Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/25/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinen Ausführungen auf drei Punkte konzentrieren, auch angesichts der aktuellen Situation. Wir haben sicherlich alle miteinander wahrgenommen, dass sich mit der Wahl in den Vereinigten Staaten eine neue Chance für das transatlantische Verhältnis ergibt, eine Chance, die wir aber auch tatkräftig ergreifen müssen. Und gerade die Beratungen, die noch zur endgültigen Verabschiedung des Haushaltes anstehen, bieten dazu die Chance. Wir müssen insbesondere deutlich machen, dass wir an unseren Zusagen, etwa mit Blick auf den Verteidigungshaushalt, festhalten und dass wir wichtige und wegweisende Ausrüstungsprojekte auf den Weg bringen und auch ausfinanzieren. Das gilt vor allen Dingen auch im europäischen Kontext. Insofern darf ich auch berichten, dass wir gerade im zurückliegenden Rat der Verteidigungsminister auf europäischer Ebene eine positive vorläufige Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft in diesen Bereichen ziehen konnten und hier ein ganz wichtiger Schritt erreicht werden konnte. Der dritte Punkt, den ich gerne ansprechen möchte, ist die heutige Beschlussfassung im Kabinett zu einem Gesetzentwurf, in dem festgelegt ist, dass es mit Blick auf das erlittene Unrecht von homosexuellen Soldatinnen und Soldaten jetzt eine entsprechende Rehabilitierung geben soll. Ich hoffe, dass wir dieses Gesetz schnellstmöglich dem Bundestag zuleiten können, und hoffe auf Ihre Unterstützung, damit wir im nächsten Jahr die Betroffenen entsprechend rehabilitieren und auch entschädigen können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die erste Frage stellt der Kollege Jan Nolte, AfD.

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe eine Frage zu bewaffneten Drohnen. Leider können wir dieses Thema seit Wochen im Verteidigungsausschuss nicht besprechen, weil ein entsprechender Antrag der Linken zu dem Thema von der GroKo immer wieder von der Tagesordnung genommen wird – ein Antrag, den ich inhaltlich ablehne, der aber nach demokratischer Manier dennoch beraten werden sollte, denke ich. Wir haben meiner Meinung nach die große gesellschaftliche Debatte zu dem Thema „bewaffnete Drohnen“ jetzt geführt. Ich glaube, die Soldaten, die sich in den Auslandseinsätzen befinden aufgrund von Mandaten, die die Bundesregierung eingebracht hat, und die die Unterstützung bewaffneter Drohnen gut gebrauchen könnten, würden gerne wissen: Was ist die Position der Bundesregierung zur Beschaffung bewaffneter Drohnen?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Vielen Dank. – Sie wissen, dass das Verteidigungsministerium dazu eine ganz klare Position hat. Wir sind für die Bewaffnung von Drohnen, damit wir unsere Soldatinnen und Soldaten schützen können. Wir als Verteidigungsministerium sind vom Verteidigungsausschuss aufgefordert worden, die entsprechenden Verhandlungen so voranzutreiben, dass eine entsprechende 25-Millionen-Euro-Vorlage entscheidungsreif ist; das haben wir als Verteidigungsministerium getan. Diese 25-Millionen-Euro-Vorlage ist zurzeit abgesteuert an das Finanzministerium. Sobald es von dort grünes Licht gibt, werden wir sie dem Bundestag zuleiten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege?

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. – Vielen Dank so weit. Kann ich das so verstehen, dass in der Regierung Einigkeit besteht, was die Beschaffung bewaffneter Drohnen angeht?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

In dem Moment, wo das Finanzministerium, das ja vom Koalitionspartner geleitet wird, die 25-Milionen-Euro-Vorlage freigibt, können Sie davon ausgehen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich habe zwei Nachfragen von der Linken. – Bitte zuerst der Kollege Pflüger.

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Etwas ungewöhnlich, dass der Themenkomplex von der AfD angesprochen wird. ({0}) Wie gesagt wurde, haben wir inhaltlich dazu gerade einen Antrag im Ausschuss vorliegen, dessen Beratung von der Koalition immer wieder abgesetzt wird. Sie haben jetzt gesagt: „Wenn es vom Finanzministerium grünes Licht gäbe“. Wir haben gleichzeitig eine Haushaltsvorlage. Im Haushalt ist die Eurodrohne quasi eingepreist. Jetzt haben wir aus dem Haushaltsausschuss erfahren, dass statt der bisher 49 Millionen Euro für die Eurodrohne plötzlich 281 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt wurden. Hat das konkret auch etwas mit der Bewaffnung zu tun? Oder was ist genau der Grund, warum jetzt plötzlich die Summe dort um ein Vielfaches erhöht wurde? Wir halten es für problematisch, dass auf diesem Weg versucht wird, die Eurodrohne im bewaffneten Zustand einzuführen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Wenn wir über die Bewaffnung von Drohnen reden, reden wir zuerst einmal über die Bewaffnung von Drohnen, die wir jetzt schon haben. Beim Thema Eurodrohne sind die Mittel, die wir eingestellt haben, das Ergebnis dessen, was wir in dem viernationalen Projekt mit den beteiligten Firmen verhandelt haben und jetzt als unverrückbarer Preis und Kosten dazu auf dem Tisch liegt. Deswegen ist der Ansatz auch entsprechend erhöht worden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Neu, Sie haben auch noch eine Nachfrage?

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Verteidigungsministerin, es wurde gerade angesprochen: Die regierungstragenden Fraktionen haben jetzt wiederholt, zum vierten oder fünften Mal, einen Antrag der Linken zur Drohnenbeschaffung, die wir in Form dieses Antrages ablehnen, mit Verfahrenstricks vom Tisch gewischt. Offensichtlich möchten die beiden Fraktionen nicht, dass das im Plenum behandelt wird, damit nicht deutlich wird, wie sich der Rest des Bundestages dazu verhält, obwohl die Öffentlichkeit natürlich ein Anrecht darauf hat, zu erfahren, welche Parteien sich wie dazu verhalten. Meine Frage: Sind diese Verfahrenstricks zur Absetzung dieses Antrages mit Ihrem Haus in irgendeiner Weise abgestimmt?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, mit welchen Verfahren in den Ausschüssen im Bundestag generell agiert wird, ist Sache der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Ich gehöre diesem Haus nicht an; insofern steht mir auch nicht zu, darüber ein Urteil zu fällen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die Kollegin Strack-Zimmermann, FDP, hat auch noch eine Nachfrage.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, in der Tat: Sie gehören dem Haus nicht an. Trotzdem ist es ja von Relevanz, wenn CDU/CSU und SPD als tragende Fraktionen dieser Regierung offensichtlich nicht einer Meinung sind. Wann können wir konkret damit rechnen und glauben Sie, dass Sie die Sozialdemokratie noch vor dem Sommer 2021 davon überzeugen können, dass die Drohnen so wichtig sind, um unsere Soldatinnen und Soldaten, wie Sie es ausführten, zu schützen, und dass das kein Spiel ist, das aus internen parteitaktischen Gründen herausgezögert werden darf?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Ich weiß, dass sehr viele Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, auch aus den unterschiedlichen Fraktionen, der Auffassung sind, dass die Bewaffnung von Drohnen dem Schutz der deutschen Soldatinnen und Soldaten dient. Wir haben das getan, wozu uns der Verteidigungsausschuss aufgefordert hat, und die Verhandlungen in einen solchen zeitlichen Rahmen gesetzt, dass so schnell wie möglich eine Entscheidung getroffen werden kann. Aus Sicht des Verteidigungsministeriums sind wir an diesem Punkt angelangt. Wir warten, wie gesagt, jetzt auf grünes Licht vom Finanzministerium, damit die 25-Millionen-Euro-Vorlage zugeleitet werden kann. Es ist eigentlich geübte Praxis, dass eine solche Vorlage, wenn sie entscheidungsreif ist, dem Ausschuss zugeleitet wird, damit er darüber entscheiden kann. Insofern könnte aus meiner Sicht die Entscheidung relativ zeitnah fallen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Siemtje Möller, SPD.

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Ministerin, soeben hier im Plenum wie auch in Ihrer Grundsatzrede am 17. November 2020 an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg kündigten Sie an, einer Finanzierung von Großprojekten zulasten der Grundausstattung und Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten nicht mehr zuzustimmen. Die benötigte Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten liegt uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern besonders am Herzen; daher haben wir auch im Verteidigungsausschuss einen entsprechenden Antrag zur besseren persönlichen Ausstattung der Angehörigen der Bundeswehr eingebracht. Gleichwohl müssen wir feststellen, dass wir bei Großprojekten auch Mängel zu verzeichnen haben. Nach welchen Kriterien entscheidet das BMVg, welche Großprojekte weiter verfolgt, welche geschoben und welche gestrichen werden? Was heißt das insbesondere für die großen deutsch-französischen Vorhaben MGCS und FCAS?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Wir haben in einem Kabinettsbeschluss zu den Haushaltsentwürfen, die auch dem Bundestag zugeleitet worden sind, eine Reihe von Projekten benannt, die vor die Klammer gezogen wurden. Damit ist auch deutlich gemacht worden, dass diese Projekte sozusagen in der Gesamtverantwortung der Regierung gesehen werden, und darunter fallen auch die beiden großen deutsch-französischen Projekte MGCS und FCAS. Wir haben jetzt mit den Vorlagen zur Eurodrohne und zum Eurofighter, Tranche 1 – Ersatz – und Tranche 4, sowie zum Marine-Bordhubschrauber entsprechende Ausfinanzierungen vorgelegt. Wir werden uns über die Frage bodengebundener Luftverteidigung unterhalten müssen. Das ist nicht nur eine Frage der technischen Fähigkeiten mit Blick auf das Thema TLVS, sondern es bedarf einer Gesamtbetrachtung der unterschiedlichen Schichten – wenn Sie so wollen –, in denen Verteidigung stattfindet. Dazu gehören auch die Fragen, wo wir Fähigkeitslücken haben, wo wir in die Modernisierung gehen, wie wir in den internationalen Kooperationen stehen und wie das Ganze über die Zeitachsen finanziert werden könnte. Ich habe im Haushaltsausschuss angekündigt, dass ich diese Entscheidungsmatrix in den ersten Monaten des nächsten Jahres vorlegen werde. Eine zweite Großbeschaffung, Puma 2. Los, hängt insbesondere davon ab, wie weit wir mit der Einsatzbereitschaft und der Verbesserung beim 1. Los kommen. Diese Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Das sind zwei große Fragen, die wir im nächsten Jahr noch zu klären haben. Davon hängen auch Priorisierungen ab.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage, Frau Kollegin?

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe sogar zwei Nachfragen. – Wir reden schon hinlänglich lange über die Projekte MGCS und FCAS. Da gibt es zähe Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich. Erste Frage. Wir als Ausschussangehörige haben von der Sache bedauerlicherweise erst aus der Presse erfahren und waren entsprechend überrascht. Was passiert denn eigentlich, und welche Kriterien legen Sie an? Welche Auswirkungen halten Sie für absehbar, wenn es zu einem Scheitern von FCAS und/oder MGCS kommen würde, auch für das deutsch-französische Verhältnis? Zweite Frage. Es gibt eine ganze Reihe von Großprojekten, die – das muss man einfach festhalten – gescheitert sind, unter anderem der schwere Transporthubschrauber, aber auch die Auftragsvergabe für das Sturmgewehr G36. Hierzu meine Frage: Für wann können wir als Parlament die Vorlage einer Liste an Beschaffungen erwarten, mit denen dafür gesorgt werden kann, dass die Soldatinnen und Soldaten ordentlich ausgerüstet werden? Es geht nicht, dass Sie das immer weiter ins nächste Jahr hinein verschieben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

FCAS und MGCS sind die zwei wichtigen deutsch-französischen Kernprojekte, die wir mit aller Kraft vorantreiben wollen und auch werden. Bei FCAS sind wir in entscheidenden Verhandlungen über den nächsten Schritt. Ich habe dazu vor wenigen Tagen noch einmal mit meiner französischen Kollegin telefoniert. Wir beide wollen diese Verhandlungen vorantreiben. Es gibt im Moment Probleme mit dem Finanzrahmen, nicht nur für die deutsche Seite, sondern auch für die französische Seite. An dem Punkt arbeiten wir gemeinsam, im Übrigen auch mit dem spanischen Partner. Je schneller wir diese Vertragsverhandlungen abschließen, desto schneller können wir die weiteren Schritte auch im Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorlegen. Bei MGCS haben wir die Forschungsfelder festgelegt, die im nächsten Jahr zu den weiteren Schritten führen werden bis hin zur Entwicklung von Demonstratoren. Auch hier sind wir gemeinsam mit Frankreich fest entschlossen, das Projekt voranzutreiben. Im Übrigen gibt es gerade für MGCS viele Interessenten aus ganz Europa, die sich gerne stärker an diesem Projekt beteiligen möchten, weil sie ebenfalls Modernisierungsbedarf haben. Zum G36. Wir haben mit dem G36 ein Gewehr, das – auch unabhängig von früheren Untersuchungen – seinen Dienst tut, von dem man aber sagen muss: Es wird am Ende dieses Jahrzehnts in die Jahre gekommen sein. Insofern ist es richtig, dass wir über die Modernisierung reden. Wir haben jetzt drei Gewehrmuster im Verfahren, die den technischen Anforderungen, die die Bundeswehr gestellt hat, erprobter- und erwiesenermaßen gerecht werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Entschuldigung. – Welches dieser Muster genommen wird, hängt davon ab, wie die Patentrechtstreitigkeiten ausgehen. Zum schweren Transporthubschrauber – wenn ich das noch abschließend sagen darf – wird noch im Dezember eine Empfehlung des Verteidigungsministeriums auf den Tisch kommen, und das wird dann im nächsten Jahr dem Bundestag zur Entscheidung zugeleitet werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Generell haben wir die Regel: Jeweils eine Minute für die Frage und für die Antwort. Wenn die Ampel dort oben auf Rot steht, ist die eine Minute abgelaufen. Die nächste Frage stellt die Kollegin Strack-Zimmermann.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hatte eigentlich noch eine Nachfrage zu diesem Thema.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sie wollen jetzt eine Nachfrage stellen und danach Ihre reguläre Frage?

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, genau. Ich werde nur eine kurze Nachfrage stellen; ich beeile mich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Also gut, für die nächsten logischerweise bis zu drei Fragen ist jetzt Frau Strack-Zimmermann dran.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Damit machen Sie das Richtige, wenn ich es mir erlauben darf, das zu sagen. ({0}) Frau Ministerin, wir singen das Hohelied auf Europa. Das teilen wir, und die Zusammenarbeit vor allen Dingen mit den französischen Nachbarn ist uns sehr wichtig. Das Thema FCAS sprachen Sie gerade an. Man vernimmt hinter den Kulissen gerade bei den Franzosen die große Sorge, dass wir im Bereich der Beschaffung und der Zusammenarbeit zu viele Juristen und keine Ingenieure hätten, während es bei den Franzosen genau umgekehrt sei. Könnten Sie dazu etwas sagen? Empfinden Sie das auch so, dass vielleicht ein anderer Umgang mit der Sache hilfreich wäre, um das Ganze sehr schnell auf den Weg zu bringen? Ich glaube, das sind wir unseren Kolleginnen und Kollegen in Frankreich auch schuldig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Wenn Sie mir eine sehr offene Antwort gestatten: Was von den Franzosen am stärksten für erklärungsbedürftig empfunden wird, ist das Verfahren, das wir hier im Deutschen Bundestag haben, mit den 25-Millionen-Euro-Vorlagen. Es ist für eine französische Verteidigungsministerin relativ ungewohnt, dass ein Parlament nicht nur über ein Gesamtbudget abstimmt, sondern auch über große Rüstungsvorhaben. Darüber tauschen wir uns in einem engen Dialog miteinander aus. Ich will es noch einmal betonen: FCAS und MGCS bedeuten eine Riesenchance für Europa; das sind ausgesprochen wichtige Projekte auch für das deutsch-französische Verhältnis. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass wir diese Projekte zu einem Erfolg führen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt kommt die nächste und damit reguläre Frage der Kollegin Strack-Zimmermann.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Frage betrifft ebenfalls eine Aussage in Ihrer Grundsatzrede letzte Woche an der Helmut-Schmidt-Universität. Da sprachen Sie davon, dass man der Bevölkerung in Deutschland auch unbequeme Wahrheiten darüber, was passiert, zumuten müsse, gerade in Fragen der Sicherheitspolitik. Da wir hier öffentlich tagen, wäre jetzt eine gute Gelegenheit, um damit anzufangen. Deswegen: Können Sie konkretisieren, was für Wahrheiten Sie der Bevölkerung sagen wollen, was die Bevölkerung bis dato Ihrer Meinung nach nicht weiß und dringend erfahren sollte?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Ich glaube, dass die Bevölkerung sehr viel weiß und dass es Aufgabe der Verteidigungsministerin ist, darauf hinzuweisen, dass man nicht nur über eigene Sicherheit und Verteidigung reden kann, sondern dass man dafür auch sehr viel Geld in die Hand nehmen muss. Das sehen wir an der Debatte zum Verteidigungsetat. Und das gilt auch für die nächsten Jahre; denn wir alle miteinander wissen, dass die möglichen Verteilungsdebatten mit Blick auf den Bundeshaushalt sehr viel schwieriger werden, als sie vielleicht in den letzten Jahren waren. Das gilt auch für die Tatsache, dass wir mit Blick auf die Sicherheitsarchitektur auf der einen Seite sehen, dass Bedrohungen auch in unserer Nachbarschaft gewachsen sind, und dass wir auf der anderen Seite sehen, dass wir nach wie vor eine hohe Abhängigkeit etwa von den Fähigkeiten der amerikanischen Seite haben. Wer diesen Bedrohungen etwas entgegensetzen will, um aus einer Position der Stärke heraus in alter deutscher Tradition eben auch gute Verhandlungen führen zu können, und das nicht nur mit der amerikanischen Seite tun will, der muss mehr investieren und europäisch mehr tun. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Befund, den man immer wieder deutlich machen muss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Nachfrage, Frau Strack-Zimmermann?

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne, Herr Präsident. – Frau Ministerin, in diesem Kontext gab es ja Verstimmungen zwischen Ihnen und Präsident Macron dahin gehend, dass der Präsident sagte, wir brauchten eine europäische Sicherheitspolitik. Sie verwiesen darauf, dass wir uns ohne die Amerikaner momentan wirklich nicht durchsetzen können, auf der anderen Seite wiederum in der Lage sein müssen, eigenständig als Europäer zu handeln. Was gilt nun?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Wir, die französische und die deutsche Seite, sind sicherlich auf einem ganz großen Stück dieser Wegstrecke einer Meinung, dass wir europäisch gemeinsam mehr tun müssen, weil wir zurzeit zu stark von der amerikanischen Seite abhängig sind. Und wenn sich das amerikanische strategische Interesse anderen Räumen zuwendet, dann müssen wir sehen, dass wir als Europäer stärker für unsere eigene Sicherheit eintreten können. Was uns unterscheidet, ist die Beantwortung der Frage, welche Rolle dabei die transatlantische Beziehung und die NATO generell spielen soll. In Frankreich ist es eher die Zielsetzung, uns von dieser Warte aus ein Stück unabhängiger zu machen. Meine Position steht hier, finde ich, in guter alter Tradition, die nämlich besagt: Wir sollten das Transatlantische mit dem Europäischen versöhnen. Beides so stark wie möglich zu halten, hat in der Vergangenheit noch am besten und am meisten unserer Sicherheit in Deutschland gedient.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Neu, Die Linke, hat eine Nachfrage.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben ja gerade die Frage von Geld aufgeworfen. Die europäischen NATO-Mitgliedstaaten geben laut SIPRI etwa 279 Milliarden Dollar für ihre Armeen aus, viermal so viel wie die Russische Föderation und 20 Milliarden Dollar mehr als die Russische Föderation und die Volksrepublik China zusammen. Wievielmal mehr sollen dann eigentlich die europäischen Mitgliedstaaten ausgeben, auch Deutschland, um ein Überlegenheitsgefühl generieren zu können? Und halten Sie das angesichts der Tatsache für angemessen, dass mit Blick auf Corona die Schulen keine Luftfilter bekommen, was etwa 1 Milliarde Euro kosten ({0}) und was einen ziemlich wertvollen Dienst für die Gesellschaft darstellen würde? – Vielen Dank.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Zum Ersten. Ich glaube, der Bund und der Bundestag brauchen sich nicht vorhalten zu lassen, dass sie zur Bewältigung der Coronalage den Ländern nicht genügend Gelder zur Verfügung gestellt hätten, zum Beispiel alleine 2,5 Milliarden Euro, um den Nahverkehr zu verbessern. Zum Zweiten. Ich bin nicht der Meinung, dass man das Thema Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gegen Bildung ausspielen sollte. Bürgerinnen und Bürger haben das Anrecht auf beides. Zum Dritten. Unabhängig von der Summe, die Sie genannt haben, ist es Fakt, dass die russische Seite massiv in die Modernisierung ihrer Streitkräfte investiert hat, dass sie über neue Waffen verfügt, dass die Bedrohung sehr viel evidenter geworden ist. Ich empfehle dazu Gespräche auch mit den Kollegen aus den baltischen Staaten, aus Schweden, aus Mittel- und aus Osteuropa. Wenn wir aus einer Position der Stärke heraus hier in Verhandlungen – auch in Abrüstungsverhandlungen – kommen wollen, dann müssen wir unsere Position stärken. Auch das war immer eine gute Tradition deutscher Außenpolitik, und das sollte sie für die Zukunft auch bleiben. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die Kollegin Dr. Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, hat auch eine Nachfrage dazu.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank für die Möglichkeit zur Nachfrage, Herr Präsident. – Zu Ihrer Aussage, dass europäische Souveränität eine Illusion und nicht im Interesse Deutschlands sei, würde ich Sie gerne fragen, wie Sie die Einschätzung Ihrer Aussage durch den französischen Präsidenten bewerten. Er sagte, das sei eine Fehlinterpretation der Geschichte. Wie bewerten Sie diese Aussage?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Ich bin von Herzen eine Verfechterin der deutsch-französischen Freundschaft. Insofern verbietet es sich generell, über die Öffentlichkeit Äußerungen des französischen Präsidenten zu kommentieren. Das ist im Übrigen auch unhöflich. Aber Fakt ist, dass ich von der europäischen Autonomie gesprochen habe. Mit Blick auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Tatsache, dass 75 Prozent aller Fähigkeiten in der NATO von der amerikanischen Seite gestellt werden und dass alle ernsthaften Forschungsinstitute sagen, wir brauchen mindestens 30 Jahre, um als Europäer diese Fähigkeiten zu ersetzen, habe ich gesagt: Diese Vorstellung von Autonomie, nämlich zu glauben, man käme ohne die amerikanische Unterstützung auf Sicht aus, das ist eine Illusion. Und ich glaube, an dieser Position brauche ich auch keine Abstriche zu machen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Dr. Faber, FDP, hat auch eine Nachfrage. Dann Frau von Storch.

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Sie haben eben gesagt, dass die USA 75 Prozent der NATO-Fähigkeiten stellen. Sie selber streben an, dass Deutschland 10 Prozent der NATO-Fähigkeiten stellt. Nun haben wir 30 NATO-Mitgliedstaaten, zu denen beispielsweise Großbritannien und Frankreich gehören. Deswegen finde ich es interessant, wie viel Prozent am Ende wohl herauskommen; denn für den Rest soll ja auch noch was übrigbleiben. Sie haben diese 10-Prozent-Rechnung selber in die Debatte eingeführt; ich verweise auch auf die vereinbarten 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung. Ihr Haus konnte mir auch auf mehrmalige Nachfrage bisher keine Antwort geben, wie viel Deutschland an NATO-Kapazitäten derzeit beisteuert. Können Sie mir eine solche Antwort geben?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

10 Prozent ist gemessen an dem, was wir an wirtschaftlicher Kraft zur Verfügung stellen. Das ist auch in etwa die Marge für das, was wir heute schon tun. Aber man muss ja sehen, dass wir in der NATO in einer Vorwärtsbewegung sind: Wir bauen mehr und neue Fähigkeiten auf, und auch an diesem erweiterten Portfolio soll Deutschland mit 10 Prozent teilhaben. Diese 75-Prozent-Betrachtung ist eine über den Schnitt. Die Frage, was die Amerikaner bieten, ist sehr unabhängig von den jeweiligen Fähigkeiten. Es gibt Bereiche, wo sie das zu 100 Prozent tun. Jeder steuert in der NATO das bei, was er tun kann. Die NATO ist ein Bündnis auf Solidarität. Wir steuern etwas bei, aber wir erhalten von allen anderen Staaten – nicht nur von den Amerikanern, sondern auch von denen, die über weniger Geld verfügen als wir – eben ihre Fähigkeiten. Das hat die NATO immer stark gemacht, und das will sie auch für die Zukunft erhalten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Angesichts der Fülle von Nachfragen möchte ich jetzt noch jeweils eine Nachfrage aus den Fraktionen, die noch keine Nachfrage gestellt haben, zulassen. Das sind Frau von Storch und dann Frau De Ridder von der SPD. Dann kommt der Kollege Otte mit der nächsten regulären Frage. ({0})

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich möchte auch an die 75 Prozent Beitrag der Amerikaner für die NATO anknüpfen, die wir über die nächsten 30 Jahre nur substituiert bekommen würden, wenn wir auch wollten. Ich möchte gerne fragen, ob wir parallel dazu oder erst danach die europäische Armee zusätzlich noch aufbauen und wie sich das verhält.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Das Ziel, dass wir in Europa auch in den operationalen Fähigkeiten besser zusammenwachsen, ist unumstritten. Dazu dienen im Moment die ganz konkreten Schritte der PESCO, der strukturierten Zusammenarbeit und der European Union Battlegroups. Und ob man am Ende eine Vision einer europäischen Armee, also einer Armee der Europäer, hat, die sozusagen auch in der Verantwortung des Europäischen Parlamentes steht, das ist zunächst einmal zweitrangig. Wichtig ist jetzt, dass wir die gemeinsame Fähigkeit, auch als Europäer alleine in Einsätze zu gehen, weiter ausbauen. Daran arbeiten wir. Das ist der Grund, weshalb zum Beispiel Deutschland gemeinsam mit Italien jetzt die Führung der European Union Battlegroup weiter verlängert hat, damit wir dieses Instrument des möglichen Eingreifens eben auch weiter parat halten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Frau De Ridder, bitte sehr.

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass ich die Chance habe, Frau Ministerin zu fragen. – Sie haben sehr stark den Begriff der Tradition betont, Frau Ministerin. Ich würde aber gerne sehen – vielleicht können Sie das noch mal akzentuieren –, dass gerade in dem deutsch-französischen Verhältnis hinsichtlich der Sicherheitspolitik auch innovative Beziehungen eine Rolle spielen müssten. Könnten Sie dies vielleicht noch mal in den Kontext von PESCO und auch der Frage einordnen, die Sie ja im gleichen Zuge bei diesem kleinen publizistischen Scharmützel mit Herrn Macron aufgenommen haben, was den Bundessicherheitsrat angeht? Sind Sie hier wie die SPD-Fraktion und ich der Auffassung, dass wir vor allem von einer neuen Sicherheitsarchitektur und einem umfassenderen Sicherheitsbegriff ausgehen müssen und dass Sie damit insbesondere auch den vernetzten Ansatz, den wir hier verfolgen, stark machen wollen, und das möglicherweise auch im Schulterschluss mit Herrn Macron?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Wir wollen generell die Dinge im Schulterschluss mit Frankreich vorantreiben. Wir sind uns, was den vernetzten Ansatz anbelangt, vollkommen einig: Alles, was wir im Moment auch an militärischen Missionen etwa im Ausland tun, ist nie ein Selbstzweck, sondern es dient dazu, Räume so zu befrieden, dass man zum Beispiel ziviles Leben, wirtschaftliches Leben wiederaufbauen kann und dass man auch den Wiederaufbauhelfern überhaupt die Möglichkeiten gibt, ihre Arbeit vor Ort zu machen. Das ist etwas, was uns in der Sahelzone gemeinsam antreibt. Insofern sehe ich Sicherheit als einen sehr umfassenden Begriff. Die Frage der Souveränität Europas umfasst sicherlich nicht nur die Außen- und die Verteidigungspolitik, sondern auch viele andere Aspekte wie die Klimapolitik oder andere Punkte mehr. Das ist ein sehr moderner Ansatz. Was das Thema PESCO anbelangt, ist es wichtig, dass wir in dieser strukturierten Zusammenarbeit wirklich einen Mehrwert für gemeinsame Einsätze erzielen. Wir haben jetzt ein gutes Projekt aufgesetzt, die Logistic Hubs. Die haben sich bewährt. Andere PESCO-Projekte werden diesen Anforderungen noch nicht gerecht. Da sind wir uns mit Frankreich sehr, sehr einig. Das treiben wir auch in diesem Sinne weiter voran. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Da aus der CDU/CSU noch keine Nachfrage gestellt worden ist, Herr Kollege Otte, würde ich der Kollegin Manderla bitte auch noch eine Nachfrage gestatten, bevor Sie die nächste reguläre Frage stellen. – Frau Kollegin.

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, wir hatten ja eben im Verteidigungsausschuss einen Bericht über PESCO. Da wurde natürlich das positive Beispiel „European Medical Command“ genannt, aber auch die Drittstaatenregelung zum Beispiel für die Zusammenarbeit mit Norwegen oder Großbritannien. Können Sie erklären, wie diese Zusammenarbeit in Zukunft aussehen wird?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Vielen Dank. – Das European Medical Command, um das vorwegzuschicken, ist für uns auch eine Lehre aus Corona. Es geht darum, dass wir in Europa unsere Sanitätsdienste der Armeen besser zusammenbringen, dass wir sie handlungsfähiger machen. Das ist ein Projekt, in dem es insbesondere auch darum geht, die europäischen Strukturen mit den Strukturen der NATO gut zu vereinbaren. Ein Thema, das uns schon seit vielen Jahren beschäftigt, ist die Frage der Drittstaatenregelung, also wie Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, an den PESCO-Projekten partizipieren können. Das ist wichtig nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für Kanada oder ganz aktuell für Großbritannien. Wir haben jetzt Regeln festgelegt, wie das geschehen kann, wie sich auch Unternehmen aus Drittstaaten beteiligen können und trotzdem klar ist, dass die Steuerung der entsprechenden Projekte in europäischer Hand liegt. Das war ein hartes Stück Arbeit, diesen Kompromiss zu erzielen. Es ist aber auch dank des Schulterschlusses mit Frankreich, aber auch dank des Entgegenkommens zum Beispiel von Polen und von anderen Staaten gelungen. Das war eines der erklärten Ziele der deutschen Ratspräsidentschaft, und ich bin froh, dass wir es erreicht haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Herr Kollege Henning Otte, jetzt kommt Ihre Frage. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, der Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt, wird für das Jahr 2021 mit 46,8 Milliarden Euro angesetzt. Das ist hinreichend, damit die Bundeswehr die Aufgaben auch erfüllen kann. Sie haben auf Anfrage von Frau Kollegin Möller die Priorisierung dargestellt. Neben der Priorisierung von Großvorhaben müssen wir allerdings auch unsere NATO-Verpflichtungen einhalten, und wir müssen mehr Substanz in die EU-Missionen bringen. Wie bewerten Sie die mittelfristige Finanzplanung hierbei?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Zuerst einmal bin ich jetzt mit Blick auf die laufenden Haushaltsberatungen sehr dankbar, dass der Verteidigungshaushalt weiter steigt. Ich bin auch sehr dankbar, dass die Bundeswehr am Konjunkturpaket partizipieren konnte. Natürlich ist es so: Wenn wir uns die mittelfristige Finanzplanung anschauen, sehen wir, dass sie noch nicht den steigenden Finanzbedarf abdeckt, den wir haben. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass es auch dank der Unterstützung im Bundestag immer gelungen ist, in den jeweils folgenden Haushalten abweichend von der mittelfristigen Finanzplanung einen entsprechend gesteigerten Haushalt und damit auch die schrittweise Erfüllung der NATO-Quote zu erreichen. Das wird auch die Aufgabe für die künftigen Haushalte bleiben. Natürlich wäre es schöner, wenn sich das in der mittelfristigen Finanzplanung schon direkt zeigen würde. Das würde die Debatte mit den NATO-Partnern etwas einfacher machen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ich habe eine Nachfrage des Kollegen Lindner, Bündnis 90/Die Grünen, eine Nachfrage des Kollegen Pflüger von der Linken und eine Nachfrage der Kollegin Strack-Zimmermann. – Herr Lindner.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, auf das Thema Haushalt sind Sie ja auch in dem Eingangsstatement eingegangen. Sie haben mit Blick auf den Verteidigungshaushalt von Zusagen an die Vereinigten Staaten gesprochen. Könnten Sie, da Sie hier vor dem Haushaltsgesetzgeber stehen, kurz ausführen, was dies für Zusagen sind und ob aus Ihrer Sicht die Einhaltung des 2‑Prozent-Ziels dazugehört? Ist das etwas, was wir zugesagt haben? Ich möchte der Fairness halber erwähnen: Ich habe die gleiche Frage vor einigen Jahren mal dem Auswärtigen Amt gestellt. Das hat mir schriftlich geantwortet, dass mit der Gipfelerklärung von Wales keine Verpflichtung auf eine feste Ausgabenhöhe zu irgendeinem Zeitpunkt einhergehen würde. ({0})

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Ich fühle mich an die 2 Prozent gebunden; denn für mich war ein Ausdruck von deutscher Qualität und Verlässlichkeit eben immer auch, dass das, was Deutschland zugesagt hat – und das ist in Wales passiert –, auch eingehalten wird. Mit Blick auf die US-Wahl können zumindest viele von uns hier in diesem Haus schlecht diesen Wahlausgang begrüßen und sagen: „Darin liegt eine neue Chance, auch für eine verbesserte transatlantische Zusammenarbeit und die Tatsache, dass wir als Europäer da mehr tun wollen“, aber als Erstes an den neuen US-Präsidenten das Signal schicken, dass wir uns an die 2 Prozent nicht gebunden fühlen. Ich glaube, dass das keine kluge Politik wäre. Unter anderem aus diesem Grund halte ich an diesen 2 Prozent fest. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Herr Kollege Pflüger, Die Linke.

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielleicht eine kurze Vorbemerkung: Den Haushalt beschließt immer noch der Deutsche Bundestag und nicht die Bundesregierung. Insofern verwundert es mich schon, wenn Sie quasi Zusagen zum Beispiel Richtung USA machen. Beschlossen wird der Haushalt tatsächlich hier im Deutschen Bundestag. ({0}) Zu meiner konkreten Frage. Sie haben das Konjunkturpaket im Zusammenhang mit dem Haushalt angesprochen. Wir haben jetzt gesehen, welche ersten Projekte aus dem Bereich Militär über das Konjunkturpaket gefördert werden, und sind doch etwas überrascht. Es gibt zum Beispiel eine Finanzierung der Anschaffung von Pistolenmunition und von Lkws. Könnten Sie mir den konkreten Zusammenhang dieser Anschaffung mit der Coronapandemie und deren Bekämpfung erklären?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Zuerst einmal, sehr geehrter Herr Kollege, bin ich mir der Rolle dieses Hauses als Haushaltsgesetzgeber sehr bewusst. Ich habe ja eben gesagt: Ich bin sehr dankbar, dass es in diesem Haus immer wieder eine Mehrheit gegeben hat, um Verteidigungsausgaben zu steigern. ({0}) Zum zweiten Punkt. Das Kriterium, das wir gemeinsam in der Bundesregierung und insbesondere auch in Rücksprache mit dem Finanzministerium angewandt haben, ist, dass die Beschaffungen, die wir jetzt vornehmen, schnell verfügbar sind und dass sie einen konjunkturellen Effekt jetzt bzw. im nächsten Jahr zeigen. Denn darum geht es ja beim Konjunkturpaket: dass wir den coronabedingten Einbruch der Konjunktur abmildern. Im Übrigen fließt ein großer Teil des Geldes insbesondere in das Zentrum DTEC.Bw, in den Forschungsbereich. Insofern finde ich, dass wir als Bundeswehr das Geld, das uns im Rahmen des Konjunkturpaketes zur Verfügung gestellt worden ist, im Sinne des Konjunkturpaketes in einer klugen Art und Weise einsetzen und nutzen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Strack-Zimmermann.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich fasse noch mal zur Frage des Kollegen Otte zur mittelfristigen Finanzplanung nach. ({0}) Sie hatten in dem Kontext in Ihrer Rede letzte Woche auch angekündigt – Sie sehen, wir haben sehr genau gehört, was Sie gesagt haben –, dass Sie einen New Deal zwischen Deutschland und USA, zwischen Europa und USA wollen. Das klingt ja alles gut. Das sind Schlagworte, bei denen man denkt: Wow! Aber vielleicht könnten Sie mal klarmachen, was ein New Deal ist. Wie unterscheidet er sich vom Old Deal, von unseren Verpflichtungen in der NATO, die wir bis heute nicht erfüllen? Im Gegenteil: Wir haben als Speerspitze in der NATO sogar Stärken und auch die Einhaltung von Verpflichtungen abgemeldet. Vielleicht könnten Sie mal für 30 Sekunden konkret werden.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Gerne. Die Rede mit einer Äußerung zu einem New Deal bezieht sich auf die Transatlantikrede bei der Steuben-Schurz-Gesellschaft. Er umfasst ganz konkret, dass wir zum Beispiel zu einem neuen Freihandelsabkommen kommen, dass wir, anstatt uns mit Strafzöllen zu belegen, vielleicht auf die Idee kommen, unter uns gegenseitig überhaupt keine Zölle zu erheben. Er hat ganz sicherlich etwas damit zu tun, dass wir unsere Anstrengungen mit Blick auf den Kampf gegen den Klimawandel zusammenlegen; dafür gibt es jetzt auch die Chance. Er hat sich weniger darauf bezogen, was wir im Bereich der Verteidigung mit Blick auf Amerika neu machen. Da haben wir Verpflichtungen, von deren Einhaltung wir noch ein Stück entfernt sind.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt hat noch eine Nachfrage der Kollege Felgentreu von der SPD.

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, bei Ihrer Grundsatzrede vor der Helmut-Schmidt-Universität haben Sie davon gesprochen, dass Sie – so habe ich es zumindest verstanden – durch ein Verteidigungsplanungsgesetz etliche Großvorhaben der Bundeswehr absichern, also quasi einen Teil des Bundeshaushalts über Jahre hinweg unter eine Art Käseglocke stellen wollen, um auch die Erfüllung der finanziellen Ansprüche an dieser Stelle gewährleistet zu sehen. Haben Sie sich darüber auch mit Ihren Kollegen in den sogenannten schwarzen Häusern verständigt, und gehen Sie davon aus, dass Sie für ein solches Vorhaben auch nur in Ihrer Unionsfraktion eine Mehrheit hätten? Oder habe ich Sie einfach falsch verstanden?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Ein entsprechendes Planungsgesetz ist etwas, was es an der einen oder anderen Stelle in Europa gibt, zum Beispiel in Frankreich. Dort agiert man mit einem solchen Gesetz. Wir haben jetzt gerade in Großbritannien gesehen, dass ein entsprechender Fünfjahresplan, auch finanziell unterlegt, auf den Weg gebracht wurde. Ein Planungsgesetz hätte den Vorteil – wir haben darüber ja eine sehr konstruktive Debatte in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses geführt –, dass man bei Großprojekten, die ja nicht innerhalb eines Haushaltsjahres abgewickelt sind, sondern eine längere Laufzeit haben, zum Beispiel die Übertragung der Mittel regeln könnte. Wir waren uns aber auch einig, dass eine Planung alleine, ohne finanzielle Unterlegung, keinen Sinn macht, und vor allen Dingen, dass ein Planungsgesetz, ob man es jetzt für das richtige Mittel hält oder nicht, auf keinen Fall die Zuständigkeit des Haushaltsgesetzgebers, jährlich den jeweiligen Haushalt zu verabschieden, ersetzen kann. Darüber eine konstruktive Debatte zu führen, erscheint mir durchaus lohnend. Da lohnt sich auch der Blick über den Tellerrand; denn andere europäische Staaten händeln das anders, als wir das bisher in Deutschland getan haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Tobias Pflüger, Die Linke. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Wir haben, nachdem die rechtsextremen Aktivitäten innerhalb der Bundeswehr Stück für Stück aufgeploppt sind, jahrelang vom Verteidigungsministerium zu hören bekommen, es seien Einzelfälle. Inzwischen stellen wir fest, dass das Problem auch vonseiten des Ministeriums durchaus ernst genommen wird. Gleichzeitig wird nach wie vor nicht davon gesprochen, dass es innerhalb der Bundeswehr rechtsextreme, neonazistische Netzwerke gibt. Meine Frage in diesem konkreten Kontext ist: Wann wird auch die Öffentlichkeit etwas über die Kennverhältnisse, wie es ja immer vonseiten des Ministeriums heißt, erfahren, die nicht nur im Kommando Spezialkräfte, sondern in der Bundeswehr insgesamt im Bereich Rechtsextremismus vorhanden sind? Und ist es Ihrer Ansicht nach ausreichend, die zweite Kompanie des Kommandos Spezialkräfte einfach nur aufzulösen? Ist es nicht notwendig, an dieses Problem etwas grundsätzlicher heranzugehen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Was die Spezialkräfte anbelangt: Wir brauchen Spezialkräfte auch in der Bundeswehr. Wir haben ein ganzes Bündel von rund 60 Maßnahmen vorgelegt, das unter anderem die Auflösung der zweiten Kompanie beinhaltet. Der erste Fortschrittsbericht ist jetzt abgefasst worden; Sie haben ihn zur Kenntnis genommen. Wir wollen die Umsetzung dieser Maßnahmen bis zur Mitte des nächsten Jahres abgeschlossen haben. Sie gehen sehr viel weiter und sehr viel tiefer als nur die Auflösung einer Kompanie. Wir sind dabei – das ist auch vollkommen richtig –, auch die Hintergründe der einzelnen Fälle auszuleuchten, vor allen Dingen die Frage: Wohin gibt es Verbindungen innerhalb der Bundeswehr, aber auch über die Bundeswehr hinaus? Das ist insbesondere auch Aufgabe des MAD und der Ermittlungsbehörden. Sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind, werden die Ergebnisse entsprechend veröffentlicht und sind dann auch der Öffentlichkeit zugänglich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage?

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Pflüger.

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Kontext des Bekanntwerdens der verschiedenen rechtsextremen Fälle ist ja auch bekannt geworden, dass ziemlich viel Munition und Sprengstoff „verloren gegangen“ sind – in Anführungszeichen. Jetzt wurde uns mitgeteilt, das sei im Wesentlichen auf einen Buchungsfehler zurückzuführen. Ehrlich gesagt fehlt mir da so ein bisschen das Vertrauen. Wir haben nach wie vor 13 000 Munitionsartikel, die irgendwohin verschwunden sind. Wie bekommen wir die entsprechenden Informationen, und wie schätzen Sie die damit verbundene Gefahr ein? Schließlich sind bei Rechtsextremisten entsprechende Waffen gefunden worden, auch bei einem ehemaligen KSK-Soldaten. Insofern ist das durchaus eine sehr, sehr gefährliche Situation. Was tun Sie konkret, damit diese „Munitionsverluste“ – in Anführungszeichen – wirklich ernsthaft aufgeklärt und in Zukunft verhindert werden?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Jeder Umgang mit Waffen und mit Munition ist gefährlich und muss deshalb in einer besonders sorgfältigen Art und Weise erfolgen. Was wir Ihnen mitgeteilt haben, ist, dass ein Großteil dieser Munition mit in Auslandseinsätze genommen worden ist, dort auch wieder aufgefunden und zurückgebracht worden ist, dass wir aber auch fahrlässigen Umgang und, wenn Sie so wollen, auch Schlamperei sowohl im System der Buchhaltung als auch im System der Überprüfung festgestellt haben. Das wird entsprechend abgestellt. Insofern gilt es insbesondere, dies mit wesentlich mehr Sorgfalt, als das in der Vergangenheit der Fall war, für die Zukunft sicherzustellen. Was wir nicht bestätigen können bei dem konkreten Fall, den Sie erwähnt haben, ist, dass die Munition, die dort aufgefunden wurde, Munition aus dem Bestand ist, der auch Gegenstand des entsprechenden Berichtes ist. Wir werden möglicherweise häufiger mit der Frage konfrontiert sein, ob jemand wirklich mit krimineller Energie versucht, sich Zugang zu Munition zu verschaffen. Unser System muss dann so sicher sein, dass das so weit wie möglich ausgeschlossen ist. Das war in der Vergangenheit nicht der Fall, und daran arbeiten wir.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die Frau Kollegin Brugger, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine Nachfrage.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, in der Tat hat das Verteidigungsministerium viel zu lange gebraucht, um zu erkennen, wie groß die Gefahr durch Rechtsextremisten auch in der Bundeswehr ist. Vor der Sommerpause ist dann ein längst überfälliger und umfassender Maßnahmenkatalog vorgelegt worden. Ich möchte auf Maßnahme 52 zu sprechen kommen. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr soll ja eine Studie zu extremistischen Einstellungen in der Bundeswehr durchführen, vor allem auch zu den Ursachen, das heißt: Erfolgt die Radikalisierung vorher? Gibt es Umstände im Dienst, die dazu führen? – Das halte ich für eine sehr wichtige Maßnahme. Ich frage jetzt aber vor dem Hintergrund, dass es doch eigentlich gerecht, fair und dringend notwendig wäre, die Mitarbeitenden in allen Sicherheitsbehörden gleich zu behandeln. Ich habe selten so viel ideologischen Nonsens gehört wie von Bundesinnenminister Seehofer zu der Frage, ob eine solche Studie, wie Sie sie selbst planen, bei der Polizei durchgeführt werden soll. Sie sitzen gemeinsam im Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Werden Sie bei Herrn Seehofer dafür werben, eine ähnliche Studie auch in seinem Geschäftsbereich durchzuführen?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus hat gerade heute getagt und über 90 Maßnahmen beschlossen, unter anderem auch, dass es entsprechende Studien geben soll, und zwar nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch anderswo. Worauf Kollege Seehofer hingewiesen hat – und das aus meiner Sicht zu Recht –, war, dass eine solche Studie nicht nur die Bundespolizei, sondern auch die Länderpolizeien umfassen muss. Das ist jetzt auch mit der IMK besprochen worden. Insofern kann ich Ihnen an diesem Punkt sagen, dass der Kabinettsausschuss heute Entsprechendes beschlossen hat.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Kraft, AfD, hat eine Nachfrage.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Wenn wir die aktuellen Tatbestände außer Acht lassen: Wie groß ist denn der Altbestand – wenn Sie mir erlauben, das so zu bezeichnen – an verschwundenen Waffen, an verschwundener Munition, der sich im Laufe der Jahrzehnte bei der Bundeswehr aufgebaut hat? Das betrifft insbesondere das Verschwinden oder das gewaltsame Entwenden von Waffen und Munition in den 70er- und 80er-Jahren. Ist vieles davon wieder aufgetaucht, oder ist vieles davon noch verschwunden, sozusagen herrenlos und in den falschen Händen? Wie groß ist diese Menge im Vergleich zu den neuesten Fällen?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Herr Abgeordneter, wir können Ihnen die konkreten Zahlen nachliefern. Was wir vorgelegt haben, war ja – ausgelöst durch die Vorgänge beim KSK – eine Revision. Damit ist, insbesondere was das KSK anbelangt, sichergestellt worden, dass keine Waffen und kein sicherheitssensibles Material verschwunden sind. Es ging insbesondere um Munition; ich habe gerade eben erläutert, zu welchen Erkenntnissen man da gekommen ist. Die anderen Zahlen werden noch zur Verfügung gestellt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Frau Kollegin Vieregge, CDU/CSU, möchte eine Nachfrage stellen.

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht im 65. Jahr des Bestehens der Bundeswehr das Prinzip der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform, wenn es darum geht, festzustellen, dass die große Mehrheit der Soldaten auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht? Und wie tragen die genannten Prinzipien dazu bei, die Bundeswehr vor politisch extremen Einflüssen zu schützen?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Das Prinzip der Inneren Führung ist einer der Gründungsimpulse für die deutsche Bundeswehr, auch als bewusstes Lernen und bewusste Abkehr von der nationalsozialistischen Vergangenheit. Es leitet sozusagen die Gewissensbildung des Soldaten im Hinblick auf das Thema „Befehl und Gehorsam“, was von ihm verlangt wird, und stellt sein Gewissen in den Mittelpunkt. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip; deswegen ist es für uns unabdingbar. Es ist das Grundprinzip, das aus den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform macht. Das sind sie. Wir tun alles – das sehen wir jetzt in der Coronazeit auch anhand der Amtshilfe, die die Bundeswehr leistet –, um deutlich zu machen: Die Männer und Frauen in der Bundeswehr kommen aus der Mitte der Gesellschaft; sie gehören in die Mitte der Gesellschaft. Deswegen bin ich für jede Unterstützung, jede Aktion und für jedes öffentliche Gelöbnis dankbar, die das deutlich machen und unterstreichen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt möchte ich gerne dem Kollegen Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen, zur nächsten regulären Frage das Wort erteilen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, zu Beginn dieser Woche haben Angehörige der deutschen Fregatte „Hamburg“ auf Anweisung des Kommandeurs der Operation Irini mit dem Boarding eines unter türkischer Flagge fahrenden Frachtschiffes begonnen und die Durchsuchungsaktion dann wegen des nicht vorhandenen Einverständnisses des Flaggenstaates Türkei abbrechen müssen. Zunächst einmal bin ich Ihnen dankbar, dass Sie die Soldatinnen und Soldaten in Schutz genommen haben. Jetzt spricht heute der türkische Staatspräsident ausweislich der Agenturlage von einer „Belästigung“ durch die deutschen Soldatinnen und Soldaten. Wie bewerten Sie das Verhalten und Vorgehen der türkischen Seite? Es ist ja nicht das erste Mal, dass zu einem Boarding kein Einverständnis gewährt wird. Welche Konsequenzen sollte es aus Ihrer Sicht haben, wenn das Waffenembargo gegenüber Libyen auf diese Art und Weise umgangen wird?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Grundlage für die Mission Irini sind die politischen Fortschritte in Libyen, ist der Berliner Prozess, ist insbesondere der Wunsch, dass das durch die UN verhängte Waffenembargo auch entsprechend kontrolliert wird, zumindest auf dem Seeweg. Dass diese europäische Mission insbesondere von der türkischen Seite immer wieder kritisiert wird, ist nichts Neues. Das ist eine der Rahmenbedingungen, unter denen wir agieren. Ich kann mit Blick auf den konkreten Einsatz nur noch einmal betonen: Das ist ein Einsatz, der unter europäischem Kommando stattgefunden hat. Der Beschluss, von der Fregatte aus Kontrollen auf dem türkischen Schiff vorzunehmen, ist nicht auf der Fregatte selbst getroffen worden, sondern in den entsprechenden Kommandozentralen. Alle Stellen haben uns noch einmal bestätigt, dass sich die deutschen Soldatinnen und Soldaten im Rahmen ihres Mandates im Höchstmaß korrekt verhalten haben. Wenn man diesen Grundkonflikt, diese Grundkonstellation ändern will, dann muss man dies auf europäischer Ebene beim Aufsetzen des Mandates tun. Wir sind dort angemeldet mit unserem Schiff, mit unseren Soldatinnen und Soldaten und haben uns an die Rahmenbedingungen zu halten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage, Herr Kollege Lindner?

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, das war jetzt eine sehr umfassende Beschreibung der Situation; aber ich habe Sie nach Ihrer Bewertung des türkischen Verhaltens gefragt. Muss da, wenn ich nachfragen darf, an dieser Stelle die EU nicht deutlichere Worte, eine deutlichere Sprache finden, wenn die Mission Irini nicht zwecklos oder wie ein stumpfes Schwert bleiben soll?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Ich habe eben deutlich gemacht, dass sich die türkische Seite von Anfang an sehr kritisch zu dieser Mission geäußert hat, dass sie immer wieder erklärt, sie empfinde diese Mission als eine vor allen Dingen gegen die Türkei gerichtete. Das ist sie nicht. Sie dient dazu, das Waffenembargo, das verhängt worden ist, durchzusetzen. Sie richtet sich gegen alle Schiffe – egal unter welcher Flagge sie fahren –, die sich in gewissen Gewässern bewegen, sobald es Verdachtsmomente gibt. Das ist der Auslöser für diese Mission. Insofern bleibt diese Grunddiskussion; sie ist zwischen der Europäischen Union und der Türkei zu führen. Was mich beschwert – ich will das offen sagen –, ist, dass Soldatinnen und Soldaten, wenn sie ihre Arbeit machen, in ein politisches Kreuzfeuer geraten. Insofern wünsche ich mir, dass diese Bedingungen auch von europäischer Seite umfassender klargestellt werden, als das bisher der Fall ist. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt habe ich mehrere Nachfragen. Angesichts der Fülle der Nachfragewünsche würde ich gerne pro Fraktion eine Nachfrage gestatten. – Für Bündnis 90/Die Grünen stellt sie der Kollege Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, vor dem Hintergrund, dass die Türkei erwiesenermaßen das Waffenembargo bricht, dass die Türkei unterstützt hat, einen von der OSZE vermittelten Waffenstillstand in Bergkarabach zu brechen, dass die Türkei illegal in der Zone ausschließlicher wirtschaftlicher Nutzung der Europäischen Union Explorationen durchführt, und vor dem Hintergrund, dass die Türkei zuerst eine französische Fregatte militärisch bedroht und sich jetzt einer Durchsuchung entzogen hat und Sie feststellen, dass sich die Türkei langsam von einem Partner der NATO zu einem Spoiler entwickelt: Wird die Bundesregierung auf der anstehenden Sitzung des Rates Anfang Dezember ihre Blockade gegenüber Sanktionen, die eine Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wegen des Verhaltens der Türkei auf den Weg bringen will, endlich aufgeben, nachdem deutsche Soldaten so attackiert worden sind?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Das ist sicherlich ein Punkt, der innerhalb der Bundesregierung noch einmal besprochen wird. Eine Entscheidung dazu ist noch nicht gefallen. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal sagen: Alles, was Sie aufgeführt haben, ist richtig, und es macht deutlich, dass die Türkei für uns ein sehr, sehr schwieriger Partner in der NATO ist. Nichtsdestotrotz: Sie ist ein Partner in der NATO. Mit dieser Realität müssen wir weiterhin umgehen, sowohl auf der europäischen Ebene als auch innerhalb der NATO. Es ist wichtig für den Zusammenhalt, dass wir dort zu guten Positionen kommen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Hänsel für Die Linke.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. – Frau Ministerin, da möchte ich noch mal nachhaken: Angesichts dieser Eskalation vonseiten der Türkei – Kollege Trittin hat es beschrieben – und des wiederholten Sich-Widersetzens einer Kontrolle eines Schiffes, das unter dem Flaggenstaat Türkei Richtung Libyen fährt, stellt sich doch wirklich die Frage: Können Sie es allen Ernstes nach wie vor verantworten, Rüstungsexporte in die Türkei zu genehmigen? Müssten Sie sich jetzt nicht aktiv für ein Rüstungsembargo gegen die Türkei einsetzen, und zwar auch auf EU-Ebene im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft? Das ist doch überfällig. Kein Mensch versteht mehr, dass die Türkei Waffen bekommt, deren Export auf Schiffen nach Libyen die EU dann umständlich versucht zu kontrollieren. Das ist doch wirklich absurdes Theater.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Lassen Sie mich bitte zuerst klarstellen, unabhängig von der Tonalität der Türkei: Das Recht, als Flaggenstaat einer Kontrolle eines eigenen Schiffes zu widersprechen, hat im Rahmen dieser Mission jede Nation, auch die Türkei. ({0}) Sie hat von diesem Recht Gebrauch gemacht, allerdings außerhalb der dafür vorgesehenen Fristen. Das hat etwas mit den Abläufen zu tun; das haben wir bei anderen Staaten auch erlebt. Die Exporte, die Sie ansprechen, wurden vor langer Zeit genehmigt; sie laufen demnächst aus. Aktuelle Exporte in die Türkei sind mir nicht bekannt. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Bijan Djir-Sarai, FDP. Danach kommt der Kollege Podolay.

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, unabhängig von dem konkreten Vorfall mit der Türkei: Die Luftwege – wir haben im Vorfeld auch im Ausschuss darüber gesprochen – kann man im Rahmen der Operation Irini nicht überwachen, die Landwege natürlich auch nicht. Das heißt, diejenigen, die nach Libyen liefern, kommen ohne Probleme durch. Die Intention der Operation Irini war letztendlich, sich auf die Seewege zu konzentrieren. Anhand dieses Beispiels sehen wir, dass nicht einmal die Überwachung der Seewege funktioniert. Stellen Sie persönlich sich grundsätzlich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Operation Irini?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Wir haben uns zu Irini committet, wohl wissend, wie schwierig diese Mission ist. Die Fregatte „Hamburg“ hat zum Beispiel gerade vor einigen Wochen ein Schiff aufgebracht, das unzulässigerweise Kerosin nach Libyen liefern wollte. Es ist dann in einen anderen Hafen umgeleitet worden. Insofern zeigt die Mission Irini eben auch entsprechende Wirkungen. Ich wünsche mir, dass manches bei der Operation, etwa die Frage, welche Häfen angelaufen werden können, besser geklärt ist. Daran arbeiten wir. Das war auch Gegenstand eines der jüngsten Treffen der Verteidigungsminister auf der europäischen Ebene. Aber man muss auf der anderen Seite sagen: Was nützt ein Waffenembargo, das verhängt ist, wenn es überhaupt nicht kontrolliert wird, selbst nicht auf dem Seewege? Insofern, glaube ich, ist die Anstrengung gerechtfertigt, aber sie ist noch verbesserungswürdig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Podolay, AfD.

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundesministerin, der NATO-Partner Türkei wird zunehmend problematisch. Ich habe Ihrem Kollegen im Auswärtigen Amt folgende Fragen gestellt, die aber nicht beantwortet wurden: Was ist eigentlich unsere deutsche sicherheits- und verteidigungspolitische Strategie im Umgang mit der Türkei? Was haben Sie aus dem EU-Gipfel Anfang Oktober gelernt? Wie bewerten Sie das umstrittene Verhalten der Türkei im Mittelmeer und in Bergkarabach? – Vielen Dank.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Ich habe eben deutlich gemacht, dass das Verhalten der Türkei, im Übrigen auch, was die Innenpolitik und die innenpolitischen Entscheidungen der Türkei anbelangt, sehr schwierig ist. Nichtsdestotrotz: Die Türkei ist ein NATO-Partner. Über die gemeinsamen Einsätze mit türkischen Soldatinnen und Soldaten kann ich nur sagen: Es sind verlässliche Verbündete. Wir müssen umgekehrt die Frage stellen, was eigentlich besser werden würde, wenn die Türkei kein NATO-Partner mehr wäre, sowohl für die Sicherheitssituation als auch für die Tatsache, dass uns dann auch über die Verbindung in der NATO noch eine letzte Ebene und ein letzter Gesprächsfaden verloren gehen würde. Wir könnten dann überhaupt keinen Einfluss auf die Türkei mehr nehmen. Insofern, glaube ich, müssen wir diese schwierige Situation weiter gestalten. Das ist eine Herausforderung, das will ich gar nicht bestreiten; aber ich glaube, es ist eine Herausforderung, der wir uns unterziehen müssen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste reguläre Frage stellt der Kollege Gerold Otten, AfD.

Gerold Otten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004846, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, es sind ja schon mehrfach die Differenzen und Verstimmungen zwischen Deutschland und Frankreich angesprochen worden, die Ihr Interview ausgelöst hat. Jetzt hat der Koalitionspartner, die SPD, dazu den Vorschlag gemacht, eine 28. Armee der Europäischen Union aufzustellen. Das würde nach Aussage des sicherheits- und verteidigungspolitischen Sprechers der SPD in der „Welt“ – ich zitiere – „unabhängig von den leidigen Souveränitätsfragen die Handlungsfähigkeit der EU … verbessern“, also an entscheidender Stelle die strategische Autonomie der EU befördern. Diese Truppe soll demnach der EU-Kommission unterstellt und von einem neu zu berufenden Verteidigungskommissar verantwortet werden. Empfinden Sie, Frau Ministerin, die Souveränitätsfrage auch als leidig, so wie Ihr Koalitionspartner, die SPD? Und wie stehen Sie grundsätzlich zur Schaffung einer europäischen Armee?

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Der Beitrag der SPD ist eine Vision, die man für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik haben kann. Ich habe vorhin gesagt, es gibt auch andere Modelle. Ich begrüße alles, was zu mehr europäischer Gemeinsamkeit führt. Für mich wäre schon ein erster wichtiger Schritt, dass wir die Instrumente, die wir heute haben, nämlich die europäischen Battle Groups, so aufstellen und so ausrüsten und ausstatten, dass sie miteinander auch wirklich in einen Einsatz gehen könnten, wenn es darauf ankommt. Davon sind wir noch ein Stück entfernt. Insofern glaube ich: Es ist gut, wenn wir auf der einen Seite über diese Vision diskutieren. Das sollte uns aber nicht daran hindern, jetzt ganz konkrete Schritte der Verbesserung zu unternehmen. Auch daran arbeiten wir, im Übrigen auch im engen Schulterschluss mit den Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank. – Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungsbefragung dauert eine Stunde. Die ist rum – vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin –, ({0})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer bezahlt eigentlich diese Krise? Diese Frage steht seit Monaten im Raum. Die Krisengewinner sind es schon mal nicht. Ich nenne das Beispiel der Quandts und Klattens, die noch mal einen ordentlichen Vermögenszuwachs bekommen haben. Aber klar: BMW hat auch mitten in der Krise ordentlich Dividenden ausgeschüttet, und das, obwohl sie ihre Beschäftigten in Kurzarbeit geschickt und obwohl sie vom Staat die Sozialversicherungsabgaben und die Lohnkosten erstattet bekommen haben. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Deutschlands Milliardäre sind in der Krise um fast 100 Milliarden Euro reicher geworden. Gleichzeitig sind mehrere Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, und bislang hat mehr als eine halbe Million Menschen ihren Job verloren. Es sind die Arbeitnehmer in diesem Land, die massive Einkommensverluste haben. In den oberen Etagen feiert man die Coronaparty, und am unteren Ende herrscht Existenzangst. Das ist unerträglich. ({0}) – Ja, das ist frech; da haben Sie völlig recht. Der aktuelle Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts hat genau das offengelegt: Ein Drittel der Beschäftigten musste Einkommensverluste hinnehmen, und gerade Geringverdiener trifft es besonders hart. Über 40 Prozent der Beschäftigten, die weniger als 1 500 Euro verdienen, hatten Einkommensverluste. Damit nicht genug: Menschen, die zuvor schon wenig hatten, sind nicht nur besonders oft, sondern auch noch besonders hart von wirtschaftlichen Verlusten betroffen. Exemplarisch dafür stehen Tausende Kolleginnen und Kollegen in der Gastronomie. Denen steht im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser bis zum Hals. Denen fehlt zum Teil die Hälfte oder mehr als die Hälfte des Einkommens, und das ist doch nicht hinnehmbar. ({1}) Wer jetzt aber glaubt, dass diese Situation ausschließlich mit Corona zu tun hat, der liegt falsch. Das Virus hat lediglich wie ein Brandbeschleuniger die Ausgangslage verschärft und die bestehenden Missstände in unserer Gesellschaft offengelegt. Deutschland hatte schon vor der Krise den größten Niedriglohnsektor in Westeuropa, jeder und jede Fünfte arbeitet zu einem Niedriglohn, und die Einkommensungleichheit nimmt seit Jahren zu. Das ist das Ergebnis einer jahrelangen neoliberalen Politik. Es ist politisch gewollt. ({2}) Willfährig wurden die Wünsche der Unternehmen nach mehr Wettbewerbsfähigkeit erfüllt und damit der Arbeitsmarkt dereguliert und Arbeitnehmerrechte geschliffen. Prekäre und niedrig entlohnte Beschäftigung, also Befristungen, Leiharbeit und Minijobs wurden ausgeweitet, und die Knute des Arbeitsmarktes – das Hartz-IV-Sanktionsregime – kam dann noch obendrauf. Seitdem gilt: Jede Arbeit, und sei sie noch so schlecht bezahlt und noch so unsicher, ist zumutbar. Als Betriebsrätin habe ich die Auswirkungen auf die Kolleginnen und Kollegen hautnah erlebt. All das hat die Gewerkschaften geschwächt. Das Ergebnis dieser Politik ist, dass nur noch die Hälfte der Beschäftigten unter den Schutz eines Tarifvertrages fällt. Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf: Steuern Sie endlich um! ({3}) Als Sofortmaßnahmen müssen das Kurzarbeitergeld auf mindestens 90 Prozent erhöht und die Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes verlängert werden. Aber Sie müssen auch an die Wurzel des Übels ran, an den Niedriglohnsektor, und den trocknet man am besten über eine Stärkung der Tarifbindung aus. ({4}) Nur dann findet die Konkurrenz über die Qualität der Produkte und nicht über die Löhne der Beschäftigten statt, und das muss doch das Mindestmaß in einer sozialen Marktwirtschaft sein. ({5}) Nach unten brauchen wir eine Auffanglinie mit einem Mindestlohn von wenigstens 12 Euro. Das ist das, was wir letztendlich schon die ganze Zeit fordern. Last, but not least: Bitten Sie endlich die Reichsten in diesem Land zur Kasse, also die Quandts, Klattens, Albrechts und wie sie alle heißen! Die tragen doch kaum noch zur Finanzierung des Staates bei. Der Bundeshaushalt, den wir nächste Sitzungswoche beschließen werden, finanziert sich gerade noch zu 4 Prozent aus der Körperschaft- und der Abgeltungsteuer. Das sind genau die Steuern auf Gewinne und Dividenden. Das ist doch ein schlechter Witz! ({6}) Eigentum verpflichtet, gerade in einer Krise. Dazu braucht es eine Vermögensabgabe, so wie die Linke sie fordert. ({7}) Durch zunehmende soziale Spaltung nimmt ansonsten nämlich auch die Demokratie Schaden. Nur wenn wir verhindern, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, werden wir auch solidarisch aus der Krise kommen, und nur dann ist das auch ein Land, in dem wir gut und gerne leben. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Susanne Ferschl. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Matthias Zimmer. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kenne eine ganze Reihe von Mittelständlern, eine ganze Reihe von Unternehmern, mit denen ich in diesen Tagen auch spreche – einer sitzt da vorne; das ist der Herr Cronenberg –, ({0}) und ich bin mir ziemlich sicher: Diese Unternehmer machen sich alle Sorgen um die Zukunft ihres Unternehmens und um die Zukunft ihrer Mitarbeiter, und die feiern keine „Coronapartys“. ({1}) Aber wie so häufig, Frau Ferschl, ist bei den Reden, die Sie hier halten, Wahres und Falsches eng beieinander. ({2}) Ich will zwei Dinge besonders herausgreifen: Sie finden uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, die Tarifbindung zu stärken. Das halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben in den nächsten Jahren. Wir können uns keine tariffreien Bereiche leisten, und die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist eine der zentralen Errungenschaften in der sozialen Marktwirtschaft. Die wollen wir nicht nur stärken, die wollen wir ausbauen, und da finden Sie uns an Ihrer Seite. ({3}) - „Da muss man was tun“, sagt die Frau Müller-Gemmeke, ({4}) und da bin ich völlig bei Ihnen. Ich bin sehr dafür, dass wir Experimentierräume für Unternehmen öffnen, die tarifgebunden sind. ({5}) Ich bin sehr dafür, dass wir die Sozialpartnerschaft dadurch stärken, dass wir ihnen zusätzliche Kompetenzen einräumen. Ich bin sehr dafür, dass wir die Möglichkeit schaffen, dass auf betrieblichen Ebenen sehr viel flexibler auf die Herausforderungen des modernen Arbeitslebens reagiert wird. Das ist ein kluger Weg, die Sozialpartnerschaft zu stärken. ({6}) Sie finden uns auch an Ihrer Seite, Frau Ferschl, wenn es um höhere Löhne geht. Das ist eine Aufgabe der Tarifpartner. Ich wünsche jedem der Tarifpartner viel Erfolg dabei, höhere Löhne auszuhandeln. ({7}) Ich bin auch nicht dagegen, dass wir einen höheren Mindestlohn haben. Das habe ich hier an dieser Stelle schon mal gesagt. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass wir dafür ein eingeübtes Verfahren haben, und das Verfahren bedeutet: Wir lassen den Mindestlohn von den Sozialpartnern in der Mindestlohnkommission aushandeln und werden ihn nicht politisch bestimmen. – Das haben wir explizit abgelehnt, und das halte ich nach wie vor für richtig. ({8}) Meine Damen und Herren, wir stehen in der Krise natürlich vor besonderen Herausforderungen, und es ist auch richtig, dass wir darüber diskutieren. Jeder von uns merkt doch in der Debatte, die wir jetzt führen – die Haushaltswoche ist in der nächsten Sitzungswoche –, dass wir vor unglaublichen Herausforderungen stehen und dass diese Herausforderungen sehr stark mit Corona und mit dem Wunsch und dem Willen zu tun haben, in der Coronapandemie weiterhin eine soziale Balance wahren zu können. ({9}) Deswegen sind unsere Maßnahmen doch auch völlig klar: erleichterter Zugang zum ALG II, deutliche Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, Kinderbonus für Alleinerziehende, die ganzen Entschädigungszahlungen. All das machen wir doch nicht zum Spaß, sondern deswegen, damit die Coronapandemie die soziale Ungleichheit hier nicht in irgendeiner Weise verschärft und wir einen sozialen Ausgleich schaffen können. Ich sage aber auch: Wenn man sich die Frage „Arm und Reich in Deutschland“ betrachtet, dann kann man zu sehr unterschiedlichen Aussagen kommen. Ich habe eine Studie vom Paritätischen Wohlfahrtsverband aus den letzten Tagen gelesen. Da steht plakativ drauf: „Gegen Armut hilft Geld“. Dieser Meinung bin ich nicht, und ich glaube, dieser Meinung sind wir auch in unserer Koalition nicht. Ich glaube, wenn man die Studie des Paritätischen sehr genau liest, in der sozusagen nur eine Momentaufnahme gemacht wird, dann ist man froh, dass man die Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung hat, in denen Lebenslagen analysiert werden. Aus der Analyse der Lebenslagen geht doch etwas ganz anderes hervor. Daraus geht nämlich hervor: Gegen Armut hilft nicht Geld, sondern gegen Armut hilft Bildung, hilft Unterstützung und hilft Intervention in speziellen Lebenslagen. – Das ist unsere Antwort auf die Armut in Deutschland. ({10}) Meine Damen und Herren, unsere Politik ist es, auch was die Frage von Armut und Reichtum angeht – ich will nur darauf hinweisen, dass der Gini-Koeffizient, der Einkommensarmut anzeigt, seit Jahren weitgehend unverändert ist und sich lediglich seitwärts bewegt –, die Menschen zu ertüchtigen, den Menschen etwas zuzutrauen – und nicht, die Probleme dieser Welt mit Geld zuzustopfen, das ist nicht unser Weg. Wir werden diesen Weg weitergehen. Herzlichen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Matthias Zimmer. – Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion Uwe Witt. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer an den TV-Geräten und im Livestream! Liebe Genossinnen und Genossen von den Linken, ({0}) wir sind hier im Hohen Haus schon so einiges von Ihnen und Ihren linkssozialistischen Träumereien gewöhnt. ({1}) Aber jetzt den Ausbruch einer von der Regierung zur Pandemie erklärten Krankheit und die von der Regierung völlig überzogenen Lockdown-Maßnahmen zu nutzen, ({2}) um die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, in Gut und Böse weiter voranzutreiben, ist an Populismus wahrlich nicht zu überbieten. ({3}) Jede besondere Herausforderung in unserem Vaterland stellt gewisse Berufs- oder Bevölkerungsgruppen für diesen Moment in den Fokus und macht deutlich, wie sehr gerade dann genau diese Branche benötigt wird. Aber so vielschichtig wie die Herausforderungen an eine moderne Gesellschaft sind, so vielschichtig sind auch die unterschiedlichen Berufe, Qualifikationen und Tätigkeiten unserer Bürger. Stellen Sie sich das Ganze einmal als mechanische Uhr vor. Da nützt es dem Stundenzeiger nichts, verächtlich auf das Zahnrad zu schauen; denn wenn dieses nicht da wäre, würde sich der Zeiger überhaupt nicht bewegen. Genauso verhält es sich in der sozialen Marktwirtschaft. Jeder Beruf, jede Tätigkeit ist wichtig, um die Uhr der sozialen Marktwirtschaft voranzutreiben. In Ihrem Sozialismus hat diese Uhr keine Zeiger und kein Zifferblatt. Da stellt sich die Frage: Wofür brauchen die Linken eine Sozialismusuhr, die keine Zeit anzeigen kann? Mir wird dadurch natürlich klar und erklärlich, wie wir hier immer mit Ihren realitätsfremden Anträgen konfrontiert werden, wenn Sie nicht wissen, was die Stunde tatsächlich geschlagen hat. ({4}) Ich möchte einmal im Einzelnen auf den Titel dieser Aktuellen Stunde eingehen: „Für gute Löhne und Verteilungsgerechtigkeit sorgen“. Für gute Löhne können in der sozialen Marktwirtschaft nur zwei Seiten sorgen, nämlich die Tarifpartner seitens der Arbeitgeber und seitens der Arbeitnehmer. Jeglichen staatlichen Eingriff in die Tarifautonomie lehnt die AfD ab. ({5}) Über Ihre postsozialistischen Regulierungseskapaden à la DDR 2.0 ({6}) haben wir uns nun doch schon etliche Male hier im Plenum ausreichend ausgetauscht. Kommen wir zu Ihrer Forderung „für Verteilungsgerechtigkeit sorgen“ – übrigens ein Begriff aus der Systemtheorie: „In abgeschlossenen Systemen … das wahrscheinlichste Ergebnis der in solchen Systemen stattfindenden Prozesse“. Und das ist das Problem; denn zu Ihrem Bedauern ist die freie westliche Gesellschaft ein offenes und kein geschlossenes System. Verteilungsgerechtigkeit, wie Sie sich das vorstellen, würde also wirklich nur in geschlossenen Systemen wie der DDR 2.0 umzusetzen sein. ({7}) Zu Ihrer Forderung „zunehmende Ungleichheit in der Coronapandemie stoppen“. Ich weiß nicht, wie und wo Sie Ungleichheit in der Coronapandemie bezüglich der Löhne sehen. Im Laufe der Coronakrise gab es bislang keine Lohnentwicklung bzw. Tarifabschlüsse, die aufgrund der Krisensituation ungleich abgeschlossen wurden. Allerdings: Es gibt in der Coronakrise in der Tat große Ungleichheit, und zwar für die Opfer der selbstgemachten Wirtschaftskrise. Ich sehe Millionen Arbeitnehmer und Millionen Kurzarbeiter, die aufgrund des dilettantischen Krisenmanagements der Regierung extreme Einkommensverluste hinnehmen müssen. Ich sehe Millionen Soloselbstständige, Kleinstunternehmer und Künstler, die aufgrund des dilettantischen Missmanagements der Regierung vor dem existenziellen Aus stehen. ({8}) Und ich sehe ganze Branchen wie die Gastronomie, das Schaustellergewerbe oder den Tourismus, die aufgrund des dilettantischen Missmanagements der Regierung ausradiert werden. Denken Sie an diese Menschen, wenn Sie von Ungleichheit sprechen? Mitnichten! Denn Sie spielen sich als der verlängerte parlamentarische Arm von Verdi auf und bringen Anträge, die de facto die Tarifautonomie außer Kraft setzen sollen. ({9}) Damit schließt sich wieder der Kreis: Die Linke spaltet unsere Gesellschaft mit ihren sozialistischen Zwangsneurosen ({10}) und instrumentalisiert dafür das Coronavirus als Erfüllungsgehilfen. Vielen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Die nächste Rednerin: für die Bundesregierung Kerstin Griese. ({0})

Kerstin Griese (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003440

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will wieder zu dem eigentlichen und wichtigen Thema zurückkommen, nämlich dazu, wie es den Menschen in unserem Land geht und wie ihre soziale und wirtschaftliche Lage ist. ({0}) Ja, die Coronapandemie ist eine große Herausforderung für uns alle, und ja, wir müssen jetzt besonders darauf achten, dass Menschen nicht abgehängt werden. Es ist eine besonders schwere Zeit, zum Beispiel für Kinder und Jugendliche, für arme Familien, für Menschen in Not, für ältere Menschen. Gerade dort, wo Menschen in sehr kleinen Wohnungen leben und einsam sind, ist die Situation in dieser Pandemiezeit besonders hart. Gerade deshalb ist es unsere Pflicht als verantwortungsvolle Politik, alles dafür zu tun, damit Menschen ihren Arbeitsplatz behalten, damit Schülerinnen und Schüler nicht abgehängt werden, damit Familien ihren Alltag sicher gestalten können, damit sich von Armut bedrohte Menschen auf Unterstützungsleistungen verlassen können, damit Rentnerinnen und Rentner ihre Renten zuverlässig bekommen und damit die Ungleichheit nicht steigt, sondern alle Menschen gute Chancen auf Bildung, auf Arbeit, auf Versorgung mit allem existenziell Notwendigen haben. ({1}) Ich kann Ihnen versichern: Das treibt uns als Bundesregierung an, und wir stellen uns der Herausforderung jeden Tag, Sicherheit in dieser unsicheren Zeit zu schaffen, mit den Hilfen, die wir vorschlagen und die der Bundestag hier debattiert und beschließt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Das gilt für fast jedes Land dieser Erde. Manchmal hilft es ja, den Blick über den Tellerrand zu richten. Wenn wir alleine unsere Nachbarländer in Europa betrachten, dann kann man schon sagen: Deutschland kommt bisher deutlich besser durch die Pandemie. Das gilt sowohl für die Inzidenzwerte, also mit Blick auf die pandemische Lage, das gilt für die Wirtschaft und damit eben gerade für die Erwerbs- und Einkommenssituation vieler Menschen, und das gilt vor allem für die soziale Lage in diesem Land. Wohl kaum ein anderes Land leistet derzeit auf dieser Welt so viel wie unser Sozialstaat. ({3}) Immer wieder hört man von einer angeblichen Krise des Sozialstaates. Doch was die Coronapandemie gerade beweist – fast wie ein Brennglas, das genau auf die Probleme zielt –, ist genau das Gegenteil: Wir brauchen den Sozialstaat. Wir setzen auf den Sozialstaat gegen die Krise. Ja, wir bauen den Sozialstaat jetzt in der Krise sogar aus, damit Menschen sicher leben können. ({4}) Eben weil wir uns besonders um die Menschen kümmern, die in Notlagen sind, die ihren Job verlieren können, die verzweifeln und die in dieser schweren Situation Ängste haben, bauen wir den Sozialstaat aus. Wir haben ihn ausgebaut, indem wir zum Beispiel die Grundrente beschlossen haben, endlich. Damit wird gerade Menschen mit niedrigen Einkommen geholfen, und sie werden ab dem nächsten Jahr nach einem Leben voller Arbeit eine höhere Rente bekommen. Das ist ein Erfolg. ({5}) Eine solche Herausforderung wie diese Pandemie, die so viele Bürgerinnen und Bürger wirtschaftlich und damit auch sozial völlig unvorhersehbar trifft, kann nur gemeistert werden, wenn man auf das Gute aufbaut, das wir haben. Gerade jetzt zeigt sich doch, wie stabil unser Sozialstaat ist, dass er den Menschen Schutz und Sicherheit gibt. Wer in diesem Land auf Hilfe angewiesen ist, der bekommt Unterstützung – das galt vor Corona, und das gilt jetzt erst recht. ({6}) Wir haben soziale Sicherungssysteme, um die uns viele Menschen in anderen Ländern beneiden: die Arbeitslosenversicherung und vor allem das Kurzarbeitergeld, das uns so wunderbar hilft, durch die Krise zu kommen, und ja, auch die Grundsicherung. Genau darauf konnten wir und können wir in dieser Krise aufbauen. Diese Sicherheit brauchen wir auch für die Zukunft, und das ist wie ein Anker für viele Menschen. Mit der Verbesserung des Kurzarbeitergeldes haben wir gezielt dort geholfen, wo es nötig ist. Wir haben schnell und gezielt bei Arbeitsausfällen geholfen. Das gilt schon seit dem 1. März 2020. Auch das ist ein Ausbau der sozialen Sicherung; denn Kurzarbeit ist jetzt leichter zugänglich, und das Kurzarbeitergeld wird länger und in größerer Höhe gezahlt. Diese erweiterte Kurzarbeit hat der Bundestag gerade bis Ende 2021 verlängert. Wir sehen, dass das notwendig ist: Im April dieses Jahres waren 6 Millionen Menschen in Kurzarbeit, im Juni 4 Millionen, und jetzt sind es noch circa 2,5 Millionen Menschen. Dieses Kurzarbeitergeld vermeidet Kündigungen und sichert Arbeitsplätze. Damit haben wir in der Krise Millionen von Arbeitsplätzen gesichert, und darüber bin ich sehr froh. ({7}) Auch die Wissenschaft belegt, dass das Kurzarbeitergeld ein sehr wirksames Instrument ist. Es ist eine stabile Brücke über das tiefe Tal der Krise. Bei der Grundsicherung haben wir die Vermögensprüfung und die Prüfung der Wohnung ausgesetzt. Damit ermöglichen wir einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung für diejenigen, die jetzt schnell auf Hilfe angewiesen sind. Dass die Grundsicherung gerade jetzt in der Krise so schnell und zuverlässig weiter oder neu ausgezahlt wird, hilft gegen Ungleichheit und Unsicherheit. Auch das ist eine Stärkung unseres Sozialstaates und damit der Menschen, die ihn brauchen und um die es uns geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade viele berufstätige Eltern stehen jetzt unter starker Belastung: organisatorisch, aber auch finanziell und psychisch. Wenn Eltern nicht zur Arbeit gehen können, weil die Kita oder Schule ihres Kindes coronabedingt geschlossen wurde, haben sie einen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Diesen Anspruch haben wir von sechs auf zehn Wochen pro Elternteil verlängert. Wir haben den Kinderbonus beschlossen, übrigens für alle Kinder. Konkret heißt das, dass Eltern einen einmaligen Zuschuss von 300 Euro pro Kind auf das Kindergeld bekommen. Damit helfen wir gezielt Familien, die ja von der Krise besonders stark getroffen sind. Ganz wichtig: Dieser Kinderbonus kommt an, auch und gerade bei den ärmeren Familien; denn er wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet. ({8}) Viele junge Menschen haben gerade jetzt Angst, was ihre Ausbildungs- oder Studiensituation angeht. Damit das nicht passiert, helfen wir mit: Ein Ausbildungsbetrieb, der trotz der Krise weiter oder sogar mehr ausbildet, bekommt dafür eine Ausbildungsprämie. Das hält den Ausbildungsmarkt stabil, und junge Leute können ins Berufsleben starten. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Chancengleichheit. ({9}) Natürlich müssen wir, wenn es um Gerechtigkeit geht, auch über Löhne sprechen. Wir haben jetzt in der Pandemie die Erhöhung des Mindestlohns beschlossen; das war richtig. Ich sage aber auch ganz deutlich: Das kann nur ein Zwischenschritt sein. Wir wollen den Mindestlohn weiterentwickeln in Richtung 12 Euro und darüber hinaus. ({10}) Auch dazu wird das Arbeitsministerium Vorschläge machen. ({11}) Wir müssen auch strukturelle Fragen in dieser Pandemie ansprechen; denn eine geringe Tarifbindung ist die größte Lohnbremse. Ich hoffe, da sind wir uns zumindest zwischen vielen Fraktionen einig. Wir müssen die Tarifbindung stärken. Natürlich sind dafür in erster Linie Arbeitgeber und Gewerkschaften gefragt; aber auch der Staat kann einen Unterschied machen, indem er öffentliche Aufträge und Vergabeverfahren an eine Tarifbindung koppelt. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Wirtschaftshilfen tragen dazu bei, die soziale und wirtschaftliche Lage der Menschen zu stabilisieren und Ungleichheit entgegenzuwirken. Wir stützen die Firmen, die besonders unter den aktuell notwendigen Schließungen leiden, und damit stützen wir die Arbeitsplätze für viele Menschen und helfen den Familien. Ich will noch das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz erwähnen; denn damit werden die sozialen Einrichtungen unterstützt. Auch das ist wichtig in der Krise, auch das ist ein Ausbau unseres Sozialstaates. Damit wird die soziale Infrastruktur gesichert, die wir nicht nur in der Krise, sondern auch danach dringend brauchen, um die Menschen zu unterstützen. Da geht es ganz praktisch um Arbeitsförderungs- und Bildungsmaßnahmen. Da geht es um Sprachkurse, um die Frühförderung und um die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Da geht es um Rehamaßnahmen. Alles das ist wichtig, damit Menschen gute und gleiche Chancen haben. All das stärken wir, gerade in diesen schwierigen Zeiten. ({13}) Wir wollen aber nicht nur die Folgen der Krise abfedern, meine Damen und Herren, sondern wir wollen auch schnell wieder aus der Krise herausfinden. Aus diesem Grund haben sich CDU/CSU und SPD auf ein Konjunkturpaket geeinigt, das es in dieser Dimension noch nie gegeben hat. Wir stärken damit Investitionen und Kaufkraft und sichern so Arbeitsplätze. Wir helfen Familien. Wir investieren in Bildung und Forschung, und wir sichern mit dem Konjunkturprogramm Ausbildungsplätze und stärken Kommunen. Unser Land wird damit sozialer, digitaler und ökologischer. Auch das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. ({14}) Damit investieren wir in die Zukunft. Das macht natürlich ökonomisch Sinn, aber es ist vor allem auch sozial gerecht. Und ja, meine Damen und Herren, das kostet sehr viel Geld, viele Milliarden, und der eine oder andere in diesem Haus kritisiert das. Aber es ist gut und richtig investiertes Geld, damit wir uns gemeinsam den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronapandemie entgegenstellen können. Dabei wirkt unser Sozialstaat. Wir haben ihn ausgebaut, damit Menschen in Notlagen noch besser, zielgenauer und nachhaltiger unterstützt werden können. Das zeigt: Diese Bundesregierung handelt in dieser schwierigen Zeit. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz, um die soziale Sicherheit und um gute Chancen für alle Menschen. Auf den Sozialstaat ist Verlass. Vielen Dank. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kerstin Griese. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie bestimmt unseren Alltag; es war die Rede von Einkommensverlusten. Das ist bitter für sehr, sehr viele Menschen, und deshalb ist die allererste Frage, die wir uns stellen müssen – bei aller Vorsicht, bei aller Umsicht und bei aller Behutsamkeit im Umgang mit der Coronapandemie –, ob die beschlossenen Maßnahmen, die Restriktionen, wirklich in allen Bereichen zielführend und verhältnismäßig sind. Wir glauben, dass Bereiche der Kultur, der Gastronomie, der Hotellerie, der Freizeiteinrichtungen und Fitnessstudios bei Vorliegen von behördlich genehmigten Hygienekonzepten vielleicht doch offen bleiben könnten. Es wäre wichtig, diesen differenzierteren Ansatz zu wählen. Das würde auch vielen Menschen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir spannen Rettungsschirme in gigantischen Größenordnungen mit Milliardenbeträgen, die vor kurzer Zeit noch völlig undenkbar gewesen wären. Wir alle wissen, dass Kurzarbeit und Finanztransfers, die im Moment richtig sind, zwar jetzt dabei helfen, die Pandemiekrise zu überstehen; aber wir wissen auch, dass das keine Lösung für die Zukunft und insofern keine langfristige Lösung sein kann. Deshalb müssen wir schon jetzt den Blick in die Zukunft werfen. Die Zukunft kann nur derjenige gestalten, der die Vergangenheit versteht. In der Vergangenheit haben wir Versäumnisse angehäuft, die sich jetzt bitter rächen. Wenn wir über gute Löhne und über mehr Netto in den Taschen der Menschen reden, gehört dazu zum Beispiel, dass wir uns endlich mal das Steuersystem vornehmen. Es kann nicht sein, dass über den Mittelstandsbauch beispielsweise Lohnerhöhungen, die die Tarifpartner aushandeln, vom Staat am Ende wieder weggenommen werden und gar nicht in den Taschen der Menschen landen. Deshalb müssen wir den sogenannten zweiten Tarifeckwert nach rechts verschieben, damit wir die mittleren und die kleinen Einkommen künftig stärker entlasten. ({1}) Wir müssen dafür sorgen, dass der Solidaritätszuschlag abgeschafft wird. Wir müssen aufpassen, dass wir die Sozialversicherungsbeiträge nicht durch falsche rentenpolitische Entscheidungen in die Höhe schnellen lassen. Wir brauchen maßvolle Sozialversicherungsbeiträge; wir sagen, sie müssen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei unter 40 Prozent bleiben. Das ist ganz entscheidend, damit unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig in die Zukunft blicken kann und die Arbeitsplätze hier in Deutschland erhalten werden können. ({2}) Wenn wir über die geringsten Einkommen reden, dann werden wir auch über die Aufstocker reden müssen. Dann muss auch endlich klar sein, dass wir bei den sogenannten Zuverdienstgrenzen nachbessern müssen. Es kann nicht sein, dass wir den Menschen nach wie vor 80 Cent von jedem verdienten Euro wegnehmen. Hier müssen wir eine Anpassung vornehmen; das würde den Menschen auch mehr Netto in der Tasche belassen. Das ist eine längst überfällige Entscheidung. ({3}) Wir wissen alle, dass unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem vor vier großen Herausforderungen stehen. Das ist zunächst die Coronapandemie; es geht aber auch um die Globalisierung und die Digitalisierung, und es geht darum, unsere Wirtschaft in die Klimaneutralität zu führen. Deshalb brauchen wir schon jetzt die richtigen Impulse für die Arbeitsplätze in der Zukunft. Dafür müssen in Deutschland die Unternehmensgründungen erleichtert werden. Seit dem Jahr 2001 ist die Gründungsquote um 63 Prozent gesunken. Das darf nicht sein. Gründen ist in Deutschland zu schwierig, und das müssen wir ändern. Die Beantragung eines eigenen Unternehmens muss innerhalb von 24 Stunden möglich sein. Wir brauchen ein bürokratiefreies erstes Jahr für Gründer, und wir brauchen neue Finanzierungsmöglichkeiten für Gründerinnen und Gründer, damit Kapital zur Verfügung steht, um neue Ideen zu entwickeln und auf den Weg zu bringen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zukunft gewinnt, wer das beste Bildungssystem der Welt aufgestellt hat. Deshalb müssen wir auch einen Blick auf unser Bildungssystem werfen. Da fangen wir auch mal wieder bei den Schwächsten an. Es ist für mich nach wie vor ein Skandal, dass Sie sich als Regierungskoalition verweigern, die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets auf ein erforderliches Maß anzuheben. Wir müssen den Menschen im Hartz-IV-Bezug für ihre Kinder mehr Geld für Bildung und Teilhabe geben. Und da verweigern Sie sich, da knausern Sie um jeden Euro. Das ist ein Skandal; das darf nicht so bleiben. ({5}) Bei der Digitalisierung der Schulen hinkt Deutschland hinterher. Sie haben es nicht geschafft, dass vom Bund zur Verfügung gestellte Mittel auch tatsächlich bei den Schülerinnen und Schülern, sozusagen an der Basis unseres Bildungssystems, ankommen. Sie haben es nicht geschafft, dass die Mittel abgerufen werden können, und das kann in der Zukunft nicht so bleiben. Wir brauchen schnellere Entscheidungen, aber wir brauchen vor allen Dingen schnellere Umsetzungen, wenn wir die Zukunft erreichen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist viel zu tun. Packen wir es an! Aber richten wir den Blick in die Zukunft, und suchen wir nach besseren Lösungen! Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Herr Kober. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen, Kinder, Soloselbstständige, Künstlerinnen und Künstler, freiberuflich Tätige, Studierende, Menschen mit Minijobs, Kurzarbeitende mit Niedriglohn, Familien, Obdachlose, Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter, Hartz-IV-Beziehende: All das sind Gruppen, die in und von dieser Krise besonders betroffen sind und bei denen die Bundesregierung viel zu wenig getan hat, um ihre Situation signifikant zu verbessern. Das wäre aber unbedingt notwendig gewesen. ({0}) Die Bundesregierung hat schlicht die falschen Prioritäten gesetzt. Warum gab es regelmäßig Autogipfel, aber keine regelmäßigen Bildungsgipfel? ({1}) Warum waren die drei großen B – Biergärten, Baumärkte und Bundesliga – lange Zeit wichtiger als Kitas und Kinder? ({2}) Warum gab es keinen Pandemierat, in dem nicht nur Virologinnen und Virologen sind, sondern auch Expertinnen und Experten für Armut, Bildung und Geschlechtergerechtigkeit? Warum gibt es immer noch keinen Aufschlag auf die Grundsicherung? Warum gibt es kein Coronageld, keine bessere Absicherung für Studierende, kein höheres Kurzarbeitergeld für Menschen mit Niedriglöhnen? Und warum gibt es immer noch kein Existenzgeld für Künstlerinnen und Künstler? ({3}) Warum gibt es immer noch keine einfache unbürokratische Leistung für alle Soloselbstständigen, die ihren Lebensunterhalt sichert? ({4}) Für all das wäre genug Geld da. Richtigerweise hat die Bundesregierung viel Geld zur Verfügung gestellt. Aber bei den genannten Gruppen ist kaum was angekommen. Es ist richtig, die Unternehmen zu unterstützen. Aber Sie haben die Menschen vergessen, vor allem die Menschen, die es am nötigsten haben. ({5}) Wir finden es notwendig, bei aller Politik den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. ({6}) Bei all den wichtigen Notmaßnahmen ist es aber auch wichtig, in die Zukunft zu schauen. Corona hat wie unter dem berühmten Brennglas gezeigt, wo Schwächen und Lücken in unserem Sozialstaat liegen. Diese müssen geschlossen werden. ({7}) Wir sehen die Schwächen der Grundsicherung und brauchen eine Garantiesicherung, mit der wir Hartz IV überwinden. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, um Kinder und ihre Familien besser abzusichern. ({8}) – Ich habe beim Parteitag gar nicht geredet. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das war ich. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gucken Sie sich unsere Parteitagsreden noch mal an! Sehr sehenswert; daraus können Sie noch was lernen. Die Krise hat uns aber auch gelehrt, dass Selbstständige eine bessere Absicherung brauchen: eine bessere Mindestabsicherung durch die Garantiesicherung, aber auch einen besseren und leichteren Zugang zur Arbeitslosenversicherung – ich glaube, da haben wir alle dazugelernt, auch die Selbstständigen –, damit in künftigen Krisen auch Selbstständige Kurzarbeitergeld bekommen können. Auch das wäre ein wichtiger Punkt für die Zukunft. ({0}) Wir brauchen insgesamt stärkere Sozialversicherungen. Wir haben Glück gehabt, dass die Rücklage der Arbeitslosenversicherung so gut gefüllt war. Es ist noch nicht so lange her, da war der Ruf nach Beitragssenkungen – ich gucke dabei in die Reihen der FDP – sehr laut, und es ist gut, dass wir den Vorschlägen der FDP und anderer dabei nicht gefolgt sind und die Arbeitslosenversicherung das Geld hatte. ({1}) Wir brauchen stärkere Sozialversicherungen und müssen deswegen die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung und die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu Bürgerversicherungen weiterentwickeln. Wir brauchen mehr soziale Sicherheit, nicht nur für die Krisen jetzt, sondern um die Veränderungen, die vor uns stehen, zu meistern und dabei alle mitzunehmen. ({2}) Soziale Sicherheit ist wichtig; das ist das eine. Ebenso wichtig sind gute Löhne und gute Arbeit. Wir brauchen mehr Tarifbindung. Offenbar sind wir uns in diesem Ziel weitgehend einig; aber es muss auch gemacht werden. Das heißt, wir brauchen einfache Allgemeinverbindlichkeitserklärungen als einen Weg, ({3}) und wir brauchen endlich ein Bundestariftreuegesetz, damit Vergaben auch an Tarifbindung gebunden sind. ({4}) Das wäre ein wirklich starker Hebel. Und wir brauchen eine deutliche Anhebung des Mindestlohns, damit er besser vor Armut schützt. ({5}) Auch wir sagen: Die Mindestlohnkommission soll das machen. Aber wir machen hier die Rahmenbedingungen für die Mindestlohnkommission; da muss das Thema Armut stärker in den Fokus, damit der Mindestlohn tatsächlich auch besser vor Armut schützt. ({6}) Für gute Arbeit braucht es aber noch mehr. Wir brauchen zum Beispiel mehr Mitbestimmung, und wir brauchen eine Zeitpolitik, die dafür sorgt, dass Arbeit besser ins Leben passt. ({7}) Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig sozialer Zusammenhalt und Solidarität sind. Sie zeigt aber auch auf, was alles noch zu tun ist. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Uwe Schummer. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Es stimmt: Pandemie kennt keine Gerechtigkeit. Sie ist global. Sie ist unberechenbar, so wie das Virus sich ja auch weltweit verhält. Unser politischer Auftrag ist es, diese Pandemie zügig zu überwinden und auch wieder zu mehr gesellschaftlicher Normalität zu finden, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft auch insgesamt zu stärken, damit niemand verloren geht. Wenn wir uns die soziale Grundlage unserer Gesellschaft anschauen, dann können wir, gerade als Gewerkschafter, auch mal bei der Böckler-Stiftung nachfragen. Im „Böckler Impuls“ der Stiftung wird im Jahr 2020 formuliert: Deutschland ist auf dem Weg einer stabilitätsorientierten guten Entwicklung der Löhne. – Dann wird weiter ausgeführt, dass wir bei den Arbeitskosten vor Großbritannien und den Niederlanden, hinter Dänemark und Luxemburg europaweit in der oberen Liga sind. Auch die Daten von Eurostat bestätigen: Die Armutsgefährdung in Deutschland sank von 16 Prozent der Bevölkerung in 2018 auf 14 Prozent in 2019 und damit auf den niedrigsten Wert seit 2007. Auch solche Fakten muss man mal zur Kenntnis nehmen. ({0}) Nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 hatten wir schon einen geradezu mythisch anmutenden langen Wirtschaftsaufschwung, eine ganze Dekade. Und noch im letzten Jahr sind die Einkommen der Arbeitnehmer nach der Hans-Böckler-Stiftung nominal um 3,3 Prozent gestiegen. Der von der Hans-Böckler-Stiftung errechnete Verteilungsspielraum lag bei 2,6 Prozent. Bei der aktuellen Tarifvereinbarung im öffentlichen Dienst ist es ähnlich. Gerade die geringen Einkommen profitieren am meisten, nämlich fast 5 Prozent, bei dem, was miteinander vereinbart wurde. Die erfolgreichste Bekämpfung von Armut ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wir haben bis zur Pandemie einen Pfad zur Vollbeschäftigung beschritten. Das hat das Armutsrisiko insgesamt gemindert. Wir wissen, durch diese Vorarbeit können wir jetzt diese Pandemie besser bekämpfen. Deutschland hat ein umfassendes soziales Netz, und wir haben mit den Tarifpartnern auch eine Steuerung innerhalb der Wirtschaft, die sehr autonom und sehr vertrauensvoll zusammenarbeitet. Die Pandemie hat auch gezeigt, wie wichtig die Arbeit im Gesundheitsbereich ist. Deshalb haben wir mit dafür gesorgt, dass bei den Zuschüssen für Pflege und Inklusion in der Behindertenarbeit bei der Förderung immer auch der tarifliche Lohn eingerechnet werden kann und eingerechnet werden muss. Wir erwarten dann, dass dies auch bei den Beschäftigten ankommt. Gute Arbeit zu finanzieren, ist besser als Arbeitslosigkeit. Das Kurzarbeitergeldmodell in Deutschland hat weltweit Furore gemacht. Das ging bis dahin, dass der deutsche Begriff „Kurzarbeitergeld“ in den USA mittlerweile in das Englische übernommen wurde. Dass Einkommen trotzdem durch Kurzarbeit absinken, lässt sich natürlich nicht bestreiten. Damit steigt auch das Armutsrisiko. Aber wir wissen auch – und dafür kämpfen wir –: Nach der Krise ist vor dem Aufschwung. Deshalb ist das Pandemiemanagement in Deutschland gut gewesen, anders als in den USA, wo unter Donald Trump Tausende Menschen infolge der Pandemie sterben, während er auf dem Golfplatz steht. Das heißt, die USA zeigen alternativ: Wenn soziale Sicherungen durchbrennen, dann ist eine Gesellschaft krisenanfälliger. ({1}) 170 000 Neuinfizierte pro Tag in den USA, 1 000 tote Menschen jeden Tag, eine Zunahme der Arbeitslosigkeit um 22 Millionen und eine fünffach höhere Sterberate als in Deutschland. Deshalb sage ich: Gut, dass in Deutschland die Große Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten regiert und nicht Menschen, die Nationalismus und ihre Ideologe von rechts außen vertreten. ({2}) Wir sehen natürlich einen Handlungsbedarf. Wir brauchen ein Update, das heißt mehr Tarifbindung. Da sind wir einig; das steht auch im Koalitionsvertrag. Wir wollen mehr Betriebsräte, weil dort, wo mehr Betriebsräte in den Unternehmen sind, auch die Tarifbindung automatisch zunimmt. Und wir wollen, dass der Dienst am Menschen mindestens so gut bezahlt wird wie die Arbeit an der Maschine. Pfarrer Rainer Eppelmann, früher Abrüstungsminister und CDA-Bundesvorsitzender, für den ich einige Jahre gearbeitet habe, hat mir mehrfach gesagt, dass er, nachdem die DDR gefallen ist, frei reisen durfte. Das hat er weidlich genutzt. Immer wenn er zurückkam, egal wo er gerade gewesen war, um die sozialen Themen der Welt zu studieren, sagte mir Rainer Eppelmann: Wenn du krank bist, wenn du arm bist, alt oder auch arbeitslos, bitte nur in Deutschland. – Das war seine Botschaft. Dass es so bleibt, daran arbeiten wir hier in der Mitte des Saales gemeinsam. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Uwe Schummer. – Die Maske, Herr Schummer. Bitte die Maske anziehen. ({0}) – Ganz ruhig. Alles gut. Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Sichert. ({1})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linken wollen heute über gute Löhne sprechen. Ein Lohn ist umso besser, je mehr der Erwerbstätige von seinem erwirtschafteten Geld behalten darf. Gute Löhne sind also das Gegenteil von Umverteilung. Wir haben aktuell drei Rekorde, die nebeneinandergestellt zeigen, dass diese Regierung total versagt. Erstens. Wir haben weltweit die höchsten Steuern und Abgaben. Kein anderes Land weltweit presst seine eigenen Bürger so aus wie wir. ({0}) Zweitens. Wir machen in diesem und im kommenden Jahr Rekordschulden von mehreren Hundert Milliarden Euro. Drittens. Wir haben Armut auf Rekordniveau. Seit der Wiedervereinigung gab es nie so viele Arme wie heute. Wenn man so viel den eigenen Bürgern wegnimmt und sich so hoch verschuldet, aber trotzdem die Armut steigt, dann stellt sich die Frage: Was läuft schief in Deutschland? Wohin geht das ganze Geld? Die Antwort auf die Frage ist: Ein Großteil dieses Geldes geht in die EU. ({1}) Ich höre ständig von Abgeordneten anderer Parteien, allen voran von CDU und CSU, dass es total großartig sei, anderen Staaten in der EU Geld zu geben, weil diese Länder schließlich deutsche Produkte kaufen würden. Das ist, mit Verlaub, ökonomisch der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe. ({2}) Was Sie hier politisch machen, ist das Gleiche, wie wenn Sie zu einem Kioskbesitzer gehen, ihm sagen, er soll dem nächsten Kunden, der vorbeikommt, 100 Euro schenken, und dann hoffen, dass derjenige für diese 100 Euro bei ihm einkauft. ({3}) Wahrscheinlich wird genau wie bei der EU derjenige das Geld einfach dankbar einstecken und es anderswo ausgeben. Aber selbst wenn er das Geld im Kiosk weitergibt, hat der Kioskbesitzer zwar hinterher wieder die gleichen 100 Euro in der Kasse; aber er hat einen massiven Verlust gemacht; denn die Waren für 100 Euro sind dann weg. Diese ganze Umverteilung von deutschem Steuergeld auf andere EU-Länder ist letztlich nur eine brutale Ausbeutung deutscher Erwerbstätiger. ({4}) Man presst den Erwerbstätigen immer mehr Geld ab, bürdet ihnen immer höhere Staatsschulden auf, die sie abarbeiten müssen, und finanziert damit Steuersenkungen und soziale Wohltaten in anderen Ländern. Diese moderne Form der Lohnsklaverei ist das Gegenteil von Verteilungsgerechtigkeit und von guten Löhnen. ({5}) Es ist scheinheilig, dass Sie von den Linken, die immer das Loblied auf die EU mitsingen, sich hierhinstellen und über mangelnde Verteilungsgerechtigkeit und schlechte Löhne klagen. Ändern Sie stattdessen mal Ihre europäische Politik! Neben der EU-Politik ist aber auch die Verteilung des Geldes innerhalb von Deutschland ein Problem. Anstatt dass wir Armut bekämpfen, werden mit Abermilliarden Euro nicht konkurrenzfähige umweltschädliche Projekte wie Elektroautos und Windräder subventioniert. Das ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Die Wohlhabenden, die sich ein Elektroauto oder ein Windrad leisten können, freuen sich über die Subventionen, die die ärmeren Mitbürger mit ihren Steuern finanzieren. Ganze Industriezweige wie der konventionelle Kraftwerksbau oder die Automobilindustrie mit Hunderttausenden Arbeitsplätzen werden durch diese Politik vernichtet. Auf die Spitze getrieben wird diese wohlstandsvernichtende Politik durch massive Bürokratie wie die geplante Euro-7-Norm. In der Folge baut künftig BMW Motoren in Großbritannien und Daimler in China. Diese gezielte Vernichtung deutscher Arbeitsplätze führt zu steigender Armut. ({6}) Wir haben aktuell so viel Umverteilung und staatliche Lenkung wie noch nie und als Ergebnis Rekordarmut und massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen. Ihnen von der Linken, die immer von Vermögensabgaben, neuen Steuern und noch mehr staatlicher Lenkung träumen, kann man nur raten: Sehen Sie sich doch in der Realität um! Genau diese Politik haben wir aktuell, ({7}) und sie führt nur zu einem, nämlich grassierender Armut. Wir brauchen gute Löhne, also deutlich niedrigere Steuern und Abgaben. Wir brauchen aber auch einen Einsatz der Mittel des Staates für die einheimische Bevölkerung, die einheimische Infrastruktur und die einheimische Wirtschaft. Schluss mit dem Verschleudern unzähliger Milliarden Euro deutschen Steuergelds jedes Jahr an andere EU-Staaten und als Subventionen für unrentable Technologien! Stärken wir Deutschland, bekämpfen wir Armut, indem wir die deutsche Wirtschaft und unsere Mitbürger entlasten und unterstützen! Das wäre nicht nur fair und sozial gerecht, sondern genau das ist auch unser Auftrag als Deutscher Bundestag. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich danke Ihnen. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Daniela Kolbe. ({0})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das wirklich Frustrierende an Tagesordnungspunkten der Linken ist, dass man dabei als Sozialdemokratin nach solchen Beiträgen der AfD sprechen muss. ({0}) Also schnell zurück zum wirklich spannenden Thema. Denn auch wenn wir im Vergleich bisher recht gut durch diese Krise gekommen sind, stimmt es: Natürlich hat Corona massive verteilungspolitische Auswirkungen; denn die Krise trifft die Menschen extrem unterschiedlich. Gerade Menschen mit wenig Einkommen sind durch Zusatzkosten und zum Teil auch durch im ersten Lockdown gestiegene Preise besonders betroffen, während Menschen mit höheren Einkommen ({1}) – die Senkung der Mehrwertsteuer kam ja danach – zum Teil eine erhöhte Sparquote haben, weil sie schlicht weniger Gelegenheit haben, ihr Geld so auszugeben, wie sie es gerne wollen. ({2}) Gerade erwerbstätige Menschen mit niedrigen Einkommen sind von dieser Krise betroffen. Prekär Beschäftigte, Geringqualifizierte machen sich gerade am meisten Sorgen um ihren Job. Auch viele Migrantinnen und Migranten sind schon von Arbeitslosigkeit betroffen. ({3}) Die Zahl der arbeitslosen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist um 30 Prozent gestiegen. Die Geringverdienenden können auch häufig nicht einfach ins Homeoffice gehen wie viele Akademikerinnen und Akademiker. Die Topverdiener sind nicht diejenigen, die in der Pflege, im ÖPNV, im Einzelhandel und in der Nahrungsmittelindustrie, Stichwort „Fleisch“, einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt sind, damit wir alle halbwegs gut leben können. Da ärgert es mich als Sozialdemokratin schon, dass gerade in den Boombranchen, wo jetzt richtig Geld verdient wird, im Einzelhandel und in der Paketzustellung, die Löhne nicht steigen, wie wir heute aus der Presse erfahren. ({4}) – Bezogen ist diese Presseberichterstattung, wenn Sie nachlesen wollen, auf den Einzelhandel im Lebensmittelbereich. ({5}) Auch da sind die Löhne im Vergleich zum letzten Jahr gesunken und nicht gestiegen, wie es diese Menschen verdient hätten. ({6}) Auch Minijobber sind besonders betroffen; denn für sie gibt es kein Kurzarbeitergeld. Gerade Studierende sitzen gerade zu Hause und haben Sorgen, also richtig existenzielle Sorgen. ({7}) Und auch wenn wir natürlich ein sehr gutes Kurzarbeitergeld haben, nehmen wir zur Kenntnis, dass gerade für Menschen mit niedrigen Löhnen der Verdienstausfall besonders gravierend ist, auch weil er seltener ausgeglichen wird, weil es eben seltener Tarifverträge gibt. ({8}) Menschen mit geringen Einkommen sind natürlich auch besonders darauf angewiesen, dass unser Sozialstaat funktioniert, etwa das Gesundheitswesen, aber auch die Kinderbetreuung, auch die Beratung in den Behörden. Es ist wichtig für diese Menschen, dass die Sozialleistungen beantragt werden können und auch verlässlich fließen, dass der Sprachkurs stattfindet. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gibt es deswegen gerade drei dicke Punkte auf der To-do-Liste: Erstens. Wir wollen die Menschen jetzt unterstützen. Zweitens. Wir wollen den Sozialstaat am Laufen halten und ihn dafür fitmachen, in der Krise zu wirken; das heißt, wir bauen ihn gerade aus. Drittens. Wir wollen die Kosten dieser Krise vernünftig verteilen. Alles das tun wir, ({9}) auch wenn wir es in einem Spannungsfeld tun; denn viele Menschen in diesem Land vertrauen der Politik gar nicht mehr. ({10}) Das ist insofern interessant, als wir wirklich recht gut durch diese Krise kommen. Gleichzeitig – oft sind es die gleichen Personen – gibt es quasi eine Heilserwartung an die Politik, so als könnten wir mit dem Finger schnippen, und dann ist die Krise vorbei, so als könnten wir einen Zauberspruch aufsagen, und dann kommen wir durch die Krise, ohne dass es irgendjemand merken würde. Nein, das können wir nicht. Aber das, was wir tun können, tun wir: mit den Novemberhilfen und wahrscheinlich den Dezemberhilfen, mit dem Familienbonus, mit einem Konjunkturpaket, das darauf abgestellt ist, gerade Menschen mit kleineren Einkommen zu unterstützen, mit einem verbesserten Kurzarbeitergeld, für das wir einen zweistelligen Milliardenbetrag einsetzen, mit einem sehr einfachen Zugang in die Grundsicherung. Das alles tun wir. Wir tun alles, was wir können, und wir tun alles, worauf wir uns mit der Union einigen können, um den Menschen wirklich ganz konkret zu helfen. ({11}) Wir kämpfen für eine stärkere Tarifbindung und einen höheren Mindestlohn. Mit dem SodEG, mit einer Stärkung der Pflegeversicherung, mit einem geschärften Blick auf die Krankenversicherung und mit einer sehr guten Lösung für die Bundesagentur für Arbeit stützen wir den Sozialstaat. Und wir setzen die Frage der Finanzierung auf die Tagesordnung. Klar ist es richtig, dass wir diese Ausgaben jetzt über Schulden finanzieren; das sagen sogar die konservativsten Ökonomen. Bei den Zinsen ist das logisch. Aber wir sagen auch: Langfristig darf das nicht auf Kosten der niedrigen und mittleren Einkommen gehen, indem der Sozialstaat abgebaut würde oder indem beispielsweise die Beiträge sinken. Nein, die starken Schultern müssen die Kosten dieser Krise massiv mittragen. ({12}) Das alles gelingt nicht mit einem Fingerschnippen, aber mit harter Arbeit und manchmal auch mit einem Um-den-Finger-Wickeln des Koalitionspartners. ({13}) Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will hier mal anmerken: Neun Redner waren jetzt vor mir, und nicht ein einziger hat das Wort „Millionärssteuer“ in den Mund genommen – nicht ein einziger! ({0}) Aber genau da, bei den Millionären, wäre doch das Geld, das man umverteilen müsste. ({1}) Deshalb fordern wir die Millionärssteuer – um Ihnen das noch mal deutlich und klar zu sagen. Meine Damen und Herren, durch die Coronapandemie wird die verfehlte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesregierung schonungslos offengelegt. Sie haben keine Antworten für Millionen Menschen, die im Niedriglohn arbeiten, die nicht wissen, wie sie über den Monat kommen sollen. Sie haben keine Antworten für Millionen Menschen, die in Armut leben, die auf Tafeln, Kleiderkammern und Suppenküchen angewiesen sind. Meine Damen und Herren, soziale Sicherheit sieht anders aus! ({2}) Ihre Löcher im sozialen Netz bekommen auch Millionen Beschäftigte zu spüren. Man muss einen monatlichen Bruttolohn von 2 500 Euro erst einmal haben, um ein Kurzarbeitergeld von 1 000 Euro zu bekommen. Aktuell gibt es nämlich über 4 Millionen Vollzeitbeschäftigte, die mit einem Niedriglohn abgespeist werden, also weniger als 2 267 Euro brutto haben. Wissen Sie, was das heißt, zum Beispiel für die Kolleginnen und Kollegen in der Hotel- und Gaststättenbranche, die seit Monaten mit einem Kurzarbeitergeld von 60 Prozent ihres niedrigen Lohns leben müssen? Das bedeutet für die Beschäftigten den Absturz in Armut, und das muss dringend geändert werden. ({3}) 3,5 Millionen Menschen arbeiteten zu Beginn der Krise in zwei oder drei Jobs. Das machen sie doch nicht, weil sie nicht wissen, wie sie die Zeit rumkriegen sollen. Das machen sie, weil der Lohn aus dem ersten Job nicht ausreicht. Sie brauchen das Geld, um über die Runden zu kommen. Arbeiten bis zum Umfallen, egal zu welchem Lohn: Das ist Ihre unsoziale Arbeitsmarktpolitik der letzten 20 Jahre. ({4}) Beim Arbeitslosengeld sieht es nicht anders aus. Jeder Zweite erhält noch nicht mal 1 000 Euro Arbeitslosengeld; im Osten sind es sogar zwei Drittel. Selbstständige und Freiberufler, die durch die Lockdowns kein Einkommen mehr haben, erhielten bislang keine Hilfe von der Bundesregierung, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Sie werden gleich ins Verarmungssystem Hartz IV abgeschoben. Hartz IV, meine Damen und Herren, ist Armut per Gesetz. Das gehört abgeschafft! ({5}) Meine Damen und Herren der Bundesregierung, in der Coronapandemie haben Sie Hunderttausende neue Sozialfälle produziert. Dadurch wachsen Armut, Ungleichheit und Abstiegsangst. Sie steuern geradewegs in eine soziale Katastrophe. Reißen Sie endlich das Ruder rum, und gehen Sie auf einen sozialen Kurs! ({6}) Die Niedriglohnpolitik wird weiter zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten beitragen. Mit der Agenda 2010 haben Sie eine Lohnspirale nach unten in Gang gesetzt. Daran hat sich bis heute trotz Mindestlohn – oder vielleicht wegen des niedrigen Mindestlohns – nichts geändert. Wir brauchen endlich einen Mindestlohn von wenigstens 12 Euro. ({7}) Als Nächstes das Thema Leiharbeit. Fast zwei Drittel der Leiharbeitskräfte arbeiten zu niedrigen Löhnen. In Arbeitsmarktkrisen sind sie die Ersten, die entlassen werden. Dies zeigt sich auch wieder deutlich in der Pandemie. Die Kolleginnen und Kollegen bekommen durchschnittlich 40 Prozent weniger als die regulär Beschäftigten. Das ist ungerecht! „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist die Devise am Arbeitsmarkt, meine Damen und Herren. ({8}) Für diese vielen Ungerechtigkeiten am Arbeitsmarkt sind Sie, meine Damen und Herren von den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP, verantwortlich. Daran müssen Sie sich auch immer wieder erinnern lassen. Meine Damen und Herren, niedrige Löhne ziehen immer niedrige Renten nach sich. Mit ihrer Niedriglohnpolitik produziert die Bundesregierung heute die Sozialfälle von morgen. Millionen Rentnerinnen und Rentner leben heute schon in Armut. Nehmen Sie die Situation endlich ernst, und stoppen Sie die Rutschbahn in die Armut! Die Linke fordert: Das Kurzarbeitergeld muss sofort rauf auf 90 Prozent; generell muss der Zugang zur Arbeitslosenversicherung erleichtert werden, auch für Selbstständige; Hartz IV muss durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden. Ihr Auftrag ist klar und deutlich: Schaffen Sie endlich die Rahmenbedingungen für gute Arbeit und eine soziale Sicherung, die ihren Namen verdient! Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Coronapandemie zeigt deutlich auf, dass Abstiegsängste, eine ungewisse Zukunft, wenig Einkommen und fehlende soziale Absicherung der Demokratie schaden. Und hätten die verschiedenen Bundesregierungen all die Jahre für einen starken Sozialstaat und für gute Arbeit für alle gesorgt, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Zimmermann, die Ankündigung des Schlusspunktes ersetzt diesen nicht.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– dann würde vermutlich jetzt nicht die AfD hier rechts außen sitzen. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Antje Lezius das Wort. ({0})

Antje Lezius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004341, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie hat den deutschen Sozialstaat auf eine sehr harte Probe gestellt und stellt ihn noch. Im Vordergrund stand der Gesundheitsschutz – da steht er nach wie vor. Ein Leben ist nicht mehr zurückzuholen; körperliche Schädigungen bleiben. Ich bin froh und dankbar, dass jeder Bürger in Deutschland über eine Krankenversicherung verfügt. Solidarisch kommt die Gemeinschaft der Beitragszahler für diejenigen auf, die Hilfe brauchen. Um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie für die Bürgerinnen und Bürger abzufedern, hat der Staat von Anfang an sehr viel Geld in die Hand genommen. Möglich war und ist dies dank der starken Wirtschaft und der guten Finanzlage. Das Kurzarbeitergeld ermöglicht Millionen Beschäftigten beim vorübergehenden Arbeitsausfall die Weiterbeschäftigung. Noch im März haben wir im Zuge des Sozialschutz-Pakets I den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung, den vereinfachten Zugang zum Kinderzuschlag, Entschädigung bei der Kinderbetreuung und Zuschüsse für soziale Dienste beschlossen; um nur einige Maßnahmen zu nennen. Im Mai darauf folgten mit dem Sozialschutz-Paket II unter anderem die verbesserten Bedingungen beim Kurzarbeitergeld, die Verlängerung der Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld und Nachbesserungen bei der Unterstützung sozialer Dienstleistungen. Der Sozialstaat hat den Stresstest bisher gut bestanden. ({0}) Studien zeigen, dass gerade diejenigen infolge der Coronakrise überdurchschnittlich von Einkommensverlusten betroffen sind, die schon zuvor eine schwächere Position auf dem Arbeitsmarkt hatten. Es geht um Ergebnisse, die auch deutlich machen, dass wir weiterhin alles dafür tun müssen, die Position der Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, dass wir alles dafür tun müssen, einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt zu erhalten und die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Wirtschaft gute Jobs generiert. In der Union arbeiten wir stets an einem Mittelweg zwischen marktwirtschaftlicher und staatlich gelenkter Ordnung. Unser Weg ist die soziale Marktwirtschaft, und, meine Damen und Herren, sie funktioniert. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, ein Arbeitsmarkt, in dem die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit nunmehr 14 Jahren kontinuierlich zugenommen hat, und stetig steigende Löhne schaffen Wohlstand und ermöglichen einen starken Sozialstaat erst. Für diesen starken Sozialstaat zahlen wir vergleichsweise hohe Steuern und Abgaben – das wurde heute schon mehrmals gesagt –, wenden wir einen beträchtlichen Teil unseres Bruttoinlandsprodukts auf. Wir verteilen um, und wir unterstützen uns gegenseitig. Verteilungsgerechtigkeit weitergedacht ist Chancengerechtigkeit, und dafür brauchen wir soziale, ökonomische und politische Verhältnisse, in denen jeder Einzelne seine persönlichen Stärken entfalten kann. Wichtig ist dabei vor allem der ungehinderte Zugang zur Bildung. Bildung und eine starke Volkswirtschaft ermöglichen den Aufstieg in bessere Jobs und höhere Löhne. Dass die Bildungsausgaben in Deutschland im OECD-Vergleich überdurchschnittlich hoch sind, ist ein gutes Zeichen für den richtigen Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Sehr geehrte Damen und Herren, die Pandemie, die dazu führt, dass viele Menschen mit weniger Lohn auskommen müssen, ({1}) sich Berufseinstiege verschieben, es schwieriger geworden ist, eine Ausbildung zu beginnen, zeigt uns wieder auf, wo unser Land und auch unsere Arbeits- und Sozialpolitik noch besser werden kann. Wir müssen, um zwei Beispiele zu nennen, darüber nachdenken, wo wir geringfügig Beschäftigte besser absichern können und ob es für Selbstständige Ausfallversicherungen für existenzielle Krisen bedarf. Dass es trotz der Pandemie weder Massenentlassungen noch Kürzungen bei den Sozialleistungen gab, dass der umfassende soziale Schutz noch ausgeweitet werden konnte, das alles zeigt jedoch auch etwas, auf das die Menschen in Deutschland stolz sein können: ({2}) auf das, was die Menschen in Deutschland durch ihre Leistung erwirtschaften ({3}) und durch gelebte Solidarität ermöglichen. Es zeigt, dass unsere Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktordnung ein Erfolgsmodell ist. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Angelika Glöckner für die SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gute Löhne, Verteilungsgerechtigkeit, Abschaffung sozialer Ungleichheiten: Die aktuellen Themen, über die wir uns gerade unterhalten, das sind sozialdemokratische Meilensteine, und sie haben auch 157 Jahre nach Gründung unserer Partei nichts an ihrer Bedeutung für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verloren. ({0}) Ich sage auch: Deutschland ist ein reiches Land. Gleichwohl gibt es Menschen, die arm oder von Armut bedroht sind; das muss man einfach ansprechen. Wer ist arm? Arm ist, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Lohns verdient und wer – quasi als Singlehaushalt – über einen Lohn von höchstens 650 Euro monatlich netto verfügt. ({1}) Das muss man an dieser Stelle einfach auch mal festhalten. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen: Jeder Mensch in Deutschland, der arm ist, ist einer zu viel. ({2}) Aber der Darstellung, als wäre Armut ein Massenphänomen in Deutschland, wie es jetzt von den Linken und auch von den Grünen aus der Opposition vorgetragen wurde, will ich an dieser Stelle entschieden entgegentreten. ({3}) – Ja, aber man muss auch mal festhalten, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Was Sie sagen und wie Sie dramatisieren, das hilft den Menschen nicht weiter. ({4}) Wir müssen uns gezielt damit auseinandersetzen; ({5}) wir müssen zielorientiert handeln. ({6}) Es nutzt nichts, zu dramatisieren. Und was haben wir gemacht? Wir haben uns die Frage gestellt: Wo gibt es ein hohes Armutsrisiko? Das betrifft Arbeitslose, ihre Kinder, kinderreiche Familien. Das betrifft Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner mit niedrigen Lebenserwerbseinkommen. Das betrifft Geringqualifizierte und leider auch Menschen mit Behinderungen. Ich will an wenigen Beispielen skizzieren, wo wir in diesem Bereich angesetzt haben. Wir haben zielorientiert gehandelt. Wir haben beispielsweise letztes Jahr im Januar das Teilhabechancengesetz aufs Gleis gesetzt, und wir haben damit ermöglicht, viele Menschen, die langzeitarbeitslos gewesen waren, wieder in Arbeit zu bringen. ({7}) Das ist wichtig für die Betroffenen, auch für ihre Familien. Ich sage Ihnen auch, warum: weil sie einen Lohn erhalten, der tariforientiert ist, der tarifgebunden ist. Das war unser Verdienst von der SPD; dafür haben wir uns eingesetzt. Das will ich an dieser Stelle auch einmal ganz klar sagen. ({8}) Wo haben wir noch zielorientiert gehandelt? Im Januar nächsten Jahres, in wenigen Monaten, setzen wir als Regierung die Grundrente aufs Gleis. ({9}) 1,4 Millionen Rentnerinnen und Rentner werden davon finanziell profitieren. Das ist doch eine Wahrheit, die man nicht wegschweigen kann. (Beifall bei der SPD – Uwe Witt [AfD]: Ja! 35 Euro im Monat! Super! In diesem Hohen Haus – das will ich auch noch sagen – haben wir vor wenigen Wochen beschlossen, den Behinderten-Pauschbetrag zu erhöhen; aufgrund dessen werden Menschen mit Behinderung mehr Geld in ihren Taschen haben. All das sind Maßnahmen, die Armut entgegenwirken, und darüber müssen wir heute auch mal reden. ({10}) Ich will auch sagen: Es ist eben nicht nur Sache des Bundes, Armut entgegenzuwirken; auch die Länder haben hier eine Verantwortung. Dabei ist Bildung ein ganz wichtiges Instrument. In Rheinland-Pfalz unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist es seit vielen Jahren überhaupt kein Thema, dass Kitas gebührenfrei sind. ({11}) Das ist ein wichtiges Instrument, um Bildung gerecht zu gestalten. Da muss ich mich schon sehr wundern, Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Grünen: Sie stellen seit fast zehn Jahren den Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg, aber keine gebührenfreien Kitas. Es ist eine Gratwanderung für Familien in Baden-Württemberg, wenn sie ihren Kindern frühkindliche Bildung zukommen lassen wollen. ({12}) Ich muss auch sagen: Das, was Sie hier am Pult immer versprechen, halten Sie nicht. Da, wo Sie in der Politik Verantwortung übernehmen, bleiben Ihre Taten weit hinter Ihren Versprechungen zurück. ({13}) Ich will auch noch mal auf die Coronakrise zu sprechen kommen; auch da haben wir reagiert. Wir haben das Kurzarbeitergeld aufs Gleis gesetzt. Viele Millionen Beschäftigte profitieren davon und sind für eine lange Zeit sozial abgesichert. Olaf Scholz hat ein millionenschweres Haushaltspaket auf den Weg gebracht, um Betriebe zu sichern, von den Großbetrieben bis zu den Soloselbstständigen. ({14}) Das sichert doch auch die Arbeitsplätze der Menschen. Und wir sichern natürlich auch Kliniken, wir sichern die Einrichtungen, die Werkstätten für Behinderte, weil es wichtige soziale Säulen in unserem System sind. ({15}) Ich frage einmal am Ende meiner Rede: Wo wären wir bei der Armut in unserem Land, wenn wir all diese Maßnahmen nicht aufs Gleis gesetzt hätten? Gut, dass wir zielorientiert gehandelt haben! ({16}) Vielen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Aumer das Wort. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schade, dass es Die Linke in einer für unser Land so schwierigen Zeit nicht lassen kann, wieder mal auf Klassenkampf zu setzen ({0}) und dann, Frau Ferschl, auch keine Antworten für die Zukunft zu geben. Sie glauben, dass eine Millionärsabgabe oder Vermögensabgabe das Richtige wäre. Wenn eine Partei nicht mal die Begriffe genau ordnen kann, dann ist das schon mal traurig. ({1}) – Ach, beides gleich. ({2}) – Na, das ist natürlich super! – Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, das ist nicht das richtige Reagieren auf diese Krise, die wir in unserem Land bisher noch nicht hatten. Ich nenne das fast verantwortungslos, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken. ({3}) Ich gebe Ihnen, Frau Ferschl, in einem Punkt recht: dass die Coronakrise wie ein Beschleuniger wirkt. Ja – aber man muss schauen, in welchen Bereichen. Schauen wir uns beispielsweise mal das Thema Automobilindustrie an. Wir sprechen da vor allem auch vom Thema Arbeitsplätze. Bei mir im Wahlkreis hat BMW einen Standort mit 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ({4}) – ja, nichts „Ja und?“! –, die sich im Moment darum bemühen, dass man den Standort auch halten kann, die umstrukturiert haben und keine Coronapartys gefeiert haben in dieser Zeit, sondern die das Unternehmen gerüstet haben für die großen Herausforderungen, die wir zu bestehen haben. Das ist verantwortungsvolle Politik – nicht der Populismus, den Sie betreiben, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken. ({5}) – Kann man nennen, wie man möchte. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Coronapandemie hat weitreichende Folgen in allen Bereichen unseres Lebens: in der Wirtschaft, im sozialen Zusammenleben, im Bereich Bildung – es ist vorhin angesprochen worden –, im Gesundheitssystem und in vielen anderen. Wir versuchen, diese Ungleichheiten abzumildern, beispielsweise mit Paketen, die auf den Weg gebracht werden, um die Menschen, aber auch die Wirtschaft in unserem Land zu stärken. Große Hilfsprogramme mit einem Gesamtvolumen von 1,4 Billionen Euro sind auf den Weg gebracht worden. Sie sind alle schon aufgeführt: Kurzarbeitergeld – 18 Milliarden Euro –, Soforthilfen, Novemberhilfen, Schnellkredite, Konjunkturpakete. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist verantwortungsvolles Management einer Krise und nicht dilettantisches Vorgehen, wie die AfD es vorhin angesprochen hat. Das ist ein unverantwortliches Handeln in dieser schwierigen Zeit – unverantwortlich ist das, was die AfD mit dieser Krise macht. ({7}) Sie machen Stimmung in einer Zeit, in der wir die starke Geschlossenheit in unserem Land brauchen. Und Sie zeigen heute auch wieder – nicht nur letzte Woche, sondern auch heute wieder –, dass Sie es nicht können. ({8}) Wenn man Europa als Umverteilungsorganisation darstellt, dann ist das ({9}) unverantwortlich. Ich nenne Europa eine Verantwortungsgemeinschaft, die uns in den letzten 70 Jahren getragen hat und in dieser pandemischen Phase mithilft, Lösungen zu finden. Und, Herr Sichert, verstehen Sie eines: Deutschland ist in dieser Welt nicht alleine, und die deutschen Autos verkaufen sich in Deutschland nicht alleine. ({10}) Die Autos, die in meinem Wahlkreis Regensburg hergestellt werden, ({11}) werden in Europa, werden auf der ganzen Welt verkauft. Und deswegen brauchen wir auch eine Politik, die alles im Auge hat und nicht nur Deutschland alleine sieht. – Lesen Sie mal Ihre Rede nach, Herr Sichert. ({12}) Wir stellen die Menschen in den Mittelpunkt, Herr Strengmann-Kuhn – mit unserer Politik. ({13}) Genau das tun wir seit März. Wir helfen denen, die wirtschaftliche Unterstützung brauchen, die soziale Unterstützung brauchen. Die Erleichterungen beim Kinderzuschlag, der Kinderbonus, die Sozialschutz-Pakete sind angesprochen worden. Aber wir steuern auch dort nach, wo die Unternehmenshilfen nicht funktionieren. Ich hatte gerade von den Konditoreien aus meinem Wahlkreis in den letzten Wochen Anfragen, weil sie die Novemberhilfe nicht bekommen. Wir haben uns eingesetzt; sie bekommen jetzt die Novemberhilfe. Ich war bei einem der Konditoren in meinem Wahlkreis, und der sagte mir: Mit dem Geld, das er jetzt bekommt, kann er das Weihnachtsgeld seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszahlen. – Genau das ist Sozialpolitik, wie wir sie heute brauchen: ({14}) klar gesteuert und verantwortungsvoll für die Interessen der Menschen in unserem Land. Es gibt weitere Betroffenheiten; das ist ganz klar. Wenn ich an den Einzelhandel in meinem Wahlkreis denke, dann fallen mir Punkte ein, über die man sprechen muss. Ich möchte zum Schluss, weil Frau Ferschl den Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung angesprochen hat, ein Zitat aus diesem Verteilungsbericht bringen. Da steht in Bezug auf die Coronabeschränkungen: Der langfristige Effekt auf die Arbeitslosigkeit kann aber noch nicht vollständig beurteilt werden, da viele Beschäftigte noch in Kurzarbeit sind … Genau das sind die Wirkungsmechanismen der Politik der Bundesregierung und der Koalition.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Aumer.

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir schauen, dass die Menschen in Arbeit bleiben, dass sie nicht auf den Sozialstaat angewiesen sind. Deswegen, glaube ich, hätten wir diese Stunde heute sinnvoller nutzen können. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte, auch Zitate und Ähnliches in die Redezeit mit einzupreisen und nicht hinten draufzulegen. ({0}) Letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. ({1})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Linkspartei ({0}) für die Gelegenheit, über die Gerechtigkeitsfragen in der Pandemie zu reden. Ich möchte einige besonders herausheben. Eine stellt sich gerade – es wurde angesprochen – für verschiedene Branchen, die besonders betroffen sind und die sich oft fragen: Warum wir und nicht die anderen, wo wir uns doch so bemüht haben? – Es führt kein Weg daran vorbei, Kontakte zu verringern; aber genauso muss klar sein, dass wir solidarisch Hilfe für diejenigen leisten, die besonders hart betroffen sind. Deswegen ist unser erstes Ziel, Brücken zu bauen – Brücken für die Wirtschaft und damit vor allem für den Erhalt von Arbeitsplätzen. ({1}) Dazu gehören die direkten Zuschüsse für Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen genauso wie der erleichterte Zugang zu Krediten ({2}) und – als Erfolgsinstrument – die Verlängerung und der Ausbau des Kurzarbeitergeldes. Wir werden nicht jeden Arbeitsplatz retten; aber wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Wir haben gezeigt, dass das bisher auch schon sehr erfolgreich war. ({3}) Wer Kurzarbeitergeld bekommt, erhält deswegen kein niedrigeres Arbeitslosengeld, falls er doch arbeitslos wird, und kein niedrigeres Elterngeld, wenn er oder sie Vater oder Mutter wird. Das haben wir genauso geregelt wie einen längeren Bezug von Arbeitslosengeld und einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung. All das soll helfen, Brücken über die Pandemie zu bauen, bis alles wieder öffnen kann und die Wirtschaft wieder volle Fahrt aufnimmt. Damit das passiert, stellen wir auch die Weichen neu. Die Pandemie hat die Transformation unserer Wirtschaft beschleunigt, und wir müssen als starker und handlungsfähiger Staat Sicherheit und Perspektive in diesem Wandel geben. Der Markt allein wird es nicht regeln, und deswegen ist es richtig, dass wir in Elektromobilität, in Wasserstofftechnologie investieren und die Kerne unserer Industrie – Automobil, Maschinenbau, Stahl und vieles andere mehr – im Wandel unterstützen: ({4}) mit Investitionen und mit Qualifikation. Ich erwarte jetzt aber auch von den Unternehmen, dass sie sich selber auf den Weg machen, investieren, qualifizieren und Perspektiven entwickeln. Ohne das eigene Engagement wird es nicht gehen. ({5}) Eine nächste Gerechtigkeitsfrage stellt sich besonders für junge Menschen. Wir haben nach der Erfahrung im Frühjahr den Schwerpunkt auf Kitas und Schulen gelegt. Wir haben gesehen, dass vor allem Kinder aus armen Familien, aus Familien mit Migrationsgeschichte es besonders schwer hatten, und das darf so nicht noch einmal passieren. ({6}) Deswegen mussten und müssen wir in einer Situation der Pandemie, in der wir sind, Bühnen und Gaststätten schließen. Aber wir helfen mit November- und jetzt auch Dezemberhilfen, damit wir die Schulen und Kitas offen lassen können. Das ist aktuell der wichtigste Beitrag gegen zunehmende Ungleichheit. Wirklich entscheidend für die Frage zu- oder abnehmender Ungleichheit wird aber sein, was wir nach der Pandemie für Kinder und Jugendliche machen. Sie halten sich ganz überwiegend an die Regeln, tragen selbstverständlich eine Maske ohne Murren, während, ich sage mal, so manch älterer Mann mit heraushängender Nase einkaufen geht. ({7}) Wir brauchen einen Nachteilsausgleich für die jungen Generationen, für Familien. Der Kinderbonus war ein erster wichtiger Punkt, aber es wird Zeit für eine Kindergrundsicherung mit erstens einer guten sozialen und Bildungsinfrastruktur und zweitens einer Geldleistung, die echte Teilhabe ermöglicht. Das ist die stärkste Zukunftsinvestition, die wir leisten können. ({8}) Es stellt sich nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage, sondern eine fundamentale Frage nach körperlicher Unversehrtheit, Gesundheitsversorgung für Menschen mit besonderen Risiken: für alte Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen und Menschen mit Behinderungen, die Angst haben vor den Folgen des Virus, Angst, nicht mehr versorgt zu werden, Angst, zu vereinsamen. Daran zeigt sich am Ende der Charakter einer Gesellschaft: ob wir bereit sind, die Schwächsten zu schützen, ohne sie zu isolieren, und ob wir dafür bereit sind, uns an die Regeln zu halten. ({9}) Die Pandemie hat die Menschen unterschiedlich hart getroffen. Mit genug Einkommen und Sicherheit auf dem Land ist die Situation eine andere als alleinerziehend mit zwei Kindern in der Stadt. Ob ich sicher verbeamtet bin oder soloselbstständig in der Veranstaltungsbranche, ob Künstlerin oder Krankenschwester, alle Leben beeinflusst es, aber sehr unterschiedlich in Stärke und Art. Deswegen wird viel darauf ankommen, was wir als Gesellschaft aus dieser Krise mitnehmen, für was wir uns danach entscheiden: nach der Krise erst mal Sozialabbau, den Gürtel enger schnallen bei denjenigen, die es besonders schwer hatten oder sich als systemrelevant erwiesen haben, die eigentlich alle unseren besonderen Respekt verdienen, oder für einen starken und handlungsfähigen Staat, der Sicherheit gibt, Arbeit schafft, gute Löhne zahlt und in die Zukunft investiert, wobei diejenigen mehr dazu beitragen, die gut durch die Krise gekommen sind, die hohen Einkommen – auch wir –, und die vielen Unternehmen, die jetzt die Solidarität der Gemeinschaft erfahren, danach, wenn es wieder läuft, auch wieder etwas zurückgeben. Die Entscheidung fällt nächsten Herbst, wahrscheinlich am 26. September. Gehen Sie wählen! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! In diesem Sommer hat sich gezeigt, was es heißt: Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen ist. – In einzelnen Kommunen gab es zeitweise nicht mehr genug Wasser. Der Wald steht im dritten Dürresommer in Folge unter Stress; er ist anfälliger denn je. Die Landwirtschaft leidet unter Ernteausfällen. Flüsse fallen als Transportwege in bestimmten Regionen aus. Die hochsommerlichen Temperaturen bereiten vor allen Dingen chronisch kranken Menschen immer stärkere gesundheitliche Probleme. Das heißt, mit dem Klimawandel verändern sich auch unsere Lebensbedingungen. Bei der Klimakrise geht es schon lange nicht mehr nur um Grönland, Bangladesch, Fidschi oder Äthiopien. Es liegt auch in unserem ureigenen Interesse, wirklich alles dafür zu tun, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst unter 1,5 Grad zu begrenzen. ({0}) Deshalb hat die Bundesregierung Maßnahmen für die Anpassung an den Klimawandel entwickelt, damit wir mit den unvermeidlichen Folgen der Klimakrise klarkommen. Dafür gibt es schon seit 2008 die Deutsche Anpassungsstrategie. Wir diskutieren heute hier den zweiten Fortschrittsbericht. Dieser Bericht dokumentiert die Entwicklungen in den letzten fünf Jahren. Er ist aber auch ein Aktionsplan für die Zukunft, ein Aktionsplan für ein klimafestes Deutschland. Der Bericht enthält inzwischen 180 Maßnahmen – 180 Maßnahmen –, zu denen alle Ministerien beigetragen haben. Das Bundesumweltministerium stärkt zum Beispiel den vorbeugenden Hochwasser- und Küstenschutz, die Natur in der Stadt und den Waldklimafonds. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die von mir angekündigte nationale Wasserstrategie. Die will ich im nächsten Jahr vorlegen; denn wir brauchen jetzt eine Strategie für eine sichere, für eine gute Wasserversorgung und auch eine Strategie, wie man dabei gleichzeitig den ökologischen Zustand von Flüssen, von Gewässern verbessern kann. Das müssen Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam tun. Deswegen war es mir so wichtig, hier eine so breit angelegte Diskussion zu organisieren. ({1}) Im Fortschrittsbericht geht es aber nicht nur um das Umweltressort. Es geht auch um die anderen Ressorts. Es geht um Maßnahmen in der Landwirtschaft, im Städtebau und bei den Bundesverkehrswegen. Ich habe das schon oft gesagt: Klimaschutz wird nur dann funktionieren, wenn alle Ressorts Klimaschutzministerien sind. Und das gilt auch hier. Jedes Ressort muss auch Klimaanpassungsministerium sein und hier einen Beitrag leisten. ({2}) Der Bericht macht noch einmal sehr deutlich, was das bedeutet und was für eine langfristige Perspektive wir brauchen. Wohngebiete, Brücken, Verkehrswege, Kanalisation, Industriestandorte – sie müssen heute so geplant und gebaut werden, dass sie auch in 50 Jahren noch klimafest sind. Hier geht es darum, jetzt die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt endlich auch ein Klimaschadenskataster auf den Weg bringen. Dieses werden wir als Bundesregierung aufbauen; denn dieser Überblick ist unbedingt notwendig. Meine Damen und Herren, Klimaanpassung ist aber eine Frage der sozialen Gerechtigkeit; denn auch in Deutschland gilt, dass die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft, zum Beispiel alte, kranke Menschen, vom Klimawandel am stärksten betroffen sind. Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass es auf mein Betreiben, auf Betreiben der SPD hin gelungen ist, dieses Thema auch im Konjunkturpaket zu verankern. ({3}) Das ist wirklich wichtig. Wir haben jetzt ein sehr gutes Förderprogramm „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“. Damit kann das Bundesumweltministerium in Krankenhäusern, in Pflegeheimen, in Behindertenwerkstätten helfen, sich gegen den Klimawandel zu wappnen. Das Programm fördert scheinbar einfache Dinge, aber die Dach- und Fassadenbegrünung, die Installation von Jalousien, Sonnensegeln und Trinkwasserspendern sind wirklich wichtig. Und die 150 Millionen Euro, die in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen, sind gut investiertes Geld. ({4}) Wir alle haben gerade in der Coronapandemie gemerkt, was der soziale Sektor alles Großartiges leistet, und das tut er jeden Tag. Deswegen freue ich mich sehr, dass es gelungen ist, dass wir einen Weg gefunden haben, wie wir die gesamte Sozialwirtschaft auch dabei unterstützen können, sich auf die Herausforderungen durch den Klimawandel einzustellen. Hier schützen wir vor allen Dingen die Bevölkerungsgruppen, die mit dem Klimawandel am meisten zu kämpfen haben. Deswegen ist es sehr gut, dass wir dieses neue Programm haben. ({5}) Also, sehr geehrte Damen und Herren: Die Anpassung an den Klimawandel ist eine Riesenaufgabe, eine Aufgabe, die sich aber lohnt. Begrünte Dächer und Gebäudefassaden, Wasserflächen, verschattete Plätze lindern die Hitze und bereichern die Vielfalt in der Stadt; sie steigern die Lebensqualität. Klimaschutz und Klimaanpassung schaffen also einen echten Mehrwert für unsere Gesellschaft. Es ist richtig, hier zu investieren; finanziell und politisch. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rainer Kraft für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Präsidentin! Werte Kollegen! Veränderung in der Natur und der menschlichen Umgebung hat es schon immer gegeben in den vergangenen Jahrhunderten oder Jahrtausenden. Es ist daher bemerkenswert, wenn die Regierung versucht, den Menschen im Land etwas zu versprechen, das statisch sein soll, und darzustellen, dass jede Veränderung der menschlichen Umgebung etwas Menschengemachtes, etwas Abnormes wäre. Das genaue Gegenteil, Frau Ministerin, ist der Fall. Die Veränderung des Planeten, die Veränderung unserer Umwelt ist der Normalzustand, und ein statischer Zustand unseres Planeten, das wäre das Abnorme. ({0}) Und die Kräfte, die hier am Werk sind innerhalb von klimatischen Veränderungen oder von Gezeiten und anderen Dingen, sind so groß, die sind überhaupt nicht beherrschbar. ({1}) Damit sind wir bei Ihrer Anpassungsstrategie. Das Beste gleich vorweg, Frau Ministerin: Das Wort „menschengemacht“ kommt in dieser Strategie nicht vor. Wir reden also über die Veränderungen des Klimas, die natürlichen Veränderungen unserer Umwelt. ({2}) Jetzt sind wir beim Schlechten; denn diese Anpassungsstrategie wiederholt die gleichen falschen Werte, die auf den falschen Modellierungen des IPCC, des sogenannten Weltklimarates, basieren. Aber – Sie wollen das immer – bleiben wir wissenschaftlich. Kommen wir zum Meeresspiegelanstieg. Die Anpassungsstrategie zitiert das IPCC mit der Vorhersage, bis zum Ende des Jahrhunderts hätten wir einen mittleren Anstieg des globalen Meeresspiegels von 84 Zentimetern. Exakter heißt es auf Seite 14 – Zitat –: Neuere wissenschaftliche Untersuchungen und insbesondere der Sonderbericht des Weltklimarats zu Ozean und Kryosphäre vom September 2019 zeigen, dass sich der Meeresspiegelanstieg stärker beschleunigt, als noch vor wenigen Jahren angenommen. Oh mein Gott, alles wird ganz schlimm! Aber ich sage ja: Bleiben wir bei den Fakten. Schauen wir mal, was diejenigen sagen, die die Pegel der Meere tatsächlich exakt messen. Schauen wir, was der NLWKN sagt, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Auf der Homepage steht – Zitat –: Die Auswertung langer Pegelaufzeichnungen ergibt einen ... Anstieg des mittleren Tidehochwassers von ca. 25 cm in 100 Jahren an der offenen Küste. Dieser Anstieg setzt sich aus einer Erhöhung des Wasserspiegels und einer Landsenkung zusammen … kann ... ein beschleunigter Anstieg ... nicht nachgewiesen werden. ({3}) Was haben wir also? Wir haben die klimahysterischen Fehlvorhersagen von Leuten, die sich auf Modelle verlassen, von 84 Zentimetern im globalen Mittel des Jahrhunderts, und wir haben diejenigen, die tatsächlich real an unseren Küsten messen, die auf 25 Zentimeter pro Jahrhundert kommen. Aber es wird besser: Folgt man der Brotkrumenspur Ihrer Strategie, kommt man zum Monitoringbericht des BMU. Innerhalb des Monitoringberichts – auf der exakt gleichen Seite, direkt nebeneinander – werden die Zahlen aus den Modellen veröffentlicht, also die Erwartung, dass der globale Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um 84 Zentimeter steigt, und direkt daneben werden die experimentellen, die gemessenen Daten von 25 Zentimetern im Jahrhundert geschrieben. Frau Ministerin, für wie blöd halten Sie denn die Leser dieses Monitoringberichtes? Das ist doch absurd! ({4}) Aber es wird noch besser. Auf der gleichen Seite finden wir unten eine Grafik, die die Pegelstände aufzeigt, die an unseren Küsten gemessen worden sind. Wir finden die Messungen der Nordseepegel in der vorindustriellen Zeit, also vor 1850. Und siehe da: Was finden wir beim Pegel Cuxhaven? Wir finden, dass der Pegel in der vorindustriellen Zeit, die Sie uns immer als die klimatische Idealzeit verkaufen wollen, genauso schnell angestiegen ist, wie er das heute tut. ({5}) Damit sind wir beim Fazit, meine Damen und Herren, und das Fazit lautet: Es gibt keine Korrelation zwischen dem Meeresspiegelanstieg und der CO2-Konzentration der Atmosphäre. Es gibt keine Korrelation zwischen dem Meeresspiegelanstieg und dem Verbrennen von fossilen Brennstoffen. Und wenn es keine Korrelation gibt, dann folgt daraus, dass es keine Kausalität geben kann. ({6}) Beenden Sie also das Verschwenden von Steuergeldern für CO2-Reduktionsmaßnahmen! Jeder Euro dort ist verschwendet. Stecken Sie das Geld bitte in die Anpassungsmaßnahmen an den natürlichen Klimawandel! Das haben unsere Vorfahren vor Jahrhunderten und Jahrtausenden getan und sind damit hervorragend gefahren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Im Übrigen bin ich dafür, dass die esoterische Maskenpflicht in Deutschland wegen fehlender Wirksamkeit sofort beendet wird. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Astrid Damerow für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Astrid Damerow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel ist ein wichtiger Baustein unserer gesamten Klimapolitik. Wir alle haben uns verpflichtet, die Ziele des Pariser Klimaabkommens umzusetzen. Wir alle wissen aber auch: Der Klimawandel kann nicht rückgängig gemacht werden. Wir müssen ihn aber abmildern. Deshalb gehört zu unserer Klimaschutzpolitik eben auch und zwingend die Anpassung an Klimaveränderungen, die unweigerlich kommen werden. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. ({0}) Der zweite Fortschrittsbericht macht deutlich, dass die Bundesregierung hier handelt, und das seit vielen Jahren. Die Maßnahmen aus dem zweiten Aktionsplan zur Anpassung sind zu 75 Prozent umgesetzt oder in der Umsetzung. Ein Beispiel sind die Maßnahmen, mit denen wir im Küstenschutz der Erhöhung des Meeresspiegels, der nämlich da ist, begegnen. Hier kann ich als Schleswig-Holsteinerin sagen: Wir sind durchaus gut aufgestellt. Seit über zehn Jahren erhöhen wir unsere Seedeiche auf dem Festland und den Inseln sowie die Warften auf unseren Halligen, und das kontinuierlich. Der damalige CDU-Umweltminister des Landes Schleswig-Holstein, Christian von Boetticher, hat bereits 2009 den Bau von Klimadeichen im Generalplan Küstenschutz verankert. Wir können mit diesen Maßnahmen den Menschen größtmögliche Sicherheit für einen sehr, sehr langen Zeitraum geben. Dennoch ist die Anpassungsstrategie ein Prozess, der sich ständig weiterentwickeln muss. Wir nehmen immer wieder neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft und aus der Forschung und Entwicklung auf, um sachgerechte Antworten zu geben. Die 2015 eingeführte ständige Evaluierung zeigt uns deshalb den Handlungsbedarf sehr schnell an. Ich finde, Frau Ministerin, das ist ein sehr, sehr gutes Instrument, das sich bewährt hat und das wir weiterentwickeln werden. Der dritte Aktionsplan zur Anpassung wird 180 neue Maßnahmen umfassen, die wir alle umsetzen werden und müssen. Es gibt aber natürlich auch Bereiche, in denen wir noch besser werden müssen; die Ministerin hat es vorhin angesprochen. Wir werden unsere Kommunikation zu diesem Thema mit unseren Ländern und mit unseren Kommunen noch deutlich ausweiten müssen; denn schon heute haben wir eine Vielzahl an Förderprogrammen, die sich genau mit diesem Thema beschäftigen. Aber ganz oft wissen es unsere Kommunen einfach nicht, und deshalb denke ich: Hier können wir deutlich besser werden. ({1}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Wasser ist lebensnotwendig; das sagen wir hier häufig genug. Es kann allerdings auch zur Bedrohung werden. Hochwasser und Überschwemmungen durch Starkregen stellen ebenso eine Herausforderung dar wie lang anhaltende Dürreperioden und Wassermangel. Bei Hochwasserereignissen haben wir aus bitterer Erfahrung gelernt. Wir wissen schon lange, dass auch umfangreiche Flussbegradigungen zu Überschwemmungen geführt haben. Gerade deshalb fördern wir schon seit Langem unterschiedliche Renaturierungsprogramme. Das Risiko von Überschwemmungen und Dürreperioden ist in Deutschland regional sehr unterschiedlich. So kann die Verfügbarkeit von Wasser auch Nutzungskonflikte hervorrufen. Die Landwirtschaft braucht Wasser zur Produktion von Nahrungsmitteln. Verschiedene Industriebranchen brauchen mehr Wasser als andere für ihre Produktion und damit zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Aber auch private Haushalte brauchen Wasser. In niederschlagsarmen Regionen mit anhaltenden Dürreperioden wird die Frage aufkommen, wer dann in welchem Umfang Wasser nutzen darf. Es braucht hier einen intensiven Dialog von Bund, Ländern und Kommunen, aber auch privatwirtschaftlichen Akteuren. ({2}) Deshalb führt das Bundesumweltministerium seit 2018 einen Dialogprozess zu Zukunftsfragen der deutschen Wasserwirtschaft. Wir wollen mit dem Nationalen Wasserdialog die kommunale wasserwirtschaftliche Infrastruktur klimaresilienter gestalten. Der Dialog über Klimaanpassungsmaßnahmen darf jedoch nicht nur in Deutschland und der Europäischen Union geführt werden. Wir müssen in globalen Zusammenhängen denken. Denn die Folgen des Klimawandels haben weltweite Auswirkungen, und das, meine Herren der AfD, erleben wir heute schon. Gucken Sie mal über Ihren Tellerrand hinaus, ({3}) dann werden Sie erleben, dass selbstverständlich der Klimawandel immer schon da war – ({4}) das wissen wir, die wir an der Küste leben, sowieso –; aber wir beschleunigen ihn einfach durch unseren Lebensstil und durch das, was wir als Industrienation tun. ({5}) Die Industrieländer haben ihrerseits mehr als beispielsweise Entwicklungsländer durch ihr Wirtschaftssystem und natürlich auch durch ihren Lebensstil zum Klimawandel beigetragen. ({6}) Die Entwicklungsländer allerdings sind häufig viel härter betroffen. Dort fehlt es oft an Geld und mitunter auch an politischem Willen, Klimaanpassungen und Maßnahmen gegen den Klimawandel umzusetzen. Es ist daher auch unsere Aufgabe, diese Länder finanziell und technologisch zu unterstützen, Maßnahmen gegen den Klimawandel und Anpassungen umzusetzen. Im Übrigen haben wir uns dazu im Pariser Klimaschutzabkommen auch verpflichtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gelungene Klimapolitik beinhaltet Klimaschutz, aber auch die Anpassung an den Klimawandel; mit allen Folgen, die dazugehören. Ich will es hier noch einmal deutlich machen: Wir werden in Zukunft sowohl bei unseren Klimaschutzmaßnahmen als auch bei den Anpassungsmaßnahmen intensiv über Zielkonflikte diskutieren müssen; Sie haben es vorhin angesprochen, Frau Ministerin, ich auch. Ich könnte noch eine Vielzahl ansprechen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Das müssen wir aushalten. Es ist eine Debatte, die wir gesellschaftlich führen müssen; denn die Klimawende, die Energiewende wird unser Leben, unsere Gesellschaft verändern. ({7}) Damit müssen wir umgehen. Vor allem müssen wir unsere Bürger dabei mitnehmen. Ich denke, nur dann kann es gelingen. ({8}) Für den Bericht danke ich zunächst einmal der Bundesregierung und allen daran beteiligten Ressorts. Hier wird sehr deutlich, dass Klimaschutz eine Querschnittsaufgabe ist. Ich denke, wir sind gut aufgestellt. Ich bin sehr davon überzeugt, dass uns die Anpassungen gelingen werden. Wir werden auf jeden Fall alles dafür tun, dass die Strategie auch in Zukunft erfolgreich sein wird. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Lukas Köhler das Wort. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Anpassungsmaßnahmen werden immer auch in Verbindung mit den Reduktionsmaßnahmen diskutiert; aber bisher haben sie eigentlich immer ein Schattendasein geführt. Die aktuellen Zahlen und Ereignisse, egal ob in der Forstwirtschaft, in der Landwirtschaft oder bezogen auf Dürre und Wassermangel, haben uns gezeigt, wie wichtig Anpassungsstrategien sind. Meine Damen und Herren, wenn unsere Anpassungsstrategie in Deutschland nur 10 Prozent der Aufmerksamkeit bekäme, wie Sie, Herr Staatssekretär Pronold, sie bekommen haben, als Sie Jesus als „Lattengustl“ bezeichnet haben, dann wäre uns in Deutschland wirklich geholfen. ({0}) Die Anpassungsstrategie ist in vielen Einzelpunkten sicherlich richtig, aber sie ist vor allen Dingen eine reaktive Strategie, und das ist in Zeiten des Klimawandels falsch. Wir müssen sie zu einer proaktiven Strategie weiterentwickeln. Das ist ein ganz zentraler Bestandteil. ({1}) Wo sind die Ideenwettbewerbe? Wo sind die Ideen für die Privatwirtschaft, die gefördert werden müssen? Sie haben ein riesiges Sammelsurium an Einzelmaßnahmen. Sie wollen 59 Millionen Euro für Maßnahmen der Klimaanpassung ausgeben, aber aktuell werden davon nur 2,2 Millionen Euro abgerufen. Ich glaube, wir müssen sowohl beim Abrufen der Gelder als auch bei der Formulierung der Zielvorstellung unserer Strategie besser werden. Diese Zielvorstellung, meine Damen und Herren, wird am besten zusammen mit der Wirtschaft ausgearbeitet; denn dort sind diejenigen, die die Lösungen von morgen produzieren. ({2}) Genauso müssen wir die Strategie inhaltlich weiterentwickeln. Das Thema Digitalisierung kommt an exakt einer Stelle vor: in einem Satz, in dem Sie beschreiben, dass Sie die Digitalisierung genauso wie das kulturelle Erbe in Ihre 15 Handlungsfelder aufnehmen wollen. Meine Damen und Herren, das ist zu wenig. Damit kommen wir nicht vorwärts. Damit schaffen wir die Umsetzung der Anpassungsmaßnahmen nicht. Damit sorgen wir nicht dafür, dass die großen Herausforderungen in den Vordergrund rücken. Auch die Kommunen, meine Damen und Herren, dürfen bei der Anpassung nicht alleine gelassen werden; denn die Kommunen sind durch die Städteplanung und durch die Bauplanung der Ort, wo wirkliche Anpassungsmaßnahmen, wo wirklicher Klimaschutz entstehen. Da können wir die Bereiche miteinander verbinden. Ich habe darüber gesprochen, dass es auf der einen Seite Reduktionsmaßnahmen und auf der anderen Seite Anpassungsmaßnahmen gibt. Die beiden Bereiche müssen und können zusammengedacht werden, zum Beispiel bei der Fassadenbegrünung oder bei der Gewinnung von Biomasse, auch in Städten. Genau da müssen wir ansetzen, und genau da – und das wird Ihnen, liebe Grüne, nicht schmecken – müssen wir über die Frage der Gentechnik nachdenken. ({3}) Frau Damerow, Sie hatten gerade die globale Perspektive angesprochen. Die Gentechnik bietet gerade in der Land- und Forstwirtschaft und gerade in der Geschwindigkeit, die wir brauchen, um uns an den Klimawandel anzupassen, die entscheidenden Vorteile. ({4}) Wir müssen darangehen, offen darüber nachdenken, nicht nur in Bangladesch, wo die Salinengebiete mit neuen Reissorten versorgt werden können, sondern wir müssen auch in Deutschland darüber nachdenken, wie schnell wir es unseren Landwirten ermöglichen, zum Beispiel über CRISPR/Cas sinnvoll vorzugehen. ({5}) – Ich weiß, Sie regen sich darüber auf, aber die Wahrheit tut manchmal leider weh. ({6}) Technik und Natur lassen sich sinnvoll miteinander verbinden. Das muss auch das Ziel der Anpassungsstrategie sein. Meine Damen und Herren, geben wir der Anpassungsstrategie die Zeit, die Möglichkeit und die Proaktivität, die sie braucht!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Köhler, „Zeit“ war jetzt das richtige Stichwort. Sie müssen einen Punkt setzen.

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schaffen wir das Ganze auch noch parallel zur Reduktion durch den Emissionshandel! Vielen herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lorenz Gösta Beutin das Wort. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal finde ich es schwer erträglich, mit welcher Sachlichkeit wir auf der einen Seite und mit welcher Ignoranz, mit welchen Fake News wir auf der anderen Seite hier über die Probleme des Klimawandels reden. ({0}) Ich kann schon verstehen, wenn sich einige nicht vorstellen können, welche Verheerungen der Klimawandel schon jetzt in den Städten des Südens auslöst: wenn die Ärmsten der Armen durch Taifune betroffen werden, wenn sie ihr Haus oder gar ihr Leben verlieren, wenn in Äthiopien das Vieh verendet, wenn kein Ackerbau mehr möglich ist und die Menschen in Hunger und Armut fallen. Doch der Klimawandel ist längst bittere Realität, und eben nicht nur im Globalen Süden, sondern längst auch in Deutschland. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung diesen Bericht vorgelegt hat. ({1}) Für mich als Norddeutschen ist es besonders bitter, wenn ich in diesem Bericht lesen muss, dass das Wattenmeer verschwinden wird, und zwar nicht irgendwann in der Zukunft, sondern schon in wenigen Jahren, und dass wir jetzt schon die Situation haben, dass die Mehrzahl der Wälder schwer krank ist; den Thüringer Wald oder den Harz werden wir in ein paar Jahren nicht wiedererkennen können. ({2}) Schon jetzt gibt es Sommer für Sommer Landwirte, die Ernteausfälle haben. In vielen Regionen herrscht Wasserknappheit und die Zahl der Hitzetoten steigt. ({3}) In dem Bericht steht ganz deutlich: In einigen Jahren wird sich die Zahl der Hitzetoten vervierfachen. Das sind Menschen, die aufgrund des Nichthandelns, auch in diesem Parlament, zu Tode kommen, und das muss geändert werden. ({4}) Der Bericht beschreibt die Folgen, die auf jeden Fall kommen werden; denn der Klimawandel ist nicht aufzuhalten, selbst wenn wir es schaffen, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns nicht damit zufriedengeben, den Klimawandel einzudämmen, sondern nach vorne schauen, eine Vision entwickeln, wo wir mit unserer Gesellschaft hinwollen und – das sage ich gerade in dieser Situation – wie wir soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz miteinander verbinden können; denn da hakt es häufig in diesem Parlament. ({5}) Deswegen sagen wir als Linke: Wir wollen eine Energiewende der vielen; wir wollen keine Energiewende der Konzerne. Wir wollen eine dezentrale Energiewende in den Händen der Genossenschaften, in den Händen der Kommunen, ({6}) in den Händen der Bürgerinnen und Bürger, in den Händen der Bürgerinnen- und Bürgerenergie; denn so geht das mit der Energiewende. ({7}) Wir brauchen eine Verkehrswende, mit der wir der Automafia die Stirn bieten, ({8}) mit der wir es schaffen, unsere Städte endlich lebenswert zu machen und die Regionen endlich anzubinden. ({9}) Wir als Linke wollen auf internationaler Ebene die Möglichkeit schaffen, dass diejenigen, die in Regierungen oder in Unternehmen den Klimawandel entweder ignorieren oder ihre Profite mit unseren Lebensgrundlagen machen, auf internationaler Ebene zur Rechenschaft gezogen werden. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Lisa Badum für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meiner Ansicht nach reden wir heute über Sicherheitspolitik im engeren Sinne, und zwar über den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger und über Vorsorge, die wir treffen müssen. Ähnliches besprechen Frau Merkel und die Mitglieder der MPK heute ja auch. Was die Coronakrise bedeutet, das scheint zumindest dem Großteil hier, abgesehen von einigen Verirrten, die mit gefälschten Attesten auf Demos unterwegs sind, ({0}) klar zu sein. ({1}) Kurze Erinnerung zum Thema Klimaschäden. Der Juli 2020 war der heißeste Monat seit 1881, seit Beginn der Temperaturmessungen. Der Bauernverband hat deutliche Ernteeinbußen im dritten Dürrejahr in Folge beklagt. Die Anzahl der Flächen, die bewässert werden müssen, hat sich verdoppelt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Badum, gestatten Sie eine Frage?

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, die möchte ich nicht zulassen. – Jetzt komme ich noch zum ökonomischen Thema. Deutschland liegt laut Klima-Risiko-Index von Germanwatch auf Platz drei weltweit: 4,5 Milliarden Euro Schäden. Das heißt, bei den Ländern, die von Hitze, Dürre, Stürmen und Überschwemmungen betroffen sind – finanziell –, liegen wir auf dem dritten Platz. Wenn Sie es nicht verstehen, können Sie es ja in Mark umrechnen. ({0}) Das zeigt uns doch: Während Herr Scholz die Bazookas aufstellt, fährt die Klimakrise noch ganz andere, noch viel stärkere Geschütze auf, und die Krisen warten nicht. Da muss ich auch in Richtung der FDP sagen: Ihr Pietismus im Sinne von „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott oder die Gentechnik“ bringt uns hier nicht weiter. ({1}) Wir brauchen Strukturen, die krisenfest sind, die zukunftsfest sind. Schauen wir uns mal die Maßnahmen der Bundesregierung an. Ich finde das Programm „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“ ja auch sehr gut, Frau Schulze; 150 Millionen Euro, das ist sehr gut. Aber Sie kürzen bei anderen Maßnahmenprogrammen, beim allgemeinen für Kommunen. Warum machen Sie das? Haben Sie festgestellt, dass Kommunen weniger Geld brauchen für die Klimaanpassung? Ich sage es Ihnen: Sie wissen es überhaupt nicht. Sie wissen überhaupt nicht, was Kommunen, Länder und Bund insgesamt für Klimaschäden in Landwirtschaft, Tourismus, Verkehr, Forstwirtschaft und den anderen Bereichen ausgeben. Sie haben keine Ahnung, wie hoch die Klimaschäden sind, was uns das Ganze bisher gekostet hat, geschweige denn, was uns das noch kosten wird. ({2}) Ich bin froh, dass Sie auf unsere Anfragen endlich reagiert haben und in diesem Bericht ankündigen, ein Klimakataster aufzubauen, die Daten zu bündeln. Das ist ziemlich spät, würde ich sagen. Aber treiben Sie das jetzt voran, und bitte in guter Zusammenarbeit mit den Ländern. Auch die MPK hat ja im zweiten Anlauf in diesem Monat geklappt. Was brauchen wir? Flächen entsiegeln, das heißt weniger toter Beton, mehr Natur und Grün. Ferner: Hitzeanpassungspläne. ({3}) Wir brauchen die Förderung beständiger Wälder, und zwar bei Kommunen und auch bei kleinen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern, nicht nur 2 Millionen Euro für Thurn und Taxis. Wenn wir uns diese Liste anschauen, dann wird eines ganz klar: Sie versuchen aktuell Probleme zu lösen, die wir ohne Sie gar nicht hätten. Wir haben sie nur, weil Sie jeden Tag an der industrialisierten Landwirtschaft und an stumpfen Nutzwäldern festhalten. Wir haben nur eine Chance, wenn Sie hier umsteuern. ({4}) Die Stichworte sind: ökologischer Landbau, Sicherung unserer Wasserversorgung und Agrarwende. Das wäre zukunftsfeste Vorsorge. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Hilse das Wort. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– Ja, den Spruch habe ich früher öfter gehört. – Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzintervention zulassen. Ich möchte dringend darum bitten, Frau Badum, dass Sie keine Falschbehauptungen aufstellen. ({0}) – Also, bis jetzt gilt immer noch die Unschuldsvermutung, oder? ({1}) – Gilt in Deutschland noch die Unschuldsvermutung, oder nicht? ({2}) Gut, es ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Und die Leitmedien, die so gern quasi Ihr Zeug nacherzählen, haben es extra als Frage formuliert. ({3}) Ich würde Sie auch in Ihrem eigenen Interesse bitten, es in Zukunft als Frage zu formulieren, ob ich ein gefälschtes Attest benutzt habe – ich weise das natürlich von mir –, ({4}) weil Sie sich ansonsten unter Umständen strafbar machen gemäß § 188 Strafgesetzbuch. Das sollte Ihnen bekannt sein. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Herr Hilse, es ist spannend, dass Sie sich angesprochen fühlen, weil ich gar keine konkreten Namen genannt habe. ({0}) Ganz ehrlich: Sie sollten sich schämen, dass Sie heute im Umweltausschuss und hier im Plenum so tun, als wäre nichts gewesen. ({1}) Sie haben die Würde des Hauses eklatant beschädigt in der letzten Woche. Sie haben als AfD-Fraktion Menschen hier ins Haus reingelassen, die durch die Flure gegangen sind, die in Büros reingegangen sind. ({2}) Und Sie haben sich an Demos beteiligt, haben sich noch verhaften lassen als MdB. Sie haben sich nicht wie ein Abgeordneter benommen. Das ist ganz klar. Sie stehen an der Seite der Querdenkerfront, und das ist eine Schande fürs Haus. Steuern Sie um! ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es gibt keine weitere Kurzintervention, Kollegin Künast. Vielmehr hat das Wort nun der Kollege Michael Kießling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Klimawandel findet statt. Es ist, glaube ich, jedem klar, dass wir vor Herausforderungen stehen, einmal global, aber auch lokal. Direkt vor Ort erleben wir die ganzen letzten Jahre über Extremwetterverhältnisse, die sich lokal sehr stark auswirken, ob das jetzt Dürre, Hitzeperioden oder Überschwemmungen sind. Deswegen gibt es die Anpassungsstrategie, und damit sind wir gut aufgestellt. Wir haben zum einen das Thema „Klimawandel verlangsamen“ mithilfe entsprechender Maßnahmen. Was aber mindestsens genauso wichtig ist, ist das Thema Anpassung, das wir heute besprechen. Klimaschutz heißt Klimastabilität; Anpassung heißt, unsere Lebensräume so zu gestalten, dass sie auch in Zukunft lebenswert sind und eine hohe Qualität für den Aufenthalt von uns Menschen haben. Dazu gehört die deutsche Anpassungsstrategie, die seit 2008 gilt und greift. Darüber reden wir heute und ziehen auch Bilanz. Ein wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang auch die Städte- und Raumplanung. Der Kollege von der FDP hat es genannt: Da wird auch viel investiert, und wir lassen die Kommunen nicht alleine. Jeder, der im Sommer mal durch eine Stadt gegangen ist, weiß, dass es dann sehr heiß ist, dass wir dort teilweise einen Temperaturunterschied von 10 Grad zum Umland haben. Es gilt, die Städte auch diesbezüglich zukunftsfähig zu machen. Diese Hitze in den Städten kommt natürlich daher, dass Straßen und Gebäude die Wärme lange speichern, dass das Regenwasser schlecht versickern kann, dass es nicht verdunsten und so die Luft nicht abkühlen kann. Deshalb müssen unsere Städte und Gemeinden grüner werden; das meine ich nicht politisch. Wir sollten einfach hergehen und mehr Fassadenbegrünungen und Dachbegrünungen machen, grüne Korridore schaffen, Kaltluftschneisen in den Flächennutzungsplänen und Städtebauplänen einplanen. ({0}) Mooswände gehören genauso dazu wie durchlässige Straßenbeläge und die Renaturierung von Flüssen und Bächen. ({1}) Das tun wir, damit das lokale Mikroklima in den Städten und Kommunen reguliert und so auch die Resilienz der Kommunen verbessert wird. Ein Beispiel aus München ist das Pfanni-Werk. Da haben wir eine sehr nachhaltige Quartiersentwicklung. Dort gibt es eine Dachbegrünung, dort sind sogar Schafe auf den Dächern, ({2}) was auch die Landwirtschaft etwas näher an die Stadt bringt. Dort sehen wir, dass man mit einfachen Maßnahmen lokal schnell etwas erreichen kann und mit kleinen Maßnahmen die Aufenthaltsqualität in den Städten und Kommunen verbessern kann. ({3}) Anpassung an den Klimawandel ist eine Mammutaufgabe für die Kommunen. Deshalb lassen wir sie nicht alleine. Wir haben für dieses Jahr für die Städtebauförderung 790 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wenn es bei den Haushaltsberatungen durchgeht, soll diese Förderung auch im nächsten Jahr so fortgesetzt werden. Als Querschnittsaufgabe sind in allen drei Säulen der Städtebauförderung Klimaanpassungsmaßnahmen vorgesehen. Wir haben in der Vergangenheit gemerkt, dass dieses Programm gut angenommen wird, und wir sehen auch die ersten Erfolge. Jeder, der mit Bau, mit Stadtentwicklung zu tun hat, weiß, dass es um einen längeren Zeitraum geht. Deshalb brauchen wir für die Kommunen entsprechende Perspektiven. Wenn die Kommunen die Perspektiven haben und wir Städtebauplanung entsprechend ausgestalten, dann sorgen wir damit dafür, dass die Menschen vor Ort eine gute Lebensqualität haben. Frau Ministerin, Sie haben es gesagt: Das ist auch ein sozialer Faktor. Das gehört genauso berücksichtigt. Das heißt also: Wir brauchen eine stärkere Robustheit unserer Gebäude, wir müssen Maßnahmen durchführen und sie anpassen. Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist, dass wir den Klimawandel verlangsamen müssen, ({4}) auch mit den Maßnahmen, die wir in anderen Gesetzen vorsehen, zum Beispiel in dem Gebäudeenergiegesetz. Von dem her sind wir auf einem guten Weg. Wir können natürlich immer noch besser werden. Den Wald haben wir angesprochen. Da muss ich Ihnen, Frau Badum, widersprechen: Die Bundesregierung macht sehr viel. Wir haben das Waldprogramm, bei dem es auch um den klimaangepassten Umbau geht, letzte Woche gestartet. ({5}) Die Länder tragen da auch Verantwortung. Wenn man nach Bayern schaut, muss man sagen: Bayern ist, was den Waldumbau betrifft, entsprechend weiter. Wir können dabei aber die Landesregierungen unterstützen. ({6}) Wir als Bund haben ein Bundesprogramm für Waldeigentümer aufgesetzt, das letzte Woche gestartet ist, mit sehr viel Geld, um die Klimaschäden, die jetzt schon entstanden sind, zu beheben und den Wald klimastabil umzubauen. Von daher ist hierbei bei der Bundesregierung bzw. den einzelnen Ressorts ein koordiniertes Handeln wichtig, aber nicht nur auf Bundesebene, sondern eben auch auf der Ebene von Land, Stadt, Kommune. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir im Bereich der Anpassung weiterkommen, sodass unser Land und unsere Städte auch entsprechend lebenswert bleiben. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Problem Deutschlands sind nicht die Altkommunisten, die uns die Trabbis und die Reichsbahn bescheren wollen. Es ist auch nicht die ehemalige Arbeitnehmerpartei SPD – die echten Arbeitnehmer haben Sie ja schon lange verloren. ({0}) Es ist noch nicht einmal die grüne Verbotspartei, die Partei der wohlstandsverwöhnten Kinder. Nein, bei all diesen Parteien weiß der Wähler wenigstens, woran er ist. Das Problem dieses Landes ist diese Merkel-Söder-Union. Es hat noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Partei gegeben, die ihre eigenen Wähler und Anhänger so hinter die Fichte geführt hat, wie Sie das hier machen. ({1}) Das, was Sie hier als Politik machen, hat nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun, was Sie Ihren Wählern daheim im Wahlkreis erzählen. Was werfe ich Ihnen konkret vor? Es geht um die Euro-7-Abgasnorm. Jeder, der sich mit dieser Euro-7-Norm befasst hat, erkennt: Technisch sind diese Grenzwerte von Verbrennungsmotoren gar nicht mehr zu erfüllen. ({2}) – Es gibt die Norm noch nicht, es gibt einen Entwurf. – „Mit der Einführung der geplanten EU-7-Norm wird die EU-Kommission Autos mit Verbrennungsmotor ab 2025 de facto verbieten“, das sage nicht ich, das sagt die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller. ({3}) Aha, der aktuelle Entwurf der katastrophalen Euro-7-Abgasnorm ist also gar nicht vom Himmel gefallen. ({4}) Die Vorlage kommt aus der EU-Kommission und damit aus der Feder von Ihrer CDU-Ikone Ursula von der Leyen. ({5}) Die CDU ist also der direkte Urheber einer Politik gegen das Auto und gegen die Automobilindustrie. ({6}) Gerne will ich auch einmal auf die vorgeschobenen Umweltschutzargumente eingehen: Die Euro-6d-Norm in ihrer aktuellen Ausbaustufe sorgt dafür, dass die Schadstoffgrenzwerte in den Städten selbst an den von den Grünen mitbestimmten, böswillig ausgewählten Worst-Case-Standorten unterschritten werden. Es kann also von einer Umweltverschmutzung bei Euro-6d-Fahrzeugen überhaupt gar keine Rede mehr sein. Wir haben gar keine Überschreitungen mehr, zumindest nicht mehr in den Hotspots in Baden-Württemberg. Das wissen ja eigentlich alle ganz genau. Das heißt, Euro 7 macht unsere Städte also in den relevanten Dimensionen gar nicht mehr sauberer. Dafür werden aber Verbrennungsmotoren durch die kalte Küche abgeschafft und Elektrofahrzeuge vorgeschrieben. ({7}) Die andere Sicht auf die Bedeutung des Verbrennungsmotors ist die Sicht auf den Erhalt der Arbeitsplätze. Die Automobilindustrie ist unsere Leitindustrie, und die Arbeitsplätze in Deutschland hängen an der Fertigung verbrennungsmotorischer Fahrzeuge. ({8}) Minister Altmaier und auch die anderen Kollegen hier in der Regierung tun immer so, als hätten wir in Deutschland eine zweite Leitindustrie im Keller, die wir nur auspacken müssen. Ich frage einmal die Bundesregierung: Was sind denn Ihre Geheimpläne für den Erhalt der industriellen Arbeitsplätze in diesem Land? Es müssen in der Tat Geheimpläne sein, weil wir alle sie ja nicht kennen. ({9}) Zur Wasserstoffindustrie und zur Elektromobilität kann ich nur vage Durchhalteparolen erkennen. Das ist ungefähr auf dem Niveau von altgermanischen Schamanen. Konkrete Konzepte sehen völlig anders aus. ({10}) Sie haben gar nichts in petto. Sie zerstören mutwillig und unnötig die Existenz von Millionen Menschen in diesem Land und haben dafür nicht einmal eine plausible Erklärung oder irgendeinen Vorteil. ({11}) Diese Bundesregierung hat übrigens schon einmal so gehandelt: Die Stromerzeugungsindustrie haben Sie ähnlich ruiniert. Auch hier haben Sie Ihre konzeptlosen Wunschvorstellungen weitergeführt. ({12}) Sie haben als Alternative eine hochsubventionierte Solarzellenindustrie aufgeblasen, die mittlerweile verpufft ist. Genau das Gleiche wird auch mit der Batteriezellenfertigung in Deutschland passieren. Strom und Solarzellen kommen heute aus dem Ausland. ({13}) Zukünftig wird das mit verbrennungsmotorischen Automobilen genauso sein. Ja, diese werden vielleicht noch einen Propeller oder einen Stern vorne haben. Aber die kommen dann halt aus China oder aus den USA, und die Arbeitsplätze in Deutschland sind weg. ({14}) Meine dringende Bitte an die wenigen Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion, die noch verstanden haben, dass man mit Gender- und Umweltbeauftragten keine Arbeitsplätze sichern kann: ({15}) Stoppen Sie Ihre eigenen Leute in der Fraktion! Und stoppen Sie Ihre Leute in Brüssel! Schluss mit Euro 7! Stoppen Sie diese irrsinnige Verbotspolitik! ({16}) Und noch ein kleiner Hinweis an die Kollegen der FDP. Das nächste Mal müssen Sie nicht Anträge von uns kopieren, es genügt vollkommen, wenn Sie unseren Anträgen zustimmen. Vielen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Felix Schreiner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir wieder zurück zur Sache. ({0}) Unser Land kämpft gegen die Coronapandemie und ihre Folgen. Für uns stehen der Gesundheitsschutz unserer Bürgerinnen und Bürger sowie der Erhalt der wirtschaftlichen Stärke unseres Landes an erster Stelle. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass wir uns heute auch über Themen, die vor, während und auch nach Corona eine bedeutende Rolle in der deutschen Politik spielen, unterhalten. Die Frage, wie wir im europäischen Kontext mit der Gesetzgebung zu Abgasnormen umgehen, beschäftigt natürlich die Menschen in unserem Land, weil für die Menschen diese Entwicklung ein Thema ist, das sich unmittelbar auf Arbeitsplätze, auf die Automobilzulieferer, auf die Automobilindustrie in unserem Land auswirkt und wovon viele Arbeitsplätze in unserem Land abhängig sind. Und was machen Sie von der AfD? Sie melden hier ein Thema an, Herr Dr. Spaniel. Heute Morgen kommt dann ein Antrag: mal wieder ziemlich dünn, lauter Worthülsen darin. Anstatt sich irgendwie mal mit Konzepten zu beschäftigen, wie wir mit dieser Situation umgehen können, wie wir Treibhausgasemissionen einsparen können, ({1}) machen Sie hier dicke Luft und sonst gar nichts; das ist alles, was die AfD heute wieder mal zu bieten hatte. ({2}) Wir könnten uns ja darüber streiten, ob Ihr Weg richtig ist oder was Ihre Konzepte sind. Ich würde mich damit gern einmal auseinandersetzen, auch im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. ({3}) Aber da kommt ja nichts. ({4}) – Da kommt nichts. – Sie müssten erst mal Vorschläge machen. Stattdessen ein Antrag in allerletzter Minute. Ich sage eines ganz klar, Herr Dr. Spaniel: Sie machen hier Arbeitsverweigerung, und das ist etwas, was wir nicht durchgehen lassen werden. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schreiner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Spaniel?

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne zum Schluss. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

So nicht.

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie uns einmal darüber reden, wie wir uns mit einer der größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen dieses Landes auseinandersetzen können, nämlich dem Strukturwandel und der Transformation der Automobilwirtschaft, ({0}) wie wir positiv, proaktiv und mit Innovation diese Transformation begleiten können. In der Politik geht es nämlich nicht nur darum, Herr Dr. Spaniel, zu beschreiben, was in der Welt alles schlecht ist. Wir sind hier als Abgeordnete gewählt und müssen hin und wieder, nämlich jeden Tag, auch mal Lösungen anbieten. Das können Sie auch nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Bezogen auf das, was Sie mit Blick auf EU-Initiativen, auf der EU-Ebene ansprechen, sage ich ganz klar: Deutschland muss in Europa seine Interessen konsequent vertreten. ({2}) Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagen wir deshalb: Die von Herrn Timmermans präsentierten Vorschläge, nämlich ab 2025 de facto keine Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, lehnen wir ab. ({3}) Das haben aber unsere Kollegen der EVP-Fraktion im Europäischen völlig klar zum Ausdruck gebracht. Das sind alles Nebelkerzen, die Sie hier heute zünden. ({4}) Ich bin ja immer noch relativ jung; trotzdem war ich ja schon einige Zeit im Landtag von Baden-Württemberg. Ich habe dort erlebt, was es bedeutet, wenn man Ziele vereinbart, sie dann aber nicht halten kann, was es bedeutet, wenn man sich plötzlich mit Fahrverboten in der Landeshauptstadt auseinandersetzen muss und wenn man mit den Menschen Diskussionen führen muss, die nicht einfach sind. Deshalb sage ich ganz klar: Ziele, die wir vereinbaren, müssen realistisch und ambitioniert sein. Aber sie müssen sich auch immer am Machbaren orientieren; denn sonst landen wir vor Gericht, und das kann auch nicht im Sinne dieses Hauses sein. ({5}) Meine Damen und Herren, wir wollen Mobilität ermöglichen und nicht verhindern. Wir nehmen dabei aber die Rückmeldungen aus der deutschen Wirtschaft sehr ernst; ({6}) denn gerade in unserem Land geht es um Tausende Arbeitsplätze sowohl bei den großen Arbeitgebern wie Daimler als auch bei den kleinen familiengeführten Zulieferbetrieben wie bei mir zu Hause im Schwarzwald. ({7}) Jeder Arbeitsplatz ist uns wichtig; denn hinter jedem Arbeitsplatz stehen Familien. ({8}) Gleichzeitig wissen wir aber auch: Die Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich sind in Europa seit 1990 gestiegen. Wir haben gemeinsame Ziele, nämlich die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Und wir wissen auch, dass der Verkehrsbereich einen wesentlichen Beitrag leisten muss. ({9}) Aber eines ist klar: Wir setzen auf Technik. Wir setzen auf Innovationen. Wir setzen auf die Potenziale von alternativen Kraftstoffen, die es auszuschöpfen gilt. Wir setzen aber auch darauf, den Verbrennungsmotor als CO2-ärmere Brückentechnologie zu erhalten, weil Mobilität auch in Zukunft bezahlbar bleiben muss, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({10}) Und vor allem sagen wir eines, nämlich Ja zu technologischen Innovationen. Die Verkaufszahlen bei den Plug-in-Hybriden oder im Bereich der Elektromobilität in den vergangenen Wochen zeigen doch eines, nämlich dass die Akzeptanz bei der Bevölkerung steigt. ({11}) Und wissen Sie: Sie haben in Ihrem Antrag wieder irgendwelche abstrusen Zukunftsszenarien zusammengezimmert. Kein Mensch in Deutschland wird gezwungen, ein neues Auto zu kaufen. Aber wir setzen Anreize, dass die Menschen es tun, wenn sie es möchten. Und dann sollen sie sich bitte selber entscheiden, auf welche Technologie sie setzen. ({12}) Deshalb muss man Ihnen auch sagen: Technologieoffenheit ist keine Einbahnstraße; denn Technologieoffenheit bedeutet auch, dass man offen ist für neue Technologien, anstatt sich nur Bilder von alten Welten zu malen, die man gerne hätte. Sie sind in einer Mobilitätswelt vom letzten Jahrhundert gefangen. Aber Mobilität hat sich gewandelt. Junge Menschen haben heute ganz andere Bedürfnisse an die Mobilität der Zukunft. ({13}) Meine Damen und Herren, zum Schluss. Wir vertreten auch in Zukunft unsere deutschen Interessen in der Europäischen Union. Wir sehen die Pläne, wie sie von Herrn Timmermans zur Abgasnorm Euro 7 vorgestellt wurden, sehr kritisch und begleiten den Prozess weiterhin. Aber eines ist auch klar: Die Welt schaut auf Deutschland. Wenn wir es nicht schaffen, unsere Arbeitsplätze und unsere Automobilindustrie zu erhalten und gleichzeitig die Klimaschutzziele zu erreichen, dann wird uns keiner auf der Welt folgen, und das kann auch nicht in unserem Sinne sein. Herzlichen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Spaniel das Wort. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Schreiner, Sie haben gerade direkt angesprochen, dass wir keine Konzepte zum Thema Euro 7 hätten. Das kann ich Ihnen begründen; das ist ganz einfach: Wir brauchen zu Euro 7 kein Konzept; denn wir brauchen diese ganze Euro-7-Abgasnorm nicht. ({0}) Das ist doch völlig klar. Ich habe Ihnen ja eben dargelegt: Das ist eine völlig überflüssige Verschärfung, die keine Umweltvorteile bringt. Ich will Ihnen aber noch was anderes sagen. Sie haben das ganze Plenum und die Menschen vor den Bildschirmen eben getäuscht: Sehr wohl haben wir Konzepte vorgestellt zur Reduktion von CO2-Emissionen im Straßenverkehr. ({1}) Unser Konzept an dieser Stelle war eine Anerkennung von synthetischen Kraftstoffen, die von Verbrennungsmotoren genutzt werden; darüber kann man einen sehr großen Effekt an CO2-Reduktion erzielen. Dass Sie aber CO2-Emissionen – das haben Sie eben gemacht – in Verbindung mit Euro 7 erwähnen, zeigt Ihre komplette Ahnungslosigkeit. In der ganzen Euro-7-Norm geht es überhaupt gar nicht um CO2! Das sollten Sie eigentlich wissen! ({2}) Und weil Sie das offensichtlich nicht wissen, disqualifiziert Sie das völlig für Ihr Amt hier im verkehrspolitischen Bereich! ({3}) Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Möchten Sie erwidern? – Dann haben Sie dazu das Wort.

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Spaniel, ich weiß gar nicht, warum Sie hier so rumschreien ({0}) und auch sonst völlig die Nerven verlieren. Ich habe beurteilt, was Sie heute als Antrag vorgelegt haben. Darin war keinerlei Konzept enthalten. Es war auch in den vergangenen Monaten im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags – ({1}) – ja, ich war in jeder Sitzung – von Ihnen überhaupt nichts in irgendeiner Form zu sehen, was dieses Land nach vorne bringt. Deshalb weise ich Ihren Vorwurf schlicht und ergreifend zurück, dass wir als Unionsfraktion hier irgendwelche Mauscheleien betreiben oder sonst was. Wir beschäftigen uns ganz sachlich mit den Themen. Ich würde Sie gerne dazu einladen, das in Zukunft auch zu tun. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Oliver Luksic für die FDP-Fraktion. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fahrzeugbau steckt in einer massiven Krise nicht nur wegen der Weltwirtschaft und wegen Corona, sondern auch wegen der immer neuen Anforderungen. Die Flottengrenzwerte sollen weiter verschärft werden, jetzt auch noch bei Euro 7, was in der vorgelegten angedachten Version in der Tat einem Verbot von Benziner und Diesel gleichkäme. Unsere Industrie kann Strukturwandel, das wäre aber Strukturbruch. Wir brauchen Technologieoffenheit, keine Autoplanwirtschaft. ({0}) Bei der Euro-7-Norm geht es in der Tat nicht um CO2, sondern um die Luftqualität. ({1}) Wenn wir uns Euro 6d-TEMP anschauen, die aktuelle Norm, merken wir, dass beim Diesel hinten fast keine Emissionen mehr herauskommen; die sind schon extrem sauber. Jetzt fordert aber der Thinktank der Kommission, dass das in jedem Fahrzeugzustand der Fall sein soll, also auch im Winter beim Anlassen des Motors, wenn es einen steilen Berg hochgeht oder wenn ein schwerer Anhänger gezogen wird. Deswegen hat die VDA-Präsidentin völlig recht: Das ist absolut unmöglich, das wäre ein faktisches Verbot von Benziner und Diesel. – Das wollen wir verhindern. Das kann und darf nicht sein, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Das würde die Industrie schwer treffen. Deswegen ist diese Debatte notwendig. Wir haben auch einen Antrag eingebracht, damit die Bundesregierung hierzu endlich Farbe bekennt. Wir brauchen in der Tat in Brüssel, im Rat, eine Allianz der Autoländer. Das schlägt auch der Wirtschaftsrat der Union vor; das ist richtig und wichtig. Ich habe die Bundesregierung in einer Einzelfrage, die heute beantwortet wurde, ja gefragt: Wie ist dazu die Haltung? – Das Ergebnis war: Dazu gibt es noch keine Ressortabstimmungen. ({3}) Das ist das Problem: In so einer zentralen Frage muss auch das BMU endlich mal zu einer klaren Haltung kommen. – Ich fordere das Umweltministerium auf, hier endlich klar Farbe zu bekennen. Liebe Kollegen der SPD, hören Sie mal auf Ihre Kollegen der IG Metall. Was derzeit in Planung ist, ist eine absolute Katastrophe für den Standort Deutschland. ({4}) Das trifft zuerst das Kleinwagensegment. Da erleben wir ja schon, dass kleine Verbrenner aus dem Markt genommen werden, zum Beispiel der Opel Adam. Wenn die Verschärfung käme, werden natürlich zuerst kleine Verbrenner hier nicht mehr produziert werden. Nehmen wir zum Beispiel den Opel Corsa, der halb so viel kostet wie ein Renault ZOE trotz 10 000 Euro Subvention. Kommt also eine solche Verschärfung, wird Einstiegsmobilität massiv verteuert, und das ist absolut unsozial. Auch deswegen muss dies verhindert werden. ({5}) Zum Zweiten. Auch das Premiumsegment, wo wir in Deutschland besonders stark sind, ist hiervon massiv betroffen. Hören Sie doch mal zu, was Daimler in Stuttgart gerade gesagt hat. Die haben gerade gesagt, dass sämtliche Motoren in der Zukunft mit den Partnern aus China entwickelt und produziert werden sollen. ({6}) Auch BMW hat klar gesagt: Die gesamte Motorenproduktion von BMW soll verlagert werden ins Ausland. – Also keine Motoren mehr aus München, liebe CSU. Es ist ja schön, dass Herr Söder das Verbot des Verbrennungsmotors fordert – das wird jetzt geliefert –, wir wollen aber, dass Motoren weiter in Deutschland hergestellt werden. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege, Luksic, achten Sie auf die Zeit.

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende. – Deswegen ist es wichtig, dass Frau von der Leyen diesen Kurs stoppt. Sie fährt die deutsche Automobilindustrie zusammen mit der Bundesregierung an die Wand. Die muss hier jetzt endlich klar Farbe bekennen, damit wir die Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Arno Klare das Wort. ({0})

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das hier ist nicht mein Manuskript, sondern das Papier – 62 Seiten lang –, auf das sich alle beziehen, ({0}) das aber, so muss ich immer wieder feststellen, kaum ein Mensch gelesen hat. Das ist nicht eingestuft; das kann man einfach bekommen. Man muss es nur wollen. Wenn man das liest, wird man feststellen: Der Schrecken ist gar nicht so groß. Wenn man vor der Fichte und nicht hinter der Fichte ist, weiß man: Das ist nicht das Papier von Frans Timmermans. ({1}) – Er hat sich dazu noch gar nicht geäußert. ({2}) Es reicht auch nicht, wenn man die „Bild“-Zeitung liest und daraus dann zitiert. Bitte das Original lesen und daraus zitieren! Das tun Sie aber nicht. Über dem Papier steht – ich übersetze das mal sofort; das ist in Englisch –: Vorbereitende Ergebnisse in Bezug auf potenzielle Euro-7-Emissionsgrenzwerte für – so steht es hier – LD und HD, Light Duty und Heavy Duty, also schwere und kleine Fahrzeuge. – Das ist der Titel. Es ist eine vorbereitende Studie, die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat; das stimmt. Sie hat damit sieben Institute in Europa betraut, die untersuchen sollen, wie man, von dem Istzustand ausgehend, potenzielle Euro-7-Limits eventuell festlegen könnte. Vorbereitet!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, möchte ich im Moment nicht; das machen wir hinterher.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nein, das Wort für hinterher erteile immer noch ich – oder auch nicht.

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ist gut, okay. Entschuldigung, dass ich da eingegriffen habe. – Jetzt gucken wir uns mal an, was die gemacht haben: Auf Seite 5 haben sie ein klassisches Untersuchungssetting aufgebaut. Sie haben erst mal untersucht: Was gibt es, und wie sind die Werte der Fahrzeuge, die jetzt modern im Markt sind und Euro 6d und Euro 6d-TEMP erfüllen? Dann haben sie im zweiten Schritt gefragt: Was ist die bestverfügbare Technologie? Dritter Schritt: Könnte man diese jetzt bestverfügbare Technologie weiterentwickeln, um eventuell zu anspruchsvolleren Werten zu kommen? – Genau diese drei Schritte haben die gemacht. So gehen Analytiker klassisch vor; genau so machen die das. Für den ersten Schritt, für die Analyse, empfehle ich die Lektüre der Seite 25. Wohlgemerkt: Das sind alles Werte ohne den Conformity Factor. Dass Sie alle wissen, was das ist, setze ich jetzt voraus. ({0}) Wenn Sie das nicht wissen, dann können Sie mich hinterher vielleicht mal fragen. Dann kann ich Ihnen ein Privatissimum darüber halten. ({1}) 89 Prozent aller untersuchten Fahrzeuge mit der jetzt verfügbaren Technik – die haben ungefähr 50 untersucht – – ({2}) – Soll ich Ihnen das zeigen? Das steht hier drauf. – 89 Prozent der untersuchten circa 50 Fahrzeuge lagen bei den Testfahrten – die haben immer mehrere gemacht – unter 30 Milligramm NOx pro Kilometer. Der Grenzwert beträgt im Moment 80. ({3}) – Sie haben es ja nicht gelesen; insofern muss ich darüber nicht reden. – Die Grenzwerte werden heute schon durch die Technologie, die jetzt da ist, um mehr als 50 Prozent unterboten. ({4}) „Und wo ist jetzt das Problem?“, könnte man fragen. Dafür muss man dann auf Seite 44 dieses Papiers gucken. Dort ist nämlich dargestellt, was Euro 6 im Moment macht. ({5}) Euro 6 legt ein Limit fest, unter das alle Fahrzeuge bei allen Fahrbedingungen bleiben müssen. Es gibt aber Fahrbedingungen – bei extremer Kälte, bei sehr starken Beschleunigungen, in großer Höhe über 2 000 Meter, mit einem Anhänger usw. –, die eben nicht unter „normal use“ fallen. Diese werden im Moment bei den RDE-Fahrten – Real Driving Emissions –, also bei den normalen Fahrten auf der Straße, rausgerechnet. Wenn man die nach der neuen Euro 7 reinrechnen würde, dann gäbe es in der Tat ein Problem. Wie kommt man da jetzt raus? Es gibt einen sehr, sehr klugen Vorschlag, der von einem dieser Wissenschaftler, die von der EU-Kommission beauftragt worden sind – Herr Hausberger von der TU Graz –, bereits unterbreitet wurde. Er hat gesagt: Bei diesen Test-Randbedingungen müssen wir eben nicht mit fixen Limits, sondern mit flexiblen Limits arbeiten. Das heißt, dass der Wert bei diesen Fahrzuständen unter Randbedingungen höher liegen muss als bei den durchschnittlichen Fahrzuständen. – Das ist ein sehr kluger Vorschlag, der übrigens, wie ich weiß, schon im zuständigen Bundesumweltministerium genau so zum Schutz der deutschen Automobilindustrie diskutiert wird. Auch das könnte man wissen. ({6}) All diese Dinge sind öffentlich, und das, was Sie von der AfD hier machen, ist das Typische, was Sie immer tun: Sie greifen eine Schlagzeile der „Bild“-Zeitung heraus, skandalisieren das, erklären, dass das zum Untergang des Abendlandes führt, und schicken Ihre apokalyptischen Reiter – zum Beispiel in Form von Herrn Spaniel – los, um hier zu verkünden, es ginge nicht mehr weiter. Genau so darf man in diesem Hause, wenn man seriös sein will, keine Politik machen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention bekommt der Abgeordnete Oliver Luksic das Wort. – Ich mache aber auf Folgendes aufmerksam: Erstens. Sie haben zwei Minuten. Nicht, dass wir zu einer Verdoppelung der Redezeit kommen, die Ihre Fraktion hier hat. Zweitens. Ich bin gehalten, diesen Tagesordnungspunkt dann zügig weiter abzuwickeln.

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin; ich mache es ganz kurz. – Herr Kollege Klare, Sie haben eben gesagt, das sei nicht die Position von Herrn Timmermans. Deswegen möchte ich Sie fragen, ob Ihnen die Presseverlautbarung der EU-Kommission bekannt ist, die genau das Statement von Herrn Timmermans bestätigt. Unter anderem dpa und „Zeit Online“ schreiben: „Timmermans verteidigt Pläne für harte Abgasnorm Euro 7“. Man müsse ebendiese Grenzwerte erfüllen, dann sei dies alles ja machbar. Stehen Sie also weiterhin zu der Aussage, dass Herr Timmermans sich dazu nicht bekannt hat, oder teilen Sie meine Auffassung, dass er diese Vorschläge, die jetzt vorliegen, in der Form unterstützt hat?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Klare, Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frans Timmermans hat das Papier mitgeschrieben, das unter „Green Deal“ bekannt ist. Darin steht der etwas allgemeinere Satz, dass man sich dieses Thema noch mal anschauen will. Das hier – ich habe es gerade noch mal gesagt – ist die Vorbereitung eines Impact Assessment Process – mehr nicht. Jeder, der die Legislativakte, die die EU ja ständig vollzieht, beobachtet, weiß, dass immer eine umfangreiche Folgenabschätzung gemacht wird – das machen wir in unseren Gesetzesvorhaben allerdings auch –, und dies ist die erste mögliche Datengrundlage dafür. Es gibt keine politische Festlegung von Frans Timmermans. Wie man das machen könnte, habe ich gerade versucht klarzumachen – mit diesen flexiblen Werten bei den Randbedingungen während der RDE-Tests. Diese Lösung halte ich für eine sehr, sehr kluge Lösung. – Danke übrigens für die Nachfrage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD will heute vom Deutschen Bundestag, dass wir etwas stoppen, was noch gar nicht am Laufen ist. Das macht die Sache schon ein bisschen interessant. Denn es gibt keine Abgasnorm Euro 7, Herr Spaniel, es gibt auch noch keine Beschlusslage der EU-Kommission, es gibt keinen politischen Prozess, der zum Abschluss gekommen ist. Was es gibt – das wurde eben schon erklärt –, ist eine Studie; wahrscheinlich eine von vielen, die im Vorfeld der Einführung dieser Euro-7-Abgasnorm noch entstehen werden. Was Sie tun, ist, die Leute zu verängstigen, auch die Beschäftigten der Automobilindustrie, die eh schon Angst genug haben. Aber hier geht es wirklich nicht darum, etwas zu stoppen, sondern wir können uns in die Debatte einbringen. Wenn das das Anliegen des Antrags war: okay. Aber das, was Sie hier gemacht haben, ist im Prinzip nur, den Beschäftigten wieder einmal Angst zu machen, und bringt uns keinem Ziel näher. ({0}) Und weil das auch manch anderer Vorredner ein bisschen durcheinanderbringt: Wir reden hier nicht über CO2, wir reden hier über Abgasnormen; das ist etwas ganz anderes. ({1}) Aber natürlich ist das für die Automobilindustrie ein Punkt mehr, bei dem sie handeln muss. Manchmal kommt man schon auf die Idee, zu sagen: Manches kommt, weil es so kommen musste. – Die deutsche Automobilindustrie hat in der Vergangenheit mit Schummelsoftware, Dieselskandal und anderen Dingen mit dazu beigetragen, dass man sich auf europäischer Ebene auch darüber Gedanken macht, wie man Normen verschärft. ({2}) Das ist ein Ergebnis dessen, dass die deutsche Automobilindustrie große Probleme bereitet hat, und damit muss sie erst mal leben. ({3}) Aber ein Problem ist auch, dass die deutsche Bundesregierung in dieser Frage nicht sprachfähig ist. Weder der Wirtschaftsminister noch der Verkehrsminister oder die Umweltministerin – wir hatten sie heute im Europaausschuss – konnte zur Debatte um Euro 7 etwas sagen. Sie sagen immer nur: Wir sind in einem Prozess; wir müssen eine Diskussion starten; die EU-Kommission will im Hebst nächsten Jahres eventuell einen Vorschlag machen. – Aber ich glaube, das genügt jetzt nicht. Die Debatte wurde losgetreten – nicht von der AfD, sondern von der Automobilwirtschaft, vom VDA und anderen. Deshalb muss sich meines Erachtens nun die Bundesregierung dazu positionieren. Wir als Linke erwarten, dass beim nächsten Autogipfel die Frage, wie die deutsche Politik auf diese Vorschläge reagiert, zu einem Topthema gemacht wird. ({4}) Aber eins sage ich auch ganz deutlich – das ist hier im Haus der Unterschied, hoffe ich zumindest, zwischen allen demokratischen Parteien und der AfD –: Natürlich dürfen wir das, was wir für den Umweltschutz und zur Bekämpfung des Klimawandels notwendigerweise tun müssen, nicht in einen Gegensatz zur Beschäftigungssicherung bringen, sondern wir müssen die Chancen sehen, die diese Notwendigkeiten mit sich bringen. Dadurch können auch viele Arbeitsplätze entstehen. Ich finde die Ergebnisse des Autogipfels von letzter Woche an manchen Stellen richtig. Es sind Dinge aufgenommen worden, die die IG Metall und die auch wir als Opposition gefordert haben, dass man zum Beispiel mit dem Transformationsfonds die Automobilindustrie unterstützt, um auch die Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie in die Zukunft zu führen. ({5}) Nur: Diese Dinge müssen vom Wirtschaftsministerium jetzt auch mal umgesetzt werden. Wir reden schon seit dem Konjunkturpaket über die Investition von 2 Milliarden Euro in diesen Bereich. Aber vom Wirtschaftsminister kommt überhaupt nichts. Deshalb: Die größte Gefahr geht eigentlich nicht davon aus, dass die AfD uns Angst macht, sondern die größte Gefahr geht davon aus, dass dieses Wirtschaftsministerium wissentlich den Wandel verschläft. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD zitiert in ihrem Antrag neben der „Bild“-Zeitung übrigens auch „Spiegel Online“. Aber sie hat halt den Artikel nicht zu Ende gelesen. Hätte sie es nämlich gemacht, dann würde sie feststellen, dass die möglichen Grenzwerte für schädliche Stickoxide in einer neuen möglichen Abgasnorm Euro 7 für die Hersteller machbar wären. Vor allem aber gilt, dass die Zahlen bislang – wir haben es heute schon mehrfach gehört – aus einer Expertenstudie stammen. Ich will den vom Kollegen Klare begonnenen VHS-Kurs gerne mit der Vorstufe zu diesem VHS-Kurs, dem Einsteigerkurs, fortführen und vielleicht kurz erklären: ({0}) Die Kommission macht einen Gesetzentwurf. Sie holt vorher verschiedene Expertenmeinungen ein, macht Studien dazu auf der Basis fachlicher Grundlagen. Ende 2021 will dann die Kommission einen Vorschlag zur neuen Euro-7-Abgasnorm vorlegen. Übrigens müssen wir auch mal für die Menschen draußen sagen, worüber wir hier eigentlich reden: über eine Norm zum Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger, nur dass auch mal gesagt wird, worum es hier eigentlich geht. ({1}) Wenn der Entwurf vorliegt, dann werden sowohl die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes als auch die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, zu debattieren. So funktioniert das. Also alles kein Grund, um hier aus dem Anzug zu fallen. ({2}) Aber das interessiert die AfD ja auch gar nicht. Denn die AfD arbeitet nach dem Prinzip: Ich lese Zeitung, ich suche nach möglichen schlechten Nachrichten für unser Land, und dann schreibe ich anschließend einen Antrag. – Aber wissen Sie, was mich am meisten an diesem Antrag nervt? Er ist eigentlich nichts anderes – um das mal sehr klar zu sagen – als ein Misstrauensvotum gegen unsere Ingenieurinnen und Ingenieure; er ist ein Misstrauensvotum gegen unsere Facharbeiterinnen und Facharbeiter in der Automobilwirtschaft. ({3}) Und da verstehe ich jetzt auch als Baden-Württemberger aus Stuttgart keinen Spaß; das können Sie mir glauben. Ich frage mich: Warum glauben Sie eigentlich, dass unsere Leute es technisch nicht schaffen, die Abgasreinigung bis 2025 hinzubekommen? ({4}) Einige Autos halten die Werte ja bereits heute ein. In China – übrigens ein wichtiger Absatzmarkt; das weiß man, wenn man sich mit dem Thema mal beschäftigt – wird es bereits 2023 strengere Abgasnormen geben, 35 Milligramm pro Kilometer, in den USA, die uns da zu überholen drohen, bis 2025. Sie sprechen in Ihrem Antrag – ich darf zitieren – von einer „besonderen Stellung“ für den fossilen Verbrenner, also einer Art ewigen Schutzzauns für die Technologie. Wenn man so will: Deutschland als letztes Biotop für schlechte Luft. ({5}) Der fossile Verbrenner hat ein Enddatum, aber doch nicht wegen der Abgasnorm. Er hat dieses Enddatum wegen des Fortschritts. Er hat dieses Enddatum wegen der Entwicklung auf den Weltmärkten. Er hat dieses Enddatum wegen des Klimaschutzes. Das muss man hier doch mal deutlich sagen. ({6}) Meine Damen, meine Herren, gestern hat Elon Musk den Bau der größten Batteriefabrik der Welt hier unweit von Berlin verkündet. ({7}) Warum hat er das gemacht? Weil wir in Deutschland die besten Leute, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege!

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– die besten Zulieferer haben! Da kann man auch mal stolz drauf sein und sollte nicht den Standort permanent schlechtreden. ({0}) Muss denn immer erst ein Amerikaner kommen, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen!

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– um uns zu zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind? Wir können Verkehrswende, und ich sage Ihnen was: Wir machen Verkehrswende. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alois Rainer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich suche hier vergeblich den Schalter für besondere Emotionen; ich finde ihn leider Gottes nicht. ({0}) – Ach so, den finde ich rechts außen. Wir beraten heute den Antrag mit dem Titel „Verbot des Verbrennungsmotors durch die EU verhindern“. Der Antrag, meine Damen und Herren, kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem noch gar kein konkreter Vorschlag der EU-Kommission vorliegt. Dieser Vorschlag wird erst Ende 2021 vorliegen. Wir werden uns mit Sicherheit zwischendrin mit diesen Themen beschäftigen, ({1}) aber ohne Emotionen, sondern sachorientiert und am Thema orientiert. Ende Oktober 2020 wurde durch die Europäische Kommission das Zwischenergebnis einer Studie und ein erster Vorschlag für zukünftige Grenzwerte und Testmethoden präsentiert. Ein Verbot des Verbrennungsmotors wird darin nicht gefordert. Allerdings darf es, meine Damen und Herren, zu keinem faktischen Verbot durch die Hintertüre führen und kommen. Die schnelle und krasse Absenkung der Grenzwerte in Kombination mit der Verschärfung der Testbedingungen bringt den Verbrennungsmotor als Antriebskonzept an seine Grenzen. Es ist daher besonders wichtig, die Emissionsgesetzgebung zu vereinfachen und bei der Weiterentwicklung die Vorlaufzeit für Hersteller und Genehmigungsbehörden einzuplanen und im Auge zu behalten. Vor dem Hintergrund der sehr ambitionierten Klimaschutzvorgaben aus Brüssel ist weiterhin eine technologieoffene Vorgehensweise und Förderung zum langfristigen und zukunftsfähigen Erhalt der Wertschöpfung in der deutschen Automobilindustrie notwendig und wichtig. Der Transformationsprozess der Automobilindustrie erfordert eine gemeinsame Kraftanstrengung aller betroffenen Akteure in der Politik, in Europa, in Deutschland, in den Ländern, in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Dazu fand am 17. November dieses Jahres bereits das 4. Spitzengespräch der Konzertierten Aktion Mobilität – der vierte Autogipfel – mit dem konstruktiven Titel „Transformation unterstützen, Wertschöpfungsketten stärken“ statt. Die Bundesregierung – und somit auch unser Verkehrsminister Andreas Scheuer – hat damit bereits auf die angespannte Situation in der Automobilindustrie und auf die Entwicklungen in Brüssel reagiert, hat also schon vorausgeschaut. Vielen herzlichen Dank an das Verkehrsministerium mit Andreas Scheuer! ({2}) Dabei muss uns eines klar sein: Die Dekarbonisierung des Mobilitätssektors durch Zukunftstechnologien ist ein zentraler Bestandteil des Klimaschutzes und muss als Chance für Innovationen und Wertschöpfung ausgestaltet und genutzt werden. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie soll bis 2030 eine ambitionierte Treibhausgasquote eingeführt werden, die auch beabsichtigt, den Anteil der erneuerbaren Energien in Kraftstoffen zu erhöhen. Erneuerbare, strombasierte Kraftstoffe stellen eine wichtige Technologie zur Erreichung des Ziels der vollständigen Treibhausgasneutralität dar. Dabei wird eine ambitionierte und zukunftsweisende Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie zur Schadstoffreduktion im Verkehrssektor entscheidend beitragen können. Dies wird einen deutlichen Anstieg der Nachfrage zur Folge haben. Über die synthetischen Kraftstoffe wird es zu einer unmittelbaren, spür- und messbaren Senkung der Schadstoffemissionen kommen. ({3}) Alternative Kraftstoffe und E-Fuels sind damit eine realistische Verstärkung für die Elektromobilität, die kommen wird, und zwar immer stärker, was auch in Ordnung ist. Wir brauchen aber einen weiteren Blick auf unsere Mobilität, um die Klimaziele erreichen zu können. Lassen Sie uns also gemeinsam ohne Schaum vor dem Mund die Transformation in Angriff nehmen und die Wertschöpfungsketten im Verkehrssektor unterstützen. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Versprechen im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD war es, dass wir die Gesundheitsfachberufe neu justieren und ihnen mehr Verantwortung übertragen wollten. Das haben wir mit der Reform bei den Pharmazeutisch-technischen Assistenten, bei den Hebammen, aber auch schon in der letzten Legislaturperiode bei den Pflegefachkräften umgesetzt. Ich freue mich, dass wir nun die medizinisch-technischen Berufe zukunftsfest machen. Das Gesetz, das wir heute in erster Lesung beraten, ist ein Beispiel dafür, wo wir überall mehr Verantwortung übertragen. Vor allem ist es ein Zeichen der Wertschätzung für das Können der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. ({0}) Diese Berufe sind mehr als bloße Assistenztätigkeiten; sie sind eigenständige Fachberufe. Die Menschen in diesen Berufen haben ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Sie verfügen über ein großes Können und ein enormes Potenzial. So sind beispielsweise unsere Labore mit ihren Mitarbeitern nicht erst seit Corona eine wichtige Säule unseres Gesundheitswesens. Um dies von Anfang an deutlich zu machen, führen wir mit dem vorliegenden Gesetz eine neue Berufsbezeichnung ein, nämlich die „Medizinische Technologin“ bzw. den „Medizinischen Technologen“. Diese Umbenennung vollzieht die fachlichen und inhaltlichen Änderungen der Berufsausübung, die bereits durch den medizinisch-technischen Fortschritt erfolgt sind. Wir modernisieren die Ausbildungsziele in den vier verschiedenen Fachrichtungen: Laboratoriumsanalytik, Radiologie, Funktionsdiagnostik und Veterinärmedizin. Wir gestalten die Ausbildungsziele kompetenzorientierter, erweitern den Umfang der praktischen Ausbildung mit einer festgeschriebenen Praxisanleitung und machen den Ausbildungsvertrag zu einer verpflichtenden Grundlage. Für uns waren daneben zwei Punkte besonders wichtig: Wir schaffen für einen weiteren Ausbildungsberuf das Schulgeld ab und führen gleichzeitig eine Ausbildungsvergütung ein. Wir setzen also einen weiteren Baustein im Gesamtkonzept der Gesundheitsfachberufe und zeigen so auch vonseiten der Politik die Wertschätzung, die diese Berufe dringend nötig und auch verdient haben. Das ist gerade vor dem Hintergrund, dass die verschiedenen Branchen im Wettbewerb stehen, ein wichtiger Aspekt. Deswegen danke ich dem Fachreferat des Bundesgesundheitsministeriums, dass es diese Punkte jetzt schon mit auf den Weg gebracht hat. Ein weiterer Punkt, der in diesem Gesetz aufgegriffen wird und für den die Bundesländer seit Langem werben – allen voran Sachsen und Bayern –, ist die Rechtssicherheit für unsere Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Neben mir befürworten viele meiner Bundestagskollegen hier eine Anpassung. Viele Kollegen haben eine tiefe Verbindung mit der Blaulichtfamilie. Einige von ihnen sind selbst Vorsitzende der Trägervereine; die ehemalige Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt beispielsweise ist Vorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes. Für uns ist die oberste Prämisse, dass wir diejenigen unterstützen, die in der Not an unserer Seite stehen, und das sind die Notfallsanitäter und Notfallsanitärinnen. Die Politik unseres Bundesgesundheitsministers steht dafür, Themen anzupacken. Sie steht dafür, nicht wegzuschauen, wo Probleme herrschen, stattdessen aber Lösungsvorschläge anzubieten und auch konstruktive Beiträge zu würdigen. Dafür bin ich sehr dankbar. Bei den Notfallsanitätern beginnen meine Überlegungen immer wieder mit der Frage: Was lernen die Menschen in ihrer Ausbildung, und was wollen sie infolgedessen in ihrem Berufsalltag umsetzen? Die Antwort findet sich in § 4 Notfallsanitätergesetz, unter anderem im Absatz 2, Nummer 1c: Die Ausbildung soll den Notfallsanitäter dazu befähigen, bis zum Eintreffen des Notarztes eigenverantwortlich medizinische Maßnahmen bei Patienten im Notfalleinsatz durchzuführen, um einer Verschlechterung der Situation der Patienten bei einer drohenden Lebensgefahr oder dann, wenn wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind, vorzubeugen. Ich sehe uns als Politik in der Verantwortung, dass wir die Notfallsanitäter dann, wenn sie das Erlernte in diesem beschränkten Rahmen anwenden, schützen und ihnen die Sicherheit geben, weder wegen Überschreitung ihrer Befugnisse noch wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden. Dabei geht es mir nicht darum, dass wir den Notfallsanitätern etwa eine umfassende Heilkundebefugnis erteilen. Für mich bleibt klar: Sobald der Arzt am Unfallort ist, ist er immer auch der Chef. Wir müssen aber eine Regelung schaffen, die Rechtssicherheit gibt, die das Patientenwohl im Blick hat und die in der Praxis zu einer wirklich spürbaren Entlastung führt. Für mich ist daher wichtig, dass wir uns über das Ziel einig sind: eine rechtssichere Lösung für das kleine Zeitfenster zu finden, bis der Arzt am Einsatzort eintrifft, und die den Notfallsanitäter befähigt, das zu tun, was er erlernt hat, was Leben retten und großen Schaden abwenden kann. Mit dem Entwurf des § 2a Notfallsanitätergesetz, wie er jetzt vorliegt, verfolgen wir natürlich auch das Ziel, Rechtssicherheit zu schaffen. Dabei haben wir das Patientenwohl im Blick. Aber – und das ist mir genauso wichtig – die Regelung muss in der Praxis auch ankommen. Es ist für mich als zuständige Berichterstatterin für das Thema Gesundheitsberufe sogar einer der entscheidenden Punkte. Und deshalb werden wir jetzt in den weiteren Beratungen – auch zusammen mit dem Kollegen Heidenblut – sehr genau darauf aufpassen, dass diese Regelung den Praxistest besteht. In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Kollegin Zeulner. – Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir Ihnen. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Detlev Spangenberg. ({0})

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten neben dem MTA-Reformgesetz auch unseren Antrag „Heilpraktiker – Berufsbild schützen und weiterentwickeln“. Der Beruf des Heilpraktikers gehört in Deutschland zu einem festen Bestandteil des medizinischen Angebotes. Es ist wichtig – das ist unsere Ansicht –, dass der Heilpraktiker nicht als Konkurrent zur Schulmedizin, sondern als Ergänzung gesehen wird. Heilpraktiker bauen auf Erkenntnissen der heilenden Wirkung aus Naturstoffen und überlieferten Methoden auf, die lange vor der Schulmedizin eine wichtige Bedeutung für die Menschen hatten und auch haben und haben werden. Täglich besuchen, so der Bund Deutscher Heilpraktiker, etwa 120 000 Patienten eine Heilpraktikerpraxis, und es gibt über 40 Millionen Patientenkontakte jährlich, meine Damen und Herren. Es arbeiten rund 60 000 Menschen in den deutschen Heilpraktikerpraxen. Davon sind etwa 47 000 praktizierende Heilpraktiker. Die Gründe, sich einem Heilpraktiker anzuvertrauen, können sehr unterschiedlich sein: sprechende Medizin, eine ausführliche Anamnese, Hoffnung auf Therapieformen, die sich von der Schulmedizin unterscheiden, und ganzheitliche Betrachtung und Behandlung der Patienten oder auch die Anwendung von Naturprodukten. Die Tatsache, dass so viele Menschen die Leistungen von Heilpraktikern in Anspruch nehmen und dafür meist selbst zahlen, also keine Kassenleistungen in Anspruch nehmen, verdeutlicht, dass es einen großen Bedarf gibt. Dass einige Krankenversicherer manche dieser Leistungen der Heilpraktiker übernehmen, zeigt auch, dass die Behandlungsmethoden der deutschen Heilpraktiker von den Krankenkassen als durchaus sinnvoll und wirkungsvoll bewertet werden. Das bestehende Heilpraktikergesetz, welches noch aus den 30er-Jahren stammt, muss aus unserer Sicht nachgebessert werden, insbesondere die Einheitlichkeit sowie die Qualitäts- und Prüfungsstandards der Ausbildung betreffend. Herr Botzlar, Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer, will den Beruf des Heilpraktikers am liebsten begraben. Er begründet dies vor allem damit, dass für die Heilpraktiker keine geregelte Ausbildung vorgeschrieben ist. Wir sind der Meinung: Statt aus diesem Grund einen Berufsstand abschaffen zu wollen, kann man auch einen anderen Weg gehen, den wir vorschlagen: Berufsbild schützen und weiterentwickeln, indem Auszubildende zum Heilpraktiker eine entsprechende vierjährige Berufsausbildung durchlaufen müssen; für die Ausbildung zum Heilpraktiker staatlich zugelassene Schulen; bei der Ausbildung einen Präsenzunterricht über mindestens 3 000 Unterrichtsstunden durchführen und mindestens 1 000 Unterrichtsstunden Praktika bzw. praktischen Unterricht abhalten. Unter Mitwirkung des Bundesgesundheitsministeriums sollen ein bundeseinheitliches Curriculum erarbeitet und regelmäßige Leistungskontrollen sowie eine staatliche Abschlussprüfung durchgeführt werden. Und nach Bestehen dieser Abschlussprüfung, meine Damen und Herren, sollte dann die Berufsbezeichnung „Staatlich geprüfter Heilpraktiker“ geführt werden dürfen. Der Vorwurf, dass es durch Heilpraktiker gelegentlich oder ab und zu mal zu Diagnose- und Behandlungsfehlern kommt, kann nicht zu dem Schluss führen, dass der Berufsstand des Heilpraktikers besonders problematisch ist. Diese Dinge passieren auch bei der Schulmedizin. Heilpraktiker bzw. die Komplementärmedizin allgemein entlastet Arztpraxen und häufig auch die Krankenkassen. Letztlich – das ist auch unsere Meinung – ist der Patient selbst dafür verantwortlich, von wem er sich behandeln lässt. Das schließt auch die Behandlung durch Heilpraktiker ein. Der hier behandelte Entwurf des MTA-Reformgesetzes betrifft somit auch die Heilpraktiker. Die Heilpraktiker kritisieren hierbei deutlich, dass sie in den §§ 5 und 6 des neuen MTA-Gesetzes nicht mehr erwähnt werden, was einem Tätigkeitsverbot gleichkommt. Zum Beispiel dürfen sie nach dieser neuen Regelung Laboratoriumsanalytiken oder biomedizinische Analyseprozesse nicht mehr durchführen. Den Heilpraktikern werden somit die Möglichkeiten genommen, selbst labordiagnostische Untersuchungen in Auftrag zu geben, die Delegationskompetenz wird ihnen nach § 6 in Ihrem neuen Entwurf entzogen. In der Praxis haben sie solche Untersuchungen oftmals selbst durchgeführt, zum Beispiel Urin- oder Blutuntersuchungen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Ende.

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, letzter Satz. – Meine Damen und Herren, die Änderung des Begriffes „MTA“, der aus unserer Sicht eine klare Berufsbezeichnung bedeutet, in „Medizinischer Technologe“ halten wir nicht für schlüssig. Die Bezeichnung „Technologe“ kann überall anwendbar sein; MTA war eine klare Berufsbezeichnung und sehr eindeutig. Ich halte das für keine glückliche Lösung. Aber wir werden ja im Ausschuss darüber beraten. Recht vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Stopp. Würden Sie bitte Ihre Maske aufsetzen? – Nein, aufsetzen. ({0}) Würden Sie bitte Ihre Maske aufsetzen? ({1}) – Ich finde das nicht zum Lachen. Das will ich Ihnen echt sagen. Wir haben hier eine Verantwortung füreinander. ({2}) Und wir haben hier eine Verabredung, und wir haben eine Hausordnung. Daran sollten sich alle halten. Und wenn ich darauf hinweise, dass Sie das zu tun haben, dann tun Sie das bitte, sonst gibt es einen Ordnungsruf. ({3}) Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Bettina Müller. ({4})

Bettina Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004358, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die medizinisch-technischen Berufe mit ihren vier Untergruppen gehören zu den Berufen, deren Bedeutung wir in dieser Coronapandemie ja so richtig schätzen gelernt haben; denn auch die vielen MTAs halten die Krankenhäuser, die Röntgenpraxen und vor allem die Labore mit am Laufen. In den Laboren werten diese Fachkräfte tagtäglich unter großem Einsatz, unter großem Zeitdruck Millionen von Coronatests aus. Dafür möchte ich an dieser Stelle einmal herzlichen Dank sagen. ({0}) Zugleich gehören die MTA-Berufe aber auch zu den Gesundheitsfachberufen, denen der berufspolitische Reformstau der letzten Jahre die notwendige Aufwertung und auch die Modernisierung ihres Berufsbildes versagt hat. Das alte Berufsgesetz datiert ja noch aus 1993 und entspricht schon längst nicht mehr den erheblich gestiegenen Anforderungen, die sich heute durch den Fortschritt in der Labortechnik oder auch in den Röntgenverfahren im Berufsalltag stellen. Auch eine Option zur Teilzeitausbildung fehlt, und das vor dem Hintergrund, dass ja doch noch überwiegend Frauen den Beruf ausüben. Das vorliegende MTA-Reformgesetz ist daher ein überfälliger Schritt, um diesen medizinisch-technischen Berufen zu der Attraktivität zu verhelfen, die sie im Wettbewerb um die wenigen Schulabgänger, die wir jetzt haben, dringend benötigen. Wir haben da einiges vor. Das fängt mit den neuen Berufsbezeichnungen an. Der Wegfall der von vielen als ein wenig abwertend empfundenen Bezeichnung „Assistentin“, den wir jetzt zugunsten der Bezeichnung „Technologin“ ändern wollen, jeweils natürlich mit den vorangestellten Fachbereichen – es gibt Medizinisch-technische Assistentinnen in der Veterinärmedizin, in der Funktionsdiagnostik, im Laborbereich usw. –, ist ein erster begrüßenswerter Schritt. Für die SPD besonders wichtig – Emmi Zeulner hat es schon angesprochen – ist die künftig verpflichtend zu zahlende Ausbildungsvergütung. Die fehlte ja noch im Referentenentwurf; jetzt haben wir sie. Und zusammen mit dem jetzt in diesem Beruf wegfallenden Schulgeld ist die Ausbildungsvergütung ein Schlüsselfaktor, um genügend Nachwuchs in diesen Berufen zu bekommen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Ausbildungen, die man unentgeltlich absolvieren und für deren schulischen Teil man sogar noch Geld bezahlen muss, muss endlich Schluss sein. ({2}) Insgesamt stellt der vorliegende Entwurf eine gelungene Grundlage für die anstehenden Beratungen im Ausschuss dar. Aber angesichts der zum Teil hochkomplexen technischen Entwicklungen im Labor- und im Radiologiebereich hätte ich mir auch noch eine Option gewünscht, hier eine Ausbildungsvariante im hochschulischen Bereich zu haben, zumindest modellhaft. Über eine solche Modellklausel, die wir ja in anderen Gesundheitsfachberufen bereits haben, sollten wir dann in den Ausschussberatungen auch noch einmal sprechen. Das gilt auch für den Umfang der Praxisanleitungen, die Mindestanforderungen an die Schulen und die Berechtigungen zur Beauftragung von Labordienstleistungen, die wir dringend noch mal diskutieren müssen, Stichwort „Heilpraktiker“. Man muss hier in den Detailfragen noch nacharbeiten; das ist klar. Aber ich bin sicher, dass wir zu sinnvollen Lösungen kommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Solche Lösungen haben wir ja auch bereits gemeinsam erarbeiten können. Ich erinnere daran: Wir haben in dieser Wahlperiode immerhin die Reform der Hebammenausbildung zusammen umgesetzt, die Ausbildung der Pharmazeutisch-technischen Assistenten reformiert. Mit dem ATA-OTA-Gesetz, dem Anästhesietechnische- und Operationstechnische-Assistenten-Gesetz, haben wir sogar einen neuen bundesrechtlich geregelten Gesundheitsfachberuf eingeführt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin.

Bettina Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004358, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt bin ich am Schluss. – Jetzt folgen die MTA-Berufe. Wenn wir bei den anderen Berufen noch was hinkriegen, bin ich dankbar. Ich bin auch optimistisch, dass wir das schaffen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Wieland Schinnenburg. ({0})

Dr. Wieland Schinnenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004874, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es ist gut, dass wir ein neues Gesetz bekommen. Das alte Gesetz ist fast 30 Jahre alt, und seitdem hat sich sehr viel getan. Die Coronapandemie hat uns doch eins gezeigt: Gesundheitliche Probleme werden heute mit moderner Technologie gelöst. Wir alle hoffen bei Corona auf einen Impfstoff. Die Restaurantschließungen führen uns nicht weiter; ein Impfstoff führt uns weiter. Technologie ist ein wesentlicher Schritt, um kranken Menschen zu helfen. Darum setzen wir als FDP uns dafür ein, dass die modernste Technologie für die Menschen, die krank sind, eingesetzt wird. Dazu gehört für uns auch und gerade die Gentechnologie, meine Damen und Herren. ({0}) Es ist auch gut, dass die Berufsbezeichnung geändert wird. Es ist keine assistierende Tätigkeit mehr. Es ist zwar eine Tätigkeit auf Anordnung, aber eine selbstständige Tätigkeit. Darum finden wir es auch gut, dass statt des Begriffs des „Assistenten“ der Begriff des „Technologen“ eingeführt wird. Auch das finden wir gut. Schließlich finden wir es auch gut, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet, die Höhe der Ausbildungsvergütungen selbst festzulegen. Das ist keine Sache der Regierung und des Parlamentes. Das sollen andere aushandeln, die besser sind. Das ist das Gute an diesem Gesetz. ({1}) Leider hat das Gesetz auch eine ganze Reihe von Mängeln. Lassen Sie mich einige aufzählen: Erstens. Es geht schon los mit der Ausbildungsvergütung. Es ist ernsthaft vorgesehen, dass bis zu drei Viertel der Ausbildungsvergütung wieder wegfallen können. Es ist nämlich möglich, Sachleistungen anzurechnen. Stellen Sie sich das mal vor! Wir haben gerade gehört: Ja, wir wollen den Beruf attraktiver machen. – Da handelt jemand eine Ausbildungsvergütung aus und stellt nachher fest: Davon kriege ich nur ein Viertel ausgezahlt. – Meine Damen und Herren, das ist nicht wirklich überzeugend. Das muss geändert werden. Der zweite Punkt. Minister Spahn hat groß verkündet: Wir schaffen das Schulgeld ab. – Ja, das passiert auch. Aber wenn man es nachliest, erkennt man: Die Regelung, die er jetzt vorsieht, ist völlig unzureichend. Wir teilen die Meinung des Bundesrates, dass hier dringend nachgebessert werden muss. Das Ergebnis ist nämlich, dass Privatschulen quasi gezwungen werden, mit Krankenhäusern zu kooperieren, und, typisch für Minister Spahn, wieder mal der Beitragszahler alles bezahlen soll. Meine Damen und Herren, das geht nicht. ({2}) Der dritte Punkt ist auch typisch für Minister Spahn. Wesentliche Dinge werden wieder nicht im Gesetz geregelt, sondern in einer Verordnung. Kurz gesagt: Der Deutsche Bundestag soll mal wieder die Katze im Sack kaufen. Das lehnen wir ab, meine Damen und Herren. ({3}) Schließlich der vierte Punkt. Man glaubt gar nicht, dass wir im Jahr 2020 sind. Im Gesetzentwurf steht ernsthaft, dass Ausbildungsverträge nur schriftlich, nicht aber elektronisch abgeschlossen werden können. Ja, meine Damen und Herren, wo sind wir denn jetzt? Der Minister, der gerne von Elektronik und Datenverarbeitung spricht, führt eine solche Regelung ein. Meine Damen und Herren, das macht die FDP nicht mit. Wir wollen auch elektronische Abschlüsse möglich machen. Das gehört ins Gesetz, meine Damen und Herren. ({4}) Ich fasse zusammen: Minister Spahn ist gehupft, aber schlecht gesprungen. Zum Glück gibt es eine Freie Demokratische Partei, die Serviceopposition. ({5}) Wir werden nach der Anhörung der Experten konkrete Vorschläge machen, wie man aus einem unausgegorenen Gesetzentwurf ein gutes Gesetz machen kann. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Wieland Schinnenburg. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Harald Weinberg. ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Wir reden hier über eine sehr wichtige Berufsgruppe für die Gesundheitsversorgung. Es handelt sich um eine Berufsgruppe, die in der aktuellen Pandemie – auch in den Krankenhäusern – Außerordentliches geleistet hat und weiterhin leistet, etwa in der radiologischen Diagnostik. Ohne Blutgasanalyse und andere Labordiagnostik, ohne Lungenfunktionstests und anderes ist eine sachgerechte Behandlung von Covid-19-Patienten nicht zu leisten. Das Verrückte ist, dass diese Berufsgruppe, deren Angehörige nahezu täglich Kontakt zu Covid-19-Patienten haben und zweifellos besonders gefordert und gefährdet sind, bei allen bisherigen Prämienregelungen außen vor war. Das ist schon ein Skandal. ({0}) Aber sicher ist es sehr sinnvoll, die Ausbildung in diesem Bereich weiterzuentwickeln. Bei diesem Vorhaben haben Sie uns an Ihrer Seite. Wir fordern das schon länger. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung vom Anfang der 90er-Jahre ist sicher schon etwas verstaubt. Auch viele der einzelnen Reformschritte können wir unterstützen: klar geregelter Ausbildungsvertrag, Spezifizierung der Ausbildungsziele, Ausweitung der Praxisanteile, Abschaffung des Schulgelds – natürlich unterstützen wir vor allen Dingen die Abschaffung des Schulgelds –, ({1}) eine neue Berufsbezeichnung. Wir sehen allerdings auch Nachbesserungsbedarf, zum Beispiel bei der Finanzierung der Ausbildungskosten oder bei der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung. Aber das lässt sich ja im weiteren Verfahren diskutieren und womöglich auch noch nachbessern. ({2}) Es sind noch zwei weitere Regelungen enthalten, die es aus unserer Sicht in sich haben: Zum einen geht es um das Problem der Handlungsmöglichkeiten von Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern an einem Unfallort, wenn der Notarzt noch nicht eingetroffen oder gar verhindert ist. Die Lösung dieses Problems wird seit Jahren hin- und hergeschoben. Es gibt bis heute keine ausreichende Rechtssicherheit für Notfallsanitäter, wenn sie als Erste an einen Unfallort kommen und mit einer schwierigen Lage bei Unfallopfern konfrontiert sind. Geben sie Medikamente oder intubieren sie, wenn das überlebensnotwendig ist, dann verstoßen sie womöglich gegen den Heilkundevorbehalt. Im schlimmsten Fall droht ihnen eine Anzeige wegen Körperverletzung. Helfen sie in einer lebensbedrohenden Situation nicht, droht ihnen ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung. Die jetzt im Gesetz vorgesehene Regelung löst das Dilemma aus unserer Sicht nicht wirklich, sondern gießt es in eine ebenso widersprüchliche Rechtsnorm. Das haben eine Vielzahl von Stellungnahmen und auch der Bundesrat kritisiert. Hier brauchen wir unbedingt eine Klarstellung, die dieses Dilemma für die Notfallsanitäter rechtssicher auflöst. ({3}) Dann gibt es noch die Regelung, nach der Heilpraktiker künftig keine Laboruntersuchungen mehr beauftragen dürfen. Ich werde inzwischen den Verdacht nicht los, dass die Bundesregierung oder die sie tragende Koalition sich um eine gesetzliche Befassung mit dem Bereich der Heilpraktiker herumdrückt, aber mit einer Reihe von Einzelregelungen, die eher in sachfremden Gesetzen enthalten sind, dem Bereich per Salamitaktik den Garaus machen möchte. Nun bin ich persönlich der Meinung, dass dieser Bereich ordentlich gesetzlich geregelt gehört, wohl wissend, dass das nicht nur in meiner Fraktion zu munteren und spannenden Diskussionen mit ziemlich offenem Ausgang führen wird. Aber eine solche schwierige und kontroverse Diskussion unter Einbeziehung der Betroffenen und der Öffentlichkeit wäre immerhin fair und angemessen. ({4}) Die Taktik, dem Bereich der Heilpraxis schrittweise und unter möglichst weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit das Wasser abzugraben, ist aus unserer Sicht inakzeptabel. ({5}) Daher fordern wir Sie auf, den Teil aus dem Gesetz herauszunehmen und zeitnah eine umfassende Reform des Heilpraktikergesetzes vorzulegen. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

„Zeitnah“ ist ein guter Begriff.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. – Ich glaube, insgesamt ist das Problem immer, dass in Ihren Gesetzen viele Dinge zusammengepackt werden. Das macht die parlamentarische Behandlung nicht einfacher und verhindert am Ende, dass wir den sinnvollen Regelungen zustimmen können. Mal sehen, ob wir dieses Mal in den Beratungen weiterkommen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Harald Weinberg. – Jetzt hat das Wort Dr. Janosch Dahmen für Bündnis 90/Die Grünen. Das ist seine erste Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Sie sehen: Das Haus freut sich auf die Rede.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor gut zwei Wochen habe ich meine Uniform als Oberarzt des Berliner Rettungsdienstes erst mal in den Spind gehängt, meinen Pieper ausgeschaltet, um in dieser heraufordernden Zeit meine Fraktion im Gesundheitsausschuss und hier in diesem Haus als neuer Abgeordneter zu unterstützen. ({0}) Ich will diese erste Rede nutzen, um den schwer arbeitenden Menschen im Gesundheitswesen und den Patientinnen und Patienten eine Stimme bei dieser wichtigen Gesetzesreform zu geben. Wer die Praxis im Gesundheitswesen kennt, wird mir zustimmen – in einigen Reden wurde es ja eben schon deutlich gemacht –, dass die medizintechnischen Berufe einen wichtigen eigenständigen Eckpfeiler funktionierender Gesundheitsversorgung in Deutschland darstellen. ({1}) Endlich – ja, es wurde nach 27 Jahren wirklich Zeit – geht die geplante Gesetzesänderung längst überfällige Missstände an, etwa durch die Abschaffung des Schulgeldes oder durch die Einführung einer zeitgemäßen, wertschätzenden Berufsbezeichnung. Das ist gut, und das loben wir ausdrücklich. ({2}) Gut gemeint ist aber leider längst nicht in allen Teilen gut gemacht. Mit meiner Praxiserfahrung kann ich Ihnen sagen: Der Abschnitt zu einer Reform des Notfallsanitätergesetzes ist realitätsfern und macht das Leben für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter nicht einfacher, sondern faktisch schwerer. ({3}) Werte Kolleginnen und Kollegen, wer von uns will nach einem Unfall einen Notfallsanitäter oder eine Notfallsanitäterin an seiner Seite stehen haben, dem oder der die Hände gebunden sind, der oder die also auf eine Ärztin warten muss, weil ihm oder ihr das Gesetz nicht erlaubt, akute Schmerzen zu lindern? Uns eint das Ziel, Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern mehr Rechtssicherheit und Handlungsspielräume einräumen zu wollen; aber der vorliegende Entwurf führt schlichtweg zum Gegenteil. Noch mehr Rechtsunsicherheit – das darf nicht passieren; das sind wir in allererster Linie unseren Patientinnen und Patienten schuldig. ({4}) Was es nun braucht – das ist nicht nur meine Meinung oder die meiner Fraktion, sondern im Übrigen auch die des Bundesrates –, sind Änderungen bei zwei wichtigen Punkten: Erstens. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter verdienen endlich eine Klarstellung, nämlich dass bezüglich der Abwendung einer akuten und konkreten Gefahr für Leib und Leben keine rechtliche Unsicherheit mehr besteht. Das bedeutet, dass sie für ihr Handeln nicht allein auf § 34 Strafgesetzbuch zurückgreifen können sollen, sondern bei sogenannten 2c-Maßnahmen nach Notfallsanitätergesetz über eine klar umschriebene Heilkundebefugnis zur Durchführung heilkundlicher Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahr verfügen müssen. ({5}) Zweitens – auch das ist Realität im Rettungsdienst –: Es gibt Situationen, in denen keine Lebensgefahr besteht, aber trotzdem heilkundliche Maßnahmen notwendig sind. Unter Umständen – das ist der entscheidende Punkt – ist da gar kein Arzt erforderlich. Für diese Fälle müssen wir im Notfallsanitätergesetz dringend das Instrument einer Generaldelegation als verbindlichen landesrechtlichen Regelungstatbestand einführen. ({6}) Länder wie Bayern und Berlin haben ja schon in Eigeninitiative vorgemacht, dass das geht. In diesen Ländern führen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter heute schon eine Vielzahl invasiver Maßnahmen eigenständig durch; das lindert dann auch ganz konkret Schmerzen und Leid. Das brauchen wir flächendeckend und bundesweit, und das muss im Notfallsanitätergesetz endlich richtig verankert werden. ({7}) Ich komme zum Schluss. Ich bitte den Minister und die Regierungsfraktionen im Namen der Kolleginnen und Kollegen im Rettungsdienst ganz eindringlich darum, den Regierungsentwurf hinsichtlich der Neuregelung des Notfallsanitätergesetzes anzupassen. Gerne bieten wir an, hier mit Sachverstand im parlamentarischen Verfahren mitzuarbeiten. Ich bin guter Hoffnung, dass uns hier im Sinne des gemeinsamen Ziels Besserung gelingt. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Janosch Dahmen. Ihnen viel Erfolg und viel gute Arbeit hier im Hohen Haus, in der Herzkammer! Alles, alles Gute! ({0}) Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Krauß. ({1})

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte bietet die Möglichkeit, über Berufe zu sprechen, die sehr häufig im Schatten der Aufmerksamkeit stehen. Dazu gehört auch der Beruf des Heilpraktikers. Ich finde, dieser Beruf ist eine Bereicherung für unser Gesundheitswesen, den ich nicht missen möchte. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die 47 000 Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker in diesem Land, die eine wertvolle Arbeit leisten. ({0}) Ihre Zahl – das kann man auch einmal sagen – steigt von Jahr zu Jahr, und das spricht eben auch für ein gewisses Patientenvertrauen. Es gibt also offensichtlich eine Zufriedenheit mit der Arbeit der Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker. Die Patienten stimmen letzten Endes mit den Füßen darüber ab, indem sie eben zum Heilpraktiker gehen; es wird ja niemand gezwungen. Pro Tag gibt es 128 000 Patientenkontakte. Wenn man sich die Altersgruppe derjenigen zwischen 50 und 65 Jahren anschaut, stellt man fest, dass etwa die Hälfte, 47 Prozent, schon mal beim Heilpraktiker gewesen ist. Das spricht dafür, dass es sehr viele Menschen gibt, die beim Heilpraktiker Hilfe suchen. Warum tun das die Patienten und bezahlen dafür im Regelfall auch noch Geld? Die Patienten wollen einen ganzheitlichen Ansatz, eine Verzahnung von Schulmedizin und Komplementärmedizin; denn die meisten besuchen natürlich auch einen Arzt. Das ist kein Widerspruch; ich finde das auch gut so. Ich habe in diesem Sommer mal ein MVZ, ein schmerzmedizinisches Versorgungszentrum, besucht, wo auch Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker arbeiten. Ich fand es sehr schön, zu sehen, dass es kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander gibt. Ich glaube, solchen Kooperationen gehört die Zukunft. Es gibt auch Patienten, die eine ergänzende Therapie beim Heilpraktiker suchen, die Nebenwirkungen reduzieren wollen, und Patienten, die einfach die Selbstheilungskräfte anregen wollen, die nicht dem Missverständnis unterliegen, dass man eine Tablette einwerfen muss, und dann wird man schon gesund, die meinetwegen sagen: Bei Bluthochdruck möchte ich nicht nur einen Blutdrucksenker verschrieben bekommen, sondern ich möchte selbst etwas tun. Ich bin damit nicht zufrieden und möchte selbst etwas tun, damit ich vielleicht überhaupt keine Tabletten mehr brauche. – Ich finde, es ist ein guter Ansatz, zu überlegen: Was kann man tun, damit man nicht ständig zum Beispiel auf Tabletten angewiesen ist? Dabei wird auf sanfte Verfahren, auf Naturheilverfahren gesetzt. Ich finde, wenn der mündige Patient das wünscht, dann soll er auch die Möglichkeit haben, das in Anspruch zu nehmen. Ganz wichtig – sagen Patienten, wenn man mit ihnen spricht – ist: Der Heilpraktiker oder die Heilpraktikerin nimmt sich Zeit für einen. Sie stellen im Regelfall die gleiche Diagnose, führen eine vollständige schulmedizinische Anamnese durch; aber die Patienten sind eben nicht nach zwei Minuten wieder draußen, sondern das Gespräch dauert auch mal eine Stunde. Diese Erfahrung – ich könnte jetzt sagen: diesen Luxus – möchte ich gern noch viel mehr Patienten gönnen, dass sie sehen, dass sich derjenige, der sie behandelt, einfach Zeit nimmt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sprechen heute über den Entwurf des MTA-Reform-Gesetzes, und dort ist eine Regelung enthalten, nach der Heilpraktiker keine Laborleistungen mehr in Auftrag geben können sollen. Ich finde, diese Regelung wäre nicht im Sinne der Patienten; denn eine Labordiagnostik dient der Abklärung von Erkrankungen. Dafür ist sie sehr hilfreich. Wir haben in den vergangenen Jahren, glaube ich, auch sehr viele gute Erfahrungen damit gemacht, dass Heilpraktiker ihre Arbeit darauf ausgerichtet haben, was die Laborbefunde zeigen. Insofern, finde ich, sollten wir diese Regelung streichen, weil sie nicht dem Patientennutzen dient. Natürlich steht der Beruf des Heilpraktikers auch vor Herausforderungen. Aus meiner Sicht gibt es ein sehr hohes Ausbildungsniveau. Die meisten, die den Beruf des Heilpraktikers ergreifen, haben einen medizinischen Vorberuf, sind zum Beispiel Ergotherapeuten oder haben in der Pflege gearbeitet; über die Hälfte kommt aus diesem Bereich. Das spricht also dafür, dass das Leute sind, die Ahnung von dem haben, was sie machen. Aber wichtig ist, glaube ich, dass wir die Ausbildung standardisieren, dass es Schulen gibt, die ein klares, vergleichbares Curriculum haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns zum Wohle der Patienten den Beruf des Heilpraktikers erhalten und besser machen. Die Möglichkeit haben wir. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Krauß. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist für die SPD-Fraktion Dirk Heidenblut. ({0})

Dirk Heidenblut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004295, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich einmal vor, Sie schließen eine qualifizierte, gute Ausbildung ab, setzen das ein, was Sie in dieser qualifizierten, guten Ausbildung gelernt haben – Sie retten Leben, Sie verbessern den Gesundheitszustand von Menschen – und sehen sich dann mit dem Strafrecht konfrontiert. Das ist ein absolut unhaltbarer Zustand. ({0}) Ich glaube, wir alle würden sagen: Das kann es doch nicht geben! – Doch, das kann es geben, nämlich bei den Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern, weil das Gesetz, das die Notfallsanitäterinnen- und ‑sanitäterausbildung regelt – es ist im Übrigen ein gutes Gesetz, weil wir damit endlich ein Berufsbild geschaffen haben –, an vielen Stellen und besonders an dieser Stelle ziemlich schlecht gemacht ist und dringend verändert werden muss. Wobei: Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob eine Novellierung in dem vorliegenden Gesetzentwurf richtig angesiedelt ist oder lieber in einem anderen Gesetz erfolgen sollte; denn wir reden über den Heilkundevorbehalt. Wo auch immer: Es muss geregelt werden; da sind wir uns, glaube ich, einig. Auch meine Kollegin Zeulner hat das ja vorhin sehr deutlich gesagt. ({1}) Im Hinblick auf Ihre Bemerkung von der Serviceopposition, lieber Kollege Schinnenburg, frage ich nur: Wissen Sie, wer das Gesetz zu verantworten hat? Ein FDP-Gesundheitsminister! Für diesen Service werden Ihnen die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter ewig dankbar sein; das kann ich Ihnen sagen. ({2}) Insofern ist es besser, dass wir sozusagen auf den Service, der da geliefert wird, verzichten. Wir müssen ganz dringend eine Veränderung bewirken. Ich bin den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Bayern außerordentlich dankbar, dass sie einen aus meiner Sicht – ich glaube, diese Sicht teile ich mit dem ein oder anderen – gar nicht so schlechten Vorschlag schon vorgelegt haben. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man den abschreiben können, um ehrlich zu sein. Das Ministerium hat jetzt erkannt – das ist immerhin vernünftig –, dass es ein Problem gibt, und uns jetzt einen Vorschlag vorgelegt. Dieser Vorschlag wird allerdings von den Fachverbänden, von Verbänden wie der Johanniter-Unfall-Hilfe, die Notfallsanitäterinnen und ‑sanitäter einsetzen, aber auch vom Bundesrat deutlich kritisiert. Wenn uns das Ziel eint, Rechtssicherheit für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter zu schaffen, und zwar nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Menschen, deren Leben und deren Gesundheit von ihnen abhängig ist und die eine entsprechende Behandlung erwarten, dann müssen wir uns das noch einmal sehr gründlich anschauen, und dann müssen wir meines Erachtens sehr darauf hören, was uns die Fachleute an dieser Stelle sagen, und über die Formulierung noch einmal sehr genau nachdenken. ({3}) Für mich kann nur eine Formulierung greifen, die Rechtssicherheit schafft. Das sind wir den Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern schuldig. Auch sie helfen uns durch diese Krise, durch diese Pandemie; sie sind eine wirksame Stütze. Sie brauchen nicht nur Applaus; sie brauchen nicht nur eine vernünftige Vergütung. Sie brauchen in diesem Fall vor allen Dingen Rechtssicherheit. Dafür werden wir kämpfen. Danke schön. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dirk Heidenblut. – Damit schließe ich die Aussprache.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang der Woche habe ich einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen. Darin stand etwas, das mir aus der Seele gesprochen hat. Die Kernaussage war: Der Rückstand Deutschlands bei der digitalen Transformation ist das Ergebnis bewusster Entscheidungen dagegen. – Das, meine Damen und Herren der Bundesregierung und der Großen Koalition, geht auf Ihre Kappe. ({0}) Bisher konnten Sie Ihre Zurückhaltung bei der Digitalpolitik ganz gut hinter der florierenden Wirtschaft in Deutschland verstecken oder knapp gesagt: Es ging uns ja ganz gut, da ist es nicht so stark aufgefallen, dass wir an vielen Punkten – bei der Verwaltung, bei der digitalen Transformation von Geschäftsmodellen – nicht weiterkamen. Die Krise, in der wir uns jetzt befinden, hat Ihnen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Das wahre Ausmaß dessen, was wir bei der Digitalisierung in den letzten Jahren nicht umgesetzt haben, wird im Moment wie durch ein Brennglas schonungslos offengelegt. Wir sehen das in Schulen, Gesundheitseinrichtungen, in der Verwaltung. Aber vor allen Dingen ist die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft mangels digitaler Transformation gefährdet. Das wird jetzt sichtbar, und das macht uns große Sorgen, meine Damen und Herren. ({1}) Wir als Freie Demokraten haben in den letzten drei Jahren immer wieder konstruktiv Vorschläge, Ideen vorgelegt. Wir haben an unzähligen Baustellen immer wieder darauf hingewiesen, dass dringend gehandelt werden muss, und wir haben auch darauf hingewiesen, dass viele Digitalprojekte, die dringlich anstanden, immer noch anstehen und in Zukunft anstehen werden, mangels eines guten IT-Projektmanagements – so würde ich es nennen, ich komme aus der Wirtschaft – einfach nicht vorankommen. Für diese Vorschläge waren Sie stets blind und taub, Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, gute Vorschläge abzuschreiben. Jetzt haben Sie mit unserem Antrag, den wir heute einreichen, noch einmal die Chance dazu; es ist wirklich dringend. ({2}) Das ist der letzte Weckruf, zu einem Befreiungsschlag auszuholen. Es geht in der Pandemie nicht nur um ein paar kleine Tools, die uns irgendwie das Leben leichter machen, sondern es geht um zwei Dinge: Erstens dürfen wir den Motor nicht abwürgen, auch nicht in der Wirtschaft, wir müssen ihn zumindest am Laufen halten, und zweitens – das ist viel wichtiger, da mangelt es total – geht es um das Fitmachen unseres Landes für die Zukunft. Wir müssen unsere Wirtschaft für die digitale Welt fitmachen, also sozusagen den Gang wieder einlegen, damit wir mit Vollgas voranbrausen können und nicht nur den anderen hinterherfahren. ({3}) Deswegen haben wir unseren Antrag in Sofortmaßnahmen – damit der Motor nicht abgewürgt wird – und Zukunftsmaßnahmen – damit wir in Zukunft besser aufgestellt werden – gegliedert. Bei den Sofortmaßnahmen ist dringlich geboten, dass Sie die Zustände, die wir jetzt erkennen, einmal zusammenführen und daraus den Schluss ziehen, eine Taskforce einzurichten, die auch mit externem Sachverstand die Themen bearbeitet und sich nicht nur ein paarmal im Jahr trifft und vielleicht irgendwann einen Bericht abgibt. Wir brauchen im Gesundheitswesen – das ist nun wirklich klar geworden – eine digitale Umstrukturierung. Wir dürfen in den Gesundheitsämtern nicht wieder in einer Welt voller Faxe landen. Wir brauchen einen DigitalPakt 2.0 – auch für die Zukunft unserer Kinder –, um in Zukunft digital voranzukommen. Wir brauchen endlich Netzausbau, meine Damen und Herren. ({4}) Wie lange reden wir über Netzausbau? Man kann es schon fast nicht mehr hören! Wir brauchen ein Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschen überhaupt Vertrauen in die digitale Zukunft haben, meine Damen und Herren. ({5}) Wir wollen uns auch für die digitale Zukunft fitmachen. Dazu brauchen wir einen Zukunftspakt für Wirtschaft und Mittelstand. Wer denn, wenn nicht der deutsche Mittelstand, soll in Zukunft die digitale Transformation in Deutschland, in Europa gestalten? Wir brauchen mehr. Wir brauchen einen smarten Personalausweis, eine wirkliche Modernisierung von Wirtschaft und Verwaltung, bessere KI, Smart Cities. Es wäre nicht meine Rede, wenn ich am Ende nicht damit schließen würde, zu sagen: Das alles muss besser koordiniert sein, meine Damen und Herren, mit einem Digitalministerium, das all das umsetzen kann und Projektmanagement macht und nicht weiter in Silos arbeitet. ({6}) Digitalisierung, digitale Transformation muss auch in der Politik und auch hier im Haus stattfinden, sonst kommen wir nicht weiter. Bitte nehmen Sie unseren Antrag als Idee für Ihre Politik. Danke schön. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Manuel Höferlin. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Axel Knoerig. ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf Ihre Inhalte eingehe, liebe FDP, möchte ich eines festhalten: Es ist nicht das erste Mal, dass Sie Ihre Anträge in letzter Minute einbringen. ({0}) Auch dieser Antrag wurde erst gestern Abend eingereicht. Ich sage ganz klar: Das ist kein guter Stil, und es ist auch nicht kollegial, wenn man das so macht! ({1}) Hin und wieder provozieren Sie ganz gerne, indem Sie sich über das übliche Prozedere hinwegsetzen. ({2}) Sie fordern zwölf Monate vor Ende der Wahlperiode ein neues Digitalministerium; dabei erfolgt die Ressortverteilung – das müssten Sie eigentlich wissen – immer am Anfang einer Legislaturperiode, und zwar per Organisationserlass. ({3}) Das sollten Sie eigentlich kennen. Sie können nicht mal eben zwischendurch die Einzeletats im Haushalt verschieben. Wozu haben wir denn eine mittelfristige Finanzplanung? ({4}) Meine Damen und Herren, die FDP fordert außerdem eine schnellere Umsetzung des Breitbandausbaus, des DigitalPakts Schule und der digitalen Verwaltung. Ziehen wir doch einmal Bilanz: Eigens dafür hat die Bundesregierung ein Internetportal zur Digitalpolitik eingerichtet. Dort werden 145 Vorhaben aus allen Politikbereichen aufgelistet. ({5}) Einige Stichworte: 5 G – Sie haben es richtig gesagt, Herr Höferlin –, künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, aber auch Stadt und Land oder Wandel der Arbeitswelt. Zu all diesen Themen laufen Projekte auf Bundesebene. ({6}) Unser Ziel ist, diese Themen den Bürgern näherzubringen und den Unternehmen entsprechende Hilfestellungen zu leisten. Nun zu Ihrem ersten Thema, dem Breitbandausbau. Der Bund hat 11 Milliarden Euro für unterversorgte Regionen bereitgestellt; Länder und Kommunen müssen kofinanzieren, so werden Investitionen in doppelter Höhe angestoßen. Aktuell laufen 1 550 Förderprojekte, um weiße Flecken zu schließen, vor allem in ländlichen Regionen. Das heißt im Klartext: 2,4 Millionen Anschlüsse, nicht nur private, sondern auch in Unternehmen, Schulen und Krankenhäusern sind zusätzlich geschaffen worden. Ein Beispiel aus meinem Wahlkreis: Hier baut der Landkreis Diepholz ein Glasfasernetz nach dem Betreibermodell. Dort sind 18 000 zusätzliche Anschlüsse vorgesehen. Nach dem Modell bleiben – das muss man ehrlichkeitshalber auch erwähnen – 850 unwirtschaftlich und werden nicht berücksichtigt. An dieser Stelle sage ich ganz klar: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass auch diese Haushalte angeschlossen werden, egal wie abgelegen sie sind. ({7}) Wir wollen das Ziel von Herrn Minister Scheuer erfüllen: Wir wollen bis 2025 Gigabitanschlüsse für alle Haushalte. Es ist jetzt wichtig, dass wir im Rahmen der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes erreichen, dass es zu einer oberirdischen Verkabelung kommt; denn das ist gerade für entlegene Haushalte wichtig. Nun zu Ihrem zweiten Punkt: der DigitalPakt Schule. Hier haben wir die Mittel von 5 auf 6,5 Milliarden Euro erhöht. Wir haben in der Coronakrise 1 Milliarde Euro mehr bereitgestellt, um Schüler und Lehrer entsprechend mit Laptops zu versorgen. Wichtig ist, dass jede Schule ein eigenes Digitalkonzept erarbeitet und wir es nicht zentral vorgeben. Entscheidend ist hier natürlich auch, dass die Kommunen und Landkreise mittel- und langfristig Mitarbeiter zur Wartung der Systeme vorhalten. Denn es ist ja nicht damit getan, das Ganze anzuschaffen; es muss bereitgestellt und dann auch über Jahre betrieben werden. Nun zur digitalen Verwaltung. Mit dem Onlinezugangsgesetz haben wir die Grundlagen dafür gelegt. Bis 2022 – und da sind wir ständig im Aufbau – sollen alle Verwaltungsleistungen digital angeboten werden, von der Kommune über das Land bis hin zum Bund. Das haben wir entsprechend in den Koalitionsvertrag eingearbeitet und wird Stück für Stück abgearbeitet. ({8}) Ja, es ist in Teilen richtig: Die Coronakrise hat die Digitalisierung beschleunigt. Das steht fest. Genauso sehen wir auch hier und da Lücken, wo noch Aufholbedarf besteht. Ich sage immer wieder gerne, dass die Infrastruktur die Basis für alles ist. Deshalb hat der Bund eine eigene Infrastrukturgesellschaft initiiert. Analog zum Breitband werden wir den Mobilfunk auch in den Gebieten ausbauen und ergänzen, wo es für die Netzbetreiber unwirtschaftlich ist. Es sollen bis zu 5 000 neue Mobilfunkmasten für unterversorgte Gebiete finanziert werden, und dafür wenden wir 1 Milliarde Euro auf. ({9}) Ich halte fest, meine Damen und Herren – und das ist wichtig –, dass solche staatlichen Investitionen heute gar nicht nötig wären, wenn die Lizenzvergabe vor 20 Jahren anders ausgestaltet worden wäre. ({10}) Ich erinnere kurz daran: Im Jahr 2000 wurden die UMTS-Lizenzen für 50 Milliarden Euro vergeben. Das hat doch den Firmen das Geld regelrecht aus der Tasche gezogen, und das hat den Mobilfunkausbau über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte verlangsamt. Wir könnten doch schon viel weiter sein. Aber – und das müssen wir ergänzen – das war in Zeiten von Rot-Grün. ({11}) Daneben kommt es auf die Datensouveränität an – das muss in der Pandemie wirklich klar sein. Auch im Homeoffice müssen Datenschutz und IT-Sicherheit gewährleistet sein. Dafür müssen wir zum einen die Nutzer fitmachen, und zum anderen brauchen wir für deutsche und europäische Technologien einen Innovationsschub. Wir dürfen nicht länger von ausländischen Produkten und Diensten abhängig sein. Die EU-Kommission – wir wissen, das ist vor allem ein europäisches Thema – wird diesbezüglich bald ein Maßnahmenpaket vorlegen. Es beinhaltet unter anderem die Datennutzung durch große Onlineplattformen wie Google und Facebook. Wenn man sich die Anträge der FDP anschaut, die wir in den letzten Jahren debattiert haben, fragt man sich: Was ist eigentlich aus ihrem wirtschaftsliberalen Markenkern geworden? Ist der Staat etwa der bessere Unternehmer? Also, meinem Verständnis von Wirtschaftsliberalismus widerspricht das. Wir wollen doch keine zentrale Behörde für die Digitalisierung; denn die Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe für alle Bereiche, und diese muss nicht zentral über eine Behörde geregelt werden. ({12}) Eine Bündelung wird schlichtweg dieser Sache nicht gerecht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Axel Knoerig. – Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Joana Cotar. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Ich komme mir ein bisschen so vor wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Wieder einmal diskutieren wir einen Antrag der FDP zur Digitalisierung. Die Regierung soll die „Pandemie als digitalen Weckruf ernst nehmen“ – so weit, so gut. Wir von der AfD haben hierzu fünf Anträge beigestellt – zum einen die Forderung nach einem Digitalministerium zur Bündelung der Kompetenzen und für ein strukturiertes Vorgehen bei der Digitalisierung in Deutschland. Dass dies dringend nötig ist, bekommen wir Tag für Tag vor Augen geführt. Nur die Regierung scheint diese wirklich zuzukneifen, damit sie das nicht sehen muss. Anders ist die Untätigkeit nicht zu erklären. Stattdessen endlose Diskussionen zwischen Union und SPD: Das Ministerium kommt, das Ministerium kommt nicht. – Es ist das gleiche Chaos wie bei der Digitalisierung. Kein Wunder, dass hier nichts passiert! ({0}) Wir fordern außerdem den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung zum Abbau von Bürokratie und um diese effizienter zu gestalten. Der Regierung liegt bis jetzt jedoch nicht einmal ein vollständiger Überblick sämtlicher Anwendungen und Pilotprojekte zur KI in der Verwaltung vor, und sie hat auch nicht vor, sich diesen Überblick zu verschaffen. KI-Anwendungen sind die Zukunft, ob Sie das nun wollen oder nicht. Deutschland nicht darauf vorzubereiten, ist grob fahrlässig, meine Damen und Herren. Wir wollen die Start-up-Hilfen in der Lockdown-Krise gerecht verteilen; denn das aktuelle Maßnahmenpaket wird den realen Marktbedingungen nicht gerecht und bewirkt eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten von gut ausgestatteten Risikokapitalgebern. Außerdem sind wir von der AfD der Meinung: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. ({1}) Er hat die Rahmenbedingungen zu schaffen und sich ansonsten herauszuhalten. Unser Antrag, Familien und Jugendlichen in der Krise auch digital zu helfen, wurde zum Teil mit dem Gesetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen umgesetzt. Auch wenn die Koalitionsfraktionen selbstverständlich unseren Antrag vorher abgelehnt haben, sage ich: Danke für die rasche Umsetzung – AfD wirkt! ({2}) Später wird hier auch noch unser Antrag für ein nationales Mortalitätsregister diskutiert, der in den Ausschüssen bereits abgelehnt worden ist. Gerade in Zeiten von Corona halte ich das für absolut verantwortungslos. Die Sterblichkeit in Deutschland muss besser und schneller erfasst werden. Ein solches Register würde eine zeitnahe Identifizierung und Sensibilisierung von Risikogruppen erheblich erleichtern. Außerdem würde man so schnell Erkenntnisse über den Einfluss von Vorerkrankungen auf das Sterberisiko gewinnen. Erst im Juni hat das Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft den Aufbau eines solchen Registers gefordert. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten spricht sich schon lange dafür aus. Und auch der Bundesdatenschutzbeauftragte empfiehlt eine gesetzliche Regelung. Alles spricht für unseren Antrag, und das wissen Sie auch. Ihn aus dem üblichen Grund, dass er von der AfD kommt, abzulehnen, schadet Deutschland, meine Damen und Herren. ({3}) Und da sind wir wieder bei dem Murmeltiertag oder auch bei der größten Showveranstaltung Berlins. Denn sind wir mal ehrlich: Die Regierungsparteien lehnen die Anträge der Opposition aus Prinzip ab, egal wie gut sie sind. Einiges nehmen Sie später selber auf, wie die von der AfD geforderte Fertigstellung von deNIS und den verpflichtenden Einsatz: den Antrag im April hier abgelehnt, letzte Woche genau das hier beschlossen. ({4}) Ich bin sicher, früher oder später taucht auch das Mortalitätsregister hier im Plenum wieder auf und wird verabschiedet – halt nicht unter dem Logo der AfD. Das Spielchen kennen wir aber auch von den Oppositionsparteien. So lehnte die FDP unseren Antrag für ein Digitalministerium im Ausschuss ab, ({5}) fordert aber in diesem Antrag, den sie uns heute vorlegt, genau dieses Digitalministerium. Was soll das? Was stimmt mit Ihnen nicht? ({6}) Liebe Kollegen, dieses Schauspiel kann man nicht mehr ernst nehmen. Sie scheinen vergessen zu haben, warum Sie überhaupt hier in den Bundestag gewählt worden sind: ({7}) um die beste Politik für Deutschland zu machen. Es wird höchste Zeit, dass das Wohl unseres Landes und das Wohl unserer Bürger über die parteitaktischen Spielchen gestellt werden, meine Damen und Herren. ({8}) Gute Anträge sind gute Anträge, egal von welcher Partei sie kommen – ({9}) je schneller sie umgesetzt werden, desto besser für uns! Solange das hier im Hohen Hause nicht ankommt, ist das, was wir hier veranstalten, mehr Schein als Sein. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an die Redezeit.

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das haben die Bürger da draußen wahrlich nicht verdient. In diesem Sinne: Der Antrag der FDP fordert an vielen Stellen das Richtige. Über all das diskutieren wir im Ausschuss. Vielen Dank und einen schönen Abend. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Cotar. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Jens Zimmermann. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die AfD fragt, was Deutschland schadet, haben wir alle eine klare Antwort darauf: Deutschland schadet es, wenn man hier Leute in den Bundestag einschleust, ({0}) die den Kolleginnen und Kollegen hier auflauern und sie an der Arbeit hindern. Ich glaube, da sind wir uns einig, Frau Kollegin. ({1}) – Ja, das müssen Sie jetzt ertragen. Wenn man sich auf solche Spielchen einlässt, dann muss man auch hier mit den Konsequenzen leben. Die FDP hat stattdessen einen „smarten“ Antrag gestellt. Das kommt einem bekannt vor; unter diesem Stichwort gab es schon jede Menge Anträge. Das ganze Thema Digitalisierung in den Kontext von Corona zu stellen, ist definitiv richtig. Allerdings muss man, wenn man auf die Arbeit in den Gesundheitsämtern abstellt, schon auch eine Sache klar feststellen. Wenn ich mir die Situation in Hessen anschaue – und das trifft auch auf viele andere Bundesländer zu –, dann ist doch eine Sache klar: Die Kommunen haben keine ordentliche Finanzausstattung, und das führt am Ende dazu, dass zum Beispiel auch in Gesundheitsämtern in den letzten Jahren gespart wurde. ({2}) Das kann ich für Hessen definitiv sagen, für andere Bundesländer auch. ({3}) Am Ende zu sagen, das sei alles nur ein Problem mangelnder Digitalisierung, verkennt das Problem und würdigt nicht den Einsatz der vielen Kolleginnen und Kollegen in den Gesundheitsämtern, die alles dafür tun, mit dieser Situation klarzukommen. ({4}) Ich finde im Übrigen auch – die Corona-Warn-App ist ein sehr gutes Beispiel –, dass unser Staat in dieser Pandemie in der Digitalisierung sehr handlungsfähig ist und dass es keineswegs so ist, dass immer nur nach dem Markt geschrien wird, um diese Probleme zu lösen. Es ist ganz klar: Die Slogans aus der FDP-Mottenkiste, dass der Markt das regelt, werden immer herausgeholt. ({5}) – Das habe ich gesagt. – In Rheinland-Pfalz hat in dieser Woche Ihr Wirtschaftsminister und Generalsekretär ({6}) zusammen mit Malu Dreyer dargestellt, wie man beim Mobilfunk mit einem starken handlungsfähigen Staat nach vorne kommen kann und wie man dort auch in der Fläche die Mobilfunkversorgung verbessern kann. Das ist ein sehr gutes Beispiel, meine Damen und Herren. ({7}) Ich will versöhnlich enden, lieber Kollege Höferlin. Bis heute habe ich mit dem Digitalministerium ein bisschen gehadert. Aber ich bin der Meinung, wir sollten das in der nächsten Legislaturperiode machen. Was hat mich so überzeugt? Unsere Digitalstaatsministerin Dorothee Bär, die heute leider nicht im Ausschuss war und auch nicht in dieser Debatte sein kann, hat vorgestern eine Petition gestartet, dass E-Sport gemeinnützig werden soll. Ich habe mich gefragt: An wen richtet sich diese Petition? Das kann eigentlich nur sie selber sein. ({8}) Deswegen glaube ich: Wir müssen ihr ein Ministerium an die Hand geben, meine Damen und Herren, damit das am Ende auch bei einem solch kleinen Beispiel wie E-Sport klappt. Herzlichen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Jens Zimmermann. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Anke Domscheit-Berg. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist die Pandemie der Weckruf für die Bundesregierung? Die FDP, glaube ich, hofft noch ein wenig, ich nicht mehr. Wir wissen eigentlich auch ohne Pandemie, welche Rückstände wir bei der Digitalisierung in Bildung, Verwaltung, Gesundheitswesen oder auch beim Breitbandausbau haben. Ja, erst durch die Pandemie hat die Bildungsministerin verstanden, was wir als Linksfraktion schon seit Jahren fordern, nämlich dass auch arme Kinder Zugang zu digitaler Bildung brauchen und dass dazu der Zugang zu Geräten und Internet gehört, weil die Daten irgendwie von A nach B kommen müssen. ({0}) Lehrkräfte brauchen Laptops. Schulen brauchen IT-Admins. Wer hätte das gedacht? Aber auch die späte Erkenntnis hilft nicht viel; denn die 500 Millionen Euro für Laptops für die Lehrkräfte sind noch heiße Luft. Es gibt keine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Die Vereinbarung über 500 Millionen Euro für IT-Admins wurde auch erst im November unterzeichnet. Ja, wann soll das Zeug denn in der Fläche ankommen? Das Versagen der Bundesregierung in drei Minuten zu beschreiben, ist nicht leicht. Deswegen kommen jetzt ein paar Stichworte: Andi Scheuer, Breitbandminister, ist immer noch im Amt. Das ist ein Skandal für sich alleine. ({1}) 56 Kilobit pro Sekunde ist immer noch ein „funktionaler Internetanschluss“ für die Bundesnetzagentur. Regionales Roaming, das Funklöcher endlich beerdigen könnte, ist immer noch eine Fehlanzeige. Digitale Meldewege im Gesundheitswesen könnten wir super brauchen, aber da fliegen Faxe von Laboren zu Gesundheitsämtern, von dort zu Landesbehörden, von Landesbehörden zum RKI, und schwups sind drei bis vier Tage um, als käme es mitten in der Pandemie nicht darauf an. Datenstrategie der Bundesregierung? Die hätten wir heute eigentlich in einer Fachanhörung im Digitalausschuss besprochen. Kurzfristig mussten wir sie leider absagen; denn die Diskussionsgrundlage lag nicht vor. Wann wir sie bekommen, weiß leider auch noch niemand. Seit einem Jahr schmort das zweite IT-Sicherheitsgesetz in irgendwelchen Schubladen, weil die Bundesregierung sich immer noch nicht einig ist, ob und, wenn ja, wie sie Huawei aus dem 5-G-Ausbau in Deutschland ausschließen will; ({2}) stattdessen, wie Klaus aus der Kiste, eine neue Überwachungsfantasie nach der anderen, ({3}) völlig faktenfreie Behauptungen, die ich nicht mehr hören kann. Mehr Überwachung führt nicht zu mehr Sicherheit. ({4}) Das hat wirklich jeder in Deutschland begriffen. Dafür muss man nicht wie ich 20 Jahre lang IT machen. Jeder weiß das, nur diese Bundesregierung weiß es nicht. Hintertüren korrumpieren IT-Sicherheit. ({5}) Ohne IT-Sicherheit gibt es keine erfolgreiche Digitalisierung. ({6}) Es ist Zeit, dass diese Bundesregierung abgewählt wird, damit gemeinwohlorientierte Digitalisierung eine Chance bekommt. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafgesetzbuch verloren haben. § 219a gehört abgeschafft; immer noch. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Anke Domscheit-Berg. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Dieter Janecek. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Das Thema der heutigen Debatte ist, wie wir Lösungen der Digitalisierung gegen die Pandemie einsetzen können. Das ist ein gewichtiges Thema. Ich habe von Ihnen, Herr Knoerig, sehr viel Ambitionsloses gehört. Mit Verlaub, Herr Zimmermann, bei Ihnen waren es ziemlich viele Ausflüchte über andere Themen, aber nicht über das Thema, was uns heute beschäftigt: Was können wir tun, um mit Digitalisierung diese Pandemie in den Griff zu bekommen? ({0}) Im Antrag der FDP steht einiges sehr Sinnvolles drin, zum Beispiel die Corona-Taskforce, die Technologie-Taskforce. Wir Grüne, Anna Christmann und ich, haben diese schon im April dieses Jahres gefordert, und auch heute haben wir einen Antrag zu dieser Debatte beigesteuert, über den heute abgestimmt wird. Wir Grüne waren von Anfang an bei der Diskussion dabei und haben gesagt: Ja, wir haben in Deutschland viele Defizite bei der Digitalisierung, die jetzt virulent geworden sind. Als Vater von drei Kindern weiß ich, wovon ich beim Thema Schule rede. Manche hier im Plenum nicken und können das sofort emotional nachvollziehen. Bei der digitalen Bildung hat Deutschland einen sehr großen Nachholbedarf. Hier hätte man seit April ansetzen können. Was ist passiert? Viel zu wenig ist passiert. ({1}) Thema Homeoffice. Wir haben wider Willen gelernt, plötzlich konnten wir es, auch wir als Fraktionen, in den Büros. Aber nicht alle Verwaltungen, nicht alle Unternehmen haben das nachvollzogen. Es gibt immer noch eine Präsenzkultur in der Coronakrise. Das muss aufhören. Hier braucht man flexible Lösungen. Auch wenn die Coronakrise vorbei ist, müssen wir aus dem lernen, was wir jetzt wider Willen gelernt haben. Das muss für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nutzbar sein. ({2}) Thema E-Government. Herr Höferlin, Sie haben es angesprochen. Das ist ein Defizit, das wir an vielen Ecken und Enden in Deutschland erleben. Wenn die Verwaltungen selber nicht in der Lage sind, aus der Zettelwirtschaft herauszukommen – da schaue ich auch zu den Ministerien –, dann werden wir natürlich auch nicht bei der Gesundheitsrettung vorankommen. Die Datenbanken der Gesundheitsämter müssen endlich digitalisiert werden, damit wir entsprechende Überträge machen können. Auch hier ist ein Defizit aufgetreten. Wir haben gesehen: Wir sind in Deutschland in vielen Bereichen einfach nicht vorne. Digitalisierung der Wirtschaft. Kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland bekommen über das Bundeswirtschaftsministerium Förderungen. Das ist gut. Aber die Programme sind jetzt auch überbucht. Warum legt man da nicht neu auf? Warum nutzt man jetzt nicht diese Zeit, um vorausschauend zu digitalisieren? Ich glaube, wir können im europäischen und internationalen Kontext nicht wettbewerbsfähig bleiben, wenn wir jetzt nicht schleunigst auf die Überholspur gehen. ({3}) Hätte, hätte, Fahrradkette – jetzt kommt es darauf an, dass wir das Thema wirklich kraftvoll angehen. Digitalisierung in Deutschland in der Coronakrise heißt, dass wir gelernt haben, dass wir vieles nicht können. Das ist eine Erkenntnis. Brauchen wir dafür ein Digitalministerium? Ich bin mir nicht sicher, ob das die Lösung sein muss. Was die Lösung sein muss, ist, dass in den Projekten endlich vernünftig gemanagt wird, dass wir Breitbandausbau in der Fläche haben, dass wir den Mobilfunk endlich stärken, dass wir in der Schule vorankommen, dass wir endlich Möglichkeiten schaffen und dass wir auch ein Mindset bekommen, dass wir Digitalisierung als Chance begreifen, interdisziplinär, innovativ, sozial und ökologisch zusammendenken, vorantreiben. Das ist der grüne Ansatz: Digitalisierung nach vorne. Ich danke Ihnen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich danke Ihnen. – Nächster Redner: für die CDU/CSU Tino Sorge. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mittwochabend, letzter Tagesordnungspunkt, und wir sprechen über Digitalisierung – eigentlich unbezahlbar. Noch unbezahlbarer ist es, dass wir hier mehrere Anträge im Kontext Digitalisierung haben, die wir debattieren. Insofern, glaube ich, ist es schon ein Gewinn, dass wir heute Abend darüber sprechen. Aber ein Gewinn ist nicht unbedingt jeder Redebeitrag hier gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Mein Kollege Axel Knoerig hat ja Ausführungen gemacht zu dem, was bereits passiert ist. Alle Fraktionen müssen selbstkritisch konstatieren, dass man da durchaus noch besser hätte sein können; es ist immer so, dass man da besser sein kann. Aber ich wehre mich immer ein bisschen dagegen, dass so getan wird, als sei da überhaupt nichts passiert. Ich wehre mich auch dagegen, wenn beispielsweise von Ihnen, von der AfD, heute das und morgen was anderes erzählt wird. Insbesondere finde ich es total lustig und auch interessant, dass Sie sich jetzt hier als die hippen Digitalpolitiker aufspielen und so tun, als seien Sie schon immer für Digitalisierung gewesen. Ich will das mal an einem Beispiel klarmachen: Wir haben noch vor wenigen Wochen eine Debatte über die Corona-Warn-App geführt. Da haben Sie Anträge gestellt – Grundrechte retten, kein Big Brother, Corona-Warn-App abschaffen –, und heute stellen Sie sich hierhin und sagen: Wir müssen viel stärker vernetzen. Wir müssen viel, viel mehr in dem Bereich machen. – Im Grunde erzählen Sie hier genau das Gegenteil dessen, was Sie draußen erzählen, und das ist unehrlich. ({1}) Eines muss ich auch in Richtung des Kollegen Höferlin sagen, also in Richtung FDP: Es ist ja alles schön und gut. Wir gehen auf die Adventszeit zu und werden bald Weihnachten haben, durch das Coronavirus etwas anders. Da ist es ja legitim, dass Sie Wunschlisten aufstellen. Aber es ist natürlich auch in dem Bereich wieder wenig originell, wenn Sie jedes Jahr dieselbe Wunschliste vorlegen, insbesondere, weil viele Wünsche von dieser Liste ja bereits erfüllt sind. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich mache das mal konkret am Bereich Gesundheit. Sie fordern in Ihrem Antrag, wir sollten besser vernetzen, Sektorengrenzen abbauen und die Akteure besser zusammenbringen. Das ist ja alles richtig; aber genau das ist es doch, was wir machen. Elektronische Patientenakte, Telematikinfrastruktur – wir werden ab nächstem Jahr endlich damit starten, nachdem wir seit 2003 über das Thema debattiert haben. ({3}) Und wer hat es hinbekommen? Die CDU/CSU mit der SPD und unserem Minister Jens Spahn. Insofern hat es doch funktioniert. Einen Wunsch können Sie schon streichen von der Liste. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier aber auch einmal sagen, dass mich an der Debatte ein bisschen stört, dass wir über Digitalisierung immer sehr abstrakt miteinander reden. Ich glaube, es ist wichtig, die Debatte stärker zu führen – auch gesellschaftlich, gerade jetzt in Coronazeiten –, was digitale Möglichkeiten, was beispielsweise Apps wie die Corona-Warn-App und die Datennutzung angeht. Daten retten Leben. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir viel, viel häufiger in der Debatte berücksichtigen. Das Thema Datennutzung ist eines, über das wir in vielen Konstellationen in den letzten Monaten und Jahren immer wieder gesprochen haben. Viele hier in Deutschland und auch viele Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus neigen dazu – ich schaue da insbesondere in die linke Ecke –, diese Themen zwar immer abstrakt gutzuheißen. Aber wenn es dann konkret darum geht, wie wir Daten nutzen können und wie wir pragmatisch Datenschutz und Gesundheitsschutz in Einklang bringen, wird immer sehr schnell der Elefant des Datenschutzes in den Raum gestellt, sodass wir dann überhaupt nicht mehr über inhaltliche Möglichkeiten sprechen, sondern mit diesem Argument alle weiteren Diskussionen abgewürgt werden. Ich glaube, das ist ein Punkt, bei dem wir ehrlicher miteinander umgehen müssen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Christmann?

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gern.

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank fürs Zulassen der Zwischenfrage, Herr Kollege. – Sie haben ja jetzt dargestellt, dass das mit den Veränderungen alles ganz schwierig sei, mit der Corona-Warn-App alles eigentlich ganz gut laufe und sich jetzt alle nur beschweren würden, dass es einige Funktionen nicht gibt, die aus Ihrer Sicht aufgrund des Datenschutzes sowieso nicht möglich wären. Jetzt möchte ich Sie mal fragen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass ganz viele Vorschläge zur Veränderung und Verbesserung der Corona-Warn-App auf dem Tisch liegen, die gar nichts mit Datenschutzfragen zu tun haben, sondern zum Beispiel die Ergänzung eines Kontakttagebuchs und die freiwillige Zustimmung zur Weitergabe eines Testergebnisses nach dem Testen vorsehen? Ganz viele solcher Verbesserungsvorschläge liegen auf dem Tisch. Was ist denn mit denen? Wann werden die umgesetzt? Warum wurden die nicht längst umgesetzt? Die zweite Frage zum Thema bezieht sich darauf, dass wir doch jetzt in der Coronakrise die Digitalisierung schnell nutzen müssen. Zum Beispiel arbeiten die Gesundheitsämter immer noch mit vielen verschiedenen Programmen und zum Teil immer noch mit dem Faxgerät. Man ist dort noch immer weit davon entfernt, eine Software zu haben, die ein einfaches Arbeiten in den Gesundheitsämtern ermöglichen würde. Denken Sie, dass schon genug passiert, oder brauchen wir da nicht vielleicht doch so etwas wie eine Technologie-Taskforce, um dies zu beschleunigen? Vielen Dank.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Sorge, bitte.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Christmann, herzlichen Dank und auch herzlichen Glückwunsch, dass auch Sie es endlich verstanden haben. Genau das ist es ja, was wir gesetzgeberisch gemacht haben. Ich denke da an den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, wo wir zusätzlich Geld in die Hand nehmen, um eben genau die Probleme, die Sie schildern, dass also bestimmte Dinge manuell nachvollzogen werden müssen – das ist ja alles richtig –, anzugehen. Genau den Punkt, den ich eben angesprochen habe, haben Sie und Ihre Fraktion ja immer wieder torpediert, beispielsweise wenn es darum ging, sinnvolle Lösungen in die Corona-Warn-App zu integrieren, also Features, die der Nutzer dieser App sinnvoll nutzen kann. Da geht es um freiwillige Datenweitergabe, da geht es um freiwillige Optionen. Das Problem ist aber, dass wir über diese App von vornherein gar nicht mehr diskutieren konnten. Was haben Sie sich aufgeregt in der Debatte zur Corona-Warn-App: Abschaffung der Bürgerrechte, die Leute würden ausspioniert. – Genau das Gegenteil war doch der Fall. ({0}) Wir haben jetzt eine Tracing-App gemacht, die keinerlei persönliche Daten speichert. Sie haben das torpediert. Wir haben uns aber gefragt: Wie bekommen wir es gesellschaftlich hin, diese App so auszubauen, dass Nutzer überhaupt die Möglichkeit haben, freiwillig Daten zur Verfügung zu stellen? Deshalb sage ich Ihnen auch ganz klar: Diese App kriegt Updates. Es wird darum gehen, dass Gesundheitsämter angebunden werden. ({1}) – Sehr zeitnah. ({2}) – Sie brauchen jetzt nicht zu lachen. Wenn Sie das wochenlang, monatelang torpedieren und danach mit Krokodilstränen dastehen, weil das nicht funktioniert, dann ist das einfach nur unehrlich. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut. – Herr Sorge, weiter mit der Rede.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich sage Ihnen auch ganz offen: Wir sollten da nicht stehen bleiben. Wir müssen bei solchen Datennutzungsmöglichkeiten doch den Nutzer entscheiden lassen. Wir müssen ihm, gerade wenn es um freiwillige Möglichkeiten geht, überhaupt die Option eröffnen, solche Daten zur Verfügung zu stellen. Und da geht es ja nicht nur um den Bereich der Corona-Warn-App. Wir reden im Gesundheitsbereich mittlerweile über KI, über Künstliche-Intelligenz-Anwendungen, über Assistenzsysteme, die ja nur mit Daten funktionieren. Insofern geht es in der Debatte viel, viel stärker als bisher darum, nicht abstrakt Risiken aufzuzeigen, sondern ganz konkret klarzumachen: Wo sind die individuellen Mehrwerte für den einzelnen Patienten, für jeden einzelnen Nutzer? Welche Vorteile hat das? Noch mal: Daten retten Leben. Ich glaube, in einer Krise wie Corona ist es ganz besonders wichtig, dass wir Daten nutzen, um Leben retten zu können. Diese Option wollen wir mit den Dingen, die wir auf den Weg gebracht haben, ermöglichen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss, freue mich auch, dass Sie lernfähig sind, und freue mich auf gute Ergebnisse. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tino Sorge. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte und an diesem Abend ist Elvan Korkmaz-Emre für die Fraktion der Sozialdemokraten. ({0})

Elvan Korkmaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004790, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Drei Parteien, drei Wunschzettel für Weihnachten. Ich helfe gern noch mal mit Fakten aus: 400 Millionen Euro in 2021 für künstliche Intelligenz, 400 Millionen Euro für die Quantentechnologie, 200 Millionen Euro für 5 G bzw. 6 G, um mal aus dem Konjunkturpaket zu zitieren. Weitere 35 Millionen Euro fließen in Technologieförderprogramme für die Wirtschaft, 88 Millionen Euro in Gaia-X, 300 Millionen Euro in Smart-City-Modellprojekte, 920 Millionen Euro regulär für den Breitbandausbau, und 1,4 Milliarden Euro gibt es für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. ({0}) In der Summe ist der gesamte reale Digitalhaushalt mehr als das, was ich in all Ihren Anträgen heute lesen durfte. ({1}) Statt sich aber mit der Realität auseinanderzusetzen, malt die Opposition wieder wohlige Bilder. Wenn ich jetzt mal aus dem FDP-Antrag zitieren darf: digitale Frischzellenkur für die Verwaltung, Lessons-Learned-Taskforce, SmartPerso. Zur Umsetzung kein Wort. Aber mein mit Abstand absolut liebstes Phrasenfirmament in dem ganzen Konstrukt ist: Marktwirtschaft schließt Lücken. ({2}) Da frage ich mich: Ist das wirklich Ihr Ernst? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, der Satz heißt richtig: Marktwirtschaft produziert Lücken. Das sehen wir tagtäglich. ({3}) Dort, wo die Bevölkerungsdichte gering ist, funktioniert das mit dem marktbasierten Infrastrukturausbau nicht. Das können Sie jeden Einzelnen der 360 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger in meinem Heimatkreis Gütersloh fragen. Jeder Einzelne wird Ihnen das bestätigen. ({4}) Zum Glück gibt es noch das Grundgesetz. Darin kommt das Wort „Marktwirtschaft“ nicht vor, wohl aber ein Hinweis auf gleichwertige Lebensverhältnisse, und dafür, liebe FDP, haben wir Sorge zu tragen. Das liegt in unserer Verantwortung. Das hat sogar der zuständige Minister kapiert. ({5}) Über die richtige Ordnungspolitik wird in keinem der Anträge gesprochen. Was ist mit dem Umgang mit unseren Daten? Wie gewährleisten wir einen effizienten, aber vor allem auch transparenten und sicheren Umgang mit den Daten in der Verwaltung und in der Wirtschaft? Was ist mit der Risikoregulierung bei KI-Anwendungen? Wie schützen wir Verbraucherinnen und Verbraucher in der digitalisierten Welt? Aber Sie sehen: Bis Weihnachten ist noch Zeit. Nutzen Sie die Zeit! Formulieren Sie Ihre Wunschzettel um! Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen. Ich gönne Ihnen Ihre Wünsche zu Weihnachten, ({6}) aber vergessen Sie nicht, dass gerade in der aktuellen Zeit Digitalisierung nicht für alle das Wichtigste ist. Schönen Abend und vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Elvan Korkmaz-Emre. – Damit schließe ich die Aussprache.