Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein nuklearer Schatten legt sich erneut über unsere Welt. In Hawaii gab es Fehlalarm. Menschen verabschiedeten sich von ihren Verwandten, von ihren Familien, weil man glaubte, eine nordkoreanische Atomrakete sei im Anflug. In Japan gibt es wöchentlich Übungen für Kinder, in Atombunker zu gehen. In den USA wird eine neue Doktrin über einen Erstschlag durch Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft erlassen. In Europa wird angesichts der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland unser Nachbar Dänemark mit einem Atomschlag bedroht. Der russische Präsident fabuliert von der Inkraftnahme der russischen Atomraketen. Wer immer noch nicht glaubt, dass ein nuklearer Schatten auf der Welt liegt, der muss sich nur noch einmal die Bilder von gestern Abend anschauen, als der russische Präsident vor dem Hintergrund von anfliegenden Raketen und Animationen erneut über einen bevorstehenden Atomkrieg fabulierte.
Alles das sind Dinge, die Europa unmittelbar betreffen. Ich befürchte, dass wir Zeitzeugen einer solchen Auseinandersetzung werden können. Umso mehr muss die Bundesregierung und muss der Deutsche Bundestag alles dafür tun, dass es nicht dazu kommt.
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Deswegen diskutieren wir heute über einen Antrag, der in diesem Kontext steht: Der INF-Vertrag hat einst das Verbot und die Vernichtung von landgestützten Mittelstreckenraketen möglich gemacht hat. Er ist wieder in Gefahr. Ich bin dankbar, dass es nach den Koalitionsverhandlungen so schnell gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen. Das deutet Gutes an, nämlich dass wir dieses Thema auch in Zukunft besprechen werden. Aber ich würde mir wünschen, dass wir versuchen, diesen Antrag später vielleicht auch gemeinsam zu bereichern, mit anderen Parteien; denn ich glaube, es gibt ein gemeinsames Interesse, und es darf keine ideologischen Trennlinien geben, zumindest nicht in dieser Frage.
Meine Damen und Herren, warum haben wir uns dazu entschlossen, heute über den INF-Vertrag zu sprechen? Weil er ein Vorbild und ein Anker für andere Abkommen gewesen ist und insbesondere der Vertrauensbildung gedient hat – ein hohes Gut für Europa! Dieser Vertrag hat das Dilemma auch von Abrüstung und Rüstungskontrolle letztlich aufgelöst. Manchmal führen nämlich Abrüstung und Rüstungskontrolle auch zur Modernisierung von Waffensystemen. Der INF-Vertrag ist ein Nichtrüstungsvertrag von hoher Qualität geworden, und das hat Stabilität nach Europa gebracht.
Umso bedauerlicher und auch gefährlicher ist es, dass sich die USA und Russland in den vergangenen Jahren gegenseitig die Verletzung dieses Vertrages vorgeworfen haben. Alle, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz waren, haben gemerkt, dass dieses Thema bei den Diskussionen eine große Rolle spielt. Auf der einen Seite werfen die USA Russland vor, neue Systeme an den europäischen Außengrenzen zu stationieren. Auf der anderen Seite wird die Raketenabwehr von Russland in der Diskussion angeführt und gesagt, dass auch hierdurch eine Verletzung des INF-Vertrags passiert. Wir sollten uns daran erinnern, dass es in der Tat ein Fehler gewesen ist, dass es uns in Europa, nachdem Präsident Bush 2002 den ABM-Vertrag einseitig gekündigt hat, nicht gelungen ist, die USA von einem alternativen Vertrag zu überzeugen. Gestern hat die Pressekonferenz von Putin noch einmal sehr deutlich gemacht, dass letztlich gerade die Raketenabwehr zu Unsicherheit in Europa führt. Ich fordere die Bundesregierung, aber auch den Bundestag auf, in Zukunft noch viel stärker wieder über ein vertragsgestütztes System für die Raketenabwehr zu sprechen.
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Umso mehr gilt, meine Damen und Herren: Wir wollen den INF-Vertrag verteidigen. Wir unterstützen keine Pläne für neue Forschung oder Entwicklung von Mittelstreckenraketen. Wir Sozialdemokraten würden einer Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland nicht zustimmen. Umso mehr werben wir Sozialdemokraten für eine geschlossene Haltung in Europa. Nach meinem Dafürhalten ist es das beste Mittel, den USA und Russland Raum für vertrauensbildende Verhandlungen zu geben. Ich glaube, dass diese Probleme zwischen diesen beiden Ländern bilateral gelöst werden können. Die NATO darf nicht instrumentalisiert werden.
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Meine Damen und Herren, weitere Beiträge hier – da bin ich mir relativ sicher – werden sich auch mit den Kurzstreckenraketen in Deutschland befassen. In der Tat, ich war einige Zeit für einseitige Schritte. Aber die Erfahrungen des damaligen Bundesaußenministers Fischer, aber auch die Anstrengungen des ehemaligen und verstorbenen Außenministers Westerwelle – großer Aufwand und geringer Erfolg – haben mich nicht nur eines Besseren belehrt, sondern auch zu der Meinung geführt: Wenn wir diesen Weg gehen und den einseitigen Abzug aus unserem Land bewerben würden, löste dies keines der Probleme, auch nicht auf russischer Seite. Ich befürchte vielmehr: Es brächte neue Unsicherheiten nach Europa. Wir sind immer wieder mit Nachrichten vonseiten der polnischen Regierung konfrontiert, und zwar des Inhalts, dass sie diese Kurzstreckensysteme sehr gern in ihrem Land stationieren würde, wenn sie denn aus Deutschland abgezogen würden. Das brächte doch neue Unsicherheit.
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Das zeigt noch einmal: Die alleinige Fokussierung auf unser Land bringt am Ende nicht mehr Sicherheit für uns alle.
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Meine Damen und Herren, wir schlagen deswegen einen anderen Weg vor. Wir müssen die taktischen Atomwaffen in Europa als Problem der konventionellen Disparitäten sehen. Es war daher klug und richtig und wurde von uns Sozialdemokraten sofort und nachhaltig unterstützt, als der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier gesagt hat: Innerhalb der OSZE muss über konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle gesprochen werden, um in diesem Korsett die Frage der vollständigen Abschaffung und Vernichtung von taktischen Atomwaffen zu behandeln.
Wir diskutieren heute über zwei Dinge. Es geht erstens darum, den INF-Vertrag zu sichern, weil er letztlich die Stabilität für Europa gewährleistet. Er ist ein Ankerpunkt für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir müssen zweitens der künftigen Bundesregierung deutlich machen, dass sich Abrüstung und Rüstungskontrolle lohnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will beginnen wie der Kollege Mützenich. Wir sind in einer außenpolitischen und sicherheitspolitischen Situation, die so kritisch ist wie noch nie seit 1990. Sie haben die Ukraine erwähnt. Wir können auch nach Syrien schauen, wo die Kriegshandlungen von russischer, von iranischer und leider auch von türkischer Seite fortgesetzt werden. Wir haben das hier schon diskutiert. Es gibt die Bedrohung von Japan, einem engen Bündnispartner unsererseits, durch Nordkorea. Wir haben gestern einen russischen Präsidenten erlebt, der neue Waffensysteme vorgestellt hat, und das in einer Stimmung, die man fast als diebische Freude bezeichnen kann. Es geht um intelligente, nuklearbestückte Waffensysteme zu Wasser und zu Luft.
In dieser Situation muss man zweierlei sagen: Erstens. Deutschlands und Europas Sicherheit hängt davon ab, dass wir fest im westlichen Bündnis stehen.
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Zweitens. Deutschland sieht sich der Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie vertraglichen Vereinbarungen, die wir eingegangen sind, verpflichtet. Jede Regelverletzung – ich nenne beispielsweise die Verletzung des Budapester Vertrages durch Annexion der Krim oder eine Verletzung des INF-Vertrages – ist ein Beitrag zur Unsicherheit und muss von uns deshalb sanktioniert werden. Wir dürfen im sicherheitspolitischen Bereich keine Vertragsverletzungen in Europa und in dieser Welt dulden.
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Herr Kollege Mützenich, Sie sprachen davon, dass die NATO nicht instrumentalisiert werden darf. In diesem Punkt unterscheide ich mich von Ihnen. Wenn es eine Lehre aus der Zeit des NATO-Doppelbeschlusses gibt – er wurde ja sozusagen kreiert von Helmut Schmidt, dem früheren Bundeskanzler aus Ihrer Partei –, dann ist es die, dass Festigkeit im westlichen Bündnis und die Bereitschaft zur Sicherheitskooperation mit Russland und mit anderen notwendig sind. Das ist das Konzept, mit dem wir Sicherheit gewährleisten können. Unsicherheit im eigenen Bündnis, sei es durch Infragestellen des 2-Prozent-Ziels, sei es durch Infragestellen der nuklearen Teilhabe, sei es durch Infragestellen unserer Bündnisverpflichtungen, führt zu noch mehr Unsicherheit. Wir brauchen zwei Standbeine: die Offenheit zur Kooperation mit anderen und die Verankerung in der NATO.
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Jetzt ist eine klare Reaktion notwendig. Es darf aber keine einseitige Reaktion werden. Es ist schon bemerkenswert, dass auf die mögliche Vertragsverletzung von russischer Seite nur die USA reagiert haben. Wir brauchen aber auch eine europäische Reaktion. Moskau muss wissen, dass wir das beobachten. Moskau muss wissen, dass in unserem Koalitionsvertrag von „Achtsamkeit“ und „Resilienz“ gesprochen wird. Wir wollen Aufklärung und Klarheit: Wofür sind diese Bataillone gedacht? Was ist dort möglich? Was ist dort vorstellbar? Moskau muss auch wissen, dass es im Zweifel auch eine Antwort geben wird, die zwar nach unserer Vorstellung in keinem Fall in einer neuen Rüstungsspirale enden soll, die aber auch nicht aus einer falsch verstandenen Nachgiebigkeit bestehen darf. An dieser Stelle zu schweigen, wäre ein schwerer sicherheitspolitischer Fehler. Deshalb brauchen wir hier Klarheit, Offenheit und Vertragstreue von Moskau sowie Standfestigkeit unsererseits im westlichen Bündnis.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Anton Friesen, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Bürger auf der Besuchertribüne! Die Atomkriegsuhr steht auf zwei vor zwölf. So hoch schätzen derzeit renommierte Experten und Atomphysiker die Gefahr eines Nuklearkrieges ein. Nur ein einziges Mal stand die Menschheit so nah vor dem Abgrund; das war 1953 mitten im beginnenden Kalten Krieg. Internationale Vertragswerke zur atomaren Abrüstung wie der INF-Vertrag, der die Abschaffung von nuklearen und konventionellen Mittelstreckenraketen vorsieht, oder der zur Reduzierung strategischer Atomwaffen und ihrer Trägersysteme überlebenswichtige New-START-Vertrag stehen vor dem Scheitern bzw. drohen nach ihrem Auslaufen nicht verlängert zu werden.
Die USA und Russland werfen sich gegenseitig Beschuldigungen an den Kopf, wer durch was die Vertragswerke verletzt habe, und rüsten, wie die übrigen Atommächte dieser Welt, munter auf. Beispiele dafür gibt es zur Genüge; wir hatten gestern eins. Als weitere Beispiele nenne ich die Modernisierung der Atomwaffen der Vereinigten Staaten und die Entwicklung sogenannter Mini-Nukes. Der US-amerikanische Senat will weitere Gelder für die Entwicklung einer Mittelstreckenrakete bereitstellen. Auch dieses Vorhaben würde den INF-Vertrag verletzen. Das Ganze findet vor dem Hintergrund des konflikthaften Entstehens einer neuen multipolaren Weltordnung statt. Hinzu kommen neue Arten der Kriegsführung – ich denke an Cyberspace und automatisierte Waffensysteme –, die die Gefahr einer militärischen, auch nuklearen Konfrontation vervielfachen.
Werden die hier vorliegenden Anträge der täglich schrumpfenden Gernegroß-Koalition und der kleinsten Möchtegern-Regierungspartei dem Ernst der Lage wirklich gerecht? Nein, sie kommen über Allgemeinplätze nicht hinaus. Die Grünen erinnern die schon länger und bald wieder Regierenden immerhin daran, dass sie einmal hoch und heilig versprochen haben, sich für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.
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Übrigens hätten wir zu diesem Thema – zumindest war das in der Vergangenheit der Fall – einen breiten Konsens im Plenum; denn sowohl die Union, die SPD als auch wir sowie die FDP, die Grünen und Die Linke haben sich in der Vergangenheit für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland ausgesprochen.
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Manche leiden an politischer Amnesie, und andere haben für ein Pöstchen in der GroKo eine 180-Grad-Wende vollbracht.
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Auch ein gewisser Herr Schulz darf sich angesprochen fühlen, selbst wenn es mit dem Pöstchen bekanntlich nicht geklappt hat. Während Wendehälse wanken, stehen wir als AfD klar für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland.
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Um den INF-Vertrag zu retten, sollte Deutschland dafür eintreten, die seitens Russlands und der USA reklamierten Vertragsbrüche umfassend aufzuklären und für vollständige Transparenz zu sorgen. Wir brauchen deutsche, russische und US-amerikanische Inspektoren, die sowohl zu den russischen SSC-8-Raketen als auch zu US-amerikanischen Abwehrraketen Zugang erhalten. Wir brauchen einen neuen weltumfassenden INF-Vertrag unter Beteiligung aller Atommächte.
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Nicht zuletzt brauchen wir auch eine wehrhafte Bundeswehr. Statt Gender und Gedöns brauchen wir Panzer, die fahren, Flugzeuge, die fliegen, und U-Boote, die tauchen.
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Auch hier versagt die noch nicht und demnächst leider schon wieder Große Koalition.
Deutschland, meine Herren, braucht eine Regierung, die seinen Interessen und seiner geopolitischen Stellung endlich gerecht wird. Die Welt wartet nicht. Die Atomuhr – die tickt.
Vielen Dank.
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Jetzt hat der Kollege Alexander Müller, FDP-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Russland vor wenigen Jahren die Krim und die Ostukraine eingenommen hat, lautete die offizielle Begründung: Dort leben sehr viele russische Staatsbürger mit einem gewissen Sicherheitsbedürfnis, und dieses können wir nur gewährleisten, wenn Russland selbst dort für Sicherheit sorgt. Wir alle wissen, dass Präsident Putin regelmäßig von innenpolitischen Problemen ablenkt, indem er sich militärisch irgendwo profiliert, ob auf der Krim, in der Ostukraine, in Syrien oder, wie gestern gesehen, mit der Präsentation neuer Waffen. Immer wenn es bei ihm innenpolitisch schwierig wird, dann erkauft er sich auf Nebenkriegsschauplätzen wieder die nötige Popularität. Die drei baltischen Staaten passen ideal in dieses Schema, haben sie doch einen Bevölkerungsanteil von etwa einem Viertel russischer Bürger, und auch die Enklave Kaliningrad könnte für Russland leichter auf dem Landweg erreicht werden. Das Baltikum, Mitglied der Europäischen Union, ist sich dieser Gefahr sehr bewusst. Die Lebensversicherung für das Baltikum ist der starke Arm der NATO, dessen Stärke Russland abschreckt.
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Selbstverständlich gehört auch die Einbeziehung des nuklearen Potenzials zu diesem Schutzschirm.
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Entschuldigung, Herr Kollege. Gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Bitte erst nach der Rede.
Nach der Rede gibt es keine Zwischenfrage. Dann ist die Redezeit zu Ende.
Dann lehne ich sie ab. – Was glauben Sie, welche Schockwelle durch ganz Osteuropa ginge, wenn Deutschland einseitig aus der nuklearen Teilhabe aussteigen würde, so wie es die Grünen verlangen, wenn wir uns aus internationalen Vereinbarungen einfach vom Acker machen und den anderen sagen würden: „Seht doch zu, wo ihr bleibt“? Wir fangen gerade an, zusammen mit den europäischen Partnern unsere Verteidigung europäisch zu denken und europäisch zu organisieren. Dazu gehört enorm viel Vertrauen, weil die einzelnen Nationalstaaten dafür nationale Souveränität abgeben müssen. Dieses Vertrauen würden wir konterkarieren. Wir würden diesen Aufbau einer europäischen Verteidigung im Keim ersticken, wenn wir einseitige Maßnahmen ergreifen würden und uns aus den Bündnissen verabschieden würden.
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Ich habe schon vor einer Woche hier ausgeführt – ich will nicht alles wiederholen –, dass es wenig bringt, wenn die atomwaffenfreien Staaten verlangen, dass alle Nuklearmächte bitte ihre Atomwaffen vernichten sollen.
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Der Antrag von Union und SPD greift ja genau diese Linie auf, nämlich die bestehende Sicherheitsarchitektur in Europa nicht ohne Not zu gefährden, sondern im gemeinsamen Dialog mit den USA und Russland darauf hinzuarbeiten, Schritt für Schritt zu immer weniger Atomwaffen zu kommen. Unsere Aufgabe in Deutschland und in Europa ist es dabei, zu vermitteln, Unklarheiten auszuräumen, gegenseitige Vorwürfe zu entkräften und mit dafür zu sorgen, dass die Vereinbarungen aus dem INF-Vertrag, also das Verbot aller Mittelstreckenraketen, eingehalten werden und die Verträge weiterhin gelten.
Die Grünen verlangen in ihrem Antrag unter Punkt 3 den einseitigen Ausstieg Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe der NATO. Doch das entspricht genau dem Vorgehen von Präsident Trump: Es interessiert einen nicht, welche Bündnisse man eingegangen ist, welche Absprachen dabei getroffen wurden. Man macht sich einfach vom Acker nach dem Motto „Nur meine Interessen sind wichtig, die Osteuropäer sollen dann sehen, wie sie klarkommen“.
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Meine Damen und Herren, genau diese Methode Trump kann doch nicht ernsthaft unsere Antwort auf die Herausforderungen des Zeitalters der Globalisierung sein. Lassen Sie uns vielmehr daran arbeiten, das Vertrauen zwischen den Atommächten zu verbessern, die bestehenden Abrüstungsverträge zu stärken, weiterzuentwickeln und gemeinsam im Verbund mit den europäischen Partnern die Sicherheit in Europa zu verbessern.
Vielen Dank.
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Dann erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Lucassen, AfD, zu einer Kurzintervention.
Danke schön, Herr Präsident. – Auf die Rede des geschätzten Kollegen Müller möchte ich wie folgt eingehen: Ich möchte Sie und die gesamte FDP-Fraktion daran erinnern, dass es im Nachgang zum Zwei-plus-Vier-Vertrag der damalige langjährige Außenminister und ihr Parteimitglied Genscher war, der in Nebenerklärungen deutlich gesagt hat, dass es keine NATO-Osterweiterung geben wird, wenn die russischen Streitkräfte aus den neuen Bundesländern abgezogen sind,
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was bereits 1994 der Fall war. Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung dieser Friedenspolitik wurde Ende der 90er-Jahre der NATO-Russland-Rat eingerichtet. In diesem Hause hat sich im Jahr 2001 Putin auf diese Zusagen bezogen. Aber die Bundesregierung hat diese Politik spätestens ab 2002 beendet.
Können Sie zur Kenntnis nehmen, dass diese Politik und nun auch die Stationierung von NATO-Streitkräften unter wesentlicher Beteiligung unserer Bundeswehr, zumindest mit dem, was noch einsetzbar ist, im Baltikum auch von der Russischen Föderation als eine Bedrohung wahrgenommen werden kann?
Danke.
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Herr Kollege Müller, Sie können, wenn Sie wollen, darauf antworten.
Herr Kollege Lucassen, ich würde Sie gerne fragen, woher Sie diese Erkenntnisse haben, aus welchem Verschwörungsblog. Hans-Dietrich Genscher kann sich leider nicht mehr wehren, und wir können uns daran nicht erinnern.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 30 Jahren einigten sich die USA und die Sowjetunion auf ein weitreichendes Abrüstungsabkommen, den sogenannten INF-Vertrag. Das war ein entscheidender Beitrag zur europäischen Sicherheit. Praktisch alle landgestützten Mittelstreckenraketen wurden zerstört, auch die US-Pershing-Raketen, gegen die viele von uns damals demonstriert haben, zum Beispiel in Mutlangen in Baden-Württemberg.
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Das fand in einem Klima des Vertrauens und der Verständigung in Europa statt. Deswegen, Herr Wadephul, muss ich sagen: Wir brauchen keine neue Kalte-Krieg-Rhetorik und Abschreckung, sondern wir brauchen wieder ein Klima des Vertrauens sowie Maßnahmen, die zu mehr Verständigung führen, um zu neuen Abrüstungsinitiativen zu kommen.
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Ich möchte daran erinnern: Damals wurde über die Idee eines gemeinsamen Hauses Europa gesprochen. Das stand auf der Tagesordnung. Davon ist heute leider nichts mehr zu hören; denn während sich der Warschauer Pakt auflöste, blieb die NATO als Militärbündnis bestehen. Das ist ein historischer Fehler. Die NATO ist ein Relikt des Kalten Krieges.
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Die Linke setzt sich dafür ein, dass die NATO endlich ebenfalls aufgelöst wird und Deutschland aus den militärischen Strukturen der NATO austritt.
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Wir wollen eine europäische Sicherheitsstruktur. Wir haben die NATO-Osterweiterung erlebt, die mittlerweile bis zur Westgrenze Russlands vorgerückt ist. Die NATO hat sich zu einem weltweiten Kriegsbündnis entwickelt, das militärisch interveniert. Von Abrüstung im nuklearen oder konventionellen Bereich ist überhaupt keine Rede mehr. Die Mitgliedstaaten haben sich jetzt verpflichtet, ihre Rüstungsausgaben massiv zu steigern, auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Für Deutschland wären das Rüstungsausgaben in Höhe von bis zu 70 Milliarden Euro. Wir fordern, dass dieser Rüstungswahnsinn gestoppt wird.
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Auch nuklear soll aufgerüstet werden durch die Modernisierung der in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen und die Entwicklung neuer kleiner Atomwaffen, sogenannte Mini-Nukes, die in der neuen US-Nuklearstrategie angekündigt wurden und die einen Atomkrieg begrenzt führbar machen könnten. Das Pentagon argumentiert, die Sicherheit würde steigen, wenn man befürchten müsse, dass nukleare Atomschläge durchführbar wären.
Ich frage die Bundesregierung, ob sie diese US-Strategie allen Ernstes für einen Beitrag zu mehr Sicherheit in Europa hält. Wir erwarten – und wir begrüßen die Aussagen von Herrn Mützenich dazu – von der künftigen Bundesregierung, dass sie deutlich sagt, dass keine neuen landgestützten Atomwaffen in Deutschland stationiert werden.
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Europa darf nicht zum atomaren Schlachtfeld werden. Stattdessen muss sich die Bundesregierung endlich für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland starkmachen – ich möchte daran erinnern: wir haben einen Beschluss des Bundestages von 2010 dazu – und die nukleare Teilhabe im Rahmen der NATO aufkündigen.
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Die gestrige Vorstellung von Präsident Putins neuen strategischen Nuklear- und Interkontinentalraketen ist Ausdruck einer besorgniserregenden neuen Rüstungsspirale. Ja, der INF-Vertrag ist gefährdet. Und ja, wir brauchen mehr Transparenz, wie sie auch in den Anträgen gefordert wird. Das geht an Russland, aber es geht vor allem auch an die NATO; denn es müssen auch die russischen Sicherheitsinteressen diskutiert werden, wenn man gegenseitiges Vertrauen herstellen und Abrüstung erreichen will.
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Der atomare Raketenschild der NATO und die seegestützten Raketenabwehrsysteme der USA, die es möglich machen könnten, Russland anzugreifen, widersprechen dem INF-Vertrag. Wir fordern, dass dieser atomare Raketenschild der NATO zurückgenommen, aufgekündigt wird.
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Wir müssen jetzt beginnen, und da können wir nur von der Ostpolitik Willy Brandts lernen. Wir müssen in neue vertrauensbildende Maßnahmen einsteigen: diplomatisch, wirtschaftlich und im Bereich der Rüstungskontrolle. Transparenz ist gefordert, das Aufeinander-Zugehen. Dazu müssen auch die Sanktionen gegen Russland beendet werden; sie sind kein Schritt auf dem Weg zu mehr Vertrauen. Wir müssen auf kultureller und wissenschaftlicher Ebene endlich den Aufbruch für ein „gemeinsames Haus Europa“ wagen. Dazu gehört Russland, und nur gemeinsam mit Russland ist Frieden in Europa möglich.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gute Nachricht zuerst: Die zukünftigen Regierungsparteien fordern sich selbst vorsorglich schon einmal auf, als Regierung mehr für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu unternehmen. Das ist der positive Teil. Das ist ein hehrer Vorsatz; aber mit Appellen an die Atommächte allein wird es nicht gehen. Im Koalitionsvertrag steht dazu leider nur, dass Deutschland ein Interesse an nuklearer Teilhabe hat. Schade eigentlich.
Dabei ist die Lageanalyse in Ihrem Antrag ja völlig zutreffend. Die Aufrüstungsspirale eskaliert, und die Abschreckungsdogmatik des Kalten Krieges dominiert wieder die Debatten. Russland und die USA werfen sich gegenseitig Verstöße gegen den INF-Vertag vor, mit dem 1987 Mittelstreckenraketen aus Europa verbannt wurden. Die USA wollen künftig jährlich 40 Milliarden in den Erhalt und die Modernisierung ihrer Nuklearfähigkeiten investieren und verweigern nach wie vor die Ratifizierung des Kernwaffenteststopp-Vertrages.
Stattdessen entwickeln sie sogenannte Mini-Nukes, also kleine Atombomben, die durch eine vermeintlich niedrigere Einsatzschwelle eine höhere Abschreckung erzielen sollen. Putin wiederum präsentierte gestern erst seine neuen strategischen Raketensysteme, sogenannte Hyperschallwaffen, die von der US-Raketenabwehr angeblich nicht erfassbar sein sollen. Was für ein Irrsinn!
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An dieser Stelle will ich schon noch mal betonen, dass wir Grünen den Aufbau der Raketenabwehr in Osteuropa von Anfang an für einen Fehler gehalten und auch kritisiert haben, weil er zu einer Aufrüstungsspirale führen würde. Genau das erleben wir jetzt.
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Dabei hat es doch gerade erst vor zehn Jahren noch so viel Hoffnung gegeben. 2010 haben wir alle hier im Bundestag den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland gefordert. Ich sage es noch einmal: wir alle. Davon ist jetzt in Ihrem Antrag leider nichts mehr zu lesen. Ja, die Weltlage hat sich geändert; aber das spricht gerade nicht gegen, sondern für neue Abrüstungsinitiativen.
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Dem damaligen Außenminister Westerwelle nehmen wir bis heute ab, dass er es ernst gemeint hatte mit dem Abzug der Atomwaffen. Ob er damit mehr an den Amerikanern oder der Kanzlerin gescheitert ist, bleibt eine offene Frage, zu der ich persönlich durchaus eine Meinung habe.
Nunmehr hätte die FDP aber die Chance, an die Ära Westerwelle anzuknüpfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, stimmen Sie wieder mit uns – für nukleare Abrüstung, für Global Zero und für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland.
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Nun noch ein paar Worte zum Atomwaffenverbotsvertrag, den die UN-Vollversammlung beschlossen hat und für den die Initiatoren von ICAN sogar den Friedensnobelpreis erhalten haben. Dazu findet sich im Antrag der Koalitionäre nicht ein einziges Wort. Kein Wunder; denn Ihre Regierung hat ihn weder unterstützt noch hat sie sich enthalten. Sie ist bei den Verhandlungen nicht einmal als Gast erschienen.
Dabei ist die Argumentation, der Verbotsvertrag würde den Nichtverbreitungsvertrag infrage stellen, geradezu absurd. Der Nichtverbreitungsvertrag von 1970 beruht auf einer gegenseitigen Verpflichtung: Die Staaten ohne Nuklearwaffen verpflichten sich, keine solchen Waffen herzustellen oder anzuschaffen, und die Nuklearstaaten verpflichten sich, ihre Atomwaffen abzurüsten. Wenn also irgendetwas den Nichtverbreitungsvertrag gefährdet, dann die Tatsache, dass die Nuklearstaaten ihrer Verpflichtung nicht nachkommen und nicht ab-, sondern aufrüsten.
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Warum hat die Generalversammlung der UNO mit großer Mehrheit für ein Atomwaffenverbot gestimmt? Weil die Überprüfungskonferenz 2015 gescheitert ist und sich die Atommächte nicht einen Millimeter bewegt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abschaffung von Atomwaffen liegt in unser aller Sicherheitsinteresse und in dem unserer Kinder und Kindeskinder. Deutschland hat in dieser Frage zwar nicht die Entscheidung in der Hand, aber völlig unbedeutend ist die Haltung der Bundesregierung innerhalb Europas und innerhalb der NATO auch nicht gerade. Machen Sie sich nicht kleiner, als Sie sind!
Die Bundesregierung wäre nur dann glaubwürdig, wenn sie auch gegenüber dem eigenen Bündnispartner Haltung zeigen würde. Dazu müsste sie den Atomwaffenverbotsvertrag unterstützen und den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland fordern. Solange sie hierzu einfach schweigt, laufen alle freundlichen Appelle ins Leere.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Keul hat den Koalitionsvertrag falsch gelesen und unvollständig zitiert.
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Wir haben in den Koalitionsvertrag ausdrücklich hineingeschrieben: Ziel der Koalition ist die „nuklearwaffenfreie Welt“. Ziel der Koalition ist die „verifizierbare Abrüstung von allen Massenvernichtungswaffen“.
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Ich glaube, klarer kann man sich zu dieser Frage nicht positionieren.
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Das Problem, vor dem wir im Augenblick angesichts der möglichen Verletzung des INF-Vertrages stehen, ist eben auch nicht mit Wortbausteinen von der Bonner Hofgartenwiese zu lösen.
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Das ist damals, in den 80er-Jahren, schon falsch gewesen, und es ist heute falsch.
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Denn wenn die Gutwilligen ihre Waffen abrüsten, werden diejenigen, die diese Waffen aus bösen Gründen weiter behalten wollen, sie keinesfalls hergeben – sei es Kim Jong Un in Nordkorea oder sonst jemand auf der Welt.
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Der INF-Vertrag war der größte diplomatische Abrüstungserfolg des 20. Jahrhunderts. Er ist möglich geworden, weil der Westen – allen voran Deutschland – den schwierigen, politisch hoch umstrittenen, mühsamen Weg des Doppelbeschlusses gegangen ist.
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Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung in Europa ist es schlicht und einfach falsch, die heutige Politik mit den Argumenten von damals zu bekämpfen, mit Argumenten, die schon damals ebenso falsch waren, wie sie heute falsch sind.
Lassen Sie mich noch einen Gedanken vortragen, der sich an den Kollegen Müller von der FDP richtet. Sie haben die Frage gestellt: Warum erleben wir diese Aggression auf russischer, auf Putins Seite? Ich habe die Einschätzung, dass der russische Präsident, der nun zwei Jahrzehnte lang die Geschicke seines Landes bestimmt, bei einer sachlichen Analyse der innen-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Erfolge seines Landes zu einem ernüchternden Schluss kommen muss. Denn es ist in Russland nicht gelungen, die Wirtschaft zu diversifizieren und den Haushalt ein Stück weit aus der enormen Abhängigkeit von den Erlösen aus Öl- und Gasexporten zu befreien. Putin weiß, dass er das soziale Niveau und die wirtschaftliche Entwicklung in seinem Land ebenso wie die Befriedigung von Oligarcheninteressen auf Dauer nicht gewährleisten kann, wenn der Öl- und Gaspreis auf dem niedrigen Niveau bleibt, auf dem er heute ist.
Er baut deswegen die Legende auf, die westliche Welt sei schuld daran, dass Russland nicht so vorankommt, wie andere Staaten nach dem Fall der Mauer bzw. des Eisernen Vorhangs vorangekommen sind. Damit will er vermeiden, dass die Menschen in Moskau vielleicht eines Tages auf die Straße gehen und gemäß dem Märchen der Gebrüder Grimm feststellen: Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an.
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Wir müssen uns ganz nüchtern mit der Motivation des russischen Präsidenten auseinandersetzen, angefangen beim Einmarsch auf der Krim, über das, was wir 2015 mit der enormen konventionellen Aufrüstung der neuen Panzergeneration – 11 000 Panzer will Putin von den neuen Armata-Panzern anschaffen, die am 9. Mai über den Roten Platz gerollt sind – erlebt haben, bis hin zu den Ereignissen der letzten Tage: das zynische Verhalten gegenüber den Bemühungen der UN, für die Menschen in Ost-Ghuta einen Waffenstillstand auszuhandeln,
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und die Hackerangriffe, die möglicherweise, wie damals 2015, ganz konkret von Servern, die in Russland stehen, ausgegangen sind, von Servern, die der russische Präsident schlicht abschalten könnte, ganz zu schweigen von seiner gestrigen Rede, die an Martialität kaum zu überbieten war. Ich glaube, er will von Versäumnissen im eigenen Lande ablenken, und es ist ein Stück weit unsere Aufgabe, das vor der Präsidentenwahl in Russland in 14 Tagen auch so zu benennen.
Danke schön.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thomas Erndl, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir führen eine sehr wichtige Debatte, geht es doch um fundamentale Fragen von Freiheit und Sicherheit.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben Ihren Antrag überschrieben mit „Glaubhafter Einsatz für Nukleare Abrüstung“. Den Satz „Einsatz für Nukleare Abrüstung“ können wir in diesem Hohen Hause sicher alle unterschreiben; aber wenn Sie mit „glaubhaft“ meinen, nur Sie kennen den richtigen Weg, dann muss ich das scharf zurückweisen.
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Ich respektiere grundsätzlich Ihren Einsatz für internationale Abrüstung; aber gerade der INF-Vertrag, der im Mittelpunkt dieser Debatte steht, zeigt doch, dass wir mit Papiertigern keinen Millimeter vorwärtskommen.
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Wir alle wollen eine atomwaffenfreie Welt. Das ist unser und auch mein großer Wunsch, und daran müssen wir weiter arbeiten. Aber in der Realität brauchen wir dafür die Nuklearmächte. Sie wissen genau, dass das bisher bei allen wichtigen Abrüstungsabkommen der Fall war.
Deutschland engagiert sich in dieser nicht nur wichtigen, sondern überlebenswichtigen Frage, ob mit der intensiven Werbung für den Atomwaffenteststopp-Vertrag, im Zuge der Debatte über die UN-Resolution zum Verbot der Herstellung von spaltbarem Material oder durch unsere Rolle im aktuellen Überprüfungszyklus des Atomwaffensperrvertrags, um hier nur einige herausragende Initiativen zu nennen.
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Wir wollen den INF-Vertrag unter allen Umständen bewahren. Das ist hier auch Konsens. Deswegen haben wir mit unserem vorliegenden Antrag die Debatte angestoßen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in seiner gestrigen Rede hat der russische Präsident neue atomare Waffensysteme angekündigt: neue Waffentypen, die ohne großen Vorlauf zum Einsatz kommen können, und Raketen mit praktisch unbegrenztem Aktionsradius. Putin will die Welt in eine neue Aufrüstungsspirale zwingen. Das zeigt, dass ein verstärkter Dialog dringend notwendig ist. Deutschland kann und muss hier ein wichtiger Brückenbauer sein kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel von der AfD-Fraktion?
Nein, er kann im Anschluss etwas sagen.
Umso erstaunlicher ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und auch von anderen Parteien, ernsthaft den Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe der NATO zu fordern. Das stellt aus meiner Sicht ein großes, ja ein unverantwortbares Sicherheitsrisiko dar.
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Deshalb haben wir – und das ist der aktuelle Standpunkt – mit der SPD im Koalitionsvertrag festgehalten, dass, solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, wir ein Interesse daran haben, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Aber wir haben gleichzeitig festgehalten, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung prioritäre Ziele verantwortlicher deutscher Außen- und Sicherheitspolitik bleiben.
Diese Ziele erreichen wir nur aus einer selbstbewussten Position der Stärke heraus. Deswegen ist für mich wichtig, dass wir Deutschland mit der vereinbarten Steigerung des Verteidigungsetats stark und verteidigungsfähig halten, dass wir in Europa mit PESCO in der Verteidigung künftig gemeinsame Wege gehen, dass der Abrüstungsdialog weiterhin im Zentrum unserer Handlungen steht, dass auch digitale Schlachtfelder – so muss man das seit dieser Woche wohl leider nennen – in sicherheitspolitische Überlegungen einbezogen werden. So sieht verantwortungsvolle Sicherheitspolitik aus.
Meine Damen und Herren, vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Hampel zu einer Kurzintervention.
Danke sehr, Herr Vorsitzender. – Herr Kollege Erndl, Sie haben die Rede des russischen Präsidenten Putin erwähnt. Vielleicht ist Ihnen die geografische Situation bewusst. Soweit ich weiß, sind die NATO-Truppen an den Grenzen Russlands, und ist nicht Russland an der amerikanischen oder deutschen Grenze.
Zweitens möchte ich, um die kollektive Amnesie bei der CDU vielleicht etwas aufzuhellen – bei der FDP ist das ja schon der Fall – sagen: Die soeben von meinem Kollegen Lucassen erwähnten Gespräche mit Vertretern der damaligen Sowjetunion, in denen es um die deutsche Einheit ging, sind ja vielfältig verbrieft und wiedergegeben. Die FDP erinnert sich nicht mehr daran. Aber erinnert sich die CDU daran, dass es damals ausschließlich darum ging, Deutschland, also Gesamtdeutschland, in der NATO zu behalten, dass es darum ging, ob auf dem Territorium der ehemaligen DDR überhaupt NATO-Truppen zugelassen sind, und dass wir immer wieder versichert haben, dass wir keine Ausweitung der NATO nach Osten wollen? Ich kann Ihnen gerne Nachhilfe geben; denn ich war auf den Reisen nach Moskau und in den Kaukasus dabei. Genau das war permanentes Gesprächsthema in diesen Tagen. Genau so wurde das der russischen Seite kommuniziert.
({0})
Herr Kollege Erndl, Sie können darauf erwidern.
Wir haben ja schon dargestellt, dass das Legenden sind. Ich weiß nicht, aus welchem Verschwörungsblog Sie das haben.
({0})
Letztendlich hat der damalige russische Präsident Gorbatschow bestätigt, dass er in einer NATO-Osterweiterung keinen Wortbruch sieht. Insofern ist unsere Position klar. Das wollte ich hier noch einmal darstellen.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/956 und 19/976 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Was gibt es Schöneres, als an einem so sonnigen Tag vor den vollen Bänken der eigenen Fraktion
({0})
über ein Thema zu sprechen, das nicht nur für Feingeister geeignet ist, sondern bei dem wir uns der Unterstützung eines Großteils der gesellschaftlichen Schichten gewiss sein können?
Meine Damen und Herren, es geht um den Artikel 22 Absatz 3 des Grundgesetzes, den es bislang nicht gibt. Wir wollen ihn einfügen mit dem schlichten Satz:
Die Landessprache in der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch.
Dieser Satz soll in das Grundgesetz eingefügt werden.
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Damit stehen wir nicht alleine. Das ist keine irre Idee der AfD,
({2})
sondern wir stehen auf einem breiten Fundament mit vielen Persönlichkeiten.
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Herr Steinmeier, der Bundespräsident, möchte eine Überflutung der deutschen Sprache mit Anglizismen verhindern. Norbert Lammert – er saß bis vor kurzem auf dem Stuhl hinter mir – hat sich deutlich dazu geäußert, dass Deutsch ins Grundgesetz aufgenommen werden soll. Ich zitiere aus seiner Rede am 11. November 2017 anlässlich der Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache in Kassel:
Deutsch ist zunächst eine von mehreren tausend Sprachen, die auf diesem Globus gesprochen werden und insofern nichts Besonderes.
Da hat er recht.
Aber sie ist unsere Sprache. Die Sprache der Deutschen. Eine Sprache, die dem Land seinen Namen gegeben hat.
Zitat Ende. – Meine Damen und Herren, alleine das begründet schon die Aufnahme des Deutschen als Landessprache ins Grundgesetz.
({4})
Nicht nur solche politischen Schwergewichte wie Herr Steinmeier und Herr Lammert haben sich dafür ausgesprochen,
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sondern auch Schwergewichte wie Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung, Herr Wolfgang Thierse, damals noch als Bundestagsvizepräsident, und so mächtige Nachwuchspolitiker wie Paul Ziemiak von der Jungen Union. Sogar die größte Volkspartei, die Deutschland noch zu bieten hat, die CDU, hat im Jahr 2008 auf einem Bundesparteitag genau das beschlossen, was wir heute hier fordern. Wir werden Sie daran messen, meine Damen und Herren von der CDU, wie Sie sich heute hier verhalten.
({6})
Hinter dieser Forderung steht auch der Verein Deutsche Sprache, der größte Sprachverein in Deutschland mit etwa 30 000 Mitgliedern, und nicht zuletzt – indirekt – die von uns hochgeschätzte Frau Özoğuz,
({7})
die sinngemäß herausgearbeitet hat, dass sie jenseits der deutschen Sprache keine kulturellen Verbindungen findet. Frau Özoğuz, wenn sogar Sie erkennen, dass die deutsche Sprache das einzige Element sein soll, das uns verbindet, ist sie es doch wert, in die Verfassung aufgenommen zu werden.
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Warum wollen wir das tun, meine Damen und Herren? Die deutsche Sprache ist in Gefahr.
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Sie ist in Gefahr durch eine Überflutung mit Anglizismen. Sie ist in Gefahr durch einen um sich greifenden Englischwahn an Universitäten, wo ganze Studiengänge auf Englisch angeboten werden.
({10})
Sie ist in Gefahr in der Wirtschaft, wo aus vorauseilendem Gehorsam Englisch gesprochen wird. Walter Krämer zum Beispiel sagte: Nur Verlierer sprechen Englisch oder Denglisch. – Ich weiß gar nicht, warum ich da an die Deutsche Bank denken muss. Aber Sie sehen: Auch die Konzernsprachen haben teilweise etwas damit zu tun, ob es in der Wirtschaft funktioniert oder nicht. Schließlich ist die deutsche Sprache in Gefahr in der Wissenschaft, wo immer mehr auf Englisch publiziert wird.
({11})
Sogar in Studiengängen wie Germanistik wird auf Englisch publiziert. Dem müssen wir Einhalt gebieten.
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Die deutsche Sprache ist auch in Gefahr durch eine massive Zuwanderung. Wir haben in letzter Zeit mitbekommen: Die deutsche Polizei twittert, informiert und belehrt auf Arabisch und Türkisch. Die Thüringer Polizei wirbt auf Arabisch. Behörden informieren und kommunizieren auf Türkisch und Arabisch.
({13})
Meine Damen und Herren, das ist kein Beitrag zur Integration. Da fehlt der Anpassungsdruck. Den wollen wir herstellen. Dem können übrigens auch Sie zustimmen. Es ist nämlich eine Maßnahme im Sinne der Integration, unserem Antrag zuzustimmen.
({14})
Ich zitiere erneut aus Norbert Lammerts Rede vom 11. November 2017:
Wir finden im Grundgesetz inzwischen seitenlange Verfahrensregeln für Asylbewerber, die, wenn sie das Grundgesetz lesen könnten, zwar viel über das Regelsystem unseres Landes und seine Behörden erführen, nicht aber in welcher Sprache hierzulande Integration ... gelingt oder eben nicht gelingt. Die Landessprache ist Deutsch,
– sagt Lammert –
Punkt.
Sagt Lammert.
Ein solcher schlichter Satz hätte vor vielen Jahren manch hoch ideologischen Streit, um nicht zu sagen Quark,
– sagt Lammert –
vermeiden können ...
({15})
Meine Damen und Herren, dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
({16})
Wir haben zwar einfachgesetzliche Regelungen im Gerichtsverfassungsgesetz und im Verwaltungsverfahrensgesetz. Aber wir müssen das grundgesetzlich regeln, damit diese einfachgesetzlichen Regelungen nicht irgendwann einfachgesetzlich außer Kraft gesetzt werden. Meine Damen und Herren, Sie müssen auch keine Angst haben, wenn unser Gesetzentwurf durchgeht. Wir wollen niemandem verbieten, andere Sprachen zu Hause oder in der Öffentlichkeit zu benutzen.
({17})
Wir haben einen Artikel 22 Absatz 2 des Grundgesetzes. Darin ist vorgeschrieben, dass die Bundesflagge schwarz-rot-gold ist. Deshalb ist aber niemand gezwungen, sich eine Bundesflagge zu Hause ins Wohnzimmer zu hängen.
({18})
Genau so soll das auch hier gehandhabt werden. Es handelt sich um eine freiwillige Regelung im Bereich des Privaten. Also: Friesen und Sorben müssen sich auch keine Sorgen machen.
Haben Sie Mut zur Courage?
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Machen Sie etwas Gutes daraus, und versuchen Sie bitte, in den anschließenden Reden ohne die vier deutschen Worte „Hass“, „Rassismus“, „Hetze“ und „völkisch“ auszukommen, meine Damen und Herren.
({20})
Ihr Herumgebrülle lässt ja schon einiges befürchten, muss ich sagen. Ich bin ganz Ohr. Ich sitze hier vorne; Sie müssen nicht so schreien.
({21})
Ich gehe auch nicht wieder nach hinten und bin gespannt auf die Reden.
Ein Versprechen will ich noch einlösen:
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Lieber Benedict – das ist mein Sohn –, ich grüße dich von diesem Rednerpult!
({23})
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich der Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich liebe die deutsche Sprache.
({0})
Sie hat mich geprägt; denn sie ist mehr als ein Instrument. Sie ist Ausdruck unserer Kultur. Deutsch ist die Sprache der Philosophie, der Dichter, der Denker – wegen ihrer Ausdruckskraft. „Zeitgeist“, „Weltschmerz“, „Kindergarten“ oder „Gemütlichkeit“: Das geht in keiner anderen Sprache.
Ich liebe die deutsche Sprache. Deshalb ärgere ich mich über Anglizismen und Wichtigtuer, die ihre Reden mit Fremdwörtern spicken
({1})
und von „Letter of Intent“ statt von „Absichtserklärung“ und von „obsolet“ statt von „überflüssig“ sprechen. Ich sage Ihnen: „Point of Sale“, „Hydration Creme“ oder „Facility Manager“ kann man auch auf Deutsch sagen, und Alt und Jung würde es verstehen.
({2})
Deshalb setzen sich die Mitglieder unserer Fraktion seit Jahren für die deutsche Sprache ein. Norbert Lammert wurde als Sprachwahrer des Jahres ausgezeichnet – übrigens auch Peter Ramsauer, der eine Deutsch-Initiative im Bundesverkehrsministerium auf den Weg brachte.
({3})
Seitdem heißt es nicht mehr „Travel Management“, sondern „Reisestelle“.
({4})
Die CDU Deutschlands hat sich mehrfach dafür ausgesprochen, die deutsche Sprache im Grundgesetz zu verankern. Meine Damen und Herren – auch auf den Tribünen –, das fordert jetzt auch die AfD.
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Es stellt sich die Frage: Warum nicht zustimmen?
Es gibt rechtliche Gründe.
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Hierzu werden meine Kolleginnen und Kollegen etwas sagen.
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Mein Augenmerk liegt auf der Sprache. Unserer Fraktion geht es nämlich nicht um Deutschtümelei oder um Selbstdarstellung,
({8})
sondern um die Sprache. Wir wissen: Erstens. Sie muss gepflegt werden. Zweitens. Sie muss verständlich sein. Drittens. Sie soll verbinden und nicht trennen.
({9})
Genau das unterscheidet uns von der AfD. Ihnen geht es um eines nicht: die deutsche Sprache.
({10})
Beweis gefällig? Ihr Gesetzentwurf strotzt nur so von Fremdwörtern. Ich zitiere: „deklamatorischen“, „Hauptkommunikationsmedium“, „Identifikation“ und, und, und. Brauchen Sie das wirklich, oder wussten Sie es nicht besser? Dabei gibt es einen Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag. Die freundlichen Mitarbeiter hätten Ihnen auch gerne geholfen. Bei Ihrem Kauderwelsch wäre Hilfe sicherlich auch nötig gewesen.
({11})
Das gilt übrigens auch in Sachen Verständlichkeit. Wer Bandwurmsätze liebt, kommt bei Ihnen voll auf die Kosten.
({12})
Ich zitiere:
Die deutsche Sprache ist als das primäre Mittel zur Verständigung der Deutschen zugleich das Medium unserer sprachlichen Kultur, der sprachlichen Persönlichkeitsbildung und der individuellen wie gemeinschaftlichen Identifikation ...
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Verstehen Sie eigentlich Ihre Sprachpanscherei? Mein Deutschlehrer hätte „A“ wie „Ausdruck“ hinter diesen Satz geschrieben. Gutes Deutsch? Weit gefehlt!
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Sie haben zitiert, was in anderen Sprachen dargestellt wird. Schauen Sie mal auf Ihren eigenen Internetauftritt! Da gibt es Ihr Grundsatzprogramm in russischer Sprache.
({15})
Am schlimmsten ist aber Ihr eigentlicher Antrieb. Für uns in der Union ist Sprache etwas Verbindendes. Sie nutzen Sprache, um zu enthemmen, um auszugrenzen, um zu spalten.
({16})
Frau Kollegin Connemann.
Das beweist übrigens der Vorläufer zu diesem Gesetzentwurf. Da steht keines der ach so schönen Worte über die Bedeutung unserer Sprache für Philosophie, Kultur und Wissenschaft. Nein, der Kollege Brandner zeichnet in diesem Vorläufer vor allem ein Zerrbild von Migranten – und das in schlechtem Deutsch.
Ich zitiere:
Spiegelbildlich zur gesellschaftlichen Segmentierung und Abkapselung der Migranten in ihren jeweiligen Milieus steigt die berechtigte Erwartungshaltung der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die von ihnen zu Recht erwarten kann, sich den landestypischen Regularien anzupassen.
({0})
Frau Kollegin Connemann, der Kollege Spangenberg würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Herzlich gerne.
Verehrte Kollegin, geben Sie mir nicht recht, dass es gerade notwendig ist, Deutsch als Landessprache ins Grundgesetz aufzunehmen, wenn auch die AfD solche Fehler macht?
({0})
Bitte? Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.
Herr Kollege Spangenberg, würden Sie Ihre Frage bitte wiederholen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte halten Sie den Lärmpegel so niedrig, dass die Rednerin die Frage verstehen kann. Nur dann kann sie darauf antworten. – Herr Kollege Spangenberg.
Ich wiederhole die Frage, Frau Kollegin. Geben Sie mir recht, dass es, wenn auch die AfD solche Fehler macht, gerade wichtig ist, Deutsch als Landessprache ins Grundgesetz aufzunehmen?
({0})
Jetzt macht Ihr Gesetzentwurf natürlich Sinn. Jetzt verstehe ich ihn.
({0})
Aber bevor Sie dies ins Grundgesetz schreiben wollen, würde ich Ihnen empfehlen, erst einmal Deutsch zu lernen.
({1})
Ich durfte gerade aus Ihrem vorläufigen Gesetzentwurf zitieren; in die Endfassung hat es diese Stilblüte nicht geschafft. Die Vorlage ist weichgespült worden, um sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Dankenswerterweise hatte der Kollege Brandner den ursprünglichen Gesetzentwurf aber ins Netz gestellt.
({2})
Sie hatten wohl kaum einen Sinneswandel, wenn ich mir Ihre sonstige Sprache vor Augen führe, von „Volkskörper“ bis „Migrassoren“. Auf gut Deutsch: Sie verschleiern Ihre eigentliche Absicht. Sie sind Wölfe im Schafspelz.
({3})
Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir als Schüler mit Nachhilfe in Deutsch ein paar Euros dazuverdient. Dass ich das als Abgeordneter einmal in diesem Hohen Hause für eine Fraktion tun würde, die neu hinzugekommen ist, hätte ich mir nicht träumen lassen.
({0})
Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.
Was hätte Goethe, von dem dieser Ausspruch stammt, wohl zu Ihrem Gesetzentwurf gesagt?
({1})
Ich bin mir sicher, er hätte sich geschämt.
({2})
Sie sprechen von „Verdrängung der deutschen Sprache“ und davon, dass Deutsch das „primäre Mittel zur Verständigung der Deutschen“ sei. Gerade deshalb sollte, wer das Grundgesetz nicht kennt, verdammt noch mal die Finger davon lassen, daran Veränderungen vornehmen zu wollen.
({3})
Sie verkennen, dass das Grundgesetz Grundrechte nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen, die in seinem Geltungsbereich leben, festschreibt. Auch verkennen Sie, dass Deutsch im In- und Ausland gesprochen wird. Nicht umsonst ist das Goethe-Institut mit 159 Einrichtungen in 98 Ländern gegenwärtig und vermittelt die deutsche Sprache und die deutsche Kultur.
({4})
Aber welches Deutsch eigentlich? Das Deutsch, das wir heute sprechen, ist nicht einmal mehr das Deutsch von vor 20 Jahren, von den über 50 Mundarten mal ganz zu schweigen. Unsere Sprache ist eine Summe aus den grundrechtlich zugestandenen Freiheiten, die eigene Persönlichkeit frei zu entfalten.
({5})
Unsere Verfassung ist dem gesellschaftlichen Wandel gegenüber aufgeschlossen. Genauso ist es mit der deutschen Sprache. Diese in einen idealen Zustand pressen und bewahren zu wollen, käme der ungerechtfertigten Einschränkung von Grundrechten gleich.
({6})
Das Anliegen der AfD-Fraktion ist daher viel weniger redlich, als uns der Gesetzentwurf glauben zu machen versucht; denn er schürt Ängste,
({7})
Ängste, die jeder Grundlage entbehren, Ängste, ohne die eine AfD in Deutschland ihre Anhängerschaft verlöre.
({8})
Der Gesetzentwurf zeichnet darüber hinaus ein unwahres, ein düsteres Bild. Es klingt beinahe nach dem Eintritt des Verteidigungsfalles, wenn man Ihrer Sachverhaltsdarstellung folgt, dass demnächst Anglizismen unsere deutsche Sprache übernehmen werden. Vielmehr lösen Sie durch diese bösartigen Unterstellungen den demokratischen Verteidigungsfall aus. Mit der Mehrheit dieses Hohen Hauses verteidigen wir die Menschen vor Ihnen, die mit ihrer eigenen deutschen Sprache die kulturelle Vielfalt, die Wissenschaft, das Miteinander in diesem Land fördern als Ausfluss ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechtes.
({9})
Keiner der Anwesenden wird ernsthaft bestreiten können, dass die deutsche Sprache schon jetzt verfassungsrechtliche Bedeutung hat. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist schließlich auf Deutsch verfasst. Auch da kann ich Ihnen gerne Nachhilfe geben, wenn Sie diese benötigen.
({10})
Die Geltung des deutschen Grundgesetzes bedeutet zugleich die Geltung der deutschen Sprache. Sie genießt somit Verfassungsrang. Lesen bildet.
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Menschen, die im Geltungsbereich unseres Grundgesetzes leben, müssen sich daher die deutsche Sprache aneignen; denn ohne die deutsche Sprache sind sie vor Behörden, vor Gericht und in der demokratischen Auseinandersetzung unterlegen. Nur wer die Sprache der Verfassung des Landes, in dem er lebt, beherrscht, findet Schutz und eine Heimat. Oder mit Goethe:
Der Deutsche soll alle Sprachen lernen, damit ihm zu Hause kein Fremder unbequem, er aber in der Fremde überall zu Hause sei.
Kurzum: Das Grundgesetz in deutscher Sprache braucht einen solchen Zusatz nicht. Am Niederrhein hätte man Ihnen wahrscheinlich nur gesagt: Da ham’ die Schwadronöres ma’ wieder Stuss zusammengefrickelt!
({12})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Stephan Thomae, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Quousque tandem abutere patientia nostra? Wie lange wollen Sie eigentlich noch die Geduld dieses Hauses mit Ihren deutschtümelnden Anträgen missbrauchen?
({0})
Heute haben wir es also mit einem Vorschlag zu einer Grundgesetzänderung zu tun. Ich habe mich schon immer als Verfassungspurist – entschuldigen Sie das Fremdwort –
({1})
bekannt, der gegen jegliche Verfassungslyrik ankämpft, auch gegen eine Banalisierung des Grundgesetzes, gegen Vorschriften, die keine weiterreichende Folge haben. Was ist denn die Aufgabe unserer Verfassung? Die Verfassung soll den Staatsaufbau ordnen und die Freiheits- und Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat und gegenüber dem Staat definieren.
({2})
Sie soll aber nicht die Lebensgewohnheiten der Menschen regeln; sie soll nicht die Entwicklungsmöglichkeiten, das Entwicklungsstreben der Gesellschaft behindern, blockieren, einhegen oder bremsen.
Vor allem die Sprache ist etwas Lebendiges, etwas Vitales, etwas, was sich ständig ändert, was sich weiterentwickelt. Die Sprache ist auch aufnahmefähig; sie ist offen, sie ist ein offenes System. Sie haben uns selber aufgefordert, Courage zu haben und Ihrem Vorschlag zuzustimmen. An diesem Fremdwort sieht man schon, dass unsere Sprache so etwas aufnimmt, dass sie damit umgehen kann, ohne nachhaltigen Schaden nehmen zu müssen.
({3})
Das ist der erste Grund, weshalb wir Ihrem Gesetzentwurf in der Sache nicht zustimmen werden.
Ich will zum Zweiten aber noch etwas ganz Grundsätzliches sagen. Auch ich habe einen Sinn für Sprache, für das Schönklingende, für das Ästhetische unserer Sprache.
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Auch wenn ich diesen Aspekt mit Ihnen teile, so trennt uns doch eines: Von der ganzen Intonation her atmet Ihr Gesetzentwurf die Angst vor dem Neuen. Und aus Angst wird Hass, und aus Hass kann Gewalt entstehen.
({5})
Nicht jede Veränderung ist eine Degeneration. Sprache ist ein hochkomplexes System. Lebendige Sprache ist komplex. Ihr Ansatz aber, Sprachpflege zu betreiben, die Reinheit der Sprache zu bewahren und das im Grundgesetz zu regeln, ist zutiefst unterkomplex. Das sieht man schon daran, dass unsere Sprache Lehnwörter aus dem Lateinischen kennt, dass sie Fremdwörter aus dem Französischen übernimmt, dass die Musik von lateinischer und italienischer Sprache unterlegt ist; es gibt italienische Opern und dergleichen mehr. Sprachkultur ist nicht retro, meine Damen und Herren!
Herr Kollege Thomae, der Kollege Hampel würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, sehr gerne. Bitte schön, wenn das meine Redezeit zu verlängern imstande ist.
Herr Kollege Thomae, Sie haben gerade so schön dargestellt, dass Sprache immer im Wandel ist, sich immer erneuert und dass sie deshalb im Grunde genommen von einer gesetzlichen Regelung oder gar einer verfassungsrechtlichen Regelung ausgeschlossen sein sollte. Können Sie mir sagen, warum wir dann in Deutschland eine Rechtschreibreform hatten?
Zur Rechtschreibung gibt es in Deutschland kein Gesetz. Rechtschreibung trägt natürlich dazu bei, dass uns das Lesen leichter fällt. Sie ist auch ein Teil der Sprachkultur, aber sie ist nicht im Gesetz und vor allem nicht im Grundgesetz festgeschrieben.
({0})
Es gibt Staaten, in denen die Rechtschreibung gesetzlich geregelt ist. Unser Nachbarland Frankreich etwa kennt das aus Richelieus Zeiten und aus Tradition, zum Beispiel bei der Akzentsetzung. Das kennen wir in Deutschland nicht. Es gibt kein Gesetz zur Rechtschreibung, und trotzdem kommen wir damit ganz gut zurecht. Es gibt Einrichtungen wie das Bibliographische Institut in Mannheim und die Dudenredaktion, die uns Vorschläge unterbreiten, wie wir zu schreiben haben. Aber wenn Sie diese nicht befolgen, müssen Sie keine Haftstrafe und nicht einmal eine Geldstrafe durch die Gerichte fürchten.
({1})
Das zeigt: Wir kommen ganz gut damit zurecht. Die Rechtschreibung verändert sich, auch durch entsprechende Reformen. Es gibt auch Länder, die andere Rechtschreibungen pflegen, wie die Schweiz, ohne dass das unserer Sprache Abbruch tut.
Herr Kollege Thomae, der Kollege Spangenberg würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Sehr gerne. Dann verlängert sich meine Redezeit.
Verehrter Kollege, ist Ihnen bekannt, dass in der französischen Verfassung der Satz steht: „Die Sprache der Republik ist Französisch“?
({0})
Das war mir bislang nicht bekannt – ich merke, man kann heute auch etwas lernen –; aber das heißt nicht, dass wir auch so eine Regelung benötigen.
({0})
Ich habe gerade ausgeführt, dass die Franzosen eine andere Tradition, eine andere Kultur haben. Das stammt noch aus absolutistischen Zeiten. Das heißt aber nicht, dass auch wir das benötigen. In unserem Land wird die deutsche Sprache gesprochen und geschrieben, ohne dass es irgendeiner Festschreibung im Grundgesetz oder in einem Gesetz bedarf.
Das zeigt uns aber, dass Sie Angst vor Veränderungen haben. Das durchzieht Ihren ganzen Gesetzentwurf. Sie pflegen einen romantisch verklärten Kulturbegriff, den wir nicht benötigen.
({1})
Sie haben Angst vor Veränderungen. Sie haben Angst vor dem Neuen und vor der Zukunft. Dagegen setzen wir Vertrauen in die Zukunft, Optimismus und Mut zur Veränderung. Das braucht unser Land, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
({2})
Jetzt erteile ich der Kollegin Simone Barrientos, Fraktion Die Linke, das Wort zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Sehr geehrter Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute eine Delegation aus der Assemblée Nationale zu Gast. Ich freue mich, dass ich nachher einen der Kollegen treffe. Michel, bienvenido! Nos vemos después, me alegro mucho.
({0})
Unsere gemeinsame Sprache ist Spanisch. – Wenn ich nach rechts schaue, sieht man ziemlich deutlich, dass Qualität und Quantität nicht viel miteinander zu tun haben.
({1})
Heute behandeln wir einen Gesetzentwurf, der wie so oft reinen Symbolcharakter hat. Diesmal will die AfD dem Grundgesetz ans Eingemachte; denn die deutsche Sprache sei in Gefahr. Dabei gehört Deutsch zu den zehn am meisten gesprochenen Sprachen weltweit. Sie kam deshalb 2006 ins Guiness-Buch der Rekorde. Wo bitte ist also die Gefahr?
({2})
Die Debatte, die man da anstoßen will, ist weder neu noch zeitgemäß; denn in allen Zeiten gab es jene, die sich an Althergebrachtes klammerten, und solche, die begeistert die Entwicklung begrüßten. Sprache ist weder ein starres Konstrukt, noch ist sie völlig losgelöst von Regeln. Den Gebrüdern Grimm sei an dieser Stelle Dank.
({3})
Der AfD geht es weder um die Förderung der deutschen Sprache noch um den Erhalt von Kultur. Ihr geht es um Deutungshoheit; denn sonst würde sie einen Antrag stellen, der zum Beispiel Bildung fördert.
({4})
Mir stellen sich drei Fragen: Was sagt die AfD? Was meint die AfD? Was will die AfD?
({5})
– Das sage ich Ihnen gerne.
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Sie sagen Volk, meinen aber völkisch, und Sie wollen ausgrenzen.
({7})
Ein Geschmäckle hat dabei, dass es die AfD war, die mit russischsprachiger Wahlwerbung in den Wahlkampf zog. Das lässt nur den Schluss zu, dass es nicht um Sprache geht. Nein, es geht um von der AfD definierte völkische Zugehörigkeit.
({8})
Die AfD sagt, die deutsche Sprache müsse im Grundgesetz verankert werden.
({9})
Aber welche Sprache meint sie? Literarisches Deutsch? – Ich glaube nicht. Gendergerechtes Deutsch?
({10})
– Genau. – Um Amtsdeutsch kann es ihr nicht gehen; denn das ist bereits gesetzlich verankert. Ihr geht es um völkisches Deutsch, um Sprache als Mittel zur Ausgrenzung.
({11})
Was soll dann bitte konkret folgen? Die Einsetzung einer Reichs- – Pardon, einer Bundeskulturkammer? Die entscheidende Frage lautet nicht, welche Sprache man spricht, sondern, was man sagt und was man wieder sagbar macht. Da ist die AfD Vorreiter.
({12})
Seit Jahren arbeitet sie daran, Unsägliches wieder sagbar zu machen. Da wird völkisch schwadroniert, was das Zeug hält.
An einer Stelle wird die Vorlage sogar ein bisschen konkret. Die AfD will der Freiheit der Programmgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ans Leder.
({13})
Da soll reguliert werden – im Sinne der AfD, versteht sich. Vielen Dank auch!
({14})
Es ist schon ein starkes Stück, dass ausgerechnet diese Partei, die Sprache vor allem nutzt, um Hass zu säen,
({15})
um den gesellschaftlichen Diskurs zu sabotieren, um auszugrenzen und anzugreifen, um Frauen zu beleidigen, um Homosexuelle verächtlich zu machen, um Zugewanderte zu diffamieren, um politische Gegner niederzubrüllen und anzupöbeln, Sprache als Kulturgut im Grundgesetz verankern will. Unfassbar!
({16})
Wenn etwas im Grundgesetz fehlt, dann ist es Kultur als Staatsziel, und zwar Kultur in all ihrer Buntheit.
({17})
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit; sie ist schon abgelaufen.
Danke. Ich bin im Prinzip fertig.
({0})
Lassen Sie mich mit Heinrich Heine schließen:
Fatal ist mir das Lumpenpack, das, um die Herzen zu rühren, den Patriotismus trägt zur Schau, mit allen seinen Geschwüren.
Vielen Dank.
({1})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Erhard Grundl, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort ebenfalls zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Um es einmal mit den Worten des bayerischen Philosophen Gerhard Polt zu fragen: Braucht’s des?
({0})
Nach § 23 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes ist Deutsch in Parlamenten und Gerichten längst verpflichtend. Warum fordert die AfD trotz dieser Tatsache hier und heute eine Änderung des Grundgesetzes?
({1})
Es ist das ewig gleiche Spiel. Noch in der letzten Woche hat einer der Abgeordneten der AfD vom drohenden Volkstod gesprochen. Heute malen Sie uns zur Abwechslung einmal den Niedergang der deutschen Sprache an Ihre Klagemauer der Ängstlichkeit.
({2})
Dass wir Deutsche eine anerkannte Wissenschaftssprache sowie eine vielfältige deutsche Literatur- und Mediensprache haben, spielt da natürlich keine Rolle.
Acht der zehn erfolgreichsten Künstleralben des Jahres 2017 in den deutschen Charts waren Produktionen in deutscher Sprache. Produkte in deutscher Sprache boomen in den Charts,
({3})
und das alles ganz ohne Ihre Bevormundung.
({4})
Wenn Sie von der AfD in Ihrer Gesetzesbegründung schon die Musikbranche bemühen, dann machen Sie sich bitte faktenfest.
({5})
Aber es geht der AfD nicht um das, was wirklich ist. Es geht wie immer nur um eines: Es geht darum, Angst zu schüren, Weltuntergangsszenarien zu entwerfen und zu spalten.
({6})
Es geht der AfD darum, die eigene Kleinkariertheit unserem Land und seiner Bevölkerung überzustülpen.
({7})
Was die AfD hier vorlegt, ist nicht neu; es ist auch nicht provokant. Es ist rückwärtsgewandt und kulturell einfältig.
({8})
Es ist eine Wagenburg, die die Weiterentwicklung unserer Sprache stärker bedroht, als es jede Veränderung tun könnte. Warum sagen Sie eigentlich nicht, was Sie wirklich wollen? In Wahrheit wollen Sie eine deutsche Leitkultur ins Grundgesetz schreiben.
({9})
Aber ich kann Ihnen sagen, warum Sie das nicht tun: weil Sie gar nicht wissen, was diese deutsche Kultur ausmacht.
({10})
Herr Kollege Brandner, bei Ihnen weiß man nie, ob Sie morgens mit der Schmusedecke oder mit der Machete aufgewacht sind; ich weiß.
({11})
Aber ich würde Ihnen empfehlen, einfach einmal zuzuhören und zu relaxen.
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Sie haben keinen positiven Begriff von unserer Kultur. Was ist denn dieses Eigene, das Sie verteidigen wollen? Was ist Ihr positives Bild der deutschen Kultur, der deutschen Sprache? Welche deutschen Künstler könnten Sie anführen? Goethe, Heine, Thomas Mann, Funny van Dannen, Rammstein, Die Ärzte? Alle diese Künstler, die sich wirklich mit der deutschen Sprache auseinandersetzen, haben sich gegen Ihren dumpfen Nationalismus gewandt.
({13})
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass man seine Muttersprache nicht stärkt, indem man sie kleinredet und wehleidig daherkommt, wie es die AfD tut. Wenn es Ihnen wirklich um unsere Sprache ginge, würden Sie sich selbstbewusst einsetzen für guten Sprachunterricht für Muttersprachler und für Migrantinnen und Migranten.
({14})
Außerdem: Welches Deutsch gehört für Sie per se dazu und welches nicht? Was ist mit der Sprache der Hip-Hopper, der Rapper? Was ist mit dem eigenwilligen Deutsch der Trolle, die in den sozialen Netzwerken pöbeln, drohen und AfD-Positionen verbreiten? Ist das Ihre „Landessprache“?
({15})
Was ist mit den Minderheitensprachen in Deutschland, mit den angestammten und den zugewanderten? Sollen wir denen, die Nordfriesisch, Dänisch oder Sorbisch, Wendisch oder Romani schnacken, demnächst vorschreiben, wie sie zu reden haben?
({16})
Wie schaut es mit extremen Dialekten wie etwa dem Oberpfälzischen aus?
({17})
Bei Türkisch erübrigt sich die Frage sicherlich für die AfD. Die AfD glaubt ganz augenscheinlich nicht an die Kraft und Stärke der deutschen Sprache, an ihre Kraft, sich wandeln zu können und gerade dadurch einzigartig zu sein.
Natürlich: Wir alle, von der Bundeskanzlerin – wenn sie da ist – bis zur 709. Parlamentarierin, chatten, twittern und liken; rechts außen wird wohl mehr gehatet.
({18})
Unsere Muttersprache entwickelt sich weiter im alltäglichen Gebrauch durch den Erfindungsreichtum in der Jugendsprache, im Hip-Hop, in der Literatur und, ja, auch hier im Parlament. Wäre unsere Sprache nicht in der Lage, sich zu verändern, würde sie ihre Funktion aufgeben als Instrument der Kommunikation und der Identifikation mit unserer Zeit, mit unserem Land, mit den Menschen, die hier zusammen leben.
({19})
Hinter diesem Gesetzentwurf steht ein Kulturverständnis der Abschottung und Ausgrenzung. Kulturen und Sprachen verändern sich; das macht sie spannend und reich. Im Austausch der Kulturen entsteht Neues; dort findet Inspiration statt. Nichts davon steht in diesem Gesetzentwurf. „Braucht’s des?“, fragt Polt. Ich sage ganz klar: Nein.
Vielen Dank.
({20})
Jetzt erteile ich der Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD will die deutsche Sprache im Grundgesetz verankern. Ja, CSU und CDU sowie der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert vertreten dies bereits seit langem.
({0})
Im Bundestag gab es dazu Anhörungen, Stellungnahmen und Petitionen, bisher aber keine Mehrheit. Das ist bedauerlich, aber sicher keine Katastrophe.
Die Rechtswissenschaft schreibt heute schon der deutschen Sprache ihren Verfassungsrang zu. Das ergibt sich aus unserer Verfassung: durch die Nennung des deutschen Volkes, der deutschen Staatsangehörigkeit und durch die Tatsache, dass unser Grundgesetz auf Deutsch geschrieben wurde. Außerdem ist Deutsch unter anderem im Gerichtsverfassungsgesetz und im Verwaltungsverfahrensgesetz verankert.
({1})
Es wäre aber auch aus unserer Sicht ein wichtiges Signal, die deutsche Sprache symbolisch im Grundgesetz explizit aufzuführen.
({2})
Sie sorgt für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Identität. Es gibt viele Verfassungen in Europa, die die Landessprache normiert haben. Deswegen ist die Forderung per se auch nichts Schlechtes oder gar Schlimmes.
Deutsch zu sprechen, ist Voraussetzung für Teilhabe in Deutschland.
({3})
Wir fördern deshalb Sprachkitas, berufsbezogene sprachliche Förderprogramme, Integrationskurse und vieles mehr. Ja, mit dem Bayerischen Integrationsgesetz verpflichten wir auch zur Teilnahme an Sprachkursen; denn wir wollen keine Parallelgesellschaften in Deutschland.
({4})
Solche Maßnahmen sind für den Schutz der deutschen Sprache in der Praxis grundsätzlich viel wichtiger als reine Symbolpolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Ihr Gesetzentwurf ist wie üblich oberflächlich formuliert und bei der Lösung inhaltslos.
({5})
Sie wollen die deutsche Sprache nicht als Symbol verankert wissen, sondern als Staatsziel, und Sie wollen damit quasi Sprachpolizei spielen. Sie stehen im krassen Widerspruch zu den meisten Rechtskommentaren und dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages.
Ich darf aus Ihrem Gesetzentwurf zitieren:
... Unternehmen nutzen die englische Sprache bevorzugt nicht nur für ihre unternehmensinterne Kommunikation, sondern ebenso für Werbemaßnahmen.
Wollen Sie Unternehmen also allen Ernstes vorschreiben, wie sie ihre Werbung gestalten sollen, oder gar, wie sie intern kommunizieren?
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Sie schreiben weiter:
Deutschsprachige Musiker sehen sich zunehmend gezwungen, auf Englisch zu singen ...
Wollen Sie unseren Radio- und Fernsehsendern vorschreiben, welche Musik sie spielen müssen, oder uns gar, welche Musik wir hören dürfen?
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Sie wollen in Ihrem Gesetzentwurf für die öffentliche Kommunikation staatlicher Institutionen über die bereits verankerte Festlegung der deutschen Sprache hinaus weitere Vorgaben machen.
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Wollen Sie vielleicht bei wissenschaftlichen Kongressen in Deutschland den Wissenschaftlern aus aller Welt vorschreiben, dass sie nur deutsch zu sprechen haben?
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin stolz auf die vielen jungen Leute in unserem Land, die in der Lage sind, sich auf Englisch, Französisch und Spanisch zu verständigen
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und auch einen ganzen Artikel in den Sprachen zu verfassen.
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In der Arbeitswelt, in der Wissenschaft, in der Forschung ist die Vielsprachigkeit schlicht gar nicht mehr wegzudenken.
Zu guter Letzt: Besonders enttäuschend ist, dass Ihr Gesetzentwurf mehr als scheinheilig ist – samt den Schaufensterreden, die Sie hier gehalten haben.
Frau Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Nein. Sie gestatten keine Zwischenfrage.
Nicht nur Ihr Programm ist auf Russisch veröffentlicht worden; die Kollegin Connemann hat bereits darauf hingewiesen. Sie haben im Bundestagswahlkampf und in den Landtagswahlkämpfen in Nordrhein-Westfalen und in Berlin auch mit Flyern
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und auf Wahlplakaten auf Russisch geworben.
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Wer sich hier als Polizei und großer Verteidiger der deutschen Sprache aufspielt, der muss das erst einmal erklären. Was Sie hier abliefern, ist an Scheinheiligkeit wirklich nicht mehr zu überbieten.
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Ihnen geht es nicht darum, die deutsche Sprache als eine schöne Sprache im Grundgesetz zu verankern. Ihnen geht es wie üblich darum, zu spalten.
Ich möchte mit Goethe schließen:
Ein jeder, weil er spricht, glaubt, auch über die Sprache sprechen zu können.
Danke schön.
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Nächster Redner ist der Kollege Johann Saathoff, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandner, ich muss schon sagen, dass es eine beeindruckende Liste von Unterstützern ist, die Sie hier vorgelegt haben.
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Aber diese beeindruckende Liste ist nicht der Grund für Ihren Gesetzentwurf. Der wirkliche Grund für Ihren Gesetzentwurf ist nationale Abgrenzung,
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und das gehört auf die Tagesordnung gesetzt.
Ich sage an dieser Stelle mal: Sie haben Kolleginnen, die eine besonders alpine Affinität zur Schweiz haben. Dieses Land hat vier Amtssprachen. Ist das vielleicht der heimliche Grund, warum Sie diesen komischen Gesetzentwurf hier eingebracht haben?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Brandner wünscht uns Mut zur Courage. Ich übersetze das einmal nicht. Ich wünsche uns die Courage, anderen Sprachen mit Respekt zu begegnen, statt Angst davor zu haben.
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Sie wollen den Wert der Muttersprache in den gesellschaftlichen Fokus rücken. Meine Muttersprache ist Plattdeutsch. Un as ik domaals Börgmester west bün in mien egen Gemeent, was ik domaals – wie jetzt – daarvan overtüügt west, dat dat beter is, wenn man mit de Lüü, de direkt mit een to doon hebben, ok in Plattdüütsch proten kann.
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Ik will seggen – Se mögen de Wahrheid villicht neet geern hören –: Dat is so en Aard Slötelqualifikation; man mutt en gemeensaam Spraak hebben, daarmit man sük tegensiedig ok unnerhollen kann un mitnanner ok proten kann un sük versteiht.
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Un ik hebb Lüü beleevt in Iowa, de sünd 70 Jahr old, de könen bestens Plattdüütsch proten, aver keen Woord Hoogdüütsch. Dat sünd bestens integrierte Amerikaner. Un dat Engels kunn ok neet daarunner leden hebben, dat de na Amerika utwannert sünd – dat kann ik Hör vergewissern.
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Sprachen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind viel wert. Ich habe in der Schule Englisch gelernt. Meine Lehrerin würde sagen, nicht gerne. Ich würde das bestätigen.
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Aber ich bin froh, dass ich es kann. Sprachen sind im Wandel. Auch die deutsche Sprache ist im Wandel – natürlich. Fast niemand will so sprechen, wie man früher im Mittelalter gesprochen hat. Sprachen entwickeln sich eben, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es gibt nicht nur Deutsch. Die Vielfalt der Sprachen aus den Regionen macht doch den Wert der deutschen Sprache insgesamt aus. Se doon so, as wenn man Angst hebben mutt daarvör, dat irgendeen van buten noch sien Influss in uns Spraak ringeven deit.
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Düütschland profiteert daarvan, dat wi tosamenwassen in de Welt. Tosamenwassen in de Welt geiht nur, wenn man sük tegensiedig unnerhollen un verstahn kann un wenn man de richtige Spraak proten kann.
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Herr Kollege Saathoff, abgesehen davon, dass Sie bitte darauf achten, dass wir alle verstehen können, was Sie sagen,
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wollte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spangenberg akzeptieren.
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Herr Präsident, die AfD vermutet, dass durch die Quantität ihrer Zwischenfragen ihre Arbeit mehr wertgeschätzt wird. Die Qualität lässt aber deutlich zu wünschen übrig; wir haben das heute erlebt. Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
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Wenn man eine Fremdsprache spricht, dann heißt das eben nicht, dass man weniger deutsch sprechen darf oder muss. Die AfD sagt: Sprache ist Kulturgut. – Ich würde sagen: Nicht nur die deutsche Sprache ist Kulturgut, sondern alle Sprachen sind Kulturgut.
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Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nicht nur nichts von seiner eigenen Sprache, er weiß auch nichts von den anderen Ländern, deren Menschen und deren Beweggründe. Wer nichts darüber weiß, der hat Angst. Und wer Angst hat, der igelt sich ein und zeigt dann nationalistische Tendenzen. Wozu das führt, Kolleginnen und Kollegen, das wissen wir alle miteinander.
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Angst is also de Grundlaag van Hör politisch Hanneln, leev Kollegen van de AfD. Se doon so, as of man Hör wat wegnehmen wüür, wenn wat anners daartokummt. Dat Tegendeel is de Fall: Düütschland word neet armer dör anner Spraken, Düütschland word rieker. Daarup mutten wi stolt ween.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist es, verstanden zu werden. Bei den Autoren des Gesetzentwurfes ist es, glaube ich, egal, ob ich Platt, Deutsch, Englisch oder Kisuaheli spreche. Hören und Verstehen sind eben zwei verschiedene Dinge, oder wie wir in Ostfriesland sagen: Ik verstah di wall, man ik begriep di neet.
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Ich möchte mich abschließend ganz herzlich beim Stenografischen Dienst entschuldigen. Ich gelobe Besserung.
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Ich danke dem Präsidenten für das Verständnis.
Besten Dank för ’t Tohören, leev Kolleginnen un Kollegen.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Axel Müller, CDU/CSU-Fraktion, zu seiner ersten Rede. Ich gehe davon aus, dass Sie nicht in dem Ausmaß wie Ihr Vorredner Plattdeutsch sprechen werden.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Nein, das werde ich nicht tun. Aber ich möchte vorwegschicken, dass ich mich als Baden-Württemberger, als Schwabe darüber freue, hier zu dem Thema „Deutsch als Landessprache“ sprechen zu dürfen;
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denn wir können ja bekanntlich alles außer Hochdeutsch.
Zur Sache. Die AfD hat beantragt, dass Deutsch als Landessprache im Grundgesetz festgeschrieben wird. Inhaltsgleiche Anträge hat die AfD in den Landesparlamenten von Baden-Württemberg, Thüringen und Brandenburg gestellt, jeweils mit dem Ziel der Aufnahme in die jeweilige Landesverfassung. Diese Anträge sind gescheitert.
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Wenden wir uns dem heutigen Antrag zu. Im Grundgesetz – ich versuche, die Debatte etwas zu versachlichen – fehlt eine ausdrückliche Nennung einer Gesetzgebungskompetenz für Deutsch als Landessprache.
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Die Sprache kann jedoch in Ergänzung zu Artikel 22 des Grundgesetzes – das ist allgemeine Rechtsansicht, Herr Brandner; das müssten auch Sie wissen – neben dem Sitz der Landeshauptstadt und den Farben der Landesflagge aufgenommen werden. Ihr Verweis auf die Österreichische Verfassung erübrigt sich; denn – ein Kollege hat es vorhin schon gesagt –: Das Grundgesetz ist in Deutsch geschrieben, es wendet sich in zahlreichen Artikeln und an vielen Stellen an die Deutschen. Es ist also eine Selbstverständlichkeit, dass das Grundgesetz dem Deutschen einen Verfassungsrang zubilligt.
Es stellt sich die Frage, ob das, was Sie wollen, notwendig oder zweckmäßig ist, wenn damit lediglich – das ist das Ergebnis meiner Untersuchungen – eine Symbolik verbunden ist. Darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Die CDU kam bei zwei Bundesparteitagen – 2008 und 2016 – zu dem Ergebnis, dass man dieser Symbolik Rechnung tragen solle und Deutsch ins Grundgesetz aufnehmen möge. Auch ich habe dem zugestimmt; das will ich nicht verhehlen. Ich habe damals zu Protokoll angemerkt, dass man dann Anglizismen bitte aus dem Parteiprogramm herausstreichen möge.
Eine Klarstellung, dass Deutsch Landessprache ist, ist aber nicht erforderlich; denn Deutsch ist die Sprache staatlichen Handelns. In § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes und § 23 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist jeweils festgeschrieben, dass die Gerichts- und Amtssprache Deutsch ist. Ich bin als Vorsitzender Richter einer Strafkammer niemals davon abgewichen, abgesehen von vereinzeltem Abgleiten in den Dialekt.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass es Ihnen darauf ankommt, die Sprache als Medium unserer sprachlichen Kultur zu erhalten. In Anbetracht der vielfach um sich greifenden Anglizismen könnte dies sicherlich Sinn machen. Frühere AfD-Anträge haben das in ihren Begründungen ausdrücklich ausgeführt. Da muss ich Ihnen aber sagen, Herr Brandner: Fangen Sie bitte in Ihrem eigenen Wahlprogramm damit an! Dort finden sich Worte wie „Bodycam“, „Taser“, „Failed States“, Genderstudies“.
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Ja, eines Ihrer Mitglieder publiziert seit Jahren akademisch nur in englischer Sprache.
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Überhaupt wird Ihr Wahlprogramm als Verständigungsmittel der deutschen Sprache nur unzureichend gerecht. Eine Überprüfung Ihres Programms im Rahmen eines Vergleichs mit anderen Programmen durch die Universität Hohenheim im Jahr 2017 ergab, dass das AfD-Programm das am wenigsten verständliche ist. Auf einer Skala von 0 bis 20 erreichte Ihr Programm gerade einmal den Wert von 7,3. Gott sei Dank sind wir mit unserem Programm an der Spitze gewesen. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir keine Sätze mit 63 Wörtern bilden, um zu erklären, wie wir uns den Strafvollzug ausländischer Strafgefangener vorstellen.
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In meiner Zweitausbildung als Mediator habe ich irgendwann einmal gelernt, dass man immer nach dem wahren Interesse eines Standpunktes oder einer Haltung fragen möge. Welche Ziele verfolgen Sie denn wirklich? Entgegen Ihrer Behauptung wollen Sie doch nicht die deutsche Sprache als verbindendes Element der in Deutschland lebenden Menschen in die Verfassung aufnehmen; denn im besonderen Teil Ihres Antrags führen Sie aus, dass künftig in der öffentlichen Kommunikation staatlichen Handelns den Institutionen Vorgaben gemacht werden können. Im gleichlautenden Antrag in Baden-Württemberg haben Sie ausdrücklich vermerkt, dass das die Rechtsgrundlage dafür bilden soll, dass beispielsweise Formulare staatlicher Behörden nicht mehr mehrsprachig ausgegeben werden.
Herr Kollege Müller, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Danke.
Ziel Ihres Antrags ist es also, die Menschen, die kein oder nur unzureichend Deutsch sprechen, auszugrenzen, sie fernzuhalten von den Einrichtungen oder Leistungen dieses Staates. Das ist aber genau das Gegenteil dessen, was Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes festschreibt.
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Dort heißt es nämlich ausdrücklich, dass niemand wegen seiner Sprache benachteiligt werden darf . Daher unterstützen wir Ihren Antrag, weil er so nicht verfassungskonform ist, nicht.
Vielen Dank.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell ist Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 19/951 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christian Lindner, Alexander Graf Lambsdorff, Michael Georg Link, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen vom 30. Oktober 2016 zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits
Drucksache 19/958
Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Fabio De Masi, Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Den Rechtsstaat stärken – Multilateralen Investitionsgerichtshof ablehnen und Paralleljustiz für Konzerne stoppen
Drucksache 19/97
Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Mangels Widerspruch ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gerald Ullrich, FDP, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die FDP-Fraktion bringt heute einen Gesetzentwurf ein, bei dem es um Freihandel geht. Warum liegt uns Freihandel so am Herzen? Wohlstand entsteht durch Freihandel, wie man am Beispiel der EU sehen kann. Er brachte uns außerdem die längste Friedensperiode aller Zeiten in unserer Region. Freihandelspolitik bedeutet Friedenspolitik, meine Damen und Herren.
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Deshalb ist es unser Ziel, weitere faire und rechtssichere Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen. Wenn wir Handelshemmnisse abbauen und gleichzeitig unsere hohen Standards bei Menschenrechten sowie Lebensmittel- und Umweltsicherheit als Rechtsgrundlage verteidigen, geben wir der Globalisierung gerechte Regeln und sichern unseren Wohlstand und Frieden. Das Freihandelsabkommen mit Kanada erreicht genau das.
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Die alte Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat bereits am 28. Oktober 2016 im Rat der Europäischen Union CETA zugestimmt. Seit dem 21. September 2017 wird CETA fast vollständig angewendet. Die bisherige Anwendung umfasst das gesamte Abkommen außer dem Marktzugang für Portfolioinvestitionen, dem Streitbeilegungsverfahren und den Regelungen zur strafrechtlichen Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten.
Nun stehe ich im Jahr 2018 vor Ihnen, um die Ratifizierung von CETA erneut einzufordern. Nach den Berechnungen im Auftrag der Europäischen Kommission von 2011 hat CETA für uns folgende Bedeutung: Rund 10 500 deutsche Unternehmen exportieren nach Kanada. Drei Viertel davon sind kleine oder mittelständische Unternehmen. 865 000 Arbeitsplätze in der EU hängen von Exporten nach Kanada ab, 141 000 davon in Deutschland. Die EU-Exporte nach Kanada werden um 24,3 Prozent steigen. CETA erhöht also die jährliche europäische Wirtschaftsleistung in erheblichem Maße.
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Im neuen Koalitionsvertrag – sofern er denn zustande kommt – steht: „Wir wollen …, dass das CETA-Abkommen umfassend in Kraft treten kann.“
Die EU hat Kanada für diese neue Generation von Abkommen ausgewählt, weil uns mit Kanada eine gemeinsame Geschichte, Kultur und langjährige Partnerschaft verbindet. Wenn der Atlantik nicht dazwischenläge, wäre Kanada wahrscheinlich Teil der EU und des Binnenmarktes. Deshalb frage ich die grünen und linken Freihandelsskeptiker: Wovor habt ihr eigentlich Angst?
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Wir Freien Demokraten wollen nicht länger zuschauen und fordern die Ratifizierung von CETA. Nichtstun ist und bleibt Machtmissbrauch, meine Damen und Herren.
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Acht EU-Mitgliedstaaten und Kanada haben CETA bereits ratifiziert. Deutschland sollte hier als erfolgreiche Exportnation nicht länger auf sich warten lassen. Die Ratifikation von CETA ist ein wichtiges Signal der EU an die Welt. Da die WTO blockiert ist, schreitet die EU mit willigen Partnern voran, unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt.
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Nach der Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten wird CETA vollständig in Kraft treten. Dazu gehört dann auch das Streitbeilegungsverfahren in CETA, das den modernsten Standard für das 21. Jahrhundert garantiert. Bei CETA können Investoren die Schiedsrichter nicht mehr selbst auswählen. CETA etabliert einen neuartigen Investitionsgerichtshof. Die EU und Kanada einigen sich je auf fünf Richter aus der EU, aus Kanada und aus Drittstaaten. Für jedes Verfahren werden die zuständigen Richter zufällig ausgewählt. Die Anforderungen an sie entsprechen den hohen Ansprüchen des Internationalen Gerichtshofes der Vereinten Nationen.
Wie es sich für ein rechtstaatliches Verfahren gehört, hat der Investitionsgerichtshof von CETA auch eine Berufungsinstanz. Laut CETA werden Gerichtsunterlagen im Internet zugänglich sein und mündliche Verhandlungen öffentlich geführt. Deutschland muss sich auch nicht vor illegitimen Klagen von Investoren fürchten. CETA garantiert Staaten das Recht, Regulierungen zum Schutze von Gesundheit, Umwelt, Sitte, kultureller Vielfalt und zur Ausgestaltung der Sozialpolitik selbst zu erlassen, auch wenn dadurch Gewinnerwartungen der Investoren beeinträchtigt werden.
CETA ändert auch nichts an nationalen Regeln für Produkte und Arbeitsstandards, wie gerne behauptet wird. Das Vorsorgeprinzip, eine Errungenschaft der EU, bleibt gewährleistet.
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Herr Kollege Ullrich, denken Sie an Ihre Redezeit.
Jawohl. – Die Interpretation des Standards der fairen und gerechten Behandlung sowie der indirekten Enteignung ausländischer Investoren ist im Gegensatz zu früheren Schiedsgerichten für den Investitionsgerichtshof von CETA klar geregelt.
Sehr geehrte Damen und Herren, meine Ausführungen bringen mich nun zu der Forderung an die zukünftige Bundesregierung: Übernehmen Sie Verantwortung und zeigen Sie Haltung! Freihandel gewährleistet Frieden und Wohlstand. Ein erster Schritt dazu ist es, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Danke.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Stefan Rouenhoff, CDU/CSU-Fraktion. Auch für ihn ist es die erste Rede im Deutschen Bundestag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist die drittgrößte Handelsnation der Welt. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt hierzulande direkt oder indirekt vom Export ab. Der Außenhandel hat entscheidend zu Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in Deutschland beigetragen. Das zeigt: Offene Märkte sind kein Selbstzweck. Wir brauchen offene Märkte für wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, für ein breites Angebot an Produkten und Dienstleistungen und für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt. Für diese Grundhaltung steht die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Die europäische Handelspolitik steht heute vor gewaltigen Herausforderungen. Protektionismus ist in einigen Staaten wieder salonfähig geworden. Das sehen wir auch mit Blick auf die heutigen Nachrichten aus den USA. Nationale Egoismen und politischer Populismus sind überall auf dem Vormarsch. Es liegt in unserer Verantwortung, diesen Entwicklungen mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten.
({1})
Wer allerdings, wie es teilweise in den vergangenen Jahren zu beobachten war, mit gezielten Falschbehauptungen oder aus bloßem Unwissen die Ängste und Sorgen der Menschen vor Handel und Handelsabkommen schürt, der befeuert genau diese Entwicklungen, der schwächt die europäische Handelspolitik und lähmt die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.
Meine Damen und Herren, wir brauchen weder wirtschaftlichen Nationalismus noch Populismus in der Handelspolitik.
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Was wir brauchen, ist eine schlagkräftige europäische Handelspolitik, die neue Absatzmärkte sichert, den Waren- und Dienstleistungsaustausch mit Drittstaaten erleichtert und gleichzeitig die hohen europäischen Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards gewährleistet.
Die Bundesregierung hat sich deshalb mit Nachdruck für den Abschluss des Freihandelsabkommens CETA eingesetzt. Das im September 2017 vorläufig in Kraft getretene Abkommen ist aus unserer Sicht ein handelspolitischer Meilenstein. Die CDU/CSU-Fraktion steht deshalb auch voll und ganz hinter CETA.
({3})
Aber um der FDP hier und heute gleich jedwede Hoffnung zu nehmen:
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Wir lassen uns ganz sicher nicht von Ihnen aufs Glatteis führen. Ihnen geht es mit der Vorlage des Entwurfs eines Vertragsgesetzes nicht darum, CETA zu ratifizieren und vollständig in Kraft zu setzen.
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Ihnen geht es darum, einen Keil zwischen uns und die SPD-Fraktion als unserem potenziellen Regierungspartner zu treiben;
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denn Sie wissen nur zu gut, wie intensiv und kontrovers in der SPD um CETA gerungen wurde und wie sehr das Abkommen auf der Kippe stand.
Mit der SPD haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, CETA umfassend in Kraft zu setzen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.
({7})
Dazu gehört auch, dass das Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren über die anhängigen Verfassungsklagen gegen CETA ablehnend entschieden hat.
Es wundert mich doch sehr, dass gerade die FDP, die sich immer als Anwalt der Bürgerrechte präsentiert, es jetzt so eilig hat und nicht einmal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten kann. Das zeugt schon von wenig Respekt gegenüber einem Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland,
({8})
und es zeugt auch von einem fahrlässigen Umgang mit einem so wichtigen wirtschaftspolitischen Thema.
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In einem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sind wir uns dann aber vermutlich einig.
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– Nein? Da bin ich gespannt. – Von Beginn der Handelsverhandlungen mit Kanada bis zum vorläufigen Inkrafttreten von CETA sind mehr als acht Jahre vergangen. Das ist eindeutig zu lange.
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Wenn die Europäische Union und damit auch Deutschland im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsmächten nicht ins Hintertreffen geraten will, dann müssen Freihandelsverhandlungen mit Drittstaaten beschleunigt werden. Nur dann kann die Europäische Union auch künftig Maßstäbe für die Ausgestaltung globaler Handelsregeln setzen. Daran sollten wir alle ein Interesse haben.
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Nun zum Antrag der Linken. Ich bin schon erstaunt, mit welcher Inbrunst sie jedweden Investitionsschutz ablehnen. Egal ob es sich um die Investor-Staat-Schiedsverfahren, den in CETA verankerten bilateralen Investitionsgerichtshof oder den nun von der Europäischen Kommission geplanten multilateralen Gerichtshof handelt, für Sie scheint der Investitionsschutz ja echtes Teufelszeug zu sein. Aber vor 2014, also vor der Diskussion zum Investitionsschutz in TTIP und CETA, habe ich keine Kritik von den Linken an den rund 130 deutschen Investitionsschutzverträgen gehört, obwohl in vielen dieser Investitionsschutzverträge ISDS verankert ist. Das verwundert mich doch schon sehr.
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Sie kritisieren, der geplante multilaterale Investitionsgerichtshof etabliere eine Paralleljustiz. Mit Verlaub: Wenn Sie dieser Argumentationslogik folgen würden, dann müssten Sie ab sofort auch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Paralleljustiz brandmarken.
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Was wir brauchen, sind keine populistischen Forderungen, sondern einen funktionsfähigen und modernen Investitionsschutz, der vor willkürlicher staatlicher Enteignung effektiv schützt. Deshalb unterstützen wir mit Nachdruck die Bemühungen der Europäischen Kommission, einen multilateralen Gerichtshof zu schaffen.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass die europäische Handelspolitik wieder an Schlagkraft gewinnt. Wir werden im Gegensatz zu anderen Fraktionen nicht die Axt an diese zentrale Säule der Europäischen Union legen;
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denn wir wollen, dass der Außenhandel in unserem Land Motor für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand bleibt –
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im Interesse von Arbeitnehmern, Verbrauchern und Unternehmen. Das erreichen wir nur mit einer starken Europäischen Union.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal kann man der FDP dankbar sein, dass sie diesen Gesetzentwurf einbringt, weil es uns die Möglichkeit gibt, hier über Handelsfragen zu diskutieren.
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Deshalb glaube ich nicht, dass Sie einen Keil treiben.
Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Märkte sind wie Fallschirme: Sie funktionieren nur, wenn sie offen sind.“ Deshalb unterstützt die SPD-Fraktion diese Anliegen. Wir haben uns beim Thema Freihandelsabkommen auf internationaler Ebene zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und einer anspruchsvollen diplomatischen Politik enorm für Verbesserungen im CETA eingesetzt, die erst dafür gesorgt haben, dass das Abkommen Zustimmung gefunden hat.
Wir haben mit CETA sicherlich eine kontroverse Debatte hier im Haus, im Wirtschaftsausschuss und gesellschaftspolitisch geführt, aber die Vorteile dieses Abkommens überwiegen, gerade mit einem Land wie Kanada, mit dem wir eine gemeinsame Wertebasis teilen und mit dem uns viele identische Wertemaßstäbe, Ansichten und politische Übereinkommen verbinden. CETA wird dazu beitragen, diese Verbindungen zu vertiefen.
Es geht uns darum, mit den nahen Partnern Deutschlands und der EU Außenhandel durch Handelsverträge zu vereinbaren, die genau das bewirken, was Nationalisten wie Trump, Le Pen und anderen zuwiderläuft: Wir wollen eine enge Kooperation über nationale Grenzen hinweg und keinen Protektionismus.
({1})
Das, was wir seit gestern Nachmittag erleben müssen, dass der amerikanische Präsident die Produzenten von Aluminium und Stahl mit hohen Zöllen belasten will, erfüllt uns als SPD-Fraktion mit großer Sorge, was Arbeitsplätze in Europa angeht. Das, was Mister Trump auf den Weg bringen will, fördert keinen freien Handel. Er trifft damit andere Länder und Nicht-NATO-Partner und die EU. Er hat mit diesen Instrumenten im Grunde genommen einen Brand gelegt, den er sicherlich noch einmal überdenken muss. Eine solche Politik darf nicht zu einem Handelskrieg zwischen der EU und den USA führen. Diese Entscheidung muss noch einmal überdacht werden.
({2})
Herr Kollege Westphal, ich bitte um Entschuldigung. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin?
Sehr gerne.
Herr Kollege Westphal, danke für das Zulassen der Zwischenfrage. – Ich habe im Entwurf des Koalitionsvertrags mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie CETA umfassend in Kraft setzen wollen. Wir haben gerade alle gelernt, dass das – mit Ausnahme der Ausgestaltung der Streitbeilegung und zwei weiterer kleiner Punkte – schon der Fall ist. Nun heben Sie darauf ab, dass der Präsident der Vereinigten Staaten – nicht zum ersten Mal – umfassende Strafzölle gegen Waschmaschinen aus Korea, gegen Flugzeuge aus Kanada und jetzt gegen Stahl und Aluminium aus Europa und China verhängt hat. Sie sagen, darüber muss man noch einmal reden.
Was ist eigentlich Ihre Erwartungshaltung in dieser Frage? Halten Sie es wirklich für hinreichend, nachdem Europa durch die unilaterale Politik von Herrn Trump im Bereich der Steuerpolitik massiv unter Druck gesetzt worden ist, nun, wo der kernindustrielle Bereich der Stahl- und Aluminiumindustrie mit Handelshemmnissen konfrontiert ist, zu sagen: Na ja, dann schauen wir einmal, ob wir vielleicht Harley Davidson verbieten oder besteuern. Halten Sie das wirklich für eine hinreichende, kluge Antwort auf diese Herausforderung? Oder müsste die Antwort Europas auf eine solche Herausforderung nicht sein, zu wirksamen Maßnahmen zu greifen, die tatsächlich den Kernbestand amerikanischer Interessen berühren?
Sehr geehrter Kollege Trittin, vielen Dank für Ihre Frage. Was mich verwundert, ist, dass wir als EU- und NATO-Partner hinnehmen müssen, dass der Präsident die Maßnahmen mit nationalen Sicherheitsinteressen gemäß Sektion 232 begründet. Das kann ich nicht verstehen.
Wir machen uns Sorgen um die Arbeitsplätze in der Aluminium- und Stahlindustrie. Unsere europäische Antwort auf die Vorhaben des amerikanischen Präsidenten – darauf kann er sich verlassen – werden wirksame Abwehrmechanismen sein. Es kann doch nicht sein, dass diese Politik weiter verfolgt wird.
Wir appellieren an den amerikanischen Präsidenten, seine Entscheidung zu überdenken, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens, seine Begründung ist fragwürdig, und zum Zweiten wird es den Amerikanern nicht helfen, weil sie genau die treffen, die sie nicht meinen. Wir sind in diesen beiden Branchen nicht mit Antidumpingzöllen und anderen Maßnahmen auf dem amerikanischen Markt unterwegs.
({0})
Zurück zu CETA, wenn Sie erlauben. Ich hatte darauf hingewiesen, dass gerade die Bemühungen Deutschlands dazu geführt haben, dass hohe Standards in CETA erreicht werden konnten. Das setzt Benchmarks für andere Handelsabkommen. Deshalb werden wir mit CETA eine weitere Intensivierung der Handelsbeziehungen mit Kanada im deutschen und europäischen Interesse verfolgen, was gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen hilft.
Wir lehnen es allerdings ab, den Gesetzentwurf zu diesem Zeitpunkt zu beschließen. Die vorläufige Anwendung gilt für jene Bereiche, die unstrittig in der Zuständigkeit der EU liegen. Zu den anderen Bereichen des Abkommens, die erst nach Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten in Kraft treten, gehören unter anderen Regelungen zur Beilegung der Investor-Staat-Streitigkeiten mit öffentlich legitimierten Investitionsgerichten.
Nach zwei für die Bundesregierung vorteilhaft ausgegangenen Eilverfahren steht jetzt das Hauptverfahren an. Man sollte der Entscheidungshoheit des Bundesverfassungsgerichtes mit gebührendem Respekt begegnen und den Gesetzentwurf nicht im Vorfeld der Entscheidung beschließen. Ich appelliere an die FDP, den Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht aufrechtzuerhalten.
Da keine Eilbedürftigkeit bei der Verabschiedung des Gesetzes besteht, lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Eine entsprechende Beratung kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden. Bei Handelsfragen haben wir eine ganze Reihe übereinstimmender Positionen, aber diesen Gesetzentwurf zu dieser Zeit lehnen wir ab.
Vielen Dank.
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Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Hansjörg Müller, AfD-Fraktion.
({0})
Dobry den, damy i gospoda! – Jetzt sehen Sie selbst, wie sinnvoll es ist, Deutsch als Landessprache ins Grundgesetz zu schreiben.
({0})
Hohes Präsidium! Verehrte Damen und Herren! Die Alternative für Deutschland ist die einzige freiheitliche Partei im Deutschen Bundestag.
({1})
Freiheitlich bedeutet, dass wir die Interessen der Bürger und der Unternehmer gleichermaßen durch einen fairen Ausgleich der Interessen schützen. Da wir eine freiheitliche Partei sind, sind wir selbstverständlich für freien Handel und für freies Unternehmertum. Freier Handel zeichnet sich dadurch aus, dass er weder durch Zölle noch durch Quoten behindert wird. Deutsche Firmen – das gilt gleichermaßen für Mittelstand und Konzerne – erwirtschaften gemeinsam einen erheblichen Anteil unseres Wohlstandes, indem sie ungehindert exportieren können. Auch hier gilt: Freihandel ist gut.
({2})
Aber die sogenannten Freihandelsabkommen sind die größten Nebelkerzen seit Lügenbaron Münchhausen.
({3})
Egal ob bei TTIP oder beim CETA-Handelsabkommen mit Kanada: Dass es um freien Handel geht, ist doch nur noch Fassade. Im Hintergrund läuft ein völlig anderes, abgekartetes Spiel.
({4})
Was passiert? Großkonzerne im Verbund mit internationalen Anwaltskanzleien unterwerfen Arbeiter, Angestellte und mittelständische Unternehmer. Und wie tun sie das? Das tun sie, indem sie über demokratisch nicht legitimierte Sondergerichte, die von diesen Typen auch noch abhängig sind, eine intransparente Paralleljustiz schaffen. Ich bedanke mich bei den Kollegen der Linken dafür, dass sie diesen Punkt aus dem AfD-Grundsatzprogramm vorantreiben. Der ist von uns.
({5})
Demokratisch legitimierte Gesetzgeber, das heißt die nationalen Gesetzgeber, werden entmachtet, und in der Folge tritt die Willkür des Weltstaates an die Stelle des nationalen Rechtsstaates.
({6})
Das ist die Abschaffung des Rechtsstaates, und das ist mit uns nicht zu machen.
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In der Folge werden die Staaten durch eine Welle an Klagen erpressbar. Es bildet sich doch jetzt schon eine Klageindustrie heraus. Das kann doch nicht im Interesse unserer Freunde von der FDP sein. Eine Klageindustrie würde doch im Endeffekt bedeuten, dass das freie Unternehmertum mit einer Sonderjustiz belegt ist. Am Ende werden wir eine monopolisierte Feudalwirtschaft haben,
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in der freie Bürger und freie Unternehmer keinen Platz mehr haben und Mittelständler schon gleich gar nicht.
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Das, was Sie uns bis hierhin dargeboten haben, hört sich bis zu dieser Stelle ja ganz profund an.
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Ich würde Sie bitten – ich glaube, das wäre für die zukünftigen Beratungen wichtig –, für all das, was Sie da gerade behaupten, die entsprechenden Seitenzahlen des TTIP-Abkommens und des CETA-Abkommens zu nennen. Die Texte liegen ja vor. Ich glaube, für uns alle wäre es wahnsinnig wichtig, wenn Sie die Kritikpunkte, die Sie gerade angebracht haben, konkret machen könnten, mit der entsprechenden Fundstelle. Ich verspreche Ihnen, dass wir dann alle ein Interesse daran haben, das, was Sie konkret belegen können, unter Umständen noch einmal nachzuverhandeln.
({1})
Verehrter Herr Kollege, erst einmal danke für die Frage. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die vollständigen Texte – ich spreche von vollständigen Texten – von TTIP und CETA so lang sind, dass sie vom Boden bis unter die Kuppel des Bundestages reichen
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und auch nicht vollständig öffentlich eingesehen werden können.
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Sie können das Gleiche machen, was wir gemacht haben: Sie können sich Sekundärliteratur besorgen.
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Etwas anderes bleibt Ihnen nicht übrig.
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– Und warum nicht von der „Welt“ oder von „Spiegel Online“? Können Sie mir das einmal erklären? – Egal, Sie und ich, wir haben den gleichen Wissensstand.
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Wir bewerten das so, und Sie bewerten das anders. Das ist halt so.
({5})
Wir finden Punkt 5 des Antrags der Linken sehr bedenklich, in dem sie dazu aufrufen, ein Unternehmensstrafrecht zu schaffen, und zwar mit dem Ziel, Verstöße deutscher Unternehmen im Ausland zu ahnden. Erstens finden wir das bedenklich, weil das eine Einmischung in die bestehende Rechtslage anderer souveräner Staaten ist, und zweitens, weil daraus eine Doppelbestrafung erwachsen kann: Unternehmen können doppelt bestraft werden, einmal in Deutschland und einmal im Ausland, und das ist eine Verletzung des Rechtsgrundsatzes „Ne bis in idem“.
({6})
Ansonsten stellt der Antrag der Linken in unseren Augen die Zusammenhänge meistens richtig dar, weshalb wir als AfD ihn wohlwollend betrachten. Wir als AfD betrachten nämlich alle Anträge wohlwollend, die inhaltlich gut sind, egal von wem sie kommen.
({7})
Das ist der große Unterschied. Diese Nichtausgrenzung, diese Offenheit Andersdenkenden gegenüber
({8})
unterscheidet uns, die demokratische AfD, von allen anderen fünf Fraktionen in diesem Hohen Hause.
({9})
Ich bedanke mich.
({10})
Vielen Dank. – Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Also, wir waren diesmal nicht diejenigen, die das Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben.
({0})
Trotzdem ist es nett, dass wir darüber reden können.
Meine Damen und Herren, dass sich jetzt die FDP so massiv für die sofortige Ratifizierung von CETA einsetzt, ausgerechnet die FDP, ist schon ein Hinweis darauf, dass dieses Abkommen mehr den Großkonzernen nützen könnte als dem einfachen Bürger.
({1})
Normalerweise bringt eine Regierung einen solchen Gesetzentwurf ein. Die FDP wollte aber nicht regieren, wie wir wissen. Vielleicht haben das aber noch nicht alle gemerkt. Denn so einen Gesetzentwurf einzubringen, obwohl CETA ja in weiten Teilen bereits in Kraft ist – nur wenige Abschnitte sind von der vorläufigen Anwendung ausgenommen –, ist, wie gesagt, normalerweise Angelegenheit einer Regierung und nicht der Opposition.
Meine Damen und Herren, welche Bestandteile des CETA-Vertrages werden zurzeit nicht angewendet? Nicht angewendet wird vor allem der Investitionsschutz. Ich will nicht wissen, welche zweifelhaften Motive die FDP dazu bringen, sich für die Sonderklagerechte für ausländische Investoren im Rahmen von CETA starkzumachen. Warum ein Sondergericht für ausländische Investoren? Taugen denn unsere nationalen Gerichte nicht? Trauen Sie unseren Richtern nicht? Oder sind Unternehmensinteressen bei einem Sondergericht vielleicht leichter durchzusetzen als bei einem ordentlichen deutschen Gericht?
({2})
Das ist die Kernfrage. Genau das wollen Sie nämlich. Wir haben unseren Antrag zur Verhinderung dieser Paralleljustiz bereits vorgelegt.
Meine Damen und Herren, auch der Deutsche Richterbund kritisiert diese Paralleljustiz. Er spricht von der „Einrichtung eines Gerichts, dem auch weiterhin demokratisch gesetztes Recht als Entscheidungsbasis fehlt“. Der Richterbund warnt, dass der Investitionsschutz – ich zitiere noch einmal – „zu einem Geschäftsmodell einer Klageindustrie oder unlauterer Investoren verkommt“. Er prangert an, dass die staatliche Gerichtsbarkeit geschwächt wird. Aufgrund ihrer Stellung seien Investitionsschiedsgerichte in der Lage, Entscheidungen nationaler Verwaltungen und Gerichte zugunsten eines Investors außer Kraft zu setzen. Meine Damen und Herren, der Deutsche Richterbund warnt:
Eine überzeugende Regelung des Investitionsschutzes kann jedoch nur gelingen, wenn auch der Gaststaat und seine Bürger äquivalenten Rechtsschutz vor dem Investor erhalten.
Genau das haben diese Gerichte nicht, und deshalb lehnen wir sie ab, meine Damen und Herren. So einfach ist die Welt.
({3})
Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Theurer?
Aber gerne.
Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. – Ist Ihnen bekannt, dass es bei internationalen Investitionsstreitigkeiten nur darum geht, dass der Investor bei einem enteignungsgleichen Eingriff durch die Gesetzgebung einen Anspruch darauf hat, gegebenenfalls entschädigt zu werden? – Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage ist: Glauben Sie, dass ein deutscher Mittelständler, der vor einem kanadischen Gericht Recht einklagt, zum Beispiel eine Entschädigung, dort eher recht bekommt als vor einem gemeinsam von beiden Akteuren, EU und Kanada, geschaffenen Internationalen Gerichtshof?
Danke für die Frage. Sie gibt mir Gelegenheit, noch einmal aufzuzeigen, was in diesen Schiedsgerichten bisher verhandelt wurde. Dort haben einzelne Investoren – teilweise war das sehr fragwürdig – den einzelnen Staat auf Entschädigung verklagt. Mit Enteignung hatte das überhaupt nichts zu tun, sondern da war entgangener Gewinn Gegenstand des Verfahrens.
({0})
Wenn Unternehmen künftig nicht mehr dadurch Gewinne erzielen wollen, dass sie vernünftige Produkte herstellen, sondern dadurch, dass sie diese Klageindustrie benutzen, dann lehnen wir das eindeutig ab. Das ist der Punkt.
({1})
Zu Ihrer zweiten Frage: wo man möglicherweise eher recht bekommt. Es geht nicht darum, wo man eher recht bekommt, sondern ob es Recht ist, was man da bekommt. Es ist einem kanadischen Unternehmen wie auch jedem deutschen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zuzumuten, wenn es sich ungerecht behandelt fühlt, ein deutsches Gericht zu bemühen. Dem deutschen Mittelständler steht genauso offen, ein kanadisches Gericht zu bemühen. Auch kanadische Unternehmen haben nicht die Möglichkeit, einen Internationalen Schiedsgerichtshof zu bemühen. Dort müssen die nationalen Gerichte entscheiden. Warum dieses unterschiedliche Recht, meine Damen und Herren?
({2})
Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? Das verlängert logischerweise Ihre Redezeit.
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege Ernst, ich möchte gerne an das anschließen, was der Kollege Theurer angesprochen hat. – Sie sagten gerade, entgangener Gewinn dürfe nicht vor Gericht geltend gemacht werden und Sie würden diese Instanzen ablehnen.
Damit lehnen Sie beispielsweise auch ab, dass deutsche Stadtwerke, die sich in Spanien im Bereich „Erneuerbare Energien“ engagieren und dort investiert haben, zu ihrem Recht kommen, nachdem Spanien im Nachhinein die Rechtsgrundlagen verändert hatte, wodurch diese Investition entwertet wurde. Über spanisches nationales Recht haben sie keine Entschädigung erhalten, aber über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit innerhalb der Europäischen Union wurde das letztlich erreicht.
Verstehe ich Sie also richtig, dass Sie es gut finden, wenn deutschen mittelständischen Unternehmen oder sogar kommunal getragenen Unternehmen im Ausland die Rechtsgrundlage entzogen wird?
Herr Pfeiffer, das Problem ist Folgendes: In den bisherigen Verfahren ging es immer um Fälle,
({0})
in denen die klagenden Unternehmen letztendlich deshalb geklagt haben, weil sie in Erwartung eines bestimmten Rechtszustandes eine Investition getätigt haben. Die Bürger haben hinsichtlich des Rechtszustandes dann möglicherweise anders entschieden, wie zum Beispiel in Kanada.
In Bezug auf Québec haben die Bürger gesagt: Nein, wir wollen nicht, dass dort Fracking betrieben wird. – In diesem Fall hat das Unternehmen, das noch gar nicht investiert, sondern nur Probebohrungen durchgeführt hatte, dann gesagt: Jetzt können wir nicht mehr investieren, und deshalb haben wir einen Schaden, weil wir mit den künftigen Investitionen, die noch gar nicht getätigt wurden, kein Geld verdienen können.
({1})
– Doch, Herr Pfeiffer, das hat genau damit zu tun, aber wenn Sie die Antwort nicht mehr hören wollen, dann müssen Sie sich wieder setzen.
Jetzt kommen wir zu dem konkreten Beispiel: In Bezug auf Spanien stellt sich die Frage, ob die Investitionen für die Produktion, die erwartet wurde, dort schon getätigt wurden oder ob es dort um vorbereitete Dinge geht.
({2})
Wenn die Investitionen schon getätigt wurden, dann ist es, glaube ich, auch dem deutschen Unternehmen zuzumuten, vor ein spanisches Gericht zu gehen und das dort und nicht vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof einzuklagen.
({3})
Das müsste nämlich auch der Spanier tun, der dort klagt. Auch der spanische Unternehmer müsste vor sein eigenes Gericht gehen.
Meine Damen und Herren, ich hatte gerade damit begonnen, über die internationalen Strafgerichte zu reden, die ja zur Debatte stehen.
Wir brauchen keinen besonderen Rechtsschutz für Konzerne. Wir brauchen eher die Möglichkeit, Konzerne weltweit stärker zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie sich – insbesondere in den Entwicklungsländern – weder um Umweltschutz noch um soziale Standards kümmern.
({4})
Ich weiß nicht, wer sich noch an das Beispiel „Rana Plaza“ erinnert. Ich stand an der Grube, wo dieses Werk – es war eigentlich gar kein Werk, sondern ein zusammengeschusterter Bau – zusammengefallen ist und mehrere Tausend Menschen ihr Leben verloren haben. Alle Unternehmen, die daran beteiligt waren, sind davongekommen. Das waren auch deutsche Unternehmen. Deshalb sage ich Ihnen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen für das verantwortlich sind, was sie im Ausland treiben, zum Beispiel, welche Zulieferer sie dort haben.
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Das ist bedeutend wichtiger, als es Sondergerichte für deutsche Unternehmen im Ausland sind.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Ernst. – Zwischenfragen bieten die Möglichkeit, die Redezeit zu verdoppeln, wie ich gerade habe feststellen können. Das ist aber kein Hinweis darauf, dass davon exzessiv Gebrauch gemacht werden sollte.
Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katharina Dröge.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Ullrich, Sie haben hier in Ihrer Rede das Hohelied des Freihandels gesungen. Das hat mich bei der FDP auch gar nicht verwundert. Weil es aber die erste Debatte in dieser Legislaturperiode ist, die wir miteinander führen, will ich es einmal klarstellen: Darum geht es in dieser Debatte nicht.
({0})
– Ich erkläre Ihnen das auch.
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Ich würde sagen, fast alle Fraktionen in diesem Haus – bei der AfD bin ich mir nicht so sicher; die Rede war etwas wirr – haben kein Problem damit, dass kanadische Waren auf dem europäischen Markt verkauft werden. Es geht hier um ein konkretes Abkommen und um die Frage, ob dieses Abkommen ein gutes Abkommen ist und ob es geeignet ist, die Globalisierung gerecht zu gestalten. Das diskutieren wir hier. Weil in der Debatte schon so oft der Vorwurf gefallen ist: Es geht nicht um die Frage pro oder kontra Freihandel.
({2})
Dass der Austausch von Waren eine sinnvolle Sache ist, darin ist sich dieser Bundestag eigentlich einig.
Ein zweiter Punkt, der an Sie gerichtet ist, Herr Kollege Westphal. Ich bin Ihnen ausnahmsweise einmal dankbar, und zwar dafür, dass Sie die Ratifizierung von CETA ganz offensichtlich verzögern werden. Das ist eine sehr gute Sache; denn es gibt uns die Chance, je nachdem, wie lange die GroKo-Verhandlungen dauern werden, gegebenenfalls im Rahmen von Koalitionsverhandlungen durchzusetzen, dass dieses Abkommen nicht ratifiziert wird. Das ist das, was wir hier tun müssen. Wir müssen CETA bewerten. Meine Fraktion hat CETA bewertet. Wir haben dieses Abkommen in diesem Bundestag vier Jahre lang intensiv diskutiert. Ich sage Ihnen: Das, was Sie hier vorlegen, ist ein schlechtes Abkommen.
({3})
Ich werde Ihnen auch gleich erläutern, welche Regelungen schlecht sind. Aber – das möchte ich vorher noch sagen – es ist außerdem ein Abkommen, das angesichts dessen, was wir hier auf der Welt erleben, gerade auch im Bereich der Wirtschafts- und Handelspolitik, überhaupt nicht in der Lage ist, Globalisierung gerecht zu gestalten. Unter dieser Latte läuft es einfach durch. Es ist der wahre Skandal, dass Sie dieses Abkommen in dieser Form vorlegen.
({4})
Ich bringe Ihnen einige Beispiele dafür, was in diesem Abkommen schlecht ist. Sie führen die Schaffung von Schiedsgerichten ein. Wir haben hier im Deutschen Bundestag und auch in Anhörungen darüber gesprochen, dass Sie versucht haben, die Schiedsgerichte umzubenennen und aus ihnen einen Schiedsgerichtshof zu machen.
({5})
Es ist aber trotzdem das alte System der Schiedsgerichte mit den missbrauchsanfälligen materiellen Rechtsgrundlagen; Stichwort: Fair and Equitable Treatment.
Wir hatten dazu eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages, in dem versucht wurde, zu erklären, was damit eigentlich gemeint ist. Alle Experten haben gesagt: Das kann man nicht konkretisieren. Alle Versuche, dies zu konkretisieren, werfen weitere Fragen auf.
Kein Mensch kann uns erklären, warum man mit Kanada, einem Rechtsstaat, ein solches Schiedsgerichtssystem braucht. Sie haben sich in den letzten Jahren einen abgebrochen, um uns zu erklären, dass es eine negative Signalwirkung hätte, wenn man die Schaffung von Schiedsgerichten in das Abkommen mit Kanada nicht aufnehmen würde, weil dann China und andere Länder kämen und auch in ihren Abkommen keine Schiedsgerichte haben wollten. Und jetzt reden Sie über Mandate mit Australien und Neuseeland, und die Schaffung von Schiedsgerichten ist in diesen Abkommen nicht vorgesehen. Komisch! Da geht es auf einmal.
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Ich finde, wenn man sich selbst ernst nimmt, dann sollte man zumindest jetzt einmal darüber nachdenken, ob man mit Blick auf Kanada vielleicht noch nachverhandeln muss.
Sie schwächen den Verbraucherschutz und das europäische Vorsorgeprinzip. Wie lange haben wir hier in diesem Haus darüber gesprochen, dass es nicht ausreichend ist, wie Sie das Vorsorgeprinzip im Vertrag verankern?
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Wir haben Ihnen sogar einen konkreten Formulierungsvorschlag gemacht, wie man es besser machen kann. Nichts ist passiert. Sie stecken die Städte und Gemeinde in die Zwangsjacke, wenn Sie die Dienstleistungen liberalisieren.
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Ganz ehrlich: Wie naiv muss man sein, in Zeiten der Digitalisierung zu glauben, dass man eine Liste vorlegen kann, in der man abschließend regeln will, was kommunale Daseinsvorsorge ist? Genau das tun Sie mit CETA.
Sie können noch nicht einmal garantieren, dass wir Parlamentarier, diejenigen, die gewählt wurden, um die Regeln in diesem Land mitzubestimmen, bei der Weiterentwicklung des Abkommens in ausreichender Form beteiligt werden. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mich hat es anderthalb Jahre gekostet, um Ihnen überhaupt erst einmal verständlich zu machen, dass es in diesem Vertragstext ein Problem gibt.
({9})
Deswegen sage ich Ihnen: Es ist Zeit, dass Sie dieses Abkommen überarbeiten. Es ist Zeit, dass Sie nicht nur die Probleme beheben. Vielmehr ist es Zeit, dass Sie richtig regulieren. Wir müssen den Menschen erklären, warum Sie immer mit zweierlei Maß messen, wenn es um das tägliche Leben der Menschen auf der einen Seite und die Regulierung von großen Konzernen auf der anderen Seite geht.
Gehen Sie doch einmal das Thema Geldwäsche an! Gehen Sie doch einmal das Thema Steuerhinterziehung an!
({10})
Gehen Sie doch einmal das Thema faire Regeln für den Wettbewerb gegen Marktmacht an! Machen Sie endlich einmal das Pariser Klimaschutzabkommen zum Gegenstand der Handelspolitik.
Frau Kollegin.
Setzen Sie sich endlich einmal dafür ein, dass wir über Produktionsstandards im sozialen Bereich, bei der Arbeit und bei der Umwelt sprechen.
Frau Kollegin.
Das würde nämlich wirklich zu fairen Wettbewerbsbedingungen in der Globalisierung führen.
Frau Kollegin.
Das alles haben Sie nicht geschafft. Daran müssen wir Sie messen.
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Auch wenn ich die Geschwindigkeit Ihres Redebeitrags bewundert habe, möchte ich, dass die Bitte, zum Ende zu kommen, gehört wird. Ich verfolge die Überziehung der Redezeit mit Langmut. Wir lassen allen immer ein bisschen Spielraum. Aber wenn wir ihn zu sehr ausweiten, dann sitzen wir noch am Wochenende hier.
Der nächste Abgeordnete, dem ich das Wort erteile, ist der Kollege Dr. Heribert Hirte von der CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das einzig Schöne an der Rede von Katharina Dröge war, dass sie gezeigt hat, dass sie mit Sicherheit den Text des Gesetzentwurfes gelesen hat. Das ist beruhigend, weil wir so zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen können. Sie hat in ihrer Rede viel gesagt. Das lag aber an der Sprachgeschwindigkeit; da sind wir zurück beim letzten Tagesordnungspunkt zur Festschreibung von Deutsch als Landessprache. Aber sie hat nicht so viel zur Sache gesagt, also über das Thema, zu dem wir hier eigentlich reden wollen.
({0})
Deshalb möchte ich jetzt zur Sache kommen. Wir reden über CETA. Es ist gut, dass wir darüber reden. Der Ansatz, den Sie hier vorgebracht haben, ist auch gut. Ich will in Erinnerung rufen, dass wir in den langen Verhandlungen eine ganze Menge erreicht haben. Gerade beim Thema Schiedsgerichte – das war ja Ihr Leib- und Magenthema, liebe Katharina Dröge – haben wir viel erreicht, vor allem durch den Druck, den wir als Regierungsfraktionen gemeinsam mit Wirtschaftsminister Gabriel in der letzten Legislaturperiode aufgebaut haben, was wir an die EU-Kommission weitergegeben haben und was dann in TTIP eingeflossen ist. Die Kanadier haben zugesagt, es so zu machen, die Amerikaner haben es nicht gemacht und stehen jetzt etwas dumm da.
Ich möchte insbesondere drei Punkte nennen. Es gibt jetzt ein stehendes Gericht mit professionellen Richtern. Es wurde eine Berufungsinstanz eingerichtet. Die Verfahren sind transparent.
Zum Thema „transparente Verfahren“ will ich sagen: Das, was in CETA und in diesen Schiedsverfahren abläuft, ist deutlich transparenter als das, was in nationalen Prozessen abläuft. In diesen kann man die Gerichtsakten nämlich nicht einsehen, anders als das in Amerika und in Kanada und in ebendiesen Schiedsverfahren der Fall ist.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen De Masi?
Sie haben gerade doch schon so viel gesprochen, das kann er dann danach.
Ich frage Sie ja, ob Sie das erlauben. Wenn Sie Nein sagen, dann sagen Sie Nein.
Nein, im Moment nicht. Ich bin gerade in Fahrt und möchte weitermachen. Ich denke gerade an die Rede des Kollegen Ernst. Dazu möchte ich jetzt etwas sagen. Danach kann er fragen.
Deshalb ist es richtig, dass das, was wir erreicht haben, die Blaupause ist nicht nur für den Brexit – hier werden wir über Freihandelsabkommen möglicherweise noch reden müssen – und für andere Schiedsverfahren in vergleichbaren Situationen, sondern dass diese unsere Überlegungen in die Pläne eingehen, auf UN-Ebene einen multilateralen Investitionsgerichtshof zu schaffen.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Ihrem Antrag von der linken Seite. Dann können Sie überlegen, ob die Zwischenfrage noch erforderlich ist. In Ihrem Antrag ist eigentlich jeder Satz falsch. Es geht damit los, dass Sie von Exklusivrechten für bestimmte Investoren sprechen. Nein, es geht nicht um Exklusivrechte, es geht darum, eine Verfahrensvereinfachung zu erreichen, damit nicht erst der Investor gegen seinen eigenen Staat und dann der Staat gegen den Gaststaat klagen muss. Das ist gelebte Subsidiarität. Das ist richtig so. Das ist das, was wir wollen.
({0})
Es geht – zweitens – auch nicht um die Schaffung einer Paralleljustiz; das ist in der Debatte eben auch schon gesagt worden. Zwischenstaatlich gibt es nämlich überhaupt kein stehendes Gericht. Das schaffen wir erst. Deshalb geht es nicht um die Parallele zu irgendwelchen Verfahren. Sie schreiben in Ihrem Antrag, es gehe darum, die Möglichkeit von Klagen und Schadenersatzansprüchen auszuschließen; denn das hätte einen Abkühlungs-, einen Chillingeffekt. Entschuldigen Sie mal, wenn Recht verletzt wird, dann finde ich es richtig, dass dagegen geklagt werden kann. Was wollen Sie denn? Wollen Sie, dass Recht unter Missachtung von Völkerrecht und Abkommen einfach durchgesetzt werden kann? Nein, Rechtsschutz ist richtig. Wir müssen nur über die Ausgestaltung dieses Rechtsschutzes nachdenken.
({1})
Der dritte Punkt. Immer wieder wiederholen Sie, es gehe um die Großkonzerne. Auch das ist falsch. Die Großkonzerne können Niederlassungen gründen. Sie brauchen weder CETA noch andere Freihandelsabkommen. Sie müssen es umgekehrt sehen: Wir brauchen hier eine Unterstützung für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Genau in diesem Punkt ist CETA gegenüber den bisherigen Abkommen und den bisherigen Investitionsschutzabkommen weiterentwickelt worden. Es geht um unsere Wirtschaft, deren Investitionen im Ausland wir unterstützen, wir fördern wollen.
Herr Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Das sofort. Jetzt hat er ja etwas zu sagen und zu meckern. Das wollen wir uns mal anhören.
({0})
Das hatte ich vorher auch schon.
Ich habe eine ganz kurze Frage an Sie. Wenn ein bundesdeutsches Unternehmen hier investiert, kann es auch durch staatliche Willkür oder Ähnliches Nachteile haben. Das deutsche Unternehmen muss den deutschen Rechtsstaat bemühen und kann gegen diese Vorgänge klagen. Ein Unternehmen derselben Branche, das nun aus Kanada kommt, muss das nicht, sondern kann einen internationalen Schiedsgerichtshof bemühen, wenn alles so kommt, wie es geplant ist. Können Sie mir sagen, warum Sie ausländische Investoren gegenüber deutschen Investoren bevorzugen wollen?
Darauf kann ich Ihnen gerne eine Antwort geben; das verlängert meine Redezeit. Sonst hätte ich das noch von mir aus gesagt.
Ich kann Ihnen zunächst einmal sagen: Genau das ist der Grund, warum wir Schiedsgerichte brauchen: weil nämlich latent, immer wieder auch in nationalen juristischen Systemen, eine Voreingenommenheit gegenüber Ausländern besteht.
({0})
Deshalb haben wir den Europäischen Gerichtshof geschaffen, und deshalb ist gerade Ihre Fraktion so hinterher, dass Minderheiten und Ausländer gegen Diskriminierung vorgehen können. Gerade weil nationale Gerichte dies nicht immer unvoreingenommen machen, brauchen wir eine unabhängige Instanz, die dies überprüft.
Ich zitiere gerne, was der Richterbund in seiner Stellungnahme zu genau dieser Frage sagt:
Nur dort, wo sich unerwartet die Verhältnisse in einem Land so ändern, dass der Investor unverdient rechtlos gestellt wird, kann die Völkergemeinschaft ein Interesse daran haben, einzugreifen.
Das muss von einer neutralen Instanz beurteilt werden, und das kann natürlich nicht der Staat beurteilen, gegen den Sie den entsprechenden Anspruch geltend machen. Genau das ist der Grund, warum wir Schiedsgerichte brauchen.
({1})
– Na, stopp!
Ich glaube, die Frage ist beantwortet.
Gerne. – Das ist auch der Grund, warum Sie eben die beiden Zwischenfragen nicht beantwortet haben. Sie haben die Zwischenfragen der beiden Kollegen aus meiner Fraktion und der FDP-Fraktion deshalb nicht beantwortet, weil das eben in beide Richtungen geht. Es geht ja auch darum, deutsche Interessen bzw. die Interessen deutscher Investoren in Kanada und Spanien vor möglicherweise diskriminierenden Akten
({0})
– ich sage ja gar nicht, dass das missbräuchlich oder diskriminierend ist – der ausländischen Verwaltung und der ausländischen Justiz zu schützen. Deshalb brauchen wir das. Die entsprechenden Fragen dazu haben Sie aber nicht beantwortet. Ich sage Ihnen, warum: weil Sie die deutschen Arbeitnehmerinteressen bei Ihren Exporten nicht im Blick haben. Das sollten gerade Sie als Linke sich wirklich einmal anhören.
({1})
Herr Kollege Dr. Hirte, Sie scheinen sich zu kennen. Frau Dröge hätte auch gerne noch eine Zwischenfrage.
Das ist nicht die erste Debatte in dieser Sache und mit diesen Beteiligten. – Frau Dröge, ja.
Vielen Dank, Herr Hirte, dass auch ich noch fragen darf. – Meine Frage schließt ein bisschen an Ihren Dialog mit Herrn Ernst an. Sie haben ja gerade erklärt, dass man aus Ihrer Sicht Schiedsgerichte braucht, um der Diskriminierung von ausländischen Unternehmen im nationalen Rechtsrahmen vorzubeugen. Deswegen ist meine Frage: Was halten Sie von dem Vorschlag, die materielle Rechtsgrundlage bei den Schiedsgerichten alleine auf den Klagetatbestand Ausländerdiskriminierung zu begrenzen
({0})
und weitere Klagetatbestände wie zum Beispiel Fair and Equal Treatment einfach außen vor zu lassen? Denn wenn es nur um die Diskriminierung ausländischer Unternehmen geht, könnte man damit – wie es einige namhafte Juristen, unter anderem Professor Krajewski, der auch die Bundesregierung berät, auch vorschlagen – diesem Tatbestand Rechnung tragen und ansonsten die missbrauchsanfälligen zusätzlichen materiell-rechtlichen Grundlagen einfach weglassen.
Ich sehe Fair and Equal Treatment und Diskriminierung als zwei Seiten derselben Medaille. Equal Treatment entspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz, und genau dieser Gleichbehandlungsgrundsatz soll für Inländer und Ausländer Anwendung finden.
({0})
Ich mache weiter und komme noch einmal auf den Vorschlag der Linken zurück. Er enthält auch Ideen, über die man reden kann. Sie haben zum Beispiel einen weiteren Punkt aus der Stellungnahme des Richterbundes aufgegriffen, indem Sie sagen, wir bräuchten äquivalenten Rechtsschutz vor dem Investor und Abkommen über internationale Rechtshilfe etwa zum Austausch von Informationen. Damit haben Sie recht. Aber – deshalb werden wir den Antrag mit Sicherheit ablehnen – das ist keine Frage, die einen direkten Bezug zu dem Schiedsabkommen zum Investitionsschutz hat, sondern das gehört an eine andere Stelle; das gehört nicht in die Zuständigkeit des multilateralen Investitionsgerichtshofs, den wir etablieren wollen und dessen Einrichtung wir in Anlehnung an CETA entsprechend unterstützen.
Ich darf noch einen anderen Punkt ansprechen: Sie haben ja auch gesagt, es sei nicht in Ordnung, dass wir erst die Personen aussuchen und erst dann das Recht geschaffen wird. Ehrlich gesagt, das ist der Normalfall. Ein Blick auf 2 000 Jahre Rechtsgeschichte zeigt: In der Regel wurden erst die Personen bestellt, die dann das Recht geschaffen haben. Der größte Teil der Welt folgt dem Common Law. Da ist es genau so. Vielleicht sollten Sie auch das einmal nachlesen. Dann merken Sie irgendwann, dass das, was wir gemacht haben, eine gute Sache ist.
({1})
Deshalb werden wir in diese Richtung weitermachen und am Ende ein vernünftiges Abkommen ratifizieren.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hirte. Sie werden aber gleich noch Gelegenheit haben, Ihren Beitrag fortzusetzen; denn der Kollege De Masi hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. – Ich gebe Ihnen das Wort.
Herr Dr. Hirte, ich betrachte es jetzt einmal als Kompliment, dass Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben. Ich kann gar nicht aufhören, Ihnen zuzuhören. Deswegen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass der Deutsche Richterbund sich zwar sehr wohl für internationale Streitbeilegungsmechanismen starkgemacht hat, sich aber sehr explizit gegen die reformierten Handelsgerichte ausgesprochen hat. Ich fände es interessant, zu erfahren, ob Sie da dem Deutschen Richterbund die rechtliche Kompetenz absprechen.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass ich in meiner Zeit als Europaparlamentarier den kanadischen Handelsminister Champagne – nicht zu verwechseln mit Champagner – angeschrieben und danach gefragt habe, ob denn die kanadische Regierung auf der Verankerung dieser Handelsgerichtshöfe bestanden habe und ob sie auch für einen einklagbaren Arbeitnehmerschutz gewesen sei. Er hat mir in einem Brief im Mai 2017 geantwortet, dass die kanadische Regierung erstens bereit gewesen sei, auf die Handelsgerichtshöfe zu verzichten, und zweitens für einen einklagbaren Arbeitnehmerschutz gewesen sei. Die EU war dagegen. Ich möchte Sie fragen, was die Motive dafür waren.
({0})
Sie möchten antworten, Herr Hirte?
Das tue ich gerne.
Bitte.
Zunächst einmal hatten Sie gefragt, was ich von der Expertise des Deutschen Richterbundes halte. Ich kann nur sagen: sehr viel. Ich habe mich mit dem Deutschen Richterbund über diese Sache intensiv beraten. Aber beim Deutschen Richterbund merkt man auch, dass er sehr durch die Traditionen des deutschen Rechts geprägt ist. Deshalb habe ich eben darauf hingewiesen, dass international andere Traditionen eine Rolle spielen. Da spielt die Tatsache eine Rolle, dass der größte Teil der Welt nicht von staatlich gesetztem, dem in Parlamenten verabschiedeten Recht geprägt ist – das ist nicht die Tradition der letzten vielen Hundert Jahre –, sondern dort Richterrecht etabliert wurde. Genau diese Tradition ist im Völkerrecht maßgeblich. Das muss sozusagen kompatibel gestaltet sich mit unseren Verhältnissen. Das passt nicht immer zusammen. Wenn Sie aus der falschen Denkecke kommen, dann haben Sie entsprechende Konflikte. Deshalb glaube ich, dass der Deutsche Richterbund in diesem Punkt nicht auf dem richtigen Weg ist. – So viel zum ersten Punkt.
Der zweite Punkt. Ich habe nicht gesagt, dass wir zwingend überall Investitionsschutzabkommen brauchen. Ich habe vielmehr gesagt, warum sie, wenn es sie gibt, gut sind und welchen Zweck sie verfolgen. Wenn Staaten beidseitig, etwa im Verhältnis der Europäischen Union zu Kanada, darauf verzichten, dann ist das ein möglicher Ansatz. Aber Vertreter und Botschafter von Staaten außerhalb der Europäischen Union haben mir in vielen Gesprächen gesagt: Wenn Sie wollen, dass der Handelsaustausch zwischen Kanada und der Europäischen Union gefördert wird – wie es eben hieß, ist das ein zentrales Element unserer Politik –, dann müssen Sie bedenken, dass es europäische Staaten gibt, in denen der Rechtsschutz nicht so funktioniert wie in Deutschland. Kanadische Unternehmen würden dann in manchen europäischen Staaten nicht investieren.
Die Europäische Union hat uns daraufhin gesagt: Wir haben alle Interessen, insbesondere das gesamteuropäische Interesse, in den Blick zu nehmen, nicht nur die Funktionsweise der Gerichte in Deutschland. – Deshalb ist es wichtig für uns, dass wir ein solches System im Interesse von ganz Europa und insbesondere im Interesse der europäischen Staaten etablieren, wo die Gerichte nicht so schnell und perfekt arbeiten wie bei uns.
({0})
Herzlichen Dank. – Ich erteile nunmehr dem letzten Redner in dieser Debatte das Wort, dem Kollegen Markus Töns von den Sozialdemokraten.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Antrag der Linken finde ich sehr interessant. Ich fand auch die Debatte spannend, insbesondere wenn ich daran denke, was Frau Dröge gesagt hat. Zur Position der Linken ist festzustellen: Sie lehnen einen multilateralen Investitionsgerichtshof ab; Sie befürchten, dass es dann eine Paralleljustiz zulasten normaler rechtsstaatlicher Verfahren gibt, und behaupten, dass es dann Exklusivrechte geben werde. All das wäre rückwärtsgewandt. Ich kann dazu nur sagen: Das ist schon sehr abenteuerlich, insbesondere dann, wenn man sich internationale Zusammenhänge und internationales Recht vor Augen führt.
({0})
Ich will auf CETA verweisen. CETA schafft erstmals eine Investitionsgerichtsbarkeit. Damit geschieht eine Abkehr von intransparenten WTO-Schiedsverfahren.
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Wir alle wissen, dass solche Verfahren falsch waren. CETA stellt einen deutlichen Fortschritt dar, weil es transparente Gerichtsverfahren schafft und zum Richteramt befähigte Richterinnen und Richter mit Kenntnis des Völkerrechts einsetzt, und zwar im Unterschied zur WTO, wo es sich um nicht zum Richteramt befähigte Richterinnen und Richter handelt. Alle Verfahrensdokumente werden veröffentlicht. Es besteht außerdem die Möglichkeit einer Revision. Es ist anders, als Sie behauptet haben, Herr Ernst: Das alles dient dem Mittelstand und eröffnet ihm faire Verfahren. Das alles gibt es in den WTO-Verfahren eben nicht; die sind intransparent.
Die Erteilung eines Mandats zur Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofes ist konsequenterweise richtig, und zwar allein schon deshalb, weil die Einrichtung eines solchen Gerichtshofes schon im CETA-Vertrag angelegt ist. Also ist das, was wir da auf den Weg bringen wollen, konsequent, und es ist keine Ausweitung von Exklusivrechten. Das will ich noch einmal betonen, indem ich zitiere, was auf Seite 95 des CETA-Vertrags steht:
Die bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch durch Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in einer Art und Weise trifft, die sich auf eine Investition negativ auswirkt oder die Erwartungen eines Investors, einschließlich seiner Gewinnerwartungen, beeinträchtigt, stellt keinen Verstoß gegen eine Verpflichtung aus diesem Abschnitt dar.
Noch einmal ganz deutlich gesagt: Es gibt kein Recht auf Entschädigung, wenn Gesetze nachteilig für die Unternehmensbilanz sind. Das ist also auch eine Klarstellung an dieser Stelle.
Ein multilateraler Investitionsgerichtshof ist nicht rückwärtsgewandt. Er ist der Einstieg in eine internationale gerechte Investitionsgerichtsbarkeit; das muss man an dieser Stelle deutlich betonen. Wenn Sie das ablehnen – auch Sie, Frau Dröge, so wie Sie es ausdrücken –, dann stehen Sie für eine Rückkehr zu den intransparenten Verfahren, die die WTO bisher praktiziert.
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Für die Linken stellt sich angesichts der Logik, mit der sie vorgeht, eindeutig die Frage, ob sie – ein Kollege hat es eben schon angesprochen – auch den Internationalen Strafgerichtshof ablehnt.
Vielen Dank. Glück auf!
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Töns. – Ich sehe einige Belustigungen über die Erscheinungsform des Präsidiums: Für den Sonnenschein, der uns hier gerade bestrahlt, sind wir nicht zuständig – noch nicht.
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Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf den Drucksachen 19/958 und 19/97 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Gäste auf den Besuchertribünen! Die Linke beantragt heute zwei Dinge: Erstens verlangen wir, gesetzlich zu regeln, dass Minderjährige grundsätzlich nicht mehr für die Streitkräfte rekrutiert werden, und zweitens verlangen wir, bis zu diesem Zeitpunkt die Ausbildung von Minderjährigen, die jetzt schon als Soldaten in der Bundeswehr dienen, an Waffen unmittelbar einzustellen.
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Worum geht es? Die Zahl der minderjährigen Soldaten in der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren mehr als verdreifacht. Sie beträgt inzwischen nahezu 10 Prozent der freiwillig Grundwehrdienstleistenden. Dabei sorgt sich die Bundeswehr regelrecht liebevoll um Kinder und Jugendliche, um sie für den Soldatenberuf zu interessieren, wie sie das ausführt. Ein Sachverständiger des Bundesverteidigungsministeriums, Herr Nachtwey, hat in einer Anhörung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages vor zwei Jahren Folgendes zu Protokoll gegeben – ich zitiere –:
Wir sprechen ja nicht gezielt ausschließlich die 17-Jährigen an, sondern wir sprechen junge Menschen an und differenzieren dabei nun nicht, ob sie 15 Jahre alt sind – und damit sozusagen zunächst interessiert werden oder überhaupt die Werbung mitbekommen ...
„Warum denn solche Zurückhaltung?“, frage ich mich; denn bei 15-Jährigen ist mit der Werbeansprache durch die Bundeswehr noch lange nicht Schluss. Hunderte Kooperationen mit Schulen, mit Kitas, ja sogar mit Kinderheimen zeugen davon. Die Bundeswehr wirbt in Zeitschriften wie „Bravo“ und der Schülerzeitschrift „Spicker“, die 17-Jährige nicht mehr lesen; das ist eher etwas für 12-Jährige und Jüngere. Jugendoffiziere sind in den Schulen unterwegs und bieten dort Politikunterricht an. Das Ganze trägt inzwischen regelrecht absurde Züge.
({1})
Der Wehrbeauftragte schreibt in seinem Bericht für das Jahr 2016 – das ist beispielgebend für diese Art des Umgangs mit Kindern und Jugendlichen in der Personalwerbung –:
Ein weiterer schwerer Unfall ereignete sich an einem Tag der Bundeswehr, der im Rahmen des Ferienprogramms einer Gemeinde für Kinder veranstaltet wurde.
– Das muss man sich einmal vorstellen: Ferienprogramm für Kinder durch die Bundeswehr! –
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Bei einer der im Programm vorgesehenen Geländefahrten in Bundeswehrfahrzeugen für Kinder und Jugendliche überschlug sich ein Geländewagen vom Typ WOLF. Drei Kinder im Alter von sieben bis 13 Jahren wurden laut Feldjägersofortmeldung zum Teil schwer verletzt.
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Wer 17-Jährige in Uniformen stecken will, der muss wohl auch Siebenjährige zu lebensgefährlichen Abenteuerfahrten im Geländewagen einladen.
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Auch die SPD-Fraktion hat zu Beginn der letzten Sommerpause beschlossen, dass sie sich dem Ziel „Straight 18“, also keine Minderjährigen mehr an Waffen auszubilden und für die nationalen Streitkräfte zu werben, anschließt. Damit fordern in Deutschland das Deutsche Bündnis Kindersoldaten, UNICEF, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die katholischen Jugendverbände, aber eben auch Die Linke und die Grünen hier im Haus sowie jetzt auch die SPD-Fraktion, dass keine Minderjährigen mehr für die nationalen Streitkräfte geworben oder an Waffen ausgebildet werden.
({5})
Auch der Wehrbeauftragte schließt sich ein Stück weit dieser Position an, indem er erstmals in seinen Berichten für die Jahre 2016 und 2017 – herzlich willkommen, Herr Bartels! – ausführt, dass die Heranziehung Minderjähriger der Ausnahmefall sein sollte. Bei 9 Prozent oder 10 Prozent Minderjährigen bei den Grundwehrdienstleistenden kann von Ausnahmefällen aber wohl gar nicht mehr die Rede sein.
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2019 muss die Bundesregierung Farbe bekennen. Warum? 2019 wird die Bundesregierung den nächsten Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und ihres 2. Fakultativprotokolls, in denen die Frage von Minderjährigen in Streitkräften und bewaffneten Konflikten geregelt werden, vorlegen, und zwar gegenüber den Vereinten Nationen. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf wird diesen Bericht zur Kenntnis nehmen. Er wird Verbände und Initiativen anhören, und er wird Handlungsempfehlungen aussprechen.
Jetzt sage ich Ihnen: Ich weiß heute schon, wie diese Handlungsempfehlungen aussehen werden: Die werden genauso aussehen wie die Handlungsempfehlungen vor fünf Jahren, weil die Bundesregierung gar nichts davon umgesetzt hat. Sie hat überhaupt nicht darauf reagiert, dass die Vereinten Nationen klare Empfehlungen ausgesprochen haben. Sie haben das schlichtweg nicht umgesetzt. Ihnen ist das egal. Sie werden wieder einen Staatenbericht vorlegen. Dieser Staatenbericht wird ein zweites oder drittes oder viertes Mal mit Handlungsempfehlungen versehen werden, die Sie am Ende wieder nicht umsetzen. Diese Blöße können wir uns durch die Annahme der Anträge von Grünen und Linken ersparen.
({7})
Jetzt werden Sie sagen: Die Bundeswehr braucht Jugendliche ganz dringend, weil man sonst die personellen Anforderungen nicht erfüllen kann. – Da haben Sie recht; das stimmt. Auch dafür hat Die Linke eine Lösung.
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Sie ist ganz einfach: Ziehen Sie die Soldatinnen und Soldaten aus den anderthalb Dutzend Auslandseinsätzen ab!
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Wenn Sie das machen, dann haben Sie nicht mehr so ein Personalproblem, und dann müssen Sie auch keine Minderjährigen mehr für die nationalen Streitkräfte werben.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als Nächste für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Kerstin Vieregge. Es ist ihre erste Parlamentsrede.
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Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Christdemokraten stehen dem Dienst in der Bundeswehr aufgeschlossen gegenüber. Nicht ohne Grund wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in unseren Streitkräften umgesetzt; denn wir freuen uns über jeden jungen Menschen, der in Zeiten einer Freiwilligenarmee zur Bundeswehr geht und dort seinem Vaterland dienen möchte.
({0})
In den Jahren 2011 bis 2016, also seit Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht, haben nach mir vorliegenden Unterlagen 7 928 junge Männer und Frauen als Minderjährige ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten. Dies stelle, je nach Jahr, einen prozentualen Anteil von 4,7 bis 8,1 Prozent aller Rekruten dar. Die Tendenz über die Jahre sei leicht steigend. Im Jahr 2017 handele es sich um 2 128 Soldatinnen und Soldaten, die zum Zeitpunkt ihres Diensteintritts noch nicht volljährig waren.
Erklären lässt sich dies aus meiner Sicht durch verschiedene Faktoren. Ja, die Bundeswehr steht in der Personalgewinnung vor anderen Herausforderungen als zu Zeiten der allgemeinen Wehrpflicht. Deren Aussetzung und die damit verbundenen personellen Folgen spielen natürlich eine Rolle bei der Bewertung dieser Statistik. Eine Rolle spielt sicherlich auch die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur. Wenn Abiturienten mit 17 Jahren die Schule verlassen, können sie in der zeitlichen Folge logischerweise zur Bundeswehr gehen und haben dann eben das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet. Dabei handelt es sich jedoch um eine Entwicklung, die sich auch wieder ändern wird; denn viele Bundesländer wechseln mittlerweile von G 8 wieder zu G 9 zurück. Ich bitte also darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass minderjährige Rekruten derzeit auch eine Folge der Entwicklung sind, dass die Schulabgänger jünger geworden sind.
({1})
Insofern verbietet es sich an dieser Stelle, Vergleiche zur Rekrutierung von Kindersoldaten beispielsweise in Bürgerkriegskonflikten in Zentralafrika zu ziehen.
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Vergleiche dieser Art sind absolut unzulässig und spiegeln ein völlig abstruses Bild vom Wesen der Bundeswehr wider.
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Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird es somit nicht zulassen, dass die deutschen Streitkräfte auf diese Weise argumentativ in Misskredit gebracht werden,
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zumal auch klare Fakten aus der alltäglichen Ausbildungspraxis eine andere Sprache sprechen: Noch nicht volljährige Soldatinnen und Soldaten unterliegen während ihrer Ausbildung einem besonderen Schutz. Jeder Ausbilder und jeder Vorgesetze hat im Zuge seiner Dienstaufsicht und seiner Fürsorgepflicht ein Auge auf diese Rekruten, die im Übrigen von bestimmten Aufgaben und Ausbildungsinhalten zunächst ausgeschlossen sind. So nehmen noch nicht volljährige Soldatinnen und Soldaten weder an Wachdiensten noch an Auslandseinsätzen teil. Auch dürfen sie die Waffe lediglich zu Ausbildungszwecken verwenden, und dies ohnehin nur zu einem späteren Zeitpunkt der Grundausbildung.
Zu den unzweifelhaften Fakten gehört auch die Tatsache, dass Bewerberinnen und Bewerber frühestens mit 17 Jahren eingestellt werden, sofern die Zustimmung der Eltern vorliegt. Die Bundeswehr rekrutiert also keine jungen Leute mit wilden Versprechungen von der Straße weg wie in billigen Groschenromanen, sondern auf der Grundlage eines seriösen Bewerberverfahrens.
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Die Bundeswehr rekrutiert vielmehr verantwortungsbewusste junge Erwachsene, die sich sehr bewusst für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden und von denen 96 Prozent während ihrer sechsmonatigen Probezeit volljährig werden. Dies ist übrigens ein Vorgehen, das bei der Polizei in ähnlicher Form angewendet wird, und dort sind die Herausforderungen mindestens ähnlich.
Sollte jungen Rekruten der Dienst nicht zusagen – aus welchen Gründen auch immer –, so können sie die Bundeswehr innerhalb einer sechsmonatigen Probezeit ohne weitere Angabe von Gründen verlassen, egal ob sie 17 oder 18 Jahre alt sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können also sehen: Die Bundeswehr ist ein seriöser, guter Arbeitgeber, der verantwortungsbewusst mit den Herausforderungen der Personalgewinnung umgeht. 17-Jährige sind in unserer Armee mindestens genauso gut aufgehoben wie bei jedem anderen Arbeitgeber in diesem Land, wenn nicht besser.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin Vieregge. – Als Nächster hat der Kollege Martin Gerster von der SPD-Fraktion das Wort.
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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei Anträge zu einem, wie ich finde, in der Tat sensiblen Thema. Diese Anträge machen es sich allerdings einfach. In ihnen wird gefordert: keine Minderjährigen in die Bundeswehr.
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Ich finde, diese Forderung ist sicher gut für schnellen Applaus und große Schlagzeilen. Wir von der SPD-Fraktion haben uns intensiv mit dieser Frage beschäftigt, und wir kommen nach reiflicher Überlegung zu der Position: Minderjährige gehören nicht an die Waffe. Mit der Position von Linken und Grünen habe ich aber meine Probleme; denn ich denke, dass diese Position Schwächen hat. Ich will darauf eingehen.
Erstens. Sie argumentieren: Dadurch, dass die Bundeswehr bereits 17-Jährige rekrutiert, würde Deutschland die Glaubwürdigkeit seiner diplomatischen Bemühungen auf internationaler Ebene gefährden. Es steht der Vorwurf im Raum, wir würden den Einsatz und die Rekrutierung von Minderjährigen für bewaffnete Konflikte nicht konsequent genug ächten.
Ich will Ihnen einmal ein paar Staaten nennen. Auf der einen Seite haben Länder wie Italien, Frankreich, die Niederlande, Australien und Österreich wie die Bundesrepublik von der Ausnahmeregelung des Fakultativprotokolls Gebrauch gemacht und eine Altersgrenze von 17 Jahren für die freiwillige Rekrutierung für ihre jeweiligen Streitkräfte geltend gemacht. Auf der anderen Seite gibt es Länder wie Kolumbien, Libyen, den Sudan oder Syrien, in denen laut Terre des Hommes Kindersoldaten eingesetzt werden. Aber diese Staaten haben das Fakultativprotokoll ohne eine solche Ausnahme unterzeichnet und damit einer Altersgrenze von 18 Jahren für ihre jeweiligen Streitkräfte zugestimmt. Ich frage Sie: Welche der beiden Staatengruppen halten Sie für glaubwürdiger im internationalen Kampf gegen Kindersolden? Ich meine, es ist die erste Staatengruppe.
Darüber hinaus engagiert sich die Bundesrepublik, wie ich finde, in vorbildlicher Weise gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Vor knapp drei Wochen am Internationalen Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten hat sich die Bundesregierung erneut gegen diese „besonders verabscheuungswürdige Verletzung der Rechte von Kindern“ ausgesprochen. Viel wichtiger aber: Wir finanzieren Projekte von UNICEF zur Reintegration ehemaliger Kindersoldaten in Nigeria, im Südsudan und im Sudan – ja, genau in jenem Land, das die Erklärung zum Protokoll der Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat und gleichzeitig bei Terre des Hommes auf der schwarzen Liste steht. Wir unterstützen mit unserer Finanzierung die psychosoziale Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die entweder selbst kämpfen mussten oder Opfer der Kämpfe wurden. Und wir unterstützen damit auch die Aufklärung über Bewältigungsstrategien zu Gewalt, besonders auch zu sexueller Gewalt in diesen Ländern
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vor allem dieses Engagement, das uns im internationalen Kampf gegen den Einsatz von Kindersoldaten wirklich glaubwürdig macht.
({1})
Herr Kollege Gerster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Ja, sehr gerne.
Herr Kollege Gerster, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Aber eigentlich haben Sie die Frage gestellt, und ich möchte Ihnen die Antwort geben. Sie haben gefragt: „Wer ist glaubwürdiger?“ Das möchte ich Ihnen sagen: Glaubwürdiger sind die drei Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter die Republik Irland, die in den letzten fünf Jahren nach ihren letzten Staatenberichten und den Handlungsempfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes auf die Anwerbung von zum Teil 16-Jährigen und 17-Jährigen für ihre nationalen Streitkräfte verzichtet haben. In Irland hat man nach einem ausgeprägten und vom Parlament ausgehenden kinderrechtlichen Dialog bewusst gesagt: Man will Vorbild sein und die Empfehlung der Vereinten Nationen umsetzen. – Diese Staaten sind glaubwürdiger als die Bundesrepublik Deutschland, weil sie die Handlungsempfehlungen umgesetzt haben.
({0})
Herr Kollege Müller, ich will Ihnen unsere Position noch einmal klarmachen. Wir sagen: Keine Minderjährigen an der Waffe.
({0})
Ich glaube, das ist die richtige Positionierung; denn Ihre Position greift meines Erachtens viel zu kurz. Wir wollen, dass für minderjährige Bewerberinnen und Bewerber bis zum Erreichen der Volljährigkeit ein ziviles Beschäftigungsverhältnis bei der Bundeswehr geschaffen wird und damit ein Ausbildungskonzept umgesetzt wird. Wir wollen die Einführung einer erneuten Dienstverpflichtung zum Zeitpunkt der Volljährigkeit, um die Freiwilligkeit der Rekrutierung sicherzustellen. Und: Wir wollen die Schulung von speziellen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern und eine getrennte Unterbringung von Minderjährigen und Volljährigen.
({1})
Natürlich soll es auch bei den bestehenden und den, wie ich finde, bewährten Schutzmechanismen bleiben, die Sie, Herr Müller, in Ihrem Antrag – ich weiß nicht, warum – gar nicht erwähnt haben. Dazu gehören die Einwilligung der Erziehungsberechtigten, kein Nachtdienst, kein Dienst an der Waffe im Inland, keine Teilnahme an Auslandseinsätzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist eine richtige Positionierung, auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Bundeswehr als Arbeitgeber natürlich im Wettbewerb mit anderen Möglichkeiten für junge Leute, sich beruflich zu entwickeln, steht.
Ich sage auch ganz klar: Wir möchten in den kommenden Monaten mit der CDU/CSU-Fraktion entsprechend ringen, dass wir zu der Position kommen: In der Bundeswehr soll es für Minderjährige keine Ausbildung an der Waffe geben.
({2})
Ich glaube, das sind die richtige Positionierung und die richtige Haltung zu diesem Thema.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Gerster. – Herr Kollege Müller, ich bedaure es wie Sie, dass Zwischenfrage und Antwort nicht gleichberechtigt in der Geschäftsordnung verankert sind.
({0})
– Ja, aber die muss angemeldet werden, wie Sie wissen; das nur als netten Hinweis von mir, weil heute Freitag ist.
Als Nächstes erteile ich das Wort dem Abgeordneten Jan Nolte von der AfD.
({1})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Weltfremde linke Ideen können im Deutschland des Jahres 2018 wohl keinen mehr überraschen. Dass Sie in Ihrem Antrag aber auf ein Übereinkommen verweisen, das Sie offensichtlich überhaupt nicht gelesen haben, verwundert mich dann doch.
({0})
Zeit genug hätten Sie gehabt; denn Sie haben diesen Antrag im Jahr 2016 schon einmal eingebracht.
({1})
Wenn Sie hier Politik machen, indem Sie einfach alte Anträge als Füllmasse einbringen, dann ist das ja fast so, als sei Ihnen die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens für sich selbst nun doch gelungen.
({2})
Jetzt zu Ihren Anträgen. Wenn Sie davon sprechen, dass niemand unter 18 Jahren eingezogen werden solle – das betonen Sie ja besonders –, dann habe ich eine gute Nachricht für Sie: In Deutschland wird im Moment überhaupt niemand mehr eingezogen. Die Wehrpflicht ist nämlich ausgesetzt.
({3})
Leider ist sie ausgesetzt. Das ist nicht im Sinne der AfD.
Auch davor war man erst mit 18 Jahren überhaupt wehrpflichtig. Genau wie im Übereinkommen gefordert, nehmen Soldaten unter 18 Jahren an keinen Kampfhandlungen teil; weder Auslandseinsätze noch Wachdienste machen sie mit. Minderjährige Soldaten dürfen ohne Erlaubnis ihrer Eltern noch nicht einmal geimpft werden. Wenn diese Soldaten, über die wir hier reden, in irgendwelche Feindseligkeiten geraten, liebe Linke, dann gehen diese meistens von Sympathisanten Ihrer Partei aus. Vielleicht setzen Sie da einmal an.
({4})
Der Vergleich mit Kindersoldaten ist Quatsch. Das Übereinkommen, das Sie hier zitieren, erfüllt Deutschland zu 100 Prozent. Mit Ihren Anträgen möchten Sie Probleme lösen, die es überhaupt nicht gibt.
Trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, heute einmal über Kindersoldaten zu sprechen. Denn ich finde, es ist eine Schande, dass die PKK und ihr syrischer Ableger, die YPG, in großem Umfang Kindersoldaten rekrutieren.
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Im Jahr 2015 starben innerhalb von sechs Monaten 44 Kindersoldaten der PKK. Human Rights Watch spricht von 29 gesicherten Fällen, in denen die PKK oder Ableger im Nordirak Kinder entführten und zwangsrekrutierten. Das US-Außenministerium stellte im Jahr 2012 fest, dass etwa 38 Prozent der PKK-Kämpfer Kinder waren. Das alles klagen Sie mit keiner Silbe an, weil für Sie der Zweck die Mittel heiligt.
({6})
Es ist nicht lange her, da hat sich Ihre gesamte Fraktion mit der YPG solidarisiert, und die PKK-Flagge wurde aus Ihren Reihen heraus auch schon gezeigt.
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Das muss hier gesagt werden; denn es zeigt, dass Ihr Ansinnen nicht ehrlich ist. Sie wollen sich dieses Parlament einfach nur zur Bühne machen, um gegen die Bundeswehr auszuteilen.
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Die Bundeswehr ist doch gar nicht so schlecht, wie Sie immer sagen. Sie hätten den Wehrdienst damals nicht alle verweigern sollen.
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Der Arbeitgeber Bundeswehr vermittelt nicht nur Kenntnisse, sondern auch Werte und stattet damit viele junge Menschen mit einem Rüstzeug für das gesamte weitere Leben aus. Rekruten lernen in der Bundeswehr, dass es nicht darauf ankommt, wer das bessere Schulzeugnis hat, wer aus der reicheren Familie kommt oder ob man dick oder dünn ist. Sie lernen durch eigene Erfahrung, dass es nur der eigene Wille ist, mit dem jeder Widerstand überwunden werden kann.
({10})
Sie werden zu Selbstsicherheit, Hilfsbereitschaft, Mut und Ehrlichkeit erzogen. Es ist doch wunderbar, wenn junge Menschen schon früh diese wertvollen Dinge verinnerlichen. Die Bundeswehr hat der Gesellschaft mit den soldatischen Tugenden einen Schatz bewahrt, der viel zu wenig gewürdigt wird.
({11})
Wir lehnen beide Anträge, die fast gleich sind, inhaltlich ab. Alles Weitere erklären wir Ihnen gerne in den Ausschüssen.
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Vielen Dank, Herr Nolte. – Als Nächster hat der Kollege Grigorios Aggelidis von den Freien Demokraten das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke, Frau Vieregge; Sie haben sehr gut die grundsätzlichen Überlegungen zu dieser Frage angeführt.
Wir sind uns alle einig, dass der Schutz von Minderjährigen und heranwachsenden Jugendlichen eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe für uns ist. Ihr einfallsloser Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, macht allerdings eine ganz andere Stoßrichtung deutlich.
Sie instrumentalisieren die freiwillige Entscheidung junger Menschen für eine verkappte Missbilligung an der Bundeswehr oder an ihren Einsätzen. Ihr Vorgehen ist daher besonders verantwortungslos.
({0})
Wenn Sie wirklich das Interesse junger Menschen im Blick hätten, dann hätten Sie sich zumindest, wie der Kollege von der SPD, Gedanken darüber gemacht, wie verantwortungsvolle Ansätze aussehen können. Das hat Herr Gerster Ihnen gezeigt, auch wenn noch einiges zu besprechen ist.
Ein sachlicher Blick auf die Datenlage erlaubt eine Einordnung: Mit gerade einmal 8 Prozent der Eintritte in die Bundeswehr ist die Zahl der Minderjährigen sehr gering. Und von diesen wenigen Personen sind übrigens 96 Prozent bereits nach der Probezeit volljährig. Verstärkt wurde diese Entwicklung in den letzten Jahren durch den gesellschaftlichen Trend, wie zum Beispiel G 8, dass junge Männer und Frauen immer häufiger vor ihrer Volljährigkeit die Schule abschließen. Ob sich dieser Trend gegebenenfalls durch die Wiedereinführung von G 9 bald wieder erledigt, werden wir in einigen Jahren wissen.
So ist aber mittlerweile die deutliche Mehrheit der Schulabgänger minderjährig. Unabhängig davon muss die Einstellung Minderjähriger die Ausnahme bleiben, wie es bereits sorgsame Praxis der Bundeswehr ist. Gerade die verantwortungsvollen und somit einschränkenden Bestimmungen der Streitkräfte beweisen, dass kein Interesse an einer Erhöhung der Zahl minderjähriger Rekruten vorhanden ist. Zudem übernimmt die Bundeswehr durch strenge Einstellungskriterien eine besondere Sorgfaltspflicht für die Aufnahme von Minderjährigen. Exemplarisch sind hier sowohl das Verbot von Auslandseinsätzen wie auch keinerlei Dienst an der Waffe – ob Wachdienst oder was auch immer – zu nennen.
Für uns Freie Demokraten – und offensichtlich für die Mehrheit dieses Hauses und vor allem auch für die Bundeswehr – stehen die freie Entscheidung und die persönliche Reife der jungen Menschen im Mittelpunkt. Sie allerdings unterstellen den einwilligenden Eltern und Jugendlichen, ihre Entscheidung leichtfertig getroffen zu haben. Damit stellen Sie der bewussten Entscheidung, als Soldat Verantwortung zu übernehmen, Bevormundung entgegen.
({1})
Warum sollte beim freiwillig ausgewählten Berufswunsch eines Jugendlichen eine Lebenslauflücke erzwungen werden, nur weil Ihnen der Arbeitgeber oder dessen Einsätze nicht passen?
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– Ich komme gleich dazu. – Wir Freien Demokraten vertrauen auf die Selbstbestimmung des Einzelnen und respektieren deshalb auch die individuellen Entscheidungen, ganz im Sinne der Berufsfreiheit nach Artikel 12 des Grundgesetzes.
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Anstatt an praktikablen Verbesserungen im Interesse junger Menschen zu arbeiten, reagieren Sie mit Verboten. Auch damit machen Sie deutlich: Diese Anträge sind nur eine Scheindiskussion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen zu meiner Linken, Ihr Antrag unterstellt indirekt – das haben Sie in Ihren Ausführungen und auch im Ausschuss deutlich gemacht, Herr Müller –, dass die Bundeswehr per se etwas Kritisches oder grundsätzlich Bedenkliches wäre. Sie müssen endlich erkennen, dass die Bundeswehr aus Bürgerinnen und Bürgern unserer Mitte besteht. Sie haben recht: Es ist kein gewöhnlicher Beruf. Es ist nämlich ein ganz besonderer. Sie haben aus Verantwortung für uns und unsere Demokratie den Beruf des Soldaten gewählt. Denn unsere Bundeswehr ist eine wichtige staatliche Institution,
({4})
als Parlamentsarmee der Kontrolle dieses Hohen Hauses unterstellt und mit dem Konzept der Inneren Führung, das meines Erachtens seinesgleichen in der Welt sucht, dem Gewissen und den Werten des Grundgesetzes verpflichtet.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme sofort zum Schluss. Das ist mein letzter Satz.
Gut.
Den Soldatinnen und Soldaten ist für ihre Entscheidung zum Dienst bei der Bundeswehr Wertschätzung entgegenzubringen, Respekt zu zollen und vor allem Unterstützung zu geben. Ihre Anträge beinhalten leider genau das Gegenteil.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. – Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Es gibt viele Emotionen bei diesem Thema. Ich möchte noch einmal klarstellen, über was wir sprechen: Es geht um die Rekrutierung Minderjähriger, nicht um Kindersoldaten. Das ist uns klar.
({0})
– Danke; gerne klatschen. – Es geht schlicht darum, dass wir für die Einhaltung des Ziels Straight 18 plädieren. Das bedeutet, dass keine Minderjährigen in der Bundeswehr verpflichtet werden, klar und ohne Ausnahmen.
({1})
Wir wollen, dass der Militärdienst erst ab 18 Jahren aufgenommen werden kann. Punkt! Damit wenden wir uns nicht gegen die Bundeswehr, sondern setzen uns für Minderjährige ein.
({2})
Davon spricht unser Antrag, und davon spricht der Antrag der Linken.
Es ist uns natürlich völlig klar, dass wir nicht über Kindersoldaten im klassischen Sinn sprechen, die aufgrund ihrer Armut zum Militär gehen müssen, die in Kriegen eingesetzt werden. Wir sind in Deutschland glücklicherweise in der Lage, dass Kinder in diesem Alter in die Schule gehen und in Frieden leben.
Trotzdem sprechen wir heute über Jugendliche, die unter 18 Jahre alt sind und sich bei der Bundeswehr verpflichten. Wir sehen das kritisch. Die Bundeswehr ist eben kein Arbeitgeber wie alle anderen auch; denn junge Menschen werden dort zum Dienst an der Waffe ausgebildet. Das macht einen Unterschied.
({3})
Gerade wenn es um so wichtige und weitreichende Entscheidungen wie die Verpflichtung bei der Bundeswehr geht, sind sich Jugendliche über die Konsequenzen oft nicht bewusst. Das zeigt auch die hohe Abbrecherquote. Circa ein Viertel der Freiwilligen quittiert vorzeitig den Dienst.
Fakt ist aber natürlich auch – das weiß ich –: Die Bundeswehr hat seit der Aussetzung der Wehrpflicht ein Nachwuchsproblem und steht in Konkurrenz mit Ausbildungsbetrieben, Fachhochschulen und Universitäten. Wir haben nun aber die Situation – das haben wir heute oft gehört –, dass sich die Zahl der Minderjährigen bei der Bundeswehr seit 2011 mehr als verdreifacht hat; das zeigt auch der aktuelle Bericht des Wehrbeauftragten. Das ist in unseren Augen keine gute Entwicklung.
({4})
Wir haben in den letzten Jahren viel darüber gehört – Norbert Müller hat das auch gesagt –, dass auf allen möglichen Kanälen sehr viel für die Bundeswehr geworben wurde, dass unter 18-Jährige angeworben wurden, dass es Abenteuercamps gab, die Lust auf eine Ausbildung machen und diese in schönen Farben schildern. Es gab auch gezielte Werbung in Schulen, wo Videos gezeigt wurden, die die Ausbildung als schön darstellen. Es ist aber wenig über die Aufgabe und die Pflichten, die ein Soldat oder eine Soldatin dann wirklich hat, gesagt worden.
({5})
Ich sage das als Tochter eines Soldaten; ich bin als Soldatenkind aufgewachsen: Es ist ja mehr als das, was in der Werbung schön aussieht.
Eine militärische Ausbildung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eben kein Dschungelcamp, kein Computerspiel, sondern eine ernste Angelegenheit.
({6})
Auch die Berichte über die Häufung von sexueller Belästigung und rechtsextremen Strömungen sowie gewaltvollen Initiationsriten deuten doch – das sage ich als Mutter von fünf Kindern – nicht auf ein passendes Umfeld für Minderjährige hin.
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So klar ich sehe, dass sich die Bundeswehr um Nachwuchs bemühen muss, und so wenig ich eine schlechte Absicht unterstelle – auch wir als grüne Fraktion haben ein Interesse daran, unsere Parlamentsarmee zu unterstützen –, so sehr appelliere ich immer und immer wieder, junge Menschen bei der Bundeswehr erst unter Vertrag zu nehmen, wenn sie 18 Jahre alt sind.
Ich plädiere für eine klare Haltung. Dann ist die Bundesregierung im Kampf gegen Kindersoldaten glaubhaft, weil sie selbst konsequent handelt.
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Wenn das in anderen Ländern wie zum Beispiel in Irland geht – das haben wir gehört –, dann müssen wir nicht hinterherhinken. Lassen Sie uns klare Kante zeigen: kein Kind, kein Jugendlicher in die Armee, weder in Deutschland noch anderswo. Damit würde die Regierung die klare Haltung zeigen, die sie sich von ihrer Truppe immer wünscht.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Bettina Wiesmann. Ich möchte darauf hinweisen: Es ist ihre erste Parlamentsrede.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Die Anträge von Linken und Grünen – das wurde bereits gesagt – sind nicht neu, und so bleibt es auch bei unserer Antwort: Wir lehnen die Anhebung des Mindestalters bei der Bundeswehr auf 18 Jahre ab.
Sie argumentieren, liebe Fraktion der Linken, vor allen Dingen mit den brutalen Vorkommnissen und Erfahrungen aus der Horrorwelt von Krieg und Gewalt.
({0})
Diese gibt es; das ist richtig. Geschildert wurden auch dieser Tage wieder Schicksale von Heranwachsenden, die verschleppt und als Kindersoldaten zum Kriegsdienst gezwungen wurden. Es sind furchtbare Schicksale von Hunderttausenden von Kindern und Jugendlichen, die wir tatsächlich verhindern müssen. Die Bundesrepublik engagiert sich hier auch vollkommen zu Recht.
({1})
Doch was hat dies mit jungen Rekruten in der Bundeswehr zu tun?
({2})
Ich sage Ihnen: rein gar nichts. In Deutschland wird kein Kind und kein Jugendlicher in den Militärdienst verschleppt. Er oder sie ist mindestens 17 Jahre alt und wird vor der freiwillig zu bekundenden Teilnahme intensiv beraten und vorbereitet, auf physische sowie mentale Tauglichkeit getestet. Vor allem müssen die Eltern dem Dienst in der Bundeswehr zustimmen. Als Familienpolitikerin ist mir dies besonders wichtig. Eltern kennen nämlich ihr Kind und können in diesem Alter noch zu-, aber auch abraten. Und – da bin ich mir sicher – sie nehmen diese Verantwortung sehr ernst.
({3})
Auch wenn die Eltern zustimmen, darf dieser junge Mensch bis zur Volljährigkeit keinen bewaffneten Dienst ausüben oder gar in einen Auslandseinsatz geschickt werden. Er kann in der Probezeit seinen Dienst jeden Tag sofort quittieren.
({4})
Deshalb ist die in Ihren Antrag eingearbeitete Beschreibung von Zuständen, in denen Kinder und Jugendliche – ich zitiere – „gewaltbasierte Handlungsstrategien bis hin zum Töten anderer Menschen erlernen und eigene Gewalterfahrungen machen“, suggestiv, irreal und absolut nicht angebracht;
({5})
denn davon erleben 17-Jährige im Dienst der Bundeswehr nichts.
Auch die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse, die Sie ins Feld führen, besagen nichts: Menschen unter 20 Jahre hätten noch kein vollausgebildetes Hirn und seien deshalb nicht in der Lage, dramatische Erfahrungen zu verarbeiten. Das Schöne ist: Unsere jungen Rekruten wachsen nicht in Kriegsgebieten auf, und sie kommen auch nicht dorthin, solange sie minderjährig sind.
({6})
Liebe Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, selbst Ihr Argument im Antrag kann nicht verfangen. Sie sagen, unser Engagement gegen die Beteiligung von Kindern, also von bis zu 14-Jährigen, an bewaffneten Konflikten wäre nur dann glaubwürdig, wenn wir die Rekrutierung von Minderjährigen in unserem Land gesetzlich verböten.
({7})
Aber was hat das mit der Ausbildung von 17-Jährigen unter den beschriebenen vorbildlichen Bedingungen, großartigem Jugendschutz und besonderer Fürsorge der Bundeswehr zu tun? Wiederum rein gar nichts. Also kann unser Umgang mit dem Thema unserer Arbeit in den Gremien der UN und anderswo gar nicht im Wege stehen.
({8})
Deshalb sind – auch wenn Sie von Glaubwürdigkeit sprechen; ich will Ihnen Ihre Absicht natürlich nicht absprechen – Ihre Anträge eben nicht so glaubwürdig. Sie rücken die dramatische Lage in anderen Weltgegenden bewusst in die Nähe der ganz anderen Realität an hiesigen Ausbildungsorten.
Vielleicht ist es aber auch so, dass es dem einen oder anderen einfach nicht gefällt, dass sich die Bundeswehr aktiv um den Eintritt qualifizierter junger Leute bemüht, die sonst woanders lernen und arbeiten würden.
({9})
Vielleicht sind Sie an einer einsatzfähigen und personell gut ausgestatteten Bundeswehr auch gar nicht so sehr interessiert.
Die Union und weite Teile des Hauses stehen zur Bundeswehr als Parlamentsarmee, überwacht und geführt durch Institutionen unseres demokratischen Rechtsstaats, dem sie Rechenschaft ablegen muss. Es gibt keine Wehrpflicht – sie ist ausgesetzt – und keine Zwangsrekrutierung. Aber es gibt einen sehr guten Jugendschutz für die kleine Gruppe noch minderjähriger Rekruten.
Letzter Satz: Die Bundeswehr darf daher nicht dem Vergleich mit kinderraubenden Bürgerkriegsarmeen ausgesetzt werden. Dieser Vergleich schadet ihrem Ansehen und schmälert ihren Auftrag, der unsere Sicherheit ist.
({10})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Wiesmann. – Als Nächstes erteile ich das Wort der Abgeordneten Ulrike Bahr von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Soldatinnen und Soldaten üben inzwischen nicht mehr nur für einen rein hypothetischen Ernstfall.
({0})
Auch das Üben war wegen eventueller Unfälle – das wurde erwähnt – gar nicht so ungefährlich. Mittlerweile werden sie von uns, dem Parlament, aber immer häufiger in Auslandseinsätze geschickt und sind dort sehr realen Gefahren ausgesetzt.
({1})
Allein im Afghanistan-Einsatz sind bislang 56 Personen umgekommen.
Wir alle wissen und haben es hier auch schon gehört: Die Bundeswehr ist seit 2011 nicht länger eine Armee von Wehrpflichtigen, sondern eine Berufsarmee. Das schafft Rekrutierungsprobleme, denen wir aber nicht mit einer verstärkten Anwerbung von Minderjährigen begegnen dürfen.
({2})
Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat sich in der letzten Wahlperiode ausführlich mit diesem Thema befasst und empfohlen, das Mindestalter für den Dienstbeginn von 17 auf 18 Jahre anzuheben.
({3})
Ich habe großes Verständnis dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Linken ihren Antrag aus der letzten Wahlperiode erneut einbringen; denn die Zahl der minderjährigen Rekrutinnen und Rekruten ist wieder gestiegen – 2017 noch über die im Antrag genannte Zahl hinaus auf mehr als 2 100 minderjährige Rekruten. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Rekrutierung von Minderjährigen eine Ausnahme bleiben muss. Inzwischen ist die Zahl so hoch, dass von einer Ausnahme nicht mehr gesprochen werden kann.
({4})
Besonders bei den jungen Frauen sind die Zuwachsraten gewaltig.
Der Kollege Martin Gerster hat darauf hingewiesen, dass wir uns unter den Unterzeichnern des Fakultativprotokolls zur Kinderrechtskonvention in guter Gesellschaft befinden. Die Bundeswehr entspricht den dort eingegangenen Verpflichtungen, indem Minderjährige von bewaffneten Konflikten ferngehalten werden und auch keine Wachdienste mit der Waffe leisten dürfen. Dennoch werden sie an der Waffe ausgebildet, und das halte ich für nicht akzeptabel und unverantwortlich.
({5})
Die Bundeswehr bietet zweifellos gute Ausbildungen an und ist ein attraktiver Arbeitgeber. Da die Schulabgänger wegen früherer Einschulung und verkürzter Schulzeit für Gymnasiasten jünger werden, muss man sich etwas einfallen lassen. Für Jugendliche sind Warteschleifen eben nicht attraktiv. Darum hat die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Positionspapier vom Juni 2017 vorgeschlagen, Minderjährige sollten zunächst in ein ziviles Ausbildungsverhältnis bei der Bundeswehr übernommen werden. Dort gibt es zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten: im Handwerk, in der Logistik, im Bereich IT und Elektronik, im Bereich Medizin und Gesundheit und auch im mittleren nichttechnischen oder naturwissenschaftlichen Dienst. 54 Ausbildungsberufe in 400 verschiedenen Ausbildungsstätten listet die Webseite der Bundeswehr. Möglich wäre auch ein spezieller Vorbereitungsdienst mit einem eigenen Ausbildungskonzept. Die Übernahme in ein militärisches Dienstverhältnis folgt dann erst mit der Volljährigkeit.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss?
Ja, ich komme zum Ende. – Wenn wieder eine Große Koalition zustande kommt, hoffe ich sehr, dass meine Kolleginnen und Kollegen von der Union hierzu doch noch Gesprächsbereitschaft zeigen werden.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. – Wir kommen nun zum letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: der Kollege Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Beiträge von den Linken und den Grünen in der heutigen Debatte verfolgt, könnte man meinen, die Bundeswehr schicke Kindersoldaten in Kampfeinsätze. Das ist natürlich größter Unsinn.
({0})
Das zeigt wieder einmal, wie unsachlich die Debatten über die Bundeswehr von linker und grüner Seite geführt werden. Ich würde Ihnen eine „grüne“ Grundausbildung bei der Bundeswehr anraten. Die würde Ihnen ganz gut tun.
({1})
Es ist unerträglich, dass die Bundeswehr durch die vorliegenden Anträge in die Nähe von Warlords und Diktatoren gestellt wird.
({2})
Kindersoldaten werden weltweit zum Töten gezwungen; die Bundeswehr jedoch verbietet explizit Situationen, in denen Rekruten unter 18 ihre Waffe gegen Menschen richten müssen.
({3})
Jugendliche dürfen zwar ab 17 zur Bundeswehr, aber sie dürfen weder Dienst an der Waffe leisten noch an Bundeswehrauslandseinsätzen teilnehmen. Minderjährige in der Bundeswehr mit Kindersoldaten gleichzusetzen, ist deshalb unangemessen, unsachlich und unanständig.
({4})
Ich habe in der heutigen Debatte kein einziges sachliches Argument gehört, das gegen 17-Jährige in der Bundeswehr spricht. Da hilft auch der Hinweis auf die Hirnforschung nicht. Wenn Sie das wirklich ernst meinen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, dann können Sie nicht wirklich für Wahlen ab 16 sein, es sei denn, Sie machen sich Hoffnung, besonders viele Stimmen zu bekommen.
({5})
Herr Kollege Hahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Fraktion der Linken?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich verfolge die Debatte von Beginn an, und ich beschäftige mich mit diesem Thema seit vielen Jahren auch auf kommunaler Ebene.
Sie sagen, wir führen die Debatte verantwortungslos. Im Jugendoffiziersbericht gab es vor einigen Jahren einen Passus, in dem explizit darüber berichtet wurde, dass den jungen Menschen, die in den Schulen aufgesucht und rekrutiert werden, der komplexe Zusammenhang der Kriegshandlungen im Weltgeschehen überhaupt nicht bewusst ist. Oberleutnant Kling aus Darmstadt sagte zum Beispiel:
Vielen Freiwilligen ist in diesem jungen Alter nicht bewusst, worauf sie sich einlassen. Aus eigener Erfahrung kennen wir die Probleme sehr junger Soldaten. Oft fehlt für den Dienst die notwendige Reife.
Ich möchte Sie daher fragen: Werden Sie künftig auch das Wahlalter absenken, damit Jugendliche wählen können, oder das Alter für den Führerschein? Sie sagen, die jungen Menschen sind für den Wehrdienst reif genug, aber fürs Wählen oder fürs Autofahren nicht.
({0})
Frau Kollegin, erst einmal vielen Dank für diese Zwischenfrage. Sie gibt mir Gelegenheit, etwas klarzustellen: Erstens. Die Jugendoffiziere rekrutieren nicht in Schulen, sondern sie machen dort politische Bildung.
({0})
– Hören Sie zu! – Die Defizite, die der Oberleutnant beschreibt, sind genau der Grund, warum er dort ist: um politische Bildung zu leisten.
Zweitens. Ich bin sehr dafür, zu sagen: Es gibt eine Bandbreite zwischen 17 und 18 Jahren. Der eine ist reifer und der andere weniger reif. Darüber entscheidet aber eben nicht der 17-Jährige selber, sondern er wird, bevor er zur Bundeswehr zugelassen wird, entsprechend untersucht.
({1})
Es finden entsprechende Gespräche statt. Dann wird die Eignung festgestellt oder eben nicht.
Genauso ist das bei dem Thema Wählen. Ich bin gegen das Wählen ab 16. Ich glaube, dass das zu früh ist.
Beim Thema Führerschein bin ich für die Regelung, die wir haben, nämlich dass man mit 17 den Führerschein machen kann, aber zunächst einmal nur in Begleitung eines Erwachsenen fahren darf und die volle Verantwortung erst ab 18 übernimmt. Da gibt es keine Diskrepanz zu den Aussagen, die ich getroffen habe.
Herr Kollege, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage?
Selbstverständlich, gerne.
Ich bitte die Fragesteller, bis zum Ende der Antwort des Redners stehen zu bleiben.
Herr Kollege, Sie kennen ebenso wie ich die Grundrechtseinschränkungen, die für Soldatinnen und Soldaten gelten. Es ist interessant, dass Sie hier immer wieder argumentieren: Die werden ja quasi nur rekrutiert, und erst wenn sie 18 sind, geht es richtig los. – Meine zentrale Frage ist: Warum gelten dann eigentlich diese Grundrechtseinschränkungen auch für diejenigen, die sich schon vor 18 von der Bundeswehr haben rekrutieren lassen? Da ist keine Logik drin. Diese Grundrechtseinschränkungen zeigen nämlich, dass sie in den ganz normalen Ablauf der Bundeswehr eingebunden werden, außer ganz konkret hinsichtlich der Ausbildung an der Waffe. Beantworten Sie mir die Frage: Warum gelten diese Grundrechtseinschränkungen auch bei unter 18-Jährigen?
({0})
Wissen Sie, was ich beantworte oder nicht, das können Sie erstens mir überlassen.
Zweitens zeigt Ihre Argumentation einmal mehr, dass es Ihnen gar nicht um die Sache geht, sondern um etwas anderes. Sie wollen die Institution der Bundeswehr insgesamt erschüttern. Deswegen scheuen Sie sich auch nicht davor, einen Kontext zwischen Kindersoldaten und Bundeswehr herzustellen. Das haben Sie hier einmal mehr bewiesen.
({0})
Ich sage Ihnen: Diese Scheinheiligkeit ist genau das, was ich Ihnen vorhalte.
Herr Pflüger, Sie sind ja stellvertretender Parteivorsitzender und verteidigungspolitischer Sprecher der Linken. Sie haben schon vor einigen Jahren zusammen mit Frau Buchholz in einem Artikel in der „Jungen Welt“ die Abschaffung der Bundeswehr an sich gefordert.
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Das zeigt, worum es Ihnen eigentlich geht: Sie wollen diese Institution erschüttern, weil Sie die Institution an sich abschaffen wollen.
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Genauso ist das bei Ihrem Kollegen, dem Herrn Gehrcke, der auch hier im Plenum die Abschaffung der Bundeswehr gefordert hat.
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– Wie ich Ihre Frage beantworte, können Sie mir überlassen. Ich sage Ihnen: Ihre Argumentation ist scheinheilig, weil Sie ein anderes Ziel verfolgen, als über diesen Sachverhalt mit mir zu diskutieren.
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Herr Kollege Hahn, Sie haben zutreffend festgestellt: Sie beantworten die Fragen immer so, wie Sie das wollen, auch wenn das dem Fragesteller nicht gefällt. Das ist dann einfach so.
So ist es. – Dieser Antrag ist ein weiterer Versuch, die Bundeswehr in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht zu rücken, immer mit dem Ziel vor Augen, diese eines Tages abzuschaffen. Das werden wir nicht zulassen. Wir stehen zur Bundeswehr und zu unseren Soldatinnen und Soldaten.
Wissen Sie, auch den außerparlamentarischen Kritikern geht es nicht um die Sache. Die verfolgen dieselbe Agenda wie Sie. Lassen Sie sich einmal zwei Beispiele auf der Zunge zergehen:
Das erste Beispiel ist das Deutsche Bündnis Kindersoldaten, zu dem auch die Deutsche Friedensgesellschaft gehört.
({0})
Die sind natürlich gegen die Beschäftigung von 17-Jährigen bei der Bundeswehr. In ihren Leitlinien steht aber auch ganz klar das Ziel der Abschaffung der Bundeswehr.
Das zweite Beispiel ist der Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt, der sich auf Antrag der Sozialistischen Jugend in einer Grundposition gegen die Rekrutierung von Minderjährigen ausgesprochen hat.
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Auch die Sozialistische Jugend Deutschlands – Sie werden es erraten – will die Abschaffung der Bundeswehr.
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Wir sehen also: Es geht nicht um 17-Jährige bei der Bundeswehr, es geht auch nicht um Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Kindersoldaten, sondern es geht um Ideologie.
Ich sage Ihnen heute und hier: Wir werden die Bundeswehr nicht abschaffen. Wir brauchen die Bundeswehr.
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Ich danke allen jungen deutschen Menschen, die sich für den Dienst bei der Bundeswehr entscheiden. Wir brauchen diese jungen Menschen, und wir haben großen Respekt vor ihrer Entscheidung, in die Bundeswehr einzutreten. Auch das sollten wir an diesem Tage einmal sagen.
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Herr Kollege Hahn, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/475 und 19/979 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 19/475 – Tagesordnungspunkt 16 – soll federführend an den Verteidigungsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Erwerbsarbeit sorgt nicht nur für Einkommen, sondern bedeutet mehr für die Menschen: gesellschaftliche Teilhabe, soziale Kontakte, Würde, Anerkennung, Wertschätzung. Deshalb darf ein Sozialstaat niemanden alleinlassen, niemanden vergessen und auch niemanden aufgeben. Alle Menschen brauchen Chancen und Perspektiven.
({0})
Die Realität sieht aber anders aus. Die Beschäftigtenquote ist hoch, und doch hat sich die Langzeitarbeitslosenzahl verfestigt. Wenn Menschen aber dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, dann hat das Folgen. Das macht auch etwas mit den Menschen. Sie werden immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt, und viele empfinden das auch so. Darauf geben die bisherigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente keine Antwort. Genau das muss sich ändern.
({1})
Es muss Schluss sein mit kurzfristigen Programmen. Auch die Unterscheidung zwischen erstem, zweitem und gar drittem Arbeitsmarkt ist nicht die Lösung. Notwendig ist endlich ein Perspektivwechsel hin zu einem Arbeitsmarkt für alle. Genau darüber haben wir auch bei den Jamaika-Sondierungen verhandelt, und jetzt steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Aber viele Fragen bleiben offen. Die Idee vom sozialen Arbeitsmarkt funktioniert jedoch nur, wenn auch tatsächlich die Rahmenbedingungen stimmen. Deshalb geben wir Ihnen mit unserem heute vorliegenden Antrag die Anforderungen an einen sozialen Arbeitsmarkt mit auf den Weg.
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Erstens. Die geförderte Beschäftigung muss zu den Menschen passen, ihren Interessen, Fähigkeiten und auch Stärken entsprechen. Deshalb muss das freiwillig sein. Zwang und Sanktionen darf es nicht geben.
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Zweitens. Im Koalitionsvertrag steht zu Recht, dass der soziale Arbeitsmarkt gemeinnützigen und auch gewerblichen Betrieben offensteht. Es fehlt jedoch, dass die bisherigen Kriterien „zusätzlich“, „im öffentlichen Interesse“ und „wettbewerbsneutral“ entfallen.
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Das ist aber zentral und wichtig, damit sich wirklich alle Betriebe an der sozialen Integration von langzeitarbeitslosen Menschen beteiligen können. Hier müssen Sie unbedingt nachbessern.
({5})
Drittens – das ist ganz wichtig –: Damit der Arbeitsmarkt tatsächlich für alle offensteht, muss die geförderte Beschäftigung zu einem dauerhaften Angebot werden. Das geht nur mit einem Passiv-Aktiv-Transfer. Das heißt, die passiven Leistungen – Arbeitslosengeld II und die Kosten der Unterkunft – werden in einen Lohnkostenzuschuss umgewandelt; denn nur so wird statt Arbeitslosigkeit tatsächlich Erwerbsarbeit finanziert.
({6})
Aber genau das steht nicht – zumindest nicht klar – im Koalitionsvertrag.
({7})
Da steht nur, dass der Eingliederungstitel jährlich um 1 Milliarde Euro aufgestockt wird. Das ist aber gerade einmal die Summe, die den Jobcentern fehlt, weil der Verwaltungshaushalt chronisch unterfinanziert ist.
Ich kann nur sagen: Wenn ein sozialer Arbeitsmarkt ohne einen konsequenten Passiv-Aktiv-Transfer kommt, dann ist das nichts anderes als eine riesengroße Mogelpackung, und das wäre nicht akzeptabel.
({8})
Jahrelange und verfestigte Arbeitslosigkeit darf es nicht geben. Deshalb wollen wir Grünen eine solidarische Arbeitsmarktpolitik, einen Arbeitsmarkt für alle. Nur das entspricht einer inklusiven Gesellschaft, die nicht mehr ausschließt, sondern die Würde der Menschen in den Mittelpunkt stellt, und genau daran werden wir Sie messen.
Vielen Dank.
({9})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes erteile ich dem Kollegen Kai Whittaker von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kollegen! Wenn ein Mensch arbeitslos wird, dann ist das immer eine persönliche Tragödie; da gebe ich der grünen Fraktion recht. Wer arbeitslos ist, der fühlt sich ausgegrenzt.
({0})
Wer arbeitslos bleibt, der fühlt sich aufgegeben. Ob jemand arbeitslos bleibt, hängt meistens von den persönlichen Umständen des Betroffenen ab. Fortgeschrittenes Alter, mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende Berufsausbildung, gesundheitliche Probleme: Die Liste ist lang, und die Gründe sind immer individuell.
Bei der Problembeschreibung sind wir uns also einig, Frau Müller-Gemmeke.
({1})
Wenn die Probleme individuell sind, dann verstehe ich aber nicht, warum Sie diese ausgerechnet mit einer Einheitslösung beheben wollen. Ich finde, Sie machen mit Ihrem Vorschlag eines sozialen Arbeitsmarktes drei kapitale Fehler:
Erstens. Sie sind mit Ihrer Forderung völlig maßlos.
({2})
Sie fordern einen sozialen Arbeitsmarkt für Menschen, die älter als 25 Jahre sind und seit mehr als zwei Jahren keine Arbeit haben.
({3})
Laut Bundesagentur für Arbeit sind das 479 000 Menschen. Das ist mehr als die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen und weit mehr als die Anzahl langzeitarbeitsloser Menschen, die in einen sozialen Arbeitsmarkt aufzunehmen uns alle Experten bisher angeraten haben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt in seinen Analysen zu folgendem Schluss: Maximal 300 000 Menschen, wenn überhaupt, kommen für einen sozialen Arbeitsmarkt infrage.
({4})
Diese Einschätzung ist eine Maximalforderung. In der Vergangenheit hat das IAB diese Zahl eher bei 100 000 bis 200 000 Menschen eingegrenzt.
Damit ist für mich und für uns als Union klar: Mit Ihrer Forderung lassen Sie Menschen fallen, die einen Job finden könnten. Stattdessen werden sie in ein System gesperrt, aus dem sie nur schwer wieder herauskommen.
({5})
Das ist nicht meine Einzelmeinung, sondern das sehen auch andere so, zum Beispiel der Volkswirt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Er sagt – ich zitiere –: Viele würden sich dann wie bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in „einer trügerischen Sicherheit wiegen, erst einmal untergekommen zu sein, und sich nicht mehr eine richtige Arbeit suchen“.
Herr Whittaker, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Das sorgt immer für Erhellung.
({0})
Das ist aber nett, Herr Whittaker. – Ich möchte klarstellen, dass wir nicht alle Personen im Auge haben, die länger als zwei Jahre arbeitslos sind, sondern dass die fehlende Perspektive auf dem Arbeitsmarkt, also das Vorhandensein von sogenannten Vermittlungshemmnissen und Einschränkungen, ein zentrales Kriterium für das Konzept ist, das wir an dieser Stelle vorschlagen. Insofern kann auch das zuletzt von Ihnen genannte Argument, das Sie zitiert haben, gar nicht greifen; denn der sogenannte Lock-in-Effekt, dieses Sich-Einrichten in der geförderten Beschäftigung, anstatt eine – in Anführungszeichen – richtige Stelle zu suchen, träfe ja nur auf diejenigen Personen zu, die auch eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.
Das, was wir als sozialen Arbeitsmarkt bezeichnen, richtet sich aber gezielt und erkennbar genau an die Personengruppe, die auf absehbare Zeit gar keine Chance hat, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Daher rechtfertigen wir auch den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer, also das Auszahlen des Arbeitslosengeldes II und der Kosten der Unterkunft als Lohnkostenzuschuss.
Mich würde viel mehr interessieren, wie die Formulierung im Koalitionsvertrag zu verstehen ist, die Sie dort gewählt haben. Sie wollen den Ländern den Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen. Warum steht denn dort nicht, dass der Bund den Passiv-Aktiv-Transfer mit den Leistungen übernimmt? Das steht da nämlich nicht.
({0})
Also, was darunter zu verstehen ist und was wir den Ländern ermöglichen werden, wird der Gesetzgeber in diesem Plenum in seiner Weisheit genauer entscheiden.
({0})
Darum können wir im Ausschuss gerne miteinander ringen.
Ein weiterer Punkt ist: Wissen Sie, Herr Kurth, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie all jenen, die über 25 Jahre alt und länger als 24 Monate arbeitslos sind, einen Zugang zum sozialen Arbeitsmarkt eröffnen wollen. Dann schreiben Sie etwas nebulös: „ohne absehbare Perspektive“.
({1})
Aber Sie haben in keiner Weise definiert, was denn diese Perspektive genau bedeutet.
Da waren die Experten, die ich gerade zitiert habe, schon wesentlich weiter als Sie. Gerade von Ihnen, Herr Kurth, der im Ausschuss immer wieder zeigt, wie detailverliebt er ist, hätte ich wenigstens erwartet, dass in diesem Antrag konkret steht, was ich unter „ohne Perspektive“ zu verstehen habe.
({2})
Das hier ist ein dünnes, sechsziffriges Forderungskatalögchen, das eigentlich die Beratung im Plenum nicht wert ist. Aber gut.
({3})
Wir als Union wollen, dass die Menschen einen Weg in den Arbeitsmarkt finden und ihr Leben wieder selber gestalten können. Mit Ihren anvisierten knapp 500 000 Personen schießen Sie leider weit über das Ziel hinaus.
Zweitens. Sie schießen nicht nur über das Ziel hinaus. Sie verfehlen es, finde ich, deutlich. Die Grünen haben immer gesagt – das habe ich stets nachvollziehen können –: Qualifizierung vor Arbeitsplatzvermittlung. Das ist selbstverständlich. Wer keinen Beruf gelernt hat, hat es schwerer, einen Job zu finden. Das betrifft immerhin die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen. Aber dann müssen wir doch dafür sorgen, dass ein 25-jähriger Arbeitsloser einen Beruf erlernt. Sie hingegen wollen diesen 25-Jährigen auf dem sozialen Arbeitsmarkt beschäftigen.
({4})
Anstatt diesem Menschen die Tür zum Arbeitsmarkt zu öffnen, schlagen Sie diese Tür zu. Was für ein verheerendes Signal geben Sie damit diesem 25-Jährigen, der dann sein ganzes Berufsleben nur noch Helfertätigkeiten verrichten kann!
({5})
Drittens. Sie schlagen – das, meine werten Kollegen, ist das eigentlich Traurige an diesem ganzen Antrag – nicht nur den 479 000 Langzeitarbeitslosen die Tür zu, die nach Ihrem Programm keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben, sondern Sie schlagen auch den anderen 400 000 Langzeitarbeitslosen die Türe zu.
({6})
Diese Menschen haben Sie nämlich leider nicht im Blick. Sie vergessen gerade die Menschen, die in absehbarer Zeit eine Arbeit finden könnten.
({7})
Für diese Menschen haben Sie kein Geld übrig.
Wir als Union wissen, dass wir mehr Geld ausgeben müssen, um Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist keine Frage.
({8})
Das haben wir übrigens auch mit der SPD verabredet. Aber ich bin der Ansicht, dass wir dieses Geld dazu nutzen sollten, Menschen in Arbeit zu bringen, damit sie finanziell wieder unabhängig werden. Ihr sozialer Arbeitsmarkt hingegen macht Menschen dauerhaft zu Sozialfällen. Sie manövrieren sie in eine Sackgasse.
Wir als Union wollen den Menschen Wege aufzeigen. Um das zu schaffen, sollten wir Langzeitarbeitslose darin unterstützen, eine Berufsausbildung zu machen. Ein Land wie Deutschland braucht keine Hilfskräfte, sondern wir brauchen Fachkräfte. Um das zu schaffen, brauchen wir eine intensivere persönliche Betreuung. Die Union hat immer von einer Treppe in den ersten Arbeitsmarkt gesprochen.
({9})
Eine solche Treppe müssen wir auch für die Berufsausbildung bauen, um so die Menschen Schritt für Schritt zu befähigen.
Mir ist es wichtig, dass wir uns um jeden Einzelnen kümmern. Dass es sich lohnt, diesen Weg zu gehen, zeigte mir neulich wieder ein Fall aus einem Berliner Jobcenter.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dort hat ein älterer Mann nach zwölf Jahren Arbeitslosigkeit wieder einen festen Vollzeitjob als Gärtner gefunden. Er arbeitet dort immer noch.
Herr Kollege Whittaker.
Ich weiß, das ist ein Ausnahmefall. Ich möchte, dass es der Regelfall wird.
({0})
Ich bedanke mich herzlich, Herr Kollege Whittaker. – Als Nächstes die Abgeordnete Kerstin Tack für die Sozialdemokratie.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist richtig und gut und es ist überfällig, dass wir die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarktes, also die dauerhaft öffentlich geförderte Beschäftigung inklusive des Passiv-Aktiv-Transfers,
({0})
in den Koalitionsvertrag für die nächsten vier Jahre, sofern die Koalition ab der nächsten Woche Realität wird, hineinverhandeln konnten.
({1})
Darüber freuen wir uns sehr; denn wir als SPD haben in den letzten Jahren diese Forderung nach einem öffentlichen geförderten Beschäftigungssektor und vor allen Dingen auch die Ermöglichung des Passiv-Aktiv-Transfers in der Koalition mehrfach durchsetzen wollen. Wir freuen uns, dass man bei der CDU/CSU zur Einsicht gekommen ist, dass diese Maßnahme – der soziale Arbeitsmarkt – erforderlich, dass sie notwendig ist. Sie soll erst einmal für 150 000 Menschen in Deutschland zur Verfügung stehen.
({2})
Er soll nicht als befristetes Modellprojekt, sondern als Regelinstrument im SGB II etabliert werden. Und ja, wir wollen den Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich einen Satz aus dem Koalitionsvertrag zitieren – da bildet Lesen in der Tat und führt zu mehr Erkenntnissen –:
Der Bund stellt dazu die eingesparten Passiv-Leistungen zusätzlich für die Finanzierung der Maßnahmen zur Verfügung.
Ich glaube, dass dieser Satz sehr eindeutig ist und dass man so sehr gut arbeiten kann.
({3})
Frau Kollegin Tack, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, im Moment nicht.
({0})
Für uns ist die Frage der Finanzierung des Passiv-Aktiv-Transfers zentral. Wir unterstützen damit diesen längst überfälligen Paradigmenwechsel.
Wir möchten, dass sich nicht nur öffentliche Träger oder die Wohlfahrt beteiligen und davon profitieren, sondern wir möchten auch, dass sich die Privatwirtschaft sehr deutlich und einheitlich positioniert und die Möglichkeiten einer solchen Maßnahme aktiv in ihre Überlegungen miteinbezieht und den Lohnkostenzuschuss nutzt. Das ist für uns Bezahlung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit und überfällig.
({1})
Dass wir dafür im Koalitionsvertrag die Mittel des Eingliederungstitels bei den priorisierten Ausgaben als größten Einzelposten etablieren konnten, nämlich 4 Milliarden Euro, ist ganz zentrale Klarstellung für die Notwendigkeit, die Wichtigkeit und die klare Priorität für einen sozialen Arbeitsmarkt, der in Deutschland schon seit langem überfällig ist und bisher keine Mehrheit hier in diesem Parlament gefunden hat.
Auch deshalb ist es eine der ersten Maßnahmen, die wir, sofern wir in eine Koalition eintreten, für Deutschland, für die Menschen und insbesondere für einen guten öffentlichen Beschäftigungssektor umsetzen werden. Darüber freue ich mich ganz besonders.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin Tack. – Ich weiß, dass bei diesem doch wichtigen Thema die Redezeit äußerst knapp bemessen ist. Weil das so ist, gebe ich Ihnen, Frau Kollegin Müller-Gemmeke, für eine Kurzintervention das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich muss zu einem ganz konkreten Sachverhalt nachfragen. Sie haben eben aus dem Koalitionsvertrag zitiert. Vor dem Satz, den Sie gerade zitiert haben, steht, dass es einen ersten und einen sozialen Arbeitsmarkt geben soll, dass der Eingliederungstitel um jährlich 1 Milliarde Euro aufgestockt werden soll, dass eine Beteiligung von bis zu 150 000 Beschäftigten damit erreicht werden soll. Der Satz, der vor dem von Ihnen zitierten Satz steht, lautet dann:
Wir ermöglichen außerdem den Passiv-Aktiv-Transfer in den Ländern.
Wenn Sie an dieser Stelle geschrieben hätten, dass Sie ihn auch in den Ländern ermöglichen wollen, dann könnte ich das verstehen. Aber hier steht ganz klar, dass Sie im Bund den Eingliederungstitel erhöhen wollen und in den Ländern den Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen wollen. Vielleicht können Sie das noch einmal richtigstellen. Dann haben wir das auch im Protokoll und wissen, dass wir uns immer wieder darauf berufen können, dass es auch im Bund den Passiv-Aktiv-Transfer geben wird.
Vielleicht können Sie uns dann noch sagen, ob es beim sozialen Arbeitsmarkt auch eine Übernahme von Overheadkosten geben soll, beispielsweise für die Beschäftigungsträger, und ob es – auch das ist ganz wichtig – eine professionelle Begleitung der Betriebe geben soll, wenn sie langzeitarbeitslose Menschen einstellen.
({0})
Sie wünschen zu antworten, Frau Tack? – Bitte, dann haben Sie das Wort.
Ja, ich wünsche zu antworten. – Wir werden als Bund die Mittel zur Verfügung stellen, die der Bund an eigenen Kosten einspart. Das haben Sie in Ihrem Antrag sehr deutlich gemacht. Das ist das Konzept, das auch wir umzusetzen gedenken. So steht es im Koalitionsvertrag, so ist es auch gemeint, und so wird es umgesetzt werden.
Da wir das Programm zur sozialen Teilhabe als Regelinstrument verwirklichen, stellt sich damit auch nicht mehr die Frage nach Übernahme der zusätzlichen Kosten für die Unterstützung der Personen in der Privatwirtschaft und in den anderen Stellen, die Sie eben angesprochen haben, weil auch hierfür die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Denn wir betten das Programm in eine Regelförderung. Das Programm hat ein klares Konzept, und sie ist Teil des Programms. Das wissen Sie auch.
Von daher ist die Frage ganz eindeutig, wie wir den Kostentransfer an die Länder regeln, damit sie einheitlich einen entsprechenden Lohnkostenzuschuss auszahlen können. Das werden wir jetzt in der Aushandlung und Konkretisierung des Programms angehen. Aber dass Mittel für den Kostentransfer fließen werden, ist ausgehandeltes Programm und wird dann auch ermöglicht.
({0})
Herzlichen Dank. – Als Nächstes erhält der Abgeordnete René Springer von der AfD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Grünen erinnert mich ganz stark an die berühmten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, durch die Arbeit bis 2012 staatlich subventioniert wurde, mit teilweise grotesken Folgen. So hieß es beispielsweise für ABM-Kräfte in Tierheimen: Tiere nicht füttern, nur streicheln! – So sollte verhindert werden, dass durch die staatlich subventionierte Beschäftigung reguläre Jobs verdrängt werden.
({0})
Auch die Grünen wollen in ihrem Antrag staatlich subventionierte Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Diese sollen Langzeitarbeitslosen offenstehen, die länger als 24 Monate arbeitslos sind. Die Grünen nennen das „Sozialer Arbeitsmarkt“.
Groteske Folgen wie beim ABM-Programm wollen die Grünen jedoch vermeiden. Deshalb sagen sie, ihr sozialer Arbeitsmarkt soll explizit für alle Tätigkeiten in allen Betrieben offenstehen. Ja, ginge es nach den Grünen, hätten wir bald staatlich subventionierte Jobs in direkter Konkurrenz zu bestehenden Arbeitsverhältnissen. Da frage ich Sie: Was bitte soll daran sozial sein?
({1})
Um die Langzeitarbeitslosen für Arbeitgeber besonders attraktiv zu machen, soll der Staat bis zu 100 Prozent der Lohnkosten tragen. Hier müssten sogar die Wirklichkeitsverweigerer der Linken erkennen, dass dieses Programm vor allem Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor aus ihren Jobs verdrängen wird. Es ist die Reise nach Jerusalem auf dem Arbeitsmarkt: Am Ende steht immer irgendjemand ohne Job da.
({2})
So stellt sich natürlich die Frage, was die Grünen zu diesem Unsinn bewegt. Wer soll eigentlich gewinnen, wenn am Ende immer irgendjemand ohne Job dasteht?
({3})
Eine Antwort findet man im Antrag der Grünen nicht, wohl aber in einem Gesetzentwurf der Grünen aus dem Jahr 2012 mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes“. Darin heißt es – ich zitiere –:
Personen, deren Arbeitsverhältnis mit bis zu 100 Prozent förderfähig ist, müssen eine besonders komplexe Problemlage aufweisen.
({4})
Darunter fallen den Grünen zufolge – auch das kann man dort nachlesen – Menschen mit schweren persönlichen Krisen und mit Migrationshintergrund.
({5})
Mir fallen dazu mehr als 1,5 Millionen Menschen ein, auf die genau diese Kriterien zutreffen, meine Damen und Herren.
({6})
Richtig: Es sind die Migranten, die im Zuge der von Merkel verursachten und von Ihnen allen beklatschen Asylkrise zu uns kamen
({7})
und die nun zu einer unerträglichen Last für unser Sozialsystem werden.
({8})
Schon im kommenden Jahr werden die meisten dieser Migranten als Langzeitarbeitslose in den Statistiken auftauchen und den Deutschen vor Augen führen, welches Unheil diese Bundesregierung über unser Land gebracht hat.
({9})
Um dieses Unheil zu kaschieren und die Arbeitslosenstatistiken zu beschönigen, soll nun ein sozialer Arbeitsmarkt her, der wahrscheinlich unzählige Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor aus ihren Jobs drängen wird: Verkäufer, Wachdienstmitarbeiter, Taxifahrer, Reinigungskräfte und Paketboten, herausgedrängt durch Zuwanderer, deren Jobs auch noch mit unseren Steuergeldern staatlich subventioniert werden sollen.
({10})
Das ist kein sozialer Arbeitsmarkt.
({11})
Das ist sozialer Sprengstoff, der das Potenzial hat, unsere Gesellschaft zu zerreißen. Der Verteilungskonflikt an der Essener Tafel ist ein erster Vorbote einer solchen zerrissenen Gesellschaft. Dieses Risiko ist da, und dieses Risiko ist realistisch, selbst wenn der Antrag der Grünen heute nicht durchgeht. Denn im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD haben sich die Verursacher der Asylkrise bereits auf Folgendes beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit verständigt: „4 Milliarden Euro zusätzlich für neue Chancen in einem sozialen Arbeitsmarkt“.
Meine Damen und Herren, im letzten Bundestag wären Sie damit geräuschlos durchgekommen. Diese Zeiten sind vorbei.
({12})
Mit der AfD im Bundestag wird es keine staatlich subventionierten Jobs für Zuwanderer in direkter Konkurrenz zu deutschen Arbeitnehmern geben.
({13})
Eine massenhafte Verdrängung deutscher Arbeiter durch Zuwanderer werden wir nicht zulassen.
({14})
Hier im Deutschen Bundestag werden wir den kleinen Mann mit allen Mitteln gegen solche Pläne verteidigen. Die Alternative für Deutschland ist die parlamentarische Bürgerwehr für den kleinen Mann.
({15})
Herr Kollege Springer, Sie sind zu Ende und können sich setzen. Ich möchte nur freundlicherweise darauf hinweisen, dass die AfD noch nicht über die absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag verfügt.
({0})
Als Nächster erhält für die Fraktion der Freien Demokraten der Kollege Pascal Kober das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So viele Menschen wie noch nie haben in unserem Land Arbeit. Die Arbeitslosenzahlen sind auf einem historischen Tiefststand, und das ist gut so; darüber können wir uns freuen. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt durch die kluge und weitsichtige Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik der christlich-liberalen Koalition nach der Finanzkrise 2007/2008 in Gang gesetzt worden.
({0})
Gleichzeitig erleben wir aber, dass nicht jeder von dieser positiven Entwicklung erfasst wird und nicht jedem der Sprung in den ersten Arbeitsmarkt gelingt, und das wiederum, obwohl viele Stellen unbesetzt sind, und zwar auch in den Bereichen, in denen es um angelernte, leicht erlernbare und einfache Tätigkeiten geht. Diese Situation kann uns nicht kaltlassen. Diese Situation ist unbefriedigend. Dagegen wollen wir etwas tun. Die Situation ist unbefriedigend zuerst und vor allem für die Betroffenen, nicht nur weil sie das, was sie für das Leben brauchen, nicht eigenverantwortlich verdienen können, sondern auch weil ihnen durch die Arbeitslosigkeit und den Verbleib im Hartz-IV-System ein hohes Maß an Selbstbestimmung genommen wird, sie weit weniger frei leben können, als wir uns es für alle Menschen wünschen. Das müssen wir ändern, und das wollen wir auch ändern.
({1})
Geradezu tragisch ist Langzeitarbeitslosigkeit dann, wenn Familien mitbetroffen sind und wenn dadurch das Risiko der Kinder steigt, vielleicht selbst den Einstieg in das Berufsleben zu verpassen. Manche Studien legen nahe, dass Kinder von Eltern, die langzeitarbeitslos sind, ein höheres Risiko haben, den Berufseinstieg zu verpassen oder später selber einmal arbeitslos zu werden. Das darf nicht passieren. Dagegen müssen wir etwas tun. Dort werden wir politisch ansetzen.
Problematisch ist Arbeitslosigkeit aber auch für die Unternehmen; denn sie können viele Stellen nicht besetzen. Arbeit kann nicht erledigt werden. Aufträge gehen verloren. Unternehmen werden in ihrer Entwicklung gehemmt. Arbeitslosigkeit ist teuer und bindet sehr viel Geld, das für andere soziale Aufgaben sinnvoll oder vielleicht sogar sinnvoller eingesetzt werden könnte.
Wir Freie Demokraten begrüßen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, einen Grundgedanken aufgreifen, den die FDP schon vor über 20 Jahren ausgearbeitet und formuliert hat und den Guido Westerwelle in seinem Buch „Neuland“ 1998 einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt hat, dass es nämlich besser ist, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dieser Auffassung sind wir auch.
Insofern wäre es richtig, dass wir das Geld, das wir heute für Hartz IV ausgeben, in Zukunft in Lohnzuschüsse umwandeln können, um Arbeit zu finanzieren und Menschen den Schritt zurück in die Arbeitswelt zu erleichtern.
({3})
Klar ist für uns allerdings auch – so verstehe ich Ihren Antrag –, dass für Sie geförderte Arbeit nahe am ersten Arbeitsmarkt oder am besten im ersten Arbeitsmarkt erfolgen soll. Wenn Sie das unter „sozialem Arbeitsmarkt“ verstehen, dann sind wir da bei Ihnen, dann streiten wir nur noch über Details.
({4})
Frau Müller-Gemmeke hat von einem Arbeitsmarkt für alle gesprochen. Genauso wollen auch wir das sehen. Wir werden mit Ihnen beraten, und wir unterstützen das Grundanliegen Ihres Antrages.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, lieber Herr Kollege Kober. – Als Nächstes rufe ich für die Fraktion Die Linke die Kollegin Sabine Zimmermann auf.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin Tack, Sie haben eben mit voller Leidenschaft aus dem Koalitionspapier zitiert. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Beim Kollegen Whittaker habe ich diese Leidenschaft überhaupt nicht gespürt. Ich finde, da werden sie noch ganz schön dicke Bretter zu bohren haben;
({0})
denn diese Leidenschaft ist bei der CDU/CSU überhaupt nicht vorhanden.
Frau Merkel sagt: Deutschland geht es gut. Der Arbeitsmarkt boomt. Es gibt so wenig Erwerbslose wie seit 25 Jahren nicht mehr. – Das – dieses sonnige Bild vom Arbeitsmarkt – wollen gerade Sie von der CDU/CSU uns jeden Monat weismachen. Aber Sie vergessen die Schattenseite, Sie weigern sich sogar, diese Schattenseite zu sehen: 3,5 Millionen Menschen in Deutschland sind erwerbslos. 900 000 Menschen sind langzeiterwerbslos. Das heißt, sie sind seit mindestens zwölf Monaten ohne Job. Wenn Sie einmal richtig zählen würden – Sie zählen nämlich gar nicht richtig –,
({1})
dann würden Sie bemerken, dass 945 000 Menschen von Ihnen einfach unter den Tisch gekehrt werden. Das sind diejenigen Menschen, die sich in Maßnahmen befinden, oder auch über 58-Jährige, die sozusagen kein Jobangebot bekommen.
Von Ihnen werden Menschen einfach in das Hartz-IV-System mit einem Regelsatz, von dem man nicht leben kann, abgeschoben. Sie unterliegen Sanktionssystemen, die menschenunwürdig sind. Das ist aus meiner Sicht unchristlich und auch unsozial. Das kann so nicht weitergehen.
({2})
Sie haben in den letzten zehn Jahren – ich beziehe mich nur auf diesen Zeitraum – Milliarden Euro in der Arbeitsmarktpolitik eingespart. Immer mehr Maßnahmen wurden gestrichen. Haushaltssanierungen fanden auf dem Rücken von Erwerbslosen statt. Das war Ihre Politik der letzten Jahre. Die Senkung der Arbeitslosigkeit beruht doch zum großen Teil auf dem Übergang in die Rente. Schauen Sie sich die Zahlen doch einmal an: Nur wenige Langzeiterwerbslose bekommen einen Job auf dem regulären Arbeitsmarkt. Deswegen haben wir als Linke schon im Jahre 2006 die Einrichtung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors gefordert.
({3})
Dazu kann man auch „sozialer Arbeitsmarkt“ sagen. Was man genau sagt, ist, glaube ich, erst einmal unwichtig. Gerade die Einrichtung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors ist ein wichtiges Instrument, um Langzeiterwerbslosen endlich eine wirkliche Chance zu geben.
({4})
Nur, meine Damen und Herren der geschäftsführenden Bundesregierung, Sie haben das ja immer abgelehnt. Aber nun sind Sie, wie sich in Ihrem Koalitionspapier zeigt, schlauer geworden – das muss man erst einmal festhalten –: Sie möchten gern einen sozialen Arbeitsmarkt einrichten. Aber wie der genau funktionieren soll, das schreiben Sie eben nicht in diesem Koalitionspapier. Da kann ich Ihnen versichern: Die Linke wird ganz genau hinschauen, wie Sie diesen Arbeitsmarkt einrichten wollen.
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Die Linke fordert einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit 200 000 Arbeitsplätzen, voll versicherungspflichtig und nicht unter dem Mindestlohn. Damit meine ich nicht Ihren Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde, von dem man nicht leben kann, sondern einen ordentlichen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde.
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Es ist doch gerade der Sinn von öffentlich geförderter Beschäftigung, dass Menschen nicht länger auf Transferleistungen angewiesen sind; das ist doch das Wichtigste. Von Arbeit muss man leben können und natürlich auch von geförderter Arbeit; das ist doch selbstverständlich. Wir wollen Angebote finanzieren, für die sonst das Geld fehlt: Stadtteilzentren, kulturelle Projekte, soziale Unterstützungsdienste – alles Angebote, die in dieser Gesellschaft dringend notwendig sind.
Schauen Sie nach Thüringen! Dort machen wir es Ihnen vor. Aber wir brauchen natürlich entsprechende Bedingungen – den Passiv-Aktiv-Transfer will ich an dieser Stelle nur nennen –; dann wird das auch so funktionieren, meine Damen und Herren.
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Denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme jetzt zum Schluss, liebe Frau Präsidentin.
Wir werden genau darauf gucken, was die Große Koalition in ihrem Vertrag versprochen hat. Wir werden das genau prüfen. Ein sozialer Arbeitsmarkt muss endlich her, damit die Erwerbslosen eine Chance bekommen.
Danke schön. Schönes Wochenende!
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Noch nicht, Frau Kollegin; denn es kommen noch einige wichtige Rednerinnen und Redner. – Vielen Dank, Sabine Zimmermann.
Von mir aus erst einmal einen schönen sonnigen Tag!
Der nächste Redner in der Debatte: Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Neue Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen“, ich glaube, das ist ein Ziel, das die meisten hier im Hohen Hause verbindet. Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist ein wesentliches Ziel, das die meisten hier auch in dieser Wahlperiode angehen wollen.
Es ist vor allem ein zentrales Anliegen von CDU und CSU. Wir wollen bis 2025 Vollbeschäftigung in unserem Land erreichen. Wir wollen die Langzeitarbeitslosigkeit weiter abbauen. Liebe Frau Zimmermann, ich denke, Sie spüren die Leidenschaft, die die Union bei diesem Thema hat.
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Wir haben in den letzten Jahrzehnten die Arbeitslosigkeit in Deutschland halbiert, und wir wollen das auch in dieser Legislaturperiode fortführen; denn das Wichtigste ist, dass die Menschen auf dem regulären Arbeitsmarkt arbeiten können. Das ist unser Ziel, und an dem müssen wir arbeiten.
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Man muss den Menschen, die länger arbeitslos sind, natürlich Instrumente an die Hand geben, damit der Einstieg funktioniert. Wir wollen, dass der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt wieder möglich wird. Deswegen ist die Grundvoraussetzung eine gute Arbeitsmarktpolitik. Es geht darum, dass wir weiterhin Arbeitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze in unserem Land schaffen können.
Liebe Frau Kollegin, zurück zu Ihrem Antrag, den Sie heute eingebracht haben: Ich habe ein bisschen verwundert geschaut, als ich gelesen habe, welche Forderungen Sie stellen. Gemäß Ihrem Antrag soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, ein neues arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Integration von langzeitarbeitslosen Menschen vorzulegen. Dann habe ich mir den Koalitionsvertrag angeschaut und mir gedacht: Haben Sie den Koalitionsvertrag nicht gelesen,
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oder haben Sie ihn gelesen und den Antrag trotzdem gestellt? Wenn Sie ihn gelesen haben – die Interpretationsgeschichte haben wir vorhin schon diskutiert – und den Antrag trotzdem gestellt haben, dann ist das eher Populismus. Populismus ist bei diesem wichtigen Thema, das wir heute diskutieren, aber wirklich nicht angebracht. Wir müssen an der Sache arbeiten. Wir müssen verantwortungsvoll mit diesem Thema umgehen und ein gemeinsames Ziel umsetzen, nämlich den Menschen, die lange arbeitslos sind, neue Perspektiven und neue Chancen zu geben.
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– Sie haben keine Antwort darauf gegeben, wie wir es denn machen sollen.
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Das ist, glaube ich, auch das Problem Ihres Antrags.
Wir, CDU und CSU gemeinsam mit der SPD – hoffentlich, nach diesem Sonntag –, haben als gemeinsames Ziel, in einer gemeinsam getragenen Bundesregierung Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt für langzeitarbeitslose Menschen zu schaffen. Wir haben vier Punkte in einem ganzheitlichen Ansatz. Das geht von der Qualifizierung über die Vermittlung bis zur Reintegration von Menschen, die schon lange arbeitslos sind, und ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Betreuung der Familie. Das ist, glaube ich, ein Gesamtpaket, das die Thematik sehr verantwortungsvoll abdeckt.
Lieber Kollege der AfD, ich denke, man muss den Blick manchmal weiten, die Zahlen ganz konkret anschauen und vielleicht auch wirklich mal ins konkrete Leben der Menschen gucken, damit man über solche Themen verantwortungsvoll reden kann. Es gibt auch deutsche Menschen, die lange arbeitslos sind, die darauf hoffen, in Arbeit zu kommen, um verantwortungsvoll ihre Familie ernähren zu können. Dass es so kommt, muss Ziel unserer Politik sein. Da hilft kein Populismus von Ihrer Seite. Es ist schade und traurig, dass man in diesem Hohen Hause so populistisch diskutieren muss.
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Meine Zeit geht zu Ende. Ich habe noch 27 Sekunden; die werde ich nutzen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Ich bitte Sie, gemeinsam einen Antrag auf den Weg zu bringen. Die Bundesregierung hat angekündigt, dieses Thema sehr schnell anzugehen, wenn die Koalition zustande kommen sollte. Es gilt, eine gemeinsame Lösung zu finden, den Menschen, die länger in Arbeitslosigkeit verharren müssen, ganz konkrete Perspektiven zu geben, sodass sie eine Zukunft haben und ihre Familie ernähren können.
Jetzt ist meine Redezeit zu Ende. Deswegen komme ich zum Schluss. Ich würde Sie bitten, dass wir dieses Thema anders diskutieren, als es der Redner der AfD gerade gemacht hat. Das war aus meiner Sicht nicht angemessen. Manchmal muss man auch den richtigen Ton treffen.
Ein herzliches Dankeschön für die Aufmerksamkeit.
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Vielen herzlichen Dank, Peter Aumer. – Nächste Rednerin: Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, das uns – es ist schon erwähnt worden –, sollten wir am Sonntag die Mehrheit der Mitglieder für eine Große Koalition gewonnen haben, ganz sicher in der nächsten Legislatur sehr intensiv beschäftigen wird.
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Das ist auch gut so; denn wir sind sehr stolz auf das, was wir dort erreicht haben.
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Während wir in der letzten Legislatur über Modellvorhaben nicht hinauskamen, schaffen wir jetzt ein Regelinstrument im SGB II. Wir erhöhen den Eingliederungstitel, wir erhöhen die Restmittelübertragung, und wir schaffen den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer – in Hessen hieß das früher „Arbeit statt Sozialhilfe“.
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In der letzten Legislatur sind wir noch an den ideologischen Schranken, vor allem im Finanzministerium, gescheitert. Jetzt ist anerkannt worden, dass eben nicht alle Menschen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt gehen, aber trotzdem sinnvolle und produktive Arbeit leisten können.
Wie sieht es aus in weiten Teilen des ersten Arbeitsmarktes? Früher war es doch so: Der Sohn, der den Eltern viele Sorgen gemacht hat, und auch die Mitarbeiterin, die gesundheitliche Probleme hatte, hatten trotzdem ihren Platz im Betrieb. Heute müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft 150 Prozent geben. Viele davon schaffen das nicht. Psychische und körperliche Erkrankungen resultieren aus Arbeitsverdichtung, zunehmendem Termin- und Zeitdruck, Entgrenzung der Arbeit. Das alles sind Phänomene, die wir kennen und die wir hier auch schon diskutiert haben.
Ich bin froh, dass wir das Thema heute mit dem Antrag der Grünen, aber zukünftig sicher im Rahmen eines umfassenden Gesetzesvorhabens diskutieren werden; denn über den Koalitionsvertrag und über den Antrag der Grünen hinaus werden uns viele Frage im Zusammenhang mit dem sozialen Arbeitsmarkt im Detail noch beschäftigen.
Welchen Personenkreis wollen wir wie lange im sozialen Arbeitsmarkt fördern und mit welchem Ziel? Immer gleich in den ersten Arbeitsmarkt, oder müssen wir nicht viel stärker als bisher auch das Ziel der sozialen Integration und der gesellschaftlichen Teilhabe in den Blick nehmen? Das gilt für das gesamte SGB II. Welche gesellschaftliche Bedeutung kann ein sozialer Arbeitsmarkt noch haben? Es gibt immer mehr Arbeit, die aber oftmals nicht bezahlt wird: sei es bei mir vor Ort die Essensversorgung in den Schulen, die kein privater Caterer mehr übernimmt, weil es sich für ihn nicht rentiert, oder seien es haushaltsnahe Dienstleistungen in einer immer älter werdenden Gesellschaft, seien es Aufgaben im Umweltbereich oder an vielen anderen Stellen. Da fallen Ihnen sicher selbst gute Beispiele von Arbeiten ein, die gesellschaftlich sinnvoll und notwendig sind. Aber der Markt regelt diesen Bedarf nicht.
Deshalb ist der Hinweis der Grünen auf das „Budget für Arbeit“ für Menschen mit Behinderungen ganz richtig; denn es geht auch um einen inklusiven Arbeitsmarkt. Ich würde noch weitergehen: Warum muss man erst den Rechtskreis wechseln, um die vielleicht passende Unterstützung zu bekommen?
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Wir haben so viele Akteure mit viel Erfahrung und viel Kompetenz. Aber in unseren Betrieben geht die Fähigkeit, Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, zu integrieren, immer mehr verloren. Wer sich in den privaten Betrieben im Rahmen unserer Programme auf den Weg macht, der muss besser und einfacher unterstützt werden, als das bisher der Fall ist.
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Wir haben aber auch Integrationsbetriebe. Wir haben Werkstätten, soziale Beschäftigungsträger und Ausbildungsträger. Wir haben viele, die vieles können und dem Leben vieler Menschen einen Sinn und Halt geben. Wie können wir das System öffnen und durchlässig machen, und wie können wir es schaffen, unsere Ressourcen effizienter zu nutzen und keinen mehr im Gewirr der Zuständigkeiten und der Maßnahmen zurückzulassen? Wie finden wir für jeden und jede einen guten Platz, um teilzuhaben? Das wird die große Aufgabe sein. Mit dem Koalitionsvertrag werden wir erste Schritte gehen können. In diesem Sinne: Los geht’s!
Glück auf!
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Vielen Dank, Dagmar Schmidt. Sie haben sich auf die Sekunde an die Redezeit gehalten; damit legen Sie natürlich eine große Hürde für den letzten Redner in dieser Debatte, dem ich das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag gebe: Thomas Heilmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen seit 35 Minuten über Ihren Antrag, der aus meiner Sicht schon in der Überschrift eine kleine Mogelpackung enthält. Der Antrag heißt: Neue Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen. – Der Antrag ist aber nicht neu. Sie haben ihn so oft gestellt und zu einer Bundestagsdrucksache gemacht, dass es selbst mir als neuem Bundestagsabgeordneten aufgefallen ist, wie oft Sie sich wiederholen. Besonders schal ist Ihr Ritual – meine Vorredner haben es gesagt –, da Sie weder die Koalitionsverhandlungen noch die Sondierungsvereinbarung mit irgendeinem Wort erwähnen. Die Sondierungsvereinbarung ist sieben Wochen alt. Darin heißt es wörtlich:
Dazu schaffen wir … ein neues … Regelinstrument im Sozialgesetzbuch II „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“.
Des Weiteren steht darin, dass wir 4 Milliarden Euro dafür ausgeben wollen. Ich frage mich: Wieso wiederholen Sie eigentlich alte Anträge, ohne den aktuellen Stand zu berücksichtigen? Wem soll das eigentlich dienen?
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Sie alle wissen – das haben auch alle Vorredner gesagt –: Wir wollen im Kern dasselbe. Wir wollen Langzeitarbeitslose aus ihrem Kreislauf herausholen. Dabei müssen wir uns insbesondere um die schwierigen Zielgruppen kümmern. Das ist wichtig. Frau Zimmermann, Sie sagen, wir würden nicht über die Schattenseiten reden.
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Doch, die kennen wir. Aber Sie reden nicht über die Erfolge.
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In den zehn Jahren vor 2006 pendelte die Zahl der Langzeitarbeitslosen zwischen 1,5 Millionen und 1,8 Millionen. Erst seit 2006 sinkt ihre Zahl signifikant. Im Antrag der Grünen steht die korrekte Zahl: 850 000. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist also von 1,6 Millionen auf 850 000 zurückgegangen. Das sind immer noch zu viele. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist aber unter der Regierung Merkel besonders stark gesunken; auch das sollte man nicht verschweigen.
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Wir verhehlen nicht, dass Zusätzliches getan werden muss. Das haben wir auch vereinbart. Ich kann Sie von den Grünen also beruhigen: Eine Weiterentwicklung der Instrumente im SGB II wird kommen. Deswegen brauchen wir weder Ihren Antrag noch Ihre Belehrungen darüber, dass dieses Thema wichtig ist. Ihr Antrag ist im Kern doppelt so lang wie die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag, aber irgendwie nur halb so wirksam, um Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren. Kai Whittaker hat es gesagt: Ihnen fehlt die Zielgruppenspezifizierung. – Insofern bringt Ihr Antrag leider nicht viel.
Das gilt erst recht, Herr Springer, für Ihre Äußerungen. Herr Springer, Sie haben sich in den „Potsdamer Neueste Nachrichten“ offen dazu bekannt, dass Sie Populismus richtig finden. Sie sprechen davon, er sei eine hohe Kunst. Das finde ich schon bedenklich. Schaut man in Ihr Wahlprogramm, wird es besonders erstaunlich. Sie schreiben dazu eine Viertelseite. Darin versprechen Sie allen Langzeitarbeitslosen gemeinnützige Bürgerarbeit, die sozialversicherungspflichtig entlohnt werden soll.
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Zwei Spalten weiter sprechen Sie von Eigenverantwortung. Und noch eine Spalte weiter – es steht alles auf derselben Seite – steht, dass die Ausgaben des Staates stark sinken sollen. – Das ist nicht nur extrem kurz, sondern auch extrem sinnfrei.
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Sie versprechen nämlich einfach allen alles, obwohl es sich eindeutig widerspricht. Ich nenne das Pippi-Langstrumpf-Politik nach dem Motto: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.
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– Singen kann ich leider nicht. – Herr Springer, das ist keine Kunst. Ich finde, das ist ziemlich verantwortungslos. Sie versprechen Langzeitarbeitslosen Dinge, die Sie nicht halten können und beschimpfen uns, die wir etwas gegen die Langzeitarbeitslosigkeit tun, weil wir uns angeblich nur um Migration kümmern.
Meine Damen und Herren, meine Rede ist nicht nur der Abschluss dieses Tagesordnungspunktes, sondern auch – wenn man die letzte Debatte außen vor lässt – der Schlusspunkt in einer bisher einmaligen Debattenzeit in diesem Parlament ohne eine stabile Koalition. Am Wochenende werden wir wissen, wie es weitergeht. Ihnen allen wünsche ich, mit Erlaubnis der Präsidentin, schon jetzt ein schönes Wochenende
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und den Sozialdemokraten das richtige Ergebnis.
Vielen Dank.
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Franz Beckenbauer hätte jetzt gesagt: Schaun mer mal. – Vielen Dank, Thomas Heilmann. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/591 an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr geehrte Frau Präsident! Ich bin sehr froh, dass Sie heute hier sind, aus Augsburg, der Stadt, in der der Dieselmotor einst erfunden worden ist.
Sehr geehrte Abgeordnete! Ende 2017 gab es für die Mitglieder des ADAC eigentlich einen Grund, sich zu freuen. Ein Beitrag im klubeigenen Magazin zeigte in anschaulichen Grafiken eine deutliche Verbesserung der Stickoxidbelastungen der Außenluft in Deutschland. Die Gesamtemissionen sind auf gut ein Drittel des Wertes von 1990 zurückgegangen, die Jahresmittelwerte sanken in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um ein Drittel. Der Beitrag trägt den Titel „Das Diesel-Desaster“. Das ist ein prophetischer Titel; denn die Politik, die aktuell um den Dieselmotor betrieben wird, ist genau das: ein Desaster.
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Zwar gibt es schon den Beweis, dass die politischen Entscheidungen der letzten 10 bis 20 Jahre tatsächlich zu einem positiven Ergebnis, nämlich einer deutlichen Verbesserung der Luftqualität im Lande geführt haben, aber trotzdem stimmen die bekannten politischen Akteure grundlos eine hysterische Kakophonie irrwitziger Maßnahmen zur Hinrichtung einer bewährten wirtschaftlichen und ökologisch vorteilhaften Technologie an. Warum? Das ist ganz einfach: Ihnen läuft das Thema davon. Hält nämlich der nachgewiesene Trend der Luftverbesserung noch circa drei bis vier Jahre an – und alles sieht danach aus –, dann wird die Liste der Städte, die die jährlichen Luftreinhaltungskriterien verfehlen, kürzer und kürzer werden und schließlich ganz leer bleiben.
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Allein von 2016 auf 2017 haben sich 20 von 90 Städten aus dieser Liste verabschiedet. Das ist ein Rückgang von 22 Prozent in einem Jahr. Wenn das so weitergeht, werden die Bürger womöglich erkennen, dass Sie einen lebenswichtigen Industriezweig gefährden und Millionen Dieselfahrer mehr oder minder enteignen, nur um das zu tun, was Sie am besten können: grundlose Panik verbreiten.
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Sie benutzen dazu ausgewählte Negativstandorte als solche, die mit Abstand die höchsten Stickoxidwerte zeigen, um damit einen akuten Notstand darzustellen, der faktisch überhaupt nicht existiert.
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Als „zehnte Hölle“ der Stickoxidbelastung dient dabei die Landshuter Allee in München, die im Jahr 2017 einen Jahresmittelwert von 78 Mikrogramm pro Kubikmeter statt der zugelassenen 40 aufwies.
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Das ist aber nicht repräsentativ für den Großraum München. Betrachten wir doch einfach die Luftgüteleitlinien der WHO. Dort wird festgestellt, dass Konzentrationen jenseits von 1 880 Mikrogramm pro Kubikmeter nötig sind, um überhaupt Veränderungen der Lungenfunktion bei gesunden Erwachsenen hervorzurufen. Selbst bei Personen, die unter Asthma oder chronischer Bronchitis leiden, konnten bei Werten bis 940 Mikrogramm pro Kubikmeter keine eindeutigen Nachweise über eine weiter gehende Beeinträchtigung der Lungenfunktion gefunden werden. Interessant wird es bei den angeblichen Sterblichkeitsraten. Es kommen ja angeblich Zigtausende durch Stickoxide ums Leben. Ich erinnere an vorgestern, als mein Kollege Marc Bernhard die Bundesumweltministerin – sie sitzt hier – nach den statistischen Sterblichkeitsnachweisen aus der Zeit der hohen Stickoxidbelastungen in den 90er-Jahren fragte. Sie konnte ihm keine nennen. Gott sei Dank, sonst wäre das schlimm. Aber auch dazu lesen wir in der WHO-Studie: Kein Zusammenhang zwischen täglichen Stickoxidwerten und einer täglichen Sterblichkeitsrate wurde in Köln gefunden, bei jährlichen Mittelwerten von 45 Mikrogramm pro Kubikmeter und Spitzenwerten von 176 Mikrogramm pro Kubikmeter. – Das Zahlenmaterial stammt aus dem Jahr 1996.
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So konnte weder in Lyon, Paris oder Amsterdam noch in Rotterdam oder Helsinki irgendeine gesteigerte Sterberate mit den Stickoxidwerten in Zusammenhang gebracht werden; dank den epidemiologischen Studien der WHO.
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Echte toxikologische Studien wären natürlich besser gewesen. Aber dank Ihrer Hochschulpolitik ist die Toxikologie in Deutschland am Aussterben. Hauptsache, wir haben 250 Genderstudienlehrstühle, die sich darüber unterhalten können,
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ob sich NO x heute weiblich oder männlich fühlt.
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Was bleibt also unter dem Brennglas nüchterner wissenschaftlicher Betrachtungen von der alarmistischen Antidieselkampagne der letzten Monate übrig? Eigentlich nichts, außer dem Verdacht, dass viele Kollegen und mindestens eine ganze Partei ihre politische Daseinsberechtigung in diesem Hause nur dadurch simulieren können, dass sie uns immer neue Weltuntergangsszenarien präsentieren, von denen sie dann den Wählern mit irrationalem Aktionismus Erlösung versprechen.
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Das, meine Damen und Herren, braucht unser Land nicht, aber es braucht den Dieselmotor und eine Automobilindustrie, die nicht von politischer Quacksalberei in ihrer Existenz gefährdet wird.
Zum Abschluss: Es ist gerade einmal eine Woche her, da haben Sie über die Freigabe von Cannabis diskutiert.
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Aber Cannabisrauch enthält Stickoxide genau wie Tabakrauch, nämlich bis zu 300 000 bis 400 000 Mikrogramm pro Kubikmeter.
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Das wollten Sie in Deutschland freigeben.
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Vielen Dank. Mahlzeit. Wir brauchen das nicht.
Danke.
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Vielen Dank, Rainer Kraft. – Nächster Redner für die Bundesregierung: Norbert Barthle, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kraft von der AfD, auch wenn ich Ihre politischen Wertungen nicht teile, darf ich Ihnen in einem Recht geben: Es gibt tatsächlich keine einzige medizinische Studie, die einen kausalen Zusammenhang
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zwischen den in Rede stehenden Grenzwerten und Todesfällen herstellt. Das ist so.
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In dieser Woche dürfen wir uns zum wiederholten Male mit dem Thema Diesel auseinandersetzen. Das, meine Damen und Herren, ist gar nicht so schlecht; denn davon sind viele Menschen betroffen, vor allem wenn es um die Frage der Zukunft dieser Technik geht: entweder als Dieselfahrer, als künftige Dieselkäufer, als Beschäftigte in der Automobilindustrie oder als Bürger und Bürgerinnen in einer der Städte, die von überhöhten Grenzwerten betroffen sind und in denen die Grenzwerte noch – ich betone: noch – überschritten werden. Eines will ich vorab festhalten: Die Emissionswende in unseren Städten hat längst begonnen.
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Am Dienstag dieser Woche haben wir ein Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Kenntnis genommen, das konkrete Wege aufzeigt, mit welchen Maßnahmen die Luft weiter verbessert werden kann. Das Gericht hat aber ausdrücklich keine Fahrverbote angeordnet. Es hat sogar hohe Hürden für die Einführung von Fahrverboten errichtet. Aus Leipzig kam ausdrücklich auch kein Votum für eine blaue Plakette.
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Aus unserer Sicht bleibt eine blaue Plakette das Gegenteil von gezielter Politik. Sie wäre nichts anderes als eine kalte Enteignung von Millionen von Dieselfahrern.
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Davor, meine Damen und Herren, werden wir die Menschen schützen, zumal die Frage zu klären wäre, ob eine blaue Plakette überhaupt der erforderlichen Verhältnismäßigkeit entspricht. Falls man doch Verbote braucht, dann gibt es unserer Ansicht nach intelligentere Möglichkeiten für die Kontrolle ihrer Einhaltung als eine blaue Plakette. Das zeigt schon der Blick in andere europäische Städte.
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Lassen wir einmal die ideologischen Interpretationen weg. Wir wollen nicht weiter das Schlechtreden des Diesels und das Schlechtreden einer ganzen Industrie vorantreiben. Wir müssen festhalten: Die Luft in unseren Städten wird immer besser und besser, und zwar deutschlandweit.
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Kollege Oliver Wittke wird vielleicht nachher nochmals die Werte nennen, die er in dieser Woche von dieser Stelle aus schon einmal gebracht hat, und sagen, wie sich die Stickoxidwerte in den Städten verbessert haben. Das ist so zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Dieselmotoren – auch das will ich sagen – sind nach wie vor ein hervorragendes Produkt deutscher Ingenieurskunst.
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Unsere Ingenieure haben es geschafft, alle relevanten Schadstoffe aus den Dieselabgasen weitestgehend zu eliminieren.
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Feinstäube sind seit der Einführung des Rußpartikelfilters kein Problem mehr, und die Stickoxidprobleme sind mit dem Durchbruch beim SCR-Katalysator ebenfalls in den Griff zu bekommen.
Seit September 2017 erhält ein Dieselfahrzeug keine Genehmigung bzw. keine Zulassung mehr, wenn es nicht den strengen Euro-6d-Temp-Normen genügt.
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Mit dieser Norm sind diese Fahrzeuge, Herr Krischer, auch RDE-fähig. Das heißt, dass die Schadstoffausstöße auch im Regelbetrieb, im Realbetrieb deutlich niedriger sind. Deshalb muss man festhalten: Neue Dieselfahrzeuge sind sauber. Mit jedem neuen Dieselfahrzeug, das in den Verkehr gebracht wird, wird die Luft wieder ein Stück besser.
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Ich sage es nochmals – die Zahl wurde schon genannt –: Viele Städte stellen rückläufige Emissionswerte fest. Von den 90 Städten, die die Grenzwerte überschritten haben, überschreiten jetzt noch 70 Städte die Grenzwerte. Und in einem großen Teil dieser 70 Städte werden die Grenzwerte nur marginal, um wenige Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, überschritten. In meiner Heimatstadt Schwäbisch Gmünd sind es ganze 3 Mikrogramm.
Ich bin überzeugt: Mit den intelligenten Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben,
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wird es uns gelingen, die Luft auch in den Städten, die noch betroffen sind, bis 2020 so weit zu säubern, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Wir haben mit den Autokonzernen vereinbart, dass 5,3 Millionen Diesel-Pkw der Schadstoffklassen 5 und 6 nachgerüstet werden.
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Damit werden wir allein für diese Fahrzeuge bis Ende 2018 die Stickoxidemissionen um rund 30 Prozent reduzieren können. Gleichzeitig haben wir Kaufanreize für moderne Dieselfahrzeuge auf den Weg gebracht. Die Hersteller haben sich bereit erklärt, Wechselprämien in der Höhe von bis zu 10 000 Euro auszuloben, um damit neue Dieselfahrzeuge besser und schneller in den Markt zu bringen.
Wir haben die bestehenden Förderkulissen aufgestockt, das effektive und schlagkräftige „Sofortprogramm Saubere Luft 2017 bis 2020“ gestartet. 1 Milliarde Euro steht zur Verfügung, um den Städten, die betroffen sind, gezielt helfen zu können. Wir wollen nicht diejenigen Bürgerinnen und Bürger treffen, die ab und zu in eine Stadt fahren, sondern wir wollen die Fahrzeuge, die sich tagtäglich in der Stadt bewegen, elektrifizieren oder deren Emissionen mindern; denn diese sind von morgens bis nachts in den Städten bzw. Ballungsräumen unterwegs. Dabei geht es um Busse und Taxen. Es geht um Liefer- und Entsorgungsfahrzeuge sowie Nutzfahrzeuge usw. Deshalb müssen wir bei diesen das Ziel ins Auge fassen.
Die Elektrifizierung unseres ÖPNV ist ein weiteres Beispiel. Das gehen wir engagiert an – mit entsprechender Unterstützung und auch dem Aufbau einer flächendeckenden Ladesäuleninfrastruktur. Beides gehört zusammen. Mit dem Sofortprogramm haben wir auch die Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme auf den Weg gebracht. Mit digitaler Verkehrslenkung können Verkehrsströme wesentlich intelligenter und effizienter gelenkt werden.
Meine Damen und Herren, rollende Verkehre sind immer weniger emissionsträchtig als Stop-and-go-Verkehre; das ist offenkundig. Deshalb muss es auch um intelligente Verkehrslenkung gehen.
All das, was ich kurz erwähnt habe, zeigt: Wir unterstützen unsere Städte und unsere Kommunen schnell und unbürokratisch, um dort die Luft besser machen zu können. Bessere Luft heißt auch bessere Lebensqualität. Deshalb wollen wir den Trend der vergangenen Jahre fortsetzen und intensivieren.
Nochmals: Die Stickoxidbelastungen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen,
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bzw. signifikant gesunken: im Straßenverkehr seit dem Jahr 2000 um 70 Prozent. Wenn ich den Vergleichszeitraum 1990 bis 2000 betrachte oder den Zeitraum vor 1990 wähle, dann stelle ich fest, dass die Werte damals wesentlich höher waren. Ich habe zehn Jahre lang direkt am Neckartor in Stuttgart gearbeitet; ich müsste eigentlich schon lungenkrank sein. Bin ich aber nicht.
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Ich wiederhole: Wir werden es bis 2020 schaffen, dass unsere Städte die Grenzwerte einhalten. Wir wollen damit mehr Mobilität mit weniger Emissionen erreichen. Wir wollen weder Fahrverbote noch eine blaue Plakette. Wir wollen mit intelligenten Maßnahmen unseren Städten und Gemeinden helfen, dass sich die Luft- und die Lebensqualität verbessern.
({15})
Denn mehr Mobilität bedeutet mehr Lebensqualität, und ohne Mobilität gibt es auch keine Prosperität.
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Auch der Zusammenhang muss gewahrt bleiben; denn so sieht unserer Ansicht nach verantwortungsvolle Politik aus.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Norbert Barthle. – Jetzt kommt die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Thema „Diesel und Luftreinhaltung“ geht es in erster Linie um die Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern.
({0})
Wenn sich also die Bundesregierung, das Bundesverwaltungsgericht oder die Europäische Kommission um das Thema „saubere Luft“ kümmern, dann geht es nicht gegen irgendjemanden, nicht gegen Autofahrer, nicht gegen die Automobilindustrie, sondern es geht zunächst einmal um den Gesundheitsschutz für Menschen.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Woche das Recht der Bevölkerung auf saubere Luft in den Städten bekräftigt, und das Gericht hat keine Fahrverbote verhängt, sondern Rechtsklarheit darüber geschaffen, inwieweit Kommunen den Verkehr einschränken dürfen, um die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Allerdings können die Kommunen Fahrverbote verhängen, wenn das die einzige Möglichkeit ist, die Grenzwerte einzuhalten.
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Das bedeutet: Länder und Gemeinden müssen bei der Fortschreibung ihrer Luftreinhaltepläne Fahrverbote als letzte Möglichkeit künftig in ihre Maßnahmenkataloge aufnehmen.
Das heißt aber nicht, dass Fahrverbote von heute auf morgen in Kraft treten. Ziel der Bundesregierung ist und bleibt, dass Fahrverbote möglichst nie in Kraft treten müssen.
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Nach dem Urteil haben mögliche, nicht auszuschließende Verbote verhältnismäßig zu sein; sie sind als Instrument Ultima Ratio und nicht der erste Schritt. Wir werden mit den Ländern und Kommunen schnellstmöglich besprechen, welche Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen sind, sobald die Begründung des Urteils vorliegt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss jetzt darum gehen, gerade den am meisten belasteten Städten – es sind etwa 20 – und ihren Bürgerinnen und Bürgern alle Unterstützung zu bieten, um das Problem zu lösen und die Verkehrssysteme sauberer zu machen. Als Bundesregierung haben wir dafür schon vor einiger Zeit das „Sofortprogramm Saubere Luft“ gestartet. Darin enthalten sind Förderprogramme, um die Schadstoffbelastung wirkungsvoll zu senken – zum Beispiel unser Förderprogramm für Elektrobusse.
Bei solchen Maßnahmen werden wir es aber nicht belassen. Wir wollen neue Regeln für den Schadstoffausstoß von Taxis und Bussen festlegen, notfalls auf bestimmten Strecken Durchfahrverbote für ältere Lkw verhängen, die Elektromobilität weiter ausbauen und den öffentlichen Nahverkehr attraktiver gestalten.
Wir wollen und brauchen eine echte Verkehrswende.
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Wenn wir es schaffen, aus dieser Krise eine Chance zu machen, wird das die Lebensqualität in unseren Städten deutlich verbessern. Und wenn es die Automobilindustrie schafft, aus dieser Krise eine Chance zu machen, dann wird sie auch künftig noch Dieselfahrzeuge – als wichtige Brückentechnologie – verkaufen können.
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Einen substanziellen Beitrag kann die technische Nachrüstung von Dieselfahrzeugen leisten, sofern sie technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Wir haben jetzt einen Zeitraum vor uns, bis wirklich Fahrverbote kommen könnten. Diesen Zeitraum müssen wir nutzen, um solche Fahrverbote möglichst noch abzuwenden. Diesen Zeitraum muss auch die Autoindustrie nutzen: für die Nachrüstung älterer Diesel,
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für die Weiterentwicklung sauberer Diesel und für einen Umstieg auf Elektromobilität und andere alternative Antriebe.
Ich hielte es für zutiefst ungerecht, wenn Autofahrer, die sich mit gutem Gewissen noch vor kurzem einen neuen Diesel gekauft haben, jetzt das Problem ausbaden müssten.
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Es kann sich auch nicht jeder einfach ein neues Auto leisten. Die Verursacher des Problems sind die Autohersteller – und die dürfen wir nicht aus der Verantwortung entlassen.
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Darauf haben die Verbraucherinnen und Verbraucher einen Anspruch.
Es liegt aber auch im Eigeninteresse der Unternehmen. Das betone ich gerade auch mit Blick auf die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche. Für sie geht es um gute Arbeitsplätze, aber auch für sie geht es um Luftqualität und Gesundheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nicht nur Software-Updates, sondern auch technische Nachrüstungen von Dieselfahrzeugen, die so viel bringen, dass der Stickoxidausstoß deutlich sinkt
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und man damit weiter in die Innenstädte fahren kann.
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Dann gibt es auch keinen Wertverlust.
Wer seinen Diesel nachrüsten will und kann, der sollte darauf bauen können, dass der Hersteller das übernimmt. Ich hoffe sehr, dass jetzt alle an einem Strang ziehen, um die technische Nachrüstung gegenüber den Autoherstellern durchzusetzen, selbstverständlich nur, wenn sie technisch möglich und wirtschaftlich vernünftig ist.
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Ich habe das bereits seit dem letzten Sommer immer wieder gefordert.
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Wenn die Automobilindustrie damals schon eingelenkt hätte, wären wir heute weiter. Meine Prognose ist: Wenn der Druck im letzten Jahr noch nicht groß genug war – jetzt dürfte er es sein.
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Auch die Handwerker haben sich gestern entsprechend geäußert.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend festhalten: Sollten sich Fahrverbote in der Folge des Gerichtsurteils nicht vermeiden lassen, dann dürfen wir die Kommunen damit nicht alleine lassen.
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Auch die Autofahrerinnen und Autofahrer dürfen nicht die alleinigen Leidtragenden sein. Deshalb ist für mich die Reihenfolge des weiteren Vorgehens ganz klar vorgegeben: Die Autohersteller müssen die Verantwortung für die technische Nachrüstung übernehmen. Dann müssen wir verhindern, dass mögliche Fahrverbote zu paradoxen Ergebnissen führen. Es wäre nicht zu vermitteln, wenn alle Dieselfahrzeuge aus den Städten ausgesperrt werden, selbst wenn sie von ihren Besitzern nachgerüstet wurden oder es sich um besonders saubere neue Modelle handelt. Auch muss es möglich sein, soziale Härten zu vermeiden und Sonderregelungen, zum Beispiel für Handwerker, zu finden.
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In diese Richtung gehen auch die Hinweise des Gerichts, dass Fahrverbote verhältnismäßig sein müssen. Dabei hat das Gericht dargelegt, dass der Vollzug für die Kommunen auch ohne bundesweite Kennzeichnungsregelung möglich ist, eine solche Regelung den Vollzug aber vereinfachen würde.
Überall dort, wo Kommunen von möglichen Fahrverboten betroffen sind, hören wir, übrigens parteiübergreifend, dass es für die Umsetzung einer Positivkennzeichnung bedarf. So hat sich ganz aktuell Ihr Landesvorsitzender, der Innenminister aus Baden-Württemberg, Herr Strobl, geäußert, lieber Kollege Barthle. Deshalb bin auch ich der Meinung, dass eine solche Kennzeichnung für den Vollzug hilfreich wäre.
Um es den Skeptikern noch einmal ganz deutlich zu sagen: Eine Positivkennzeichnung führt nicht zu Fahrverboten, sondern umgekehrt: Dort, wo Fahrverbote als letztes Mittel unvermeidlich sein sollten, brauchen wir eine Positivkennzeichnung, auch um Ungerechtigkeiten und Härten möglichst zu vermeiden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden schnell nach Vorliegen der Urteilsbegründung Länder und Kommunen zu einem Gespräch einladen; denn selbstverständlich wollen wir ihnen bei der Umsetzung des Urteils und bei der Vermeidung von Fahrverboten helfen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Barbara Hendricks. – Nächster Redner in der Debatte: Frank Sitta für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe aufmerksam zugehört. Um ehrlich zu sein: Eine stringente Richtung in der Argumentation der geschäftsführenden Bundesregierung erkenne ich noch nicht.
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Ich habe den Eindruck, als wären noch viel mehr Parteien neu im Deutschen Bundestag, die sich an die Lösung von aktuellen Problemen machen.
Ich will Ihnen aus Sicht der Freien Demokraten zwei, drei Worte dazu sagen. Erstens möchte ich ganz klar feststellen, dass die Luftqualität in unseren Städten in den letzten Jahrzehnten deutlich besser geworden ist.
({1})
Zweitens. Es sind statistisch immer weniger Menschen, deren Lebenszeit durch das Einatmen von Luftschadstoffen aus dem Straßenverkehr verkürzt wird, und nicht mehr.
Eines möchte ich hier auch ganz klar sagen, weil es mir sehr wichtig ist: Für den Wohlstand in unserem Land spielt Technologieoffenheit bei Fahrzeugantrieben eine ganz entscheidende Rolle.
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Dazu gehören nicht nur die Elektromotoren, sondern auch die hochentwickelten Verbrennungsmotoren, darunter der Diesel.
({3})
Außerdem trägt die Automobilindustrie in einem nicht unerheblichen Maße zum Wohlstand bei, der in Deutschland dafür sorgt, dass die Menschen älter werden und nicht früher sterben.
({4})
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden – das hat Frau Dr. Hendricks richtig gesagt –, dass Verkehrsverbote für Dieselkraftfahrzeuge unter besonderen Umständen möglich sind, dann nämlich, wenn sie sich zur Einhaltung der Grenzwerte als die einzig geeignete Maßnahme erweisen sollten.
Erlauben Sie mir, an dieser Stelle ein Wort zu den Grenzwerten zu verlieren: Staatlich festgelegte Grenzwerte sind nicht gottgegeben, sondern selbstverständlich menschengemacht.
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Deshalb müssen sie – auf der Grundlage der Wissenschaft – auch regelmäßig wissenschaftlich überprüft werden.
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Die Freien Demokraten fordern deswegen die EU-Kommission dringend auf, die Außenluftgrenzwerte für Stickstoffdioxid erneut wissenschaftlich zu überprüfen.
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Es darf nämlich nicht sein, dass die Menschen in unserem Land zu Opfern zumindest fragwürdiger Grenzwerte werden, die wissenschaftlichen Überprüfungen kaum standhalten.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie können die Maßnahmen aussehen, die uns in dieser Situation weiterbringen, mit denen wir die Situation bewältigen können? Ich sage es für meine Fraktion ganz klar: Die Fahrzeughalter haben ihre Dieselfahrzeuge in Treu und Glauben erworben, in dem Vertrauen, dass sie mit der Zulassung ihr Fahrzeug auf deutschen Straßen nutzen können. Flächendeckende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge müssen daher unbedingt vermieden werden; denn die Folge davon wäre eine Enteignung von Fahrzeughaltern, und dagegen sprechen sich die Freien Demokraten explizit aus.
({9})
Wir werben stattdessen für ein Bündel an Maßnahmen – ein paar sind schon genannt worden; ich nehme positiv zur Kenntnis, dass die geschäftsführende Bundesregierung da auf dem richtigen Weg ist –: Wir wollen zum Beispiel Vorschriften abschaffen, die innovativen Mobilitätslösungen wie Carsharing, Ridesharing usw. unnötig im Wege stehen. Wir wollen mehr intelligente Verkehrsleitsysteme, um Staus zu vermeiden. Wir wollen auch eine erhöhte Elektrifizierung des Nahverkehrs.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, es gibt eine ganze Reihe von sinnvollen und noch dazu weniger drastischen Maßnahmen. Solange diese Möglichkeiten nicht ausgereizt sind, darf es in Deutschland keine Fahrverbote geben.
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Ein letztes gewichtiges Argument gegen das Fahrverbot ist der Flottenaustausch. Die Dieselflotte wird stetig neuer und abgasärmer,
({11})
weil sich die Menschen ganz selbstverständlich sukzessive neuere Modelle kaufen. In nur wenigen Jahren wird sich also, auch durch die weiteren Maßnahmen, die ich gerade genannt habe, das Thema wahrscheinlich ganz von alleine erledigt haben. Es wäre in der jetzigen Situation also geradezu absurd, massiv in die Freiheit und die Eigentumsrechte der Autofahrer einzugreifen, um ein Problem zu lösen, das sich in zwei, drei Jahren vielleicht ganz von alleine löst.
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Es wäre genauso absurd, Herr Krischer, jetzt Milliarden an Steuergeldern auszugeben,
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um ein Problem zu lösen, das sich, wie gerade erläutert, in zwei bis drei Jahren weitestgehend von selbst lösen wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frank Sitta. – Nächste Rednerin: Ingrid Remmers für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ministerin Hendricks hat meine Worte vorweggenommen: Worum es heute am wenigsten gehen sollte, ist die Zukunft des Dieselmotors. Worum es heute eigentlich gehen muss, ist der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Es geht um die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, dass die europäischen Grenzwerte für Stickoxide acht Jahre nach Beginn ihrer Gültigkeit immer noch nicht eingehalten werden. Und es geht um die Frage, was man mit dieser im wahrsten Sinne des Wortes völlig verfahrenen Lage anfängt.
({0})
Die Bundesregierung wusste schon früh, dass hier offensichtlich ein ganzer Industriezweig die Einstellung entwickelt hat: Wir können tun und lassen, was wir wollen. – Der Umgang der Autoindustrie mit Gesetzen und damit letztlich auch mit dem Leben und der Gesundheit von Menschen, scheint so zu sein, dass man Gesetze als Vorschläge ansieht, und Vorschläge verändert man so lange, bis sie einem passen.
Und was macht die Bundesregierung? Statt die Autoindustrie endlich zu effektiven Maßnahmen zu zwingen, lässt sie sich auf lasche Vereinbarungen mit diesen Gesetzesbrechern ein. Es wird, wenn überhaupt, lediglich die Software verändert, und die Regierung verzichtet auf fällige Strafzahlungen. Was für ein schmutziger Deal!
({1})
Ein schmutziger Deal auf Kosten derer, die unter Atemwegserkrankungen leiden, ein schmutziger Deal zulasten der Gesundheit aller, auch wenn das heute kleingeredet worden ist.
Wenn Politik und Wirtschaft in einem so unglaublichen Maße versagen, dann muss sich wohl eine Umweltorganisation auf den Weg durch die juristischen Instanzen machen, um dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, der Deutschen Umwelthilfe für ihr langjähriges, hartnäckiges und letztendlich erfolgreiches Engagement im Bereich der Luftreinheit zu danken.
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Der wichtigste Teil der kurzfristigen Lösung ist also klar: Die Autoindustrie muss die Fahrzeuge auf eigene Kosten mit einer funktionierenden Abgasreinigung ausstatten.
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Sie können die betrogenen Käufer mit diesem Problem nicht alleinlassen. Die haben sich auf die Versprechen der Autoindustrie verlassen. Dann muss die Autoindustrie auch liefern.
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An dieser Stelle noch ein Wort zur AfD. Sie haben ein vormodernes Verständnis von Demokratie und Industriepolitik.
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Sie meinen offenbar, mit „Grenzwerte rauf!“ und „Raus aus der EU!“ würden alle Probleme verschwinden. Wie mit all Ihren Politikansätzen werden Sie auch damit den Problemen unserer Gesellschaft nicht gerecht. Und Sie wollen ja auch gar keine Probleme lösen. Sie wollen provozieren und sonst nichts.
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Worum es heute also wirklich gehen muss, Kolleginnen und Kollegen, sind die Herausforderungen für die Mobilität im 21. Jahrhundert. Zu diesen Herausforderungen gehört das Thema Luftreinheit, dazu gehört aber auch der Klimawandel insgesamt, dazu gehört notwendige und bezahlbare Mobilität für alle Menschen, und dazu gehört der überfällige Umbau unserer Städte in lebenswerte Städte.
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Die Regierung hat im Feld der Luftreinheit in den letzten Jahren komplett versagt. Aber eine Idee war gut: Ihre Idee eines kostenlosen ÖPNV.
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Das ist wirklich eine brillante Idee. Wir Linke ermutigen Sie ausdrücklich, sich weiterhin ernsthaft mit dieser Idee zu beschäftigen.
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Das geht allerdings nur, wenn wir sicherstellen, dass in einem neuen Nahverkehrs- oder, besser, Mobilitätsplan alle Verkehrsträger berücksichtigt werden.
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Wenn wir diesen Weg gehen, dann müssen wir auch die langfristige Finanzierung des kostenlosen ÖPNV gewährleisten. Wir brauchen also einen umfassenden Plan für eine soziale und ökologische Verkehrswende. Dazu muss auch der Umstieg auf das Rad und die eigenen Füße attraktiver gestaltet werden. Das bedeutet, wir brauchen viel mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger und für moderne – sprich: sozial-ökologische – Massenbeförderungsmittel;
({11})
wir haben ja eben schon einige Beispiele gehört. Dann sparen wir 100 Prozent der Emissionen ein und schaffen Städte mit hoher Lebensqualität.
Es gibt da dieses schöne Zitat des ehemaligen Bürgermeisters von Bogotá, Enrique Peñalosa. Er sagte:
Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Schnellstraßen ab, sondern davon, ob ein Kind auf einem Rad überall unbeschwert hinkommt.
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Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass auch in Deutschland jedes Kind mit seinem Rad unbeschwert überall hinkommt. Für eine solche Gesellschaft und eine solche Mobilität setzt sich Die Linke ein.
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Vielen Dank, Ingrid Remmers. – Nächster Redner in der Debatte: Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es in dieser Debatte? Ich bin ein bisschen erstaunt, dass Frau Hendricks das gar nicht erwähnt hat. Es gibt eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes, die besagt: In Deutschland sterben jedes Jahr mindestens 6 000 Menschen vorzeitig
({0})
aufgrund von Stickoxidemissionen aus dem Straßenverkehr.
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Meine Damen und Herren, auch wenn es nur 600 oder nur 60 wären: Jede Bundesregierung müsste alles unternehmen, damit es nicht zu diesen Todesfällen kommt, damit diese Menschen gesund bleiben bzw. nicht krank werden und damit nicht ein Teil von ihnen am Ende stirbt.
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Ich finde es, ehrlich gesagt, zynisch, wenn sich ein Mitglied dieser Bundesregierung, Herr Barthle, hierhinstellt und sagt: Ich wohne am Neckartor; ich bin nicht krank geworden. – Herr Barthle, reden Sie mal mit Menschen, die lungenkrank sind! Reden Sie mal mit Lungenärzten! Reden Sie mal mit der Weltgesundheitsorganisation!
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Ich bin gespannt, was die Ihnen zu diesem Thema sagen.
Wir führen hier keine Debatte über Grenzwerte. Sie stehen seit Jahren fest, und sie wurden von der Weltgesundheitsorganisation festgelegt. In den USA gelten doppelt so strenge Grenzwerte.
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Meine Damen und Herren, eines ist doch zynisch: Immer dann, wenn es konkret wird und wenn Grenzwerte nicht eingehalten werden können, dann stellen Sie sie infrage. Das ist interessant und für Ihre Umweltpolitik typisch. Das würde ich mir von Ihnen in anderen Politikbereichen wünschen.
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Jetzt stellt sich die Frage: Wo kommt das Ganze her? 70 Prozent der Stickoxidemissionen kommen von Diesel-Pkws,
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und Herr Sitta hat gerade wieder beschrieben, was wir seit zehn Jahren hören, dass sich das Problem nämlich dadurch erledigen wird, dass die Fahrzeuge immer neuer werden. Herr Sitta, das haben wir vor zehn Jahren schon gehört, aber das ist nicht passiert.
Was ist die Ursache? Die Hersteller tricksen und täuschen. Sie haben den Leuten vorgeblich saubere Autos verkauft, in Wirklichkeit waren es Dreckschleudern. Sie haben die Menschen betrogen, und sie sind damit verantwortlich für das Problem in unseren Innenstädten.
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Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie dagegen etwas unternimmt. An dieser Stelle muss das Verursacherprinzip gelten, und die Hersteller müssen dazu gezwungen werden, dass die Fahrzeuge sauber gemacht werden.
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Frau Hendricks, ich höre hier von Ihnen seit drei Jahren in nahezu jeder zweiten Sitzungswoche Forderungen. Das hat nur leider überhaupt nichts mit der Politik dieser Bundesregierung zu tun, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass sich daran bei der neuen kleinen GroKo etwas ändern wird. Gucken Sie sich den Koalitionsvertrag an! Daran ist nicht zu erkennen, dass endlich etwas für saubere Luft unternommen wird, sondern Sie wollen das Problem weiter aussitzen. Das ist die Wahrheit, und das muss geändert werden.
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Ich will Ihnen jetzt einmal das neueste Beispiel nennen, nämlich BMW. Wie lange wollen Sie sich von den Automobilkonzernen eigentlich noch auf der Nase herumtanzen lassen? Nachdem man jahrelang gesagt hat, man hat nicht betrogen, muss man jetzt zugeben, dass man irrtümlich eine illegale Software aufgespielt hat. Wie kann man eine Software irrtümlich aufspielen, die man angeblich gar nicht hat?
Die Herren in den Vorstandsetagen, die Manager, lachen sich über so schwarze Nullen, wie Herrn Dobrindt, oder die doppelte Null, Herrn Schmidt, doch tot. Das kann doch, ehrlich gesagt, nicht sein.
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Jetzt liegt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vor. Es besagt, dass alle Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit die Luft sauber ist. Es gäbe dieses Urteil nicht, wenn Sie in den letzten Jahren, in denen Sie Bescheid wussten, gehandelt hätten. Sie haben aber nichts gemacht. Wenn es jetzt zu Fahrverboten kommt – ich höre ja, dass das in Hamburg ganz konkret ist –, dann sind das Ihre Fahrverbote, weil Sie an dieser Stelle nicht gehandelt haben. Sie laden das Problem bei den Menschen in den Innenstädten, bei den Dieselbesitzern und bei den Kommunen ab.
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Die allergrößte Krönung ist, finde ich, ehrlich gesagt, dass der Vorturner der FDP, der ehemaligen Rechtsstaatspartei, dann auch noch Gerichtsschelte betreibt. Das sollten Sie sich an dieser Stelle lieber sparen.
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Sie sollten endlich verstehen, dass das jetzt ein Weckruf ist, endlich das zu tun, was Sie hier seit Jahren versäumen, nämlich das Problem dahin zu geben, wo es hingehört, in die Verantwortung der Automobilindustrie, sodass nachgerüstet wird, die Fahrzeuge sauber gemacht werden und am Ende eine blaue Plakette eingeführt wird, wie es die Kommunen fordern, die dies wollen, die dies administrieren müssen. Das würde dazu führen, dass die Menschen auch weiterhin ohne Fahrverbote in den Innenstädten fahren könnten.
Sie werden nicht damit durchkommen, das Thema weiterhin auszusitzen.
Natürlich brauchen wir eine neue Verkehrspolitik.
Das führen wir jetzt aber nicht mehr aus.
Es reicht aber nicht, nur Briefe nach Brüssel zu schreiben.
({0})
Handeln Sie endlich mal! Investieren Sie in den ÖPNV!
Herr Krischer!
Machen Sie eine richtige neue Mobilitätspolitik!
Danke schön.
({0})
Ich verstehe Ihre Emotionen, liebe Kollegen.
({0})
Ein Kollege von der AfD und ein Kollege von der FDP hätten gerne Zwischenfragen gestellt. Laut Geschäftsordnung ist das in der Aktuellen Stunde nicht möglich. Deswegen habe ich die Zwischenfragen natürlich nicht zugelassen.
Nächster Redner: Oliver Wittke für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch wenn sich mir nicht sofort erschließt, was an dieser Aktuellen Stunde aktuell sein soll, da wir doch in dieser Woche schon im Verkehrsausschuss, im Umweltausschuss und auch im Plenum über genau diese Themen diskutiert haben, über die wir heute wieder diskutieren, will ich mich doch noch einmal liebevoll dieses Themas annehmen.
Herr Krischer, ich beginne mit Ihnen, weil das, was Sie hier vorgetragen haben, schlicht falsch war.
({0})
Sie können noch überlegen, ob Sie wider besseres Wissen oder vorsätzlich falsch vorgetragen haben; aber die Grenzwerte – da beißt die Maus keinen Faden ab – sind in den Vereinigten Staaten zweieinhalb Mal so hoch wie bei uns in Deutschland.
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Damit haben Sie hier vor dem Parlament die Unwahrheit gesagt. Vielleicht haben Sie die Gelegenheit, das bei einer der nächsten Reden richtigzustellen. Es wäre jedenfalls ein Nachweis von Größe, wenn Sie das täten. Wir werden sicherlich noch die Gelegenheit haben, das eine oder andere Mal auf dieses Thema zu sprechen zu kommen.
({2})
Jetzt zum eigentlichen Thema, zum Bundesverwaltungsgerichtsurteil. Zuerst einmal ist ganz wichtig: Fahrverbote sind weder ausgesprochen noch angeordnet worden, noch ist die Einführung einer blauen Plakette angeregt oder vorgeschrieben worden. Darum verstehe ich so manche Äußerung, die von diesem Pult aus getätigt worden ist, nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat stattdessen großen Wert auf den Begriff der Verhältnismäßigkeit gelegt. Alleine viermal kommt das Wort „Verhältnismäßigkeit“ in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichtes vor. Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Krischer, war alles andere verhältnismäßig. Es war das Gegenteil: Es war radikal und pauschal.
({3})
Es ist von Frau Ministerin Hendricks richtigerweise vorgetragen worden, dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes Fahrverbote die Ultima Ratio sein sollen. Das ist auch der Grund, warum wir als Große Koalition im Werden, wenn ich es einmal so bezeichnen darf, gesagt haben: Wir wollen Fahrverbote, wo immer es geht, verhindern. Ich zitiere wörtlich aus dem Koalitionsvertrag. Da heißt es:
Wir wollen Fahrverbote vermeiden und die Luftreinhaltung verbessern. Die Kommunen wollen wir unterstützen, die Emissionsgrenzwerte im Rahmen ihrer Luftreinhaltepläne mit anderen Maßnahmen als mit pauschalen Fahrverboten einzuhalten.
Genau das werden wir tun, und genau das war die Politik der Großen Koalition in den letzten vier Jahren. Ansonsten hätten wir es nicht geschafft, dass in über 20 Städten in Deutschland, in denen die Grenzwerte 2016 nicht eingehalten wurden, die Grenzwerte mittlerweile eingehalten werden.
({4})
Durch die Politik dieser Bundesregierung werden Dutzende Städte hinzukommen.
Weil ich gerade den Koalitionsvertrag zitiert habe, will ich noch eine weitere Bemerkung dazu machen. Wenn man Fahrverbote verhindern will, muss man Pauschalierung verhindern und dafür sorgen, dass unterschiedliche Situationen in Hamburg und Stuttgart, in Köln und Düsseldorf mit unterschiedlichen Maßnahmen begleitet werden. Da hilft eine blaue Plakette nichts. Sie ist das Gegenteil einer maßgeschneiderten Lösung. Sie ist eine Pauschalierung, die Öffnung eines Tores in einheitliche, flächendeckende Fahrverbote in Deutschland. Das ist das, was wir in der Großen Koalition nicht wollen. Darum lehnen wir die blaue Plakette ab.
({5})
Im Übrigen bin ich dem Kollegen Klare dankbar dafür, dass er in der letzten Ausschusssitzung noch einmal vorgetragen hat, welche Alternativen es zur blauen Plakette und damit zu einem flächendeckenden Fahrverbot gibt. Er hat viele unterschiedliche Strategien in europäischen Ländern vorgetragen. Wir wollen eben nicht den einfachen Weg gehen. Wir wollen ganz im Gegenteil maßgeschneiderte Lösungen, um die Grenzwerte der Europäischen Union möglichst schnell und möglichst effektiv einzuhalten. Das wird unser Ziel sein. Ich denke auch, dass wir das hinbekommen.
({6})
Lassen Sie mich in der verbleibenden Minute meiner Redezeit eine letzte Bemerkung machen, weil Herr Krischer auch das gerne verschweigt: Die Bundesregierung hat nicht nur mit ihrem Sofortprogramm „Saubere Luft“, mit dem über 1 Milliarde Euro für Elektrifizierung, Digitalisierung und Nachrüstung von Dieselbussen bereitgestellt wurde, den Weg bereitet. Wir haben auch über 700 Vorschläge von den Kommunen bekommen, die wir jetzt Stück für Stück abarbeiten und mit denen wir dafür Sorge tragen werden, dass die Grenzwerte auch in den verbliebenen 70 Städten Deutschlands eingehalten werden.
Herr Krischer, ich biete Ihnen eine Wette an: 2020, also noch in dieser Legislaturperiode, wird es in Deutschland keine fünf Städte mehr geben, in denen die Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht eingehalten werden.
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Wenn wir uns dann gemeinsam darüber freuen, dass wir diese Grenzwerte ohne Fahrverbote eingehalten haben, dann haben wir in der Tat einen guten Job gemacht. Ich hoffe, dass Sie dann die Größe haben, das anzuerkennen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank, Oliver Wittke. – Nächste Rednerin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Als ich hörte, dass wir diese Woche noch eine Verkehrsdebatte auf der Tagesordnung haben, habe ich etwas erstaunt auf meinen Plenarplan geschaut. Dort war nämlich noch vorgesehen, dass wir heute über einen vermutlich ausländischen Cyberangriff auf die Bundesregierung reden. Das ist aktuell, und das ist wichtig. Nun dachte ich: Wenn die AfD darüber nicht reden will, hat sie etwas noch Aktuelleres, etwas noch Wichtigeres. Aber als ich das Thema gesehen habe, habe ich festgestellt: Wir reden zum vierten Mal in drei Wochen über das Dieselfahrzeug. Das ist weiß Gott nicht originell, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Dann habe ich mir Ihr aktuelles Grundsatzprogramm angesehen, um zu sehen, ob darin etwas Originelles steht. Das habe ich gefunden. Es heißt darin:
IPCC
– umgangssprachlich: Weltklimarat –
und deutsche Regierung unterschlagen die positive Wirkung des CO 2 auf das Pflanzenwachstum und damit auf die Welternährung.
({1})
Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, umso kräftiger fällt das Pflanzenwachstum aus.
Also Autofahren gegen den Hunger, liebe Kollegen und Kolleginnen!
({2})
Erzählen Sie das mal den Menschen auf den Marshallinseln, die jedes Jahr Häuser ans Meer verlieren, oder den Menschen in Kenia, die hungern, weil sich die Wüsten ausbreiten!
Diese Argumentation passt aber genau zu dem, was wir in dieser Woche gehört haben, nämlich zur Forderung, wir sollten uns für höhere Grenzwerte einsetzen statt für saubere Luft. Hört, hört! Warum sollen wir das machen? Weil die Studie der Weltgesundheitsorganisation angeblich nicht medizinisch begründet ist, sondern nur auf epidemiologischen Berechnungen beruht.
Zunächst einmal ist die Frage: Was ist Epidemiologie? Epidemiologie ist die Lehre der Verbreitung von Krankheiten über das ganze Volk. Das ist also ein Bereich der Medizin, nicht der Mathematik.
Ich habe die aktuelle Studie der WHO, nicht die aus den 90er-Jahren, sondern die von 2005, auf die sich unsere Grenzwerte stützen. Darin zeigt sich aufgrund von Versuchen mit Menschen, die eine Stunde lang 200 Mikrogramm Stickoxid pro Kilometer ausgesetzt wurden, ganz deutlich, dass dies gesundheitliche Folgen hat; mit Tieren hat man auch Langzeitversuche gemacht. Festgestellt wurde zudem: Stickoxid tritt niemals alleine auf. Eine reine Stickoxidkonzentration gibt es nicht; es sind immer auch andere schädliche Gase vorhanden. In einer Langzeitstudie ist festgestellt worden, dass insbesondere Kinder mit Asthma, die in einer Region gelebt haben, wo eine erhöhte Stickoxidkonzentration nachgewiesen wurde, erheblich stärkere bronchiale Symptome gezeigt haben. Wer das als unwissenschaftlich bezeichnet, hat, glaube ich, nicht begriffen, dass wir hier für die Menschen und die Gesundheit der Menschen da sind.
({3})
– Danke schön.
Aber die AfD ging noch weiter. Gestern forderte ein Redner die Bundesregierung auf, Hamburg zu untersagen, in seinen Luftreinhalteplänen über Fahrverbote nachzudenken. Die Bundesregierung soll also einem Land untersagen!
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Barbara Hendricks hat es ausgeführt: Unser Ziel ist, dass es keine Fahrverbote gibt. Es wurde lang und breit ausgeführt, wie wir das verhindern wollen. Aber wir müssen auch klar feststellen: Wir haben Gesetze, und die Menschen, die in Bereichen leben, wo diese Grenzwerte überschritten sind, und zwar nicht knapp – in München gibt es Überschreitungen von 50 Prozent und mehr –, wollen nicht in drei oder vier Jahren saubere Luft haben. Sie haben Anspruch darauf, sofort saubere Luft zu bekommen.
({5})
Das heißt, die Kolleginnen und Kollegen von der AfD fordern die Regierung zu einem Rechtsbruch auf.
({6})
Ich frage Sie ernsthaft: Gibt es Gesetze, die Sie beachten, und Gesetze, die Sie nicht beachten? Entscheiden Sie selber, ob Sie Gesetze beachten oder nicht? Das ist nicht die Art und Weise, wie wir in diesem Hohen Haus mit Gesetzen und dem Recht umgehen, und ich möchte nicht, dass sich das irgendwann einmal ändert.
({7})
Ich komme zum zweiten Thema der von Ihnen beantragten Debatte. Sie wollen über den Diesel als Motor der deutschen Industrie reden. Es ist richtig – das haben wir im Abgas-Untersuchungsausschuss gehört –: Wenn wir eine neue Dieseltechnologie haben, bei der die Motoren im Hinblick auf die CO 2 -Reduzierung optimiert sind und das zusätzlich entstehende Stickoxid über den Katalysator zu über 90 Prozent reduziert wird, dann ist das der sauberste Motor, den es derzeit gibt. Wir wissen natürlich, dass wir mittelfristig von fossilen Brennstoffen wegkommen müssen. Aber in der Zwischenzeit müssen die Menschen mobil sein, und die Luft muss sauberer werden.
Jetzt habe ich nur ein klitzekleines Problem. Unsere deutsche Automobilindustrie hat nämlich nicht begriffen, dass sie ein Problem mit dem Vertrauensverlust hat.
Wenn ich mir die Liste der Fahrzeuge anschaue, die die neuen Normen erfüllen, dann stelle ich fest, dass wir erst im nächsten Monat solche Autos von deutschen Herstellern bestellen können. Das ist keine vertrauensbildende Maßnahme; mein Kollege Arno Klare wird auf andere vertrauensbildende Maßnahmen eingehen. Wir müssen auch bedenken, dass Menschen, die ältere Euro-4-Fahrzeuge fahren, zum Teil nicht das Geld haben, sich ein neues Fahrzeug zu kaufen. Auch für diese sind wir da.
Frau Kollegin!
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir den Koalitionsvertrag umsetzen und allen Menschen in Deutschland saubere Luft verschaffen.
Danke sehr.
({0})
Vielen Dank, Kirsten Lühmann. – Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Dirk Spaniel für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen viel über Grenzwerte gehört. Die gestrigen Aussagen des Kollegen Hofreiter von den Grünen will ich an dieser Stelle nicht unkommentiert lassen. Deutsche Autohersteller hätten gelogen und betrogen, und Grenzwerte seien um mehrere 100 Prozent überschritten. Da Herr Hofreiter und einige andere offensichtlich Probleme haben, Informationen aus Zeitungen inhaltlich korrekt zu verarbeiten, will ich Ihnen jetzt einmal kurz erklären, wie Fahrzeuge zertifiziert werden.
({0})
Es gibt eine Vorschrift, in der steht, wie viele Schadstoffe pro Kilometer emittiert werden dürfen. Gleichzeitig ist genau definiert, wie das zu messen ist. Sind diese Grenzwerte erreicht, ist die Vorschrift erfüllt, und die Typgenehmigung wird durch das KBA erteilt. Jedes Auto, das eine Typgenehmigung erhalten hat, ist gesetzeskonform zugelassen. Dass es einen Hersteller gegeben hat, der dort unlauter getrickst hat, ist bekannt. Dafür wurde die Typgenehmigung in einigen Einzelfällen entzogen bzw. wurden entsprechende Maßnahmen vorgeschrieben.
({1})
Gestern hat Herr Hofreiter die deutsche Autoindustrie pauschal verunglimpft.
({2})
Die deutsche Autoindustrie erzeugt einen Umsatz von über 400 Milliarden Euro pro Jahr. Die vielen Tausend Mitarbeiter in der Autoindustrie sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
({3})
Jahrelang haben Zehntausende Ingenieure in den Autokonzernen und Zulieferunternehmen daran gearbeitet, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Ihr Fraktionschef hat gezeigt, wie sehr Ihre Partei diese Menschen verachtet,
({4})
indem er erstens ihnen pauschal Betrug vorwirft und zweitens ihre Arbeitsplätze mit unhaltbaren Argumenten vernichtet; so ist es.
({5})
Die sogenannten Messungen der Umwelthilfe fanden unter völlig anderen Testbedingungen als unter den gesetzlich vorgeschriebenen statt. Ich wiederhole: Zu einer Messung gehört ein Messverfahren mit einem definierten Grenzwert. Wer ein anderes Messverfahren wählt, kommt zu einem anderen Ergebnis, ganz einfach. Wer ist denn eigentlich diese Deutsche Umwelthilfe, die die deutsche Autoindustrie so massiv diffamiert?
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Weiß dieses Parlament, dass einer der Hauptsponsoren der Deutschen Umwelthilfe der japanische Autohersteller Toyota ist?
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Auch die SPD fordert von der Autoindustrie die Übernahme der Kosten der Nachrüstung der Fahrzeuge mit älteren Abgasnormen.
({8})
Seit wann muss ein Produkt rückwirkend geänderte Vorschriften erfüllen? Wo ist denn da die Rechtssicherheit?
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Übrigens fordern alle Altparteien Nachrüstungen nur von den deutschen Herstellern. Ausländische Hersteller sollen nicht belangt werden.
({10})
Früher hat die SPD die Arbeitnehmerinteressen in diesem Land vertreten. Wo ist eigentlich die Arbeitnehmervertretung der SPD, die Ihnen Ihre Arbeitsplatzvernichtungsstrategie ausredet?
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In dem Brief von Ihnen, Frau Bundesministerin, und zwei Unionsministern an den zuständigen EU-Kommissar lese ich: Zusammen mit den Ländern und Kommunen denken wir über kostenlosen ÖPNV als Mittel zur Senkung der Anzahl der Privat-Pkws nach. – Hallo! Die CDU/CSU unterstützt die Senkung der Anzahl der Privat-Pkws?! Sehr interessant! Wissen Ihre Noch-Wähler eigentlich, dass Sie Privat-Pkws abschaffen wollen?
({12})
Die Regierungsparteien beschließen das Ende einer funktionierenden Technologie, ohne eine Alternative zu haben.
({13})
Das kenne ich irgendwoher; darüber habe ich neulich schon einmal geredet.
Sie zerstören die ökologisch und wirtschaftlich sinnvollste Antriebsform für Pkw, den Dieselmotor, durch utopische Abgasvorschriften. Das trifft vorwiegend die deutschen Autohersteller, da diese den Dieselmotor brauchen, um die CO 2 -Vorgaben der Zukunft zu erfüllen.
Im internationalen Vergleich haben wir saubere Luft; alle Messwerte bestätigen das. Wir brauchen gar keine Fahrverbote zur Luftreinhaltung, höchstens zur Schikane.
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Ja, ich freue mich, dass auch andere Parteien in diesem Haus mittlerweile daran denken, Fahrverbote wissenschaftlich zu hinterfragen, und diese Initiative der AfD übernehmen. Vielen Dank!
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Wir wollen eine Politik, die einen Interessenausgleich zwischen Umweltinteressen und anderen legitimen Interessen unserer Gesellschaft herstellt.
Vielen Dank.
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Danke, Dirk Spaniel. – Nächste Rednerin: Daniela Ludwig für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich eingangs festzuhalten: Fahrverbote sind definitiv kein Allheilmittel zur Einhaltung der Luftreinhaltevorgaben. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil entgegen der vielfach veröffentlichten Meinung weder angeordnet noch gesagt, es müssten Fahrverbote erlassen werden. Auch hat das Bundesverfassungsgericht den Bund nicht in die Pflicht genommen, entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat stattdessen sehr deutlich gesagt: Fahrverbote sind letztlich nur Ultima Ratio, wenn alle anderen Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte nicht gewirkt haben; denn nichts anderes steckt in dem Gebot der Verhältnismäßigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Das, glaube ich, muss man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Was passiert denn, wenn Dieselfahrzeuge mit einem Fahrverbot belegt werden? Das heißt ja nicht, dass sie dann in der Garage stehen bleiben. Wenn Fahrverbote für bestimmte Strecken verhängt werden, dann heißt das letztlich nur, dass auf anderen Strecken gefahren wird und sich dann dort die Luft verschlechtert. Deswegen können wir nur festhalten: Auch eine blaue Plakette, die letztlich nichts anderes ist als ein Fahrverbot für viele und eine Fahrerlaubnis für wenige, hilft nicht, das Problem zu lösen. Sie verlagert das Problem allenfalls und schafft neue Betroffenheiten. Deswegen lehnen wir sie ab.
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Die Debatte, die seit dem Richterspruch geführt wird, ist in manchen Teilen schon absurd; das Beispiel Hamburg ist bereits genannt worden. Die Urteilsbegründung ist kaum raus und auch noch gar nicht in Gänze veröffentlicht, da kommt Hamburg um die Ecke und sagt: „Wir werden an bestimmten Strecken Fahrverbotsschilder aufstellen“, obwohl der eigene Luftreinhalteplan der Stadt Hamburg besagt: Wenn wir für diese beiden Straßen Fahrverbote erteilen, verlagern wir das Problem auf zwei andere Straßen, für die wir konsequenterweise auch Fahrverbote erteilen müssten. – Also, ich empfehle allen, ihre Luftreinhaltepläne ernst zu nehmen und nicht in Übersprunghandlungen zu verfallen.
({1})
Was wir jetzt nicht brauchen, ist ein Wettlauf, wer mit der Verhängung von Fahrverboten am schnellsten ist. Wir sollten weiter daran arbeiten, das zu tun, was wir vor dem Urteil, also bereits ohne das Urteil, begonnen haben. Wir haben immer schon gesagt, dass wir den öffentlichen Nahverkehr verbessern müssen; Stichwort „Koalitionsvertrag: GVFG-Mittel-Erhöhung“. Das ist ein ganz starkes Bekenntnis zum ÖPNV in Deutschland. Der Bund nimmt dafür noch einmal mehr Geld in die Hand. Auch das ist ein Mittel für bessere Luft in all unseren Städten,
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genauso wie die Förderung von neuen, effizienten Antrieben – auch das ist heute schon gesagt worden – und selbstverständlich auch die Verbesserung des Dieselmotors. Ich kann nur dafür werben, diesen Weg weiterzugehen.
Das „Sofortprogramm Saubere Luft 2017–2020“ ist bereits mehrfach erwähnt worden; die damit verbundenen Maßnahmen sind schon bekannt.
({3})
Es geht um die Elektrifizierung von ÖPNV-Bussen, die Elektrifizierung von Taxen, Carsharingautos, Mietwagen, die in den Städten angeboten werden, natürlich auch um die Nachrüstung von Dieselbussen in ÖPNV-Flotten und – nicht zuletzt, aber ganz besonders wichtig – um die zunehmende Verbesserung von Logistikkonzepten und die zunehmende Digitalisierung von Verkehrsströmen; denn wir müssen dafür sorgen, dass der Verkehr in unseren Städten fließt und nicht – womöglich bewusst – steht.
In Zukunft wird natürlich auch der Dieselmotor einen Teil unserer Mobilität ausmachen müssen. Er ist weder eine veraltete noch eine umweltfeindliche Technologie. Es ist heute schon angesprochen worden: Die Dieselmotoren verbrauchen im Schnitt 15 Prozent weniger Sprit als Benziner und stoßen dadurch weniger Kohlendioxid aus. Damit will ich das Stickoxidproblem nicht kleinreden, aber wir führen auf der anderen Seite eine Debatte über die CO 2 -Reduktionsziele. Angesichts dessen kann man die Augen natürlich nicht vor diesen Zahlen verschließen, die für den Diesel sprechen, wenn er gut funktioniert.
Nachdem hier fast schon der Untergang des Vaterlandes beschworen worden ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, fragen wir doch mal: Wie schaut es denn in der Realität aus? Von 1990 bis 2015 haben wir in Deutschland einen Rückgang der NO x -Emissionen um über 1,7 Millionen Tonnen zu verzeichnen – eine Reduzierung um 59 Prozent nur in diesem Zeitraum! –, davon eine Reduzierung um 1 Million Tonnen allein im Verkehrsbereich. Der Verkehrsbereich trägt also erheblich zur Reduktion bei, muss er natürlich auch. Es wird aber gern der Eindruck vermittelt, da herrsche kompletter Stillstand, da passiere nichts in diesem Land. Warum passiert aber etwas? Weil von vielen Bundesregierungen, nicht nur von der letzten Bundesregierung, die richtigen Schritte eingeleitet worden sind!
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Wir werden nach dem Urteil – genauso wie vor dem Urteil – unsere Anstrengungen darauf richten, die betroffenen Städte bei der Überarbeitung ihrer Luftreinhaltepläne zu unterstützen. Bessere und saubere Luft zu erreichen, ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich möchte ganz ausdrücklich sagen: Wenn wir uns zusammensetzen, werden wir das nicht nur mit Vertretern der Städte tun, sondern natürlich auch mit den Automobilherstellern; denn auch die wollen wir in die Pflicht nehmen. Sie sind genauso daran beteiligt wie alle anderen Player auf diesem Gebiet. Deswegen ist mir gar nicht bange. Ich denke, dass wir, wenn wir konsequent so weitermachen wie in den letzten Jahren – lieber Oliver Wittke, ich steige in deine Wette mit ein –, bis 2020 tatsächlich viel besser dastehen als jetzt. Das muss unser aller Ziel sein.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Daniela Ludwig. – Nächster Redner: Arno Klare für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man fast am Ende einer Debatte redet, hat man schon vieles gelernt.
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Ich zähle mal auf, was ich hier gelernt habe:
Erstens. Die Emissionswerte – das ist richtig; das deckt sich mit meinen Recherchen – sind in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Wenn man das mit 1990 vergleicht, stellt man fest: Die Kurve geht nach unten. – Ich weiß nicht, wer darauf hingewiesen hat; Oliver Wittke, glaube ich. Das ist also richtig.
Zweitens. VW – diesen Konzern nenne ich jetzt beispielhaft – ist weniger durch irgendwelche Nachrüstungsdebatten bedroht als vielmehr dadurch, dass nicht unerhebliche Strafzahlungen geleistet worden sind, in den USA bereits über 20 Milliarden Euro, und das wohlgemerkt nicht, weil irgendeiner das VW nachgewiesen hätte, sondern weil VW den Betrug zugegeben hat.
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Es war nämlich gar nicht so leicht, das nachzuweisen. Die Schadenersatzforderungen der Aktionäre in Deutschland – das wird irgendwann in Braunschweig verhandelt – summieren sich auf 9 Milliarden Euro. Das ist ein Vielfaches dessen, was die Nachrüstung der Fahrzeuge kosten würde. Das Ganze ist der Tatsache geschuldet, dass man, um es vorsichtig zu formulieren, mit Verbrauchs- und Emissionswerten nicht ganz ehrlich umgegangen ist. Ich denke schon, dass man das auch in Rechnung stellen muss.
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Die Frage ist: Hat der Diesel als Motor eine Zukunft? Zahlenmäßig, muss man sagen, hat er eine gewaltige Gegenwart. Von den 45,8 Millionen Pkw, die auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, sind 15,089 Millionen Dieselfahrzeuge, also eine riesige Gegenwart. Die Frage, die sich dann stellt, ist natürlich: Kann man den Diesel so sauber bekommen, dass der NO x -Impact, der Emissions-Impact, wirklich erträglich wird? Ich halte in dem Zusammenhang eine Debatte über Grenzwerte für politisch dysfunktional, um es mal ganz simpel auszudrücken. Ich bin schon sehr verwundert darüber, dass das Bundesverkehrsministerium diese Debatte auch noch befeuert. Ich glaube, das ist nicht gut.
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Man könnte über Grenzwerte debattieren, wenn sie nicht einhaltbar wären. Sie sind aber locker einhaltbar. Die Werte sind einhaltbar – Euro 6d TEMP zeigt das –, dort nämlich, wo die modernen Abgasreinigungssysteme installiert worden sind. Und genau diese Systeme – das ist übrigens keine Rocket Science, sondern zu 90 Prozent bestehende Technologie, die man aus den Ersatzteillagern der OEMs, also der Originalausrüstungshersteller, kaufen kann – kann man nachrüsten. Das geht bei Euro 5 und auch noch bei Euro 4; denn bei den Bussen machen wir das in den entsprechenden Euroklassen schon. Die Teile sind nur ein bisschen größer; das ist richtig. Diese Hardwarenachrüstung funktioniert also rein technisch.
Nachgewiesenermaßen kommt man, wenn diese Fahrzeuge nachgerüstet sind, deutlich unter die Limits, die man eigentlich einhalten müsste. Die Zukunft des Diesels als Motor unserer automotiven Wirtschaft – insofern stimmt der Titel dieser Aktuellen Stunde schon – hängt daran, dass sich die Unternehmen bereit erklären, diese Nachrüstung durchzuführen. Der Diesel wird nur dann eine Zukunft haben – ich wünsche dem Diesel diese Zukunft –, wenn die Bestandsflotte nachgerüstet wird.
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Es reicht eben nicht, das über die Software zu machen; denn dann passiert im Motor Folgendes: Ich setze den optimalen Betriebspunkt an die Stelle, wo in einem Diesel die Zündung erfolgt, die ich nicht beeinflussen kann,
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da sie über die Kompression läuft. Ich verlagere diesen Punkt um Bruchteile von Sekunden nach vorne. Das heißt, ich habe nicht mehr das Betriebsoptimum des Motors, was mehr Verbrauch bedeutet. Ich könnte beides haben – Frau Lühmann hat darauf hingewiesen –, indem ich einen dahintergesetzten Abgasstrang nachrüste, mit dem gereinigt wird, und indem ich gleichzeitig den Motor CO 2 -optimiert neu einstelle.
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Ich appelliere an die Hersteller: Rüstet nach! Das ist in eurem Sinne; das trägt zu neuer Kundenbindung und zum Aufbau neuen Vertrauens bei. – Das kann man rechtlich nicht herbeiführen; das weiß ich. Insofern ist es ein Appell. Ich hoffe, er wird gehört.
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Vielen Dank, Arno Klare. – Nächster Redner: Carsten Müller für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir führen diese Debatte heute in einer Zeit, in der – das kann und muss man so deutlich sagen – das Vertrauen in die Automobilindustrie – im Übrigen nicht nur in die deutsche, sondern auch in die anderer Länder – merkbar angeknackst ist. Man muss nicht drum herumreden: Die Verantwortung dafür trägt die Automobilindustrie selbst.
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Ich stelle jetzt keine großen Vermutungen an; aber ich glaube, dass man den Beitrag des letzten Redners der AfD gerade in der Automobilindustrie mit einigem Kopfschütteln verfolgt haben wird,
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weil er genau das Gegenteil von richtig ist. Ich habe mir eine kurze Sequenz aus der gestrigen Debatte angeschaut. Erst dachte ich: Ach du meine Güte, was passiert da in dem Dialog zwischen dem Kollegen Spaniel und dem Kollegen Hofreiter. Ich muss aber sagen – das kommt selten genug vor –, dass der Kollege Hofreiter mit seiner Empfehlung, einfach einmal in die Zeitung zu gucken, wahrscheinlich nicht so ganz falsch gelegen hat.
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Aber das war nicht die einzige bemerkenswerte Situation. Ich will noch auf meinen Lieblingskollegen Krischer zu sprechen kommen.
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Er zitierte umfangreich die WHO. Ehrlich gesagt war das in weiten Teilen fehl am Platze. Woran denkt man bei der WHO im Moment? Ich denke in erster Linie daran, dass es die Organisation ist, die vor wenigen Monaten auf die grandiose Idee gekommen ist, den großen Humanisten Robert Mugabe zum Sonderbotschafter ernennen zu wollen. Das hat nicht so lange gehalten; nach fünf Tagen war der Spuk vorbei.
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Aber man sollte schon die Quellen, auf die man sich bezieht, checken.
Meine Damen und Herren, wenn Sie von Tausenden von Toten reden, dann ist das, ehrlich gesagt, absoluter Humbug. Sie finden keinen seriösen Mathematiker, der die zugrundeliegende Berechnungsmethode unterstützt. Es gibt hier zwei Welten, die wir heute kennengelernt haben. Es gibt einmal den Parallelkosmos des Oliver Krischer und seiner Freunde. Darin passiert eines: Die Zahl der Toten aufgrund der Belastung mit Stickoxiden ist in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. – Und dann gibt es das wirkliche Leben; aber dafür interessiert sich der Kollege Krischer bedauerlicherweise nicht. Da haben wir nämlich folgende Situation: Wir haben eine dramatisch zurückgehende Schadstoffbelastung in der Luft. Um es konkret zu machen: Wir haben die bemerkenswerte Situation, dass die Lebenserwartung im hochbelasteten Stuttgart signifikant höher ist als im beschaulichen Kurort Baden-Baden. Nanu, wie passt denn das zusammen?
Ich komme auf die stark sinkenden Emissionen zurück: Bundesweit gibt es 519 Messstellen; im Übrigen befinden sich nur 87 davon an derselben Stelle wie im Jahr 2006. Merkwürdigerweise werden immer die Messstationen umgestellt, die einen besonders starken Rückgang der Schadstoffe aufweisen – man nennt das auch erschlichene Signifikanzen –; aber selbst die 87 verbliebenen ortsfesten Messstationen zeigen den dramatischen Rückgang.
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Ich nenne das häufig diskutierte Neckartor in Stuttgart als konkretes Beispiel. Überschreitungen des Stundenmittelwerts im Jahr 2006: 853; erlaubt waren damals 175. Überschreitungen des Stundenmittelwerts von Stickoxiden im Jahr 2017: 3. Insofern könnte man dieses Problem als annähernd gelöst betrachten.
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Um aktuell zu bleiben, schauen wir einmal auf die Messergebnisse von gestern. Neckartor in Stuttgart: Als dort die Messungen im Jahr 2006 begannen, lag der Durchschnittswert bei 121 Mikrogramm. Gestern lag er bei 65 Mikrogramm. Im Übrigen haben die Messwerte in München an der Landshuter Allee diesen Wert gestern fast überholt. Dort wurden 63 Mikrogramm gemessen.
Das ist natürlich noch deutlich zu hoch; aber es zeigt die richtige Entwicklung. Und es zeigt: Das passiert nicht von ungefähr. Euro-6d-Temp ist erwähnt worden. Insofern sehen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich will jetzt nicht über die Sinnhaftigkeit von Grenzwerten sprechen;
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aber man muss es entsprechend einordnen. Eines steht aber auch fest: Fahrverbote sind in ihrer vermuteten Auswirkung stark überschätzt. Sie sind unsozial und wirtschaftsfeindlich.
Schauen wir einmal auf Hamburg – die Vorrednerin hat darauf abgehoben –: Welche groteske Situation haben wir denn da? Da gibt es einen grünen Umweltsenator, der ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge erlassen will, und im selben Moment wird die Innenstadt von Hamburg pro Jahr von 220 Kreuzfahrtschiffen aufgesucht.
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Ein solches Kreuzfahrtschiff stößt 5 Tonnen NO X pro Tag aus. Das passiert unter dem grünen Umweltsenator Jens Kerstan. Abenteuerlich!
Was machen wir? Wir blicken in die Zukunft. Das „Sofortprogramm Saubere Luft“ ist von der Ministerin erwähnt worden. Wir unterstützen und fordern die Weiterentwicklung von Benzin- und Dieselantrieben, der öffentliche Personennahverkehr muss leistungsfähig entwickelt werden, und wir blicken auch auf alternative Antriebsarten.
Meine Damen und Herren, ich will abschließend zusammenfassend Folgendes sagen: Diejenigen, die über Fahrverbote diskutieren, legen die Axt an die Schlüsselindustrie der deutschen und der europäischen Wirtschaft,
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und zwar ausschließlich mit dem Ziel, die Automobilbranche deutlich zurückzustutzen – die sich derzeit in einer Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise befindet. Es geht allerdings um Hunderttausende Arbeitsplätze. Diese bilden die Grundlage für Wohlstand und sozialen Ausgleich.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, das, was Sie vertreten, spricht dafür, dass Sie die Menschen bevormunden und ihnen die Mobilität nehmen wollen. Das ist mit der Unionsfraktion nicht zu machen.
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Danke, Carsten Müller. – Nächste Rednerin: Ulli Nissen für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Woche entschieden, dass Fahrverbote in einzelnen Kommunen verhängt werden dürfen. Die schriftliche Auswertung des Urteils liegt noch nicht vor. Aber eines sollte deutlich sein: Länder, Kommunen und wir müssen handeln. Ich glaube, es gibt niemanden unter uns, der sofortige Fahrverbote will. Wir alle wären froh, wenn wir diese vermeiden könnten. Ich denke da insbesondere an die Menschen, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind und sich kein neues kaufen können. Auch die vielen Handwerker, die häufig einen Dieselfuhrpark haben, sind mir ein wichtiges Anliegen.
Wir alle wissen, wie gefährlich Stickoxide sind, die in großer Menge von Dieselfahrzeugen ausgestoßen werden. Es gibt unterschiedliche Untersuchungen über Todesfälle. Ich sage: Jeder Todesfall ist einer zu viel. Dazu kommen viele Menschen, die wegen schlechter Luft unter schweren Erkrankungen leiden – viele Schicksale, die uns deutlich machen, dass wir dringend handeln müssen, damit die Luftqualität verbessert wird. Dazu zwingt uns jetzt auch das Leipziger Urteil.
Erste Schritte haben wir mit dem „Sofortprogramm Saubere Luft“ eingeleitet. Zur Verminderung der Stickoxide in den Städten werden bis zu 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt; 750 Millionen Euro kommen allein vom Bund. Mit diesem Programm sollen Maßnahmen für die Elektrifizierung des Stadtverkehrs, für den Ausbau einer Ladeinfrastruktur, für die Digitalisierung von Verkehrssystemen sowie zur Nachrüstung von Dieselbussen im ÖPNV mit Abgasnachbehandlungssystemen ergriffen werden.
Zur Verbesserung der Ladeinfrastruktur gibt es jetzt ein spannendes Projekt der Deutschen Telekom. Der Telefonriese will in den Städten Tausende von eigenen Schaltverteilern zu Tankstellen für Elektroautos aufrüsten. Aus meiner Sicht ist dies eine großartige Idee.
Die Deutsche Post ist auch ein Vorreiter. Sie hat schon jetzt mehr als 5 000 selbst entwickelte Streetscooter und mehr als 10 000 Elektroräder auf den Straßen. Mittelfristig will das Unternehmen seine gesamte Brief- und Paketzustellungsflotte durch Elektrofahrzeuge ersetzen, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. So sollten auch die anderen Paketriesen handeln, damit der extrem stark gestiegene Lieferverkehr ohne Schadstoffausstoß stattfinden kann.
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Wir müssen natürlich auch bei den anderen Fahrzeugen ansetzen. Uns allen ist wohl klar, dass die von den Autofirmen zugesagten Software-Updates nicht ausreichen. Sie taten bisher so, als ob technische Nachrüstungen eigentlich nicht machbar wären. In einem aktuellen Gutachten des ADAC wurde jetzt nachgewiesen, dass Hardwarenachrüstungen nicht nur möglich, sondern sogar hochwirksam sind. Die Untersuchungen ergaben, dass sich der Schadstoffausstoß durch Nachrüstungen an den Fahrzeugen innerorts um bis zu 70 Prozent und außerorts um bis zu 90 Prozent reduzieren lässt. Das kann in besonders belasteten Gebieten eine Reduzierung um 25 Prozent bringen. Autos mit diesen technischen Nachrüstungen könnten von den jetzt drohenden Fahrverboten ausgenommen werden.
Aus meiner Sicht ist auch klar, dass die Kosten für die Nachrüstungen nicht von den Verbrauchern, sondern von den Verursachern – der Automobilindustrie – getragen werden müssen.
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Ein großer deutscher Automobilkonzern hat trotz des Dieselskandals seinen Nettogewinn 2017 verdoppelt und erzielte ein Plus von rund 11 Milliarden Euro. Da dürfen die betroffenen Kunden nicht mit billigen Software-Updates abgespeist werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Mir ist auch wichtig, dass wir den öffentlichen Personennahverkehr attraktiver machen, damit die Menschen umsteigen. Ein Anreiz dafür sind günstige Preise. Ich muss es wieder hervorheben: Mein eigener Frankfurter Wahlkreis geht vorbildlich voran. In Frankfurt sind auf Initiative unseres SPD-Oberbürgermeisters Peter Feldmann die Preise für Einzeltickets und Tagestickets zum ersten Mal reduziert worden. Peter Feldmann hat sich auch intensiv für das 1-Euro-Ticket eingesetzt. In einem ersten Schritt können jetzt Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende für nur 1 Euro pro Tag das ganze Jahr in Hessen Busse und Bahnen nutzen. Das finde ich großartig.
Der Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds, Knut Ringat, stellt die richtige Frage: Warum wird für das umweltfreundlichste Verkehrsmittel überhaupt Ökosteuer erhoben? Ich frage: Warum wird für Flugzeuge keine Kerosinsteuer erhoben?
Grundsätzlich müssen die Bedingungen für den ÖPNV verbessert werden. Deshalb ist es gut, dass wir im Koalitionsvertrag – wenn er denn von der SPD angenommen wird – vereinbart haben, dass wir den öffentlichen Personennahverkehr deutlich besser fördern wollen. Dazu werden die Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bis 2021 für Aus- und Neubaumaßnahmen in zwei Schritten von derzeit 333 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro pro Jahr erhöht. Auch dies wird dazu beitragen, dass sich die Luftqualität verbessert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, wir haben auch noch weitere gute Vereinbarungen getroffen. Sie können sich sicher sein: Diese Regelungen wollen wir auch eins zu eins umsetzen. Das erwarten auch unsere Mitglieder.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein wunderbares Wochenende.
Danke schön.
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Danke, Ulli Nissen. – Der letzte Redner in der Debatte: Oliver Grundmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das war heute eine aufgeregte Debatte. Das schrille Panikorchester, sowohl von rechts als auch von links, spielte wieder kräftig auf, klang schräg, zeitweise auch ziemlich schief.
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Einige Dinge waren auch schlichtweg falsch.
Allen hier muss klar sein: Gesetze und Grenzwerte sind nicht verhandelbar. Wir haben geltende Grenzwerte, und daran haben wir uns auch zu halten. Ich denke, darüber sind wir uns hier im Parlament jedenfalls mehrheitlich einig, bis auf die Kollegen der AfD.
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Das war es dann auch heute zur AfD von meiner Seite.
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Lieber kümmere ich mich um meine Lieblingskollegen. Die sind mir in den letzten Wochen irgendwie ein Stück weit vertrauter geworden, lieber Oliver Krischer.
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Lieber Olli, warum habt ihr euch in den letzten Tagen und Wochen wieder so verändert? Als ihr noch im Jamaika-Modus wart, war doch alles gut. Da haben wir uns in den letzten Wochen auf den Fluren häufig unterhalten: sachorientiert, konstruktiv, echte Lösungen waren greifbar. Und jetzt wieder: stumpfer Oppositionsmodus mit antrainierten Reflexen, wie man es kannte.
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Einmal unter uns: Ja, wir haben Überschreitungen von Grenzwerten. Die sind aber nicht flächendeckend, die sind punktuell, und sie werden auch nicht mehr, sondern sie werden immer weniger. Das sind nur einzelne Straßenabschnitte. Das ist schlimm genug – das ist überhaupt gar keine Frage – für die Anwohner. Aber tun wir doch bitte nicht so, als sei ganz München, Stuttgart oder Hamburg flächendeckend mit Stickoxiden verseucht. Lasst die Kirche doch bitte im Dorf. Erzählt den Menschen da draußen doch keinen Unsinn. Das verunsichert Millionen von Menschen in diesem Land, und das ist totale Panikmache, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Ich möchte hier ein konkretes Beispiel herausgreifen: die Landshuter Allee in München. Ja, da gibt es eine Überschreitung. Aber das ist auch kein Wunder. Mit täglich 130 000 Fahrzeugen ist es eine der meistbefahrenen innerstädtischen Straßen Europas. Ganz viele Pendler kommen aus den ländlichen Räumen nach München hineingefahren. Fakt ist aber auch: 60 Meter von der Messstelle an der Landshuter Allee entfernt gibt es überhaupt gar keine Überschreitungen mehr. Wenn erst einmal die neuen Euro-6d-Dieselfahrzeuge fahren, dann wird es dort überhaupt gar keine Überschreitungen mehr geben.
Wir sind auf einem guten Weg. Die Maßnahmen wirken. Der Weg ist vorgeschrieben. Die Luftbelastung wird zurückgehen. Das müssen wir jetzt beschleunigen. Der Innovationsmotor muss jetzt kräftig Fahrt aufnehmen. Ja, das ist auch eine Riesenchance. Es stehen 1 Milliarde Euro bereit: für neue Logistiksysteme, für Elektromobilität im Nahverkehr,
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für Wasserstoff – genau –, für Digitalisierung, für neue Techniken der Abgasminderung, also für echte Zukunftstechnologien und Zukunftsinnovationen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was mich persönlich traurig, wütend, ja so richtig wütend macht, sind Aktionen wie vom grünen Umweltsenator, der aus PR-Gründen Verbotsschilder bestellt, Hauptsache ist, es in die „Bild“-Schlagzeile zu schaffen. Ich sage Ihnen: Das ist verantwortungslos. Hier geht es nicht um Grenzwerte. Das ist ein ideologischer Kampf gegen den Verbrennungsmotor. Das ist Eigen-PR auf dem Rücken von Angestellten, auf dem Rücken von Krankenschwestern, Polizeibeamten, denen man den VW-Golf wegnehmen will. Das wollen wir nicht. Das ist verantwortungslos.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen, die aus den Vororten in die Großstädte pendeln müssen, sind auf ihre Fahrzeuge angewiesen. Wenn es Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wirklich um eine nachhaltige Verringerung der Stickoxidemission geht: Warum blockieren Sie dann systematisch Pläne für Umfahrungs- und Ausweichstraßen oder auch für neue U-Bahn-Linien wie in München? Warum ist irgendwelches Krötengetier jedes Mal wichtiger als saubere Luft in unseren Innenstädten?
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Warum sind Sie immer so laut, wenn es um bürgerfeindliche Verbote geht, und so leise, lieber Olli Krischer, wenn es um umweltfreundliche Innovationen geht wie zum Beispiel die Euro-6d-Dieselnorm?
Darf ich Sie ganz leise an die Redezeit erinnern?
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Ich will zum Schluss kommen, liebe Frau Präsidentin. – Eine Umweltpolitik, die auf Verbote und Bevormundung der Menschen setzt, passt einfach nicht mehr in die Zeit. Flächendeckende Fahrverbote sind für uns kaltherzige Enteignungen. Die wird es mit uns nicht geben. Wir wollen keine blauen Plaketten. Wir wollen Innovation und Selbstbestimmung. Dafür kämpfen wir.
Und ich will, dass Sie jetzt wirklich zum Ende kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist der Schluss meiner Rede. Wir beschließen den Tag, wie wir ihn heute begonnen haben, auf Initiative der AfD.
Ein Wort somit zur deutschen Sprache als Kulturgut. Meine sehr geehrten Damen und Herren aller im Parlament vertretenen Parteien, ein Zitat meines Freundes Peter:
Wer mit Fremdworten nicht konfekt ist, sollte nicht damit renovieren, ansonsten muss er die Konsonanten ziehen.
Vielen Dank.
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Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss der heutigen Debatte angelangt. Ich wünsche Ihnen ein spannendes, erfolgreiches Wochenende – je nachdem, wie Erfolg bemessen wird.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. März 2018, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 14.45 Uhr)
Berichtigung
17. Sitzung, Seite 1500 A: Die Zahl der für den Abgeordneten Dr. Reinhard Brandl abgegebenen Ja-Stimmen ist wie folgt zu lesen: 583