à la BioNTech Zukunft schafft. Deshalb braucht unser Land eine Offensive für die Entfesselung genau dieser Kreativität und wirtschaftlichen Dynamik: durch weniger Bürokratie,
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durch die Senkung von Steuern und Abgaben, durch eine Initiative für Forschungsfreiheit und für weltweiten Handel. Vielleicht bietet ein Jahrzehnt „Politik ohne Geld“ auch die Möglichkeit der Rückbesinnung auf die freiheitliche Wirtschaftsordnung.
({57})
Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Rolf Mützenich.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist der letzte ordentliche Haushalt, den dieser Bundestag beschließen wird. Die Einzelpläne stehen einerseits im Zeichen der existenziellen Herausforderung durch die Pandemie und andererseits für den Beginn eines Jahrzehnts, in dem wir die Weichen für eine sich wandelnde Arbeitswelt und klimaschonendes Wirtschaften stellen müssen. Dies spiegelt dieser Haushalt wider. Deswegen möchte ich mich insbesondere an die Haushälterinnen und Haushälter wenden und danke für konzentriertes, verantwortliches Handeln. Dieser Haushalt zeigt die Stärke und auf der anderen Seite auch die Verantwortung des Deutschen Bundestages.
({0})
Wenn ich für meine Fraktion eine persönliche Bemerkung machen darf: Kurz vor seinem plötzlichen Tod, wenige Tage zuvor, hatte uns Thomas Oppermann gebeten, in seiner Heimatstadt eine institutionelle Brücke zwischen der Kultur auf der einen Seite und der Wissenschaft an seiner Universität auf der anderen zu schlagen. Alle Fraktionen haben dem zugestimmt. Dafür danke ich.
({1})
Insbesondere danke ich der Universität dafür, dass das Forum den Namen von Thomas Oppermann tragen wird. Vielen Dank dafür!
({2})
Im Kern, meine Damen und Herren, stellen sich in dieser Debatte drei Fragen: Können wir die Pandemie und ihre Folgen beherrschen? Was müssen wir tun, um die Demokratie zu stärken? Und: Welche Impulse sollen wir der internationalen Politik geben, wenn die USA bald wieder einen glaubwürdigen Präsidenten haben?
Deswegen sage ich direkt zu Beginn: Vor dem Hintergrund der Zahlen und der Belastungen unseres Gesundheitswesens sind weitere Beschränkungen geboten und verantwortbar. Meine Fraktion unterstützt entsprechende Überlegungen und Beschlüsse. Ich bin mir sicher: Die rechtlichen Grundlagen dafür sind vorhanden.
Eine weitere Antwort auf die Herausforderung durch die Pandemie ist in der Tat ein starker Haushalt, aber gleichzeitig auch ein anspruchsvoller Sozialstaat. Ohne diese beiden Komponenten können Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht verantworten, dass wir einen Haushalt beschließen. Ich bin fest davon überzeugt: Es ist gelungen, diese Komponenten zusammenzubringen.
Auf der einen Seite investieren wir in eine Gesundheitsversorgung, die wir weiterhin stärken müssen. Wir kämpfen aber auch dafür – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es erwähnt –, dass Menschen in Beschäftigung gehalten werden und sich gleichzeitig qualifizieren können. Frau Bundeskanzlerin, ich war dabei und kann sagen, dass es nicht so einfach gewesen ist, mit dem Koalitionspartner die damalige Befristung der Kurzarbeit so einfach langfristig zu verlängern. Im Koalitionsausschuss haben wir darum gerungen, und ich bin stolz, dass es uns beiden am Ende gelungen ist.
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Auf der anderen Seite steht auch wirtschaftliche Substanz hinter den Überlegungen und den Beschlüssen zu diesem Haushalt. Wir wollen wirtschaftliche Substanz sichern, weil wir, wenn die Krise beendet ist, dieses wirtschaftlich leistungsfähige Land auch schnell wieder hochfahren wollen. Gleichzeitig dürfen wir dabei nicht vergessen – auch dafür steht dieser Haushalt –: Wir sind in einem Jahrzehnt der Veränderungen, und deswegen investieren wir in Mobilität, klimaschonendes Wirtschaften, neue Arbeitsplätze und eine Digitalisierung, die die Voraussetzung für neue Arbeit in unserem Land ist.
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Deswegen, meine Damen und Herren: Vor diesem Hintergrund sollten wir die staatlichen Ebenen nicht gegeneinander ausspielen. Bund, Länder und Kommunen und deren Beschäftigte leisten Außerordentliches, und dafür möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken.
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Ich sage auch sehr deutlich: Einige haben die Länder in der Krisenbekämpfung als „Leerstelle“ bezeichnet. Ich empfinde das als ungerecht und ohne Grundlage. Die Neuverschuldung und die Kreditermächtigungen, die die Länder in den vergangenen Monaten – zum Teil in Nachtragshaushalten und Sondervermögen – aufgenommen haben, betragen 105 Milliarden Euro. Ich glaube, wir sollten alles dafür tun, deutlich zu machen: Die Bewältigung der Krise bleibt eine gemeinsame Aufgabe. Wir sind ein starkes Land, sind gut darauf vorbereitet und können einen entscheidenden Anteil leisten – aber eben alle staatlichen Ebenen zusammen und nicht gegeneinander, meine Damen und Herren.
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Deswegen: Wenn wir die Krise gemeistert haben, werden wir klären, wie wir die finanziellen Lasten abtragen können. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: Breite Schultern müssen in Zukunft einen außerordentlichen Beitrag leisten. Das ist nur gerecht. Herr Kollege Lindner, wenn Sie Sorge haben, dass es in diesem Land nicht mehr genügend Vermögende gibt, muss ich sagen: Das war der Witz des Tages.
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Doch die Pandemie berührt ein weiteres Thema unserer Demokratie, um die wir tagtäglich so hart ringen. Freedom House hat vor einigen Monaten festgestellt, dass sich in 80 von 192 Ländern auf der Welt die Bedingungen für die Demokratie und die Menschenrechte verschlechtert haben. Das ist ein bedrückender Befund, gerade für ein Land wie Deutschland, wo wir aus der historischen Verantwortung heraus immer wieder um diese Demokratie kämpfen müssen.
Wir stehen vor einer doppelten Bewährungsprobe: In Demokratien stehen auf der einen Seite das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger und der Schutz menschlichen Lebens im Vordergrund. Beides bildet die Grundlage für individuelle Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit. Auf der anderen Seite muss die Demokratie unter den Bedingungen der Pandemie Reaktionen zeigen, die dem Wesen liberaler Demokratien fremd sind, insbesondere wenn es um die zeitliche Einschränkung von Grundrechten geht. Aber darum müssen wir ringen. Deswegen sage ich sehr deutlich: Unsere Repräsentantinnen und Repräsentanten müssen über dieses Dilemma reden, müssen Glaubwürdigkeit schaffen, so wie Sie es, Frau Bundeskanzlerin, aber auch der Bundespräsident tagtäglich unter diesen Bedingungen versuchen zu tun. Das spricht für die demokratische Verfasstheit.
Der Bundestag hat vor einigen Wochen gezeigt: Voraussetzung ist, Rechtssicherheit herzustellen und gleichzeitig Kritik zuzulassen. Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus, die sich tagtäglich dieser Kritik stellen und versuchen, zu argumentieren und letztlich auch Antworten zu geben. Der Protest ist zulässig, aber der Protest ist nicht zulässig, wenn Verfassungsorgane genötigt werden, und die AfD hat in den vergangenen Wochen Beihilfe dazu geleistet. Meine Damen und Herren, das muss geahndet werden.
({8})
Demokratie kommt nicht von allein und bleibt verletzlich. Deshalb dürfen wir niemals mit Demokratieverächtern paktieren, weder, wie es die FDP in Thüringen getan hat, noch jetzt, wie es große Teile der CDU in Sachsen-Anhalt ausdrücklich wollen.
({9})
Mit einer rechtsextremistischen Partei gemeinsame Sache zu machen, ist eine Grenzüberschreitung.
({10})
Dazu haben wir in den letzten Tagen bundespolitische Stimmen aus der Union vermisst. Deswegen, meine Damen und Herren: Wer sich auf die AfD einlässt, geht daran zugrunde, und mit ihr die Demokratie.
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Wenn ich sage: „Wir kämpfen um diese Demokratie“, muss ich auch sagen: Es gibt eine weitere Lehre aus dieser Situation. Ohne ein demokratisches Europa ist eine nationalstaatlich verfasste Demokratie nicht sicher. Deswegen sage ich, Frau Bundeskanzlerin: Wir teilen das, was Sie über die Aufgaben für den Europäischen Rat in den nächsten Tagen gesagt haben. Aber was ich in Ihrer Rede vermisst habe, ist, dass Sie sich für das Rechtsstaatsprinzip in der Europäischen Union einsetzen werden. Ich sage sehr deutlich: Die Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips ist in unserer Demokratie auch eine Voraussetzung dafür, dass wir in Europa darum kämpfen.
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Meine Damen und Herren, wer über Demokratie spricht, muss auch über die soziale Demokratie reden. Der Sozialstaat ist für diese Demokratie kein lästiges Beiwerk, sondern Bedingung dafür, dass gleiche Freiheit gesichert wird. Ich treffe Menschen in den Wahlkreisen, die früher gedacht haben, der Sozialstaat sei doch nur für andere da. Sie merken jetzt: Der Sozialstaat hilft allen und nutzt allen. Das beste Beispiel in diesen Tagen ist, dass wir dafür gekämpft haben, ein Arbeitsschutzkontrollgesetz in der Fleischindustrie auf den Weg zu bringen. Das bringt auf der einen Seite Sicherheit für die Beschäftigen. Auf der anderen Seite macht das deutlich: Tarifverfasstheit ist eine Stütze des Sozialstaats. Dadurch können wir Ausnahmen ermöglichen. Das war nur durch Beharrlichkeit und nicht, weil es so selbstverständlich gewesen ist, möglich. Wir sind stolz auf diesen Erfolg.
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Ja, das Jahr 2020 ist eine Zeit der Extreme; zuletzt gilt das auch für die Umgestaltung der Weltpolitik. Es ist eine Chance, dass wir einen zukünftigen US-Präsidenten haben, auf den wahrscheinlich Verlass ist,
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der sich insbesondere im Ton ändert und sich für ein multilaterales Arbeiten mit seinen Partnern einsetzt.
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Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns keine Illusionen: Die Abwendung der USA von Europa schreitet fort. Der Fokus liegt längst woanders. Das war nicht nur unter Trump so. Das hat bereits unter Obama und Bush begonnen, und unter Biden wird es wahrscheinlich nicht anders sein.
Dies hat viel damit zu tun, dass in den USA die Polarisierung der Gesellschaft und die Polarisierung des Parteiensystems fortschreiten.
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Die Selbstbezogenheit dieses Landes ist offensichtlich. Deswegen sage ich: Ja, wir wollen die Zusammenarbeit mit einem neuen Präsidenten suchen. Wir sollten es mit aller Klarheit und mit allem Selbstbewusstsein tun, aber wir sollten uns auch auf harte Konfrontationen einstellen. Es besteht, glaube ich, gar kein Zweifel, auch vor dem Hintergrund der Situation im Kongress, dass wir zum Beispiel wegen Nord Stream 2 weiter mit nachhaltigen Sanktionen rechnen müssen. Deswegen möchte ich betonen, dass die Überlegungen, die es in der der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern gibt, nicht nur beachtlich, sondern auch richtig sind,
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mit einer Stiftung in diesem Land für Souveränität, für unsere Interessen gemeinsam einzutreten. Wir sollten das nicht sofort beiseite wischen.
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Dies sage ich, meine Damen und Herren, in einer Situation, in der ich es manchmal sehr bedauerlich finde, dass zwischen uns als Koalitionspartnern eine Differenz in Bezug auf die weiteren Herausforderungen besteht, die sich durch die internationale Politik ergeben. Ich finde bedauerlich, dass Sie allein auf militärische Stärke und Abschreckung setzen wollen, bis hinein in das Südchinesische Meer, wie die Verteidigungsministerin vor Kurzem wieder in einer Rede gesagt hat.
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Sie meinen, das sei die richtige Antwort, Frau Kramp-Karrenbauer,
({20})
aber das Gegenteil ist der Fall. Nach meinem Dafürhalten ist das eine vollkommen falsche Herangehensweise. Dort, in Asien, ordnet sich die Welt neu, aber nicht militärisch. Vielmehr wird dort – wir haben es vor wenigen Wochen gesehen – die größte Freihandelszone ohne die USA und ohne Europa gegründet.
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Ich glaube, darüber sollten wir uns Sorgen machen und nicht über die anderen Fragen.
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Deswegen sage ich sehr deutlich: Sie sollten nicht immer wieder das 2-Prozent-Ziel bedienen, sondern Sie sollten sich darum kümmern, dass die Bundeswehr aus ihren Beschaffungsproblemen kommt.
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Das ist die Verantwortung, die Sie in dieser Bundesregierung haben. Es geht nicht darum, immer wieder über neue Ausgaben zu fabulieren.
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Sie befördern die anhaltenden Forderungen nach immer neuen Verteidigungsausgaben.
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Das schafft ein neues Sicherheitsdilemma in Europa.
Der bessere Weg bleibt der Ausgleich gegensätzlicher Ziele und Interessen. Die Entspannungspolitik kann niemals den Gegensatz politischer Ordnungen gänzlich aufheben und bleibt immer eine Gratwanderung. Gleichwohl ist die friedliche Koexistenz immer neuen Aufrüstungsrunden vorzuziehen. Darum müssen wir uns kümmern, und das wird eine starke Sozialdemokratie weiterhin tun.
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Meine Damen und Herren, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben am Anfang dieser Legislaturperiode aus Verpflichtung Verantwortung für das politisch Notwendige übernommen, worauf ich stolz bin. Die letzten Monate haben gezeigt, dass es gerade auf Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der Bundesregierung angekommen ist, dass auf der einen Seite der Sozialstaat erhalten bleibt, dass wir auf der anderen Seite die finanziellen Grundlagen für die Zukunft dieses Landes und insbesondere für die sozialstaatliche und wirtschaftliche Substanz geschaffen haben. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.
Vielen Dank.
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Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Amira Mohamed Ali.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Als ich letzte Woche von einem erneuten Coronaausbruch in einem Schlachthof der Firma Tönnies gehört habe, da habe ich, ehrlich gesagt, gedacht, ich höre nicht richtig. Das passiert ernsthaft schon wieder, nachdem wir über den Sommer so viele Ausbrüche in Schlachthöfen hatten? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wie kann das sein?
Jetzt werden Sie sagen – Sie haben es gerade angesprochen, Herr Mützenich –, Sie haben ja was getan; Sie haben ja jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, das ab Januar Werkverträge in den Schlachthöfen verbieten soll. -Okay, gut.
({0})
Aber wo ist in diesem Haushalt das Geld für die Länder, damit das geschehen kann, was wirklich notwendig ist, nämlich mehr Personal in den Kontrollbehörden einzustellen? Das müsste doch geschehen.
({1})
Aber das passiert nicht.
Dieses Beispiel ist leider typisch für das Handeln dieser Bundesregierung. Die Probleme sind vollkommen offensichtlich, sie werden angeblich erkannt, aber sie werden dann trotzdem nicht gebannt. Der Grund ist folgender: Diese Bundesregierung knickt weiterhin konsequent vor den Interessen der starken und mächtigen Lobbys ein, selbst in diesen dramatischen Zeiten. Das ist vollkommen unverantwortlich.
({2})
Ich frage ernsthaft: Für wen regieren Sie eigentlich? Für die Menschen in unserem Land, die jeden Tag den Laden am Laufen halten, oder für die, die einzig und allein ihren Profit im Blick haben, und zwar Profit um jeden Preis, Leute wie Clemens Tönnies?
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Was sagen Sie denn den wahren Leistungsträgern unserer Gesellschaft, zum Beispiel den Krankenpflegerinnen und ‑pflegern, die schon in der ersten Pandemiewelle mit zig Überstunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gegangen sind und die jetzt weiter jeden Tag darum kämpfen, Menschenleben zu retten? Was sagen Sie ihnen? Was haben Sie für sie getan?
Frau Bundeskanzlerin, wir erinnern uns alle noch gut an Ihren Auftritt damals in der Wahlarena 2017, als Ihnen der Pfleger Alexander Jorde in aller Deutlichkeit gesagt hat, wie dramatisch die Lage in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen damals schon war. Sie haben das so zur Kenntnis genommen; geschehen ist nichts. Offen gesagt hat mich das damals nicht überrascht; ich hatte von dieser Bundesregierung nichts anderes erwartet. Aber – das muss ich Ihnen ehrlich sagen – als wir im Frühjahr hier in diesem Hause alle aufgestanden sind und für die wahren Helden dieser Krise applaudiert haben, da hatte ich tatsächlich Hoffnung, und zwar die Hoffnung darauf, dass jetzt endlich in Ihnen die richtige Erkenntnis gereift sein könnte, nämlich dass die Pflegerinnen und Pfleger, die Beschäftigten im Einzelhandel, die Lkw-Fahrer in der Logistik, die Paketzustellerinnen und Paketzusteller – also alle, die, wie Sie ja selber sagen, den Laden am Laufen halten – endlich das bekommen, was ihnen wirklich zusteht, nämlich anständige Löhne, anständige Arbeitsbedingungen.
({4})
Aber das ist noch nicht gekommen. Im Einzelhandel sind die Einkommen während der Krise sogar gesunken. Das ist doch wirklich unglaublich!
({5})
Was meinen Sie, Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, wie sich diese Coronahelden, die hier von Ihnen vor einem halben Jahr noch beklatscht worden sind, heute von Ihnen behandelt fühlen? Es ist wirklich ein fatales Signal, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die gesamte Gesellschaft, dass Sie ernsthaft keine Mittel und Wege gefunden haben, für echte Anerkennung zu sorgen: für höhere Löhne, für bessere Arbeitsbedingungen. Das wäre dringend nötig gewesen.
({6})
Aber nicht einmal die spärlichen Coronaprämien für die Pflegekräfte sind bei allen angekommen. Insbesondere Beschäftigte in privatisierten Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen haben oft keinen Cent gesehen. Ist das Ihre Initiative für mehr Pflegekräfte, die wir dringend brauchen? Das ist doch wirklich ein Hohn.
({7})
Wir wissen, dass sich viele Pflegerinnen und Pfleger in den letzten Jahren ausgebrannt und frustriert aus diesem Beruf verabschiedet haben. Natürlich könnte man jetzt kurzfristig durch deutlich höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen diese Menschen für die Pflege zurückgewinnen. Wir brauchen flächendeckende Tarifverträge, wir brauchen auch Bonuszahlungen, die wirklich ankommen. Das wäre jetzt richtig.
({8})
Richtig wäre auch, endlich zu erkennen, dass Ihr Privatisierungskurs im Gesundheitswesen ein Irrweg ist.
({9})
Es geht nicht, dass in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen gespart wird, damit private Investoren ihren Schnitt machen können. Schluss damit! Das Gesundheitswesen gehört konsequent in öffentliche Hand.
({10})
Seit über einem Monat sterben täglich zwischen 300 und 500 Menschen an den Folgen von Covid-19, teilweise nach einem langen und qualvollen Überlebenskampf. Hinter jedem dieser Toten steht ein persönliches Schicksal, stehen trauernde Familien und Angehörige. Die Situation ist bereits jetzt dramatisch. Deshalb muss doch endlich alles darangesetzt werden, die Situation in den Krankenhäusern zu verbessern.
Das gilt auch für die Pflegeeinrichtungen.
({11})
Bereits jetzt mussten einige Pflegeheime wieder einen totalen Besuchsstopp verhängen. Zum Teil ist nicht einmal Sterbebegleitung möglich. Das ist für die Betroffenen und für die Angehörigen schier unerträglich. Und es ist eine Tatsache, die von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und von den Kolleginnen und Kollegen der Regierung immer verschwiegen wird, wenn Sie sich hierhinstellen und über die furchtbare Lage in den Pflegeeinrichtungen reden: Selbstverständlich hat die Notwendigkeit von Besuchsverboten und anderen einschneidenden Maßnahmen auch etwas mit dem Personalmangel und der schlechten Ausstattung der Pflegeeinrichtungen zu tun.
({12})
Vieles müsste nicht so sein, wenn Sie bereit wären, das Geld auch unverzüglich an die richtigen Stellen zu geben. Es ist fatal, dass Sie das nicht tun.
Und, Herr Finanzminister, es ist auch fatal, dass Sie zwar riesige Summen zur Verfügung stellen, aber dass diese nicht zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden, und vor allem, dass sie nicht da ankommen, wo sie dringend gebraucht werden. Viele, denen jetzt Einkünfte und Umsätze wegen der notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen weggebrochen sind, brauchen sofort Hilfe. Aber Ihre Soforthilfen, Herr Scholz und Herr Altmaier, sind leider viel zu oft Zu-spät-Hilfen. Die Betroffenen können gerade einmal darauf hoffen, dass die für November zugesagten Hilfen im Januar endlich ausgezahlt werden; vielleicht gibt es jetzt einen kleinen Abschlag. So sichert man keine Existenzen, so schafft man keine Sicherheit.
Wie müssen sich die vielen Hoteliers, die Restaurantbesitzer, die Veranstalter, die Künstlerinnen und Künstler, die Soloselbstständigen fühlen, die jetzt Angst vor der Pleite haben müssen, weil Ihre Hilfen nicht ankommen? Wochenlang konnten nicht mal Anträge gestellt werden, weil Sie die entsprechende Homepage nicht programmieren konnten. Das ist doch wirklich ein Armutszeugnis.
({13})
An anderer Stelle können Sie schnell sein, das haben Sie ja gezeigt, zum Beispiel bei den Soforthilfen für die Lufthansa. Das Milliardenpaket war schnell geschnürt, aber natürlich ohne diese Hilfen daran zu koppeln, dass auch die Arbeitsplätze gesichert werden. Dabei hätten Sie genau das tun können und auch müssen.
({14})
Jetzt sollen bei Lufthansa weltweit 29 000 Stellen bis Jahresende abgebaut werden, 9 000 davon in Deutschland. Ihre Hilfen sollen offensichtlich vor allem die Eigentümer und Aktionäre von Lufthansa schützen, aber nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist doch wirklich unglaublich.
({15})
Aber leider ist das nichts Neues. Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, seit Jahren schon driftet unsere Gesellschaft immer weiter auseinander, und daran ist Ihre Politik schuld. Während Altersarmut wächst, während immer mehr Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnissen stecken, während die Angst vor dem sozialen Abstieg immer weitere Teile der Bevölkerung erfasst, haben Sie vor allem ein offenes Ohr für die Interessen der mächtigen Lobbyisten. Das ist Ihre gesamte Amtszeit hindurch schon so, Frau Bundeskanzlerin. Egal ob die Automobilindustrie beim Dieselabgasskandal oder die Banken im Cum/Ex-Skandal: Immer konnten sich die mächtigen Konzerne und ihre Manager auf die Rückendeckung dieser Regierung verlassen. Und diejenigen, die eigentlich Ihre Unterstützung bräuchten, zum Beispiel die vielen Millionen Menschen, die zum Mindestlohn arbeiten müssen, die speisen Sie bestenfalls mit Brotkrumen ab, aktuell zum Beispiel mit einer mickrigen Mindestlohnerhöhung um gerade mal 15 Cent pro Stunde ab Januar nächsten Jahres. Das lässt wirklich tief blicken.
Ihre Politik treibt seit Jahren den Keil der sozialen Spaltung immer tiefer in unsere Gesellschaft. So machen Sie auch in dieser Pandemie weiter, und das ist wirklich brandgefährlich.
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Wir haben momentan 2,5 Millionen Menschen in Kurzarbeit, die Tendenz ist steigend. Für viele reicht das Kurzarbeitergeld eben nicht zum Leben aus oder um den Lebensstandard zu sichern. Eine halbe Million Menschen sind bereits jetzt durch die Coronakrise arbeitslos. Auch hier ist die Tendenz leider steigend. Fast 1 Million Minijobs sind in dieser Krise bereits weggefallen. Davon betroffen sind oft Studierende, Rentnerinnen und Rentner und Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind. Sie haben jetzt keine Möglichkeit mehr, ihr spärliches Einkommen aufzubessern. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass auch Minijobber Kurzarbeitergeld erhalten? – Nein. So kann man mit Menschen wirklich nicht umgehen.
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Wir brauchen eine viel bessere Unterstützung einkommensschwacher Familien, wir brauchen einen Pandemiezuschlag auf niedrige Renten und auf Hartz IV. Nichts davon steht in Ihrem Haushalt. Das ist unverantwortlich.
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Mit den sinkenden Einkommen wächst auch die Gefahr der Überschuldung. Bereits vor der Pandemie betraf das fast jeden zehnten Bürger. Wir brauchen dringend eine flächendeckende, kostenlose Schuldnerberatung. Das bisschen, was Sie jetzt für die Schuldnerberatung in Ihrem Haushalt zur Verfügung stellen, sind wieder allenfalls Brotkrumen. Es reicht bei Weitem nicht aus.
Aber damit nicht genug. Das Nächste, was ich jetzt sage, habe ich hier in den letzten Wochen schon einige Male gesagt, aber ich sage es immer wieder, weil es wirklich ein Skandal ist: Seit Mitte dieses Jahres ist es wieder möglich, dass Menschen, die ihre Miete aufgrund von coronabedingten Einkommensverlusten nicht zahlen können, die Wohnung gekündigt wird. Außerdem erlauben Sie allen Ernstes, dass milliardenschwere Energiekonzerne wieder Stromsperren verhängen können. Das heißt konkret, dass Menschen, die ihre Stromrechnung nicht zahlen können – und da reicht ein Rückstand von gerade einmal 100 Euro –, der Strom in ihrer Wohnung abgeschaltet werden darf.
Sie schwadronieren hier lang und breit darüber, dass allen schöne Feiertage ermöglicht werden sollen. Und dann lassen Sie so etwas zu? Ich finde das unglaublich.
({19})
Kollegen von der Union, Sie können das „C“ in Ihren Parteinamen wirklich streichen, wenn Sie so etwas zulassen, und dass Sie von der SPD da mitmachen: Da fehlen mir wirklich die Worte.
Genauso fassungslos macht mich, dass Sie in dieser historischen Krise, in dieser Not, die viele Menschen trifft, allen Ernstes den Rüstungsetat um 1,16 Milliarden Euro auf gigantische 46,8 Milliarden Euro anheben. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was für Bildung und Forschung vorgesehen ist. Das ist doch wirklich unglaublich.
({20})
Sie halten sogar weiterhin an dem Irrsinn fest, das NATO-Rüstungsziel von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erfüllen, und das bedeutet, dass in den kommenden Jahren sogar noch deutlich mehr Geld unnötig verpulvert werden soll; denn es ist unnötig.
({21})
Oder kann mir hier irgendjemand erklären, wie uns Kriegsgerät bei der Bewältigung der Coronakrise helfen soll?
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Und das möchte ich jetzt einmal in Richtung der Grünen sagen: Wenn Sie als ehemalige Friedenspartei jetzt in diesen Chor der Aufrüstung mit einstimmen, dann habe ich das Gefühl, dass Sie Ihre Sonnenblume entwurzeln, um sie besser in den Wind hängen zu können.
({23})
Wir als Linke sagen klar und deutlich Ja zur Abrüstung. Dieses Geld sollte in Krankenhäuser fließen, und es sollte für ein besseres Bildungssystem eingesetzt werden; denn hier wird es viel dringender benötigt. Die Situation an den Schulen ist dramatisch.
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Investieren Sie das Geld besser in eine gute Zukunft als in den nächsten Krieg! Und für eine gute Zukunft brauchen wir allgemein mehr Investitionen in die soziale Sicherung, in Infrastruktur und in Forschung. Denn wie wollen Sie sonst die notwendige Energie- und Verkehrswende bewerkstelligen? Wie wollen Sie sonst die Digitalisierung schnell genug voranbringen? Im Moment ist für viele Menschen auf dem Land an Homeoffice oder Homeschooling überhaupt nicht zu denken.
Aber davon sieht Ihr Haushalt nichts vor. Kein Wunder, Sie haben ja noch nicht mal gesagt, wie Sie die gigantischen Kosten der Coronakrise finanzieren wollen. Sie wollen ja die gigantischen Schulden von aktuell fast 300 Milliarden Euro zurückzahlen; Sie legen auch einen Tilgungsplan vor. Aber woher das Geld kommen soll, sagen Sie nicht. Und das hat einen Grund: Im nächsten Jahr ist Bundestagswahl. Die Bundesregierung will nicht zugeben, dass das Geld nach der Wahl durch Steuererhöhungen für die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen, Nullrunden bei der Rente und Sozialkürzungen wieder hereingeholt werden soll. Aber genau das darf nicht geschehen.
({25})
Deshalb fordert Die Linke eine einmalige Vermögensabgabe für superreiche Multimillionäre und Milliardäre nach dem Vorbild des Lastenausgleichs nach dem Zweiten Weltkrieg.
({26})
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat für die Linksfraktion errechnet, dass eine solche Abgabe machbar ist. Schon eine sehr moderate Form, die gerade einmal die reichsten 0,7 Prozent der Bevölkerung überhaupt belasten würde, würde dreistellige Milliardenbeträge einbringen, und das wäre wirklich nur fair; denn viele Superreiche sind in dieser Krise noch reicher geworden, weil sie zum Beispiel Aktienpakete von Krisengewinnern wie Amazon und Co halten. Außerdem ist es wirklich nur recht und billig, wenn diesmal endlich diejenigen zur Kasse gebeten werden, die jahrelang insbesondere durch Ihre Steuergesetzgebung privilegiert worden sind.
({27})
Wenn wir gut durch diese Krise kommen und gestärkt aus ihr hervorgehen wollen, dann brauchen wir endlich eine vernünftige Politik, die sich nicht von den Interessen der mächtigsten Lobbyisten instrumentalisieren lässt. Wir als Linke kämpfen weiter für einen echten Politikwechsel, damit die Folgen der Pandemie unsere Gesellschaft nicht weiter spalten.
Danke schön.
({28})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin! Ja, dieses Jahr hat uns alle verändert. Wir – insbesondere meine Generation, Jüngere – lebten bisher ziemlich behütet.
({0})
Jetzt nicht arbeiten zu können, nicht zur Berufsschule gehen zu können, zu erleben, wie die eigene Mutter, die eigene Tochter, die eigene Freundin nicht verstehen können, dass man nicht ins Altersheim kommt, aufgrund von Demenz nicht erkennen zu können, dass das keine Abkoppelung ist, zehrt an unser aller Nerven.
Zugleich hat uns dies als Gesellschaft stärker gemacht. Statt sich ständig an Egoisten abzuarbeiten, sollten wir den Millionen Menschen in diesem Land, die solidarisch sind, Respekt zollen,
({1})
Menschen, die rund um die Uhr für uns alle arbeiten: Pflegekräfte, Paketzusteller, Erzieher, Ärztinnen und, ja, auch Künstlerinnen, Soloselbstständige, die gerade nicht auftreten, die gerade nicht musizieren. Um diese neue Solidarität zu erhalten, braucht eine aufgeklärte Gesellschaft Ehrlichkeit, Transparenz und vor allen Dingen, liebe Bundesregierung, eine Perspektive,
({2})
nicht nur eine Perspektive auf einen Impfstoff oder darauf, dass wir gut – auch wirtschaftlich – durch diese Zeit kommen, sondern auch eine Perspektive, dass die Politik lernfähig ist.
Ich fand es wirklich wichtig, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie hier so eindringlich appelliert haben, dass das in den nächsten Wochen so nicht weitergehen kann. Das heißt dann aber auch, politisch zu handeln, Fehler zu korrigieren. Wir können nicht weiter mit einem Zweiwochenrhythmus-Bekämpfungssystem durch diese Pandemie kommen.
({3})
Wir werden mit diesen Einschränkungen – so ehrlich müssen wir sein – noch weit bis ins Frühjahr leben; denn die Impfdosen, selbst wenn sie hoffentlich bald zugelassen werden, reichen erst mal nur für einen Bruchteil dieser Gesellschaft. Es braucht jetzt einen klaren Stufenplan: „Wann kommt was?“, klare gesellschaftliche Prioritäten. Uns von einer Ministerpräsidentenrunde zur nächsten zu hangeln, kann so nicht weitergehen.
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Deswegen: Einfach nur zu sagen, was alles nicht läuft, ist doch nicht die Aufgabe von kritischer Opposition, sondern sie muss mitdenken: Wie kann es besser gehen in dieser schwierigen Situation, in der wir alle als Gesellschaft, alle als Politik stecken? – Deswegen hat unsere Fraktion jetzt noch mal einen Fünfstufenplan vorgelegt, wie wir gemeinsam besser durch die nächsten Monate kommen und wie wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir die von Ihnen angesprochenen schwächsten Menschen der Gesellschaft – die Jüngsten und Ältesten – wirklich am besten schützen können.
({5})
Ich halte Ihren Appell für richtig. Ich halte es für richtig, auf die Jüngsten und auch auf die Schulen zu schauen. Aber auch die Bundesregierung, die jetzt hier sitzt, ist in der Verantwortung – auch für die Schulen, auch für die Kitas in diesem Land. Ja, wir haben ein föderales System,
({6})
aber Pragmatismus auch dort walten zu lassen, wäre genau in diesen Zeiten die Aufgabe der Familienministerin und der Bildungsministerin.
Wenn wir über die Verlängerung von Ferien sprechen, dann können wir, bei allem großen Respekt, nicht sagen: Das müssen die Schulen dann mal irgendwie lösen. – Wir gehen jetzt zum vierten Mal in dieser Pandemie in eine Ferienzeit, und noch immer heißt es: Irgendwie muss dann die Digitalisierung und irgendwie müssen dann die Filter kommen. Diese Krise zeigt doch: Wir müssen das pragmatisch anpacken, genau wie Sie gesagt haben. Gelder im Haushalt allein verändern doch nicht die Realität.
({7})
Es geht um Pragmatismus, so wie bei den Gesundheitsämtern. Und ja, zum Beispiel da hat die Bundeswehr eine gute Rolle gespielt und die Gesundheitsämter unterstützt, obwohl es eigentlich eine regionale Aufgabe ist.
({8})
Das braucht es jetzt auch bei den Schulen. Mein Gott, in einem Industrieland können doch wohl diese Filter eingebaut werden, und im Zweifel, indem das die Bundesebene unterstützt, in den Weihnachtsferien. Das Max-Planck-Institut hat dafür beste Vorschläge gemacht.
Warum braucht es das? Weil man Unternehmen mit Geld retten kann, aber Kinder nicht. Wenn Sie einmal erleben, was es mit Kindern macht, deren Alltagsstruktur komplett wegbricht, wenn Sie einmal erleben, was es mit Jugendlichen macht, die ohnehin viel an mobilen Endgeräten sind, die ihren Alltag nicht mehr strukturiert haben, wenn Sie einmal erleben, was es mit Kinderseelen macht, wo es zu Hause richtig, richtig hart ist und jeder Tag in der Schule eine Erholung, dann heißt das: Packen Sie endlich an! Gute Politik heißt, zu handeln, und zwar im realen Leben.
({9})
Lernfähige Politik bedeutet, Dinge wirklich besser zu machen, insbesondere wenn man erkennt, dass sie sich in Krisenzeiten wie unter einem Brennglas verschärfen.
Ja, wir müssen jetzt retten. Deswegen haben wir auch vielem zugestimmt. Aber wir dürfen nicht einfach den Status quo zementieren. Mit den Milliardenpaketen muss jetzt auch der Grundstein dafür gelegt werden, dass es in Zukunft besser wird. Ich habe da sehr genau hingehört, bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, bei Ihnen, Herr Finanzminister, in Talkshows und anderen Runden. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wenn wir einfach nur sagen: „Wir nehmen Geld in die Hand und knüpfen dann da an, wo wir vor der Krise waren“, dann haben wir nichts gelernt. Das ist keine vorausschauende Politik; denn es ist eben nicht alles gut gewesen vor dieser Krise.
({10})
Dass Pflegekräfte und Krankenhäuser nun zum zweiten Mal in einem Dreivierteljahr vor dem Kollaps stehen, das liegt doch auch daran, Herr Lindner, dass Sie vor etlicher Zeit neoliberal alles an diesen Orten durchkapitalisiert haben.
({11})
Dass 120 000 Pflegekräfte in Altenheimen und 50 000 Pflegekräfte in Krankenhäusern fehlen, das war schon vor der Coronakrise so.
({12})
Deswegen darf der Leitspruch der Vereinten Nationen – Sie können da noch was lernen – „Build back better“ nicht nur deren Leitspruch sein, das darf nicht nur der Leitspruch des neuen US-Präsidenten sein, sondern das muss zukünftig Leitspruch der deutschen Politik sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({13})
Das heißt ganz konkret, Pflegekräfte in den Mittelpunkt zu stellen. Das heißt ganz konkret – auch nach dieser Pandemie, Herr Spahn –, nicht nur auf die jetzige Situation in den Krankenhäusern zu schauen, sondern ein Vorsorgeelement in Krankenhäusern zu schaffen, damit Kliniken nicht nur erbrachte Leistungen, sondern endlich auch die Vorsorge finanziert bekommen, damit wir aus dem Maskenfiasko in den letzten Monaten auch Lehren für die nächsten Jahrzehnte ziehen.
({14})
Vorsorge treffen für zukünftige Krisen bedeutet auch, dass wir uns in Zukunft nicht weiter von Nachtragshaushalt zu Nachtragshaushalt hangeln können, sondern dass wir die nächste Krise wahrnehmen, dass wir sie sehen und heute handeln und nicht erst dann, wenn es zu spät ist.
({15})
Da ist die Klimakrise. Das Dürrejahr 2018 war mit 4,5 Milliarden Euro Schäden durch Wetterextreme eine teure Warnung an den Bundeshaushalt und nicht an uns Grüne.
({16})
Damit wir nicht von Dauerreparaturmodus zu Dauerreparaturmodus kommen, gilt es jetzt, eben nicht alles im Status quo zu zementieren, sondern wir müssen die Milliarden nutzen, um gleichzeitig auf Klimaneutralität umzustellen.
Und ja, da haben wir Dissens in etlichen Teilen dieses Haushaltes. 21,6 Milliarden Euro sind in den letzten Monaten in fossile Energien geflossen. Auf europäischer Ebene streiten wir – Sie hoffentlich auch – für den Green Deal. Aber hier manifestieren Sie mit diesen Geldern den Grey Deal, weil Sie nicht bereit sind, neben der Bereitstellung von Geld auch wirklich gute Ordnungspolitik zu machen.
Das ist kein Widerspruch; das gehört Hand in Hand zusammen. Das zeigen uns doch andere europäische Länder. In Österreich zum Beispiel hat die grüne Umweltministerin durchgesetzt, dass bei der Rettung von Austrian Airlines – eine Tochter von Lufthansa im Übrigen – ganz konkrete Klimaschutzmaßnahmen festgeschrieben werden: Flottenmodernisierung, Ticketpreise, Einstellung von Kurzstrecken
({17})
– nein, bei uns leider nicht; das war unser Vorschlag – plus Investitionen in die Bahn.
({18})
Diese Bundesregierung mit ihrem 9-Milliarden-Euro-Paket für die Lufthansa: Frau Merkel und Herr Mützenich, nennen Sie doch mal Beispiele, wo Sie die Lufthansa jetzt an konkrete Klimaschutzmaßnahmen gebunden haben! Sie haben sich noch nicht mal getraut, das anzusprechen.
({19})
– Ja, wir müssen Arbeitsplätze schützen. Aber Ihre Logik, allein den Status quo zu stabilisieren – auch bei der Lufthansa, auch beim Kurzarbeitergeld –, aber Weiterqualifizierung, wonach die Wirtschaft ruft, nicht zur Bedingung zu machen, wird mittelfristig die Transformation in diesem Land blockieren, zulasten des Industriestandorts und auch zulasten zukünftiger Arbeitsplätze, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({20})
Wie tief Sie sich da hineinmanövrieren, das können Sie ganz konkret – wir reden hier ja über den Haushalt, Frau Weidel, und nicht über das, was man alles hasst in der Welt –
({21})
im Einzelplan 12 dieses Bundeshaushalts nachlesen.
({22})
Sie wollen 2021 fast eine halbe Milliarde Euro für Regionalflughäfen,
({23})
etwa so zeitgemäß wie Telefonzellen und Taxisäulen, weiter ausgeben. Aktuell wächst das Straßennetz um mehrere Tausend Kilometer, das Schienennetz 2020 um sage und schreibe drei neue Kilometer.
({24})
Und das Dienstwagenprivileg: Sie wollen ja über Steuereinsparungen an dieser Stelle sprechen. Ein Porsche Cayenne Turbo – das musste ich googeln, ehrlich gesagt – kostet 145 000 Euro und hat einen CO2-Ausstoß von 245 Gramm pro Kilometer.
({25})
Wenn den ein gutverdienender Freiberufler bei der Steuererklärung geltend macht, bekommt er 79 000 Euro zurückerstattet.
({26})
Kauft sich eine Hebamme, ledig, mit zu versteuerndem Einkommen von 40 000 Euro für ein Zehntel des Kaufpreises einen Opel Corsa – dass Sie, Herr Lindner, einen Opel Corsa nicht kennen, ist ja klar –
({27})
mit einem CO2-Ausstoß von 93 Gramm pro Kilometer – er hält also die EU-Flottengrenzwerte ein –, so wird das steuerlich mit 5 000 Euro berücksichtigt.
({28})
Das 15-Fache an Steuererstattung ist nicht nur ökologisch falsch, sondern es manifestiert auch die sozialpolitische Spaltung in diesem Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({29})
Daher ist es kein Zufall, dass andere Länder damit Schluss gemacht haben.
Wir feiern dieser Tage – Sie waren da zum Glück noch nicht im Parlament – fünf Jahre Pariser Klimaabkommen. Ich hätte mir, ehrlich gesagt, eine solche Leidenschaft wie die, mit der Sie in dieser Pandemie gerade an die Wissenschaft erinnern, auch für den Klimaschutz gewünscht.
({30})
Ich weiß, Sie sind mit dem Herzen dabei, aber Sie müssen sich mal fragen, was Sie die letzten fünf Jahre als Union so getrieben haben, nicht als Klimaschutzpartei – das waren Sie noch nie –, aber als Wirtschaftsakteur in dieser globalisierten Welt. Dass jetzt andere Länder um uns herum flächendeckend den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor beschließen, dass ausgerechnet Boris Johnson – das muss man sich mal vorstellen; Sie haben den Brexit angesprochen –, während über den Brexit verhandelt wird, sich jetzt hinstellt, fünf Jahre nach Paris, und 68 Prozent CO2-Klimareduktion bis 2030 ankündigt und die deutsche Bundesregierung verdutzt sagt: „Okay, wir stützen das EU-Kommissionsziel von 55 Prozent“, das schmerzt mich nicht nur als Klimapolitikerin, nein, das schmerzt mich als Europäerin.
({31})
Wir hätten die Chance gehabt, zum führenden Binnenmarkt der Welt in diesem Bereich zu werden.
Der Wohlstand in diesen Zeiten basiert darauf, dass man die richtigen Weichenstellungen schafft, so wie 1945, nach dem schlimmsten Kapitel unserer Geschichte. Europäische Integration, deutsche Einheit, der Euro, Osterweiterung – es ist immer eine politische Wegscheide, an der man steht.
({32})
Da muss man sich aktiv entscheiden. Da darf man nicht einfach darauf vertrauen und gucken, was die Amerikaner vier Jahre machen. Die Amerikaner sind jetzt wieder mit an Bord. Wo ist unser Aufschlag für einen transatlantischen Deal? Wo ist unser Aufschlag für ein neues transatlantisches sozialökologisches Handelsabkommen? Es ist nicht da, weil Sie einfach nur abwarten, und das ist fatal für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
({33})
„Build back better“ heißt, dass wir nicht weiter von der Coronakrise in eine Wirtschaftskrise schlittern.
({34})
Wir brauchen jetzt die Investitionen in den Industriestandort Deutschland. Das sind eben Investitionen, Herr Scholz, die höher sind als die, die wir auch vorher schon für Wasserstoff und künstliche Intelligenz bereitgestellt haben. Diese Investitionen müssen wir jetzt vorlegen. Ja, Herr Lindner, wir sind da ehrlich; ja, liebe Union, wir sind da ehrlich:
({35})
Das heißt, wir werden bei diesen Tilgungsfristen nicht vorankommen. Wenn Sie weiter festschreiben, dass wir ab 2026 all die Kredite aus 2020 und 2021 tilgen müssen, dann müssen wir sparen. Entweder Sie kürzen die Sozialleistungen, oder Sie sparen an den Investitionen, und das ist das Gegenteil von zukunftsgerecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({36})
Ich komme zum Schluss. Wenn wir nicht in die Digitalisierung investieren, wenn Sie nach der Devise „Der Markt regelt alles“ weitermachen, dann sind Sie irgendwann bei der 148. Ausschreibung, bis wir Glasfaser haben; denn der Markt funktioniert eben nicht in allen Bereichen. Es braucht schon eine Politik, die wirklich lenkt und steuert.
({37})
– Jetzt halten Sie doch mal Ihren Mund.
Wenn Sie das nicht tun, dann tun es andere. Wir haben das außenpolitisch daran gesehen, dass andere agieren. Die Türkei und Russland sind in Bergkarabach massiv unterwegs, weil Europa sich weggeduckt hat. China investiert in die Europäische Union 300 Milliarden Euro –
Bitte kommen Sie zum Ende.
– ich komme zum Schluss –, doch nicht, weil die Chinesen Wohltäter sind, sondern hinter dieser neuen Investitionsoffensive Chinas
({0})
in Europa und in der Welt steckt geostrategisches Kalkül.
({1})
Das, was dort investiert wird, wird nicht im Sinne einer humanitären Geste investiert, sondern um strategische Abhängigkeiten zu schaffen. Da muss Europa reingehen.
Mein letzter Gedanke. Die Kürzungen in diesem Haushalt bei den Ausgaben für multilaterale Programme betragen ab 2022 25 Prozent: Kürzungen bei den Mitteln für UNICEF, das UNDP-Entwicklungsprogramm, die Weltgesundheitsorganisation. Das gefährdet die Sicherheit nicht des deutschen Haushaltes, sondern unserer strategischen Rolle in der Welt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Ralph Brinkhaus.
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Frau Präsidentin! Ich glaube, es ist das erste Mal, dass Sie jetzt an diesem Platz sitzen. Herzlichen Glückwunsch noch mal im Namen des ganzen Hauses, und auf gute Zusammenarbeit!
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr als 500 Tote: Hinter diesen Zahlen stehen Gesichter, dahinter stehen Familien, dahinter stehen Schicksale – gar nicht zu reden von den Menschen, die langfristige gesundheitliche Schäden haben. Insofern war die eine oder andere Bezirksparteitagsrede oder auch andere Rede hier echt unangemessen, muss ich sagen; denn das wird der Sache nicht gerecht, meine Damen und Herren.
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Wir haben als Deutscher Bundestag darauf reagiert, ja. Wir haben den Ländern sehr, sehr viel Spielraum gegeben. Wir haben diesen Spielraum im Bevölkerungsschutzgesetz auch noch mal erweitert. Aber ich habe an dieser Stelle – andere Redner haben das auch gemacht – vor zwei Wochen schon gesagt: Es hat nicht gereicht, was an Maßnahmen auf den Weg gebracht worden ist. Deswegen ist es gut und richtig, dass jetzt einzelne Ministerpräsidenten anfangen, darüber nachzudenken, mehr zu machen, insbesondere für die kritische Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, insbesondere auch für den Bereich Schule. Das ist in der Tat wichtig; in der Schule ist es nicht gut gelaufen. Ich hoffe mal, dass dazu jetzt auch eine Einigkeit zustande kommt. Sich einfach nicht mehr vor Weihnachten zu treffen und es laufen zu lassen, das geht nicht. Wir haben eine klare Erwartungshaltung, dass die Maßnahmen jetzt nicht nur nachgebessert werden, sondern auch auf eine so solide Grundlage gestellt werden, dass wir damit auch langfristig arbeiten können. Ich wiederhole das, was ich in der letzten Plenarsitzung gesagt habe: Dieses scheibchenweise Vorgehen macht uns alle mürbe, meine Damen und Herren.
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Wir sehen aber auch, dass das ein ganz besonderer Haushalt ist, dass es ein Coronahaushalt ist: 179 Milliarden Euro Neuverschuldung. Das ist nicht das, was die Union sich gewünscht hat, weil es für uns auch eine Frage der Generationengerechtigkeit ist. Um das aufzugreifen, was eben in der Debatte und auch gestern in der Finanzdebatte gesagt worden ist: Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass die Belastung, die in unserer Generation entstanden ist, auch möglichst von unserer Generation getragen wird.
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Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, verbietet es sich, das auf ewig weiter zu strecken. Andere Generationen, andere Politiker, die hier in 20, 30, 40 Jahren sitzen werden – diese Ahnung haben wir doch alle –, werden ihre eigenen Probleme haben, deren Lösung sie auch finanzieren müssen. Deswegen ist es richtig, was die Haushälter gemacht haben, als sie eine kurze Tilgungsfrist gesetzt haben, und dass wir 2026 damit anfangen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber wir haben die Entscheidung für diesen Haushalt ganz bewusst getroffen, weil es für uns keine Option war, diejenigen, die unter der Coronakrise leiden, hängen zu lassen, auch wenn man ganz klar sagen muss – und das muss betont werden –: Es ist nicht so, dass wir jedem alles ersetzen können. Das wird nicht funktionieren; das muss man auch klar sagen.
Es war für uns übrigens auch keine Option, in einer Zeit, wo der Zusammenhalt der Gesellschaft ganz besonders wichtig ist, im sozialen Bereich zu sparen. Es war erst recht keine Option, bei den Zukunftsausgaben zu sparen. Deswegen ist es richtig, dass wir diesmal mit 179 Milliarden Euro Neuverschuldung reingehen. Das Stichwort „Zukunft“ sollte uns auch leiten. Wir haben heute zu Recht sehr viel über Corona und die Bewältigung der Pandemie geredet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt dreht sich weiter. Wir müssen uns auf die Welt in der Nachcoronazeit vorbereiten. Deswegen ist diese Generaldebatte auch der Ort, wo wir über die Themen reden müssen, die uns nach Corona in den nächsten Jahrzehnten bewegen.
Da ist meines Erachtens zunächst einmal das Thema Wirtschaftspolitik. Ich fordere – ja, noch mal – eine Renaissance der Wirtschaftspolitik, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens. Die anderen schlafen nicht. Es ist so, dass China, aber auch, Frau Bundeskanzlerin, asiatische Demokratien durch entschlosseneres Handeln schneller aus dieser Pandemie rauskommen als wir und dass die diesen Wettbewerbsvorteil auch nutzen. Dieser Wettbewerbsvorteil richtet sich gegen uns, und deswegen müssen wir Wirtschaftspolitik machen.
Der zweite Grund. Es wird ja immer gefragt: Wie kommen wir aus dieser Krise raus? Wie werden wir diese finanziellen Belastungen tragen? Es gibt die einen, die sagen: Wir müssen uns da raussparen. – Das wird nicht funktionieren. Es gibt die anderen, die sagen: „Wir müssen uns da rausbesteuern“, Herr Scholz. Auch das wird nicht funktionieren. Es wird wirtschaftliche Entwicklung abwürgen, wenn wir die Steuern erhöhen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deswegen müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir aus dieser Krise rauswachsen, und zwar durch gute Wirtschaftspolitik. Dafür brauchen wir ein vernünftiges Unternehmensteuerrecht. Das wird von unserem Koalitionspartner immer wieder blockiert, aber wir kämpfen trotzdem weiter. Wir brauchen verlässliche Energiepreise. Wir brauchen auch einen Abbau der Bürokratie. Ich habe ja mal ein Belastungsmoratorium vorgeschlagen. Das hat bei unserem Koalitionspartner, Herr Mützenich, keine Begeisterung hervorgerufen. Das ist als „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ und „Schleifung von Arbeitnehmerrechten“ denunziert worden. Das ist nicht unser Ansatz.
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Mittelständische Unternehmen wollen keine Arbeitnehmerrechte schleifen, mittelständische Unternehmen wollen keine Steuern hinterziehen. Das ist ein komisches Verständnis von Wirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es geht aber auch darum, dass wir im Rahmen der Wirtschaftspolitik noch mehr für Forschung tun. Geld schießt Tore, das ist auch im Bereich Forschung so.
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Wir haben den Ansatz für den Forschungshaushalt in den letzten Jahren nicht nur hochgefahren, sondern wir haben ihn auch für die nächsten Jahrzehnte verstetigt; das ist wichtig.
Der nächste Bereich, der wichtig ist, ist der Bereich Investitionen. Im Bereich Investitionen geht es wirklich nicht nur darum – das ist hier mehrfach gesagt worden –, das Geld bereitzustellen – denn das hat der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahren gemacht –, sondern es geht hier in erster Linie darum, dieses Geld auch auszugeben. Da sind insbesondere die Ministerinnen und Minister der Bundesregierung gefordert. Da sind wir aber auch gefordert, die Hürden im Planungsrecht wegzuräumen. Da ist uns viel gelungen. Es war nicht immer einfach mit der SPD; aber wir haben das Planungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch – Frau Baerbock, da haben Sie recht – um den Bereich Bildung. Wirtschaftspolitik ist auch immer Bildungspolitik. Ich soll ja die Bundesländer nicht mehr kritisieren; das tue ich auch nicht. Aber trotzdem: Es geht besser im Bereich Bildung. Deswegen müssen wir uns da noch mehr anstrengen. Es ist nicht nur Bundesgeld, was da fehlt, sondern da geht es um viel mehr. Wenn wir die Pandemie jetzt nicht nutzen, das Bildungssystem neu aufzustellen und neu zu organisieren, dann haben wir viel verpasst, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es geht aber nicht nur um Wirtschaftspolitik, über die wir uns Gedanken machen müssen. Es geht auch um Außenpolitik. Ich glaube, da waren wir in den letzten drei Jahren ein bisschen wenig sichtbar; da können wir mehr tun. Und ich möchte noch mal eins sagen: Wir haben eine riesige Chance. Wir haben eine riesige Chance, weil wir einen neuen amerikanischen Präsidenten haben. Da wird sich nicht alles um 180 Grad drehen; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir sollten diese Chance nutzen, und wir sollten uns hier als Deutscher Bundestag auch klar verorten.
Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Wir sind Transatlantiker.
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Wir wissen, dass die Vereinigten Staaten eine Demokratie sind. Wir wissen, dass China keine Demokratie ist. Und an die Adresse ganz links und rechts: Russland ist auch keine Demokratie, meine Damen und Herren.
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Deswegen wissen wir, wo wir hingehören, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es geht aber auch um Europapolitik, und da ist viel erreicht worden in der deutschen Ratspräsidentschaft, auch im finanziellen Bereich. Das muss jetzt aber morgen und übermorgen auch umgesetzt werden. Wir als Unionsfraktion stehen zu dem mehrjährigen Finanzrahmen. Wir stehen auch zu dem Aufbaupaket, wobei wir da über einen ganz, ganz langen Schatten springen mussten. Aber da müssten jetzt die europäischen Kolleginnen und Kollegen auch so verantwortlich mit umgehen, dass das Geld auch abfließt, und zwar schnell abfließt. Deswegen erwarten wir von den Verhandlern, dass wir am Donnerstag und Freitag eine Lösung kriegen.
Wir sagen aber auch eins ganz klar: Rechtsstaatlichkeit ist der Ausfluss unseres gemeinsamen europäischen Wertesystems, und dieses europäische Wertesystem ist nicht verhandelbar – mit niemandem und niemals, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Herr Brinkhaus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ernst?
Nein, ich führe erst zu Ende.
Okay.
Nach der Europapolitik und der Außenpolitik geht es natürlich auch um Sicherheitspolitik, und es geht auch um die äußere Sicherheit. Dafür brauchen wir eine starke Bundeswehr, und eine starke Bundeswehr kostet Geld. Wir stehen zu den NATO-Zielen, wir stehen auch zu unseren Bündnisverpflichtungen, und wir werden dieses Geld auch bereitstellen. Das ist in diesem Haushalt gelungen, in der Finanzplanung noch nicht; da müssen wir nacharbeiten.
Es geht nicht nur um Geld, wenn wir zum Beispiel über bewaffnete Drohnen sprechen, sondern es geht auch um den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz ihr Leben für unsere Freiheit riskieren.
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Deswegen werbe ich nur dafür, dass unsere Kolleginnen und Kollegen eine Entscheidung treffen, damit wir dieses Projekt möglichst schnell zu einem guten Ende bringen.
Es geht beim Bereich Sicherheitspolitik aber auch um innere Sicherheit. Es geht um den Kampf gegen den Terrorismus, und zwar nicht nur gegen den rechten Terrorismus, sondern auch gegen den linken und den islamischen Terrorismus. Wir haben dafür Mittel bereitgestellt; das ist gut. Wir brauchen dafür aber auch noch weitere gesetzliche Grundlagen. Da liegt einiges vor; das muss jetzt umgesetzt werden, damit wir diesen Kampf entsprechend auch konsequent weiterführen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn wir über diese ganzen Zukunftsthemen reden, dann reden wir natürlich auch über das Thema Nachhaltigkeit – was übrigens mehr ist als Umweltpolitik; das wird leicht vergessen. Und wenn wir über das Thema Nachhaltigkeit reden, dann muss ich sagen: Wir haben da gerade im letzten Jahr während der Coronakrise sehr, sehr viel gemacht, weil der Umweltverbrauch, weil der Klimawandel natürlich keine Pause in der Coronakrise macht; das ist richtig.
Ich bin sehr stolz darauf, dass wir gemeinsam ganz, ganz viel aus dem Klimapaket aus dem Herbst 2019 bereits umgesetzt haben. Ich bin froh und glücklich, dass es uns gelungen ist, in dem Coronakonjunkturpaket sehr, sehr viele Ausgaben für Klimaschutz zu verankern. Es ist richtig, dass wir als Ergebnis des Autogipfels Elektromobilität und emissionsärmere Nutzfahrzeuge fördern.
Insofern ist da viel gemacht worden und auch viel Geld bereitgestellt worden, gerade in der Coronakrise, und da rede ich noch gar nicht über Technologie und Innovation wie beispielsweise Wasserstoff und viele, viele andere vielversprechende Sachen, weil wir glauben, dass Technologie und Innovation im Kampf gegen den Klimawandel mehr bringt als Verbote, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber wir müssen weitermachen. Und wir würden uns wirklich wünschen, dass es uns auf europäischer Ebene gelingt – ich weiß, die Grünen finden das gar nicht so gut, Frau Baerbock –, dass wir den Emissionshandel, der sehr, sehr erfolgreich war – übrigens auch in der Luftfahrtindustrie; die Lufthansa unterliegt dem Emissionshandel, liebe Kolleginnen und Kollegen –,
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auch auf die Bereiche Mobilität und auf die Bereiche Wohnen und Wärme ausdehnen; denn der Markt wird dort bessere Lösungen haben.
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Jetzt den Klimawandel zum Anlass zu nehmen, den Markt zu diskreditieren, halte ich für falsch. Der Markt ist die Lösung, und Technologie und Innovation sind die Lösung im Kampf gegen den Klimawandel und nicht das Hindernis, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wenn wir das alles zusammen machen, dann haben wir im Übrigen auch die Grundlage dafür gelegt, dass wir einen vernünftigen Sozialstaat finanzieren können. Denn das wird auch hin und wieder einfach mal vergessen: Das Geld, das ausgegeben wird, muss auch finanziert werden können. Aber um es den Leuten zu sagen, die uns als Große Koalition sagen: „Ihr habt zu viel für den Sozialstaat gemacht“:
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Das Wichtigste ist der Zusammenhalt der Gesellschaft, und dieser Zusammenhalt der Gesellschaft wird durch diesen Sozialstaat auch entsprechend gesichert. Vor diesem Hintergrund brauchen wir da an der Stelle nichts zurücknehmen.
Um noch mal zum Anfang meiner Rede zu kommen: Zusammenhalt der Gesellschaft, das ist eigentlich das Stichwort, an dem sich die Coronamaßnahmen messen müssen. Zusammenhalt der Gesellschaft bedeutet eben nicht nur, den Starken und Jungen alles zu ermöglichen, jegliche Freiheiten zu geben, sondern Zusammenhalt der Gesellschaft bemisst sich daran, inwieweit wir in der Lage sind, die Alten, Verletzlichen und Schwachen zu schützen.
Danke schön.
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Das Wort geht an Herrn Klaus Ernst von der Linksfraktion zu einer Kurzintervention.
Herr Brinkhaus, ich möchte kurz auf Sie eingehen; Sie haben ja leider meine Frage nicht zugelassen. Sie sprechen vom Zusammenhalt der Gesellschaft, lehnen aber gleichzeitig Steuererhöhungen – und ich sage es ganz bewusst – für die Reichen, für die Krisengewinnler ab und fordern ein anderes Konzept für die Unternehmensteuern, die gesenkt werden sollen; ähnlich heute früh Herr Merz im Rundfunk. Wie wollen Sie das eigentlich mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft in Einklang bringen?
Sie wollen letztendlich ein Konzept, wenn Sie sagen: Auch in dieser Generation muss das, was wir jetzt ausgeben, womit wir jetzt retten, ausgeglichen werden – richtigerweise. Ja, dann muss das bitte schön von anderen erbracht werden. Dann muss das Geld von woandersher kommen als von denen, die jetzt gewinnen, und von denen, die vorher gewonnen haben, nämlich die Unternehmen. Bitte! Mit so einem Konzept werden wir den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht fördern. Mit so einem Konzept bereiten Sie eigentlich den Klassenkampf in den nächsten Jahren vor. Da geht es um Sozialleistungen, da geht es um Steuererhöhungen für die Kleinen, und da geht es darum, dass die Kleinen den Reichen helfen sollen, weil es denen dann angeblich schlecht geht, wenn man ihnen nicht hilft.
Das ist eine Politik, die hat mit Zusammenhalt der Gesellschaft, Herr Brinkhaus, überhaupt nichts zu tun. Wenn wir gemeinsam aus dieser Krise rauskommen sollen, dann müssen die starken Schultern jetzt auch zur Verantwortung gezogen werden. Wir brauchen jetzt Steuererhöhungen für die, die beteiligt werden müssen an der Finanzierung der Mittel zur Bewältigung dieser Krise. Wenn Sie das ablehnen, spalten Sie die Gesellschaft, Herr Brinkhaus.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Sebastian Münzenmaier von der AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das einzig Positive an diesem Haushalt ist die Tatsache, dass es wahrscheinlich der letzte Haushalt unter dieser Kanzlerin ist.
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Doch leider trägt auch er wieder ganz deutlich ihre Handschrift. Die fleißigen Bürger dieses Landes finanzieren jetzt seit Jahren ihren ideologischen Quatsch, werden ausgepresst und sollen von Jahr zu Jahr am liebsten noch mehr Steuern bezahlen; wir haben es heute mehrfach gehört.
Mit diesem Geld wird dann verschwenderisch die ganze Welt bedacht. Von LED-Leuchten in Marokkos Moscheen bis hin zu Genderprojekten in Tunesien
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kümmern Sie sich wieder um alles auf der Welt, außer um Ihre wichtigste Aufgabe: Politik für unser Land und Politik für unsere Leute, meine Damen und Herren.
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Frau Merkel, Sie haben unsere nationale Souveränität in den letzten 15 Jahren geschleift, das Bürokratiemonster EU ausgebaut, unsere Gesellschaft tief gespalten und ein Klima der Angst und der Unfreiheit geschürt. Hochqualifizierte Deutsche flüchten mittlerweile vor Ihrer Politik und sehen sich im Ausland nach Alternativen um.
Und bis vor wenigen Monaten dachte ich persönlich noch, dass diese Minderleistung von Ihnen, die sowieso schon einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik ist, eigentlich gar nicht mehr zu toppen sei. Aber dann kam Corona. Und mit dem Virus kamen Allmachtsfantasien, die weitgehendsten Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten, die es in dieser Republik je gab, De-facto-Berufsverbote für ganze Wirtschaftszweige, Ausgangsbeschränkungen und in Teilen Deutschlands der Katastrophenfall.
Alle 14 Tage werden von Ihnen, Frau Merkel, und von Ihrem Ministerpräsidentenstammtisch dann neue Hiobsbotschaften verordnet und ohne Parlamentsbeteiligung in die Welt posaunt. Um dieses Schauspiel dem Wähler verkaufen zu können, sollen dann mitten in der Krise auch noch die Rundfunkbeiträge erhöht werden – Hauptsache, die eigene Propagandamaschine läuft.
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Aber zumindest in diesem Punkt haben wir Ihnen ja schon mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie sehen: AfD wirkt, meine Damen und Herren.
Frau Kanzlerin, mit Ihrer Coronapolitik richten Sie ein ganzes Land zugrunde und zerstören Millionen von Existenzen.
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Sprechen Sie doch mal mit den fleißigen Gastronomen. – Das würde Ihnen auch nicht schaden, Frau Roth, wenn Sie mal zuhören und mit den Menschen da draußen sprechen würden.
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Sprechen Sie doch mal mit denen, die auf die Novemberhilfe warten, die jetzt vielleicht mal im Januar irgendwann kommt.
Was ist denn mit den Inhabern von Fitnessstudios, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können, weil die Mitgliedsbeiträge fehlen?
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Oder fragen Sie mal einen Taxifahrer, wie es so läuft in Ihrer schönen bunten Welt, wenn alles außer Arbeiten in diesem Land eigentlich verboten ist. Aber zu normalen Menschen haben Sie, Frau Roth, oder auch Sie, Frau Kanzlerin, ja überhaupt keinen Kontakt mehr.
Frau Merkel, Sie fordern, dass frierende Kinder Kniebeugen machen oder in die Hände klatschen sollen, wenn es in der Schule eiskalt ist. Wenn ich so etwas höre, glaube ich, dass wir dringend einmal das Kanzleramt durchlüften sollten, sodass der eine oder andere wieder klar im Kopf wird.
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Frau Merkel, Sie haben leider den Bezug zur Realität verloren. In Ihrer Welt werden einfach immer wieder neue Schulden gemacht. Sie haben es heute Morgen mehrfach gesagt: Geld ist ja da.
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Die Kapelle auf dem untergehenden Schiff spielt munter weiter, Frau Haßelmann. Aber im realen Leben da draußen, welches Sie nicht mehr mitkriegen, platzen Kredite, da verlieren Menschen ihre Jobs und müssen aus ihren Häusern ausziehen, und hier sitzt eine Kanzlerin, die währenddessen in diesem Haushalt eine Erweiterung des Kanzleramts samt Wohnung zum Schnäppchenpreis von ungefähr 600 Millionen Euro plant. Das sind mehr als 18 000 Euro pro Quadratmeter. Frau Merkel, das sind Preise, da wäre selbst der Bonzenbischof Tebartz-van Elst noch neidisch auf Sie geworden.
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Also sitzen Sie weiterhin in Ihrem überteuerten Elfenbeinturm und senden Durchhalteparolen ans eigene Volk: Man müsse jetzt brav sein, damit man irgendwann wieder in die Stammkneipe darf. Man müsse diszipliniert sein, weil ansonsten Oma und Opa sterben. Wer was anderes behauptet oder sachliche Kritik äußert, wird zum Coronaleugner und wird abgewertet. Das ist keine seriöse Politik; das ist billige Polemik.
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Frau Merkel, Sie gehen ja Gott sei Dank nächstes Jahr in den politischen Ruhestand. Aber haben Sie sich eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, welche Schuldenberge Sie meiner Generation hinterlassen? Wer soll denn diese immensen Summen jemals zurückzahlen können? Sie opfern die Zukunft unserer Kinder auf dem Altar Ihrer Coronaschuldenpolitik.
Ein klügerer Mann als ich
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hat mal gesagt: „Abschied ist die Tür zur Zukunft.“ Frau Kanzlerin, ich muss Ihnen sagen: Ihr Abschied ist die Tür zur Zukunft unserer Landes. Wir als AfD-Fraktion werden alles dafür tun, dass Deutschland in eine bessere Zukunft schaut als in den letzten 15 Jahren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Carsten Schneider, SPD-Bundestagsfraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Münzenmaier, Sie sind ja ein wegen Beihilfe zu Körperverletzung rechtskräftig verurteilter Hooligan. Das merkt man, auch wenn Sie einen Anzug tragen.
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Dass Ihre Partei Sie hier als ihren zweiten Redner in der Generaldebatte reden lässt, in der es um die Zukunft unseres Landes geht, zeigt, wo Ihre Partei steckt: mitten im Rechtsextremismus.
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Wir beraten den Bundeshaushalt, die generelle Linie. Kollegin Bas wird noch was zu der Frage der Pandemie und der Gesundheitslage sagen. Ich will mich auf die ökonomischen Fragen konzentrieren.
Ich finde, es ist heute gut zutage getreten, wo die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien liegen und welche unterschiedlichen Denkschulen dem zugrunde liegen; dies wird wahrscheinlich bei der Bundestagswahl eine Rolle spielen.
Ich bin sehr froh – Rolf Mützenich hat es gesagt –, dass wir Sozialdemokraten uns entschieden haben, auch unter schwierigen Umständen in diese Bundesregierung zu gehen. Es hat sich gezeigt, dass es gerade in der Krise extrem wichtig ist, dass im Finanzministerium jemand wie Olaf Scholz als Finanzminister sitzt, der nicht kleinteilig denkt, sondern groß. Das ist notwendig, um die Belastungen der extremen wirtschaftlichen Krise, die wir hatten und haben, zu schultern. Wir können sie schultern durch die Intervention des Staates und durch eine hohe Kreditaufnahme, weil wir im vergangenen Jahrzehnt gespart haben
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bzw. die Einnahmen stärker gewachsen sind als die Ausgaben. Von diesem Polster können wir zehren. Genau das ist der Wesenskern sozialdemokratischer Finanzpolitik: Wenn es sehr, sehr gut läuft, dann sorgen wir dafür, dass die Schulden sinken. Wenn der Staat intervenieren muss, hat er die Kraft und kann es auch. Das bringt Sicherheit.
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Das machen wir zum einen, indem wir den Sozialstaat stabilisieren. Wir kürzen ihn nicht, wie von Teilen der Union gefordert; bei Herrn Merz habe ich das gehört. Das sind ja die Rezepte aus den 80ern. Das ist sozusagen die Videokassette der deutschen Politik: Friedrich Merz.
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Nein, wir kürzen nicht, sondern wir erhalten den Sozialstaat, und wir bauen ihn im Zweifel aus. Im Zusammenhang mit dem Kurzarbeitergeld haben wir – ich weiß gar nicht, wer es war; ich glaube, Frau Baerbock hat es angesprochen – für eine Verpflichtung zur Weiterbildung gesorgt. Also, wenn die Unternehmen es wollen, können sie es jetzt tun. Diese Möglichkeit hat Hubertus Heil im Zusammenhang mit der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes – Stichwort: Qualifizierungschance – ermöglicht; denn wir glauben an die Zukunft in Deutschland, und wir bleiben eben nicht stehen, sondern entwickeln uns nach vorn.
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Die internationale Politik – nehmen Sie den IWF, nehmen Sie die EU-Kommission – gibt uns recht. Wir haben einen ökonomischen Impuls aus der Kreditaufnahme umgesetzt. Wir setzen aber auch auf Transformation, Wasserstoff, neue Technologien, Digitalisierung etc. All das ist entscheidend; denn wir können nicht stehen bleiben.
Ich schaue mir auch Alternativen dazu an; dazu dient solch eine Debatte heute hier ja auch. Ich greife das auf, was Herr Lindner gesagt hat. Ich habe mir Ihre Anträge genau angesehen, sowohl die in Nordrhein-Westfalen, wo Sie in der Landesregierung sind, als auch hier im Bundestag. Fangen wir mal bei denen im Bundestag an. Im Bundestag haben Sie bei den Wirtschaftshilfen beantragt, dass sie um 20 Milliarden Euro niedriger liegen als das, was die Koalition aus CDU/CSU und SPD zur Verfügung stellt,
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also die direkten Wirtschaftshilfen für November, Dezember und eventuell länger, die noch gezahlt werden, als auch die Überbrückungshilfen.
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Betroffen sind also der Kneipier, die Gaststätte, die derzeit die Umsätze erstattet bekommen, weil sie per Auflage für uns alle geschlossen sind.
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Diese Mittel in Höhe von über 40 Milliarden Euro stehen zur Verfügung.
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Ich sage Ihnen: Wir sind auch bereit, dem Finanzminister im Zweifel die Möglichkeit zu geben, diese Mittel zu erhöhen.
Was machen Sie? Sie setzen die Hilfen um 20 Milliarden Euro niedriger an. Das heißt, der kleine Kneipier bekommt von Ihnen im Zweifel die Hälfte.
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Wem geben Sie aber Geld? Was ist noch Teil Ihrer Politik? Wir machen hier auch wirklich Steuerpolitik, falls Sie es nicht mitbekommen haben. Zum 1. Januar wird der Soli für 95 Prozent der Beschäftigten in Deutschland abgeschafft. Das ist sozialdemokratische Politik; das steht in unserem Programm.
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Das gibt einen Wachstumsimpuls für mehr Binnennachfrage. Sie beantragen hier, dass für die letzten 5 Prozent, die Superreichen, die Jetset-Generation, die Steuern um 10 Milliarden Euro gesenkt werden.
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Sie nehmen es beim Kneipier um die Ecke und geben es dem Jetset-Publikum in Nizza. Herzlichen Glückwunsch!
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– Das ist nicht Demagogie, das ist einfach faktenbasierte Politik, Herr Lindner.
Jetzt gucke ich mal nach NRW – Sie tun ja so, als würden Sie hier nirgendwo Verantwortung tragen –; das ist ja das größte Bundesland. Soweit ich weiß, sind Sie dort in der Koalition. Haben Sie doch mitgemacht, oder?
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– Haben Sie verhandelt. Genau. – Das ist nicht ohne. Also, gegen den Bundesvorsitzenden der FDP wird doch sicherlich nicht entschieden, dass die höchste Kreditaufnahme, die alle Bundesländer haben – nicht pro Kopf, sondern bezogen auf den Haushalt 2019 –, wo ist? In NRW, bei der FDP. Und: Wie lang ist der Zeitraum, bis die Schulden in NRW getilgt werden? 50 Jahre! 50 Jahre nehmen Sie sich Zeit.
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Man kann darüber reden, ob das richtig oder falsch ist; aber es ist komplett was anderes als das, was Sie hier die ganze Zeit im Bundestag erzählt haben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat es jetzt in der Hand, die Investitionen, die wir zur Verfügung gestellt haben, zur Transformation unserer Wirtschaft zu nutzen und sie voranzubringen. Sie hat es in der Hand – ich vertraue der Kanzlerin und dem Finanzminister –, die Unternehmen, die jetzt in Schwierigkeiten sind, zu stabilisieren. Ich füge aber auch hinzu, dass die Umsatzerstattung für Handelsunternehmen, falls sie geschlossen werden sollten, aus meiner Sicht nicht darstellbar ist. Vielmehr müssen wir da wirklich auf die Fixkosten schauen; denn wir müssen auch aufpassen, dass wir aus dieser Krise gestärkt hervorgehen und nicht mit zu viel Schulden. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine starke Wirtschaft und solide Finanzen.
Vielen Dank.
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Das Wort geht an die Abgeordnete Simone Barrientos von der Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir zum Kulturhaushalt. Die Bundestagsdebatten zur Kultur gleichen inzwischen einem Theaterstück: zigmal geprobt, der Text sitzt, die Einsätze klappen, auf dem Papier ein Festspiel, in der Realität aber ein Gesellschaftsdrama.
Eine Kleine Anfrage von mir zu „Neustart Kultur“ hat ergeben – ich konnte die Antwort nur überfliegen; sie sollte gestern kommen, kam aber erst heute rein oder erreichte mich erst heute –, dass allein der Mehrbedarf in diesem Bereich bei über 1 Milliarde Euro liegt. Während die Bundesregierung die Coronaüberbrückungshilfen als Erfolg feiert, werden Tausende Soloselbstständige wegen Subventionsbetrugs angezeigt. In etwa 8 200 Fällen ermittelt der Zoll. Das ergab mein Gespräch mit Dr. Lutz, dem Vorsitzenden des Verbandes der Gründer und Selbstständigen Deutschland.
Die Betroffenen haben zum Teil unwissentlich fehlerhafte Angaben gemacht, weil das Bürokratiemonster überhaupt nicht zu bewältigen ist. Das Geld kommt nicht an, und wenn doch, dann reicht es hinten und vorne nicht, oder es wird der Lebens- und Arbeitswirklichkeit der Kultur- und Kreativbranche nicht gerecht, oder es wird zurückgefordert. Viele Soloselbstständige trauen sich überhaupt nicht mehr, Hilfen zu beantragen. Sie fordern und brauchen klare, nachvollziehbare, verlässliche monatliche Hilfen, die sich eben nicht jeden Monat ändern. Sonst wird nämlich die Novemberhilfe zum Aprilscherz;
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so lange kann es uns ja noch beschäftigen.
Das Vorgehen der Finanzbehörden ist völlig unverhältnismäßig. Einem jungen Paar wurde die Wohnung gekündigt, weil ihr Bankkonto infolge des Betrugsverdachts gesperrt wurde. Selbst das Sparkonto eines dreijährigen Kindes wurde gesperrt. Dramen spielen sich ab, die Verzweiflung wächst, und die Veranstaltungsbranche pfeift buchstäblich auf dem letzten Loch.
Die wesentlichen Ursachen dafür, dass die Kultur- und Kreativbranche so existenziell getroffen ist, entstanden nicht durch die Coronapandemie; sie waren schon vorher da. Dass zum Beispiel die Vergabe von Fördergeldern nicht an soziale Standards gekoppelt ist, ist ein Skandal.
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Die soziale Lage von zahllosen Künstlerinnen und Künstlern war schon vor Corona bescheiden, und wer vorher kaum was hatte, der geht jetzt unter. Der Verweis auf Hartz IV ist ein Hohn und wird auch als solcher empfunden – es sei denn, Sie stimmen dem Entschließungsantrag meiner Fraktion zu, in dem wir eine sanktionsfreie Grundsicherung mit höheren Regelsätzen für alle darauf Angewiesenen fordern.
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Wann kommt endlich die wirklich unbürokratische Hilfe für Soloselbstständige? Wann kommt endlich der von uns seit Monaten geforderte fiktive Unternehmerlohn? Der vorliegende Kulturhaushalt ist gut gemeint; aber er gibt keine Antworten auf die Fragen zur sozialen Absicherung, zu Diversität, zu Geschlechtergerechtigkeit, und er wird der dramatischen Situation nicht gerecht.
Stimmen Sie am Freitag unserem Entschließungsantrag zu, damit nicht am Ende aus dem Drama eine Tragödie wird! Der zu befürchtende Kulturverlust wäre ein sehr, sehr schwer wiedergutzumachender Schaden für die Menschen und vor allen Dingen für die Demokratie.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an die Abgeordnete Margit Stumpp von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das unausgegorene Konzept zur Presseförderung, das die Koalition in der Haushaltsbereinigungssitzung kürzlich abgenickt hat, steht symptomatisch für die verfehlte Medienpolitik dieser Regierung. 180 Millionen Euro sollen an Zeitungs-, Zeitschriften- und Anzeigenblattverlage ausgeschüttet werden, nach dem Prinzip: Die höchste Auflage bekommt das meiste Geld. Wer hat, dem wird gegeben. – Weder die Förderung von Qualität noch die des lokalen und regionalen Journalismus wird berücksichtigt. Wie das zur Medienvielfalt beitragen soll, ist uns und den Fachleuten ein Rätsel. Das bleibt das Geheimnis der Koalition.
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Der Bundesregierung fehlt zudem immer noch eine kohärente Strategie für eine altersübergreifende Stärkung der Medienkompetenz. Dabei sind Desinformation, Hassreden und Verschwörungstheorien nicht erst seit Corona eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Demokratie. Die Verfolgung strafrechtlich relevanter Inhalte ist das eine. Das andere ist der Umgang mit Inhalten, die nicht gegen Strafrecht verstoßen, zum Beispiel Verschwörungstheorien. Antisemitismus und Demokratieverachtung sind inzwischen salonfähig. Wo bleiben die Maßnahmen zur digitalen Aufklärung?
({1})
Die Tatsache, dass es inzwischen auch in der CDU Mandatsträger gibt, die das Systemmedien-Bashing systematisch und strategisch betreiben, zeigt die Brisanz.
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Getrieben von der Hoffnung, den rechten Rand zu bedienen, riskiert die CDU in Sachsen-Anhalt einen Regierungsbruch. Das ist unfassbar.
({3})
Es stellt sich an die CDU nicht nur die Frage: Wie hältst du es mit den Öffentlich-Rechtlichen? Es stellt sich auch die Frage: Wie hältst du es mit der AfD?
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Es ist doch bei aller berechtigter Kritik höchst alarmierend, wie weite Teile der Presse die heutige Berichterstattung dazu nutzen, auf die Öffentlich-Rechtlichen einzuprügeln, die gerade jetzt ihre Leistungsfähigkeit beweisen.
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Noch kurz zur Kulturpolitik – Frau Barrientos hat viel gesagt –: Die Meldungen, der Bund habe über 8 000 Selbstständige wegen versuchten Subventionsbetrugs angezeigt, sind verstörend. Hat die verantwortliche Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, dem Finanzministerium unterstellt, nichts Besseres zu tun? Cum/Ex vielleicht oder Wirecard? War da was? Wo sind eigentlich die Prioritäten dieser Regierung? Warme Worte, Frau Grütters, auch endlos gespielt, retten Kultur- und Medienschaffende nicht.
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Manchmal geht es schneller, als man denkt. – Das Wort geht als Nächstes an Alexander Dobrindt von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Sie haben einen eindrucksvollen Appell an Bürger und Politik gerichtet, um die Kontakte weiter zu reduzieren. Wir stehen an Ihrer Seite, wenn es darum geht, diesen Appell auch in die Realität umzusetzen. Wir stehen auch an Ihrer Seite, wenn es darum geht, die Empfehlungen der Leopoldina jetzt umzusetzen. Wir stehen auch an Ihrer Seite, wenn es darum geht, die Chance zu nutzen, in den Weihnachtsferien in ganz Deutschland weiter Kontakte zu reduzieren. Wenn es keine Schule gibt, wenn viele Unternehmen geschlossen haben, dann müssen wir die Möglichkeit nutzen, weiter Kontakte zu reduzieren, um uns gegen den Virus zu stemmen.
Aber es entsteht auch genau in dieser Zeit ein neues Risiko, und das Risiko heißt: Die Familien kommen zusammen, und es entsteht eine Nähe zwischen den Generationen. – Es ist auch möglich und notwendig und gewünscht, dass sie Weihnachten entsteht; aber darin besteht das Risiko, dass der Virus in die nächste, in die ältere Generation eingetragen wird,
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die um ein Vielfaches gefährdeter ist als die junge Generation. Deswegen müssen wir die Entscheidung treffen, dass die Kontakte vor Weihnachten reduziert werden, damit das Risiko, dass der Virus von der jungen in die ältere Generation überspringt,
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reduziert wird. Das ist jetzt eine politische Aufgabe, meine Damen und Herren.
({2})
Es geht natürlich auch darum, über die Frage der Schulen zu sprechen, und es geht natürlich auch darum, dass wir dafür sorgen, dass zwischen den Schülerinnen und Schülern die Infektionsrate sich nicht weiter erhöht. Ich weiß sehr wohl, dass diese Aufgabe keine Aufgabe ist, die dem Bund zusteht, sondern dass es Entscheidungen sind, die in den Ländern getroffen werden müssen. Ich fand die Debatte von gestern und auch heute in Teilen sehr befremdlich, wenn es darum geht, dass sich diejenigen, die Verantwortung tragen, in Bund-Länder-Konferenzen darüber streiten, ob man sich überhaupt vor Weihnachten treffen sollte oder ob man sich nicht treffen sollte.
Ich weiß, dass es hier um Belange der Länder geht. Ich weiß, dass die Länder sich nicht scheuen, sich immer wieder mit Aufforderungen an den Bund zu wenden und ihn zu kritisieren. Das ist in Ordnung. Das ist auch Teil des Föderalismus. Aber deswegen müssen die Länder jetzt auch akzeptieren, dass wir ihnen Ratschläge geben, und einer davon heißt: Setzen Sie sich mit dem Bund zusammen und finden Sie vor Weihnachten Lösungen, wie wir die Kontakte reduzieren können!
({3})
Wir haben in diesem Bundeshaushalt auch alle finanziellen Vorgaben geregelt, die im Zusammenhang mit den Kosten der Pandemie stehen. Es gibt eine Grundphilosophie in diesem Bundeshaushalt, die heißt, dass wir uns gegen Corona stemmen und dass wir im Jahr 2021 mit allen wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen Corona hinter uns lassen wollen.
Wir nehmen 180 Milliarden Euro neue Schulden auf. Das ist eine Zahl, Herr Bundesfinanzminister, an die will ich mich nicht gewöhnen, und wir dürfen uns auch nicht an diese Zahl gewöhnen. Die Frau Bundeskanzler hat 2008 nach der Finanzkrise den Spruch getätigt: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.
({4})
Dieser Spruch hat nach wie vor seine Gültigkeit.
({5})
Wir leben jetzt begründet über diese Verhältnisse. Wir müssen aber genauso begründet wieder zu soliden Haushalten zurückkommen und die Schuldenbremse wieder einhalten. Ich erwarte auch das klare Bekenntnis der Bundesregierung dazu.
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Ich weiß, dass das hier nicht jeder so sieht. Es ist ja sehr deutlich gemacht worden, dass die Schuldenmacher und die Schuldenerhöher gerne Corona als Vehikel zur Durchsetzung ihrer falschen Vorstellungen verwenden wollen. Deswegen brauchen wir jetzt auch eine klare Richtungsentscheidung bei der Finanzpolitik. Da gibt es einige mögliche Wege, die hier diskutiert und aufgezeigt worden sind. Einige sagen: Wunderbar, der Damm ist gebrochen. Lasst uns endlich die Schuldenbremse abschaffen.
Frau Baerbock, Sie haben ja Ehrlichkeit in dieser Debatte eingefordert und darauf hingewiesen, Sie könnten sich nicht vorstellen, dass wir ab 2026 die Schulden wieder zurückführen wollen.
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Seien Sie doch so ehrlich und sagen Sie einfach, Sie wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz abschaffen.
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Sie wollen für die Zukunft weiter Schulden in dieser Höhe machen. Wir lehnen genau das ab. Die Schuldenbremse ist wegen Politikern wie Ihnen eingeführt worden, damit wir nicht ohne Bremse und ohne Not weiter Schulden in dieser Höhe aufnehmen können.
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Der Hinweis auf Europa war ja ganz wichtig: Es sind übrigens genau diejenigen in Europa, die dem Schuldenfetisch in der Vergangenheit gefolgt sind, die jetzt vom Wiederaufbaufonds am allermeisten profitieren und die ihn am allerdringendsten brauchen.
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Wir wollen nicht in die Lage kommen, dass wir zukünftig diejenigen sind, die diese Unterstützung und Hilfe brauchen. Wir wollen einen anderen Weg. Aber der andere Weg darf auch nicht heißen, dass man jetzt einfach die Steuern erhöht.
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Der Vorschlag der SPD-Ministerpräsidenten, einen Coronasoli einzuführen, ist grundfalsch, ein Fehlschluss. Der Soli ist von den Bürgerinnen und Bürgern in den vergangenen Jahren durch ihre vielen Steuern, die sie erbracht haben und von denen wir jetzt leben, längst bezahlt worden, meine Damen und Herren.
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Wir brauchen ein Wachstumsprogramm. Herr Bundesfinanzminister, ich bin da bei Ihnen: Der Vergleich mit der Finanzkrise, dass wir aus den Schulden herausgewachsen sind, ist richtig. Wir müssen diesen Weg jetzt wieder gehen; deswegen auch Überbrückungshilfen für die Unternehmen, die genau dieses Wachstum in der Zukunft generieren müssen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es nicht das Wachstum alleine war, sondern es war vor allem die Haushaltssolidität, die die Grundlage dafür war, dass Wachstum möglich war und wir aus den Schulden herausgekommen sind. Deswegen brauchen wir dieses klare Bekenntnis zur Schuldenbremse, meine Damen und Herren.
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Wir haben in diesem Haushalt weiter für Entlastungen gesorgt. Ich rate dazu, dass wir keine Debatte darüber führen, die Abschaffung des Soli ab Januar rückabwickeln zu wollen, wie sie in Teilen schon wieder aufgekommen ist. Ich rate dringend dazu, dass wir die Investitionen, die wir jetzt noch mal erhöhen, auch schnell umsetzen. Das ist nicht nur die Digitalisierung. Das sind natürlich auch die Klimainvestitionen. Das sind die Schlüsseltechnologien, die künstliche Intelligenz, die Therapeutikaentwicklung, die wir alle auch in diesem Haushalt adressiert haben.
Es ist vor allem auch das klare Bekenntnis, am Exportmarkt in der Welt weiterhin führend zu sein. Wir sind Exportweltmeister. Wir wollen Exportweltmeister bleiben. Das ist notwendig, wenn man Wachstum generieren will. Deswegen ist es grundfalsch, wenn die Grünen darauf hinweisen, dass Exportleistungen bestraft werden sollen, dass Exportüberschüsse begrenzt werden sollen.
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Wir können den Export nicht aufgeben, wenn wir erfolgreich bleiben wollen. Wir müssen Exportweltmeister bleiben und in die Welt exportieren. Das ist die Aufgabe.
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– Sie müssen einfach mal in Ihrem Parteitagsbeschluss nachlesen, in dem steht: Defizit- und Überschussländern sollen Verpflichtungen zum Abbau auferlegt werden. – Vielleicht wissen Sie nicht genau, was Sie da eigentlich beschlossen haben.
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Wir wollen auch in Europa weiter exportieren. Wir wollen in Europa auch der Exportweltmeister bleiben. Das ist zwingend notwendig.
Die Gegenposition, die da aufgemacht wird und die man jetzt auch von verschiedenen Seiten europäischer Länder lesen kann, zum Beispiel auch von Teilen der italienischen Regierung, ist, dass man auf Rückzahlung der Staatsschuldscheine, die in der Pandemie gekauft und bei der EZB geparkt worden sind, jetzt endlich verzichten soll. Das ist grundgefährlich, was da diskutiert wird.
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Das gefährdet die finanzielle Stabilität Europas an dieser Stelle.
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Deswegen: Es darf keine Staatsfinanzierung durch die Hintertür geben. Ich respektiere die Unabhängigkeit der EZB. Ich fordere sie geradezu ein. Aber „Unabhängigkeit“ heißt, dass man sich von Forderungen und Ratschlägen der Schuldenländer in Europa nicht abhängig macht,
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sondern auf Stabilität setzt, meine Damen und Herren.
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Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein. Ich mache jetzt meine Rede fertig.
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Es wird Zeit, Herr Dobrindt.
Ich freue mich darauf, dass wir diese Debatte heute auch zu Ende führen, weil ich weiß: Es kommt mit dem Haushalt 2021 eine große Herausforderung auf uns zu. Ich glaube daran, dass wir die Grundlagen für Wachstum, für Stabilität, für Innovation in diesem Haushalt gelegt haben. Deswegen lassen Sie uns diesen Haushalt gemeinsam mit Leben erfüllen.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Dobrindt. – Ich mische mich ja in Debatten nicht ein, aber es heißt: Bundeskanzlerin.
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Wir haben eine Kurzintervention des Kollegen Kindler.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Dobrindt! Leider haben Sie die Zwischenfrage nicht zugelassen. – Ich bitte Sie erstens, keine Falschbehauptung hier im Plenum über unsere grüne Beschlusslage aufzustellen. Wenn Sie das mitgekriegt hätten, hätten Sie gemerkt, dass wir konkret gesagt haben: Wir wollen die Schuldenbremse nicht abschaffen, sondern sie reformieren und weiterentwickeln,
({0})
um Nettoinvestitionen zukünftig über Kredite zu finanzieren. In Zeiten von negativen Zinsen macht das bei der großen Transformation in Bezug auf die Klimakrise und Digitalisierung Sinn.
Zweitens haben Sie gesagt, dass Deutschland Exportweltmeister sein sollte, und haben kritisiert, dass Überschüsse und Defizite bei der Leistungsbilanz in Europa ausgeglichen werden sollten. Das ist heute schon europäisches Recht.
({1})
Ich weise Sie darauf hin: Es mag ja Fälle geben, in denen Ihnen das europäische Recht egal ist, so wie bei der Pkw-Maut. – Uns ist das europäische Recht eben nicht egal. Wir wollen, dass wir aus der Finanzkrise lernen. Wir wollen eben konkret, dass man die Finanzsysteme und die Wirtschaft in Europa stabilisiert.
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Dazu gehört auch, dass man guckt, dass die Wirtschafts- und Währungsunion im Gleichgewicht ist – sowohl bei Staatshaushalten als auch bei der Frage von Leistungsbilanzen. Deswegen gibt es das europäische Recht, und wir wollen, dass Deutschland dieses europäische Recht auch einhält.
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Keine Antwort vorgesehen.
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Frau Beatrix von Storch von der AfD-Fraktion hat das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen über den Etat von Kanzlerin Merkel und dem Kanzleramt.
Ein Blick zurück: Das Kanzleramt hatte unter Konrad Adenauer 120 Mitarbeiter. Adenauers Bilanz: Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, soziale Marktwirtschaft und Vollbeschäftigung, Westbindung und die Aufnahme Deutschlands in die NATO, die Gründung der EWG, die Rückkehr der Kriegsgefangenen, der Aufbau der Bundeswehr, die Versorgung von Millionen deutscher Vertriebenen aus dem Osten.
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Bei Merkels Amtsantritt hatte das Kanzleramt bereits knapp viermal so viele Mitarbeiter wie unter Adenauer; das hat Merkel dann noch um 60 Prozent auf 750 Mitarbeiter aufgestockt.
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Die Bilanz: Verheerend!
Erstens. Euro-Zone: Maastricht-Verträge außer Kraft. Deutschland haftet für die Schulden der Euro-Zone. Verschuldungsverbot der EU: mit Zustimmung von Merkel aufgehoben. Niedrigzinspolitik vernichtet deutsche Sparguthaben. Verlust für die Sparer allein zwischen 2010 und 2019: 649 Milliarden Euro.
Zweitens. Europa: Die Briten haben die EU fluchtartig verlassen. Ausschlag gab Merkels Flüchtlingspolitik. Rest-EU gespalten wie noch nie über Merkels Flüchtlingspolitik.
Drittens. Energiewende: keine Kernkraft, keine Kohle, dafür deutsche Landschaft zugespargelt. Stromkosten seit 2000 um 120 Prozent gestiegen, Stromkosten für Privathaushalte ein Drittel höher als in Frankreich. Fazit des „Wall Street Journal“: die dümmste Energiepolitik der Welt.
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Viertens. Sicherheit: Die Bundeswehr nicht mehr einsatzbereit, Deutschland das Gespött der ganzen NATO, deutsche Grenzen offen wie Scheunentore. Folge: Deutschland ist abhängig von der Türkei, Erdogan erpresst uns, die totale Unterwerfung.
Fünftens. Digitalisierung: komplett verschlafen. Langsamstes Internet in Europa und nicht nur das: Selbst Kolumbien hat mehr Glasfaser als wir. Wir sind „Bummelletzter“, sagt die Kanzlerin. – Das klingt niedlich, aber es ist nicht niedlich. Das ist eine Katastrophe für unsere Zukunft.
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Und die Merkel-Bilanz für Deutschland: Wir sind eine kunterbunte Republik geworden: mit über 600 islamischen Gefährdern, mit über 75 000 Gewaltdelikten und Sexualverbrechen durch Merkels illegale Asylzuwanderer,
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mit 250 000 ausreisepflichtigen Personen, die nicht abgeschoben werden. Der Magnet bleibt scharfgestellt. Coronagefährder dürfen weiter unkontrolliert rein, aber Gesunde sollen nicht mehr aus dem Haus. Das Wort „Ausreisesperren“ zirkuliert. Erst waren Masken Virenschleudern; jetzt sollen die Bürger Masken selbst im Freien tragen.
Deutschland, ein reiches Land? Die Deutschen sind weniger vermögend als Italiener, Franzosen, Spanier, Malteser oder Zyprioten.
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Und wir haben die niedrigste Eigenheimquote in der EU. Spitzenreiter sind wir nur bei Steuern und Sozialabgaben. 3,8 Millionen Hartz-IV-Empfänger – und die Hälfte hat Migrationshintergrund! 270 000 Deutsche wanderten 2019 aus, hochqualifizierte. Attraktiv sind wir nur noch für die Geringqualifizierten aus aller Welt. Stattdessen hat Merkel eingeführt den Doppelpass für alle, die Ehe für alle, das dritte Geschlecht, Genderlehrstühle, Frauenquote, NetzDG und Internetzensur, ein Antidiskriminierungsgesetz und eine Islam Konferenz mit Fundamentalisten.
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Adenauer hat Westdeutschland aus einem Trümmerfeld wiederaufgebaut und an die Weltspitze geführt. Merkel hat Deutschland wieder in ein Trümmerfeld verwandelt und führt uns in den Niedergang.
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Aber Deutschland wird Merkel überleben. Es wird neue politische Mehrheiten geben, so wie jetzt gerade in Sachsen-Anhalt.
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Wir werden Merkels politisches Erbe abwickeln und Deutschland wiederaufbauen. Dafür steht die AfD.
Vielen Dank.
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Das Wort geht an Bärbel Bas von der SPD-Bundestagsfraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass bei manchen Redebeiträgen ignoriert wird, dass heute erneut 590 Menschen verstorben sind an einem Virus oder mit einem Virus; man kann es definieren, wie man möchte. Aber es sind zwischenzeitlich fast jeden Tag über eine Woche über 400 Menschen. Diese Fakten zu ignorieren und Wortbeiträge hier zu haben, die von Kungelrunden und verlogener Politik sprechen, ist für mich mittlerweile unfassbar.
({0})
Der Punkt ist einfach. Herr Münzenmaier hat vorhin gesagt: Kriegen Sie eigentlich noch was mit? – Die Frage würde ich Ihnen gerne stellen: Kriegen Sie eigentlich noch was mit?
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Sie haben mit Gastronomen und Taxifahrern geredet; das tun wir auch. Aber vielleicht reden Sie auch mal mit Intensivmedizinern.
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Vielleicht reden Sie mal mit Pflegefachkräften darüber, wie die sich gerade fühlen, was die gerade leisten. Ich möchte nicht prognostizieren, welche Zahlen wir jetzt hätten, wenn wir diesen Lockdown light nicht gehabt hätten, den übrigens die FDP so, wie er jetzt ist, auch nicht wollte. Dann wären die Krankenhäuser schon weit über ihrem Limit. Wenn jemand sagt, wir hätten die Zeit nicht genutzt, um zu investieren: Ich glaube, dass dieser Haushalt deutlich zeigt, dass wir sehr wohl investiert haben und die Zeit genutzt haben.
Ich will nur erinnern, weil das viele vergessen: Wir haben im Frühjahr Kapazitäten an Beatmungsgeräten und Intensivbetten aufgebaut.
({3})
Nicht dass ich mir gewünscht hätte, dass wir sie brauchen, auf keinen Fall; das will ich noch mal ganz deutlich sagen. Aber hätten wir das nicht gemacht, hätten wir schon jetzt nicht mehr die Kapazitäten, um diese zweite Welle zu überstehen. Wir Sozialdemokraten haben aber schon damals gesagt: Das Bett und das Gerät sind das eine. Wir kommen aber beim Personal ans Limit. – Das war auch abzusehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber reden. Das haben wir immer wieder in die Debatten eingebracht.
Es ist bitter, dass es ein solches Gezänk und Gezerre um den Coronabonus gab und dass es so lange gedauert hat, bis überhaupt die ersten Boni gezahlt wurden. Und es stimmt: Noch nicht alle haben diese Prämie bekommen. Das ist bitter, und das müssen wir konstatieren. Das ist uns nicht gelungen. Dennoch müssen wir jetzt den Menschen helfen, die trotzdem an der Bekämpfung der Pandemie arbeiten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang das ansprechen, was Herr Lindner vorhin zum RKI gesagt hat. Man kann den Zeitungen einfach entnehmen: Es wurden 68 IT-Stellen gefordert, aber nur vier genehmigt. – Die Wahrheit ist aber: Der Personalhaushalt des RKI ist um 50 Prozent aufgestockt worden.
({4})
Wenn das RKI selber seinen Schwerpunkt auf 101 Stellen bei der künstlichen Intelligenz legt, dann ist das die Sache dieses Instituts; das kann es so machen. Dass jede Behörde zig Stellen fordert – das muss ich keinem Haushaltspolitiker sagen – und nicht alle genehmigt bekommt, ist auch klar.
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Aber zu verschweigen, dass 133 Stellen beim RKI im Laufe der Zeit aufgebaut worden sind, ist nicht in Ordnung. Das ist eine Realität, die man auch wahrnehmen muss. Natürlich unterstützen wir das Robert-Koch-Institut.
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Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?
Gerne.
({0})
Nein, ich kann dich beruhigen: Ich rede diese Woche – anders als du – nicht viermal, lieber Fraktionsvorsitzender.
Frau Kollegin Bas, gerade weil dieses Thema so viele Leute beunruhigt hat, sollten wir einfach für Klarheit sorgen, ohne dass es da um Schuldige geht. Sie hatten auf die Haushälter verwiesen. Dem Haushaltsausschuss lag ein entsprechender Antrag des RKI ja überhaupt nicht vor.
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Deswegen weise ich darauf hin, dass das nicht eine Frage war, die an das Parlament herangetragen worden ist, sondern doch wohl eine Frage war innerhalb der Regierung.
Zweitens. Frau Bas, ich bitte Sie, mir zu sagen, ob aus Sicht der SPD-Fraktion die Stellen, die das RKI jetzt hat – ich gebe Ihnen vollkommen recht, es sind die Stellen, die Sie genannt haben, auch dabei –, ausreichen oder nicht.
Das beantworte ich gerne. Aber, wie gesagt, die Entscheidung, wie das Personal eingesetzt wird, fällt im Innern der Behörde. Wenn sie 101 Stellen für die künstliche Intelligenz nutzt – die müssen erst besetzt werden –, dann nutzt sie diesen Bereich auch für die moderne Aufstellung des RKI. Ob die in Rede stehenden vier IT-Stellen reichen? Da würde ich von mir aus sagen: Es mag sein, dass sie nicht reichen. Aber das RKI kann auch sagen: Wir können bestimmte Programmierungen zukaufen. So etwas im eigenen Haus aufzubauen, würde zweifelsfrei Jahre dauern. – Sie sind doch die digitale Partei, die immer wieder sagt: Man kann sich Expertise einkaufen
({0})
– das ist meine Antwort; die müssen Sie mir schon zugestehen –,
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gerade wenn es um Digitalisierung und Programmierung geht. Ich glaube, das tut dem RKI keinen Abbruch.
({2})
Wir stärken jedenfalls das RKI. Man kann sicherlich auch im nächsten Jahr noch mal schauen, ob das ausreichend ist.
({3})
Aber noch mal: Die Gesundheitsämter – weil Sie das Stichwort gerade liefern – sind ein anderer Punkt. Da haben wir jetzt 4 Milliarden Euro investiert; auch das sagen Sie nicht. 4 Milliarden Euro für die Gesundheitsämter, die wir jetzt aufwenden!
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Auch das wird verschwiegen; auch hier haben wir investiert. Aber das alles wird ignoriert.
Das Gleiche gilt für die Testkapazitäten. Es wurde hier gerade unterstellt, wir hätten da nicht viel gearbeitet. Die Schnelltests, die nun zur Verfügung stehen, sind aber auch erst im Laufe der Zeit entwickelt worden.
Frau Baerbock hat gesagt: Wir haben nicht genug Masken. – Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass wir eine nationale Reserve aufbauen. Auch das haben wir jetzt geleistet. Das alles kann man ignorieren. Aber das ist auch ein Element in diesem Haushalt. Dafür haben wir uns sehr stark eingesetzt.
Was ich auch kritisiere und wo ich bei denen bin, die das kritisieren: Ja, wir brauchen weitere Präventionskonzepte. Die Menschen erwarten von uns klare Maßnahmen; das stimmt. Deswegen will ich auf meinen Beginn noch mal zurückkommen. Wenn die Zahlen nach wie vor steigen, kann ich den Appell der Kanzlerin nur unterstützen. Eigentlich sind mir Maßnahmen nach Weihnachten zu spät; das will ich auch ganz deutlich sagen. Wir müssten schon heute damit beginnen, stärkere Maßnahmen zu ergreifen, um die Kontakte zu beschränken, auch an den Feiertagen. Wir haben jetzt die Chance, weil um Weihnachten herum sowieso viel geschlossen ist, weil viele Betriebe in die Ferien gehen. Wir haben jetzt die Chance, diese Feiertage zu nutzen, unser öffentliches Leben ein bisschen herunterzufahren. Diese Chance sollten wir jetzt nutzen.
Die Kanzlerin hat das in ihrer Rede angesprochen: Wir haben jetzt schon wieder einen Anstieg der Infektionszahlen von 3 000. – Diese infizierten Menschen werden in 14 Tagen – wir müssen bis Weihnachten weiterdenken – in den Krankenhäusern landen; nicht alle, Gott sei Dank, weil der Krankheitsverlauf nicht bei allen schwer ist. Deshalb ist es mir fast zu spät, dass die Länder erst nach Weihnachten mit ihren Maßnahmen beginnen. Ich bin sehr stark bei denen, die sagen: Wir müssen eigentlich schon heute damit beginnen.
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Ich bin auch bei den 80, 90 Prozent der Menschen, die quasi darum bitten, klare, strukturierte Maßnahmen zu generieren.
Ich will auch deutlich sagen: Ich betrachte die bei den Länderzusammenkünften getroffenen Maßnahmen nicht als Hinterzimmermaßnahmen. Vielmehr müssen wir lernen, dass in erster Linie die Länder für den Infektionsschutz in ihren eigenen Ländern zuständig sind und dort die Verantwortung tragen. Aber die Länder müssen auch anerkennen, dass die Menschen draußen sich bundeseinheitliche Maßnahmen wünschen, ob uns das gefällt oder nicht.
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Und daran haben wir alle zu arbeiten. Da müssen wir alle die Verantwortung tragen und vor allen Dingen alle dazu beitragen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort geht an Frau Anke Domscheit-Berg von der Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Laufe von 20 Jahren Beschäftigung mit der Digitalisierung habe ich mir schon das eine oder andere Mal Gedanken darüber gemacht, wie sehr Deutschland durch unseren Rückstand in der Digitalisierung im Nachteil ist. Aber besonders Sorge hatte ich vor einem Stresstest, wie wir ihn gerade erleben, und das offensichtlich berechtigterweise.
Der Rückstand der Digitalisierung im Gesundheitswesen tut wirklich weh: 10 000 Soldaten hängen im Moment in den Gesundheitsämtern an den Telefonen. 50 Prozent der Brandenburger Landkreise konnten von Samstag bis Dienstag keine Daten an das RKI melden, weil wahrscheinlich die Faxe verstopft waren. – Das alles ist kein Ersatz für funktionierende elektronische Meldewege, die im Übrigen bei der Umsetzung des Projektes „IT-Konsolidierung Bund“ – das wahrscheinlich unbekannteste 2,5-Milliarden-Euro-Projekt des Bundes – verschleppt wurden. Das Controlling liegt seit einem Jahr im Bundeskanzleramt. Für die Pandemie kommt diese Chefsache allerdings zu spät.
({0})
Auch bei der digitalen Bildung ist der Bund nach wie vor zu langsam, zu bürokratisch und auch zu kurzsichtig. Ein Beispiel dafür ist der spezielle Bildungstarif der Telekommunikationsanbieter, der auch armen Kindern einen mobilen Zugang zum Internet ermöglichen soll. Aber was nutzt uns das, wenn wir im Funkloch sitzen und wenn wir innerhalb der OECD beim 4-G-Ausbau im ländlichen Raum immer noch auf dem vorletzten Platz stehen? Und dann ist das Programm noch nicht einmal verknüpft mit Bedürftigkeit, sondern damit, ob die Kinder einen durch ein Coronaprogramm finanzierten Laptop erhalten haben. Was ist denn, wenn sie von woandersher ein Gerät bekommen haben – dann bleiben sie offline, oder was?
Die Verteilung dieser Coronalaptop-Budgets nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer bedeutet am Ende, dass für ein armes Kind in Baden-Württemberg dreimal so viel Budget für ein Gerät zur Verfügung steht wie für ein armes Kind aus Bremen. Das ist doch vollständiger Schwachsinn!
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Da können wir als Linksfraktion nur feststellen: Diese Bundesregierung kann soziale Gerechtigkeit einfach nicht!
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Frau Bundeskanzlerin – auch wenn Sie offensichtlich gerade das Weite gesucht haben –, Ihre Appelle an die Bevölkerung schätze ich sehr. Aber wie soll man Homeoffice machen ohne Breitband? Auf dem IT-Gipfel haben Sie, Frau Merkel, dazu aufgerufen, die Bevölkerung auf dem Weg in die Gigabitgesellschaft nicht zu vergessen – im Jahre 2012! Das ist jetzt acht Jahre her; aber immer noch haben nur 22 Prozent der Brandenburger/-innen wirklich schnelles Internet.
Das, was erfolgreich funktioniert, nämlich der kommunale Ausbau, wird durch Ihren Verkehrs- und Digitale-Infrastruktur-Minister aktiv behindert. Kommunen werden nach den Förderkriterien des Bundes dazu gezwungen, mit Fördergeldern ausgebaute Glasfasernetze nach zehn Jahren zu verkaufen. Das ist aktive Verhinderung eines gemeinwohlorientierten Glasfaserausbaus! Sie, Frau Merkel, tragen die Verantwortung dafür, dass dieser Versagerminister Andi Scheuer immer noch im Amt ist.
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Ziehen Sie endlich die Notbremse! Besetzen Sie diesen kritischen Job mit irgendjemandem, der davon Ahnung hat!
Und im Übrigen bin ich der Auffassung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben. § 219a gehört abgeschafft.
Vielen Dank.
({4})
Danke sehr. – Das Wort geht an die Abgeordnete Dr. Anna Christmann von Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Digitale Gesundheitsämter – Fehlanzeige! Digitaler Unterricht – dank des völlig unzureichenden DigitalPakts Schule ist niemand darauf vorbereitet. Selbst an der Software für die Auszahlung der Novemberhilfen hakt es, und die positiven Coronaschnelltests gehen noch nicht mal in die Corona-Warn-App ein. Das alles kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein!
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Auf das digitale Deutschland müssen wir weiter warten, und das in einer Situation, in der wir es so dringend bräuchten wie nie zuvor. Wir müssen dringend raus aus der analogen Warteschleife. Wir haben dazu auch Vorschläge unterbreitet, und zwar schon zum zweiten Mal. Ein Digitalbudget mit 500 Millionen Euro würde alles viel flexibler machen; denn digitale Technologien orientieren sich selten an Haushaltsplänen. Wir müssen hier flexibler in der Umsetzung werden.
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Dazu gehört auch eine Technologie-Taskforce, die wir für das Kanzleramt vorschlagen, in der gute Ideen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft aufgegriffen werden können. Im Hackathon zum Beispiel sind ja viele gute Ideen entstanden, auch für die Digitalisierung der Gesundheitsämter, aber niemand hat sie an die Gesundheitsämter herangetragen. Das geht so nicht! Wir brauchen das Digitalbudget plus die Technologie-Taskforce. Das sind konkrete Schritte, die man jetzt umsetzen könnte, statt einer ewigen Debatte über ein Digitalministerium im Wolkenkuckucksheim.
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Ich möchte auch noch eine positive Entwicklung nennen. Wir hatten kürzlich den Digitalgipfel, und da ist mir aufgefallen, dass dort wirklich mehr Frauen präsent waren. Wir haben hier im Haus ja auch eine gemeinsame Initiative ergriffen. Ich möchte mich bei allen Frauen aus den fünf Fraktionen bedanken, die sich dafür einsetzen, dass wir mehr Frauen für die Digitalisierung gewinnen; denn das ist bitter nötig. Wir sehen es: Wir brauchen alle Kräfte für die Digitalisierung. Deswegen werden wir jetzt mit unserer Initiative „She transforms IT“ voranschreiten und alle Kräfte bündeln. Ich freue mich da schon auf die nächsten Schritte; denn wir brauchen offensichtlich eine neue Herangehensweise für die Umsetzung all der wichtigen digitalen Projekte.
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Das Wort geht an den fraktionslosen Abgeordneten Marco Bülow.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In dieser Debatte wird viel über wissenschaftliche Erkenntnisse geredet. Das ist gut so. Zu wenig wird über die Zahlen und Fakten der Auswirkungen der Coronakrise geredet, vor allen Dingen, was sie mit Vermögen und Ungleichheit zu tun hat. Wir stellen fest, dass in diesem Coronajahr die Zahl der Milliardäre in Deutschland angewachsen ist. Wir stellen fest, dass die Vermögen dieser Milliardäre in diesem Krisenjahr angewachsen sind. Wir stellen auch fest, dass die Lasten vor allen Dingen von denen getragen werden, die weniger Vermögen haben, und je weniger Vermögen sie haben, desto mehr müssen sie die Zeche für die Coronakrise zahlen. Genau das müssen wir angehen, und genau deshalb ist die Forderung, die Vermögenden stärker zu belasten, richtig. Wir müssen nicht nur über ein Existenzminimum sprechen, sondern mittlerweile auch über ein Existenzmaximum reden.
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Wir müssen aber auch – und das will ich jetzt tun – über die Verschwendung und die Vergeudung reden, die wir in diesem Haushalt und auch an anderer Stelle haben. Es geht um Geld, das wir eigentlich dringend bräuchten. Da gibt es eine Blacklist, über die viel zu wenig geredet wird. Ich nenne mal ein paar Punkte aus dieser Blacklist.
Erster Punkt: Es gibt eine EU-Richtlinie, nach der Steuertricksereien zu unterbinden sind, die aber immer noch nicht von dieser Bundesregierung bzw. von dieser GroKo umgesetzt wurde. Damit könnte man 235 Millionen Euro pro Jahr sparen – Geld, das wir bräuchten. Das wäre der erste Punkt.
Zweiter Punkt. Es gibt immer noch – die Paradise Papers haben das offenbart – Steueroasen, wo Geld geparkt wird. Das belastet Deutschland ganz besonders; da fehlen uns ungefähr 20 Milliarden Euro bis 28 Milliarden Euro jährlich. Dazu gibt es keine Haltung und auch kein Vorgehen seitens dieser Bundesregierung, auch in diesem von Corona geprägten Jahr nicht.
Dritter Punkt: Cum/Ex, der größte Steuerraub der deutschen Geschichte. 31,8 Milliarden Euro sind uns da mindestens verloren gegangen. Viel zu spät wurde gehandelt, viele Schlupflöcher sind offen geblieben. Man wartet so lange, bis die Steuersünder frei ausgehen, oder man stundet ihnen das Geld. Auch das kann nicht wahr sein!
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Um die Gelder mal ins Verhältnis zu setzen: 30 Milliarden Euro, was bedeutet das denn eigentlich? Für 30 Milliarden Euro kann man in Deutschland 1 Million Pflegerinnen und Pfleger mit Normalgehalt einstellen. Man könnte sie besser bezahlen, und man könnte die Krankenhäuser besser ausstatten. Genau das bräuchten wir in diesem Jahr und eben nicht Steuerraub und das nicht besonders effektive Vorgehen dagegen.
Punkt vier der Blacklist. Die ganzen Milliarden, die während Corona aufgrund von Lobbyinteressen verteilt worden sind, gerade an solche Firmen wie zum Beispiel Lufthansa oder andere, die erstens das Klima schädigen, zweitens eh keinen Zukunftsentwurf haben und drittens vor der Krise schon gestrauchelt sind und dann auch noch ihre Steuern beispielsweise in Malta zahlen, bräuchten wir an anderer Stelle.
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Und der fünfte Punkt der Blacklist. Wir zahlen jährlich 50 Milliarden Euro an klima- und gesundheitsschädlichen Subventionen. Ich will nur einen Punkt rausnehmen, der noch mal zeigt, wie absurd die Politik ist, diese Gelder noch zu bezahlen: Das ist das Dienstwagenprivileg. 3,2 bis 5, 6 Milliarden Euro geben wir dafür aus. Und wofür geben wir das aus? Je größer der Wagen ist, je zerstörerischer dieser Wagen ist, desto mehr Steuergelder pumpen wir rein, um Menschen zu entlasten, die sich einen Porsche Cayenne oder sonst was als Dienstwagen anschaffen. Das kann es doch nicht sein! Das müsste man beschränken! Das heißt, die Krankenschwester, die Busfahrerin zahlen Steuern und arbeiten sozusagen dafür, dass sich einer einen Porsche Cayenne als Dienstwagen anschafft. Das kann nicht wahr sein! Das müssen wir unterbinden! Und das gehört eben zur Wahrheit und zu dieser Diskussion auch dazu.
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Die Blacklist ist viel länger als meine Redezeit. Deswegen schließe ich hier und sage: Wir leben in einer Lobbyrepublik, auch im Coronajahr. Das müssten wir dringend verändern! Wir haben eine Umverteilung von unten nach oben und nicht andersrum, wie wir sie eigentlich bräuchten. Wenn da jemand noch sagt: „Das ist seriöse Politik“, dann sage ich: Die Spaßparteien sitzen in der GroKo.
Vielen Dank und Mahlzeit!
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Das Wort hat Patricia Lips von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsberatungen sind oft von Leidenschaft und Temperament begleitet, in diesem ganz besonderen Jahr auch ergänzt um den Begriff der Sorge: auf der einen Seite die Sorge um die Spielräume künftiger Generationen in unserem Land aufgrund der hohen Summen, mit denen wir uns derzeit verschulden. Umso wichtiger ist es, am Ende den Schuldenpfad auch wieder zu verlassen. Auf der anderen Seite ist die Verschuldung begründet in der Sorge um die Gesundheit der Menschen in diesem Land und der Menschen, die sich um das Aufrechterhalten unserer Wirtschaft als Basis für vieles andere bemühen, und mittendrin auch begründet in der Sorge um die Bewahrung unseres kulturellen Miteinanders; ich betone ausdrücklich: mittendrin.
Kolleginnen und Kollegen, es wird zurzeit und zu Recht viel von Zusammenhalt in der Gesellschaft gesprochen. Dies gilt in diesen Zeiten umso mehr, aber natürlich auch davor und danach – ohne Corona. Kultur ist dabei ein elementarer Baustein und weit mehr als eine reine Freizeitgestaltung.
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Musik, Theater, Film, Kino, Literatur, unsere Museen, große wie kleine Erinnerungsorte und Gedenkstätten und nicht zuletzt unser großes bauliches Erbe: Kultur zeigt sich in vielen Facetten. Und wann immer wir den Begriff „Infrastruktur“ verwenden: Sie gehört elementar dazu.
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Aber sie lebt natürlich mehr als viele andere Bereiche unseres Lebens gerade davon, dass Menschen zusammenkommen, um sie gemeinsam zu gestalten oder gemeinsam zu erleben. Das meiste ist bereits seit März stark eingeschränkt, in Teilen ganz. Viele Einrichtungen haben dennoch investiert; sie haben die Zeit genutzt. Manche innovative Idee ist entstanden, die oft auch für die Zukunft ganz neue Wege aufzeigt. Natürlich braucht es eine Basis, damit auch diese Menschen und diese Einrichtungen über die Zeit hinaus unser Leben bereichern.
Hierfür wurde Mitte des Jahres mit dem Programm „Neustart Kultur“ eine milliardenschwere Basis gelegt. Über 600 Millionen Euro sind aus diesem Programm bereits für kulturelle Hilfsprojekte belegt. Über die außerordentliche Wirtschaftshilfe und weitere Angebote kommen aktuell Hilfen hinzu, die wesentlich passgenauer als bisher auch den persönlichen Situationen entgegenkommen. Kolleginnen und Kollegen, die vor uns liegende Zeit wird natürlich zeigen, inwieweit und wo weitere Maßnahmen erforderlich werden.
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Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?
Nein, ich möchte gerne weitermachen. – Mit zahlreichen Projekten für den Kulturetat 2021 haben wir im Rahmen der Beratungen weiteren Schub vorgesehen: von der Sanierung des Festspielhauses in Bayreuth über die Ausgestaltung des Literaturarchivs in Marbach, vom Wormser Dom bis zu den Schlossberghöhlen in Homburg, von dringenden Sanierungen bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hier in Berlin bis zum Ledermuseum in Offenbach, vom Marinedenkmal in Schleswig-Holstein zum Herrenhaus in Kummerow, von der Schlosskapelle in Dresden bis zum Museumsdorf in Cloppenburg – um nur ganz wenige bauliche Projekte zu nennen, die der Bund künftig anteilig in ihrer Substanz miterhalten will.
Die Maßnahmen sind zuvörderst investiv, das stimmt. Doch dürfen wir auch hier die vielen engagierten Menschen nicht vergessen, die mit ihrer Arbeit und zumeist viel Herzblut Einrichtungen wie diese erst mit Leben erfüllen.
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Gleiches gilt natürlich für die Musik und Kreativwirtschaft.
Aber auch kritische Auseinandersetzungen mit Themen wie Kolonialismus erhalten zusätzliche Projektmittel. Die Förderung von Einrichtungen rund um den Themenbereich „Flucht und Vertreibung“ waren uns schon immer ein besonderes Anliegen; hinzu kommen weitere wichtige Orte der Erinnerung und des Gedenkens.
Kolleginnen und Kollegen, noch nie gab es so viel Kulturförderung des Bundes wie heute. Sie unterstützt Projekte auch ganz unmittelbar vor Ort. Die eigentliche Kulturhoheit liegt jedoch in der Verantwortung der Länder; das gehört zur Wahrheit dazu. Am Ende muss damit jeder seiner eigenen Verantwortung gerecht werden; denn nur so – gemeinsam – kann es gelingen, einen echten Mehrwert für unser Land zu schaffen.
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Kolleginnen und Kollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass wir einmal mehr ein gutes Paket auf den Weg gebracht haben. Große nationale Leuchttürme gehen Hand in Hand mit unzähligen Maßnahmen, die weit in den ländlichen Raum hineinstrahlen, und auch die Ehrenamtlichkeit ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit.
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Danken möchte ich zum Schluss den Mitberichterstattern zu diesem Einzelplan und natürlich Staatsministerin Monika Grütters und ihrem ganzen Team für die vergangenen Wochen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Ich gebe das Wort an den Abgeordneten Diether Dehm zu einer Kurzintervention.
Kollegin Lips, haben Sie Verständnis für Menschen, die das als reines Lippenbekenntnis sehen, wenn ihre Kultureinrichtungen trotz vorbildlicher Umsetzung aller Hygienemaßnahmen, trotz vorbildlicher Anschaffung von virustötenden mobilen Belüftungsanlagen stillgelegt werden, nachdem sie all das getan haben, und sie und ihr Personal, das Sie gerade mit viel Timbre in der Stimme und warmen Worten gelobt haben, möglicherweise das Ende dieses Jahres oder zumindest ihres Geschäftsjahres gar nicht mehr in dieser Existenz erleben können? Hätten Sie nicht über Jahre und Jahrzehnte die Gesundheitsämter um Zigtausende von Stellen kaputtgekürzt, hätten die Gesundheitsämter in den einzelnen Kultureinrichtungen – Theater, Konzerthallen – prüfen können,
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wer die Auflagen erfüllt – die können geöffnet bleiben – und wer die Auflagen nicht erfüllt. Das wäre ein differenzierter Umgang gewesen. Sie haben dogmatisch und flächendeckend die Kultur stillgelegt. Das Bündnis „Alarmstufe Rot“ wird das, was Sie hier gesagt haben, nur als warme Sonntagsrede und Verhöhnung seiner Arbeit empfinden.
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Frau Lips, möchten Sie antworten?
Ja. – Sehr geehrter Kollege, lassen Sie mich zunächst einmal eines sagen: So weit wie Kultur heute in dieses Land hineinstrahlt, so groß – und das habe ich auch ausgeführt – ist die Verantwortung der unterschiedlichen Ebenen für Kultur vor Ort. Der Bund erfüllt seine Aufgaben, die Länder müssen ihre Aufgaben erfüllen, aber die anderen Ebenen genauso. Bitte laden Sie nicht alles, auch in der Sichtbarkeit, immer wieder bei uns ab. Ich bin auch dankbar, dass die Verantwortungsverteilung in diesem Land so geschieht.
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Das Zweite ist: Wir wissen natürlich um die Situation der Betroffenen. Entschuldigung, ich bin selber Leiterin eines kleinen Museums, das ehrenamtlich betrieben wird. Ich bin selber Vereinsvorsitzende. Auch ich bin in einer gewissen Art unmittelbar betroffen, wenn auch nicht existenziell; das gestehe ich Ihnen gerne zu. Genau deshalb, um denjenigen, die existenziell betroffen sind, zu helfen, haben wir – auch das habe ich gesagt – sehr viel Geld in die Hand genommen, gerade im Kulturbereich. Der Kulturbereich hat einen Gesamtetat von 2,1 Milliarden Euro. Dieses Projekt, das von Monika Grütters im Sommer auf den Weg gebracht wurde, umfasst 1 Milliarde Euro. Setzen Sie das mal miteinander in Relation!
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Hinzu kommen die wirtschaftlichen Hilfen für die Soloselbstständigen, die wir jetzt über die November- und Dezemberhilfen mit auf den Weg gebracht haben. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass es an dieser Stelle auch noch weitergeht.
Also bitte! Es gibt außer der Kulturbranche noch weitere Branchen, die mit Sicherheit in ähnlicher Weise betroffen sind. Ich lasse es uns aber nicht absprechen, dass wir sie im Blick haben und sie für uns im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.
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Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an Martin Renner aus der AfD-Fraktion.
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Hochverehrtes Präsidium! Great Reset – schönes Wort –: Wenn wir so etwas bräuchten, dann bestimmt hier im Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Diese häufig unfähig und irrational handelnde Bundesregierung wird seit Jahren maßgeblich dadurch gestützt, dass sie sich den gesamten Kultur- und Medienbereich politisch dienstbar gemacht hat.
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Die demokratisch notwendige Staatsferne der Medien – ganz großes Fragezeichen!
Diese Regierung gibt sich alle Mühe, die Medien politisch gewogen zu halten und zu instrumentalisieren, auch durch umfängliche Alimentierung derselben – natürlich mit Steuermitteln. Ich erinnere hier nur an die 220 Millionen Euro Förderung für Printmedien zur sogenannten digitalen Ertüchtigung. Aber das gehört ja eigentlich gar nicht in dieses Ressort, sondern in das Wirtschaftsressort. Wie gesagt: Man scheut ja keine Mühe und auch nicht die Mühe der Vernebelung und der Verdeckung.
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Zur Rechtfertigung und zur Verschleierung dieses Vorgangs benutzt man dann konstant das Märchen von der angeblichen Qualität und der scheinbaren Kompetenz der sich selbst so nennenden Haltungsjournalisten. Sie stilisieren diese Haltungsjournalisten des medialen Komplexes dann auch noch zu Garanten unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung hoch.
Ihr jetzt erfolgreich installiertes Sonderrechtsregime im Covid-19-Chaos und die unverhältnismäßigen Maßnahmen und die Berichterstattung darüber sind der Beweis.
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Die alternativen Medien, also die nicht zu dienstbeflissenen Lobhudlern der politischen Macht gemachten Medien, werden regierungsseitig ignoriert – ich könnte Ihnen jetzt eine Reihe von alternativen Medien nennen –
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wie auch Journalisten, die kritisch hinterfragen und zweifelnde Stimmen zu Wort kommen lassen und das regierungsgenehme Framing der etablierten Medien durchbrechen.
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Dass sich die etablierten Medien mehrheitlich längst im grün-rot-linken ökosozialistischen Spektrum heimisch fühlen, wissen wir nicht erst seit der jüngsten Umfrage unter ARD-Volontären. Sie verzeihen mir jetzt, dass ich „Volontäre“ nicht gegendert habe;
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ich habe einfach Schwierigkeiten damit.
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Wirklichkeitsnahe Berichterstattung wird durch linke Haltung ersetzt. Wahr und objektiv kann nur sein und darf nur sein, was politisch erwünscht ist und damit der Regierung dienstfertig hilft, die Bürger zu lenken.
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Nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Binnenpluralität der öffentlich-rechtlichen Medien und auch der anderen Medien geht hier immer mehr verloren. Und genau das, meine Damen und Herren, geht an die Substanz und an den Kern unserer freiheitlichen Demokratie.
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Ich frage Sie: Sind diese Medien nun der Wegweiser in die neue Normalität, in die große Transformation, der manch einer begeistert entgegenlauert? Doch ich bin sicher: Ihr herbeigewünschter Great Reset wird knallig in die Hose gehen. Und ich bin auch sicher: Ihr Ende ist nahe. Wer Augen hat, zu sehen, der sehe!
Pax vobiscum! Friede sei mit euch!
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Das Wort hat die Abgeordnete Sonja Amalie Steffen von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen zurück zur Sache. Die Renner’sche Märchenstunde ist vorbei.
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Wir haben in dieser Woche schon viel über Investitionen, viel über Neuverschuldung und viel über die Wege aus der Krise gesprochen. Ich finde, wir haben an den richtigen Stellen Geld in die Hand genommen, um dafür zu sorgen, dass wir hier in Deutschland schnell wieder auf die Beine kommen.
Ein Punkt allerdings ist bislang in dieser Debatte noch so gut wie gar nicht angesprochen worden; dabei ist er auch und vor allem in der Krise so wichtig: Das ist die internationale Solidarität.
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Wir in Deutschland stehen in der Pandemie im Vergleich zu den wirklich allermeisten anderen Staaten relativ gut da. Das ist uns allen bekannt. Ebenfalls bekannt ist aber auch, dass der Vergleich allein das Ende des Glücks ist. Verantwortung zeigen innerhalb von Europa und weltweit, das ist der nächste zwingend wichtige Schritt. Und genau das tun wir mit diesem Haushalt,
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obwohl wir zum ersten Mal, seitdem ich im Haushaltsausschuss bin – und dann gleich in erheblichem Umfang –, Schulden machen – eine Menge Geld, 180 Milliarden Euro –; das ist aber notwendig für unsere Gesundheit und notwendig für unsere Wirtschaft.
Statt nun kleingeistig nur vor der eigenen Haustür zu kehren, wissen wir aber um unsere globale Verantwortung. Ohne internationale Gesundheitsstärkung, ohne internationale Wirtschaftsstärkung ist alles nichts auf der Welt.
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Über kurz oder lang kämen wir in eine extreme Schieflage. Es würde alles den Bach runtergehen. Schon oft genug gesagt, aber wahrscheinlich nicht oft genug: Ein Virus wie das Coronavirus macht wie überhaupt alle anderen ansteckenden Krankheiten an Grenzen nicht halt. Deshalb darf unsere Verantwortung auch an der Grenze nicht haltmachen.
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Weil wir das wissen, übernehmen wir schon eine Menge Verantwortung.
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Ich habe es schon gesagt: Wir haben Masken und Beatmungsgeräte gespendet, wir haben die Impfstoffentwicklung vorangetrieben, und wir haben in einem unserer schwersten Jahre die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit noch einmal erhöht. – Darüber reden wir heute Nachmittag. Ich freue mich schon auf die Debatte, und ich hoffe, dass wieder viele dabei sein werden.
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns doch nichts vor: Unser Wohlstand basiert auch auf der Ausbeutung von Menschen am anderen Ende der Welt. Und das Schlimme dabei ist, dass wir alle es wissen und es akzeptieren; und das muss aufhören. Wer – wenn nicht wir als Wirtschaftsgroßmacht – kann hier den ersten Schritt gehen und dafür sorgen, dass alle Produkte, die in Deutschland gekauft werden, auch den arbeitsrechtlichen Standards entsprechen, die wir in unserem Land ansetzen?
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An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an Hubertus Heil und an alle hier im Haus, die dafür gesorgt haben, dass wir die Fleischindustrie in Deutschland reguliert, und zwar gut reguliert haben. Aber wir können da nicht aufhören. Wie kann es sein, dass wir, nur um wenige Cent zu sparen, das Risiko in Kauf nehmen, dass Menschen bei der Produktion unserer Schuhe und unserer Kleider ihr Leben verlieren können, weil die einfachsten Brandschutzstandards nicht eingehalten werden? Und, meine Damen und Herren, wie können wir es akzeptieren, dass Kinder in Nigeria und im Kongo in Eimern in Minen heruntergelassen werden und sich da unten vergiften, damit wir alle 24 Monate ein neues Handy in der Hand halten können? Das geht so nicht!
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Wir können es nicht rechtfertigen, dass die Regenwälder abgeholzt werden, damit wir am Ende der Nahrungskette ein Abendessen haben, das billig ist, aber eben auf Kosten der Natur entstanden ist, weil Soja und billiges Palmöl hierher nach Deutschland importiert werden und dafür die Regenwälder abgeholzt werden. Wir müssen endlich Verantwortung übernehmen für die Produkte, die hier in unseren Regalen stehen, und zwar hinsichtlich der kompletten Lieferkette.
Wenn es jetzt heißt: „Wir brauchen eine europäische Lösung“, dann ist das nur ein Feigenblatt; denn wir können diese Entscheidung nicht auf die lange Bank schieben. Leider sind nun die Minister nicht mehr hier. Ich weiß von Minister Heil und von Minister Müller, dass sie wirklich mit Verve daran arbeiten. Wir müssen aber bei Minister Altmaier wirklich noch nachhelfen.
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Ich habe vorhin den Kollegen Gröhe gesehen – jetzt ist er nicht mehr da –; der Kollege Dobrindt sitzt noch hier. Sie haben sich doch auch schon dafür eingesetzt. Setzen Sie sich dafür ein, dass das Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode kommt!
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Das ist der große Wunsch der SPD-Bundestagsfraktion. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Das steht bei uns auf Rang eins der Liste der noch zu erledigenden Dinge in dieser bislang und trotz der Krise sehr erfolgreichen Legislaturperiode.
Frau Abgeordnete, haben Sie noch die Zeit, Herrn Hilse zu einer Zwischenfrage zu Wort kommen zu lassen?
Wen?
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Herrn Hilse von der AfD-Fraktion.
Nee, habe ich nicht mehr.
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Tut mir leid, meine Redezeit ist vorbei.
Herzlichen Dank.
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Dann nicht. – Das Wort hat die Abgeordnete Nadine Schön aus der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dreieinhalb Stunden diskutieren wir intensiv darüber, wie wir als Land die Krise bewältigen. Das ist auch gut und richtig; denn das Parlament ist der Ort der kontroversen Debatte. Wir sind ja die Seismografen in unseren Wahlkreisen; wir bekommen mit, was funktioniert, was nicht funktioniert, was die Menschen denken, fühlen und erwarten. Und deshalb ist es gut, dass wir hier im Parlament die Grundlagen für die Maßnahmen der Regierungen in Bund und Ländern legen und diese auch kontrovers diskutieren. Ich finde, gerade in der Krise hat sich unser parlamentarisches System, unsere parlamentarische Demokratie, bewährt.
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Krisenzeiten sind aber auch Zeiten der Veränderung, und wir müssen sie als solche begreifen und nutzen. Auch Churchill sagte schon: „Never let a good crisis go to waste.“ In der Krise sehen wir wie unter einem Brennglas, wo es hakt, was nicht gut funktioniert, wo wir Veränderungsbedarf haben. Und wir sehen in der Krise auch Neues, Überraschendes
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und Dinge, die funktionieren, die vielleicht in normalen Zeiten gar keine Chance gehabt hätten. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir für die Zukunft nutzen.
Ich will ein paar Punkte herausgreifen, bei denen ich finde, dass wir sie in den nächsten Jahren groß machen müssen. Da ist zum einen das Stichwort „Open Social Innovation“. In der Krise haben wir gelernt: Die besten Lösungen entstehen nicht unbedingt in den Behörden, in den politischen Hinterzimmern. Die besten Lösungen entstehen an der Schnittstelle von Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Und was die beste Lösung ist, sieht man erst, wenn man mehrere Lösungen parallel entwickelt, wenn man sie testet, nachbessert, verwirft, optimiert. Diese neue Methode haben über 28 000 Menschen in 1 500 Projekten zu Beginn der Coronakrise im Rahmen des Hackathons WirVsVirus angewandt. Herausgekommen sind etliche funktionierende Lösungen, sei es wir-bleiben-liqui.de, wo Unternehmen das richtige Hilfsprogramm finden können, oder Quarano, das Gesundheitsämter bei der Betreuung von Infizierten unterstützt, oder die Angebote der Corona School, die individuelle Lernunterstützung bietet. Das sind pragmatische Lösungen, die aus einer Vielzahl von Innovationen und Ideen ganz schnell entwickelt worden sind und die funktionieren.
Liebe Frau Christmann, wenn Sie sagen: „Es ist jetzt Aufgabe der Bundesregierung, das in die Fläche zu bringen“, dann sage ich: Nein, auch Sie sind in zahlreichen der 16 Landesregierungen vertreten; auch Sie sitzen in etlichen Rathäusern dieses Landes. Gehen wir doch auf die kommunalen Vertreter zu, auf diejenigen, die vor Ort sind! Alle können diese neu entwickelten Lösungen nutzen. Das löst Probleme, das macht die Prozesse schneller und besser. Es ist nicht immer nur die Bundesregierung, die dafür verantwortlich ist. Diese neue Form des modernen Regierens kann überall zur Entfaltung kommen. Mit unserem Hackathon haben wir die Grundlage dafür geschaffen, und ich wünsche mir, dass wir sie gemeinsam über alle föderalen Ebenen hinweg auch in Zukunft anwenden.
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Ausgehend von diesem neuen, wunderbaren Ansatz müssen wir weiterdenken: Wie bringen wir Innovation in Verwaltung? Das muss das Thema der nächsten Jahre sein. Auch hier muss ich noch mal die Kollegin Christmann ansprechen. Sie fordern eine Technologie-Taskforce. Ich kann Ihnen sagen: Schauen Sie in den Haushalt. In den Haushaltsberatungen haben wir genau das beschlossen. Im Haushalt des Innenministeriums finden Sie einen neuen Ansatz von 6,5 Millionen Euro, mit denen wir eine Innovations- und Transformationseinheit für die Verwaltung der Zukunft schaffen werden, wo neue Methoden getestet und angewandt werden können, wo Innovationen aus der Zivilgesellschaft, aus Start-ups von innovativen Menschen in die Verwaltung hineinfließen. Das ist wirklich der Game Changer für die Verwaltung der Zukunft. Das, was Sie fordern, haben wir schon umgesetzt. Lassen Sie uns das in den nächsten Jahren mit Leben füllen!
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Auch in dem Haushalt, den wir gerade beraten, nämlich im Haushalt des Bundeskanzleramts, findet man eine Innovation. Ich danke ganz herzlich Patricia Lips, die uns unterstützt hat, das dort hineinzuformulieren. Wir werden uns im nächsten Jahr genau anschauen: Wie kann man Forecasting verbessern? Wie kann man es schaffen, innovative Entwicklungen, neue Geschäftsmodelle, neue Technologien früher in unser politisches System, früher in unsere Regulierung zu integrieren, damit wir innovationsoffen regulieren, damit wir so regulieren, dass neue Entwicklungen eine Chance haben, dass sie groß werden in unserem Land und nicht behindert werden von Gesetzen und Vorschriften, die wir heute haben? Dafür zu sorgen, ist die Aufgabe der – wie wir sie nennen – Zukunftslobby; Sie können dem auch einen anderen Namen geben. Wir haben Geld dafür eingestellt, dass wir die Basis für dieses neue Regieren entwickeln können. Auch das finden Sie in diesem Haushalt.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir können ganz schön stolz sein. Wir können stolz darauf sein, dass der erste Test in Deutschland entwickelt worden ist. Wir können stolz darauf sein, dass der erste Impfstoff in Deutschland entwickelt worden ist. Wir können stolz darauf sein, dass die am besten funktionierende Corona-Warn-App der Welt in Deutschland entwickelt wurde und hier zum Einsatz kommt. Das ist ein gutes Zeichen für unseren Innovationsstandort Deutschland.
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Auch für das, was wir tun müssen, um unsere Innovationskraft in nächster Zeit noch zu stärken, finden Sie in diesem Haushalt die richtigen Ansatzpunkte. Ich sage nur: 10 Milliarden Euro für den Zukunftsfonds. Wie lange beschweren wir uns schon darüber, dass wir zu wenig Wachstumskapital in unserem Land haben? Wie lange beschweren wir uns schon darüber, dass die institutionellen Anleger nicht in Risikokapital investieren, dass wir Deep Tech nicht finanzieren können, dass größere Finanzierungsrunden für unsere innovativen Ideen, für die Start-ups in Deutschland nicht möglich sind? In diesem Haushalt finden Sie endlich die Antwort: 10 Milliarden Euro, die wir zur Verfügung stellen, die mit privatem Kapital auf eine Summe von 20 bis 30 Milliarden Euro gehebelt werden; das ist das Sechsfache dessen, was Frankreich in diesem Bereich einsetzt. Hier setzen wir ein klares Zeichen in Richtung Zukunft: Wir geben guten Ideen eine Chance. Wir wollen, dass Start-ups in Deutschland groß werden können, dass die nächsten großen digitalen Unternehmen auch in unserem Land, in Deutschland, und in Europa entstehen. Und die 10 Milliarden Euro, die wir mit diesem Haushalt endlich auf den Weg bringen – nach jahrzehntelanger Diskussion –, sind das richtige Zeichen in Richtung Zukunft.
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Deshalb kann ich nur sagen: Nutzen wir die Krise! Nutzen wir die Krise als Chance, um Strukturen aufzubrechen, Strukturen zu ändern, um nach vorne zu gehen, unser Land zu modernisieren und den vielen innovativen Menschen in unserem Land mit den vielen Ideen – sei es in den Unternehmen, sei es in den Start-ups, sei es in der Zivilgesellschaft – eine Chance zu geben, groß zu werden, zu wachsen, in den Einsatz zu kommen. So stelle ich mir das Deutschland der Zukunft vor. Nutzen wir die Krise als Chance!
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Das Wort hat der Abgeordnete der AfD-Fraktion Uwe Schulz.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Sachen Digitalisierung stehen Ministerien und Behörden seit Jahren mit beiden Füßen auf der Bremse. Beispielhaft dafür sind auch die in unsere Büros gelieferten umweltfeindlichen analogen Papierberge, bedruckt mit dem Haushaltsentwurf. Es fehlt insgesamt am Mut zur rein digitalen Lösung. Aber jeder weiß es ohnehin: Deutschland rangiert bei digitalen Themen eher auf dem Niveau eines Entwicklungslandes, und die Verursacher sind Sie, meine Herrschaften auf der nicht sehr reichlich, aber wieder mit der Bundeskanzlerin besetzten Regierungsbank. Sie sind keine guten Vorbilder für die Digitalisierung.
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Dabei könnte es doch so viel besser sein: In den Ausschüssen wird derzeit das Registermodernisierungsgesetz diskutiert. Ideal umgesetzt kämen damit die Bürger in den Genuss einer modernen, effizienten und vor allem einer bürgerfreundlichen Verwaltung. Aber nicht mit dieser Bundesregierung! Dilettantisch legten Sie einen Gesetzentwurf vor, der nach Ansicht aller Experten verfassungswidrig ist, weil er faktisch den gläsernen Bürger erschafft. Und obwohl Ihnen bewusst ist, dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden wird, peitschen Sie es durch und riskieren wieder jahrlange Verzögerungen.
Oder nehmen wir das IT-Sicherheitsgesetz. Eine Kernfrage darin ist: Dürfen Hersteller aus China unser 5-G-Netz ausstatten? Seit mehr als zwei Jahren drückt sich die Bundesregierung hier um eine Antwort herum, obwohl die deutschen Sicherheitsbehörden eindringlich warnen. Auch mit dem aktuellen Entwurf, der gerade durch das Kabinett wandert, wird es wohl wieder keine Rechtssicherheit für die Netzbetreiber in Deutschland geben.
Und wenn Sie dann mal so richtig digitalisieren wollen, versagen Sie. Ihre Corona-Warn-App ist ein Flop, ein unbrauchbares Werkzeug mit nicht nachvollziehbarer Datenverwendung, aber mit immensen Kosten.
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Den absoluten Offenbarungseid, den absolute Kracher, sehen wir derzeit. Sie haben den Mund wieder mal viel zu voll genommen: „Schnell und unbürokratisch" sollten die Coronahilfen für Gewerbetreibende fließen. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Das Geld kommt später; denn die Software ist noch nicht einmal fertig.
Meine Damen und Herren, der finanzielle Ruin zahlloser Unternehmen ist nicht die Schuld des Virus, sondern ist auf Ihr politisches Versagen zurückzuführen.
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Finanz- und Politeliten und die um sie herumwabernden NGOs reden derzeit vom „Great Reset"; was immer auch damit gemeint ist. Für unzählige Gewebetreibende und Unternehmen hingegen wird es keinen Neuanfang geben, weder einen kleinen noch einen großen oder gar einen großartigen; denn Sie sind gerade dabei, Hunderttausende und Millionen Existenzen endgültig zu vernichten und Wirtschaft und Gesellschaft umzukrempeln.
Ja, meine Damen und Herren, Deutschland braucht tatsächlich einen Neustart, einen Neustart mit einer neuen Regierung, mit einer Regierung, die sich unserem Heimatland verpflichtet fühlt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an den Abgeordneten Dennis Rohde von der SPD-Fraktion.
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Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss dieser Generaldebatte diskutieren wir über den Kanzleramtshaushalt im engeren Sinne. Wir diskutieren auch über den Bereich Kultur. Ich glaube, dass die Debatte gerade über diesen Bereich in der jetzigen Zeit umso wichtiger ist. Denn wir alle wissen aus den Debatten auf allen politischen Ebenen: Wenn es darum geht, zu gucken, wo man am ehesten einsparen kann, kommen viele schnell auf diesen Bereich, den sie als freiwillige Aufgabe titulieren. Sie möchten daher hier den Rotstift ansetzen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich glaube, das wäre ein großer Fehler. Es würde einen Teil der Seele unseres Landes herausschneiden; denn Kultur und Kulturschaffende sind doch mehr für unser Land. Kultur stärkt die Demokratie, sie stärkt die Zivilgesellschaft, und genau das brauchen wir derzeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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In der Bereinigungssitzung sind wir diesem Narrativ nicht verfallen. Wir fördern die Kultur in diesem Land wieder in ihrer vollen Bandbreite: vom Festspielhaus in Bayreuth bis hin zum kleinen Museum in Bückeburg, vom Fürst-Pückler-Park in Branitz über das Kino International in Berlin bis hin zum Museumshafen Carolinensiel, vom Zuschuss für die Ruhrfestspiele bis hin zu einem Projekt, wo in der Gedenkstätte Bergen-Belsen das Leid und der Genozid von Jesiden im letzten Jahrzehnt aufgearbeitet werden. Wir decken die gesamte Bandbreite der Kultur ab. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich das richtig finde.
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Wir tun das mit sehr großer Geschlossenheit; ich finde, das kann man an dieser Stelle auch mal betonen. Ganz viel von dem, was wir in der Bereinigungssitzung beschlossen haben, haben wir mit großer Mehrheit beschlossen. Ich möchte mich deswegen nicht nur bei Patricia Lips als Koalitionsmitberichterstatterin bedanken, sondern auch ausdrücklich bei den Berichterstattern der Opposition: bei Otto Fricke, bei Anja Hajduk und bei Gesine Lötzsch. Wir haben ganz viel gemeinsam auf den Weg gebracht. Ich finde, das ist auch ein Ausdruck davon, worum es in dieser Debatte geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber gerade weil wir in dieser Debatte über Fraktionsgrenzen hinweg so eine Geschlossenheit gezeigt haben und gerade weil wir immer deutlich gemacht haben, wie wichtig uns dieser Bereich ist, habe ich mich gestern umso mehr geärgert – geärgert darüber, dass ich einem dpa-Interview entnehmen musste, dass man zur ersten Kulturmilliarde, Frau Grütters, jetzt noch eine zweite Milliarde braucht. Wir haben viel und oft darüber diskutiert, auch stundenlang im Ausschluss. Ich hätte es für einen guten Stil gehalten und als kollegial empfunden, wenn Sie das in diesen Debatten angemerkt hätten und wir Parlamentarier das nicht aus der Presse erfahren hätten.
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Ich will aber, wenn wir hier über Kultur diskutieren, noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wir diskutieren über Kultur ja nicht nur im Rahmen des Einzelplans 04, sondern auch des Einzelplans des Arbeitsministers, der zwei sehr wichtige Botschaften an die Kulturschaffenden enthält.
Das Erste ist: Die Beitragsstabilität gilt auch für die Künstlersozialkasse. Wir haben in der Bereinigungssitzung den Steuerzuschuss noch mal deutlich erhöht, damit die Künstlerinnen und Künstler, damit die Kulturschaffenden in diesem Land in dieser Krise, die sie ja ganz massiv bedroht, nicht auch noch eine Beitragssatzerhöhung hinnehmen müssen. Ich finde, das ist ein wichtiges Signal.
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Das Zweite ist: Jeder, der sich intensiv mit der Kulturszene auseinandersetzt, der Gespräche führt, zum Beispiel mit Schauspielerinnen und Schauspielern an Theatern, weiß, wie unterschiedlich die Lebenswelten derjenigen sind, die dort arbeiten, wie unterschiedlich aber auch die Arbeitsbedingungen sind, auf die sie treffen. Leider müssen wir konstatieren, dass ganz oft gerade diejenigen, die mit ganzer Leidenschaft ihren Beruf ausüben, in prekärer Beschäftigung arbeiten. Jetzt gibt es nicht die eine Lösung, um denen ein vernünftiges soziales Netz zu knüpfen, eben weil die Lebens- und Arbeitswirklichkeiten so unterschiedlich sind. Deshalb haben wir im Haushalt des Bundesarbeitsministers ein Projekt implementiert, um aufzuarbeiten: In was für Arbeitsverhältnissen befinden sich die Kulturschaffenden eigentlich, und wie kann man ihnen – auch als Reaktion auf diese Krise, die sie ganz besonders betroffen hat – ein vernünftiges, wirksames soziales Netz schaffen? Ich finde, das ist eine wichtige Botschaft.
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Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Dank an den stellvertretenden Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Martin Gerster, aussprechen; denn er hat ein Thema, das uns seit 2017 umtreibt, zu seinem Thema gemacht und endlich für eine Lösung gesorgt. Ich rede über die „Landshut“, die 1977 entführt wurde. Sie wurde 2017 von Sigmar Gabriel zurück nach Deutschland geholt. Seitdem gibt es Streit über die Frage: Was machen wir mit diesem Flugzeug? Es gab keine vernünftige Lösung, und das war für die ehemaligen Geiseln eine sehr bedrückende Situation. Lieber Martin, ich bin dir dankbar, dass du das Thema gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung in die Hand genommen hast. Ich finde, das ist ein wichtiges Signal an diejenigen, die damals in diesem Flugzeug gefangen waren. Vielen Dank dafür.
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Vielen Dank. – Das Wort geht an die Abgeordnete Elisabeth Motschmann von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kultur leidet, sie leidet extrem. Ich lege einen breiten Kulturbegriff an und denke an die Kreativen und in diesen Tagen auch an die Schausteller und an alle, die hinter der Bühne arbeiten, an diejenigen, die wir nicht sehen. Sie leiden nicht nur unter fehlendem Einkommen, sie leiden, weil sie nicht arbeiten können. Sie wollen singen, musizieren, ausstellen. Sie wollen auf die Bühne. Ich glaube, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage: Wir freuen uns alle, wenn das wieder möglich sein wird.
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Ganz besonders denke ich an die Soloselbstständigen, an die privatwirtschaftlich organisierte Kultur, die Veranstaltungswirtschaft, Kinos, freie Orchester oder Festivals.
Von einem Tag auf den anderen mussten beim ersten Lockdown über 80 000 Veranstaltungen abgesagt werden. Umsatzverluste: 40 Milliarden Euro. Das sind keine Peanuts. Aber Künstlerinnen und Künstler in unserem Land haben sich nicht entmutigen lassen. Mit unglaublich viel Engagement, Kreativität und Zeitaufwand haben sie Hygienekonzepte erarbeitet, sich digital präsentiert, gestreamt. Was sie konnten, haben sie getan. Dafür sage ich an dieser Stelle: Herzlichen Dank!
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Wie haben wir reagiert? Was haben wir getan? 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Kulturetat, Soforthilfeprogramme, eine Gutscheinlösung, Ausfallhonorare, Überbrückungshilfen, erleichterter Zugang zu Hartz IV.
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Dafür danke ich ausdrücklich allen, die das möglich gemacht haben. Die Regierung, die Bundeskanzlerin, die in ihren Reden und Podcasts immer wieder auch die Kultur benannt und erwähnt hat, unsere Kulturstaatsministerin, der Haushaltsausschuss, unsere Haushälterin Patricia Lips, aber auch alle Fraktionen – nein, nicht alle Fraktionen –, fast alle Fraktionen haben uns unterstützt.
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Am Anfang waren nicht alle Maßnahmen zielgenau, sodass viele im Kulturbereich durch den Rost gefallen sind. Künstlerinnen und Künstler haben in der Regel keine Betriebskosten, die sie hätten geltend machen können. Ohne Bühne keine Künstler, ohne Künstler keine Bühne. Wir müssen beides unterstützen, die kulturelle Infrastruktur und die Menschen, die diese bespielen. Mit der Novemberhilfe gibt es nun zumindest eine Art Einkommenserstattung.
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Die Überbrückungshilfe III ist zugesagt; vielen Dank, Peter Altmaier – er ist jetzt gerade nicht anwesend – und Olaf Scholz. Auch das ist ein wichtiger Baustein.
In den Haushaltsberatungen ist es uns darüber hinaus gelungen, zusätzlich 170 Millionen Euro für die Kultur bereitzustellen. Damit liegt der Kulturhaushalt erstmals über der 2-Milliarden-Euro-Grenze. Ein Rekord! Das zusätzliche Geld fließt – es ist hier schon erwähnt worden – in große und kleine Einrichtungen, auch in den ländlichen Raum. Ins Denkmalschutzprogramm fließen 70 Millionen Euro; auch ein enorm erfolgreiches Programm.
Noch eines will ich sagen. Am Anfang der Pandemie habe ich eine sehr harte Ansage von einem Künstler erhalten. Die ist mir durch Mark und Bein gegangen. Natürlich enthält sie irgendwo einen Funken Wahrheit. Er hat mir gesagt: Wenn wir auf den Bühnen stehen, dann werden wir von euch beklatscht und bejubelt, und wenn wir in Not sind, dann verweist ihr uns an Hartz IV.
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Das hat mich total betroffen gemacht.
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Deshalb freue ich mich, dass wir heute sagen können: Wir haben unglaublich viel in den Kulturbereich an Geld, an Mitteln gegeben. Vorneweg hat Monika Grütters dafür gekämpft, wir Kulturpolitiker haben es ihr gleichgetan. Deshalb richte ich am Ende einen Appell an die Kulturschaffenden: Wir sind hier Ihre politischen Anwälte.
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Wir sehen die Not. Deshalb unterstützen wir die Kulturszene, die Künstlerinnen und Künstler, wir tun alles, was helfen kann, damit sie, ja, über die Runden kommen. Das ist nicht nur ein kulturpolitischer Auftrag, das ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort geht an die Abgeordnete Katrin Budde für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2,14 Milliarden Euro im Kulturetat – ohne Coronahilfen – sind allein schon ein wichtiges und gutes Zeichen in einer Zeit, in der nahezu die gesamte Kulturbranche am Boden liegt. Ich will einige wichtige Akzente nennen.
Die Mittel für die Bundeskulturfonds, die eine super Arbeit leisten, haben wir im Rahmen des Programms „Neustart Kultur“ verstetigt. Wir brauchen sie dringend, sowohl inhaltlich als auch in der jetzt schwierigen Zeit.
Im 31. Jahr der deutschen Einheit gibt es im Bundesetat auch wieder einen Titel für das Einheits- und Freiheitsdenkmal in Leipzig. Das ist wichtig; denn für uns Ostdeutsche ist Leipzig, glaube ich, ein stärkeres Symbol für die Friedliche Revolution, als es Berlin war. Deshalb ist es gut, dass es dort ein gutes Konzept gibt, das wir auch unterstützen werden.
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Es gibt einen neuen Titel „Aufarbeitung des Kolonialismus“ in Höhe von über 2 Millionen Euro; das ist gut so.
Im Rahmen der Strukturstärkung Kohleregionen stehen für die Förderung der Industriekultur 4,9 Millionen Euro zur Verfügung. Auch das ist ein Beginn, ein Zeichen, das wichtig ist in dieser Epoche.
Wir haben die Mittel für das Zukunftsprogramm Kino um 10 Millionen Euro erhöht. Wir werden auch daran arbeiten müssen, dass es die Kinos nach der Coronakrise noch gibt, aber wenn sie wieder öffnen, brauchen sie dieses Programm.
Die Förderung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde verstetigt, es wurden vier neue Stellen bewilligt. Auch das ist gut. Diese Erhöhung war, anders als bei anderen Haushalten, schon im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehen.
Das Denkmalschutz-Sonderprogramm wurde von den Haushältern mit 70 Millionen Euro gut befüllt. Das ist ein sehr wichtiges Programm, weil es in jede Ecke unserer Bundesrepublik geht. Alle haben dringend darauf gewartet. Vielen Dank, dass das in den Haushaltsberatungen möglich war.
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Ich will aber auch persönlich Danke sagen für die Sonderinvestitionsprogramme für Sachsen-Anhalt und Thüringen; denn es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass zwei Bundesländer, reich an Kulturschlössern, Burgen und Gärten, vom Bund bezuschusst werden. Das ist sehr wichtig für uns. Diese Kultur ist uns eine Freude, aber sie ist eben auch eine finanzielle Last.
Dass es Thomas Müntzer und der Bauernkrieg zum 500. Todestag von Müntzer in den Bundeshaushalt geschafft haben, ist eine wirklich gute Entscheidung gewesen; denn Müntzer und seine Ideen sind in der Geschichte oft missbraucht worden. Müntzer und Luther sind eben zwei Seiten einer geschichtlichen Medaille, die zusammen betrachtet werden müssen. Dem Einzelnen damals, vor 500 Jahren, ein Widerspruchsrecht zuzugestehen und das auszusprechen, das war schon mehr als mutig. Genauso mutig war es, mit dem Gesicht zum Volk zu predigen. Das war im Grunde der Beginn der Demokratie. Deshalb finde ich es wichtig. Kommen Sie also in mein Bundesland, gucken Sie sich den Ort der Fürstenpredigt an, Allstedt, wo Müntzer dem Fürsten, glaube ich, das Frühstück verdorben hat.
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Wichtig ist aber auch, dass das Thema „Gleichstellung von Frauen in Kultur und Medien“ erstmals mit 2 Millionen Euro im Haushalt verankert ist; auch das ist ein gutes Zeichen.
Gegenwärtig merken wir ja, dass das fehlt, was in all den Jahren vorher selbstverständlich war: eine wunderbare, überquellende Kulturlandschaft, ein Kulturangebot, bei dem für jeden von uns etwas dabei ist. Corona hat uns gezeigt, dass Kultur eben kein Luxus ist, sondern ein Teil von jedem und jeder von uns, etwas, das wir brauchen. Deshalb ist es wichtig, daraus zu lernen und zu sagen: Kulturförderung darf eben nicht mehr nur freiwillige Leistung sein. Auch grundsätzliche Dinge müssen besprochen werden. Kulturförderung muss auf allen staatlichen Ebenen Pflicht sein, im Bund, in den Kommunen und in den Ländern.
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Wir befinden uns in einer neuen gesellschaftlichen Verteilungsdebatte, die durch diese pandemische Situation verschärft wird. Dennis Rohde hat es gesagt: Wir müssen aufgrund der Verschiedenheit der Erwerbseinkommen, aufgrund dieser verrückten Situationen der Kultur- und Kunstschaffenden, die wirklich existenziell bedroht sind, völlig neu darüber nachdenken, wie die sozialen Sicherungssysteme auf diese Art von Erwerb, von Leben, aber auch kultureller Bereicherung ausgerichtet werden können. Wir müssen das komplett neu denken.
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Zum Schluss will ich einen Dank loswerden an alle, die mitgearbeitet haben: an den Finanzminister, an die Staatsministerin für Kultur und Medien, an meine Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und an diejenigen im Ausschuss, die, bei unterschiedlicher Rollenverteilung zwischen Opposition und Regierung, doch alle eins im Blick haben, nämlich die Kultur.
Ich will die letzten Sekunden dafür verwenden, auch noch die Auswärtige Kulturpolitik zu erwähnen. Die ist hinten runtergefallen – in der Debatte, nicht in der Finanzierung; das muss ich dazusagen –, aber sie ist extrem wichtig, gerade in der heutigen Zeit. Wir brauchen internationale Kulturpolitik. Eine gute Milliarde Euro für die Auswärtige Kulturpolitik ist erreicht worden. Danke an die Staatsministerin Müntefering.
Hoffen wir, dass wir gut durch die Pandemie kommen, dass das viele Geld, das wir in die Hand nehmen, noch klarer beim Einzelnen, bei der Einzelnen ankommt und dass wir danach gemeinsam neu durchstarten können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Der letzte Redner in der Debatte ist Dr. Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mobile Kommunikation, mobiles Arbeiten, mobiles Lernen: Das alles hat unser Leben während Corona verändert. Wenn das eines deutlich gemacht hat, dann, dass die Digitalisierung in unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle spielt.
Einigen kommt es so vor, als wären wir auch ein bisschen in die Zukunft gebeamt worden; manche nennen es „The Future is now“. In diesem Haushalt ziehen wir die entsprechenden Konsequenzen, auf der einen Seite mit massiven Investitionen und auf der anderen Seite – und das ist mindestens genauso wichtig im politischen Handeln – mit einer konsequenten Regulierung der digitalen Welt.
Um durch diese Krise zu kommen und gleichzeitig in die Zukunft investieren zu können, haben wir in diesem Jahr das Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht. Wenn man mal schaut, was wir alles an Innovationen darin haben, dann kommt man locker auf 20 Milliarden Euro für den ganzen Bereich der Digitalisierung: für künstliche Intelligenz, für Quantencomputer, für den 5‑G-Ausbau. Es sind aber eben nicht nur diese Investitionen allein, sondern wir müssen auch – ich sagte es bereits – in die Regulierung einsteigen.
Wir haben in diesem Jahr eine ganz lange Diskussion darüber geführt, wie es mit der Sicherheit bei 5 G aussieht. Deswegen ist es gut, dass wir zum Beispiel auch so ein Projekt wie die Förderung von Open RAN, das so technisch anmutet, in Angriff genommen haben. Das ist wieder nur etwas, bei dem jetzt die Nerds zu Hause aufhorchen, aber es ist ein Projekt, mit dem wir dafür sorgen wollen, dass die Antenne von Hersteller A am Ende auch mit der Antenne von Hersteller B kommunizieren kann. Heute ist das nicht der Fall, und dadurch entsteht eine große Abhängigkeit von einzelnen Herstellern.
All das zeigt, wie viele gute Ideen in diesem Konjunkturprogramm und im Haushalt stecken.
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Zur Gestaltung dieses digitalen Wandels, der durch Corona beschleunigt wurde, gehört aber zum Beispiel eben auch ein Recht auf Homeoffice. Hubertus Heil hat da eine große Arbeit geleistet. Mit Blick zur Union will ich sagen: Da geht vielleicht auch noch ein bisschen mehr.
Auch das digitale ehrenamtliche Engagement gehört dazu. Deswegen freue ich mich sehr, dass wir heute Morgen im Finanzausschuss des Bundestages beim Thema Gemeinnützigkeit auch über die Initiative „Freifunk“ gesprochen haben. Die haben schon während der Flüchtlingskrise einen tollen Job gemacht. Dass auch das digitale Engagement in der kommenden Woche hier im Hohen Hause debattiert wird und dann gemeinnützig werden soll, ist ein ganz wichtiges Signal.
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Wir haben es heute in den digitalpolitischen Teilen dieser Debatte, aber auch bei der Betrachtung der Coronapandemie insgesamt gehört: Irgendwie wird bei uns in Deutschland alles ziemlich kritisch betrachtet. Es wird immer darüber geredet, wo Defizite sind. Das ehrt uns in Deutschland; dafür sind wir auch international bekannt. Man muss aber doch mal eine Sache feststellen: Dieser erste Coronaimpfstoff wurde in Deutschland entwickelt – durch das Verschmelzen von digitaler Technologie und Medizin. Das ist hochinnovativ; das ist made in Germany. Darauf können wir stolz sein.
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Weil wir es geschafft haben, dass wir unsere industrielle Basis immer noch in Deutschland haben, kann dieser Impfstoff jetzt auch in Deutschland hergestellt werden. Auch damit haben wir etwas, worum uns viele beneiden.
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Wenn wir jetzt darüber diskutieren – und die Kanzlerin hat heute einen starken Aufschlag dazu gemacht –, wie wir die kommenden Wochen bis Weihnachten über die Bühne bringen, dann sollten wir nicht vergessen, welch großartige Leistungen die Menschen und Institutionen in unserem Land in dieser Krise schon erbracht haben.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Jens Zimmermann. – Ich schließe die Aussprache zu Einzelplan 04.
Sehr verehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Zur politischen Kunst des Auswärtigen Amtes – insbesondere des Herrn Maas – und vor allem der Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, kann man nur eines sagen: „Lieber Vater im Himmel, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“;
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denn das Porzellan, das diese beiden am 7. November 2020 mit ihrer Gratulation an Joe Biden und Kamala Harris zerschlagen haben, ist kaum wiederherzustellen.
Getrieben von scheinbar übermächtigen nationalen und internationalen Medien sowie einer politischen Instinktlosigkeit, die ihresgleichen sucht, haben beide jegliche diplomatische Gepflogenheiten außer Acht gelassen, die national und international zu beachten sind; denn sie haben zu einem Zeitpunkt Joe Biden als angeblich neugewähltem Präsidenten der Vereinten Staaten gratuliert, zu dem ein offizielles Ergebnis seitens der amerikanischen Administration noch nicht feststand
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und zu dem erhebliche Anhaltspunkte darauf hindeuteten, dass eine gerichtliche Überprüfung der damals noch nicht vollständig ausgezählten Wahl – möglicherweise sogar durch den Supreme Court – stattfindet.
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Beiden musste dies spätestens aufgrund der Äußerungen des amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, in der Zeit bis zum 7. November 2020 bekannt und bewusst sein.
Vor allem aber haben beide – und das ist unentschuldbar – entgegen allem demokratischen, rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Verständnis die nationalen und internationalen Medien zum Maß aller Dinge genommen, indem sie unbesonnen dasjenige wiederholten, was diese vorgegeben hatten.
Verfügt unser Land über keinen zuverlässigen Nachrichtendienst? Muss sich unsere politische Führung in der Regenbogenpresse informieren? Damit haben Sie den Medien eine Macht eingeräumt, die diesen in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zusteht, und zudem der deutschen Bevölkerung mit der Funktion und Würde Ihres Amtes etwas vorgespielt, was schlicht die Unwahrheit war und ist,
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dass nämlich am 7. November 2020 feststand, dass Joe Biden zum 46. amerikanischen Präsidenten gewählt worden ist.
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Im Übrigen hat zwischenzeitlich der US-Bundesstaat Texas eine Klage beim Supreme Court mit dem Ziel eingereicht, das Wahlergebnis in Pennsylvania, Georgia, Michigan und Wisconsin für ungültig zu erklären. Der Supreme Court hat die Klage angenommen, und die US-Bundesstaaten Alabama und Louisiana haben sich Texas angeschlossen.
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Für ihr Verhalten gehört die gesamte deutsche Regierung, gehören insbesondere aber Frau Dr. Merkel und Herr Maas von ihren Amtspflichten entbunden.
Die gleiche politische Instinktlosigkeit und Inkompetenz, die Herr Maas im außenpolitischen Bereich eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, verfolgt er auch im haushalterischen Bereich, sei es, dass für Afghanistan wie alle Jahre wieder 170 Millionen Euro allein im zivilen Bereich ausgegeben werden; Afghanistan – ein Land, das sein Ranking in der weltweiten Spitzengruppe betreffend Korruption, Drogenherstellung und ‑export während der Zeit des deutschen Geldflusses dauerhaft gefestigt hat; ein Land, in dem unsere Helfer täglich mit Anschlägen der Taliban rechnen müssen, nunmehr ohne den Schutz amerikanischer Soldaten. Was wollen wir da?
Und natürlich vergessen sich die Regierungsparteien, aber auch die Oppositionsparteien von links über grün bis zur FDP bei den milden Gaben auch nicht selbst. Allein 61 Millionen Euro fließen 2021 an deren parteinahe Stiftungen im Ausland. Haben wir denn mit 227 staatlichen Auslandsvertretungen, davon 153 Botschaften, nicht genug Repräsentanz, noch dazu eine politisch neutrale Repräsentanz, was bei den parteinahen Stiftungen definitiv nicht der Fall ist?
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Handelt es sich bei den Aktivitäten dieser Stiftungen nicht in Wahrheit um die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten?
Nein, Sie alle haben aus unserer Geschichte nichts gelernt.
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Nach wie vor handeln Sie nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, anstatt sich endlich zurückzuhalten und eine vernünftige, sachorientierte und eine dem Wohl des Steuerzahlers angemessene Außenpolitik zu betreiben.
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Das muss sich endlich ändern. Selbstbedienung, verbunden mit der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, muss der Vergangenheit angehören, und genau dafür plädieren wir, die AfD.
Danke schön.
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Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Doris Barnett, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte hier weniger über die US-Wahlen spekulieren, als lieber zum Einzelplan 05 kommen.
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An dieser Stelle möchte ich zunächst einmal dem Haus, allen voran Minister Maas, seiner Frau Staatssekretärin Leendertse, Herrn Stender und den Kolleginnen und Kollegen des Ministeriums, aber auch dem Finanzministerium, dem Ausschusssekretariat, meinen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattern und besonders unseren eigenen Mitarbeitern für die unermüdliche und tolle Zusammenarbeit danken. Und es freut mich – das sei auch an dieser Stelle gesagt –, dass zwischen Auswärtigem Amt und dem BMF endlich die Personalreserve angegangen wird.
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Es ist mein letzter Haushalt, den ich hier einbringe. Er hat ein Volumen von inzwischen über 6,3 Milliarden Euro, die angesichts der Weltlage auch dringend gebraucht werden. Das Auswärtige Amt besteht nun seit 150 Jahren und ist heute ein modernes Ministerium mit einem sehr umfangreichen Betätigungsfeld, auf dessen einzelne Aspekte ich nur punktuell eingehen werde.
Das Amt koordiniert sich mit und finanziert internationale Organisationen in der Bekämpfung von humanitären Krisen, die auch 75 Jahre nach der Gründung der UNO nicht weniger geworden sind – im Gegenteil. Humanitäre Hilfen und auch Krisenvermeidung und Prävention haben nicht nur für diese Bundesregierung, sondern auch für die sie tragenden Fraktionen einen hohen Stellenwert. Wir sind froh darüber und halten es für richtig, den Ansatz für 2021 von vornherein um 170 Millionen Euro anzuheben und nicht unterjährig auf überplanmäßige Erhöhungen zu setzen. Der Mittelansatz beträgt nun insgesamt 2,54 Milliarden Euro. Dass diese Gelder gut angelegt sind, begreift jeder, der das Elend in der Welt gesehen hat und versteht, dass wir damit auch den Migrationsdruck abmildern.
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Kein Mensch gibt freiwillig seine Heimat auf, außer er oder sie wird – oft mit Gewalt – vertrieben oder die Lebensgrundlagen sind umweltbedingt vernichtet. Steine machen nicht satt.
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Aber wir helfen nicht nur den Bedrängten. Wir wollen Krisen erst gar nicht entstehen lassen. Da unterstützt uns nicht nur das Zentrum für Friedenseinsätze, das wir mit zusätzlichen 6,5 Millionen Euro für Beobachter weiter stärken. Besonders wichtig war uns, auch die Phase III des Krisenvorhersageprogramms Preview mit 20 Millionen Euro weiter zu finanzieren. Mittlerweile sind nämlich andere Länder an diesem Programm interessiert und wollen unsere Erfahrungen nutzen. Spannungen und Gefahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, kann nicht nur Geld sparen, sondern auch menschliches Elend verhindern.
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Dass bei uns der Mensch im Mittelpunkt steht, sieht man daran, dass wir den Titel „Menschenrechte“ auf jetzt 20 Millionen Euro verdoppelt haben und die Stellen für Menschenrechtsreferenten an Schwerpunktbotschaften einrichten.
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Apropos Botschaften: Diesen stellen wir 6 Millionen Euro mehr für Kleinstmaßnahmen zur Verfügung, weil wir gesehen haben, dass vor Ort oft genug mit sogenanntem kleinem Geld viel Gutes bewirkt werden kann. Es kann Schulmaterial gekauft, ein Brunnen für sauberes Wasser gebohrt werden usw.
Gerade in Afrika müssen wir uns stärker engagieren, nicht nur, weil es die Wiege der Menschheit ist, sondern weil es ein – in der Alterszusammensetzung – sehr junger Kontinent mit vielen jungen Menschen ist, die begierig sind, zu lernen. Dafür haben wir die Expertise unserer hervorragenden Kultur- und Bildungsmittler zur Verfügung. Der DAAD engagiert sich unter anderem verstärkt in Westafrika, weshalb wir seinen Etat um 6,5 Millionen Euro aufstocken. Die Regionalforschung wollen wir mit 250 000 Euro unterstützen, und auch das Goethe-Institut leistet auf dem afrikanischen Kontinent hervorragende Arbeit.
Allerdings kam es pandemiebedingt zu erheblichen Einnahmeausfällen, die wir im zweiten Nachtragshaushalt bereits mit eingeräumten 70 Millionen Euro auffangen konnten, von denen – sparsam, wie Goethe ist – aber nur ein kleiner Teilbetrag gebraucht wurde. Den Rest halten wir für die vorhersehbaren Ausfälle im nächsten Jahr zur Verfügung. Die Pandemie zwang nicht nur uns zu einem anderen Arbeiten; auch die Angebote vom Goethe-Institut wurden dauerhaft umgestellt, weswegen wir für die institutionelle Förderung weitere 3,5 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Auch unsere Auslandsschulen mussten wegen des Virus den Unterricht umstellen und hatten darüber hinaus auch Einnahmeausfälle. Das kompensieren wir jetzt mit 26 Millionen Euro zusätzlich.
Wie ich vorher schon sagte, steht bei unserem Politikansatz der Mensch im Mittelpunkt, auch in der Außenpolitik. Aus diesem Grund ist sie interessengeleitet, was die Menschen angeht: Menschen, die frei, ohne Angst und mit der Gewissheit leben, dass sie in ihrem Land fair und gerecht behandelt werden, werden in ihrer Heimat bleiben, ihr Land voranbringen und werden friedliche Nachbarn werden. Dabei wollen wir sie unterstützen. So helfen wir mit dem östlichen Partnerschaftsprogramm den Demokratiebewegungen, helfen mit, Bürgerfernsehen aufzubauen, leisten Hilfe bei Seminaren und vieles andere mehr.
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Zusätzlich zu den 20 Millionen Euro stellen wir jetzt 2 Millionen Euro zur Verfügung, und zwar nur für die vielen Privatpartner der Zivilgesellschaft in Belarus, und wir unterstützen die Sanierung der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ in Minsk mit 1,5 Millionen Euro.
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Auch unsere politischen Stiftungen helfen mit, Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen arbeitsfähig zu halten, und stellen Studien und auch Stipendien zur Verfügung. Weltweit wird das für unsere Stiftungen zunehmend schwieriger und auch kostspieliger. Deshalb stocken wir die Mittel dort um insgesamt 9 Millionen Euro auf.
Und ich darf doch davon ausgehen, dass die AfD, die diese Gelder für überflüssig hält und am liebsten ganz gestrichen haben will, für den Fall, dass sie nach der nächsten Bundestagswahl wieder in den Bundestag kommt, ihrerseits dann keinen Gebrauch von diesen Mitteln machen wird.
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Die schwere Geburt des Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten haben wir jetzt geschafft. Allerdings bitte ich darum, dem Amt auch die Chance zu geben, seine Arbeit professionell und in voller Mannschaftsstärke zu beginnen, bevor man es von allen Seiten kritisiert, insbesondere bemängelt, was man alles besser machen müsste. Bei den Vor- und Ratschlägen, die man gibt, hat man nämlich nicht die Pandemie mitbedacht.
Weil es mein letzter Haushalt ist, für den ich Bericht erstatte, habe ich für uns Abgeordnete noch zwei Anliegen. Wir stellen für die wichtigen außenpolitischen Aufgaben unseres Landes viel Geld zur Verfügung; das ist auch gut so. Aber ich habe mit Alois Karl dafür gesorgt, dass der Haushalt auch Mittel für die Arbeit von uns mit den Parlamentarischen Versammlungen von OSZE, Europarat und NATO bereithält. Machen Sie bitte aktiv Gebrauch davon!
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Wir haben in den USA zwei Liegenschaften, die keine Botschaften sind: Das Haus in der Fifth Avenue in New York ist noch eine Baustelle, aber auch das renovierte Thomas-Mann-Haus in Los Angeles steht zur Verfügung. Unsere Beziehungen zu den USA können und sollten wir verbessern, erst recht unter der neuen Regierung. Deshalb sollten auch wir Abgeordnete mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesstaat bzw. aus dem Bundeskongress dieses Haus für den Dialog nutzen. Wir sind auch bereit, weitere Mittel in Höhe von 300 000 Euro zur Verfügung zu stellen, weil sich die anfänglichen Spender zurückziehen.
Parlamentarische Diplomatie braucht kein Schlagwort zu bleiben. Wir können es mit Leben füllen. Sie alle haben es in der Hand. Stimmen Sie dem Einzelplan zu!
Glück auf und vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Barnett. – Ich erteile das Wort dem nächsten Redner, nämlich Alexander Graf Lambsdorff von der FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist die letzte Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode; es ist das letzte Mal, dass wir in dieser Legislatur über den Einzelplan 05 beraten. Es ist deswegen vielleicht nicht verkehrt, eine kurze Bilanz der Außenpolitik in dieser Legislaturperiode zu ziehen.
Aus Sicht meiner Fraktion war sie überwiegend eine Außenpolitik des Weiter-so. Es war eine reaktive Außenpolitik. Es war eine Außenpolitik, die sich durch Passivität und durch Orientierungslosigkeit auszeichnete. Die „taz“, nicht gerade das Leib-und-Magen-Blatt der FDP, schrieb: „In der deutschen Außenpolitik ist derzeit keine Linie zu erkennen, nicht einmal eine falsche.“
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Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Außenpolitik vor dem Hintergrund unserer Beziehungen zu den beiden wichtigsten Partnern anschaut, die wir haben, Frankreich und die USA. Nachdem Emmanuel Macron es gelungen war, Marine Le Pen zu besiegen, hat er 2017 nach der Bundestagswahl einen großen Aufschlag gemacht. Er hat Vorschläge für die Handlungsfähigkeit Europas auf den Feldern Sicherheit und Migration gemacht, auf den Feldern der Politik gegenüber Afrika, der Entwicklungszusammenarbeit, der Innovation, der Wirtschaft und Währung. Die Reaktion aus Berlin war gleich null. Es gab überhaupt keine Bereitschaft seitens des Kanzleramtes, seitens des Auswärtigen Amtes, auf diese Vorschläge einzugehen und sie zu debattieren. Man muss ja nicht jedem einzelnen Vorschlag zustimmen. Aber wenigstens eine Debatte darüber zu führen, wie die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union gestärkt werden kann, das wäre angezeigt gewesen, meine Damen und Herren.
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Ich fand bemerkenswert, was die Bundeskanzlerin heute Morgen gesagt hat: Immerhin sei es in der zweiten Welle der Coronapandemie gelungen, die Freiheit des Warenverkehrs im europäischen Binnenmarkt zu bewahren. Sie spielte damit auf einen der Kardinalfehler in der Frühphase der Pandemie an, nämlich die Verhängung einer Ausfuhrsperre für medizinische Produkte durch die Bundesregierung am 4. März. Lieber Herr Maas, Sie haben die auch noch verteidigt. Das war falsch. Von einem Außenminister hätte ich erwartet, dass er den Binnenmarkt verteidigt, die Europäische Union verteidigt, den freien Warenverkehr in der Europäischen Union gerade in Krisenzeiten, wo andere auf Solidarität angewiesen sind, verteidigt und sich nicht vor die Herren Spahn und Seehofer stellt und sie für ihre Fehlentscheidungen auch noch in Schutz nimmt.
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Jetzt haben wir den Sieg Joe Bidens über Donald Trump, auch wenn manche das hier offenbar noch nicht wahrhaben wollen, und wir sind wieder in einem Modus des Weiter-so. Wir sind ja nicht das einzige Parlament, das zurzeit Haushaltsberatungen führt; auch im amerikanischen Kongress werden gerade Haushaltsberatungen geführt. Dort ist die Entsprechung zum Einzelplan 14 verabschiedet worden, der National Defense Authorization Act. Er macht einmal mehr deutlich, was für ein diplomatisches Debakel erster Güte Nord Stream 2 ist. Unsere Botschaft in Washington wird nichts anderes zu tun haben, als im Kongress dafür zu werben, dass die Bestimmungen dieses National Defense Authorization Acts möglichst nicht zur Anwendung kommen. Sie wird Sanktionsdrohungen aus dem Kongress gegen uns zurückweisen müssen; zu Recht, weil sie illegal sind. Aber auch die Polen, die Skandinavier, die Balten, alle sehen in diesem Projekt eine Verletzung ihrer nationalen Interessen. Trotzdem tut die Bundesregierung nach wie vor so, als ob es sich um ein privatwirtschaftliches Projekt handelte. Nichts könnte falscher sein.
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Meine Damen und Herren, hier ist von Doris Barnett eben etwas Richtiges gesagt worden: Es gibt auch positive Dinge. – Der Einstieg in den Aufbau einer Personalreserve im Auswärtigen Dienst ist etwas Positives; das begrüßen wir ausdrücklich. Wir wollen ja auch, dass die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis wahrgenommen werden. Dazu brauchen wir eben nicht nur das, woran man immer so denkt, wenn man über Verpflichtungen im Bündnis redet: militärische Mittel. Nein, wir brauchen auch diplomatische Ressourcen. Deswegen finde ich es gut, was Wolfgang Ischinger von der Münchner Sicherheitskonferenz vorgeschlagen hat: Wir sollten 3 Prozent unserer Wirtschaftsleistung für die internationale Politik in die Hand nehmen. Für die Diplomatie geben wir weniger als 0,2 Prozent aus. Weniger als 0,2 Prozent, und die Planung fürs Jahr 2024 sieht ein Absinken von jetzt 6,3 auf dann 4,9 Milliarden Euro vor. Meine Damen und Herren, das ist der falsche Weg. Wenn Deutschland eine internationale Rolle spielen soll, brauchen wir einen starken Auswärtigen Dienst.
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Wir brauchen auch – das will ich hier genauso deutlich sagen – eine starke Bundeswehr. Ich kann mir deswegen wirklich beim besten Willen nicht verkneifen, die unfassbaren Äußerungen von Norbert Walter-Borjans hier einmal aufzugreifen, der die Lebensversicherung für unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz wieder auf die lange Bank schieben will, weil angeblich noch nicht genug über Drohnen debattiert worden sei. Meine Damen und Herren, das ist wahlkampfinduziertes, verlogenes Geschwurbel. Es tut mir leid: Seit zehn Jahren debattieren wir über die Beschaffung von Drohnen, über Einsatzregeln, die gerade auch Sie von der Sozialdemokratie präzisiert haben. Ich kann das beim besten Willen nicht verstehen.
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Letzter Punkt. Ich bin froh, dass unsere Bundeswehr im Baltikum steht und dort die Litauer, die Esten, die Letten schützt und beruhigt. Ich will hier zum Schluss eines sagen, lieber Alois Karl – es ist ja auch für Sie der letzte Einzelplan 05 –: Als Vorsitzender der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe – und ich gucke auch Elisabeth Motschmann an, denn wir sind die beiden Deutsch-Balten hier im Deutschen Bundestag – will ich mich ausdrücklich dafür bedanken, dass die Petrikirche und der Wagnersaal in Riga so gut bedacht worden sind. Vielen Dank, lieber Herr Karl, für Ihr segensreiches Wirken und alles Gute!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Graf Lambsdorff. – Bevor wir zu einem weiteren Höhepunkt der Debatte kommen, möchte ich Sie daran erinnern, dass in weniger als zehn Minuten die namentliche Abstimmung geschlossen wird. Wer noch nicht abgestimmt hat, möge das also bitte jetzt tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich nach den Vorschusslorbeeren, Herr Graf Lambsdorff, zur eigentlichen Rede komme, möchte ich ganz kurz auf meine besondere Freundin Frau Malsack-Winkemann eingehen.
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Am besten an Ihrer Rede hat mir gefallen, dass Sie nach fünf Minuten schon am Schluss waren.
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Sie haben gleichsam eine Verteidigungsrede für Donald Trump gehalten. Um es ehrlich zu sagen: Ich habe nicht so viel übrig für Donald Trump. Aber solch eine Verteidigungsrede, wie Sie sie gehalten haben, hat nicht einmal er verdient, glaube ich sagen zu dürfen.
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Die Dinge werden ihren Fortgang nehmen, so wie das Jahr bei uns hier seinen Fortgang nimmt. Es wird in der Tat in die Annalen der Geschichte eingehen. Die Pandemie hat uns in allen Lebenslagen getroffen: in der Politik, im gesellschaftlichen Leben, in den mitmenschlichen Kontakten, im Wirtschaftsleben usw., auch in unseren Haushalten natürlich. Vor einem Jahr haben wir noch mit einer schwarzen Null den letzten Haushalt hier verabschiedet: 362 Milliarden Euro. Dann haben wir einen Nachtrag machen müssen: 122 Milliarden Euro, dann einen zweiten Nachtrag: 24 Milliarden Euro. Dies alles haben wir mit neuer Kreditaufnahme bezahlen müssen. Jetzt sind wieder fast 500 Milliarden Euro innerhalb eines Jahres vorgesehen. Rund 1 Billion Euro ist also über unsere Tische gegangen. Das macht einen natürlich schon ein wenig nervös und bereitet einem durchaus ungute Gedanken.
Wir haben viele Konferenzen in diesem Jahr gesehen. 16 Ministerpräsidenten sind jeweils bei der Bundeskanzlerin zusammengesessen und haben die Diversität des Föderalismus durchaus ausgeprägt zum Ausdruck gebracht. Jedes Bundesland will das Beste, 16-mal das Beste. Und auch wenn die Ministerpräsidenten manchmal sehr uneinig erschienen, in einem haben sie sich doch sehr einig gezeigt, nämlich wenn es darum ging, wer die Beschlüsse zu bezahlen hat. Wie aus einem Mund sind die 16 Finger und Fingerinnen
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hochgegangen, wenn es darum ging, die Bundeskasse, sozusagen den Bundestag, mit der Bezahlung zu beauftragen.
Meine Damen und Herren, es ist dieser Tage schon gesagt worden: Es kann nicht so weitergehen, dass ohne Einschaltung des Deutschen Bundestages, ohne das Benehmen mit dem Haushaltsausschuss über Milliarden- und Abermilliardenbeträge Beschlüsse gefasst werden, die wir dann abzusegnen und abzunicken hätten.
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Auf diese Art und Weise musste der Leerstand von Tausenden von Krankenhausbetten bezahlt werden – 12 Milliarden Euro für diese Pandemievorsorge. Im September haben wir auf diese Art und Weise Hilfen vergeben, die über den Daumen gepeilt einmal 10 Milliarden Euro kosten sollten und jetzt 14 oder 15 Milliarden Euro kosten sollen. Im Dezember sollen 17 Milliarden Euro auf diese Art und Weise ausgegeben werden. Meine Damen und Herren, es kann nicht so gehen, dass unsere Haushalte auf diese Art und Weise ramponiert werden.
Wir sprechen von einer Katastrophe nationalen Ausmaßes. Ich bin daher schon der Meinung, dass wir zum Beispiel die Gastwirte nicht alleine lassen können und mit einem Achselzucken sagen: Fatum! Ist halt so; du gehst jetzt halt vor die Hunde und wirst in den Ruin getrieben. Hier müssen wir in einer gewissen Solidarität handeln. Es sind ja keine Bundeswirtshäuser und keine Landeskaffeehäuser und keine kommunalen Restaurants, sondern es ist eine nationale Aufgabe. Wenn wir sagen: „Sie müssen schließen“, dann muss das auch von uns allen gemeinschaftlich getragen werden, jedenfalls nicht von der Bundeskasse alleine. Solidarität verstehe ich da ganz anders, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Niemand darf uns überfordern. Auch der Heilige Martin hat einen Mantel gehabt und hat ihn deshalb teilen können. Wenn er keinen gehabt hätte, hätte er nichts teilen können. Also muss man auch darauf schauen, dass wir unseren Mantel in der Tat noch gut beieinander halten und ihn nicht vorher verschleudern. Nur dann können wir auch künftig anderen gut helfen.
Wir haben heute einen Rekordhaushalt, auch in Ihrem Ressort, lieber Herr Bundesaußenminister, mit 6,265 Milliarden Euro so hoch wie noch nie. Die Maßnahmen, die Sie zu bewältigen haben, wurden teilweise schon angesprochen: in der Ukraine, in Belarus, in der Türkei, der Zusammenhalt in der EU, die neue Basis mit den USA. Das wird viel Geld kosten. Aber wir sind gut gerüstet, und ich freue mich, dass wir dieses Geld mit auf den Weg bringen konnten.
Das Glanzstück unseres Haushaltes ist das Kapitel „Sicherung von Frieden und Stabilität“. Dass wir auch für die humanitäre Hilfeleistung mehr als 2 Milliarden Euro ausgeben können, ist schon etwas Besonderes. Meine Damen und Herren, das ist hervorragend. Es ist ungefähr das 20-Fache von dem, was wir 2012 – als wir, Frau Barnett und ich, damals angefangen haben – aufgewendet haben, nämlich 105 Millionen Euro, heute sind es 2,1 Milliarden Euro. Das ist das 30-Fache von dem, was wir im Jahre 2006 hier im Bundestag beschlossen haben. Das ist auch Ausdruck unserer Mitmenschlichkeit, und dafür schämen wir uns nicht.
Meine Damen und Herren, wir geben auch Geld für die UN-Flüchtlingshilfe in den palästinensischen Gebieten aus. Ich sage: Ja, wir tun das mit sehendem Auge, weil wir wissen, dass es unserer Humanität entspricht, dass wir nicht 700 Schulen in palästinensischen Gebieten schließen, die dort mehr als 500 000 Schüler betreuen. Und ich sage: Ja, es ist richtig, dass wir dort 143 Krankenhäuser auch mit unserer Hilfe aufrechterhalten und Zehntausenden von Patienten unsere Hilfe angedeihen lassen können.
Die humanitäre Hilfe ist ein Punkt, meine sehr geehrten Kollegen von der AfD, Frau Malsack-Winkemann, der uns abgrundtief trennt, in der Tat. Wir haben einen Ansatz von knapp 2 Milliarden Euro gehabt, und Sie haben gesagt: Da sollte man um etwa 1,5 Milliarden kürzen, also um etwa 75 Prozent kürzen. – Was ist denn das für eine Politik, die Sie da machen? Ich sage Ihnen ganz frank und frei: Schämen sollten Sie sich dafür! Solch eine Einstellung, die Sie da an den Tag legen!
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Es ist einfach unglaublich, was hier in diesem Haushaltsausschuss für Zeugs verzapft wird.
In Anlehnung an einen der großen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Fraktion, Herbert Wehner, möchte ich sinngemäß zitieren: Es gibt nicht nur Wölfe im Schafspelz; es gibt auch Schafe im Haushaltsausschuss und unter diesen Berichterstatterinnen und Berichterstatter.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, Humanität bedeutet für uns Menschlichkeit. Wir wissen, dass wir damit vielen Menschen die ungewisse Flucht aus Schwarzafrika ersparen, die schon viele das Leben gekostet hat.
Wir haben, lieber Herr Außenminister, mit der Kulturmilliarde gerade viel Geld auf den Weg gebracht, weil wir wissen, dass das Goethe-Institut, der DAAD, die Humboldt-Stiftung und unsere Auslandsschulen hervorragende Botschafter unserer Politik sind. Wir geben dieses Geld aus, weil wir wissen: Das ist nachhaltig angelegt, und das ist gut angelegt.
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Ich komme – mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident – zum Schluss.
Bitte. – Irgendwann geht die schönste Rede zu Ende.
Ich komme zum Schluss und möchte Ihnen gerne noch eines zurufen: Lieber Herr Bundesaußenminister, wir lesen in diesen Tagen häufig von Beiträgen von Landtagsabgeordneten der Linken und Grünen aus Bayern einen König betreffend, der sich am Starnberger See aufhält. Er ist länger am Starnberger See als in seinem eigenen Land, und Geschmack hat er offensichtlich; denn hätte er ihn nicht, dann würde er sich nicht so freuen, in der Nähe von König Ludwig II zu sein, der ja auch am Starnberger See gewesen ist.
Aloisius, das ist jetzt schon ein gewaltiger Zuschlag für deine Verdienste.
Ich bin beim letzten Satz. – Ich denke, dass Sie sich von diesem König Rama – so heißt er – nicht die Butter vom Brot nehmen lassen sollten. Wir sollten uns, meine lieben Kollegen, lieber daran erinnern: In Bayern gibt es immer noch einen Verein der Königstreuen. Der hat jedes Jahr eine Hauptversammlung, und die endet damit – das läuft immer gleich ab –, dass gesagt wird – republikanisch –: „Wir brauchen keinen König“, und der Nachsatz heißt: „… aber schöner wäre es schon“.
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Ich danke für die freundliche Zusammenarbeit mit dir, liebe Doris Barnett, und mit allen anderen Haushältern. Ich wünsche Ihnen alles Gute und ein gutes Jahr im Auswärtigen Amt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Alois Karl. – Ich komme zurück zu Einzelplan 04. Die Zeit für die namentliche Abstimmung ist jetzt gleich vorbei, und ich darf fragen: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Leute, zügig! – So. Jetzt darf ich noch einmal fragen: Haben alle ihre Stimme, die sie abgeben wollten, abgegeben? – Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis gebe ich Ihnen später bekannt.
Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Michael Leutert.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es gleich zu Anfang sagen: Wir haben ein fundamentales Problem; denn die deutsche Außenpolitik ist einfach nicht mehr sichtbar. Und Sie, Herr Minister, haben es als Leiter des Auswärtigen Amtes in letzter Zeit versäumt, Deutschland strategisch so zu positionieren, dass die Bundesrepublik handlungsfähig bleibt. Wir wissen alle – ich will das jetzt hier alles nicht weiter aufzählen; wir haben das oft genug gemacht –, dass sich die Welt seit Jahren in einem rasanten und dramatischen Wandel befindet, mit all den Auswirkungen, die bekannt sind: Machtverschiebungen, Wegbrechen von internationalen Gewissheiten.
Das macht das Geschäft sicherlich nicht einfacher, und es wird auch nicht einfacher dadurch, dass aufgrund der Globalisierung mittlerweile viele andere Bundesminister auf außenpolitischem Parkett gefragt sind, ob es der Finanzminister ist, wenn es um die Finanzkrise geht, der Bundesgesundheitsminister, wenn es um die Pandemie geht, die Verteidigungsministerin, der Entwicklungshilfeminister.
Aber umso wichtiger wäre es, dass Sie einen strategischen Handlungsrahmen, der natürlich unsere Interessen im Blick hat, definieren und dass dieser auf unseren Werten fußt, nämlich Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, damit sich alle anderen in dem Rahmen bewegen können und unsere Außenpolitik wieder sichtbar und als aus einem Guss gefertigt betrachtet wird. Aber davon ist nichts sichtbar.
Es wäre im Übrigen auch wichtig, dass Sie sich um die Themen kümmern, für die niemand anders zuständig ist oder auch niemand anders zuständig sein möchte. Da denke ich zum Beispiel an die katastrophale Lage in den griechischen Flüchtlingslagern. Ich frage Sie: Wie wollen wir eigentlich – wir nehmen im Auswärtigen Amt ja viel Geld in die Hand – nach Afrika gehen und dort dafür werben, dass Zustände geändert werden, dass humanitäre Standards eingehalten werden? Wie wollen wir den Menschen in unserem Land erklären, dass wir das tun, wenn wir es nicht einmal schaffen, unseren eigenen Laden in Ordnung zu bringen?
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Wir können auch über die dramatische Situation in den Flüchtlingslagern in Libyen sprechen. Sie ist schon vor vielen Jahren angesprochen worden. Wo sind Sie da? Was tun Sie da? Nichts. Seit Jahren berichten Diplomaten darüber, dass in diesen Lagern KZ-ähnliche Zustände herrschen. Deshalb hat das UN-Flüchtlingshilfswerk, finanziert durch die EU, ein Flüchtlingslager in Libyen aufgebaut. Dies wurde mittlerweile wieder geschlossen aufgrund der unsicheren Situation in Libyen. Trotzdem werden Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, nach Libyen zurückgeschickt, mithilfe von EU-Behörden. Was tun Sie dort? Nichts.
({1})
Oder: Sprechen wir über die illegalen Pushbacks, die von griechischen Behörden zusammen mit Frontex in der letzten Zeit in den Medien diskutiert worden sind. Wo sind Sie da? Was machen Sie dagegen? Selbst Kinder und Schwangere werden in Schlauchboote verfrachtet und nachts auf das offene Meer hinausgeschleppt. Warum gibt es darüber keine Diskussion? Warum gibt es keine Diskussion über Sanktionen gegen Griechenland? Warum gibt es keinen Sondergipfel, um diese Situation zu besprechen? Im Übrigen ist das auch ein Verstoß gegen Rechtsstaatsprinzipien. Wir diskutieren gerade auf EU-Ebene über die Rechtsstaatlichkeit. Herr Maas, ich kann Ihnen nur sagen, wenn ich Ihre Aktivitäten anschaue: Wir brauchen von Ihnen nicht mehr Fotos auf Instagram, wir brauchen Aktivität von Ihnen in den genannten Punkten.
({2})
Das Einzige, was derzeit passiert, kann man am Haushalt, der vorliegt, ablesen. Der Haushalt des Jahres 2017, als die neue Koalition an den Start ging, betrug 5,2 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr soll er 6,3 Milliarden Euro betragen, ungefähr 1 Milliarde Euro mehr als in diesem Jahr. Diese Milliarde fließt fast eins zu eins in die humanitäre Hilfe. Man kann sich natürlich darüber freuen, dass wir mehr Geld für humanitäre Hilfe ausgeben, aber besser wäre es doch, wir bräuchten die Gelder dafür überhaupt nicht. Was wir nämlich machen, ist: Wir rennen den Entwicklungsländern hinterher, spielen Feuerwehr, und letztendlich kaufen wir uns nur von der Verantwortung frei.
({3})
Sehr geehrter Herr Minister, es tut mir leid, aber Ihre Bilanz lässt sich nur so zusammenfassen: Sie sind als Ziehsohn Oskar Lafontaines gestartet und enden nun als Sorgenkind der deutschen Außenpolitik. Aber ich kann Ihnen auch sagen: Sie haben noch ein Jahr Zeit, dies zu ändern. Tun Sie also etwas.
({4})
Vielen Dank, Kollege Michael Leutert. – Die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist die Abgeordnete Ekin Deligöz.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, wenn man den Kollegen aus der Großen Koalition zuhört und die Zahlen hört, die der Kollege Leutert zitiert hat, könnte man meinen: Was habt ihr denn? Ihr Berichterstatter habt doch im Verfahren richtig viel bewegt. – Das stimmt auch. Wir haben viel bewegt in diesem Haushaltsverfahren. Mehr als 300 Millionen Euro sind dazugekommen, ein Großteil davon für die humanitäre Hilfe, 9,5 Millionen Euro für Menschenrechte. Es ist gut, dass im Bereich der Personalreserve endlich etwas vorangeht, dass das Finanzministerium die Blockade aufgegeben hat und wir vorankommen.
Das sind gute Nachrichten. Aber bei so großen Rissen und Lücken in der Fassade bringt eben ein neuer Anstrich nichts.
({0})
Und das kommt in den Reden auch rüber. Sie, Herr Minister, sind mit diesem Etat weder für die jetzigen noch für die künftigen internationalen Herausforderungen gut vorbereitet. Da fehlt es noch an vielem. Ich will zwei Beispiele herauspicken, um das zu verdeutlichen:
Wir hatten in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen aus den verschiedenen humanitären Hilfsorganisationen hier in Deutschland. UNOCHA – Mark Lowcock hat es am deutlichsten gemacht –, aber auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, UNICEF und viele andere humanitäre Organisationen sagen uns, dass die Klimakrise inzwischen einer der größten Verursacher für humanitäre Krisen in der Welt ist. Und Ihre Antwort darauf ist eigentlich nicht wirklich vorhanden. Ja, wir geben Geld für humanitäre Hilfe aus, aber das, was Sie machen, geht an die Symptome des Ganzen, aber nicht an die Ursachen. Wenn Sie wirklich an die Ursachen der Probleme gehen wollen, dann brauchen Sie eine grundlegende Veränderung Ihrer Politik, die zum Beispiel heißen könnte: Klimaaußenpolitik.
({1})
Das Gleiche könnte ich auch durchdeklinieren, wenn es zum Beispiel darum geht, Frauenrechte in der Welt voranzubringen. Wir haben hier eine Gruppe von Parlamentarierinnen, die sich massiv dafür einsetzen, feministische Außenpolitik voranzubringen. Diese verbleibt aber allein im Parlament, weil wir Frauen, die sich in diesem Parlament dafür einsetzen, uns von unserem Außenminister alleine gelassen fühlen, weil Sie hier zu wenig machen
({2})
und es leider nur bei warmen Worten zu unserem Bestreben bleibt.
Oder ein ganz konkretes Beispiel: die Situation in Belarus. Heute ist der 123. Tag der Proteste. Es wurden inzwischen fast 30 000 Oppositionelle verhaftet. Die OSZE redet von Hunderten von Fällen von Folter, Misshandlungen, ja bis hin zu Vergewaltigungen, die dokumentiert sind. Es gibt einen Antrag aus der Mitte dieses Parlaments. CDU/CSU, SPD, Grüne und viele andere hier im Parlament haben deutlich gesagt, wie sehr es unser Wille ist, dass wir uns dort mit der Zivilgesellschaft solidarisieren wollen, dass wir uns für sie einsetzen wollen. Wir haben mit diesem Antrag aus dem Parlament Hoffnungen geweckt. Und Sie haben dem Ganzen ja auch verbal zugestimmt, Sie haben Großes versprochen, rausgekommen sind 2 Millionen Euro. 2 Millionen Euro, von denen wir noch nicht einmal wissen, wann und wo und wie sie fließen sollen! Das ist eine große Enttäuschung, Herr Minister.
({3})
Ja, die Herausforderungen an Sie und Ihr Haus sind groß, aber ich glaube, dass Sie selber nichts anderes erwarten; denn Sie selber reden davon, dass die Welt immer komplexer wird, dass die Konflikte komplexer sind, dass die Zusammensetzungen komplexer werden. Und dann enttäuscht es, ehrlich gesagt, erst recht, wenn Sie sich für Ihren Etat nicht viel stärker engagieren. Wir reden hier nicht zum ersten Mal darüber, dass die mittelfristige Finanzplanung nicht stimmt, dass sie zurückgeht. Das haben wir in den letzten und vorletzten Debatten – ehrlich gesagt: seit ich diesen Etat mache – immer wieder betont, allein von Ihnen kam kein Engagement. Das enttäuscht deshalb, weil Ihre Berichterstatter für den Etat kämpfen. Es hilft aber nicht, wenn die Berichterstatter kämpfen und der Minister, wenn wir uns dann umdrehen, gar nicht mehr da ist. Es geht darum, dass wir eine starke Diplomatie brauchen. Und diese starke Diplomatie braucht einen starken Rückhalt vom Parlament, aber auch vom Minister, von Ihrem Haus und – ja – auch im Etat.
({4})
Wir werden uns dafür einsetzen, aber wir verlangen noch viel mehr, nämlich dass die deutsche Außenpolitik auch eine Richtung bekommt. Beispiele dafür habe ich Ihnen genannt: klimagerechter, feministischer werden und Menschenrechte in den Vordergrund stellen. Herr Minister, das erwarten wir von Ihnen, und da wünschen wir uns mehr.
Danke schön.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 – Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes – bekannt: abgegebene Stimmenkarten 649. Mit Ja haben gestimmt 374, mit Nein haben gestimmt 275. Der Einzelplan 04 ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 649;
davon
ja: 374
nein: 275
Ja
CDU/CSU
Dr. Michael von Abercron
Stephan Albani
Norbert Maria Altenkamp
Peter Altmaier
Philipp Amthor
Artur Auernhammer
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Melanie Bernstein
Christoph Bernstiel
Peter Beyer
Marc Biadacz
Steffen Bilger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand (Fulda)
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Helge Braun
Silvia Breher
Sebastian Brehm
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Brodesser
Gitta Connemann
Astrid Damerow
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Thomas Erndl
Hermann Färber
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Eckhard Gnodtke
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Thomas Heilmann
Frank Heinrich (Chemnitz)
Mark Helfrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Marc Henrichmann
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Hans-Jürgen Irmer
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Ingmar Jung
Alois Karl
Anja Karliczek
Torbjörn Kartes
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Michael Kießling
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Alexander Krauß
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Michael Kuffer
Dr. Roy Kühne
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Jens Lehmann
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Nikolas Löbel
Bernhard Loos
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Saskia Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Dr. Astrid Mannes
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Axel Müller
Sepp Müller
Carsten Müller (Braunschweig)
Stefan Müller (Erlangen)
Christian Natterer
Dr. Andreas Nick
Petra Nicolaisen
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Josef Oster
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Joachim Pfeiffer
Stephan Pilsinger
Dr. Christoph Ploß
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Stefan Rouenhoff
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Stefan Sauer
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)
Dr. Claudia Schmidtke
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Felix Schreiner
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Torsten Schweiger
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Björn Simon
Tino Sorge
Jens Spahn
Katrin Staffler
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Andreas Steier
Peter Stein (Rostock)
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Dr. Peter Tauber
Dr. Hermann-Josef Tebroke
Hans-Jürgen Thies
Alexander Throm
Dr. Dietlind Tiemann
Antje Tillmann
Markus Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Kerstin Vieregge
Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Christoph de Vries
Dr. Johann David Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)
Sabine Weiss (Wesel I)
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Kai Whittaker
Annette Widmann-Mauz
Bettina Margarethe Wiesmann
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Oliver Wittke
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Paul Ziemiak
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Bela Bach
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Nezahat Baradari
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Eberhard Brecht
Leni Breymaier
Dr. Karl-Heinz Brunner
Katrin Budde
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Esther Dilcher
Sabine Dittmar
Dr. Wiebke Esdar
Saskia Esken
Yasmin Fahimi
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Timon Gremmels
Kerstin Griese
Michael Groß
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Elisabeth Kaiser
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Elvan Korkmaz-Emre
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)
Dr. Karl Lauterbach
Sylvia Lehmann
Helge Lindh
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Heiko Maas
Isabel Mackensen
Caren Marks
Dorothee Martin
Katja Mast
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Falko Mohrs
Claudia Moll
Siemtje Möller
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Josephine Ortleb
Mahmut Özdemir (Duisburg)
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post (Minden)
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Nils Schmid
Uwe Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)
Dagmar Schmidt (Wetzlar)
Carsten Schneider (Erfurt)
Johannes Schraps
Michael Schrodi
Ursula Schulte
Martin Schulz
Swen Schulz (Spandau)
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Amalie Steffen
Mathias Stein
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Markus Töns
Carsten Träger
Marja-Liisa Völlers
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Dirk Wiese
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Nein
AfD
Dr. Bernd Baumann
Marc Bernhard
Andreas Bleck
Peter Boehringer
Stephan Brandner
Jürgen Braun
Marcus Bühl
Matthias Büttner
Petr Bystron
Joana Cotar
Dr. Gottfried Curio
Siegbert Droese
Thomas Ehrhorn
Berengar Elsner von Gronow
Dr. Michael Espendiller
Peter Felser
Dietmar Friedhoff
Dr. Anton Friesen
Markus Frohnmaier
Albrecht Glaser
Franziska Gminder
Kay Gottschalk
Dr. Roland Hartwig
Jochen Haug
Waldemar Herdt
Martin Hess
Karsten Hilse
Nicole Höchst
Martin Hohmann
Dr. Bruno Hollnagel
Leif-Erik Holm
Johannes Huber
Fabian Jacobi
Dr. Marc Jongen
Jens Kestner
Stefan Keuter
Norbert Kleinwächter
Jörn König
Steffen Kotré
Frank Magnitz
Jens Maier
Dr. Lothar Maier
Dr. Birgit Malsack-Winkemann
Andreas Mrosek
Volker Münz
Sebastian Münzenmaier
Christoph Neumann
Jan Ralf Nolte
Ulrich Oehme
Gerold Otten
Tobias Matthias Peterka
Paul Viktor Podolay
Jürgen Pohl
Stephan Protschka
Martin Reichardt
Martin Erwin Renner
Roman Johannes Reusch
Ulrike Schielke-Ziesing
Dr. Robby Schlund
Jörg Schneider
Uwe Schulz
Martin Sichert
Detlev Spangenberg
Dr. Dirk Spaniel
René Springer
Beatrix von Storch
Dr. Alice Weidel
Dr. Harald Weyel
Wolfgang Wiehle
Dr. Heiko Wildberg
Dr. Christian Wirth
FDP
Grigorios Aggelidis
Renata Alt
Christine Aschenberg-Dugnus
Nicole Bauer
Jens Beeck
Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar)
Mario Brandenburg (Südpfalz)
Sandra Bubendorfer-Licht
Dr. Marco Buschmann
Karlheinz Busen
Carl-Julius Cronenberg
Britta Katharina Dassler
Bijan Djir-Sarai
Christian Dürr
Hartmut Ebbing
Dr. Marcus Faber
Daniel Föst
Otto Fricke
Thomas Hacker
Reginald Hanke
Peter Heidt
Katrin Helling-Plahr
Markus Herbrand
Torsten Herbst
Katja Hessel
Dr. Gero Clemens Hocker
Manuel Höferlin
Dr. Christoph Hoffmann
Reinhard Houben
Ulla Ihnen
Olaf In der Beek
Gyde Jensen
Dr. Christian Jung
Karsten Klein
Dr. Marcel Klinge
Daniela Kluckert
Pascal Kober
Dr. Lukas Köhler
Carina Konrad
Wolfgang Kubicki
Konstantin Kuhle
Alexander Kulitz
Alexander Graf Lambsdorff
Ulrich Lechte
Christian Lindner
Michael Georg Link (Heilbronn)
Oliver Luksic
Till Mansmann
Dr. Jürgen Martens
Christoph Meyer
Alexander Müller
Frank Müller-Rosentritt
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Matthias Nölke
Hagen Reinhold
Bernd Reuther
Dr. h. c. Thomas Sattelberger
Christian Sauter
Frank Schäffler
Dr. Wieland Schinnenburg
Matthias Seestern-Pauly
Frank Sitta
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Bettina Stark-Watzinger
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Benjamin Strasser
Katja Suding
Linda Teuteberg
Michael Theurer
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Dr. Andrew Ullmann
Gerald Ullrich
Johannes Vogel (Olpe)
Nicole Westig
Katharina Willkomm
DIE LINKE
Doris Achelwilm
Gökay Akbulut
Simone Barrientos
Dr. Dietmar Bartsch
Lorenz Gösta Beutin
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm-Förster
Michel Brandt
Christine Buchholz
Dr. Birke Bull-Bischoff
Jörg Cezanne
Sevim Dağdelen
Fabio De Masi
Dr. Diether Dehm
Anke Domscheit-Berg
Klaus Ernst
Susanne Ferschl
Nicole Gohlke
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Matthias Höhn
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Dr. Achim Kessler
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Pascal Meiser
Amira Mohamed Ali
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)
Zaklin Nastic
Dr. Alexander S. Neu
Petra Pau
Sören Pellmann
Victor Perli
Tobias Pflüger
Martina Renner
Eva-Maria Schreiber
Dr. Petra Sitte
Helin Evrim Sommer
Friedrich Straetmanns
Dr. Kirsten Tackmann
Jessica Tatti
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Andreas Wagner
Katrin Werner
Sabine Zimmermann (Zwickau)
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Lisa Badum
Annalena Baerbock
Margarete Bause
Dr. Danyal Bayaz
Canan Bayram
Agnieszka Brugger
Dr. Anna Christmann
Janosch Dahmen
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Stefan Gelbhaar
Erhard Grundl
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Bettina Hoffmann
Dr. Anton Hofreiter
Ottmar von Holtz
Dieter Janecek
Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn (Tübingen)
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Sven Lehmann
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Dr. Irene Mihalic
Claudia Müller
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Filiz Polat
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Manuela Rottmann
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Stefan Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Margit Stumpp
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Wolfgang Wetzel
Gerhard Zickenheiner
Fraktionslos
Marco Bülow
Lars Herrmann
Uwe Kamann
Mario Mieruch
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.
Jetzt hat das Wort der Bundesaußenminister. – Herr Minister.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Alois Karl, ich bin jetzt versucht, auf Ihre Bemerkungen zu der Situation von Königen in Bayern einzugehen, aber ich tue es lieber nicht. Ich gebe allenfalls den Hinweis, dass es mit Königen in Bayern auch schon einmal ein böses Ende nehmen kann.
Ich will mich gar nicht weiter mit Königen befassen, aber gerne was zu einem Grafen sagen, nämlich zu Ihnen, Herr Graf Lambsdorff. Denn Sie haben in Ihrer Rede noch einmal darauf hingewiesen, dass die deutsche Bundesregierung nicht in der Lage gewesen sei, eine angemessene Antwort auf die Reformvorschläge von Emmanuel Macron zu geben, die er kurz vor der Bundestagswahl 2017 gemacht hat.
({0})
Das war zeitlich gut getimt, bevor eine neue Bundesregierung ins Amt kam. Ich kann Ihnen nur mal sagen: Wenn Sie und Ihre Partei nicht so lange Scheinkoalitionsverhandlungen geführt hätten,
({1})
wäre die neue Bundesregierung schneller ins Amt gekommen und hätte die Antwort sogar noch schneller geben können.
({2})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Es gibt auch eine Antwort. Die ist überschrieben mit „Vertrag von Aachen“. Der Vertrag von Aachen beschreibt die deutsch-französische Zusammenarbeit und die deutsch-französischen Ziele für Europa. Das ist so sehr in Europa zur Kenntnis genommen worden, dass viele Kollegen mir ihre Sorgen ausgedrückt haben, weil sie befürchten, dass Deutschland und Frankreich zu eng zusammenarbeiten.
Dass diese deutsch-französische Achse funktioniert, hat sie im Übrigen auch bewiesen, und zwar im Juli dieses Jahres, als es eine heftige Debatte in der Europäischen Union darüber gab, wie wir den Aufbaufonds finanzieren. Da gab es einen deutsch-französischen Vorschlag, und das war der Gamechanger in der ganzen Debatte. Der hat die Spaltung zwischen Nord und Süd in Europa verhindert und gezeigt, dass die deutsch-französische Achse funktioniert, und zwar besser denn je, sehr geehrter Herr Graf Lambsdorff.
({0})
Ich bin noch darauf hingewiesen worden, dass ich eigentlich des Amtes enthoben werden müsste, weil ich dem zukünftigen amerikanischen Präsidenten gratuliert habe.
({1})
Damit es noch mal klar ist – auch in Richtung der Ansammlung frustrierter Deutscher –: Ich gratuliere Joe Biden und Kamala Harris noch einmal in aller Form zu ihrem Wahlsieg. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, und wir glauben, dass das ein Glücksfall für die ganze Welt ist.
({2})
Meine Damen und Herren, natürlich wird das Ergebnis der Wahl in den Vereinigten Staaten vieles auf der internationalen Bühne verändern. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass vieles besser wird, aber nicht alles anders und dass es für uns in Europa keinen Grund gibt, uns zurückzulehnen. Wir werden drei Felder besonders im Blick haben müssen:
Wir brauchen einen neuen transatlantischen Deal.
({3})
Ein erster Schnelltest wird der Kampf gegen die Pandemie sein. Da haben wir in der Vergangenheit auch andere Töne aus den USA gehört. Da geht es um die weltweit gerechte Verteilung von Impfstoffen. Joe Biden will die USA zurück in die WHO führen, und wir werden dort eng mit seiner Regierung zusammenarbeiten und mit dafür sorgen, dass der Impfstoff, den es jetzt geben wird, nicht nur dahin kommt, wo man ihn bezahlen kann, sondern vor allen Dingen dahin, wo er auch gebraucht wird.
({4})
Das Gleiche gilt für den Klimaschutz. Wenn die USA zurückkehren in das Pariser Klimaschutzabkommen, können wir auch dort wieder an einem Strang ziehen.
Wir haben in der NATO vor Kurzem die Ergebnisse der sogenannten Reflexionsgruppe, die wir initiiert haben, diskutiert. Wir haben diskutiert, wie wir das transatlantische Verhältnis und die Allianz stärken wollen, und zwar durch mehr Beiträge von Deutschland und von Europa.
Auch in Bezug auf den Nahen Osten, Afghanistan, Russland und China wollen wir uns in Zukunft enger mit den USA abstimmen. Das wird dazu führen, dass die Chance auf eine Lösung der Konflikte und Krisen auf der Welt, von denen es zu viele gibt, die nicht gelöst worden sind in den letzten Jahren, größer wird, wenn Europa und die Vereinigten Staaten wieder an einem Strang ziehen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir werden auch vorankommen müssen beim Thema „Souveränes Europa“; das ist eines der Themen unserer Ratspräsidentschaft. Wir haben in den letzten Jahren nicht in unsere Sicherheit oder unsere digitalen Fähigkeiten investiert, weil Donald Trump es so wollte, sondern weil es in unserem ureigenen europäischen Interesse ist. Und diesen Weg müssen wir weitergehen, im Übrigen auch gar nicht als Antithese zur transatlantischen Partnerschaft, sondern um überhaupt ein relevanter, eigenständiger und ernstgenommener Partner der USA zu bleiben oder auch wieder zu werden.
Deshalb übernimmt Europa schon jetzt außen- und sicherheitspolitische Verantwortung in seiner Nachbarschaft, vom Sahel bis in den Nahen Osten. Mit dem strategischen Kompass, der Europäischen Friedensfazilität oder jetzt auch dem für Drittstaaten geöffneten PESCO-Weg haben wir weitere Pflöcke eingeschlagen für eine größere europäische Handlungsfähigkeit, die wir mit Blick auf das transatlantische Verhältnis auch brauchen.
Was kommt im nächsten Jahr auf uns zu, insbesondere etwa bei den humanitären Aufgaben? Die humanitären Organisationen prognostizieren für 2021 mehr Hilfsbedürftige als je zuvor. Deutschland ist bereits jetzt der weltweit zweitgrößte Geber humanitärer Hilfen. Dafür, dass wir so viel Geld in den Haushaltsverhandlungen für die humanitäre Hilfe bekommen haben, sage ich Ihnen einmal Danke, und zwar im Namen von Millionen Menschen, die davon im nächsten Jahr profitieren werden.
({6})
Wir werden auch am Thema Rüstungskontrolle weiterarbeiten. Bis Februar müssen die USA und Russland den New-START-Vertrag verlängern. Und auf Deutschland und Europa wird es dabei auch ankommen, für die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran, bei der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im nächsten Jahr: Überall sind wir intensiv in die Vorarbeiten eingebunden. Ich glaube, die Veränderungen in den USA werden vieles wieder möglich machen, was in den letzten Jahren nicht mehr ging.
({7})
Meine Damen und Herren, mit den Mitteln, die in diesem Haushalt zur Verfügung gestellt werden, werden auch Investitionen in eine starke Außenpolitik möglich werden. Ich will dafür drei Beispiele nennen:
Vor knapp einem Jahr haben wir hier in Berlin die Libyen-Konferenz ausgerichtet. Viele haben gesagt: „Das wird nichts“, und es gab auch viele Rückschläge. Jetzt erleben wir in Libyen, dass es einen Waffenstillstand gibt, der hält, dass es politische Vereinbarungen gibt, die halten, dass wirtschaftliche Probleme wie die Ölblockade aufgelöst sind und dass es einen Termin für Wahlen in Libyen gibt. Das deutsche Engagement in Libyen hat sich gelohnt. Wir haben maßgeblich dazu beigetragen, dass es in diesem Land endlich wieder eine Perspektive gibt.
({8})
Das Gleiche gilt für die Ostukraine. In der Ostukraine verhandeln wir seit Jahren im Normandie-Format, wie die Minsker Vereinbarungen umgesetzt werden können – lange ohne wesentliche Erfolge.
Herr Minister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Ich würde das gerne zu Ende bringen. – Jetzt gibt es einen Waffenstillstand, der länger hält als jeder zuvor. Es werden möglicherweise in den nächsten Wochen noch einmal Gefangene ausgetauscht. Wir werden in diesem Format weiterhin keine Ruhe geben, bis es uns gelingt, die Minsker Vereinbarung umzusetzen und dafür zu sorgen, dass es Frieden in der Ostukraine gibt.
Das Gleiche gilt für Afghanistan. Dass es dort Friedensverhandlungen gibt und dass beide Seiten Deutschland und Norwegen gebeten haben, diese Friedensverhandlungen zu begleiten und die nächsten Gespräche möglicherweise sogar auszurichten, ist auch ein Ausweis dafür, wie leistungsfähig die deutsche Außenpolitik ist.
Vielleicht ist die deutsche Außenpolitik nicht so laut, wie man es heute in der Politik von dem einen oder anderen gewöhnt ist. Aber sie ist effektiv, und sie ist in der Welt außerordentlich angesehen.
Vielen Dank.
({0})
Der nächste Redner für die Fraktion der AfD ist der Abgeordnete Dr. Roland Hartwig.
({0})
Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Rund 6 Milliarden Euro möchten Sie, Herr Außenminister, im kommenden Jahr für die Arbeit Ihres Amtes ausgeben. Das ist viel Geld und weit mehr als in den vergangenen Legislaturperioden. Schauen wir uns doch deshalb erst einmal an, was Sie mit diesen Rekordausgaben der vergangenen Jahre überhaupt erreicht haben.
Nun: Die Bilanz Ihrer Außenpolitik ist mager, um nicht zu sagen: verheerend. Die Beziehungen zu fast allen wichtigen Partnern Deutschlands haben sich teils dramatisch verschlechtert. Das betrifft allen voran Polen und Ungarn, die Sie im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit Sanktionen und Drohungen auf eine von Deutschland vorgegebene Linie zwingen möchten. Das betrifft weiter die Briten, die ganz entscheidend wegen der von der deutschen Regierung vertretenen Politik unkontrollierter Masseneinwanderung die EU verlassen haben.
({0})
Aber auch die Beziehungen zu Amerikanern, Russen und Chinesen haben unter Ihrer Regierung stark gelitten.
({1})
Dafür haben Sie nicht wirklich bahnbrechende Initiativen gestartet. Denn wer erinnert sich heute überhaupt noch an Ihre „Allianz der Multilateralisten“, an Ihr „Europe united“ oder den „Donnerstag für Demokratie“? Ihre Ideen, Herr Minister, sind doch längst in den Papierkörben der Geschichte gelandet. Die Zeit beginnt, über Sie und Ihre Politik hinwegzugehen.
Schauen wir uns zum Beispiel einmal die russische Regierung an. Auch sie fängt an, nach Alternativen Ausschau zu halten. So wurde gestern eine Delegation unserer AfD-Bundestagsfraktion trotz massiver Widerstände – auch aus Ihrem Haus – vom russischen Außenminister Lawrow in Moskau freundschaftlich empfangen.
({2})
Meine Damen und Herren, die Welt ist im Umbruch wie schon lange nicht mehr: China wird wieder zu einer bedeutenden Weltmacht,
({3})
Russland wieder stärker. In Afrika erleben wir ein ungeheures Bevölkerungswachstum, wahrscheinlich das größte von Ihnen allen hier weitgehend ignorierte Problem dieses Jahrhunderts. Europa ist von Libyen über den Irak und Syrien bis hin in die Ukraine von Konflikten umgeben und durchschnitten.
({4})
Der atemberaubende technologische Fortschritt führt zu geopolitischen Gewichtsverlagerungen nach Asien. Um unser Land erfolgreich durch das 21. Jahrhundert führen zu können, brauchen wir deshalb vor allem eine übergeordnete Zielsetzung und einen klaren Kurs,
({5})
der die großen historischen Strömungen für uns zu nutzen weiß.
Welche Zukunftsvorstellungen haben Sie denn, Herr Außenminister, für unser Land? Ich fürchte, da ist nicht viel.
({6})
Sie reißen permanent Bestehendes ein, ohne Neues zu errichten. Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie erst einmal das Vermächtnis Ihrer Partei, eine erfolgreiche deutsche Ostpolitik, beschädigt. Eine Alternative haben Sie nicht geboten. Sie definieren Ziele vorwiegend negativ. Der Nationalstaat sei tot, überholt, ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert, so heißt es seitens dieser Regierung. Konsequenterweise werden die Grenzen und die Sozialsysteme für Menschen aus aller Welt geöffnet und im Inland hart erarbeitete Steuergelder großzügig in die ganze Welt verteilt.
({7})
Scheckbuchdiplomatie, Herr Außenminister, war aber noch nie Ersatz für eine Strategie.
({8})
Und der Nationalstaat ist alles andere als tot. Kaum ein Thema wird uns in den nächsten Jahren so nachhaltig beeinflussen wie der Wiederaufstieg Chinas. Wir beschäftigen uns immer intensiver mit diesem Land, weil es als souveräner Nationalstaat in immer mehr Bereichen sehr erfolgreich ist. Ich nenne hier nur Mobilfunk, Raumfahrt und künstliche Intelligenz. China ist der machtvolle Gegenbeweis zu Ihrer These, dass der Nationalstaat ein Anachronismus des 19. Jahrhunderts sei.
({9})
Außenpolitik, Herr Maas, macht man nicht eben mal mit links. Das wird nichts ohne die rechte Einstellung.
Wir brauchen wieder Visionen,
({10})
um Menschen zu motivieren und Energien auf ein Ziel hin auszurichten. Wir brauchen als Land eine positive Vorstellung davon, wohin wir uns im 21. Jahrhundert entwickeln wollen, welchen Platz wir in dieser sich neu ordnenden Weltordnung einnehmen möchten. Warum setzen wir uns nicht zum Beispiel ein Ziel für das Jahr 2040, wenn sich die Wiedervereinigung zum 50. Mal jährt? Einige Ideen dazu aus meiner Fraktion: 2040 möchten wir Deutschland als souveränen Nationalstaat des deutschen Volkes wiederhergestellt haben
({11})
und dabei in diesem Staat die deutsche Kultur, Sprache und Tradition erhalten. Bis 2040 möchten wir mit allen europäischen Nachbarn, also auch mit Russland, ein Europa der Vaterländer bilden
({12})
und gemeinsam mit ihnen Asien und Nordamerika technologisch und wirtschaftlich auf Augenhöhe begegnen.
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Nur die nationalen Demokratien vermögen ihren Bürgern die nötigen und gewünschten Identifikations- und Schutzräume zu geben. Wir alle brauchen eine Heimat, wir brauchen unsere Heimat.
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Die künstliche Trennung des europäischen Kontinents in ein nach Ende des Kalten Krieges wieder entstandenes westliches und östliches Machtgebilde muss überwunden werden.
({15})
Herr Minister, Sie beanspruchen für sich, eine wertegebundene Außenpolitik zu betreiben. Über Werte lässt sich trefflich streiten, und das haben Sie in den letzten Jahren mit vielen Ländern und besonderem Einsatz getan. Was wir aber wirklich brauchen, ist eine interessengeleitete Realpolitik, eine Politik, die deutsche Interessen wieder in den Mittelpunkt stellt, so wie Sie es, Herr Minister, einmal geschworen haben: zum Wohle des deutschen Volkes.
Vielen Dank.
({16})
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Johann Wadephul.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische Außenminister muss selber entscheiden, mit wem er spricht. Wenn er mit deutschen Parlamentariern spricht, dann ist das von uns nicht zu kritisieren. Ich nehme zur Kenntnis, was der Leiter des Deutschland-Zentrums bei der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau laut einer dpa-Meldung vom heutigen Vormittag gesagt hat – ich zitiere –:
Russland habe sehr wohl im Blick, dass es in der AfD „Nazis“ gebe, die etwa den Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg huldigten, sagte Below.
Das lassen wir mal so stehen.
Aber eines muss ich schon noch zu Ihrer Rede sagen, Herr Kollege Hartwig: Wenn Sie denn den souveränen Nationalstaat hier betonen, dann gilt das auch für die Ukraine.
({0})
Insofern ist das völlig wirr, was Sie hier vorgetragen haben. Die Souveränität der Ukraine ist durch Russland verletzt worden.
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Das hat die Nachkriegsordnung zerstört bzw. empfindlich verletzt. Das ist ein absoluter Bruch in Ihrer Argumentation.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Sicht ist das herausragende Ereignis dieser Tage und Wochen der Wechsel im Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist kein Wechsel wie jeder andere seit dem Zweiten Weltkrieg. Schon der Umstand, dass es ein Wechsel ist – es wird ein Wechsel sein –, ist ein Glücksfall.
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Insofern bin ich mit dem Außenminister vollkommen einer Meinung. Präsident Trump hat in den vergangenen vier Jahren eigentlich alles infrage gestellt, was den Westen ausmacht, was unsere transatlantische Partnerschaft ausmacht:
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die Unabhängigkeit der Presse, die Anerkennung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz bis in die letzten Tage hinein,
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den freien Warenhandel, das Sicherheitsbündnis der NATO, die Multilateralität, die Zusammenarbeit der Nationen im Bereich des Umweltschutzes, des Friedens und der wirtschaftlichen und sozialen Kooperation. All das wäre mit einer Fortsetzung der Präsidentschaft Donald Trumps in den nächsten vier Jahren außerordentlich gefährdet gewesen.
Und jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ist jetzt alles gut? Ich sage: Nein! Jetzt kann vieles wieder gut werden, wenn wir es wollen und wenn wir sofort anfangen. Wir haben dazu aus meiner Sicht vier Jahre Zeit, wahrscheinlich sogar weniger, wenn man unsere Bundestagswahl mit Regierungsbildung in den Blick nimmt und wenn man auch in den Blick nimmt, dass der nächste amerikanische Präsident, der Joe Biden heißen wird, in den letzten Wochen seiner Amtszeit – „Lame Duck“ ist hier das geflügelte Wort – auch nicht mehr die volle politische Autorität hat.
Herr Außenminister, das ist mein Punkt. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir die Themen herausarbeiten und definieren, die für das transatlantische Bündnis von herausragender Bedeutung sind. Da können wir uns nicht nur die aussuchen, die wir gut finden, zum Beispiel die Bereitschaft Joe Bidens, mit uns gemeinsam Klimapolitik zu machen, ins Pariser Klimaabkommen zurückzukommen. Das ist gut, das ist richtig, das ist sinnvoll. Ich nenne auch die Bereitschaft, das JCPoA, das Abkommen mit dem Iran, wieder zu beleben und in eine neue konstruktive Phase hineinzukommen. Das ist gut, das ist richtig. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch die Themen aufgreifen, die die Amerikaner interessieren und bei denen sie von uns erwarten, dass wir uns nicht zurücklehnen und darauf warten, dass die Amerikaner etwas leisten, sondern bei denen wir als Deutsche, bei denen wir als Europäer selber einen Beitrag zum Bestand des transatlantischen Verhältnisses leisten müssen.
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Das ist gar nicht so wenig, und das ist gar nicht so unmaßgeblich. Das sind für manch einen hier im Hause unangenehme Themen. Das sind auch Themen, die wir in dieser Koalition nicht in dem Maße haben umsetzen können, wie die CDU/CSU-Fraktion das für notwendig und richtig gehalten hätte.
Deswegen sage ich: Den US-Truppenabzug kritisieren wir. Aber in der Sache kann ihn nur derjenige kritisieren und in Washington – sowohl beim neuen Präsidenten als auch bei Parlamentariern beider Parteien in beiden Häusern – ernsthaft für einen Sinneswandel eintreten, der bereit ist, die Lastenteilung im NATO-Bündnis wieder zu schultern. Die Zusagen von Wales müssen für uns gelten. Wir müssen sie umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Nur wenn wir das machen, werden wir entsprechende Unterstützung in den USA bekommen. Nur dann wird man akzeptieren und wissen, dass wir hier auch unangenehme Themen anpacken. Dazu, glaube ich, müssen wir mehr leisten.
Dazu gehört, dass wir die NATO stärken. Dazu gehört, dass wir die NATO reformieren. Die Reflexionsgruppe, die Sie, Herr Außenminister, initiiert haben, hat Großes geleistet. Ich möchte Thomas de Maizière als einem unserer Kollegen ganz ausdrücklich dafür danken, dass er an der Spitze dieser Reflexionsgruppe Reformvorschläge für die Zukunft unterbreitet hat.
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Das ist eine große Leistung gewesen. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Deutscher diese Rolle übernommen hat. Aber jetzt müssen wir, wenn wir uns des Wertes der NATO bewusst geworden sind, die NATO dementsprechend unterstützen und in die Lage versetzen, auch in Zukunft zu agieren. Dann muss man in der Tat auch bereit sein, über Strukturen in der NATO zu reden und Entscheidungsprozesse infrage zu stellen, und darf nicht von vornherein bestimmte Themen wie zum Beispiel das Thema Mehrheitsentscheidung tabuisieren.
Wir Deutsche sind der entscheidende Partner der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem europäischen Kontinent. Wir Deutsche haben deshalb eine zentrale Funktion wahrzunehmen. Wir müssen den Anspruch haben, das Rückgrat der konventionellen Abschreckung in Europa zu sein. Das verlangt von uns, dass wir als Deutsche 10 Prozent der NATO-Fähigkeiten – das ist entscheidend; 2 Prozent sind nur eine Größe – beitragen. Das müssen wir miteinander leisten innerhalb dieses Jahrzehnts, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir müssen die NATO zusammenhalten. Dazu gehört auch der schwierige Partner Türkei, den wir in der NATO halten wollen und der an den Grenzen zu Irak und Syrien eine schwierige Rolle einnimmt, die wir brauchen. Aber wir müssen der Türkei auch sagen: Sie kann kein Wandler zwischen den Welten sein. Wir erwarten von dem NATO-Partner Türkei, dass er sich zu den Werten der NATO bekennt, dass nicht dschihadistische Söldner angeworben, unterhalten und in Kriegen eingesetzt werden und dass nicht Waffensysteme aus Russland gekauft werden, die das Luftverteidigungssystem der NATO infrage stellen. Die Türkei muss sich zu uns genauso bekennen, wie wir als Deutsche bereit sind, uns dafür einzusetzen, dass die Türkei eine wichtige und fortbestehende Rolle in der NATO hat, liebe Freunde.
Wenn wir das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika langfristig positiv gestalten wollen, dann müssen wir auf mehr Eigenständigkeit setzen. Dann müssen wir als Europäer auch bereit sein, mehr zu leisten. Das kann man einfordern, Graf Lambsdorff. Aber dann muss die FDP auch alle europapolitischen Diskussionen in den eigenen Reihen führen.
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Wie stehen Sie denn zu Macrons Vorschlägen zur Euro-Zone? Mehr Skeptizismus als in der FDP-Fraktion gibt es zu der Frage „Mehr Europa?“ nicht in diesem Haus.
Deswegen: Lassen Sie uns gemeinsam Europa stärker machen. Lassen Sie uns atlantisch bleiben. Lassen Sie uns europäischer werden. Dann werden wir auch in den nächsten zehn Jahren eine gute Außenpolitik für unser Heimatland und für Europa gestalten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, auch für die Einhaltung der Redezeit, Kollege Wadephul. Vorbildlich!
Nächster Redner für die FDP-Fraktion – mit Mundschutz – ist der Kollege Michael Link.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, als Sie gerade geredet und den Haushalt dargelegt haben, war mir ein bisschen zu viel Selbstzufriedenheit dabei. Der Haushalt ist, vor allem wenn wir in die Zukunft schauen – das sage ich als Schwabe und als Liberaler ungern –, wirklich unterfinanziert. Wenn wir auf die Finanzplanung schauen – Kollegin Deligöz hat darauf hingewiesen –, stellen wir fest: Da bricht vieles wieder ab. Viel Wichtiges konnte in diesem Jahr durch die Berichterstatter im Haushaltsverfahren erreicht werden. Aber perspektivisch geht es nach unten. Perspektivisch wird es nicht der internationalen Verantwortung Deutschlands gerecht; das muss man ganz klar sagen. Das kann einen wirklich nicht ruhig schlafen lassen.
({0})
Deshalb kommt es uns schon massiv darauf an, dass wir da nacharbeiten.
Es geht darum, so effizient wie möglich zu arbeiten. Es geht nicht immer nur um mehr Geld, sondern um Effizienz. Die Bundesregierung muss ihr internationales Handeln besser aufstellen. Über 15 Häuser stehen sich mit internationalen Tätigkeiten teilweise gegenseitig auf den Füßen. Da braucht es – leider sind unsere Vorschläge von der Koalition nicht aufgegriffen worden – eine bessere internationale Koordinierung. Aus unserer Sicht kann das nur durch das Auswärtige Amt geleistet werden. Es muss die internationalen Aktivitäten aller Häuser koordinieren und kann damit auch Mittelverschwendung vermeiden bzw. reduzieren.
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Ein ganz wichtiger Punkt ist – wir wissen, Geld fällt nicht vom Himmel –, dass bei der humanitären Hilfe nachgesteuert wurde. Aber es wäre besser gewesen, wenn es gelungen wäre, von Anfang an – zum Beispiel durch Umschichtung von Projektgeldern hin zu flexiblen Grundbeiträgen – internationale Organisationen wirklich zu stärken. Das Hohelied der UN zu singen, Herr Minister, ist schön. Aber davon können sich UNHCR und viele andere nichts kaufen. Ohne mehr ungebundene Mittel müssen die betreffenden Organisationen bei jeder Krise erst wieder Klinken putzen, und so verstreicht kostbare Zeit.
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Deshalb haben wir beantragt, den internationalen Bereich des Roten Kreuzes, das Welternährungsprogramm, die WHO, UNICEF, UNHCR und viele andere stärker und direkter zu fördern.
Zentral wichtig ist uns Liberalen auch das Thema „Stärkung von Freiheit und Menschenrechten weltweit“. Deshalb begrüßen wir, dass beim Thema Menschenrechte in der Bereinigungssitzung nachgebessert wurde, auch hier ganz massiv auf Druck der Berichterstatter. Zum Beispiel soll es zehn Menschenrechtsreferenten an wichtigen, ausgewählten Botschaften geben. Ein gutes Signal!
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Da wir gerade über Menschenrechte sprechen und es gute Tradition ist, im Rahmen der Haushaltsdebatte zum AA auch einige wenige Worte zum EU-Haushalt zu sagen: Wir hoffen sehr, dass beim anstehenden Gipfel tatsächlich ein Durchbruch bei MFR und Rechtsstaatsmechanismus erfolgt. Da sich Viktor Orban heute Morgen laut der ersten Nachrichten in den Medien orakelhaft und zufrieden geäußert hat, möchte ich im Namen meiner Fraktion der Bundesregierung und der deutschen Ratspräsidentschaft sehr deutlich sagen: Bitte knicken Sie beim Rechtsstaatsmechanismus nicht ein!
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Was auf dem Tisch liegt, ist bereits ein Kompromiss, der im Trilog mit dem Europäischen Parlament gefunden wurde und der in vielen Bereichen vieles schon verwässert. Aber nachdem die Kanzlerin heute Morgen dazu kein Wort gesagt hat, sind wir schon alarmiert. Deshalb noch einmal: Knicken Sie hier nicht ein! Das ist eine entscheidende Frage. Wenn wir es verpassen, den Haushalt mit dem Rechtsstaatsmechanismus zu verbinden, wird Europa großen Schaden nehmen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Minister hat gerade die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich angesprochen. Dazu könnte man viel sagen. Seien wir als Parlament selbstbewusst! Ich erinnere an den Beitrag der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. So schön der Vertrag von Aachen auch ist, Herr Minister, Sie haben ein bisschen so getan, als ob dieser Vertrag allein auf eine Initiative der Regierung zurückginge. Es war schon eine Initiative, die sehr stark von Frankreich, hier aus diesem Parlament und aus der Assemblée nationale kam. Wenn ich an die Leistungen des Kollegen Jung, CDU/CSU, der Kollegin Brantner, des Kollegen Schmidt und vieler anderer – auch aus meiner Fraktion – denke, dann glaube ich, dass sich hier die Parlamente als selbstbewusste Akteure der Außenpolitik nicht verstecken, sondern die Regierung auch treiben müssen, wo nötig, Koalition und Opposition gemeinsam. Das werden wir weiter tun, gerade bei dem wichtigen Thema „Deutschland und Frankreich“.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich ganz herzlich im Namen meiner Fraktion bei all den Angehörigen des Auswärtigen Dienstes – erfreulicherweise ist ja etwas bei der Personalreserve erreicht worden –, bei Diplomaten wie Angestellten, bei Entsandten wie Ortskräften, bedanken, bei all denen, deren Arbeit für selbstverständlich gehalten wird. Wir haben bei dem schrecklichen Anschlag in Beirut gesehen, dass es auch eine lebensgefährliche Tätigkeit ist. Ich möchte in den Dank ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der politischen Stiftungen einschließen, die hier oft schlechtgeredet werden. Wir können stolz auf sie sein. Sie sind die zivilgesellschaftlichen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland.
({7})
Mein letzter Dank, Herr Präsident, gilt Doris Barnett und Alois Karl. Ihr habt es gesagt: Es ist die letzte Haushaltsberatung, die wir mit euch machen durften. Es war eine ganz hervorragende und mustergültige Zusammenarbeit, bei der die Opposition mit ihren Interessen bei der Koalition immer ein offenes Ohr gefunden hat. Wir waren nicht immer einer Meinung – das muss man wahrlich nicht sein –, aber es war eine sehr faire Zusammenarbeit. Als Schwabe darf ich sagen: Mit euch kann man schaffe!
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Michael Link. – Die nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke die Kollegin Heike Hänsel.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Tagen jährte sich der Kniefall von Willy Brandt in Warschau zum 50. Mal, ein hoch politischer und zutiefst menschlicher Akt, der auch heutige Generationen noch bewegt.
({0})
Viele, vor allem Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen, haben in den sozialen Medien daran erinnert, auch der Außenminister.
Aber leider, Herr Maas, hat die deutsche Außenpolitik nichts mehr mit der mutigen, visionären Friedens- und Entspannungspolitik von Willy Brandt zu tun.
({1})
Im Gegenteil: Ihre Außenpolitik ist mehr vom Geiste eines Donald Trump geprägt, der auf Konfrontationskurs mit Russland und China und auf massive Aufrüstung setzt.
({2})
Statt europäische Sicherheitsinteressen mit einer Entspannungspolitik zu vertreten, setzen Sie US-Politik um.
({3})
Wenn man Ihre jüngsten Äußerungen zum Atomabkommen mit dem Iran hört, dann stellt man fest: Das sind eins zu eins Forderungen, die von Donald Trump kommen.
({4})
Ihre laxe Haltung gegenüber der Türkei, Ihr brüskes Zurückweisen eines russischen Vorschlags für ein freiwilliges Rüstungsmoratorium oder auch das krampfhafte Festhalten an US-Atomwaffen in Deutschland und an der nuklearen Teilhabe der NATO, all das hat mit Friedenspolitik nichts zu tun.
({5})
Dementsprechend begrüßen Sie, Herr Maas, natürlich auch die Reformvorschläge der NATO. Neben Russland wird nun auch China zum militärischen Gegner der NATO erkoren. Deutschland will künftig auch im indopazifischen Raum mitmischen und an antichinesischen Bündnissen mitbasteln. Die NATO fühlt sich sogar eingekreist von Russland und China. Das ist ja absurd! Ich empfehle mal einen Blick auf die Landkarte.
({6})
Wo soll diese aggressive Politik denn hinführen? Die Linke sagt Nein zu dieser Kriegspolitik, die da skizziert wird.
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Was hat uns denn diese Coronapandemie gelehrt? Wohl doch, dass wir internationale Zusammenarbeit benötigen und nicht immer neue Feindbilder und globale Konfrontationen, wie die NATO sie vorsieht. Genau deswegen muss dieses Kriegsbündnis endlich aufgelöst werden,
({8})
und wir müssen raus aus den militärischen Strukturen. Man kann das nicht oft genug sagen. Dann könnte die Bundesregierung auch den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen; denn sowohl die US-Atomwaffen als auch die US-Soldaten müssen aus Deutschland abgezogen werden.
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Man muss diese Außenpolitik auch im Lichte eines Rüstungsrekordhaushaltes betrachten; denn die Bundesregierung will jetzt sage und schreibe 53 Milliarden Euro für Rüstung und Militär nach NATO-Kriterien ausgeben – mitten in einer Pandemie und Wirtschaftskrise. Das ist unfassbar. Das ist schlicht Wahnsinn!
({10})
Die Ausgaben sind seit 2014 um 44 Prozent gestiegen, aber wir haben noch nicht mal das 2-Prozent-Ziel der NATO erreicht, nämlich 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Rüstung auszugeben. Dann wären wir bei 85 Milliarden Euro, und damit läge Deutschland zwar hinter den USA und China, aber immer noch vor Russland, Frankreich und Großbritannien. Da frage ich insbesondere die SPD, ob diese Hochrüstungspolitik, Deutschland – noch vor Russland – zur ausgabenstärksten Militärmacht in Europa zu machen, die richtige Lehre aus zwei Weltkriegen ist, die von Deutschland vom Zaun gebrochen wurden.
({11})
Auch die Friedensbewegung hat diese Hochrüstungspolitik am Wochenende mit ihrer Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ in über 90 Städten kritisiert. Viele Gewerkschafter waren dabei, zum Beispiel Verdi-Chef Frank Werneke, DGB-Chef Reiner Hoffmann, der Sozialverband Deutschland und viele Friedensgruppen. Warum eigentlich ignorieren die Bundesregierung und die SPD, die mal Teil dieser Bewegung war, diese Forderungen so konsequent?
({12})
Eine breite Mehrheit der Bevölkerung will einen verlässlichen Sozialstaat, eine bessere Gesundheitsversorgung, mehr Klimaschutz, aber bestimmt keine immer neuen Rüstungsrekorde.
({13})
Das sollten auch die Grünen zur Kenntnis nehmen, die jetzt der Aufrüstung und den Militäreinsätzen das Wort reden. Wenn ich Annalena Baerbock und Katrin Göring-Eckardt zuhöre, die stramm auf schwarz-grünem Regierungskurs sind, kann ich nur sagen: Klimaschutz geht nur mit Abrüstung, liebe Grüne,
({14})
und aus dem Desaster des Afghanistan-Krieges habt ihr anscheinend auch nichts gelernt. Petra Kelly würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie sehen könnte, was ihr hier treibt.
Mut zu Abrüstung und Friedensdiplomatie – das ist das Gebot der Stunde, ganz im Sinne Willy Brandts.
({15})
Die Abgeordnete Margarete Bause hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister! Morgen ist der Internationale Tag der Menschenrechte, und auch in dieser Debatte wurden die Menschenrechte immer wieder erwähnt, allerdings nicht von Ihnen, Herr Maas. Anlässlich der Wahl Deutschlands in den UN-Menschenrechtsrat haben Sie aber verkündet – Zitat –: „Menschenrechte bilden das Fundament deutscher Außenpolitik.“ Es stellt sich die Frage, wie stabil und belastbar dieses Fundament an den entscheidenden Stellen ist, nämlich an den Stellen, wo es einer Belastungsprobe ausgesetzt ist, an den Stellen, wo man in den Konflikt gehen muss. Denn wer für Menschenrechte einsteht, muss mutig sein, und wer glaubwürdige Menschenrechtspolitik betreiben will, muss konfliktbereit sein. Es braucht Haltung statt Wegducken.
({0})
Was macht die Bundesregierung? Beispiel China. Letzte Woche wurden Joshua Wong und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu skandalös hohen Haftstrafen verurteilt, weil sie sich an friedlichen Protesten in Hongkong beteiligt hatten. Die Reaktion des Auswärtigen Amtes darauf? Ich zitiere: „Besorgniserregende Entwicklungen … zur Lösung der … Herausforderungen … nicht zuträglich.“ Nicht zuträglich? Da zerstört Peking die letzten Reste von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Hongkong, statuiert Schlag auf Schlag abschreckende Exempel an Demokratieverteidigerinnen und ‑verteidigern, verschleppt Journalistinnen und Journalisten sowie Politiker, kassiert Wahlen, schmeißt die Opposition aus dem Parlament, und dem Auswärtigen Amt fällt dazu nichts anderes ein, als von „besorgniserregenden Entwicklungen“ zu sprechen. Und während die KP Chinas vor den Augen der Welt Völkerrecht bricht und in Xinjiang monströse Menschenrechtsverbrechen exerziert, drängt die Kanzlerin in Brüssel darauf, dass jetzt endlich das Investitionsabkommen mit China abgeschlossen werden muss. Was für ein fatales Signal!
({1})
Beispiel Ägypten. Das Land, das Sie gerne als Stabilitätsanker im Nahen Osten bezeichnen, beteiligt sich am Krieg gegen den Jemen und hat eine verheerende Menschenrechtssituation. Human Rights Watch schätzt, dass mindestens 60 000 politische Gefangene unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert sind. Sogar Kinder werden gefoltert und mit Todesstrafe belegt. In den letzten zwei Monaten gab es eine regelrechte Welle an Hinrichtungen. Die Bundesregierung unterstützt den Polizei- und Folterstaat al-Sisis mit gewaltigen Finanzmitteln und Exportgarantien und beliefert das ägyptische Militär wie kein anderes Land weltweit mit Waffen. Der Hebel, den Deutschland gegenüber Ägypten zur Verbesserung der Menschenrechtslage hat, ist stark, aber er wird nicht mal ansatzweise genutzt. Stattdessen wird dem ehemaligen ägyptischen Botschafter in Berlin, der seine Botschaft hier zur Spitzelzentrale ausgebaut hat, noch das Bundesverdienstkreuz verliehen. Was für ein Wahnwitz!
({2})
Beispiel Indien. In Indien verschlechtert sich die Menschenrechtslage massiv. Gleichzeitig ist das Land der wichtigste Partner Deutschlands in der Allianz für Multilateralismus, die Sie, Herr Maas, auch mal als Allianz für die Menschenrechte bezeichnet haben. Aber wo, frage ich mich, bleibt Ihr Einsatz, wenn von der Regierung Modi Menschenrechtsorganisationen kriminalisiert werden, die Zivilgesellschaft drangsaliert wird und bis zu 2 Millionen muslimische Bürgerinnen und Bürger ausgegrenzt, ausgebürgert und in Internierungslager gebracht werden? Da hören wir nichts von Ihnen.
Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschenrechte spielen eine wichtige Rolle in der Politik des Auswärtigen Amtes, auch mit Blick auf den Haushalt an der einen oder anderen Stelle, allerdings nur, solange gerade keine für Sie noch wichtigeren Interessen entgegenstehen, seien es wirtschaftspolitische, seien es migrationspolitische oder seien es geostrategische. Aber die Beendigung von Unrecht, Unterdrückung und Willkür kann nur eingefordert und nicht erschmeichelt werden.
Ihrer Menschenrechtspolitik fehlt es vor allem an einem: an Mut.
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Der nächste Redner ist der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich der Rede der Kollegin Hänsel lauschte, dachte ich, wir sind im falschen Haushalt. Es ging da wohl um den Haushalt Einzelplan 007, Verschwörung.
({0})
Aber wir diskutieren über den Haushalt des Auswärtigen Amtes, und da lädt die Debatte natürlich ein, über aktuelle Aufgaben und auch künftige Herausforderungen zu sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte das für unsere Fraktion an drei Punkten deutlich machen: zunächst zu den Auswirkungen der US-Wahl, dann zu unseren europäischen und auch deutschen Aufgaben und drittens mit ein paar Handlungsvorschlägen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Rückkehr der USA – die absehbar ist – in die regelbasierte internationale Ordnung wird es für uns nicht einfacher. Aber eines ist, glaube ich, klar geworden: Wir werden die nächsten vier Jahre nicht mit mehr Abgrenzung von den USA verbringen können, sondern wir müssen deutlich stärker über europäische Handlungsfähigkeit und europäischen Handlungswillen sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das bedeutet eben auch, dass es nicht um strategische Autonomie Europas geht; denn dann – um den Gedanken, der von Teilen der Opposition aufgegriffen wurde, fortzuspinnen – müssten wir auch über eine Beendigung der nuklearen Teilhabe und eine eigene europäische Nuklearfähigkeit sprechen. Und das wollen wir nicht,
({1})
wir stehen zur nuklearen Teilhabe, zu einem transatlantischen Raum gemeinsamer Sicherheit.
({2})
Dieser Raum bedeutet unteilbare Sicherheit und bedeutet auch Verantwortung, die wir Deutschen mit Belgiern, mit Niederländern, Italienern und auch der Türkei übernehmen, dass nicht andere Staaten auf europäischem Boden, die der NATO oder der EU angehören, auch US-Nuklearwaffen stationieren. Zu der Verantwortung gehört eben auch, dass wir keine Ausweitung französischer oder britischer Nuklearwaffen wollen, sondern unser Ziel ist, wie es der Bundestag und auch das Außenministerium in vielen Legislaturperioden festgehalten haben, nukleare Abrüstung. Aber das erreichen wir nicht, indem wir eine nukleare europäische Autonomie anstreben.
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Wenn wir mehr europäische Handlungsfähigkeit wollen, dann brauchen wir auch eine glaubhafte Lastenteilung. Das führt mich zum zweiten Punkt, das sind konkrete Projekte, die wir mit den USA angehen müssen. Unser Hauptziel muss doch die Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung sein. Sie war doch die letzten Jahre unter Druck: durch das Vorgehen Russlands bzw. Putins, durch das Vorgehen Erdogans und nicht zuletzt auch durch Trump. Diese regelbasierte internationale Ordnung zeichnet sich durch Freihandel auf Basis sozialer und ökologischer Faktoren aus, und sie zeichnet sich auch durch die Vorherrschaft des Rechts und der Vereinten Nationen aus.
Wenn wir das leisten wollen, gibt es zwei konkrete Projekte. Das eine ist der Indopazifik; darüber wurde heute schon gesprochen, auch von unserem Außenminister. Ich kann hier nur unterstreichen: Die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung sind sehr gut, weil sie jetzt durch ein verstärktes US-Engagement statt ein konfrontatives Engagement unterstützt werden.
Aber viel wichtiger für uns unmittelbar ist, dass wir in Europa die Interessen, die Sicherheitsbedürfnisse der osteuropäischen Länder mit den Sicherheitserfordernissen der Südeuropäer bündeln. Wo können wir das besser machen? Indem wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken, indem wir alles daransetzen – transatlantisch gemeinsam –, dass Afrika ein Partner der regelbasierten internationalen Ordnung wird und nicht ein Vasall oder ein Bergwerk oder eine verlängerte Werkbank Chinas. Wenn es uns gelingt, dass wir im Wettbewerb, im fairen Wettbewerb mit China die Wettbewerbsfähigkeit, die Ausbildungsfähigkeit Afrikas verbessern – mit allem, was wir im Blick haben: Fluchtursachen, Klimawandel, Demografie auf dem afrikanischen Kontinent –, dann ist mir nicht bange.
Mein dritter und abschließender Punkt berührt unsere eigenen Aufgaben. Ich glaube, wir sollten uns bei aller Debatten über die Haushalte der Regierung als Parlament nicht verzwergen und regelmäßig über die außen-, sicherheits-, entwicklungspolitische Vernetzung sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen diese jährliche Debatte. Zweitens brauchen wir eine Aufwertung unseres Bundessicherheitsrates – da bin ich ganz bei unserer Verteidigungsministerin –; denn wenn wir ein Verfahren mit einer qualifizierten Mehrheit in Europa wollen, wenn wir einen europäischen Sicherheitsrat befürworten, müssen wir uns doch erst einmal selber unserer strategischen Interessen bewusst sein, und das kann durchaus über die Aufwertung des Bundessicherheitsrates geschehen.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es geht auch um unsere Öffentlichkeit, um unsere Bürgerschaft. Äußere und innere Sicherheit sind auf der einen Seite der Medaille, die soziale auf der anderen. Wir werden uns gute soziale Sicherheit nur leisten können, wenn wir auch stark in äußere Sicherheit investieren und eine gute innere haben. Auf der anderen Seite werden wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt für unser außen- und entwicklungspolitisches Engagement nur haben, wenn es unserer Bevölkerung gut geht.
In diesem Sinne danke ich König Karl und Königin Doris für ihr Engagement
({4})
und werbe um Zustimmung für den Einzelplan 05.
Herzlichen Dank.
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Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege Christian Petry.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Dank an Doris Barnett und Alois Karl schließe ich mich gerne an; denn sie haben über Jahre dafür gesorgt, dass – ich ziehe einen zweiten Hut auf – die Europäische Bewegung Deutschland auch ausreichend finanziert wird, über den Haushalt des Auswärtigen Amtes. Manuel Sarrazin – er ist, glaube ich, jetzt nicht mehr da – und ich dürfen dort Vizepräsident sein. Die Europäische Bewegung Deutschland ist die größte zivilgesellschaftliche Organisation, die sich proeuropäisch immer wieder für die liberalen Demokratien einsetzt. Deswegen ist es gut, dass ihr beide euch Jahr für Jahr dafür eingesetzt habt, dass die Haushaltsmittel entsprechend zur Verfügung stehen, auch noch erhöht werden. Dafür an euch beide ein ganz herzliches Dankeschön!
({0})
Der Haushalt 2021 des Auswärtigen Amtes umfasst 3,6 Milliarden Euro. Es ist angesprochen worden: Neben humanitärer Hilfe, Afrika, Krisenprävention, Auswärtiger Kulturpolitik hat er als Schwerpunkt natürlich auch das Thema Europa. Da möchte ich Michael Roth erwähnen, der in den Medien „Mister Europa“ genannt wird. Er kämpft über das Jahr hinaus immer wieder an vielen Fronten. Ob das der Finanzrahmen ist, ob das der Brexit ist, ob das die Erweiterung ist: Er ist immer da, im Auftrag von Heiko Maas und auch vielen anderen. Deswegen auch ein Dankeschön an ihn.
Dies ist eine ganz wichtige Aufgabe; denn wir müssen uns entscheiden, wo wir hinwollen mit Europa, wie wir die Entwicklung weiter gestalten wollen. Gunther Krichbaum ist auch hier. Im Europaausschuss haben wir das zum zentralen Thema. Es liegt uns am Herzen, dass der Konvent zur Zukunft Europas stattfindet und wir dort über die Weiterentwicklung Europas reden können. Wollen wir – wie es einige vielleicht wollen – lediglich einen Binnenmarkt, der ein bisschen besser funktioniert, ist das alles gewesen? Oder wollen wir tatsächlich die Weiterentwicklung Europas, die Weiterentwicklung eines Ortes der Freiheit, der Demokratie, der offenen Gesellschaft, der offensichtlich in der Welt höchst attraktiv ist, weil viele zu uns kommen wollen. Dafür müssen wir uns entscheiden, und dafür kämpfen wir; das findet ein wichtiges Spiegelbild im Haushalt des Auswärtigen Amtes.
({1})
Die deutsche Ratspräsidentschaft in Coronazeiten war sicher nicht einfach. Die Themen sind schon genannt. Olaf Scholz hat im Frühjahr tatsächlich einen Paradigmenwechsel bei der Finanzierung hinbekommen. Wir werden es beim Recovery-Programm und beim Eigenmittelbeschluss diskutieren müssen. Dort stehen tatsächlich solidarische Hilfen, das solidarische Europa im Mittelpunkt. Das ist eine gute Weiterentwicklung aus meiner Sicht, und hieran hat Heiko Maas einen großen Anteil.
Michael Leutert ist nicht mehr da.
({2})
– Doch, er ist noch da. – Michael, Heiko Maas – ich war von Anfang an dabei – ist nicht der Ziehsohn von Oskar Lafontaine. Da geht es eher nach der griechischen Weisheit, also, Oskar hat erkannt: Wenn du ihn nicht besiegen kannst, umarme ihn. – Ein Ziehsohn ist etwas anderes. Insoweit soll man das an dieser Stelle einmal klarstellen.
Bei der Konferenz zur Zukunft Europas ist eine breite Beteiligung gewünscht. Die institutionelle Weiterentwicklung soll im Zentrum stehen. Es geht darum, Aufgaben neu zu ordnen, Blockaden, die möglicherweise vorhanden sind, zu überwinden. Im Verhältnis Europäisches Parlament/Europäische Kommission/Europäischer Rat, im Trilog, hat der Europäische Rat durch das Einstimmigkeitsprinzip oft blockiert. Das müssen wir weiterentwickeln, funktionsfähig machen, auch im Hinblick auf eine mögliche Erweiterung, die in Zukunft noch kommen kann; ich denke da an die Länder des Balkans, die in den 2030er-Jahren, vielleicht auch früher, eine Möglichkeit zum Beitritt haben, wenn sie nach einem langen Weg die demokratischen und die rechtsstaatlichen Voraussetzungen erfüllen.
Hier möchte ich auf eines hinweisen – Michael Link hat es, glaube ich, gesagt –: Natürlich ist der Rechtsstaatsmechanismus ein wirklich wichtiges Pfund, und wir hoffen natürlich – ich bin mir sicher –, dass dies zentraler Bestandteil der Verhandlungsposition für die Verabschiedung des mehrjährigen Finanzrahmens und des Eigenmittelbeschlusses bleiben wird. Das muss er, das ist eine unabdingbare Sache.
({3})
Johannes Schraps hatte den Beschluss im Parlament vorbereitet, und das haben wir hier mit großer, breiter Mehrheit so beschlossen.
Ich möchte nun zum Schluss kommen. Vielleicht noch eine kleine Bemerkung über die Aussage, dass uns die Franzosen mit Herrn Macron in der Sorbonne-Rede eine Vorlage gegeben haben und wir daraufhin lange gewartet haben. Ich meine, die Regierungsbildung als Grund ist genannt. Aber ich war nicht mit allem einverstanden, was in der Sorbonne-Rede gesagt wurde.
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Ich bin nicht für die Renaissance der Atomkraft, was dort Bestandteil war. Und ich bin nicht für die Ausrichtung einer europäischen Armee als Interventionsarmee, was Bestandteil war.
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Hier müssen wir wirklich einmal genau hinschauen. Die Antwort ist da.
Ich wünsche mir, dass wir getragen von diesem Haushalt zusammenarbeiten für ein Europa als Ort der Freiheit, der Freizügigkeit, der Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit in einer offenen Gesellschaft.
Herzlichen Dank. Glück auf!
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Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Dr. Katja Leikert von der CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der kürzlich verstorbene große Europäer und frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing hat einmal gesagt: „Den ersten Deutschen habe ich durch das Zielfernrohr eines Panzers gesehen.“ Die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs haben d’Estaing zu einem unermüdlichen Kämpfer für die europäische Idee gemacht. Auch seine Forderung nach außenpolitischer Einheit Europas hat nichts von ihrer Bedeutung verloren, im Gegenteil: Sie ist hochaktuell.
An den Grenzen der Europäischen Union spielen sich dramatische Entwicklungen ab, denen kein Staat alleine begegnen kann. In Belarus wollen die Menschen, dass ihr Land endlich im 21. Jahrhundert ankommt. Nur gemeinsam wird es gelingen, den Druck auf die unrechtmäßige Regierung Lukaschenkas aufrechtzuerhalten. Nur gemeinsam werden wir in der Lage sein, die demokratische Opposition um Swetlana Tichanowskaja zu stärken.
An die Kolleginnen und Kollegen der AfD: Keine Sorge, Sie meine ich jetzt nicht mit „gemeinsam“. All Ihr Genörgel an der Europäischen Union wird uns niemals davon abhalten, die große europäische Idee für echten Gemeinsinn voller Überzeugung weiterzutragen.
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Die europäische Idee, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht vor großen Herausforderungen. Die Türkei betreibt ein gefährliches Säbelrasseln im Mittelmeerraum, Russland schürt Konflikte im Nahen Osten. Es liegt an uns, an uns Europäerinnen und Europäern. Wir müssen der brachialen Machtpolitik noch viel deutlicher Völkerrecht und Multilateralismus entgegenstellen. Anständig sein muss sich international wieder lohnen.
Unsere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat dabei völlig recht: Diese Ziele können wir nur Arm in Arm mit der neuen US-Regierung durchsetzen. Und ja, wir freuen uns hier in Europa über die neue Biden/Harris-Administration. Und ja, wir wollen europäischer werden und auch wieder transatlantischer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Ratspräsidentschaft endet in Kürze; Portugal wird unser Nachfolger sein. Unsere portugiesischen Freunde übernehmen von Deutschland ein Schiff unter vollen Segeln. Trotz Pandemie haben wir im zurückliegenden halben Jahr unserer Ratspräsidentschaft viele Fortschritte erzielt: bei den neuen richtigen Vorhaben im Bereich Klimaschutz, den wir unseren Kindern schuldig sind – ja, wir wollen eine klimaneutrale Europäische Union bis 2050 –, bei der Gemeinsamen Agrarpolitik, die die Balance zwischen Lebensmittelsicherheit und Ökologie gefunden hat, und auch beim Wiederaufbaufonds und dem mehrjährigen Finanzrahmen, die in Kürze wesentliche Impulse in ganz Europa geben werden.
So wie es aussieht, wird es eine Einigung beim Thema Rechtsstaatlichkeit geben. Das war für uns nie eine Verhandlungsmasse. Lieber Graf Lambsdorff, es ist klar, dass Sie so etwas bisher immer nur von der Seitenlinie kommentieren. Lieber Herr Link, Sie haben vorhin gesagt, wir würden hier einknicken; aber das ist nicht der Fall.
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Übrigens: An so mancher Stelle hätte ich mir von der Opposition in diesem Hause gewünscht, sie hätte die Bemühungen der Bundesregierung im letzten halben Jahr konstruktiver begleitet. Sie sollen kontrollieren, und Sie sollen Ideen einbringen. Wo war denn Die Linke bei der Stärkung der sozialen Säule der Europäischen Union? Und wann genau hat die AfD eigentlich Vorschläge zum gemeinsamen Asyl- und Migrationssystem gemacht? Und der FDP ist am Ende immer alles einfach nur zu teuer.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dass wir jetzt mit dem Wiederaufbaufonds vorangehen – Geld, das für die nächsten Generationen eingesetzt wird. Es gibt schon wieder einige, die unken, wir Deutschen haften jetzt nur wieder für die Schulden der anderen. Ich komme aus der Brüder-Grimm-Stadt Hanau und liebe alles, was mit Märchen zu tun hat. Aber die ständige Wiederholung der Geschichte, dass wir der Zahlmeister Europas wären, bleibt eben nur ein Märchen.
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Vielmehr stimmt: Es geht um die finanzpolitische Stabilität der gesamten Europäischen Union. Es geht um eine sinnvolle Solidarität, um eine Investition in die Zukunft unseres Kontinents. Und es geht – um es ganz klar und deutlich zu sagen – um unsere Interessen. Daher gilt unser Dank der Kanzlerin, die einmal mehr europäische Weitsicht bewiesen hat.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Ratspräsidentschaft hat Großes bewältigt. Das ändert aber nichts daran, dass die Europäische Union natürlich Reformbedarf hat. Wir müssen uns an den Mut von Giscard d'Estaing erinnern, den Mut, in eine unbequeme Zukunft zu schauen. Deshalb brauchen wir die Konferenz zur Zukunft Europas. Ich danke dir, Gunther Krichbaum, dass du dich dafür so einsetzt. Bei der Konferenz geht es nicht um das eine Rädchen dort oder die andere Schraube hier, die man verstellen kann. Es geht darum, dass die Europäische Union den nächsten Schritt macht. Wir stehen bei vielen Themen an der Schwelle: Echte gemeinsame Außenpolitik, ja oder nein? Fiskalunion, ja oder nein? Und, und, und.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bürger dieses Kontinents wollen die Europäische Union weiterentwickeln, stärken und mitgestalten. Wir müssen sie nur lassen. Dabei haben wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestags eine besondere Verantwortung. Gehen wir mutig voran! Machen Sie mit!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Katja Leikert. – Der letzte Redner zu Einzelplan 05 ist der Abgeordnete Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade in der Außenpolitik gilt für unser Land: Deutschland hat aus der Geschichte gelernt, und Deutschland wird heute und in Zukunft in Europa und global guter Nachbar und Partner sein. – Kurz vor dem Internationalen Tag der Menschenrechte ist es gut, festzustellen: Für die Bundesrepublik Deutschland haben humanitäre Hilfe, Krisenprävention und vor allem Freiheit und Menschenrechte traditionell einen hohen Rang. Deutschland ist herausragend engagiert in internationaler Zusammenarbeit in diesem wichtigen Feld.
Im zu Ende gehenden Jahr hat sich die Bundesregierung – ich will ausdrücklich den Bundesaußenminister erwähnen – in einer ganzen Reihe wichtiger Fragen der Menschenrechte auch ganz persönlich eingesetzt: von Xinjiang und Hongkong bis hin zur direkten Ansprache mit seinem chinesischen Kollegen, bis hin zum Einsatz für die Opfer sexueller Gewalt in Konflikten auf Ebene des UN-Sicherheitsrates. Nicht nur, weil Adventszeit ist, sondern aus voller Überzeugung möchte ich Heiko Maas in unser aller Namen für diesen besonderen Einsatz für Menschenrechte hier einmal danken.
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Auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes findet Deutschlands Engagement deutlichen Niederschlag: Mit über 3 Milliarden Euro für Krisenprävention, humanitäre Hilfe und die Arbeit der Vereinten Nationen dokumentiert Deutschland konkret seinen Beitrag für Frieden und Menschenrechte weltweit.
Im Übrigen: Auch die deutsche Entwicklungspolitik ist Menschenrechtspolitik. Es sind Rekordinvestitionen in diesem Haushalt. Die sind gut investiert, und zwar in Vorsorge. Die ODA-Quote wird sich fast verdoppeln. Deswegen an dieser Stelle auch einen Dank an einen engagierten und glaubhaften Einsatz von Entwicklungsminister Gerd Müller.
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Gerade in einer Zeit, in der es national und global so viele verrückte Akteure und üble Propaganda gibt, bleibt es wichtig, festzuhalten: Menschenrechte zählen zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, und dafür wird Deutschland weltweit hoch anerkannt.
Weil das so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, und weil Demokratie und Menschenrechte von internationalen Regimen in Russland und China, aber auch in Ägypten, in Syrien und anderswo, wie leider in der Türkei oder auch in Serbien, systematisch bekämpft werden, müssen wir uns zu Beginn des dritten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts darüber klar sein, woher die reale Bedrohung einer globalen Ordnung kommt, in der auch Deutschland einen wichtigen Beitrag für Frieden und Menschenrechte leistet.
Die größte Gefahr für Freiheit und Demokratie weltweit geht von der größten Diktatur der Welt aus: der Volksrepublik China. Der amerikanische Historiker Stephen Kotkin hat vor Monaten sehr zutreffend formuliert, dass es eine wirtschaftlich und politisch so mächtige Diktatur in der Menschheitsgeschichte noch nie gab. Allerdings ebenso korrekt ist die Feststellung, dass es noch nie in der Menschheitsgeschichte einen wirtschaftlich und politisch so mächtigen gemeinsamen Block von Demokratien gegeben hat wie die Europäische Union, wie auch die Tatsache, dass es noch nie eine wirtschaftlich und politisch – im Übrigen auch militärisch – so starke Demokratie gab wie die USA. Ähnliches gilt übrigens für die größte Demokratie der Welt, nämlich Indien.
Die akut größte Diktatur der Menschheitsgeschichte steht damit einer vielfach überlegenen Allianz von Demokratien gegenüber. Nicht erschlaffte Eliten, sondern Kampfkraft für Demokratie und Menschenrechte braucht es allerdings sehr. So ist es folgerichtig, dass der aktuelle Menschenrechtsbericht der Bundesregierung aus 2020 die brutale Repression und Aggression durch das chinesische Regime klarer dokumentiert als früher; auch das gehört zur Wahrheit dazu.
Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidenten aus einem Artikel dieser Tage im „Tagesspiegel“ zitieren: „Chinas Wolfskrieger“. Denn er beschreibt, was auch hier im Deutschen Bundestag, im Parlament, zu erleben ist. Ich will das an dieser Stelle sehr klar sagen, auch an den chinesischen Botschafter gerichtet, der diese Debatte sicherlich wieder verfolgt: Wir werden uns von Ihrer Propaganda und von Ihren Einschüchterungsversuchen gegenüber einzelnen Abgeordneten, dem ganzen Menschenrechtsausschuss und diesem Parlament nicht einschüchtern lassen.
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Wir werden die Themen ansprechen, die anzusprechen sind. Wir werden weiter mit denen sprechen, die Sie mit Füßen treten: mit der Demokratiebewegung in Hongkong, mit Taiwan, mit den christlichen Minderheiten, den Uiguren, den Tibetern, die in China unterdrückt werden. Wir werden uns nicht nur nicht das Recht dazu nehmen lassen, sondern wir werden sehr engagiert und kampfbereit für Demokratie und Menschenrechte streiten.
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Die Europäische Union hat unter Führung der deutschen Ratspräsidentschaft vor wenigen Tagen die sogenannte Magnitski-Regelung in Kraft gesetzt und damit neue, zielgenaue Sanktionen gegen Verantwortliche für schwerste Menschenrechtsverletzungen – von China über Russland bis hin zu Syrien oder anderen Diktaturen – möglich gemacht. Liebe Freunde, das ist ein Meilenstein.
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– Dass Sie damit nicht einverstanden sind, ist mir klar; denn Sie machen Menschenrechtspolitik nach Ideologie: Bei den einen werden Menschenrechtsverletzungen angesprochen, bei den anderen nicht. Nein, Menschenrechte gelten universell, und da, wo sie verletzt werden, müssen sie nicht nur thematisiert werden, sondern – ganz im Gegenteil – da muss man klare Haltung zeigen.
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Da treffen Sie sich im Übrigen mit der Truppe hier auf der rechten Seite.
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Ich sehe: Sie treffen sich da sehr gut beim Thema Menschenrechte; Sie sind da sehr selektiv.
Ich weiß nicht, wie viele Putin-Jünger von der AfD in diesen Tagen nach Moskau gereist sind; denn es sitzen gar nicht mehr so viele hier im Plenarsaal. Aber von der fünften Kolonne Putins, die jetzt wieder gereist ist – mit Chrupalla, mit Hampel –, kein Wort zum Thema Menschenrechte, kein Wort über den Auftragsmord im Tiergarten, kein Wort über Cyberangriffe gegen unser Land, gegen den Bundestag;
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kein Wort darüber, wie Russland gezielt versucht, unser Land zu destabilisieren; kein Wort darüber, wie Russland Sie und andere Extremisten in Europa, also rechtsextreme Netzwerke, finanziert! Sie sind Brüder im Geiste. Autokratie statt Demokratie, das ist Ihr Ziel, und da gibt es ein klares Stoppschild von uns.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Good News kommen von unserem wichtigsten globalen Partner, den Vereinigten Staaten. Ein Präsident Joe Biden wird die globale Allianz für Demokratie und Menschenrechte deutlich stärken. Das gilt nicht nur für unsere transatlantische Partnerschaft, sondern auch für Partner in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Bleiben wir in diesem Sinne also einer guten deutschen Tradition treu, die da lautet: Freiheit und Menschenrechte überall sind und bleiben Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache zu Einzelplan 05.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Vergleich zu 2013 ist der Verteidigungshaushalt für 2021 um rund 9 Milliarden Euro auf knapp 47 Milliarden Euro angestiegen. Die Verteidigungspolitiker der Großen Koalition werden sich sicher hier dafür loben. Wie aber steht die Bundeswehr nach sieben Jahren Großer Koalition da, und wer trägt für den heutigen Zustand der Truppe die Verantwortung?
Die Bundeswehr ist über Jahre unter dem Euphemismus „Friedensdividende“ geradezu kaputtgespart worden. Es wird Jahrzehnte dauern, diese Entwicklung rückgängig zu machen und die Bundeswehr so zu modernisieren, dass sie ihren verfassungsgemäßen Auftrag, die Verteidigung Deutschlands, wieder gewährleisten kann.
Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr 2018 versuchte, dieser Diagnose Rechnung zu tragen und einen Heilplan für die Streitkräfte aufzustellen. Lassen Sie mich bei diesem medizinischen Vergleich bleiben. Eineinhalb Dekaden Herumdoktern – in diesem Fall eher ein „Herummerkeln“ – bedürfen mindestens eineinhalb Jahrzehnte der Heilung. Es ist also auch nicht schwer, vorherzusagen, dass das Füllen der hohlen Strukturen wunschgemäß nicht möglich sein wird. Was heute verschoben wird, das bleibt und wird umso stärker künftige Haushalte belasten.
Dass aber keine Genesung des Patienten Bundeswehr absehbar ist, mag auch daran liegen, dass die Ärzte, die die Medizin verabreichen, die gleichen sind, die sie krank gemacht haben.
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Denn es ist so – vor dieser Verantwortung können Sie sich nicht drücken –: CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne haben das jahrelange Siechtum der Bundeswehr zu verantworten.
Fakt ist: Die Bundeswehr ist in dieser Verfassung nicht in der Lage, unser Land zu verteidigen. Die von Ihnen materialmäßig heruntergewirtschaftete Truppe ist nicht einmal in der Lage, Kriseneinsätze und Grundbetrieb in der Heimat gleichzeitig reibungslos zu organisieren – trotz des vorbildlichen und engagierten Einsatzes unserer Soldaten und zivilen Mitarbeiter, denen wir dafür ausdrücklich danken.
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Gegenwärtig ist an Grundbetrieb ohnehin nicht zu denken. Die Truppe leistet derzeit im Einsatz gegen Covid-19 durchaus Großartiges; aber sie ist zu einem Lückenbüßer geworden, der dort einspringen muss, wo andere staatliche Stellen überfordert sind oder gar versagen.
Sinnbildhaft für das Siechtum der Bundeswehr stehen auch die allseits auftretenden Probleme bei den großen Beschaffungsprojekten. Lässt man diese Revue passieren, zeigen sich fünf Kategorien. Da sind einerseits die Toten – gescheiterte Projekte wie Pegasus –, dann die Scheintoten, also die vor dem Aus Stehenden, wie das Taktische Luftverteidigungssystem TLVS. Nicht zu vergessen die dritte Kategorie: die Ladenhüter, wie zum Beispiel der A400M – eigentlich ein sehr leistungsfähiges militärisches Transportflugzeug, leider auf dem Weltmarkt nicht zu vermarkten. Groß ist auch die Anzahl der unausgereiften Projekte, wie zum Beispiel der Schützenpanzer Puma, gerne auch „Bananenprodukte“ genannt; denn sie reifen erst beim Kunden. Und zu guter Letzt: die europäischen Prestigeprojekte wie FCAS und MGCS – beides überwiegend von Deutschland finanzierte Projekte in überwiegend französischem Interesse. Politischer Wille steht dabei über finanziellem, volkswirtschaftlichem und militärischem Nutzen.
Meine Damen und Herren, nach wie vor herrscht in der Bundeswehr ein gewaltiger Investitionsstau, ob nun bei den Unterkünften, bei der Munitions- und Ersatzteilbevorratung, bei der persönlichen Ausrüstung, bei der Wiedererlangung verlorener Fähigkeiten oder der Forschung in Zukunftstechnologien. All dem trägt der Haushalt 2021 keine Rechnung. Mit Blick auf die aktuell rasant steigende Staatsverschuldung stellt sich ohnehin die Frage, wie viel der künftigen Etaterhöhungen, wenn es sie denn geben wird, für investive Ausgaben zur Verfügung steht.
Der Erfolg bisheriger Rüstungsprojekte ist also überschaubar. Parallel dazu jagt seit Jahren eine Reform des Beschaffungswesens die nächste. Wo aber bleibt die Effizienzsteigerung im Beschaffungswesen? Das System ist im Formalismus gefangen, steckt zwischen behindernder Überregulierung, zeitraubender Bürokratie und chronischem Arbeitskräftemangel.
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Ein Eindruck aber bleibt hängen: Entweder das System kann sich nicht reformieren, oder es will es nicht.
Die zentrale Frage ist aber: Wozu eigentlich Streitkräfte? An der Antwort auf diese Frage scheiden sich die Geister. Der zentrale Unterschied zwischen uns, der AfD-Fraktion, und Ihnen, den hier schon länger handelnden Fraktionen, ist sehr deutlich: Die AfD folgt dabei einem realpolitischen Kurs.
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Ich kann dem Kollegen nur sagen: Auch die Reise nach Moskau hat mit Realpolitik zu tun.
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Das heißt für die Bundeswehr: Der Kernauftrag ist die Landesverteidigung sowie die Bündnisverteidigung. Um dies glaubhaft zu machen, bedarf es des Willens und der Fähigkeit, letztendlich auch tödliche militärische Gewalt einzusetzen. Eine starke Bundeswehr dient gleichsam der Verteidigung Deutschlands wie der unserer Verbündeten. Sie verdeutlicht Deutschlands Glaubwürdigkeit als Bündnispartner und untermauert die außenpolitische Handlungsfähigkeit unseres Landes.
Auslandseinsätze sind aus unserer Sicht aber nur gerechtfertigt, wenn ein UN-Mandat vorliegt und ein nationales Interesse gegeben ist.
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Das ist das Leitmotiv jeder vernünftigen Nation auf diesem Planeten; nur in Deutschland ist die Betonung eines nationalen Interesses bereits anrüchig und politisch höchst verdächtig.
Das alles wissen Sie auch, aber aus Furcht vor der links-grün veröffentlichten Meinung schrecken Sie vor klaren Worten zurück und begründen die Existenz von Streitkräften mit bedeutungslosen Phrasen und leeren Worthülsen wie „internationale Verantwortung Deutschlands“, „Krisenmanagement“, „humanitäre Hilfe“ oder – besonders beliebt – „vernetzter Ansatz“. Mit dem Kernauftrag von Streitkräften und eines Verteidigungsbündnisses haben die Begriffe jedoch nichts zu tun. Das mag mit Blick auf bis zur Selbstaufgabe pazifistische Bevölkerungsanteile in unserem Land nachvollziehbar sein, staatspolitisch verantwortungsvoll ist das in keiner Weise.
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Nach Carl von Clausewitz, dem großen preußischen Heeresreformer, benötigt ein Staat zwei Dinge, um nach außen als Staatsindividuum handeln zu können: eine handlungssichere Regierung und einen – ich zitiere – „Geist des Volkes, welcher diesem Ganzen Leben und Nervenkraft gibt“. Was die Bundesregierung betrifft, ist in dieser Hinsicht nichts zu erwarten, und auch, was die mentale und moralische Fähigkeit betrifft, sehe ich schwarz. Das eine ist die materielle und finanzielle Ausstattung der Streitkräfte, das andere aber ist der Wehrwille, der eben jenem Ganzen Leben und Nervenkraft gibt, wie Clausewitz es ausdrückte.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Den Einzelplan 14 lehnen wir ab.
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Das Wort hat Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Otten hat gerade über den Auftrag der Bundeswehr gesprochen. Er ist im Grundgesetz formuliert. In Artikel 87a Grundgesetz heißt es: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“
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Dieser Kernauftrag der Bundeswehr ist seit 1956 unverändert, aber die Rahmenbedingungen dafür haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten fundamental verändert. Technologischer Fortschritt, Digitalisierung und globale Vernetzung führen dazu, dass unser Land wesentlich angreifbarer und verwundbarer ist. Potenzielle Angreifer zielen nicht mehr auf territorialen Raumgewinn wie früher, sondern es geht um die Destabilisierung unserer Gesellschaft und um unsere wirtschaftliche Schwächung.
Mit dem Cyberraum und dem Weltraum sind neue Gefechtsfelder hinzugekommen. Die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und von Trägertechnologien wie zum Beispiel Raketen oder Drohnen verschieben das Verhältnis von Angriff und Verteidigung fundamental.
Nachdem Herr Otten eben Clausewitz zitiert hat: Nicht alles aus dem 19. Jahrhundert ist auf die heutige Zeit übertragbar. Clausewitz hat in seiner Abhandlung geschrieben, dass der Verteidiger im Vorteil gegenüber dem Angreifer sei, weil man für die Verteidigung deutlich weniger Mittel braucht. Das ist heute fundamental anders. Raketen, wie sie zum Beispiel in Bergkarabach zum Einsatz kommen, oder Drohnen kosten Millionen, ein Raketenabwehrsystem kostet Milliarden. Mit dieser Herausforderung müssen wir umgehen, wenn wir den Auftrag unseres Grundgesetzes – „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“ – wirklich erfüllen wollen; denn die Alternative – der Bund stellt Streitkräfte für das Schaufenster auf – ist in dieser Sicherheitslage nicht verantwortbar.
Ebenfalls nicht verantwortbar ist eine Strategie, die auf der Annahme beruht: Na ja, im Ernstfall werden es die NATO und die USA schon richten. – Auch in den USA steigen die Verteidigungsausgaben. Auch in den USA gibt es eine Coronakrise. Wir werden erleben, dass das Volk in den USA immer lauter fragen wird, warum sie Geld für die Verteidigung Europas ausgeben, wenn Deutschland als Land, das davon profitiert, selbst nicht bereit ist, seine Zusagen – Stichwort 2-Prozent-Ziel – einzuhalten.
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Meine verehrten Damen und Herren, damit müssen wir uns befassen.
Ich mache mir, ehrlich gesagt, nicht Sorgen um die Bundeswehr 2021. Ich mache mir Sorgen darüber, ob wir 2030 und in den fortfolgenden Jahren noch in der Lage sind, unseren grundgesetzlichen Auftrag zu erfüllen; denn wenn wir das sein wollen, müssen wir heute in Technologien investieren.
Die Bundeswehr ist für das Jahr 2021 mit dem vorliegenden Haushalt aus meiner Sicht solide finanziert.
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Das Problem ist, dass die Finanzlinie abknickt. Es gibt ein paar Weichenstellungen, die unmittelbar bevorstehen.
Die erste Weichenstellung steht im Frühjahr an und betrifft das Projekt FCAS, das Future Combat Air System. Es ist mit der jetzigen Finanzlinie nicht zu finanzieren. Dahinter steht die Frage, ob wir in Europa langfristig den militärischen Flugzeugbau erhalten wollen oder ob wir in Zukunft unsere Flugzeuge nur noch aus den USA kaufen.
Die zweite Weichenstellung betrifft das TLVS, das Taktische Luftverteidigungssystem. Auch hier ist die Frage, ob wir uns in Europa langfristig die Fähigkeit sichern wollen, eigenständig, souverän gegen ballistische Raketen vorzugehen. Das ist teuer, aber wir müssen es aus meiner Sicht machen; denn wenn wir diesen Weg nicht gehen, werden wir bei der Entwicklung überlegener Verteidigungsfähigkeiten den Anschluss an China und die USA deutlich verlieren. Das macht mir im Moment Sorgen.
Für 2021 sehe ich die Bundeswehr gut aufgestellt. Wir haben den Verteidigungshaushalt in wesentlichen Punkten noch verbessert.
Erstens. Wir geben mehr Geld für Munition aus. Wir haben in den Beratungen deutlich gesehen, dass wir weit hinter unseren NATO-Zielen und den Vorgaben zurückliegen, was die Bevorratung angeht. Wir setzen hier einen Schwerpunkt mit weit über 100 Millionen Euro.
Zweitens. Wir geben mehr Geld für die persönliche Bekleidung und die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten aus. Das betrifft jeden Soldaten unmittelbar; davon hat er selber was. Daher ist das der falsche Titel zum Sparen. Das BMVg hatte den Titel ursprünglich abgesenkt. Wir haben ihn wieder auf das alte Niveau angehoben.
Drittens. Wir finanzieren das Bahnfahren in Uniform. Das ist ein Projekt der CSU. Wir haben das damals in Seeon beschlossen und innerhalb eines Jahres umgesetzt. Es wird besser genutzt, als alle gedacht haben. Die Soldaten nehmen es in Anspruch. Sie fahren länger, und sie fahren öfter. Deswegen fehlt Geld. Die 30 Millionen Euro legen wir gerne drauf.
Meine Damen und Herren, mit dem Haushalt haben wir eine ganze Reihe von großen Rüstungsvorhaben mitfinanziert, Stichwort „Mehrzweckkampfschiff“ – um auch mal ein Schiff der Marine zu nennen, für meinen Kollegen Gädechens –, aber auch viele gepanzerte Fahrzeuge für das Heer, den Eurofighter, die Eurodrohne usw.
Alles in allem ist das für 2021 ein guter Haushalt. Ich danke meinen Mitberichterstattern Michael Leutert, Andreas Schwarz, Tobias Lindner, Karsten Klein und Martin Hohmann für die gute und kollegiale Zusammenarbeit. Ich bitte Sie um Zustimmung zum Haushalt.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Karsten Klein für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich will mich erst mal dem Dank des Kollegen Dr. Brandl an das Ministerium, an die Mitberichterstatter, aber vor allem an unseren Hauptberichterstatter für die sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit anschließen.
Frau Ministerin, Sie sind jetzt etwas über ein Jahr im Amt. Das ist der erste Haushalt, der Ihre Handschrift trägt. Deshalb ist dies, glaube ich, eine gute Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, ob Sie die Erwartungen, die die FDP-Fraktion in Sie gesetzt hat, die Sie aber auch selber genährt haben, erfüllt haben. Ich will gleich vorwegschicken: Für uns hat diese Bilanz Licht und Schatten.
Ich will mit dem Positiven beginnen, mit dem Licht.
Ja, wir finden es positiv, wir unterstützen es auch, dass Sie die Probleme der Bundeswehr klar benennen und auch nicht den Versuch unternehmen, diese Probleme mit einer Kommunikationsstrategie aus der Welt zu schaffen, sondern die Probleme wirklich angehen.
Ja, wir sehen durchaus, dass Sie einen Willen zu Entscheidungen haben, um Projekte voranzubringen. Das ist zwar erst auf den letzten Metern gelungen, Herr Kollege Dr. Brandl, aber immerhin sind zwei große Projekte, der Ersatz der ersten Tranche Eurofighter und die Eurodrohne, in den Haushalt mit aufgenommen worden. Das befürworten wir. Wir unterstützen auch ausdrücklich Ihren vehementen Einsatz dafür, dass wir endlich eine Entscheidung bei der Bewaffnung unserer Drohne Heron TP erreichen.
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An der Stelle möchte ich noch mal einen Appell an die Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie richten: Vor einem Jahr waren alle Fraktionen im Deutschen Bundestag in der Lage, über das Pro und Kontra der Bewaffnung von Drohnen zu entscheiden, nur die SPD-Fraktion nicht. Ein Jahr später und nach einer erneuten Anhörung im Verteidigungsausschuss wollen Sie uns immer noch weismachen, dass Sie nicht entscheidungsfähig sind. Deshalb möchte ich den Bundesfinanzminister auffordern: Das Verteidigungsministerium hat die Entscheidungsgrundlage, die 25-Millionen-Euro-Vorlage, ans Finanzministerium überstellt. Geben Sie Ihre Blockadehaltung auf! Ermöglichen Sie noch in diesem Jahr die Zustimmung zu der Bewaffnung der Drohne, oder stimmen Sie diese Woche unserem Antrag zu! Wir sind es den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die für uns im Auslandseinsatz auch ihr Leben riskieren, schuldig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber, liebe Frau Ministerin, durch das Benennen der Probleme werden die Probleme natürlich noch nicht gelöst. Deshalb muss ich jetzt zum Schatten kommen. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die Bundesrepublik nach wie vor ihre Versprechen an die Bündnispartner hinsichtlich der NATO-Quote nicht erfüllt. Weder nähern wir uns in der mittelfristigen Finanzplanung der Quote von 1,5 Prozent an noch 2 Prozent.
Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir nach wie vor – Dr. Brandl hat es selbst benannt – ein großes Problem bzw. einen Nachholbedarf bei Rüstungsinvestitionen haben. Die Trendwende Rüstung ist in dieser Legislaturperiode gescheitert, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Bundesrechnungshof hat just in diesen Tagen noch mal festgestellt, dass er die reibungslose Materialversorgung der VJTF gefährdet sieht.
Zur Wahrheit gehört auch dazu, Frau Ministerin, dass große Rüstungsprojekte in diesem Haushalt nicht abgebildet sind. Der schwere Transporthubschrauber: Entscheidung vertagt. Das Taktische Luftverteidigungssystem: nicht im Haushalt abgebildet. Für den Fähigkeitserhalt der Bundeswehr wichtige Rüstungsprojekte fehlen in diesem Haushalt. Und die Spitze des Eisbergs ist das Projekt Pegasus. Da ist der Steuerzahler schon mit 75 Millionen Euro in der Pflicht, weil wir das Trägersystem, die drei Global 6000, ja praktisch schon beschafft haben. Aber die Mittel für das Aufklärungssystem stehen nicht im Haushalt. Dafür gibt es keinen einzigen Euro. Damit drohen schon verausgabte Mittel der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht ihrem Zweck zuzuwandern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich will an dieser Stelle offensiv und zugespitzt zusammenfassen: Es gibt nach wie vor keine Lösung für die nachhaltige Finanzierung von längst überfälligen großen Investitionen. Wir sprechen von Ersatzbeschaffungen. Wir reden davon, dass die Bundeswehr bei Beschaffungen wieder auf die Höhe der Zeit kommt. Es ist eigentlich unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, in diesem Zusammenhang immer das Wort „Aufrüstung“ in den Mund zu nehmen. Davon sind wir meilenweit entfernt. Es geht um Ausrüstung und um Augenhöhe mit unseren Partnerinnen und Partnern in der NATO.
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Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Man hat uns, dem Deutschen Bundestag, vor zwei Jahren die Rücklage für Rüstungsinvestitionen als großes Lösungsinstrument vorgestellt. Jetzt steht die zwar formal noch im Haushalt, aber hinter den Kulissen, Frau Ministerin, ist uns gesagt worden, dass sie sang- und klanglos leise neben diesem Haus hier, neben dem Bundestag, beerdigt werden soll. Deshalb erwarte ich heute von Ihnen oder vom Bundesfinanzministerium eine Aussage dazu, wie die Zukunft der Rüstungsrücklage aussieht.
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Wir haben auf Ihre Zusagen vertraut.
Zum Schluss würde ich gern für die Soldatinnen und Soldaten – –
Sie können gern weiterreden, tun das aber dann auf Kosten Ihrer Kollegin.
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Dann möchte ich zum Schluss nur sagen: Wir bedanken uns noch mal bei den Soldatinnen und Soldaten für ihren tollen Einsatz gerade auch in diesen Tagen, in der Coronazeit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich wiederhole mich: Die Ankündigung des letzten Satzes ersetzt nicht den Schlusspunkt. Ich bitte darum, bei allen weiteren Beiträgen Danksagungen und anderes schon in die Redezeit entsprechend einzupreisen. – Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir stehen kurz vor Weihnachten, und es ist trotzdem nicht alles Gold, was glänzt. Doch mit dem vorliegenden Verteidigungshaushalt wird es langsam etwas glänzender. Einige Schlagworte: Wir nehmen 47,5 Milliarden Euro in die Hand. Das ist eine Steigerung um 1,5 Milliarden Euro. Die 1,5-Prozent-Quote wird nahezu erreicht. Damit geht ein ganz klares Signal an unsere Bündnispartner: Wir übernehmen Verantwortung.
47,5 Milliarden Euro sind natürlich sehr viel Geld, und dieses Geld, meine Damen und Herren und liebe Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, muss klug investiert werden. Wie in vielen Debatten in diesem Hause bereits diskutiert, warten aber immer noch Tausende von Soldatinnen und Soldaten auf Grundausstattung, vom Stiefel bis zur Schutzweste.
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Der Haushaltsausschuss hat sich für 2021 vorgenommen, die Beschaffungen im Grundausstattungsbereich jetzt intensiv zu fördern und auch nah zu begleiten.
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Wir werden jedenfalls genau hinschauen, wie die Zuläufe bei den Ausrüstungsgegenständen aussehen, und freuen uns gemeinsam mit dem Ministerium auf erfolgreiche Quartalsberichte.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Verteidigungshaushalt werden wir aber auch unserer industriepolitischen Verantwortung gerecht. Wir setzen hier klare Zeichen. Da ist zum Beispiel die Luftfahrtbranche, deren Zivilgeschäft ja völlig eingebrochen ist, und es wird auch noch Jahre dauern, bis sie wieder auf die Beine kommt. Die Beschaffung der Eurofighter ist ein klares Signal an die Industrie. Damit wird nicht nur eine Fähigkeitslücke des Militärs geschlossen, es werden auch insgesamt 25 000 Arbeitsplätze in unserem Land gesichert.
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Ähnliche Projekte haben wir auch im Schiffsbau in der Pipeline. Ich erinnere zum Beispiel an das Flottendienstboot. Ich halte es für sehr wichtig, auch bei gemeinsamen europäischen Rüstungsprojekten darauf zu achten, dass Wertschöpfung und Technologiegewinn bei solchen Kooperationen auch im eigenen Land ankommen. Es macht keinen Sinn und es ist sicherlich auch nicht gewollt, dass wir Millionen, ja sogar Milliarden Euro zur Verfügung stellen und am Ende im eigenen Land nur noch gelieferte Teile zusammenschrauben. Dieser Tendenz müssen wir entgegenwirken.
Wir müssen zudem deutsche Schlüsseltechnologien weiter ausbauen und schützen. Das stärkt die militärische Fähigkeit unserer Truppe. KI, Cyberspace und IT sind die Schlagworte der Zukunft. Da haben wir sicherlich noch Nachholbedarf bzw. sollten hier nicht den Anschluss verpassen. Im Militärischen werden Daten zur wichtigen Munition, wenn es um Abwehr von Gefahren geht.
Natürlich gibt es keine Rede von mir ohne die Erwähnung der drei Bs: Beschaffen, Bauen, Betreiben. In diesen Bereichen brauchen wir dringend mehr Menschenverstand und weniger Juristerei. Wir ärgern uns auch darüber, dass seit Jahren die langsame Beschaffung von Ersatzteilen Ursache dafür ist,
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dass Schiffe, U-Boote, Panzer, Flugzeuge herumstehen, nicht repariert werden können und damit die Einsatzfähigkeit der Truppe erheblich reduziert wird. Wenn ich manchmal höre, dass lediglich 30 bis 50 Prozent des militärischen Materials einsatzbereit sind, dann empfinde ich dies als einen unzumutbaren Zustand.
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Wenn mir Kommandeure vor Ort berichten, dass selbst kleine Baumaßnahmen an Bürokratie und Juristerei scheitern und alles ewig lange dauert, dann müssen wir uns doch alle fragen: Wo liegt der Fehler? Der liegt, meine Damen und Herren, wie immer im System.
Wir brauchen da auch keine Gutachten mehr. Unzählige Köpfe und Kommissionen haben hier schon Berichte vorgelegt. Nicht mehr Reden, sondern Handeln ist jetzt angesagt. Das Kommando aus dem BMVg muss lauten: Feuer frei für Reformen! Und mehr Vertrauen in die Truppe, bitte!
Wir können schon mal mit dem Handgeld der Kommandeure üben, die damit schnell dringend benötigte Dinge unbürokratisch vor Ort beschaffen sollen. Frau Ministerin, wenn ich Ihre Worte hier richtig verstehe, sollten wir das gemeinsam hinbekommen. Die Unterstützung der Sozialdemokratie haben Sie auf jeden Fall.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzten Punkt möchte ich auch etwas Enttäuschung darüber zum Ausdruck bringen, dass einige durchaus wichtige Projekte im nächsten Jahr gar nicht haushaltstechnisch berücksichtigt sind oder nur einen Platzhalter im Haushalt finden.
Ich denke zum Beispiel an den schweren Transporthubschrauber, bei dem die „Germanisierung“ kräftig in die Hose ging. Dieser Hubschrauber soll Material und Personen von A nach B transportieren. Er muss weder tauchen können, noch muss er ins Weltall fliegen. Schön wäre es, wenn er luftbetankt werden könnte, weil wir die Tankflugzeuge hierfür ja schon im Zulauf haben.
Vor Weihnachten darf man sich ja auch etwas wünschen: Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass das Flugüberwachungssystem Pegasus bereits 2021 anfinanziert wird. Die drei Global-6000-Flugzeuge aus Kanada – das wurde ja gerade schon erwähnt – haben wir schon gekauft, die notwendige Technik, die eingebaut werden soll, leider erst mal nicht.
Ich wünsche mir auch eine Entscheidung zum TLVS. Keine Antworten sind auch Antworten.
Weitere Wünsche wären zum Beispiel Lösungen für die Themen Sturmgewehr, MANTIS-System, das Sorgenkind Puma und MoGeFa. Aber daran werden wir gemeinsam in der Koalition arbeiten.
Trotz aller Kritik: Mit den deutlichen Erhöhungen der Ausgaben ist die Bundeswehr so solide und gut aufgestellt wie schon lange nicht mehr.
Wie gesagt: Es ist noch nicht alles Gold, was glänzt. Aber es wird glänzender – und das nicht nur wegen des nahenden Festes. Es ist aber noch nicht Weihnachten – auch nicht in der Truppe.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Beteiligten und beim Ministerium für die guten Verhandlungen. Sie waren erfolgreich, und damit senden wir ein deutliches Signal an die Soldatinnen und Soldaten, dass wir für sie da sind und alles tun. Ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen wollen wir gewährleisten.
Dank und Weihnachtsgrüße an die Truppe, vor allen Dingen an die, die Weihnachten nicht in unserem Land feiern können!
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Denn letztendlich sind sie es, die im Ernstfall unser Land und unsere Gesellschaft schützen – außen und innen, wie wir in Coronazeiten ja auch hautnah erleben dürfen.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, diese Bundesregierung hat zum Start dieser Koalition 2017 einen Verteidigungsetat in Höhe von 37 Milliarden Euro übernommen, und – es ist ja schon gesagt worden – nächstes Jahr stehen dafür circa 47 Milliarden Euro zur Verfügung. Das heißt, im Laufe dieser Legislaturperiode flossen knapp 10 Milliarden Euro zusätzlich in den Verteidigungsetat; das ist eine Steigerung um mehr als 26 Prozent. Es ist das alte Lied, hier die Frage zu stellen: Was wurde mit dem Geld eigentlich gemacht?
Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, so ist es sehr ernüchternd. Einiges ist schon angesprochen worden: Der schwere Transporthubschauer ist wegen Geldmangel gestrichen, hinter dem Taktischen Luftverteidigungssystem TLVS stehen drei Fragezeichen – wegen Geldmangel. Trotzdem werden neue Projekte auf den Weg gebracht, zum Beispiel das neue Kampfflugzeug FCAS.
Der ehemalige Wehrbeauftragte – er ist uns allen ja noch bekannt – Hans-Peter Bartels hat in einem Gastkommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 18. November 2020 die Situation sehr schön zusammengefasst und noch mal explizit darauf hingewiesen, dass selbst die Verpflichtungen, die an die NATO gemeldet werden, derzeit schwer einzuhalten sind, nämlich „bis 2023 eine voll ausgestattete Kampfbrigade“, „bis 2027 eine volle Division“ und „bis 2031 drei Divisionen“ aufzustellen. Bartels führt weiter aus: Schon beim ersten Schritt, bei der Ausstattung der ersten Brigade, gibt es Probleme.
Die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme ist hier ebenfalls bekannt und lässt zu wünschen übrig. Zugleich – auch das ist hier schon angesprochen worden – werden Soldatinnen und Soldaten zur Pandemiebekämpfung bei uns eingesetzt.
Klar, dazu kann man Danke sagen. Auch ich bin dankbar, dass sie in dieser Zeit bei der Pandemiebewältigung helfen. Aber die entscheidenden Fragen sind doch: Brauchen wir für diesen Dank einen 47-Milliarden-Euro-Apparat? Ist das die Kernaufgabe der Bundeswehr? – Wenn wir nur einen Bruchteil dieser Milliarden beim THW einsetzen würden, hätten wir den gleichen Effekt, und der Dank würde jetzt eben ans THW gehen.
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Zusätzlich zu all diesen Problemen, Frau Ministerin, lässt Sie Ihr Koalitionspartner jetzt im Regen stehen; der Wahlkampf hat begonnen.
2017 – ich erinnere mich noch – lehnte die SPD in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause im Wahlkampf die Beschaffung der Drohne Heron TP ab. Mittlerweile ist die Drohne beschafft; jetzt geht es um die Bewaffnung. In der SPD wird diskutiert, ob man sie bewaffnen sollte oder nicht. Das Argument lautet „Töten per Joystick“, also: Die Hemmschwelle sinkt.
Ich finde, das ist ein sehr interessantes Argument, und ich kann Ihnen auch versichern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Da rennen Sie bei der Linken offene Türen ein.
Wenn das Argument aber stimmt, dann stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit; denn dann müssten Sie existierende Waffensysteme wie zum Beispiel die Panzerhaubitze mit einer Reichweite von 40 Kilometern oder den Raketenwerfer MARS mit einer Reichweite von 80 Kilometern, wo man auch nicht mehr durchs Zielfernrohr schaut, sondern Zielkoordinaten hat und aufs Knöpfchen drückt, genauso ablehnen.
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Mir ist auch noch nicht zu Ohren gekommen, dass Sie die Eurodrohne, die auf den Weg gebracht wird – und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eurodrohne unbewaffnet sein wird –, ablehnen. Das müssten Sie jetzt ebenfalls tun.
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Im Übrigen: Das neue Kampfflugzeug FCAS wird zusammen mit der Atommacht Frankreich entwickelt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Flugzeug nicht auch mit Atomwaffen bestückt werden kann. Auch das Waffensystem müssten Sie ablehnen.
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Wenn ihr also die Bewaffnung der Drohne ablehnt, liebe SPD, dann müsst ihr auch diese Waffensysteme ablehnen. Ansonsten ist eure Ablehnung nämlich unglaubwürdig.
Vielen Dank.
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– Mit uns stimmen.
Das Wort hat Dr. Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern hat uns das Bundesverteidigungsministerium zumindest den offenen Teil des halbjährlichen „Berichts zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“ übersandt. Was sich hinter dem komplizierten Begriff „materielle Einsatzbereitschaft“ verbirgt, ist schlichtweg die Antwort auf die Frage, wie viele Hubschrauber fliegen, wie viele U-Boote tauchen, wie viele Schiffe fahren und wie viele Panzer am Ende des Tages funktionieren.
Sie, Frau Ministerin, haben ja zu Beginn dieses Jahres auf der Bundeswehrtagung in Ihrer Grundsatzrede die Steigerung der materiellen Einsatzbereitschaft zu einem der Kernanliegen Ihrer Amtsführung gemacht. Heute Morgen war in einem Interview mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr zu lesen, die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft liege bei 74 Prozent, und diese Steigerung bedeute eine Verbesserung der Situation in der Bundeswehr.
Lassen Sie mich, Frau Präsidentin, einen Tweet des Generalinspekteurs vom 24. September dieses Jahres zitieren, in dem er einen Teil seiner Ansprache an den Lehrgang „Generalstabs- und Admiralstabsdienst“ unserer Führungsakademie der Bundeswehr zur Verabschiedung wiedergibt. Der Herr Generalinspekteur sagt darin – ich zitiere –:
Schreiben Sie nicht, dass Dinge „beherrschbar“ sind, „auf der Zeitachse lösbar“ oder „alternativlos“. Schreiben Sie auf, was ist – mit Schönfärberei helfen Sie niemandem weiter. Seien Sie wahrhaftig, mit klarer Diktion und Sprache!
Recht hat der Herr Generalinspekteur!
Schauen Sie jetzt in den offenen Teil des Berichts! Ich will Ihnen nur drei Sätze vorhalten, und Sie können sich alle fragen, ob diese Maßstäbe erfüllt sind.
Erstes Zitat:
Ziel bleibt es, konsequent den eingeschlagenen Weg auch in 2021 weiter zu gehen und die Fülle der Maßnahmen für jeden Angehörigen der Bundeswehr greifbar zu machen.
Oder – Zitat –:
Mit einer weiteren Wirkungsentfaltung des Vertrages wird im Laufe des Jahres 2021 gerechnet.
Oder – noch schöner –:
Die Wirkung und Impulse der Initiative Einsatzbereitschaft konnten den positiven Trend weiter verstärken und nachhaltig ausbauen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Bericht hat aber wirklich überhaupt nichts mit dem zu tun, was ist. Er ist ein Sammelsurium von Schönfärberei, und damit ist niemandem geholfen, weder den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern noch den Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich will einfach, weil ich vorhin die 74 Prozent erwähnt habe, hier noch ein weiteres Beispiel geben. 74 Prozent hört sich ja erst mal gut an. Da würde man ja landläufig denken, wenn man es erklärt bekäme: Drei Viertel des Materials funktionieren. – Nun haben Sie die konkreten Zahlen, die wir jetzt bräuchten, um das zu belegen, Geheim eingestuft; die können wir in der Geheimschutzstelle sehen. Deswegen will ich jetzt Zahlen verwenden, die öffentlich nachlesbar sind, und will es mal am Beispiel unserer Fregatten klarmachen.
Wir haben zehn Fregatten. Von diesen zehn Fregatten sind sechs Fregatten in einer längerfristigen Instandhaltung und Reparatur; es bleiben also nach Adam Riese vier. Von diesen vier Fregatten funktionieren so drei bis vier Fregatten. Eine normale Marinesoldatin oder ein Marinesoldat käme jetzt auf die Idee: Okay, 30 bis 40 Prozent unserer Fregatten funktionieren. – Aber, meine Damen und Herren, wissen Sie, was das Verteidigungsministerium da für eine Einsatzbereitschaft meldet? 75 bis 100 Prozent, drei bis vier von vier. Das, meine Damen und Herren, hat mit Klarheit, hat mit Transparenz, aber auch mit Aufrichtigkeit gegenüber der Truppe wahrlich nichts zu tun.
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Am Ende des Tages, Frau Ministerin, kaschieren Sie doch mit diesem Bericht nur, was offensichtlich ist: die zahlreichen Steigerungen im Verteidigungsetat. Ich bin 2011 in dieses Hohe Haus gekommen; da waren wir round about bei 30 Milliarden Euro. Seitdem ist der Verteidigungsetat um mehr als 40 Prozent gestiegen. Die zahlreichen Steigerungen dieses Etats, weitaus über dem Durchschnitt des Bundeshaushalts, haben die Situation in der Bundeswehr bis heute lediglich teurer gemacht, aber im Alltag der Soldatinnen und Soldaten nicht verbessert.
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Deshalb will ich auf einen zweiten Punkt eingehen, nämlich auf das, was vor uns liegt und was jetzt eigentlich Ihre Aufgabe wäre. Es ist hier ja viel über Covid-19 gesprochen worden, verbunden mit dem berechtigten Dank an die Soldatinnen und Soldaten für die Amtshilfe, aber auch für den beschwerlichen Dienst in den Einsatzgebieten unter Pandemiebedingungen. Aber natürlich hat diese Pandemie auch Auswirkungen auf die mittelfristig verfügbaren finanziellen Mittel im Bundeshaushalt.
Wer heute Morgen hier in der Elefantenrunde zugehört hat, hat vernommen, dass der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagfraktion, Ralph Brinkhaus,
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von diesem Pult aus gesagt hat: Die Union, die Große Koalition ist für eine kurzfristige, absehbare Tilgung der jetzt aufgenommenen Kredite. – Darüber kann man ja unterschiedlicher Meinung sein; aber ich referiere es nur. Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe hier im Deutschen Bundestag, hat sich dafür ausgesprochen, zur Schuldenbremse des Grundgesetzes im Jahr 2022 zurückzukehren. Auch darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein und diskutieren.
Aber wenn man das mal hinnimmt und dann gleichzeitig sieht, dass das Verteidigungsministerium einfach nur mit dem Kopf durch die Wand will, einfach nur so tut, als würden diese Etatsteigerungen in hohem Maße über dem Durchschnitt weitergehen, dann erkennt man: Die komplette Planung, die Beantwortung der Frage „Was wird beschafft, was können wir beschaffen, was ist wirklich prioritär?“ wird nach der nächsten Bundestagswahl, wer auch immer dann Verteidigungsministerin oder ‑minister ist, wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Das ist keine verantwortungsbewusste Sicherheitspolitik, Frau Kramp-Karrenbauer.
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Es geht doch nicht darum, irgendwie hehre Wünsche zu formulieren oder über Pläne im Indopazifik zu fabulieren; es geht doch darum, gegenüber der Truppe zu sagen, was ist, was man sich leisten kann. Dann geht es am Ende des Tages doch auch darum, die richtigen Prioritäten zu setzen. Da bin ich, ehrlich gesagt, einer anderen Auffassung als der Kollege Brandl, der hier wieder für seinen Nachbarwahlkreis den TLVS-Werbeblock eingeschoben hat.
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– Ich habe nämlich dazugelernt; das letzte Mal habe ich „Wahlkreis“ gesagt. Ich bin dann aufgeklärt worden: Es ist der Nachbarwahlkreis. – Ich will ja keine Fake News verbreiten.
Ich akzeptiere: Wir brauchen eine bodengebundene Luftverteidigung; wir haben im Moment eine, die modernisierungsbedürftig ist. Aber wenn man dann sieht, dass die Alternative, die hier auf dem Tisch liegt, 8 Milliarden Euro kosten soll, und wir uns dann klarmachen, dass wir schwere Transporthubschrauber haben, die über 40 Jahre alt sind – es werden dringend neue benötigt –, dass wir Flottendienstboote haben, die wir zeitnah ersetzen müssen, dass es eine Menge an Fähigkeiten gibt, bei denen es gar nicht irgendwie um Aufrüstung, sondern einfach darum geht, altes Material, das aus dem Leim fliegt, durch neues, funktionierendes Material zu ersetzen, wenn man das alles sieht und die alte Wahrheit berücksichtigt, dass man den Euro nur einmal umdrehen kann, dann muss man sich wirklich fragen, ob diese Koalition und wo diese Koalition die richtigen Prioritäten setzt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich will zu einem letzten Thema kommen; das ist die Drohnendebatte. Ich war da gestern, ehrlich gesagt, über die Äußerungen von Herrn Walter-Borjans schon verwundert. Ich kann die Union beruhigen: Es kommt jetzt nicht wie bei Herrn Leutert irgendwie eine überraschende, sondern eine für Sie erwartbare Rede. Wir haben eine ausführliche Debatte geführt. Ich habe mir mal von meinem Büro aufschreiben lassen, welche Veranstaltungen es zum Thema „Bewaffnung von Drohnen“ in diesem Jahr gab. Ich will da auch ausdrücklich Respekt zollen, nicht nur dem Deutschen Bundestag, dem Verteidigungsausschuss, der eine öffentliche Anhörung durchgeführt hat, sondern auch dem Verteidigungsministerium.
Meine Damen und Herren, die Argumente in dieser Frage sind ausgetauscht.
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Man kann zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Man kann, wie ein Teil des Hauses, zu dem Ergebnis kommen, diese unbemannten Luftfahrzeuge bewaffnen zu müssen. Man kann, wie meine Fraktion, zu dem Ergebnis kommen, das abzulehnen.
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Man kann sich gegenseitig dafür hart kritisieren und unterschiedlicher Meinung sein. Aber man kann nach dieser Debatte zu einem Ergebnis kommen.
Ich finde, was nicht geht und was nicht aufrichtig ist, ist, dann wie Herr Walter-Borjans zu fordern, man bräuchte noch eine Debatte und noch eine Debatte und noch eine Debatte. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, es wäre der Zeitpunkt, sich zu bekennen, ob Sie eine Bewaffnung von Drohnen unterstützen oder ob Sie sie ablehnen. Dann hätten Sie uns auf Ihrer Seite.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Verteidigungshaushalt ist eines: Er ist groß und enthält eine Menge Geld. Aber er enthält keine Antworten auf die Fragen, die sich die Soldatinnen und Soldaten in ihrem Dienst tagtäglich stellen. Deswegen wird meine Fraktion diesem Haushaltsplan nicht zustimmen.
Ich danke.
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Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir stehen wenige Tage vor Weihnachten, und der Haushalt, der heute zur Verabschiedung ansteht, ist ein sichtbares Zeichen, unserer Truppe im Inland und im Ausland Danke schön zu sagen, ihr aber nicht nur warme Worte zu geben, sondern auch als Haushaltsgesetzgeber deutlich zu machen: Die Bundeswehr ist uns wichtig, wir stehen zu ihr, wir nehmen auch das Geld, das wir für sie brauchen, in die Hand. – Dafür darf auch ich als Verteidigungsministerin mich ganz herzlich bedanken.
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Das ist gerade in Zeiten von Corona umso wichtiger, in Zeiten einer Pandemie, die uns alle im Griff hält und die natürlich auch die Arbeitsbedingungen bei der Bundeswehr selbst massiv verschärft. Das gilt für diejenigen, die in den Einsatz gehen – alleine zwei Wochen Quarantäne, bevor sie hineingehen, zwei Wochen Isolation und Quarantäne, wenn sie zurückkommen –, das gilt für den Einsatz im Inneren, und das gilt für die Amtshilfe. Es sind über 8 000 Kameradinnen und Kameraden, die zurzeit helfen. Weitere stehen bereit, um auch beim Impfen unter die Arme zu greifen, damit wir möglichst schnell wieder in einer Nach-Corona-Normalität ankommen. Auch dafür ein ganz herzliches Dankeschön an die Truppe! Sie hat dieses Dankeschön wirklich verdient.
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Ja, dieser Bundeshaushalt ist ein starkes Signal für das nächste Jahr; er wächst. Er macht im Übrigen beim Konjunkturpaket deutlich, dass auch die Bundeswehr ihren Teil dazu leistet, dass ebendiese Konjunktur gestützt wird und Arbeitsplätze erhalten bleiben. So bleiben zum Beispiel auch die Arbeitsplätze im Zusammenhang mit dem Eurofighter erhalten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Aber es geht vor allen Dingen auch um die Zukunftsaufstellung. Ich bin dankbar, dass Kolleginnen und Kollegen das hier angesprochen haben.
Nur, sehr geehrter Herr Kollege Lindner, zur Wahrheit gehört auch, dass, wenn Sie das beklagen und wenn Sie sagen: „Wir brauchen Prioritäten“, Sie dann auch so ehrlich hätten sein müssen, zu sagen, was ich sowohl in der Sitzung des Verteidigungsausschusses als auch in der Sitzung des Haushaltsausschusses angekündigt habe: dass nämlich noch zu Beginn des Jahres, noch im nächsten Frühjahr, über all die großen Projekte genau die Debatte über die Priorisierung geführt wird, und zwar auf der Grundlage einer Matrix, die den militärischen Zweck, die die politischen Implikationen, die internationalen Implikationen und auch die industriepolitischen Implikationen deutlich macht. Dann muss entschieden werden, und diese Entscheidung muss bald getroffen werden, weil, wie wir alle wissen, der finanzielle Spielraum in der Zukunft eher eingeschränkt wird, als dass er wachsen kann. Deswegen ist diese Debatte wichtig. Ich habe sie angekündigt, ich werde sie führen, und Sie wissen genau, dass das so ist. Es wäre eigentlich nett gewesen, wenn Sie das hier auch so gesagt hätten.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in diesem Haushalt für wichtige, gerade europäische Projekte die Weichen gestellt. Dazu gehören der Eurofighter, die Eurodrohne, der NH90. Dahinter verbergen sich für viele Familien in Deutschland feste Arbeitsplätze und damit auch sichere Einkommen. Es setzt ein starkes europapolitisches Zeichen. Europa lebt eben nicht nur von der theoretischen Debatte, sondern auch davon, dass man die Vorhaben wirklich konkret umsetzt, so wie wir das in unserer Ratspräsidentschaft bei der Lösung der Drittstaatenbeteiligung in der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit getan haben, so wie wir es bei der Erstellung einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse für den entsprechenden strategischen Kompass getan haben, so wie wir kurz vor einer Lösung bei der Friedensfazilität sind und so wie wir, lernend aus Corona, insbesondere die Zusammenarbeit unserer Sanitätsdienste in ganz Europa verbessert haben. Das ist das Ergebnis unserer Ratspräsidentschaft in den letzten Monaten, und darauf können wir alle gemeinsam – denn Sie haben diese Arbeit begleitet – auch ein Stück stolz sein.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Neu?
Gerne.
Frau Ministerin, seit Längerem versuchen wir nun, an diese sogenannte Bedrohungsanalyse, die von der EU ja beschlossen wurde, heranzukommen. Das wurde uns Ihrerseits im Spätsommer auch zugesagt. Bislang haben wir nichts bekommen. Könnten Sie in Ihrem Hause dafür sorgen, dass wir als Parlamentarier an diese Bedrohungsanalyse herankommen können, um diese zu bewerten?
Die Bedrohungsanalyse ist zusammengefasst worden und jetzt auch auf europäischer Ebene abgestimmt worden. Wir werden sicherlich im nächsten Jahr Gelegenheit haben, auch darüber zu reden.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren – wenn ich fortfahren darf –, es ist trotzdem richtig, dass wir auch über die großen Fragen reden. Das haben wir in den letzten Tagen und Wochen ja auch getan, auch in Europa, auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich. Ich darf hier vielleicht den kürzlich verstorbenen früheren französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing zitieren. Er hat einmal gesagt: „Mit Blick auf Amerika herrscht zwischen Deutschland und Frankreich die Harmonie der Widersprüche.“ Wohl wahr. Wir sind uns aber einig: Wir brauchen beides, ein Europa, das mehr kann, und ein Amerika, das Europa verbunden ist und verbunden bleibt. Dafür treten wir gemeinsam ein.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu gehört – lassen Sie mich das bitte sagen – eben auch, dass wir nicht in den Fehler verfallen, zu glauben, man könnte Ausrüstung und Abrüstung verhandeln und Diplomatie und militärische Stärke voneinander trennen. Beides gehört zusammen. Das ist zumindest für mich, auch als Christdemokratin, schon immer so gewesen. Für mich gehört es auch zur Räson deutscher Verteidigungs-, Sicherheits- und Außenpolitik dazu. Ich darf vielleicht hier den ehemaligen Wehrbeauftragten zitieren, der über die Kontinuität sozialdemokratischer Außenminister und Bundeskanzler seit Willy Brandt Folgendes gesagt hat:
Sozialdemokraten treten für wechselseitige Abrüstung, Vertrauensbildung und Verhandlungsdiplomatie ein – aber doch immer aus einer Position der Stärke heraus, nicht als Bittsteller.
Wer sich einmal ernsthaft mit dem Ausrüstungsprogramm der russischen Seite befasst hat, der weiß, wovon Herr Bartels redet. Deswegen müssen wir in der Tat in unsere Verteidigungsfähigkeit, insbesondere in die Zukunft investieren.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu gehört auch, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten mit dem bestmöglichen Schutz versorgen. Es ist vollkommen richtig, dass gerade wir hier in Deutschland über die Bewaffnung von Drohnen, über autonome Systeme so ernsthaft debattieren, wie wir das getan haben. Es gibt viele, auch ethisch begründete Argumente, die ich nicht teile und mir nicht zu eigen mache, mit denen man sich aber ernsthaft auseinandersetzen muss. Das können auch Argumente sein, die dafür sprechen, zu einem anderen Ergebnis bei der Bewaffnung zu kommen. Aber ein Argument zählt nicht, und das ist das Argument, wir hätten hier nicht ausreichend darüber debattiert. Seit acht Jahren debattieren wir über die Bewaffnung von Drohnen. Das Bundesverteidigungsministerium hat bis auf Punkt und Komma alles erfüllt, was die Koalitionäre von ihm in dieser Frage erwartet haben.
Ich will Ihnen und auch denen, die uns von außen zuschauen, ganz kurz schildern, warum wir die Bewaffnung der Drohnen brauchen. Bei meinem Besuch in Kunduz – Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus waren ja mit dabei – haben die Soldatinnen und Soldaten sehr eindrücklich geschildert, wie es war, als sie einen Raketenangriff auf das Lager durchzustehen hatten, als sie sozusagen in Deckung gegangen sind. Sie wussten zwar, was kommt – Sie waren gewarnt, weil die Aufklärungsdrohne die Stellung gezeigt hat, von der die Rakete abgeschossen wurde –, aber sie lagen unten und mussten über einen langen Zeitraum warten, bis die Unterstützung der Amerikaner aus der Luft kam, weil sie eben nicht in der Lage waren, diese Stellung auszuschalten, weil die Aufklärungsdrohne nicht bewaffnet war. Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit setzen wir fahrlässig das Leben der Soldatinnen und Soldaten aufs Spiel, und ich möchte das ändern.
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Lassen Sie mich zum Schluss eines noch sagen: Ich habe in den letzten Tagen viel gehört von strategischer Autonomie Europas. Ich habe gerade heute Morgen in der Generaldebatte gehört, man müsse den Amerikanern kraftvoll und selbstbewusst entgegentreten, mit ihnen auf Augenhöhe argumentieren und handeln. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Bundeswehrsoldaten, die in Kunduz auf dem Boden gelegen haben und sehnsüchtig in den Himmel geschaut haben, um zu schauen, wann endlich die Luftunterstützung der Amerikaner kommt, die haben nicht das Gefühl gehabt, dass wir auf Augenhöhe mit Amerika agieren. Dafür ist noch ein weiter Weg zu gehen.
Frau Bundesministerin, lassen Sie eine weitere Frage oder Bemerkung zu?
Diesen Weg wollen wir gehen, müssen wir gehen, und dafür möchte ich gemeinsam mit Ihnen entsprechend kämpfen. Dieser Haushalt ist ein guter Schritt dazu, und weitere sollten folgen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Martin Hohmann für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Dank geht in erster Linie an den exzellenten Hauptberichterstatter Dr. Brandl, die Kollegen Mitberichterstatter und das Ministerium mit seinen vorzüglichen Mitarbeitern. Nach hartem Ringen liegt ein Einzelplan mit moderatem Anstieg von 45,6 auf 47,5 Milliarden Euro vor. Anstieg: „Ja, aber.“ Mittelfristige Finanzplanung: Verteidigungsausgaben sinken, Großprojekte lassen sich nicht durchhalten. Schlecht!
FCAS und MGCS, das neue Flugzeug und der neue Kampfpanzer, müssen nicht nur politisch ventiliert, sie müssen auch bezahlt werden. Das Taktische Luftverteidigungssystem, anfinanziert mit 2 Millionen Euro: dringend notwendig. Verwirklichung: steht in den Sternen. – Einsatzbereitschaft bei den Hauptwaffensystemen: weiter mäßig. – Bewaffnung der Drohne? Denken wir an das Karfreitagsgefecht: deutsche Soldaten im Hinterhalt, eingekesselt auf dem Präsentierteller. – Im 21. Jahrhundert braucht es bewaffnete unbemannte Luftunterstützung. Aber will der Herr SPD-Chef darüber noch ein weiteres Jahrzehnt palavern? Ganz schlecht.
({0})
Soldaten ohne Munition? Geht gar nicht. Im Kapitel 1405 sind dafür 700 Millionen Euro vorgesehen: Gut, aber nicht ausreichend. Von Munition bis zur Drohne: Frau Ministerin, sind Sie Ihrer Verantwortung gerecht geworden?
Bis jetzt habe ich vor allem nur über Zahlen gesprochen. Entscheidend sind aber Menschen, Soldaten; ich benutze das generische Maskulinum. Es hat sich über viele Jahrzehnte in der Haushaltsberatung – wir haben es auch heute so erlebt – an dieser Stelle ein Dankesritual herausgebildet, dem ich mich durchaus anschließe.
Bei einer Gruppe von Soldaten werden Ihre ministeriellen Dankesworte dieses Jahr wohl ein zwiespältiges Echo hervorrufen: bei den Angehörigen des KSK, des Kommando Spezialkräfte, in Calw. In der Bundeswehr sind sie ein Leuchtturm an Kampfkraft, an universeller Einsatzbereitschaft und an soldatischer Professionalität.
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Die Vierertrupps des KSK können sich mit den besten Soldaten der Welt messen. Natürlich gibt es in einem solchen Verband eine besondere Art von Kommunikation, von Ritualen und einen zuweilen rauen Humor. Da fliegen auch schon mal Schweineköpfe auf einer Party.
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Es ist eine besondere Truppe. In der muss sich jeder auf den anderen absolut verlassen können:
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Kameradschaft nicht nur emotional, sondern als Überlebensvoraussetzung.
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Klar, wenn es strafrechtliche Verfehlungen gibt, Diebstahl von Waffen oder Munition, dann sind Staatsanwalt und Strafrichter gefragt. Die jetzt eingeleiteten Untersuchungen wegen Rechtsverdacht erweisen sich allerdings als völlig unverhältnismäßig.
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Sie widersprechen in ihrer Rigorosität Ihrer ministeriellen Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber diesen Untergebenen.
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Diese Kämpfer sind bereit, jederzeit für Deutschland und deutsche Interessen in den Einsatz zu gehen und ihr Leben für andere einzusetzen. Solche Kämpfer kriegen Sie nicht auf Knopfdruck, und die können Sie auch nicht auf der Straße anwerben.
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Frau Ministerin, lassen Sie sich von der Hysterie der allgemeinen Kampagne gegen rechts bitte nicht infizieren! Verunsichern Sie diese Männer nicht!
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Stellen Sie nicht die politische Korrektheit über Menschenleben, über das Leben von Menschen, die von einem intakten KSK gerettet werden können.
Im Übrigen – frei nach Schiller –: Gewähren Sie auch diesen Staatsbürgern in Uniform Gedankenfreiheit!
Danke schön.
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Das Wort hat die Kollegin Siemtje Möller für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für Menschen meiner Generation existiert Europa nur geeint, grenzenlos, freizügig und friedlich. Europa hat mir und mittlerweile auch meinen Kindern wie selbstverständlich ein Aufwachsen, Arbeiten und Leben in Sicherheit garantiert. So viel Freiheit ist schützenswert.
Bei all den zurzeit anscheinend verlorengehenden Gewissheiten ist doch immer noch klar: Wir wollen in Zukunft weiterhin in Frieden und Sicherheit leben, und dafür leistet die Bundeswehr in den Bündnissen und in den Einsätzen in und für Europa ihren Beitrag.
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Insgesamt 3 198 Soldatinnen und Soldaten sind in den Einsätzen. Ich möchte als Marineberichterstatterin an dieser Stelle meine besondere Anerkennung für unsere Seefahrerinnen und Seefahrer ausdrücken: sechs Monate im Einsatz, getrennt von der Familie, in Coronazeiten ohne Landgang. Sie haben trotz der veränderten Umstände und der politischen Widrigkeiten mit NATO-Bündnispartnern gewissenhaft ihren Dienst getan. Und sie sind manches Mal über sich hinausgewachsen, beispielsweise wenn Instandsetzungspersonal eben nicht eingeschifft werden konnte und man kurzerhand, per Videokonferenz angeleitet, den Schiffsantrieb selber instand gesetzt hat. An dieser Stelle meine ausgesprochene Wertschätzung und Anerkennung dafür.
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Mit dem Haushalt für 2021 bereiten wir uns vor auf ein Jahr, das hoffentlich ein besseres wird als das Jahr 2020. Neben der Wiederbelebung der transatlantischen Freundschaft werden aus meiner Sicht drei Themen die sicherheitspolitische Agenda bestimmen: die Souveränität der Europäischen Union – man kann es auch „Autonomie“, „strategische Unabhängigkeit“ oder wie auch immer nennen – in der Sicherheitspolitik, der mögliche, wahrscheinliche oder etwaige Abzug aus Afghanistan und der Review-Prozess der NATO.
Diese drei Themen haben gemeinsam, dass Deutschland sich über seine Rolle in der Sicherheitspolitik, über seine Interessen und sein Engagement in Bündnissen und gegenüber Partnerländern bewusst sein muss. Dann kann Deutschland sich aktiv einbringen, und dann macht unser Engagement einen Unterschied.
Klar: Das geht nur mit einem solide ausgestatteten Haushalt, wie wir ihn vorlegen, und das geht dann auch nur, wenn die Mittel zielführend eingesetzt werden: für besseres Material, für eine schnellere Instandsetzung und für zufriedenes und gut eingesetztes Personal.
Die letzten Monate, egal ob es um den schweren Transporthubschrauber, die G36-Nachfolge oder die Vergabe für den Tender „Donau“ ging, haben doch gezeigt, dass die Probleme im Beschaffungsprozess und in der Instandhaltung noch nicht behoben sind. Ja, bei vielen Projekten sind wir auf einem passablen Weg, oder wir sind zumindest losgegangen. Es ist vollkommen klar, dass dieser Weg dennoch lang und beschwerlich sein wird und dass noch viele Verbesserungen und Veränderungen zu tätigen sind.
Aus meiner Sicht müssten wir dabei einige Dinge berücksichtigen: keine neuen Trendwenden, keine vollmundig angekündigten umfänglichen Reformprozesse, weniger Zentralismus, mehr Nähe zur Truppe, mehr Nähe zum Material, weniger Prozesse nach Excel und SASPF und mehr gesunder Menschenverstand.
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Das Desaster um den schweren Transporthubschrauber zum Beispiel kann man zum Anlass nehmen, um über pragmatische Lösungen nachzudenken, um die Truppe mit essenziellen Fähigkeiten auszustatten. Warum nicht eine Kooperation mit den Niederlanden bei diesem Beschaffungsprojekt? Dabei hätten wir noch den wirklich praktischen, konkreten Nebeneffekt, dass wir europäische Sicherheit und Verteidigung gemeinschaftlich leben und zeigen, dass sie möglich ist.
Ein weiteres Projekt, das das kommende Jahrzehnt prägen wird, ist die Entwicklung und die Beschaffung der Eurodrohne. Seit vielen Jahren wird in Europa an diversen Drohnenprojekten gearbeitet. Von Cassidians noch unbewaffnetem Talarion über den gescheiterten Euro Hawk: Nun wird das nächste Drohnenprojekt, die Eurodrohne, entwickelt, und sie soll 2025 zum ersten Mal fliegen. Mit diesem Projekt sichern wir nicht nur den Hochtechnologiestandort Deutschland. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bereiten uns auch vor auf die Herausforderungen, die vor uns liegen.
Um europäische Souveränität und Sicherheit zu gewährleisten, brauchen wir Projekte wie FCAS, Eurodrohne oder auch die U-Boote der Klasse 212 CD. Wir brauchen diese Fähigkeiten, und wir müssen sie entwickeln. Wir brauchen sie, um für die Interessen Europas und die Sicherheit und den Frieden seiner Bürgerinnen und Bürger einzustehen.
Klar: Deutschland wird, gemessen an seinem wirtschaftlichen und internationalen Einfluss, in den kommenden Jahrzehnten mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Daraus folgt unmittelbar die Fragestellung, welchen Beitrag wir in der Zukunft leisten wollen, welche Fähigkeiten wir nun ausbauen sollen. Ich bin überzeugt: Der deutsche Beitrag muss zur Stabilisierung der NATO beitragen und gleichermaßen die EU starkmachen. Nur so kann europäische Sicherheit gelingen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns mit diesem Haushalt dafür Sorge tragen, dass die Bundeswehr ordentlich ausgestattet ist, damit wir unseren Beitrag für die europäische Sicherheit leisten können. Stimmen Sie dem Verteidigungshaushalt zu!
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin! Als Sie im letzten Jahr mit Schwung Ihr Amt angetreten haben, haben Sie Folgendes angekündigt: dass sich die Fürsorge gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten auch in deren Ausrüstung widerspiegeln soll und dass Sie daher auch das Beschaffungswesen reformieren wollen. Sie haben angekündigt, dass wir mehr internationale Verantwortung übernehmen müssen, und Sie haben angekündigt, dass die Bundeswehr in unserer Gesellschaft sichtbarer werden müsse. Bei allen Punkten haben wir Ihnen unsere Zusage gegeben und unsere Unterstützung zugesagt.
16 Monate später: Von einer ausreichenden materiellen Ausstattung trotz deutlich höherem Etat sind wir weit entfernt. Nur drei Beispiele: Schwerer Transporthubschrauber kommt nicht – nicht weil er zu teuer ist, sondern weil er ständig unseren Wünschen angepasst wurde –, die Entscheidung über den Schützenpanzer Puma erst mal auf 2022 verschoben, und das Taktische Luftverteidigungssystem gehört eher in die Abteilung Luftetat als Verteidigungsetat. – Im offenen Teil des Berichts zur materiellen Einsatzbereitschaft lesbar und immer wieder von Soldatinnen und Soldaten zu hören, die sich in ihrem Frust an uns, das Parlament, wenden. Beispielhaft ein Zitat eines Stabsfeldwebels: Es fehlt überall an funktionierender und moderner Ausrüstung. Ankündigungen sieht und liest man dauernd. Faktisch kommt aber kaum was in der Truppe an.
Meine Damen und Herren, das ist die militärische Realität im fünften Jahr der berühmten Trendwenden unter ministerieller CDU-Verantwortung. Als ob es nicht für die Truppe belastend genug wäre, springt gestern der SPD-Vorsitzende Walter-Borjans aus der sozialdemokratischen Wohlfühltorte und begräbt die für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten dringend benötigte Anschaffung der Bewaffnung von Drohnen.
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Frau Ministerin, für diesen Auftritt können Sie nichts. Aber als Noch-CDU-Vorsitzende hätten wir von Ihnen persönlich darauf schon gestern eine deutliche Antwort erwartet; denn eine solche Geisteshaltung Ihres Koalitionspartners darf man nicht aussitzen;
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denn wes Geistes Kinder in der SPD inzwischen offensichtlich eine Mehrheit haben, zeigt der Tweet der SPD-Kollegin Hilde Mattheis.
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Sie bedankt sich dafür in weihnachtlicher Vorfreude mit der Aussage – ich zitiere –:
Auch wenn #AKK sich das so vorstellt, ein schnelles Durchdrücken des automatisierten Tötens im Bundestag kurz vor dem Fest der Liebe wird es mit der #SPD nicht geben! Und danach auch nicht!
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Was für eine Tonalität: automatisiertes Töten. Ich weiß ja nicht, Frau Mattheis, was Sie nachts für Videos angucken –
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es ist respektlos der Bundeswehr gegenüber, die in Verantwortung handelt. Das ist die Bundeswehr, die Sie von morgens bis abends rufen, wenn bei Corona die Hütte brennt.
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Frau Ministerin, das kostenlose Bahnfahren der Soldatinnen und Soldaten in Uniform, um sie im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar zu machen, haben Sie beim Finanzminister durchgesetzt. Das ist sehr erfreulich – und die Erhöhung des Ansatzes auch. Gleichzeitig aber haben Sie zugelassen, dass die Bundesregierung in ihren Richtlinien für sogenannte grüne Wertanleihen die Verteidigung auf eine Stufe mit Tabak, Alkohol und Glücksspiel setzt. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung lässt auf fatale Weise zu, dass alle mit Sicherheit und Verteidigung verbundenen Wirtschaftsbereiche als nicht nachhaltige Investments gelten.
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– Wie absurd ist das? Alles Nachhaltige – schreiben Sie es sich hinter Ihre linken Löffel –
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ist ohne sicheres Umfeld eben nicht umsetzbar.
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Eine Armee ist bewaffnet, in der Tat. Und diese Waffensysteme müssen industriell hergestellt werden, damit sie im Ernstfall unsere Freiheit verteidigen kann.
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Und wenn Sie diesen Unternehmen den Zugang zu Finanzmitteln schier unmöglich machen, dann mögen Sie sich moralisch richtig gut fühlen. Aber das ist nicht der Gegensatz zu Nachhaltigkeit, sondern das bedingt einander.
Frau Ministerin, abschließend. Sie haben der Bevölkerung unbequeme Wahrheiten sagen wollen, und das gehört eben dazu, heute, jetzt vor laufender Kamera: Sicherheit und Frieden, meine Damen und Herren – besonders Letzteres wird ja in der Weihnachtszeit oft genannt –, gibt es nicht umsonst. Sicherheit und Frieden, die Menschen zu schützen, kostet sehr viel Geld. Das Land zu schützen, kostet sehr viel Geld. Diesen Kontinent zu schützen, kostet sehr viel Geld, weil Freiheit etwas nicht Selbstverständliches ist. Sie muss geschützt werden, und es müssen der Wille und auch die Mittel da sein, diese Freiheit letztendlich zu verteidigen. Das ist unsere Aufgabe. Und Ihre Aufgabe, Frau Ministerin, ist es, dafür Sorge zu tragen, dass diese Haushaltsmittel in Form von schneller Beschaffung die Truppe auch erreichen. Das schulden wir, das schulden Sie unseren Soldatinnen und Soldaten, übrigens nicht nur zur Weihnachtszeit.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte zuerst eine Vorbemerkung machen, weil mich das hier schon ziemlich geärgert hat. Es gibt offensichtlich neonazistische, rechtsextremistische Aktivitäten insbesondere beim Kommando Spezialkräfte. Es ist einfach geschichtsvergessen – das wundert mich bei Ihnen überhaupt nicht –, so zu tun, als ob es nicht notwendig wäre, etwas dagegen zu tun. Es ist richtig, dass das Ministerium tatsächlich dagegen auch vorgegangen ist. Wir würden uns wünschen, dass mehr gegen diese rechtsextremistischen Aktivitäten vorgegangen wird.
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Aber hier so zu tun, als ob das unnötig wäre, ist nichts anderes als die Fortsetzung Ihrer geschichtsrevisionistischen Politik, die Sie schon immer betrieben haben.
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Wir haben hier einen Militärhaushalt vorliegen, der höchste Militärhaushalt, den diese Republik jemals hatte. Er wird vorgelegt in Zeiten der Pandemie. Wir halten das für eine völlig falsche Prioritätensetzung. Notwendiger als dieser Aufrüstungshaushalt sind Abrüstung und eine vernünftige Finanzierung zum Beispiel des Gesundheitsbereiches mit mehr Beschäftigten dort. Ja, es ist ein Aufrüstungshaushalt, und den lehnen wir klipp und klar ab.
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Ich will Ihnen einmal beschreiben, warum es ein Aufrüstungshaushalt ist. 46,8 Milliarden Euro werden eingesetzt, nach NATO-Kriterien 53,1 Milliarden Euro; im Übrigen ein Gesamthaushalt, der größer ist als der Gesundheits- und der Bildungsbereich zusammen – sehr bezeichnend. Es gibt dort eine ganze Reihe von Beschaffungsprojekten, die die Ministerin auch konkret benannt hat: 5,4 Milliarden Euro für den Eurofighter, für den NH90-Sea-Tiger-Hubschrauber 2,3 Milliarden Euro, und Sie haben im Haushalt die Eurodrohne eingepflegt. Für mich ganz interessant: Diese Eurodrohne ist von Anfang an bewaffnet geplant, und offensichtlich ist sie in diesem Haushalt kein Problem. Sie haben die Gelder dafür von 40 auf 232 Millionen Euro erhöht. Interessant ist auch, was Sie gekürzt haben, nämlich die Zulage für Sozialleistungen für Soldaten in Höhe von 145 Millionen Euro.
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Das zeigt auch, wo die Prioritäten tatsächlich sind. Sie sagen immer, man würde quasi etwas für die Soldatinnen und Soldaten machen. Offensichtlich geht es Ihnen vor allem darum, Rüstungsprojekte zu finanzieren. Und das lehnen wir klipp und klar ab.
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– Auch das ist eine gewisse Leier, die Sie da immer wieder bringen.
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Ich glaube, das wird nicht besser, wenn Sie die immer wiederholen.
In den 16 Jahren, die es diese Koalition gibt,
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sind wir inzwischen bei fast 53 Milliarden Euro angekommen; 2005 gab es einen Haushalt von 23,03 Milliarden Euro.
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Ich kann nur klipp und klar sagen: Was wir hier haben, ist eine Aufrüstungskoalition.
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Und wir stehen gegen diese Aufrüstung. Wir wollen nicht, dass diese Gelder, insbesondere in einer Pandemie, in diesen Militärbereich fließen. Wir sagen: Es ist Zeit abzurüsten, statt aufzurüsten, so wie es die Friedensbewegung bei ihrem Aktionstag jetzt formuliert hat.
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Es ist richtig, hier die Militärausgaben deutlich zu reduzieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon interessant, wer sich da jetzt alles zusammenfindet.
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Jetzt ist es so, dass sich offensichtlich die Grünen ganz offiziell quasi an der ganz großen Koalition der Aufrüstung beteiligen.
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Es soll mehr Geld in Rüstung, es soll mehr Geld in die Bundeswehr und in europäische Militärstrukturen gesteckt werden.
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Das bedauern wir ausdrücklich. Aber es ist nicht ganz untypisch. Wir sagen: Genau diese Aufrüstung soll es nicht weiter geben.
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Und wir bedauern ausdrücklich, wenn die Grünen dagegen nicht mehr weiter opponieren. Wir sagen: Das ist dringend notwendig.
Ein Wort zu der Debatte um die Kampfdrohnen, weil immer so getan wird, es würde hier ausschließlich um eine Bewaffnung und den Schutz der Soldaten gehen. Es geht darum: Es sind Kampfdrohnen, und es sollen damit Gegnerinnen und Gegner ausgeschaltet werden – auch ein Grund, warum wir diese Kampfdrohnen klipp und klar ablehnen.
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Und wenn das jetzt nicht entschieden wird, ist das gut. Wir begrüßen das ausdrücklich. Es ist nicht so, dass es Kritik daran geben sollte, dass das Ganze quasi nicht entschieden wird.
Wir lehnen diesen Aufrüstungshaushalt ab.
Ich bedanke mich.
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Um das zu erklären: Er hat keinen Zuschlag bekommen, sondern der Kollege Leutert hat schlicht eine Minute weniger geredet, als angezeigt war.
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Die Aufgabe ist hier vorne dann, das entsprechend zu protokollieren. Das ist also auch nachprüfbar.
Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da muss man ja mal die Kameradschaft bei der Fraktion Die Linke loben, wenn der Herr Leutert Zeit abgibt, damit der Kollege Pflüger mehr reden kann.
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Aber was der Kollege Pflüger daraus gemacht hat, ist ja das Schwierige.
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Er hat ja kein neues Argument gebracht, sondern er hat sich am Ende immer nur wiederholt und „Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung“ gesagt.
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Das ist so wie mit der AfD. Die sprechen nur über Migration. Sie haben nur ein einziges Thema, „one single point“. Deswegen sitzen Sie ja auch hier an den Rändern. Wir wollen in der Mitte dafür sorgen, dass es Deutschland und den Menschen gut geht, und das ist der Unterschied, meine Damen und Herren.
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Dass es den Menschen gut geht, auch in der Bundeswehr, also den zivilen und militärischen Mitarbeitern, liegt auch daran, dass wir für 2021 eben einen guten Haushalt aufgestellt haben, nämlich mit 46,9 Milliarden Euro. Wir sind dafür und bereit, dieses Geld zu investieren in die Sicherheit unseres Landes und ganz bewusst auch in die Ausrüstung.
Wir haben in den letzten vier Jahren eine Steigerung um 10 Milliarden Euro, über 30 Prozent mehr. Das ist ein gutes Signal. Es gibt beispielsweise 1 000 neue militärische Planstellen und 1 600 neue zivile Stellen. Das ist eine verantwortungsvolle Politik. Dafür gilt mein Dank den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, der Koalition und vor allem unserer Bundesministerin der Verteidigung, die deutlich gemacht hat, dass wir dieses Geld brauchen. Dass wir dieses Geld haben, ist auch Ihnen zu verdanken. Herzlichen Dank, liebe Frau Ministerin!
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46,9 Milliarden Euro sind gut angelegt in die Garantie für Frieden und für Freiheit in einer Welt, die zunehmend unsicherer wird. Deswegen hat die Bundeswehr auch den Auftrag, auf das Unvorhergesehene vorbereitet zu sein. Es wird mehr verlangt von der Truppe.
In Afghanistan ist sie seit den Anschlägen des 11. September 2001 und hat einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass eben von dort kein Terror mehr ausgehen kann. In Mali sind 1 200 Soldatinnen und Soldaten in klimatisch-politisch herausfordernder Lage stationiert. Sie sind Teil eines Bündnisses in Westafrika, wo es darum geht, durch internationale Bemühungen Stabilität zu erreichen.
In einsatzgleichen Verpflichtungen in den baltischen Ländern unterstützen die Soldatinnen und Soldaten Frieden und Freiheit, indem sie eine klare Botschaft entsenden, nämlich: Niemand sollte sich mit einem NATO-Mitglied anlegen; denn damit legt man sich mit vielen NATO-Mitgliedern an. – Deutschland wird 2023 Führungsverantwortung übernehmen bei der schnellen Speerspitze, der VJTF.
In diesen Tagen sehen wir alle, dass die Soldatinnen und Soldaten bereit sind, auch im Inland einen Dienst zu leisten, nämlich den hervorragenden Dienst im Kampf gegen Corona. Die Bundeswehr stellt Transportflugzeuge zur Verfügung mit Intensivbetten sowie Ärzte und Pflegepersonal, stellt in den Landkreisen zusätzliche Kräfte für die Nachverfolgung von Infektionsketten, unterstützt Menschen, lagert und verteilt demnächst Impfstoffe. Auf diese Bundeswehr, meine Damen und Herren, ist Verlass, und deswegen hat sie es nicht nur auch verdient, dass man ihr dankt, sondern auch, dass wir bereit sind, dieses Geld für die Truppe auszugeben. Herzlichen Dank dafür!
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Aber der Kampf gegen Corona ist nicht der Kernauftrag; sondern der Kernauftrag ist, zu verteidigen, für unser Land einzustehen: für die Werte, für die Sicherheit und für die Freiheit. Russland und China dagegen sind permanent dabei, unsere freiheitliche Ordnung zu destabilisieren oder zumindest infrage zu stellen. Deswegen stehen wir zu diesen systemischen Herausforderungen. Wir müssen die Resilienz erhöhen und auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Als Nachbar und Partner muss man bereit sein, verlässlich zu sein. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass wir einen Beitrag leisten, substanziell auch für die Gemeinschaft. Die Bundeswehr muss weiter den erfolgreichen Weg der Digitalisierung gehen, moderner werden, die Kampfkraft erhöhen, und zwar in allen Dimensionen. Hier ist viel über Marine, hier ist viel über Luft gesprochen worden. Auch zu Land, für das Deutsche Heer, müssen wir bereit sein, etwas zu geben, aber auch im All und im Cyberraum – 7/24/365.
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Dazu gehört aber auch, dass wir das notwendige Gerät zur Verfügung stellen, und deswegen danke ich der Ministerin für das klare Plädoyer für die bewaffnete Drohne. Ich danke auch der Wehrbeauftragten sehr herzlich, die deutlich gemacht hat: Wir können diese Schutzkomponente unseren Soldatinnen und Soldaten nicht verwehren. – Und auch Frau Möller hat gesagt: Die Truppe muss ordentlich ausgestattet werden. – Damit meint sie sicherlich nicht nur die Finanzen, sondern auch die materielle Ausstattung.
3 Milliarden Euro bräuchten wir eigentlich stetig jedes Jahr mehr; denn allein 1 Milliarde Euro ginge schon drauf für Inflation und für notwendige Steigerungen im Personalkörper. Diese Leier von „Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung“, die von Herrn Pflüger hier immer kommt, habe ich ja bereits kommentiert. 10 Prozent der Fähigkeiten in der NATO müssen wir bereit sein zu stellen. Deswegen ist es richtig, die Debatte um die 2 Prozent weiterzuführen, um deutlich zu machen: Wir sind verlässlich, meine Damen und Herren.
Aber der mittelfristige Finanzplan zeigt diese Richtung noch nicht auf. Da gibt es unsichere Faktoren. Es ist beeindruckend – das ist bereits angesprochen worden –, in welcher Detailkenntnis Kollege Leutert hier vorgegangen ist. Er sagte, dass das Geld eben nicht hinterlegt ist beim Taktischen Luftverteidigungssystem, beim schweren Transporthubschrauber oder bei FCAS. Nur die Konsequenz müsste dann sein, dass wir bereit sind, mehr Geld zu hinterlegen. Diesen Weg müssen wir erfolgreich weitergehen, um zum Beispiel auch das zweite Los für den Puma unterzubringen.
Es war der scheidende US-Präsident Trump, der angekündigt hat, 12 000 amerikanische Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Das war strategisch wohl nicht richtig überdacht. Es war zumindest nicht abgesprochen und auch nicht gerade diplomatisch. Aber es gibt ein Signal vom US-Kongress, zu sagen: Diese Entscheidung muss daran gemessen werden, ob sie den USA und eigentlich auch der NATO strategisch einen Vorteil bringt. – Dieses Signal müssen wir aufnehmen. Wir müssen Verlässlichkeit zeigen; denn wir wollen ein besseres transatlantisches Verhältnis haben. Dazu müssen wir deutlich machen: Wir begrüßen den Weg von Joe Biden, wieder mehr multilaterales Miteinander in den Vordergrund zu stellen.
Wir sehen diese Chance. Wir wollen die Verpflichtung eingehen. Wir wollen investieren in gemeinsame Verteidigung als Teil der NATO, für Frieden und Freiheit, für ein starkes Deutschland in einem vereinten und friedlichen Europa. Dazu müssen wir bereit sein Geld zu investieren. Die CDU/CSU und auch die Koalition ist bereit, dieses Geld zur Verfügung zu stellen. Herzlichen Dank dafür! Es ist gut investiertes Geld.
Danke schön.
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Wolfgang Hellmich das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich nutze mal die 40 Sekunden, die die Kollegin Möller mir gerade geschenkt hat, wie ich gehört habe, um auf die eine oder andere Frage einzugehen.
Herr Hohmann, ich würde Ihnen vielleicht einen Tipp geben: Statt nach Moskau zu Herrn Putin zu fahren, fahren Sie nach Norwegen, und besuchen Sie die weiblichen Spezialkräfte der norwegischen Armee. Vielleicht wird dann Ihr archaisches Bild, das Sie gerade produziert haben, doch etwas sehr stark korrigiert und vielleicht in die richtige Richtung verschoben.
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Herr Klein, Herr Lindner und Frau Strack-Zimmermann, ich gebe Ihnen dann mal die Telefonnummer – Ihnen von der AfD gebe ich sie nicht – der Zentrale des Willy-Brandt-Hauses.
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Da können Sie anrufen und noch mal sagen, was Sie hier gesagt haben. Das würde vielleicht helfen.
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– Ich meine Sie. Ihnen würde es helfen.
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Herr Pflüger und Herr Leutert, es gibt einen Punkt, der mir aufgefallen ist. Beim Thema Drohnen, Herr Leutert, sind Sie entweder dafür, dass die sofort bewaffnet werden, oder Sie sind dafür, dass die Bundeswehr weitgehend entwaffnet wird; so habe ich den Herrn Pflüger auch verstanden. Ich vermute mal, Sie sind für die Entwaffnung der Bundeswehr; denn sonst wäre Ihr Beitrag nicht richtig zu verstehen gewesen. Aber wir werden sehen.
Der zweite Punkt: Es war mir bis jetzt nicht bewusst, dass das THW eine eigene Sanitätsabteilung hat. Ich glaube auch nicht, dass es eine bekommen wird. Das führt mich zu dem Punkt, den ich auch in den Mittelpunkt stellen möchte: Die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten in dieser Coronapandemie, in dieser Krise sind vorbildlich.
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Mehr als 5 000 von ihnen helfen unserer ganzen Gesellschaft, diese Krise zu bewältigen. In den Gesundheitsämtern vor Ort, auch in meinem eigenen Gesundheitsamt, wäre die Arbeit schon vielfach zusammengebrochen, wenn sie nicht die Aufgabe der Nachverfolgung von Infektionsketten und viele andere Aufgaben übernommen hätten. Und dafür möchte ich ihnen hier von ganzem Herzen danken.
Ich begrüße es sehr, dass die Bundeswehr im Zuge der Amtshilfe die Lagerung von Impfstoff vornehmen oder unter der Führung durch die Sanität Impfzentren für 18 000 Impfungen pro Tag aufbauen will – so habe ich es heute Morgen gelesen. Aber dies geschieht, wie gesagt – und das ist richtig –, in Form der Amtshilfe; denn der Kernauftrag der Bundeswehr – das ist schon bemerkt worden –, das sind die Landes- und Bündnisverteidigung, die Stabilisierungs- und Friedensmissionen. Und dafür gilt es der Bundeswehr die nötige Ausstattung, eine 100‑Prozent-Ausstattung, zur Verfügung zu stellen, die sie dringend nötig hat. Es ist auch über das Geld, das da ist, gesprochen worden.
Ich möchte der Sanität der Bundeswehr danken, die vielen erkrankten Menschen in ihren Einrichtungen das Leben gerettet hat. Und die Sanität hat es auch geschafft, die Ausbildung und Anleitung der Soldatinnen und Soldaten zur Erfüllung der Aufgaben in den Gesundheitsämtern von der Unterweisung in persönlicher Form auf eine digitale Form im San-Netz umzustellen, und das in kürzester Zeit. Das war sehr hilfreich und ist ein Beispiel dafür, wie die Digitalisierung insgesamt der Bundeswehr beim praktischen Vollzug ihrer Aufgaben helfen kann.
Dass mit der „Berlin“ das erste Schiff weltweit Coronatests an Bord ermöglicht hat, ist dem Zusammenwirken von Marine und Sanität zu verdanken. Die Bundeswehr macht praktisch vor, was die Menschen leisten können, wenn sie über Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Das war ein Kernsatz, den ich heute Morgen auch schon mal gehört habe.
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Die Bundeswehr stand und steht vor der Herausforderung, unter den Bedingungen der Pandemie ihre Einsatzfähigkeit, den inneren Betrieb, die Ausbildung zu sichern. Das ist unter großen Mühen auch gelungen. Dabei ist zum Beispiel den Soldatinnen und Soldaten, die wochenlang ihre Schiffe nicht verlassen konnten, und gerade auch ihren Familien sehr viel abverlangt worden. Hochachtung vor dieser Leistung!
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Gelungen ist dies nur, weil alle in Erfüllung ihrer Pflichten ihren Beitrag dazu geleistet haben, weil vor Ort in den Kasernen und auf den Schiffen pragmatische Lösungen gefunden wurden. Es gilt der alte Satz, den wir immer wieder hören: Wir schaffen das. – Hier müsste es heißen: Wir organisieren das. – Die Fähigkeiten wurden vor Ort unter Beweis gestellt. Aber es sind auch Probleme daraus erwachsen, die in Kürze abgearbeitet werden müssen: ausgefallene Qualifizierungen und Auswahlkonferenzen, die auch beförderungsrelevant sind, Verschiebungen in der Grundausbildung. Dafür braucht es pragmatische Lösungen durch das BMVg, und das in kürzester Zeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, etliche Aufgaben für die Zukunft bleiben zu erledigen. Wir brauchen das Üben und Trainieren der staatlichen Institutionen über ihre Grenzen hinweg, um in Zukunft mit solchen Krisen fertigzuwerden. Abläufe müssen standardisiert werden, technische Geräte zum Beispiel für den reibungslosen und bruchlosen Transport von erkrankten Menschen über Ländergrenzen hinweg müssen beschafft und unterhalten werden, auch die Bevorratung von Material ist nötig. Hier bietet sich die Bundeswehr an, da sie, wie gesagt, über die nötigen Fähigkeiten, über das bundesweite Netz der zivil-militärischen Zusammenarbeit wie technische Einrichtungen verfügt. Diese Fähigkeiten können in einer Krisensituation wie jetzt mobilisiert werden. Und in einer gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur wird die Bundeswehr auch in Zukunft eine zentrale und wachsende Rolle innehaben. Es geht nicht nur um eine Rückfallposition, sondern auch um einen aktiven Bestandteil einer solchen Sicherheitsarchitektur. Dies wird sich in zukünftigen Haushalten abbilden müssen.
Ich will den Begriff der gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur noch in einem anderen Zusammenhang aufnehmen. Das Thema des Cyber- und Informationsraums und des Agierens der Bundeswehr in diesem Raum ist hier auch schon genannt worden. Es wird eine Zukunftsaufgabe sein, nicht nach der alten preußischen Heeresordnung alle Einheiten getrennt zu unterhalten und agieren zu lassen. Wir werden dort wesentlich moderner werden müssen; wir werden die Kräfte im Cyber- und Informationsraum zusammenführen müssen. Hybride Formen des Austragens von Konflikten unterhalb der Schwelle des Artikels 5 des NATO-Vertrages bestimmen schon jetzt die Auseinandersetzungen im Internet und im Cyberspace.
Der Wettbewerb um die Technologierführerschaft ist ein Wettbewerb, an dem wir selber uns beteiligen müssen, für den wir entwickeln müssen, für den wir auch Geld einsetzen müssen. China liegt da weit vorne. Es hat den ersten Satelliten mit der entsprechenden Quantentechnologie in den Orbit gebracht. Davon sind wir weit entfernt.
Forschung und Entwicklungen in der Kryptografie versetzen uns nicht nur in die Lage, andere Kräfte zu entschlüsseln, sondern auch, uns selbst vor der Entschlüsselung zu schützen. Die Stärkung eigener Resilienz und die Gewinnung von Souveränität, von der wir immer so viel sprechen, setzen eben voraus, immer ein Stück besser als andere zu sein. Auch das ist eine Zukunftsaufgabe, die in diesem Bundeshaushalt angelegt ist. Die Themen des Cyberraumes und der Digitalisierung liegen eigentlich über allem drüber.
Ich denke, um die zentralen Aufgaben, die sich in diesem Bundeshaushalt abbilden und in die Zukunft entwickelt werden, anzugehen, bedarf es unser aller konzentrierten Arbeit und zuallererst der Beschlussfassung und der Unterstützung dieses Haushaltes, weil in ihm viele Elemente enthalten sind, mit denen die Bundeswehr Zukunft gewinnt.
Kollege Hellmich, nun müssen Sie trotzdem zum Schluss kommen.
Danke, Frau Präsidentin.
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Für die CDU/CSU hat jetzt die Kollegin Kerstin Vieregge das Wort.
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Frau Bundestagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem nun zur Beschlussfassung vorliegenden Haushalt für das Jahr 2021 wird die Grundlage für die Verteidigungspolitik unseres Landes in den 20er-Jahren gelegt. Dabei handelt es sich um keine einfache Aufgabe; denn natürlich steht der Bundeshaushalt 2021 ganz im Zeichen der Bewältigung der Coronapandemie. Dem muss also auch der Einzelplan 14, dem muss die Bundeswehr, dem muss die Streitkräfteplanung Rechnung tragen, und zwar nicht nur im Jahr 2021, sondern vermutlich deutlich darüber hinaus.
Vor einigen Wochen sprach Generalinspekteur Zorn in einem Tagesbefehl dankenswerterweise von einem „Mindset Landes- und Bündnisverteidigung“. Ich plädiere sehr dafür, dieses Mindset spürbarer mit Leben zu füllen. Wir sind aufgerufen, den Soldatinnen und Soldaten das Material zur Verfügung zu stellen, welches im Jahr 2021 benötigt wird und technologisch auch auf der Höhe ist, insbesondere im Hinblick auf die Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen unserer Landstreitkräfte. Natürlich ist es gut, wenn nun die Ansätze für Munition und Bekleidung aufgestockt werden. Doch es muss künftig alles getan werden, um die planerischen Zielvorgaben für das Jahr 2027 und darüber hinaus erfüllen zu können.
Betrachten möchte ich außerdem die personelle Einsatzbereitschaftslage. Hinsichtlich der Coronalage wissen wir, dass die Bundeswehr bislang ziemlich gut durch die Pandemie gekommen ist. Die Schutzmaßnahmen haben von Anfang an gut gegriffen. Wir sehen jedoch auch, welche Probleme bei EUTM Mali entstanden sind. Ich wünsche all den Betroffenen eine baldige Genesung und eine schnelle Bewältigung der Situation vor Ort. Wir sollten darauf setzen, dass der hoffentlich bald zur Verfügung stehende Impfstoff dazu beitragen wird, die Bundeswehr im Rahmen der nationalen Sicherheitsvorsorge weiterhin einsatzbereit zu halten.
Ohne jeden Zweifel leistet das Personal der Bundeswehr bei der Unterstützung zur Bewältigung der Pandemie eine großartige Arbeit. Ich denke zum Beispiel an die in den Gesundheitsämtern eingesetzten Männer und Frauen oder aber auch an die Test- und Abstrichteams. Ihnen allen danke ich wirklich für ihren wichtigen Dienst; er ist unverzichtbar.
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Klar ist aber auch: Der Dienst in der Bundeswehr ist mehr als Pandemiehilfe, Amtshilfe oder Unterstützung bei Naturkatastrophen. – Bei meinen Standortbesuchen suche ich, wie Sie natürlich auch, gezielt das Gespräch mit der Truppe vor Ort. Und dabei höre ich eines auf vielfältige Art und Weise immer wieder: Ich bin Soldat geworden, um mit dem Puma über die Senne zu fahren, um draußen zu sein, um für den Einsatz zu üben, gefordert zu werden. – Kein junger Mensch geht zur Bundeswehr, um am Schreibtisch Akten zu wälzen oder Materiallisten zu führen.
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Selbstverständlich gehören administrative Aufgaben zu jeder Armee und erst recht zu einer Friedensarmee. Doch das, was wir gern „Berufszufriedenheit“ nennen, entsteht bei den Männern und Frauen unserer Streitkräfte derzeitig nur bedingt. Und daran müssen wir weiterarbeiten.
In den letzten Jahren wurde zu Recht viel für die Attraktivität des Dienstes getan.
Positiv hervorheben möchte ich das kostenfreie Bahnfahren für Soldatinnen und Soldaten in Uniform. Das war ein exzellenter Vorschlag der CSU.
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Ich halte dies für eine der besten Maßnahmen, um einerseits den Soldatinnen und Soldaten etwas Gutes zu tun und den Realitäten der Pendlerarmee Bundeswehr Rechnung zu tragen. Andererseits ist das aber auch eine große Chance zur Imagepflege der Bundeswehr.
Ebenfalls ein Erfolgsmodell ist meiner Ansicht nach der freiwillige Wehrdienst „Dein Jahr für Deutschland“. Wir sehen hier einen innovativen Ansatz, um jungen Männern und Frauen einen vergleichsweise einfachen Einstieg in den soldatischen Dienst, in eine Laufbahn der Bundeswehr, zu ermöglichen. Überdies wird der Reservedienst gestärkt. Als ergänzendes Angebot zum regulären freiwilligen Wehrdienst ist „Dein Jahr für Deutschland“ ein großartiger Erfolg. Der positive Trend bei den freiwillig Wehrdienstleistenden bestätigt das. Die Personalentwicklung der Bundeswehr ist überdies grundsätzlich positiv hervorzuheben. 183 528 ist die Personalstärke zum Stand 1. Oktober.
Besonders freue ich mich über den im Haushalt vorgesehenen Planstellenaufwuchs; denn auch das ist eine Art Trendwende. Diesen Weg sollten wir auf jeden Fall weitergehen. Doch in Zukunft sollten wir auch intensiver darüber sprechen, was zum Beispiel der schon zitierte „Mindset Landes- und Bündnisverteidigung“ für die personelle Planung bedeuten muss, ob und wie materielle und personelle Einsatzbereitschaft miteinander in Einklang zu bringen sind und auf welche Art und Weise man den Ansprüchen der Soldatinnen und Soldaten an modernes Material noch besser gerecht werden kann.
Wir alle wissen: Die sicherheitspolitische Lage bleibt angespannt. Die Weltenläufe verändern sich. Deutschland hat es unter diesen Rahmenbedingungen verdient, eine leistungsfähige Bundeswehr auf der Höhe der Zeit zu haben. Der vorliegende Haushalt bietet eine gute Grundlage dafür, und ich freue mich darauf, weiter gemeinsam mit Ihnen daran arbeiten zu dürfen.
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jens Lehmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Haushaltsentwurf für das Bundesministerium der Verteidigung beinhaltet den höchsten Etat seit Jahrzehnten für die Bundeswehr. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis und möchte mich an dieser Stelle bei den Haushältern bedanken, die diesen Etat aufgestellt haben.
Die bisher geäußerte Kritik von Teilen der Opposition zum Verteidigungsetat halte ich für substanzlos. Denn wir müssen uns eines immer wieder vergegenwärtigen: Die Sicherheit Deutschlands ist die elementare Grundlage unserer Gesellschaft, und unsere Sicherheit hat natürlich ihren Preis. Wir brauchen gutes Personal, wir brauchen gutes Material, und wir brauchen eine gute Infrastruktur. Deswegen ist dieser Verteidigungsetat ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, dem selbstverständlich in den nächsten Jahren deutliche Steigerungen folgen müssen, um beispielsweise die wichtigen Großprojekte der kommenden Jahre finanzieren zu können.
Jeder will in Sicherheit und Freiheit leben. Aber mir scheint, dass es einige gibt, welche die Sicherheit Deutschlands gerne zum Nulltarif haben möchten. Das ist ein Irrtum. Sicherheit und Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif. Sicherheit kostet Geld, und dessen müssen wir uns bewusst sein.
Frau Ministerin Kramp-Karrenbauer und meine Unionskollegen haben viele wesentliche Punkte aus dem vorliegenden Etat bereits überzeugend erläutert und um Ihre Zustimmung geworben. Ich möchte auf zwei weitere Punkte aufmerksam machen, die mir persönlich sehr wichtig sind: Zum einen begrüße ich sehr, dass die Förderung des Sports steigt; zum anderen wird die Reserve gestärkt.
Meine Damen und Herren, coronabedingt ist in diesem Jahr vieles ausgefallen, so auch die Olympischen Sommerspiele. Daher ist es gut, dass die Bundeswehr den Sportsoldaten die Möglichkeit bietet, ihren Olympiatraum im kommenden Jahr zu verwirklichen, wenn die Olympischen Spiele in Tokio nachgeholt werden sollen. Die Erhöhung der Förderplätze für den Spitzensport auf insgesamt 850 Sportsoldaten ist aus meiner Sicht ein gutes und wichtiges Signal. Das zeigt, dass die Bundeswehr flexibel und schnell reagieren kann, und es zeigt, dass die Bundeswehr den Sportlern, die in diesem Jahr nach Olympia ihre Karriere beendet hätten, nun die Möglichkeit eröffnet, im kommenden Jahr um Medaillen für Deutschland zu kämpfen. Und zugleich können durch flexible Regelungen junge Perspektivathleten mit Blick auf Olympia 2024 in die Sportförderstrukturen der Bundeswehr aufgenommen werden. Dazu erhöht der Etat für das kommende Jahr den Mittelansatz für die sonstige Förderung des Sports bei der Bundeswehr, worunter auch die vorbereitenden Maßnahmen für die Ausrichtung der Invictus Games 2023 in Düsseldorf gehören.
Meine Damen und Herren, ich finde diesen Schwerpunkt sehr gut. Man kann es nicht oft genug erwähnen: Die Bundeswehr ist der größte Förderer des Sports. Sportsoldaten holen regelmäßig Medaillen für Deutschland. Mit ihren Höchstleistungen vertreten sie unser Land bei internationalen Wettkämpfen. Bei den Invictus Games jedoch geht es nicht nur um sportlichen Wettkampf, um Erfolg und um Medaillen. Es geht vor allen Dingen um den Kampf zurück ins Leben. Und das ist neben den gewonnenen Medaillen der größte Erfolg für den versehrten Soldaten.
Die für den Sport bereitgestellten Mittel im Verteidigungsetat sind gut investiert und eine sehr gute Basis, um sich auf sportliche Höchstleistungen zu konzentrieren.
Der zweite Aspekt, den ich am vorliegenden Verteidigungsetat sehr begrüße, ist die Stärkung der Reserve. Auch das ist eine gute Nachricht. Die Anzahl der Reservedienstleistenden bleibt im kommenden Jahr mit 4 500 Stellen auf einem sehr guten Niveau. Dazu steigt der Zuschuss für den Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, der sich umfassend um die Belange der Reservisten kümmert; denn gerade in diesem Jahr sehen wir, dass wir eine verlässliche Reserve sehr gut gebrauchen können, sei es im Amtshilfeeinsatz im Rahmen der Bekämpfung der Coronapandemie oder bei der Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest, die im Herbst gerade die östlichen Bundesländer zusätzlich herausgefordert hat.
Werte Kollegen, ich denke, mit dem vorliegenden Haushalt stimmen wir über einen Etat ab, mit dem die Bundeswehr den an sie gestellten Auftrag gut erfüllen kann. Ich weiß, dass wir noch mehr Mittel benötigen, um gerade dringend notwendige Großprojekte zu finanzieren. Angesichts der eingeleiteten Trendwende Finanzen bin ich mit dem Etat für 2021 dennoch sehr zufrieden und appelliere an alle, diese Linie weiterzuverfolgen. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zum Einzelplan 14.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weihnachten ist das Fest des Schenkens und des Beschenktwerdens. Herr Minister Müller wird wohl seinen Wunsch erfüllt bekommen: Sein Einzelplan darf um 3 Milliarden Euro gegenüber dem Finanzplan 2021 auf 12,4 Milliarden Euro ansteigen. Damit liegt das Budget auf dem Rekordniveau des laufenden Jahres, welches durch die Nachtragshaushalte schon deutlich um 2 Milliarden Euro über dem ursprünglichen Plan liegt. Seit Amtsantritt des Ministers vor sieben Jahren hat sich sein Etat verdoppelt.
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Wenn es nach Ihnen ginge, Herr Minister, würden Sie noch viel mehr Mittel ausgeben wollen, stimmt’s?
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Ja, sicher, die Rufe nach Hilfe sind zahlreich. Die Not in der Welt leugnet niemand. Aber wir könnten zehnmal so viel und noch viel mehr ausgeben – es wäre nie genug.
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Solange das Wohlstandsniveau von rund 7 Milliarden der insgesamt 8 Milliarden Menschen auf der Welt zum Teil deutlich niedriger als bei uns ist und die Weltbevölkerung weiterhin stark wächst, bleibt der Bedarf unendlich. Was macht der Herr Minister Müller? Er droht ständig: Wenn wir nicht mehr für die Entwicklung in der Welt ausgeben, dann kommen die Menschen zu uns.
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Und was passiert? Obwohl wir ständig mehr für Entwicklung ausgeben und seit Jahren nach den USA zweitgrößter Geber sind, kommen die Menschen aus Afrika und aus anderen armen Gegenden dennoch zu uns.
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Diese Argumentation hinkt also, Herr Minister!
Nun gibt es aber noch eine weitere Argumentation von NGOs und Politikern und auch von Herrn Minister Müller, und diese grenzt an moralische Erpressung. Sie heißt: Uns geht es so gut, weil es den Entwicklungsländern so schlecht geht.
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Auch meine Mitberichterstatterin von der SPD, Frau Steffen, hat das auch heute hier in einer anderen Debatte wieder genau so gesagt.
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Das ist ein Schlag in das Gesicht eines jeden Bürgers in unserem Lande, erst recht in Krisenzeiten wie diesen.
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Uns geht es gut – noch gut –, weil unsere Vorfahren unser Land aufgebaut haben in den vergangenen Jahrhunderten und insbesondere nach dem Krieg.
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Sie haben die Basis für unseren Wohlstand gelegt mit der Kultur, der Rechtsordnung, den wissenschaftlichen Entdeckungen, den Erfindungen, der Infrastruktur und den Bildungseinrichtungen.
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Ja, es gibt untragbare Produktionsverhältnisse bei importierten Waren. Die müssen wir abstellen.
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Aber dass es Afrika und anderen Regionen so schlecht geht, hat in erster Linie hausgemachte Gründe.
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Es sind dies Despotismus, Korruption, Bürgerkriege und das starke Bevölkerungswachstum.
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Richtig ist: Deutschland ist keine Insel, die die Welt nichts anginge.
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Auch die AfD ist für Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben vorgeschlagen, einen stärkeren Fokus auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Kooperation mit der deutschen Wirtschaft zu legen. Außerdem würden wir das Welternährungsprogramm besser ausstatten. Was wir aber brauchen, ist eine Konzentration auf gezielte Projekte in wenigen Ländern, damit das Geld nicht mit der Gießkanne ausgegeben wird und nicht selten versickert, meine Damen und Herren.
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Man kann nur das ausgeben und verteilen, was man hat. Die Bundesregierung verteilt nicht nur, was sie hat, sondern sie nimmt auch das, was ihr nicht gehört.
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In diesem Fall verfügt sie über die Zukunft der Bürger, insbesondere der Kinder, die die horrenden Schulden irgendwann bezahlen müssen. Herr Minister Müller, die geplante Erhöhung Ihres Einzelplans um 3 Milliarden Euro gegenüber dem Finanzplan ist durch Schulden finanziert. Dies halten wir für unzulässig, da die Aufhebung der Schuldenbremse nur zur Behebung einer nationalen Notlage gerechtfertigt sein kann.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Carsten Körber für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kürzlich hat die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort „Corona-Pandemie“ zum Wort des Jahres gekürt. Das ist keine Überraschung. Wir alle wissen, womit sich die Menschen in diesem Jahr und folglich auch wir hier im Parlament maßgeblich beschäftigen mussten. In Österreich ist übrigens das Wort „Babyelefant“ das Wort des Jahres. Bei unseren österreichischen Freunden ist „1 Babyelefant“ die Maßeinheit für den Abstand, den es in Coronazeiten einzuhalten gilt. Schließlich weiß ja jedes Kind, wie groß ein Babyelefant ist.
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Wegen Corona ist der in dieser Woche hier im Parlament zu verabschiedende Haushalt bereits der dritte in diesem Jahr. Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird im nächsten Jahr auf Rekordniveau durchgeschrieben: Über 12,4 Milliarden Euro stehen für die Entwicklungszusammenarbeit im nächsten Jahr bereit.
Worin unterscheiden sich jetzt die beiden Etats 2020 und 2021, sind sie doch in ihren Volumina fast identisch? Wir verschieben die Schwerpunkte: von unmittelbarer Krisenhilfe, etwa im Gesundheitsbereich, hin zu langfristigen Stabilisierungsmaßnahmen wie der Abfederung sozialer und ökonomischer Folgen der Pandemie. In diesem Jahr musste es zunächst das Ziel sein, eine schnelle, kurzfristige Hilfe vor Ort zu leisten, und das geht am besten multilateral. Im kommenden Jahr aber wird es zunehmend darum gehen, in einen längerfristigen Hilfsansatz zu kommen, und dafür eignet sich die bilaterale Zusammenarbeit am besten. Diese haben wir im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestärkt.
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Die Bedarfe in den Entwicklungsländern sind ohnehin immens, und sie sind durch die Pandemie noch größer geworden.
Ja, wir machen in diesem und im nächsten Jahr in gewaltigen Größenordnungen neue Schulden. Diese beiden Haushalte zusammengenommen, geben wir circa 1 Billion Euro aus; das sind 1 000 Milliarden oder 1 Million Millionen. Davon sind ungefähr 400 Milliarden Euro kreditfinanziert; das sind 40 Prozent. Als Haushälter macht man da natürlich keine Freudensprünge. Doch angesichts der immensen Herausforderungen ist dies angemessen und nötig. Nichts zu tun, wäre teurer. Dank unserer soliden Politik der schwarzen Null in den vergangenen Jahren sind wir in dieser Krisensituation in der Lage, dies auch verantworten zu können.
Es ist der Weisheit unseres Grundgesetzes zu verdanken, dass es uns bereits in dem Moment, in dem wir neue Schulden aufnehmen, dazu verpflichtet, gleichzeitig einen Tilgungsplan zu beschließen.
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Denn das erinnert uns daran, dass das, was in dieser besonderen Situation angemessen und nötig ist, in einer normalen Situation nicht der richtige Weg sein kann.
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Auf folgende Schwerpunkte der diesjährigen Haushaltsberatungen möchte ich hinweisen: Der IFAD, der Internationale Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung, setzt sich auch sehr stark für den weltweiten Klimaschutz ein. Das haben wir mit einem deutlichen Mittelaufwuchs anerkannt. Auf unsere Initiative hin wird der IFAD, beginnend mit dem nächsten Jahr, ein großes Projekt zum Schutz des Regenwaldes in Brasilien durchführen.
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Auch die Wirtschaft ist im EZ-Kontext ein wichtiger Akteur. Wir stärken das hervorragende Engagement unserer Wirtschaft. Lassen Sie mich hier vor allem die Coalition for Health erwähnen. Sie hat sich die Verbesserung der Gesundheitssysteme in afrikanischen Ländern auf die Fahnen geschrieben: ein Ziel, das wir gerne unterstützen.
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Ein weiteres Thema stand in den Beratungen oft im Fokus: Wir müssen Vorsorge treffen, um unsere Partner im globalen Süden beim Kauf des Coronaimpfstoffs unterstützen zu können; denn wenn wir Corona besiegen wollen, dann reicht es nicht, wenn wir nur in den entwickelten Ländern impfen. Eine Pandemie lässt sich nur im globalen Maßstab bekämpfen oder gar nicht.
Vielfach wurde an uns Haushälter die Forderung herangetragen, im Etat dafür Vorsorge zu treffen, indem wir ihn um 150 Millionen Euro erhöhen. Das ist eine enorme Summe Geld, keine Frage. Aber uns war immer klar: Wenn dann mal der Impfstoff wirklich da ist, dann werden wir viel mehr als diese 150 Millionen Euro brauchen, wenn wir unsere Partner wirksam unterstützen wollen; und das ist ja unsere feste Absicht. Deshalb haben wir uns im Haushaltsausschuss für einen anderen Weg entschieden: Im Einzelplan 60 – Allgemeine Finanzverwaltung – wurde der Titel „… Bewältigung der COVID-19-Pandemie“ geschaffen. Auf diesen Titel hat auch das BMZ Zugriff, wenn es gilt, Staaten in Afrika und anderswo mit dem Impfstoff zu versorgen. Die Mittel für diesen Titel haben wir in der Bereinigungssitzung von 5 auf 35 Milliarden Euro erhöht, also insgesamt um den Faktor 7. Hier besteht nun wirklich eine Vorsorge, die den Erfordernissen der Lage gerecht wird.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Der BMZ-Etat hat sich in den vergangenen sieben Jahren fast verdoppelt. Diese Entwicklung ist ganz unbestritten auch das persönliche Verdienst von Minister Müller.
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Diese große Leistung hat er vollbracht mit seinem unermüdlichen und überaus leidenschaftlichen Einsatz. Dabei – das ist ja ein offenes Geheimnis – hat er es auch der eigenen Fraktion nicht immer ganz leicht gemacht. Aber Minister Müller ist unbestritten ein leidenschaftlicher und großer Streiter, der sich mit Herzblut für die Sache einsetzt; und das gilt es an dieser Stelle ausdrücklich anzuerkennen.
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Sehr geehrter Herr Minister Müller, lieber Gerd, ich weiß, auch ich habe es dir nicht immer ganz leicht gemacht; aber das gehört zum Teil auch zur Verantwortung eines Haushälters.
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Wir haben nun den letzten regulären Haushalt der laufenden Wahlperiode zu beschließen. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Minister, und natürlich auch bei den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses für die sehr gute, intensive und stets professionelle Zusammenarbeit. Es war eine spannende Zeit.
Mein Dank geht zugleich an meine Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstatter für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Von denen haben bereits drei erklärt, dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören zu wollen. Liebe Anja Hajduk, lieber Michael Leutert, ich habe die Zusammenarbeit mit euch, auch wenn wir naturgemäß nicht in allen Punkten immer einer Meinung waren, menschlich als höchst anständig empfunden, und es war mir eine Freude, mit euch zusammenzuarbeiten.
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Liebe Sonja Steffen, mein ganz spezieller Dank gilt dir als meiner Koalitionsmitberichterstatterin; unser gemeinsames Wirken war mir stets ein Fest.
Vielen Dank.
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Kollege Körber, ich will ausdrücklich würdigen, dass Sie alle Danksagungen in der Redezeit untergebracht haben.
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– Ja, das muss man dann auch einmal anerkennen.
Das Wort hat Dr. Christoph Hoffmann für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Wir geben fast die gleiche Summe wie im letzten Jahr aus, nämlich 12,4 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit, für diesen Haushalt; und das ist gut so. Wir erreichen damit die ODA-Quote von 0,7 Prozent. Die Freien Demokraten stehen zu diesen Zahlen. Ich glaube, die Größe stimmt.
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Aber über Effizienz und Wirksamkeit müssen wir uns noch unterhalten, da stimmt es nämlich nicht; deshalb werden wir den Haushalt auch ablehnen.
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Ein gutes Beispiel hat Herr Körber gerade genannt: Schwerpunkte wurden verschoben, eben hin zum Bilateralen, weg vom Multilateralen, und das ist genau das, was wir eigentlich nicht wollen, weil wir glauben, dass internationale Organisationen einen sehr guten Überblick darüber haben und sich sehr wirksam organisieren können,
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wohingegen das Bilaterale manchmal zu wünschen übrig lässt. Wenn jeder Staat alles selbst macht, dann wird es am Schluss relativ uneffektiv und teuer.
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Wir haben natürlich in dieser Covid-Krisenzeit alle Mühen. Wir haben eine große Rezession. Wir machen im Gesamthaushalt enorme Schulden, die unsere Enkel wahrscheinlich bezahlen werden. Deshalb ist es umso wichtiger, das Geld in der EZ wirksam, effizient und sparsam einzusetzen, und das sehen wir leider in diesem Haushalt noch nicht. Es gibt Verwaltungsstrukturen, die Sie überdenken sollten, Herr Minister: 14 Ministerien – 14 Ministerien! – beschäftigen sich hier in der Bundesregierung mit Entwicklungszusammenarbeit. Allein die Zahl zeigt: Das kann nicht effizient sein; da gibt es Doppelstrukturen.
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Sie haben weitergemacht mit Sonderinitiativen, Sie haben weitergemacht mit vielen verschiedenen Programmen, die man selbst kaum mehr versteht. Das sind alles unnötige Doppelstrukturen; und das muss aufhören. Das sind wir dem Steuerzahler gerade in diesem engen Jahr wirklich schuldig.
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Die Entwicklungshelfer von KfW, GIZ, den NGOs, die in unserem Auftrag in fernen Ländern ihren Dienst tun, zum Teil unter widrigen Umständen, aber auf jeden Fall auch noch in der Covid-Krise weiterarbeiten, verdienen unser aller Dank. Die Freien Demokraten bedanken sich an dieser Stelle für den Einsatz der ausländischen Mitarbeiter.
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Aber umso ärgerlicher ist es eigentlich, dass unser Außenminister Heiko Maas wegen Covid eine pauschale, eine ungerechtfertigte und diskriminierende Reisewarnung ausgesprochen hat für ganz Afrika und damit mal eben für den ganzen Globalen Süden – so ein bisschen nach dem Motto von Trump: Africa is a „shithole“. Er hat damit einen Riesenschaden angerichtet, der weit größer ist als der BMZ-Etat 2020 und 2021 zusammen. Das war – und ist immer noch – ein kapitaler Fehler. Allein im Tourismussektor sind durch die undifferenzierte deutsche Reisewarnung 2 Millionen Arbeitsplätze und 50 Milliarden an Einnahmen verloren gegangen. Viele Naturschutzgebiete sind dadurch in der Existenz bedroht.
Reisewarnungen schließen auch die diplomatischen Reisen aus, die das Auge in der Landschaft für Menschenrechte sind. Auch hier tun Sie der Menschheit keinen Gefallen mit dieser Reisewarnung.
Aber noch gewichtiger und noch brutaler ist, dass diese ungerechtfertigten Reisewarnungen Geschäfte und Investitionen verhindern. Die unterlassene Reparatur einer in Deutschland gebauten Maschine führt zum Stillstand einer ganzen Fabrik. Und der Zusammenbruch dieser globalen Lieferketten im Zuge der Covid-Krise ist das zentrale Problem für die Wirtschaft im Globalen Süden. Deshalb ist diese Reisewarnung – eine Reisewarnung aufgrund dieser unfairen, undifferenzierten Einschätzung von Risikogebieten – so brutal und so fatal. Die Bundesregierung muss das ändern!
Um Investitionen zu ermöglichen, braucht es gute Rahmenbedingungen, Rechtssicherheit, Demokratie und Meinungsfreiheit. Um eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit zu betreiben, ist deshalb eine klare Konditionierung nötig und mehr schnelle Entscheidungen. Wenn ein Staat, mit dem wir zusammenarbeiten, sich von gemeinsamen Zielen verabschiedet, muss das Konsequenzen haben und kein Weiter-so; sonst wird der Schaden nur größer – für die Menschen vor Ort und für unseren Etat.
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Das Ziel der EZ, der Entwicklungszusammenarbeit, ist ein menschenwürdiges Leben für alle. Das geht nicht mit staatlichen Almosen, die nur allzu gern verteilt werden. Es geht mit Investitionen; denn nur Investitionen schaffen die Jobs, die notwendig sind. Investitionen statt Almosen, das ist unsere Forderung, und das sehen wir noch nicht in diesem Haushalt.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte schon bei der Einbringung des Haushalts gesagt: Für mich persönlich ist es heute ein besonderer, ein bewegender Moment; denn es ist mein letzter Haushalt, den ich mitbeschließen darf.
Als ich 2002 anfing, lag der Einzelplan 23 bei 3,7 Milliarden Euro, die ODA-Quote bei 0,27 Prozent. Es erfüllt mich schon mit Freude und Stolz, dass wir heute einen Haushalt beschließen – sozusagen mein Abschiedsgeschenk – mit einem Volumen von 12,4 Milliarden Euro – über dreimal so viel wie damals – und dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich endlich eine ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen.
Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker – alle bis auf die von rechts außen – haben hier in den ganzen Jahren oft sehr gut zusammengehalten.
Der Entwicklungshaushalt hat einen Unterschied zu den Haushaltsplänen aus anderen Häusern;
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denn der Entwicklungshaushalt wird – anders als der Verkehrshaushalt und andere Haushalte – in der Finanzplanung immer gesenkt. Das heißt, wir sind der einzige Haushalt, der jedes Jahr fast bei null anfängt, der neu um seine Mittel kämpfen muss.
Ich erinnere daran – ich sehe hier zum Beispiel Gabi Weber –, dass wir im Jahr 2014 mal wieder eine Delle in der Planung hatten und ich aus Protest als entwicklungspolitischer Sprecher zurückgetreten bin. Da haben Gabi Weber und ich hier gesessen und gegen die Fraktion offen den Einzelplan 23 abgelehnt – nicht zur Freude unserer eigenen Fraktionsspitze. Aber wir Entwicklungspolitiker haben nie resigniert – wir machen das ja nicht, um den Kopf in den Sand zu stecken –, sondern wir haben weitergekämpft.
Wir haben es geschafft, dass sich von 2015 bis heute das Volumen des Haushalts verdoppelt hat.
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Sonja, unsere Haushälterin, hat kräftig mit dafür gesorgt. Unser Entwicklungsminister hat gekämpft. Wir können jetzt sagen, dass wir in diesem Jahr das sechste Mal in Folge über 1 Milliarde Euro mehr an ODA-Mitteln beschließen werden. Ich glaube, wir alle gemeinsam können stolz darauf sein, dass uns das gelungen ist
({2})
und dass wir mit den 0,7 Prozent ein Ziel erreichen, das wir schon 1970 als Bundesrepublik Deutschland ausgegeben haben. Jetzt, im Jahr 2020, erreichen wir es endlich. Ich denke, das tut gut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich weiß, dass die Opposition wieder sagen wird: Die Finanzplanung geht runter. – Ich kann dazu nur sagen: „Es ist so“, und kann Sie nur ermutigen, genauso weiterzukämpfen; denn aus unserer Arbeitsgruppe hört bis auf Florian Post fast jeder von der SPD auf. Wir liegen jetzt 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung, die eigentlich 8,6 Milliarden Euro vorgesehen hatte. Grüne, Linke und andere können gerne beweisen, dass sie es auch hinbekommen, in den nächsten Jahren mindestens 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung zu liegen.
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Aber ich sage auch und habe hier immer gesagt: Geld ist nicht alles. Wir brauchen Rahmenbedingungen, wir brauchen fairen Handel, damit Menschen von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können. Wir haben hier in einem sehr kritischen Bereich etwas verbindlich hinbekommen, nämlich bei den Konfliktmineralien. Dort müssen Menschen unter brutalsten Bedingungen – gerade im Kongo – Mineralien abbauen. Zum Januar nächsten Jahres wird erstmals ein Gesetz in Kraft treten, das in diesem Teilbereich der Wirtschaft dafür sorgt, dass künftig die deutschen und europäischen Unternehmen verpflichtet werden, nachzuweisen, dass die Mineralien aus sauberen Minen kommen,
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dass keine Zwangsarbeit vorliegt, dass keine Kinderarbeit vorhanden ist und dass die Einnahmen nicht zur Finanzierung von Kriegen dienen.
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Das ist ein erster guter Schritt.
Auch da können gerade wir als SPD-Fraktion – ich habe meinen Teil dazu beigetragen – mit Stolz sagen: Dieses Gesetz wäre ohne die Sozialdemokraten und ohne dass wir das damals mit unserem Wirtschaftsminister in Brüssel durchgesetzt haben, nicht gekommen.
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Auch das, glaube ich, gilt es festzuhalten.
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– Ja, da kann man ruhig mal klatschen. Ich denke, das ist berechtigt.
Aber es ist nur ein Teilbereich. Wir haben natürlich immer noch Minen in anderen Ländern mit anderen Mineralien. Sonja Steffen hat in einer hervorragenden Rede heute Vormittag Beispiele genannt – ich habe es in Madagaskar gesehen –, wo Kinder in einen Eimer gesetzt werden, in eine Mine runtergelassen werden und dann stundenlang Diamanten klopfen müssen; wenn sie Glück haben, sind sie noch am Leben, wenn sie wieder nach oben kommen.
Herr Körber, Sie haben zu Recht gesagt, dass wir Impfstoffe gegen Corona auch für die Entwicklungsländer zur Verfügung stellen sollen. Bundeskanzlerin Merkel sagt auch, dass dafür Mittel bereitgestellt werden sollen, der Entwicklungsminister sowieso. Dann fordere ich, dass die Bundeskanzlerin ihrem Wirtschaftsminister auch mal sagen muss, dass er endlich aufhören soll, ein Lieferkettengesetz zu blockieren,
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das nämlich garantiert, dass Kinder nicht mehr unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssen, Näherinnen nicht mehr in Fabriken verbrennen. Denn ich kann ja schlecht einem Kind sagen: Du, übrigens, tolle Nachrichten: Im nächsten Jahr wirst du gegen Corona geimpft. Dann stirbst du nicht an Corona, sondern weil du in einer Mine verschüttet wirst. – Das wäre doch zynisch.
Gerade die Diskussion um Corona zeigt doch, dass Gesundheit und Menschenwürde vor wirtschaftlichem Profit gehen sollen. Da, finde ich, muss es doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir endlich dafür sorgen, dass wir bei Produkten, die wir täglich kaufen – vom T-Shirt bis zum Kaffee und Kakao; jetzt in der Weihnachtszeit verschenken wir wieder viel Schokolade, aber fast 2 Millionen Kinder müssen auf Kakao- und Kaffeeplantagen schuften –, mit einem Lieferkettengesetz menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen und so Kinder aus Hunger, Armut und Elend erlösen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
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Deswegen: Ja, der Haushalt ist ein starkes Signal. Aber ich bitte Sie alle, jetzt auch dafür zu sorgen, dass wir ernst machen mit fairem Handel. Dazu gehören auch die Handelsverträge der Europäischen Union. Auch das Mercosur-Abkommen muss nachgeschärft werden. Die Minister Hubertus Heil und Gerd Müller sind bei dem Thema eng beieinander und kämpfen sehr gut für fairen Handel. Auch unsere SPD-Minister haben gesagt, dass sie einem Abkommen wie Mercosur nur dann zustimmen werden, wenn noch substanzielle Verbesserungen erfolgen und auch Verstöße gegen Menschen- und Arbeitnehmerrechte und gegen das Verbot der Rodung des Regenwaldes sanktioniert werden können.
Darum geht es jetzt. Wir dürfen uns nicht auf diesem tollen Entwicklungshaushalt ausruhen, sondern wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir fairen Handel bekommen, damit wir es endlich schaffen, was wir uns in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt haben, nämlich dass bis 2030 Hunger und extreme Armut endlich abgeschafft sind.
Dann, hoffe ich – das ist mein Abschiedsappell –, brauchen wir irgendwann gar keinen Entwicklungsausschuss mehr im Deutschen Bundestag. Denn wir sind der Ausschuss, bei dem ich wirklich hoffe, dass er sich irgendwann einmal durch erfolgreiches Handeln erledigen wird und wir keinen Hunger und keine Armut mehr auf der Welt haben werden.
Vielen Dank für die Unterstützung in all den Jahren. Danke.
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Der nächste Redner ist der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister – es wurde ja schon gesagt –, es ist für uns beide der letzte Haushalt, den wir gemeinsam besprechen. Da kann man durchaus mal mit etwas Positivem anfangen. In Ihrer Amtszeit ist es tatsächlich geglückt, dass sich der Etat von 6,3 Milliarden Euro auf nun 12,4 Milliarden Euro fast verdoppelt hat. Das kann sich durchaus sehen lassen. Es ist auch schon angesprochen worden, dass die mittelfristige Finanzplanung in diese Linie nicht hineinpasst. Die letzte Aufgabe ist also, das Anfang nächsten Jahres noch zu korrigieren.
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Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht das nicht aus; auch das wurde schon angesprochen. Es würde auch nicht ausreichen, wenn wir noch mehr Geld mobilisieren und die ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen, selbst wenn wir die Mittel in die besten und effektivsten Projekte stecken. Was wir zusätzlich benötigen, ist ein Umdenken und Umlenken auch bei uns selber. In dem Sinne sind auch wir mittlerweile ein Entwicklungsland geworden; denn wir müssen uns in unserer Produktion, in unserem Handel und in unserem Konsum weiterentwickeln. Ansonsten nützen uns diese ganzen Milliarden nichts.
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Wenn wir das nicht tun und damit den Klimawandel weiter befördern, dadurch weiter Fluchtursachen verschärfen und damit weiterhin Ausbeutung und Armut billigend in Kauf nehmen, dann werden wir diese Ziele, die wir hier definieren, nicht erreichen. So wie wir uns heute hier verhalten, bestimmen wir letztendlich nicht bloß über die Zukunft dieser fragilen und armen Staaten, sondern wir bestimmen auch über unsere ganz eigene Zukunft, über die Zukunft unserer Kinder. Welche Welt hinterlassen wir? Das ist eigentlich die grundsätzliche Frage. Damit ist das auch eine Frage der Generationengerechtigkeit.
Die Frage der Generationengerechtigkeit wird von allen immer angesprochen, wenn es um die Schuldenbremse geht. Dieses Argument ist bei der Schuldenbremse aus einem ganz einfachen Grund nicht mein Lieblingsargument: Wenn ich in einem Haus lebe, keine Schulden aufnehme, um es in Schuss zu halten, und dann meinen Kindern eine Bauruine hinterlasse, müssen die Kinder dann Schulden aufnehmen, um das Haus zu sanieren. Bei der Frage des Klimawandels ist das nicht so einfach. Wenn wir ihn jetzt nicht stoppen, können zukünftige Generationen keinen Kredit aufnehmen, um das zu korrigieren; das sollten wir nicht vergessen.
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Herr Minister, wir sind uns in diesen Punkten wahrscheinlich relativ schnell einig, und das ist ja auch der Grund, warum Sie das Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht haben. Das Problem ist nur, dass Sie in Ihren eigenen Reihen dafür keine Mehrheit haben.
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– Ja, das weiß er; aber man kann es ja hier noch mal deutlich ansprechen.
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Ich will jetzt nicht all die Argumente bemühen, die gegen dieses Lieferkettengesetz vorgebracht werden – Bürokratiemonster; Haftungsfragen; es sei nicht umsetzbar –, sondern nur noch mal darauf hinweisen, dass es hier nicht nur um Generationengerechtigkeit geht. Wir haben heute hier auch den Haushalt des Auswärtigen Amtes und den Haushalt des Verteidigungsministeriums behandelt. Dabei ging es um Fragen der Sicherheit. Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes, also das Umdenken und Umlenken in unserem Verhalten, betrifft auch ganz prinzipiell die Frage unserer Sicherheit in der Zukunft.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich will das mit einem Appell verbinden: Lassen Sie Ihren Minister – nicht bloß bei diesem Gesetz – nicht so hängen! Unterstützen Sie ihn!
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Lieber Carsten, mir ist bei den Dankesworten ja richtig warm ums Herz geworden. Hier geht es ja kuscheliger zu als in der Bereinigungssitzung und manchmal auch in den eigenen Fraktionen.
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– In allen Fraktionen, habe ich gesagt. – Ich sage nur: Wenn man sich die Bereinigungssitzung so anschaut, kann man feststellen, dass wir zusätzliche 84 Milliarden Euro für den Gesamtetat bewegt haben. Für unseren lieben Minister im BMZ gab es nichts obendrauf, sondern 10 Millionen Euro minus. Nicht einmal mehr die belegten Brötchen kann er jetzt bezahlen, wenn er Gäste bewirten möchte. Deshalb kann ich mit Blick auf die nächsten Aufgaben, insbesondere was das Lieferkettengesetz und die mittelfristige Finanzplanung betrifft, nur sagen: Unterstützen Sie den Minister! Lassen Sie ihn nicht im Regen stehen!
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Ihnen, Herr Minister, möchte ich für die Zukunft, für Ihre nächste Aufgabe, viel Glück und Erfolg wünschen. Ich hoffe, wir sehen uns auch in Ihrer nächsten Verwendung regelmäßig.
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Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Anja Hajduk.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stagniert diesmal, zugegebenermaßen auf hohem Niveau. Das haben wir schon zu Beginn, in der ersten Lesung, gesagt. Aber er wird bereits 2022 – daran hat sich auch nach der Bereinigungssitzung leider gar nichts geändert – um 3 Milliarden Euro absinken; das sind minus 25 Prozent. Ich möchte noch mal darauf hinweisen: So massiv war der Absturz zwischen zukünftigem Haushaltsplan und kommender Finanzplanung noch nie, Herr Raabe.
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Ich möchte darauf verweisen: Wir haben die Finanzplanung nicht als Parlament beraten. Aber wir als Grüne haben beantragt, wenigstens die massiven Sperren bei den Verpflichtungsermächtigungen von weit über 1 Milliarde Euro aufzuheben.
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Das hätten wir tun können; aber dem haben Sie sich verweigert. Insofern liegt da wirklich die Hoffnung auf einem Regierungswechsel und auf nichts anderem. Ansonsten ist nämlich die Planungssicherheit mit Blick auf Deutschlands Rolle als zuverlässiger Partner in der Entwicklungszusammenarbeit aufs Spiel gesetzt.
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Aber auch in qualitativer Hinsicht ist dies ein Haushalt, der eine Kehrtwende vermissen lässt. Schauen wir auf Ihre Bilanz, Herr Minister Müller, insbesondere darauf, wie fokussiert Ihre Maßnahmen auf die Gleichstellung von Frauen und Mädchen sind: Gerade mal 1,6 Prozent der Maßnahmen Ihres Hauses haben diesen Fokus. Das ist ein Skandal, und das wird der Rolle von Frauen und Mädchen, gerade in den Ländern des Südens, überhaupt nicht gerecht.
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– Ja, Genderprojekte sind damit auch gemeint. Aber Sie auf der ganz rechten Seite des Parlaments haben das sowieso noch nicht verstanden.
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Aber schauen wir uns auch einmal den wichtigen Bereich der Agrarökologie an. Der Klimawandel und die Coronapandemie verschärfen das Hungerproblem in der Welt zusätzlich. Agrarökologische Ansätze könnten dieser Entwicklung entgegenwirken. Aber, Herr Minister Müller, es ist unverständlich: Nur 7,7 Prozent der landwirtschaftlichen Vorhaben in Ihrem Hause haben einen agrarökologischen Ansatz. Auch das ist viel zu wenig. Das muss sich qualitativ deutlich ändern.
({5})
Auch beim internationalen Klimaschutz sind wir zu zaghaft unterwegs. Wir treten da auf der Stelle, auch wenn Deutschland insgesamt – das will ich durchaus anerkennen – quantitativ als Geberland einen großen Beitrag leistet. In der Entwicklungszusammenarbeit haben wir unseren fairen Anteil am internationalen Klimaschutz selber vor Jahren in Dänemark, in Kopenhagen, versprochen. Wir sollen insgesamt 100 Milliarden Dollar zur Unterstützung der Länder des Globalen Südens bereitstellen. Da müssen wir als Deutsche noch mehr drauflegen. Deswegen fordern wir, im Rahmen dieses Haushalts 400 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz in Ihrem Haus draufzupacken, Herr Minister Müller.
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Ich komme zum Schluss. Es ist so, dass sich der Etat in Ihrer Amtszeit verdoppelt hat. Diese Steigerung innerhalb von acht Jahren in einer Welt, die sich heftig globalisiert hat, ist zum Teil, und zwar nicht zu einem geringen Teil, auch erfolgreich nachvollzogen worden. Das haben wir auch nicht geleugnet. Ich habe auf den Absturz in der Zukunft verwiesen, und wir haben auch einiges erreicht. Aber, Herr Müller, zu oft ist Ihre Haushaltsaufstellung eine Absage an den Multilateralismus gewesen. Der Anteil der multilateralen Hilfen ist stetig gesunken in Ihrer Amtszeit. Das passt gar nicht zu Ihren zukünftigen Ambitionen, wie ich gehört habe. Das ist keine gute Bilanz. Wir müssen die multilateralen Töpfe, unser Engagement bei den Vereinten Nationen wieder viel stärker in den Fokus rücken.
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Wir haben doch mitbekommen, was in den USA in den letzten Jahren passiert ist, und da nimmt Deutschland eine wichtige Rolle ein. Vor diesem Hintergrund ist diese Entwicklung bedauerlich.
Allerletzter Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und sowieso von der Union, ich habe das Lieferkettengesetz gestern bewusst bei der Beratung des Etats des Ministers für Wirtschaft angesprochen. Das hätte ich auch von den Sozialdemokraten erwartet, nämlich dass Sie bei der Beratung des Wirtschaftsetats und mit Ihrem Vizekanzler durchsetzen, dass ein Lieferkettengesetz beschlossen wird, und zwar ein wirksames Lieferkettengesetz.
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Da sind Sie als Koalitionspartner in der Pflicht, da ist die Kanzlerin in der Pflicht, und da dürfen Sie den Herrn Müller nicht alleinlassen.
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Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jetzt hat als Nächstes das Wort der Bundesminister Dr. Gerd Müller. – Herr Minister, mit Maske. – Jawohl, sehr gut. Steht Ihnen auch gut, Herr Minister.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Gute Nachrichten in schwierigen Zeiten: Mit diesem Haushalt erreichen wir, wie schon gesagt, erstmals das 0,7-Prozent-Ziel. Deutschland erfüllt mit 4 Milliarden Euro, Frau Hajduk, die internationalen Klimafinanzzusagen. Mit dem 3-Milliarden-Euro-Coronahilfsprogramm sind wir in Europa das einzige Land, das dieses internationale Zeichen der Solidarität setzt.
({0})
Hierfür möchte ich mich besonders bei meinem Haus, bei der GIZ, bei der KfW und bei vielen, die draußen tätig sind, bedanken. Ich hatte heute eine Schalte mit unseren Referentinnen und Referenten in 85 Ländern in der Welt, die erfolgreich dort draußen arbeiten.
Der Friedensnobelpreis geht an das Welternährungsprogramm. Mit 1 Milliarde Euro unterstützt Deutschland – nicht nur das BMZ – das Welternährungsprogramm.
Wir Entwicklungspolitiker sind eine starke Gemeinschaft – Carsten Körber, vielen herzlichen Dank –, es sind Politiker, Menschen mit Herz. Ich glaube, das kann man sagen.
({1})
Sascha Raabe, Anja Hajduk, Michael Leutert, Sonja Steffen und Gabi Weber – sie hören alle auf. Ich bedaure das sehr, aber ich freue mich über eure Solidarität, dass ihr alle mit mir den Platz räumt.
({2})
Das hätte es nicht gebraucht. Ich bedanke mich bei euch ganz besonders. Die Entwicklungspolitik hat ein ganz starkes soziales Profil, ein sozialdemokratisches Profil und ein christlich-soziales Profil. Das verbindet uns sehr, auch in Zukunft.
({3})
Ein großer Durchbruch im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft ist der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen über ein neues EU-Afrika-Abkommen. Darüber wird hier im Plenum noch diskutiert werden.
Es gibt ein anderes, ebenso wegweisendes politisches Signal: eine 27 : 0 -Entscheidung der europäischen Sozial- und Arbeitsminister für ein europäisches Lieferkettengesetz. Ich danke Hubertus Heil, dass er dies auf den Weg gebracht hat.
({4})
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen hier. Ein Lieferkettengesetz jetzt ist absolut notwendig.
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Ich bleibe optimistisch, weil wir in dieser Woche noch entscheidende Gespräche führen werden. Aber klar ist: Wir brauchen noch vor Weihnachten eine Entscheidung. Wir können das nicht länger hinauszögern. Seit sechs Monaten liegt der Entwurf auf dem Tisch. Wir brauchen jetzt eine Entscheidung.
({6})
Ich sage Ihnen klar: Wenn wir nicht entscheiden, dann setzt Brüssel Standards. Wir sollten vorausgehen und diese Standards selber setzen.
({7})
Noch nie, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, war internationale Zusammenarbeit so wichtig wie heute; denn die Coronapandemie besiegen wir nur weltweit oder gar nicht. Diese Pandemie ist zwischenzeitlich eine Polypandemie geworden, eine Vielfachkrise. Das Virus trifft die Ärmsten der Armen am härtesten. Es sind die Entwicklungspolitiker, die darauf aufmerksam machen. Deutschlands Bevölkerung stellt 1,5 Prozent der Weltbevölkerung dar, Europas Bevölkerung 5 oder 6 Prozent. Zwei Drittel der Menschen weltweit leben in den ärmsten Ländern, in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die ganz massiv und hart getroffen sind: Krankheit und Not, Elend und Tod durch das Virus und den Lockdown, zum Beispiel in Asien. Ich habe heute Berichte aus Venezuela gelesen: Dort gibt es 5 Millionen Flüchtlinge. Denken Sie an den Libanon. Oder denken Sie an Kutupalong, wo ich im Februar war. Dort sind 800 000 Flüchtlinge angesiedelt auf einem Elefantengebiet, 500 000 Kinder in Armut, Not und Kälte. Da können Sie sagen: Lasst die doch draußen! Wer sieht die denn in Europa und in Deutschland? – Wir sehen sie, wir sehen das Leid, und deshalb helfen wir vor Ort.
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Meine Damen und Herren, ich könnte vieles aufzählen: 800 Millionen Kinder können derzeit nicht zur Schule gehen. Sie bekommen kein Schulessen. Fehlende Medikamente gegen Aids, Tuberkulose oder Malaria führen dazu, dass durch den Lockdown 2 Millionen Menschen zusätzlich sterben, zusätzlich zum Virus.
Notwendig ist ein globales Krisenmanagement. UN-Generalsekretär Guterres wird nächste Woche hier sprechen. Ich möchte an der Stelle der UN, dem IWF, der Weltbank, UNICEF und vielen anderen danken, die sofort und entschieden gehandelt haben. Aber die bisherige weltweite Krisenreaktion bleibt weit hinter den notwendigen Maßnahmen zurück. Bei der humanitären Hilfe fehlen dieses Jahr 5 Milliarden Euro. Wir lassen verhungern. 15 000 Kinder verhungern täglich, weil wir zuschauen. Wir, die Weltgemeinschaft, wissen es, und wir helfen nicht. Das ist ein Skandal größten Ausmaßes.
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Für den Zugang zu Impfstoffen und für die Vorbereitung einer Impfkampagne fehlen in diesem Jahr 4,5 Milliarden Euro weltweit. 2021 und 2022 sind 35 Milliarden Euro notwendig. Der US-Verteidigungshaushalt wurde in diesem Jahr um 55 Milliarden erhöht. – Nur so viel zu der Frage, ob man sich das leisten kann. Ja, die Weltgemeinschaft muss sich das leisten, um 1 bis 2 Milliarden Menschen, auch in den Entwicklungsländern, zu impfen. Wir sind uns mit Bundespräsident Steinmeier einig: Wir müssen weltweit einen fairen und bezahlbaren Zugang zu Impfstoffen, auch für die Entwicklungsländer, sicherstellen. Dieses politische Signal muss eindeutig sein, von uns und von der Europäischen Union.
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– Ich danke Ihnen.
Wir tragen bereits dazu bei. Deutschland finanziert mit insgesamt 685 Millionen Euro den Aufbau von Covax und GAVI. Aber hier tun sich noch gewaltige Lücken auf. Alle Industriestaaten – die Golfstaaten, Amerika – müssen sich beteiligen. Aber auch Amazon, Apple, Google und Facebook müssen sich in einen privaten Fonds zur Finanzierung der Impfkampagnen in den Entwicklungsländern einbringen; denn das sind die großen Krisengewinner, die Milliardengewinne in der Coronakrise machen.
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Deutschland hat mit dem Coronasofortprogramm schnell und kompetent reagiert dank Ihrer Unterstützung, der Haushaltspolitiker hier im Haus. Wir sind hier vorausgegangen, nun müssen andere folgen. Ich halte es für fatal, dass die Europäische Union – und ich sage das immer wieder; denn wenige durchschauen den europäischen Haushalt – in dieser schwierigen Zeit für die nächsten sieben Jahre den Entwicklungsetat und die Mittel für Afrika, Graf Lambsdorff, absenkt. Absenkt! Das ist ein fatal falsches Signal.
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Meine Damen und Herren, die Weltbank, der IWF, die G 20 und unser Finanzminister haben schnell reagiert. Wir brauchen ein Schuldenmoratorium. Staatsbankrotte und der Zusammenbruch öffentlicher Ordnung müssen verhindert werden. Wir werden in vielen Fällen in den nächsten Monaten nicht um einen Schuldenerlass herumkommen.
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Ich möchte zum Schluss allen Fraktionen herzlich danken, besonders den Berichterstattern, dem Finanzminister und der Kanzlerin. Wir erreichen 2021 das 0,7-Prozent-Ziel. Wir setzen viele internationale Maßnahmen um. Ich möchte Ihnen sagen: Dieser Erfolg ist Ihr Erfolg, der Erfolg einer starken Gemeinschaft der Haushälter – fraktionsübergreifend –, der Entwicklungspolitiker hier im Haus, vieler Kolleginnen und Kollegen mit Herz, die die Not und das Elend draußen in der Welt und hier in Europa nicht kaltlassen. Dafür herzlichen Dank.
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Der nächste Redner ist der Abgeordnete Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir schon fast unangenehm, die Kuschelrunde hier heute zu unterbrechen. Aber wir sind nicht hier, um Freunde zu finden, wir sind hier, um Opposition zu machen für die Interessen unserer Bürger.
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Seit Ihrem Amtsantritt 2013 haben Sie den Entwicklungsetat auf 12,4 Milliarden Euro verdoppelt.
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Da ist die Frage: Für was wird dieses Geld eigentlich ausgegeben?
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Ein Beispiel: Über zwei Jahrzehnte hat Deutschland alleine an Afghanistan 3,2 Milliarden Euro Entwicklungshilfe fließen lassen. Aber die Großzügigkeit hat man uns Deutschen nicht gedankt. Die von deutscher Entwicklungshilfe errichteten Neubauten funktionierten die Taliban kurzerhand zu Koranschulen und in einem Fall sogar zu einer Kaserne um. Sie hören richtig, meine Damen und Herren: Von deutscher Entwicklungshilfe werden Kasernen für Gotteskrieger und Terroristen finanziert.
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Jeder vernünftige Minister hätte nach so einer Nachricht die Entwicklungshilfe an Afghanistan beendet. Sie bezahlen weiterhin.
Nächstes Beispiel – ich bringe das immer wieder –: Neben 8,5 Millionen Euro für LED-Lampen in marokkanischen Moscheen bezahlt der deutsche Steuerzahler jetzt in Sierra-Leone fast 300 000 Euro für eine Kampagne gegen offenen Stuhlgang. – Sie hören richtig, meine Damen und Herren, wir bezahlen dafür, dass in Afrika Menschen beigebracht wird, die Toilette zu benutzen.
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Das ist Irrsinn!
Prägend für diese Politik ist auch Ihr Stil. Ich denke an die Abendveranstaltungen mit Supermodels, an Auftritte in Kochsendungen, bei denen Minister Müller erzählt, wie er den König von Marokko beeindruckt, oder Buchvorstellungen im Berliner Zoo vor dem Pandagehege. Was sich wie das Mittagsprogramm von RTL2 anhört, ist die absurde Realität in dieser Regierung.
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Da passt es gut ins Bild, wenn die „Bild“-Zeitung titelt – Zitat –: „Nach Afrika ließ er sich Schwarzbrot einfliegen“. Zitat Ende. Im Ausschuss haben Sie die Anwürfe, dass für Sie Schwarzbrot nach Afrika eingeflogen wurde, bestritten. Trotz Ihres Dementis haben Sie aber bis heute dagegen keine rechtlichen Schritte eingeleitet, Herr Müller.
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Da bekommt „Brot für die Welt“ eine völlig neue Bedeutung.
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Ihr Kollege Maas hat heute die AfD und uns eine Ansammlung unzufriedener Deutscher genannt. Wir sind unzufrieden, unzufrieden mit Ihrer Politik. Und an die Adresse von Herrn Maas: Lieber eine Ansammlung unzufriedener Deutscher als eine Ansammlung vaterlandsloser Gesellen.
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Für die SPD hat das Wort die Kollegin Sonja Amalie Steffen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Herr Minister Müller, Sie haben am Rande der Bereinigungssitzung von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Grafik geschenkt bekommen, die sogenannte Müller-Welle. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere von uns hier im Haus noch an eine andere Grafik, die wir nicht so schön fanden. Das war die Niebel-Delle, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
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2009 bis 2013 war eine schlimme Zeit für die Entwicklungszusammenarbeit. Aber wir haben das Gott sei Dank überwunden, und das ist – wir haben es heute schon mehrfach gesagt – wirklich auch Ihnen zuzuschreiben, Herr Minister Müller. Der Etat der Entwicklungszusammenarbeit ist in der Tat seit 2013 verdoppelt worden, von 6,3 Milliarden auf 12,4 Milliarden Euro, und das ist sehr schön.
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Hand aufs Herz: Ich habe schon in der ersten Lesung gesagt – und Sie haben das ja auch bestätigt –, dass vieles auch der SPD-Bundestagsfraktion zu verdanken ist,
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vieles aber auch den wirklich fleißigen und sehr engagierten Fachpolitikerinnen und ‑politikern, auch denen von der Opposition, den fleißigen Haushälterinnen und Haushältern selbstverständlich auch. Ich möchte den Dank an den Anfang meiner Rede stellen. Ich will mich bei meinen Mitberichterstattern, allen voran bei dem Hauptberichterstatter Michael Leutert, aber auch bei Anja Hajduk und Michael Link für die gute Zusammenarbeit herzlich bedanken. Mein besonderer Dank gilt natürlich – Sie können es sich vorstellen – meinem Kollegen Carsten Körber. Wir haben in den letzten drei Jahren wirklich viel zusammengehockt, gemeinsam mit unserem Team. Ich glaube, wir haben etwas sehr Gutes erreicht, auch wir beide. Deshalb mein herzliches Dankeschön an dieser Stelle für die tolle Zusammenarbeit.
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Ich möchte ein paar Punkte des Haushalts besonders herausstellen.
Wir stärken mit diesem Haushalt 2021 die Zivilgesellschaft, indem wir die Mittel zur Unterstützung der Projekte der Kirchen, der Stiftungen, der Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft und der privaten Träger erhöhen und die Förderung der Medien noch einmal mit 5 Millionen Euro mehr unterstützen. Es ist sehr wichtig, gerade in der heutigen Zeit, dass wir weltweit eine mediale Verbreitung haben, die für die Menschen vor Ort verständlich ist. Das hilft an vielen Stellen.
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Ich freue mich besonders über einen vielleicht unscheinbar daherkommenden, aber sehr wichtigen Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses. Wir fordern in diesem Maßgabebeschluss eine Reform der Vergabekriterien. Was steckt dahinter? Die meisten von Ihnen wissen das: Viele NGOs kommen oft zu uns und sagen: Die Zivilgesellschaft muss unbürokratischer arbeiten können. – Jeder von uns, der vielleicht einmal versucht hat, als Mitglied eines Vereins an Gelder von Bengo/Engagement Global zu kommen, der weiß, Herr Minister, dass das unglaublich schwer ist, gerade wenn die Vereine keine großartige Verwaltung haben, die unterstützt. Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen einen Maßgabebeschluss, in dem festgelegt ist, dass wir die Vergabekriterien entbürokratisieren und vereinfachen. Wir haben uns wirklich ein sehr, sehr schwieriges, aber erreichbares Ziel gesetzt, das wir noch in dieser Legislaturperiode durchsetzen wollen. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden dem Ministerium auf die Finger schauen, damit das auch wirklich funktioniert und es wirklich zu einer Vereinfachung kommt.
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Wir von der SPD-Bundestagsfraktion haben uns in den vergangenen Jahren dafür kritisiert – Sascha Raabe hat es immer wieder betont –, dass wir den ärmsten Ländern der Welt, den sogenannten LDC, zu wenig Beachtung schenken. Auch im Hinblick darauf haben wir in diesem Haushalt noch einmal richtig was erreicht. Wir haben nämlich im parlamentarischen Verfahren einen eigenen Titel für die LDC über 50 Millionen Euro geschaffen. Darüber freuen sich nicht nur die NGOs, sondern vor allem die ärmsten Länder der Welt wie beispielsweise Kongo oder Südsudan. Wir erhöhen außerdem die deutschen Beiträge für den LDC-Fonds um 25 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro jährlich.
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Ein weiterer wichtiger Punkt ist die multilaterale Zusammenarbeit. Ja, es stimmt: Der Fokus in diesem Haushalt liegt aus unserer Sicht vielleicht etwas mehr auf der bilateralen Zusammenarbeit – das hat mein Kollege Carsten Körber schon erklärt –, aber wir von der SPD-Bundestagsfraktion haben auch dafür gesorgt, dass die multilaterale Zusammenarbeit nicht zu kurz kommt. Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch einmal die Mittel für UN Woman und UNDC erhöht; dies vielleicht als kleiner Hinweis an Frau Baerbock, die heute Morgen gesagt hat, dass genau bei diesen beiden Titeln die Mittel verringert worden seien. Da muss sie sich irgendwie mit den Vorzeichen vertan haben.
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Darüber hinaus haben wir in diesem Haushalt den Beitrag für die Globale Bildungspartnerschaft auf 75 Millionen Euro erhöht.
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Ich sehe Christoph Matschie, der sich wirklich so sehr für diese Bildungspartnerschaft einsetzt. Ich will Ihnen mal sagen, warum das so toll ist: Wir sind bei 7 Millionen Euro gestartet; das war, glaube ich, 2013. Jetzt sind wir bei 75 Millionen Euro. Was schaffen wir eigentlich mit dem Geld, das wir zur Verfügung stellen? Ich habe GPE einmal gebeten, uns einen Impact auszurechnen: Wir finanzieren damit 40 000 Lehrkräfte, wir finanzieren damit 7 Millionen Schulbücher, und wir können damit 1 409 Klassenzimmer bauen. Letztendlich ist es so, dass wir bis 2025 knapp 1 Million Schülerinnen und Schüler zusätzlich unterrichten können.
Ich komme zum Schluss, letzter Punkt, ein Satz: Ich freue mich über die Mittel für die Impfallianz, mit denen die weltweite Bereitstellung von Impfstoffen gefördert wird. Daran müssen wir denken. Das haben Sie, Herr Müller, und das hat auch die Kanzlerin heute Morgen gesagt. Carsten Körber hat schon angesprochen, dass der Einzelplan 60 dafür hoffentlich zur Verfügung steht. Wir kämpfen dafür.
Allerletzter Satz: Wir brauchen noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz.
Herzlichen Dank.
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Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege Michael Link.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Steffen, Kollege Körber, Kollege Leutert, Kollegin Hajduk, ich greife den Dank an unseren Hauptberichterstatter Michael Leutert auf: Es war wirklich eine Freude, mit dir zusammenzuarbeiten. Es hat sich gezeigt, dass wir, auch wenn wir wirklich mal streiten wie die Kesselflicker – und in dem Bereich gibt es inhaltlich viel zu streiten –, es dennoch fair hinbekommen haben, auch im Hinblick auf die Zahlen. Das war wichtig, und dafür Danke.
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Wir haben in der Tat in der parlamentarischen Phase einiges erreicht. Kollegin Steffen, Sie haben die Least Developed Countries extra erwähnt. Unseren Fachpolitikern ist es ganz wichtig, dass wir da mehr tun. Wir haben dem, was diesbezüglich im parlamentarischen Verfahren beschlossen wurde, bewusst zugestimmt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Der Haushalt erreicht auch dieses Jahr wieder eine Rekordmarke. Er ist in der Bereinigungssitzung nicht mehr gestiegen; das musste durch Umschichtungen erreicht werden.
Ich möchte aber noch einmal auf einen prinzipiellen Punkt eingehen, der mich da schon ein bisschen umtreibt. Der Minister hat vorhin eine Herleitung mit „sozial“ und „christlich“ versucht. Das alles ist etwas, was wir Liberale natürlich teilen, aber ich würde einen Schritt weitergehen. Wir als Liberale gehen vom zentralen Wert der Menschenrechte und der Menschenwürde aus. Selbstverständlich ist es wichtig – deshalb machen wir Entwicklungspolitik –, zu helfen – zum Beispiel durch Nothilfe, auch wenn das gar nicht speziell durch das BMZ geschieht – und Leid zu lindern. Es geht aber um mehr.
Da Sie Herrn Niebel angesprochen haben: Er hat diesen Aspekt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mehr berücksichtigt. Das Ministerium heißt eben Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Lassen Sie es mich deutlich sagen; denn das muss man auch vor der Öffentlichkeit klar herausarbeiten: Bei diesem Punkt, wie wir Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit im Vergleich zu anderen Teilen des Hauses sehen, gibt es teilweise fundamentale Unterschiede. Uns kommt es darauf an, den Menschen wirklich eigene Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, auf Augenhöhe – und nicht nur mit einem Hilfsreflex.
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Deshalb ist dieses neue Abkommen mit Afrika so wichtig. Afrika ist ein Chancenkontinent. Es geht nicht nur darum, den armen Afrikanern zu helfen, sondern es geht darum, dass wir als Europäer uns wirklich für Afrika öffnen, für das, was die dort können – vielleicht sogar innovativer und besser als wir. Es geht also um Augenhöhe und den Respekt vor der Menschenwürde: nicht nur helfen, sondern den Partner so ernst nehmen, dass man ihm zum Beispiel auch einen Marktzugang bei uns ermöglicht.
Bei diesen Punkten würden wir gerne weiter gehen als Sie. Wir sind multilateral unterwegs – deshalb sind wir auch so stark; da sind wir vielleicht wieder näher beisammen. Wir glauben eben an die Effizienz der internationalen Organisationen, die gewisse Dinge besser können als jeder einzelne Staat selbst.
Das gilt übrigens auch für das Lieferkettengesetz. Wieso wir jetzt unbedingt selbst national eines machen müssen und dadurch vielleicht sogar einen EU-Verdrängungswettbewerb haben, anstatt uns in der EU auf etwas zu einigen, hat sich mir noch nicht erschlossen. Deshalb: Darüber, wie so ein Lieferkettengesetz aussehen könnte, werden wir auch mit Sicherheit trefflich streiten, ganz intensiv. Das ist heute nicht die Hauptdebatte, aber eines ist für uns klar: Wir wollen das europäisch und nicht national, weil es dann zu Verdrängungseffekten kommt.
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– Wenn wir immer sagen: „Europäisch klappt doch nie“, dann hätten wir niemals so was wie den europäischen Binnenmarkt oder wie jetzt – ich hoffe, dass er durchgeht – den gemeinsamen europäischen Rechtsstaatsmechanismus hinbekommen.
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Ja, der Haushalt hat zunächst mal einen Rekordwert, aber ein Problem dieses Haushalts ist eben: Es geht nach dem Motto „Abflussschnelligkeit vor nachhaltiger Wirkung“. Deshalb kritisieren wir diesen Punkt ganz deutlich. Wir wollen die Mittel lieber in Haushaltsmaßnahmen stecken, die nachhaltiger sind, auch wenn es manchmal ein bisschen länger dauert, bis die Gelder ausgegeben werden können.
Deshalb kritisieren wir zum Beispiel solche Projekte wie die Sonderinitiativen oder auch ganz neue Projekte des Ministers, wie zum Beispiel die Gründung von privatrechtlichen Stiftungen, die mit großzügigen Bundeszuschüssen gefördert werden und – der Rechnungshof hat darauf hingewiesen – bei denen nicht klar ist, was später daraus wird und wer die haushaltsrechtlichen Risiken für diese Stiftungen trägt.
Also: Viele Dinge sind sicherlich gut gemeint, aber man kann trefflich darüber streiten, ob sie auch gut gemacht sind.
Im Schneckentempo geht leider auch die Zusammenarbeit zwischen BMZ und AA voran. Da ist vieles noch verbesserungsfähig. Was bisher geschehen ist, ist auf Druck des Parlaments erfolgt. Auch die neue Länderliste des BMZ, die erarbeitet wurde, ist nicht richtig gemeinsam erarbeitet worden. Sie stellt viele – auch Durchführungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen – vor große Probleme.
Insgesamt bleibt uns heute also, diesen Etat in der heutigen Form abzulehnen, auch wenn wir viele einzelne Punkte sehen, wo es in die richtige Richtung gegangen ist – auch durch die parlamentarische Beratung.
Ich möchte mich, wie gesagt, noch einmal bei den Fachpolitikern – auch aus meiner eigenen Fraktion –, die mit vielen wichtigen, guten Initiativen gekommen sind, zum Beispiel dem Projekt „EU-Entwicklungsbank“ – das kommt demnächst –, und natürlich bei den Haushältern bedanken.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Als Nächstes hat das Wort die Abgeordnete Helin Evrim Sommer, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Minister Müller, es tut mir leid, aber ich muss Sie jetzt auch noch einmal loben. Unter Ihrer Regie – es ist tatsächlich so – stieg der Entwicklungsetat von knapp 9 Milliarden Euro im Jahre 2018 auf satte 12,4 Milliarden Euro für das kommende Jahr.
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Bevor Sie jetzt aber vom Schulterklopfen blaue Flecken bekommen, riskieren wir einen Blick in die Zukunft; denn aus der mittelfristigen Finanzplanung ist ablesbar, dass der Entwicklungsetat ab 2022 um 3 Milliarden Euro dramatisch sinken wird. Wundern Sie sich also bitte nicht, dass wir mit einem eigenen Entschließungsantrag gegensteuern wollen – aus gutem Grund.
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Binnen eines Jahres stieg die Zahl der weltweit Hungernden von 690 Millionen auf 820 Millionen. Das verlangt den Ländern des Südens Unmenschliches ab. Für uns als Linksfraktion ist das eine Aufforderung zum Handeln. Erhöhen wir den Sockelbetrag des deutschen Beitrags für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen auf 450 Millionen Euro
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– auf 450 Millionen Euro dauerhaft –,
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und kommen wir damit endlich unserem Versprechen näher, 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die ärmsten Länder der Welt im Kampf gegen Hunger und extreme Armut auszugeben! Das muss es uns wert sein.
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Wir stehen auch noch vor weiteren Herausforderungen. Das Covid-19-Virus hat sich ausgebreitet. Mehr als 63 Millionen Menschen haben sich angesteckt, über 1,5 Millionen coronainfizierte Menschen sind bereits gestorben. Die ärmeren Länder des Südens haben am wenigsten Widerstandskraft dagegen. Sie brauchen Unterstützung; wir können ihnen diese Unterstützung geben.
Es besteht die Chance auf einen wirksamen Impfstoff. „Und das natürlich aus Deutschland“, mögen die Abgeordneten der AfD frohlocken. „Mal wieder nicht nachgedacht“, sagen wir. Wir als Linksfraktion freuen uns nämlich über Ugur Sahin und Özlem Türeci. Das Ehepaar, das BioNTech gegründet hat, hat alles stehen und liegen lassen, um einen Impfstoff gegen das Covid-19-Virus zu entwickeln. Das haben sie jüngst vor der UN-Vollversammlung erklärt.
In der Vielfalt der unterschiedlichen Talente liegt die wahre Innovationskraft.
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Die Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen hierhergekommen sind, tragen seit Langem dazu bei. Deutschland ist eben ein Einwanderungsland und muss es natürlich auch weiterhin bleiben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, einen Impfstoff-Nationalismus darf es bei der Pandemiebekämpfung nicht geben;
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denn wie Minister Müller auch hier noch einmal richtig gesagt hat: Corona besiegen wir weltweit oder eben gar nicht. – In dem Fall wäre ich natürlich lieber für weltweit. „Global Solidarity“ statt „Germany first“!
Vielen Dank.
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Der nächste Redner: für Bündnis 90/Grüne der Abgeordneter Ottmar von Holtz.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einen Punkt anzusprechen, der in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt, nämlich die Kohärenz in der Friedenspolitik. Tun wir wirklich alles, um das ganze Potenzial der zivilen Krisenprävention und des zivilen Konfliktmanagements auszuschöpfen? Vor allem in finanzieller Hinsicht ist das BMZ immerhin der größte Beitraggeber zur zivilen Krisenprävention. Zuständig dafür, dass zivile Krisenprävention gelingt, sind aber viele weitere Ressorts.
Die besten Programme des BMZ zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Armutsbeseitigung nutzen zum Beispiel niemandem etwas, wenn wir diese gleichzeitig mit unfairen Handelsverträgen konterkarieren. Die Folgen des Klimawandels, der Kampf um Acker- und Weideflächen, der Kampf ums Wasser, alles das schafft Konflikte. Viele Konflikte können mit vergleichsweise kleinem Aufwand gewaltfrei gelöst werden, wenn man sich ihnen frühzeitig widmet. Ich konnte in diesem Jahr noch vor Corona ein von der GIZ unterstütztes Projekt der Friedensmediation in Kenia kennenlernen. Hochprofessionell werden in der Region Mombasa kleine Brandherde gelöscht, bevor sie zu großen, gewaltsamen Krisen heranwachsen, die nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden können.
Deutschlands Kapazitäten für Friedensarbeit sind riesig. Hunderte Initiativen und Organisationen sind in der Friedensarbeit aktiv. Jahr für Jahr bilden wir an deutschen Hochschulen Menschen in Friedens- und Konfliktforschung aus. Nutzen wir doch dieses Potenzial, um Deutschlands Ansehen als verlässlichem Mittler in vielen Ländern Nachdruck zu verleihen und noch viel stärker als Friedensmediator wahrgenommen zu werden!
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Unsere Änderungsanträge zugunsten der zivilen Krisenprävention haben die Koalitionsfraktionen leider reflexartig abgelehnt, vermutlich nur, weil sie aus der Opposition kamen.
Herr Minister, im Frühjahr haben Sie uns im Ausschuss Ihre Pläne zu BMZ 2030 vorgestellt. Nach fast einem Dreivierteljahr der Beratungen im Ausschuss gibt es immer noch viele offene Fragen. Ihre Pläne wurden im Vorfeld nicht mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt, Partnerländer wurden von Ihren Plänen nicht unterrichtet. In vielen Ländern Lateinamerikas ist Deutschland das anteilig größte Geberland, und doch streichen Sie diese Länder wegen angeblicher Geringfügigkeit von der Liste. Herr Minister, das geht so nicht!
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Sie ziehen sich aus der Unterstützung vieler sogenannter LDC zurück, also der ärmsten Länder, aus den bilateralen Bildungs- und Gesundheitsprojekten, ohne sicherzustellen, dass dies von anderen übernommen wird. Ich bin gespannt, wie der neue LDC-Topf, den Sie nun in den Beratungen noch eingefügt haben, wirken wird. Sie begründen die Streichung von Ländern mit mangelnder Rechtsstaatlichkeit, halten aber an Ländern wie Ägypten, Togo und Algerien fest. Das alles ist schwer nachvollziehbar und nicht konsistent, Herr Minister.
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Schließen möchte ich mit einem Appell an Sie, Herr Minister Dr. Müller: Setzen Sie endlich das Thema Inklusion in der Entwicklungszusammenarbeit auf die Tagesordnung! Leitgedanke der Nachhaltigkeitsagenda 2030 der Vereinten Nationen ist immerhin „Leave no one behind“: Das heißt, vor allem diskriminierte und vulnerable Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Auf unsere Anfragen im Zuge der Haushaltsberatungen haben Sie uns berichtet, dass von 1 540 Vorhaben der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit gerade mal zwei Vorhaben behindertenspezifisch sind. Das ist richtig, richtig wenig. Private Träger setzen zwar mehr Maßnahmen um; in der Summe aber ist das eine klare Absage an Inklusion. Da haben wir richtig Nachholbedarf.
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Ja, der BMZ-Haushalt steht in der Summe gut da, aber im Detail, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, gibt es leider noch sehr, sehr viel Nachbesserungsbedarf.
Vielen Dank.
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Der Nächste ist der Kollege Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man hier als 13. Redner steht, dann sind schon ziemlich viele Zahlen genannt, ziemlich eindrucksvolle und hohe Zahlen, die ja auch zu Recht bereits gelobt wurden. Aber ein bisschen stellt sich die Frage: Wann ist denn ein Haushalt gut? Ist ein Haushalt gut wegen der Zahlen oder vielleicht nur wegen der Ästhetik des Druckes? Ganz bestimmt nicht. Es ist doch die Frage, ob ein Haushalt dem dient, was wir wollen, ob er Antworten auf aktuelle Fragen gibt.
Das Erste ist: Wir wollen Menschen Perspektiven, Chancen und Jobs geben. Das ist etwas, was ein ethisches Gebot ist. Das ist auch ein Stück christliche Verpflichtung. Das ist aber auch am Ende in unserem deutschen Interesse; denn wenn die Menschen dort, wo sie sind, keine Perspektiven haben, dann machen sie sich auf den Weg und suchen sich diese Perspektiven woanders. Vielleicht ist die AfD ja deswegen gegen einen Erfolg in der Entwicklungszusammenarbeit.
Und das Zweite ist: Wir wollen Schöpfung weltweit schützen und deswegen für Umwelt und Klima eintreten; denn wir wissen, dass Erfolg in Sachen Umwelt allein in Deutschland am Ende für unseren Lebensraum hier in Deutschland oder in Europa nicht genug ist. Deswegen ist es richtig, auch in diesem Bereich international viel zu machen.
Gemessen an diesen beiden Punkten, komme ich dann aber auch zum Ergebnis: Der BMZ-Haushalt ist sehr gut, 12,4 Milliarden Euro sind gut angelegtes Geld, so viel, wie wir vernünftigerweise ausgeben können. Und wir können glücklicherweise so viel ausgeben, weil wir uns in Deutschland in den letzten Jahren mit solider Haushaltspolitik den finanziellen Spielraum dafür geschaffen haben.
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Wir können im Übrigen einen Unterschied machen. Auch die Wirkung dieses Haushaltes liegt am Ende vor allen Dingen nicht an den Zahlen, sondern sie liegt natürlich vor allen Dingen auch daran, was wir tun. Der Kollege Hoffmann hat eben gesagt: Ja, das muss doch alles optimiert werden. – Ich wäre der Letzte, der behaupten würde, dass man da nichts optimieren kann. Es ist doch klar: In so einer großen Organisation und bei so viel Geld darüber zu reden und darum zu ringen, wo denn noch etwas zu verbessern ist, dafür sind wir ja auch hier. Nur, unterm Strich kommt sehr viel dabei heraus. Gerade deshalb ist Deutschland international sehr anerkannt. Ich will einfach wenige Punkte nennen, wo wir genau die Wirksamkeit im Blick haben:
Der erste Punkt. Natürlich ist für einen Erfolg in einem Land der dortige Rechtsrahmen, die Verlässlichkeit, ganz entscheidend. Deswegen haben wir die Idee der Reformpartnerschaften, dass also das Geld dort am besten aufgehoben ist und am meisten wirkt, wo auch die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden sind. Das bleibt ein Schwerpunkt unserer Arbeit.
Der zweite Punkt. Relevante Meinungsführer mit einzubeziehen, damit gute Ideen dann auch wirklich Schwung kriegen, ist eine vernünftige Idee. Und wenn man dafür kämpfen will, dass Energieeffizienz eine größere Bedeutung in den entsprechenden Ländern bekommt, dann macht es in einem islamischen Land schon Sinn, auch bei den Imamen anzupacken. Wenn die AfD das immer wieder hier benennt und belächelt, hier würden LED-Lämpchen in Moscheen in Marokko unterstützt, dann ist das doch Unfug. Der Gedanke dahinter ist vielmehr: Wir nutzen die Meinungsführer in diesem Land, um die Idee der Energieeffizienz im ganzen Land auszubreiten. Ich finde, das ist eine vernünftige Sache.
({1})
Ansonsten – man könnte noch eine ganze Reihe von Punkten nennen – will ich zum gesamten Haushalt vielleicht noch zwei Dinge sagen. Erstens. Der Haushalt beschränkt sich nicht auf den Einzelplan 23 – das hat der Kollege Carsten Körber ja eben deutlich gemacht –, sondern wir werden Chancen haben, für Gesundheit aus dem Einzelplan 60 weiteres Geld zu generieren, wenn es denn gebraucht wird. Dafür haben wir Haushälter Vorsorge getroffen.
Zweitens. Zu Recht wurde hier immer wieder die abknickende mittelfristige Finanzplanung beklagt, über die wir allerdings im Parlament ja gar nicht beschließen. Das ist die Vorgabe, die der Finanzminister uns hier mit auf den Weg gibt. Insofern wäre meine dringende Bitte an den Kollegen Raabe und auch an die Kollegin Steffen, eventuell mal mit Ihrem Kollegen, dem SPD-Bundesfinanzminister, zu reden; denn die gesamte Verantwortung für dieses Detail liegt nicht beim Parlament, sondern nur bei diesem Finanzminister.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Jetzt kommt der Abgeordnete Ulrich Oehme für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Minister Müller! Werte Damen und Herren! Fast 12,5 Milliarden Euro wird der Haushalt für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im nächsten Jahr betragen. Wenn man diese Zahl hört, klingt sie im Vergleich zu den Zahlen der anderen Ministerien und des Gesamthaushaltes von fast 500 Milliarden Euro eher gering. Wenn man sie aber vor dem Hintergrund sieht, dass damit erstens eine weitere geplante Ab- bzw. Aufgabe von staatlicher Kontrolle, Verantwortung und Nachvollziehbarkeit einhergeht und zweitens in diesem Land Unternehmer und Selbstständige – ich rede nicht von Großkonzernen – im nächsten Jahr in eine mehr als nur unsichere Zukunft blicken, erscheint diese Zahl als ein Schlag ins Gesicht für alle Steuerzahler. – Und, Herr Klein, auch dieser Haushalt ist mit durch eine Neuverschuldung finanziert, nicht nur aus Eigenmitteln.
Bei der Feuerwehr gilt der Grundsatz: „Erst Eigensicherung und dann die Rettung anderer!“ Unser Land durchlebt schwere Zeiten. Mit einem leeren Tankwagen können wir nicht löschen, Herr Minister. Anstatt jedoch die Wasserknappheit im Hinterland zu beheben, wie Löcher im Schlauch zu stopfen,
({0})
begrüßen Sie und jene, die Ihnen in diesem Hohen Haus nachlaufen, die Idee, die staatliche Entwicklungszusammenarbeit an immer mehr, immer kleinere, immer schlechter kontrollier-, evaluier- und sanktionierbare NGOs auszulagern.
({1})
Wir brauchen nicht mehr Projekte, mehr zivile Partner. Deutschland ist nicht verantwortlich für die Welt, sondern die Staaten sind verantwortlich für ihre Bürger. Erst wenn diese Eigenverantwortung übernehmen, kann Zusammenarbeit funktionieren und erfolgreich sein.
({2})
Wie bereits der Leiter des World Food Programme bestätigte, ist in vielen Entwicklungsländern derzeit nicht das Virus das größte Problem, sondern die Folgen des Lockdowns in diesen Ländern. In der Dritten Welt sterben durch den Lockdown 20-mal mehr Menschen an Hunger als an Covid. Was diesen Entwicklungsländern mehr als alle Schuldenschnitte, Sofortprogramme und sonstigen Einzelmaßnahmen helfen würde, sind die Wiederbelebung der deutschen und weltweiten Wirtschaft und damit das Ingangkommen der Lieferketten sowie die Wiederbelebung des Tourismus. Mit einem solchen reparierten Schlauch, ordentlichen Wasserreserven und effizienten Strukturen können wir dann auch wieder etwas zurückgeben und andere gezielt, zeitlich begrenzt und mit klaren Exit-Strategien unterstützen. Das wäre eine solide Art von Entwicklungszusammenarbeit.
Vielen Dank.
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Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Gabi Weber, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Bereits mit den Nachtragshaushalten für 2020 haben wir bewiesen, dass wir in dieser Krise solidarisch denken, sei es bei den Anpassungen des Kurzarbeitergeldes, bei den Hilfen für Unternehmen und Selbstständige, sei es bei Hilfen innerhalb der EU oder bei der internationalen Unterstützung im humanitären und entwicklungspolitischen Bereich. Die Koalition geht diesen Weg auch mit dem Haushalt 2021 trotz großer fiskalischer Herausforderungen weiter, um die Krise nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in anderen Weltregionen zu überwinden.
({0})
Diese wurden von der Pandemie und ihren mannigfaltigen Folgen oft noch wesentlich härter getroffen – menschlich, sozial und wirtschaftlich. Mit 12,4 Milliarden Euro legen wir erneut einen Rekordetat für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vor; viele haben es schon gesagt. Das machen wir jetzt seit sechs Jahren so, und das ist goldrichtig.
({1})
An dieser Stelle möchte ich auch unserem Finanzminister Olaf Scholz, obwohl er oft gescholten wurde, ausdrücklich danken; denn er hat bereits seit dem Frühjahr keinen Zweifel aufkommen lassen, dass wir die Pandemie nicht allein vor unserer Tür bekämpfen können, und entsprechende Mittel für die Unterstützung des globalen Südens bereitgestellt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen besonders die ärmsten Länder, die LDCs, mit 75 Millionen Euro zusätzlich. Davon sind 50 Millionen Euro jährlich für langfristige Projekte der Zivilgesellschaft in diesen Staaten vorgesehen. Für diese Arbeit brauchen wir auch zwingend starke, multilaterale Organisationen, die Wissen und Geld bündeln können, um so vor Ort spürbare Verbesserungen für die Menschen zu erzielen. Hier möchte ich an erster Stelle das World Food Programme nennen, das morgen in Oslo für seine Arbeit zur Bekämpfung des Hungers, der viel zu oft auch als Waffe eingesetzt wird, den Friedensnobelpreis erhält.
({3})
– Das ist einen Beifall wert. – Wir als Abgeordnete unterstützen diese wichtige Arbeit mit einem weiteren Aufwuchs der vorgesehenen Mittel um rund 22 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsentwurf. Ebenfalls steigern wir die Mittel – das ist eben auch schon angesprochen worden – für das UN-Entwicklungsprogramm und – das freut mich ganz besonders – für UN Women.
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Die SPD-Fraktion macht sich für multilaterales Handeln stark. Daher haben wir uns in den Haushaltsberatungen dafür eingesetzt, die im Regierungsentwurf gekürzten Ansätze in diesem Bereich wieder zurückzunehmen und das Geld nicht nur verstärkt in bilaterale Maßnahmen fließen zu lassen. Das ist uns leider nicht überall gelungen.
Ihnen, Minister Müller, möchte ich in diesem Zusammenhang die Frage stellen, wie sich die Kürzung der Titel für multilaterale Zusammenarbeit zugunsten der Titel für bilaterale Zusammenarbeit mit dem von Ihrem Haus vorgelegten Konzept „BMZ 2030“ und dessen kürzerer Länderliste verträgt. Uns wurde immer wieder versichert, dass wir kein Land im Regen stehen lassen und selbst da, wo wir rausgehen, multilaterale Partner und NGOs weiter vor Ort tätig sein werden. Das wird in der Praxis so nicht funktionieren, wenn man gleichzeitig die Mittel im multilateralen Bereich an verschiedenen Stellen zurückfährt. Das passt nicht zusammen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bereiten uns in Europa gerade auf nationale Impfkampagnen vor. Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass Millionen Menschen auf der Welt dasselbe Menschenrecht auf Zugang zu Medikamenten und Impfungen haben. Gesundheit ist kein Vorrecht reicher Gesellschaften.
({6})
Es muss deshalb klar sein, dass im vorliegenden Etat die Kosten für eine globale Impfkampagne noch nicht abschließend abgebildet sein können. Der Einzelplan 60 kann helfen; aber der Zugriff darauf muss sichergestellt werden, um auch globales Impfen möglich zu machen.
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Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss meiner Rede möchte ich auf ein Thema zu sprechen kommen, das meiner Fraktion und mir persönlich sehr am Herzen liegt. – Es kann doch jetzt nur noch das Lieferkettengesetz kommen.
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Breite Teile der Bevölkerung, viele Unternehmen und Parlamentarierinnen und Parlamentarier setzen sich für dieses Gesetz ein. Es ist daher nicht länger hinnehmbar, wenn durch die Blockadehaltung des Bundeswirtschaftsministeriums, gestützt durch einzelne Interessenverbände, dieses nicht den Weg durch das Kabinett zu uns ins Parlament findet. Das ist ein unerträglicher Zustand.
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Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich erinnern, dass wir vor acht Jahren eine ähnliche Diskussion hatten; damals ging es um den Mindestlohn: Ein Monster für die Betriebe, die Wettbewerbsfähigkeit wird beeinträchtigt. – Der Mindestlohn ist da, und er ist ein Segen für viele Menschen.
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Das Gleiche gilt für das Lieferkettengesetz.
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In vielen Ländern stehen gut ausgebildete Unternehmerinnen und Unternehmer bereit, um mit ihren Ideen und ihrem Können ihre Investitionen und Ideen unter fairen Wettbewerbsbedingungen umzusetzen. Viele Firmen bei uns wünschen sich, dass ihre Anstrengungen, fair und nachhaltig zu produzieren, vor Dumpingwettbewerb und schwarzen Schafen geschützt werden. Genau dafür brauchen wir das Lieferkettengesetz. Also: Blockade beenden und machen!
Vielen Dank.
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Es macht sich auf den Weg der Vorsitzende des Ausschusses, Dr. Peter Ramsauer. – Es ist angerichtet; bitte schön.
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Hochverehrter und lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Bundesminister Gerd Müller! Es ist schon viel gedankt worden. Aber, wie gerade vom Herrn Präsidenten erwähnt, als Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist es mir bei der Gelegenheit, im Rahmen der Haushaltsdebatte zu reden, schon ein Bedürfnis, ein herzliches Dankeschön zu sagen für die wirklich hervorragende überfraktionelle Zusammenarbeit in unserem Ausschuss. Das gilt für alle Fraktionen, die im Ausschuss vertreten sind.
Natürlich merkt man bei den Beratungen, wer sich gegenseitig besonders gerne in den Haaren liegt; aber das Versöhnliche überwiegt doch immer wieder. Vor allen Dingen eint uns das Große und Ganze, die großen Ziele, die wir verfolgen, und es ist etwas ganz Natürliches in einer parlamentarischen Demokratie, dass die Wege dorthin unterschiedlich gesehen werden.
Ich habe vor knapp 30 Jahren, im Januar 1991, als ganz junger Abgeordneter in diesem Ausschuss begonnen. Ich werde meine parlamentarische Karriere nicht in diesem Ausschuss beenden. In diesem Zusammenhang: Lieber Minister, lieber Gerd Müller, du hast ja angekündigt, dass du dem deutschen Parlament in der nächsten Legislaturperiode den Rücken kehren wirst. Aber wir wissen ja auch, wo dein Weg hinführt, nämlich nach Wien zur UNIDO, wenn du als deutscher bzw. als EU-Kandidat gewählt wirst. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause alle miteinander, über alle Fraktionen hinweg, einig, dass wir deine Kandidatur mit allen Kräften unterstützen. Denn wir sind stolz darauf und können nur erwarten und erhoffen, dass damit das erste Mal ein Europäer und noch dazu ein Deutscher dieses verantwortungsvolle Präsidentenamt bei der UNIDO übernimmt. Wir wünschen dir von Herzen auf diesem Weg alles Gute.
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Mir tut es natürlich auch leid, dass so viele, wie du, Gerd, ausgeführt hast, den Ausschuss verlassen werden. Ich habe bereits gesagt: Ich werde bleiben. Und weil mich der Florian Post gerade ansieht: Auch der hat mir das zugesagt. Insofern blicke ich mit großer Freude auf die Zukunft unserer Arbeit.
Weil ich gerade mit einem historischen Längsschnitt durch die parlamentarische Arbeit angefangen habe: Lieber Minister, lieber Gerd Müller, man kann dich in der Tat als Glückspilz bei Bundeshaushaltsfragen bezeichnen. Wir haben in Haushaltsangelegenheiten und gerade beim Einzelplan 23 schon ganz andere Zeiten erlebt. Ich kann mich hervorragend an die Zeit erinnern, als die von mir hochgeschätzte Heidemarie Wieczorek-Zeul Ministerin war. Sie war es ab 1998. Aber in den Jahren 2005 bis 2009 durfte ich als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe bei den Haushaltsklausuren des Kabinetts schon immer dabei sein. Volker Kauder, du warst damals als Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion auch dabei.
In diesen Jahren hat Heidemarie Wieczorek-Zeul wie eine Löwin gekämpft
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um Beträge in Höhe von 5 Millionen Euro, 10 Millionen Euro, bei Haushalten immer in einer Größenordnung von 4 Milliarden bis dann im Jahr 2009 von 5,8 Milliarden Euro. Da habe ich mir immer gedacht: Respekt, wie diese Frau sich hinstellt. Und du stehst da in wirklich guter Tradition, lieber Gerd. Ich freue mich über die 12,4 Milliarden Euro, die wir da jetzt eingestellt haben.
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Und weil der Kollege Münz eingangs gesagt hat, das sei ein Wahnsinnsaufwuchs gegenüber der ursprünglichen mittelfristigen Finanzplanung von ungefähr 9 Milliarden Euro auf jetzt 12,4 Milliarden Euro: Eine der unzähligen Erfahrungen, die man in der Entwicklungszusammenarbeit macht, ist, dass wir die Mittel natürlich verstetigen müssen. Wir können nicht von einem Jahr zum anderen leben, und Projekte können natürlich insgesamt nur erfolgreich sein, wenn diejenigen, die diese Projekte voranbringen und tragen, die sie planen, dann durchführen und erst nachhaltig machen und zum Erfolg bringen, in den weiteren Jahren auch fest mit Geld rechnen können.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein herzliches Dankeschön an die vielen Organisationen richten, die unsere Entwicklungszusammenarbeit tragen. Dazu gehören die ganz großen Organisationen, die wir alle kennen. Dazu gehören aber auch viele kleine Organisationen, deren Engagement wir nicht unterschätzen dürfen und die unserer Hilfe bedürfen.
Ich nutze traditionsgemäß jede Gelegenheit, wenn ich hier am Rednerpult stehe, meinen Wahlkreis zu erwähnen. Hier fallen mir sofort zwei private Organisationen ein: der Pfarrverband Seeon im Chiemgau, der übrigens in Malawi tätig ist, und die Ostafrikahilfe in Traunstein. Und damit es von Nord nach Süd ausgeglichen ist: der Lions Club Hannover, der beispielsweise in Sri Lanka eine Geburtsstation betreibt. Die Kleinen dürfen wir neben den ganz Großen nicht außer Acht lassen.
Aus meiner Tätigkeit in vorhergehenden Ämtern, zum Beispiel als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, aber auch aus meiner Zeit als Bundesverkehrsminister, weiß ich, wie wichtig es ist, die Wirtschaft in internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit einzubeziehen. Dass von 3,6 Millionen deutschen Unternehmen nur ganze 1 000 in Afrika engagiert sind, lieber Gerd Müller – –
Herr Kollege, es wird Zeit, die Stimme zu senken und zum Ende zu kommen.
Das dachte ich mir, lieber Herr Präsident. Ich sehe das auch gelassen: keine Rede im Bundestag von mir in 30 Jahren, in der mich der jeweilige Präsident nicht darauf aufmerksam gemacht hätte.
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Aber ich lerne es auch nicht mehr und will es auch gar nicht lernen.
Ich wollte nur sagen: Ohne den Einbezug der Wirtschaft, der deutschen Wirtschaft, der Unternehmen in Deutschland, werden wir unsere Ziele nicht erreichen. Deswegen werbe ich sehr dafür, dass die Kammerorganisationen, die AHKs, auch spiegelbildlich die Wirtschaftskammern anderer Länder in Deutschland ordentlich einbeziehen.
In diesem Sinne wünsche ich unserer gemeinsamen Arbeit weiterhin von Herzen alles Gute.
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So. Jetzt der letzte Redner: der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU-Fraktion.
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Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Nach dem Ausschussvorsitzenden ganz zum Schluss noch zu sprechen, lieber Kollege Ramsauer, ist natürlich eine besondere Ehre. Du hast darauf hingewiesen, wir hätten überwiegend gut interfraktionell zusammengearbeitet. Ich muss zu Beginn leider doch noch mal an die Ausführungen des AfD-Abgeordneten Frohnmaier erinnern; das kann ich mir selber leider auch nicht ersparen.
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Ich würde übrigens auch niemals irgendjemandem empfehlen, einen Beitrag der AfD in der Debatte anzuhören; aber ausgerechnet dieser Beitrag ist nun wirklich besonders gut geeignet, um die verächtliche Kälte den Ärmsten gegenüber, die aus den Ausführungen deutlich spricht, um das wahre Gesicht der AfD zu zeigen. Also das sollten Sie sich ruhig noch mal anhören.
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Katzbuckeln Sie ruhig weiterhin im Kreml. Sie werden die Unterstützung von dort dringend brauchen. Hoffen Sie aber nicht, dass Sie mit Unterstützung des Kremls unsere Gesellschaft spalten.
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Jetzt komme ich zur Sache. Ich will den Bogen spannen, lieber Kollege Körber: 1 000 Milliarden Euro in zwei Jahren, davon 400 Milliarden Euro Schulden. Wir sind fest überzeugt: Wir wollen diese Schulden in absehbarer Zeit zurückzahlen und nicht folgenden Generationen überlassen. Und wir wollen die Schuldenbremse wieder einführen. Beide Dinge sehen die Fraktionen der Linken und der Grünen in Teilen nicht so. Wir wollen das aber, weil wir davon überzeugt sind, dass auch das – damit komme ich zum Thema des Haushaltes – zur Nachhaltigkeit gehört.
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Es ist nämlich das Prinzip der Nachhaltigkeit, künftigen Generationen die Möglichkeit zur eigenen Entwicklung zu lassen.
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Lieber Minister Müller, lieber Gerd, ich möchte noch einmal meine Wahrnehmung zum Ausdruck bringen, was dein Engagement motiviert. Ich bin der festen Überzeugung, dass es auch deine christlichen Grundüberzeugungen sind, die dein Engagement tragen, dass es deine Überzeugung ist, dass wir in dieser einen Welt, die uns verantwortlich übertragen worden ist, deren Schöpfung uns verantwortlich übertragen worden ist, zusammenarbeiten müssen. Ich glaube, dass dich dieser Anspruch zur gerechten Globalisierung im Wesentlichen darin antreibt, mit den Ressourcen dieser Erde sorgsam umzugehen.
Liebe Frau Kollegin Hajduk, ich muss und darf Sie in diesem Sinne korrigieren. Allein im Jahr 2019 betrug der Anteil der Klimaschutzfinanzierung aus dem BMZ 4,3 Milliarden Euro. 500 Millionen Euro sind in diesem Jahr noch einmal dazu gekommen. Gerd Müller hat hart darum gekämpft. Insofern kann man sagen, dass der Schutz der Umwelt, der Natur, der Wälder, der Meere, der natürlichen Lebensgrundlagen, der Artenvielfalt im Zentrum der Aufgaben dieses Hauses steht. Dafür, lieber Gerd, bin ich dir sehr dankbar. Das wollen wir von dir als Verpflichtung in die Zukunft übernehmen.
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Wir haben mit den Kollegen den ganzen Tag in den Debatten des Auswärtigen und der Verteidigung viel über Europa gesprochen; das war auch wichtig. Du hast zu Recht darauf hingewiesen, Minister Müller, dass wir im europäischen Etat zu wenig für dieses neu genannte Außeninstrument haben. Die Kanzlerin wird die Etats hoffentlich abschließend beraten können in diesen sehr schweren Tagen, die vor ihr, vor dem Europäischen Rat mit der Blockade durch Ungarn und Polen liegen. Das ist sicher die größte Herausforderung unserer Ratspräsidentschaft. Wir müssen aber mehr tun, um europäisch besser koordiniert zusammenzuarbeiten.
Ich bin ganz sicher, dass der Weg – BMZ 2030 –, dass die Fokussierung auf eine begrenzte Zahl von Ländern, die auch zeigen, dass sie mit uns zusammenarbeiten wollen, richtig ist. Wir sollten diesen Willen gemeinsam haben. Dann können andere europäische Partner, die in anderen Ländern, in denen wir vielleicht nicht tätig sind, mehr, länger und tiefer Erfahrung haben, dort tätig sein. So stelle ich mir europäisch abgestimmtes Handeln vor. So stelle ich mir vor, dass wir in Zukunft, lieber Gerd, eine gemeinsame europäische Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg bringen.
Dir für deine zukünftigen Aufgaben alles Gute und uns, da, wo es gewünscht ist, weiter eine gute Zusammenarbeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache.