Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/4/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank, Herr Präsident. Das Angebot nehme ich sehr gerne wahr. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß, dass ganz viele Themen momentan sehr akut unter den Nägeln brennen und diskussionswürdig sind. Ich gehe auch davon aus, dass wir in dieser Regierungsbefragung dazu kommen. Ich bitte Sie aber um Nachsicht, dass ich ein Thema gewählt habe, über das wir zwar schon in der ersten Lesung letzte Woche gesprochen haben, das uns alle miteinander aber ungemein beschäftigt. Das ist nämlich die Frage: Wie gehen wir damit um, wenn unfassbare Fälle von Kindesmissbrauch durch hervorragende Ermittlungstätigkeit offenbar werden? Wie gehen wir als Gesellschaft damit um? Welche Möglichkeiten sehen wir vor, um unsere Kinder besser zu schützen? Es gibt in diesem Zusammenhang meistens zwei Ansätze. Der erste Ansatz ist der, Strafverschärfungen zu fordern und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Das ist absolut nachvollziehbar. Ein weiterer Ansatz ist, auch darüber nachzudenken, wie wir die Kinder besser schützen können, sodass sie gar nicht erst Opfer werden. Dies ist ein präventiver Ansatz. Ich habe versucht, in dem Gesetzentwurf, den ich vorgelegt habe, diese beiden Ansätze zusammenzubringen. Denn ich glaube, es ist wichtig, dass wir sowohl mit präventiven Maßnahmen reagieren, als auch die Ermittler stärken. Das Unrecht muss auch in den jeweiligen Strafen abgebildet werden. Deswegen habe ich Ihnen ein Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen. Ich möchte gerne auf zwei, drei Punkte eingehen, die – ich finde, völlig zu Recht – auch schon in der letzten Debatte hier angesprochen worden sind: Zum einen geht es darum, dass alle Strafverschärfungen, alle Veränderungen, wenig bringen, wenn sie später nicht auch entsprechend umgesetzt werden können, sprich: wenn die entsprechenden Ressourcen nicht vorhanden sind bei den Staatsanwaltschaften und auch bei den Gerichten. Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt, dass sich Opfer überlangen Verfahren ausgesetzt sehen. Ich empfand es auch noch mal als Bestärkung aus diesem Hause heraus, dass dies angesprochen wurde. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass neben den notwendigen Maßnahmen, die wir beschließen, eben auch dafür gesorgt wird, dass die entsprechenden Ressourcen bei Staatsanwaltschaften, bei Ermittlern und bei Gerichten vorhanden sind. Ich fühle mich da sehr gut unterstützt, auch durch die Bundesländer. Denn auch aus dem Bundesrat kam ja diese Forderung. Deswegen gehe ich davon aus, dass diese Voraussetzung mit erfüllt wird. Ich will noch zwei, drei Punkte zur Veränderung des Begriffs sagen. Wir alle, die wir mal Jura studiert haben – natürlich auch alle anderen; denn auch umgangssprachlich wird es so genannt –, kennen ja den Begriff des Kindesmissbrauchs, des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Ich habe mich dazu entschieden, dass dieser Begriff verändert wird, dass jetzt das zum Ausdruck kommt, was es ist, was diesen Kindern angetan wird, und das ist Gewalt. ({0}) Es wird ihnen Gewalt angetan. Das muss man auch genau so benennen. Der Begriff „Missbrauch“ suggerierte nämlich auch, dass es einen Gebrauch von Kindern gäbe, einen sexuellen Gebrauch, der dann nicht strafbewehrt wäre, und damit muss Schluss sein. Kinder sind keine Sachen, Kinder sind Menschen. Deswegen kann man sie nicht gebrauchen und darf man sie nicht missbrauchen. Wenn ihnen Gewalt angetan wird, dann muss das auch deutlich so zum Ausdruck kommen. ({1}) Es gibt dann die Frage: Wenn dann der Begriff „Gewalt“ verwendet wird, bedeutet das dann Veränderungen, bzw. kann dann insbesondere auch die psychische Einwirkung auf Kinder darunter gefasst werden? Ja, das geht. Denn an den tatbestandlichen Voraussetzungen ändert sich nichts; das ist weiterhin gegeben. Aber ich sage es noch mal auch in dieser Deutlichkeit: Was ist, muss auch so genannt werden. Ein Thema will ich in diesem Zusammenhang noch ansprechen. Auch darüber ist, wie ich finde, in der letzten Woche zu Recht sehr engagiert diskutiert worden. Wir werden sicherlich auch in den Parlamentsberatungen, in dem parlamentarischen Verfahren noch einmal darüber sprechen. Wir haben uns – aus dem Haus – entschieden, klarzustellen, dass auch der Besitz von – das Wort ist schon widerlich; aber man muss es ja so benennen – Kindersexpuppen – der Vertrieb, der Verkauf wird ja strafbar sein – strafbar ist. Es gab hierzu unterschiedliche Einschätzungen, insbesondere beim Zoll, der diese widerlichen Dinge beschlagnahmt und sicherstellt. Mit unserer Klarstellung haben wir jegliche Unklarheit ausgeräumt: Der Besitz von Kindersexpuppen ist strafbewehrt. In diesem Zusammenhang gab es die Diskussion, ob man nicht vielleicht berücksichtigen müsse, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gebe, dass der Gebrauch solcher Puppen Schlimmeres verhindere, weil sich Täter an den Puppen abarbeiten können. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass es angeblich entsprechende Gutachten gibt; mir waren sie bisher nicht bekannt. Ich habe mich explizit mit der Charité in Verbindung gesetzt, bevor wir den Gesetzentwurf vorgelegt haben, um abzuklären, ob es Erkenntnis hierzu gibt. Mir wurde die Auskunft erteilt: Es gibt keine Erkenntnis, dass Kindersexpuppen Täter davon abhalten, Schlimmeres zu begehen. Es gibt aber auch keine Erkenntnisse darüber, dass Täter das, was sie an der Puppe erleben, auch an einem Kind erleben wollen. In dieser Gemengelage habe ich mich dafür entschieden, dass der Schutz von Kindern ganz klar vorgeht. Daher wird der Besitz von Kindersexpuppen unter Strafe gestellt. ({2}) Ich habe meine Zeit schon fast überschritten, aber mir war es wichtig, dieses Thema noch einmal anzusprechen. Bei all den anderen Themen, die uns alle bewegen, ist es wichtig, dass der Schutz von Kindern allen präsent bleibt; er darf nicht in den Debatten über andere wichtige Themen untergehen. – Vielen Dank.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit eröffne ich die Regierungsbefragung. Die erste Frage stellt der Kollege Stephan Brandner, AfD.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Lambrecht, meine Frage knüpft an die einleitenden Worte von Herrn Schäuble an. Wir haben in den letzten Tagen und Wochen eine erschreckende Entwicklung zu verzeichnen, was islamistische, radikal-muslimische Straftaten angeht. In einem Pariser Vorort wurde ein Lehrer geköpft, der Mohammed-Karikaturen gezeigt hat. In Nizza sind drei Menschen ermordet worden, davon auch einer geköpft. In Dresden ist ein Mensch erstochen worden. Vorgestern schoss ein Islamist in Wien um sich, tötete mehrere Menschen und verletzte eine Vielzahl von Personen. Die Sicherheitsbehörden unseres Landes weisen darauf hin, dass in Deutschland 619 islamistische Gefährder und 513 sogenannte relevante Personen vorhanden sind, also ungefähr 1 130 tickende islamistische Zeitbomben. Der Generalbundesanwalt hat mitgeteilt, alleine in diesem Jahr seien 320 Verfahren wegen islamistischem Terrorismus eingeleitet worden. Es gibt 4 600 offene Haftbefehle gegen Islamisten, im Vergleich dazu etwa 780 Haftbefehle, die sich gegen Rechts- und Linksextremisten insgesamt wenden. Jetzt sind wir uns alle in diesem Hause einig – zumindest wir von der AfD –, dass jede Form und Art des Extremismus bekämpft werden muss. Sie haben ein Hass-und-Hetze-Bekämpfungsgesetz mit dem Untertitel „Rechtsextremismus“ vorgelegt. Meine Frage vor dem Hintergrund dieser erschreckenden Taten und angesichts der erschreckenden Zahlen, die ich Ihnen gerade genannt habe: Was unternimmt die Bundesregierung? Welche Gesetzentwürfe legen Sie vor oder arbeiten Sie aus, die sich mit der extrem gefährlichen Abart des extremistischen Islamismus beschäftigen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank. – Zuerst möchte ich dem Herrn Bundestagspräsidenten für seine Worte, mit denen er der Opfer und ihrer Angehörigen dieser schrecklichen Anschläge gedacht hat, danken. Herzliches Dankeschön. ({0}) Es ist wichtig, Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Ich habe das vor dieser Sitzung gegenüber meiner österreichischen Justizministerkollegin zum Ausdruck gebracht und alle Möglichkeiten der Hilfe, die im Rahmen der Ratspräsidentschaft zur Verfügung stehen, angeboten. Ich habe das auch gegenüber dem Kollegen in Frankreich erklärt. Es gab eine Runde der Justizminister, in der wir uns darüber ausgetauscht haben, welche Möglichkeiten bestehen, Terrorismus in jeglicher Form – in diesen Fällen islamistischen Terrorismus – zu bekämpfen. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Es gehört sicherlich dazu, dass wir Ermittlungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene voranbringen. Dazu gehört beispielweise die E-Evidence-Richtlinie, die momentan noch im Parlament beraten wird. Das heißt, es gibt zahlreiche Möglichkeiten, und wir werden sie ergreifen, um Terrorismus, und zwar von jeder Seite, konsequent zu begegnen. Ich habe in jeder Debatte deutlich gemacht, dass es keineswegs so ist, dass wir, wenn wir zu Recht den Fokus auf den Kampf gegen rechts in diesem Land legen, deswegen gegenüber anderen terroristischen Entwicklungen oder Strömungen blind wären. Das Gegenteil ist der Fall.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Brandner?

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, gerne. – Konkret haben Sie den Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vorgelegt. Ich habe leider konkrete Ausführungen darüber vermisst, was beispielsweise Gesetzentwürfe gegen Islamismus und Hasskriminalität angeht, aber sei’s drum! Der gerade erwähnte Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität liegt beim Bundespräsidenten. Nach meinen Recherchen haben die Bundespräsidenten seit 1949 bisher achtmal die Unterschrift unter ein Gesetz verweigert, das letzte Mal vor etwa 14 Jahren; ich glaube, das war Herr Köhler. Nun droht Ihrem Hass- und Hetzegesetz die Schmach, dass der Bundespräsident angekündigt hat: Das ist verfassungswidrig. – Er unterschreibt es nicht. Im Ausschuss hatten Sie Ausführungen dazu gemacht, dass im Bundesjustizministerium nur die Besten eingestellt werden. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Warum haben Ihre hochqualifizierten Mitarbeiter im Bundesjustizministerium nicht gemerkt, dass möglicherweise Verfassungswidriges in dem Gesetz stand? Das haben sogar wir von der AfD vorher gemerkt und vorhergesagt. Wie beurteilen Sie die aus meiner Sicht weitere Schmach, über die „Der Spiegel“ am 16. Oktober berichtete, dass mit der Reparatur des völlig verunglückten Gesetzes, das Sie vorgelegt haben, nicht etwa das Bundesjustizministerium beauftragt wurde, sondern das Bundesinnenministerium?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich möchte klarstellen: Hier wurde niemand beauftragt; vielmehr sorgt die Ressortzuständigkeit in Bezug auf das TKG dafür, dass das Innenministerium dieses Reparaturgesetz vorlegen wird. Das steht im Zusammenhang zu dem, worüber wir eigentlich reden. Das Gesetz gegen Hass und Hetze und gegen Rechtsextremismus war nicht Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Es handelte sich um Regelungen im TMG und im TKG, die entsprechend bewertet wurden. Diese müssen jetzt neu aufgestellt werden. Sie haben allerdings Auswirkungen – nicht nur, aber auch – auf das Gesetz gegen Hasskriminalität, weil es darauf ankommt, dass die IP-Adressen weitergeleitet werden können. Deswegen hat das Urteil mittelbare Auswirkungen, aber das Gesetz selbst stand nie zur Debatte. Das kann es auch gar nicht: Wie kann ein noch nicht ausgefertigtes Gesetz beim Bundesverfassungsgericht landen? Mir ist es schleierhaft, wie man auf eine solche Idee kommen kann. Hier geht es um andere Regelungen, die in die Ressortzuständigkeit des Innenministeriums fallen. Ich habe bei dem Kollegen nachgehakt. Ich gehe schwer davon aus – wir sind alle sehr interessiert daran, dass das Gesetz ausgefertigt und umgesetzt wird –, dass das Reparaturgesetz schnellstmöglich auf den Weg gebracht wird. Ich bin guter Dinge, dass wir das in diesem Jahr noch schaffen werden, damit es zum 1. Januar in Kraft treten kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage? – Herr Kollege Höferlin.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön, Herr Präsident. – Frau Ministerin, zu dem Reparaturgesetz, das die Bundesregierung jetzt auf den Weg bringen will: Haben Sie mit dem Innenministerium auch über eine Meldepflicht der Social-Media-Anbieter gesprochen? In den Debatten wurde deutlich, dass einige die Meldepflicht für verfassungswidrig halten. Wir haben uns zudem gewundert, dass es überhaupt keine Haushaltsposition zur Deckung des Aufwands gibt, der beim BKA durch das Anlegen von Registern entsteht. Es geht darum, dass bis zu 250 000 Meldungen beim BKA landen könnten, und dafür müsste man Personal vorsehen. Ist also der möglicherweise verfassungswidrige Teil auch Bestandteil – in Absprache mit den Innenministerium – des Reparaturgesetzes, wie Sie es nennen, geworden? Und wie stehen Sie selbst dazu: Könnte ein Teil verfassungswidrig sein oder nicht?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Das Gesetz selbst ist nicht reparaturbedürftig. Es handelt sich um Regelungen aus dem Telekommunikationsgesetz und dem Telemediengesetz, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Rede stehen. Noch mal: Es geht um diese Regelungen und nicht um das Gesetz gegen Hasskriminalität. Der Bundesinnenminister hat die Zusage durch den Haushaltsgesetzgeber bekommen, dass das BKA, das als Zentralstelle vorgesehen ist, entsprechend mit Personal ausgestattet wird. Die angeblich 250 000 Meldungen, die Sie jetzt in den Raum stellen, können Sie mit nichts belegen. Es geht bei diesem Gesetz ja eben nicht darum, dass jede Beleidigung weitergeleitet wird, sondern es geht darum, dass bei in einem Straftatenkatalog enumerativ aufgeführten schwersten Straftaten eine Weiterleitung an das BKA erfolgen soll. Da reden wir über Morddrohungen und über die Androhung schwerster Gewalttaten; wir reden im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder aber auch über die Weiterleitung von IP-Adressen. Es geht also nicht um jede Beleidigung; das ist ja manchmal unterstellt worden. Nein, das ist nicht Gegenstand. Deswegen gehe ich fest davon aus, dass das, was dem BKA vorgelegt werden wird – so wie wir das miteinander beraten haben –, dort auch entsprechend bearbeitet werden kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Frau Ministerin, die Ampel zeigt nicht bei den einleitenden Ausführungen, aber ansonsten an, wann die Redezeit erschöpft ist. – Die Kollegin Künast hat noch eine Nachfrage, und danach der Kollege Martens.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. – Ich habe eine Frage zum gleichen Kontext. Ich brauche aber keine Belehrung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Tatsache ist, dass diese Entscheidung einen sehr ähnlichen Sachverhalt zum Gegenstand hatte. Ich habe die Entscheidung so gelesen, dass es dabei auch um die Frage geht, ob man ganze Datensätze abfordern darf – im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität muss man sagen: ob man sie schicken darf –, ohne dass vorher eine Behörde zumindest mal geprüft hat, ob es einen Tatverdacht gibt. Hier wäre das ja nur der Social-Media-Anbieter. Daraus ergibt sich für den Bundespräsidenten offensichtlich, dass er dieses Gesetz nicht unterzeichnet. Deshalb hat es dieses Gesetz nicht in das Gesetz- und Verordnungsblatt geschafft. Ich verstehe – das haben Sie öffentlich schon gesagt –, dass Herr Seehofer dazu jetzt eine verfassungskonforme Regelung vorlegen muss. Ich würde nur gerne von Ihnen wissen: Haben Sie die schon, und wie sieht ihr Zeitplan konkret aus? Ich bin doch sehr verwundert darüber, dass die Regierung dem Bundespräsidenten die Zusage macht, dass wir noch dieses Jahr was entscheiden werden; denn über Gesetzesänderungen entscheidet nicht die Regierung, sondern der Deutsche Bundestag. Sie machen schon munter Zusagen. Meine Sorge ist, dass Herr Seehofer jetzt blockiert und keinen verfassungskonformen Änderungsvorschlag vorlegt und es am Ende ein Hauruckverfahren im Deutschen Bundestag gibt, was ich für nicht akzeptabel halte. Wir haben nämlich schon November.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, auch den Mitgliedern des Deutschen Bundestages zeigt die rote Ampel an, dass die Redezeit vorüber ist.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das habe ich dann auch gemerkt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Es ist auch der Komplexität der Fragestellung geschuldet, dass es schwierig ist, in noch weniger Redezeit auf so komplexe Fragen zu antworten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das geht.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Sie haben darauf hingewiesen – zumindest habe ich das so verstanden –, dass man das hätte absehen können, weil es um vergleichbare Sachverhalte geht. Wir haben genau deshalb versucht, durch Nennung ganz konkreter Straftatbestände eine Einschränkung vorzunehmen; es geht nicht um jede Beleidigung, sondern um eine Konzentration zum Beispiel auf Volksverhetzung. Darüber hinaus haben wir das BKA als Zentralstelle dazwischengeschaltet, bevor die Information an die Ermittlungsbehörden geht. Wir sind der Meinung gewesen: Damit können wir genau das erfüllen. – Das war die Überlegung. Ich gehe fest davon aus – wie gesagt, ich habe mit dem Kollegen mehrfach gesprochen; ich habe auch geschrieben, wie man nachlesen kann –, dass wir schnellstmöglich einen Vorschlag vorlegen können. Sie haben natürlich völlig recht: Der Gesetzgeber ist der Deutsche Bundestag. – Wir sind dafür da, einen Vorschlag zu erarbeiten. Zumindest auf Arbeitsebene wird schon miteinander besprochen, wie so etwas aussehen kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Deswegen bin ich guter Dinge, dass wir das alsbald vorlegen und dann – nicht im Hauruckverfahren – beschließen können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Also: Die Frist bezieht sich darauf, dass die Bundesregierung im Laufe des Jahres einen Vorschlag macht. – Ich wollte nur zeigen, wie es geht, in einer Minute zu antworten. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Eigentlich war es anders gemeint. Eigentlich war es so gemeint, dass schnellstmöglich vorgelegt wird und in diesem Jahr noch abgeschlossen werden kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das entscheidet der Bundestag.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Genau.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt bin ich in meiner Funktion angesprochen: Das entscheidet der Bundestag und niemand sonst. Herr Kollege Dr. Martens.

Dr. Jürgen Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004816, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundesministerin, Sie haben auf die Frage des Kollegin Höferlin zu dem möglichen Anfall an Meldungen im Rahmen des Bekämpfungsgesetzes geäußert, dass Sie nicht wüssten, wo die Zahlen herkämen. Darüber kann ich Sie aufklären: Wir waren mit dem Rechtsausschuss und anderen Mitgliedern des Hauses im Sommer beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden und haben mit dem Präsidenten gesprochen. Danach geht das Bundeskriminalamt selbst aufgrund der gegenwärtig vorgefundenen und zugänglichen Daten von 200 000 Meldefällen im Jahr aus. Dabei ist man sich bewusst: Es handelt sich nicht um Bagatelltaten, sondern um schwere Straftaten. Das bedeutet bei 1 000 Fällen pro Arbeitskraft und Jahr einen Personalbedarf von 200 Stellen. Die sind bisher weder institutionell noch räumlich noch sachlich noch personell beim Bundeskriminalamt vorhanden. Der Präsident wusste auch nicht, in welchem Zeitraum solche Stellen überhaupt besetzt werden können. Wie verhält sich das Bundesjustizministerium zu diesem Sachverhalt?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Sie nennen jetzt eine zweite Zahl. Eben ging es noch um 250 000 Fälle. Sie haben diese Zahl relativiert; jetzt sind wir bei 200 000. Wir setzen viel daran – das haben Sie in den letzten Tagen vielleicht bemerkt –, dass es zu noch weniger solchen Fällen kommt. Ich glaube, wir brauchen dringend ein Umdenken in diesem Land. Es muss Schluss sein damit, dass im Netz gepöbelt, bedroht, beleidigt wird, dass Menschen mundtot gemacht werden sollen. Sie haben sicherlich verfolgt, dass es in den letzten Tagen dazu Hausdurchsuchungen gegeben hat, ganz konkrete Ermittlungsmaßnahmen, um deutlich zu machen: Wir meinen das ernst. Das, was im realen Leben gilt, gilt genauso im Netz, und jeder, der meint, er könne da andere Menschen bedrohen, der muss damit rechnen, dass die Polizei an die Tür klopft und eine entsprechende Durchsuchung vornimmt. – Wir gehen davon aus, dass solche Maßnahmen, aber auch die Ansage des Gesetzgebers dazu beitragen, dass diese widerliche Entwicklung im Netz zurückgedrängt werden kann. Außerdem wissen Sie, dass dieses Gesetz nicht am 1. Januar in Kraft tritt mit all den damit verbundenen Voraussetzungen, sondern natürlich braucht es auch einen Aufbau in der Behörde. Der Innenminister hat zugesagt, dass das auch erfolgen kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Ministerin, die Reisebranche – Reisebüros und Reiseveranstalter – befindet sich momentan in einem extrem schwierigen Fahrwasser, nicht erst seit Corona, aber diese Branche leidet unter Corona mit am heftigsten, mit am stärksten. Ich möchte eine Frage stellen zu einem Vorgang, der schon vor Corona akut war: Wir hatten vor etwa 15 Monaten, im Sommer 2019, nach der Insolvenz von Thomas Cook das Problem, dass die Anzahlungen der Kunden im Rahmen der bisherigen Versicherungslösung im Bereich des Pauschalreiserechts nicht ausreichend zurückgezahlt werden konnten. Das Finanzministerium hat die Entschädigung im Fall Thomas Cook übernommen. Jetzt ist meine Frage, bis wann wir mit einer Neuregelung der Insolvenzabsicherung im europäischen Pauschalreiserecht rechnen können. Die Branche wartet darauf. Wir sind eine leistungsfähige und leistungswillige Große Koalition. Gleichwohl will ich nicht verhehlen, dass sich auch für uns im nächsten Jahr irgendwann das Zeitfenster für die Schaffung einer neuen Regelung schließt, auf die die Reisebranche insgesamt, aber auch die Verbraucher warten. – Ich war doch pünktlich, Herr Präsident, oder? Ich hab meine Redezeit eingehalten, Herr Präsident.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich hab doch gar nichts gesagt.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hab es aber erwartet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Aber jetzt ist Ihre Zeit vorüber. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank für diese Frage. Aus genau diesem Grund treffe ich mich heute Abend mit dem Kollegen Altmaier, um darüber zu sprechen, wie man einen Fonds, über den wir nachdenken, ausgestalten kann. Sie haben völlig zu Recht angesprochen, dass dieses Thema schon vor Corona akut war. Wir haben bei Thomas Cook erleben müssen, dass die versicherungsrechtliche Absicherung nicht ausgereicht hat. Das war ja der Grund dafür, dass der Staat, der Steuerzahler, in die Verantwortung gegangen ist; das war nicht das Geld des Finanzministeriums, sondern das Geld des Steuerzahlers. Wir haben hart darum gerungen. Danach habe ich mehrere Varianten durchgespielt. Eine Variante, um die EU-Pauschalreiserichtlinie umzusetzen, wäre: Wir sehen bei den Versicherungen gar keinen Deckel mehr vor; der ist ja momentan drauf. Dann wäre es aber schwierig geworden, Versicherer zu finden. Deswegen wollen wir jetzt eine Fondslösung aufstellen. Aber man muss fragen, auch bedingt durch die nochmalige Verschärfung in den letzten Wochen und Monaten: Wer zahlt in diesen Fonds ein? Die Unternehmen, die jetzt schon in einer sehr schwierigen Situation sind? Das wird problematisch sein. Die Reisenden? Die buchen momentan keine Reisen; das ist ebenfalls schwierig. – Von daher sind wir zurzeit im Austausch darüber, wie man gerade in der Anfangsphase einen solchen Fonds füllen kann. Ich kann Ihnen versichern: Ich habe das Versicherungsjahr ganz fest im Blick. Eine Wiederholung der Situation bei Thomas Cook darf es nicht geben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Keine Nachfrage, Herr Lehrieder? – Aber die Frau Kollegin Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine Nachfrage.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte daraufhin einmal nachfragen. Nach neuesten Berichten soll nun auch der Touristikkonzern FTI in eine finanzielle Schieflage geraten sein und mit Steuergeldern gerettet werden. Es gibt Berichte darüber, dass auch milliardenschwere Hilfen für die Sicherung von Flughäfen in Aussicht gestellt wurden. Bei allem Verständnis für die Touristikbranche: Im Oktober warteten immer noch 650 000 Flugreisende auf ihren Erstattungsanspruch. Müsste da nicht endlich auch die Vorkasse bei Flügen beschränkt werden, um die Flugreisenden und letztlich auch den Steuerhaushalt bei etwaigen Ausfällen zu entlasten?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Flugreisen stehen jetzt aber nicht im Zusammenhang mit der Pauschalreiserichtlinie – isolierte Flugreisen sind davon nicht erfasst –, sondern da geht es um Pauschalreisen, also um das, wonach der Kollege gefragt hat. Aber ich gebe Ihnen völlig recht: Wir müssen auch hinterfragen, ob es tatsächlich erforderlich ist, schon mehrere Wochen im Voraus die Anzahlung zu leisten. Ich kann aus unternehmerischer Sicht durchaus nachvollziehen, dass es nicht möglich ist, quasi erst am Reisetag zu bezahlen; denn so kann man nicht planen, so kann man nicht entsprechende Hotelkapazitäten usw. vorhalten. Diese Fristen sind mit zu überdenken – da gebe ich Ihnen absolut recht –, auch aus Verbraucherschutzinteressen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Stephan Thomae, FDP, stellt die nächste Frage.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchungen greifen ziemlich tief in Grundrechte der Bürger ein. Sie haben nun mit Ihrem Koalitionspartner vereinbart, dass die Quellen-TKÜ ins Bundesverfassungsschutzgesetz aufgenommen werden soll, und zwar, so wie ich es verstanden habe, mit der Besonderheit, dass auch in der Vergangenheit abgeschlossene Kommunikationsvorgänge davon umfasst sein sollen. Wenn das der Fall ist, dann verwischen aber die Grenzen zwischen der Quellen-TKÜ, die sich nur auf aktuelle Kommunikationsvorgänge bezieht, und der Onlinedurchsuchung, die auch abgeschlossene Inhalte auf einer Festplatte umfasst. Das Instrument wäre dann eine Schadsoftware, die installiert wird auf dem Gerät eines Nutzers; das heißt, es werden Sicherheitslücken auf einem Gerät genutzt oder geschaffen – Sicherheitslücken, die eigentlich geschlossen werden sollten, weil sie auch ein Einfallstor sein können für Kriminelle und für Industriespionage. Wenn nun dieses Instrument, das auch bei der Polizei aus verfassungsrechtlicher Sicht umstritten ist, noch ausgedehnt werden soll auf den Verfassungsschutz, dann hieße das ja, dass der Eingriffszeitpunkt weit vorverlagert wird und die Quellen-TKÜ nicht nur bei begangenen Straftaten und bei konkretem Verdacht zum Einsatz kommt, sondern auch dann, wenn gar kein Verdacht vorliegt. Deswegen sagt auch Ihr Parteifreund Ulrich Kelber, Bundesdatenschutzbeauftragter: Das Ausmaß der staatlichen Überwachung übersteigt mittlerweile das für eine Demokratie erträgliche Maß.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Thomae.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verzeihung, ich komme zum Ende. – Meine Frage an Sie lautet, ob die Grundrechte bei Ihnen nicht mehr den gleichen Stellenwert haben wie bei Ihrer Vorgängerin, Frau Barley, die deswegen dieses Instrument abgelehnt hat.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich glaube, das war jetzt nur eine Suggestivfrage, die ich deswegen klar zurückweisen kann. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass der Vorschlag, der aus dem Innenministerium kam, als Frau Barley noch Justizministerin war, ein völlig anderer war. Da ging es um einen Riesenkatalog, der vorgelegt wurde. Ich muss zugeben: Damals hatte ich den Eindruck, dass man die Schubladen leergeräumt hat und alles in ein Gesetz reingeschrieben wurde. Das habe ich dann zurückgeschickt – „return to sender“ – und habe darum gebeten, dass der Kollege das Ganze auf ein aus seiner Sicht und aus Sicht der Dienste absolut notwendiges Maß zusammendampft. Das hat der Kollege dann auch gemacht, und übrig geblieben ist jetzt diese Regelung einer Quellen-TKÜ für den Verfassungsschutz. Wir haben uns in der Koalitionsvereinbarung ganz klar darauf verständigt, dass die Dienste die Möglichkeiten, die sie im analogen Leben haben, auch im digitalen Bereich zur Verfügung gestellt bekommen sollen. Sie haben im analogen Leben die TKÜ und deswegen die Quellen-TKÜ. Was wir nicht mitgemacht haben, war zum Beispiel die Onlinedurchsuchung; auch das war ursprünglich ein Gedanke. Der Verfassungsschutz hat aber keine Möglichkeit der Hausdurchsuchung – das wäre das Pendant im Analogen gewesen –, und deswegen haben wir uns auf diese Quellen-TKÜ verständigt. Das ist das, was im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart wurde. Ich gebe in diesem Zusammenhang noch mal zu bedenken, worüber wir hier reden: warum der Verfassungsschutz tätig ist. Das steht selbstverständlich immer unter einem Richtervorbehalt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Minister, eigentlich wollen wir es mit einer Minute versuchen. – Herr Thomae, Nachfrage?

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe eine kurze Nachfrage. – Weil Sie das Thema ansprechen: Onlinedurchsuchungen haben Sie abgelehnt. Ich wies aber darauf hin, dass die Grenzen bei dieser Konstruktion verwischen. Da würde mich interessieren, wie Sie darauf reagieren. Noch ein Punkt. Ihr Koalitionspartner, die Union, ließ schon mal erkennen, dass er vorhabe, die Onlinedurchsuchung im parlamentarischen Verfahren wieder hineinzuverhandeln. Wie stehen Sie dazu? Wie werden Sie als Ministerin und wie wird Ihre Fraktion dazu stehen?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich kann Ihnen zusagen, dass zumindest ich genau darauf pochen werde, worauf wir uns verständigt haben, und das ist nun mal die Quellen-TKÜ. Da gibt es auch kein Verwischen zu einer Onlinedurchsuchung. Ich habe mich deswegen mit zahlreichen Experten getroffen und auseinandergesetzt, und ich teile diese Einschätzung nicht, auch nicht die Einschätzung des werten Kollegen Uli Kelber. Aber das ist in den jeweiligen Funktionen sicherlich immer eine andere Sichtweise. Ich muss Ihnen auch sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD-Fraktion, der auch ich angehöre, auch nur einen Schritt weitergehen würde in Bezug auf das, was momentan auf dem Tisch liegt. Ich glaube, da ist so ziemlich alles ausgereizt. Das, was in der Koalitionsvereinbarung miteinander festgeschrieben wurde, ist umgesetzt worden. Ich begleite die Beratungen sehr, sehr aufmerksam.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Mechthild Rawert, SPD.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, die Wohnungsfrage treibt uns natürlich alle um, und wir wissen, dass bezahlbarer Wohnraum für uns alle erforderlich ist. Daher meine Frage: Wie wollen Sie verhindern, dass die Generaltatbestände der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zur Verdrängung von Mietern missbraucht werden?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank. – Aktueller könnte es nicht sein: Heute haben wir im Kabinett die entsprechenden Regelungen zur Baulandgesetzgebung beschlossen. Damit haben wir die Kommunen insbesondere in ihren Möglichkeiten gestärkt, der Verschärfung auf dem Wohnungsmarkt entgegenzuwirken. Eine der Regelungen, die beim Wohngipfel miteinander vereinbart wurde, war die Verschärfung der Möglichkeiten zur Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Gerade in den sehr angespannten Bereichen führt das sonst dazu, dass Mieter verdrängt werden und sie keine Möglichkeit haben, eine solche, womöglich umgewandelte Wohnung zu kaufen, und dann auch keine Chance mehr haben, weiter in ihrem – wie man in Berlin sagt – Kiez, in ihrem Bereich, zu leben. Deswegen bin ich sehr froh, dass der Bundesinnenminister nach dem ursprünglich geplanten Streichen dieser Regelung diese – auf Druck der SPD, aber auch ich habe da maßgeblich mitgewirkt – nun wieder mit aufgenommen hat. Damit wird diese Möglichkeit sehr, sehr deutlich eingeschränkt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage? – Kollegin Rawert, Sie müssen nicht. – Aber der Kollege Straetmanns, Die Linke, hat eine Nachfrage.

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Ich habe eine Nachfrage: Sind Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht des Wohnungsbaus angedacht, um die Gründung von Genossenschaften für Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern oder andere Formen der öffentlichen Daseinsvorsorge in allgemeiner Hand oder zumindest gemeinwohlorientiert zu schaffen?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

In dem Gesetzentwurf, den wir heute im Kabinett beraten haben, ist das nicht der Fall. Aber ich weiß, dass die Diskussion darüber sehr engagiert läuft, welche Möglichkeiten man noch ausschöpfen kann, um wieder mehr bezahlbaren Wohnraum zu erlangen; es geht ja nicht nur um Wohnraum an sich, sondern vor allem um bezahlbaren Wohnraum. Ich halte diese Initiative auch für sehr unterstützungswürdig. Wir sind jetzt in einer Phase dieser Legislaturperiode, wo wir schnell handeln müssen. Die Beratungen laufen schon. Ich weiß auch, dass es da Initiativen gibt; aber, wie gesagt, in diesem Gesetzentwurf ist das nicht erfasst.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt habe ich noch zwei Nachfragen, und zwar von der Kollegin Bayram und vom Kollegen Kühn, beide Bündnis 90/Die Grünen. Dann kommt der Kollege Movassat. – Aber jetzt Frau Bayram.

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Ministerin, ich freue mich sehr, dass es Ihnen gelungen ist, sich bei dem Thema Umwandlungsverbot durchzusetzen. Meine Frage ist, inwieweit es Ihnen gelungen ist, Ausnahmen, die das, was das Wort „Umwandlungsverbot“ bezeichnet, verwässern, tatsächlich aus dem in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Gesetzentwurf herauszubekommen. Also, wird es eine Umgehungsmöglichkeit geben, weswegen das Vorkaufsrecht für Mieter sozusagen in einer gewissen Anzahl dazu führt, dass dieses Umwandlungsverbot nicht kommt? Können Sie was zu den Ausnahmen beim Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen sagen?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich habe bewusst auch die Worte „Einschränkung solcher Umwandlungsmöglichkeiten“ benutzt. Deswegen: Es ist kein Verbot. Es gibt Ausnahmen; da haben Sie recht. Allerdings sind die Ausnahmen eng begrenzt. Da eine solche Umwandlung vor Ort genehmigt werden muss, ergibt sich daraus die Möglichkeit, dass man sehr wohl genau hinschauen kann, welche Möglichkeiten hier ge- und welche vielleicht auch missbraucht werden. Deswegen wird darauf vor Ort genau zu achten sein. Sie können eben nicht sagen: Ich wandle jetzt hier, weil ich das für meine Alterssicherung brauche – das ist ja eines der Beispiele, das oftmals angeführt wird –, einen Wohnblock mit 16 Mietwohnungen um. Das wird dann nicht möglich sein. Aber wenn Sie tatsächlich eine Wohnung umwandeln und das eben auch genehmigt wird, dann wird das möglich sein. Deswegen: Ich glaube, wir haben die Ausnahmen im Hinblick auf die Pflicht, Genehmigungsmöglichkeiten zu gewähren, so eng begrenzt, dass wir das, was Sie befürchten – dass es solche Umgehungstatbestände gibt –, nach menschlichem Ermessen, so gut es geht, eingeschränkt haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ich gestatte jetzt bei anderen Fragestellern immer nur jeweils eine Frage und nicht zwei; sonst wird es zu viel. Dies zum Verständnis. – Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident, für die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen. – Frau Lambrecht, wir reden ja über die Frage der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, und Sie haben gerade noch mal ausgeführt, dass aus Ihrer Sicht der jetzige Gesetzentwurf hinreichend ist, um Schlupflöcher wirklich zu schließen und einen Missbrauch auszuschließen. Jetzt ist es ja so, dass eine Umwandlung bei der Kommune vor Ort angezeigt werden muss und dann die Kommune diese Umwandlung genehmigen kann, dass aber der Aspekt, ob danach wirklich die Mieterinnen und Mieter die Wohnung erwerben oder nicht, erst viele Jahre später überprüft wird oder auch nicht überprüft wird. Das ist ja in der Praxis eines der Probleme. Wie wollen Sie denn dieses Schlupfloch schließen? Es ist ja so, dass, wenn Sie heute anzeigen, dass 75 Prozent der Wohnungen von den Mieterinnen und Mietern übernommen werden, dann die Kommune am Ende die Umwandlung ja auch genehmigen muss.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Wie gesagt – Sie haben es ja schon zu Recht ausgeführt –, die Kommune muss es eben genehmigen. Und die Kommune müsste es jetzt genehmigen, wenn es jetzt geschehen würde, und sie müsste es, wenn es später geschieht, dann innerhalb der vorgesehenen Frist ebenfalls genehmigen. Also, es ist ja nicht so, dass es dann irgendwie einen Freibrief gibt: Wenn es jetzt nicht genehmigt wird, dann könnt ihr danach machen, was ihr wollt. Das ist ja gesetzlich nicht vorgesehen. Deswegen: Ich bin davon überzeugt, dass wir die Ausnahmen so eng geschnitten haben, dass sie auf den Einzelfall eben angewendet werden können, dass durch sie aber ein flächendeckender Missbrauch, der Mieterinnen und Mieter aus den bezahlbaren Mietwohnungen verdrängt, so gut, wie es geht, ausgeschlossen wurde. Wir werden uns miteinander alle Fälle – es geht ja jetzt ins parlamentarische Verfahren – sicherlich noch mal sehr genau anschauen. Aber ich glaube, wir haben es schon geschafft, da sehr passgenau dafür zu sorgen, dass genau das, was manche ja auch schon ausweislich ihrer Fragestellungen im Hinterkopf haben, nicht geschieht, und deutlich zu machen, dass genau das nicht geht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Niema Movassat, Die Linke.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. – Frau Ministerin, viele Einzelhändler, Restaurantbetreiber, Kulturbetreiber etc. leiden natürlich unter der Coronakrise. Sie haben teils erhebliche Umsatzverluste, einerseits durch den ersten Lockdown im Frühjahr, und andererseits konnten sie diese fehlenden Umsätze auch danach nicht mehr reinholen. Jetzt haben wir den Lockdown light, der ebenfalls noch mal zu Umsatzverlusten führt. Und ein großes Problem für viele dieser Menschen sind die hohen Mieten, die sie ja trotzdem weiter bezahlen müssen; es sind meistens Gewerbemieterinnen und ‑mieter. Es gab ein Kündigungsmoratorium, dass ihnen, wenn sie die Miete nicht bezahlen können, deshalb nicht gekündigt werden darf. Das ist im Sommer ausgelaufen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, solch ein Moratorium wieder einzuführen.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Zum einen habe ich dafür gekämpft – Sie haben es ja mitbekommen –, dass es ein solches Moratorium auch über die vorgesehene Frist hinaus gibt. Ich habe mich da beim Koalitionspartner nicht durchsetzen können. Das finde ich sehr schade; aber das ist so. Aber zu der aktuellen Situation, glaube ich, muss man zum anderen auch Folgendes anführen: Ich kann es sehr gut verstehen, dass da große Sorge herrscht, wie man jetzt wieder über diese angedachten vier Wochen kommt, die ja jetzt anstehen. Aber ich glaube, die angekündigten Hilfen – wir werden bis Ende der Woche auch eine Regelung haben –, die da in Aussicht gestellt wurden, nämlich 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahr, machen schon deutlich, dass uns genau daran gelegen ist, dass es nicht dazu kommt, dass man seine Gewerbemiete oder seine Pacht nicht bezahlen kann. Auch das Moratorium hätte ja nur dafür gesorgt, dass ihnen nicht gekündigt werden kann. Die Last, die Verantwortung, die Schuld wäre ja trotzdem geblieben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt eine Lösung finden, um Hilfen zu gewähren, die genau das abfedern.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Movassat?

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. – Frau Ministerin, Sie haben mir gerade mit Ihrer Antwort das Stichwort für die Nachfrage gegeben, nämlich dass die Schuld ja trotzdem bestehen bleibt. Das ist tatsächlich ein Problem. Hier fordern ja nun auch verschiedene Verbände – Handelsverband Deutschland, Deutscher Mieterbund, Deutscher Hotel- und Gaststättenverband, also DEHOGA – etwas, was weitergeht als ein Moratorium. Sie sagen, es muss auch die Möglichkeit von Mietkürzung geben, wenn man eben aufgrund der Coronapandemie erhebliche Umsatzverluste hat und es sozusagen deshalb unzumutbar ist, die Miete zu zahlen. Wir haben im deutschen Recht zwar § 313 BGB, Störung der Geschäftsgrundlage. Es gibt erste Urteile, wonach dieser § 313 nicht greift, mit dem Verweis darauf, dass der Mieter sozusagen das Verwendungsrisiko hat. Das heißt, hier ist de facto eine Lücke der Risikosphären. In Österreich gibt es schon seit zwei Jahrhunderten ein interessantes Modell im Zivilrecht: dass in Fällen wie einer Seuche etc. oder in einem Fall wie Corona die Mieterinnen und Mieter die Miete senken dürfen, zum Beispiel bis zu 50 Prozent. Könnten Sie sich so eine Regelung vorstellen? Denken Sie über so was nach? Haben Sie sich vielleicht mit dem österreichischen Modell beschäftigt?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Was wir festgestellt haben, war, dass es gerade in der ersten Zeit der Pandemie sehr viele Veränderungen von Vertragsverhältnissen gab, weil sowohl Vermieter als auch Mieter aufeinander zugegangen sind und erkannt haben, dass es wenig bringt, auf seiner Forderung zu beharren, wenn sie hinterher sowieso nicht erfüllt werden kann, weil beispielsweise jemand zahlungsunfähig wird oder in die Insolvenz geht. Und deswegen war es wichtig, auch dazu beizutragen, dass solche passgenauen Vereinbarungen miteinander getroffen wurden. Eine weitere Möglichkeit – Sie haben es angesprochen –: Das deutsche Recht sieht § 313 BGB für den Fall vor, dass die Geschäftsgrundlage gestört ist. Ich bin mir nicht sicher hinsichtlich der Urteile, die da momentan diskutiert werden. Aber das ist ja alles nur Spekulation. Als Justizministerin sage ich jetzt mal nicht, wie ich so was bewerte. Aber wir denken sehr wohl darüber nach, ob es Möglichkeiten gibt. Allerdings wäre es zu pauschal, zu sagen: Jeder hat das Recht, 50 Prozent zu kürzen. – Ich glaube, eine solche Pauschalität würde auch dem Einzelfall nicht gerecht werden; denn es gibt durchaus auch Mieter, die zwar nicht gut, aber zumindest so durch die Pandemie gekommen sind, auch teilweise mit einem Austausch mit dem Vermieter, dass eine Mietkürzung nicht erforderlich ist. Deswegen: Es muss schon eine passgenauere Lösung geben. Aber wir denken im Haus in so eine Richtung.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ich habe zwei Nachfragen zu diesem Thema. Zunächst der Kollege Straetmanns, Die Linke, danach der Kollege Kühn.

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben gerade das Thema Insolvenz angesprochen. Das ist natürlich ein ganz bitteres Ereignis im Leben von Unternehmen, aber gerade auch von Menschen, von Privatverbrauchern. Darum ist es uns als Linke wichtig, dass die Schuldnerberatungen in dieser Zeit ihrer Arbeit besonders intensiv nachgehen können. Ist im Justizministerium in Anbetracht der zweiten pandemischen Welle angedacht, die Schuldnerberatungen finanziell noch einmal besser auszustatten, damit sie ihrem Anspruch auf gute Rechts- und Schuldnerberatung besser gerecht werden können?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Die Schuldnerberatung ist gar nicht beim BMJV angesiedelt – da sind andere Beratungen angesiedelt –, sondern beim BMFSFJ, aber auch bei den Ländern. Ich habe den Eindruck, dass sich alle sehr bewusst sind, wie wichtig es eben ist, eine adäquate Beratung zu geben. Da geht es ja nicht nur um Insolvenzen, sondern auch um andere Beratungen. Deswegen müssen wir da alle – auch wenn es um kleine Projekte geht, die nicht im eigenen Ministerium angesiedelt sind – genau beobachten, sodass diese Aufgabe geleistet werden kann. Da sind wir mit dabei. Aber, wie gesagt: Da sind die Länder und das BMFSFJ in der Verantwortung.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Kühn.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hier noch mal mein Dank für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen, um zu den Gewerbemieten zurückzukommen. – Es ist natürlich so: Gerade die Gastronomiebetriebe warten jetzt händeringend auf die Ansage, wie denn die 75 Prozent umgesetzt werden. Gleichzeitig ist es natürlich sehr gut, dass viele Vermieter gerade mit ihren Mieterinnen und Mietern im Gewerbebereich Vereinbarungen getroffen haben. Aber das trifft eben nicht für alle Gewerbetreibenden zu; denn sie haben gar keinen Anspruch darauf, dass der Vermieter mit ihnen eine andere Lösung findet. Diese Betriebe stehen auch bei 75 Prozent der Einnahmen in den nächsten Monaten vor erheblichen Problemen. Es ist eben völlig unklar, wie die Pandemie sich nun weiterentwickelt. Deswegen glaube ich schon, dass es eine Klarstellung des Gesetzgebers bei § 313 BGB braucht, sodass klar ist, dass es ein Wegfall der Geschäftsgrundlage ist, wenn behördlich angeordnet wird, dass der Laden dichtgemacht wird, dass man nicht mehr sein normales Geschäft voranbringen kann. Das ist doch eine völlige Änderung der Geschäftsgrundlage. Glauben Sie nicht, dass es hier wirklich eine Klarstellung des Gesetzgebers braucht?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich habe schon ausgeführt, dass es gerade bei dieser Regelung, durch die Betriebsschließungen zeitlich befristet erfolgen, immer Soforthilfen und Überbrückungshilfen und dass es jetzt die Hilfen gibt, die vom Finanzminister als Novemberhilfen angekündigt wurden. Es sind 75 Prozent des Umsatzes aus dem November 2019. Ich glaube, das muss man immer deutlich machen. Deswegen ist es schon auch der Versuch, ein klares Signal zu senden: Wir wollen helfen, wir fühlen uns auch dafür verantwortlich; deswegen gibt es auch diese, wie ich finde, sehr breit angelegte Unterstützung. Aber ich habe eben schon ausgeführt: So eine generelle Regelung ist eben nicht zielgenau, die ist nicht passgenau. Wir haben völlig unterschiedliche Situationen. Sie haben eben Vermieter, die sehr wohl planen wollen und registriert haben, dass sie für die Lage planen müssen, die es nach der Pandemie gibt, und einen guten Mieter gar nicht verlieren wollen und deswegen entgegenkommen. Deswegen glaube ich, dass so eine generelle Regelung, bei der einfach etwas in § 313 BGB hineingeschrieben wird, zu kurz gesprungen ist. Deswegen denken wir noch sehr viel intensiver darüber nach. Aber ich kann Ihnen versichern: Wir denken in diese Richtung.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Jetzt ist in einer der Nachfragen das Thema Schuldnerberatung aufgeworfen worden. Dazu gibt es nun noch zwei dringende Nachfragen; die würde ich noch gerne zulassen. Aber danach komme ich zu der nächsten regulären Frage, zur Frage der Kollegin Dr. Rottmann. Zunächst hat der Kollege Dr. Hirte, CDU/CSU, und dann der Kollege Dr. Brunner, SPD, das Wort.

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, wir haben das Thema Insolvenz jetzt schon indirekt angesprochen. Wir haben als Bundestag vieles schon dazu gemacht. Wir haben die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Wir haben sie zu Recht teilweise wieder in Kraft gesetzt, mit einer gewissen Ausnahme. Ihr Haus hat jetzt gerade einen großen Gesetzentwurf zur Sanierung von Unternehmen vorgelegt. Was wir aus der Praxis dazu hören, ist, dass der Entwurf so groß ist, dass er für die großen Unternehmen geeignet ist, aber für viele kleine und mittelständische Unternehmen – dazu gehören auch die hier angesprochenen Vermieter – möglicherweise nicht geeignet ist. Könnten Sie sich vorstellen, für kleine und mittelständische Unternehmen hier vielleicht zusätzliche Sonderregelungen, gegebenenfalls auch übergangsweise, zu schaffen?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Sie haben es angesprochen: Wir haben in dieser Pandemie, wie ich finde, sehr schnell und auch zu Recht – das war auch dringend notwendig – Insolvenzantragspflichten ausgesetzt. Wir haben das dann für überschuldete Unternehmen verlängert, aber gerade nicht für die zahlungsunfähigen. Wir müssen uns jetzt Gedanken machen – deswegen das Unternehmenssanierungsgesetz –: Wie schaffen wir es denn, dass Unternehmer, die – nicht nur, aber auch in dieser Pandemie – in Schwierigkeiten geraten sind, eine zweite Chance bekommen, dass sie nicht vor dem Aus stehen und es nicht „kein Weiter“ gibt? Deswegen ist dieses Gesetz so angelegt. Den Rücklauf in dieser Deutlichkeit habe ich jetzt noch nicht wahrgenommen; aber ich werde mir alle Stellungnahmen ganz genau anschauen. Dann müssen wir uns miteinander überlegen, ob wir da nicht noch mal nachsteuern können. Das Struckʼsche Gesetz besagt: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde. – Ich bin die Letzte, die sich dem verschließen würde, wenn es denn sachgerecht wäre. Deswegen gucke ich mir alle diese Eingaben mit dem Hinweis noch mal genauer an; das verspreche ich Ihnen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Herr Kollege Dr. Brunner, SPD.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Herr Kollege Hirte hat zum Teil die Fragen schon angesprochen, aber ich will sie noch einmal vertiefen. Wir sind ja in dieser Pandemie nunmehr mit der Verlängerung der Antragsfrist für das Insolvenzverfahren bei überschuldeten Unternehmen einen guten Schritt weitergegangen. Wir haben viele Maßnahmen im Bereich der Schuldnerberatung ergriffen. Aber wir schieben – das müssen wir deutlich sagen – eine Bugwelle von möglichen Insolvenzen vor uns her, die wir, so hoffe ich, mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts vielleicht in den Griff bekommen. Frau Ministerin, meine Frage deshalb: Welche zusätzlichen Lösungsmöglichkeiten haben Sie dort vorgeschlagen, um eben diese Welle von Insolvenzen abzumildern und tatsächlich den Unternehmen, insbesondere den kleinen und mittelständischen, die ja die Tragsäule unseres Landes sind, zukunftsfähige Lösungen zu geben und gleichzeitig die Möglichkeiten eines Neustarts zu vermitteln?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank. – Zur Erläuterung dieses Gesetzes zur Unternehmenssanierung gewährt mir der Bundestagspräsident sicherlich mindestens eine halbe Stunde Zeit, damit ich es ausführlich darstellen kann. – Nein, das tut er natürlich nicht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das entspricht nicht den Regeln, die sich der Bundestag für die Regierungsbefragung gegeben hat. Tut mir leid, Frau Ministerin.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich weiß. Sorry! Es war auch völlig unangemessen als Spaß gemeint. – Ich versuche es mal in wenigen Sätzen: Wir haben bei diesem Gesetz, wie gesagt, die Zielrichtung, dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst womöglich zu einer Insolvenz kommt, sondern wir wollen schon vorgelagert quasi eine Möglichkeit schaffen, wie man sich mit Gläubigern austauscht, ohne dass es immer diese starren Zustimmungsregeln gibt. Wir müssen natürlich auch die Interessen der Gläubiger im Blick haben. Aber wenn man quasi vorgelagert, bevor es zu einem Insolvenzverfahren kommt, schon mal eine Möglichkeit gibt, sich auszutauschen und womöglich auch eine Insolvenz abzuwenden, ist das mit einer der ganz wichtigen Punkte, dass es gar nicht erst dazu kommt. Das ist das Wesen, das dieser Gesetzentwurf atmet: auf alle Möglichkeiten einzugehen und nicht so starr wie bisher im Insolvenzrecht zu sagen: Erst dann, wenn es so weit ist, müssen wir ein starres Verfahren anwenden, bei dem es auch die Zustimmung aller geben muss, sondern davor ist mit flexibleren Möglichkeiten zu reagieren. – Das ist im Rahmen der geringen Zeit nur mal so einer der Kernpunkte.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Manuela Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, vielen Dank, dass ich fragen darf. – Frau Ministerin, in welchem Verfahren und nach welchen Kriterien wird über die Beförderung von Vorsitzenden Richtern zum Vizepräsidenten oder zur Vizepräsidentin von Bundesgerichten entschieden, zum Beispiel beim Bundesfinanzhof?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Es gibt da keine gesetzlichen Vorgaben. Es gibt eine Vereinbarung zwischen dem BMJV und den Präsidenten dahin gehend, dass in der Regel bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Dazu gehört auch – das sprechen Sie ja an –, dass die sogenannten Standzeiten am jeweiligen Gericht eine Rolle spielen. Ich habe mir jetzt erlaubt, gegenüber den Präsidenten infrage zu stellen – denn es heißt ja auch „in der Regel“, und wir wissen ja als Juristinnen, was das heißt –, ob das wirklich in jedem einzelnen Fall auch die richtige und die notwendige Voraussetzung ist oder ob es bei der Besetzung einer Vizepräsidentschaft beim Bundesfinanzhof – denn das ist ja eine Stellung, in der Sie auch viel mit Organisation, mit Personalverantwortung zu tun haben – nicht eher auch auf andere Erfahrungen ankommen kann. Ich bin im Austausch über diese Möglichkeiten, auch solche Qualifikationen zu nutzen und nicht alleine die Zeit zu sehen, die jemand an einem Gericht schon mal gewesen ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Frau Kollegin Rottmann.

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Anscheinend gibt es da ein Missverständnis; denn die Standzeit ist nach der Antwort, die ich aus Ihrem Ministerium bekommen habe, Voraussetzung dafür, Vorsitzender Richter oder Vorsitzende Richterin zu werden. Ich habe aber gefragt: Was sind die Voraussetzungen, um zum Vizepräsidenten oder zur Vizepräsidentin befördert zu werden? Ich frage noch mal ganz konkret nach: Haben alle Vorsitzenden Richter an einem Gericht die Möglichkeit, sich auf eine solche Beförderungsstelle zum Vizepräsidenten oder zur Vizepräsidentin zu bewerben?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ja, und viele tun das auch. ({0}) – Geht doch.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die Frage ist schon beantwortet. – Dann stellt die nächste Frage der Kollege Tobias Peterka, AfD.

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin Lambrecht, Sie betreiben ja derzeit punktuelle und durchaus sinnvolle Verschärfungen im Strafrecht, so bei der sexualisierten Gewalt gegen Kinder oder auch bei der Belästigung von Frauen. Stimmen Sie mir aber zu, dass die besten Verschärfungen nichts bringen, wenn Richter weiterhin bereit sind, auch bei erheblichen Taten in einem engen zeitlichen Zusammenhang Kettenbewährungen zu verhängen? Und sind Sie bereit, dieses Problem anzugehen, sodass zum Beispiel der Richterspielraum in der Hinsicht gesetzlich eingeschränkt wird?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Also, zum einen ist es, glaube ich, ein wichtiger Grundsatz in diesem Land, dass wir eine Gewaltenteilung haben und dass diejenigen, die Recht sprechen, den Spielraum, den sie haben, auch nutzen. So. Ich glaube, man muss in dem Zusammenhang mal etwas auseinanderhalten, das oftmals durcheinandergerät. Was ist denn überhaupt eine Kettenbewährung? Oftmals ist es so, dass es eine Bewährung gab, sie abgelaufen ist, es dann zu einer erneuten Straftat kommt und dann wieder eine Bewährung ausgesprochen wird. Das ist ja dann keine Kettenbewährung. ({0}) – Ja, das kann man umgangssprachlich so nennen, im Juristischen verhält es sich aber anders. – Deswegen, um genau das auseinanderzuhalten, sind wir im Gespräch mit Richterinnen und Richtern, auch mit vielen Fachleuten; das Thema wird ja sehr wohl an uns herangetragen. Und wir sind darüber im Austausch, welche Möglichkeiten es gibt, ohne die richterliche Unabhängigkeit zu sehr einzuschränken mit dieser Frage umzugehen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Peterka?

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Der Begriff „Kettenbewährung“ ist ja kein feststehender. Sie kennen ja die Fälle, wo wirklich 20, 30 Bewährungen verhängt werden, zum Beispiel bei Kleinkriminalität etc. Die AfD hatte ja bereits vor Ihrer Amtszeit einen Gesetzentwurf verfasst, der darauf abzielte, eine „Drei Strikes und du bist raus“-Regel einzuführen – nach US-Vorbild, aber durchaus verfassungsgemäß bei uns. Das bedeutet, dass bei der dritten Tat zwingend Haft zu verhängen wäre. Das würde diese, ich nenne es dann einfach mal so, Massenbewährungen verhindern. Sind Sie bereit, diese Sache ins Auge zu fassen, das vielleicht auch mit der AfD anzugehen, oder werden Sie diesen Weg nicht beschreiten, nur weil die Idee dieser Drei-Strikes-Regel – Stichwort: Kleinkriminalität – von uns kommt? ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Mit einer Drei-Strikes-Regel beschäftige ich mich tatsächlich nicht, und ich glaube, das ist auch gut so. Aber wie gesagt: Wir arbeiten im Ministerium auch daran, wie man bestimmten Entwicklungen gegensteuern könnte. Aber ich sage es noch mal: Mit einer Kettenbewährung, die in diesem Zusammenhang immer angesprochen wird, ist eben nicht gemeint, dass jemand 30-mal eine Straftat begeht und dann jeweils von Neuem eine Bewährung ausgesprochen wird, sondern unter Kettenbewährung ist zu verstehen, dass noch während der Bewährung wieder eine Bewährung ausgesprochen wird. Das ist damit gemeint, und gerade nicht, dass ein neuer Sachverhalt, ein neuer Straftatbestand, ein neues Urteil kommt, sondern während der Bewährung wieder eine Bewährung; das ist damit gemeint. Ich sage noch mal: Ich persönlich – und ich glaube, da bin ich in guter Gesellschaft fast aller Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus – möchte nicht in die richterliche Unabhängigkeit eingreifen. Denn diese ist ein hohes Gut, weil der Richter den Einzelfall bewerten kann, den Sie auf dem blauen Stuhl hier im Deutschen Bundestag eben nicht kennen, während der Richter den jeweiligen Einzelfall, den jeweiligen Einzelsachverhalt kennt und ihn dann auch entsprechend bewerten kann. Ich habe da großes Vertrauen in die deutschen Richterinnen und Richter.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Peterka, es ist nur eine Nachfrage möglich; denn sonst kommen wir nicht durch. – Der Kollege Dr. Kraft ist der Nächste.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ganz kurz zu dem von Herrn Kollegen Peterka angesprochenen Gesetz von Ihnen, das Sie auch im Eingangsstatement angesprochen haben, in dem es um Gewalt gegen Kinder, das Verbot von Kindersexpuppen und andere Dinge geht. Jetzt kommen wir mal zu der real ausgeübten Gewalt gegen Kinder, um Ihre Worte zu gebrauchen, in Form von im Ausland geschlossenen Kinderehen, die dann auf deutschem Boden weiter existieren oder auch nicht weiter existieren. Es gibt einen Gesetzentwurf dazu, dessen Verfassungsmäßigkeit vom Bundesgerichtshof angezweifelt wird. Er liegt seit bald zwei Jahren beim Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich erst einmal mit der Befangenheit seines Präsidenten beschäftigt, um zu klären, ob die von Ihnen schon angesprochene Gewaltenteilung in diesem Fall möglicherweise ein bisschen aufgeweicht ist, da im Ergebnis jemand, der als Teil der Legislative an einem Gesetz gearbeitet hat, nun als Teil der Judikative dieses Gesetz bewerten soll. Also wann kann man aus Ihrem Haus mit einem wirklich verfassungskonformen, grundgesetzkonformen Gesetz rechnen, das Gewalt gegen Kinder, um wieder Ihren Ausdruck zu verwenden, in Form von im Ausland geschlossenen Kinderehen auf deutschem Boden wirklich konsequent verhindert?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Also, wir haben gesetzliche Regelungen in diesem Land, die genau das vorsehen, die genau das geklärt haben. Und es gab in diesem Sommer auch einen Evaluierungsbericht darüber, ob diese wirksam sind und wie viele Ehen, die zum Beispiel im Alter zwischen 16 und 18 geschlossen wurden – das ist ja auch noch eine Frage –, anerkannt wurden, weil mittlerweile beispielsweise Kinder vorhanden oder die Betroffenen über 18 sind, oder aufgehoben wurden. Das ist ja die Frage, die damit verbunden ist. Dieser Evaluierungsbericht ergibt zumindest für mich jetzt keine Notwendigkeit eines Handelns. Wir haben die ganz klare Regel: Kinderehen sind in diesem Land nicht zulässig, und auch die Kinderehen, die im Ausland geschlossen werden, werden hier nicht anerkannt. Zu den Fragestellungen im Hinblick auf den Bundesgerichtshof bzw. das Bundesverfassungsgericht werde ich nicht Stellung nehmen. Wie gesagt: Wir haben einen Evaluierungsbericht, der in diesem Sommer vorgestellt worden ist, und ich rate Ihnen dringend an, sich den mal durchzulesen. Da werden Sie sehen, dass da derzeit zumindest aus unserer Sicht kein Handlungsbedarf besteht, weil es ganz klar ist, dass Kinderehen in diesem Land nicht zulässig sind. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Nächste, den ich hier auf der Liste habe, ist der Kollege Dr. Heribert Hirte. ({0}) – Ist erledigt. – Dann kommt als Nächstes der Kollege Dr. Wieland Schinnenburg, FDP-Fraktion.

Dr. Wieland Schinnenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004874, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte Ihren Blick auf die langen Verfahrensdauern in Deutschland lenken. Darüber ärgern sich sehr viele Menschen, sowohl die Mandanten als auch die Anwälte. Oft wird gesagt, es liege daran, dass das System irgendwie unterfinanziert sei. Nun gibt es das EU-Justizbarometer, nach dem Deutschland nach Luxemburg gemessen an der Einwohnerzahl die zweithöchsten Ausgaben für die Justiz von allen EU-Ländern hat, aber bestenfalls durchschnittliche Zeiten, zum Beispiel bei Zivilverfahren etwa 200 Tage und bei Verwaltungsverfahren sogar 400 Tage. Was gedenken Sie zu tun, damit sich die Verfahrensdauern in Deutschland endlich mal verkürzen?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

In dem Gesetz, das ich anfangs vorgestellt habe, gibt es eine Regelung, die vorsieht, dass es ein Beschleunigungsgebot für diese Fälle gibt. Die müssen vorrangig bearbeitet werden. Das ist eine Regelung, die ganz konkret in diesem Gesetz enthalten ist. Darüber hinaus könnte ich es mir jetzt relativ einfach machen und sagen: Justizverwaltung ist Sache der Länder, und damit sind die Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Bundesländern zuständig. – Aber das wäre, glaube ich, zu einfach und auch der Fragestellung nicht angemessen. Deswegen: Wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode mit den Ländern einen Pakt für den Rechtsstaat geschlossen. Auch der Bund, obwohl es nicht seine ureigenste Verantwortung ist, hat sich finanziell beteiligt, damit 2 000 zusätzliche Stellen in der Justiz geschaffen werden. Wir sind mittlerweile – ich habe das natürlich abgefragt – so bei 1 800 neuen zusätzlichen Stellen seit Beginn der Legislaturperiode. Das zeigt, dass es genau in die richtige Richtung geht. Der Pakt für den Rechtsstaat ist eine der Möglichkeiten, aber ich kann auch immer nur an die Kolleginnen und Kollegen appellieren, wie beispielsweise jetzt in diesem Fall: Sie haben alle über den Bundesrat eine Strafverschärfung gefordert mit der Konsequenz, dass jetzt Fälle gemäß dem oben genannten Gesetz nicht mehr eingestellt werden können, sondern verhandelt werden müssen. Dann müssen Sie aber auch die Konsequenzen tragen und die Ressourcen zur Verfügung stellen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, eine Nachfrage? – Bitte.

Dr. Wieland Schinnenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004874, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hatte ja vorhin schon gesagt: Es liegt gar nicht mal an den Finanzen, weil Deutschland bisher schon sehr viel ausgegeben hat. Außerdem reden wir über das neueste Justizbarometer. Hinzu kommt Folgendes: Im Justizbarometer gibt es eine weitere Peinlichkeit für Deutschland. Bei nicht weniger als vier Schaubildern, den Schaubildern 5, 10, 13 und 21, ist Deutschland nicht mit Zahlen vertreten, anders als fast alle anderen Länder. Kurz gesagt: Deutschland hat für das Justizbarometer viele Zahlen gar nicht geliefert. Das, muss ich sagen, ist mir einigermaßen peinlich. Werden Sie das zukünftig ändern?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich werde in meiner Verantwortlichkeit auf jeden Fall alle Zahlen liefern, die für dieses Justizbarometer erforderlich sind. Mir ist nicht bekannt, dass wir nicht geliefert hätten; aber wenn das so wäre, dann würde ich selbstverständlich zusagen, dass das in Zukunft anders wird. Denn ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir diesen Vergleich, dieses Justizbarometer, in der Europäischen Union haben, um eben nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern uns selbst infrage zu stellen. Wenn Sie sagen, diese überlange Verfahrensdauer liege nicht am Personal, dann muss ich sagen: Ich höre, zumindest wenn ich mit Vertretern des Richterbundes oder auch mit Staatsanwaltschaften oder Richterinnen und Richtern spreche, etwas anderes. Die sagen mir sehr wohl, dass sie einfach nicht nachkommen, weil neue Herausforderungen kommen, der Gesetzgeber neue Regelungen beschließt. Diese langen Verfahrensdauern werden also damit begründet. Aber wir werden das sicherlich miteinander auflösen müssen. Denn wie gesagt: Auf der einen Seite höre ich von denen, die tagtäglich in den Amtsgerichten, in den Verwaltungsgerichten sitzen, dass es daran liegt. Wenn so ein Bericht etwas anderes sagt, dann muss man das zusammenbringen, und das ist jetzt unsere Aufgabe; denn es muss ja aus so einem Bericht auch folgen, dass man Konsequenzen zieht.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Dann ist der nächste Fragesteller der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, in den letzten Wochen ist immer wieder davon gesprochen worden, dass unter Vermittlung der Kanzlerin und Ihnen eine Einigung mit dem Bundesinnenminister Horst Seehofer erzielt wurde, den Artikel 3 Grundgesetz zu ergänzen bzw. zu erneuern, insbesondere den Begriff der Rasse. Ich persönlich bin der Auffassung, dass das Grundgesetz – eine der besten Verfassungen dieser Welt, wenn nicht überhaupt die beste Verfassung dieser Welt – nur sehr zaghaft und sehr vorsichtig angefasst werden darf. Den Artikel 3 haben wir ja auch bisher nur einmal, nämlich bei den Behindertenrechten, ergänzt. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mir persönlich wünschen würde, dass wir, wenn wir ganz behutsam an Artikel 3 Grundgesetz herangehen, dann beispielsweise auch die sexuelle Identität und die Kinderrechte mitberücksichtigen können, ({0}) die Gleichstellung miteinarbeiten und vieles andere, was wir da so haben. Aber jetzt sind wir „nur“ – in Anführungszeichen – bei dem Begriff Rasse. Deshalb meine Frage: Wird bei dem Begriff Rasse daran gedacht, einen neuen Begriff zu kreieren oder dies – ähnlich wie bei den Behindertenrechten – durch eine Erklärung, einen Annex, klarzustellen, oder soll der Begriff vollständig gestrichen werden, wie es zumindest eine Pressemeldung der „Süddeutsche Zeitung“ implementieren könnte?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ich will nur darauf hinweisen, dass wir den Gleichstellungsauftrag sehr wohl in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz enthalten haben. Also das wurde weiterentwickelt, weil es notwendig war. Aber jetzt zur Rasse. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich ja was dabei gedacht, als sie diesen Begriff so reingeschrieben haben. Er stand auch deswegen so lange drin, weil er spiegelbildlich die Verfolgungsmerkmale durch die Nazis abgebildet hat. Es war ihnen wichtig, aufzuzeigen – auch aus dieser Zeit heraus –, dass, wer wegen dieser Merkmale verfolgt wurde, auch wenn sie durch nichts wissenschaftlich gestützt waren, sich in dieser Bundesrepublik Deutschland sicher sein können muss, dass deswegen keine Ungleichbehandlung erfolgt. Das war ja der ursprüngliche Grund. Wir müssen leider erleben, dass dieser Begriff, der, wie gesagt, mit diesem Hintergrund ins Grundgesetz gekommen ist, auch genutzt wird, um rassistische Äußerungen, rassistische Verfolgung, rassistische Diskriminierung zu betreiben. Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Begriff jetzt – wie gesagt, es geht um jetzt und nicht darum, was damals, als das Grundgesetz erarbeitet wurde, wichtig war – ersetzen. Es darf nämlich keine Schutzlücke entstehen. Das darf nicht der Fall sein. Deswegen müssen wir uns genau überlegen: Mit welchem Begriff füllen wir das, was wir erreichen wollen, aus? Da stehen natürlich solche Formulierungen wie „mit rassistischen Inhalten“ im Raum. Wir feilen daran; denn es handelt sich eben um das Grundgesetz. Deswegen darf es da keinen Schnellschuss geben. Wir müssen uns schon sicher sein, dass wir diese Schutzlücke dann auch vollumfänglich schließen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Die Zeit wäre jetzt eigentlich um; aber wir machen diesen Punkt noch fertig. Die nächste Kollegin ist Canan Bayram, dann habe ich noch Sascha Raabe und Frau Haßelmann.

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Ministerin, ich unterstütze ausdrücklich das Anliegen, das Sie vorhin dargestellt haben. Meine Fraktion hat dazu den Fraktionen der Koalition auch einen Entwurf vorgelegt. Wir finden, dass es nicht reicht, nur das Wort „Rasse“ zu streichen. Wir sind der Ansicht, dass es im Hinblick auf rassistische Situationen der Ergänzung um Rassistisches bedarf, um rassistisches Verhalten und die Diskriminierung, die damit einhergeht, zu bekämpfen. Wir sind auch der Ansicht, so wie Sie es beim Gleichstellungsthema dargestellt haben, dass es eine Schutz- und Gewährleistungspflicht des Staates dergestalt geben muss, dass Menschen, die aufgrund von Zuschreibungen Opfer von rassistischen Angriffen werden, stärker geschützt werden müssen. Insofern meine Frage: Würden Sie die Berichterstatter, die Fraktionen bei diesem Prozess begleiten? Denn so eine Grundgesetzänderung macht man ja nicht täglich, und die sollte ja auf einer breiten Basis stehen. – Vielen Dank.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Ministerin.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Bei der Zielrichtung kann ich Ihnen nur absolut zustimmen: Wir dürfen hier keine Schutzlücke entstehen lassen. – Selbstverständlich habe ich Ihren Vorschlag nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern wir sind dabei, ihn auch intensiv zu beraten. Aber es muss schon so sein, dass wir einen Vorschlag machen. Ob der dann später tatsächlich so die Mehrheit findet oder ob wir den noch verändern, da habe ich persönlich keine Eitelkeiten. Mir geht es darum, dass wir etwas schaffen, was hinterher, wie gesagt, keine Schutzlücke lässt, was verfassungsgemäß ist und was eben auch die Zustimmung der Mehrheit des Deutschen Bundestages bekommt. Selbstverständlich brauchen wir für Grundgesetzänderungen eine Zweidrittelmehrheit. Aber, ich glaube, solche Themen sind auch dazu da, dass man sie über Fraktionsgrenzen hinaus miteinander berät; und diese Beratungen wird es auch geben. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich habe nach Rückzug und Änderungswünschen noch folgende Kolleginnen und Kollegen auf der Liste – ich bitte Sie, sich kurz zu fassen; denn wir haben schon überzogen –: Das sind die Kollegen Polat, von Storch, Brandner und Rottmann. – Frau Kollegin Polat.

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, ich will noch mal konkret nachfragen. Sie haben ja die Arbeitsgruppe zwischen Bundesinnenministerium und Ihrem Haus, dem Bundesjustizministerium, eingerichtet. Ich höre aus Ihrer Einlassung, dass Sie die Federführung für dieses Thema haben. Wir beraten interfraktionell ja schon intensiv im Bundestag, auch auf Grundlage unseres Gesetzentwurfes. Auch die Fraktion Die Linke hat einen Gesetzentwurf geschrieben. Meine Frage ist: Werden in die Beratungen der Arbeitsgruppe die Parlamentarier, die sich hiermit befassen, einbezogen, um den Beratungsstand zu harmonisieren, und wird auch die Zivilgesellschaft einbezogen? Es besteht, wie Sie ja wissen, die Angst, dass da eine Schutzlücke entsteht. Aus unserer Sicht wäre deswegen auch der Gewährleistungsanspruch für alle Diskriminierungsformen notwendig und richtig.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Selbstverständlich wird die Zivilgesellschaft eingebunden werden. Es wird ein parlamentarisches Verfahren geben. Bei so einer grundsätzlichen Frage ist das, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit. Aber ob es sinnvoll ist, das auch noch mal vorgelagert zu machen, davon bin ich – das muss ich ehrlich sagen – nicht überzeugt; denn wir haben ganz viele Stellungnahmen bekommen, und das ist auch gut so. Da sind auch viele gute Hinweise enthalten, und die werten wir natürlich aus. Es ist nicht so, dass es eine Arbeitsgruppe in einem abgeschlossenen Zimmer im BMI oder BMJV gäbe, die jetzt etwas ausarbeitet, sondern selbstverständlich geschieht das unter Zuhilfenahme solcher Vorschläge, die wir momentan auswerten. Deswegen ganz klar: Natürlich muss die Zivilgesellschaft in dieser Frage mitgenommen werden. Ich habe den Eindruck, sie diskutiert das auch sehr munter, und das ist gut so bei einer so wesentlichen Frage.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin von Storch.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben gerade auf Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes abgestellt und gesagt, er postuliere eine Gleichstellung der Geschlechter. Der Artikel 3 Absatz 2 lautet: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. – Gleichberechtigt! - Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen. ({0}) Ich würde Sie gerne fragen, welche Rechte Frauen in diesem Land nicht haben, die Männer haben – nicht wo es im Ergebnis Ungleichheiten gibt, sondern welche Rechte Frauen nicht haben –, und mit Blick darauf, ob Sie mit Ihrem Gleichstellungspostulat weiter die Parität in den Parlamenten verfolgen wollen, die jetzt von zwei Verfassungsgerichten als verfassungswidrig verurteilt worden ist. Wollen Sie trotzdem weiter daran festhalten unter Hinweis auf Ihre Lesart des Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz, also Gleichstellung?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Mir ist nicht bekannt, dass mein Haus ein Paritätsgesetz erarbeitet und vorgelegt hätte. ({0}) – Verfolgen im Sinne von beobachten, ja, das tue ich weiterhin. Ich lese aus Artikel 3 Absatz 2 auch den Auftrag, hier als Gesetzgeber einen Gleichstellungsauftrag wahrzunehmen. ({1}) Das lese ich so, und den nehme ich auch wahr. Klar können Sie anführen, dass auf dem Papier die Rechte gegeben sind. ({2}) Aber ich mache ja keine Politik fürs Papier; ich mache Politik fürs reale Leben. ({3}) Menschen wollen ja in ihrem realen Leben erleben, was denn aus Gesetzen, was denn aus Papier wird. Und wenn Frauen erleben, dass sie immer dann, wenn sie in Führungspositionen wollen, an eine gläserne Decke stoßen, dann fühle ich mich durch Artikel 3 Absatz 2 beauftragt, den Worten im Gesetz Taten folgen zu lassen, ({4}) zum Beispiel dadurch, dass ich ein FüPoG vorgelegt habe, das dafür sorgen soll, dass in Zukunft auch Frauen in Vorständen vertreten sind. Obwohl Männer offensichtlich wissen – oder vielleicht auch nicht wissen –, dass auf dem Papier Männer und Frauen die gleichen Rechte haben, geben 70 Prozent der Unternehmen an, dass sie gar keine Frauen in Vorständen haben wollen. Das ist der Unterschied zwischen dem, was auf dem Papier steht, und der Lebensrealität. Ich verstehe Politik so, dass es darum geht, die Lebensrealität zu gestalten und nicht das Papier. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Fragesteller ist der Kollege Brandner, AfD-Fraktion.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Der Ausgangspunkt für meine Nachfrage ist diese seit einigen Monaten laufende Phantomdebatte über die Streichung des Begriffs „Rasse“ aus dem Grundgesetz. Also ich halte schon den Ansatz bzw. die Überlegung, überhaupt darüber nachzudenken und das möglicherweise auch noch umzusetzen, nur weil ein Begriff gerade mal nicht in den rot-grünen Zeitgeist reinpasst, das Grundgesetz umzumodeln, für völligen Quatsch. ({0}) Wenn ich jetzt unter dem Blickwinkel des links-rot-grünen Zeitgeists ins Grundgesetz hineinschaue, Frau Lambrecht, dann finde ich inzwischen möglicherweise noch weitere belastete Begriffe wie Ehe, Familie, Kinder, Eltern, Männer, Frauen, Volk. ({1}) Meine Frage: Gibt es bei Ihnen auch Überlegungen, von diesen gerade eben genannten belasteten Begriffen möglicherweise auch irgendwelche aus dem Grundgesetz zu streichen oder zu ersetzen?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Also, alle Merkmale, die Sie eben aufgezählt haben, gibt es. Es gibt eben Männer, es gibt eben Frauen, es gibt eben Familie, es gibt eben die Ehe; ({0}) aber Rassen gibt es eben nicht. Es gibt nur eine menschliche Rasse. ({1}) Es gibt nur eine, und das sind wir Menschen. Wir haben unterschiedliche Ausprägungen; aber es gibt eben nur eine Rasse. ({2}) – Noch habe ich hier das Wort, Herr Brandner. Aber es gibt eben einen historischen Bezug, warum dieser Begriff ins Grundgesetz gekommen ist; ich habe ihn auch beschrieben. Es ist nicht so, dass die Juristinnen und Juristen, die das Grundgesetz entworfen haben, das nicht gewusst hätten; vielmehr haben sie diesen Begriff ganz bewusst vor dem Hintergrund der Verfolgung durch die Nazis in das Grundgesetz geschrieben. Das ist aber viele, viele Jahrzehnte her, und dieser Begriff wird heute nicht im Sinne des Geistes der Mütter und Väter des Grundgesetzes benutzt, sondern er wird benutzt, um andere Menschen auszugrenzen, sie zu diskriminieren. Genau aus diesem Grund muss dieser Begriff nicht nur aus dem Grundgesetz raus, sondern das, was damit verbunden ist, nämlich der Schutz vor Rassismus, muss ins Grundgesetz hinein. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die letzte Fragestellerin ist jetzt die Kollegin Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Als letzte Fragestellerin möchte ich noch einmal an Ihre Ausführungen zu Beginn zu dem Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder anknüpfen. Wir finden es gut, dass es diesen Gesetzentwurf gibt. Sie haben damals, als Sie hier das erste Mal über dieses Thema gesprochen haben, diesen Gesetzentwurf mit der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz verknüpft. Im Rechtsausschuss gibt es dazu einen Vorschlag der Grünen, es gibt einen Antrag der Linkspartei; aber seit vielen Monaten wird uns die Terminierung einer Anhörung dazu verwehrt mit dem Verweis, man warte auf den Entwurf aus dem Justizministerium. Da möchte ich noch einmal nachfragen. Also der eine Teil Ihrer damaligen Verknüpfung liegt jetzt vor, aber der zweite Teil steht noch aus. Warum?

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Zum einen finde ich es wie Sie wichtig, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden, auch vor dem Hintergrund dieses Gesetzentwurfs. Wir Juristen beschäftigen uns ja in der Ausbildung selten mit Familienverfahrensrecht; deswegen wissen Richterinnen und Richter beim Familienverfahrensrecht, wenn sie eine entsprechende Position kommen, manchmal nicht bis ins letzte Detail Bescheid. Aber wären Kinderrechte im Grundgesetz verankert, würde das jeden immer wieder wachrütteln und zum Beispiel daran erinnern, Kinder in Verfahren anzuhören. Das ist ein Argument aus praktischer Erwägung, warum wir das brauchen. Ich habe eine Formulierung erarbeitet; ich war also nicht untätig, und darüber sind wir in der Koalition im Austausch. Das können Sie ja auch öffentlich nachvollziehen. Ich arbeite mit Hochdruck daran, dass wir noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung kommen.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, möchte ich mit einem Zitat aus der „Frankfurter Allgemeinen“ vom Montag beginnen: Auf den Straßen von Minsk ist in zwölf Protestwochen seit der gefälschten Präsidentenwahl im August schon vieles gegen friedliche Demonstranten eingesetzt worden: Schlagstöcke, Wasserwerfer, Tränengas, Lärm- und Blendgranaten, Gummigeschosse. Doch am Sonntag wurden in der belarussischen Hauptstadt vor Beginn eines weiteren Protestmarsches erstmals gepanzerte Fahrzeuge mit aufgepflanzten Maschinengewehren fotografiert. Bis zum Abend wurde diese Waffe nicht eingesetzt. Doch liegen die immer martialischeren Drohungen in der Logik des Regimes. Das bringt sehr deutlich zum Ausdruck, womit wir es seit jetzt ziemlich genau drei Monaten zu tun haben, nachdem am 9. August die Präsidentenwahl in Belarus ganz offenbar gefälscht war. Wir wissen auch, dass sie nicht nur von uns, sondern auch von der gesamten Europäischen Union nicht anerkannt worden ist. Seit dieser Zeit demonstrieren werktags Tausende und an Wochenenden Hunderttausende. Es gibt viele Gefangene. Insgesamt sind in der Zwischenzeit bis zu 16 000 Menschen verhaftet worden; einige vorübergehend, einige sitzen schon seit Monaten im Gefängnis. Die Wahlen waren auch schon falsch vorbereitet. Es wurden Kandidaten nicht zugelassen. Es gibt noch bis heute in Gefängnissen einsitzende Menschen, die eigentlich kandidieren wollten. Also nicht nur das Ergebnis wurde verfälscht, sondern schon die ganze Anlage der Wahl war falsch. Was ist seither geschehen, und welche Rolle haben die Frauen dabei gespielt? Als klar wurde, dass nicht alle kandidieren konnten, die eigentlich wollten, war es die Entscheidung von Frau Tichanowskaja, zu sagen: Mein Mann ist verhaftet, dann kandidiere ich. – Dadurch hat es Auftrieb in der Bevölkerung gegeben, die gesagt hat: Ja, wir wollen eine politische Änderung herbeiführen. – Nach der gestohlenen Wahl kam dann die Freiheitsbewegung, die auch von Frauen getragen wurde, erst richtig in Fahrt; wir haben Frau Tichanowskaja im Auswärtigen Ausschuss empfangen können. ({0}) – Das war eine sehr gute Idee, das stimmt. ({1}) Drei Kernforderungen der Protestbewegung bestehen; ihnen will ich mich uneingeschränkt anschließen: Ende der Gewalt und Freilassung aller politischen Gefangenen, Schuldige für Gewalt zur Rechenschaft ziehen und Rücktritt Lukaschenkos sowie Neuwahlen und ein sich anschließender Verfassungsprozess. Es sollte unsere gemeinsame Überzeugung sein, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa alles tun, um die wichtigen Ziele der Protestbewegung voranzubringen. Die OSZE versucht, zu vermitteln; sowohl der jetzige OSZE-Vorsitzende Rama, der albanische Ministerpräsident, als auch die zukünftige Vorsitzende, die Außenministerin Linde aus Schweden, bieten das an. Das wird nicht formal abgelehnt, aber es wird auf Zeit gespielt. Die OSZE hat bisher keine Chance gehabt, tatsächlich tätig zu werden, ist aber selbstverständlich weiterhin dazu bereit. Und was ganz klar ist: Russland muss eine verträgliche Rolle spielen. Es geht nicht anders, als dass Russland – das Land ist ja praktisch ein Machtgarant für Lukaschenko – dort vernünftig eingreift. Die Forderung der Menschen in Belarus, die wir mit großer Mehrheit unterstützen werden, sind im Wesentlichen, Sanktionen gegen Lukaschenko und sein Umfeld einzuleiten; das hat die Europäische Union vor gerade zwei Stunden für den Freitag angekündigt. Dafür sind wir sehr dankbar. ({2}) Wir wollen die Opfer – so gut es eben geht – unterstützen, ohne uns in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Wir wollen die Einreise für politisch Verfolgte erleichtern und möglicherweise Stipendienprogramme, zum Beispiel für exmatrikulierte Studierende aus Belarus, in Deutschland auflegen. Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt. Unsere Bitten, unsere Forderungen richten sich an die Bundesregierung, in diesem Sinne tätig zu werden und sich auch in Europa entsprechend einzusetzen. Herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Barbara Hendricks. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Anton Friesen. ({0})

Dr. Anton Friesen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004720, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! Zunächst einmal möchte ich etwas ansprechen, was uns alle schockiert und innerlich bewegt hat: Den Angehörigen der Opfer der islamistischen Terroranschläge in Paris, Nizza und Wien gebührt unser tiefes Beileid. Dem österreichischen und dem französischen Volk rufe ich zu: Wir stehen im Kampf gegen den Islamofaschismus an eurer Seite! ({0}) In Weißrussland grassiert kein Terrorismus, dennoch kommt das Land nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen des Langzeitherrschers Lukaschenko nicht zur Ruhe. Lukaschenko hat sich zu lange an der Macht gehalten – Sie wissen ja, wovon ich spreche, Frau Merkel – und hat sich darüber hinaus mit dem wichtigsten außenpolitischen Verbündeten, Russland, überworfen. ({1}) Seine Tage sind gezählt. ({2}) In Weißrussland braucht es einen geordneten Übergang statt Chaos und Regime Change. Lukaschenko selbst – wohl wegen Druck aus Moskau – hat sich in den letzten Tagen mit Vertretern der Opposition im Gefängnis getroffen und hat sich bereit erklärt, unter Mitarbeit der Opposition eine neue Verfassung ausarbeiten zu lassen. Auf der Grundlage dieser Verfassung werden dann Wahlen stattfinden, bei denen Lukaschenko, wie er selbst erklärt hat, nicht wieder antreten wird. Gleichzeitig ist der von der Opposition angekündigte große Generalstreik, wie man weiß, gescheitert. Die Mitarbeiter der Staatsbetriebe haben kaum mitgemacht. In Kleinstädten und auf dem Dorf ist Lukaschenko nach wie vor recht beliebt. Die Sicherheitskräfte stehen hinter ihm. Hinter der Opposition stehen junge, gut gebildete Großstädter. Insgesamt herrscht also eine Pattsituation. Was wir in dieser Lage nicht brauchen, sind Sanktionen: zum einen, weil es widersinnig wäre, Angehörige des Machtapparates zu sanktionieren, mit denen man gleichzeitig sprechen muss, um eine Verhandlungslösung für Weißrussland zu finden; zum anderen, weil Sanktionen in einer multipolaren Weltordnung weitgehend wirkungslos sind. Wenn EU-Sanktionen in Kraft treten, dann springen eben Russland und China ein. Sanktionen senden vor allem innenpolitische Signale aus – seht her, wir haben was getan! –, wirken und helfen tun sie jedoch in keiner Weise. Viel besser, als Sanktionen zu verhängen und Menschenrechtsverletzungen laut anzuprangern, ist es, mit den Vertretern der weißrussischen Regierung bilateral zu reden und in diesem vertraulichen Rahmen klar und deutlich die Menschenrechtsverletzungen zu benennen. Das ist der wirkungsvolle Weg, auch wenn er bei Weitem nicht so öffentlichkeitswirksam ist. Zum Beispiel sollte man das Schicksal des weißrussischen katholischen Erzbischofs Kondrusiewicz ansprechen, der, obgleich weißrussischer Staatsbürger, im Ausland festsitzt und nicht nach Weißrussland einreisen kann. Miteinander sprechen, kritisch, aber nicht belehrend, offen, aber vertraulich – das ist der Weg, den wir zusammen mit den Weißrussen in Zukunft gehen sollten. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Anton Friesen. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Jürgen Hardt. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Präsidentschaftswahl in Belarus am 9. August 2020 war dreist gefälscht. Die Belege dafür sind enorm. Am Ende hat es gar keine Vollauszählung der Stimmen mehr gegeben. Vermutlich hat das Regime darauf verzichtet, in den Wahllokalen auszählen zu lassen, in denen man die Ergebnisse vorher nicht entsprechend manipuliert hatte. Es gibt für mich keinen Zweifel daran, dass die Wahl gefälscht wurde. Deswegen ist es völlig folgerichtig, dass die Europäische Union Lukaschenko nicht als rechtmäßigen Präsidenten von Belarus anerkennt. Die Proteste gegen diese Wahlfälschung wurden angeführt von mutigen Frauen, überwiegend den Ehefrauen der Präsidentschaftskandidaten, die Lukaschenko vorher aus dem Wahlprozess aussortiert hatte, die also entweder im Gefängnis saßen oder ins ausländische Exil vertrieben worden waren. Sie haben diesen Protest mutig angeführt. Wenn man die Bilder aus Minsk und anderen Städten Belarus’ betrachtet hatte, fühlte man sich erinnert, auch was die Größenordnung angeht, an die Proteste 1989 in der DDR. ({0}) Ausgangspunkt dieser Proteste war ja auch eine gefälschte Wahl, die gefälschte Kommunalwahl im Frühjahr 1989. 10 Prozent der Bevölkerung waren in Belarus in Hochzeiten auf der Straße. Das entspricht tatsächlich dem Format, das wir in der DDR erlebt haben. Es hat in Belarus dann allerdings seitens der Führung einen massiven Einsatz von Gewalt, also Repressionen gegen die Demonstranten, gegeben. Wir fordern selbstverständlich, dass das aufhört. Wir fordern, dass das unterbleibt. Und wir fordern, dass diejenigen, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Europäische Union sich nun dazu entschlossen hat – so wie das die Koalitionsfraktionen und die deutsche Bundesregierung gefordert haben –, dass auch Herr Lukaschenko von den Personensanktionen betroffen ist. Das ist ein kleiner, aber fühlbarer Nadelstich gegen diejenigen, die Verantwortung für die gewaltsame Niederschlagung dieser Proteste tragen. ({1}) Wir fordern natürlich auch das Recht auf Rückkehr aus dem erzwungenen Exil für diejenigen, die sich in Belarus politisch in der Opposition betätigen wollen. Und wir fordern faire Präsidentschaftsneuwahlen. In Belarus spekuliert die Regierung, spekuliert Lukaschenko natürlich im Augenblick darauf, dass das Wetter im Herbst schlechter wird, die Temperaturen sinken und dann an den Wochenenden nicht mehr so viele Menschen von der Opposition mobilisiert werden können, wie das bisher der Fall war. Sie geben vor, es müsse erst neue Gesetze und eine neue Verfassung geben, bevor man gegebenenfalls Neuwahlen durchführen könne. Ich sage ganz klipp und klar, auch nachdem ich mit Vertretern der Venedig-Kommission des Europarates und mit dem Chef der Venedig-Kommission persönlich darüber gesprochen habe: Es spricht nichts dagegen, dass auf Basis des geltenden Wahlrechts, aber unter transparenten demokratischen Rahmenbedingungen eine neue Präsidentschaftswahl durchgeführt wird. Ich würde mir wünschen, dass dann auch eine dieser mutigen Frauen für die Opposition antritt. In den Gesprächen, die wir geführt haben, haben sie immer gesagt, dass natürlich ihre Männer das machen würden. Ich finde, darüber sollten sie in dem einen oder anderen Fall vielleicht noch mal nachdenken. Ich glaube, dass die Bundesregierung gut daran tut, gemeinsam mit den anderen Partnern dafür zu sorgen, dass die OSZE kurzfristig in der Lage ist, mit qualifiziertem und geeignetem Personal eine solche Wahlbeobachtung in Belarus durchzuführen und für Transparenz bei dieser Wahl zu sorgen. Ich gehe davon aus, dass das der Fall ist; zumindest haben wir das entsprechend vorgetragen. Das Zeitspiel von Lukaschenko, der glaubt, er könne die Proteste aussitzen, muss durchkreuzt werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute hier im Deutschen Bundestag mit Unterstützung mindestens einer Oppositionsfraktion den Antrag hier beschließen, den Frau Hendricks im Einzelnen etwas detaillierter vorgestellt hat. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jürgen Hardt. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Thomas Hacker. ({0})

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zwölf Wochen stellen sich die Menschen in Belarus entschieden und voller Mut gegen ein Regime, das nach 26 Jahren sein unausweichliches Ende nicht akzeptieren will. Mit einem erneut dreisten Wahlbetrug leitete Europas letzter Diktator, Lukaschenka, am 9. August dieses Jahres sein Ende selbst ein. Bewährte Methoden von Angst und Gewalt sollen dieses Ende nun hinauszögern. Aber aus der Opposition ist nach fast drei Jahrzehnten eine stolze Mehrheit geworden, wie Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja richtig bemerkte. Seit zwölf Wochen zeigt diese Mehrheit, dass ihr Streben nach Freiheit nicht mehr von Einschüchterungen, Polizeigewalt, Verhaftungen oder gar einem Schießbefehl aufgehalten werden kann. Seine eigene Hoffnungslosigkeit hat Lukaschenka ja selbst eingeräumt: Wir können nirgendwohin zurückweichen. Auch am letzten Wochenende trieb die Sehnsucht nach Freiheit wieder Zehntausende auf die Straßen. Weitere Proteste werden folgen. Die Menschen in Belarus kämpfen für ihre Freiheit, sie kämpfen aber auch für unsere europäischen Werte. ({0}) Mit der Verleihung des Sacharow-Preises an die Opposition in Belarus hat das Europäische Parlament sich seiner moralischen Verantwortung gestellt und deutlich gemacht: Wir stehen an eurer Seite. – Für uns Freie Demokraten ist das ein richtiges Zeichen; bei bloßen Zeichen darf es aber nicht bleiben. ({1}) Als Swetlana Tichanowskaja vor wenigen Tagen in Berlin war, bat sie, der Propaganda Lukaschenkas, die durch russische Staatsmedien unterstützt wird, etwas entgegenzusetzen. Wenn staatliche Sender Teil der Propagandamaschinerie sind, freie ausländische Berichterstattung und der Zugang zu freien Informationen mit Netzblockaden be- und verhindert werden, dann sind wir gefordert. Meinungsvielfalt und Pressefreiheit sind die besten Garanten für den Demokratisierungsprozess in Belarus. Glaubwürdige und unabhängige Medien, Informationen aus erster Hand in belarussischer und russischer Sprache – damit können wir den Demokratisierungsprozess unterstützen. ({2}) Genau deshalb wollen wir Freie Demokraten die Angebote der Deutschen Welle in der Region stärken und neue Formate in Landessprache schaffen. Mit journalistisch unabhängiger Darstellung in über 30 Sprachen wird die Deutsche Welle auf dem Globus geschätzt und genutzt. Ihre Akademie schult Journalisten weltweit und unterstützt den Aufbau unabhängiger Medien. Frau Tichanowskaja wurde bei ihrem Berlin-Besuch nicht müde, für ihre Hoffnungen zu werben, gerade in Zeiten der deutschen Ratspräsidentschaft. Stärkere und entschiedene EU-Sanktionen gegen das Regime und ein Engagement der Deutschen Welle – diesem Anliegen dürfen und wollen wir uns nicht verschließen. Wir wollen nicht tatenlos zusehen. ({3}) Die Menschen aus Belarus schauen nach Europa, und sie schauen nach Deutschland. Es ist gut, dass Sie, Frau Ina Rumiantseva, heute hier im Bundestag bei uns sind. Berichten Sie Ihren Landsleuten von der Debatte hier in diesem Hause. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns heute ein Zeichen der Unterstützung setzen, ein Zeichen für Meinungsvielfalt und Pressefreiheit. Schauen wir nicht nur zu, handeln wir. Machen wir der Demokratiebewegung in Belarus deutlich: Wir, wir alle stehen an eurer Seite. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thomas Hacker. – Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Gregor Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bestimmte Strukturen und Regime können über Jahre, über Jahrzehnte halten. Wenn irgendwann aber die Zeit vorbei ist, fordern die Menschen mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr soziales Wohlbefinden. ({0}) Die Inhaber der alten Macht kleben aber an ihren Positionen, halten an ihnen fest, wenden Gewalt an, um ihre eigene Stellung nicht zu gefährden. Das ist nicht nur undemokratisch, freiheitseinschränkend, illiberal, sondern vor allem auch nutzlos. Sie können die Entreißung ihrer Macht nicht dauerhaft verhindern. ({1}) Ihre Gewalt verhindert zwar vorübergehend eine politische Lösung, aber eben nicht auf Dauer. Inhaftierungen aus politischen Gründen, Gewalt gegen friedliche Demonstrierende, gar Folter, Einschüchterung von Medien müssen in Belarus endlich ein Ende haben. ({2}) Die mutigen Demonstrierenden, insbesondere die Frauen, verdienen unseren Respekt und unsere volle Anerkennung. Ich bin an die Bewegung 1989 in der DDR – allerdings mit der Ausnahme, dass es kein einflussnehmendes West-Belarus gibt – insoweit erinnert, als es auch dort um den Erhalt bzw. die Aufgabe alter Machtstrukturen ging. ({3}) Immerhin hörte die Gewalt gegen Demonstrierende in der DDR ab 9. Oktober 1989 weitgehend auf. Erkannt wurde – und das braucht auch Belarus – die Notwendigkeit eines innergesellschaftlichen Dialogprozesses; ich erinnere an die Runden Tische in der DDR. Dabei geht es nicht um Lukaschenko, sondern um jenen Teil der Gesellschaft, der mit den bisherigen Strukturen zufrieden war. Die Opposition verlangt zu Recht Respekt vor ihren Forderungen, darf aber diesen Teil der Gesellschaft nachher nicht vergessen. Nur durch einen solchen Dialog kann man sich auch auf eine Verfassungsreform, einen wirklich demokratischen Prozess und auf freie, gleiche, faire, geheime Wahlen unter Beobachtung der OSZE verständigen. Mit einem vorausgehenden Dialog kann erreicht werden, dass das dann festgestellte Ergebnis von allen akzeptiert wird. ({4}) Der Antrag der Koalition und der Grünen enthält viel Vernünftiges und Richtiges. Gegen eine Forderung haben wir jedoch Bedenken; eine andere lehnen wir ab. Sie wollen Sanktionen gegen Personen ausweiten und glauben, dass diese Personen dann nachgeben? Ich glaube, dass Sie deren Position dadurch nur verhärten; sie haben immer weniger zu verlieren. Ferner fordern Sie Geldzuwendungen an verschiedene zivilgesellschaftliche Einrichtungen in Belarus. Das ist gefährlich, weil sowohl die Regierung in Belarus als auch die Regierung in Moskau dies als indirekte Intervention deuten könnten. ({5}) Genau diesen Weg sollten wir nicht gehen. ({6}) Wir brauchen dringend Gespräche auch mit Moskau, die wichtig für eine Lösung der Probleme in Minsk sind. Dazu braucht man allerdings ein deutlich besseres Verhältnis zu Russland, als es die Regierung hat. Mit „besser“ meine ich keineswegs unkritisch, aber auf einer gegenseitigen Vertrauensbasis. Dieses Vertrauen fehlt gegenwärtig. ({7}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir sollten gemeinsam für ein demokratisches, freiheitliches, sozial gerechtes und ökologisch nachhaltiges Belarus streiten. Danke schön. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gregor Gysi. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Manuel Sarrazin. ({0})

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Situationen, in denen es wichtig ist, zu wissen, auf welcher Seite man steht: nicht blind, unkritisch und unausgewogen, sondern in Abwägung der Folgen einer solchen Entscheidung. Am Ende, Herr Gysi, muss man wissen, auf welcher Seite man stehen will. ({0}) So ist das jetzt in Belarus. Es gibt diese Situation für die Bürgerinnen und Bürger in Belarus, für die Menschen, für die mit dieser Entscheidung eine Gefahr für sich, ihre Familien und ihre Freunde einhergeht. Diese Väter und Mütter, Ehefrauen und Ehemänner haben sich entschieden. Aber es gibt auch Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen. Das ist passiert in Belarus und auch in Moskau; Herr Gysi, Sie wollten mit denen noch reden. Die Repressionsorgane des Staates haben sich entschieden. Die russische Regierung hat sich entschieden, auf wessen Seite sie steht. Wir sehen jeden Tag, was diese Entscheidung bedeutet: Gewalt, Folter, Vergewaltigung, Angst und Erpressung, Wahlbetrug, Korruption. Ich bin sehr, sehr froh, dass heute von diesem Haus ein starkes Zeichen ausgeht, dass wir uns entschieden haben, auf welcher Seite wir stehen. ({1}) Dieses gemeinsame Zeichen der Demokraten – das ist die Stärke von Europa und auch von Deutschland. Das wird gebraucht. Ich weiß, auf welcher Seite ich stehe, so wie viele Kolleginnen und Kollegen aus fast allen Fraktionen das auch wissen. Ich stehe auf der Seite und an der Seite von Ihar Losik; ich bin sein Pate im Rahmen des Patenschaftsprogramms von Libereco. Er hat eine Frau und ein kleines Kind. Ich muss an seiner Seite stehen. Seine Frau berichtete, dass sie befürchtet, dass in Schodsina, in der Untersuchungshaftanstalt in der Uliza Sowjetskaja 22 a – der Name ist Programm –, seine Zelle zum Teil so gestaltet sei, dass er nur sitzen oder stehen könne, aber nicht liegen. Deswegen stehe ich an seiner Seite. Er hat sich eingesetzt für Demokratie und Freiheit, für freie und faire Wahlen, für Transparenz und gegen Korruption. Wir befürchten, dass er in dieser Haftanstalt psychisch und physisch gefoltert wird, um auf diese Weise Falschaussagen von ihm zu erhalten, die andere Menschen in Haft bringen, die sich einsetzen für Freiheit und Demokratie. Wir stehen an der Seite von Ihar und all den anderen mutigen Demonstrantinnen und politischen Häftlingen in Belarus – wir gemeinsam! Dafür vielen Dank. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten bei manchen Formulierungen mehr gewollt, als in diesem Antrag enthalten ist: bei den Visa, bei der Benennung der Rolle Russlands. Aber darum geht es heute nicht. Es geht darum, dass wir sagen: Europa endet nicht an den Grenzen der Europäischen Union. 1950 sprach Robert Schuman von der Solidarität der Tat, aus der Europa entsteht. Diese Solidarität endet für uns im Bundestag nicht an den Grenzen der Europäischen Union. Lassen Sie uns diese Solidarität der Tat mit dem vorliegenden Antrag und mit dem anschließenden Verfahren im Haushaltsausschuss und der Umsetzung durch die Bundesregierung für Belarus wahr werden lassen. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Manuel Sarrazin. – Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion: Gabriela Heinrich. ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr fast drei Monaten protestieren Hunderttausende in ganz Belarus friedlich für ihre Grundrechte, für demokratische Teilhabe, für Meinungs- und für Pressefreiheit. Sie lassen sich bisher von Drohungen, Repressionen, willkürlichen Verhaftungen und der Pandemie nicht aufhalten. Tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ihre Arbeit niedergelegt und gestreikt. Ich habe größten Respekt vor diesem Mut. ({0}) Das Gesicht der Opposition ist oft weiblich. Ursprünglich wollten hauptsächlich Männer gegen Präsident Lukaschenka antreten. Sie wurden festgenommen oder mussten fliehen. Total unterschätzt, sind stattdessen die Frauen in den Vordergrund getreten: als Symbol der Opposition Swetlana Tichanowskaja, die vielen als eigentliche Wahlsiegerin gilt. Heute, drei Monate nach den Wahlen, sind viele mutige Männer und Frauen im Exil oder in Gefangenschaft. Die Gewalt gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten wird wieder sehr viel stärker. Was auf den Straßen in Belarus gefordert wird, sollte selbstverständlich sein: die Freilassung aller politischen Gefangenen, freie und faire Neuwahlen unter internationaler Wahlbeobachtung und eine Verfassungsreform, die die Macht des Präsidenten einschränkt. Diese Forderungen teilen wir mit unserem Antrag. Das Lukaschenka-Regime hat sich selbst und das Land in eine Sackgasse manövriert. Belarus braucht einen echten Neustart, um wieder voranzukommen. Der Weg nach vorne muss ein Weg des Dialogs sein. Hierfür gibt es gute und erprobte multilaterale Formate, die es zu nutzen gilt. Die OSZE sollte eine Schlüsselrolle einnehmen und einen Dialog zwischen allen Seiten in Belarus vermitteln und begleiten. Damit dieser Dialog gelingen kann, müssen aber auch die Berichte über Menschenrechtsverletzungen aufgearbeitet werden. Das kann im Rahmen der OSZE geschehen oder mit einem Mandat der Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen. ({1}) Auch der Europarat kann und sollte hier mitwirken. Die heute unter anderem von der Europäischen Union auf den Weg gebrachten Sanktionen gegen Aljaksandr Lukaschenka begrüßen wir ausdrücklich. Sie sind ein weiteres wichtiges Signal. ({2}) Meine Damen und Herren, die Proteste und die Gewalt in Belarus gehen auch uns etwas an. Die Demonstrantinnen und Demonstranten brauchen Unterstützung und Solidarität. Der Weg nach vorn ist kein Weg der Repressionen und Gewalt; er kann es nicht sein. Nur ein Dialog auf Augenhöhe mit der Zivilgesellschaft kann den Erfolg bringen. Dafür treten wir als SPD-Bundestagsfraktion ein, und dafür steht auch der vorliegende Antrag. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank Gabriela Heinrich. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Elisabeth Motschmann. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sarrazin, auch ich weiß ganz genau, an wessen Seite ich stehe, nämlich an der Seite dieser unglaublich tapferen Frauen, die sich an die Spitze der Demonstrationen gestellt haben. ({0}) Und es beeindruckt mich wirklich, dass sie unermüdlich weiter demonstrieren, um das Unrecht immer wieder zu benennen, und noch nicht aufgegeben haben. Was ist der Grund ihrer Demonstrationen? Wir haben es genannt: faire und freie Wahlen, die Freilassung aller politischen Gefangenen. Sie fordern Demokratie und Menschenrechte, sie fordern den Rücktritt des unrechtmäßigen Präsidenten Lukaschenka. Das sind doch völlig nachvollziehbare, richtige und plausible Forderungen. ({1}) Natürlich stehen wir hier in diesem Haus an der Seite des belarussischen Volkes, das diese Demonstrationen immer wieder organisiert. Lukaschenka unterdrückt die Proteste mit brutalen Mitteln. Das ist hier angeklungen; Frau Kollegin Hendricks hat es gesagt. 15 000 Menschen wurden festgenommen. Die Medien berichten von schwerverletzten Demonstranten, von mehreren Toten, von schweren Misshandlungen und auch über 500 Fällen von Folter. Wie gut, dass man sich das vonseiten des Volkes nicht weiter gefallen lässt. Ich finde das großartig. ({2}) Natürlich ist Swetlana Tichanowskaja eine tolle Frau. Aber was ich bedaure, ist, dass sie noch nicht bereit ist, selbst zu kandidieren. Sie ist doch das Gesicht der Demonstrationen. Sie ist doch inzwischen in der ganzen Welt bekannt. Es wäre gut, wenn sie nicht wieder hinter ihren Mann zurückträte. ({3}) – Das sollten wir Frauen grundsätzlich nicht tun, Kollege Gysi. Das haben wir inzwischen gelernt. ({4}) Die belarussische Führung missachtet nicht nur grundlegende Menschenrechte und Gesetze des eigenen Landes, sondern auch eine Reihe von Erklärungen, die sie selber auf internationaler Ebene mit unterzeichnet hat, und das kann uns nicht gleichgültig sein. Deshalb ist richtig, was hier angeklungen ist, nämlich dass nun auch Lukaschenka auf die Liste der Personen gesetzt worden ist, die nicht mehr in unser Land oder nach Europa kommen können. Wir können den Demonstranten keine Ratschläge geben. Aber wir müssen ein starkes Signal senden; das ist ja hier schon angeklungen. Deshalb rufe ich den Demonstranten zu: Es ist richtig, gegen die Gewalt der Regierung und des Präsidenten zu demonstrieren! Es ist richtig, zu fordern, die politischen Gefangenen freizulassen. Es ist natürlich richtig, freie und faire Neuwahlen zu fordern. – Natürlich müssen wir auch die Zivilgesellschaft finanziell unterstützen. Das ist ja das, was wir können. Aber klar ist auch: Wie ihr innenpolitischer Weg in Zukunft sein wird, muss die belarussische Gesellschaft selber definieren. Als medienpolitische Sprecherin kann ich nur begrüßen, dass die Deutsche Welle bereit ist, sich in Belarus stärker zu engagieren. Das war übrigens ein Vorschlag von Swetlana Tichanowskaja – inzwischen kann ich den Namen –; sie hat darum sehr gebeten, und ich finde das richtig. Wir sind da mit der Deutschen Welle im Gespräch. Ich hoffe, dass das auch geschieht, und zwar schnell. Es nützt nichts, wenn das erst in zwei oder drei Monaten passiert. Wir müssen da helfen. Belarus braucht eine unabhängige Stimme, unabhängige Informationen und darf nicht nur mit Propaganda von Lukaschenka oder auch Putin zugedröhnt werden. Die russischen Sender sind ja sehr aktiv, Kollege Gysi. Mir fehlt jedes Vertrauen in den Präsidenten Russlands. Deshalb verstehe ich auch nicht, wie Sie hier eine vertrauensvolle Zusammenarbeit fordern können. Wie das geht, müssen Sie mir mal erklären.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut. Aber nicht jetzt.

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Jetzt ist es auch gut. ({0}) Ich bin auch am Ende, Frau Präsidentin. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. – Letzter Redner in dieser Debatte: Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist in Aufruhr, und die Demokratie wird vielerorts mit Füßen getreten. Jeden Tag müssen wir Meldungen hinnehmen – übrigens heute ganz aktuell zu den Wahlen in den Vereinigten Staaten –, die uns große Sorgen machen, so auch aus Belarus. Seit der Präsidentschaftswahl am 9. August werden hier eklatante Menschenrechtsverletzungen vorgenommen: Wahlbetrug, Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, massenhafte Verhaftungen und Folter ohne Rechtsgrundlage, Gewalt gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen das nicht unkommentiert lassen, und wir dürfen das auch nicht ignorieren. Wir müssen gemeinsam aufstehen für Demokratie und für Rechtsstaatlichkeit, gerade auch als deutsches Parlament. Deswegen bin ich heute dankbar, dass wir den gemeinsamen Antrag der CDU/CSU, der SPD und der Grünen heute hier zur Abstimmung stellen. ({0}) Die Zahl der Festgenommenen in Belarus stieg auf über 16 000. Heute kam die Meldung, dass Studentinnen und Studenten, die am Wochenende an den Protesten teilgenommen haben, exmatrikuliert wurden. Das erinnert an die dunkelste Zeit der Geschichte. Doch das belarussische Volk gibt nicht auf. Der Mut der Belarussinnen und Belarussen ist beeindruckend und verdient höchsten Respekt. Wir können von hier aus noch mal sagen: Wir stehen als deutsches Parlament an Ihrer Seite! ({1}) Eines ist klar: Wenn ein Regime, um an der Macht zu bleiben, Gewalt auf offener Straße zulässt, seine Bürgerinnen und Bürger verhaftet und diese in den Gefängnissen foltern lässt, dann hat dieses Regime längst verloren. Wir wollen heute noch einmal aus diesem Bundestag klarstellen: Wahlfälscher dürfen niemals Wahlsieger sein! Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl erkennen wir nicht an. ({2}) Wir begrüßen die am 2. Oktober durch den Rat der Europäischen Union beschlossenen restriktiven Maßnahmen, ebenso die heute in Aussicht gestellten Maßnahmen. Das Land braucht eine Verfassungsreform, damit die Macht Einzelner eingeschränkt wird und die Rechte des Parlaments gestärkt werden. Das belarussische Volk muss in die Lage versetzt werden, über seine Zukunft selbst zu entscheiden. Deswegen fordern wir ein Ende der Gewalt, die Freilassung aller politischen Gefangenen und faire Neuwahlen mit internationaler Wahlbeobachtung. ({3}) Ich darf am Ende unseren ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zitieren: Ohne Demokratie kann es keinen dauerhaften Frieden geben ... Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns weiter gemeinsam für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, um Frieden zu schaffen. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sebastian Brehm. – Damit schließe ich die Aussprache.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe sehr gut, dass die Präsidentin bei dem Titel dieses Antrags, der heute vorliegt, stockt; denn die Abschaffung des Pariser Klimaschutzübereinkommens zu fordern, ist schon frivol. ({0}) Insofern sei mir gestattet, ein paar die Demokratie in den Blick nehmende Punkte voranzustellen. Ich finde es immer wieder erschütternd, dass sich hier eine Fraktion herausnimmt, Dinge zur Abstimmung und Beratung zu stellen, die auf einem breiten Konsens von Staaten und von Bevölkerungen in diesen jeweiligen Staaten basieren und schon eine jahrzehntelange Auseinandersetzung in der Klimaschutzpolitik hinter sich haben. Dennoch meinen Sie von der AfD, man könnte das Übereinkommen mit einem Federstrich kündigen, es einfach verlassen. Wenn man sich mal vergegenwärtigt, was für ein Politikverständnis dahinterstecken muss, dann kann das eigentlich nur auf Geschichtsvergessenheit basieren, auf Leugnung von Fakten, auf einem Egalsein gegenüber Einigungsprozessen von Gesellschaften. Es ist eigentlich ein Frontalangriff gegen jedwedes demokratisches Arbeiten von Gesellschaften. Insofern finde ich es auch nicht verwunderlich, dass Sie sich in Ihrem Antrag in dieser klimaverleugnenden Haltung sogar übertreffen, indem Sie die Existenz des Abkommens, das Sie mit diesem Antrag abschaffen wollen, auch noch leugnen. ({1}) Das ist wirklich der Gipfel der Tatsachenleugnung, die uns in diesem Themenkomplex je vorgekommen ist; in den anderen ist es aber leider auch nicht besser. Ich möchte jetzt zunächst zu den Fakten kommen, die begründen, warum wir dringend Klimaschutzpolitik brauchen. Aber ich möchte hinterher auch noch zu den anderen Gründen kommen, derentwegen wir zu den gleichen Konsequenzen kommen müssten wie aus Klimaschutzgründen, nämlich zur Friedenspolitik und zur Verknappung der fossilen Ressourcen. Aber die Klimaschutzpolitik für sich genommen verlangt, dass wir handeln, selbst wenn nicht hundert Prozent der Wissenschaftler dieser Meinung sind. Es gibt tatsächlich immer wieder welche, die nicht wahrhaben wollen, welche Bedrohung für die Bevölkerung mit dem Klimawandel einhergeht: millionenfach Klimaflüchtlinge, Anstieg der Meeresspiegel, Erderwärmung, die auch Ernteschäden nach sich zieht; ich muss, glaube ich, nicht alles erneut aufzählen. Glauben Sie denn wirklich, dass dieser geringe Prozentsatz an Wissenschaftlern eine ausreichende Basis bietet, die gesamte Weltbevölkerung auf den Weg zu führen: „Ab in den Untergang!“? Das ist einfach nicht verantwortbar. ({2}) Die Fakten sagen übrigens, dass wir es uns auch rein ökonomisch überhaupt nicht leisten können, den Umstieg auf erneuerbare Energien und eine Klimaschutzpolitik nicht zu vollziehen. Es ist so, dass wir in Deutschland – es ist schon weniger geworden – immer noch 63 Milliarden Euro jährlich nur für den Import von fossilen Ressourcen ausgeben. Damit ist noch keine Kilowattstunde Strom gewonnen; wir geben das nur für den Import von Ressourcen aus. In ganz Europa sind es über 400 Milliarden Euro. Wenn Sie meinen, dass man diese Klimaschutzpolitik nicht bräuchte, dann verleugnen Sie, dass wir einen ökonomischen Handlungsbedarf haben, genau von diesen Abhängigkeiten wegzukommen. Das alles muss ja volkswirtschaftlich erbracht werden. Natürlich ist es irgendwo eingepreist, wenn auch leider nicht im Strompreis – die klimaschädlichen Subventionen belaufen sich auf 57 Milliarden Euro jährlich –; aber es gibt die Kostentragungspflicht der Gesellschaft. Das ist anderswo verortet, aber es ist eingepreist. Es ist nichts umsonst in der Klimapolitik. Es ist eine Last für die Bevölkerung und für die nachfolgende Generation, dies alles zu tragen. Diese 63 Milliarden Euro machen 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Um kurz einen Vergleich aufzuzeigen: Die gesamte sozialökologische Transformation, die vor uns liegt, inklusive Klimaschutzmaßnahmen und Energiewendepolitik, würde uns laut Berechnungen bis 2050  2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten. Das ist also nicht besonders viel mehr als das, was wir jetzt jährlich allein für den Import von fossilen Ressourcen ausgeben. Jetzt möchte ich zu den Punkten kommen, die ich anfangs schon angebracht habe. Selbst wenn die Klimaschutznotwendigkeit nicht bestünde, verweisen die Zahlen, die ich gerade erwähnt habe, auf ein anderes Themenfeld: auf die Abhängigkeit von Ressourcen, die bei einer ansteigenden Weltbevölkerung, aber auch ohne deren Anstieg immer knapper werden. Wenn wir endliche Ressourcen immer weiter verbrauchen, dann ist doch klar, dass sie irgendwann zu Ende sind. Und was droht uns dann? Woher sollen wir als Weltbevölkerung denn dann unsere Energie bekommen? Darauf haben Sie überhaupt keine Antwort. ({3}) Wenn wir sehen, dass es in Deutschland innerhalb von 20 Jahren aufgrund kluger gesetzlicher Rahmenbedingungen gelungen ist, schon 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen – es hat allerdings 20 Jahre gedauert –, wann wollen Sie denn dann umsteigen? Wenn Sie alle Maßnahmen ins Klo werfen wollen und wir hinterher irgendwann eine Verknappung haben, was wollen Sie denn dann für eine Antwort geben? Sie steuern die Weltgesellschaft und Deutschland – fangen wir mal mit den kleinen Brötchen, die Sie hier backen, an – mit der Klimaverleugnungspolitik, die Sie betreiben, in ein Chaos. Das kann man nur aufs Schärfste ablehnen, und das tun wir an dieser Stelle auch bei Ihrem Antrag. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Nina Scheer. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Karsten Hilse. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern wählten die US-Amerikaner ihren Präsidenten. Sollte Mister Trump gewinnen, sind die Vereinigten Staaten raus aus der Pariser Klimaübereinkunft. Andere Staaten, zumindest die, deren Geld durch die Pariser Klimaübereinkunft in der ganzen Welt verteilt werden soll, werden folgen. Irgendwann landet dieses Umverteilungsprogramm dort, wo es von Anfang an hingehörte: auf dem Müllhaufen der Geschichte. ({0}) Würde Präsident Trump die Wahl verlieren, wäre das sehr schlecht für die USA, aber vor allem auch für uns alle in Deutschland und im Rest der freien Welt. Erklärtermaßen würde dann Sleepy Joe den Ausstieg aus der Pariser Klimaübereinkunft rückgängig machen und – noch viel drastischer – den Green New Deal der Sozialisten in den USA, die sich als Demokraten tarnen, ({1}) schnellstmöglich umsetzen. Der geht in einigen wichtigen Positionen weit über die verheerenden Zerstörungsideen vom Green Deal der Ursula von der Leyen und ihres Stellvertreters, des glühenden Sozialisten Timmermans, hinaus. Letztendlich aber laufen beide Pläne auf die große Transformation – neuerdings „Great Reset“ genannt – des Weltwirtschaftsforums hinaus, die Frau Merkel noch im Januar dieses Jahres in Davos ausdrücklich begrüßt hat. Und das sieht nichts anderes vor, als den Sozialismus weltweit mittels einer zu errichtenden Ökodiktatur wieder einzuführen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Entschuldigung, Herr Hilse! Dürfte ich Sie bitten, das Jackett zuzuknöpfen. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Aber natürlich.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie wissen ganz genau, warum. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir keine Parolen auf T-Shirts oder anderen Kleidungsstücken in die Kamera halten, und das gilt auch für Sie. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich bitte um Entschuldigung.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, das wissen Sie ganz genau. Deswegen: Jackett bitte zumachen!

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Habe ich gerade getan. – Dass diese Leute dazu mithilfe der Kanzlerin die Coronapanikkrise als hilfreiches Werkzeug nutzen wollen, ist nicht nur durch die Aussage von Herrn Schäuble bekannt, sondern wird ganz offiziell auf der EU-Webseite verkündet. Und wenn Kollegin Scheer uns, die wir uns gegen die Versuche, eine Ökodiktatur durch die Hintertür einzuführen, wehren, ({0}) von vornherein die Diskussionswürdigkeit abspricht, weil wir ja Klimawandelleugner seien, dann zeigen Sie und große Teile dieses Hauses einmal mehr, dass Sie entweder nicht verstanden haben, welche Pläne hier verwirklicht werden sollen, oder aber diese Pläne unterstützen. ({1}) Noch einmal für alle, mit all dem nötigen Respekt für all diejenigen, die offensichtlich eine eingeschränkte Fähigkeit zum Denken und zum Verarbeiten des hier schon zigmal Gehörten oder die einfach nur viel Pech beim Nachdenken haben: Wir und viele Wissenschaftler weltweit leugnen den Klimawandel nicht. Er ist ein natürliches Phänomen seit Hunderten Millionen von Jahren. Alle geologischen Daten beweisen, dass CO2 in der Erdgeschichte noch nie eine entscheidende Rolle bei Klimaschwankungen spielte. Deswegen wollen wir von Ihnen Beweise oder wenigstens Belege, dass die menschengemachten CO2-Emissionen einen maßgeblichen Einfluss auf das Klima haben. Diese Belege können Sie nicht liefern. Trotzdem ruinieren Sie unsere Wirtschaft, treiben Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit und damit in die Armut. ({2}) Grundlage dieses Eifers sind die für alle verheerenden Pariser Beschlüsse. Diese basieren auf den Weltuntergangsfantasien falscher Propheten, angefangen vom Club of Rome über Herrn Schellnhuber und Herrn Quaschning bis hin zu einem bedauernswerten Mädchen, das CO2 mit bloßem Auge sehen kann und deshalb ruft: Ich will, dass ihr Panik spürt. ({3}) Um die Zerstörung dieser unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft zu beschleunigen, wurde ein Katalysator gefunden: Ein Virus und die von ihm ausgelöste Krankheit, von der selbst die WHO mittlerweile sagt, sie sei mit einer mittelschweren Grippe vergleichbar, wird zur Panikverbreitung benutzt, um in ihrem Schatten all die Dinge umzusetzen, die Sie sich schon lange auf die Fahne geschrieben haben, unter anderem das Auslöschen der Nationalstaaten in Europa. Auch hier werden Kritiker verleumdet, als Leugner, Verschwörungstheoretiker diffamiert. Auch hier schiebt man die ins Rampenlicht, die am lautesten schreien: Wir werden alle sterben. – Millionen arbeitslos – egal. Die Existenzen Zehntausender Gastwirte, Hoteliers und anderer Selbstständigen – vollkommen egal. Bei der Coronapanik geht es nicht um die Gesundheit der Bürger und beim Pariser Klimaübereinkommen nicht um das Klima. ({4}) Ist eigentlich schon irgendjemandem aufgefallen, dass kaum jemand außerhalb der EU sich an die Beschlüsse dieser Übereinkunft gebunden fühlt? Nur die USA unter dem „bösen“ Trump und die „gute“ EU senken ihre Emissionen etwas; allen anderen ist das Abkommen vollkommen egal. Die USA sind raus. Wir sollten ihnen zumindest in dieser Frage folgen, und zwar jetzt, damit unsere Kinder und Kindeskinder nicht morgen total verarmt, dafür aber in einer Ökodiktatur aufwachen. 70 Jahre sozialistische Diktatur mit über 100 Millionen Toten sollten eigentlich genug sein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Anja Weisgerber. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser Rede muss ich erst mal wieder die Fakten sprechen lassen. ({0}) Der Antrag der AfD veranlasst mich zu der Frage: Laufen Sie eigentlich mit offenen Augen durch die Welt? ({1}) Schauen Sie sich eigentlich die Fakten an? ({2}) Die Auswirkungen des Klimawandels sind schon heute massiv spürbar: Waldbrände in den USA, Australien und Sibirien, Dürresommer in Deutschland in den letzten Jahren, Extremwetterereignisse in der ganzen Welt. Der Klimawandel findet statt. Das leugnet die AfD ja nicht mal. Sie sind nur der Meinung: Der Mensch hat überhaupt keinen Einfluss auf diesen Klimawandel. – Teilweise sagen Mitglieder Ihrer Fraktion auch: Er hat ein bisschen Einfluss auf den Klimawandel, aber keinen signifikanten. – Entscheiden Sie sich doch mal, was Sache ist. Sie sind die einzige Fraktion in diesem Deutschen Bundestag, die behauptet, dass der Klimawandel nicht menschengemacht ist. Ich frage mich, wer die Fakten kennt und seine Argumentation auf diese Fakten gründet. Sie sicher nicht, meine Damen und Herren. ({3}) Zu den Fakten. Wetter ist nicht gleich Klima; ja, das stimmt. Aber Folgendes muss doch auch Sie aufhorchen lassen: Die Eiszeit dauerte 5 000 Jahre. Alle 1 000 Jahre erwärmte sich das Klima um 1 Grad – alle 1 000 Jahre! Heute findet dieser Temperaturanstieg schon binnen 100 Jahren statt. Und etwa zwei Drittel der Erderwärmung fallen auf die Jahre nach 1979. Dies zeigt: Der Klimawandel ist auch menschengemacht; das ist Fakt. Denken Sie bei Ihrer Argumentation eigentlich auch an Ihre Kinder, an die nachfolgenden Generationen? ({4}) Ich frage mich das. Anscheinend machen Sie das nicht, meine Damen und Herren. ({5}) Wenn wir die Erderwärmung nicht nur auf 2 Grad, sondern sogar auf 1,5 Grad begrenzen, steigt der Meeresspiegel um einen halben Meter an. Inselstaaten sind vom Untergang bedroht: die Marshallinseln, die Fidschiinseln, Kiribati, Tuvalu im Pazifischen Ozean. Wenn man hört, wie verzweifelt die Vertreter dieser Staaten bei den Klimakonferenzen im Plenum reden, dann merkt man, wie bedrohlich die Situation für diese Inselstaaten ist. Der Klimawandel wird auch die Migration weiter erhöhen; auch das dürfte Sie interessieren. Wenn wir das 2-Grad-Ziel nicht erreichen, werden sich Millionen Menschen auf die Flucht begeben, haben wir Millionen Klimaflüchtlinge mehr, weil sich zum Beispiel in Afrika die Dürrezonen ausbreiten und noch stärkere Hitzeperioden entstehen. Dessen müssen auch Sie sich bewusst sein. Ein Sechstel der Erdoberfläche sind Permafrostgebiete. Permafrostböden, zum Beispiel in Sibirien, Kanada oder Alaska, enthalten zwischen 1 300 und 1 600 Gigatonnen Kohlenstoff in Form von CO2 und Methan. Die ganze Erdatmosphäre enthält 800 Gigatonnen Kohlenstoff. Das ist die Hälfte dessen, was aus den Permafrostböden noch in die Atmosphäre gelangen kann. Also: Das Doppelte kann aus den Permafrostböden in die Atmosphäre gelangen. Das Abtauen dieser Permafrostböden kann zur Überschreitung des Kipppunktes im globalen Klimasystem führen. Ein Kipppunkt ist ein sensibler Punkt im Klimasystem, an dem jedes Kilogramm, sogar jedes Gramm CO2 das Fass zum Überlaufen bringen kann. Lassen Sie es nicht so weit kommen. Diese Rückkopplungseffekte müssen wir vermeiden. Wir müssen dem Klimawandel entgegenwirken, weltweit. Deswegen ist der Ausstieg aus dem Klimaabkommen, den Sie hier jetzt als den richtigen Weg propagieren, genau der falsche Weg, meine Damen und Herren. ({6}) Warum ist es der falsche Weg? Es wäre unlogisch; es wäre das falsche Signal. Denn das Pariser Klimaabkommen von 2015 war ein großer Erfolg. Ich war damals in Paris mit dabei, und wir waren alle stolz, dass sich fast 200 Staaten der Welt auf ein einheitliches Klimaabkommen mit Nationally Determined Contributions, NDCs, also mit nationalen verbindlichen Klimazielen, geeinigt haben. Jeder hat sich dazu verpflichtet, damals auch die USA unter Obama. Und ganz schnell haben die Staaten das auch ratifiziert. Dieses Klimaabkommen ist also auch noch innerhalb von wenigen Monaten in Kraft getreten. Das ist ein Riesenerfolg! Kyoto war kein Erfolg mehr; da waren nur noch 37 Staaten dabei.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung der Kollegin Dr. Nestle?

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben jetzt lange darüber gesprochen, wie dringend es ist, etwas gegen die Klimakrise zu tun, und dass wir dringend internationale Abkommen brauchen. Aber dazu gehört auch, dass man selbst zu Hause liefert. ({0}) Genau jetzt diskutieren wir ein anderes Gesetz, das das Kernstück der Energiewende ist, nämlich das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie selbst wissen genau, dass wir ohne den Zubau der Erneuerbaren in keinem Sektor Erfolg haben werden – weder bei der Wärme, noch im Verkehr, schon gar nicht beim Wasserstoff, den auch Ihre Partei immer so vehement fordert. Deshalb frage ich Sie: Wie passt das zusammen, dass Sie hier eine glühende Rede für den Klimaschutz halten, aber im EEG überhaupt keinen Strom aus erneuerbaren Energiequellen für die Sektorkopplung, für Wasserstoff eingeplant haben? Warum gehen Sie davon aus, dass der Stromverbrauch zurückgeht und nicht für die anderen Sektoren zur Verfügung steht? Warum haben Sie einfach 3 Gigawatt Windstrom aus dem Gesetz gestrichen, die eigentlich nachgeholt werden müssten? Warum sorgen Sie nicht für den Zubau der erneuerbaren Energien, den wir bräuchten; denn sonst sind das alles nichts als leere Worte. Bevor Sie jetzt wieder damit kommen, Baden-Württemberg habe auch nicht zugebaut: Bis 2017 lief der Zubau in Baden-Württemberg sehr gut – bis die Bundesgesetze verhindert haben, dass der Zubau weitergehen konnte, weil es keine Zuschläge mehr gab. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Dr. Weisgerber.

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erst einmal möchte ich aus Überzeugung sagen, dass wir liefern. Wir haben ein Klimakonzept vorgelegt, dass es so in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat, übrigens auch nicht unter Rot-Grün, mit drei Elementen: der Bepreisung, über 70 Maßnahmen, um auf Klimainnovationen zu setzen, und einem Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Klimazielen, die auch Sie gefordert haben. Ja, wir diskutieren gerade das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz sind bezüglich des Klimaschutzes zum Beispiel bei den Ausbauzielen viele Fortschritte enthalten. Zum Beispiel ist das Thema EEG-Umlage-Befreiung für Grünen Wasserstoff in diesem Gesetz enthalten. Wir haben Hürden abgebaut, was zum Beispiel die Nutzung von Photovoltaikanlagen angeht. Hier soll beim Eigenverbrauch die 10-kWp-Grenze auf 20 kWp angehoben werden. Wir kämpfen jetzt im Gesetzgebungsverfahren dafür, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energie noch weiter anreizen, bürokratische Hürden abbauen und die Bürger stärker einbeziehen. Deswegen ist es richtig, dass wir im Windbereich die Akzeptanz der Menschen erhöhen, indem wir die Standortkommunen beteiligen. Auch dazu sind Elemente im Gesetzentwurf enthalten. Außerdem muss ich Ihnen sagen: Ich bin da ganz entspannt. Wir sind jetzt im Gesetzgebungsverfahren. Wir werden dieses Gesetz noch entscheidend verbessern. Wir haben in der nächsten Sitzungswoche die Anhörung im Ausschuss. Wir bringen uns auch im Kreis der Klimapolitiker sehr konstruktiv in diese Diskussion ein. Sie können sicher sein, dass wir am Ende auch ein gutes EEG haben werden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut, danke schön. – Dann geht es weiter in Ihrer Rede.

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir brauchen alle Staaten der Welt. Mit dem Pariser Klimaabkommen ist auch die Trennung zwischen den Industrienationen und den Entwicklungs- und Schwellenländern aufgehoben worden. Wir werden unsere Klimaziele nicht erreichen, wenn die Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Wirtschaft nicht von Anfang an klimafreundlich aufbauen. Wir brauchen die Klimaabkommen auch deswegen, damit diese Staaten mitgenommen werden und damit wir, wenn wir in diesen Staaten investieren, dies auf unsere Klimaziele angerechnet bekommen. Denn bei einem haben Sie recht: Allein in Deutschland können wir dem Klimawandel nicht begegnen. Wir brauchen alle Staaten der Welt. Deswegen brauchen wir auch internationale Abkommen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Anja Weisgerber. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Lukas Köhler. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Klimawandel ist sicherlich eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung, vor der wir gerade stehen. Er ist gleichzeitig auch eine der größten Chancen, die wir haben. Das erste Mal in der Geschichte der Menschheit stehen wir vor einem globalen Problem, vor einem internationalen Problem, das wir auch nur international und gemeinsam lösen können. Und das erste Mal in der Geschichte der Menschheit können wir heute – das ist das Spannende für uns Politikerinnen und Politiker – die Rahmen so bestimmen, dass Wirtschaft in Zukunft von Wachstum geprägt ist, das auf billiger, nichtfossiler Energie basiert. Das ist eigentlich eine supertolle Herausforderung. Es ist eine supertolle Chance, dass wir jetzt gemeinsam – ab heute nicht mehr mit den USA – mit allen Staaten der Welt darüber diskutieren können, wie wir die Welt der Zukunft gestalten. Das ist eigentlich das, weshalb ich mal angetreten bin, warum ich hier bin: um die Welt zu verändern und zu verbessern. – Ich glaube, dass uns das gelingen kann. Wir haben heute allerdings den Antrag der AfD auf den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen vorliegen. Es ist folgerichtig, dass Sie das fordern. Es ist allerdings entweder geprägt von einer boshaften Unkenntnis der Situation oder von einer kindlichen Naivität, wie internationale Verhandlungen ablaufen. ({0}) – Beides ist schlimm; das ist richtig. – Aber, ich glaube, man kann das relativ gut klarmachen. Punkt eins: die Unkenntnis über wirtschaftliche Zusammenhänge. Natürlich sind Investitionen in Zukunftstechnologie, in Wasserstoff, in Innovation, in die Verbindung von Wettbewerb und Klimaschutz das, was uns vorwärtsbringt, und das, was zu massivem Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren und Jahrzehnten geführt hat. Und was wollen Sie tun? Sie hatten zwar noch ein paar andere Anträge gestellt, aber mit diesem Antrag wollen Sie alle Maßnahmen, die aufgrund des Pariser Abkommens getroffen werden, killen. Das wären zum Beispiel die Energieeffizienzrichtlinie der Europäischen Union, die Förderprogramme für Wasserstoff und die Förderprogramme, die wir für neue Innovationen aufgelegt haben. All das wollen Sie beenden. Das zeigt meiner Meinung nach eine völlige Unkenntnis ökonomischer Zusammenhänge, die sich da Bahn bricht. ({1}) Punkt zwei: eine kindliche Unwissenheit, der man zumindest bei Trump gewahr wird. Und zwar bedeutet der Ausstieg aus dem Pariser Abkommen nicht, dass das Pariser Abkommen beendet ist, sondern er bedeutet, dass nunmehr andere Länder über die Geschicke der Welt miteinander verhandeln. Ich weiß nicht, ob Sie das jemals gelernt haben, aber wenn Sie am Verhandlungstisch sitzen, können Sie die Regeln bestimmen. Und wenn Sie die Regeln nicht mehr bestimmen, dann bestimmen sie andere für Sie; denn die Welt dreht sich weiter, und das haben Sie nicht verstanden, meine Damen und Herren. ({2}) Die Welt dreht sich weiter. Wir sind nicht mehr im Jahr 1930 oder 1950. Die Welt dreht sich weiter. Das ist das, was wir designen können und was wir gemeinsam am Verhandlungstisch designen müssen. Meine Damen und Herren, es ist blanke Unwissenheit, zu sagen, China soll die nächste Führungsrolle übernehmen; denn dann werden wir Probleme damit bekommen, wie diese Regeln designt sind. Deswegen müssen wir als Europäische Union jetzt zusammenstehen, jetzt dafür sorgen, dass das Pariser Abkommen fortschrittlich designt wird und dass die Regeln eingehalten werden. Ich danke Ihnen. Mit uns gibt es Fortschritt, mit der AfD Rückschritt. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Lukas Köhler. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Lorenz Gösta Beutin. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Lukas Köhler, man sollte keinem Irrglauben unterliegen. Ich glaube, es wäre eher eine Beleidigung für Kinder, wenn man bei der AfD von „kindlicher Unwissenheit“ sprechen würde. ({0}) Denn das, was sie machen, ist nicht naiv, es ist nicht dumm, sondern es ist hochgefährlich. Es ist hochgefährlich für unsere Demokratie, und es vergiftet unser Klima – gleich im doppelten Sinne. Der Vorredner der AfD hat beispielsweise – ich zitiere einmal – davon gesprochen, mit dem Klimaschutz wolle man „Sozialismus weltweit“ einführen, man wolle eine „Ökodiktatur“ durchsetzen, es sei eine Diktatur „durch die Hintertür“. Das soll hängenbleiben: Klimaschutz bedeutet Diktatur. – Nein, das Gegenteil: Wir machen hier gemeinsam Klimaschutz, und wir machen das auf demokratischem Wege. Das, was Diktatur, was Verblendung ist, kommt von der rechten Seite. ({1}) Es wird behauptet, das Coronavirus sei erfunden worden, um Panik zu verbreiten, um den Sozialismus dann durch die Hintertür durchsetzen zu können, und das Ziel der deutschen Klimapolitik sei das Auslöschen der Nationalstaaten. „Auslöschen der Nationalstaaten“, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien, ich bitte Sie, einmal ganz deutlich hinzuhören. Was dort gesagt wird, ist die Nazithese, ({2}) die lautet, die deutsche Bundesregierung wolle die deutsche Bevölkerung austauschen, wolle Nationalstaaten abschaffen. ({3}) Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es wird hier im Deutschen Bundestag Naziideologie verbreitet. Die AfD ist eine Gefahr für die Demokratie; sie ist die Partei der systematischen Lüge. An dieser Stelle kann und muss man eigentlich nur sagen: Nazis raus aus den Parlamenten! ({4}) Heute ist – das muss man an dieser Stelle auch sagen – der Jahrestag des Pariser Klimaabkommens, am 4. November 2016 ist es in Kraft getreten. Und heute, vier Jahre später, ist der Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen in Kraft getreten. Die AfD behauptet, dieses Klimaabkommen sei völkerrechtlich nicht verbindlich, und es sei nur irgendein Stück Papier. ({5}) Nein, das ist falsch. Alle Staaten der Welt halten es für völkerrechtlich verbindlich, bekennen sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. ({6}) Wir können und müssen über die Umsetzung diskutieren; aber die völkerrechtliche Verbindlichkeit infrage zu stellen, ist einfach eine dreiste Lüge, und wir sollten dieser Lüge hier im Parlament entgegentreten. ({7}) Deswegen sage ich: Wir brauchen Klimaschutz, er muss sozial gerecht sein; wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Beschäftigten mitnehmen, wir müssen die Gewerkschaften mitnehmen, ({8}) wir müssen die Betriebe mitnehmen, wir müssen die Klimabewegung und die Zivilgesellschaft mitnehmen. Die Braun-Blauen brauchen wir bei diesem Thema nicht. Ihnen haben wir etwas entgegenzusetzen. Vielen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Lorenz Gösta Beutin. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Lisa Badum. ({0})

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen heute einigermaßen fit aus, aber ich habe das Gefühl, dass Sie vielleicht wie ich gestern Nacht vor dem Fernseher waren und die US-Wahlen verfolgt haben, ganz gespannt auf die Hochrechnung und Prognosen gewartet haben. Warum? Sicherlich auch, weil Sie auf eine politische Zeitenwende hoffen oder zumindest etwas Bewegung, die in die internationale Klimapolitik auch kommen muss. Nur manche Ewiggestrige in Deutschland sahen sich an der Seite des bekanntesten Klimawandelleugners der Welt, Donald Trumps, und auch in Sachen Corona sind sie an seiner Seite. Diese Denkweise liegt auch Ihrem Antrag zugrunde. Es ist die Denkweise derer, die versuchen, komplexe Probleme zu leugnen und die Gesellschaft zu spalten, statt Bündnisse zu schmieden. Das ist nicht unser Ziel. Unser Ziel ist – das möchte ich ganz deutlich sagen, gerade heute, am offiziellen Tag des Austritts der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen – die Vorbereitung des Wiedereintritts der USA in dieses Klimaschutzabkommen. ({0}) Vielleicht ist es nächstes Jahr so weit, vielleicht wird es auch noch viel, viel länger dauern; aber ich bin mir sicher, dass die USA zu einer multilateralen Zusammenarbeit zurückkehren, zu einer globalen Solidarität und globalen Vernunft, die wir brauchen, um die Menschheitsaufgabe Klimakrise zu bewältigen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1}) Denn die Realität holt uns ein – Frau Weisgerber hat es auch ausgeführt –: Wir haben im November mittlerweile 20 Grad; hinzu kommen die Waldbrände in Kalifornien und Sibirien, auch bei uns gibt es staubtrockene Wälder, die Permafrostböden tauen auf. Es ist doch allen klar: Für alle Staaten dieser Erde wird die Klimakrise das große Thema der nächsten Jahre sein, zu dieser Erkenntnis kommen auch viele. Aber diese Erkenntnis muss auch dann Bestand haben, wenn es ans Eingemachte geht, wenn es ans Geld geht. Bei der EU-Landwirtschaftspolitik haben wir gesehen, wie das nicht funktioniert hat: Das Gegenteil des Green Deals wurde verabschiedet, Milliardengelder gegen Klimaschutz und gegen Artenschutz verteilt. (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Das ist aber übertrieben! Das muss ein Warnruf an die Bundesregierung sein, sich jetzt nicht zurückzulehnen, sondern zu handeln. Sie haben es doch in der Hand! Sie wissen, dass wir im Dezember ein ambitioniertes Klimaziel bei der UN-Staatengemeinschaft einreichen müssen, und das Klimaschutzgesetz muss im Dezember verabschiedet werden. Während in den USA über die Wahlen und Nachwahlen diskutiert wird, kann und muss Europa jetzt vorangehen. Es ist unsere Zeit. Wir haben doch die Mission „klimaneutrales Europa bis 2050“. Wir können doch die Standards setzen für grüne Technologien in Auto-, Stahl- und Chemieindustrie. Deswegen mein Appell an Sie: Berufen Sie einen Klimasondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs ein! Handeln Sie jetzt und machen Sie den Dezember zum europäischen Klimaschutzmonat! Das ist das, was ansteht. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Lisa Badum. – Letzter Redner in dieser Debatte: Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An diesem Tag, an dem die USA den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen wirksam werden lassen, an diesem Tag, an dem wir erwartungsvoll darauf schauen, ({0}) ob Blau oder Rot in Amerika die Oberhand bekommt und welche Folgen das für das Klimaabkommen hat, an diesem Tag hat die AfD nichts Besseres zu tun, als zu fordern, wir sollten aus diesem Klimaabkommen austreten. Das ist, mit Verlaub gesagt, der Versuch einer Symbolpolitik, die sozusagen alles Schlechte in dieser Diskussion auf einen Punkt bringt. Verehrter Herr Kollege Hilse, wenn Sie reden – das gilt für Ihre Kollegen auch –, geht es Ihnen oft darum, Ihre Botschaft zu irgendetwas loszuwerden, egal zu welchem Thema; in diesem Fall ist es Corona. Lassen wir das einmal beiseite und schauen uns an, wie Sie Ihre Vorstellung eigentlich begründen. Sie fangen damit an, zu sagen: Das Pariser Klimaabkommen hat noch nicht einmal eine Zielvorgabe, nämlich eine Temperatur, die erreicht werden soll. – Sie ignorieren dabei, dass sich die Diskussion um die Frage der Erwärmung schlichtweg gar nicht darum dreht, welche Temperatur die Erde nun durchschnittlich haben soll, haben darf oder nicht haben darf; vielmehr geht es um die Frage, wie die Erwärmung vor sich geht, wie schnell sie geht und wodurch sie ausgelöst wird. An diesem Punkt kann man sagen – auch so eine Lieblingsvorstellung von Ihnen –: Seit Tausenden von Jahren schwanken die Temperaturen. – Ja. Aber meine Kollegin Weisgerber hat vorhin darauf hingewiesen, dass die Temperatur sich in einem abenteuerlichen Tempo erhöht, nämlich ungefähr hundertmal so schnell wie alle Temperaturänderungen in den geologischen Zeiten der Erde. ({1}) Das ist der entscheidende Punkt. Wenn man fragt: „Woran liegt das, woher kommt diese Temperaturänderung?“, dann lautet die Antwort: Sie kommt natürlich von den Treibhausgasen, die wir ausstoßen, und sie kommt auch daher, dass sich diese Treibhausgase seit dem Beginn der industriellen Revolution fast verdoppelt haben. Sie sagen an vielen Stellen, das sei ja so wenig und hätte keinen Effekt. Ich sage: Spurengase haben einen Effekt, auch wenn sie nur in geringer Menge auftreten. ({2}) Wissen Sie, mit dem Klima ist das so: Klima hat mit Wetter zunächst einmal wenig zu tun. Aber die Daten aus einer Periode von 30 Jahren sagen etwas über das Klima aus. Wenn wir diese 30-Jahres-Perioden der Vergangenheit hintereinanderschalten, dann sehen wir genau, was passiert ist: Die Erwärmung ist von Periode zu Periode größer geworden, und sie ist am größten geworden in den letzten zehn Jahren. Von den heißesten Jahren der letzten 30 Jahre sind neun in diesem Jahrzehnt: eine war 2005, alle anderen in den letzten zehn Jahren. So. Das ist ja wohl ein Beleg dafür, dass es irgendeinen Mechanismus gibt, der dazu führt, dass diese Entwicklung stattfindet. Klimawerte sind Durchschnittswerte; sie können durch geringe Schwankungen zustande kommen, sie können aber auch durch große Schwankungen zustande kommen. Und genau das Problem haben wir. Die heißen Sommer, die wir haben, die Extremwetterereignisse kommen im Durchschnitt nicht so zum Vorschein. Aber – um ein anderes schönes Beispiel zum Durchschnitt zu nennen –: Wenn Sie auf einem Ofen sitzen und Sie Ihre Füße in Eiswasser haben, ist Ihre Durchschnittstemperatur normal, aber Sie fühlen sich sicher nicht wohl damit. ({3}) Herr Hilse, ich kann Sie nur bitten: Streichen Sie auf Ihrem tollen T-Shirt das Wort „Denker“! ({4}) Der Rest kann stehen bleiben. Das passt dann besser zu Ihnen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Karsten Möring. – Damit schließe ich die Aussprache.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses „Beraterverträge“, eines denkwürdigen Untersuchungsausschusses. Wir müssen uns gleichzeitig mit einem Antrag der AfD auf Aberkennung eines Ordens befassen, dessen Verleihung schon Jahre zurückliegt, und auch das ist denkwürdig; denn es ist eine kleinteilige Sicht der AfD, die den Erfordernissen der Sicherheitspolitik und der Arbeit des Verteidigungsausschusses nicht gerecht wird. Wir sollten uns vielmehr mit folgenden Fragen befassen: Wie können wir die Einsatzlage, die Einsatzausrüstung der Bundeswehr verbessern, die Beschaffungsmaßnahmen so gestalten, dass das Gerät schneller bei der Truppe ist? Wie können wir uns innerhalb der NATO-Fähigkeiten aufstellen, die Landes- und die Bündnisverteidigung und auch die Besoldung verbessern? Das sind Themen, mit denen wir uns befassen müssen. Wir müssen aber keinem Phantom hinterherjagen, wie es die Opposition ein Jahr lang gemacht hat. Da stehen die Linken mit der FDP und die Grünen mit der AfD zusammen; es sind ganz neue Konstellationen, die sich in der Opposition gebildet haben. Aber es kommt ja nicht darauf an. Wenn man in der Opposition ist, dann ist Verantwortung nicht gefragt. Das ist ein Privileg der Opposition. ({0}) Das parlamentarische Recht fordert es ein, dass wir uns in einem Untersuchungsausschuss auch solchen Sachverhalten widmen. Es ist gut, dass das Ergebnis auch nicht einfach zu den Akten gelegt wird, sondern hier im Plenum des Deutschen Bundestages beraten wird. Aber der Aufwand eines Untersuchungsausschusses muss sich auch am Ergebnis messen lassen. ({1}) Eine gute Erkenntnis dieses Untersuchungsausschusses ist sicherlich, dass sich unsere Verfahrensweise bewährt hat. Wir haben gesagt, wir setzen den Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss nach Artikel 45a Absatz 2 des Grundgesetzes ein und bilden einen Unterausschuss. Dieses Verfahren hat sich erstmals in der Geschichte des Parlamentarismus bewährt. Aber der Aufwand, meine Damen und Herren, war enorm: 17 öffentliche Sitzungen, 41 Zeuginnen und Zeugen wurden vernommen, 4 700 Akten wurden durchgearbeitet. Das sind – einmal zum Verständnis – 400 Meter Regal. Wir sind uns einig, dass Vergaberechtsverstöße geahndet werden müssen und dass die Exekutive sich nur in dem Rahmen bewegen darf, der vom Parlament und von den Gesetzen vorgegeben ist. Es gut und es ist richtig, dass wir genau hinsehen. Aber die Erkenntnisse in diesem Abschlussbericht sind auch nicht sonderlich neu. Ja, die Vergaben waren in diesem Maß, wie wir es festgestellt haben, falsch und waren vergaberechtlich auch nicht in Ordnung – auch nicht, wenn sie aus der guten Motivation heraus geschehen sind, die Einsatzausrüstung der Bundeswehr zu verbessern. Nein, das darf nicht sein, und das darf sich auch nicht wiederholen. Berater sind dennoch wichtig, ihr Einsatz muss aber in zeitlich begrenztem Rahmen und in angemessenem Umfang erfolgen. Das ist die zweite Erkenntnis: Beratung so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich, und Bekanntschaften dürfen natürlich keine Rolle spielen. Wir brauchen externe Beratung, um neue Erkenntnisse zu bekommen, auch im internationalen Recht. Ich höre Sie mit Ihren Zurufen heraus, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. ({2}) Es war vorher bekannt, dass es dort Fehlleistungen gab. Sie konnten diesen Ausschuss gut für Ihren Oberbürgermeisterwahlkampf nutzen; aber der Schuss ging doch irgendwie voll daneben. ({3}) Denn die Richtlinien waren schon erlassen, die zentrale Vergabe war vom Ministerium eingerichtet. Wir sollten nun die Erkenntnis daraus ziehen, dass viele gute Ideen wahrnehmbar geworden sind, die das Ministerium bisher hatte, viele Innovationen. Wir können nur Dank sagen an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und auch des Untersuchungsausschusses für die geleistete Arbeit. Viel Lärm um nichts. ({4}) Den Antrag der AfD lehnen wir ab, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Otte. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Rüdiger Lucassen. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Der Abschlussbericht zur „Berateraffäre von der Leyen“ liegt vor. Ich fasse das Ergebnis zusammen: Erstens. Die Bundesregierung hat dreistellige Millionenbeträge für externe Berater im BMVg ausgegeben mit dem Ziel, große Rüstungsvorhaben effektiver und schneller umzusetzen. Ergebnis: Kein einziges großes Rüstungsvorhaben heute funktioniert. Zweitens. Die Bundesregierung hat diese Millionenaufträge teilweise rechtswidrig an Beraterfirmen vergeben. Freundschaftsverhältnisse zwischen Beamten und Soldaten auf der einen Seite und Beratern auf der anderen Seite sorgten für den Zuschlag. Bestes Beispiel: Generalleutnant Erhard Bühler war Taufpate der Kinder von Timo Noetzel, einem Angestellten der Firma Accenture. Timo Noetzel verschaffte seiner Firma dann Millionenaufträge und machte die Bundeswehr so zum „Diamant-Kunden“ für Accenture, wie er selbst stolz verkündete. Die Bundesregierung hat mit dieser Vetternwirtschaft die Kultur in den Streitkräften nachhaltig schwer beschädigt. ({0}) Drittens. Die Bundesregierung zeigte im Untersuchungsausschuss offen ihre Missachtung gegenüber dem Parlament. Akten wurden geschwärzt oder gleich ganz verweigert. Bis heute wurden nicht alle Beweismittel vorgelegt. Die Handydaten der Ministerin und anderer wichtiger Zeugen wurden gelöscht. Das BMVg arbeitete im Rahmen der Zeugenvernehmung über weite Strecken mit Erinnerungslücken, in Teilen wurden die eklatanten Rechtsverstöße aber sogar offen zugegeben, sozusagen mit einem frechen Grinsen im Gesicht ohne Konsequenzen. Die ehemalige Ministerin Ursula von der Leyen und ihre Entourage haben komplett versagt. ({1}) Alle hier im Haus, sogar in den Regierungsfraktionen, sind sich in diesem Urteil einig. Aber was ist passiert? Ursula von der Leyen ist heute Kommissionspräsidentin der EU – Aufstieg. Staatssekretärin Katrin Suder bekam das Ehrenkreuz der Bundeswehr verliehen – Auszeichnung. Wenn man sie heute für einen Vortrag buchen will, verlangt sie satte vierstellige Beträge. Topberater Timo Noetzel ist nach wie vor bei Accenture als Partner in Lohn und Brot – Monatsgehalt circa 20 000 Euro. Generalleutnant Erhard Bühler wurde zum Viersternegeneral befördert – heute im Ruhestand mit satter Pension. Wenn Ursula von der Leyen politischen Anstand hätte, wäre ihr Rücktritt unvermeidlich gewesen. ({2}) Wenn die Bundeskanzlerin ein solides Wertekonzept hätte, wäre die Entlassung von Ursula von der Leyen unausweichlich gewesen. Die Maßstäbe für politische Verantwortung haben sich aber in dieser Regierung so weit verschoben, dass niemand mehr zurücktritt, egal wie hoch der Schaden für unser Land und unsere Institutionen sein mag. Der letzte Verteidigungsminister, der tatsächlich aus politischen Gründen zurücktrat, war Franz Josef Jung, ({3}) und das ausgerechnet wegen einer militärischen Operation in Afghanistan, die zum Kerngeschäft der Streitkräfte gehört. ({4}) Die moralischen Richtlinien der Bundesregierung in der Verteidigungspolitik stehen auf dem Kopf. ({5}) Das ist die traurige Erkenntnis dieses Untersuchungsausschusses. Danke. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lucassen. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Siemtje Möller, SPD-Fraktion. ({0})

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ja diesen Spruch vom Bauchgefühl, auf das man sich verlassen soll. Im Herbst 2018 hatten wir dieses untrügliche Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt mit den exorbitanten Zahlungen, die das BMVg für externe Beraterinnen und Berater getätigt hatte. Einige Rechnungshofberichte und Sondersitzungen des Verteidigungsausschusses später konnte dieses Bauchgefühl nicht verscheucht werden. Nein, es verdichtete sich zu einer klaren Verdachtslage, und der Verteidigungsausschuss setzte sich in dem Zuge als Untersuchungsausschuss ein. ({0}) In den langen Sitzungen, in denen wir Sachverständige und Zeugen befragten, kamen zum Teil unglaubliche Zustände ans Licht. Manche Externe hatten ungehinderten Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen. Manche haben sich angemaßt, Teil des offiziellen Organigramms zu sein. Manche gingen unkontrolliert ein und aus. Das BMVg hatte streckenweise die Übersicht verloren, wer und wie viele als Externe beschäftigt waren. Dementsprechend konnte auch nicht garantiert werden, dass alle gemäß ihrer Sicherheitsüberprüfung Zugang zu Informationen hatten oder ob sie überhaupt über eine solche verfügten. Externe Berater haben weitere, quasi eigene Berater geführt und waren damit Teil ihrer eigenen Budgetverhandlungen. Abteilungsleiter des Bundesverteidigungsministeriums haben sich für langjährig bekannte und ihnen freundschaftlich verbundene Berater persönlich verwandt; sie konnten sich ihre eigenen Berater wünschen und bekamen sie auch. Externen Beratern wurde von der Hausleitung nahegelegt, in welcher Abteilung sie zielführenderweise ihre Projekte noch vorstellen sollten. Berater drängten den Fachabteilungen gegen deren fachlichen Ratschlag millionenschwere Projekte auf, deren Outcome bis heute bei null liegt – Projekte, die für die Bundeswehr keinen Mehrwert generiert haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Externe setzten Beamtinnen und Beamte unter Druck; das sagten viele von ihnen im Untersuchungsausschuss aus. Externe begannen bereits, an Projekten zu arbeiten, und erst im Nachhinein wurde überlegt, wie das Projekt bezahlt werden könnte. In den langen Nachtsitzungen, oft bis in die frühen Morgenstunden, konnte man sich stets auf drei Dinge verlassen: Erstens. Hochgestellte Persönlichkeiten konnten sich an nicht mehr viel erinnern, oder sie reichten die Verantwortung nach unten weiter. Zweitens. Alle Ausschussmitglieder waren darüber gleichermaßen irritiert, was die sehr kollegiale Stimmung untereinander zusehends verstärkte. Drittens. Lieber Wolfgang Hellmich, wir konnten uns auch zu früher Morgenstunde auf eine souveräne Sitzungsleitung verlassen, die durch dich und dein Team hervorragend vorbereitet wurde. Vielen Dank dafür! ({1}) Wahrlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Das Vorgehen vieler Berater im Ministerium war ungeheuerlich. Gut, dass wir damit gründlich aufgeräumt haben! ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie Kopfschmerzen haben – nach der Rede von Herrn Otte kann das vorkommen –, dann gehen Sie in die Apotheke und kaufen Aspirin. Da gibt es einen Beipackzettel dazu, und da können Sie die Risiken und Nebenwirkungen nachlesen. ({0}) Wenn Sie Ministerin sind und sich zur Unterstützung Berater ins Haus holen, dann gibt es auch einen Beipackzettel, nämlich die Berichte des Bundesrechnungshofes. Und wenn Sie persönlich der Beipackzettel nicht interessiert, interessiert das auch andere nicht; es ist egal. Das ist bei einem Bundesrechnungshofbericht allerdings definitiv anders; denn wenn Sie da die Warnungen nicht berücksichtigen oder geflissentlich übersehen, kann das für den Steuerzahler ausgesprochen teuer werden. Um bei unserem Sachverhalt, über den wir uns leider – das ist schon bemerkenswert genug – gerade mal eine halbe Stunde austauschen, im Bild zu bleiben: Wenn Sie sich Ihr Aspirin bevorzugt in der Apotheke eines guten Freundes oder einer ehemaligen Kollegin kaufen, interessiert das auch keinen. Anders ist es, wenn lukrative öffentliche Vergaben immer wieder bei denselben Freunden, Patentanten oder Weggefährten landen. ({1}) Allein der Anschein der Bevorzugung, meine Damen und Herren, wird das Vertrauen der Bevölkerung in diese Entscheidungsprozesse zerstören. ({2}) In der Berateraffäre reden wir nicht mehr über einen bloßen Anschein. Hier haben Berater und Beraterinnen von ihren guten Kontakten zu Entscheidungsträgern profitiert. Und das System, das die rechtmäßige ordentliche Vergabe hätte gewährleisten sollen, hat versagt. Die Details können Sie jetzt nachlesen, auf 700 Seiten. Ich empfehle die Lektüre nicht nur Kollegen Otte, sondern besonders den Kolleginnen und Kollegen in den anderen Ministerien; ({3}) denn wir brauchen uns nicht vorzumachen, dass es beim Thema „Beratung und Unterstützung“ nur im Verteidigungsressort Defizite gibt. Das glaubt kein Mensch. Die FDP empfiehlt deswegen gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und den Linken Maßnahmen, um diesen Methoden Einhalt zu gebieten, und zwar, Herr Otte, im Gegensatz zur Union, die mit dem Status quo offenbar wunderbar leben kann und die auch meint, dass die Verantwortung für den Totalausfall im Ministerium seinerzeit nicht bei der ehemaligen Ministerin von der Leyen gelegen habe. Meine Damen und Herren, wenn jemand in Kenntnis der Risiken und Nebenwirkungen sein Haus für Beratungen von außen sperrangelweit öffnet, aber keine Vorsorge trifft, um ordentliche Prozesse zu gewährleisten, wenn es am Ende heißt: „Ich habe anderen vertraut; mit den Fehlern habe ich nichts zu tun“, dann hat das mit Führungsverantwortung überhaupt nichts mehr zu tun. ({4}) Und wenn dann noch Aufklärungsprozesse behindert werden – gelöschte Handydaten, geschwärzte Akten, kollektiver Gedächtnisschwund vom Feinsten –, bleibt nach einem Jahr Aufklärungsarbeit ein bitterer Beigeschmack. Das muss sich in diesem Hause ändern, und vor allen Dingen bei Ihnen, Herr Otte. Denn was ist das für ein Demokratieverständnis? Dass dieses Haus einen Untersuchungsausschuss einsetzen kann und sich über ein Jahr mit dem Thema beschäftigt, hat einen guten Grund. Vorher weiß man das Ergebnis in der Tat nicht; heute sind wir schlauer. So etwas darf in diesem Land nicht vorkommen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Beachtlich, Herr Kollege Birkwald. – Nächster Redner ist der Kollege Matthias Höhn, Fraktion Die Linke. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe es mir mittlerweile zur Angewohnheit gemacht, die Bundesregierung in regelmäßigen Abständen zu fragen, wie viel Geld sie für Beratungs- und Unterstützungsleistungen ausgibt. Seit Ende 2018 mache ich das, und es wird niemanden wundern, warum ich damals damit begonnen habe. Für das erste Halbjahr 2019 hat das Verteidigungsministerium noch geantwortet, es habe 155 Millionen Euro für Beratungs- und Unterstützungsleistungen ausgegeben. Das ist eine bemerkenswert hohe Summe. ({0}) Für denselben Zeitraum in diesem Jahr war die Antwort: Null. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem ist natürlich damit nicht bei null. Diese Null resultiert nämlich aus dem Trick, zu sagen: Beratung und Unterstützung, das ist doch gar nicht so genau definiert, und wir zählen jetzt mal nur das eine und nicht mehr das andere. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn uns der Untersuchungsausschuss etwas gezeigt hat, dann, dass wir von Tricks und Kniffen und Umgehungsstrategien genug haben. Es geht um Transparenz, Offenheit und Klarheit in den Fakten. ({1}) Herr Kollege Otte, eine solche Klarheit und Transparenz in der Frage, wie viel Geld die Bundesregierung für private Firmen für Beratung und Unterstützung ausgibt, ({2}) das wäre die angemessene Antwort – und nicht Ihr respektloser Umgang mit dem, was die demokratische Opposition in diesem Haus tut. ({3}) Es ist auch der Arbeit, die wir dort geleistet haben, nicht angemessen. Auch ich will mich sehr herzlich bedanken, nicht nur beim Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, sondern auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Parlamentssekretariats, des Ausschusssekretariats, bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sehr viel geleistet haben. Das war eine bemerkenswerte Arbeit. Herzlichen Dank dafür! ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja über die ganze Zeit hinweg, schon vor Installation des Untersuchungsausschusses, sehr viel geschrieben worden, unter anderem auch über das sogenannte Buddy-System von Katrin Suder. Insofern geht natürlich auch der Antrag der AfD ein Stück weit am Ziel vorbei. Das Buddy-System von Katrin Suder war der Grund, warum sie ins Ministerium geholt worden ist. Deswegen müssen wir über dieses politische Problem reden. Frau von der Leyen, die ehemalige CDU-Ministerin, hat genau aus diesem Grund Katrin Suder ins Ministerium geholt und das Problem politisch zu verantworten. Sie hat das Problem politisch herbeigeführt und dafür gesorgt, dass Beratungs- und Unterstützungsfirmen im Ministerium ein- und ausgingen, nicht mehr zu kontrollieren waren und am Ende in einem solchen Untersuchungsausschuss gelandet sind. Die Tatsache, dass nicht nur Frau von der Leyen, sondern viele andere auch für diese Fehlentscheidung, über die es nun mittlerweile keinen Zweifel mehr geben kann, in keiner Weise zur Verantwortung gezogen worden sind, sondern – im Gegenteil – noch nach Brüssel befördert worden sind, wird nur zu einem führen, meine sehr verehrten Damen und Herren: dass Bürgerinnen und Bürger, die sich das anschauen, sich noch mehr und noch stärker von uns abwenden werden, weil sie sagen: Die können doch machen, was sie wollen; zur Verantwortung wird niemand gezogen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das darf nicht die Konsequenz unseres politischen Handelns und dieses Untersuchungsausschusses sein. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Höhn. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über das Thema der Berateraffäre sprechen, dann sprechen wir über ein dreifaches Versagen. Wir sprechen erstens über ein Organisationsversagen in der Organisation Bundesregierung und im BMVg im Speziellen. Wir haben in Zeugenaussagen gehört, Katrin Suder habe die Freundschaft zu Timo Noetzel offiziell angezeigt, und uns über Wochen hinweg durchgefragt: Wo ist dieses Dokument, wo ist diese Meldung? – Am Ende haben wir von der ehemaligen Staatssekretärin selbst erfahren: Nein, ein Dokument gibt es da nicht. Ich habe da auch kein offizielles Gespräch geführt; ich bin damit offen umgegangen. Wir haben erfahren, dass Berater im BMVg ein- und ausgegangen sind und Türschilder, E-Mail-Adressen und Dienstbezeichnungen hatten, die sie gar nicht als Externe kenntlich werden ließen, sondern es sah so aus, als wären sie Angestellte oder Beamtinnen und Beamte des BMVg. Meine Damen und Herren, da muss man feststellen: Das Verteidigungsministerium war zwar gut darin, sich Externe ins Haus zu holen, aber es war miserabel darin, auch nur die einfachsten Vorschriften und Regelungen zu treffen, wie man das Geschäft von Externen und externen Rat von hoheitlichen Aufgaben trennt. ({0}) Zweiter Punkt. Wir reden über ein Führungsversagen. Wenn man sich wie die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen entscheidet, die Probleme, die es im Verteidigungsbereich gibt, dadurch zu lösen – oder lösen zu wollen; wir wissen heute, es war ein untauglicher Versuch –, dass man den Einsatz von Beratungsfirmen massiv ausweitet, dann muss man auch Vorsorge treffen und Leitplanken setzen. Dann muss man als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt aktiv einfordern, dass Regeln, die vorhanden sind, auch richtig befolgt werden. Ursula von der Leyen war es so ziemlich egal, was da geschah. Ihr ging es um schnelle, kurzfristige, öffentlichkeitswirksame Ergebnisse, und am Ende des Tages hat sich bei uns der Eindruck verfestigt, dass der Zweck die Mittel heiligen soll. Das, meine Damen und Herren, hat nichts mit politischer Führung und nichts mit Führungsverantwortung zu tun. ({1}) Drittes Versagen – Herr Otte, dafür waren Sie und Ihre Rede das fleischgewordene Beispiel –: ({2}) Das war die Gnosiophobie Ihrer Fraktion und der Bundesregierung. Wenn Sie nicht wissen, was Gnosiophobie ist: Das ist die panische Angst vor Wissen. ({3}) Die haben Sie Woche für Woche im Ausschuss unter Beweis gestellt. Das gilt auch für das Verteidigungsministerium, das nicht nur unfähig, sondern unwillens war, tatsächlich Einsicht zu zeigen. Herr Otte, Sie haben nicht nur Ihre eigenen Leute schlecht verteidigt, Ihnen war so ziemlich egal, was dieser Untersuchungsausschuss eigentlich macht, und das ist am Ende des Tages auch einer Fraktion wie der Ihren unwürdig. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben eine ganze Menge aus diesem Ausschuss gelernt, auch für die Zukunft. Ich hoffe, es wird Beachtung finden, und diese Ereignisse werden sich nicht wiederholen. Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lindner. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor gut zwei Jahren hat uns der Bundesrechnungshof auf eine Reihe von Vergaberechtsverstößen im BMVg hingewiesen. Wir sind ihnen nachgegangen, zuerst im Verteidigungsausschuss und anschließend im Untersuchungsausschuss, und konnten sie im Wesentlichen bestätigen. Im BMVg sind während dieser ganzen Phase eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen worden, um solche Entwicklungen in Zukunft zu verhindern. Als Erstes – weil es noch nicht genannt worden ist – wurden alle Abrufe aus den umstrittenen Verträgen beendet. Im nachgeordneten Bereich wurde das Vieraugenprinzip eingeführt. Im Ministerium wurde ein neues Referat zur Verbesserung der Fachaufsicht aufgestellt. Es gibt eine neue zentrale Dienstvorschrift zur besseren Abgrenzung von Beratungs- und Unterstützungsleistungen. ({0}) Es wurde eine Reihe von bestehenden Vorschriften angepasst, und auch die IT-Systeme für die Abrechnung von Leistungen wurden verbessert. Nach menschlichem Ermessen und auch nach Aussage des Bundesrechnungshofs sind diese Maßnahmen angemessen, um solche Entwicklungen zukünftig zu verhindern. ({1}) Der Ausschuss hat aber auch etwas anderes ergeben: Jedem der Beteiligten – wir haben sie ja im Ausschuss als Zeugen rauf und runter gehört – kann man unterstellen, dass er aus seiner Sicht das Beste, manchmal auch das Schnellste und oft halt das Bequemste für die Bundeswehr wollte. ({2}) Es gibt keine Hinweise darauf, dass einer einen persönlichen Vorteil davon hatte. Den Vorteil hatten zum Teil externe Berater; aber die Mitarbeiter der Bundeswehr haben nach bestem Wissen und Gewissen und für die Truppe gehandelt. ({3}) Meine Damen und Herren, dabei wurden Fehler gemacht, und es wurden Leute beauftragt, die man kennt. Das war falsch. ({4}) Jetzt gibt es neue Regeln und mehr Kontrolle, und es stellt sich die Frage: Ist das jetzt eigentlich alles richtig? – Jetzt kann man natürlich über jede einzelne Maßnahme, die ich gerade vorher aufgezeigt habe, sagen: Ja, die ist richtig; sie hilft, Fehler und Risiken zu vermeiden. – Aber wir müssen auch das Gesamtsystem betrachten, und das Gesamtsystem entwickelt sich aus meiner Sicht in eine falsche Richtung. Wir kriegen das ganz oft von der Opposition und auch aus dem Haus vorgehalten. Ich darf zitieren – ich habe mir das extra herausgesucht –, was das Kommando Heer kürzlich zum Beschaffungswesen aufgeschrieben hat: Die derzeitige Beschaffungspraxis ist darauf ausgerichtet, Risiken möglichst auszuschließen, und strebt maximale (rechtliche) Sicherheit und Regelkonformität an. … Die Ziele sind von denen „der Truppe“, dem eigentlichen Leistungserbringer des Gesamtunternehmens Bundeswehr, entkoppelt … Die zu fordernde Agilität innerhalb der Prozesse wird dadurch strukturell unmöglich gemacht. Der frühere Wehrbeauftragte Bartels hat es in seinem Bericht auf den Punkt gebracht: Im gesamten Beschaffungswesen hat sich eine Absicherungsdoktrin etabliert, ({5}) die nachhaltig lähmt. Meine Damen und Herren, das ist das eigentliche Problem in unserer Beschaffung. Wir müssen die Prozesse verändern. Wir wissen, dass die Strukturen nicht zu den Aufgaben passen. Wir wissen, dass die Wege zu lang sind. Und wir haben jetzt im Untersuchungsausschussbericht auf 700 Seiten super dokumentiert, dass Abkürzungen zu Fehlern führen. Jetzt bitte ich Sie: Nehmen wir dieses Hirnschmalz, dieses Wissen auf – der Kollege Lindner hat gerade gesagt, er habe viel gelernt –, und machen wir uns Gedanken, wie wir die Prozesse innerhalb der Bundeswehr verbessern können. Weil zum Thema „Ursula von der Leyen und Katrin Suder“ einiges gesagt worden ist, möchte ich mal für meine Fraktion eines klarstellen: Die beiden sind mit dem klaren Ziel angetreten, die Bundeswehr zu verändern und zu verbessern, und sie sind dabei auf viel Widerstand gestoßen, auch innerhalb des Hauses und in Ihren Reihen; das war gar nicht so recht. Sie haben aber nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Und man kann sehen, was sie erreicht haben: Sie haben innerhalb einer Legislaturperiode die Anzahl der Vorlagen, die wir hier im Parlament beraten haben, verdoppelt. Sie haben das Volumen verfünffacht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das Material, das im Moment bei der Bundeswehr zuläuft, macht die Bundeswehr jeden Tag besser, und wir sind den beiden zu großem Dank verpflichtet. ({0}) In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brandl. – Nächster Redner ist der Kollege Dennis Rohde, SPD-Fraktion. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir durften in den vielen Nächten des Untersuchungsausschusses einiges an Erkenntnis sammeln. Ich möchte eine an den Anfang stellen: Lieber Wolfgang Hellmich, ich fand nicht nur, dass deine Sitzungsleitung sehr fair war. Ich fand es auch sehr bemerkenswert, wie du stundenlang, bis tief in die Nacht, ohne einen Stellvertreter die Sitzungen geleitet hast. Dabei hast du wirklich fair auch mal Rügen an die Fraktionen verteilt. Einzig allein mich hast du ein bisschen zu hart gerügt, ({0}) aber das sehe ich dir nach. Vielen Dank für deine Arbeit! ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten am Anfang mehrere Bundesrechnungshofberichte, die uns aufgezeigt haben, dass es wohl erhebliche Mängel bei der Einhaltung des Vergaberechts im Bundesministerium der Verteidigung gab. Aufgabe des Untersuchungsausschusses war aus meiner Sicht gar nicht primär, festzustellen, ob das Ob stimmte, sondern festzustellen, wie es dazu kommen konnte, dass in vielen Fällen Vergaberecht ignoriert wurde. Die Erkenntnisse, die wir da sammeln konnten – das will ich ganz ehrlich sagen –, haben mich teilweise schockiert: Erstens. Wenn uns in der Zeugenvernehmung Abteilungsleiter gegenübergesessen und gesagt haben, sie hätten schon Gespräche mit externen Beraterbüros geführt und die hätten ganz tolle Vorschläge unterbreitet, was man in der Bundeswehr machen könnte, und wenn dann diese hochdotierten Abteilungsleiter zusammengesessen haben, nicht um zu überlegen, wie man diese Vorschläge aufnehmen könnte, wo man das wirtschaftlichste, das beste Angebot kriegen kann und wie man es schafft, das Vergaberecht umzusetzen, sondern nur, um nach Wegen zu suchen, das Vergaberecht zu umgehen und denjenigen durchzusetzen, den man da schon sitzen hatte, dann sage ich: Das darf in einem Ministerium in Deutschland nicht passieren, das darf in einem Rechtsstaat nicht passieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die zweite Erkenntnis bezieht sich auf die Frage: Wie wurde das Ganze eigentlich aufgearbeitet? Wir hatten ja, bevor wir irgendwann in diesem Untersuchungsausschuss zusammensaßen, einen Verwaltungsermittlungsbericht, in dem seitens des Bundesministeriums der Verteidigung dargestellt wurde, wie es dazu gekommen ist. Das Ergebnis war eigentlich, dass man am Ende gar nicht herausfinden konnte, wie es dazu gekommen ist, und man das doch ad acta legen musste. Ich will, auch auf Grundlage der Erkenntnisse, die wir im Untersuchungsausschuss gesammelt haben, sagen: Viel von dem, was unsere Beweisaufnahme erbracht hat, hat diesen Verwaltungsermittlungsbericht ad absurdum geführt. Viel von dem, was darin niedergeschrieben war, hatte gar nicht die Aufgabe, aufzuklären, deutlich zu machen, wie es zu den Fehlern gekommen ist. Vielmehr hatte man den Eindruck: Dieser Verwaltungsermittlungsbericht war einzig und allein dafür da, um die Führungsriege des Ministeriums zu schützen. Ich finde, auch das geht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wenn dann dieser Abteilungsleiter, der die Verwaltungsermittlungen blockiert hat – die Ministerin ist aus guten Gründen heute nicht da, sie kann nicht da sein –, im Nachgang auch noch zusätzliche Arbeitsbereiche bekommt und für seine schlechte Leistung quasi befördert wird, dann finde ich das auch vollkommen inakzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Die nächste Erkenntnis bezieht sich auf die Zeugenvernehmung der damaligen Spitze. Natürlich war es die Handschrift der damaligen Ministerin, mehr Berater ins Haus zu holen. Aber am Ende des Tages heiligt der Zweck eben nicht die Mittel. Wenn man schon so viele Berater ins Haus holt und sogar eine Staatssekretärin holt, die aus der Beraterszene kommt, dann muss man auch sicherstellen, dass es ein engmaschiges Controlling gibt. Das hat alles nicht stattgefunden. Und wenn man dann als Zeugin in den Untersuchungsausschuss kommt, dann hätte man, zumal wenn man jetzt als Präsidentin der Europäischen Kommission in anderen Sphären schwebt, zumindest diesen Fehler mal einräumen können. Aber stundenlang dort zu sitzen und wie Teflon alles an sich abprallen zu lassen, hat das Vertrauen in unseren Staat auch nicht gestärkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Abschließend – weil der Präsident möchte, dass ich zum Ende komme –: Ich finde, wir haben eine Aufgabe, nämlich sicherzustellen, dass in Zukunft die Entscheidungen in unseren Ministerien von Beamtinnen und Beamten gefällt werden und nicht von Beraterinnen und Beratern. Denn wir haben gutes Personal, und dem sollten wir den Rücken stärken. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rohde. Es war ja sehr geschickt, mit der einleitenden Bemerkung zu Ihren schließenden Worten noch etwas Zeit zu schinden. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Eckhard Gnodtke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhard Gnodtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte all denen, die im Untersuchungsausschuss mitgewirkt haben, herzlich danken. Der Kollege Höhn hat ja den Personenkreis schon benannt. Zur Sache selbst. Aus dem Abschlussbericht ergeben sich für mich mehrere Schlussfolgerungen: Erstens – das ist ja alles im Untersuchungsbericht niedergelegt worden –: Es sind Fehler, insbesondere was Kontrollmechanismen im BAAINBw, aber auch die Kommunikation mit dem BMVg anbetraf, begangen worden. Zweitens. In Ergänzung dessen, was der Kollege Dr. Brandl gesagt hat, möchte ich festhalten: Es hat sich herausgestellt, dass weder die damalige Verteidigungsministerin noch ihre Staatssekretärin in irgendeiner Form Einfluss auf Vergabeentscheidungen bzw. Entscheidungen über die Vergabe von Beratungsleistungen genommen haben. Schon aus dem Grunde, werte Kollegen von der AfD, gibt es keinen Grund, der Staatssekretärin das Verdienstkreuz abzuerkennen. ({0}) Drittens. Unsere Kontrollmechanismen funktionieren. – Am heutigen Tage möchte ich sagen: Die Checks and Balances funktionieren. Das betrifft zum einen den Bundesrechnungshof, dessen Berichte letztlich den Anlass gegeben haben, diesen Untersuchungsausschuss einzusetzen und eben mehrere Aspekte genauer zu beleuchten bzw. zu untersuchen. Das betrifft aber auch diesen Untersuchungsausschuss selbst. Ich lege, wie meine Kollegen, großen Wert auf die Feststellung, die beispielsweise auf Seite 567 des Berichts – Überschrift: „Gemeinsamer Aufklärungswille“ – zum Ausdruck kommt, dass wir – und damit meine ich meine Fraktion, aber selbstverständlich auch die SPD-Fraktion – als Teil der Legislative unsere Kontrollfunktion auch wahrnehmen. Hier nun der Passus des Berichts, den ich meine und mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere: Trotz teilweise bestehender Zweifel an der Notwendigkeit dieses Untersuchungsauftrags haben die Mehrheitsfraktionen konstruktiv an der Erfüllung des vom Verteidigungsausschuss in Respekt vor den Minderheitsrechten erteilten Auftrags mitgearbeitet. Viertens. Auch das hat Kollege Dr. Brandl schon angerissen: Als Konsequenz aus den Ergebnissen des Prüfberichts des Bundesrechnungshofs und der im Untersuchungsausschuss untersuchten Mängel bei der Vergabe von Leistungen an externe Berater sind eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden, die diese Materie in Zukunft besser regeln sollen. Ich will jetzt nicht alles wiederholen, was der Kollege Brandl sagte, will aber darauf hinweisen, dass die Maßnahmen bereits am 18. August 2018, also lange bevor der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen hat, begonnen haben. Da hat man zum Beispiel entschieden, dass im Rahmen einer belastbaren Stichprobe weitere 18 Beratungs- und Unterstützungsleistungen untersucht werden sollten. 26. September 2018: Alle Abrufe aus den vom Bundesrechnungshof monierten Verträgen wurden gestoppt bzw. gekündigt. Oktober 2018: Maßnahmen des BMVg zur Gewährleistung des Vieraugenprinzips. November 2018: Inkraftsetzung der Zentralen Dienstvorschrift „Inanspruchnahme von externen Beratungs- und Unterstützungsleistungen“ durch das BMVg. Und zum Schluss – das war aber schon, während der Untersuchungsausschuss getagt hat –: Inkraftsetzung der Dienstvorschrift „Durchführung der Verwaltungsvorschriften für Zahlungen, Buchführung und Rechnungslegung“ mit Wirkung zum 2. September 2019.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Eckhard Gnodtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich freue mich darüber, dass die Berichte des Bundesrechnungshofes die Initialzündung für den Untersuchungsausschuss und als Konsequenz dessen für die Verbesserungsmaßnahmen waren. Wie gesagt: Es hat die Konsequenzen gegeben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie haben jetzt noch einen Satz.

Eckhard Gnodtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein herzlicher Dank an dieser Stelle auch noch einmal an die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes, deren Prüfung und Prüfungsergebnisse vermutlich nicht immer gleichbleibend ähnlich geliebt werden. In diesem Sinne bitte ich, diesen Abschlussbericht zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Damit schließe ich die Aussprache.

Dr. Marcel Klinge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004782, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass der Bundeswirtschaftsminister bei dieser wichtigen Debatte heute Abend anwesend ist. Wenn ich das richtig im Kopf habe, hat Peter Altmaier in der gesamten Legislaturperiode noch an keiner tourismuspolitischen Debatte teilgenommen. Die Tourismuswirtschaft ist in ihrer schwierigsten Krise der Geschichte, und da kann man doch erwarten, dass sich ein Wirtschaftsminister für die Belange der Branche einsetzt und für sie starkmacht und eben nicht durch Abwesenheit und Desinteresse glänzt. Das geht so wirklich nicht. ({0}) Wut, Verzweiflung, Trauer: „Das Gastgewerbe kämpft ums Überleben“, „Unsere Betriebe sind keine Garagen, die man einfach zusperrt“, „Hausverbot für Merkel, Scholz und Co“. Die Schlagzeilen der vergangenen Tage spiegeln, glaube ich, sehr gut die Stimmung in einer der wichtigsten Branchen Deutschlands wider. Über 240 000 Hotels, Restaurants, Cafés und Bars werden von der GroKo nun in einer Hauruckaktion flächendeckend und pauschal für vier Wochen zugesperrt. Eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen in Deutschland wird einfach mal so zum verzichtbaren Vergnügen degradiert. Ich finde, das ist eine Politik gegenüber Millionen von Leistungsträgern, die so nicht in Ordnung ist. Das ist respektlos, das ist ungerecht, und das muss an dieser Stelle mal ganz klar gesagt werden. ({1}) Fakt ist: Das Gastgewerbe ist kein Pandemietreiber. Nur ein Bruchteil der bestätigten Infektionen findet in Hotels oder Gastronomiebetrieben statt. Im privaten Bereich ist es ein Vielfaches mehr. Wieso werden also Restaurants und Hotels geschlossen? Das versteht niemand. Die Branche – das ist auch Fakt – hat über den Sommer ihre Hausaufgaben gemacht und mit unglaublich viel Zeit, Energie und Geld die Betriebe pandemiefest gemacht. Die Große Koalition hingegen hat den Sommer in Sachen Krisenmanagement verpennt, ({2}) und nun müssen 2,3 Millionen Beschäftigte in diesem Land genau dafür die Zeche zahlen. ({3}) So können wir aus meiner und aus der Sicht meiner Fraktion nicht mit den besten Gastgebern dieser Welt umgehen. Sie haben unsere Wertschätzung und unsere Unterstützung verdient. Der seit Montag geltende Branchen-Shutdown ist genau das Gegenteil davon. Das macht nicht nur mich, sondern auch viele Menschen draußen fassungslos und wütend. ({4}) Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, wir brauchen endlich – und das beantragen wir heute als FDP – einen klugen Pandemieplan und eben keine pauschalen flächendeckenden Schließungen. ({5}) – Da müssen Sie gar nicht so rummeckern; das ist doch die Wahrheit. – Wir brauchen ein differenziertes Vorgehen und keine Pauschalität. ({6}) Das Ziel der Freien Demokraten ist es, möglichst allen Betrieben durch diese schwere Krise zu helfen. Dazu haben wir in unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, eine ganze Reihe von Punkten aufgeführt. Lassen Sie mich drei Aspekte herausgreifen: Erstens. Planungssicherheit ist das Gebot der Stunde. Die FDP fordert diese Bundesregierung auf, noch in den nächsten Tagen verbindlich zu sagen, was ab dem 1. Dezember möglich ist und ob der Betrieb wieder voll losgeht. ({7}) Gibt es ein Weihnachtsgeschäft? Ja oder nein? Wir brauchen endlich Klarheit und keine weitere Hängepartie. ({8}) Zweitens. Die Betriebe brauchen im November schnelle Hilfe. Peter Altmaier sprach am Montag im Fernsehen davon, dass man alles versuchen werde, dass in diesem Monat noch ein bisschen Geld fließt. Wer Hotels und Restaurants aktionistisch schließt, sollte vorab wenigstens alle wichtigen Punkte klären und einen reibungslosen Ablauf bei den Hilfen garantieren. Das ist ein Gebot des politischen Respekts und des angemessenen Umgangs mit einer wichtigen Branche. Wir brauchen in diesem Monat auch Abschlagszahlungen, damit der Betrieb im Dezember hoffentlich weitergehen kann. ({9}) Drittens. Die für ein Jahr beschlossene Mehrwertsteuerreduzierung auf Speisen greift viel zu kurz. Eine Steuersenkung auf einen Bruchteil des Vorjahresumsatzes – und viele Betriebe werden im November gar keinen Umsatz machen – ist keine wirkliche Hilfe. Wir wollen eine Vereinheitlichung im Rahmen einer großen Steuerreform haben. Das wäre ein wichtiges und notwendiges Signal an die Branche. ({10}) Der Präsident hat mir einen freundlichen Hinweis gegeben. – Ich will noch mal dafür werben, dass wir jetzt keine Zeit für parteitaktische Spielchen haben. ({11}) Wir haben viele, viele gute Ideen in diesen Antrag reingeschrieben, mit denen wir gemeinsam mit den Betrieben durch diese Krise gehen können. Deswegen bitte ich Sie im Namen der Branche heute um Zustimmung. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Klinge. – Nächster Redner ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Kollege Klinge, wir haben uns ja heute Nachmittag am Rande der Ausschusssitzung schon kurz austauschen können. Ich habe Ihren Antrag genau durchgelesen. Da steht vieles im Rubrum drin, was wir durchaus unterschreiben können. Die dramatische Situation des Gastgewerbes und der Hoteliers, wie Sie sie beschreiben, sehen wir alle fraktionsübergreifend ähnlich. ({0}) – Langsam, langsam; schreien Sie nicht zwischendurch rein! Stellen Sie mir eine Frage, dann habe ich mehr Zeit! Sie titulieren Ihren Antrag mit „Pandemieplan“. Das setzt voraus, dass wir hier bezüglich der Pandemie und des Covid-19-Virus etwas planen können. Bei der Ausbreitung dieses Virus gibt es aber leider nun einmal Unwägbarkeiten und nur begrenzt Einflussnahmemöglichkeiten der Regierung. ({1}) Das heißt im Endeffekt: Wie sich das Virus in der Bevölkerung verbreitet, haben wir doch im Sommer und im Herbst an dem Ansteigen der Infektionszahlen gemerkt. Das Verhalten der Menschen ist entscheidend: Wo trifft man sich? Wie feiert man zusammen? Wo gibt es Pandemietreiber? Ich habe bei mir im Wahlkreis vor drei Tagen ein Seniorenheim mit 107 Menschen besucht. 87 davon sind positiv getestet. Dieses Virus ist nicht zu unterschätzen. ({2}) Wir hoffen, dass die Menschen – – Herr Präsident, können Sie bitte für ein bisschen Ruhe bei der FDP sorgen?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Lehrieder, solange Sie das stört, bitte ich um ein bisschen Ruhe.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, mich stört es – nicht zu knapp.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Normalerweise lebt die Parlamentsdebatte ja auch von Zwischenrufen, aber sie sollten so konstruiert sein, dass man sie hier auch verfolgen kann. ({0}) Allgemeine Zwischenrufe helfen da nicht weiter.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Redezeit ist durch die Zwischenrufe der FDP schon halb rum. – Meine Damen und Herren, ich will darauf hinweisen: Das Virus ist schlecht berechenbar. Das heißt, wir müssen reagieren, und wir haben darauf reagiert. ({0}) Herr Kollege Klinge, Sie können Presseartikel zitieren; das kann ich auch. Ich habe gestern in einer großen deutschen Tageszeitung von einem Hotelier bei mir aus Würzburg – aus meinem Wahlkreis – gelesen: „Hotelier rechnet vor – Darum ist der Lockdown eine Katastrophe für mein Geschäft“. Er legte Zahlen vor. Ich kann die Zahlen hier veröffentlichen, weil er sie selber veröffentlicht hat: Februar 280 000 Euro erwarteter Umsatz, 312 000 Euro tatsächlicher Umsatz; April 355 000 Euro erwarteter Umsatz, 23 000 Euro tatsächlicher Umsatz; Juni 493 000 Euro erwarteter Umsatz, 107 000 Euro tatsächlicher Umsatz; August – Urlaubszeit – 240 000 Euro erwarteter Umsatz, 210 000 Euro tatsächlicher Umsatz; Oktober 560 000 Euro erwarteter Umsatz, 239 000 Euro tatsächlicher Umsatz. Gleichzeitig musste der Hotelier in Hygienemaßnahmen investieren: allein 4 600 Euro seit Jahresbeginn. Jetzt kommt es: Letzte Hoffnung des Hoteliers: Merkels Ankündigung, die Bundesregierung wolle den vom Lockdown betroffenen Unternehmen bis zu 75 Prozent des im Vorjahr erzielten Novemberumsatzes erstatten. Mal abwarten, ob das was wird. Wir arbeiten daran. Die Menschen, die Gastronomen, die alles richtig gemacht haben, die im Sommer die Hygienevorschriften eingehalten haben, die die Zahl der Plätze reduziert haben, die Hygienekonzepte für ihre Gastronomie entwickelt haben, wollen arbeiten. Die Betroffenen wollen keine Almosen von uns, sondern ihren Laden wieder aufmachen, ({1}) und daran arbeiten wir. Wir wollen verantwortlich mit den Hoteliers umgehen: Wir wollen, dass die Gaststätten wieder öffnen. ({2}) Aber das setzt voraus, dass wir dazu erst mal die Pandemiezahlen nach unten führen. Sprechen Sie doch bitte mal mit Ihren Kollegen, mit den Medizinern in Ihren Reihen! Da sitzt Andrew Ullmann. Fragen Sie ihn doch einmal, was das Virus macht! Sprechen Sie doch mal mit den Ärzten in Ihren Reihen! Es ist leider nicht zu unterschätzen. ({3}) – Lieber Kollege, vielleicht zwei Sätze noch dazu. – Meine Zeit geht allmählich zu Ende, Herr Präsident. ({4}) Die Zwischenrufe der FDP haben mich viel Zeit gekostet. ({5}) Das Hygienekonzept der Wirte ist richtig. Der Weg zu den Gaststätten ist natürlich auch ein Problem. Sie haben vorhin ausgeführt, dass wir tatsächlich den Wirten ihr Geschäftsmodell mutwillig unterbinden wollen. Das ist nicht der Fall. Wir wollen die Zahl der Begegnungen der Menschen reduzieren, wo es vertretbar ist, für einen begrenzten Zeitraum von vier Wochen. Ich bitte alle, die uns jetzt zuhören, hier mitzumachen, wenn wir vier Monate mit weniger einschneidenden Maßnahmen tatsächlich das machen, mit entsprechendem finanziellen Ausgleich: 10 Milliarden Euro, 75 Prozent des Vorjahresumsatzes. ({6}) Bitte? – Vier Wochen. ({7}) – Vier Monate, habe ich gesagt? Na ja, gut, wenn Sie falsch hören wollen, kann ich nichts ändern. ({8}) Können Sie ein wenig für Disziplin sorgen, Herr Präsident? Ich bin normalerweise nicht so empfindlich, aber allmählich wird es zu viel. Wir helfen den Menschen, wir unterstützen sie. Deshalb geht Ihr Antrag ab 1. Dezember: weil wir bis 30. November schon irgendwie vernünftige, adäquate, probate, geeignete und erforderliche Maßnahmen für die Wirte haben. ({9}) Die Wirte können neben einem Erstattungsbetrag in Höhe von 75 Prozent des durchschnittlichen wöchentlichen Umsatzes im Monat November 2019 zusätzlich bis zu 25 Prozent hinzuverdienen durch Außer-Haus-Verkauf.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das hilft den Wirten mehr als Anträge der FDP. Ich sage nur: Lieber gut regieren als nicht regieren! Ich bin froh, dass wir ein Stück weit die für die Wirtschaft, für die Wirte, für die Hoteliers richtigen Maßnahmen machen, und ich werde auch versuchen, meinen Hotelier – ich habe es heute mehrfach telefonisch versucht – morgen zu erreichen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, jetzt.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– um ihm zu erklären, welche Möglichkeiten tatsächlich in den nächsten Wochen und Monaten da sind.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Ich bin ja schon fertig, Herr Präsident. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Lehrieder, ich habe Ihnen 1 Minute 20 Sekunden zusätzlich gegeben, ({0}) weil Sie sich gestört gefühlt haben. Herr Kollege Lehrieder, ich verstehe Sie, aber Sie müssen jetzt nicht auch noch auf die FDP-Fraktion zeigen. Es gibt immer Leute, die dazwischenrufen, und Leute, die Zwischenrufe einfach provozieren; das ist ein wechselseitiges Geschäft. ({1}) Herr Kollege, ich muss das gar nicht weiter bewerten. ({2}) Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Münzenmaier, AfD-Fraktion. ({3})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich den vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion gelesen habe, musste ich an die Worte von Margaret Thatcher denken: „Das Rückgrat ist bei manchen Politikern unterentwickelt – vielleicht weil es so wenig benutzt wird.“ Liebe FDP, ich muss Ihnen die Frage stellen: Was erzählen Sie hier denn eigentlich, Herr Dr. Klinge? Können Sie sich einmal in Ihrem Leben entscheiden, wofür Sie als Partei und Fraktion eigentlich stehen wollen? Sind Sie jetzt harte Opposition, die für Grund- und Bürgerrechte kämpft? Oder sind Sie der Möchtegernkoalitionspartner, der in den Landesregierungen genau die Verordnungen mitträgt, meine Damen und Herren? Beides funktioniert nicht. Sie müssen sich entscheiden. Sie versuchen aber hier beides und stellen sich mit Showanträgen vermeintlich an die Seite des Gastgewerbes, sind aber gleichzeitig mitverantwortlich für diesen ganzen Schlamassel. Das ist und bleibt Heuchelei, meine Damen und Herren. ({0}) Deshalb noch mal für alle: Wenn Schließungen im Gastgewerbe überhaupt nicht helfen, weil gar nicht belegt ist, dass in Hotels und Restaurants ein hohes Infektionsrisiko besteht, dann sind sie rechtswidrig, weil unverhältnismäßig, Punkt – das hätte ich von Ihnen erwartet, das wäre mal ein Satz gewesen! ({1}) Das, was diese Regierung gerade mit dem zweiten Lockdown tut, stützt sich nämlich nicht auf Fakten, es stützt sich auf Annahmen und Ängste. – Bis zu dem Punkt haben Sie völlig recht. Wenn sich 75 Prozent der Coronainfektionen aktuell nicht zurückverfolgen lassen, dann kann man eben auch nicht hingehen als Regierung und einen Teil der Wirtschaft dichtmachen, weil die vielen Neuinfektionen ja schließlich irgendwoher kommen müssen. Das ist keine Wissenschaft, meine Damen und Herren, das ist Unfug, und Unfug bleibt Unfug – auch wenn die Kanzlerin es sich wünscht. ({2}) Solange Sie es sich aber nicht trauen, das deutlich zu sagen, liebe Liberale, nimmt Ihnen auch keiner ab, dass Sie wirklich für die Kneipe an der Ecke kämpfen. Sie sind eben keine echte Opposition: Sie regieren in drei Bundesländern mit, unter anderem bei mir zu Hause in Rheinland-Pfalz. Der dortige stellvertretende Ministerpräsident, Volker Wissing – das ist Ihr Generalsekretär –, lässt die Gastronomie in Rheinland-Pfalz per Verordnung schließen und jammert dann auf Twitter darüber, dass geschlossen werden muss. ({3}) Ich bin kein Mediziner; aber im Volksmund nennt man das Schizophrenie, meine Damen und Herren. ({4}) Trotz Ihres generellen Versagens als Serviceopposition bin ich aber gerne bereit, mich noch mal mit einzelnen Punkten Ihres Antrags zu beschäftigen. Und was fällt mir da auf? Forderung eins: Sie wollen einen Dialog der Bundesregierung mit den Verbänden des Gastgewerbes. Das finde ich äußerst interessant, weil Sie, Herr Dr. Klinge, heute exakt um 16.45 Uhr einen Dialog abgelehnt haben, der in dem von uns heute im Tourismusausschuss vorgestellten Antrag lediglich einen anderen Namen, nämlich „Tourismusgipfel“, trägt. Sie haben diesen Antrag heute abgelehnt, haben dagegengestimmt. Dann ist es natürlich lächerlich, wenn Sie sich hierhinstellen und irgendetwas von parteipolitischen Spielchen erzählen. Gleiches Spiel beim nächsten Punkt: Umsatzsteuerreform. Wir haben hier im Deutschen Bundestag einen Antrag gestellt, der zum Ziel hat, dass die Reduzierung der Umsatzsteuer auch für Getränke gelten soll. Was hat die FDP-Fraktion gemacht? Sie haben abgelehnt. Sie haben gesagt, Sie wollen das nicht. Und jetzt schreiben Sie die gleiche Forderung in Ihren Antrag; das ist schlicht und ergreifend unredlich, meine Damen und Herren. ({5}) Und dann fordern Sie noch so Maßnahmen wie die Förderung von Luftfiltern. Erinnern wir uns: Diejenigen, die bereits in den vergangenen Wochen viel Geld – zumeist ihre letzten Reserven – in Luftfilter gesteckt haben und umgebaut haben, mussten trotzdem schließen. Und dann kommen Sie um die Ecke und sagen: Dann sind staatlich geförderte Luftfilter das neue Allheilmittel gegen Schließungen. – Auch das ist, ehrlich gesagt, vollkommen unrealistisch. Wieder einmal völliges Versagen der FDP-Fraktion! Besinnen wir uns noch einmal auf den wichtigsten Punkt dieser Debatte, der in Ihrem Antrag leider komplett fehlt. Das Grundgesetz gilt auch in dieser Coronakrise. Ohne den Nachweis eines erhöhten Infektionsrisikos in der Gastronomie sind die Schließungen unverhältnismäßig und somit rechtswidrig. Also kann ich Sie nur bitten, liebe Kollegen von der FDP-Fraktion: Lassen Sie den Theaterdonner, bis Sie sich trauen, die Wahrheit auszusprechen. ({6}) Bis zu dem Zeitpunkt: Hören Sie mal in sich hinein, und wenn Sie in sich drin noch irgendwo einen Oppositionspolitiker entdecken, dann prangern Sie die Zustände mit uns gemeinsam an, und handeln Sie vor allem auf Landesebene! ({7}) Wenn Sie für Opposition zu mutlos sind, dann regen Sie sich nicht auf, machen Sie sich nichts draus, das ist kein Problem; denn dafür gibt es mittlerweile, Gott sei Dank, ja die AfD-Fraktion, meine Damen und Herren. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Münzenmaier. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Klinge, ich muss sagen, ich finde es geradezu unverschämt, dass Sie behaupten, die Gastwirtschaft werde eben mal, einfach so zugemacht, ohne jeden Grund. Ich finde das unverschämt. Offensichtlich ist Ihnen entgangen, dass wir uns in einer weltweiten wirklich schlimmen Pandemie befinden, dass die Gesundheit der Menschen bedroht ist – auch mittlerweile sehr stark in Deutschland – und dass gehandelt werden muss. ({0}) Dass dieser Lockdown sehr wohl seine Berechtigung hat, das ist wohl ganz klar. Wir sind dem Schutz der Bevölkerung verpflichtet, und deshalb wurden diese Maßnahmen getroffen, und das sollte auch für Sie gelten. Sie sollten nicht versuchen, die Pandemie zu verharmlosen. ({1}) Denn damit fügen Sie der Branche den größten Schaden zu; das will ich mal sagen. ({2}) Ich komme zu Ihrem Antrag. Mich hat schon sehr gewundert, dass Sie einen Pandemieplan für das Gastgewerbe fordern; denn diesen Pandemieplan gibt es ja schon längst. Für das Gastgewerbe gelten seit Monaten – das ist Ihnen offensichtlich entgangen – länderübergreifend strenge Hygiene- und Abstandsregelungen. Wenn diese nicht eingehalten werden, dann dürfen die Betriebe überhaupt nicht öffnen. ({3}) Weiterhin fordern Sie in Ihrem Antrag, dass die Bundesregierung den Gastronomen in dieser schweren Zeit, in dieser schweren Krise unter die Arme greifen soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie verkennen oder verleugnen hier ganz offensichtlich die Realität. Die Bundesregierung, allen voran unser Finanzminister Olaf Scholz, hat richtig, richtig viel Geld auch für die notleidenden gastronomischen Betriebe lockergemacht, und das ist auch gut so. Zur wirtschaftlichen Stabilisierung konnten und können die Betriebe seit März bisher nie dagewesene Soforthilfen, Direkthilfen in Anspruch nehmen. Liebe Beschäftigte in der Gastwirtschaft, liebe Gastronomen, seien Sie sicher: Wir verstehen Ihre schwierige Situation und stehen auch zukünftig fest an Ihrer Seite. ({4}) Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an den Überbrückungshilfen III, die möglichst schon im Dezember vorliegen sollen und den Unternehmen dann die nötige Planungssicherheit für das kommende Jahr geben werden. Die Dauer des Bezugs des bewährten Kurzarbeitergeldes wird bis Ende 2021 verlängert. Für die Zwangsschließungen jetzt im November werden die gastronomischen Betriebe entschädigt, um Insolvenzen zu vermeiden. Finanzminister Scholz hat die Schatulle sehr weit geöffnet. Nun liegt es an Wirtschaftsminister Altmaier, dafür zu sorgen, dass das Geld schnell und unbürokratisch bei den Unternehmen ankommt. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Ihre Partei ist in drei Bundesländern vertreten. In Schleswig-Holstein stellen Sie sogar den Tourismusminister, aber von Unterstützung für die Branche habe ich noch nichts gehört. Machen Sie dort doch erst mal etwas, ehe Sie hier groß Forderungen stellen. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. – Ich hoffe, dass wir die Pandemie rasch überstehen werden. Das können wir auch. Denn eines steht fest: Wenn wir uns alle an die Coronaregeln halten, dann hat das Virus keine Chance.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit Abstand und Hygiene wäre der Gastwirtschaft am allerbesten geholfen. Danke schön, Herr Präsident. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke. ({0})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um das Thema „Pandemieplan für das Gastgewerbe“. Lassen Sie mich drei Fragewörter verwenden, um der Sache auf den Grund zu gehen: Warum, wer und wie? Zum Warum. Wir beschäftigen uns heute in erster Linie dank des Antrages der Kollegen von der FDP mit einer Situation, die dem Gastgewerbe großes Kopfzerbrechen bereitet. Es ist eine bedrohliche Situation, in der sich die Kolleginnen und Kollegen befinden. Hier braucht es wirklich Hilfe von uns allen. ({0}) Ich komme – wie viele von Ihnen wissen – von der Insel Rügen. Dort wohnen nicht einmal 70 000 Menschen. Wir hatten in den letzten Monaten über 1 Million Besucher auf unserer Insel. Es ist durch das örtliche Gesundheitsamt festgestellt worden, dass nicht die Gäste, nicht die Gastronomie und auch nicht das Hotelgewerbe der Auslöser für die Verbreitung des Virus sind, sondern zum Beispiel Familienfeiern. Oft sind die Ursachen auch leider nicht bekannt. Deshalb sage ich: Wir müssen uns mit den Ursachen beschäftigen und klären, warum sich das Virus verbreiten kann. ({1}) Die Aufgabe des Staates ist, zu untersuchen, welche Maßnahmen und bei wem Maßnahmen ergriffen werden. Wir haben festgestellt: Wieder trifft es die, die es schon am Anfang besonders getroffen hat, also die Gastgewerbebranche, aber auch die Bereiche Kunst und Kultur – etwas ganz Wichtiges für unsere Gesellschaft –, zum Beispiel die Schausteller. ({2}) Wenn wir an die Gastronomen und an die Hotelbesitzer denken, dann sollten wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht vergessen. ({3}) Was denken Sie, was es für sie bedeutet, wenn man von den vielleicht 1 200 Euro Einkommen jeden Monat nur noch 60 Prozent, vielleicht 70 Prozent bekommt und nicht weiß, wie es weitergeht? Das ist bedrohlich, ganz deutlich. Vielleicht hätte man bei der Bekämpfung der Ursachen der Pandemie die Rolle der tatsächlichen Verbreiter des Virus anders bewerten und diese stärker einbeziehen müssen. Warum gibt es immer noch Massenunterkünfte für Mitarbeiter aus Osteuropa? Warum gibt es immer noch Massenunterkünfte für geflüchtete Menschen, die in ihrer Not zu uns gekommen sind? ({4}) Dort hat sich das Virus verbreitet. Das können wir doch nicht zulassen. ({5}) Jetzt komme ich noch zum Wie. Ich denke nicht, dass die negative Gewinnsteuer, die Sie vorschlagen, der richtige Weg ist. Ich denke aber, dass schnelle Hilfen gebraucht werden. Angesichts unserer Aussprache heute im Tourismusausschuss stelle ich fest, dass noch viele Fragen offen sind und es schwer sein wird, der gebeutelten Branche schnell zu helfen. Aber ich sage ganz deutlich: Sie braucht es. Danke. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Markus Tressel, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Lage ist für viele Unternehmen, Selbstständige und Freiberuflerinnen und Freiberufler nicht nur ein riesiger Frustfaktor, sie ist auch tatsächlich existenzgefährdend. Dass die Betroffenen da draußen frustriert sind, hat weniger mit mangelnder Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen zu tun als viel mehr mit der Sprunghaftigkeit, die Sie, bei aller Notwendigkeit, zu handeln, an den Tag legen. Nur, damit kein falscher Eindruck entsteht: Die Bekämpfung der Pandemie durch die jetzt getroffenen Maßnahmen ist erforderlich, um nicht in eine noch tiefere Krise hineinzurutschen. Aber ich hätte schon erwartet, liebe Kollegin Hiller-Ohm, dass die Bundesregierung den Sommer nutzt, um sich und die Branche gut auf eine zweite Welle vorzubereiten. ({0}) Dass es mindestens das Risiko einer zweiten Welle gibt, das war schon vor Monaten ersichtlich. Jetzt werden mit heißer Nadel ein Hilfsprogramm und seine Ausführungsbestimmungen gestrickt; das kann man Ihnen schon vorwerfen. Wir haben heute im Ausschuss darüber diskutiert: Jetzt, wo die Läden schon geschlossen sind, fängt die Bundesregierung an, zu arbeiten. ({1}) Es ist vielfach das Problem, dass Sie die Branche nicht mitnehmen. ({2}) Ja, die Novemberhilfe ist ein richtiger Schritt, aber Sie haben die Monate zuvor weitgehend ungenutzt verstreichen lassen. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, sinnvolle, differenzierte Maßnahmen zu entwickeln und die Unterstützungsinstrumente für den Fall der Fälle klar zu haben. ({3}) Was wir jetzt bei den Hilfen erleben, ist auch eine Gefahr für die gesamte touristische Infrastruktur, für den gesamten Tourismusstandort Deutschland. Wenn in den Destinationen bei großen Teilen der Leistungserbringer die Lichter dauerhaft ausgehen werden, dann wird das nicht spurlos an unseren Städten und Gemeinden, an ganzen Destinationen in diesem Land vorübergehen. Das Mindeste, was Gastronomen, Hotellerie, aber auch Händler und Kulturtreibende jetzt erwarten können, ist, dass Hilfe rasch und tatsächlich bei allen Betroffenen ankommt. ({4}) Deshalb – und das ist der Appell heute – erwarten wir jetzt Tempo von Ihnen. So schnell wie die Einschränkungen für Wirtschaft und Gesellschaft beschlossen wurden, so schnell muss jetzt auch die Hilfe fließen, nicht erst in ein paar Wochen oder in ein paar Monaten; denn dann werden viele von denen, die jetzt Hilfe brauchen, nicht mehr da sein. Jetzt brauchen wir einen Schutzschirm über die Gastronomie, über die Veranstaltungsbranche und über unsere Tourismuswirtschaft. Wir müssen Planungssicherheit geben: schnell, unbürokratisch, passgenau und vor allem über den November hinaus. ({5}) Die bisherigen Überbrückungshilfen müssen überarbeitet werden, damit Hilfe fließen kann und nicht in der Bürokratie stecken bleibt; es sind Milliarden im Bottleneck stecken geblieben. Unternehmen, gerade in der Tourismuswirtschaft, in der Hotellerie, fallen bei den gesetzten Grenzen durch das Raster. Das muss sich ändern. Auch ganz wichtig ist: Hören Sie auf, Unternehmerlohn für Soloselbstständige und Kleinstunternehmerinnen und Kleinstunternehmer zu blockieren, damit bei den Betroffenen wieder der nötigste persönliche Bedarf gedeckt werden kann. ({6}) Wenn das alles nicht geschieht, dann ist Deutschland als Tourismusstandort, als Kultur-, aber auch als Tagungs- und Messestandort in großer Gefahr. Dies wäre die wirkliche Katastrophe weit über die betroffenen Unternehmen und die Pandemie hinaus; denn die Menschen wollen reisen, und sie werden wieder reisen. Dafür brauchen sie aber Gastgeber, sie brauchen die Tourismuswirtschaft, die Kulturtreibenden und viele mehr. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass es diese nach der Krise noch gibt. Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Tressel. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Vieregge, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie können sich ja verabreden. – Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist die Schließung von Restaurants, Kinos und Sportvereinen die richtige Entscheidung? Diese Frage haben sich viele Politiker, Bürger und insbesondere die Betroffenen gestellt. Wenn Sie mich danach fragen, dann antworte ich: Ja, es ist die richtige Entscheidung. Wir alle haben die Entwicklung der Coronafallzahlen beobachtet, und es war allen klar, dass etwas passieren musste. Es ist unumgänglich, dass wir die Kontakte auf ein absolut nötiges Minimum reduzieren zum Schutze derer, die durch das Virus am stärksten gefährdet sind. Dies sind immerhin 30 Prozent der Bevölkerung.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm, Fraktion Die Linke?

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke. – Meine Damen und Herren, da 75 Prozent der Neuinfektionen nicht mehr verfolgbar und nachvollziehbar sind, wir also nicht mehr mit Sicherheit sagen können, wo und wann sich jemand infiziert hat und wer davon betroffen sein könnte, da sich die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen in den letzten beiden Wochen auf über 2 000 verdreifacht hat und vermutlich weiter steigen wird, müssen wir handeln, und zwar bestimmt, mit Augenmaß und wohlüberlegt. ({0}) Genau dies hat nach meiner Auffassung die Bundesregierung zusammen mit den Regierungschefs der Länder getan. Die Schließungen und Einschränkungen für Gastronomen, für Kultureinrichtungen, für Vereine sind ein harter Einschnitt und eine große Herausforderung für viele Betroffene; das ist uns allen bewusst. Der Frust und die Verzweiflung über die Maßnahmen sitzen tief, insbesondere da viele Unternehmer dank großem Engagement, hohen Investitionen und innovativen Ideen eine Coronapraxis geschaffen haben, die einen Betrieb bei geringen Infiziertenzahlen ermöglicht. Diese Maßnahmen werden wir in den nächsten Wochen auch wieder zu schätzen wissen, wenn sich die Fallzahlen stabilisiert haben. Genau aus diesem Grund werden die betroffenen Unternehmen, die Soloselbstständigen wie auch die Vereine finanziell entschädigt und unterstützt. Dafür sind 10 Milliarden Euro eingeplant. 75 Prozent des Umsatzes im November des Vorjahres sollen erstattet werden. Und dies gilt nicht nur für die direkt betroffenen Unternehmen, sondern auch für die indirekt betroffenen Unternehmen, die einen Großteil ihres Umsatzes mit den betroffenen Unternehmen machen. Gerade Gaststätten haben die Möglichkeit, durch Abhol- und Lieferdienste zusätzliche Einnahmen zu generieren, und diese werden auf die 75 Prozent nicht angerechnet. ({1}) Wir werden nicht nur umfassend, sondern auch schnell helfen. Bereits Ende des Monats sollen die ersten Hilfen als Abschlagszahlung erfolgen. Damit sorgen wir für Liquidität in den betroffenen Unternehmen. So schnell reagiert kein anderes Land. ({2}) Ich halte das gesamte Vorgehen der Bundesregierung für gut, durchdacht und wirkungsvoll. Es ist abgestimmt mit der Wissenschaft und berücksichtigt die Belange von vielen. Im Vordergrund steht, dass wir Leben und Gesundheit schützen, dass wir weiterhin die Bildung unsere Kinder ermöglichen und die Wirtschaft langfristig stärken. Liebe Kollegen der FDP, das müsste doch auch in Ihrem Interesse sein. ({3}) Ich kann keinen Mehrwert für die Gastronomie in dem Antrag der FDP entdecken. Viele der aufgeführten Forderungen wurden bereits durch die Maßnahmen der Bundesregierung zeitnah umgesetzt. In dem Antrag konzentrieren Sie sich nur auf die Gastronomie. Wir aber haben viele weitere betroffene Branchen und Bereiche im Blick. Der Antrag ist zu eng geschnitten, überholt und zeigt keine deutlichen Verbesserungen auf, welche nicht bereits diskutiert wurden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir mit den Einschränkungen also das Richtige? Wenn wir betrachten, wie die Coronasituation in Deutschland im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten in der EU ist, erkennen wir, meine ich, dass wir in den letzten Monaten sehr, sehr viel Richtiges umgesetzt haben und dass damit Arbeitsplätze gesichert, das Wirtschaftswachstum gestärkt und viele Leben geschützt wurden. Also: Ja, wir machen das Richtige. Meine Rede möchte ich gerne mit einem Zitat des ehemaligen Schiedsrichters Dr. Markus Merk abschließen. Er sagte: Alles richtig machen ist unmöglich. Gerecht zu sein noch mehr! Aber der Wille dazu, der muss in jeder Situation, bei deinem Tun und Handeln erkennbar sein. Und das ist hier gegeben. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Vieregge. – Einen ganz kleinen Moment; es gibt jetzt eine Kurzintervention. Ich bin ganz begeistert, dass der Kollege Dehm immer weiß, was der Redner sagen wird, bevor er es gesagt hat; er hat sich auch jetzt sofort zu einer Zwischenfrage gemeldet. Aber Sie haben noch weiter zugehört, und die Fraktion hat für Sie eine Kurzintervention beantragt. Die erlaube ich jetzt. – Herr Dehm, Sie haben das Wort.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, auch Ihre Prophetie ist bewundernswert. Ich habe mich aber erst in dem Moment zu Wort gemeldet, in dem die Kollegin sagte, sie sagt Ja zu den Maßnahmen, und zwar aus folgendem Grund: IKEA hat auf, Schlachthöfe haben auf, Museen sind geschlossen und Theater auch. Auf die Frage nach dem Grund, sagte Frau Merkel bei der Pressekonferenz, sie wisse wohl, dass die Gastronomen gut ausgestattet seien, man dort relativ sicher vor Infektionen geschützt sei, in den Theatern ebenfalls – wie zum Beispiel im Schlosspark Theater des Kollegen Hallervorden, der jetzt dankenswerterweise klagt –, aber auf der Hinfahrt könnten sich die Leute infizieren. Morgens zwischen halb sieben und halb neun stehen die Leute Schulter an Schulter; abends, wenn sie zum Theater oder in die Gaststätte fahren, sind vielleicht sechs Leute im Waggon. Auf diese Logik muss man erst mal kommen. ({0}) Wäre die Zahl der Beschäftigten in den Gesundheitsämtern in den letzten zehn Jahren nicht um Zehntausende reduziert worden, könnte jede einzelne Gaststätte überprüft werden: Hat sie investiert, zum Beispiel in virustötende Belüftungsanlagen, oder hat sie nicht investiert? Die Gleichbehandlung ist eine Ungleichbehandlung zum Nachteil der kleinen und mittleren Unternehmen, Gastronomen etc. Alle Parteien haben bei der der Demonstration des Bündnisses „Alarmstufe Rot“ am Brandenburger Tor mit warmen Reden aufgewartet. Einem runden Tisch für die Kulturbranche verweigert man sich aber immer noch. Dabei könnte die Kulturbranche dort ihre Expertise vorbringen, wie die Kultureinrichtungen noch sicherer werden können. Solange das so ist, wird dieser Lockdown von vielen als pauschalierende Idiotie empfunden – so wie er auch wirklich ist. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Vieregge, Sie haben die Möglichkeit, zu reagieren.

Kerstin Vieregge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004924, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nicht direkt eine Frage erkannt. ({0}) – Dann brauchen wir ja gar nicht weiterzureden. Alles klar, danke. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Vieregge, „Kurzintervention“ heißt nicht Kurzfrage, sondern er kann auch einen Beitrag leisten, auf den Sie reagieren können. Wenn Sie das nicht wollen, verstehe ich das. Der nächste Redner oder die nächste Rednerin ist dann die Kollegin Frauke Junge, SPD-Fraktion. ({0})

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie können auch „Frank“ sagen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Frank Junge, ich habe jetzt unbeabsichtigt gegendert. ({0})

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede noch mal ins Bewusstsein rücken, dass es bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie darum geht, die Gesundheit der Menschen zu schützen und Leben zu retten. Das noch mal zu betonen, ist wichtig, weil daraus die Maßnahmen resultieren, die darauf zielen, Infektionswege zu stoppen bzw. diese Infektionsketten gar nicht erst entstehen zu lassen. Herr Dr. Klinge, Sie fordern in Ihrem Antrag, dass wir vor der Verschärfung von Maßnahmen wissenschaftliche Empfehlungen prüfen oder bei der Prüfung mit einbeziehen. Ich halte diese Forderung an sich schon für absurd, weil wir nämlich genau das tun. Wir bedienen uns der Wissenschaftler der Charité, des RKI, ({1}) der Helmholtz-Gemeinschaft, des Max-Planck-Instituts usw. Daraus resultiert genau die Kontaktbeschränkung, die wir jetzt, um diese akute Situation in der Covid-19-Pandemie zu stoppen, für vier Wochen eingeleitet haben. ({2}) Im Übrigen haben wir – auch das will ich eingangs sagen –, gerade weil wir in der akuten Situation im Frühjahr schnell und konsequent gehandelt haben und dies auch jetzt tun, gute Chancen, unsere guten Inzidenzwerte, die wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern haben, beizubehalten und so aus dem Infektionsgeschehen insgesamt gut herauszukommen. Natürlich bedeutet der Lockdown temporär oder auch länger Einschnitte für die Bevölkerung und für die Unternehmen, auch für das Gastgewerbe. Deshalb war es wichtig und richtig, dass wir mit den Soforthilfeprogrammen, mit den Konjunkturpaketen, mit den Überbrückungshilfen, mit dem Kurzarbeitergeld und jetzt mit der Novemberhilfe – das wurde hier schon erwähnt: vier Wochen Verdienstausfall, gleichzeitig Erstattung von 75 Prozent des Umsatzes im November 2019 – genau die richtigen Pakete aufgelegt haben. Denn damit machen wir eins: Wir unterstützen die Kaufkraft der Menschen vor Ort, wir kurbeln damit Wirtschaftskreisläufe an, und wir helfen den Unternehmen und auch dem Gastgewerbe direkt mit Zahlungen, die sie dringend brauchen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nastic, Fraktion Die Linke?

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, gerne.

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Junge, ich gebe Ihnen vollkommen recht, dass der Gesundheitsschutz extrem wichtig ist und in dieser Situation das Wichtigste. Aber wie erkläre ich zum Beispiel in Hamburg Gewerbetreibenden, dass ihr Restaurant im Einkaufszentrum geschlossen wird, während Läden drumherum offen sind? Wie erkläre ich Gewerbetreibenden, dass ihnen von den enormen Mietkosten im Einkaufszentrum – sogar 10 000 Euro im Monat – nicht mal ein Drittel erstattet wird? Sie sagen, dass Sie Ansteckungen vermeiden wollen. Aber wie erkläre ich diesen Gewerbetreibenden, dass im Hamburger Hafen riesige Kreuzer liegen, die weitermachen können? Wir alle wissen, dass es auf diesen Kreuzern schon tausendfache Ansteckungen gegeben hat. Wie ist es zu erklären, dass das möglich ist bei riesigen Kreuzern, die übers Meer schippern können, auch bei kleinen Barkassen mit offenen Buffets, nicht aber für die kleinen Unternehmer im Gastgewerbe, die wirklich auf alles achten? Das kann man doch keinem mehr logisch erklären, oder? ({0})

Frank Junge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004317, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin, ich möchte zunächst anführen, dass der temporäre Lockdown im November durch die Übereinkunft im Bundeskanzleramt mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zustande gekommen ist und dass wir unter diesem Aspekt dort Kompromisse machen mussten; sonst hätten wir die Einigung der Bundesländer nicht bekommen können. ({0}) Das ist Punkt Nummer eins. Punkt Nummer zwei. Auch für diese Branchen und Bereiche werden Unternehmenshilfen aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt. Sie halten natürlich nicht dafür her, einen kompletten Ausfall hundertprozentig auszugleichen; allerdings helfen sie zumindest eine gewisse Zeit über diese Krise hinweg, und das ist genau der Punkt, um den es hier geht. Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren und darauf hinweisen, dass unser Tagesgeschäft in der SPD-Bundestagsfraktion gegenwärtig darin besteht, die bestehenden Hilfen nach Lücken zu durchforsten bzw. nach Verbesserungen zu suchen. Das ist unser Tagesgeschäft, Herr Dr. Klinge, und dazu bedienen wir uns natürlich auch der täglichen Gespräche mit den Verbänden und den Unternehmen der Branche. Dazu braucht es keiner Forderung aus Ihrem Antrag; das ist Tagesgeschäft für uns. ({1}) Es gibt eine Forderung, die wir sehr ernst nehmen: Wir arbeiten jetzt schon daran, die Überbrückungshilfe III auf den Weg zu bringen, damit wir, wenn der Monat November vorüber ist und wir durch die Maßnahmen hoffentlich wieder auf ein normaleres Maß im Infektionsgeschehen zurückgekommen sind, zeitnah mit einer Neuauflage der Überbrückungshilfe aufwarten können, die die Gastronomen und das Gastgewerbe insgesamt dringend brauchen. ({2}) Die Unternehmen aus meinem Wahlkreis signalisieren mir, dass sie mit der Hilfe für den November gut bedient sind, dass ihnen aber die Planungssicherheit fehlt, über den November hinaus klarzukommen. Deshalb ist es an uns – und das werden wir auch schaffen –, die Überbrückungshilfe III auf den Weg zu bringen. Vor diesem Hintergrund lehnen wir Ihren Antrag ab. Wir sind uns sicher, dass wir mit unseren Paketen der Branche gut helfen. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Junge. – Letzte Rednerin ist die Kollegin Heike Brehmer, CDU/CSU-Fraktion.

Heike Brehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004019, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vollmundig hat der Fraktionsvorsitzende der FDP gestern diesen Antrag angekündigt. Immerhin haben wir ihn gestern Abend erhalten, und immerhin umfasst der Antrag ganze zwei Seiten. In Ihrem Antrag sprechen Sie aber nur vom Gastgewerbe. Ich frage mich: Warum sprechen Sie in Ihrem Antrag nicht von den Hotels, den Veranstaltern, den Schaustellern und erst recht nicht von unserer Kulturbranche? ({0}) Wahrscheinlich war es der Schnelligkeit geschuldet. Fakt ist: Die Pandemie hat unsere Welt immer noch fest im Griff; das zeigen die rasant steigenden Infektionszahlen. Unsere Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten haben es sich bei ihrer Entscheidung alles andere als leicht gemacht. Sie haben umsichtig gehandelt und einen gemeinsamen Weg vorgeschlagen, um unsere Bevölkerung zu schützen, wohl wissend, dass dies ein harter Weg ist, der unseren Bürgern und unserer Wirtschaft vieles abverlangt. Sie regieren in Rheinland-Pfalz mit, und – wir haben es schon gehört – Ihr dortiger Wirtschaftsminister und jetziger Generalsekretär hat dem ja auch zugestimmt. Vielleicht sollten Sie ihn vorher fragen, wenn Sie hier solche Anträge stellen. ({1}) Meine Damen und Herren, mein Wahlkreis ist der Harz, eine sehr beliebte Urlaubsregion. Auch bei uns hat der Teil-Lockdown die Tourismusbranche sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen bis ins Mark getroffen. Es leiden auch die Händler, Bäcker, Handwerker und andere Unternehmen, weil die Touristen ausbleiben. Wenn ich mir ansehe, was die Branche in den vergangenen Wochen und Monaten alles geleistet hat, dann ziehe ich davor aufrichtig meinen Hut. ({2}) Da wurden umfassende Hygienekonzepte erarbeitet, kreative Ideen umgesetzt und neue Wege beschritten – eine wahre Kraftanstrengung, die allerhöchste Anerkennung und ein großes Dankeschön verdient. Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen alles dafür tun, damit die Hotels und Restaurants wieder öffnen können und damit wir in der Vorweihnachtszeit wieder Kultur genießen können. Wir lassen die Tourismus- und Kulturbranche, Selbstständige, Vereine und Einrichtungen nicht allein. Als CDU/CSU setzen wir alles daran, die wirtschaftlichen Härten abzufedern. ({3}) Der Bund stellt den Betroffenen außerordentliche Wirtschaftshilfen in Höhe von 10 Milliarden Euro bereit, schnellstmöglich und unbürokratisch. Dafür hat sich unser Wirtschaftsminister Peter Altmaier eingesetzt, und wir Tourismuspolitiker danken ihm dafür. ({4}) Herr Lindner hat letzte Woche die Hilfen als „teuer“ bezeichnet. Wir finden: Die Menschen in der Gastronomie, im Beherbergungswesen, in der Veranstaltungsbranche, im Kulturbereich tragen für uns eine große Last. Sie alle verdienen unsere Solidarität und damit auch die finanziellen Mittel. Liebe Kollegen der FDP, im Gegensatz zur Opposition kann sich die Regierung nicht wegducken, wenn es ernst wird. Wir stehen in der Verantwortung, und unsere Bundesregierung hat sich dieser Verantwortung gestellt. Wir als CDU/CSU-Fraktion werden auch in Zukunft nicht nachlassen und alles dafür tun, um der Branche zu helfen. Für Sie als FDP wäre es besser, Sie würden Ihrem Motto treu bleiben und schreiben lieber gar keinen Antrag als einen schlechten Antrag. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank Frau Kollegin. – Damit schließe ich die Aussprache.

Dorothee Mantel (Gast)

Politiker ID: 11003586

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein richtig guter Tag für die Familien in unserem Land, für alle Eltern und für die, die es noch werden wollen; denn wir sprechen beim OZG über nichts weniger als über ein Jahrhundertprojekt. Viele von uns sind ebenfalls Mütter oder Väter, und wir kennen es, dass wir uns direkt nach der Geburt unserer Kinder über vieles Gedanken machen wollen, vielleicht auch mal Diskussionen führen wollen, über Namen oder Ähnliches. Was man aber sicher nicht tun möchte, ist das Ausfüllen von unzähligen Papieranträgen. Diesem Wunsch, mehr Zeit zu haben, gerade in der ersten, der wichtigsten Phase, dem kommen wir heute ein großes Stück näher. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf können Eltern zukünftig in einem Zug den Namen ihres Kindes beim Standesamt festlegen, aber auch Elterngeld und Kindergeld beantragen. Das Beantragen von Kindergeld wird endlich so einfach wie Onlinebanking oder Onlineshopping. ({0}) Wir reden oft von Bürokratieabbau, und wir reden oft auch von schnelleren Verfahren. Das kommt häufig aber nicht so richtig an, und die Verfahren werden eher noch wesentlich komplizierter. Heute aber wird es wesentlich einfacher. Heute beschließen wir nicht weniger als wirklich eine ganz, ganz große Lebenserleichterung. Genau das ist es, was Digitalisierung leisten muss: das Leben für jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger zu erleichtern. Der Gesetzentwurf ist deswegen ein ganz wunderbares Beispiel für Vereinfachung durch Digitalisierung in einer einmaligen Lebensphase. Deswegen freue ich mich sehr – da wende ich mich auch an Sie, liebe Frau Kollegin Giffey –, dass wir mit den Familienleistungen beginnen, weil das wirklich sehr lebensnah ist. Beim OZG geht es nicht nur darum, 575 Verwaltungsdienstleistungen oder Verwaltungsbündel zu digitalisieren. Wir schauen uns genau an, wen das Ganze tatsächlich betrifft. Es gibt sicherlich auch Digitalanträge, die man nicht so oft braucht, beispielsweise den Antrag auf Bau eines Hochseehafens oder einen Antrag, den wir hoffentlich nie mehr in unserem Land brauchen, nämlich den Antrag auf Bau eines neuen Kernkraftwerkes. Den Antrag auf Kindergeld und den Antrag auf Elterngeld brauchen aber sehr viele Bürgerinnen und Bürger. ({1}) – Da hätten die Grünen auch mal klatschen können. Ein ganz entscheidendes Element ist die Regelung des elektronischen Datenaustauschs. Für uns war es wichtig, dass die Behörden die notwendigen Daten untereinander abrufen können, dass die Nachweise nicht mehr selbst eingereicht werden müssen. Bei aller Freude am heutigen Tag liegt jetzt auch noch ein großes Stück Arbeit vor uns, weil wir natürlich insgesamt die Verwaltung für die Menschen machen wollen, und es sollte nicht umgekehrt sein: dass die Menschen für die Verwaltung da zu sein haben. Das heißt, wir werden auch in den nächsten Jahren Digitalisierungshemmnisse weiter beseitigen. Anerkannte Verfahrensgrundsätze müssen auf den Prüfstand, und auch das Bild, das viele von der Verwaltung im Kopf haben, wird sich dringend wandeln müssen, sodass Verwaltung nicht mehr als das gesehen wird, was man vielleicht manchmal noch als Allererstes im Blick hat, sondern dass Verwaltungen einfach zu proaktiven Servicestellen werden. Deswegen ist der heutige Tag für uns nicht der Endpunkt, sondern der Beginn: der Beginn eines neuen Tuns auch für uns als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber. Insofern kann ich sagen, auch als ehemalige familienpolitische Sprecherin meiner Fraktion: Dieser Anfang ist ein sehr, sehr guter. Es werden auch in diesem Jahr, aber besonders im Jahr 2021 noch ganz viele weitere Schritte folgen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unser Ziel, bis Ende 2022 alle Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert zu haben, auch erreichen werden. Vielen herzlichen Dank an alle, besonders an die Kolleginnen und Kollegen der beiden Regierungsfraktionen, auch im Familienausschuss, die gemeinsam mit den Innenpolitikern das Ganze hier vorangetrieben haben. Schön, dass wir mit ELFE, mit „Einfach Leistungen für Eltern“, starten können. Vielen herzlichen Dank auch an Sie, liebe Frau Giffey, für die hervorragende Zusammenarbeit innerhalb der Regierung. Ganz herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Joana Cotar, AfD-Fraktion. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Im Juni dieses Jahres hat die AfD-Fraktion in verschiedenen Anträgen digitale Möglichkeiten zur Linderung der Coronakrise aufgezeigt. Nie zuvor haben wir in Deutschland festgestellt, wie sehr uns digitale Lösungen in verschiedensten Bereichen fehlen, sei es im Gesundheitswesen, zu Hause, bei der Arbeit, in der Schule, hier im Bundestag und natürlich auch in der Verwaltung. Noch immer sind die Menschen in Deutschland gezwungen, Stunden bei den Behörden zu verbringen, Dokumente mehrfach einzureichen und immer wieder die gleichen Auskünfte zu geben, während in anderen Ländern digitale Lösungen schon längst an der Tagesordnung sind. Einer unserer Anträge befasste sich daher mit dem Thema Familie und Kinder. Wir wollten vor allem das Verwaltungsverfahren bei Eltern- und Kindergeld digitalisieren. Das spart Zeit und Kosten, sowohl für die Bürger als auch für die Wirtschaft und die Verwaltung. ({0}) Wir forderten die Bundesregierung konkret auf, darauf hinzuwirken, dass zeitnah in ganz Deutschland Eltern- und Kindergeld digital beantragt werden können. Wir forderten, dass sämtliche Antragsunterlagen inklusive der Nachweisdokumente online eingereicht werden können. Wir wollten die digitalen Anwendungen so erweitern, dass die bereits gestellten Anträge online und anwenderfreundlich in sämtliche Fachverfahren übertragen werden können. Dieses Elterngeld Digital sollte in allen Bundesländern zur Verfügung stehen. Es wäre der richtige Schritt in die richtige Richtung, nämlich zur vollständigen Digitalisierung der Verwaltung, auch unter Hinzunahme von KI. Wie immer, werte Kollegen, haben Sie unseren Antrag abgelehnt. ({1}) Alle Fraktionen haben sich dagegen ausgesprochen, vorneweg natürlich diejenigen der Koalition. Und jetzt legt diese Koalition ein Gesetz vor, das da heißt „Gesetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familiendienstleistungen“, also im Prinzip das, was die AfD im Juni beantragt hat und Sie alle abgelehnt haben. ({2}) Mal ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ist Ihnen das nicht selbst langsam peinlich? Sie lehnen Anträge unserer Fraktion ab, nur weil sie eben von der AfD kommen. ({3}) Hinter den Kulissen geben Sie sogar zu: Guter Antrag, falsche Partei. – Verzeihen Sie, aber das ist Kindergartenniveau, meine Damen und Herren. ({4}) So ein Verhalten erwarte ich von Vierjährigen und nicht von Abgeordneten des Deutschen Bundestages. ({5}) Völlig absurd werden solche Ablehnungen dann, wenn, wie hier, kurz danach ein Antrag oder ein Gesetz folgt, das genau das fordert, was wir ja eigentlich wollten. Egal ob digitale Familienleistungen, Abschaffung des Solis, Verbot der Hisbollah, Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit mit China, Fertigstellung von DEMIS, das Familienentlastungsgesetz und, und, und – alles von der AfD gefordert, alles von den übrigen Fraktionen abgelehnt ({6}) und schon kurz danach von mindestens einer dieser Fraktionen wieder in den Bundestag eingebracht, diesmal aber unter eigener Flagge. ({7}) Liebe Kollegen, Nachahmung ist zwar die höchste Form der Anerkennung, aber in Wirklichkeit geht dann doch nichts über das Original, und das ist immer wieder die AfD. ({8}) Im Gegensatz zu Ihnen spielt es für unsere Fraktion keine Rolle, wer denn den Antrag stellt. Es geht um die Inhalte und darum, wie wir unser Land nach vorne bringen. Wir wollen das Beste für Deutschland. Wenn ein Antrag gut ist, dann stimmen wir dem zu, egal ob er von der CDU/CSU, von der SPD, von der FDP, ja sogar manchmal von den Grünen oder von den Linken kommt – zugegeben, da kommt nicht viel Gescheites, aber wenn was kommt, dann sagen auch wir Ja. ({9}) Und so werden wir auch diesem Gesetz zustimmen. Es wird höchste Zeit, dass wir beim Thema E-Government den Turbo einlegen. Ein wenig Bauchschmerzen habe ich mit dem Änderungsantrag der Koalition, in dem eigentlich das Onlinezugangsgesetz angepasst wird. Hier wäre ein eigenes Gesetz angebracht gewesen. Dieses Huckepackverfahren hätte man sich schenken können. Klar ist auch, dass dieses Gesetz nur ein erster Schritt sein kann, dem viele weitere folgen müssen, damit Deutschland auch in der Verwaltung digital endlich aufholen kann. Und bitte achten Sie darauf, dass Sie diesmal auch die Bürger mitnehmen und für eine umfassende Aufklärungskampagne sorgen, damit die Menschen wissen, welche Möglichkeiten sie haben, und diese dann auch nutzen. Denn nur so können wir den beschämenden 26. Platz in der EU bei der Inanspruchnahme von E-Government-Leistungen verlassen. Höchste Zeit wird es. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Frau Bundesministerin Dr. Franziska Giffey für die Bundesregierung. ({0})

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht darum, dass wir das Leben für Eltern, für Familien einfacher machen. Deswegen freue ich mich, dass wir heute das Digitale-Familienleistungen-Gesetz abschließend beraten. Mit dem Gesetz bündeln wir die Anträge für die Leistungen für Familien rund um die Geburt eines Kindes. Und wir sorgen gerade in dieser besonderen Zeit dafür, dass eben nicht die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Eltern, von Behörde zu Behörde laufen, sondern dass die Daten das machen und dass Datenaustausch ermöglicht wird: für mehr Zeit für die Kinder und für weniger Zeit für die Bürokratie. ({0}) Frau Cotar, nein, wir haben uns nicht erst seit Juni damit beschäftigt, sondern den Kinderzuschlag Digital gibt es bereits seit Anfang dieses Jahres. Wir haben mit dem Elterngeld Digital schon längst ein digitales Tool. Wir haben unser Familienportal – ich kann es nur allen empfehlen –, bei dem alle Familienleistungen, die wir anbieten, auf den Seiten des Bundesfamilienministeriums bereits digital verfügbar sind. Es geht nicht darum, dass wir heute den ersten Schritt in Richtung Digitalisierung machen, sondern es geht darum, dass wir die Leistungen, die es auch schon auf digitale Weise gibt, bündeln und zusammenfassen, ({1}) sodass nämlich künftig Eltern, die ein Kind bekommen, in einem Paket Geburtsurkunde, Elterngeld, Kindergeld und dann perspektivisch auch den Kinderzuschlag zusammen beantragen können – von unterwegs, von zu Hause aus –, und das ist die Neuerung: die Bündelung der Leistungen. Das ist etwas, woran wir lange gearbeitet haben und wofür wir jetzt mit diesem Gesetz diesen Schritt tun können. ({2}) Wir haben das mal ausgerechnet: Allein der Zeitaufwand für den Elterngeldantrag schrumpft um ein Drittel. Insgesamt sparen wir Eltern mit dem Gesetz über eine halbe Million Stunden, die sie mit ihren Kindern mehr verbringen können, weil viele Unterlagen wie die Einkommensnachweise eben nicht extra eingeholt bzw. vorgelegt werden müssen, sondern weil es über den Datenaustausch elektronisch, automatisch und datensicher funktionieren wird. Das ist ein Riesenschritt für eine bürgernahe Verwaltung. Mit dem Digitale-Familienleistungen-Gesetz machen wir den Anfang. Das ist ein Meilenstein. Wir sind damit Vorreiter innerhalb der Bundesregierung bei der Digitalisierung der Leistungen, die der Staat anbietet, und darauf sind wir sehr, sehr stolz. Wir werden ab dem nächsten Jahr mit dem Pilotprojekt in Bremen unter dem Namen „ELFE – Einfach Leistungen für Eltern“ hier einen ersten Schritt gehen und wollen dann, dass es bundesweit ab 2022 möglich ist, alle Familienleistungen komplett digital zu beantragen. Das ist heute der erste wichtige gesetzgeberische Startpunkt dafür. Es wird auch bedeuten, dass wir hier eben für eine moderne, serviceorientierte Verwaltung arbeiten, die natürlich auch Ressourcen sparen wird, die sie dann wieder für die Beratung und Unterstützung der Familien einsetzen kann. Das ist ein Beitrag für starke Familien in einem starken Land, und deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung und danke für Ihre Unterstützung. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Manuel Höferlin, FDP-Fraktion. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Bundesregierung, Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn Sie über Digitalisierung von Leistungen sprechen. Wir als Digitalfraktion unterstützen das. Aber ich war schon etwas überrascht, dass hier heute die Familienministerin und die Staatsministerin aus dem Kanzleramt sprechen. Ehrlich gesagt, habe ich gedacht, der Kollege Krings, der in der letzten Reihe sitzt, spricht heute hier. Denn im Kern geht es heute gar nicht um das Digitale-Familienleistungen-Gesetz, sondern sozusagen durch die Seitentür haben Sie in das parlamentarische Verfahren kurzfristig eine Änderung des Onlinezugangsgesetzes, also zu grundlegenden Verwaltungsleistungen, eingebracht. Ich kann Ihnen eins sagen: Ihnen ist klar, dass Ihnen die Zeit wegläuft. Sie haben versprochen, bis 2021 die Verwaltungsleistungen zu digitalisieren. Langsam wird die Zeit knapp. Deswegen suchen Sie jede Möglichkeit, diesen Leistungsdruck zu verringern. Aber das geht nicht. Sie müssen das Parlament ordentlich beteiligen und dürfen nicht einfach über Änderungsanträge im Parlament am Ende – das haben Sie als Formulierungshilfe vorgeschrieben – solche Dinge in ein Gesetzgebungsverfahren einbringen. So kann man parlamentarische Demokratie nicht leben. Da haben Sie uns nicht an der Seite. ({0}) Sie machen durch diesen Änderungsantrag im Kern weitreichende Änderungen, die jeden einzelnen Bürger betreffen, möglich. Zum Beispiel geht es darum: Wie wird ein Verfahren gegenüber dem Bürger bekannt gegeben? Wie oft muss er in sein elektronisches Postfach gucken? Es geht um die sogenannte Bekanntgabefiktion. Das sind keine Kleinigkeiten. Es geht um Grundsätzliches, was Sie hier machen. Dafür hätte es ein eigenes Gesetzgebungsverfahren gebraucht. Das haben auch die Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung letzte Woche gesagt. Sie haben klar gesagt: Für so etwas braucht man ein eigenes Verfahren mit einem ordentlichen Durchlauf, sodass alles abgewogen werden kann, und kein Vorgehen durch die Hintertür. ({1}) Sie benutzen hier das Elster-Zertifikat, also ein Zertifikat der Steuerverwaltung, um Bürger und Unternehmen im Verfahren zu identifizieren. Da fragt man sich natürlich: Warum machen Sie denn das? Kriegt das Innenministerium kein eigenes Ident-Management hin? ({2}) Kriegen die das nicht hin? Dabei reden wir seit zehn Jahren darüber. Und haben Sie nicht seit zehn Jahren den Personalausweis mit einer eID? Anscheinend klappt das nicht, und jetzt versuchen Sie, das sozusagen mit dem Hilfsmittel der Steuer-ID und dem Elster-Zertifikat zu machen. Genau da ist nachher das Problem, das wir sehen: Im Gesetz steht zwar explizit drin, dass Sie mit dem Zertifikat von Elster keine Verknüpfung mit der Steuer-ID vornehmen wollen; aber alle Sachverständigen in der Anhörung – wir haben explizit nachgefragt – sagen: Na ja, das steht da drin. – Aber das ganze Konstrukt eines Änderungsantrages spricht eigentlich dafür, dass man den Weg ebnen möchte, am Ende Elster als Ident, also zur Identifizierung, zu benutzen. Das ist möglicherweise auch verfassungswidrig, das mit einer solchen Personenkennziffer durchzuführen. Damit haben wir große Probleme. Da haben Sie uns nicht an Ihrer Seite. Das geht so nicht, das einfach über einen Änderungsantrag ohne große Debatte einzubringen, meine Damen und Herren. ({3}) Herr Krings sagte: Das OZG gehört zu den sogenannten Schwarzbrotthemen der Innenpolitik. – Ich habe das Gefühl, Sie haben in der Bundesregierung bei Ihrer Digitalisierung der Verwaltung noch einiges zu knabbern. Aber mit hastigen Änderungsanträgen durch die Seitentür bringen Sie solche grundlegenden Weichenstellungen nicht mit unserer Zustimmung durch das Verfahren. Deswegen können wir diesem Verfahren nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Höferlin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut – stimmt leider nicht immer. Die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen wie Kindergeld-online begleitet mich beruflich schon seit Pi mal Daumen zwei Jahrzehnten, länger als BundOnline, mit dem man schon 2005 statt der Bürger/-innen ihre Daten von Amt zu Amt laufen lassen wollte. Zum Feiern, Ministerin Giffey, ist mir das einfach zu spät. ({0}) Ende 2022 sollen nun alle 575 Verwaltungsdienstleistungen elektronisch zur Verfügung stehen; aber Ende 2020 sind mir nicht mal drei bekannt, die in ganz Deutschland elektronisch vollständig abgewickelt werden können. Dass wir heute einen Gesetzentwurf mit rund 40 Seiten debattieren, der um über 20 Seiten Änderungsantrag ergänzt werden musste, ({1}) zeigt mir, dass die Bundesregierung beim E-Government nicht nur wie eine Schnecke arbeitet, sondern leider auch schlampig. ({2}) Außerdem enthält das Gesetz immer noch Regelungen, die im Widerspruch zu anderen Gesetzen stehen, die den gleichen Sachverhalt betreffen. ({3}) Und beim elektronischen Postfach für Bürger/-innen bleibt völlig unklar, ob das nur ein elektronischer Briefkasten zum Abwerfen von PDF-Dokumenten ist oder ob man ihn auch für echte Interaktionen mit dem Staat nutzen kann. Kann ich damit fehlende Dokumente nachreichen, Widersprüche einlegen? Kann ich Fragen stellen und Antworten darauf erhalten? Das ist doch das, was Nutzer/-innen erwarten; aber der Gesetzentwurf vertritt zum Teil eher einseitig Verwaltungsinteressen. So gibt es künftig die sogenannte Bekanntgabefiktion, also die Festlegung, dass ein im Postfach hinterlegtes Behördendokument drei Tage später als zugestellt gilt. Mit anderen Worten: Wer nicht ständig sein elektronisches Behördenpostfach kontrolliert, der hat halt Pech gehabt, wenn die Widerspruchsfrist zu einem fehlerhaften Bescheid abgelaufen ist. Hier muss doch die Lebenswirklichkeit ein bisschen stärker berücksichtigt werden. Frieda Musterfrau wird ein elektronisches Postfach für sporadische Behördenpost seltener kontrollieren als ihren eigenen Hausbriefkasten. Ein Kompromiss wäre daher das Recht, auf Wunsch zeitkritische Behördenpost per Brief zugestellt zu bekommen, wenn sie einige Tage unentdeckt im elektronischen Postfach herumschimmelt. ({4}) Zu Recht erwarten Bürger/-innen auch mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit vom digitalen Staat; aber elektronische Signaturen scheint die Bundesregierung auch vergessen zu haben. Dabei wären sie doch eine Hürde für unautorisierte Zugriffe auf die Daten der Bürger/-innen, weil jeder Arbeitsschritt im Verwaltungsprozess mit Zugriff auf Bürgerdaten elektronisch unterschrieben wäre. Das würde dann auch unabhängige Überprüfungen ermöglichen. Aber nach jetzigem Konzept bleibt der digitale Staat eine Blackbox. Erkennbar sind nicht einmal eingebaute Garantien, die verhindern, dass eine Behörde nachträglich Dokumente verändert, die schon im Postfach zugestellt waren. Last, but not least darf ich jetzt schon versprechen, dass wir von der Linksfraktion nicht zulassen werden, dass im Zuge der Verwaltungsdigitalisierung ein eindeutiges Personenkennzeichen wie die Steuer-ID fachübergreifend genutzt wird. Das wäre verfassungswidrig, und wir werden dagegen kämpfen. ({5}) Im Übrigen haben Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren. § 219a StGB gehört abgeschafft – immer noch. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Domscheit-Berg. – Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Tabea Rößner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Formulare, so heißt es, begleiten Bürger von der Wiege bis zur Bahre. Um den Bürgerinnen und Bürgern Wege zu ersparen und die Verwaltungen zu entlasten, sollen in zwei Jahren alle Dienstleistungen digital angeboten werden, am besten nach dem Once-only-Prinzip, das heißt: Man gibt der Verwaltung einmal seine Daten, und die Verwaltung kann je nach Dienstleistung zugreifen. Aber davon sind wir noch weit entfernt. Das spüren gerade im Lockdown viele frischgebackene Eltern, die an verschiedenen Stellen eine Geburtsurkunde, Kinder- und Elterngeld beantragen müssen. Dies soll nun über eine Onlineanwendung möglich werden. Wenigstens an dieser Stelle machen Sie jungen Menschen das Kinderkriegen etwas leichter. In Bremen startet das Pilotprojekt. Dabei wird besonderer Wert auf Transparenz beim Datenaustausch gelegt, und Eltern können nachvollziehen, welche ihrer Daten wohin gehen. So sollte es immer sein. ({0}) Bei diesem Projekt sind – ausnahmsweise, muss man leider sagen – die Datenschutzbeauftragten eng miteinbezogen worden. Positiv ist auch, dass die digitalen Familienleistungen freiwillig bleiben. Aber genug des Lobes. Die Koalition kam in diesem Gesetzgebungsverfahren mit einem Änderungsantrag zum Onlinezugangsgesetz um die Ecke, der sehr umfangreich und weitreichend ist. Bei der Anhörung wurde das heftigst kritisiert. Dass hier ohne intensive fachliche und parlamentarische Beratung mit heißer Nadel so grundlegend am OZG gestrickt wird, geht gar nicht. ({1}) Kritisiert wurde auch, dass mit der Registermodernisierung die Steuer-ID als Personenkennzeichen für alle Datenpools eingeführt werden soll. Das würde auch die Regelung hier, die Identifizierung und Datenverknüpfung über Elster in einem abgeschlossenen Bereich, überschreiben. Abgesehen davon, dass bei Einführung der Steuer-ID damals beteuert wurde, dass sie nur für die Steuer verwendet werde und das ein klarer Vertrauensbruch ist, birgt dieser zentrale Identifier ein unüberschaubares Risiko. Die verschiedenen Register können dann untereinander munter Daten austauschen, ganz ohne Einwilligung der betroffenen Personen. Die unzähligen unberechtigten Abfragen aus Polizeidatenbanken in der jüngsten Zeit beweisen, dass das keine theoretische Gefahr ist. Diese Zusammenführung aller Informationen zu einer Person auf staatlicher Seite stellt einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung dar und ist daher grundrechtswidrig. ({2}) Kritisch sehen das übrigens auch das Bundesverfassungsgericht ({3}) und die Datenschutzbeauftragten. Zudem hat ja nicht jede Person eine Steuer-ID. Würde man stattdessen wie beim österreichischen Modell bereichsspezifische Identifier nutzen, könnte man auch dieses Problem lösen. Es gäbe ein höheres Maß an Datensicherheit, und Bürgerinnen und Bürger hätten eine bessere Kontrolle über ihre eigenen Daten. Das würde deutlich mehr Vertrauen schaffen. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner. ({0}) – Herr Kollege Wendt, Sie dürfen so lange warten, bis ich Sie aufrufe. ({1}) – Ist klar. ({2}) Nächster Redner ist der Kollege Marian Wendt, CDU/CSU-Fraktion. ({3})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag. Wir verabschieden heute das Gesetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen. Ja, man kann kritisieren, dass das schon längst hätte geschehen müssen. Und ja, ich bin ehrlich: Das hatten wir uns schon für die letzte Wahlperiode vorgenommen. Aber es ist wichtig, dass man ein gutes Gesetz nun auch so zu Ende bringt, dass es ankommt. Das freut mich, und darauf können wir alle miteinander auch mal stolz und dankbar sein. ({0}) Denn man muss nicht nur kritisieren; man muss am Ende des Tages ja auch machen. Ich freue mich ganz besonders, dass wir mit diesem Gesetz gerade junge Familien entlasten und stärken und dass wir nach dem Starke-Familien-Gesetz hier nun einen weiteren Gesetzentwurf vorlegen, damit junge Familien sehen: Der Staat ist an deiner Seite. Der Staat unterstützt dich beim Kinderkriegen, bei der Kindererziehung, bei der Betreuung und nimmt dir diese administrativen Aufgaben so gut wie möglich ab. Vielen Dank dafür! Ich will auch die Kritik, die hier erwähnt wurde, ansprechen. Denn wenn wir uns fragen: „Warum sind 525 Verwaltungsdienstleistungen immer noch nicht digitalisiert?“, ({1}) dann müssen wir dazusagen: Das ist nicht deshalb so, weil wir von der Unionsfraktion es nicht wollen, sondern das betrifft strukturelle Fragen, Dinge, die in unserem Land problematisch funktionieren. Da ist natürlich der Verwaltungsföderalismus mit dem Bund, mit den Ländern, mit den Gemeinden. Da haben wir unterschiedliche Software. Da haben wir unterschiedliche Zuständigkeiten in den Ländern. Überlegen wir doch einfach mal, wer überall fürs Elterngeld zuständig ist, wer Kindergeld auszahlt, wie das auf den Jugendämtern funktioniert. Alleine an 435 Jugendämtern in Deutschland haben wir unterschiedlichste Systeme für den Unterhaltsvorschuss usw. usf.; ich könnte da zahlreiche Beispiele nennen. Deswegen ist es richtig und gut, dass wir die Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger einheitlich festlegen, dass wir ein funktionierendes System nehmen – E-Government funktioniert im Steuerverfahren besonders gut; das muss ich ganz klar sagen –, die Steuer-ID für die Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger im Onlineverfahren, und dies auch zur Grundlage für weitere Verwaltungsdienstleistungen machen. Das ist ein richtiger und guter Schritt zu mehr E-Government in unserem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Deswegen verstehe ich die Opposition nicht, die auf der einen Seite sagt: „Ja, wir fordern mehr E-Government; wir fordern mehr Vereinheitlichung, mehr standardisierte Verfahren“, ({3}) aber auf der anderen Seite sagt: „Nein, gemeinsame Register, das geht doch alles gar nicht; das ist Teufelszeug“, und dann kommt man hier auf das Urteil von 1983 zu sprechen. Damals gab es für die meisten Bürgerinnen und Bürger in diesem Land noch gar kein Internet. Deswegen sollte man da vorsichtig sein. Ich appelliere an Sie: Arbeiten Sie hier mit uns zusammen. Lassen Sie uns Lösungen finden, wie wir die Bürgerinnen und Bürger in gemeinsamen Registern, in gemeinsamen Datenbanken der verschiedenen Behörden erfassen können, aber auch – und da bin ich bei Ihnen von der Grünenfraktion –, wie wir den Bürger stets und ständig über Verwaltungsdienstleistungen, über Abfragen informieren. Wenn ich mir was bei Amazon bestelle, ({4}) dann bekomme ich gefühlt jede Stunde eine E-Mail, wie der Status meiner Bestellung ist. Aber wenn ich einen Antrag habe, dann passiert da mitunter gar nichts. Oder wenn es von verschiedenen Behörden Abfragen meiner Steuerdaten, Personenstandsdaten oder Ähnliches gibt, dann will ich darüber auch informiert werden; das ist mein gutes Recht. Aber lassen Sie uns dieses Thema nicht zum Anlass nehmen, um die ganze E-Government-Problematik grundsätzlich zu hinterfragen und die Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen gar nicht voranzutreiben, sondern nutzen wir es als Chance zur Transparenz in der Datennutzung, indem den Bürgerinnen und Bürgern sichtbar gemacht wird, wie wir diese Daten nutzen, wir aber auch die dem Staat zur Verfügung stehenden Daten auf allen Ebenen miteinander verknüpfen. Das ist die Grundlage für ein funktionierendes E-Government in Deutschland: dass der Bürger wirklich nur die Zeit mit Verwaltung verbringt, die notwendig ist. Deswegen: Fangen wir damit heute an! Beschließen wir das Gesetz! Ich bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Wendt. – Ich erteile nunmehr das Wort der Kollegin Elisabeth Kaiser, SPD-Fraktion. ({0})

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Zuschauer/-innen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist es ganz selbstverständlich, sich Dinge online zu bestellen, in Zeiten einer Pandemie einmal mehr. Aber schon lange vor Corona war klar, dass auch die Verwaltung sich modernisieren und endlich den technologischen Wandel vollziehen muss; denn nur so kann sie ihrem Zweck, dem Dienst an den Bürgerinnen und Bürgern in einer modernen Gesellschaft, nachkommen. Mit dem Onlinezugangsgesetz, kurz OZG, wurden dafür bereits erste Voraussetzungen geschaffen. Ziel ist es, dass Bürgerinnen und Bürger über ein gemeinsames Portal von Bund, Ländern und Kommunen Verwaltungsdienstleistungen einfacher in Anspruch nehmen können. Dafür müssen diese Leistungen und Verfahren in intensiver Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen digital zusammengeführt werden. Das ist technisch höchst anspruchsvoll und bedarf zahlreicher rechtlicher Grundlagen, die wir hier im Parlament beschließen. Wichtig war uns zunächst, Leistungen für Familien in den Blick zu nehmen; denn die digitale Beantragung kommt ihnen besonders zugute. Die Geburt eines Kindes beispielsweise ist mit zahlreichen Behördenkontakten verbunden. Man muss sie über das Krankenhaus oder direkt beim Standesamt anzeigen. Das Kindergeld beantragt man hingegen beim Jobcenter oder der Familienkasse. Und wer Elterngeld in Anspruch nehmen möchte, muss dafür zur Elterngeldstelle. Problematisch ist auch, dass Anträge häufig sehr schwer zu verstehen sind. Zudem müssen Eltern mehrfach die gleichen Daten bei verschiedenen Behörden angeben und Dokumente vorlegen. Zwar sind derzeit auch schon online ausfüllbare Formulare vorhanden; allerdings sind Nachweise wie Geburtsurkunde oder Gehaltsbescheinigungen jeweils in Papierform vorzulegen. Das ist wenig attraktiv und erst recht nicht digital. Die komplexen Antragsverfahren strapazieren auch nicht selten das Nervenkostüm frischgebackener Eltern. Deshalb sorgen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dafür, dass Eltern mit einem einfachen digitalen Antrag Geburtsurkunde, Elterngeld und auch das Kindergeld auf einmal beantragen können. ({0}) Dafür ermöglichen wir es, dass die zuständigen Behörden wie Standesämter, Elterngeldstellen, Krankenkassen und die Deutsche Rentenversicherung die jeweils nötigen Daten abrufen und übermitteln können. Nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes kann auch das Pilotprojekt „Einfache Leistungen für Eltern“ der Freien Hansestadt Bremen, ELFE genannt, starten. Es soll Erkenntnisse darüber liefern, wie ein vereinfachter digitaler Zugang zu Leistungen für Familien in der Praxis funktioniert. Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf begrüßt und angeregt, gleichzeitig weitere Änderungen im Onlinezugangsgesetz vorzunehmen. Mit Blick auf die zeitnahen Umsetzungsfristen des OZG hat die Koalition dieses Anliegen auch gerne aufgegriffen. Deshalb regeln wir mit einem Änderungsantrag unter anderem: die rechtlichen Grundlagen für einheitliche Nutzerkonten und Postfächer, die Identifizierung der Nutzer, die Konnektivität der Nutzerkonten von Bund und Ländern im Portalverbund, die Aufgaben im Portalverbund, datenschutzrechtliche Verantwortlichkeiten und auch Zugriffsrechte. Der Gesetzentwurf mit all diesen Änderungen wurde in enger Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern, Kommunen und auch den Datenschutz- und Sicherheitsbehörden abgestimmt. Es freut mich auch, dass die Sachverständigen das in der Anhörung zu diesem Gesetz mehrheitlich begrüßt haben und für eine schnelle Umsetzung appellierten. Zugleich erhielten wir natürlich auch wichtige Hinweise für die weiteren Gesetzesinitiativen zur Digitalisierung der Verwaltung. Das betrifft insbesondere die Einwilligungserfordernisse zur Übermittlung personenbezogener Daten. Diese könnten einem medienbruchfreien und voll digitalisierten Verwaltungsprozess noch im Wege stehen. Wir wollen diese und andere relevante Hinweise im weiteren Verfahren natürlich berücksichtigen. In der Koalition sind wir uns einig darin, das Gesetz in der vorliegenden Fassung nun zügig auf den Weg zu bringen, damit auch das Bremer Pilotprojekt ELFE bald starten kann. Sorgen wir also heute dafür, dass Familien in ganz Deutschland schon bald von der Digitalisierung profitieren können. Deshalb bitte ich Sie um breite Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Haben Sie vielen Dank, und bleiben Sie gesund! ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Kaiser. – Letzter Redner des heutigen Tages ist der Kollege Maik Beermann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maik Beermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004250, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Oftmals wird gesagt: „Ihr im Deutschen Bundestag sollt nicht immer nur debattieren, ihr sollt auch mal machen“ – gerade wenn es um das Thema Entbürokratisierung geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier machen wir jetzt einfach mal. Wir entlasten Familien nämlich bei der Bürokratie. Wir sorgen dafür, dass mit dem Digitale-Familienleistungen-Gesetz ein Gesetz auf den Weg gebracht wird, das Familien die Möglichkeit eröffnet, nicht mehr einen großen Wust an Papier ausfüllen zu müssen, sondern eben die ganzen Leistungen – Kindergeld, Elterngeld und die Namensgebung, also die Beantragung der Geburtsurkunde – kombiniert in einem Verfahren zu beantragen. Das ist etwas, was wir in dieser Form bisher noch nicht gehabt haben. Deswegen ist es gut, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden. Unsere Familien werden sich dafür sicherlich bei uns bedanken. ({0}) Eines ist ja klar – der Kollege Wendt hat es gesagt –: Wir hätten das Ganze schon gerne etwas eher gemacht. Aber entscheidend ist ja letztendlich, dass wir es umsetzen. Genau darum geht es heute. Deswegen kann ich es nicht so richtig verstehen, warum die Kollegen der FDP bei dieser Frage nicht bei uns sind. ({1}) – Ja, genau, richtig. – Also wenn Sie dem Digitale-Familienleistungen-Gesetz zustimmen, dann haben Sie ja alles richtig gemacht; denn dann erfährt dieses Gesetz hier im Haus wirklich eine große Mehrheit. Es geht ja nicht darum, sich immer nur ausschließlich auf Änderungsanträge zu beziehen, sondern auch auf das, was wir eigentlich machen, nämlich Gesetze. Und dieses Gesetz ist gut, dieses Gesetz entlastet, und deswegen würde ich mich persönlich über eine breite Zustimmung hier im Parlament freuen. Eines sage ich auch – die Kolleginnen und Kollegen in Bremen warten darauf auch schon länger –: Das Projekt „Einfach Leistungen für Eltern“, ELFE, besteht schon so lange und wartet darauf, dass es endlich ausgerollt werden kann. So kann es eine Blaupause für unser Land werden, damit auch andere Bundesländer letztendlich sehen, dass es funktioniert, und sich aufschalten. Mit Baden-Württemberg und Bayern haben die ersten Bundesländer Lust darauf, dabei mitzumachen. Ich bin Niedersache, und ich rufe auch den Niedersachsen zu: Schließt euch auch an, damit wir hier möglichst schnell vorankommen. Es ist ja nicht immer nur der Bund, der beim Thema Digitalisierung bremst, gerade in einem föderalen Staatssystem. Vielmehr ist es so, wie der Kollege Wendt gesagt hat: Wir haben hier den Bund, wir haben die Länder, und wir haben die Kommunen, und alle Zahnräder müssen zusammengreifen. – Deswegen sind alle anderen Bundesländer dazu aufgerufen und herzlich eingeladen, sich auf den Weg zu machen und dabei zu sein. ({2}) Noch etwas möchte ich sagen – ich spreche heute als Familienpolitiker und auch als Digitalpolitiker –: Ich würde mich freuen, wenn wir nicht bei den Leistungen, die ich vorhin aufgezählt habe, aufhören, sondern wenn wir weitermachen, beispielsweise beim Thema „Unterhaltsvorschuss“ und beim Thema „Bildungs- und Teilhabepaket“, damit auch diese Leistungen, die wir Jahr für Jahr in den Haushalten zur Verfügung stellen, abgerufen werden können. Das wäre mein Wunsch, darum möchte ich bitten. Aber heute geht es erst mal um eine allumfassende Zustimmung für dieses gute Gesetz. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Beermann. – Damit schließe ich die Aussprache.