Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/30/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Haushaltsentwurf ist ein historisches Dokument, ({0}) ein Dokument der unverantwortlichen Sorglosigkeit inmitten einer Krise, die unsere Freiheit, die Grundlagen des demokratischen Zusammenhalts und das Fundament unseres Wohlstandes und wirtschaftlichen Erfolgs und damit auch unseres Sozialstaats zutiefst erschüttert. Sie aber klammern sich stur an Ihre ideologiepolitischen Irrtümer Euro-Rettung, EU-Superstaat, Einwanderung ohne Grenzen, Energiewende, Autowende, Elektroautoplanwirtschaft, die in all den Jahren nie funktioniert haben, Irrtümer, mit denen Sie bereits zig Milliarden an Wert vernichtet und unermesslichen Schaden angerichtet haben. ({1}) Die Coronakrise hat Sie nicht zur Besinnung gebracht, im Gegenteil: Sie benutzen die Krise als Vorwand und Ermächtigung, um den Zug nur umso schneller über Ihre falsch gestellten Weichen zu jagen. ({2}) Und dafür geben Sie mit vollen Händen und ohne Hemmung Steuergelder und aus dem Nichts geschöpfte Schuldengelder aus, für die die Bürger dieses Landes enteignet und noch in Generationen werden geradestehen müssen. Mit den Fehlleistungen der Mitglieder dieser Regierung könnte man inzwischen eine ganze Bibliothek füllen: Ein Finanzminister und Vizekanzler, der eine verfassungswidrige Neuverschuldung trotz hoher Rücklagen plant und die Steuern noch weiter erhöhen will. Ein blasser und kaum wahrnehmbarer Außenminister, der Islamisten hofiert und sogar in seinem Haus beschäftigt und im UN-Sicherheitsrat immer wieder gegen Israel stimmen lässt. Ein Bundesinnenminister, der sich schneller dreht als sein Schatten und der vom zeitweiligen Kritiker zum willigen Vollstrecker der Willkommenspolitik der offenen Grenzen geworden ist. ({3}) Eine Verteidigungsministerin, die sich lieber um politische Säuberung und gegenderte Dienstgrade kümmert als um den desolaten Ausrüstungsstand und die Einsatzfähigkeit unserer Bundeswehr. ({4}) Eine Justizministerin, die auf Kriegsfuß mit der Verfassung steht und die Internetzensurgesetze ihres Amtsvorgängers noch auf die Spitze treiben will, ({5}) obwohl sie klar verfassungswidrig sind. Und über allem thront eine Kanzlerin, die in 15 viel zu langen Regierungsjahren den Rechtsbruch zum politischen Prinzip gemacht und unser Land in Europa zunehmend isoliert hat. ({6}) Das Verdikt, das ein britischer Politologe vor fünf Jahren über Ihre Migrationspolitik gefällt hat, Deutschland benehme sich wie ein „gefühlsgeleiteter Hippie-Staat“, gilt inzwischen für alle wesentlichen Politikfelder. Darüber kann man nur den Kopf schütteln: über eine Regierung, die in ihrer hypermoralischen Selbstgerechtigkeit blind die Fehler von 2015 wiederholt, sich mit falschen Willkommenssignalen und Sozialleistungen für jedermann zum Magneten für illegale Einwanderungen macht. ({7}) Die Folgen Ihrer verantwortungslosen, grenzenlosen Asylpolitik tragen die Bürger in Form von gestiegener Unsicherheit und Kriminalität. 95 400 schwere Straftaten durch Zuwanderer verzeichnet ein aktuelles BKA-Lagebild für 2019. Das sind über 260 Gewaltverbrechen durch Zuwanderer pro Tag. Wir sind auch schon lange kein reiches Land mehr. ({8}) Beim Medianvermögen der Privathaushalte, bei der Wohneigentumsquote und beim Rentenniveau liegen die Deutschen im EU-Vergleich weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. In den Krisenstaaten des Südens, an die wir Jahr für Jahr Milliardentransfers richten, sind die Bürger im Schnitt reicher und die Rentner besser versorgt, teilweise um ein Vielfaches. Spitzenplätze belegt Deutschland dagegen bei Steuern, Abgaben und Strompreisen, bei der Aufnahme von Asylbewerbern aus aller Herren Länder und bei der Quote der von Armut bedrohten Kinder und älteren Menschen. Auch das ist ein Ergebnis Ihrer Politik. Das sind nicht die Kennzahlen eines reichen Landes, das sind die Zahlen aus einem Land, dem der Absturz droht. ({9}) Um es ganz klar zu sagen: Wir haben kein Geld zu verschenken, solange ein Teil unserer Rentner in Mülltonnen nach Pfandflaschen sucht, um so über die Runden zu kommen. Trotzdem verpfänden Sie Steuergeld und Volksvermögen der Deutschen für die Rettung des Euros und die Errichtung eines völlig undemokratischen EU-Superstaates. ({10}) Die offenen Forderungen aus den Target2-Salden haben die Billionengrenze überschritten. ({11}) Das ist exportiertes Volksvermögen, das nur noch auf dem Papier steht, aber faktisch uneinbringlich ist. Von den unzähligen milliardenschweren Rettungsprogrammen ganz zu schweigen! Die von Ihnen ausgerufene Energiewende ist ebenfalls die nächste europäische Lachnummer. Wer kommt auf die Idee, aus Kohleverstromung und Kernkraft gleichzeitig auszusteigen und sich dafür auch noch zu feiern? ({12}) Na klar: grüne Ökos und die tiefenergrünte Union. Der Rest Europas wird Ihnen in diese Sackgasse nicht folgen. Wind- und Sonnenstrom sind nicht grundlastfähig, und der Flächenbedarf für die Erzeugung derselben Leistung ist gegenüber Kohlekraft und Kernkraft mindestens um den Faktor 1 000 höher. Auf gut Deutsch: Das kann überhaupt gar nicht funktionieren. ({13}) Unsere Nachbarn in den Niederlanden planen derweil für eine CO2-arme Zukunft zehn neue Kernkraftwerke. Auch hier gilt: Sie sind die Geisterfahrer und nicht die anderen, die alle in die entgegengesetzte Richtung fahren. Sie setzen Planwirtschaft und staatliche Lenkung an die Stelle von Freiheit, Wettbewerb und Innovationskraft. Der Bundeswirtschaftsminister, der kühne Pläne vorlegt, um die Wirtschaft umzubauen, sollte so ehrlich sein und endlich seine Ludwig-Erhard-Büste in seinem Büro durch eine Karl-Marx-Statue ersetzen. ({14}) Kein Staat und erst recht keine EU kann am grünen Tisch planen, welche Energieträger, welcher Antrieb uns ins nächste Jahrhundert bringt. Überlassen Sie die Antwort darauf bitte der Innovationskraft unserer Unternehmen, den Konsumenten und dem freien Wettbewerb! Die Klimaschutzpläne und die permanente absurde Verschärfung der EU-Grenzwerte ({15}) werden der deutschen Automobilindustrie den Todesstoß versetzen. ({16}) Statt sich zu widersetzen, agieren Sie als willige Vollstrecker, so wie Herr Söder, der die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren untersagen will. Dieser Krieg gegen die Autoindustrie ist ein Feldzug gegen gutbezahlte, produktive Arbeitsplätze, gegen den Wohlstand und gegen die Steuerzahler, die den Sozialstaat derzeit noch finanzieren. ({17}) Daimler: 15 000 Jobs weg, ZF Friedrichshafen: weitere 15 000, Continental: 13 000, MAN: 9 000, BMW: 6 000, Schaeffler: 4 500. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Daran hängen Hunderttausende Schicksale, Familien, die ihre Lebensgrundlage verlieren, hart erarbeitete mittelständische Existenzen, die in den Abgrund gerissen werden. ({18}) Es sind die Leistungsträger, die dieses Land am Laufen halten und denen Sie den Boden unter den Füßen wegziehen. ({19}) Diesen Niedergang können Sie nicht auf die Coronakrise schieben. Ihre überzogenen Maßnahmen machen aus der Coronakrise die schwerste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Hunderttausende Insolvenzen drohen in diesem Herbst und Winter: ({20}) in Gastronomie und Handel, Tourismus und Veranstaltungswirtschaft, im Mittelstand und Dienstleistungsgewerbe. Dank Ihrer Coronapolitik sind immer mehr Menschen und Wirtschaftszweige von staatlichen Zuwendungen abhängig. Und das ist der sichere Weg in den Sozialismus und in Not. ({21}) Kommen Sie weg von diesem Irrweg! Hören Sie auf, Panik zu schüren und einen Wirtschaftszweig nach dem anderen mit willkürlichen und überzogenen Auflagen und Einschränkungen zu strangulieren! Behandeln Sie die Bürger dieses Landes nicht wie unmündige Kinder, bei denen Sie nach Belieben die Zügel anziehen oder brachial durchgreifen! Geben Sie Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger wieder erste Priorität! ({22}) Staatswirtschaft und Sozialismus funktionieren nämlich nicht und werden nie funktionieren: der Ökosozialismus nicht, der Klimasozialismus nicht und der Coronasozialismus auch nicht. Ich bedanke mich. ({23})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In drei Tagen feiern wir 30 Jahre deutsche Einheit. Dieses Jubiläum ist Anlass zu großer Freude und zu Dankbarkeit. Es ist Anlass zu Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die damals mit ihrem persönlichen Einsatz und ihrem Mut die Wiedervereinigung möglich gemacht haben: den Bürgerrechtlern und vielen Menschen, die auf die Straßen und in die Kirchen gegangen sind, die friedlich demonstriert haben. Es ist auch Anlass zu Dankbarkeit für die historisch beispiellose Leistung eines ganzen Volkes, in diesen 30 Jahren die Wiedervereinigung im Äußeren und Inneren zu vollziehen. ({0}) Wir haben in diesen 30 Jahren viel erreicht. Es ist gelungen, die Unterschiede in den Lebensverhältnissen zwischen Ost- und Westdeutschland deutlich zu reduzieren. Aber es bleiben strukturelle Unterschiede. Weitere Anstrengungen sind notwendig; denn Einheit, das ist kein abgeschlossener Zustand, sondern das ist ein fortdauernder Prozess, ein Prozess nicht nur zwischen Ost und West, sondern zunehmend auch zwischen Stadt und Land, zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen, und das in ganz Deutschland. Die Herausforderungen sind dabei vielfältig, sei es Wohnraumknappheit, vor allem in Großstädten, sei es die Überalterung in ländlichen Gebieten oder der Strukturwandel in Kohlerevieren. All dies sind gesamtdeutsche Herausforderungen, die uns auch in Zukunft noch viel Zeit, Kraft und finanzielle Mittel abverlangen. Deshalb haben wir uns als Bundesregierung in den letzten Jahren genau mit diesen nächsten Schritten hin zur Einheit und zu gleichen Lebensverhältnissen beschäftigt. Diesen Prozess können wir nur gemeinsam und in bundesstaatlicher Solidarität bewältigen. Auch daran erinnert uns der 3. Oktober. Wir werden dieses wunderbare Jubiläum, seit 30 Jahren in einem geeinten Deutschland leben zu dürfen, nicht so feiern können, wie wir uns das noch vor einem Jahr vorgestellt haben. Es wird leiser werden, als es dem Anlass eigentlich entsprechen würde. Denn auch dieses Jubiläum steht ganz unter dem Eindruck der Coronaviruspandemie. Sie stellt die Welt, Europa und natürlich auch uns vor eine beispiellose Bewährungsprobe. Deutschland ist bisher verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen, gerade auch dank außerordentlichem Verantwortungsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten. Aber wir merken jetzt, wo der Herbst kommt: Wir stehen vor einer schwierigen Phase. Die schwierigeren Monate des Jahres kommen jetzt. Die Infektionszahlen steigen. Und deshalb war es auch wichtig, dass wir gestern auf der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundesregierung Beschlüsse gefasst haben, ausgehend davon, dass entscheidend für die Eindämmung der Pandemie die Möglichkeit der Kontaktnachverfolgung ist. Deshalb muss in Zukunft, wenn personenbezogene Angaben nicht richtig gemacht werden, zum Beispiel in Gaststätten, ein Bußgeld von mindestens 50 Euro von dem Gast erhoben werden. ({1}) Zweitens. Bei privaten Feiern, die heute leider eine starke Quelle von Infektionen sind, wird bei einer Inzidenz von 35 Infizierten auf 100 000 Einwohner in sieben Tagen die Zahl der Gäste auf 50 beschränkt und ({2}) für private Räume die Empfehlung gegeben, sie auf 25 zu begrenzen. Falls wir 50 Infizierte pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen haben, wird die Gästezahl auf 25 in öffentlichen und angemieteten Räumen beschränkt und bezüglich privaten Räumen die dringende Empfehlung gegeben, nicht mehr als 10 Personen zuzulassen. ({3}) Meine Damen und Herren, natürlich steht nun auch der Bundeshaushalt ganz im Zeichen der Bewältigung der Pandemie. Das erfordert, nachdem wir 2020 fast 218 Milliarden Euro neue Schulden machen, auch für das Jahr 2021 eine Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro. Wir konnten auch in einer außergewöhnlichen Notsituation – Sie haben dabei die notwendigen Beschlüsse gefasst; dafür noch einmal danke! – schnell und kraftvoll reagieren, gerade weil wir in den vergangenen sechs Jahren Haushalte ohne Neuverschuldung hatten und es uns gelungen war, die Gesamtverschuldung für das Jahr 2019 auf 60 Prozent des BIP zu begrenzen. Das hat uns in die Lage versetzt, kraftvoll zu agieren und trotzdem unter den G-7-Staaten die niedrigste Staatsschuldenquote zu haben. Ich glaube, darauf können wir stolz sein. ({4}) Das zeigt aber auch: Damit wir auch in zukünftigen Krisen, die ja wieder kommen können, handeln können, müssen wir natürlich so schnell wie möglich wieder zu einer normalen, verfassungsgerechten Haushaltsführung zurückkommen. Aber jetzt sind das genau die richtigen Entscheidungen. ({5}) Genau deshalb sagen wir, dass der Bundeshaushalt 2021 dazu beiträgt, belastbare Grundlagen für die Zukunft unseres Landes zu schaffen, ({6}) in ein modernes und ein innovatives Deutschland zu investieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land zu stärken. Ich will darauf hinweisen, dass im Finanzplanungszeitraum die Investitionen zum Beispiel um 10 Milliarden Euro höher sind als die Investitionen 2019, ganz abgesehen von den Rekordinvestitionen, die wir jetzt 2020 und 2021 machen. ({7}) Wir haben also in diesen Monaten der Pandemie gemerkt, dass wir auch unsere Politik dahin gehend weiterentwickeln müssen, dass wir schneller, wirksamer und widerstandsfähiger werden. Vor allem gilt das für unser Gesundheitssystem, das sich als außerordentlich robust erwiesen hat und als gut aufgestellt im internationalen Vergleich. Aber es wurden auch Schwachstellen sichtbar, und die liegen zum Beispiel im öffentlichen Gesundheitsdienst, wo in den vergangenen Jahren an vielen Stellen nicht die notwendige Aufmerksamkeit hingegangen ist. Das sind aber genau die Ämter, die jetzt von allergrößter Wichtigkeit bei der Nachverfolgung der Infektionsketten sind. Deshalb haben wir einen Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst geschmiedet: Bis 2026 werden 4 Milliarden Euro in diesen Bereich hineingegeben und in den Jahren 2020 bis 2022 Tausende neue Stellen geschaffen. Wir werden die Krankenhäuser modernisieren. Wir investieren in moderne Notfallversorgung und bessere digitale Infrastruktur. Wir bauen die Abhängigkeiten, derer wir uns bewusst geworden sind, bei unserer Versorgung mit Medizinprodukten und Medikamenten ab. Wir fördern nationale und europäische Produktion, zum Beispiel bei Schutzausrüstung und Testausstattung. Wir wollen den Schutz der Bevölkerung natürlich in den Mittelpunkt stellen. Das wird sich bei der Versorgung mit einem Impfstoff zeigen. Aber wir denken nicht nur an uns. Wir handeln hier auch europäisch gemeinsam, und wir denken auch daran, dass alle Menschen auf der Welt eine Chance haben müssen, wenn es einen Impfstoff gibt, ihn zu bekommen. Das heißt, wir engagieren uns hier auch in Zusammenarbeit für die Entwicklungsländer. ({8}) Meine Damen und Herren, ganz wichtig: Sollten wir eines Tages einen Impfstoff haben – den Zeitpunkt können wir ja noch nicht genau bestimmen –, dann wird es natürlich eine breite Diskussion geben, in welcher Reihenfolge und wie geimpft wird. Deshalb danke ich dem Bundesgesundheitsminister sehr, dass er die Ständige Impfkommission, die Leopoldina und den Ethikrat gebeten hat, eine Kommission zu bilden, die sich rechtzeitig mit der Frage beschäftigt, wer wann wie geimpft werden kann, natürlich unter der Maßgabe, welche Impfstoffe uns zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren, wir haben einen Wirtschaftseinbruch historischen Ausmaßes erlebt, im Übrigen nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. ({9}) Wir haben alles getan, damit wir uns dem entgegenstemmen, damit die Basis von Wohlstand und Arbeitsplätzen erhalten bleibt. Deshalb gibt es weiterhin Soforthilfe, Bürgschaften, Kurzarbeitergeld. Die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes haben wir jetzt als Brücke in die Zukunft verlängert. Denen, die immer sagen: „Das ist zu lang“, sage ich nur: Das haben wir in der internationalen Finanzkrise auch gemacht. – Die hat sich von der heutigen Lage dadurch unterschieden, dass wir damals relativ gut wussten: Wenn wir die Banken wieder rekapitalisieren und auf die Beine stellen, dann wird der Wirtschaftskreislauf auch wieder in Gang kommen. Die Pandemie hat die unangenehme Eigenschaft, dass wir nie wissen, wann sie genau zu Ende ist. Das heißt, gerade in einer solchen Zeit ist es ganz wichtig, Brücken zu bauen. ({10}) Nur um hier die Wahrheiten noch mal ganz klar zu benennen: Wir entlasten in dieser Zeit Bürgerinnen und Bürger: einmal durch die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer. Das ist eine Entlastung um 20 Milliarden Euro. Wir entlasten sie auch durch die Deckelung der EEG-Umlage. Das sind noch einmal 11 Milliarden Euro. Und es gibt gerade für Familien unterstützende Leistungen; ich nenne nur den Kinderbonus oder den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. Das sind gezielte Entlastungen, die sich 2021 fortsetzen werden, wenn für 90 Prozent der Menschen in Deutschland der Solidaritätszuschlag entfällt und das Kindergeld noch einmal erhöht wird. Das, was wir hier vornehmen, ist genau die richtige Maßgabe in einer solch schwierigen Situation, wie wir sie hier vorliegen haben. ({11}) Meine Damen und Herren, wir wissen: Wir können und werden staatlich handeln. Wir haben staatlich gehandelt. Aber wir können sozusagen nicht alles durch staatliches Handeln kompensieren. Wir kümmern uns aber genau um die, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind, und zwar längerfristig als andere Wirtschaftsbereiche, wo wir auf Erholung setzen. Das betrifft Bereiche wie den Tourismus, Messen und Ausstellungsbranche, Kunst- und Kulturschaffende, Schausteller. Viele dieser Gruppen haben einfach durch die Tatsache der Pandemie keine Möglichkeit, ihre wirtschaftlichen Leistungen zu erbringen. Und wir werden hier auch immer wieder überlegen, wie wir längerfristig Brücken in die Zukunft schaffen können. Meine Damen und Herren, mit dem Bundeshaushalt geht es nicht nur darum, die wirtschaftliche Substanz zu erhalten, sondern auch darum, in die Zukunft zu investieren. Und deswegen das Zukunftspaket. Wir wollen die Erfahrungen aus der Pandemie hier als Beschleuniger benutzen. Deshalb bin ich auch sehr froh, dass wir das Investitionsbeschleunigungsgesetz in das Parlament geben konnten; denn wir sind an vielen Stellen zu langsam. Wir haben gezeigt, dass wir schnell handeln können, gerade auch im Bereich der Digitalisierung. Das Thema Digitalisierung entwickelt in dieser Pandemie eine ganz besondere Bedeutung. Ich will hier die App nennen, die bei allen Kinderkrankheiten, wenn ich das mal so sagen darf, die sie noch hat, ein Erfolg ist. Wir haben manchmal die starke Tendenz, uns unsere Erfolge kleinzureden. Über 18 Millionen Menschen haben die App heruntergeladen. Das ist im europäischen Verbund einzigartig. Wir werden natürlich auch weiter an der Verbesserung dieser App arbeiten, aber sie hilft uns. ({12}) Wir machen schnelle Schritte und weitere Schritte bei der Digitalisierung der Verwaltung. Wir fangen also bei uns an. Man muss ganz nüchtern sagen: Wir haben hier viel aufzuholen. Wir haben im Haushalt noch mal 3 Milliarden Euro für das Onlinezugangsgesetz eingestellt. Wir haben – das hört sich für die, die uns von außen zuhören, sehr technisch an – etwas geschafft, was ein Durchbruch ist, nämlich die Modernisierung der Register auf den Weg gebracht. Das ist überhaupt die Voraussetzung dafür, dass Bürgerinnen und Bürger digital mit dem Staat kommunizieren können. ({13}) Wir haben außer in der Wirtschaft und unserer eigenen Verwaltung natürlich schmerzlich gesehen, dass Schule und Kita im Bereich der digitalen Bildung nicht auf dem Stand sind, den wir brauchen, weder für den Präsenzunterricht noch für die Frage, was passiert, wenn eine Kita oder vor allen Dingen eine Schule einmal geschlossen ist. Das heißt, wir brauchen eine umfassende Transformation des Bildungssystems. Hier sind wir ungewöhnliche Wege gegangen. Saskia Esken, Anja Karliczek und ich haben uns mit den Kultusministern getroffen. Das macht man normalerweise in dieser Republik nicht; aber wir haben es getan, um den DigitalPakt noch einmal aufzurüsten. Wir haben gesagt: Wir brauchen jetzt schnell Laptops für Schüler, die von Haus aus keinen eigenen Laptop haben. Wir brauchen auch Laptops für Lehrer. – Das hört sich erstaunlich an. Aber die Situation in der Republik ist, wie sie ist, weil wir ein sehr interessantes Steuerrecht haben. Man lernt ja immer dazu. Lehrerinnen und Lehrer haben steuerliche Vorteile bei Inanspruchnahme eines Arbeitszimmers, weil sie dieses steuerlich absetzen können. Das gilt auch für die Anschaffung von Gerätschaften. Aber ein Computer ist mehr wie ein Lehrbuch und weniger wie ein Schreibstift. Wie auch immer: Wir haben es jetzt geschafft, zu sagen, dass wir alle Lehrer mit einem Laptop ausstatten; und dann wird Lehrerweiterbildung organisiert. Wir werden eine Bildungsplattform schaffen, nicht nur für Schulinhalte und für neue digitale Inhalte, sondern auch für berufliche Bildung, für Lehrerbildung und für Menschen, die sich einfach weiterbilden wollen. Ich glaube, der Bund tut damit etwas sehr Wichtiges. Wir werden auch das Programm des Verkehrsministers für die Anbindung der Schulen ans Netz voranbringen. So hoffe ich, dass wir in einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und kommunalen Schulträgern einen Sprung machen, damit wir dann in ein oder zwei Jahren sagen können: Wir sind wirklich weitergekommen. – Das haben unsere Kinder verdient; das muss ich Ihnen wirklich sagen. ({14}) Wir wollen, dass deutsche Unternehmen in Wissenschaft und bei Zukunftstechnologien führend sind. Deshalb setzen wir im Haushalt ein deutliches Zeichen: 2 Milliarden Euro zusätzliche Förderung für die künstliche Intelligenz, 2 Milliarden Euro für die Quantentechnologie, 2 Milliarden Euro für neue Kommunikationstechnologien im Bereich 5 G, 6 G. Das heißt, wir tun alles, um deutschen Unternehmen den Weg zu ebnen, im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Trotz der Pandemie haben natürlich die Herausforderungen, die wir langfristig zu bewältigen haben, nicht aufgehört. Da will ich das zentrale Zukunftsthema des Klimaschutzes nennen. Wir sehen an allen Ecken und Enden, dass die Auswirkungen des Klimawandels immer sichtbarer und gravierender werden, ob das die Brände in den USA sind, ({15}) ob das die Brände im Amazonasgebiet sind oder die Dürre und der schlechte Zustand unserer Wälder bei uns zu Hause, die Knappheit des Wassers. Man kann und darf nicht wegsehen, und es ist eine der großen Zukunftsaufgaben, Klimaschutz nach vorne zu stellen. ({16}) Wir haben im vergangenen Jahr das Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen. Ein Großteil der Maßnahmen ist bereits umgesetzt oder im parlamentarischen Verfahren. Ich will noch mal darauf hinweisen, dass wir ab 1. Januar 2021 einen neuen marktbasierten Mechanismus der Bepreisung von CO2 auch im Bereich von Verkehr und Wärme haben, zusätzlich zu dem schon bestehenden ETS-System. Wir haben uns für diese Preissignale entschieden, weil wir glauben, dass wir damit das größte Maß an Technologieoffenheit in diesem Wandel hinbekommen. Mit dem Zukunftspaket haben wir zusätzliche Anreize zur Umstellung auf klimafreundliche Technologien geschaffen. Wir helfen damit den Konsumenten, sich für Modernität und Zukunft zu entscheiden – ob das die Mittel für den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur im Bereich der E-Mobilität sind, ob das die Verdopplung der Prämie für E-Autos ist, ob das die Steuerregelung für Dienstwagen ist oder die Umrüstung der Flotten des öffentlichen Personennahverkehrs. Das sind alles ganz wichtige Bausteine, die die Preissignale ergänzen. Wir können sehr stolz sein, dass wir inzwischen die erneuerbaren Energien als die wesentliche Säule, die Hauptsäule unserer Stromerzeugung haben. Aber auch 20 Jahre nach Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes entsteht ein Viertel der CO2-Emissionen Deutschlands immer noch durch die Stromerzeugung. Deshalb ist natürlich der Weg hin zum Kohleausstieg ein ganz, ganz wichtiger Weg, und wir werden den Strukturwandel in den Regionen unterstützen. Wir haben jetzt jedenfalls das klare Ziel, dass wir spätestens 2038 aus der Kohlestromerzeugung aussteigen. Das sind alles Beiträge, die wir leisten, um das Ziel der Europäischen Union, 2050 klimaneutral zu sein, auch wirklich umzusetzen. Die Kommission hat jetzt ihre Vorschläge für das Ziel im Jahr 2030 vorgelegt: 55 Prozent Reduktion. Wir werden jetzt während der deutschen Ratspräsidentschaft genau für die Umsetzung dieses Ziels kämpfen. Das heißt, unser Ziel ist, bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft einen einheitlichen Beschluss aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben, dass wir uns auf dieses 55-Prozent-Reduktionsziel für die Europäische Union im Jahre 2030 einigen. Das wird noch einige Arbeit hervorrufen. Es werden dann im nächsten Jahr die Rechtsakte kommen, wie das konkret umzusetzen ist. Aber dass wir das in diesem Jahr noch beschließen, ist deshalb so wichtig, weil wir uns in Madrid bei der letzten Klimakonferenz verpflichtet haben, unsere nationalen Ziele, in diesem Fall das europäische Ziel, zu verbessern bzw. aufzustocken. Deshalb steht Deutschland zu diesem Ziel. Der Ausstieg ist natürlich ohne Alternativen zu fossilen Energieträgern nicht möglich. Deshalb haben wir uns in der Wasserstoffstrategie entschieden, hier zielgerichtet nicht nur für den Strombereich und den Verkehrsbereich, sondern vor allen Dingen auch für unser Wirtschaften der Zukunft 9 Milliarden Euro einzusetzen, um national Wasserstoff herzustellen bzw. auch Partnerschaften mit dem Ausland einzugehen. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Wir haben lange gebraucht, um uns für diese Strategie zu entscheiden. Ich halte sie auch für entscheidend im Zusammenhang mit dem gesamten Klimawandel. ({17}) Meine Damen und Herren, der Klimawandel ist nur eine der großen Zukunftsaufgaben, wenn auch vielleicht die anspruchsvollste, weil sie unsere gesamte Art zu wirtschaften und zu leben umkrempeln wird. Aber wir haben eine Vielzahl von internationalen Herausforderungen, die wir alle nicht alleine als Mitgliedstaat, als einzelnes Land, als Bundesrepublik Deutschland wuppen und bestehen können. Wir merken – das war schon vor der Pandemie so und hat sich in der Pandemie noch mal verstärkt –, dass die multilaterale Zusammenarbeit an vielen Stellen unter einem erheblichen Druck ist. Einen solchen Druck haben wir in den vergangenen Jahrzehnten nicht gekannt. Das verändert die Welt. Und gerade eine solche Pandemie kann – wenn man einmal in die Geschichte schaut – solche Entwicklungen noch verstärken. Deshalb ist es aus meiner Sicht ganz wichtig, dass wir uns gegen die Tendenzen zur Renationalisierung und zum Protektionismus stemmen. Das hat nichts damit zu tun, dass man in bestimmten Bereichen nicht souverän sein kann; aber insgesamt muss man die Zusammenarbeit wirklich forcieren. Wir verstehen auch, dass wir in dieser zum Teil sehr aggressiven Welt, der wir gegenüberstehen, als Mitgliedsland alleine wenig ausrichten können. Da schlägt für mich die Stunde Europas. ({18}) Hier ist Europa gefragt, weil wir bei allem, was uns innerhalb der Europäischen Union auch manchmal trennt, doch auf ein gemeinsames Wertefundament setzen können und gemeinsame Interessen haben. Werte und Interessen, das sind immer genau die beiden Elemente, die in vielen Fragen der Außenpolitik spannungsvoll nebeneinanderstehen, aber die wir immer wieder bestmöglich durchsetzen können. Ich bin deshalb auch dem Bundesaußenminister sehr dankbar, dass er von deutscher Seite aus mit vielen europäischen Kollegen eine weltweite Allianz für Multilateralismus gebildet hat, um unseren europäischen Anspruch hier noch einmal deutlich zu machen. In diesem Geist führen wir auch die deutsche Ratspräsidentschaft, wenn es um die außenpolitischen Fragen geht. Wir werden beim Europäischen Rat morgen und übermorgen über unser Verhältnis zu China diskutieren. Sie wissen, wir wollten einen EU-China-Gipfel in Leipzig stattfinden lassen; das ging aufgrund der Pandemie nicht. Es gab jetzt eine Videokonferenz zwischen der Kommissionspräsidentin, dem Ratspräsidenten Charles Michel und mir mit dem chinesischen Präsidenten, und wir haben dabei sehr deutlich gemacht: Wir wollen einen fairen Handel mit China. Seit 2013 verhandelt die Europäische Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten mit China über ein Investitionsabkommen. Wir sind nicht sehr weit gekommen, und wir wollen jetzt versuchen, diesen Verhandlungen neuen Schwung zu geben – natürlich auf der Grundlage der Reziprozität und auch des Marktzugangs – und entscheidend voranzukommen, wenn nicht sogar einen politischen Durchbruch – das kann ich aber noch nicht versprechen – bis zum Ende des Jahres zu erreichen. Ich glaube, es ist unstrittig, dass wir mit China im Bereich des Klimaschutzes zusammenarbeiten müssen. China ist mittlerweile der größte CO2-Emittent weltweit, und es ist ganz wichtig, dass China sich an den Anstrengungen des Klimaschutzes beteiligt. Anders als bei anderen großen Emittenten ist es erfreulich, dass China zum Pariser Klimaschutzabkommen steht. Der Präsident Chinas hat vor der VN-Vollversammlung die Ziele deutlich gemacht: CO2-Neutralität im Jahre 2060 und das Erreichen des Peaks der CO2-Emissionen in China vor 2030. Wenn man sieht, vor welchen Entwicklungsherausforderungen das Land noch steht, dann sind das sehr ambitionierte Ziele, die auch uns in Europa anspornen sollten, unsere Ziele wirklich zu erreichen. ({19}) Aber natürlich gehört im Dialog mit China auch dazu, dass wir unterschiedliche Meinungen deutlich zur Sprache bringen. Wir haben zwei fundamental unterschiedliche Gesellschaftssysteme. Das wird zum Beispiel deutlich, wenn man sich anschaut, in welcher Weise künstliche Intelligenz in China benutzt wird. Deshalb haben wir darauf hingewiesen, dass wir zutiefst besorgt sind über die Entwicklung in Hongkong. Es gilt das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“, und genau dieses Prinzip wird immer mehr ausgehöhlt. Das werden wir weiter zur Sprache bringen, genauso wie die schlechte und zum Teil auch grausame Behandlung der Rechte von Minderheiten in China. ({20}) Wir setzen uns also für Meinungsfreiheit und Menschenrechte ein. Das gilt auch – darüber werden wir auch beim morgigen Rat sprechen – für das Verhältnis zu Belarus. Wir erkennen die Wahl von Präsident Lukaschenko nicht an. Wir fordern ihn auf, mit seinem Volk in einen Dialog zu treten – ohne Einmischung von Osten oder Westen –, und wir verurteilen das, was dort täglich passiert: die Aushebelung demokratischer Verfahren und die Gewalt gegen die Opposition. Ich werde mich demnächst mit der Oppositionellen Frau Tichanowskaja treffen. Wenn ich den Mut der Frauen sehe, der dort auf den Straßen gezeigt wird für ein freiheitliches, von Korruption freies Leben, dann kann ich nur sagen: Ich bewundere das, und ich finde das wirklich beeindruckend. ({21}) Gleiche Prinzipien gelten natürlich auch für unser Verhältnis zu Russland. Wir haben Russland aufgefordert – und ich tue das heute hier noch einmal –, den Angriff auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny transparent und vollständig aufzuklären. Das ist keine bilaterale Sache. Das ist ein Verbrechen, das auf russischem Boden stattgefunden hat; das ist ein Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention gewesen und deshalb auch eine internationale Frage. Wir warten jetzt noch die Ergebnisse der OVCW, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, ab und werden dann im europäischen Kreis über notwendige Reaktionen diskutieren. Meine Damen und Herren, ein Thema, das uns morgen und übermorgen – aber vor allen Dingen morgen – auf dem Europäischen Rat beschäftigen wird, ist das Verhältnis zur Türkei. Das Verhältnis zur Türkei ist vielschichtig. Auf der einen Seite beklagen wir die Entwicklung bei den Menschenrechten. Auf der anderen Seite sehen wir die Spannungen im östlichen Mittelmeer zwischen Griechenland und der Türkei sowie zwischen Zypern und der Türkei – gravierende Spannungen. Wir können uns manchmal gar nicht vorstellen, wie schmal der Weg zwischen militärischem Zusammenstoß und noch friedlicher Regulierung in bestimmten Situationen ist. Die Türkei ist unser Partner in der NATO. Die Türkei leistet Erstaunliches und wirklich Bemerkenswertes bei der Beherbergung von Flüchtlingen. Es ist wahrscheinlich das Land mit den meisten Flüchtlingen auf der Welt; es sind jetzt insgesamt rund 4 Millionen. Und so müssen wir sehr sorgfältig abwägen, wie wir zur Beilegung von Spannungen, zur Stärkung der Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage und für einen humanitären Umgang mit Flüchtlingen unser Verhältnis zur Türkei immer wieder neu austarieren, aber auch auf Kooperation und Zusammenarbeit in wichtigen Fragen setzen. Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen haben wir schreckliche Bilder gesehen, was den Umgang mit Flüchtlingen anbelangt, und zwar nicht aus der Türkei – das will ich ausdrücklich sagen –, sondern aus Lesbos, aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union. Ich glaube, es war richtig, dass Deutschland hier gehandelt und humanitär geholfen hat, wenngleich wir natürlich wissen, dass das keine nachhaltige Lösung des Problems ist. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass die Europäische Kommission jetzt Vorschläge für den gesamten Bereich der Migrationspolitik gemacht hat, Vorschläge, die darauf deuten, dass wir hier ein wirklich kompliziertes Problem haben, das uns im Übrigen nicht nur zwei, drei oder vier Jahre beschäftigen wird, sondern – das sage ich voraus – die gesamten nächsten Jahrzehnte. Deshalb begrüßen wir die Vorschläge der Kommission. Aber ich will auch ganz klar sagen: Die Frage, wie wir sie umsetzen – der Bundesinnenminister ist hier wirklich mit allen Kräften dran –, ist ein Prüfstein auch für den Zusammenhalt Europas. Wenn wir in der Frage der Migration auf Dauer keine gemeinsame Grundlage der Mitgliedstaaten der Europäischen Union finden, ist das eine schwere Bürde für die Handlungsfähigkeit Europas. ({22}) Und deshalb finde ich es auch sehr gut, dass wir jetzt einen Versuch unternehmen – die Kommissionspräsidentin setzt sich selber dafür ein –, dass in Lesbos ein weitgehend von Europa geleitetes Aufnahmezentrum entsteht; das ist ein Pilotprojekt. Denn wir können nicht von europäischer Asylpolitik oder Migrationspolitik sprechen, wenn wir zu europäischem Handeln nicht auch wirklich bereit sind. Meine Damen und Herren, das zeigt, dass nur ein einiges Europa ein wirklich starkes und zukunftsfähiges Europa ist. Und deshalb müssen wir auch nach der Pandemie eine technologische, wirtschaftliche, ökologische Vorreiterrolle einnehmen. Wir haben angesichts des historischen Ausmaßes des Wirtschaftseinbruchs jetzt einen besonderen Weg beschritten, um neben der klassischen mittelfristigen finanziellen Vorausschau zusätzliche Aktivitäten zu unternehmen, zum Beispiel mit dem Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“, eine EU der nächsten Generation. Es gehört zur deutschen Ratspräsidentschaft, dass wir dafür Sorge tragen, dass das alles am 1. Januar auch wirklich zur Verfügung steht. ({23}) Da haben wir noch einige Hürden zu überwinden; wir sind jetzt in den Verhandlungen mit dem Parlament. Neben den rein finanziellen Fragen, die da zu lösen sind, gibt es auch das Thema der Rechtsstaatlichkeit im Zusammenhang mit den Finanzen. Ich will hier nicht ins Detail gehen, ich will nur sagen: Da stehen uns noch sehr schwierige Verhandlungen bevor. Wir werden dann in einem sehr konzentrierten Prozess den Eigenmittelbeschluss natürlich auch hier in Deutschland fassen, und ich bitte da um gute Kooperation zwischen uns und dem Deutschen Bundestag. Dies sind nicht die einzigen Anstrengungen. Wir haben vorher schon Mittel für Darlehen, für Kurzarbeit und anderes zur Verfügung gestellt. Das heißt, die Europäische Union hat sich in der Lage gesehen, eine kraftvolle Antwort auf die Herausforderung der Pandemie zu geben. ({24}) Ich glaube, wir haben uns an dieser Stelle handlungsfähig gezeigt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sehen, wie sehr seit mehr als einem halben Jahr die Coronaviruspandemie unser Leben, unsere Arbeit und auch den Haushalt 2021 bestimmt. Das gilt für fast alle Politikbereiche. Deshalb kann ich diese Haushaltsrede jetzt auch nicht einfach so beschließen; ich kann nicht nach der üblichen Routine verfahren, wenn die Zeit der Pandemie keine Routine kennt. Deshalb wende ich mich zum Schluss meiner Rede noch einmal direkt an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und an Sie alle, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir müssen miteinander reden; denn die Infektionszahlen steigen, und die sogenannte 7-Tage-Inzidenz von mehr als 50 Infizierten pro 100 000 Einwohner wird immer häufiger erreicht. Das war ja auch genau der Grund für die Beschlüsse gestern bei der Ministerpräsidentenkonferenz. Unsere föderale Ordnung ist stark, mehr noch: Sie ist eine der größten Stärken unseres Landes, gerade auch in der Pandemiebekämpfung. Deshalb ist und bleibt es richtig, alle Maßnahmen regional und immer spezifisch anzuwenden. Dafür ist unsere föderale Ordnung mit ihrer Anpassungsfähigkeit und Dynamik sehr ideal. Aber ich sage auch: Das reicht nicht. Denn alle Regeln, Verordnungen, alle Maßnahmen nützen wenig bis nichts, wenn sie nicht von den Menschen angenommen und eingehalten werden. Deshalb: Wir müssen reden, im Familienkreis, im Freundeskreis, mit Kolleginnen und Kollegen, in den Kitas, in den Schulen, in den Alten- und Pflegeheimen, in der Nachbarschaft, in den religiösen Gemeinden, im Fußballverein oder im Chor. Wir müssen reden, erklären, wir müssen vermitteln – an öffentlichen Orten, natürlich zuvörderst hier im Parlament, in den Kommunen, in den sozialen Medien – mit Worten, die möglichst viele erreichen. Dazu bitte ich um Ihre Mithilfe. ({25}) Denn wir müssen die sich wieder verschlechternde Situation ernst nehmen. Wir alle müssen die Gefahren erklären, und wir müssen damit ein Bewusstsein schaffen ({26}) für die schwierige Lage, die die kältere Jahreszeit mit sich bringt. Ich bin fest davon überzeugt, dass diejenigen Gesellschaften langfristig am stabilsten aus dieser Krise herausfinden, die die Gefahren offen und transparent benennen, die die Wahrheit für zumutbar halten und die eine Balance finden aus politischen Vorgaben ({27}) und zivilgesellschaftlicher Akzeptanz und zivilgesellschaftlichem Mitwirken. ({28}) Wir erleben zurzeit, wie die Vorsicht nachlässt, wie sich alle wieder nach Nähe sehnen, nach Berührungen, nach Gemeinsamkeit, nach Feiern im Familien- und Freundeskreis oder an öffentlichen Orten, einfach nach Unbeschwertheit. Das spüre ich selbst; da geht es mir nicht anders als anderen. In meiner Sommerpressekonferenz in der Bundespressekonferenz fragte mich ein Journalist – es war die letzte Frage dieser Pressekonferenz –, was mich als, wie er es formulierte, „Mensch Angela Merkel“ in dieser Zeit eigentlich am meisten nerve und was ich in meinem Leben derzeit am meisten vermisse. Ich habe geantwortet: spontane Begegnungen, weil man immer schauen muss: Wie verhalte ich mich jetzt? – Diese Spontaneität in Begegnungen mit anderen Menschen vermisse ich am meisten. So ist es. Ich glaube, wir alle möchten die Spontaneität, die Unbefangenheit zurückhaben. Wir alle möchten das Leben, wie wir es kannten, zurückhaben, und natürlich wollen das ganz besonders die jungen Leute in unserem Land. ({29}) Aber wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erreicht haben. ({30}) Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, dass wieder landesweite Einschränkungen, wieder hohe ökonomische und emotionale Verluste drohen, dass ein sterbender Mensch im Krankenhaus oder im Pflegeheim mutterseelenallein ist und seine Liebsten ihm zum Abschied nicht die Hand reichen können. ({31}) Ich spreche hier, weil ich alles dafür tun will, um einen erneuten landesweiten Shutdown zu verhindern. Ich sage das hier, weil ich unbedingt Unternehmen und Arbeitsplätze schützen will, weil ich Kinder und Jugendliche in den Kitas und in den Schulen sehen will. Wir haben gesehen, wie belastend die Einschränkungen sind, wie sie die sozial Schwächsten besonders treffen, wie sie bestehende Ungleichheiten noch einmal vertiefen. Wir wollen, dass sich die Wirtschaft erholt; wir wollen, dass Künstlerinnen und Künstler wieder auftreten und spielen können; wir wollen, dass Kinder und Enkel ihre Eltern und Großeltern sehen können. Also, wir alle wollen verhindern, dass es zu einem zweiten landesweiten Shutdown kommt. Und das können wir auch. Wir wissen uns und das Gesundheitssystem besser zu schützen als im März. Wir haben in der Pandemie viel gelernt, und wir lernen jeden Tag dazu. ({32}) Aber jetzt müssen wir wieder achtsam sein, und dazu braucht es Sie, die Bürgerinnen und Bürger, Ihre aktive Hilfe, Ihr Engagement und Ihr Mitgefühl. ({33}) So widersprüchlich es klingt: Familie und Freundschaft lassen sich zurzeit leider immer noch nicht durch ausgelassene Feste feiern. Nähe, Verbundenheit, Zuneigung zu Menschen, aber auch schiere Lebensfreude: Sie brauchen immer noch eine andere für uns ganz ungewohnte Form. Wir brauchen immer noch Abstand als Ausdruck von Fürsorge. ({34}) Ich danke allen Bürgerinnen und Bürgern für das, was sie bis hierher durch ihre Umsicht und Rücksicht schon möglich gemacht haben. Ich danke allen in den Ländern, in den Kommunen: den Erzieherinnen und Erziehern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, den Gastronomiebetreibern, den Zug- und Flugbegleitern; ich kann sie gar nicht alle nennen. Ich danke allen, die geholfen haben und weiter helfen, diese historische Krise zu meistern. ({35}) Aber dies ist eine Langstrecke. Wir sind noch nicht am Ende der Pandemie. Wir haben mit Herbst und Winter eine schwere Zeit vor uns. Deshalb möchte ich diese Rede mit einem Appell schließen. Ich appelliere an Sie alle: Halten Sie sich an die Regeln, die für die nächste Zeit weiter gelten müssen. Geben wir alle als Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft wieder mehr aufeinander acht. Erinnern wir uns wechselseitig daran, dass das Abstandhalten, Mund-Nase-Schutz, regelmäßiges Händewaschen, das Lüften in Zimmern, die Nutzung der Corona-Warn-App nicht nur die Älteren und nicht nur die sogenannten Risikopersonen schützt, sondern unsere offene, freie Gesellschaft als Ganzes. ({36}) Ich bin sicher, dass wir durch diese historische Erfahrung als Gemeinschaft wachsen und dass sie uns bei allem, was schwer und belastend ist, enger miteinander verbindet. Ich bin sicher: Das Leben, wie wir es kannten, wird zurückkehren. Die Familien werden wieder feiern, die Klubs und Theater und Fußballstadien wieder voll sein. Und was für eine Freude wird das sein! Aber jetzt müssen wir zeigen, dass wir weiter geduldig und vernünftig handeln und so Leben retten können. Jetzt müssen wir verstehen, dass es weiter auf jeden und jede Einzelne ankommt. Darum bitte ich Sie. Herzlichen Dank. ({37})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat an uns alle appelliert, in Zeiten der Pandemie weiter umsichtig zu sein. Sie hat in ihren Ausführungen dargelegt, dass Deutschland bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sei. Das verdankt sich ja gerade der großen Mehrheit unseres Landes, der großen Mehrheit verantwortungsbewusster Menschen, die auch in Zeiten der Pandemie mit ihrer Freiheit umsichtig umzugehen verstehen. Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, war es richtig, dass Sie heute angemessene Worte gefunden haben. In der politischen Diskussion in den vergangenen Wochen hat man gelegentlich davon gehört, es müssten die Zügel angezogen werden oder man müsste mit brachialen Maßnahmen auf die Menschen zugehen. So umsichtig, wie die Bevölkerung in den vergangenen Monaten mit der Pandemie umgegangen ist, und insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Menschen in unserem Land Grundrechtsträger sind, deren Freiheit garantiert ist, ist Ihre Ausdrucksweise heute angemessener. Wir sollten nie vergessen, dass nicht der Staat den Menschen Freiheit gewährt, sondern dass die Menschen nur Einschränkungen ihrer Freiheit akzeptieren, wenn sie vernünftig und verhältnismäßig sind. ({0}) Ein zweiter Lockdown muss verhindert werden. Sie haben gesagt, Deutschland sei bisher vergleichsweise gut durch diese Krise gekommen. Nichtsdestotrotz hat diese Krise großen Schaden angerichtet. Wie viele Familien hat unser Staat im Stich gelassen, als Kitas und Schulen geschlossen haben! Wie viele ältere Menschen sind in Pflegeeinrichtungen vereinsamt, weil ihre Angehörigen nicht mehr zu Besuch kommen konnten! Und wie viele Millionen Menschen fürchten bis heute um ihre wirtschaftliche Existenz! Deshalb trägt jeder Einzelne Verantwortung. Aber auch die staatliche Verantwortungsgemeinschaft ist gefordert, jetzt, in diesem Herbst und Winter, Maßnahmen zu ergreifen, dass sich ein Stillstand dieses Landes nicht wiederholen muss. Sie haben gestern dazu mit den Ministerpräsidenten beraten. Wie bereiten wir uns auf diesen Herbst vor? Sicherlich helfen uns Überschlagsrechnungen zu dramatisch steigenden Zahlen alleine nicht. Was uns fehlt, sind konkrete Maßnahmen. Und auch heute, nach Ihrer Konferenz mit den Ministerpräsidenten, muss der Präsident der Bundesärztekammer beklagen, dass wir vor dem Herbst immer noch nicht über eine nationale Teststrategie verfügen, die die Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen, in Lehrberufen schnell und günstig mit einem Test versorgt – so heute Klaus Reinhardt. ({1}) Grundrechtseingriffe brauchen einen faktischen Anlass. Freiheitseinschränkungen kann man nicht alleine mit der Annahme einer drastischen Steigerung von Neuinfektionen begründen. Zudem müssen schließlich auch die Kapazitäten des Gesundheitswesens berücksichtigt werden. Die Zahl der Neuinfektionen allein ist kein Indikator. Uns fehlen deshalb beispielsweise Ampelmodelle, wie sie von Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen worden sind. Das muss nicht unbedingt mit Grün als einer Farbe sein, die für „Entwarnung“ steht, sondern nach rheinland-pfälzischem Vorbild kann das auch eine andere Farbgebung sein. ({2}) Aber eine solche transparente Beschreibung der Situation vor Ort fehlt uns. Freiheitseinschränkungen müssen geeignet und verhältnismäßig sein. Große Zweifel haben wir deshalb an der im Land Berlin verhängten Maskenpflicht in Büros; denn das sind nicht die Orte, wo es vor allen Dingen zu Neuinfektionen in diesem Land kommt. ({3}) Wir sind erleichtert, Frau Bundeskanzlerin, dass es entgegen den ursprünglichen Absichten Ihrer Regierung nicht zu einer Beschränkung privater Treffen in privaten Wohnungen kommt. Hier haben Landesregierungen zu Recht widersprochen; denn auch in Zeiten einer Pandemie gilt die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung. ({4}) Es ist richtig, dass weiter ein regionaler Ansatz verfolgt wird. Frau Merkel, Sie haben ja gerade in Ihrer Darlegung auch hervorgehoben, wie leistungsfähig unsere föderale Ordnung ist. Man kann gegenwärtig auch nicht mehr davon ausgehen, dass momentan, an diesem Tag unser öffentliches Gesundheitswesen mit der Pandemie überfordert ist. Das aber war der Grund, warum wir seinerzeit eine pandemische Notlage nationaler Tragweite in diesem Deutschen Bundestag festgestellt haben. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür bestehen nun nicht mehr. Deshalb sollte Ihre Regierung die Sonderbefugnisse in die Hände der ersten Gewalt zurückgeben. Sonst sollte der Deutsche Bundestag sie sich nehmen, weil es auch eine Frage der parlamentarischen Selbstachtung ist. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesfinanzminister hat einen Haushaltsentwurf mit 96 Milliarden Euro neuen Schulden vorgelegt. In diesem und im nächsten Jahr zusammen wird der deutsche Staat im Bundeshaushalt sich mit 314 Milliarden Euro neu verschulden. So viele Schulden hat Deutschland noch nie aufgenommen in so kurzer Zeit. Hinzu kommen ja noch die zusätzlichen Haftungsverpflichtungen, die unser Land in der Europäischen Union übernimmt. Es war richtig, dass während der ersten Phase der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ein Sicherheitsnetz für Beschäftigung und Betriebe gespannt worden ist. Dem haben wir uns auch nicht verweigert. Übrigens fehlen dort immer noch wichtige Elemente. Wo zum Beispiel ist ein spezifisch gezieltes Programm zur Unterstützung von Soloselbstständigen, Freelancern und Kulturschaffenden? ({6}) Warum gibt es bis heute nicht die Möglichkeit der vollen Anrechnung der Verluste dieses Jahres auf die Steuerschuld der Jahre 2019 und 2018? Ein viel besseres Instrument als manche Soforthilfe, die Sie ausgezahlt haben! ({7}) Also: Es war richtig, ein Sicherheitsnetz für Beschäftigung und für Betriebe zu spannen, selbst wenn es noch immer Lücken aufweist. Dass aber Sie, Herr Scholz, auch im nächsten Jahr, 2021, weiter auf Rekordschulden setzen und wiederum die Schuldenbremse missachten, das hat mit Nothilfe nichts mehr zu tun. ({8}) Wir sehen nämlich die ersten Erholungssignale. Und vor allen Dingen haben Sie dem Bundeshaushalt bereits vor Corona erhebliche Lasten aufgebürdet. Allein die Leistungsausweitungen in der Rentenkasse machen 20 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr aus. Es ist nicht ein Virus, das den Haushalt ruiniert. Es ist eine seit vielen Jahren falsche Politik, die die Staatsfinanzen ruiniert hat. ({9}) In den vergangenen fünf Jahren sind die Sozialausgaben stärker gewachsen als die Wirtschaft – mit einer Ausnahme. Selbst im vergangenen Jahr bei Rekordbeschäftigung und Niedrigarbeitslosigkeit hat dieser Staat zum ersten Mal mehr als 1 Billion Euro an Sozialausgaben geleistet. Um es konkret zu machen: Hubertus Heil gibt am Tag mehr Geld aus, als Ihre Regierung, Frau Merkel, in einem ganzen Jahr in Gigabitnetze investiert. ({10}) Und das ist eine Schieflage Ihrer Politik. ({11}) Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin für einen treffsicheren Sozialstaat, ({12}) der die Menschen in Not nicht im Stich lässt. ({13}) Aber zu einem Sozialstaat gehört eben auch, dass er seine Möglichkeiten nutzt, um dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen in die Notlage kommen, ihn in Anspruch nehmen zu müssen. ({14}) Und genau dort, bei diesen Investitionen in sozialen Aufstieg, leistet die Regierung kein hinreichendes Engagement; denn ausgerechnet bei Bildung und Forschung wird sich der Anteil der staatlichen Ausgaben in den nächsten Jahren reduzieren. In diesen Zeiten die Mittel für Bildung und Forschung nicht zu verstärken, ist das Gegenteil der notwendigen sozialen Vorsorge, die unser Land bräuchte. ({15}) Und, Frau Merkel, Sie haben hier eben geradezu wie eine interessierte Beobachterin beschrieben, nach 15 Jahren im Amt der Bundeskanzlerin, wie unsere Situation im Bereich der Schulen ist. Wir, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, mussten ja sozusagen mit harten politischen Bandagen kämpfen, um eine Änderung des Grundgesetzes zu erreichen, damit der Bund überhaupt in der Lage ist, Systemadministratoren in der Bildung zu finanzieren. Das war gegen den Widerstand der Unionsparteien und zumal der CSU. Jetzt kommt es dazu, Gott sei Dank. Nur kann doch kein Zweifel bestehen, dass selbst die Maßnahmen, die Sie jetzt beschlossen haben, nicht ausreichen, um unser Bildungssystem auf den Stand der Zeit zu bringen. Wo sind denn die digitalen Lernplattformen? Wo ist die Weiterbildungsinitiative? Und vor allen Dingen: Wie sorgen Sie dafür, dass die Gelder überhaupt im Alltag der Schulen ankommen? Die Mittel des Digitalpakts fließen überhaupt gar nicht ab, weil sich unser Land in eine Art der Selbstverbürokratisierung, in eine Selbstfesselung selbst bei zentralen Aufgaben, verstrickt hat. ({16}) Viel mehr wäre hier nötig – Sparen nicht. Frau Bundeskanzlerin, wir haben am Arbeitsmarkt eine Situation, die nicht allein mit der Pandemie erklärbar ist. Die IG Metall geht von 300 000 potenziell verlorengehenden Arbeitsplätzen in der Metall- und Elektrobranche aus: gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze. 300 000 Arbeitsplätze, die verlorengehen, betreffen 300 000 Familien, die sich morgen fragen, wovon sie leben sollen. ({17}) Das ist Kaufkraftverlust in Regionen. Der Ford-Chef hat sich heute im Handelsblatt geäußert. Und das, Frau Merkel, was er gesagt hat, hörte sich gar nicht nach coronabedingten Einbrüchen an. Das klang ganz anders. Er hat beklagt, dass es gerade in seinem Segment der Fahrzeugindustrie nicht Corona ist, das den Absatz gefährdet, ({18}) sondern dass es die Klimapolitik und die Fixierung auf batterieelektrische Antriebe sind, die dazu geführt haben, dass in seinem Unternehmen Arbeitsplatzabbau und Strukturbruch bevorstehen. Markus Söder reiht sich da ein. Auch Herr Söder fordert jetzt für das Jahr 2035 das Verbot des Verbrennungsmotors. Sinnvoll für die Beschäftigung in Deutschland wäre es, nicht den Klimawandel zu leugnen, wie manche das hier im Haus tun, aber mit Technologieoffenheit für Verbrenner mit synthetischem Kraftstoff, für batterieelektrischen Antrieb und für Wasserstoff die Weichen zu stellen, damit sich im marktwirtschaftlichen Prozess die Zukunftsantriebe herausbilden können. ({19}) Nichts davon passiert. Ich sehe mit Interesse, was Markus Söder da macht; mir kommt das bekannt vor. Gerade am vergangenen Wochenende gab es – herzliche Gratulation an die Kollegin Dörner von den Grünen – eine Oberbürgermeisterwahl in Bonn. Sechs Jahre gab es in Bonn einen schwarzen Oberbürgermeister, der mit seiner Ratsmehrheit Jamaika überwiegend grüne Politik gemacht hat, und jetzt nun in der Stichwahl hat sich die grüne Kandidatin natürlich gegen den CDU-Kandidaten durchgesetzt, weil man im Zweifel das Original gewählt hat. Im früher von bürgerlichen Mehrheiten geführten Bonn gibt es nun, Frau Merkel, eine grün-rot-rote Mehrheit mit grüner Bürgermeisterin. – Viele Grüße an Markus Söder, wenn das die Strategie der Union sein sollte. ({20}) Also, Frau Merkel, die Arbeitsplatzverluste, die wir gegenwärtig in der Volkswirtschaft haben, sind nicht alleine mit Corona erklärbar, sondern ganz im Gegenteil: Falsche Grundentscheidungen der vergangenen Jahre werden jetzt mit Subventionen und Kurzarbeit überdeckt, um noch über den Wahltermin 2021 zu kommen. ({21}) Besser wären faire Rahmenbedingungen. ({22}) Es kann ja überhaupt gar kein Zweifel daran bestehen, dass wir Zielkonflikte haben, etwa zwischen dem Klimaschutz und der Beschäftigung. Diese Zielkonflikte kann man auch nicht leugnen, vielmehr müssen wir eine Politik formulieren, die die unterschiedlichen Ziele, nämlich einerseits Beschäftigung und Klimafreundlichkeit andererseits, verbindet. Da sind wir alle gefordert. Dafür brauchen wir faire Rahmenbedingungen und vor allen Dingen Einsicht in das physikalisch Mögliche. Da brauchen wir eine Umkehr. Herr Wirtschaftsminister Altmaier hat einen Entwurf für ein EEG 2021 vorgelegt. Bis 2030, Herr Altmaier, gehen Sie unverändert von einem Strombedarf von 580 Terawattstunden im Jahr aus. Wie ist es denn eigentlich mit der Elektrifizierung der Fahrzeugflotte? Wie passt es eigentlich, dass Sie bei der Stahlproduktion ausschließlich auf Grünen Wasserstoff setzen, der aus dem Strom kommt, wir aber gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle aussteigen? Ihr Erneuerbare-Energien-Gesetz, Herr Altmaier, macht nicht nur die Energie in Deutschland teuer und damit Arbeitsplätze weniger wettbewerbsfähig; Sie sorgen auch dafür, dass Herr Scholz uns nicht nur eine Haushaltslücke hinterlässt, sondern Sie der nächsten Regierung auch noch eine Stromlücke für die nächsten Jahre. ({23}) Das werden wir durch ein anderes, ein marktwirtschaftliches System aufarbeiten müssen. Apropos Energiesicherheit. Wir steigen aus der Kernenergie aus, wir steigen aus der Kohle aus, und ich habe gelesen: Letztlich wollen Bündnis 90/Die Grünen nun auch quasi sofort aus dem Gas aussteigen. ({24}) – So lese ich zumindest den Gastbeitrag, den Ihre Parteivorsitzende gestern in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verfasst hat. Sie wendet sich gegen Nord Stream 2. Wir werden allerdings nicht nur aus Energieträgern aussteigen können; wir werden übergangsweise auch noch andere Energieträger brauchen. Tatsächlich: Bei Nord Stream 2 ist ein Moratorium nötig, ({25}) aber nicht aus energiepolitischen Gründen, sondern weil wir nicht tolerieren können, dass in Europa Anschläge mit Gift, das vom Völkerrecht verboten ist, unternommen werden. ({26}) Wir sollten aber nicht dauerhaft aus einer wichtigen Infrastruktur aussteigen, sondern wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das in Europa durch Verabredungen mit Transitstaaten und der Ukraine möglich ist. Wir sollten dafür sorgen, dass wir, wenn wir noch über längere Zeit Gas nutzen, andere Technologien, wie etwa die Speicherung von CO2, nutzbar machen. Dann ist das auch mit Klimafreundlichkeit vereinbar. Auf Russland sollten wir nicht mit dem dauerhaften Stopp eines Infrastrukturprojekts reagieren, zumindest so lange nicht, wie wir Hoffnung haben dürfen, dass dereinst eine demokratische Regierung dort auf wirtschaftliche Prosperität angewiesen ist. Was wir tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen und Frau Merkel, ist, dass wir den Ankündigungen, die Sie gerade hier geäußert haben, Taten folgen lassen, indem der Deutsche Bundestag Magnitskij-Gesetzgebung einführt, damit wir nicht ganze Bevölkerungen mit Sanktionen treffen, sondern sie zielgerichtet auf diejenigen konzentrieren können, wie etwa die Unterstützer von Putin, die auch Verantwortung für Menschenrechtsverletzung tragen. Das wäre ein Zugang. ({27}) Und, Frau Bundeskanzlerin, wenn Anton Börner, der jetzt neuer Präsident des BGA wird, ein entschiedeneres Auftreten gegenüber Russland und China fordert, wenn das der Außenhandel fordert, dann sollte das für Sie eine Verpflichtung sein. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie am heutigen Tag, da Joshua Wong in Hongkong vor Gericht steht, diesen Namen auch hier aussprechen. Denn wir können eines vor allen Dingen für die demokratische Opposition in Hongkong, in China, in Belarus und Russland tun: Wir können dafür sorgen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten und dass diese Regierungen nicht Bürger- und Menschenrechte einschränken können, ohne dass wir darauf zu sprechen kommen. ({28}) Der chinesische Außenminister hat bei seinem Besuch in Europa gesagt, wer dies anspreche, der müsse einen Preis zahlen. Die Bundesrepublik Deutschland sollte trotz aller Exportorientierung klarmachen: Bei Menschenrechten und den Rechten der demokratischen Opposition sind wir bereit, diesen Preis zu zahlen. ({29}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Scholz hinterlässt einen Haushalt mit 42,5 Milliarden Euro Handlungsbedarf ab 2022. Daran wird sich doch ein neuer politischer Aushandlungsprozess, eine Richtungsauseinandersetzung festmachen. Herr Scholz spricht jetzt schon von Steuererhöhungen, bezeichnenderweise übrigens nicht – das war zumindest nicht Ihr erstes Argument, Herr Scholz – zur Deckung von laufenden Einnahmen. Vielmehr haben Sie gewissermaßen aus Gerechtigkeitsgründen gefordert, dass bestimmte Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus verteilungspolitischen Gründen einen größeren Beitrag leisten müssen. Ihnen sei gesagt: Die 25 Prozent der obersten Leister der Einkommensteuer bringen 75 Prozent des Aufkommens auf. Das ist bereits Umverteilung „at its best“. Und wer ist das? Es sind die Familienbetriebe. ({30}) Es sind die Freiberufler. Es ist das Handwerksunternehmen, für das die Einkommensteuer die betriebliche Steuer ist. Denen Steuererhöhungen in einer Wirtschaftskrise anzukündigen, das ist nicht das beste Konjunkturprogramm, das wir uns vorstellen können, sondern ganz im Gegenteil: Das kostet Beschäftigung. ({31}) Wenn Sie hier sagen, die Coronahelden brauchen keinen Orden, sondern ein gutes Gehalt, dann ist Ihnen zuzustimmen. Wenn sich Verdi mit der Forderung von 4,8 Prozent mehr Lohn durchsetzt, Herr Scholz, dann bemühen Sie doch bitte einmal den Lohnsteuerrechner des BMF im Internet. Dann stellen Sie fest: Von der Gehaltserhöhung der Coronahelden, die Sie gefordert haben, bleibt die Hälfte beim Fiskus. ({32}) Diese Menschen können sich von salbungsvollen Worten im Parlament nichts kaufen. Wer den Menschen, die in wichtigen Berufen mit kleinen Einkommen arbeiten, wirklichen Respekt zollen will, der sorgt für eine Änderung des Lohnsteuertarifs durch einen Respekttarif. ({33}) Die zweite Frage – Herr Präsident, ich habe die Uhr im Blick – wird sein: Wie halten wir es mit den Schulden? Von der Fraktion der Grünen war gestern nicht nur die Forderung nach Steuererhöhungen zu hören, sondern auch, dass die öffentliche Verschuldung zu einer neuen Staatsphilosophie verklärt wird. Es geht gar nicht mehr um die Schuldenbremse, sondern es ist quasi eine höhere Einsicht in die Staatsphilosophie, auf Dauer mehr Schulden zu machen. Das reduziert die Resilienz unseres Staates für zukünftige Krisen. Es ist nicht gesichert, dass wir uns auf den Kapitalmärkten auf Dauer zu Niedrigzinsen werden verschulden können. Vor allen Dingen besteht die Gefahr von Inflationsszenarien, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn von Deutschland geht ein Signal nach Europa aus. Wenn wir nicht wieder zur haushaltspolitischen Solidität zurückkehren, ist das ein Signal für Europa insgesamt. ({34}) Frankreich hat bereits angekündigt, dass es bis 2025 die Maastricht-Kriterien nicht einhalten will. Sie wollen den Stabilitätspakt dauerhaft verändern. Wenn Deutschland nicht zu einer Politik der Schuldenbremse zurückkehrt, dann ist die überdehnte Schuldenpolitik von heute bereits der Anfang der europäischen Schuldenkrise von morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({35}) Also: Einen klaren Kurs zurück zur Schuldenbremse, eine Trendwende, raus aus der Belastung, hin zur Entlastung. Wir brauchen eine haushaltspolitische Wende, wie wir sie 2009 schon einmal hatten. Während der Finanzkrise ist nicht nur eine neue Verschuldung gemacht worden, sondern es gab auch ein hartes Ringen über jede einzelne Ausgabe im Haushalt. Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie wir in der damaligen Koalitionsrunde im Kanzleramt zusammensaßen ({36}) und die Politik der schwarzen Null eingeleitet haben. Da war nicht alles richtig. Ich erinnere mich noch, dass ein CSU-Verteidigungsminister mit federndem Gang in den Koalitionsausschuss kam und erklärte, seinen Sparbeitrag werde er dadurch erbringen, dass die Wehrpflicht abgeschafft wird. ({37}) Ich muss sagen: Das war ein Fehler; denn die Aussetzung der Wehrpflicht kann niemals ein Sparprogramm sein. Aber diese haushaltspolitische Linie war grundsätzlich richtig. ({38}) Heute dagegen haben wir einen Bundesfinanzminister, der geradezu dazu ermuntert, mehr auszugeben. Bei der Grundrente gibt es einen Beschluss ohne Gegenfinanzierung; denn die Finanztransaktionsteuer ist bislang noch nicht beschlossen. Jeder Haushalt bietet Spielräume: Haushaltsreste, Subventionen, Asylrücklage. Herr Brinkhaus hat gestern hier gesprochen und den Haushaltsplan von Olaf Scholz in Bausch und Bogen abgelehnt. ({39}) – Das haben Sie gemacht, Herr Brinkhaus. ({40}) Aber hier geht es nicht um Fensterreden, hier geht es auch nicht um den Haushaltsentwurf von Herrn Scholz. Wenn dieser Haushalt beschlossen wird, dann ist es auch der Haushalt der CDU/CSU mit allen Löchern, mit allen Mehrausgaben. Mit diesem Bundeshaushalt wird jede Bürgerin und jeder Bürger in Deutschland mit 1 200 Euro zusätzlichen Schulden belastet. Allein durch die Auflösung der Asylrücklage könnte diese Mehrbelastung um die Hälfte reduziert werden. ({41}) Dies zu unterlassen, wäre nicht nur ökonomisch unklug, es wäre ein schwerer Bruch der Generationengerechtigkeit. Es wäre der Totenschein für die Schuldenbremse. ({42})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erhält das Wort der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Rolf Mützenich. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Haushalt mit Kraft und Ausdauer, weil wir uns einerseits der Pandemie entgegenstemmen müssen, aber andererseits auch die Zukunft unseres Landes für Jahrzehnte sichern müssen. Wir können das alles gleichzeitig, weil Deutschland ein starkes und modernes Land ist, und wir können es auch deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir gut vorgesorgt haben. Ohne die sozialdemokratische Handschrift, ohne Olaf Scholz wäre vieles davon nicht möglich. Mit seiner großen Erfahrung, Konzentration und dem Willen für Gerechtigkeit kann er unser Land durch die tiefen Umbrüche in den kommenden Jahren führen. Olaf Scholz ist der richtige Kanzler für Deutschland, meine Damen und Herren. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen Geld in die Hand für Solidarität und Sicherheit, weil die Menschen in dieser Pandemie Zuversicht brauchen. Wenn ich manche Rede hier im Deutschen Bundestag höre und manches Verhalten sehe, stelle ich fest: Sie wollen diese Zuversicht nicht geben. Aber wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen das, weil die Menschen Zuversicht in einer existenziellen Krise brauchen. Das ist der Motor für die Zukunft. Auch deswegen nehmen wir zusätzlich Geld für unsere Volkswirtschaft in die Hand. Wir müssen die Herausforderungen der Digitalisierung und eines klimaschonenden Umgangs im Leben und in der Wirtschaftsleistung dieses Landes gleichzeitig bewältigen. Beides können wir. Dafür wollen wir Kraft und Ausdauer zeigen. Das schafft dieser Haushalt, meine Damen und Herren. ({1}) Vieles wird von der Pandemie überlagert. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben recht, dass Sie den letzten Teil Ihrer Rede für diese überzeugenden Worte gebraucht haben. Wir stehen nicht am Ende der Pandemie. Ob wir sozusagen einen Erfolg im nächsten Jahr haben, wissen wir alle nicht. Deswegen sind mahnende Worte richtig. Aber, wie gesagt, wir müssen auf der anderen Seite auch Zuversicht geben. Deswegen sage ich mit aller Überzeugung: Erstens. Es ist in den letzten Monaten eine Gemeinschaftsleistung gewesen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger sind von den Regeln überzeugt. Sie halten sich persönlich daran. Sie mahnen in den Familien. Und sie fordern durchaus auch im öffentlichen Raum dazu auf, diese Regeln zu achten, weil sie helfen, nicht nur dem Einzelnen, sondern auch der Gesellschaft. Zweitens ist es der Staat – nicht die Rückkehr eines Staates –, der in der Krise zeigen kann, was er leistet. Aber es ist nicht irgendeine staatliche Ordnung, es ist der Sozialstaat, meine Damen und Herren, auf den es ankommt, gebaut auf Generationen. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind der Sachwalter dieses Sozialstaates, der so viel Zuversicht und letztlich auch Hoffnung gibt. ({2}) Und drittens ist es eine demokratische Leistung. Demokratien in dieser Welt schaffen es besser, mit der Pandemie fertigzuwerden als autoritäre Systeme oder Populisten. Autoritäre Systeme warten auf die Zentralen, und Populisten wollen das Virus nur mit Sprüchen bekämpfen. Beides funktioniert nicht, sondern nur demokratische Gesellschaften haben die Kraft und die Ausdauer, sich der Pandemie entgegenzustellen. ({3}) Es ist kein Zweifel: Von Anfang an haben wir nicht infrage gestellt, dass Kritik geäußert werden kann, auch weil wir immer wieder neue Erkenntnisse erhalten. Kritik muss auch im Umgang mit dieser Pandemie geübt werden, weil sie auf der einen Seite in diese Demokratie gehört und wir auch über Grenzen diskutieren müssen. Auf der anderen Seite sage ich aber all denen, die sich Sorgen machen und Kritik üben: Augen auf, klar darüber werden, mit wem man sich gemein macht. Ich sage sehr deutlich: Scharlatane, Reichsbürger und Rechtsextreme dürfen nicht dazugehören. ({4}) Scharlatane, Reichsbürger und Rechtsextreme gehören weder auf die Treppe des Reichstagsgebäudes noch in dieses Parlament, meine Damen und Herren. ({5}) Diese Bilder haben verunsichert, und daher möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Die Pandemie eignet sich nicht zur Selbstdarstellung. ({6}) Die Situation, meine Damen und Herren, ist zu ernst für weiß-blaue Inszenierungen, für eine plumpe Bildersprache, für Kutschfahrten, für Operetten und für Kabinette im Spiegelsaal. Bis heute frage ich mich, warum man sich für so etwas hergeben musste, meine Damen und Herren. ({7}) Wir haben vieles auf den Weg gebracht, was auch in diesem Haushalt abgebildet wird, und es liegt noch viel vor uns. Es ist richtig, dass die erste Priorität immer unser Gesundheitssystem sein muss. In diesem Herbst und in diesem Winter werden die Zahlen wahrscheinlich steigen, und viele der Infektionsverläufe werden wir am Anfang nicht so einfach von anderen Erkrankungen unterscheiden können. Deswegen ist es richtig, dass der Bund einen Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst und die Unterstützung der Krankenhäuser beschließt. Deswegen ist es richtig, dass Liquiditätshilfen und der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung gewährt werden. ({8}) Es ist richtig, meine Damen und Herren, dass Überbrückungshilfen gegeben werden. Ich bin der festen Überzeugung: Hier werden wir noch weiteren Bedarf erkennen, und hier müssen wir auch nachsteuern. Aber mit voller Zuversicht und auch voller Stolz sage ich: Es war richtig, im Koalitionsausschuss über die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes zu streiten und dafür zu kämpfen; denn seine Bedeutung ist nicht allen in dieser Koalition so klar gewesen. Manchmal bin ich in diesem Raum irritiert von der Geringschätzung dieses Instruments im Hinblick darauf, was es für den Einzelnen, für die Familien und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet, meine Damen und Herren. ({9}) Sie gehen zynisch mit dieser Frage um, weil Sie sich – das kann ich Ihnen nicht nehmen – wahrscheinlich gar nicht vorstellen können, dass am Abendbrottisch manche Menschen sitzen, die nicht wissen, ob ihr Arbeitsplatz am anderen Tag noch erhalten werden kann. Genau deswegen, weil wir Zuversicht brauchen, stellen wir das Kurzarbeitergeld zur Verfügung. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kämpfen um jeden Arbeitsplatz und insbesondere um die Zukunft unserer industriellen Basis. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, wir geben als Koalition dem zuständigen Minister gewaltige finanzielle Spielräume. Wir haben sie eröffnet, wir werden weitere eröffnen, und wir wollen, dass diese jetzt auch genutzt werden, und zwar schnell genutzt werden. Da wird insbesondere Kollege Altmaier noch etwas leisten müssen, ({11}) was wir ihm ermöglicht haben, nämlich die Zukunft der industriellen Basis und der Wirtschaft voranzubringen, meine Damen und Herren. Auch das sollten wir hier nicht verschweigen: Elementar für die Bewältigung der Pandemie ist die Leistungsfähigkeit unserer Kommunen. Deswegen haben wir einen Solidarpakt für die Kommunen beschlossen. Wir wollen die Ausfälle der Gewerbesteuer in diesem Jahr kompensieren. Dass der Bund die Kosten der Unterkunft zu fast 75 Prozent übernimmt, ist eine deutliche Entlastung für die Kommunen in dieser Krise. ({12}) Aber strukturell wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mehr: Auf die Tagesordnung hier, aber auch auf die Tagesordnung der nächsten Jahre gehört, dass die Kommunen von ihren Altschulden befreit werden; denn das verschafft ihnen die Luft zum Atmen, für notwendige Leistungen, die sie ihren Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stellen. ({13}) Eines gehört zur politischen Auseinandersetzung dazu – Sie haben es erwähnt, Herr Lindner –: Ja, diese Krise kostet eine Menge Geld, weil wir uns mit Kraft und Ausdauer dagegenstemmen wollen. Deswegen ist es richtig, dass wir 2026 mit der Tilgung beginnen wollen. Ich glaube auch, das wird gelingen, weil die heutigen Maßnahmen die Voraussetzungen für Arbeit und Wachstum schaffen und damit eben auch in den nächsten Jahren wieder für mehr Steuereinnahmen sorgen werden. Aber dennoch – ich bin realistisch –: Das wird nicht ausreichen, und deswegen werden wir politisch darüber streiten, wer zukünftig mehr dazu beitragen kann. Und warum sollen wir das nicht? Für uns ist klar: Die, die künftig mehr dazu beitragen können, das sind nicht die Alleinerziehenden, das sind nicht die Geringverdiener, das sind nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({14}) Aber diejenigen, die mehr als genug haben, werden in dieser Krise stärker gebraucht. Das ist gerecht, und ich bin sicher, dass viele das genauso sehen. ({15}) Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis geblieben: Für einige in diesem Parlament soll die Pandemie dafür herhalten, andere Aufgaben nicht mehr anzugehen. Das ist kurzsichtig, und zwar insbesondere deshalb, weil es um die nächsten Jahrzehnte und damit um die Zukunft unseres Landes geht. Nicht die Pandemie alleine ist die Herausforderung, sondern die Frage des Klimas und wie wir gleichzeitig die Arbeit in einer klimaschonenden Weise letztlich so stärken können, dass auch zukünftige Generationen Arbeitsplätze und eine leistungsfähige Wirtschaft haben. Deswegen – es waren nur die Sozialdemokraten, die das auf dem Schirm hatten – müssen wir auch Strukturbrüche in diesem Land verhindern. Dieser Weg ist steinig und wird ohne einen starken Sozialstaat nicht gelingen. ({16}) Es ist richtig, dass wir uns um die Arbeit von morgen kümmern. Natürlich gilt das zuerst für die Gewerkschaften und für die Unternehmen. Aber der Staat muss Rahmenbedingungen setzen und insbesondere auch Leistungen bereithalten. Qualifizierung und moderne Produktionstechniken sind auch eine Frage der Zukunft unseres Landes. Aber genauso gehört dazu, dass wir es geschafft haben, in diesem Jahr eben keine Almosen zu verteilen. Denn das ist nicht das Selbstverständnis von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. ({17}) Wir haben die Grundrente geschaffen, und es gibt einen Rechtsanspruch. Keiner muss betteln gehen, sondern das ist in einem Rechtsstaat, in einem Sozialstaat notwendig und auch angemessen, meine Damen und Herren. ({18}) Ich will auch daran erinnern, was die Lehren aus der Pandemie sind. Es sind eben nicht nur finanzielle Leistungen und nicht nur ein Ordnungsrahmen, sondern insbesondere die Herstellung von Schutz und Rechten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wenn Sie sich dafür interessieren, wissen Sie, dass die Betriebe, die Mitbestimmung haben und deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Betrieb manchmal besser kennen als die Unternehmer, eben besser durch diese Pandemie kommen. ({19}) Deswegen wollen wir auch die Mitbestimmungsrechte und den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den nächsten Jahren in den Vordergrund stellen. Deswegen war es richtig, aufgrund des Skandals in der Fleischindustrie, den wir erlebt haben, und solcher, die wir auch schon vorher erlebt haben, die Werkverträge rechtlich und politisch anzugehen. Und plötzlich klappt’s! Plötzlich wollen sich Arbeitgeber mit Tarifverträgen aus dieser Not befreien. Dies hätte in der Fleischindustrie schon viel früher erreicht werden müssen. Die Gewerkschaften haben damals die Hand ausgestreckt, und erst jetzt, als ein handlungsfähiger Staat reagiert hat, ist es plötzlich offensichtlich möglich. Das beweist doch: Ein Sozialstaat kann diese Krise am besten angehen, meine Damen und Herren. ({20}) Ja, es geht zuerst um unser Land. Es geht um Deutschland, und Deutschland wird es nur dann gut gehen, wenn es in Europa vorangeht. Deswegen, Frau Bundeskanzlerin, ist es richtig, dass ein neues Kapitel in der Europäischen Union aufgeschlagen wird. Die Europäische Union muss jetzt an ihren neuen Instrumenten wachsen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass viele, insbesondere die Bürgerinnen und Bürger, verstehen, dass sie die Herausforderungen alleine nicht bestehen werden. Sie brauchen die Solidarität, insbesondere von den starken Staaten innerhalb der Europäischen Union. Wem das nicht reicht: Die Selbstbehauptung eines europäischen Staates wird in einer unsicheren Welt nur gelingen, wenn wir es gemeinsam machen. ({21}) Ich will auch mit aller Bescheidenheit daran erinnern, Frau Bundeskanzlerin, dass es nicht der Merkel/Macron-Plan war, der der Europäischen Union sozusagen einen neuen Schub gegeben hat, sondern es war die Aufforderung des Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und des Finanzministers Olaf Scholz, die im April die Wende in einer Diskussion gebracht hat. ({22}) – Da können Sie gerne lachen. Sie, Herr Brinkhaus, waren der Erste, der gegen die gemeinschaftliche Kapitalbeschaffung gewettert hat. Wir haben dafür plädiert, und am Ende ist es in der Europäischen Union gelungen. Unterstützen Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament diesen Paradigmenwechsel! Europa braucht ihn, und Deutschland, meine Damen und Herren, auch. ({23}) Von daher gibt es auch die richtige Richtung: Ja, wir unterstützen die Vorschläge der Europäischen Kommission, die noch in einer gemeinsamen Flüchtlings- und Asylpolitik ausgestaltet werden müssen. Warum sollte man das Folgende von hier vorne nicht sagen? Ich bin über Parteifreundinnen und ‑freunde in der Europäischen Union enttäuscht. Ich hätte mir große Unterstützung auch bezogen auf die Solidarität der letzten Tage gewünscht. ({24}) Ich sehe, dass einige nicken, auch bei der Fraktion der Grünen. Deswegen würde ich mich auch gerne einmal an die Grünen wenden. Gibt es Ihnen nicht zu denken, was Ihre Parteifreunde in Österreich tun? ({25}) Nicht nur, dass unser Nachbar vieles hintertreibt – das tun andere auch –: Der von Ihren Parteifreunden getragene Regierungschef mischt sich plump in die deutsche Innenpolitik ein, er zündelt. ({26}) Ich finde, das wäre einmal ein Wort wert gewesen, meine Damen und Herren. ({27}) Zum anderen: Wenn Sie schon nicht über Ihre Parteifreunde im europäischen Ausland reden wollen, dann sollten Sie über Ihr eigenes Tun nachdenken. Da, wo Sie Verantwortung ausüben, ist die Realität ganz einfach: Anfang des Jahres lehnen Sie eine bessere Duldung gut integrierter Asylsuchender ab, Sie stimmen im Landtag von Baden-Württemberg mit Ihrem Koalitionspartner CDU und mit der AfD. Die größte Zahl von Abschiebungen findet heute aus Baden-Württemberg statt. Und in Sachsen lehnen Sie noch vor wenigen Tagen die Aufnahme weiterer 500 Flüchtlinge aus Griechenland ab. Auch das ist Realität. Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf; ({28}) aber ich finde, Sie sollten das Dilemma, das Sie haben, auch hier im Deutschen Bundestag erkennen. ({29}) Sie stecken genauso dadrin, und mancher moralische Zeigefinger sollte ein wenig gesenkt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, wir alle machen uns große Sorgen um den Frieden in Europa und in der Welt. Wir erleben erneut eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Armenien und Aserbaidschan. Und Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben mit Sorge auf Griechenland und die Türkei verwiesen. Wir hatten es leider schon öfter, dass diese Länder aneinandergeraten sind. Aber der Unterschied heute ist – das wissen Sie besser als ich –, dass dieser Konflikt durch europäische Länder weiter aufgeladen wird. Deswegen ist der beste Weg, zu Verhandlungen zu kommen und die Befragung internationalen Rechts auch durchzuführen. Aber deswegen sage ich auch klar: Wenn Sie eine kluge vermittelnde Rolle einnehmen, dann würde ich Sie auch bitten, den französischen Staatspräsidenten einmal zu fragen, ({30}) ob es in dieser Situation richtig ist, dass neue Kampfflugzeuge nach Griechenland geliefert werden sollen oder eben auch Fregatten modernisiert werden, die aus deutscher Produktion kommen. Beides, meine Damen und Herren, passt nicht zusammen. Mut gehört in der internationalen Politik auch dazu. ({31}) Und ja, der versuchte Mordanschlag auf Alexej Nawalny war verstörend, und er bedarf in der Tat gemeinsamer Reaktionen. Deswegen war der Weg, den die Bundesregierung mit der Koalition genommen hat, nämlich genau die internationale Institution einzubeziehen, der die entsprechenden Mechanismen zur Verfügung stehen, und zwar aufgrund des Übereinkommens über das Verbot chemischer Waffen, der richtige Weg. Ich erhoffe mir davon auch ein gemeinsames Vorgehen. Wir haben das auch um unserer selbst willen getan, weil in der internationalen Politik schon genügend nationale Alleingänge stattfinden. Deswegen müssen wir die noch vorhandenen internationalen Organisationen suchen, um insbesondere nicht – wie in den vergangenen Jahrzehnten – zum Spielball ideologischer oder wirtschaftlicher Machtkämpfe zu werden, die manchmal auch auf unserem Boden ausgetragen werden, meine Damen und Herren. Das gilt gleichzeitig für den hegemonialen Kampf zwischen den USA und der Volksrepublik China. Ich sage für die Sozialdemokratische Partei sehr klar: An militärischen Eindämmungsstrategien werden wir uns nicht beteiligen, und im Gegensatz zur Verteidigungsministerin sehe ich uns nicht im Südchinesischen Meer, meine Damen und Herren. ({32}) Die Volksrepublik China und die USA tragen derzeit gemeinsam zur Eskalation bei, und deswegen ist es richtig, auf beide Seiten einzuwirken. Deswegen an den Koalitionspartner: Ich glaube, die transatlantische Partnerschaft zu würdigen, wie Sie das vor einigen Wochen getan haben, ist richtig, ({33}) dann aber auf gleicher Augenhöhe und mit allen Instrumenten. Sie konnten es nicht vorhersehen: Als Sie diese Frage für sich aufgerufen haben, hat am anderen Tag die US-Regierung Sanktionen gegen die Vorsitzende und weitere Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs erlassen. Was für eine Wende in der internationalen Politik, wo das Völkerrecht zuerst zählen soll! Deswegen sage ich für meine Partei: Wir sind zuerst auf der Seite des Völkerrechts. Wenn die USA in den nächsten Monaten auf die Seite des Völkerrechts zurückkehren wollen, dann gerne! Ansonsten werden wir dafür weiterhin streiten. Das Völkerrecht muss die Zielmarke der internationalen Politik sein. ({34}) Meine Damen und Herren, den Wandel der Arbeit und der Wirtschaft zum Nutzen der Umwelt zu gestalten – das machen wir mit diesem Haushalt klar. Gleichzeitig wollen wir einen zumindest gefährdeten Frieden weiterhin sichern. Das sind Herausforderungen, die für sozialdemokratische Antworten wie gemacht sind. Deswegen treten wir heute dafür mit einem überzeugenden Haushalt und im kommenden Jahr mit aller Ausdauer und Überzeugung an. Vielen Dank. Bleiben Sie gesund! ({35})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Dietmar Bartsch. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein halbes Jahr Corona liegt hinter uns. Ich will mich als Erstes ausdrücklich dem Dank und der Hochachtung an die Bürgerinnen und Bürger, die die Bundeskanzlerin hier ausgesprochen hat, anschließen. Deutschland steht, was die Pandemie betrifft, relativ gut da, und das ist zuallererst ein Verdienst der Bürgerinnen und Bürger. Deswegen ist Ihr Appell auch richtig, und ich schließe mich auch diesem an. Allerdings will ich zwei Dinge anmerken. Das erste ist: Wir werden weiteren Grundrechtseinschränkungen mit großer Zurückhaltung gegenüberstehen, weil sie ein Problem sind. ({0}) Grundrechtseinschränkungen sind genauso wie die Entmachtung des Parlaments problematisch. Zweitens. Die Pandemiebekämpfung wird immer mehr zu einer Bühne für das Vortanzen der Merkel-Erben. Was den Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen und aus Bayern nützt oder schadet, das darf aber überhaupt kein Kriterium sein. ({1}) Und wenn Herr Merz sogar Menschen als „Faulenzer“ beschimpft, nur weil er nach Aufmerksamkeit schreit, dann ist das nicht in Ordnung. ({2}) Ihre hausinternen Probleme beeinflussen inzwischen die Entscheidungen. Damit verspielen Sie Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern und schaden dem Land. ({3}) Ich will nur als Beispiel hier anführen: der Fototermin auf Schloss Herrenchiemsee. Es war eine Inszenierung für Markus Söder, den Ministerpräsidenten mit der miesesten Coronabilanz. ({4}) Frau Merkel, ich wundere mich, dass Sie so was mitmachen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, da Herr Lindner hier etwas zu der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst gesagt hat, will ich dazu auch etwas sagen. Dass die Politik, dass die öffentlichen Arbeitgeber nach den letzten Monaten nicht in der Lage sind, die Streiks im öffentlichen Dienst abzuwenden, ist eine Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger. Die Forderungen von Verdi sind berechtigt. ({6}) Wir geben Milliarden Euro in die Wirtschaft. Jetzt müssen die Menschen dran sein, die das Land am Laufen halten. Das ist doch das Mindeste; das ist eine Frage von Respekt, meine Damen und Herren. Jetzt zum Haushalt. Der Haushalt ist der letzte dieser Bundesregierung; Sie haben darauf hingewiesen. Er soll zentrale Weichenstellungen vornehmen. Mir scheint allerdings, dass manches nur deshalb entschieden wird, weil Sie, Frau Bundeskanzlerin, aufhören und weil Olaf Scholz Kanzler werden will. ({7}) Richtschnur Ihrer Politik ist mit diesem Haushalt sichtbar ausschließlich der Wahltermin. Dieser Haushalt ist ein Wahlkampfhaushalt – das ist das Riesenproblem. ({8}) Wir nehmen so viel Schulden auf wie noch nie – 314 Milliarden Euro –, und es ist auch völlig richtig, nicht gegen die Krise anzusparen. Vieles von dem war notwendig, um Arbeitsplätze, um Betriebe zu retten. Aber Sie sagen überhaupt nicht, wer denn die 314 Milliarden Euro bezahlen soll. ({9}) Wer zahlt denn die Rechnung? Sie geben keine Antwort, und keine Antwort ist eben auch eine Antwort. Sie sagen sogar, Sie wollen 2022 zurück zur Schuldenbremse – von 96,2 Milliarden auf circa 10 Milliarden Euro Neuverschuldung. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch. Das ist doch absurd, das ist völlig absurd. ({10}) Sie bauen damit schon jetzt einen Spardruck auf den Sozialstaat auf. Es wird ein Kürzungshammer drohen – das ist die Realität, meine Damen und Herren. Ich will mal daran erinnern, wie es nach der Bankenkrise war, wie Sie das damals gemacht haben: Nach der Bankenkrise gab es in Deutschland 500 000 Vermögensmillionäre mehr, und die Bürgerinnen und Bürger durften die Schulden, die gemacht wurden, um die Banken zu retten, mit dem Verfall der Infrastruktur bezahlen. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({11}) Nicht einmal jetzt, in der allergrößten Krise, in der Coronakrise, trauen Sie sich, die Superreichen in unserem Land an den Kosten zu beteiligen. Was ist denn so absurd daran, eine einmalige Vermögensabgabe, wie sie im Grundgesetz vorgesehen ist, wirklich umzusetzen? Das, was Sie machen, ist inakzeptabel. ({12}) Schauen Sie sich einmal die neuesten Vermögenszahlen an: Die oberen 10 Prozent besitzen zwei Drittel des Vermögens. Warum trauen Sie sich nicht einmal, da etwas abzuholen, meine Damen und Herren? ({13}) Der wirklich große Wurf wäre natürlich eine große Steuerreform, lieber Herr Finanzminister, eine große Steuerreform, die die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, die kleine und mittlere Betriebe, den Mittelstand wirklich entlastet und vor den Krisenkosten schützt. Wir müssen wieder dahin kommen, dass Leistung in unserem Land eine Rolle spielt und nicht Erbschaft. Bei uns ist es nur Erbschaft. Diejenigen, die viel haben, können weitermachen. ({14}) Da stimmt das, lieber Herr Scholz: Nichthandeln wird manchmal teurer, als zu handeln. Deswegen muss auf diesem Feld endlich gehandelt werden. Über Ihren Haushalt freuen sich insbesondere der Geldadel und die Rüstungsindustrie; das ist die Wahrheit. Ein Wort zu den Kommunen. Ja, es ist richtig, bei den Kosten der Unterkunft die 75-prozentige Entlastung durchzuführen. Aber, ehrlich gesagt, das wird in keiner Weise reichen. Die Kommunen werden die Leidtragenden sein. Da wird jetzt schon an allen Ecken und Enden gespart. Es wird natürlich vor allem zulasten der Investitionen gehen, auch der ökologischen Investitionen. Sie verlagern die Verantwortung, und das ist indiskutabel, meine Damen und Herren. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Das ist allen klar, offensichtlich bis auf Herrn Altmaier. Mein Problem ist ja nicht, dass Sie die Lage beschönigen. Mein Problem ist, dass Sie real viel zu wenig für die wirtschaftliche Erholung tun. Ihr Konjunkturpaket ist das Prinzip Gießkanne: unglaublich teuer, ineffektiv und ungerecht. Als Wirtschaftsminister muss Ihnen doch auffallen, dass aktuell ganz viele Unternehmen ihre Betriebsstätten ins Ausland verlegen wollen. Da muss doch klar sein, dass wir alle darum kämpfen, dass keine Betriebsstätten verlagert werden. Vor allen Dingen darf es kein Geld geben, wenn es Betriebsverlagerungen gibt. Wenn es Geld gegeben hat, dann muss das zurückgefordert werden, meine Damen und Herren. ({16}) Besonders katastrophal ist, dass der Steuerzahler die Dividenden von Konzernen mitfinanzieren muss. Warum zahlen Sie Staatshilfen, wenn Dividenden ausgeschüttet werden? Die Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen bei Kurzarbeitergeld ist eine Staatshilfe. ({17}) Das ist dreiste Umverteilung von der Allgemeinheit zu den Aktionären. Die Klattens und Quandts sind ein besonderes Beispiel. Diese beiden haben in diesem Jahr 700 Millionen Euro für Nichtstun, also nur auf ihr Aktienpaket, bekommen. Und Sie subventionieren das mit Steuergeld! Warum zahlen nicht Quandt und Klatten als Eigentümer das Kurzarbeitergeld? Das wäre doch einmal eine sinnvolle Maßnahme. ({18}) Dass BMW und andere Staatshilfen erhalten und gleichzeitig Dividenden auszahlen, das ist schwer daneben und nichts anderes. Wie sagt der IG-Metall Chef Hofmann dazu: Und besonders glänzend läuft das Geschäft mit Luxuskarossen wie der S-Klasse. Auch diese Krise ist keine Krise der Einkommensstarken in diesem Land. Das ist die Wahrheit. Die Veranstaltungsbranche hat letzte Woche hier demonstriert. Was sagen Sie eigentlich denen? Die Gefahr einer riesigen Insolvenz- und Pleitewelle ist real. Wie helfen Sie denn den kleinen Unternehmen, den Freiberuflern, den Soloselbstständigen, den Künstlerinnen und Künstlern? Diese verweisen Sie im Prinzip auf Hartz IV, mehr tun Sie nicht, während Sie bei den großen Konzernen mit Milliarden agieren. Das ist eine schwere Schieflage, meine Damen und Herren. ({19}) Die Stärke der deutschen Wirtschaft sind aber nicht die großen Konzerne, sondern es sind die hart arbeitenden Arbeitnehmer, es sind die vielen kleineren und mittleren Betriebe, der Mittelstand. Das ist die Wahrheit. Herr Altmaier, diese muss es noch geben, wenn der Aufschwung kommt. Wenn Sie sich die aktuellen Stellenstreichungen – ob bei Continental, Mahle, Schaeffler usw. – ansehen, dann stellen Sie fest: Wir haben ein riesiges Problem. Ich will zumindest einmal, Frau Bundeskanzlerin, an die Werften in Mecklenburg-Vorpommern erinnern. Hier haben Sie auch eine ganz persönliche Verpflichtung. ({20}) Das dicke Ende der Wirtschaftskrise steht uns noch bevor. Ein Grund ist wirklich die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung. Die Arbeitslosigkeit steigt; nicht alle kehren aus der Kurzarbeit in ihren Job zurück. Vor allen Dingen sind die Reallöhne laut Statistischem Bundesamt im zweiten Quartal so stark gefallen wie noch nie. Besonders stark ist der Rückgang in den unteren Einkommensgruppen. Wir brauchen nicht nur einen Rettungsschirm für die Wirtschaft, sondern einen sozialen Schutzschirm für die Menschen in diesem Land. Das ist das Gebot der Stunde. ({21}) Meine Damen und Herren, soziale Sicherheit beginnt damit, das eigentlich Selbstverständliche auch zu tun, nämlich dafür zu sorgen, dass man von seiner Arbeit auch leben kann. Sie erhöhen sage und schreibe den Mindestlohn zum 1. Januar um 15 Cent. Das ist eine Verhöhnung von Millionen Leistungsträgern in dieser Gesellschaft. ({22}) Ich frage Sie wirklich: Sind 15 Cent Ihr Dank für die Coronazeit? Ist das von Ihrem Applaus geblieben? Zigtausende Verkäuferinnen, Pflegerinnen, Paketboten, genau die, die vor Monaten noch systemrelevant waren, müssen sogar aufstocken. Das heißt im Klartext: Sie werden so schlecht bezahlt, dass sie trotz Vollzeit noch zum Sozialamt müssen. In Deutschland verdienen 10 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger als 12 Euro. Der Niedriglohnsektor ist aber nicht billig, sondern teuer, und zwar für die Steuerzahler und für den Haushalt. Wir könnten 10 Milliarden Euro im Jahr sparen und sinnvoll einsetzen bei einem entsprechenden Mindestlohn. ({23}) Wir fordern Sie deshalb auf: Erhöhen Sie doch in dieser Legislaturperiode den Mindestlohn noch auf 12 Euro! Ich habe das doch x-mal selbst aus der Regierung gehört. Aber real passiert viel zu wenig. Die Minilöhne sind dann die Minirenten von morgen. Zur Abmilderung der Folgen schlechter Löhne geben wir noch einmal 7 Milliarden Euro für Grundsicherung im Alter aus. Deshalb ein kleiner Haushaltstipp: Beenden Sie Ausbeutung und Lohndumping in Deutschland! Das senkt die Staatsausgaben und erhöht die Einnahmen. ({24}) Soziale Sicherheit und solide Staatsfinanzen sind eben keine Gegensätze, im Gegenteil. Sie fordern zu Recht von den Bürgern, eine Maske zu tragen. Wir fordern von Ihnen nur: Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab! ({25}) Meine Damen und Herren, Kinder und Familien, insbesondere Alleinerziehende, waren und sind teils noch immer Verlierer dieser Krise. Daher – ich teile das – darf es nicht zu einem ähnlichen Lockdown und zu flächendeckenden Kita- und Schulschließungen kommen. Das muss regional entschieden werden; das ist richtig. Aber ich will auch darauf hinweisen, dass in der Pandemie die Kinderarmut in unserem Land weiter gestiegen ist. Damit können wir uns allesamt nicht abfinden. Jedes Kind muss gleiche Chancen haben. ({26}) Ich will in diesem Zusammenhang aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren. Da steht drin: Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Das haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag aufgeschrieben. Sie machen gar nichts in diese Richtung. Es kommt nicht in das Grundgesetz. Union und SPD haben hier offensichtlich die Bevölkerung selbst mit dem Koalitionsvertrag verklappst. Versprochen und gebrochen, das ist die Realität. ({27}) Dass eine solche Verankerung notwendig ist, haben wir in besonderer Weise in der Coronakrise gesehen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sofort einen Autogipfel nach wenigen Tagen ausgerichtet. Aber ein Schulgipfel ist erst Monate später angesetzt worden. Das sagt alles über die Prioritätensetzung dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren. ({28}) Dann sagen Sie immer: Die Länder sind zuständig. – Ich frage mich überhaupt, wieso wir eine Bundesbildungsministerin auf der Bundesebene haben. ({29}) Das ist wirklich eine zulässige Frage. Heute habe ich von Ihnen gehört, es solle Laptops wegen der Digitalisierung geben. Das hat auch Olaf Scholz gestern gesagt. „Donnerwetter!“, kann ich da nur sagen. Das ist doch schon 2016 von der Kultusministerkonferenz beschlossen worden. Was ist denn bis heute passiert? Wissen Sie, was wir im Bildungssystem vor allen Dingen brauchen, liebe Frau Merkel: gut bezahlte Lehrerinnen und Lehrer. Wir haben aktuell einen dramatischen Lehrermangel. Das ist unser Hauptproblem: mehr Lehrerinnen und Lehrer, kleinere Klassen. Das ist entscheidend, wenn alle Kinder mitkommen sollen, meine Damen und Herren. ({30}) Ich mache Ihnen einen konkreten Vorschlag. Kippen Sie das 2-Prozent-Ziel der NATO! Wir haben einen Bildungsnotstand. ({31}) Aber kein Land bedroht die Bundesrepublik, meine Damen und Herren. Wenn wir jährlich 10 Milliarden Euro einsparen, dann könnten wir das Ziel erreichen, dass es keine Klasse in Deutschland mit mehr als 15 Schülerinnen und Schülern gibt. Das wäre einmal eine wirkungsvolle Maßnahme. ({32}) Wir würden kein Geld verbrennen, kein Steuergeld für Trump und das NATO-Ziel, sondern wir würden damit eines der besten und gerechtesten Schulsysteme der Welt aufbauen. Das wäre einmal eine Maßnahme, sozialpolitisch, bildungspolitisch und übrigens auch integrationspolitisch. ({33}) Schlechte Schulen und Kinderarmut sind eine toxische Mischung, die wir endlich auflösen müssen. Ein reiches Land mit der stärksten Wirtschaft Europas darf doch keine schlechten Schulen haben. Doch was passiert bei Ihnen? Sie geben Milliarden für die Rüstung aus. Der Verteidigungsetat ist unter dieser Regierung um 21 Prozent gestiegen. ({34}) Warum erhöhen Sie mitten in der Krise jetzt auch noch die Rüstungsausgaben deutlich? Warum geben Sie mehr Geld für Rüstung aus als für Gesundheit und Bildung zusammen? Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren. ({35}) Meine Damen und Herren, jede zweite Rente liegt in Deutschland unter 1 000 Euro. Davon haben 2,4 Millionen Rentnerinnen und Rentner über 40 Jahre eingezahlt. Und Ihre Grundrente ändert daran nichts. In den Niederlanden gibt es wirklich eine Grundrente, die ihren Namen verdient. Keine Rentnerin und kein Rentner erhält dort unter 1 255 Euro, und das ist bei uns ganz anders. Deutschland hat die stärkste Wirtschaft; aber bei Schulen und bei Renten sind wir Abstiegskandidaten in Europa. Wenn ein Durchschnittsverdiener in Wien und ein Durchschnittsverdiener in Würzburg in Rente gehen, dann gibt es in Wien 800 Euro Rente mehr als in Würzburg. Wie wollen Sie das wirklich erklären? ({36}) Deshalb: Nutzen Sie die Krise für eine grundlegende Reform. Wir machen einen Vorschlag: Lassen Sie zunächst mal alle Abgeordneten des nächsten Bundestages in die gesetzliche Rente einzahlen; das wäre doch ein wichtiges Symbol. Wir brauchen eine Rentenkasse, in die alle einzahlen. Wir werden hier noch vor Weihnachten einen entsprechenden Antrag vorlegen, und dem sollten Sie dann zustimmen. Das wäre zumindest ein wichtiger Schritt. ({37}) Eine zweite Großbaustelle des Sozialstaates ist die Pflege. Pflege wird immer mehr zur Armutsfalle. Es kann doch nicht sein, dass ein Pflegeplatz in Deutschland 2 000 Euro oder teilweise noch deutlich mehr kostet. Das ist kein Eigenanteil mehr; das ist Enteignung, meine Damen und Herren. ({38}) Und was tun Sie dagegen? Jeder dritte Pflegeheimbewohner muss inzwischen Sozialhilfe beantragen. „Wozu gibt es denn eigentlich eine Pflegeversicherung?“, fragen da viele Betroffene. Ich meine, Sie haben hoffentlich nach der Pandemie im Gesundheitswesen dazugelernt, dass Kommerzialisierung wirklich der falsche Weg ist und dass wir hier auch wirklich die Eigentumsfrage stellen müssen. ({39}) Aber wo ist denn aktuell die bessere Bezahlung in der Kranken- und Altenpflege? Wann senken Sie denn mal die Eigenanteile? Die Pflegeversicherung hat 10 Milliarden Euro mehr in diesem Jahr als 2017, und trotzdem fließt weniger Geld in die Altenheime. Ihr Sparprogramm müssen die Bewohner durch explodierende Kosten und das Pflegepersonal über magere Löhne bezahlen. Ein Sozialstaat ohne ein gutes Renten- und Pflegesystem ist wie eine Schule ohne Lehrer, meine Damen und Herren. ({40}) Hier müssen Sie handeln und dürfen sich hier auch nicht hinter der Pandemie verstecken, meine Damen und Herren. Handlungsbedarf ist angesagt – für die Menschen, die dort arbeiten, die Sie in den letzten Wochen und Monaten vielfach beklatscht haben. Sie geben Hunderte Milliarden aus und schaffen es aber nicht, dieses Land – mit diesem Haushalt erst recht nicht – krisenfest zu machen. Mit einem Teil des Geldes – nur mit einem Teil des Geldes! – könnten wir den Sozialstaat, das Gesundheitssystem und die Schulen fitmachen für die nächsten Jahre. Stattdessen wird durch Ihre Politik Steuergeld auf eine Art ausgegeben, dass das Land nach der Krise noch tiefer gespalten sein wird, und das, meine Damen und Herren, ist ein Riesenproblem. Deshalb: Dieser Haushalt, der kann nicht Krise, dieser Haushalt kann überhaupt nicht soziale Sicherheit, dieser Haushalt kann nicht Zukunft, und deswegen sollte er grundsätzlich verändert werden. Herzlichen Dank. ({41})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Seit einem halben Jahr erleben wir, wie das Coronavirus unser Leben auf den Kopf stellt. Ich verstehe ja jede und jeden, den das nervt und der das einfach schlichtweg leid ist. Aber es hilft alles nichts; denn wir haben noch einen verdammt langen Weg vor uns, und wann ein Impfstoff zur Verfügung steht, steht eben nicht hundertprozentig fest. Deutschland ist bis jetzt ziemlich glimpflich durch diese Pandemie gekommen. Aber das muss überhaupt nicht so bleiben; denn es steht der Winter vor uns. Ich glaube, es ist ganz entscheidend, dass wir das, was uns bisher gut durch die Pandemie gebracht hat – Vorsicht, Vernunft und Solidarität –, weiter aufrechterhalten. Es ist entscheidend, dass wir die Bürgerinnen und Bürger dazu bringen, dass sie weiter so gut mitmachen. Aber entscheidend ist auch, dass wir als politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger das vorleben und gemeinsam gestalten. ({0}) Wenn ich mir die Herausforderungen anschaue, die in diesem Winter auf uns zukommen, würde ich mir, ehrlich gesagt, mehr Gemeinsamkeiten – bei allen föderalen Unterschieden – und mehr Vorausplanung wünschen. ({1}) Ich kann absolut verstehen, dass man sich am Anfang der Pandemie schwergetan hat, dass man sich am Anfang der Pandemie unsicher war, wie man reagiert. Aber dass wir jetzt nach sechs Monaten immer noch keine vorausschauende Teststrategie haben, dass wir jetzt nach sechs Monaten immer noch darüber diskutieren, wann wir Luftfilter für die Schulen und für die Innenräume anschaffen, dafür sinkt mein Verständnis – bei allem Lob, wie es bisher gelaufen ist. ({2}) Ich glaube, es muss uns klar sein, dass wir die Prioritäten eindeutig festlegen. Natürlich kann ich auch verstehen, dass die Leute privat feiern wollen. Ich glaube, man kann damit leben, wenn das noch eine Zeit, auch wenn es einem schwerfällt, nicht stattfinden kann. Aber ich glaube, es ist einfach sehr schwer, damit zu leben, wenn wieder die Schulen geschlossen werden müssten, wenn wieder die Kitas geschlossen werden müssten oder wenn wir wieder insgesamt einen Shutdown unserer Wirtschaft – der in Deutschland im Verhältnis relativ milde war – hätten. Deshalb: Die Prioritäten müssen klar sein, und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass wir bei den Dingen, die im Moment die Infektion treiben – wie private Festivitäten, wie Veranstaltungen, wie Fußballspiele, bei denen man gerne zuschauen kann, wenn alles wieder im Griff ist –, darauf achten, dass die Leute weiter mitmachen, sich im Griff haben, verantwortungsvoll sind und solidarisch sind. ({3}) Wir haben das erste Nothilfepaket gemeinsam erarbeitet und beschlossen, und das war auch gut so. Seitdem diskutieren wir über bestimmte Lücken. Es nervt einen ja schon fast selbst, es immer wieder sagen zu müssen: Aber warum sorgen Sie nicht endlich dafür – bei dem vielen Geld –, dass die Soloselbstständigen, die Kulturschaffenden eine vernünftige Absicherung bekommen? Das verstehe ich nicht. ({4}) Was ich, ehrlich gesagt, auch nicht verstehe, ist, warum Sie für die Grundsicherungsbezieherinnen und ‑bezieher nicht wenigstens temporär, angesichts dessen, dass so viele Hilfen aus Coronagründen wegfallen mussten, eine Erhöhung gewähren. Das wäre doch sinnvoll; das wäre doch ein Zeichen der Solidarität. Deshalb: Geben Sie sich da einen Ruck! ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die sechs Monate haben uns in einer Deutlichkeit vor Augen geführt – wie ich das selber nicht erwartet hätte als Naturwissenschaftler –, wie verletzlich unsere Gesellschaft ist, trotz allem Wissen, trotz aller Technik und trotz allem Wohlstand, wie brüchig unsere Normalität ist. Ein Virus hebt seit Monaten die Welt aus den Angeln, und die Vorstellung, dass wir mit all unserem Wissen von den natürlichen Lebensgrundlagen entkoppelt sind, dass wir uns die Erde de facto Untertan gemacht haben, diese Vorstellung erweist sich als ganz krasse Illusion. Die letzten sechs Monate sind auch eine ganz deutliche Warnung, die anderen ökologischen Krisen, wie die Klimakrise, das drohende sechste Massenaussterben, endlich ernst zu nehmen und endlich damit anders umzugehen. ({6}) In einer Welt, in der die Durchschnittstemperatur – das droht real – um 4 bis 6 Grad steigt, ({7}) da gibt es keine Normalität mehr für die Menschen, die da leben. Deshalb ist echter Klimaschutz – echter Klimaschutz! – eine Voraussetzung für Freiheit und Demokratie, weil nur echter Klimaschutz uns geordnete Verhältnisse bewahrt. ({8}) Deshalb: In Zeiten, in denen sich die Grundbedingungen so grundsätzlich ändern, gilt halt: Nur Veränderung schafft Halt; nur Veränderung bewahrt uns das, was uns lieb und teuer ist in dieser Gesellschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die letzten sechs Monate haben uns nicht nur unsere Verletzlichkeit vorgeführt, sondern die letzten sechs Monate haben auch eindrucksvoll gezeigt, wie viel Kraft in diesem Land steckt, wenn die politische Führung des Landes es ernst meint. Sie haben gezeigt, wie viel wir gemeinsam hinkriegen können und wie der demokratische Teil dieses Parlaments über sich hinauswachsen kann, und sie haben gezeigt, dass Solidarität, Hilfsbereitschaft und auch Veränderungsbereitschaft allen Unkenrufen zum Trotz viel tiefer als gedacht in den allermeisten Menschen dieses Landes verankert sind. ({9}) Ich glaube, die letzten sechs Monate haben auch uns, den demokratischen Teil des Parlamentes, gezwungen, über alte Gewissheiten nachzudenken. Wir haben, glaube ich, mehr erreicht, als das viele erwartet hätten. Es ist gelungen, ein Konjunkturpaket historischen Ausmaßes zu schmieden. Es ist gelungen, einen Wiederaufbaufonds auf europäischer Ebene mit über 750 Milliarden Euro zu beschließen, und ich will überhaupt nicht darüber streiten, wer da die erste Idee hatte. ({10}) Die Nothilfen wurden in wenigen Tagen beschlossen. Unsere Demokratie und unser Land haben in dieser schwierigen Zeit gezeigt, was sie können. ({11}) Unser Land hat Handlungsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft und Solidarität bewiesen. Angesichts der Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte müssen wir uns das, glaube ich, bewahren. Dann können wir diese Herausforderungen auch bewältigen. ({12}) Die Antwort auf die Umbrüche kann nicht einfach die Wiederherstellung der alten Verhältnisse – also irgendwelche ideologischen Schlachten – sein. Wenn ich mir die großen Krisen anschaue, die auf uns zukommen, dann sehe ich, dass wir diese neue politische Kultur am dringlichsten bei der Bekämpfung der Klimakrise brauchen; denn wenn alle wissenschaftlichen Erkenntnisse stimmen, ({13}) dann ist die Klimakrise eine reale existenzielle Bedrohung für alle Menschen unter 25 Jahren. ({14}) Bedauerlicherweise handelt die Bundesregierung in diesem Bereich nicht entsprechend; denn es ist völlig klar, dass mit dem Klimapaket des letzten Herbstes die Klimaschutzziele der Bundesregierung nicht eingehalten werden – geschweige denn die Paris-Ziele. ({15}) Es ist doch völlig klar, dass wir nach dem Ausstieg aus Atom und Kohle einen schnellen, verstärkten Einstieg in die sauberen erneuerbaren Energien brauchen. ({16}) Aber wo sind denn die Sondersitzungen im Bundeskanzleramt? Wo sind denn die schnellen Maßnahmen, um das durchzusetzen? Stattdessen legen Sie ein Erneuerbare-Energien-Gesetz vor, das den Ausbau der erneuerbaren Energien gefährdet und damit Klimaschutz und Versorgungssicherheit in Schwierigkeiten bringt. ({17}) Dass der Verkehrssektor eine der größten Schwachstellen der Klimapolitik ist, ist doch auch keine neue Erkenntnis. ({18}) Trotzdem leisten Sie sich zum Teil ideologische Debatten der 80er-Jahre. Es wäre doch einfach, dem Verkehrsminister zu empfehlen, ein bisschen besser auf seinen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden zu hören. ({19}) Es ist natürlich eine gigantische Herausforderung, ernsthaften Klimaschutz zu machen. Es ist eine gigantische Herausforderung, die sozialökologische Transformation wirklich umzusetzen, und sie geht natürlich mit Zumutungen einher. Deswegen braucht es selbstverständlich Maßnahmen, um die wirtschaftliche Stärke des Landes und den sozialen Zusammenhalt zu erhalten. Was aber nicht geht, ist, sich hinter der Größe der Aufgabe zu verstecken und deshalb nur kleinste Trippelschritte zu gehen. Es gab ja verschiedene Angebote aus der Bundesregierung. Ich biete Ihnen sehr gerne an: Lassen Sie uns noch vor Weihnachten einen gemeinsamen Anlauf für ein neues sozialökologisches Klimapaket starten, das einen wirklich wirkungsvollen CO2-Preis mit sozialem Ausgleich, eine starke EEG-Reform, einen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, kombiniert mit Hilfen für die Autoindustrie, Hilfen für die Stahl- und die Chemieindustrie, CO2-frei zu werden, und eine gute Unterstützung für die Beschäftigten und die sozial Schwachen enthält. Dann können wir das nämlich auch gemeinsam schaffen. ({20}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen auch in der Finanzpolitik einen neuen politischen Ansatz; denn wenn wir den Wettbewerb mit den USA und China bestehen wollen – die Herausforderungen sind gigantisch, insbesondere durch China, einem autoritären, immer diktatorischer auftretenden Regime, das gleichzeitig ökonomisch erfolgreich ist –, dann brauchen wir deutlich mehr Investitionen in den Klimaschutz, in moderne Technologien, in den Ausbau unserer Digitalinfrastruktur, in den Ausbau unserer Netze – mehr Investitionen in Köpfe und mehr Investitionen in Forschung. ({21}) Das Konjunkturpaket enthält einige richtige Ansätze, aber dieses Konjunkturpaket darf nicht zur Eintagsfliege werden. Deswegen brauchen wir für die nächsten zehn Jahre einen großen Investitionspakt; denn die Schuldenbremse hat in vielem gut funktioniert, aber sie hat uns gleichzeitig einen gigantischen Investitionsstau beschert. ({22}) Da wir eine Volkswirtschaft sind und unsere Einnahmen deshalb von unserer ökonomischen Prosperität abhängig sind, müssen wir ausreichend investieren. Deshalb das nächste Angebot: Lassen Sie uns gemeinsam nicht die Schuldenbremse abschaffen, sondern die Schuldenbremse so reformieren, dass eine Nettoinvestitionsregel hineinkommt! Dann sind wir nämlich auch in der Lage, in den nächsten Jahren Investitionen zu tätigen und Planungssicherheit herzustellen, sodass wir nicht nur gut aus dieser Krise kommen, sondern auch die weiteren Krisen gut bekämpfen und dieses Land für die zukünftigen Generationen deutlich besser machen können. ({23}) Vor Kurzem ist das Lager Moria abgebrannt. Die Menschen haben schon, bevor es abgebrannt ist, zum Teil seit Jahren unter unwürdigen Bedingungen leben müssen. Moria ist traurigerweise kein Einzelfall. Ich würde mir auch wünschen, dass wir eine gemeinsame europäische Lösung bekämen, aber eine gemeinsame europäische Lösung muss auf den universellen Werten der Menschenrechte beruhen. Das ist noch entscheidender. Deshalb: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Städte und Länder – die gibt es nicht nur in Deutschland –, die Geflüchtete aufnehmen wollen, diese Geflüchteten auch aufnehmen dürfen und entsprechend mit Geldern unterstützt werden! ({24}) Wenn wir uns erhalten, was uns bisher gut durch die Pandemie gebracht hat, dann haben wir auch gute Chancen, die Krisen der nächsten Dekade gut zu bekämpfen. Ich wünsche mir Tatkraft, Solidarität und Veränderungsbereitschaft. Dann werden wir diese Herausforderungen bewältigen. Vielen Dank. ({25})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CSU/CDU der Kollege Alexander Dobrindt. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In dieser Debatte wird eines sehr klar: Es gibt sehr unterschiedliche Ideen und Vorstellungen darüber, wie man sich aus einer Krise herausarbeiten kann. Manche reden darüber, dass man noch mehr Schulden und höhere Steuern braucht und dass man vielleicht sogar Betriebe verstaatlichen muss. Lassen Sie sich aber eines sagen: Schulden sind kein Selbstzweck. Wir wollen die Schulden nicht um der Schulden willen, sondern wir wollen Schulden und Kredite, weil wir Chancen für dieses Land schaffen, neue Jobs sichern, Innovationen vorantreiben wollen. Deswegen lautet die Überschrift über diesem Haushalt: Neue Chancen für Deutschland. – Das ist der Grund, warum wir diese Kredite aufnehmen. ({0}) Es gibt Hinweise darauf, dass vielleicht der eine oder andere da noch einen dritten Weg sieht. Lassen Sie sich an dieser Stelle sagen: Wer meint, er könne in einer solchen Situation Deutschland noch weitere Krisen an den Hals wünschen, wer meint, es sei besser für Deutschland, wenn es diesem Land schlechter geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, der ({1}) ist keine Alternative für das Land, der ist Abgrund für Deutschland, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit, die hinter solchen Gedanken steht. ({2}) Wir wollen hier über Jobs, über Innovationen reden. Wir wollen hier darüber reden, wie wir die Menschen in diesem Land besser aus der Krise herausbringen können, als sie hineingegangen sind. Wir wollen darüber reden, wie wir Chancen für – ja – gute Arbeit und Wachstum schaffen. Dazu gehört, dass wir das Kurzarbeitergeld verlängert und damit Millionen Arbeitsplätze gesichert haben, Unternehmen und Arbeitnehmer durch die schwierige Zeit bringen. Ja, zur Wahrheit gehört auch dazu, dass es zurzeit nicht nur krisenbedingte Prozesse auf dem Arbeitsmarkt gibt, sondern auch Transformationen. Meine Damen und Herren, eine der Branchen mit den größten Transformationsprozessen ist zurzeit die Automobilindustrie. Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie, und deswegen müssen wir uns in dieser Phase auch um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Industrie besonders kümmern. Rolf Mützenich hat vorhin gesagt, Sozialdemokraten kämpfen um jeden Arbeitsplatz. Aber dann, liebe SPD, dann kämpfen wir auch gemeinsam um jeden Arbeitsplatz in der Automobilindustrie. Dann müssen wir uns auch dafür einsetzen, dass diejenigen, die heute im Bereich der Verbrennungstechnologien arbeiten, weiterhin eine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Dann muss es auch möglich sein, wenn 700 000 Fahrzeuge dieses Jahr nicht gebaut werden, darüber zu reden, was wir tun können, um die Arbeitsplätze zu sichern, die in Gefahr sind, wenn die Fahrzeuge nicht gebaut werden. Dann lasst uns doch bitte auch darüber reden, wie wir mit einer Prämie dafür sorgen können, dass mehr Fahrzeuge auf den Markt kommen, dass die Lieferketten funktionieren und die Zulieferer weiterhin Arbeit haben. Dann lasst uns darüber reden, wie wir mit einer Kaufprämie einen starken Impuls setzen können, damit die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie dauerhaft gesichert werden, liebe Freunde. ({3}) – Vielen Dank, der Zuruf war vorauszusehen. ({4}) Es ist ganz interessant, dass einer der meistgenannten, wenn nicht überhaupt der meistgenannte Politiker in dieser Debatte Markus Söder ist, obwohl er gar nicht im Deutschen Bundestag ist. Aber ihn wird es freuen, nehme ich stark an. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben sehr klar formuliert, dass diese Krise nicht als Ausrede genommen werden darf, um jetzt den Weg, den wir beim Klimaschutz eingeschlagen haben, auf den Prüfstand zu stellen. Die Krise darf nicht als Ausrede genutzt werden, um Klimaziele jetzt infrage zu stellen. Wenn wir unsere Klimaziele, die wir in Paris vereinbart haben, ernst nehmen, dann müssen wir auch darüber reden: Wie gehen wir mit den fossilen Kraftstoffen um? Wer 2050 Klimaneutralität erreichen will, der muss natürlich auch die fossilen Kraftstoffe auf der Strecke ersetzen. Deswegen reden wir über synthetische Kraftstoffe, auch über synthetische Kraftstoffe im Verbrenner. ({6}) Deswegen reden wir darüber, wie wir den Verbrenner besser machen können. Die Vorgabe „2035“ ist der genau der richtige Weg, um dafür zu sorgen, dass wir moderne Verbrenner ohne fossile Kraftstoffe, sondern mit synthetischen Kraftstoffen bekommen. Ich sage Ihnen, lieber Christian Lindner, das ist genau der Unterschied zwischen uns und den Grünen. Die Grünen führen einen ideologischen Kampf gegen das Automobil; ({7}) wir wollen das Automobil besser machen, mit synthetischen Kraftstoffen und anderen Antrieben, liebe Freunde. ({8}) – Also, Herr Hofreiter, es geht bei uns um Innovationen. Bei euch geht es um Ideologien. Das darf uns übrigens nicht hindern, darüber zu reden: Wie gehen wir mit dem Wandel der Arbeit um? Manche sagen „Arbeit von morgen“. Es geht um die Arbeit in der Zukunft. Wir haben festgestellt, dass die Familien in unserem Land, dass die Bürgerinnen und Bürger Beruf und Familie deutlich enger miteinander verknüpfen wollen, als das vielleicht früher möglich war. Wenn man das erreichen will, dann braucht man dazu kein Recht auf Homeoffice. ({9}) Das ist etwas, was immer noch in der Vertragshoheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern liegt. ({10}) Aber lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass diejenigen, die heute im Homeoffice arbeiten wollen, die mit ihren Arbeitgebern die Vereinbarungen dafür schaffen wollen, steuerlich bessergestellt werden. Lassen Sie uns eine Homeofficepauschale ins Steuerrecht aufnehmen, damit wir die Möglichkeiten besser gestalten können, Homeoffice zu nutzen. Lassen Sie uns auch darüber reden – auch das ist eine Lehre aus Corona –, dass wir mehr Flexibilität in die Arbeitszeit hineinbekommen. Starre Arbeitszeiten sind nicht für eine moderne Gesellschaft geschaffen, sondern wir brauchen mehr Flexibilität, auch bei der Tagesarbeitszeit. Lasst uns die Wochenhöchstarbeitszeit vereinbaren und Flexibilität in die Tagesarbeitszeit bringen. Das wäre ein moderner Ansatz für eine Arbeit von morgen und eine Arbeit der Zukunft. ({11}) Wenn es um Chancen geht, die aus der Krise herausführen, dann muss man erkennen, dass Krisen meistens auch Verlierer produzieren. Wir wollen nicht, dass diejenigen zu den Verlierern gehören, die zu den Schwächsten in dieser Gesellschaft zählen. Wir wollen nicht, dass die Familien und die Menschen mit kleinen Einkommen automatisch die sind, die nach einer Krise zu den Verlierern gehören. Genau das zeigt sich in diesem Haushaltsentwurf: Wir erhöhen das Kindergeld im nächsten Jahr, und die Familien erhalten 300 Euro Kinderbonus. ({12}) Mit dem Grundfreibetrag schaffen wir für die Steuerzahler mehr Netto vom Brutto: mit 1 000 Euro im Jahr. ({13}) Wir werden den Soli abschaffen, ja, für 90 Prozent der Steuerzahler. Wir haben mit dem Baukindergeld Tausenden und Abertausenden von Familien die Chance auf die eigenen vier Wände gegeben. Wir stellen die Familien und die kleinen Einkommen weiterhin in den Mittelpunkt unserer Politik. Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, ein klares Signal an die Alleinerziehenden in unserer Gesellschaft zu senden. Wir haben den Freibetrag für Alleinerziehende auf 4 000 Euro verdoppelt, und ich bin froh und dankbar, dass die SPD nach anfänglichem Zögern bereit war, unserem Vorschlag zu folgen. Aber jetzt muss der zweite Schritt kommen: Nicht befristet auf 2021, wir wollen, dass die Alleinerziehenden dauerhaft bessergestellt werden im Steuerrecht in diesem Land, meine Damen und Herren. ({14}) Zum Klima ({15}) und zu den Anstrengungen im Bereich der Bekämpfung der Klimakrise gehört auch, dass wir uns mit den ethischen Fragen der Wirtschaft auseinandersetzen. Die Globalisierung hat Fehler. Globalisierung hat in der Vergangenheit auch zu der einen oder anderen falschen Entwicklung geführt. Wir wollen das korrigieren. Dazu gehört das klare Bekenntnis zu einem Welthandel. Dazu gehört aber auch das klare Bekenntnis dazu, dass wir den Wettbewerb um den billigsten Preis nie werden gewinnen können. Wer meint, er könne den Wettbewerb um den billigsten Preis gewinnen, der wird ethisch am Schluss versagen. „Made in Germany“ war nie das Versprechen des billigsten Preises, „made in Germany“ war immer ein Versprechen der besten Qualität. Und zur besten Qualität gehört heute auch das Versprechen einer ethischen Produktion. Deswegen wollen wir, dass wir in diesem Bundestag gemeinsam ein Lieferkettengesetz verabschieden und dieses Lieferkettengesetz möglichst schnell umsetzen, meine Damen und Herren. ({16}) Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie diese mahnenden Worte gefunden haben. ({17}) Wir müssen die Gefahren benennen und erkennen. Sie haben gesagt, es kommt auch auf jeden Einzelnen an. Wir sind auf Ihrer Seite. Es kommt auf jeden Einzelnen an, wenn wir aus der Krise gut herauskommen wollen. Und es kommt vor allem auch auf die Politik an, deutlich zu machen, dass wir es bei aller Rhetorik und allen bestimmten Überlegungen bezüglich der krisenhaften Situation mit den Chancen ernst meinen. Dieses Land braucht jetzt den klaren Hinweis auf die Chancen und den Weg aus der Krise. Die Menschen erwarten von uns, dass wir auch nach einer Krise ein stabiles und gutes und erfolgreiches Land sind. Herzlichen Dank. ({18})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Alexander Gauland für die Fraktion der AfD. ({0})

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im September, Stand 28. dieses Monats, sind an oder mit Covid-19 in Deutschland 162 Menschen gestorben. Das sind im Schnitt weniger als sechs pro Tag. Es sterben bei uns jeden Tag durchschnittlich sieben Menschen bei Verkehrsunfällen. ({0}) Mir sind keine Maßnahmen der Regierung gegen den Straßenverkehr bekannt. An Krebs sterben übrigens jeden Tag 620 Menschen. ({1}) Überlegen Sie doch einmal, was als krebserregend gilt und was man den Bürgern da noch alles verbieten müsste und könnte. ({2}) Die Infektionszahlen, mit denen die Öffentlichkeit jeden Tag bombardiert wird, sind wenig aussagekräftig. Was der PCR-Test genau misst, ist umstritten. Die meisten Infizierten bemerken überhaupt nicht, dass sie angesteckt wurden. Unserem Kollegen Norbert Kleinwächter geht es übrigens gut. Er sagt, Corona sei seine bislang leichteste Grippe gewesen. ({3}) Als die bayerische Regierung am 21. September beschloss, das Tragen einer Maske auf öffentlichen Plätzen zur Pflicht zu machen, befanden sich insgesamt 35 Patienten mit ernsthaften Symptomen in bayerischen Krankenhäusern. ({4}) Wenn bei rasant steigenden Neuinfektionen die Zahl der Kranken und Toten denkbar niedrig bleibt, kann man nur folgern, dass die Gefahr durch eine Infektion wohl nicht besonders groß ist. ({5}) Ich will damit nicht sagen, liebe Kollegen, dass das Virus ungefährlich ist ({6}) und wir es ignorieren sollen, sondern es ist so, dass in den Maßnahmen dagegen keine Verhältnismäßigkeit mehr zu erkennen ist. ({7}) Aber Sie scheinen mit Ihren Verboten und Vorschriften auf den Geschmack gekommen zu sein. Vor allem ein süddeutscher Ministerpräsident – ich lasse den Namen jetzt weg – entdeckt seine autoritäre Seite. Die Bundeskanzlerin hat eben angekündigt, sie wolle in stark betroffenen Regionen brachial durchgreifen. – Manchmal bricht die DDR-Erziehung eben doch durch. ({8}) Ich habe hier schon vor Wochen gesagt, die weit überwiegende Mehrheit in unserem Land geht mit der Ansteckungsgefahr sehr vernünftig um. ({9}) Es wird Zeit, die Beschränkung der Grundrechte zu beenden und die Schutzmaßnahmen in die private Verantwortung der Bürger zu überführen. ({10}) – Halten Sie den Mund, Frau Haßelmann. ({11}) Meine Damen und Herren, wir verzeichnen derzeit – es ist heute den ganzen Tag gesagt worden – den stärksten Konjunktureinbruch der Nachkriegszeit. ({12}) Wie reagiert der Bundeswirtschaftsminister darauf? ({13}) Anfang des Monats hat Herr Altmaier mit einem 20‑Punkte-Papier nicht weniger als den Aufbruch in die sozialistische Klimaplanwirtschaft verkündet. Bis 2050 soll Deutschlands Wirtschaft klimaneutral arbeiten. Dafür gibt es jetzt Jahrespläne unseligen Angedenkens zur CO2-Reduzierung. Außerdem will Herr Altmaier das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das uns die höchsten Strompreise der Welt beschert hat – der deutsche Verbraucher zahlt 32,10 Cent pro Kilowattstunde, im internationalen Bereich sind es 12,22 Cent –, zu einem europäischen Instrument ausweiten. In welche Unsicherheiten die von der Bundesregierung mitgetragene grüne Energiepolitik führt, sehen wir gerade am Beispiel von Nord Stream 2. Eine politische Affäre gefährdet die zukünftige deutsche Energieversorgung. Aber die eigentliche Ursache liegt darin, dass Deutschland – das ist heute auch schon mal gesagt worden – ({14}) unter der Führung einer Physikerin zunächst aus der Atomenergie und dann aus der Kohleverstromung ausgestiegen ist. Wenn jetzt auch noch das Gas ausbleiben würde, würden wir ungemütliche Winter erleben. Aber manche glauben ja, dass Hüpfen dagegen hilft. ({15}) Wir stellen uns ganz klar hinter die mecklenburgische Ministerpräsidentin Frau Schwesig und plädieren für die Fertigstellung von Nord Stream 2. ({16}) Ein dubioser Giftanschlag, der in der Tat aufzuklären ist, kann nicht ernsthaft ein Grund sein, die Energieversorgung unseres Landes zu gefährden. Auch hier lernen wir wieder, wie sinnlos und falsch es war, die sichersten Atomkraftwerke der Welt abzuschalten und uns in fatale politische Abhängigkeiten zu begeben. ({17}) Meine Damen und Herren, wer den globalen CO2-Ausstoß reduzieren will, der wird ohne Atomstrom nicht auskommen. Unsere niederländischen Nachbarn haben das eingesehen. Wann verlassen wir endlich den energiepolitischen Sonderweg, ({18}) der uns politisch und wirtschaftlich erpressbar macht?! ({19}) Ja, politisch erpressbar sind wir seit Langem, auch durch den sogenannten Türkei-Deal. Derselbe Migrationslobbyist, der diesen Handel 2016 eingefädelt hatte, einfädeln durfte, hat eben bei Anne Will eine Neuauflage gefordert. Wer heute Herrn Erdogan Geld gibt, finanziert damit nolens volens dessen Kriege: erst in Syrien und nun in Bergkarabach. In letzter Zeit gab es Medienberichte darüber, dass in Deutschland lebende Türken vom türkischen Geheimdienst bespitzelt und bedroht werden. Wie verhält sich die EU dazu, unsere großartige Wertegemeinschaft? Der EU-Parlamentarier Manfred Weber hat schon 2019 völlig zu Recht gefordert, liebe Kollegen von CDU/CSU, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden. Ein Diktator wie Herr Erdogan ist kein Partner, sondern ein Gegner der EU und Europas. ({20}) Apropos Wertegemeinschaft: Im Gegensatz zu fast allen anderen Europäern will die Bundesregierung offenbar keine Lehren aus der Krise von 2015 mit all ihren Folgen ziehen. Erstaunlich: Die Frau Bundeskanzlerin hat heute davon gesprochen, wir müssten immer ganz stark auf den Multilateralismus setzen. – Nur in dieser Frage tun wir das nicht. Während die Regierung und die Parteien im Bundestag darüber debattieren, wie viele Migranten Deutschland aus griechischen Lagern aufnehmen sollte, müssten eigentlich gut 250 000 Migranten aus Deutschland abgeschoben werden, weil sie kein Aufenthaltsrecht besitzen. Man muss sich das vorstellen: Es halten sich hier mehr Menschen illegal auf, als die Bundeswehr Soldaten hat. Schweden hat 2015 gut 160 000 Geflüchtete und damit bezogen auf die Bevölkerungszahl mehr Menschen als Deutschland aufgenommen. „Mein Europa baut keine Mauern“, erklärte der sozialdemokratische Premier Löfven damals. Vor wenigen Tagen hat der schwedische Vizepolizeichef ein düsteres Bild der importierten Kriminalität gezeichnet. Die ausländischen Clans bezeichnet er inzwischen als systembedrohend. Schweden hat sich nun zu einer konsequenten Politik gegen unerwünschte Zuwanderer entschlossen. Dasselbe gilt völlig zu Recht für Herrn Kurz und für die Visegradstaaten sowieso. Es wird in dieser Frage keine europäische Lösung geben, und, liebe Freunde, das ist gut so! ({21}) Die europäische Lösung muss die Abschottung Europas sein. Wer legale Einwanderung will, muss die illegale Einwanderung verhindern. Und er muss Schlepper als Straftäter der Begünstigung verfolgen. Der Verein „Gemeinsam Retten e. V.“, der gemeinsam mit der evangelischen Kirche das Schiff „Sea-Watch 4“ finanziert, wird übrigens vom Lebenspartner von Frau Göring-Eckardt geführt. Aber sie hat diese Menschen ja auch als „Geschenk“ bezeichnet. ({22}) Es ist richtig, Schiffe zu schicken und die Menschen aus den Schlepperbooten zu retten. Allerdings darf man diese Menschen nicht nach Europa bringen und damit immer mehr Migranten anlocken. Die EU muss eine Seeblockade im Mittelmeer errichten, sämtliche Boote in der Nähe der libyschen und tunesischen Hoheitsgewässer stoppen, Frauen und Kinder aufnehmen und den Rest zurückführen. Asylverfahren sollten ausschließlich in Afrika stattfinden. So und nur so können wir verhindern, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und Flüchtlingslager brennen. Ich hoffe, dass bald mehr Menschen auch in diesem Haus diesen Weg mit uns mitgehen. Ich bedanke mich. ({23})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der SPD ist der Kollege Achim Post. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich gern wieder der Haushaltsdebatte zuwenden und den realen Herausforderungen, vor denen die Bundesrepublik Deutschland und vor denen Europa stehen. ({0}) Nachdem ich Ihrer Parteikollegin Frau Weidel am Anfang zugehört habe, frage ich mich doch, wo Sie eigentlich in den letzten sechs Monaten waren, ({1}) in welchem Land Sie in den letzten sechs Monaten waren. ({2}) Ich war in der Bundesrepublik Deutschland, und ich bin stolz darauf, dass 83 Millionen Bürgerinnen und Bürger in ihrer übergroßen Mehrheit sehr diszipliniert waren in den letzten sechs Monaten. Ich bin stolz darauf, dass wir eine handlungsfähige, entschlossene und geschlossene Regierung hatten, die uns durch diese schwere Krise gesteuert hat. Ich bin stolz darauf, dass dieses Parlament, wiederum mit übergroßer Mehrheit, der Ansicht ist, dass die Coronapandemie eine reale Gefahr für uns alle ist, für Deutschland, für Europa und die Welt. ({3}) Alle, die ich gerade genannt habe, haben ihren Beitrag dazu geleistet, etwas besser zu machen. Eine Fraktion hat das nicht getan, und das sind Sie ganz rechts außen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Und wenn wir schon mal dabei sind: Gucken Sie sich doch um in Europa und der Welt, schauen Sie zu den Johnsons, zu den Bolsonaros und zu den Trumps! In deren Ländern gibt es die höchsten Todesraten, weil sie diese Krise bewusst kleingemacht haben, bewusst heruntergespielt haben und sie sich den realen Herausforderungen nicht gestellt haben. ({5}) Wenn ich zur Haushaltsdebatte zurückgehe und zu dem, was wir hier gestern und heute debattiert haben, möchte ich Folgendes sagen – Herr Lindner ist nicht mehr da –: Ja, es stimmt, die Nettokreditaufnahme ist hoch. Das ist richtig. Aber wie zum Teufel wollen Sie aus dieser Krise herauskommen? Wollen Sie wieder versuchen, durch Sparen aus dieser Krise herauszukommen? Dann haben Sie aus den großen Krisen der letzten Jahre und Jahrzehnte nichts, aber auch gar nichts gelernt, Herr Lindner und liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. ({6}) – Ja, ja. Machen wir einmal weiter. Kommen wir einmal von der FDP zu Anton Hofreiter, der hier mit einer sehr nachdenklichen Rede auf viele Probleme hingewiesen hat. Ich will einen Punkt aufgreifen, der mir wirklich wichtig ist. Du hast gesagt: Es ist noch nicht genug. Wir haben in Zukunftstechnologien, in Klimaschutz noch nicht genug investiert. – Da ist was dran. Es ist nie genug. Aber wir haben – und auch das ist Realität – die Investitionen von 34 Milliarden Euro in 2017 auf 55 Milliarden Euro in 2021 erhöht. Das ist kein Pappenstiel, und das geht genau in die richtige Richtung. ({7}) Ich glaube, Toni, dass es so ist: Du könntest jetzt noch auf dem Jamaika-Balkon stehen und verhandeln. Das hättest du mit den anderen nicht hingekriegt. Davor hat dich der Lindner bewahrt. ({8}) Kommen wir einmal zu einem Punkt, den Rolf Mützenich angesprochen hat, und zwar zur Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Bundesregierung hat ein Hilfspaket, ein Solidarpaket für die Kommunen in Deutschland auf den Weg gebracht, das sich wirklich sehen lassen kann. Darauf bin ich stolz. Das haben wir übrigens gemeinsam, mit fast dem ganzen Haus, hingekriegt. Aber eines fehlt, wenn man – ich bin noch einmal bei der FDP – die Investitionskräfte vor Ort, in den Städten und Gemeinden, wirklich entfesseln will: ein kommunaler Altschuldenfonds. Wie sollen denn Städte, die 1 oder 2 Milliarden Euro Schulden haben, investieren? Wie sollen sie das machen? ({9}) – Jeder Zwischenruf zeigt, dass es wehtut. Die Wahrheit tut weh. – Deshalb komme ich zur Idee eines kommunalen Altschuldenfonds. ({10}) Der Name Söder ist vorhin schon einmal gefallen. Der Name Söder steht in dieser Frage leider dafür, dass kein kommunaler Altschuldenfonds eingerichtet wird. Der mag kämpfen, der mag so tun, als sei er Habeck-Süd. Aber in Wirklichkeit, wenn es um Investitionen in Deutschland, in den Städten und Gemeinden geht, hat er sich durchgesetzt gegen den Ministerpräsidenten meines Bundeslandes, Armin Laschet. Das, muss ich sagen, ist etwas wenig. Es tut mir leid, dass jemand, der die Führung der CDU haben will, sich da nicht durchsetzen kann und sich von Herrn Söder an die Wand spielen lässt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Jetzt zu Europa. Das, was diese Bundesregierung unter der Führung der Bundeskanzlerin und des Vizekanzlers in den letzten Wochen und Monaten hingekriegt hat, kann sich sehen lassen: ein Wiederaufbaufonds, der historisch ist. Ich bin sicher, dass es unter der Führung der deutschen Ratspräsidentschaft in den nächsten Wochen gelingen wird, dass man den Wiederaufbaufonds unter Dach und Fach bringt, dass man gleichzeitig einen Rechtsstaatsmechanismus installiert, der den Orbans wirklich wehtut, und dass man es mit neuen Eigenmitteln und mit einem neuen mehrjährigen Finanzrahmen schafft, die Finanzmittel der Europäischen Union so auszugestalten, dass auch in der EU kräftig investiert werden kann, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Wenn Sie mich fragen: „Was ist das Wichtigste in dieser Krise gewesen?“, und: „Was ist das Wichtigste, das wir bedenken müssen, wenn wir nach und nach aus dieser Krise herauskommen?“, dann sage ich Ihnen eines: Es ist ein handlungsfähiger Staat. Es ist eine dynamische, nachhaltige, soziale Marktwirtschaft. Es ist ein starker Sozialstaat, und es ist ein europäisches Deutschland. Deshalb: Dieser Haushaltsentwurf von Olaf Scholz ist ein guter Haushaltsentwurf. Er verbindet beides, Antikrisenpolitik und richtige Zukunftsaufgaben. Wenn wir in diesem Sinne für diesen Haushaltsentwurf streiten und für diesen Haushaltsentwurf stimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann haben wir einiges erreicht. Machen Sie es der SPD nach! Wir stimmen dafür. ({13})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Otto Fricke. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch eigentlich ganz einfach, Herr Post: Das Wichtigste in dieser Krise ist nicht der Staat. Das Wichtigste ist der Mensch. Das hätten Sie sagen sollen. ({0}) Eines kann man mit diesem Haushaltsentwurf festhalten: Es bleibt für diese Legislatur ein Schuldenkönig Olaf Scholz, der auch noch meint, deswegen Kanzlerkandidat werden zu müssen. ({1}) Es bleibt ein Haushaltserbe der 16 Jahre Angela Merkel, das im Endeffekt nachgehenden Generationen sagt: a) Rekordverschuldung, b) riesige Haushaltslücken, c) angekündigte Steuererhöhungen, die man alle der nächsten Regierung überlässt. Das ist das, was schon jetzt erkennbar von diesem Haushaltsentwurf übrig bleiben wird. ({2}) Meine Damen und Herren, das Schlimmste ist für mich, dass all das, dass all die Verschuldung mit einer Notsituation begründet wird. Jetzt frage ich den Wirtschaftsminister: Ist für Sie als Wirtschaftsminister das nächste Jahr eine Notsituation? Ist es das bei von Ihnen selbst prognostizierten 4,4 Prozent Wachstum? – Ich merke, Sie denken auch noch darüber nach, dass Ihr Finanzminister da offenbar etwas Falsches gesagt hat. ({3}) Ist es für Sie eine Notsituation? Wenn es eine Notsituation ist, liebe Regierung, liebe Koalition, müsste man dann nicht sagen: „Unsere Hauptaufgabe ist es, den Sozialstaat zu sichern“? Ist es dann nicht falsch, ihn auch noch auszubauen? Das kann man nach einer Notsituation machen. Ist es für Sie richtig, in einer Notsituation Subventionen auszubauen, oder wäre es nicht besser, sie zu reduzieren, um sich auf das zu konzentrieren, was notwendig ist, nämlich auf den Menschen? ({4}) Wenn es eine Notsituation ist, muss man dann auch noch das Personal beim Staat ausbauen, wo es doch viel wichtiger ist, Arbeitsplätze in der Wirtschaft zu sichern, bei den Selbstständigen und an anderen Stellen? Warum machen Sie das? Also, diesen Widerspruch müssen Sie in den Haushaltsberatungen aufklären, sonst bleibt der Wirtschaftsminister weiter so ratlos wie eben. ({5}) Meine Damen und Herren, es ist sehr schade, dass die Bundeskanzlerin nicht mehr da ist, weil alle anderen Redner der Debatte dieser noch folgen. Aber ich will trotzdem eines sagen: Ich fand ihre Äußerungen zum R-Wert und zur Verdopplung sehr gut. Dem kann man folgen. Das ist eine mathematische Logik. Aber ich würde mir wünschen, dass die Bundeskanzlerin – Herr Brinkhaus, vielleicht können Sie es ihr ausrichten – auch sieht, dass Neuverschuldung und Zinsen am Ende genau dieselben Effekte für unseren Staat haben, wenn wir das nicht unter Kontrolle halten. Für Sie als Zahl: Steigt die Durchschnittsverschuldung des Bundes um 0,1 Prozent, dann heißt das für den Staat, dass er 1,1 Milliarden Euro mehr ausgeben muss. Aus diesem Grund und weil wir als FDP – das sage ich zum Schluss – für den Generationenvertrag sind, müssen wir verhindern, dass wir in die Verschuldung gehen. Das sind wir unseren Enkeln, unseren Kindern einfach schuldig. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Doris Achelwilm. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Anwesende! Zum Etat des Bundeskanzleramts gehört auch die Kultur- und Medienpolitik, auf die ich hier einige Schlaglichter werfen will. Wir finden richtig, dass in diesem Etat mehr für Demokratievermittlung getan werden soll. Allerdings wünschen wir uns Maßnahmen, die über modernisierte Ausstellungen hinausgehen, etwa indem für öffentliche Museen an bestimmten Tagen freier Eintritt finanziert wird. ({0}) Das wäre ein konkreter Beitrag zur kulturellen Öffnung und Teilhabe. Das haben wir als Linke erneut beantragt. Dass es für Medienbildung wie letztes Jahr nur 2 Millionen Euro geben soll – bundesweit –, das ist klar zu wenig. Wie wichtig Nachrichtenkompetenz zur Abwehr gefährlicher Mythenbildung ist, hat sich ja in der letzten Zeit wieder überdeutlich gezeigt. Die Bilderstürmerei vor einem Monat hier am Bundestag hat in meinem Heimatland Bremen übrigens zu der Senatsentscheidung geführt, das öffentliche Zeigen von Reichskriegsflaggen zu untersagen. ({1}) Das kann man auch bundesweit machen. Wir würden das sehr begrüßen. Von Herrn Seehofer, der leider schon weg ist, gibt es ja sogar positive Resonanz dafür. Im medienpolitischen Aufgabenbereich des Bundes bekommt der Auslandssender Deutsche Welle gut 22 Millionen Euro mehr. Diese verbesserte Planungssicherheit sollte aus linker Sicht wesentlich bei den unsichersten Arbeitsverhältnissen ankommen, den freiberuflich Beschäftigten. ({2}) Journalismus braucht – auch bei der Deutschen Welle – einkommensgerechte und verlässliche Perspektiven, wo es nur geht. Und hier muss es gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was im Haushaltsentwurf deutlich fehlt – es ist schon angesprochen worden –, ist ein Schutzschirm für Kultur- und Medienschaffende, für die Soloselbstständigen und kleinen Betriebe in diesem weiten Feld. Sie haben sich berufliche Existenzen aufgebaut, die von einem Tag auf den anderen außer Kraft gesetzt waren. Durchschnittslöhne von freien Journalistinnen und Journalisten sind im Mai 2020 um 70 Prozent auf ein Niveau unterhalb des Existenzminimums gefallen. Für viele Veranstalter, Drehteams, Messebauerinnen und Messebauer, Vortragende, Musikerinnen und Musiker, die Tontechnikbranche etc. gab es einen monatelangen Komplettshutdown ohne effektive Umsätze. ({3}) – Den gibt es immer noch teilweise, ja. – Viele Betroffene haben schnell mit neuen Formaten reagiert, aber leben weiter von Reserven, Geliehenem und dem Prinzip Hoffnung. Hier braucht es endlich mehr substanzielle und passgenaue Hilfen. ({4}) Allein in der Veranstaltungsbranche, die hier in der letzten Zeit auf der Straße war, arbeiten 1 Million Menschen. Sie haben sich jetzt organisiert und erreicht, dass ihre Bedarfe deutlicher durchdringen, zum Beispiel auch beim Programm „Neustart Kultur“. Gleichzeitig haben sie mit ihrer Kritik völlig recht, dass die laufenden Hilfsprogramme ihre Lebensrealität nicht ausreichend zur Kenntnis nehmen. ({5}) Vor allem Erwerbstätige mit geringen Einkommen fallen durch die Raster der Programme. So werden bestehende Gerechtigkeitslücken noch größer. Das geschieht nicht automatisch durch Naturgewalten oder so. Dass Soloselbstständige ohne Betriebskosten auf die Grundsicherung angewiesen sind, wird zu Recht als Sackgasse empfunden. Das ist keine Arroganz, sondern liegt einfach an den Armutsmechanismen von Hartz IV, die durch erleichterte Zugänge ja nun nicht weg sind. Das ist so nicht haltbar als Maßnahme. Es braucht Instrumente, die nicht nur nach wirtschaftlichen Maßstäben, sondern solidarisch und auch geschlechtergerecht funktionieren. Vorschläge gibt es. Der Bundesrat hat im Juni übrigens einstimmig die Einführung eines armutsfesten Einkommens für Soloselbstständige gefordert, die keine hohen Fixkosten haben, aber trotzdem durchkommen müssen. Gehen Sie diese Aufgabe an! Wir haben auch an dieser Stelle schon häufiger darüber gesprochen. Es wird wirklich höchste Zeit. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Tabea Rößner. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat heute aufgezählt, was die Bundesregierung im Bereich Digitalisierung plant. Das alles hätte aber längst passieren müssen. Die Coronakrise zeigt Ihre Versäumnisse wie unter einem Brennglas; denn diese Versäumnisse verstärken die gesellschaftliche Spaltung. Das ist unverantwortlich, und es ist verhängnisvoll für unser Land. ({0}) Glücklich kann sich schätzen, wer Breitband überhaupt zur Verfügung hat. Digitale Angebote von Rathäusern sind Visionen, auditierte Videokonferenzsysteme, die in Europa gehostet werden, ebenso. E-Learning-Plattformen, am besten auf Grundlage von Open Educational Resources, getraut man sich ja kaum zu nennen. Ja, Sie haben Mittel in die Hand genommen, aber die kommen nicht an, und das liegt auch an der fehlenden Steuerung im Haus der Kanzlerin. Das müssen Sie dringend ändern; denn die Chancen der Digitalisierung zu verpassen heißt, den Anschluss zu verpassen. ({1}) Thema Homeschooling. Wie sollen Schülerinnen und Schüler am digitalen Unterricht teilnehmen, wenn sie kein Endgerät haben? Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, wenn Videokonferenzen ständig abbrechen? Laptops allein sorgen nicht für ein digitales Lernumfeld. Wir brauchen gemeinsame Mindeststandards für die digitale Bildung, und schnelles Internet muss genauso selbstverständlich sein wie der Wasseranschluss. ({2}) Auf ähnliche Probleme stoßen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zumal sie beim Homeoffice oft auf die Kulanz der Arbeitgeber angewiesen sind; denn das lang versprochene Recht auf Homeoffice gibt es immer noch nicht. Im Privatleben hat Corona für einen digitalen Schub gesorgt. Viele kaufen online ein, erledigen Bankgeschäfte oder gehen per Video zum Arzt. Aber laut aktuellem „Verbraucherreport“ fühlt sich die Hälfte der Menschen nicht sicher im Netz. Jeder Vierte war bereits Opfer von Cyberkriminalität durch Identitätsdiebstahl, Schadsoftware oder Fake Shops. Da läuten doch alle Alarmglocken. Onlineanwendungen dürfen nicht zum Einfallstor für Betrüger oder Hacker werden. Es fehlen aber verbindliche Haftungsregelungen für Onlinemarktplätze, IT-Sicherheitsstandards, IT-Sicherheitsupdates und IT-Gütesiegel. Mir würde es zu denken geben, wenn Zeitungen den Innenminister als „Cyberunsicherheitsminister“ titulieren. ({3}) Was zu tun ist, finden Sie auch im Bericht der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“. Mein Wunsch: Lassen Sie die Handlungsempfehlungen nicht wieder in der Schublade verschwinden! Setzen Sie sie um! In einem Bereich könnten wir übrigens führend sein, wenn wir die Digitalisierung nachhaltig und den ökologischen Umbau mit ihr gestalten. Es gibt viele Start-ups, die Anwendungen entwickeln, mit denen Ressourcen eingespart werden können. Diese Entwicklungen müssen Sie doch angesichts der Klimakrise massiv befördern. ({4}) Es fehlt eine umfassende digitale Strategie, die nachhaltig, transparent und offen ausgerichtet ist und Zivilgesellschaft wie Wissenschaft einbezieht. Es gibt so viele Ansatzpunkte. Machen Sie doch endlich! Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Andreas Jung. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Verlauf dieser Debatte ist über die Frage diskutiert worden: Sind wir überhaupt noch in der Krise? Haben wir überhaupt eine Notsituation, die diese Folgen für den Bundeshaushalt notwendig macht? Ich finde, wenn man der Realität ins Auge blickt, dann kann doch überhaupt kein Zweifel daran sein: Wir sind bisher gut durchgekommen; aber wir sind noch lange nicht über den Berg. ({0}) Natürlich ist es so, dass wir, wenn wir die jetzige Situation mit der im März vergleichen, feststellen: Zum Glück haben Kitas wieder auf, haben Schulen auf, haben Geschäfte auf, haben Gaststätten auf, sind auch die Grenzen wieder offen, haben wir wieder reguläre Sitzungswochen im Deutschen Bundestag. Das alles bringt uns manchmal dazu, so etwas wie Normalität zu riechen, zu glauben, es könnte schon jetzt wieder normal sein. Aber wenn man sich die Zahlen anguckt, wenn man sich die Entwicklung anschaut, wenn man sich die Sorgen ansieht, die den Herbst betreffen, wenn man sich um uns herum in Europa umschaut und erst recht, wenn man die Zahl der Toten weltweit sieht, dann kann kein Zweifel daran sein: Wir müssen weiter vorsichtig bleiben. Wir müssen weiter konsequent handeln. Wir dürfen nicht nachlässig werden, weil es um Menschenleben geht. Herr Dr. Gauland, ich war, um das so offen und deutlich zu sagen, peinlich berührt, als Sie die Coronatoten gegen andere Tote aufgerechnet haben. Ich finde das unwürdig, ({1}) weil es um Gesundheit geht, um die Menschen, die unter uns leben, um uns alle. Aber es geht auch – und damit zur Haushaltsdebatte – um Finanzen. Wenn wir uns vorstellen, die Fallzahlen gingen wieder nach oben und wir müssten das öffentliche Leben wieder herunterfahren, sodass die Einnahmen noch mehr einbrechen würden und die Ausgaben noch höher wären, dann wären wir irgendwann an einem Punkt, an dem wir sagen müssten: Das können wir uns finanziell nicht mehr leisten. – Wir haben stark reagiert und reagieren weiterhin stark, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Auch deshalb müssen wir jetzt vorsichtig und konsequent bleiben. Der Bundesfinanzminister hat gestern zum Bundeshaushalt gesprochen, auch zur schwarzen Null. Was er dazu mit Blick in die Vergangenheit gesagt hat, ist richtig. Er hat gesagt: Wir haben seit 2014 ausgeglichene Haushalte, und das solide Wirtschaften in der Vergangenheit macht jetzt diese starke Reaktion möglich. – Das ist vielleicht ein bisschen technisch ausgedrückt, ist aber leicht zu übersetzen: Ohne die schwarze Null gestern heute kein Wumms und keine Bazooka. ({2}) Der Schlüssel für die starke Reaktion heute liegt im soliden Wirtschaften gestern. ({3}) Es besteht auch kein Zweifel: Wir hatten die schwarze Null vor Corona, und ohne Corona hätten wir sie auch jetzt. Aber es sind zwei Dinge zusammengekommen: Die Einnahmen sind weggebrochen, und wir haben hohe Ausgaben – Ausgaben für Arbeitnehmer, Ausgaben für die Wirtschaft, Ausgaben für die Kommunen, Ausgaben für die Konjunktur; auch in die Zukunft investieren wir. Das beides führt dazu, dass wir jetzt noch einmal die Ausnahmeregelung bei der Schuldenbremse in Anspruch nehmen müssen. Das zeigt im Übrigen, dass die Schuldenbremse die Flexibilität mit sich bringt, die notwendig ist, um auf Krisensituationen angemessen zu reagieren. Aber genauso müssen wir sagen: Eine Ausnahme muss eine Ausnahme bleiben, und sobald wir aus dieser Krise heraus sind, müssen wir zurück zur Schuldenbremse. Das muss im Jahr 2022 geschehen. ({4}) Deshalb will ich an die Adresse der Grünen und erst recht an die der Linken sagen: Wenn man sagt: „Wir machen jetzt eine Ausnahme, und wenn es danach wieder besser läuft, dann machen wir genauso weiter wie jetzt“, dann kann das doch nicht der richtige Pfad in die Zukunft sein. ({5}) Das hat im Übrigen auch nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Sie sprechen jetzt von einer Reform der Schuldenbremse, die wir in großem Konsens verabschiedet haben, weil wir gesagt haben: Wir brauchen in der Verfassung einen Hebel, eine Bremse, um zu verhindern, dass auch in guten Zeiten immer mehr Schulden gemacht werden. – Da wollen Sie jetzt ran. Sie nennen es „Reform der Schuldenbremse“, in Wahrheit wollen Sie sie abschaffen. ({6}) Sie wollen nicht bremsen, sondern wollen beim Schuldenmachen mit Bleifuß Gas geben. Das ist kein Weg, der nachhaltig ist. Bei der finanziellen Nachhaltigkeit haben Sie eine Schieflage. ({7}) Das ist mit uns nicht zu machen. Für uns gilt hier: Finger weg vom Grundgesetz! Für uns sind solides Wirtschaften und solide Finanzen eine Säule der Nachhaltigkeit neben den Säulen „Umwelt“ und „Soziales“. Für uns ist aber genauso wichtig, dass wir investieren. Lassen Sie uns doch darüber sprechen, warum manche Investitionen nicht so schnell gehen, wie es nötig ist. Da müssen wir auch über die Dauer von Planungsverfahren sprechen. Da gilt unser Angebot, dass wir durch ein Ineinandergreifen aller staatlichen Ebenen alles dafür tun, damit die Mittel schneller da ankommen, wo wir investieren müssen. Das ist notwendig. Darüber müssen wir sprechen, und das werden wir tun. Im Übrigen, Herr Lindner, weil Sie sich um die Mittel für Bildung und Forschung gesorgt haben, habe ich für Sie die gute Nachricht, ({8}) dass im nächsten Jahr die Mittel für Bildung und Forschung nicht sinken werden. Sie werden steigen, weil auch im EKF als Teil des Einzelplans 60, den Sie angesprochen haben, Mittel enthalten sind für KI, für Wasserstoff, für Quantencomputer. ({9}) Sie können sicher sein – gucken Sie sich das am Ende des Jahres an –: Es wird mehr investiert in Bildung und Forschung. Das ist gut. ({10}) Lassen Sie uns darüber reden, wie wir gemeinsam mehr Zukunftsinvestitionen auf den Weg bringen, aber auch darüber, wie wir aus der Krise kommen. Da sind wir im Übrigen anderer Meinung als der Finanzminister. Wir glauben nicht, dass Steuererhöhungen der richtige Weg sind, um aus der Krise zu kommen. Es ist doch geradezu paradox angesichts der Situation, in der wir feststellen, dass unser Erfolg ganz maßgeblich vom Mittelstand in Deutschland abhängt, weil er unser Rückgrat ist, nach der Krise zu sagen: Die, die wir gestützt haben, deckeln wir jetzt. ({11}) Das kann nicht richtig sein, und das werden wir als Union so auch nicht mitmachen. Wir müssen mit unserer Wirtschaft aus dieser Krise kommen. Ich finde, über diese Fragen sollten wir ein bisschen mehr reden als über die Bonner Lokalpolitik. Die können Sie an anderer Stelle diskutieren; da sind Sie auch näher dran. Ich habe gesehen, die FDP hatte da auch einen Kandidaten; er hat 3,5 Prozent der Stimmen bekommen. Insofern haben wohl unsere beiden Parteien noch Anlass zur Analyse. ({12}) Zur Nachhaltigkeit. Der Klimaschutz ist angesprochen worden. Ich will sagen, dass die Bundeskanzlerin unsere Unterstützung hat bei dem Weg, den sie beschrieben hat, für mehr Klimaschutz in Europa; denn das ist der Weg zu mehr Klimaschutz international. Das ist eine globale Frage. Frau Weidel, Herr Dr. Gauland, schauen Sie sich doch den Zustand des deutschen Waldes an, der unter den Klimaveränderungen leidet. Das kann man doch nicht ignorieren. ({13}) Andere trifft es schon jetzt noch härter. Deshalb müssen wir da etwas tun. Wir tun es über den deutschen Haushalt mit Investitionen in Klimaschutz, wir tun es über das europäische Paket mit Investitionen in Klimaschutz; denn wir müssen jetzt sehen, dass alle in Europa mit ins Boot kommen, dass wir gemeinsam Klimaneutralität erreichen, dass wir marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel stärken. Wir müssen auch gemeinsam die Voraussetzungen schaffen, um zum Beispiel mit einer Wasserstoffstrategie die enormen Mengen an erneuerbaren Energien, die wir dann brauchen, zu erzeugen, und zwar in Deutschland, in Europa, aber auch im Rahmen von Partnerschaften mit Nordafrika. Da brauchen wir so etwas wie South Stream, eine Grüne Wasserstoffleitung durch das Mittelmeer, im Rahmen einer Partnerschaft mit den dortigen Ländern zum Nutzen aller. ({14}) Da müssen wir ran. Das ist der Weg, den wir wollen und den wir brauchen. Klimaschutz und Wirtschaft zusammenbringen, da gibt es keinen Widerspruch; beides gehört zur Nachhaltigkeit mit dazu. ({15}) Damit bin ich bei Europa. Es ist heute über das deutsche Steuergeld gesprochen worden. Ja, da geht es um deutsches Steuergeld, aber – das will ich schon deutlich sagen – es geht eben auch um die deutsche Volkswirtschaft. Die können Sie doch nicht von den Partnern in Europa loslösen. Wenn wir das tun würden, was Sie wollen, nämlich die Grenzen hochziehen und die Brücken abbauen, dann wären wir betroffen, weil wir für unsere Produkte starke Partner in Europa brauchen. Ein starkes Deutschland gibt es nur mit einem starken Europa. ({16}) Das ist unser Weg, und deshalb haben wir ein starkes Programm hier im Land entwickelt. Aber auch die Gemeinsamkeit, die Solidarität, das gemeinsame Wachstum in Europa sind wichtig für ein starkes Deutschland und ein starkes Europa. Herzlichen Dank. ({17})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Dr. Marc Jongen. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Coronazeiten sind nicht nur schlechte Zeiten für die Kultur, sondern offenbar auch schlechte Zeiten für die Wahrheit. ({0}) Frau Kulturstaatsministerin Grütters, Ihre Pressemitteilung zum Kulturhaushalt vom vergangenen Mittwoch ist ein Paradebeispiel für heuchlerische Politprosa, die die Realität verschleiert und teils ins gerade Gegenteil verkehrt. ({1}) Heuchelei Nummer eins. Sie rühmen sich damit, dass das Rettungsprogramm „Neustart Kultur“, 1 Milliarde Euro schwer, gerade auf Hochtouren läuft. Was Sie verschweigen, ist, warum dieser „Neustart“, der eigentlich gar keiner ist, überhaupt notwendig wurde, nämlich weil die Regierung das Kulturleben seit April dieses Jahres fast auf null heruntergefahren hat im Zuge des Corona-Lockdowns, weil Sie Künstler, Veranstalter, Musiker, Theaterleute sozusagen mit Berufsverbot belegt haben mit Ihren völlig überzogenen Maßnahmen. Sie haben damit Tausende Existenzen vernichtet, Unternehmen in die Insolvenz und Soloselbstständige in Hartz IV getrieben. ({2}) Und Sie können noch so oft sagen: Das Virus ist schuld. – Nein, das Virus ist nicht schuld. Die Intensivstationen sind so leer wie die Konzertsäle. Ihre politischen Fehlentscheidungen sind schuld. Die Kulturleute fühlen sich doch von Ihnen vollständig im Stich gelassen; etliche Selbstmorde hat es bereits gegeben. ({3}) Die Künstler und Veranstalter brauchen nicht Ihre Almosen. Sie wollen endlich wieder von ihrer Arbeit leben können. Beenden Sie diese überzogenen Restriktionen! Das wäre der wahre „Neustart Kultur“. ({4}) Heuchelei Nummer zwei. Sie schreiben – Zitat –: Gerade in Zeiten der Krise ist Kultur das Fundament für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Klingt schön; aber mit dem Coronaregime hat doch eine Kultur der Angst, der Unsicherheit und der Paralyse Einzug gehalten. Das bedeutet nicht Zusammenhalt, meine Damen und Herren, das bedeutet Spaltung der Gesellschaft. Es bedeutet auch ein neues Denunziantentum – wer trägt keine Maske, wer muss neuerdings Strafe zahlen – und eine vergiftete gesellschaftliche Atmosphäre. Jeder Bürger ist potenziell infektiös, also muss er überwacht, kontrolliert und gegängelt werden. Das ist es doch, warum Sie diese Krise so lieb gewonnen haben, warum Sie die Testzahlen immer weiter steigern, um die pandemische Lage künstlich am Leben zu erhalten: Sie wollen die Macht nicht verlieren, die Ihnen dieser neue Ausnahmezustand bietet; Sie wollen im Schatten dieser Krise Dinge durchsetzen, Bürgerrechte einschränken, was sonst auf massiven Widerstand gestoßen wäre und weiterhin auf den Widerstand der AfD-Fraktion stoßen wird. Das ist garantiert, meine Damen und Herren! ({5}) Und wie zum Hohn schreiben Sie – Heuchelei Nummer drei –: Kunst, Kultur und Medien machen uns immer wieder unser hohes Privileg bewusst, in einem Land der Presse-, der Kultur- und der Meinungsfreiheit zu leben, in dem kontroverse Debatten möglich, gewollt und auch auszuhalten sind. Zitat Ende. – Ja, hier im Bundestag müssen Sie der einzigen Opposition vorerst noch zuhören. In den Staats- und Leitmedien, in den Universitäten, in den subventionierten Kultureinrichtungen wurde doch jede kontroverse Debatte längst abgewürgt. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem verfassungswidrigen Gesetz gegen Hassrede wollen Sie die Bürger kriminalisieren, die der offiziellen Leitideologie nicht folgen. Das ist doch die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({6}) Und was geschieht mit den 6,6 Prozent Aufwuchs im Kulturhaushalt? Doch vor allem der Ausbau dieser staatlichen Leitideologie. Das Deutsche Historische Museum und das Haus der Geschichte in Bonn sollen – Zitat – „das Demokratieverständnis als auch das historische Urteilsvermögen unserer Gesellschaft weiter stärken“, wie es im Neusprech Ihrer Pressemitteilung heißt. Im Historischen Museum in Frankfurt eröffnet morgen die Ausstellung „Ich sehe was, was du nicht siehst. Rassismus, Widerstand und Empowerment“ ({7}) mit dem expliziten Ziel – Zitat – „Alltagsrassismus zu bekämpfen“. Kultur als Mittel der Manipulation und Propaganda, um die Bürger als Alltagsrassisten zu brandmarken und wehrlos zu machen ({8}) gegenüber der schrankenlosen Zuwanderung kulturfremder Migranten – das ist Ihr Plan. ({9}) Für Filmförderung sind insgesamt rund 200 Millionen Euro vorgesehen, ein deutlicher Aufwuchs. Wird die Qualität des deutschen Films damit verbessert? Wohl kaum, wenn man hört, dass die Vergabe der Mittel an Diversity-Standards und politisch korrekte Maßnahmen wie Frauenquoten geknüpft werden soll. ({10}) Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein ist schon mit latent totalitärem Beispiel vorangegangen. Es wird dort allen Ernstes abgefragt, „ob die Geschlechter in der Geschichte ausgeglichen repräsentiert sind, ob People of Color vorkommen und Figuren mit einem unterprivilegierten sozioökonomischen Hintergrund dargestellt werden“. Meine Damen und Herren, so produziert man keine erfolgreichen deutschen Filme, so produziert man Sozial- und Multikultikitsch. ({11}) Und letzte Heuchelei – ich komme zum Ende –: Sie verkünden, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zusätzlich gefördert werden soll, ({12}) und Sie verschweigen, dass Sie gerade erst die Zerschlagung der Stiftung so gut wie beschlossen haben unter Tilgung des lästigen Namens „Preußen“. Meine Damen und Herren, wer Kunst und Kultur liebt, kann diesem Haushalt nicht zustimmen. Qualität und Tradition statt Ideologie – das ist die Maxime unserer Änderungsanträge. Vielen Dank. ({13})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Dennis Rohde. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den einen oder anderen Debattenbeitrag von der rechten Seite dieses Hauses gehört hat, dann könnte man ja denken, wie gut manche im Verdrängen und Vergessen zum Beispiel der Bilder aus der Lombardei sind. Aber genau das Gegenteil scheint doch der Fall zu sein: Ich glaube, dass die Rechtspopulisten auch in diesem Hause sich der Gefahr dieser Pandemie mehr als bewusst sind, dass sie bewusst negieren, dass sie bewusst runterspielen, ({0}) dass sie bewusst fürs Leugnen des Virus werben, weil sie wollen, dass diese Pandemie in Deutschland voll zuschlägt. Sie sind gemeingefährlich, weil sie wollen, dass es Deutschland schlecht geht, damit es ihnen gut gehen kann. Aber das Spiel lassen wir Ihnen nicht durchgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir wollen, dass es Deutschland gut geht, und wir wollen, dass Deutschland gut aus dieser Krise kommt. ({2}) Das geht nur mit Solidarität, das geht nur mit Abstand, und das geht auch nur mit Maske, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ich bin froh und dankbar, dass die Mehrheit des Deutschen Bundestages hinter den Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung steht. Wir alle sind gefordert, nicht nur den gesundheitlichen Schutz unserer Gesellschaft sicherzustellen, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen dieser Pandemie zu bekämpfen. Man kann über Wege streiten, man kann darüber streiten, wie man dahin kommt; aber ich bin der festen Überzeugung: Man muss jetzt entschlossen und man muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln handeln. Einen zurückhaltenden Staat kann sich in dieser Krise keiner leisten. ({4}) Das ist der Grund, weswegen wir 413 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die wirtschaftlichen, die sozialen und die gesundheitlichen Folgen der Coronapandemie zu bekämpfen. Wir nehmen Geld in die Hand für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für die Sicherung von Arbeitsplätzen, für große und kleine Unternehmen, wir bringen die Digitalisierung in unserem Land voran, wir fördern unsere Krankenhäuser, wir investieren in Forschung und Entwicklung, wir nehmen Geld in die Hand, um unsere Industrie fit zu machen für das 21. Jahrhundert. Ja, das bedeutet, Schulden zu machen, und ja, auch mehr Schulden, als einem Haushälter in normalen Zeiten eigentlich lieb sein könnte. Aber was ist die Alternative dazu? Das, was hier von einigen gefordert wird? Wir dürfen und wir wollen den Aufschwung, den wir gerade erleben, der sich manifestiert in Wirtschaftszahlen, in den aktuellen Arbeitslosenzahlen, in der Steuerprognose, jetzt doch nicht durch das Streichen von Konjunkturanreizen gefährden. ({5}) Der Wirtschaftseinbruch ist abgefedert. Viele Branchen sind wieder in schwarzen Zahlen, und denen, die es noch nicht sind, wollen und werden wir helfen. Für uns gilt: Die Schulden, die wir heute machen, die Investitionen, die wir heute tätigen, sind und bleiben die Steuereinnahmen von morgen. ({6}) Und sind wir doch ehrlich: Es gibt einige, auch hier im Hause, die bewusst Axt an unseren Staat anlegen wollen. Es gibt diejenigen, die unter dem Deckmantel der Krise das einreißen wollen, was uns in dieser Krise gerade stark gemacht hat. Wer jetzt fordert, den Bundeshaushalt zusammenzustreichen, keine neuen Einnahmen zu generieren, will in Wirklichkeit doch nur seine Agenda der Privatisierung durchsetzen, ({7}) der ist Lobbyist im Parlament für den Abbau dieses Staates, der gefährdet die innere Sicherheit, der gefährdet die äußere Sicherheit und der gefährdet die soziale Sicherheit. Ich möchte diejenigen, die das tun, auffordern, dann doch auch bitte ehrlich zu sein. Wer diese Reden hält, der möge doch bitte auch den Rentnerinnen und Rentnern konkret die Rentenkürzung ankündigen, der möge doch bitte den Rentnerinnen und Rentnern ankündigen, dass die Lebensleistung in Zukunft nicht respektiert wird. ({8}) Wer diese Reden hier hält, der möge den Bundespolizisten und den Zollbeamten doch bitte ankündigen, dass die langersehnten und gebrauchten Kolleginnen und Kollegen nicht eingestellt werden und dass die Beförderungen ausbleiben werden. ({9}) Wer diese Reden hier hält, der möge den Bürgerinnen und Bürgern doch bitte auch sagen, dass das mit dem Klimaschutz und der Digitalisierung ausfallen wird. ({10}) Und wer diese Reden hier hält, der möge der deutschen Wirtschaft auch sagen, dass die eingeplanten Konjunkturpakete, die Investitionen in Zukunftstechnologien nicht kommen werden. Das gehört zu einer ehrlichen Debatte dann nämlich auch dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Aber, das müssen wir nicht tun. Unsere Verfassung ist an dieser Stelle eindeutig. Sie sagt nämlich: Du musst in Krisenzeiten nicht den Staat kaputtsparen, damit du kurzfristig die abstrakte Schuldenbremse einhältst. – Darum ist es auch richtig, jetzt viel Geld für die Bekämpfung dieser Krise in die Hand zu nehmen. Darum ist es richtig, den Staat gerade in der Krise zu stärken, damit er ein verlässlicher Partner für die Menschen in diesem Land sein kann und damit er sein Versprechen erfüllen kann, nämlich die Sicherstellung von sozialer, von innerer und von äußerer Sicherheit. ({12}) Das Versprechen nach sozialer Sicherheit lösen wir insbesondere mit Dingen wie der Kurzarbeit ein, ein Instrument, um das uns viele Staaten beneiden und das vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land eine Beschäftigungsperspektive bietet. Umso dumpfer – gerade weil uns so viele Staaten darum beneiden – wirkt manche Kritik daran. Kritik wie – Herr Präsident, ich zitiere –: Die Arbeitnehmer würden sich noch daran gewöhnen, ohne Arbeit zu leben. – Ich finde, das ist an Zynismus kaum zu überbieten. ({13}) Es ist gerade deswegen an Zynismus kaum zu überbieten, wenn man bedenkt, dass wir hier über Menschen reden, die tagtäglich um ihren Arbeitsplatz bangen und die lieber heute als morgen wieder Vollzeit arbeiten würden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({14}) Wenn dann dieses Zitat noch von jemandem kommt, dessen Leistung darin besteht, Geld für sich arbeiten zu lassen, dann, so muss man sagen, leistet er eben selbst keinen substanziellen Beitrag zur Bewältigung dieser Krise und sollte sich vielleicht etwas zurückhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({15}) Wir brauchen keine pseudoklugen Ratschläge aus der politischen Vergangenheit. Wir brauchen einen Staat, der die innere, die äußere und die soziale Sicherheit in Deutschland gewährleistet und sie auch finanziert. Und weil uns das bewusst ist, verhindern wir aus Überzeugung, dass diese Krise zum Raubbau an unserem Gemeinwesen genutzt wird. Vielen Dank. ({16})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Erhard Grundl. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! 1 Milliarde Euro für „Neustart Kultur“ – dafür kann man sich schon mal selbst feiern. Aber wer sich nach dieser Feierstunde umblickt, sieht heute einen meterhohen Scherbenhaufen. Die Veranstaltungsbranche, die Schaustellerinnen und Schausteller, die Klubbetreiberinnen und Klubbetreiber, die Festivals, die Schauspielerinnen und Schauspieler, gerade auch die mit Handicap – die Liste ist ewig lang –: Nach sechs Monaten Pandemie stehen die künstlerischen Existenzen dieser Menschen auf des Messers Schneide, und die Bundesregierung zuckt nur mit den Schultern. Das kann nicht angehen. ({0}) Tatsache ist: Sie, meine Damen und Herren Koalitionäre, sind bereit, Geld auszugeben, aber es kommt nicht an. Dass bis Ende August lediglich 1 Prozent der Mittel aus den Überbrückungshilfen des Wirtschaftsministeriums ausgezahlt wurde, ist dabei der traurige Negativrekord. Die Antragsverfahren sind zu bürokratisch, zu weit weg von der Lebensrealität der Betroffenen. Das ist ein handwerklicher Offenbarungseid, den die Betroffenen gerade in der Kreativbranche nicht länger hinnehmen können. ({1}) Ganz schwer erträglich ist es, wie Sie sich bei den Soloselbstständigen wegducken. Diese fallen durch Ihr schwarz-rotes Raster. Es ist höchste Zeit, dass Sie sich mit der Lebenswirklichkeit dieser Menschen auseinandersetzen. Was die Soloselbstständigen jetzt brauchen, sind Zuschüsse, auch zu den Lebenshaltungskosten, in Form eines Selbstständigengeldes in Höhe von 1 200 Euro monatlich – und das bundesweit und sofort. ({2}) Manche Landesregierungen haben das nämlich tatsächlich hinbekommen und könnten als Vorbild dienen, die Landesregierung von Baden-Württemberg zum Beispiel. Am anderen Ende der Skala steht die Söder-Regierung in Bayern. Die hat es leider nicht hinbekommen. Meine Damen und Herren, was jetzt an kultureller Infrastruktur, an Vielfalt, an Kreativität verloren geht, ist nicht Schnickschnack, es ist nicht nice to have, sondern es ist die DNA unserer vielfältigen und weltoffenen Gesellschaft. Dafür müssen wir tatsächlich Geld einsetzen, aber so, dass es auch bei den Künstlerinnen und Künstlern ankommt. ({3}) Und an die Adresse all derer, die jetzt den sparsamen Dagobert geben wollen, möchte ich sagen: Ja, man kann sparen, wenn man eine klare Agenda hat. Man kann sparen, etwa am Wiederaufbau des Turms der Potsdamer Garnisonkirche. In Zeiten, in denen die Preußen-Verklärung ein ungutes Revival erlebt, baulich manifestiert in der von Friedrich Wilhelm erdachten unsäglichen Kuppelinschrift, die seit Mai dieses Jahres tonnenschwer und bleiern auf unserem Humboldt Forum lastet, sollten wir sehr klar sein in unseren Botschaften. Frau Staatsministerin Grütters, beenden Sie endlich die Geheimverhandlungen um Ausgleichsforderungen mit den Hohenzollern! Meine Damen und Herren, wir sollten uns hier auf die Tugenden eines streitbaren Parlaments und einer engagierten öffentlichen Debatte sowie einer Gesetzeslage besinnen, die uns mit der Unwürdigkeitsklausel im Ausgleichsleistungsgesetz ein gutes Instrument an die Hand gibt, ({4}) das mit einem klaren Auftrag verbunden ist, nämlich nicht denjenigen nachzugeben, die dem deutschen Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet haben, sondern Gerechtigkeit herzustellen gegenüber denjenigen, die durch Nationalsozialisten und deren Wegbereiter, durch Krieg und Verfolgung alles verloren haben. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Paul Ziemiak. ({0})

Paul Ziemiak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lage ist nach wie vor ernst. Wir wissen, dass wir als Bundesrepublik Deutschland bisher sehr verantwortungsvoll durch diese Krise gekommen sind. Der Bundesgesundheitsminister hat gesagt, er wüsste nicht, in welchem Land man sonst gerne gewesen wäre während dieser schweren Krise. Und er hat recht damit. ({0}) Wir können froh sein, dass wir in Deutschland leben und dass wir während dieser Krise – alle miteinander übrigens – sehr verantwortungsvoll miteinander umgegangen sind und füreinander da waren. Jetzt geht es darum, dass wir vernünftig bleiben, dass wir das, was an Maßnahmen jetzt angeraten ist, weiter einhalten, damit wir eben weiter gut durch diese Krise kommen und nicht Maßnahmen notwendig werden, wie wir sie in den vergangenen Monaten bereits gehabt haben. Wir sind es den Menschen in unserem Land schuldig, aufeinander achtzugeben. Übrigens: Wir Abgeordnete sind besondere Vorbilder dahin gehend, wie wir uns in unserem Alltag verhalten, aber vor allem im Deutschen Bundestag. ({1}) Ich habe mich gefragt, warum die AfD permanent und demonstrativ diese Maßnahmen nicht einhält, nicht aufeinander achtet, keine Abstände einhält ({2}) und den Leuten permanent, übrigens auch in den sozialen Netzwerken, erzählt: Das alles ist nicht nur übertrieben, sondern dieses Virus gibt es eigentlich so nicht. ({3}) In den vergangenen Tagen haben wir aus internen Gesprächen die Erklärung dafür gehört: Sie wollen, dass es Deutschland schlechter geht. ({4}) Das ist Ihr Ziel. Und so wollen Sie es erreichen. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen – Herr Gauland, Sie müssten es wissen –: Am Portal des Reichstages steht: „Dem deutschen Volke“ ({5}) und nicht: Zum Wohle der AfD, und das ist auch gut so. ({6}) Denn wer sich so unpatriotisch verhält, wer so unpatriotisch denkt, der hat im Deutschen Bundestag nichts verloren. Die Quittung dafür werden Sie bei der nächsten Bundestagswahl bekommen. ({7}) Es war nicht nur die Bundesregierung und an der Spitze die Bundeskanzlerin mit ihren Ministerinnen und Ministern, es waren auch die Ministerpräsidenten und vor allem viele Kommunalpolitiker – die Landräte, die Bürgermeister –, die Verantwortung getragen und einen wichtigen Beitrag geleistet haben, dass die Infektionszahlen nicht nur erfasst, sondern auch die Infektionsketten nachvollzogen werden konnten. Was mich sehr besorgt, ist die Situation hier in Berlin und die hiesigen Infektionszahlen. Was mich aber nicht nur besorgt, sondern fassungslos macht, ist, dass man hier in Berlin nicht mal die Hilfe der Bundeswehr annehmen und mit ihr zusammenwirken will, ({8}) um die Infektionsketten nachzuvollziehen und Menschen zu schützen, weil man sagt: Gesundheit ist nicht so wichtig wie Ideologie. Ich sage es ganz sachlich und nüchtern, Herr Bartsch: ({9}) Rufen Sie diejenigen an, die verantwortlich sind in Kreuzberg und anderswo! Es geht hier nicht um Parteipolitik oder um Ideologie. Es geht um den Schutz der Gesundheit der Menschen in Berlin und nicht um irgendwelche alten Parolen gegen unsere Soldatinnen und Soldaten. ({10}) – Das gilt natürlich für alle, die Verantwortung haben – Christian Lindner, das ist absolut richtig –, auch für all diejenigen von der SPD und den Grünen; sie zählen genauso dazu. Aber diese Aussagen sind dort sicherlich am besten aufgehoben. Meine Damen und Herren, bei allen Schwierigkeiten haben wir aber auch die Chance, aus dieser Krise gestärkt herauszukommen, wenn wir uns nicht nur vernünftig verhalten, sondern auch zuversichtlich und optimistisch in die Zukunft gehen. Und das zeigt diese Aussage: Wir wollen dafür sorgen, auf der einen Seite gut durch die Krise zu kommen mit allen Werkzeugen und Maßnahmen, die jetzt notwendig sind, um denjenigen zu helfen, die besonders betroffen sind, und auf der anderen Seite in die Zukunft zu investieren, einen Zukunftsturbo einzulegen bei der Digitalisierung, bei Innovation, bei Bildungsvorhaben, damit wir den Anschluss nicht verpassen, sondern die Chance haben, da besonders stark zu sein. Dafür braucht es ein starkes Europa. Dafür braucht es vor allem auch Mut und Zuversicht, und die sollten wir ausstrahlen. Dazu gehört auch, dass wir uns alle darüber klar sein müssen, dass wir nicht einfach so gut durch die Krise gekommen sind, sondern deshalb – Andi Jung hat es eben angesprochen –, weil wir in der Vergangenheit sehr gut gewirtschaftet, auf die schwarze Null gesetzt und uns für die Schuldenbremse eingesetzt haben. Deshalb sind wir heute überhaupt in der Lage, so zu handeln. Ich muss sagen: Herr Scholz ist ja jetzt gefangen. Herr Mützenich hat hier versucht, die Sprechzettel aus dem Willy-Brandt-Haus vorzulesen ({11}) und so den SPD-Parteitag ein bisschen nachzuholen, ({12}) und in dieser Krise gesagt, Herr Scholz wäre ja ein guter Kanzler. Also, er muss sich schon entscheiden: Will er vernünftig bleiben, oder will er die verantwortungslose Politik der SPD, noch mehr Schulden zu machen, wie einige – Saskia Esken, Kevin Kühnert – es fordern? Er muss sich schon entscheiden. ({13}) Meine Damen und Herren, wenn wir das Land der Chancen sein wollen ({14}) in all diesen Bereichen, nicht nur während der Coronamaßnahmen, sondern auch dann, wenn es um Haushaltspolitik geht, dann müssen wir auch ein Parlament der Verantwortung sein, und dafür setzen wir uns als CDU/CSU ein. Danke schön. ({15})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion der AfD die Kollegin Joana Cotar. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Wieder einmal haben wir heute in epischer Breite gehört, wie wichtig dieser Regierung die Digitalisierung ist und was sie alles aus Corona angeblich gelernt hat. Alle Schlagwörter sind gefallen. Absichtsbekundungen und Versprechen sind erfolgt. Das Geld ist im Haushalt eingeplant. Damit ist die Pflicht getan. Das Kapitel wird geschlossen bis zum nächsten Jahr. Denn mal ehrlich: Wer nimmt das eigentlich noch ernst, was die Frau Kanzlerin hier gesagt hat? ({0}) Schauen wir uns doch das tatsächliche digitale Deutschland einmal an, weg von Merkels Märchenstunde, hin zur digitalen Wahrheit! Anteile von Glasfaseranschlüssen an allen stationären Breitbandanschlüssen in den Ländern der OECD: Führend ist Südkorea mit 82,8 Prozent, gefolgt von Japan, Litauen und Schweden. Deutschland belegt den fünftletzten Platz mit lächerlichen 4,1 Prozent. Sogar Mexiko und Kolumbien liegen vor uns. ({1}) 4-G-Mobilfunk: Deutschland lag letztes Jahr im internationalen Vergleich auf Platz 70! Die Netzabdeckung in der Fläche betrug 65,5 Prozent. Die Vereinigten Staaten, die Benelux-Länder, Skandinavien, Teile Osteuropas erreichen eine Abdeckung von mehr als 80 Prozent. Bei der Verfügbarkeit von 4 G und LTE rangieren wir hinter Ländern wie dem Libanon, Vietnam und dem Senegal. Bleiben wir beim Mobilfunk: In der Schweiz beträgt die mittlere Downloadgeschwindigkeit zurzeit 30 Mbit pro Sekunde, in Österreich sind es 24 Mbit, in Deutschland 14. Dafür kostet uns das mobile Internet aber sehr viel mehr. Für 1 Gigabyte mobiler Daten zahlen wir in Deutschland durchschnittlich 3,60 Euro, die Österreicher aber nur 96 Cent. Im IMD-Ranking der wettbewerbsfähigsten Länder in der Digitalisierung haben wir die Top Ten weit verpasst. Wir liegen auf Platz 17, im Digital Quality of Life Index 2020 auf Platz 16. Sehen wir uns die Schulen an – Frau Merkel hat sie erwähnt –: Nur 26 Prozent der deutschen Schulen haben einen funktionierenden WLAN-Anschluss. In Dänemark sind es 100 Prozent, in Kasachstan sind es 58 Prozent. Die ICILS-Studie zeigt: Ein Drittel der Jugendlichen in Deutschland kann am PC gerade mal die E-Mails öffnen und bearbeiten. Die Computerkenntnisse sind rudimentär. In Estland lernen 10-Jährige das Programmieren in den Schulen. Im aktuellen E-Government-Ranking der EU-Kommission, also bei der digitalen Verwaltung, liegt Deutschland bei der Inanspruchnahme dieser Dienste abgeschlagen auf Rang 26 von nur 28 Ländern. Bulgarien, Tschechien, Zypern – alle liegen sie vor uns. Auch bei den neuen Technologien verliert unser Land den Anschluss. ({2}) Unter den Top 50 der innovativsten Unternehmen der Welt steht das erste deutsche Unternehmen auf Platz 21; ({3}) es ist Siemens. Vorne liegen Apple, Alphabet, Amazon, Samsung, Facebook. Eine Firma wie Apple? In Deutschland unmöglich. Die Firmengründung erfolgte in einer Garage! ({4}) Stellen Sie sich mal die Behörden hier vor! Die Deckenhöhe stimmt nicht, es gibt kein Brandschutzkonzept, keine Parkplätze, und gendergerechte Toiletten fehlen komplett. Abgelehnt! Das ist Deutschland 2020. ({5}) Von den 500 leistungsstärksten Supercomputern der Welt stehen 226 in China, 114 in den USA und nur 16 in Deutschland. Investitionen in die künstliche Intelligenz: Allein die chinesische Stadt Tianjin plant für die KI-Förderung 12,8 Milliarden Euro, ganz China 300 Milliarden, und wir sind stolz auf 5 Milliarden, meine Damen und Herren. Liebe Bundesregierung, so wird das nichts mit der KI, und so wird das nichts mit der Digitalisierung. Im Gegenteil: Sie haben Deutschland in den digitalen Tiefschlaf gelegt und setzen damit die Zukunft unseres Landes aufs Spiel. ({6}) Wir können einfach nicht mehr nur von der Substanz leben. Wachen Sie endlich auf, bringen Sie die PS auf die Straße! Fahren Sie die Bürokratisierung runter, stellen Sie mehr Experimentierräume zur Verfügung, investieren Sie mehr, und sorgen Sie bitte dafür, dass das Geld auch abgerufen werden kann. Beschleunigen Sie den Netzausbau, schließen Sie die Funklöcher, locken Sie echte Fachkräfte mit niedrigen Steuern und angemessenen Gehältern, machen Sie unsere Jugend fit für die Zukunft! Treiben Sie die Themen E-Government und E-Health endlich strukturiert voran, nehmen Sie die Cybersicherheit endlich ernst, und bündeln Sie hierfür die Zuständigkeiten! ({7}) Corona hat deutlich gemacht, wie wichtig digitale Lösungen für Deutschland sind. Andere Länder zeigen uns schon seit Jahren, wie diese aussehen könnten. Nehmen Sie sich ein Beispiel, kopieren Sie von mir aus irgendetwas! Aber tun Sie endlich was für dieses Land! Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Sonja Amalie Steffen. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Cotar, wenn man Ihre Rede hört, dann denkt man, es geht nur darum, Deutschland schlechtzureden. Was soll das? ({0}) Ich denke, gerade in der Krise, die wir gegenwärtig erleben, zeigt es sich doch, dass die Maßnahmen, die Deutschland, die unser Staat, die unser Land bisher ergriffen hat und ergreift, Vorbild für sehr viele Staaten in der Welt sind. ({1}) Das Coronavirus, die Krankheit Covid-19 macht aber in der Tat vor niemandem halt. Es kennt keine Grenzen, es unterscheidet nicht zwischen Reich und Arm. Es kann schlichtweg jeden von uns treffen. Aber die Folgen können sehr unterschiedlich sein. Es gibt ältere Menschen, es gibt Menschen mit Vorerkrankungen, und diese Menschen haben bei einer Infektion einen besonders schweren Verlauf zu befürchten. Und wir wissen: Eltern mit Kindern erlebten und erleben beim Homeschooling, bei der Kinderbetreuung und bei ihrer Arbeit unheimlich stressige Zeiten. Das war aus heutiger Sicht ein wirklicher Drahtseilakt, und dieser Drahtseilakt ist auch noch nicht beendet. Künstlerinnen und Künstler, Selbstständige, Studierende mit Nebenjobs – viele von ihnen haben von heute auf morgen ihre Existenzgrundlage verloren. Bei den Maßnahmen, die wir ergriffen haben und die wir jetzt mit dem Bundeshaushalt 2021 ergreifen wollen, geht es deshalb nicht um Gleichmacherei, sondern es geht vor allem um Solidarität, um Solidarität mit denjenigen, die durch Covid-19 besonders betroffen sind. Um hier nur einige Punkte zu nennen: Es geht um die solidarische Unterstützung der Krankenhäuser. Ja, es stimmt: Wir haben hier in den vergangenen Jahren vielleicht nicht ganz so gut aufgepasst. Aber deshalb geben wir 3,5 Milliarden Euro für das „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“, wir geben 5 Milliarden Euro zusätzlich in den Gesundheitsfonds, und dazu gehört auch, dass wir 1 500 Euro extra für unsere Pflegekräfte geben. Das ist noch nicht genügend, aber es ist ein guter Anfang. ({2}) Es geht um die Solidarität mit den Kommunen. Wir entlasten die Kommunen von den Kosten der Unterkunft, und wir übernehmen die Gewerbesteuerausfälle. Es geht um eine solidarische Familien- und Elternförderung. Wir geben für jedes Kind 300 Euro Kinderbonus, und nächstes Jahr wird das Kindergeld um 15 Euro erhöht. Wir entlasten die Alleinerziehenden. Und, Herr Dobrindt, da müssen Sie vorhin irgendwas verwechselt haben, weil es ausdrücklich der Wunsch der SPD war, ({3}) dass die Alleinerziehenden 2020 und 2021 zusätzlich entlastet werden. ({4}) Und es geht vor allem – und das freut uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ganz besonders – um eine solidarische Anerkennung der Lebensleistung: Die Grundrente kommt. Wir stellen 753 Millionen Euro in den Haushalt 2021 dafür ein. Aber, wie ich am Anfang schon gesagt habe, das Virus bzw. Covid-19 kennt keine Grenzen. Deshalb muss unsere Solidarität über die deutschen Grenzen, über Deutschland hinausgehen. ({5}) Wie gut, dass wir den schwer erkrankten Patienten in Frankreich und in Italien helfen konnten, dass wir vielleicht zusätzliche Leben retten konnten. Das freut auch die Italiener und die Franzosen sehr. Ich denke, das zeigt, dass wir hier einen Akt der Mitmenschlichkeit geübt haben. Darüber hinaus haben wir viele Masken und viele Beatmungsgeräte, die wir bestellt hatten, aber nicht benötigt haben, an Länder gespendet, die zu wenig davon haben, und das ist gut so, wie es übrigens auch gut ist, dass wir den Etat der Entwicklungszusammenarbeit 2021 auf 12,4 Milliarden Euro erhöhen werden. ({6}) Ich freue mich auf die Debatte heute Nachmittag. Ich freue mich auf die anstehenden Haushaltsberatungen, und ich denke, es wird ein sehr guter Haushalt 2021 werden; denn wir nehmen sehr viel Geld dafür in die Hand. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Bundesregierung ist die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters. ({0})

Prof. Monika Grütters (Gast)

Politiker ID: 11003761

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor nicht allzu langer Zeit wären solche Zahlen dann aber doch ein Grund zur Freude gewesen. Insgesamt mehr als 1,94 Milliarden Euro sieht der Regierungsentwurf für den Haushalt 2021 für Kultur und Medien vor. Das sind 6,6 Prozent mehr als im Vorjahr und gut 60 Prozent mehr, als der Kulturetat bei meinem Amtsantritt hatte. Im Juli haben wir außerdem mit „Neustart Kultur“ das größte Konjunkturprogramm für die Kultur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet: 1 Milliarde Euro zusätzlich für die Kultur. ({0}) Und es freut mich, dass es gelungen ist, ein eigenes Rettungs- und Zukunftsprogramm für die Kultur durchzusetzen, obwohl Kultur in Deutschland bekanntlich vor allen Dingen Sache der Bundesländer ist. Die Anstrengungen des Bundes seien außergewöhnlich, kommentierte zusätzlich kürzlich eine Kulturjournalistin mit den Worten: „In keinem Land weltweit wird die Kultur in Corona Zeiten so üppig unterstützt.“ ({1}) Nach Freuen ist mir – und klar: uns allen – trotzdem nicht zumute. Zu groß ist pandemiebedingt die Not vieler Künstlerinnen und Künstler, zu gewaltig sind die Herausforderungen für die Kultureinrichtungen und auch für die Unternehmen der Kulturwirtschaft. Ich kann die Verzweiflung und die Existenzangst echt nachempfinden, Frau Achelwilm. Das ist kein Privileg Ihrer Seite. Glauben Sie mir, Herr Grundl: Schulterzucken sieht anders aus. Wir – damit meine ich nicht zuletzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BKM, die dafür seit Monaten im Dauereinsatz sind; Herr Grundl hört nicht zu – ({2}) tun alles, was in unseren Möglichkeiten steht, um die Not zu lindern. ({3}) „Neustart Kultur“ ist bereits im Juli angelaufen und stößt auf enorme Resonanz. Bei uns fließen die Mittel übrigens in großer Zahl auch ab. Das Programm ist ganz bewusst auf die Sicherung der Infrastruktur ausgerichtet; denn, Frau Achelwilm, sie ist der Schlüssel, um Arbeitsmöglichkeiten und damit Einkommen für Künstlerinnen und Künstler, wie übrigens auch – das wird häufig vergessen – für alle anderen im Kulturbereich Tätigen, die nicht auf der Bühne stehen, sondern dahinter, zu garantieren. Darüber hinaus kann ich nur an die zuständigen Länder appellieren, sehr differenziert darüber nachzudenken, wie man mit pragmatischen Konzepten vor allem das Bühnengeschehen möglichst wieder ans Laufen bringt. ({4}) Das ist, finde ich, das Mindeste, das wir Künstlerinnen und Künstlern schuldig sind; denn Kultur ist keine Delikatesse für Feinschmecker, sondern Brot für alle. ({5}) Und, Herr Jongen, sie ist existenziell und von zentraler Bedeutung für eine starke und lebendige Demokratie. In diesem Sinne sieht unser Regierungsentwurf Mehrausgaben ganz besonders für die Aufarbeitung und Geschichtsvermittlung – das kann ich Ihnen nur empfehlen –, für politische Bildung und kulturelle Teilhabe vor. Die Deutsche Welle beispielsweise als Botschafterin demokratischer Werte im Ausland soll zusätzlich 22,5 Millionen Euro bekommen. 3 Millionen Euro mehr gibt es für Orte der Demokratiegeschichte. Mit einer halben Million Euro wollen wir die Aufarbeitung des Kolonialismus vorantreiben, das erste Mal übrigens mit einem eigenen Haushaltstitel. Natürlich wird auch das Humboldt Forum dazu beitragen, das im Dezember seine Pforten öffnet. Einige stören sich an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wir stärken sie mit 14,5 Millionen Euro, um übrigens, wenn das Land Berlin mitzieht, einen eintrittsfreien Sonntag hinzubekommen. Und nicht minder wichtig für kulturelle Teilhabe ist die Bundeskulturförderung im ländlichen Raum. Dazu zählen Bereiche wie „Zukunftsprogramm Kino“ mit 15 Millionen Euro, 20 Millionen Euro für Braunkohleregionen und ein Förderprogramm für Industriekultur, weil wir natürlich wissen, dass es gerade dort, wo sich Menschen abgehängt fühlen oder vom Strukturwandel überfordert sind, Orte des Austausches und Raum für Debatten geben muss. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Prof. Monika Grütters (Gast)

Politiker ID: 11003761

Nein, ich setze meine Rede fort. – Kunst, Kultur und Medien sind unverzichtbar für Verständigung. Sie sind auch essenziell für die europäische Einheit in Vielfalt. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass im Recovery Fund oder vor allen Dingen im Progamm „Creative Europe“ für die Kultur gesorgt wird. Ich komme zum Schluss. „Alle Menschen werden Brüder“ – das ist keine romantische Verklärung, sondern ein andauernder Arbeitsauftrag an uns alle. So formuliert das der Pianist Igor Levit zur Europahymne, dem Schlusschor der 9. Symphonie Ludwig van Beethovens. Nehmen wir – Herr Jongen, das gilt auch Ihnen – den Auftrag ernst. Stärken wir die Kräfte, die Gräben und Grenzen überwinden helfen und nicht vertiefen, wie das der rechte Rand häufig tut. In diesem Sinne bitte ich Sie darum, den Haushaltsentwurf für das Jahr 2021 zu unterstützen und uns in den parlamentarischen Beratungen konstruktiv zu begleiten. Vielen Dank. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Der Kollege Dehm erhält die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatsministerin, ich denke, in einer kulturvollen Diskussion hätte man eine Zwischenfrage auch zulassen können. Aber das ist meine private Meinung. Ich möchte Ihnen auch nicht verhehlen, dass ich als jemand, der gelegentlich versucht, mit Sprache Geld zu verdienen, Ihr Bild, Kultur sei nichts für Feinschmecker, sondern Brot für alle, etwas schräg finde. Nehmen Sie mir bitte ab: Wir streiten auch um Brot für Feinschmecker. ({0}) Das nur, um hier mal ein paar Vorurteile über Sozialismus und Linke zu widerlegen. Und dann möchte ich Ihnen sagen: Alarmstufe rot. Also die Kulturveranstalter und Unternehmerinnen und Unternehmer, die zu Tausenden am Brandenburger Tor waren, haben das vollkommen anders interpretiert als Sie. Sie fühlen sich schrecklich alleingelassen. Und sie wollen, wie die Konzertveranstalter, die übrigens andere sind, ihre Lösungen, wie sie wieder Veranstaltungen durchführen können, wie sie wieder Konzerte machen können, gerne auch an runden Tischen sachkompetent mit Ihnen austauschen. Das ist bislang zum großen Teil verweigert worden. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Die Kulturschaffenden in diesem Lande, soweit sie das Ende dieses Jahres überhaupt noch in Existenz erleben dürfen, sind schrecklich enttäuscht von Ihnen und von der Bundesregierung und glauben nicht, dass Kultur bei Ihnen in guten Händen ist. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Keine Entgegnung. Dann fahren wir fort in der Debatte. Als Nächster hat das Wort für die Fraktion der SPD der Kollege Martin Rabanus. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich kann ganz gut an das anknüpfen, was Frau Staatsministerin Grütters ausgeführt hat. Es ist ja gute Tradition, dass wir uns am Ende der Generaldebatte auch noch einmal mit der Kultur befassen und anschauen, wie sie etatisiert ist. Die erste Botschaft dieses Regierungsentwurfes ist: Es bleibt so – die Kultur und der Medienbereich sind dieser Bundesregierung und der Koalition wichtig. 1,95 Milliarden Euro sind im Regierungsentwurf etatisiert, 120 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Das ist eine gute Nachricht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Die zweite gute Nachricht ist: Die Koalition setzt die Abarbeitung des Koalitionsvertrages konsequent um. Wir haben uns dort auf eine neue Agenda für Kultur und Zukunft verständigt, die im Grunde genommen drei Schritte hat. Der erste Schritt ist: Wir sichern natürlich im Bundeshaushalt auch die Hauptstadtkulturpolitik ab. Das geschieht, übrigens auch, was die Stiftung Preußischer Kulturbesitz anbelangt, mit einer deutlichen Erhöhung der Finanzierung auf knapp 300 Millionen Euro für 2021, aber darüber hinaus auch für viele Kultureinrichtungen in der Hauptstadt, fast 45 Millionen Euro in den unterschiedlichsten Bereichen. Der zweite Teil ist: Wir kümmern uns natürlich auch um wichtige kulturpolitische Leuchttürme in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Wir haben im Bereich der Musik- und Theaterförderung von den Bayreuther Festspielen über die Barenboim-Said-Akademie, die Bad Hersfelder Festspiele bis hin zum Reeperbahn Festival und vielem mehr über 50 Millionen Euro eingestellt. Wir haben 230 Millionen Euro für unterschiedlichste Kultureinrichtungen quer durchs Land vorgesehen: von dem Freien Deutschen Hochstift über das Haus der Geschichte bis hin zum Jüdischen Museum, um nur drei Schlaglichter zu nennen. Der dritte Teil ist: Wir fördern auch Kultur in der Region. Das ist uns als Koalition wichtig: über die „Landmillionen“, aber auch über die Bundeskulturfonds, die wir haben, bis hin zu dem Löwenanteil der Mittel, die über die Bundeskulturstiftung auch ausgegeben werden. Werte Kolleginnen und Kollegen, „Kultur für alle“: Das ist das Motto dieser SPD, das ist das Motto dieser Koalition, und wir setzen es auch um. ({1}) Das gilt auch für den angesprochenen Bereich der Filmförderung. Rund 200 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Und nicht zuletzt die Deutsche Welle – Frau Staatsministerin Grütters hat das ausgeführt –: Wir erreichen da jetzt ein Niveau, das mit dem anderer europäischer Länder vergleichbar ist, mit etwa 400 Millionen Euro, die wir für unsere Stimme der Demokratie, die Stimme unseres Landes in der Welt, investieren. Aber natürlich spielt sich das alles unter Coronabedingungen ab und ist überlagert von der Coronasituation. Ich freue mich auch sehr, dass es gelungen ist, mit dem Programm „Neustart Kultur“ 1 Milliarde Euro für das laufende und für das kommende Jahr zu mobilisieren, um die Institutionen abzusichern. Denn es ist so: Ohne Kulturinstitutionen ist es schwer, dass Kultur in unserem Land einen Raum finden kann. Umgekehrt – das ist auch richtig, und wir diskutieren das auch in der Koalition – ist es natürlich so, dass Kultureinrichtungen, in denen keine Künstlerinnen und Künstler mehr aktiv sein können, nicht mehr funktionieren. Deswegen, glaube ich, ist es richtig, auch in den kommenden Wochen noch einmal sehr intensiv auf die Förderkriterien zu schauen, die wir haben. Es hapert im Moment nicht am Geld, sondern wir müssen uns die Förderkriterien noch mal genau anschauen und die Künstlerinnen und Künstler in den Blick nehmen, weil nur beides zusammen funktioniert. Die Kultureinrichtungen, die Kulturinstitutionen und die Künstlerinnen und Künstler müssen gemeinsam gut durch die Krise kommen. Dann ist es auch gut für das Land. Dann ist es stabil. Dann haben wir eine Chance, wenn wir die Coronalage besser im Griff haben, die Kultur in unserem Land wieder richtig hochzufahren. Herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Patricia Lips. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr bringt ein Musikverein zauberhafte Märchen auf die Bühne. Unzählige Kinder mit ihren Eltern und Großeltern füllen den Saal, dicht an dicht. In diesem Jahr ist das leider nicht möglich oder, wenn überhaupt, nur sehr reduziert durch Abstandsgebote, steril, Atmosphäre: gleich null. Die Mitglieder machen sich dennoch auf den Weg. Die Aufführung wird digital. Die Familien sitzen nun in den Kinder- oder Wohnzimmern. Eintrittskarten kann der Verein damit leider keine verkaufen. Er fand jedoch Sponsoren sowie viele kleine und große Spender. Nicht jeder Verein oder jede andere kulturelle Einrichtung kann dies so umsetzen; ganz klar. Oder die Vereine und Einrichtungen gehen andere Wege; sie müssen andere Wege gehen. Aber warum nenne ich dann dennoch dieses kleine, aber sicher typische Beispiel? Es zeigt zum einen die innovative Kraft, die auch in schwierigen Zeiten in unseren Kulturschaffenden steckt, ob groß oder klein, ob haupt- oder ehrenamtlich. ({0}) Zum anderen: Gerade wenn räumliche Distanz geboten ist, braucht es auch diese Angebote, die zwar auf den ersten Blick vielleicht nicht überlebensnotwendig sind, aber unsere Gesellschaft im Innersten maßgeblich zusammenhalten. ({1}) Dabei gilt: Ob Theater oder Kino, ob Musikszene, Tanz oder Museum, bis heute sind die Herausforderungen gerade in diesem Bereich enorm; viele haben es erwähnt. Viele innovative Ideen sind zwar entstanden, bauliche Umgestaltungen wurden vorgenommen, Hygienekonzepte entwickelt; manches bleibt vielleicht sogar über den Tag hinaus. Aber am Ende ist es auch immer noch so, dass manche Angebote bis heute nicht möglich sind. Nicht immer gelingt es, alternative Darstellungsformen zu entwickeln. Und in der Tat: Nicht immer findet der Soloselbstständige seine Bühne und sein Publikum. Aber gerade deshalb möchte ich auch noch einmal diese 1 Milliarde Euro, dieses Rettungs- und Zukunftspaket aus dem Kulturbereich, ausdrücklich erwähnen. Das ist keine Kleinigkeit. Das sind 50 Prozent des Gesamtetats aus dem Bereich Kultur. Ich möchte Monika Grütters und ihrem Team wirklich ausdrücklich für dieses Paket danken, das Brücken in die Zukunft baut. ({2}) Aber auch das vorliegende Zahlenwerk für das kommende Jahr in Höhe von bisher knapp 2 Milliarden Euro bietet eine stabile Grundlage seitens des Bundes dafür, das Engagement vieler Menschen und Einrichtungen über den Tag hinaus zu unterstützen. Es zeigt sich in Kooperation mit den Ländern. Das ist auch diesmal ein Potenzial für einen echten Mehrwert für unser Land. Ob Hauptstadtkultur oder die Unterstützung unserer vielen kleinen Heimatmuseen, ob Erinnerungskultur oder die Medien-, Kino- und Filmwirtschaft: Unzählige mehr könnte man nennen. Dabei gilt eines – das sage ich ausdrücklich –: Kultur und Freiheit, Moderne und Toleranz. Das sind immer die beiden Seiten derselben Medaille, und dafür bin ich dankbar. ({3}) Sie verdienen unsere Unterstützung, nach der heutigen Debatte vielleicht wieder einmal mehr denn je. Kolleginnen und Kollegen, vor uns liegen Wochen engagierter Beratungen. Ganz sicher werden weitere Akzente zu den bisherigen Vorlagen hinzukommen. Ich selbst freue mich darauf. Vielen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzte Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Elvan Korkmaz-Emre. ({0})

Elvan Korkmaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004790, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns mitten in einem krassen digitalen Wandel. Was wir in diesen Zeiten brauchen, ist ein ambitionierter Haushalt mit Blick nach vorn und ein ambitionierter Anspruch in den Schlüsseltechnologien für ein souveränes Deutschland und Europa. Nicht nur mitlaufen, sondern mitbestimmen: Genau dieser Herausforderung nimmt sich unser Bundesfinanzminister Olaf Scholz an, und das ist auch gut so. ({0}) Aber wichtig ist auch, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, was das konkret heißt. Immerhin steht in diesem Haushalt so viel Geld für Digitales zur Verfügung wie nie zuvor. Wir stärken die Forschung und den Einsatz von KI mit zusätzlich 2 Milliarden Euro bis 2024. 2 Milliarden Euro sind auch für die Quantentechnologie vorgesehen sowie 2 Milliarden Euro für den Aufbau von vertrauenswürdigen und sicheren 5-G-Netzen und hierbei insbesondere Open RAN, das heißt die Entwicklung eines herstellerneutralen Netzes. Das ist sicherlich gut angelegtes Geld in unsere Ingenieure und Data Scientists. Das ist aber insbesondere eine Investition für die Bürgerinnen und Bürger. ({1}) Das sind am Ende nämlich 6 Milliarden Euro für ein dezentrales Management bei der Energiewende, für einen sicheren Verkehr auf der Straße, für ein effizientes Wirtschaften auf dem Acker und eben nicht zuletzt für die digitale Souveränität Europas. Das nenne ich Weitblick, und da muss man noch mal sagen: Danke, Olaf Scholz. ({2}) Es geht hier also um mehr als um bloße Wettbewerbsfähigkeit. Es geht um den sozialen Zusammenhalt. Wir wollen, dass die Menschen in einer komplexen Welt mündige Bürger sein können, selbst souverän und digital selbstständig. Mit dem DigitalPakt Schule investieren wir deshalb bis 2024 Bundesmittel in Höhe von 5 Milliarden Euro. Dafür gibt es Laptops und Tablets für Schülerinnen und Schüler, für Lehrerinnen und Lehrer. Wir finanzieren die Betreuung von IT-Administratoren, und natürlich gibt es auch Geld für die Bildungsplattformen. Wir digitalisieren nicht planlos, sondern umfassend und nehmen dabei alle mit. ({3}) Ich muss sagen: Gut, dass unsere Parteivorsitzende Saskia Esken genau dieses Thema gemeinsam mit der Bundeskanzlerin zur Chefinnensache erklärt hat. Saskia hat so gezeigt, wo das sozialdemokratische Herz schlägt. ({4}) Wie so oft in der Digitalisierung darf es uns nicht passieren, dass wir hier über KI und Quanten sprechen, es dann aber auf der anderen Seite zulassen, dass ganze Straßenzüge und Dörfer und damit viele Bürgerinnen und Bürger vom Fortschritt abgehängt werden. Wir haben dringenden Nachholbedarf bei der digitalen Infrastruktur. Schnelles Internet für alle bis 2025: Das haben wir versprochen, und ja, deshalb fördern wir. Aber – das geht jetzt an die Herren Minister Scheuer, Altmaier und Seehofer; vielleicht nehmen Sie das einfach mal mit –: Für den schnellen Ausbau brauchen wir auch endlich das Telekommunikationsmodernisierungsgesetz, das Förderprogramm für die grauen Flecken und den Mobilfunk. ({5}) Da müssen die Herren einfach mal in die Puschen kommen. Drei Minister, ein Gesetz: Ich glaube, das sollte doch möglich sein. ({6}) Nur ein letztes Wort noch, weil immer wieder die Frage im Raum steht: Ja, die Sozialdemokraten investieren gern, aber wo kommt das Geld eigentlich her? – Da sage ich: Ganz einfach! ({7}) Auch durch die gerechte Verteilung der Gewinne in der Plattformökonomie. Google, Facebook und Amazon müssen auch in Deutschland und Europa ihre Steuern entrichten. ({8}) Es ist gut, dass Olaf Scholz da bereits dran ist. Da sieht man: Die sozialdemokratische Antwort steht, und wir haben das Ganze im Blick. Vielen Dank. ({9})

Michael Roth (Gast)

Politiker ID: 11003213

Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am kommenden Samstag feiern wir den 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Die Wiedervereinigung war für uns Deutsche ein großes Geschenk. Sie beendete die jahrzehntelange Teilung unseres Landes. Vor allem war sie aber ein riesiger Vertrauensvorschuss unserer Nachbarinnen und Partner. Denn die deutsche Einheit hätte es nicht gegeben, wenn unsere Partner nicht ihre Bedenken hintangestellt und uns ihr Vertrauen geschenkt hätten. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleiben wir dankbar, und daraus entspringt für uns in Deutschland eine ganz besondere Verpflichtung: Wir strengen uns in Europa besonders an – für ein geeintes, für ein solidarisches und für ein souveränes Europa. ({0}) Wir müssen dafür sorgen, dass Europa in Zukunft überhaupt noch eine Rolle in der Konkurrenz zu anderen Wertemodellen spielt, und das gelingt uns nur als Team, mit vereinten europäischen Kräften. Vier Punkte sind uns im Auswärtigen Amt dabei besonders wichtig: Erstens. Deutschland als Land im Herzen Europas hat ein elementares Interesse an einer starken und souveränen Europäischen Union. Denn damit steht und fällt unsere eigene Handlungsfähigkeit in einer Welt voller Krisen, Kriege und Konflikte. „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ – unter diesem Motto hat am 1. Juli die deutsche EU-Ratspräsidentschaft begonnen. Sie alle wissen das: Bis zum Ende dieses Jahres übernimmt Deutschland eine ganz besondere Verantwortung in und für Europa. Die Aufgaben sind groß, und die Erwartungen sind es auch. Unser wichtigstes Ziel ist es, Europa geeint, gestärkt und solidarisch aus der Krise zu führen. Deshalb haben wir gleich zu Beginn mit dem europäischen Wiederaufbaufonds und einem ambitionierten EU-Haushalt auf Solidarität und Zusammenhalt gesetzt. ({1}) Auch in dieser Krise ist wieder einmal deutlich geworden: Gemeinsam sind wir stärker. Und auf Teamspiel wird es auch in den nächsten Monaten ankommen. Auch eine der Humanität und Solidarität verpflichtete europäische Migrationspolitik, die ihren Namen wirklich verdient, bekommen wir nur gemeinsam hin. Das ist zugegebenermaßen ein ziemlich hartes Brett, ({2}) nicht frei von Enttäuschungen. ({3}) Aber Deutschland sieht sich hier als Mutmacher und Motor einer europäischen Lösung. Wir wollen den jahrelangen Stillstand und die Blockaden endlich überwinden. ({4}) Und deshalb gehen wir mit gutem Beispiel voran bei der Aufnahme schutzbedürftiger Menschen aus Griechenland und Geretteter aus dem Mittelmeer. ({5}) Unser Kompass, liebe Kolleginnen und Kollegen, orientiert sich eben an Werten. ({6}) Aber wenn wir uns nicht mehr um europäische und gemeinsame Lösungen bemühen – auch wenn das immer wieder verdammt schwierig ist –, dann haben am Ende Nationalisten und Populisten gewonnen. Die setzen nämlich auf Abschottung, auf Egoismus und Rückzug ins nationale Schneckenhaus. Und wir dürfen nicht zulassen, dass diese Nationalisten gewinnen und obsiegen im vereinten Europa. ({7}) Ja, wir sind solidarisch mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern. Wir sind bereit zu Kompromissen, um europäische Lösungen zu ermöglichen. Doch bei einem kann es niemals Kompromisse und Rabatte geben: bei unseren gemeinsamen Werten. ({8}) Denn die EU ist nicht in erster Linie ein Binnenmarkt oder eine Währungsunion, sondern vor allem eine Werte- und eine Rechtsgemeinschaft. ({9}) Und diese Werte und diese Rechte verpflichten uns alle. Um unsere Werte zu verteidigen, wollen wir in der EU zwei neue Instrumente einführen. Erstens: die Rechtsstaatskonditionalität. Wenn Mitgliedstaaten systematisch gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen, dann sollen sie künftig weniger Geld aus Brüssel bekommen. Zweitens: der Rechtsstaatscheck. ({10}) Auf Grundlage eines Berichts der Kommission – er ist heute vorgestellt worden – diskutieren wir künftig im Rat regelmäßig über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten. Wir tragen Verantwortung für ganz Europa. Das Angebot einer EU-Mitgliedschaft bleibt nach wie vor ein zentrales Instrument, um für mehr Frieden, mehr Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Die Staaten des Westbalkans, die strenge Kriterien in puncto Demokratie, unabhängige Justiz, Korruptionsbekämpfung, Medienfreiheit zu erfüllen haben, sollen EU-Mitglieder werden können, wenn sie diese Bedingungen erfüllen und wenn sie dies wollen. Denn der westliche Balkan ist nicht der Hinterhof Europas, sondern der Innenhof des europäischen Hauses. Mit Nordmazedonien und Albanien wollen wir noch während unserer Ratspräsidentschaft den Startschuss für konkrete Beitrittsverhandlungen geben. ({11}) Zweitens. Europa ist umgegeben von Krisenherden. Wir müssen dafür sorgen, dass Europa die Krisen vor seiner eigenen Haustür eigenständig lösen kann. Wir sind als EU noch nicht so gut, wie wir sein könnten und sein sollten. Wir brauchen mehr Schlagkraft und Entschlossenheit. Deshalb setzen wir uns seit Jahren dafür ein, bei wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Weichenstellungen den Zwang zur Einstimmigkeit endlich zu überwinden. Im östlichen Mittelmeer haben wir eine weitere Eskalation zumindest für den Moment abgewendet. Nun geht es darum, den Dialog zwischen Griechenland und der Türkei auch als EU-Ratspräsidentschaft eng zu begleiten. Unser Außenminister Heiko Maas ist hier mit großem persönlichem Einsatz als Vermittler und Brückenbauer aktiv. Auch in unserer östlichen Nachbarschaft nehmen die Krisenherde weiter zu. Die dramatische Eskalation des Bergkarabach-Konflikts zeigt: Aus eingefrorenen Konflikten müssen gelöste Konflikte werden, sonst brechen sie immer wieder auf. ({12}) Wir sind im engen Austausch mit den Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan, aber auch den Akteuren in der Region. Auf unsere Initiative wurde ein UN-Sicherheitsratsbeschluss erwirkt, der zu einem sofortigen Waffenstillstand auffordert. Staaten wie Russland und die Türkei, die einen besonderen Einfluss in der Region haben, müssen ihrer besonderen Verantwortung für eine dauerhafte Lösung gerecht werden. ({13}) Und wir setzen dabei vor allem auf die OSZE-Minsk-Gruppe. Die Repressionen des Lukaschenko-Regimes gegen friedliche Demonstrierende und die politische Opposition sind völlig inakzeptabel. Schwere Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen demokratische Grundprinzipien müssen beantwortet werden. Und deshalb brauchen wir rasch Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Gewalt und Unterdrückung – und wenn er nicht einlenkt, dann auch gegen Herrn Lukaschenko persönlich. ({14}) Sanktionen – das wissen wir alle – garantieren keinen Erfolg, aber sie setzen ein klares Zeichen, dass wir den derzeitigen Zustand eben nicht akzeptieren. Respekt, Solidarität und unsere Hochachtung für die unerschrockenen Frauen in Belarus, die Woche für Woche für die Zukunft ihres Landes auf die Straße gehen. Wir stehen an eurer Seite! ({15}) Im Ukraine-Konflikt trägt unser Engagement gemeinsam mit Frankreich endlich erste Früchte. Die bislang längste Waffenruhe werden wir in den nächsten Monaten nutzen, um endlich einer politischen Lösung näherzukommen. Auch das deutsch-russische Verhältnis ist derzeit schwer belastet. ({16}) Russland muss zur Aufklärung der Vergiftung von Alexej Nawalny beitragen, die wir gemeinsam mit unseren Partnern klar beweisen konnten. Der Einsatz chemischer Waffen ist ein fundamentaler Verstoß gegen internationale Regeln. Die immer wieder von uns auch eingeforderte neue Ostpolitik muss europäisch eingebettet werden. Unsere Beziehungen zu Russland müssen stets auch Sorgen und historische Erfahrungen unserer östlichen Nachbarinnen und Nachbarn, etwa Polen und Balten, einbeziehen. Es gibt nicht zu wenige Gesprächskanäle und Foren mit Russland; es gibt in Moskau derzeit noch zu wenig Bereitschaft, sie für einen offenen, ehrlichen und faktenbasierten Dialog zu nutzen. Drittens. Die Coronapandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die Rivalität der Großmächte. Die USA sind derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Egal wie die Präsidentschaftswahl im November ausgeht: Wir brauchen einen Neustart der transatlantischen Beziehungen. Denn machen wir uns nichts vor: Egal wer Präsident wird – für die USA wird Europa nicht mehr denselben Stellenwert haben wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges. ({17}) Wir brauchen nach der Wahl sehr schnell eine transatlantische Positivagenda. Während die USA auf dem Rückzug sind, legt China eine härtere Gangart ein und treibt seine globale Agenda entschlossen voran. Das Verhältnis zu China ist schwierig und kompliziert. Einerseits ist China ein wichtiger Partner, und das nicht nur wirtschaftlich. Gerade bei globalen Fragen wie der Bekämpfung von Epidemien, dem Kampf gegen den Klimawandel oder der Lösung regionaler Konflikte können wir nur gemeinsam mit China erfolgreich sein. Aber China ist eben auch ein Systemrivale, mit dem wir in einem knallharten Wettbewerb der Werte stehen. Und hier darf sich Europa nicht auseinanderdividieren lassen. Wir müssen gegenüber China selbstbewusster agieren, mit einer Stimme sprechen. Auch das ist eine Priorität der deutschen Ratspräsidentschaft. ({18}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer vernetzten Welt ist die multilaterale Zusammenarbeit Grundlage für Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit. Wir leisten viel. Dass wir mehr leisten können als in den vergangenen Jahren, ist auch Ihr Verdienst, das Verdienst des Deutschen Bundestages. Humanitäre Hilfe, Krisenprävention, Stabilisierung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, all diese Aufgaben kosten Geld, Geld, das gut angelegt ist in einer Welt, in der Unfrieden und Uneinigkeit absehbar zunehmen werden. In Zeiten der Krise ist das ein ganz wichtiges Signal. Wir nehmen mehr Geld in die Hand, um Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht zu werden. Das macht uns handlungsfähig und erlaubt uns, im Team mit anderen eine Welt der Krisen, Kriege und Konflikte etwas friedlicher, etwas menschlicher, etwas stabiler und nachhaltiger zu machen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung. ({19})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Armin-Paulus Hampel. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An seiner Reisetätigkeit ist keine außenpolitische Strategie erkennbar. – Das kommt nicht aus der AfD-Fraktion, sondern das kommt aus dem eigenen Hause. So bewerten Ihre Diplomaten, Herr Roth, die Arbeit Ihres Ministers. Ein Armutszeugnis! Der schlechteste Außenminister, den die Bundesrepublik je hatte, wirkt weder nach außen in die Weite – USA, Russland oder China – noch in das nähere Umfeld Europas, meine Damen und Herren. Mit den USA haben wir uns so überworfen durch eine permanente Angriffstätigkeit gegenüber dem derzeitigen Präsidenten Trump – ich ahne, er wird auch der nächste Präsident sein; täuschen Sie sich nicht –, nicht erkennend, dass die US-Politik nicht mehr nur allein von den Republikanern so gestaltet wird, sondern dass sie auch, Herr Roth – wir streiten ja gerade über Nord Stream 2 –, von den Demokraten und auch von Joe Biden genauso betrieben werden wird, wie es derzeit die Trump-Administration macht. Täuschen Sie sich nicht! Noch mal: Der nächste US-Präsident wird Donald Trump heißen. In der Beziehung zu Russland haben Sie eigentlich alles vergeigt, was man vergeigen kann. Der Auftritt von Herrn Maas in Moskau war an Arroganz nicht zu überbieten. Die geplante Zusammenkunft mit dem russischen Außenminister Lawrow hier in Berlin wurde auf 90 Minuten reduziert. Ich habe das schon mal gesagt: Das ist im Grunde genommen auf gut Deutsch eine Ausladung; wir wollen gar nicht mit ihnen reden. – Zur gleichen Zeit wäre das Gespräch mit den Amerikanern dringend notwendig. Aber die Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu Russland sind nicht die allerbesten, ganz im Gegenteil: Sie sind schlecht. ({0}) Gerade was Russland anbelangt – das wissen Sie, meine Damen und Herren –, sind wir auf Stabilität und Frieden in Europa angewiesen. Es geht nur gemeinsam mit den Russen. Sie unternehmen nichts in diese Richtung, ganz im Gegenteil. Der Nawalny-Fall zeigt das; Sie haben das angesprochen. Beweise legen wir den Russen nicht vor. Wir haben noch immer nicht unsere Unterlagen nach Moskau zur dortigen Staatsanwaltschaft geschickt, die dafür zuständig ist. Da wartet man auf die deutschen Informationen vergebens. Warum? Weil wir es auf einen Konfrontationskurs ankommen lassen, der für Deutschland sehr viel gefährlicher ist, meine Damen und Herren, als für die Russen. Die Russen werden die Situation lösen. Wir Deutsche begeben uns hingegen in gefährliches Fahrwasser. Sie haben gerade Ihre Europapositionierung betrieben. Wir waren einst von Freunden umgeben. Heute haben wir keine Freunde mehr – das stellen wir fest –, weder in den USA noch in Russland und auch nicht in Europa. Das, was Sie beschrieben haben, ist genau das, was die Alternative für Deutschland nicht will, Herr Roth. ({1}) Herr Nouripour, die Alternative lautet, dass die Vorstellung eines gemeinsamen Europas, das am besten gesellschaftlich, kulturell, in allen Formen gleich ist – vom Nordkap bis nach Sizilien oder Malaga –, eben nicht die europäische Idee sein kann und sein darf. Die europäische Idee ist aus zwei Werten geboren, nämlich einmal aus den Werten des christlichen Abendlandes. Das Christliche vermisse ich sehr auf dieser Regierungsbank. Wenn Sie zu den Ländern gehen, die wirklich in christlichem Sinne handeln, nämlich die auf dem Balkan, wo Sie lange nicht gewesen sind, dann werden Sie feststellen, dass sich Bulgarien, Serbien und Kroatien als ein Bollwerk gegen den Vormarsch des Islam verstehen und in tiefster christlicher, europäischer Tradition diese Rolle übernommen haben. Wir vernachlässigen den Westbalkan, indem wir diese Länder weder besuchen noch ausreichend unterstützen. Genauso verhält es sich mit unserem Verhältnis zu den Nachbarstaaten in der Europäischen Gemeinschaft, nicht nur in der Währungsunion. Sie zielen ja auf eine politische Union ab. Das Gegenteil ist aus unserer Perspektive richtig. Europa ist dadurch stark geworden, dass es im Widerstreit seiner nationalen Interessen zu großen und großartigen Leistungen fähig war. Kemal Atatürk hat mal gesagt: „Es gibt viele Kulturen, aber nur eine Zivilisation: die europäische.“ Warum ist das so gewesen? Weil im Widerstreit der europäischen Nationen – Frankreich, Großbritannien und Deutschland zuerst – sich die Konkurrenzsituation so gut entwickelt hat, dass wir zu großen wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und anderen Leistungen fähig waren. ({2}) – Sie haben völlig recht, Herr Kollege. – Die Losung aus dieser Erkenntnis des 20. Jahrhunderts muss lauten: Wir wollen diese Konkurrenz. Wir wollen die Nationalstaaten, die innigst miteinander konkurrieren – mit einer Ausnahme: Wir wollen uns nie wieder den Schädel gegenseitig einschlagen. Das ist das Resultat aus dem 20. Jahrhundert. ({3}) Das muss die logische Konsequenz sein: die nationalen Staaten in ihrer besten Kraft und ihrer Schaffenskraft, geeint aber in der Überzeugung, dass wir einen gemeinsamen Wert vertreten, nämlich das christliche Abendland. Und das ist eine Kraft, wie sie kaum im Rest der Welt zu finden ist. Das zu verdeutlichen und das wieder anzustreben, ist das Ziel der Alternative für Deutschland, meine Damen und Herren. Ich glaube, dass wir uns in diesem Sinn ({4}) – genau, jetzt kommt der Schlusssatz – mit unseren Beziehungen zu allen anderen Ländern zu dem zurückbegeben müssen, was wichtig ist, nämlich zur realpolitischen Einschätzung der Beziehungen mit den USA, mit Russland, mit Afrika und auch mit China. Die Chinesen erkennen unsere Menschenrechtsvorstellungen nicht an. Sei es drum! Dann überlassen wir ihnen ihre Welt, und wir leben in unserer Welt. Auch die Russen erkennen nicht alles an, was uns wichtig ist. Deswegen verfeinde ich mich nicht mit ihnen, sondern ich agiere realpolitisch und wäge ab: Wo sind unsere Interessen? Wo können wir sie durchsetzen und wo nicht? In Weißrussland werden wir sie genauso wenig durchsetzen können wie in der Ukraine.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Hampel, die Ankündigung des Schlusssatzes ersetzt diesen nicht.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich komme zum Schluss. – Aus der Ukraine müssen wir die Lehre für Weißrussland ziehen. Die Lösung für die Probleme dort liegt in Moskau, nicht in Berlin und auch nicht in Paris und London. Danke schön, meine Damen und Herren. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mir erlauben, zumindest zu Beginn einen kleinen Satz zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung zu machen. Ich finde, der Haushaltsansatz für das Ministerium, für das Auswärtige Amt, ist mit erstmals über 6 Milliarden Euro ein guter Haushalt, mit dem man viel machen kann. Es gibt sicherlich das eine oder andere Rädchen, an dem wir im Parlament noch gerne ein wenig drehen würden. Aber grundsätzlich ist es ein Haushalt, der den gewachsenen Anforderungen in der Welt und auch den gewachsenen Erwartungen an Deutschland gerecht wird. Deswegen ist er eine gute Beratungsgrundlage. Wir haben heute Morgen im Kreis einiger Abgeordneter mit dem Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, mit Herrn Dr. Maurer, zusammengesessen. Nüchtern war die Analyse, dass die Coronapandemie weltweit nicht etwa zum Austrocknen oder Versiegen von Konflikten geführt hat, sondern dass die Konflikte in der Coronazeit eher an Intensität zugenommen haben und dass neue hinzugekommen sind. Das, was wir vor wenigen Tagen zwischen Aserbaidschan und Armenien erlebt haben, muss uns erschrecken. Der Appell von diesem Pult aus geht ganz klar an die beiden Staaten, die Kampfhandlungen einzustellen, aber auch an die Adresse Russlands und der Türkei, ihre Unterstützung der Eskalation eines solchen Konfliktes aufzugeben. Wir fordern beide Seiten auf, zum Minsk-Prozess zurückzukehren, der unter dem Dach der OSZE auf der Basis der Helsinki-Schlussakte, der Paris-Charta und der Madrider Prinzipien eine Lösung dieses Konflikts suchen soll, die in erster Linie den Menschen in der Region und in zweiter Linie auch den Regierungen der beiden beteiligten Länder entspricht. Das wäre mein dringender Appell. ({0}) Im Zusammenhang mit dem Haushalt stellt sich die Frage, was Deutschland in den nächsten Monaten und im nächsten Jahr tun muss. Wir müssen natürlich unsere großen Anstrengungen in den Bereichen der Stabilisierung von Staaten und der humanitären Hilfe fortsetzen. Wir haben mit den Nachtragshaushalten für den 2020er-Haushalt über 2 Milliarden Euro in diesem Bereich aufgebracht. Wir sind damit im Übrigen zweitstärkster Financier des Internationalen Roten Kreuzes geworden. Wir haben Großbritannien überholt und sind auf Platz zwei nach den Vereinigten Staaten von Amerika. Das finde ich auch gut so. Ich habe mich erkundigt, wie es denn mit dem vielen Geld steht, insbesondere mit den 450 Millionen Euro, die wir für humanitäre Hilfe zusätzlich verabschiedet haben. Die Zahlen, die ich aus dem Auswärtigen Amt bekommen habe, belegen, dass dieses Geld bis auf wenige Millionen tatsächlich entweder abgeflossen oder fest verplant ist. Also, da sind tatsächlich die PS auf die Straße gebracht worden, und das hat uns, wie gesagt, Herr Maurer auch entsprechend bestätigt. Wir müssen natürlich aber auch zur Bekämpfung der Folgen von Konflikten in der Welt die Instrumente schärfen, mit denen wir an der Wurzel der Konflikte ansetzen und dafür sorgen, dass sie erst gar nicht entstehen oder entsprechend gedämpft werden. Da sollten wir uns als Deutsche keiner Illusion hingeben: Das können wir in erster Linie, wenn es um Friedenssicherung und Friedenserhaltung geht, nur gemeinsam mit den Partnern in der UN und gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union. Daher erleben wir zurzeit Zeichen der Schwäche der Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik, die uns auf die Füße fallen, mit denen wir auf Dauer nicht leben können. Ich halte es für einen unhaltbaren Zustand, dass möglicherweise das Veto eines einzigen der 27 Mitgliedstaaten es verhindert, dass die übrigen 26 Mitgliedstaaten ein klares Wort an die Führung in Minsk, an die belarussische Regierung, richten und sowohl Herrn Lukaschenko als auch alle diejenigen, die für die Wahlfälschung und für die Gewalt gegen Demonstranten verantwortlich sind, mit Personensanktionen überziehen, damit sie die Weihnachtseinkäufe eben nicht mit ihren Kreditkarten in den Staaten des Baltikums oder in Berlin oder in Warschau machen können, sondern spüren, dass wir da ganz klar die Rote Karte zeigen. Ich hoffe, dass Donnerstag, Freitag beim Europäischen Rat in diesen Punkt Bewegung kommt. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für unsere Reaktion auf den Versuch der Vergiftung oder Ermordung von Herrn Nawalny. Russland ist gemäß dem Chemiewaffenabkommen verpflichtet, bei der Aufklärung zu kooperieren, warum dieses Nowitschok in Russland im Umlauf ist. Wenn Russland das nicht tut, verstößt es gegen den Vertrag und setzt sich damit ins Unrecht. Auch hier muss es, wie ich finde, eine klare europäische Antwort geben. ({1}) Etwas optimistischer bin ich, was Europa angeht, im Hinblick auf das, was wir uns für die Sahelzone vorgenommen haben. Ich glaube, zumindest die Vorstellungen der deutschen Ratspräsidentschaft, aber auch anderer wichtiger Staaten in der EU sind sehr vielversprechend, dass wir tatsächlich eine europäische Initiative zur Unterstützung und Stabilisierung der Staaten in der Sahelzone zustande bringen. Wir müssen uns, glaube ich, schon klarmachen, um was es hier geht. Es geht einmal um die Staaten der Sahelzone. Aber es geht vor allem auch darum, dass nicht in der Mitte Afrikas eine Region entsteht, in der IS und al-Qaida, nachdem wir sie im Nahen und Mittleren Osten ein Stück zurückgedrängt haben, eine neue Heimstatt finden. Die Orientierung dieser Terrorgruppen ist meines Erachtens nicht so sehr auf die Sahelstaaten ausgerichtet, sondern letztlich wollen sie sich von dort aus Richtung südliches Afrika, wo die wirtschaftlichen Ressourcen offensichtlich größer sind, begeben. Wenn wir das gemeinsam mit den Staaten Afrikas nicht in den Griff kriegen, dann werden wir ein Riesenproblem haben. Ich glaube auch, dass wir in der Europäischen Union einen dringenden Bedarf an einer gemeinsamen vernünftigen China-Strategie haben, die die Chancen, aber eben auch die Herausforderungen im Umgang mit China in den Blick nimmt. Es ist höchste Zeit, dass wir diese gemeinsame Strategie formulieren. Im Hinblick auf die Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika möchte ich anmerken: Die Allianz der Multilateralisten ist sicherlich eine richtige Antwort auf Bilateralismus und „America First“. Aber wenn man die Vorstellung hat, man könnte eine neue multilaterale Weltordnung organisieren ohne die Vereinigten Staaten von Amerika, dann liegt man auch falsch. Ich bin der Meinung, dass die Allianz der Multilateralisten eben keine exklusive Veranstaltung der, wenn wir so wollen, Opfer der Trump’schen „America First“-Politik werden soll, sondern dass wir die Hand weiter ausstrecken und dass wir Amerika einbeziehen sollten. Für die Zeit nach der Präsidentschaftswahl braucht Deutschland, braucht die Europäischen Union eine Agenda, mit der wir, egal wer zum Präsidenten gewählt wird, vielleicht in der einen oder anderen Frage – Handel, Klima, Sicherheit – einen neuen Gesprächsfaden mit der neuen amerikanischen Administration, mit dem neuen Präsidenten knüpfen können. In diesem Sinne freuen wir uns auf die Haushaltsberatungen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Michael Georg Link das Wort. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, Sie haben heute stellvertretend für den Minister geredet. Lassen Sie mich das zum Anlass nehmen, auch von meiner Fraktion aus alle guten Wünsche auszusprechen. Wir hoffen, dass der Minister bald wieder ganz normal hier mit uns arbeiten kann und dass die Quarantäne bald erfolgreich beendet ist. ({0}) Kolleginnen und Kollegen, gestern hat der Finanzminister einen Kanzlerkandidatenhaushalt vorgelegt. Hat der Außenminister heute auch einen Haushalt eines UN-Sicherheitsratsmitglieds vorgelegt oder eines Kandidaten für einen ständigen Sitz? Fehlanzeige! Denn der Etat des Auswärtigen Amtes – in dem Fall helfen auch die rosigen Bemerkungen des Kollegen Hardt nicht – sinkt im Verhältnis zu 2020 um über 580 Millionen Euro auf 6 Milliarden Euro; das ist eine Absenkung um ganze 8,8 Prozent. Und – schlimmer noch –: Beim Auswärtigen Amt soll in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2023/24 der Plafond um über 1 Milliarde Euro sinken. Das ist absolut nicht angemessen. ({1}) Jetzt sind wir als FDP beileibe nicht diejenigen, die leichtfertig Mehrausgaben fordern – wahrlich nicht. Deshalb bestehen wir auch darauf, Kollege Karl, dass die Haushaltsreste, die im Auswärtigen Amt erheblich sind – erheblich! –, abgebaut und dass die unbesetzten Stellen erst mal gefüllt werden. Aber da muss man sich doch ehrlich machen angesichts des Mehrbedarfs, den wir international für Multilateralismus, für zivile Krisenprävention, für humanitäre Hilfe, für das UN-System und für vieles andere mehr haben. Dabei ersparen doch rechtzeitig ausgegebene Mittel für Diplomatie und humanitäre Hilfe so manchen sehr viel teureren Konflikt, der hinterher vielleicht erst gar nicht entsteht. Wieso, Herr Minister, machen Sie einen solchen Kurs mit? Das ist die große Frage, die ich mir stelle. Kolleginnen und Kollegen, ich kann es nicht anders sagen: Auf mich wirkt Minister Maas wie ein Minister auf Durchreise – nicht greifbar, nicht auf Fragen und Anregungen eingehend und vor allem nicht kämpfend für sein Haus. ({2}) Dabei leitet Minister Maas eines der wichtigsten Ministerien dieser Republik, ein Haus, das eigene strategische Weichenstellungen machen und umfassend handlungsfähig sein sollte. Gestern hat der Außenminister im UN-Sicherheitsrat geredet – eine schöne, eine gute Rede für die regelbasierte Weltordnung. Aber welch ein Kontrast zur Realität des Haushalts, in dem Sie zum Beispiel beim UNHCR die Grundbeträge um 23 Prozent kürzen, beim UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, OCHA, um 10 Prozent und – es ist zwar BMZ, aber nach außen hin ist es ja eine Bundesregierung, vor allem international – beim Welternährungsprogramm sogar um 42 Prozent. Da passen doch, Kolleginnen und Kollegen, Worte und Taten nicht zusammen. Dabei bräuchten diese Organisationen doch gerade jetzt mehr Mittel und vor allem weniger Zweckbindung, damit sie auf Krisen schnell und präzise reagieren können. ({3}) Als Freie Demokraten sagen wir deshalb: Multilateralismus darf man nicht nur loben; man muss ihn leben. Deshalb: UN-System stärken. Das ist ganz entscheidend und wichtig. Dabei könnte diese Bundesregierung auch im Bereich des BMZ – wir werden später darüber reden – noch deutlich mehr tun; aber es passiert eben nichts. Es ist schön – um auch mal was ganz Positives anzumerken –, dass Sie jetzt eine eigene, eine sehr starke Kandidatin für den Posten der Generalsekretärin der OSZE haben – die OSZE ist ein wichtiger Teil der multilateralen Ordnung, die wir so schätzen und die wir stärken wollen –: Helga Schmid. Fantastisch! Unsere guten Wünsche begleiten sie. ({4}) Es wäre ein superstarkes Zeichen, wenn es gelingen würde, Helga Schmid tatsächlich in diese so wichtige und oft unterschätzte OSZE-Position zu bringen. Europarat: Bald steht der deutsche Vorsitz an. Ich bin sehr gespannt, was Sie daraus machen, wie Sie ihn nutzen. Sie haben letztes Jahr, als die Duma in die Parlamentarische Versammlung des Europarats zurückkehren durfte, Russland einen großen Vertrauensvorschuss gewährt. Russland hat ihn bisher nicht honoriert. Beispiele, glaube ich, brauche ich hier nicht zu bringen. Deshalb die Bitte – es soll ja jetzt darum gehen, ein neues Verfahren zu finden, wie zum Beispiel Untersuchungen durch den Europarat durchgeführt werden können –: Wenn das jetzt während Ihrer Vorsitzzeit läuft und konkretisiert wird, passen Sie auf, dass die Verfahren des Europarats nicht weiter verwässert werden. Denn das ist das erklärte Ziel der Russischen Föderation. Also: Der Druck auf Menschenrechtsverteidiger steigt, und umso mehr sollte die Bundesregierung sich gerade in UN, OSZE und Europarat für diese Gruppe der Menschenrechtsverteidiger einsetzen. ({5}) Es ist gut, dass Sie endlich auch Frau Tichanowskaja empfangen. Es ist gut, dass die Bundesregierung endlich diesen Schritt macht; er ist überfällig. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Bundesregierung mehr macht, insbesondere auch im Bereich deutsch-belarussische Zivilgesellschaftsförderung. Ich weiß, es gibt Pläne, jetzt bei den Visa nachzusteuern, dass sie günstiger werden, dass man sie schneller bekommen kann. Das ist absolut überfällig; wir brauchen das dringend. Wenn ich mir als Haushälter anschaue, wie viel Geld – unausgegebene Reste – im Bereich „Ausbau der Zusammenarbeit mit Ländern der Östlichen Partnerschaft“ im Haushalt übrig ist, dann fasse ich es nicht. Wir Parlamentarier und Koalitionshaushälter Doris Barnett, Alois Karl und ich haben gemeinsam mit Ekin Deligöz von den Grünen dafür gesorgt, dass hier mehr Geld reinkommt. Aber dieses Geld wird nicht ausgegeben – jedenfalls nur teilweise. So kann man mit dem ausdrücklichen Wunsch des Parlaments nicht umgehen. Wir wollen, dass Sie hier mehr machen. Auch hier müssen Worten Taten folgen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Link, Sie können selbstverständlich weiterreden; aber das tun Sie jetzt auf Kosten Ihres Kollegen.

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Und deshalb komme ich jetzt zum Schluss. – Danke für die Aufmerksamkeit, und ich freue mich auf die Ausschussberatungen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Menschen blicken derzeit mit Sorge und Angst in die Zukunft, und ich kann das angesichts der vielen Konflikte, Krisen und Katastrophen, die uns umgeben, verstehen. Hinzu kommt, mit welcher Geschwindigkeit sich derzeit Szenarien vor uns entfalten, die vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen wären. Da gibt es einen amerikanischen Präsidenten, der sein eigenes Land in solch ein Chaos stürzt, dass es Zweifel daran gibt, ob die nächsten Wahlen geordnet über die Bühne gehen werden. Da gibt es Brände – befeuert durch den Klimawandel –, die ganze Landstriche, so groß wie Österreich und die Schweiz zusammen, verwüsten – siehe Australien –, und Corona zwingt uns derzeit, Städte und Länder in Quarantäne zu schicken und Volkswirtschaften über Nacht herunterzufahren. Und was macht der Außenminister in dieser Zeit? Er stellt sich hin und fordert und mahnt und ist bestürzt. Das ist logisch; denn Deutschland ist außenpolitisch derzeit so schlecht aufgestellt, dass der Außenminister immer dann, wenn er sich bewegt, eigentlich im Schach steht. Bitter ist jetzt aber, dass er sich an der Stelle, an der er sich bewegen könnte, auch nicht bewegt. Er könnte sich nämlich hier, beim Haushalt, bewegen. ({0}) Statt den Menschen Angst zu nehmen und Mut zu machen sowie die Instrumente, über die wir verfügen, zu stärken, wird hier im Haushalt gekürzt. Der Gesamtetat geht um 600 Millionen Euro nach unten. Die mittelfristige Finanzplanung sieht vor, dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes in den nächsten Jahren um 1 Milliarde Euro abgesenkt wird. Für Sicherung, Frieden und Stabilität stehen 300 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Gucken wir uns ein, zwei kleine Punkte an. Es ist hier vom Roten Kreuz gesprochen worden. Auch die Mittel für das Rote Kreuz, das so wichtig ist, werden um 1,25 Millionen Euro gekürzt, ({1}) und die Mittel für den UNHCR werden um 5,5 Millionen Euro gekürzt. Das ist eine verheerende Entwicklung, die wir hier im Parlament ändern können. Wir sind hier gefragt. Aber, wie gesagt, bitter ist, dass dieser Vorschlag von der Regierung kommt, obwohl sie hier nicht unter Druck und nicht im Schach steht, sondern sie hätte uns einen besseren Haushaltsentwurf vorlegen können. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Omid Nouripour das Wort. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die internationalen Herausforderungen sind immens: Klimawandel, die Pandemie, der Kampf gegen den Extremismus. Nichts davon lässt sich nationalistisch lösen; der Nationalismus schürt und verstärkt diese Probleme unserer Zeit. Es geht nur mit internationaler Kooperation. ({0}) Dass das zurzeit leider nicht überall Trend ist, sieht man beispielsweise daran, dass sich die US-Politik in der Mitte dieser historischen Pandemie ausgerechnet aus der Weltgesundheitsorganisation zurückzieht. Das ist einfach unfassbar. Die Zahl der Miseren ist groß. Im Jemen brauchen 24 Millionen Menschen humanitäre Hilfe; das sind 80 Prozent der Bevölkerung. Man könnte diese Liste leider viel zu lange fortsetzen: Demokratische Republik Kongo, Südsudan, Venezuela, immer wieder Syrien. All das geht uns sehr viel an – nicht nur moralisch. Wir haben auch schon einmal erlebt, was passiert, wenn wir so tun, als würden wir einfach nicht hinschauen müssen. Es gab bereits vor 2015 sehr viele laute Rufe der Hilfsorganisationen und auch von Menschen, beispielsweise in den Ländern um Syrien herum, dass die humanitäre Katastrophe verheerend sei, dass in den Lagern die Versorgung nicht mehr funktioniere und dass die Nahrungsmittelvorräte zu Ende gingen. Der Rest der Geschichte ist wohlbekannt. In diesen Zeiten braucht es eine beherzte und eine kohärente deutsche Außenpolitik, eine, die versteht, dass die höchsten Interessen Deutschlands und der deutschen Außenpolitik selbstverständlich der Zusammenhalt der Europäischen Union und der Kampf gegen nationale Egoismen sind. ({1}) Die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist aber leider unambitioniert, langsam und oft widersprüchlich. Was ist eigentlich passiert, seit vor genau vier Wochen die Frau Bundeskanzlerin den Anschlag auf Nawalny verurteilt und Russland aufgefordert hat, sich zu erklären? Am Montag dieser Woche hat der Regierungssprecher gesagt, na ja, man warte noch auf Ergebnisse, man könne nichts Neues aus dem Kreml erzählen. Das ist das übliche Theaterstück. Hier heißt es „Warten auf den Kreml-Godot“. Ziehen Sie endlich Konsequenzen aus dem Mord im Tiergarten, aus den Mordversuchen in Salisbury, an Alexej Nawalny und vielen anderen, und beenden Sie endlich die politische Unterstützung für den fossilen Spaltpilz in Europa, Nord Stream 2. ({2}) Es gibt sehr viele andere Beispiele für die Konsequenzlosigkeit deutscher Außenpolitik, zum Beispiel Belarus. Es ist richtig, dass die Bundesregierung das Wahlergebnis nicht akzeptiert, und, ja, der Kollege Link hat völlig recht: Es ist überfällig, jetzt endlich auch mit der Oppositionsführerin zu sprechen. – Die Menschen dort brauchen aber nicht nur warme Worte, wie wir sie heute Morgen gehört haben. Wo bleibt denn endlich das überfällige Angebot von unbürokratischen Visa für all diese Leute, die bedroht sind, die verfolgt werden, denen Mord, Verhaftung, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung drohen? Es ist höchste Zeit, dass auch diese Menschen konkrete Hilfe erfahren. ({3}) Vor allem: Was muss noch passieren, damit das große Deutschland aufhört, sich bei der Frage von Konsequenzen gegen Lukaschenko ohnmächtig hinter Zypern zu verstecken? Es geht doch nicht, dass wir immer nur warten und so tun, als wäre die Einstimmigkeit der einzige Weg, Politik zu machen. Nächstes Beispiel: China. Gerade in Zeiten, in denen die europäische Kohäsion immer größer wird, in denen es viel besser möglich ist, europapolitisch zusammenzustehen, weil sich immer mehr europäische Staaten von der chinesischen KP nicht mehr spalten lassen wollen, und in denen die Bundesregierung endlich laut, klar und deutlich sagt, dass es eine systemische Rivalität gibt, stelle ich die Frage: Was ergibt sich daraus eigentlich? ({4}) Ich habe mir die letzten Reden der Frau Bundeskanzlerin angehört. Die beiden Worte, die man am allerhäufigsten gehört hat, sind „Vertrauen“ und „Partnerschaft“, als würde es kein Sicherheitsgesetz gegen Hongkong, keine aggressive militärische Bedrohung von Taiwan und keine 380 Umerziehungslager in Xinjiang geben. Das ist einfach nicht ausreichend. ({5}) Kolleginnen und Kollegen, es gab zwei Initiativen des Außenministers in zweieinhalb Jahren. Die eine, die Lateinamerika-Initiative, hat der Minister für Entwicklungszusammenarbeit durch Umwidmung der Mittel seines Hauses mehr oder minder unwidersprochen eigentlich längst begraben. Die zweite Initiative ist der eigentlich gut gedachte Berliner Prozess, um Libyen zu befrieden. Kernpunkt ist, dass keine Waffen mehr ins Land kommen; das ist auch absolut richtig so. Es stellt sich aber natürlich die Frage, warum man mit einer solchen Initiative so lange gewartet hat, bis die europäischen Staaten untereinander so zerstritten waren, dass ein Vakuum entstanden ist, das durch die Türkei, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten militärisch längst gefüllt ist. Der Libyen-Konflikt zeigt aber nicht nur, dass die deutsche Reaktion möglicherweise zu spät kam – jedenfalls kam sie sehr spät –, sondern auch, dass die deutsche Außenpolitik absolut inkonsistent ist. Im Juni drohte el-Sisi, Präsident Ägyptens, mit einer militärischen Invasion. Die Antwort der Bundesregierung: Genehmigung für U-Boote und Fregatten. – Das ist quasi eine Belohnung für das, was er dort gesagt hat. Vor zwei Wochen haben die Ägypter angekündigt, dass die Vertragsumsetzung für den Bau einer Fregatte vom Typ MEKO A-200 beginnt. Im Übrigen: Die Genehmigungen für Rüstungsexporte an die Türkei, die die andere Seite unterstützt, gehen auch weiter. Sie benennen also nicht die Embargobrecher, sondern Sie belohnen sie. ({6}) Das ist einfach keine gute Politik. ({7}) Die absolute Höhe war: Im März gab es eine gemeinsame Erklärung mit einem der größten Embargobrecher, nämlich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, verbunden mit der Aufforderung, jetzt keine Waffen mehr zu liefern. Da ist die deutsche Außenpolitik nur noch Feigenblatt für diejenigen, die Regeln brechen. Im Übrigen sind Ägypten und die VAE Kriegsparteien im Jemen. Aber wen interessiert schon in dieser Bundesregierung, was eigentlich im eigenen Koalitionsvertrag steht. ({8}) Das ist im Übrigen derselbe Krieg, den Heiko Maas beenden will. Aber gleichzeitig haben wir einen Finanzminister, Olaf Scholz, der Wirecard-Mafiosi genau zu der Zeit hofiert hat, in der genau diese Leute die Milizen in Libyen finanziert haben. – Auch das zum Thema „Kohärenz deutscher Außenpolitik“. Zu dieser Inkohärenz gehört auch – es ist gerade gesagt worden, wie dieser Haushalt gerade zusammengekürzt wird –, dass die gesetzlich festgeschriebene Personalreserve, die Grundbedingung ist, damit der Laden überhaupt läuft, weiterhin nicht eingehalten wird. Das ist beschämend. Seit zweieinhalb Jahren wartet Heiko Maas auf einen Bericht von Olaf Scholz, ob er das Gesetz umsetzen darf. Das ist nicht ambitioniert, das ist nicht kohärent, das hat kein Feuer. Ehrlich gesagt, diese Koalition ist ausgelaugt und zu all diesen Dingen nicht mehr imstande. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Nils Schmid für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Nouripour, Ihre Rede mag Feuer gehabt haben, war aber auch ein bisschen wild durcheinander. Ich will nur einen Punkt klarstellen: Das Thema Personalreserve wird im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im Herbst aufgerufen, und dann werden wir die notwendigen Entscheidungen treffen. ({0}) Denn eines ist klar: Wir brauchen eine Personalreserve im Auswärtigen Amt, und diese muss ausgebaut werden. Die Personalentwicklungsplanung liegt vor, und wir sind zuversichtlich, dass wir im Herbst im Haushaltsausschuss die entsprechenden Entscheidungen treffen können. ({1}) Wir beraten heute beim Einzelplan 05 über den Haushalt des Auswärtigen Amtes. Das ist die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die Außenpolitik unter Leitung von Heiko Maas zwei wichtige Gedanken verfolgt: Der eine ist, den Multilateralismus zu stärken, und der andere ist, die europäische Souveränität auszubauen. ({2}) Die Allianz für Multilateralismus ist eine wichtige Initiative. Sie sehen an allen außenpolitischen Initiativen dieser Bundesregierung, dass sie sich einbetten in UN-Prozesse. Ich nehme mal das Beispiel der Berliner Libyen-Konferenz. Das ist keine Show Deutschlands. Sie ist eingebettet in die Vermittlungsbemühungen und bezieht sich ausdrücklich auf die UN-Resolutionen zur Lösung des Libyen-Konfliktes. Genau das entspricht der Vorstellung, die mit der Allianz für Multilateralismus verbunden ist. Es geht darum, bestehende multilaterale Formate zu stärken. Dazu gehören an vorderster Stelle der UN-Sicherheitsrat und das UN-System allgemein. Genau so muss deutsche Außenpolitik agieren. Bei aller Kritik an der UN sehen wir an der Tatsache, dass sich der UN-Sicherheitsrat nach 26 Jahren zum ersten Mal wieder um Bergkarabach gekümmert hat, dass dieses UN-System nicht tot ist, sondern dass es sich lohnt, für die UN zu kämpfen, dass es sich lohnt, auf UN-Verfahren zu setzen, und dass es richtig ist, im UN-Sicherheitsrat dafür zu kämpfen, dass eine friedliche Streitbeilegung möglich ist, dass es keine Einmischung von Dritten wie der Türkei oder Russland in den Konflikt gibt und dass es selbstverständlich einen sofortigen Waffenstillstand in Bergkarabach geben muss. ({3}) Wir werden auch nicht nachlassen, die Rolle der OSZE zu stärken. Ich bin dankbar, Herr Kollege Link, dass Sie die Kandidatur von Helga Schmid angesprochen haben – weder verwandt noch verschwägert mit mir, will ich bei dieser Gelegenheit einfließen lassen. ({4}) Dessen ungeachtet hat sie die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. Wir wollen damit nicht nur eine hervorragende deutsche Diplomatin an verantwortlicher Stelle unterbringen, sondern wir wollen auch die OSZE stärken bei ihren Bemühungen, in Belarus, in Armenien, in Aserbaidschan, in Bergkarabach Einfluss zu nehmen. Genau das brauchen wir, um den Multilateralismus zu stärken. Die europäische Souveränität auszubauen, ist ein wichtiges Anliegen des Auswärtigen Amtes und auch von Heiko Maas persönlich. Vergessen Sie nicht: Wenn es bei der 5-G-Debatte um die technologische Souveränität Europas geht, ist es das Auswärtige Amt, das ganz massiv darauf drängt, dass wir strenge Regeln einführen. Ich bin aufgrund der Presseberichterstattung ganz zuversichtlich, dass wir in dieser Frage zu einer guten gemeinsamen Lösung innerhalb der Bundesregierung kommen. Es ist das Auswärtige Amt, das ganz massiv darauf drängt, die Rolle des Euros in internationalen Handelsbeziehungen, auf internationalen Finanzmärkten zu stärken. Es ist das Auswärtige Amt, das mit den Leitlinien zum Indopazifik ausbuchstabiert hat, wie Deutschland sich gemeinsam mit europäischen Partnern in Asien stärker engagieren sollte, politisch, diplomatisch, ökonomisch, kulturell und, wo notwendig, auch militärisch. Das zeigt doch, dass wir die Herausforderungen der Zeit annehmen und dass wir auch erkennen, dass wir einen anderen Umgang mit China pflegen müssen. Da besteht großer Konsens zwischen uns und unserem Außenminister, und da unterstützen wir ihn, auch durch diesen Haushalt. ({5}) Dann gibt es noch einen letzten Punkt, der für uns als SPD-Fraktion in den anstehenden Haushaltsberatungen wichtig ist. Wir wollen, dass das Auswärtige Amt die notwendigen Mittel, personell wie sächlich, zur Umsetzung einer Afrika-Strategie bekommt, um die Präsenz in afrikanischer Politik zu stärken. ({6}) Das wird neben anderen Anliegen das sein, was wir gemeinsam in den Haushaltsberatungen mit Ihnen durchsetzen wollen. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Sie alle kennen den Film „Die unendliche Geschichte“ – eine perfekte Überschrift für das Leiden an und mit dem Auswärtigen Amt. Man könnte den Film auch „Das Ankündigungsministerium“ nennen. Aber der Reihe nach. Wie wir, die AfD, immer wieder als einzige Partei gerügt haben, hatte das Auswärtige Amt nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2018 – wohlgemerkt: 2018 – keine Kenntnis über den Bearbeitungsstand seiner Zuwendungsverfahren und Verwendungsnachweise über rund 2,5 Milliarden Euro im Bereich humanitäre Hilfe und Krisenprävention. Hat sich daran im Wesentlichen etwas geändert? Nein, und wir schreiben nunmehr das Jahr 2020, Ende September. Allerdings, bei genauerer Betrachtungsweise hat das Auswärtige Amt zwischenzeitlich jedenfalls versucht – in der Zeugnissprache heißt das: „sich bemüht“ –, ein Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten zu erlassen, weil bei dieser neu zu schaffenden Behörde zukünftig auch die Zuwendungen und Verwendungsnachweise als nichtministerielle Aufgaben bearbeitet werden sollten. Ich wiederhole: versucht! Der Bundesrechnungshof hat hierzu am 27. Februar 2020 einen Bericht erstellt. Dieser Bericht ist hinsichtlich seiner katastrophalen Bewertung kaum zu überbieten. Zunächst hat das Auswärtige Amt keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorgenommen. Welche Aufgaben das neue Bundesamt übernehmen und was beim Auswärtigen Amt selbst verbleiben sollte, ließ der Gesetzentwurf schlicht offen. Wozu sollte man denn auch sagen, warum man eine komplette neue Behörde braucht und welche Aufgaben diese übernehmen soll? Wenn man nicht weiß, was die neue Behörde denn so alles tun soll, weiß man natürlich auch nicht, welche finanziellen oder personellen Auswirkungen das ganze Abenteuer hat. Dementsprechend ließ der Gesetzentwurf weder erkennen, wie die Personalausstattung sein sollte, noch, wie sich die Neugründung auf die Personalausstattung des Auswärtigen Amtes selbst auswirkt. Hinzu kam, dass das neue Bundesamt Außenstellen bilden können soll. Und: Warum das überhaupt so sein soll und zudem nach Zahl und Größe diese womöglich unbeschränkt nötig sein sollen, hierzu fehlt im Gesetzentwurf jegliche Begründung. Entsteht hier etwa eine neue Behördenriesenkrake? ({0}) Darüber hinaus dachte man sich, dass man die Ministerialzulagen auch für nichtministerielle Aufgaben im Grundsatz beibehalten könnte – selbstverständlich nicht unter der Bezeichnung „Ministerialzulage“. Immerhin erkannte das Auswärtige Amt, dass diese Bezeichnung für nichtministerielle Aufgaben, noch dazu außerhalb des Ministeriums, wohl doch rechtswidrig sein dürfte. Aber wenn es um den Erwerb und die Beibehaltung von Pfründen geht, wird das Bundeskabinett nebst Auswärtigem Amt plötzlich geistig flexibel und erfindet das wunderschöne Wort „Aufbauzulage“. Eine tolle Idee, dachte sich das Auswärtige Amt. Denn da es dieses wunderschöne Wort noch in keinem einzigen Gesetzestext gibt, kann man seine ganz eigene Inspiration hierzu in vollem Umfang wirken lassen. Und das Ergebnis dieser ganz eigenen, ja eigenartigen Gedankengänge des Auswärtigen Amtes war, dass diese sogenannte Aufbauzulage am Anfang der Höhe nach in vollem Umfang der Ministerialzulage entspricht und dann über einen Zeitraum von fünf Jahren jährlich um 10 Prozentpunkte abgeschmolzen wird und dann bei 50 Prozent verbleibt. Das sollte natürlich für alle Beschäftigten gelten. Auch für die reitenden Boten? Was für ein Hohn für alle ehrlichen Steuerzahler. ({1}) Ist das Auswärtige Amt etwa ein Selbstbedienungsladen? Nachdem dann der Bundesrechnungshof – völlig zu Recht – dazwischengehauen hat, hat sich das Auswärtige Amt dazu bequemt, eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorzulegen. Diese aber war wiederum so dürftig, dass der Haushaltsausschuss dem Auswärtigen Amt mit Maßgabebeschluss vom 13. Mai 2020 aufgegeben hat, endlich die Personal-, Sach- und Gemeinkosten zu ermitteln und den finanziellen Aufwand mit belastbaren Zahlen zu belegen. Und ganz bemerkenswert: Nach dem Maßgabebeschluss soll nur die Leitung und der Schwerpunkt in Brandenburg sein. Mit anderen Worten: Sie alle wollen weiterhin eine Art Behördenriesenkrake erschaffen; ({2}) denn die Außenstellen bleiben unangetastet. Die sogenannte Aufbauzulage wollen Sie lediglich „überprüfen“. Nein, meine Damen und Herren, eine Aufbauzulage ist abzulehnen. Wie wollen Sie denn das gegenüber dem Steuerzahler begründen? Und last, but not least: Das Auswärtige Amt lässt sich mit der Erfüllung dieses Maßgabebeschlusses Zeit – vom Mai dieses Jahres wohlgemerkt. Stichwort „Beamtenmikado“! Wer sich zuerst rührt, hat verloren. Und in der Zwischenzeit werden weiterhin – mehr oder weniger ungeprüft – jährlich circa 2 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe und Krisenprävention ausgegeben, und kein Mensch weiß, wo dieses Geld im Wesentlichen wirklich landet. ({3}) Welche NGOs mit wohlklingenden Namen dürfen sich hier über deutsches Steuergeld wohl freuen? Fortsetzung folgt, meine Damen und Herren. Danke schön. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Gunther Krichbaum das Wort. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am kommenden Samstag feiern wir 30 Jahre Wiedervereinigung. Der Fall der Berliner Mauer ging dem voraus, aber es war nicht nur der Fall der Berliner Mauer. Es war der Fall des Eisernen Vorhangs. So feiern wir eben nicht nur die Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch die Wiedervereinigung Europas. Es war jemand anderes, der einst sagte: Die ersten Steine der Berliner Mauer, lieber Kollege Sarrazin, wurden von Polen herausgebrochen. – Ich glaube deswegen: In diesen Tagen sollten wir uns insbesondere des Muts vieler in Europa erinnern, die hier vorangegangen sind; denn ohne sie wäre all das nicht möglich gewesen. Ich möchte an diesem heutigen Tag im Rahmen einer Haushaltsdebatte nur einmal daran erinnern – wir reden ja oft über Zahlen oder über das, was vielleicht hätte noch besser gemacht werden können, was sicherlich alles richtig ist –: Wenn wir auch mal den Blick zurück wagen und schauen, wie die Länder, wie ganze Landstriche damals aussahen, dann sehen wir dabei eben auch, welche Erfolgsgeschichte die europäische Integration ist, ohne die die deutsche Wiedervereinigung so nicht hätte stattfinden können. ({0}) Wir haben seit der Wiedervereinigung nun zum vierten Mal die Ratspräsidentschaft inne. In der Tat: Viele dicke Brocken lagen vor uns, liegen nach wie vor vor uns. Vieles konnte auch schon angepackt und gelöst werden – auch hier nicht durch Deutschland allein. Die Basis für den Erfolg der Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen und natürlich auch zum Wiederaufbaufonds, dem Recovery Fund, wie er auch genannt wird, wurde vor allem durch einen deutsch-französischen Kompromiss gelegt. Einmal mehr: Ohne Deutschland und Frankreich im Zusammenwirken wird dieser Motor, den wir in Europa brauchen, nicht funktionieren bzw. sich das Ganze nicht bewähren. Ich finde, heute ist ein erfreulicher Tag – Michael Roth hat darauf bereits hingewiesen –, was das Thema der Rechtsstaatlichkeit und den Rechtsstaatsmechanismus angeht: ({1}) Wir konnten in Brüssel mit einer Mehrheitsentscheidung nun dem deutschen Vorschlag zum Erfolg verhelfen, ({2}) der einigen Ländern nicht weit genug geht. ({3}) – Kollege Graf Lambsdorff, da haben Sie durchaus recht. – Ich denke da an Belgien, die Niederlande, Dänemark, Schweden, aber auch ({4}) Finnland, denen dieser Vorschlag nicht weit genug geht. Aber ich glaube, es ist im ersten Aufschlag ein Kompromiss; denn zum ersten Mal haben wir nun tatsächlich veritabel festgelegt, ({5}) dass die Rechtsstaatlichkeit ein Prinzip in Europa ist, ({6}) das gelebt werden muss. ({7}) Das halte ich für wichtig; denn es geht nicht nur um Polen und Ungarn oder um ein Polen- und Ungarn-Bashing. Es gab andere Länder, die in diesem Windschatten mitgesegelt sind, wenn ich nur mal an die Vorkommnisse in der Slowakei oder auch in Malta erinnere, die letztlich nicht immer diesen prominenten Platz in der Medienberichterstattung hatten, aber durchaus ein stärkeres Draufschauen verdient gehabt hätten. Wir haben nun – auch das ist Teil der deutschen Ratspräsidentschaft – einen Vorschlag zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem auf dem Tisch. Die Kommission hat ihn diese Woche präsentiert. Das ist ein guter Vorschlag – auch das eine gute Grundlage für ein gemeinsames Handeln. Aber streng genommen ist das nicht die Grundlage. Die Grundlage, damit wir endlich zu einem gemeinsamen Handeln in Europa kommen, ist die Genfer Flüchtlingskonvention, die nebenbei von allen Staaten in Europa unterschrieben wurde: auch von Polen, auch von Ungarn, auch von Tschechien, ({8}) auch exakt von den Visegradstaaten. Das gilt es stärker in Erinnerung zu rufen. ({9}) Das ist die Verpflichtung unseres Handelns, wenn wir hier endlich zu einer Lösung kommen möchten. ({10}) Ich möchte nicht auf die vielen anderen außenpolitischen Herausforderungen eingehen, die heute Morgen durch die Bundeskanzlerin, aber auch vorhin schon durch Michael Roth beleuchtet wurden. Ein dicker Brocken bleibt, der in der Debatte heute bislang noch nicht so fokussiert wurde. Das ist das Thema Brexit. Allen voran möchte ich mich hier herzlich bedanken für die Verhandlungsführung von Michel Barnier. Das ist schon großartig, mit welcher Contenance, mit welcher Geduld er das Ganze für uns, für die Europäische Union macht. Er lässt sich überhaupt nicht provozieren. Ein solches Verhalten ist ja nicht nur in diesen Tagen gefragt, sondern ist auch während der Verhandlungen für das Austrittsabkommen gefragt gewesen; denn Großbritannien hat ja die Europäische Union bekanntermaßen bereits zum 31. Januar dieses Jahres verlassen. Zur Wahrheit gehört aber tatsächlich auch, dass es nicht richtig vorangeht. In der Tat wurde die Zeit über den Sommer hinweg vergeudet. Das Folgeabkommen besteht ja nicht nur aus dem Wirtschaftspakt, sondern auch aus der Sicherheitspartnerschaft, über die im Übrigen Großbritannien gar nicht mehr verhandeln will. Das ist schade, weil wir das gerade im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, in Fragen des Datenaustausches bräuchten; darauf will ich jetzt aus Zeitgründen nicht im Detail eingehen. Aber wahr ist natürlich auch: Jedes Land bestimmt letztlich selbst, welche Annäherung es mit der Europäischen Union suchen mag. Gleichwohl gilt aber genauso, dass bestehende Abkommen einzuhalten sind. Boris Johnson verspielt den letzten Funken der Glaubwürdigkeit, wenn er nun auch einen bereits bestehenden Vertrag nicht mehr respektiert, sondern durch das sogenannte Binnenmarktgesetz konterkariert. Wir verlangen von den Beitrittskandidaten Respekt vor Rechtsstaatlichkeit und rechtsstaatlichen Prinzipien. Wir verlangen es auch von Ungarn, Polen, Slowakei, Malta, wie vorhin erwähnt. Wir verlangen es aber auch von den Ländern, die mit der Europäischen Union in eine Handelspartnerschaft eintreten möchten. ({11}) Deswegen ist es nicht akzeptabel, dass über ebendieses Binnenmarktgesetz die Eingangsschneise gelegt werden soll, dass beispielsweise in Großbritannien durch staatliche Unterstützungen der faire Wettbewerb in Europa unterlaufen wird, dass wir unseren Unternehmen letztlich die Bürden auferlegen, die ein anderes Land dann nicht einhalten will, nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Es ist schade, dass Boris Johnson sein Szenario hier vor dem Hintergrund fährt, von innenpolitischen Defiziten abzulenken: abzulenken von einem katastrophalen Handling der Coronakrise in Großbritannien, abzulenken aber auch von vielen anderen innenpolitischen Schwierigkeiten, um es noch höflich zu sagen. Der Druck in Großbritannien nimmt aber vor dem Hintergrund der Unabhängigkeitsbestrebungen von Schottland weiter zu. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Unsere deutschen Unternehmen, aber auch andere in Europa sind gut beraten, sich auf einen harten Winter einzustellen; denn selbst wenn es noch gelingt, ein Freihandelsabkommen zu erwirken, werden trotzdem an den Grenzen Zollkontrollen stattfinden müssen. Darauf sollten sich alle einstellen, unsere Wirtschaft ganz besonders. Unsere Hand bleibt ausgestreckt – es war immer zum Vorteil Europas, wenn wir Hand in Hand gegangen sind. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Djir-Sarai das Wort. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer Haushaltsdebatte gilt es nicht nur, über Zahlen und Haushaltspositionen zu sprechen, sondern auch über das große Ganze, also über die komplette deutsche Außenpolitik. ({0}) Ziel, Ausrichtung und Strategien einer Bundesregierung sollten eigentlich durch einen Blick in den Haushalt erkennbar sein; denn bei der Betrachtung des Haushalts sucht man Antworten auf viele Fragen und Baustellen der derzeitigen Außenpolitik. Gerade in diesem Jahr wird deutlich, wie sehr und mit was für einem Tempo sich die Welt um uns herum verändert. Diese Veränderungen müssen sich auch im Haushalt widerspiegeln, meine Damen und Herren. ({1}) Diktatorische und autokratische Regime wie in China, Russland und Iran versuchen derzeit auf immer absurdere Art und Weise, ihre Macht zu zementieren. Menschen in Hongkong, Weißrussland oder Iran, die für ihre Freiheit und ihre Rechte auf die Straße gehen, sind aktuelle Beispiele für den weltweiten Kampf um Demokratie und Freiheit und für den Kampf gegen Diktatoren und Autokraten. Heute unterdrücken diese Regime immer noch ungestraft ihre Zivilbevölkerung. Sie provozieren die internationale Gemeinschaft. Sie testen in jeder Hinsicht ihre Grenzen aus und sorgen in vielen Regionen der Welt für Chaos und Instabilität. Die Europäische Union bzw. uns Europäer nehmen sie nicht sonderlich ernst. Diese Regime wollen die Welt nach ihren eigenen Regeln gestalten und setzen offenkundig überhaupt nicht mehr auf Kooperation und Diplomatie. Man könnte fast sagen: Das Prinzip „Wandel durch Handel“ ist gescheitert. ({2}) In vielen Staaten Afrikas herrschen nach wie vor Hunger, Armut, Krieg und Terror. Weite Teile des Kontinents versinken nach wie vor in Korruption und Misswirtschaft. Von Aufstiegschancen und Perspektiven für die Menschen vor Ort kann keine Rede sein. Ich wage daher zu behaupten, dass Deutschland und Europa mittel- bis langfristig dem südlichen Nachbarkontinent Europas im Rahmen des vernetzten Ansatzes wesentlich mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen. ({3}) Fluchtursachenbekämpfung und Krisenprävention sind die Stichwörter im außenpolitischen Sprachgebrauch und müssen deutliche Schwerpunkte im Haushalt bilden. Wir dürfen nicht immer erst handeln, wenn es zu spät ist. Trotz der Erfahrung aus den Ereignissen des Jahres 2015 wird in diesen Bereichen immer noch viel zu viel geredet und viel zu wenig gehandelt, meine Damen und Herren. ({4}) Das gilt im Übrigen nicht nur für Afrika, sondern insbesondere auch für die Region des Nahen Ostens. Im Syrien-Krieg spielen deutsche und europäische Diplomatie keine Rolle. Der Libanon ist wirtschaftlich und politisch am Ende. Das Regime in Teheran terrorisiert seine Nachbarn und unterdrückt die eigene Bevölkerung. Wenn wir die Konflikte in dieser Region nicht lösen, werden die Probleme dieser Region eines Tages zu uns kommen. Meine Damen und Herren, heute ist deutlicher denn je, dass die Amerikaner nicht mehr die bedingungslose Schutzmacht Europas sein wollen und sein werden. Auch der Ausgang der Präsidentschaftswahl im November wird daran vermutlich nichts ändern. Heute ist der Druck auf Europa von allen Seiten enorm. Sowohl unseren wirtschaftlichen Wohlstand als auch unsere freiheitlich-demokratischen Werte können wir in Anbetracht der komplexen Herausforderungen nicht durch ein Weiter-so bewahren. Das muss sich selbstverständlich auch im Haushaltsplan für das Auswärtige Amt deutlich widerspiegeln. Meine Damen und Herren, wir müssen künftig mehr in die eigene Außen- und Sicherheitspolitik investieren. Wir müssen für unsere Sicherheit mehr tun, und wir müssen viel mehr in die Diplomatie investieren als früher. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. ({5}) Die USA ziehen sich immer mehr aus der Diplomatie und der internationalen Politik zurück. Das ist ein großer Fehler der USA und zum Schaden der internationalen Gemeinschaft. ({6}) – Das sehen Sie vermutlich anders, aber Ihre merkwürdige Position zu dem Thema ist bekannt. – Meine Damen und Herren, das ist zum Schaden für die gesamte internationale Gemeinschaft. Diesen Fehler dürfen wir niemals machen. ({7}) – Gott sei Dank haben Sie auch nichts zu sagen in der Außenpolitik. Es ist bemerkenswert, dass der deutsche Beitrag für internationale Organisationen relativ stabil ist. Wir müssen aber auch darauf achten, dass auch unser Einfluss in internationalen Gremien wächst. Meine Damen und Herren, globale Probleme kann man nur global lösen. Kooperation und Multilateralismus müssen sich im Haushalt widerspiegeln. Hier dürfen Anspruch und Wirklichkeit nicht auseinanderfallen. ({8}) Wir brauchen – Frau Präsidentin, ein letzter Gedanke – ein modernes Auswärtiges Amt, das sowohl strategisch, technisch als auch personell gut aufgestellt ist. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, wenn wir die Herausforderungen der Zeit meistern wollen. Schaffen wir diese Rahmenbedingungen nicht, dann werden wir in der Welt von morgen als Akteur irrelevant werden. Dann brauchen wir auch hier nicht über wertegeleitete oder interessengeleitete Außenpolitik zu sprechen. Das wäre schade. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Samstag begehen wir den 30. Jahrestag der deutschen Einheit. Leider wurden damals die damit verbundenen Chancen auch außenpolitisch nicht genutzt. Wir erlebten das Ende des Systemwettstreits. Es gab Möglichkeiten für eine weltweite Verständigung. Stattdessen erlebten wir einen Freibrief für Kapitalinteressen, geostrategische Dominanz, inzwischen auch für Nationalismus und Rassismus. ({0}) Wir erleben den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den USA, in Lateinamerika, in der Türkei, auch in Europa. Alle finden sich damit ab, dass in den USA die Präsidentenwahl nicht mehr von den Wählerinnen und Wählern, sondern vom Obersten Gericht entschieden werden wird, um dessen Zusammensetzung jetzt gestritten wird. ({1}) Das Völkerrecht, das während der Systemauseinandersetzung verhinderte, dass aus dem Kalten Krieg ein heißer wurde, wurde und wird Stück für Stück abgebaut. Es zählt anscheinend nur noch militärische Stärke. Begonnen hat es mit dem völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien, gefolgt vom Krieg gegen den Irak. Ich sehe den Krieg in Syrien, in Libyen. Ich denke auch an die Ukraine und an die Kriegsschiffe der Türkei vor Zypern und den griechischen Inseln, und ich sehe Bergkarabach. Das Kosovo war der entscheidende völkerrechtliche Sündenfall. Es erfolgte die Abtrennung eines Teils eines Staatsgebietes ohne Zustimmung des Staates und gegen einen ausdrücklichen und klaren Beschluss des UN-Sicherheitsrates. ({2}) Dies hat auch Landnahmen wie durch Russland in der Ukraine und durch Separationsbestrebungen wie in Katalonien und anderswo Tür und Tor geöffnet. ({3}) Selbstverständlich darf man Russland kritisieren; aber den eigenen Beginn von Völkerrechtsverletzungen mit dem Krieg gegen Jugoslawien und der Abtrennung des Kosovo zu verschweigen, ist mehr als unredlich. ({4}) Für Deutschland war das eine Zäsur. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligten wir uns wieder an einem Krieg, und dann noch an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. 1990 hätte Deutschland zu einem starken, weltweit agierenden Vermittler bei Konflikten werden können. Nur in unserem Land vereinigten sich Westen und Osten. Das rief geradezu nach einer Vermittlerrolle, die auch dem Charakter des Umbruchs in der DDR entsprochen hätte. ({5}) Außerdem hätte sie auch unserer Geschichte vor 1945 und der Spaltung danach Rechnung getragen. ({6}) Stattdessen wurde eine Rolle als Weltpolizist und Vasall der USA gesucht und gefunden. ({7}) Es geht darum, eigene und europäische Interessen offen zu diskutieren, zu definieren und umzusetzen. ({8}) Ich will das Beispiel Energieversorgung nehmen: Nord Stream 2 mit russischem Erdgas für elf EU-Länder oder Fracking-Gas aus den USA. Interessant: Selbst die Grünen entschieden sich ernsthaft eher für das umweltschädlichere Gas. Na ja. ({9}) Deutschland hat ein strategisches Interesse an guten Beziehungen zu den USA, Russland und China. ({10}) Dazu braucht man Grundvertrauen und Zuverlässigkeit; dann wird Kritik übrigens viel wirksamer. ({11}) Aber Arroganz, Vorurteile und Vasallentum bedeuten das Gegenteil von guten Beziehungen. ({12}) Menschenrechte sind unteilbar. Ich sage es jeder Seite in diesem Haus, auch der Regierung: Man macht sich unglaubwürdig, wenn man Verletzungen der Menschenrechte bei einigen Ländern scharf kritisiert und bei anderen Ländern übersieht. ({13}) Das berührt die Flüchtlingsfrage, Demokratie, Freiheit, den Minderheitenschutz, Schutz vor Armut, Erhalt der Lebensgrundlagen bis hin zum Klima und zum Zugang zu Kunst, Kultur, Bildung, Ausbildung, Wasser, Energie und Nahrung. Der Außenminister ruft überall nach Sanktionen, nur bei der Türkei nicht. ({14}) Hier gibt es ein vollständiges Versagen der Bundesregierung, der NATO und der EU: ({15}) keine irgendwie nennenswerte Reaktion beim völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Syrien, ({16}) bei der Tötung der Kurdinnen und Kurden dort, die an unserer Seite gegen den „Islamischen Staat“ kämpften, ({17}) ebenso keine Reaktion beim Einmarsch in Libyen, bei der Entsendung von Kriegsschiffen nach Zypern und Griechenland ({18}) oder jetzt bei der militärischen Einmischung in Bergkarabach. Und warum sind Deutschland, die NATO und die EU so schwach? Weil Erdogan damit droht, viele seiner 4 Millionen Flüchtlinge nach Europa auswandern zu lassen. Sie lassen sich wegen einer solchen Drohung ernsthaft unsere Souveränität nehmen? ({19}) Deshalb dulden Sie jede Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzung der Türkei? ({20}) Und das Ganze auch noch unter der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands? Ihr eigenes Außenministerium hat vertraulich der Türkei attestiert, keine Versammlungs-, Vereinigungs-, Meinungs- und Pressefreiheit mehr zu haben. Und es hat wörtlich gesagt, dass die Justiz „in weiten Teilen dysfunktional“ und politisch beeinflusst ist. Gewählte Bürgermeister und Parlamentarier werden in der Türkei einfach abgesetzt und eingekerkert. Ihr diesbezügliches Versagen – das muss ich Ihnen sagen – ist noch schlimmer als Ihr Einknicken gegenüber Orban und Duda in der Frage der Durchsetzung rechtsstaatlicher Standards in Ungarn und Polen. ({21}) Zu Belarus. Die Regierungsseite muss endlich erkennen, dass ihre Strukturen überholt sind und große Teile der Bevölkerung diese Strukturen nicht mehr akzeptieren. Die Protestierendenden müssen wissen, dass es auch Anhänger der Regierung gibt. Deshalb sollte der Weg der runden Tische beschritten werden. ({22}) Nur so können Auswege zu Demokratie und Freiheit gefunden werden. ({23}) Gewalt ist schlimm und verhindert eine politische Lösung; das muss die Regierung begreifen. Sie verzögert nur ihren Abtritt, kann ihn aber nicht verhindern. Natürlich brauchen wir freie, demokratische, faire Wahlen unter Beobachtung der OSZE, und das Ergebnis haben dann alle zu akzeptieren. ({24}) Die deutsche Außenpolitik ist zurzeit nicht konsistent, viel zu wenig eigenständig und in Teilen hilf- und ziellos. ({25})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich fange an mit einem Zitat von Außenminister Maas: … eine Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit kann und wird die Europäische Union nicht zulassen. … Wer sich den rechtsstaatlichen Prinzipien der EU, auf die wir uns alle verpflichtet haben, in eklatanter und dauerhafter Weise entzieht, muss damit rechnen, dass er das auch finanziell zu spüren bekommt. Recht hat er. Jetzt wurde heute Morgen in Brüssel etwas beschlossen, was den Namen „Rechtsstaatsmechanismus“ nicht mehr verdient. Ich lese Ihnen mal kurz die Kriterien vor, die im ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission von 2018 standen, und sage Ihnen dann, was damit in dem heutigen Kompromiss passiert ist. Als Kriterien wurden aufgeführt: Erstens: „die Gefährdung der Unabhängigkeit der Gerichte“ – gestrichen. Zweitens: „das Versäumnis, willkürliche oder unrechtmäßige Entscheidungen von Behörden einschließlich Strafverfolgungsbehörden zu verhüten, zu korrigieren und zu ahnden“ – gestrichen. Drittens: „die Einschränkung der Zugänglichkeit und Wirksamkeit des Rechtsweges“ – gestrichen. Alle Kriterien, die mit Rechtsstaatlichkeit zu tun haben, sind gestrichen. Die Unabhängigkeit der Justiz: kein Kriterium. Das Einzige, was bleibt, sind kleine Fragen in der Vergabe des europäischen Geldes – und das für Länder, die sich weigern, der europäischen Staatsanwaltschaft beizutreten, nämlich Ungarn und Polen, die dabei gar nicht mitmachen. Das heißt, dieser Mechanismus ist kein Rechtsstaatsmechanismus, sondern im besten Fall vielleicht ein Geldscheckmechanismus. Es ist tragisch, dass diese Bundesregierung den so verhandelt hat, wirklich tragisch. ({0}) Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie in dieser Ratspräsidentschaft nicht die Brücke zum Europäischen Parlament bauen, wo wir alle, alle demokratischen Parteien, darauf pochen und sagen: „Es gibt keinen Haushalt ohne einen effektiven Rechtsstaatsmechanismus“, und stattdessen vor Orban einknicken. Bauen Sie endlich die Brücke zum Europäischen Parlament! Das ist Ihre Aufgabe während Ihrer Ratspräsidentschaft. ({1}) Ich kann es mir nicht erklären, warum die CDU/CSU-Fraktion und auch Frau von der Leyen immer diesen netten, freundlichen Umgang mit Herrn Orban pflegen. Im Parlament redet sie groß und zeigt auf Polen; kein Wort zu Ungarn. ({2}) Womit wird dieser nette Umgang denn belohnt? Orban eskaliert weiter, er spuckt Ihnen am nächsten Tag als Dankeschön ins Gesicht. Ich frage mich wirklich, wie Sie es mit Ihrem Selbstrespekt überhaupt zusammenbringen, dass diese Fidesz-Partei noch Teil Ihrer Parteienfamilie auf europäischer Ebene ist. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Brantner, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielleicht wäre der Rechtsstaatsbericht der Kommission jetzt der Anlass, das endlich zu ändern und Fidesz rauszuschmeißen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Ursula Groden-Kranich hat für die CDU/CSU das Wort. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Mein Schwerpunkt heute ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Die viel beschworene dritte Säule der Außenpolitik steht dennoch leider oft unter einem gewissen Rechtsfertigungszwang. Aber für mich ist ganz klar: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist definitiv kein Luxus oder kein Nice-to-have, sondern eine nachhaltige, unverzichtbare Investition in die Zukunft. Dies gilt gerade auch in Pandemiezeiten, wenn Abschottung und aggressive Tendenzen zunehmen. Wir behalten die Kulturmilliarde bei, auch im neuen Haushalt – und darauf können wir stolz sein. Viele andere Länder, auch durchaus wohlhabende Länder in unserer Nachbarschaft, sparen in der Krise als Erstes bei Kultur und Bildung, aber wir nicht: weder bei der auswärtigen Kultur und Bildung noch bei Kultur und Bildung hier in Deutschland, wo BKM und das BMBF hervorragende Arbeit leisten, obwohl hier eigentlich die Bundesländer zuständig sind. Wir in Deutschland können und wollen uns die Kulturmilliarde weiterhin leisten. Warum? Weil alle unsere Mittlerorganisationen Botschafter unseres Landes im Ausland sind, gerade in schwierigen Zeiten mit vielen internationalen Konflikten, die uns große Sorgen machen. Denn die Mittlerorganisationen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sind, salopp gesagt, eine Art niederschwelliger diplomatischer Dienst mit besten Vernetzungen vor Ort, mit sehr engagiertem, hochqualifiziertem Fachpersonal, mit viel Expertise über die einzelnen Länder, zu denen durchaus auch Krisenherde und Konfliktregionen gehören. Dieses Potenzial nutzen wir schon heute und sollten es, wo immer es möglich ist, noch mehr nutzen. Ich denke da zum Beispiel an eine noch bessere Vernetzung und den Austausch von Best Practice mit anderen Ressorts und Akteuren, vor allem im Bereich der Entwicklungshilfe und Verteidigung. Das ist inhaltlich sinnvoll und hilft nebenbei, alle vorhandenen Ressourcen buchstäblich gewinnbringender zu nutzen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen: ein positives Bild von Deutschland, seiner Kultur und seinen Werten in der Welt vermitteln und den Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördern, ganz besonders auch mit Blick auf die Chancengleichheit von Frauen und Mädchen, für die Bildung und Kultur immer noch der Schlüssel zu einem besseren Leben ist. Ganz grundsätzlich zwingt und lehrt uns die Pandemie sicherlich zu noch besserer Haushaltsdisziplin, wenn sich beispielsweise der Um- oder Neubau einer deutschen Immobilie im Ausland über Jahre hinzieht und darum weitere Immobilien zusätzlich angemietet werden müssen. Das kostet uns doppelt Geld und verschlingt doppelt Ressourcen, die wir an anderer Stelle dringend bräuchten. Die deutsch-französischen Kulturinstitute mit dem hoffentlich noch in diesem Jahr vollendeten Haus in Palermo sind ein gutes Beispiel dafür, dass wir es auch in der Krise schaffen, Projekte fertigzustellen. ({0}) Ich wünsche mir hier vor allem zwei Dinge: mehr Flexibilität und mehr Pragmatismus im Umgang mit den vorhandenen Mitteln. Dass man auf diese Weise sehr gut wirtschaften kann, wissen wir alle, die wir in Zeiten des Lockdowns auch im eigenen Haushalt zusehen mussten, wie wir mit dem Vorhandenen zurechtkamen – und das hat oft erstaunlich gut funktioniert. Gut wirtschaften in schwierigen Zeiten können auch die Goethe-Institute. Hier wäre aber ein wichtiger Schritt die Entfristung etlicher Stellen, ({1}) also gar kein Mittelaufwuchs, sondern die Umwandlung von Sachkosten aus Projekten in echte Personalkosten oder, noch besser, die schrittweise Überführung der jetzigen eher starren Personalausgaben in ein flexibel zu handhabendes Personalbudget. Speziell für die Betreuung unserer Lehrkräfte an den PASCH-Schulen wäre eine solche Entfristung dringend geboten und für alle Beteiligten gewinnbringend. ({2}) Reibungsverluste und Wissensverluste durch permanenten Personalwechsel könnten wir so vermeiden und Planungssicherheit gewinnen, und dadurch würden Goethe-Institute als Arbeitgeber noch attraktiver für hochqualifizierte Bewerber mit mehr Lebens- und Berufserfahrung. ({3}) Flexibilität zahlt sich auch dort aus, wo wir den Mittlerorganisationen oder auch den politischen Stiftungen erlauben, Mittel zu transferieren, die aufgrund der Pandemie gar nicht abfließen konnten, weil beispielsweise Stipendien nicht angetreten oder beendet werden konnten. Gerade die politischen Stiftungen leisten derzeit enorm viel. Schauen wir nur auf die Situation in Belarus, aber auch in anderen Ländern, in denen unsere Stiftungen aktiv mithelfen, demokratische Strukturen zu schützen oder überhaupt erst zu schaffen. Die Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik bleiben extrem vielfältig. Sie bleiben anspruchsvoll und unverzichtbar für das Bild Deutschlands in der Welt. Darum ist es absolut richtig, diese Arbeit mit der „Kulturmilliarde“ zu stützen. Jeder Euro wird sich ganz bestimmt lohnen. Ich danke allen, die im In- und Ausland trotz der Pandemie in unseren Einrichtungen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik für die Bundesrepublik Deutschland tätig sind: den Lehrkräften und allen Mitarbeitenden der Mittlerorganisationen. Danke für Ihren Dienst für unser Land! Bleiben Sie gesund! ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Der Vorteil, wenn man ein bisschen später drankommt, ist, dass man auf seine Vorredner reagieren kann. Herr Nouripour, ich bin bei der Frage des Waffenhandels ganz bei Ihnen. ({0}) Ich will das einmal für die Sozialdemokratische Partei und für meine Fraktion sagen: Wir haben klare Beschlüsse, dass wir keine Waffen mehr an Staaten liefern wollen, die den Arms Trade Treaty, den Waffenhandelsvertrag, nicht unterschrieben haben. Unser real existierender Koalitionspartner bzw. Ihr Wunschkoalitionspartner macht das nicht mit. ({1}) – Vielleicht kriegen wir es ja gemeinsam hin. – Jedenfalls: Wenn wir das so machen würden, dann wären Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten nicht mehr dabei. Wir wollen an diese Länder jedenfalls keine Waffen mehr liefern. ({2}) Ich will noch etwas zu Herrn Gysi sagen. Ich bin ganz bei Ihnen, Herr Gysi: Wenn man gute Beziehungen zu Ländern hat, dann ist es gut, mit denen über Dinge zu reden, weil die einem mehr zuhören. Aber warum machen Sie das denn nicht mit Russland? Sie haben doch wahrscheinlich gute Beziehungen nach Moskau. Warum reden Sie denn nicht darüber, welche Menschenrechtsverletzungen es in Russland gibt, wie NGOs unterdrückt werden, dass politische Morde in Auftrag gegeben werden? ({3}) Ich glaube, das wäre gut. Dann können wir auch noch über andere Themen diskutieren; aber Sie sollten eben auch über die Situation in Russland reden. ({4}) Ganz bei Ihnen bin ich im Hinblick auf die Frage, wie wir mit den letzten 30 Jahren umgegangen sind. Eigentlich haben wir noch nicht zu einer neuen Weltordnung nach dem Kalten Krieg, nach 1990 gefunden. Wir wissen nicht, wie wir mit China und seinem sehr ambitionierten Vorgehen umgehen sollen; wir wissen nicht, wie wir mit Russland umgehen sollen; wir wissen nicht, wie wir mit einer Türkei umgehen sollen, die entsprechend expansiv unterwegs ist. Das führt dazu, dass wir mit Konflikten wie in Syrien, wie in Libyen, aber auch mit Konflikten wie gerade zwischen Armenien und Aserbaidschan nur schwer umgehen können, weil das am Ende ja auch wieder nur Stellvertreterkonflikte sind. Wenn Russland und die Türkei klipp und klar sagen, dass dieser Krieg dort beendet werden muss, dann wird der auch ganz schnell beendet. Das heißt, wir haben diese neue Weltordnung noch nicht gefunden. Was immer sie ist: Sie muss auf der Wahrung der Menschenrechte und auf dem Multilateralismus basieren. Nationalismus führt in letzter Konsequenz zu Krieg und zu Not und Elend. ({5}) Deswegen ist es unsere Aufgabe – und das macht die Bundesregierung ja –, internationale Organisationen und die Mechanismen internationaler Organisationen zu stärken, damit sie präventiv gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen und diese sanktionieren können. Wir wollen das Völkerstrafrecht durchsetzen – dazu wird es im Übrigen in Kürze auch einen Antrag der Koalition im Deutschen Bundestag geben –, zum einen mit der Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs und zum anderen, indem das Weltrechtsprinzip weiter durchgesetzt wird. Deutschland geht da voran, zum Beispiel dadurch, dass zwei syrische Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland, in Koblenz, angeklagt werden. Die Menschen müssen wissen, dass sie nicht einfach so davonkommen, wenn sie irgendwo auf der Welt Menschenrechtsverletzungen begehen. ({6}) Wir brauchen mehr Multilateralismus. Ich will hier noch eine Lanze für den Europarat brechen. Staatsminister Roth wird demnächst so etwas wie die Präsidentschaft beim Europarat übernehmen. Wir brauchen einen Europarat, der zum Dialog bereit ist, der aber auch bereit ist, konsequent zu sein, wenn Staaten gegen bestimmte Regeln verstoßen. Deswegen haben wir übrigens, Herr Gysi, eine Brücke für Russland gebaut – Russland ist wieder gleichberechtigtes Mitglied des Europarats –; deswegen sind wir offen für Belarus als 48. Mitgliedstaat. Aber wir sagen auch: Es gibt klare Regeln. – Wenn zum Beispiel die Türkei wie im Fall Osman Kavala oder im Fall von Demirtas Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht umsetzt, dann wird man der Türkei klarmachen müssen: In letzter Konsequenz verliert ihr eure Mitgliedschaft im Europarat; denn das ist die rote Linie. – Das gilt aber genauso für Russland: Man kann nicht in die russische Verfassung schreiben, dass die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht gilt. ({7}) Ein letzter Satz, weil wir in den Haushaltsberatungen sind. Ich freue mich, dass wir im Bereich Menschenrechte in diesem Haushaltsentwurf durchaus Akzente setzen, könnte mir da aber auch manches mehr vorstellen. Wir haben es in den letzten Jahren immer geschafft, im Bereich der humanitären Hilfe noch was obendrauf zu legen. Ich erwarte, dass wir wieder da ankommen, wo wir aktuell sind, nämlich bei über 2 Milliarden Euro. Das ist aber Gegenstand der Haushaltsberatungen eines selbstbewussten Parlaments. Vielen Dank und Glück auf! ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Manfred Grund das Wort. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer vor den Bildschirmen! Wir sind kurz vor dem 3. Oktober. Vor 30 Jahren standen wir vor einer Zeitenwende mit Veränderungen sondergleichen für Deutschland, für Europa und für die Welt. Mit dem Fall der Berliner Mauer ist auch der Eiserne Vorhang zu Osteuropa gefallen. Die Blockkonfrontation wurde aufgehoben, und es schien eine Zeit zu kommen, in der die Welt friedlicher und gerechter wird. „Ende der Geschichte“, wurde uns prophezeit. Doch Geschichte endet nicht. Sie macht vielleicht eine Pause, holt Anlauf und kehrt dann wieder. Und diese Geschichte ist auch wiedergekehrt – nicht mehr in Form der Blockkonfrontation, sondern in Form von Terrorismus und von Nationalstaaten, die wieder in die Geschichte eingetreten sind und ihre vermeintlichen Interessen angemeldet haben. ({0}) – Der Blödsinn von Ihrer Seite wird ja immer größer. ({1}) Nationalstaaten sind leider oftmals mit Nationalismus verbunden. Aber auch Terrorismus ist ein Problem. Und Terrorismus umfasst vor allem islamistischen Terrorismus – Taliban, IS, Boko Haram – mit Konflikten in Asien, in Afrika, die auch bis an unsere Haustür heranreichen. Staaten, die involviert sind, sind Afghanistan, Irak, Syrien und weite Teile Afrikas. Nationalismus – jetzt bin ich bei Jugoslawien –: Jugoslawien ist nicht zerfallen, weil die Europäische Union oder weil die NATO Jugoslawien zerschossen hätten, sondern weil die Nationalstaaten wieder in die Geschichte, in das Leben eintreten, nicht mehr bevormundet sein wollten und ihre Unabhängigkeit haben wollten. Und weil diese Unabhängigkeit ihnen verweigert wurde bzw. lange hinausgezögert wurde, haben Menschenrechtsverbrechen stattgefunden, und einige von denen, die diese begangen haben, sind in Den Haag gewesen: Milosevic, Karadzic. ({2}) Aber besonders problematisch wird es, wenn Nationalismus und ein Amputationsschmerz verlorener Imperien zusammenkommen. Das betrifft Russland und auch die Türkei. In der Türkei war – bis zur Präsidentschaft von Präsident Erdogan – die Erinnerung an das Osmanische Reich eigentlich nicht damit verbunden, alte Größe wieder erreichen zu wollen; vielmehr ist erst mit dieser Präsidentschaft das verlorene, untergegangene Osmanische Reich wieder Thema nicht nur in den Geschichts-, sondern auch in den Lehrbüchern der Türkei geworden. Und dem geschuldet sind wahrscheinlich auch einige der Engagements wie die Kriegseinsätze in Syrien, in Libyen, die Auseinandersetzung mit Griechenland im östlichen Mittelmeer, in der Ägäis. Das hat etwas damit zu tun, dass nach dem Untergang des Osmanischen Reiches immer noch keine stabile und gemeinsame Ordnung eingetreten ist. Russland. Wladimir Putin hat einmal den Zerfall der Sowjetunion als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet; da kämen uns und anderen Staaten sicher auch andere Ereignisse in den Sinn. Dem geschuldet sind auch die Auseinandersetzungen in Georgien 2008, auf der Krim 2014, aber auch das ständige Gefühl der Bedrohung durch Russland in den baltischen Staaten. Ein weiterer Aspekt des Zerfalls der ehemaligen Sowjetunion, der uns bis heute zu schaffen macht, sind die eingefrorenen Konflikte, Frozen Conflicts: Transnistrien gehört dazu, Abchasien, Südossetien und seit wenigen Tagen heißgestellt: Bergkarabach. Bergkarabach im Kaukasus: 140 000 armenischstämmige Menschen leben dort; die Region ist seit vielen Jahrzehnten umkämpft. 1988/89, nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion, gab es erste Absetzbewegungen. Diese wurden blutig niedergeschlagen, zurückgewiesen, unterdrückt. Es folgte ein Bürgerkrieg in Aserbaidschan, Flucht, Vertreibung. Das Resultat war am Ende ein Status quo, der kein Friede, sondern eigentlich immer noch ein Kriegszustand ist und der jetzt wieder heißgestellt wird, indem Bergkarabach bombardiert wird. Wieder sind Menschen in Luftschutzbunkern, müssen Angst um ihr Leben haben. Es wird geschossen. Zivilisten sterben, Soldaten sterben. Was können wir dagegen tun? Es ist mehrfach angesprochen worden: Wir sind weit weg, wir sind nicht Partei, wir sind auch nicht Schiedsrichter. Wir können aber allen Beteiligten zumindest ins Gewissen reden, können sagen: Wir wollen, dass die bewaffneten Konflikte eingestellt werden. – Wir müssen auch an Dritte appellieren, hier insbesondere an die Türkei, nicht Partei zu ergreifen, nicht zur Partei zu werden, nicht mit Material oder auch mit eingeflogenen Söldnern zu helfen, sondern auch verbal abzurüsten, damit diese geschundene Region eine Chance hat, zum Frieden zurückzukommen. Wir werden dann für die Menschen in Karabach humanitäre Hilfe leisten müssen, weil auch sie ein Recht auf ein friedliches ziviles Leben haben. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich komme zum Schluss dieser Aussprache an die Reihe, und das ist ganz gut so. Die Fachpolitiker unter unseren Kollegen tragen zunächst einmal ihre Wünsche und ihre Vorstellungen vor, und die Kollegen aus den Regierungsparteien, die Mitglieder des Haushaltsausschusses sind, sind dann in einer sachlichen Redlichkeit bemüht, all die Wünsche auf das zurückzuführen, was eben machbar ist. Es ist gut, dass die Haushälter dann das letzte Wort haben; das macht ja Sinn. Zum Schluss muss man die Dinge eben gut zusammenführen. Es ist auch üblich – das ist der Vorteil der letzten Redner –, dass man ein bisschen auf die Vorredner eingeht. Frau Malsack-Winkemann – eine meiner liebsten Vorrednerinnen; sie wendet sich jetzt ab; das ist okay –, Sie haben von einem Film gesprochen, den Sie in Erinnerung haben: „Die unendliche Geschichte“. Wenn man hört, was Sie so sagen, müsste man eher an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ denken. ({0}) Das ist in der Tat eine unsägliche Art, wie Sie auf die Beschlüsse, die wir im letzten Jahr zum Bundesamt für Auswärtigen Angelegenheiten gefasst haben, eingehen. Herr Roth, Sie können sich erinnern, wie lange wir darüber gestritten und auch debattiert haben und dass die Zulagen in gar keiner Weise so ausgefallen sind, wie die Kollegen des Auswärtigen Amtes es gewollt haben. Das ist jetzt erledigt. Jetzt geht es darum, dieses Bundesamt aufzubauen und im nächsten Jahr mehr als 360 Stellen dort zu schaffen, ungefähr die Hälfte dessen, was wir in Brandenburg an der Havel haben wollen. Ich möchte auch auf Ihre Rede eingehen, lieber Herr Gysi. Es hat mir innerlich wehgetan, wie Sie über 30 Jahre deutsche Wiedervereinigung gesprochen haben. Nichts, aber auch gar nichts haben Sie dazu beigetragen, dass die Deutschen wiedervereint sein können, ({1}) dass wir heute sagen können: Zu unserem Glück sind wir vereint. ({2}) Wenn Sie davon sprechen, dass in den letzten 30 Jahren die deutsche Politik daran ausgerichtet war, einen Freibrief für das Kapital auszustellen, dann muss ich doch fragen: Wo sind denn die Milliarden der kommunistischen SED? Waren Sie oder einer von uns hier damals der Vorsitzende? Sie müssten das doch wissen und Erklärungen haben, wohin dieses Geld verschoben wurde oder wo es verschwunden ist. Fast am schlimmsten habe ich empfunden, dass Sie unsere Politik im Auswärtigen Amt mit einem Vasallentum gegenüber den USA verglichen haben. Wissen Sie, seit 1949 ist das eine Konstante der deutschen Außenpolitik: Angefangen mit Konrad Adenauer, haben alle großen Bundeskanzler, Willy Brandt und Helmut Kohl und Angela Merkel, aber auch Franz Josef Strauß diese Westbindung an die USA gesucht; ({3}) denn ansonsten wären wir auch in das kommunistisch regierte Osteuropa mit der Sowjetunion als Führungsmacht geraten, dorthin, wo Sie sich am ehesten wohlgefühlt haben. Ihre Knie müssten noch heute aufgeschunden sein von diesen schleimigen und willfährigen Wallfahrten, die Sie in den Kreml gemacht haben, um sich die Befehle abzuholen, wie Sie in der DDR die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen treten konnten. ({4}) Es muss sich doch Ihre Feder gespreizt haben, als Sie von Rechtsstaatlichkeit gesprochen haben. Der Adler oben hat sich die Augen und die Ohren zugehalten, als er das hören musste. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, so etwas hört man in Haushaltsreden nicht oft; darauf kann man sich nicht unbedingt vorbereiten. Ich sollte eigentlich über den Haushalt reden. Frau Präsidentin, die Zeit geht ja rasend schnell vorbei, sodass ich nur noch sagen kann: Wir sind durchaus nicht unzufrieden mit dem Haushalt des nächsten Jahres. Wir werden mehr Geld haben als im Jahr 2020. Herr Nouripour, in Anbetracht der Ausnahmesituation der beiden Nachtragshaushalte: Wir haben zweimal einen Zuschlag bekommen. Das kann man natürlich jetzt nicht perpetuieren, auch wenn die Herrschaften vom Goethe-Institut und andere das gerne haben möchten. Mehr Geld in der Krise: Es ist doch klar, dass man das nicht weiterführen kann. Wir sind in der Tat dankbar, dass wir unsere Aufgaben erfüllen konnten, auch bei den Rückholaktionen zum Beispiel haben unsere Leute aus dem Auswärtigen Amt eine hervorragende Arbeit geleistet. Dafür möchte ich auch einmal herzlich Danke sagen, auch dem Minister Maas herzlich Danke sagen ({6}) und ihm von dieser Stelle aus unsere herzlichen Genesungswünsche übermitteln. Darüber sollten wir auch nicht abstimmen müssen, das ist eine eindeutige Angelegenheit. Meine Damen und Herren, der Haushalt ist von Ihnen teilweise filetiert worden. Ein Mangel ist die mittelfristige Finanzplanung – das ist von Verschiedenen angesprochen worden –; sie soll bis zum Jahr 2024 gegenüber dem heutigen Status um 1 Milliarde Euro sinken. Wir würden damit 2024 einen Haushaltsansatz erreichen, wie er 2016 der Fall gewesen ist, also um 8 Jahre zurückfallen. Ich denke, Herr Bundesfinanzminister Scholz, so kann das nicht gehen, und so werden wir das auch nicht durchgehen lassen, ({7}) Als ich mich für die Rede vorbereitet habe, habe ich an Bubi Scholz gedacht. ({8}) Bubi Scholz war ein guter Boxer in den 50er- und 60er-Jahren, war Europameister im Mittelgewicht und auch im Halbschwergewicht – manche können sich da offensichtlich noch erinnern –, hatte einen guten linken Aufwärtshaken. ({9}) Olaf Scholz, habe ich mir gedacht, sollte jetzt keinen linken Tiefschlaghaken machen ({10}) für die mittelfristige Finanzplanung des Auswärtigen Amtes. Das würden die Leute des Auswärtigen Amtes, unsere Kollegen dort weder verstehen noch vertragen, noch könnten sie die auswärtige Politik so gestalten, wie es notwendig ist. Ich danke herzlich und freue mich auf die Beratungen in den nächsten Wochen. ({11})

Annegret Kramp-Karrenbauer (Minister:in)

Politiker ID: 11003023

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! 185 000, 3 200, mehr als 1 200, das sind Zahlen, die sich hinter diesem Haushalt verbergen. Das sind 185 000 Männer und Frauen, die ihren Dienst in der Bundeswehr versehen, das sind rund 3 200 Soldatinnen und Soldaten, die in Ihrem Auftrag im Ausland im Einsatz sind, gerade zu dieser Stunde, und das sind rund 1 200 Soldatinnen und Soldaten, die im Kampf gegen Covid-19 helfen, im Ausland, im Inland, fast überall – vielleicht mit Ausnahme des einen oder anderen Bezirks in Berlin. ({0}) Liebe Freundinnen und Freunde, meine sehr geehrten Damen und Herren, für diese Männer und Frauen streiten wir in diesem Haushalt um Geld, für diese Männer und Frauen versuchen wir, gute Politik zu machen, diesen Männern und Frauen sind wir zu Dank verpflichtet, und auf diese Männer und Frauen dürfen und können wir auch stolz sein. ({1}) In dieser Danksagung spiegelt sich die Lage unseres Landes: auf der einen Seite eine strategische Situation, die uns in die Verantwortung zwingt, und auf der anderen Seite eine akute Pandemie, die uns die Gewissheiten raubt und unseren finanziellen Spielraum einengt. Schauen wir deshalb gemeinsam auf die Welt, so wie sie ist und wie sie uns fordert! Die Nachbarschaft der EU, im Halbkreis vom Nordosten bis zum Südwesten, ist – wir haben das eben in der Debatte schon gehört – krisenbeladen und instabil, von Misstrauen und leider oft genug auch von Gewalt geprägt. Doch es ist unsere Nachbarschaft, mit Menschen, die uns am Herzen liegen, mit wirtschaftlichen, politischen und humanitären Interessen. Ein Blick auf die Karte und in ebendiese Nachbarschaft genügt, um deutlich zu machen: Sicherheit in Europa ist nicht teilbar, die Sicherheit der Länder um uns herum ist auch unsere Sicherheit. Das ist einer der Gründe, warum die Bündnis- und Landesverteidigung in unseren Planungen heute wieder eine zentrale Rolle spielt; der Generalinspekteur der Bundeswehr hat das heute in einem Beitrag entsprechend belegt. Deshalb nutzen wir die deutsche Ratspräsidentschaft auch, um erstmals in der europäischen Geschichte eine gemeinsame Bedrohungsanalyse aller 27 Mitgliedstaaten und für alle 27 Mitgliedstaaten zu erstellen. Zu dieser Bedrohungsanalyse gehört ganz sicher auch die Tatsache, dass in der digitalisierten Welt die Sicherheit unserer Daten, unserer Netzwerke, unserer lebenswichtigen Infrastruktur auf dem Spiel steht und auch der Weltraum als Domäne längst kritische Relevanz hat. Schließlich fällt der Blick auch nach Asien, auf China und auf die Auswirkungen, die eine veränderte Machtbalance dort auf uns, auch hier in Europa und in Deutschland, hat. Die neuen Leitlinien der Bundesregierung zum Indopazifik definieren Deutschlands Rolle in dieser entscheidenden Weltregion, in der ein großer Teil unseres Wohlstandes erwirtschaftet wird. Um es noch einmal deutlich zu machen, weil es heute Morgen wohl die eine oder andere Unsicherheit über die Rolle der Bundesregierung und auch die Rolle der Bundeswehr in diesem Raum gab, darf ich zitieren aus ebendiesen Leitlinien zum Indopazifik: Die Bundesregierung wird ihr sicherheitspolitisches Engagement im Indopazifik ausweiten ... die sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation in der Region mit ihren Partnern ausbauen. Dies kann die Teilnahme … – unter anderem – an Übungen in der Region ... sowie verschiedene Formen maritimer Präsenz umfassen … Für die, die es nicht wissen: „Maritime Präsenz“ ist die Übersetzung von „Schiff“. ({2}) Deswegen werden wir, wenn Covid es erlaubt, nächstes Jahr mit der Bundeswehr auch in diesem Raum präsent sein. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Blick macht deutlich: Wenn unser Geschäftsmodell global ist, dann muss auch unsere Sicherheitspolitik global sein. Ich muss deshalb noch einmal deutlich sagen: Wir Deutsche werden als Sicherheitsgarant dafür mehr tun müssen – nicht für Trump, nicht für irgendwen, sondern für unsere eigene Sicherheit. ({4}) Lassen Sie mich mit Blick auf das, was die Linken heute Morgen in der Generaldebatte gesagt haben – ich meine den platten Versuch, Bildung gegen Sicherheit und gegen Verteidigung auszuspielen –, noch einmal deutlich sagen: Ich will gut-, ja bestausgebildete Kinder in der Bundesrepublik Deutschland. Aber ich will, dass sie zu selbstbestimmten Menschen heranwachsen können, die in Frieden und Freiheit leben. Und für Frieden und Freiheit stehen die Bundeswehr, die gemeinsame europäische Verteidigung und die NATO. Dafür lohnt es sich, Geld in die Hand zu nehmen. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, diesen Anspruch mit Leben zu erfüllen in einer Zeit, in der die Mittel nicht in den Himmel wachsen. Der Finanzminister hat gestern gesagt, Haushalt und Planungen stehen unter besonderen Bedingungen. Mit dem Haushalt 2021 steigen unsere Verteidigungsausgaben noch einmal. Das ist ein wichtiger Erfolg, und dafür bin ich dankbar. ({6}) Bei einigen der langfristigen Rüstungsprojekte hat die Pandemie die Lage aber verändert; hier fordern die Hersteller, die durch Corona in Not geraten sind, größere Teile der Kosten zu einem früheren Zeitpunkt ein. Das heißt, die Gesamtkosten steigen nicht, aber die Bugwelle erreicht uns früher, und dadurch werden Planungen obsolet. Konkret heißt das: Die großen Beschaffungsvorhaben, allen voran europäische Kooperationsvorhaben, werden nur umsetzbar sein, wenn dafür in Zukunft zusätzliches Geld bereitgestellt wird. Das gilt für den Eurofighter wie für das deutsch-französische FCAS-Projekt und den Hubschrauber NH90. Wenn deutsche und europäische Unternehmen die Liquidität erhalten sollen, die sie brauchen, dann müssen dafür neue Zusagen gemacht werden. Das ist ein Anliegen der gesamten Bundesregierung. Der Finanzminister hat gestern auch gesagt: Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Investitionstätigkeit in diesem Jahr und in den folgenden Jahren nicht zurückgeht. Er hat recht; denn es geht bei unserem Etat nicht nur um Sicherheit, es geht auch um Wertschöpfung und Arbeitsplätze am Industriestandort Deutschland. Bei all dem ist besonders wichtig: Diese Großvorhaben werden nicht bedingungslos umgesetzt, und sie werden schon gar nicht zulasten kleiner und mittlerer Projekte umgesetzt, die wir für das Funktionieren des Gesamtsystems Bundeswehr brauchen. Das haben wir in der Vergangenheit zu lange getan, und an dem Ergebnis leidet die Bundeswehr, leiden die Soldatinnen und Soldaten noch heute. ({7}) Mein Lieblingsbeispiel dazu: Seit fast 20 Jahren beabsichtigt die Bundeswehr, einen speziellen Pionierwerkzeugsatz zu beschaffen, und seit 20 Jahren ist er immer wieder herunterpriorisiert worden, weil das Geld nicht gereicht hat. Das führt zu Verdruss, das führt zu Verärgerung, und zwar vollkommen zu Recht, und damit muss Schluss sein. Worauf kommt es also im Jahr 2021 an? Es kommt darauf an, unsere Soldatinnen und Soldaten mit Material auszustatten – ein dickes Brett, ich weiß. Die Initiative Einsatzbereitschaft, die wir im Februar gestartet haben, bei der wir bis zum Juni über 90 Prozent der identifizierten Vorhaben angepackt haben, wird auch weiter ein dickes Brett bleiben, auch wenn wir erste Fortschritte sehen: Flugstunden für den Eurofighter und andere Luftfahrzeuge der Luftwaffe sind erhöht worden. Über 1 200 moderne Lkws sind in der Truppe angekommen, lösen die teils 40 Jahre alten Vorgänger ab, weitere müssen folgen. Kurzfristig sind die Kapazitäten bei der bundeswehreigenen Instandsetzung aufgestockt worden. Aber das reicht noch nicht aus. Es muss Weiteres dazukommen. Dazu gehört als ein zentrales Vorhaben auch die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr. ({8}) Für den bestmöglichen Schutz unserer Streitkräfte im Einsatz ist das unerlässlich. ({9}) Das Verteidigungsministerium hat hier im Juli, so wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen war, die Ergebnisse einer intensiven Anhörung vorgestellt und Einsatzgrundsätze dafür entsprechend vorgelegt. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Woche zu einer abschließenden Beschlussfassung beim Koalitionspartner kommen, dass wir grünes Licht vom Parlament erhalten, um dann sofort in die Verhandlungen einzusteigen, um schnellstmöglich die 25-Millionen-Euro-Vorlage ins Parlament einzubringen. ({10}) Dabei ist wichtig, dass wir von der Industrie auch wirklich als ein Premiumkunde behandelt werden. Wir zeigen gerade auch beim Projekt „schwerer Transporthubschrauber“, dass wir nicht alles und nicht zu jedem Preis abnehmen, was uns angeboten wird. Auch das sind wir der Bundeswehr, das sind wir aber auch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern dieses Landes schuldig. ({11}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Heeresinstandsetzungslogistik, die wir gemäß Beschluss des vergangenen Jahres nicht mehr privatisieren werden, sind wir in der Lage, in den nächsten Wochen die entsprechende neue Eigentümerstrategie vorzulegen, um auf dieser Grundlage dann auch in die weiteren Planungen für die Werke einzutreten. Der vormalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, hat gestern Abend bei seiner Verabschiedung sehr treffend Folgendes gesagt: Die Bundeswehr ist eine Armee der Demokraten in der Demokratie für die Demokratie. – Die allermeisten Soldatinnen und Soldaten sind in die Bundeswehr eingetreten, um für diese Demokratie einzutreten. Diese Soldatinnen und Soldaten bekommen meine, bekommen unsere Rückendeckung. Wir lassen es nicht zu, dass der Dienst dieser Soldatinnen und Soldaten von einer verfassungsfeindlichen Minderheit entwertet und verraten wird. Dafür arbeiten wir alle gemeinsam. ({12}) Und wir arbeiten daran, dass die Bundeswehr vielfältig ist, dass nicht danach gefragt wird, welche Hautfarbe ein Soldat oder eine Soldatin hat, welches Geschlecht, welche sexuelle Präferenz, welchen Glauben, woher er kommt, sondern dass wir sagen: Es kommt darauf an, was dieser Soldat bzw. diese Soldatin leisten. Deswegen bin ich froh, dass wir feststellen konnten: Die vorvergangene Praxis der Diskriminierung von Homosexuellen in der Bundeswehr war falsch. Dafür haben wir uns entschuldigt. Jetzt geht es um die Entschädigung. Und ich hoffe, dass wir noch in dieser Legislaturperiode mit Ihrer aller Unterstützung in diesem Haus ein entsprechendes Gesetz verabschieden können. ({13}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor 30 Jahren, als das vereinte Deutschland zusammenwachsen musste, durfte, zum Glück durfte, war die Bundeswehr, was viele gar nicht erwartet haben, ein Motor der Integration von Ost und West. Heute, 30 Jahre nach der Einheit, gilt, dass Deutschland sicherheitspolitisch in eine neue Rolle hineinwachsen muss. Und wieder kann die Bundeswehr ein Motor sein, der einen wichtigen politischen und gesellschaftlichen Prozess voranbringt, indem unsere Streitkräfte Deutschland, seine Menschen, seine Interessen, seine Werte verteidigen und indem wir dafür unsere Verantwortung stärken, in Europa und in der Welt. Herzlichen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wer Verfassungspatriot sein will, wie die CDU das von sich behauptet, der sollte auch ab und zu mal in der Verfassung lesen. Falls die Union noch an der Bundeswehr interessiert sein sollte, empfehle ich Artikel 87a: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. 15 Jahre Bundeswehr unter CDU-Leitung haben diesen Grundgesetzartikel zur hohlen Phrase gemacht. ({0}) Die Bundeswehr kann ihren Auftrag Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr erfüllen. Dieser Zustand ist parteiübergreifend anerkannt. Die AfD ist allerdings die einzige Partei, die das so nicht hinnehmen will. Die Bundesregierung hat in allen Kernbereichen der Verteidigungspolitik versagt. ({1}) Vor sieben Jahren fing die Vorgängerin von Frau Kramp-Karrenbauer an, Trendwenden auszurufen; Sie erinnern sich. Die aktuelle Ministerin meidet heute wie auch eben diesen Begriff wie der Teufel das Weihwasser: verständlich; denn nichts hat funktioniert. ({2}) Das Beschaffungswesen ist nach wie vor dysfunktional. Alle elementaren Nachfolgebeschaffungen stecken irgendwo zwischen Träumerei und Realitätsverlust fest. Nehmen wir das Future Combat Air System: Frankreich und Deutschland haben völlig verschiedene Rollen für ihre zukünftigen Kampfjets. Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie hat bereits seit dem Eurofighter den Anschluss an die Entwicklung verloren. Ich prophezeie Ihnen: FCAS wird ein Milliardengrab, ohne dass je ein Flugzeug die Einsatzreife erreichen wird. Das Main Ground Combat System: wieder deutsch-französisch und wieder zum erheblichen Nachteil der eigenen wehrtechnischen Industrie. Der deutsche Panzerbau ist seit 80 Jahren Weltmarktführer. ({3}) Jetzt wird diese Schlüsseltechnologie ohne Not nach Frankreich vergeben, mit einem höchst ungewissen Endergebnis. Das Dramatische daran ist: Was einmal aus Deutschland weg ist, kommt nie wieder zurück. Die Rüstungspolitik der Bundesregierung vernichtet deutsche Industriefertigkeiten dauerhaft. ({4}) Diese Formel des Scheiterns gilt auch für die Entwicklung der bewaffneten Drohnen, die Digitalisierung der Streitkräfte und vieles mehr. Der schwere Transporthubschrauber ist seit gestern offiziell abgesagt, der Nachfolger für den Tornado wohl ebenso. ({5}) Die nächste Großbaustelle, das Personalwesen: Im Durchschnitt fehlen immer noch 15 000 Soldaten. Das ist die Größe einer ganzen Division. Wie sehr sich die Leitung des BMVg auch bemüht, ihr modernes, geschlechtsneutrales und buntes Image nach außen zu tragen – es wollen einfach nicht mehr genug junge Deutsche zur Bundeswehr. Die Leitung BMVg hält trotzdem an diesem infantilen Imagegewürge fest. Das Narrenschiff segelt stur geradeaus. ({6}) Dafür ist die Leitung des BMVg aber in anderen Bereichen emsig wie eine Biene. Das Gendern von Dienstgraden war ein großes Thema. Als jedoch klar wurde, dass unsere Soldatinnen nicht mit „Frau Oberfeldwebelin“ oder „Frau Hauptfrau“ angeredet werden wollen, zog die Verteidigungsministerin zurück: Projekt „Geschlechtergerechtigkeit“ in der Bundeswehr gestoppt, vorerst. Denn den Soldaten kann ich prophezeien, dass dieser Kelch noch nicht an ihnen vorbeigegangen ist. ({7}) Wenn es nächstes Jahr tatsächlich zu einer schwarz-grünen Koalition kommt, wird auch die Bundeswehr so gründlich durchgegendert wie eine Ausgabe der „taz“. ({8}) Allerdings würde das dann das geringste Problem sein. Die Unfähigkeit der Bundesregierung in der Verteidigungspolitik kann auch mit den gut 46 Milliarden Euro im Einzelplan 14 nicht ausgeglichen werden. Die AfD steht nach wie vor für eine Steigerung des Verteidigungsetats; ({9}) denn die Schäden, die der Bundeswehr durch die Regierung zugefügt wurden, sind immens. Die Reparatur kostet viel Geld. Genauso richtig ist es aber, zu fragen, was die Große Koalition mit dem ganzen Geld macht. Ich stelle fest: Die Bundesregierung geht mit dem Steuergeld der Bürger genauso unverantwortlich um wie mit der Bundeswehr an sich. Über 46 Milliarden Euro für die Bundeswehr: Das Ganze ist im Ergebnis eine einzige Blamage. Meine Damen und Herren, wer das Wesen von Streitkräften nicht akzeptieren will, der ist ungeeignet, die Bundeswehr ordentlich zu führen. ({10}) Ein Staat hält keine Streitkräfte vor, um irgendwo einen Brunnen zu bohren oder eine Oma über die Straße zu führen. Streitkräfte müssen in der Lage und willens sein, tödliche militärische Gewalt anzuwenden. Dazu braucht die Bundeswehr Korpsgeist, Stolz und ein einzigartiges Berufsethos – Punkt – und nicht mehr. Danke. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren vor den Bildschirmen! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: Das Militär ist eine Pflanze, die man sorgfältig pflegen muss, damit sie keine Früchte trägt. Ich denke, mit dem vorgelegten Verteidigungshaushalt und dem Stellenplan sind wir auf dem richtigen Weg, dieses Ziel zu erfüllen. Einige Schlagworte: 46,8 Milliarden Euro, 1,2 Milliarden Euro mehr. Wir nähern uns mit 1,5 Prozent der NATO-Quote an. Sie ist höher als vorgesehen. ({0}) Das sind erst einmal gute Nachrichten an die Truppe, aber natürlich auch gute Nachrichten an die Bündnispartner. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das viele Geld muss natürlich auch da ankommen, wo es dringend gebraucht wird, nämlich bei den Soldatinnen und Soldaten. Lassen Sie mich an dieser Stelle meine Wertschätzung, meinen Respekt und meine Anerkennung an die Truppe zum Ausdruck bringen und Dankeschön sagen. ({1}) Da ich für den Einzelplan 14 ganz frisch zuständig bin, erfahre ich jetzt nach und nach, wo in der Truppe der Schuh drückt. Die Bundeswehr freut sich bestimmt, dass mit diesem Haushalt mehr Geld in allen Bereichen ausgegeben werden kann. Aber, meine Damen und Herren, es gibt trotzdem noch zu viele Baustellen, die jetzt beseitigt werden müssen. Ich nenne sie einfach mal die drei Bs. Was sind die drei Bs? Beschaffen, Betrieb und Bauen. Fangen wir mit der Beschaffung an. Viele Kommandeure vor Ort beklagen – ich habe mir sagen lassen, das ist auch kein neuer Zustand –, dass es an vielen Dingen fehlt. Meistens sind es die Kleinigkeiten des Lebens wie Rücksäcke, Kampfstiefel, Schutzwesten, aber manchmal auch schweres Gerät wie Fahrzeuge oder Hubschrauber. Machen wir mit dem Betrieb, dem nächsten B, weiter. Viele Fahrzeuge funktionieren leider nicht, und es dauert Wochen oder gar Monate – im Schiffsbereich teilweise Jahre –, bis sie repariert und damit wieder einsatzfähig sind. Und das dritte B, das Bauen. Meine Damen und Herren, so mancher unserer sehr gut ausgebildeten Soldaten ist in Unterkünften untergebracht, die mehr als sanierungsbedürftig sind, teilweise fehlen sogar Unterkünfte für die Truppe. Das empfinde ich als unwürdig. Und es sorgt auch für einen gewissen Unmut in der Truppe. Respekt und Wertschätzung müssen sich auch in der Unterbringung unserer Soldatinnen und Soldaten wiederfinden. ({2}) Da müssen wir ansetzen. Geld ist nun da, nicht nur für prestigeträchtige Großprojekte, sondern vor allen Dingen auch für die persönliche Ausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Geld allein wird aber nicht ausreichen. Ich bin leider zu der Überzeugung gekommen, dass die vielen Vorschriften und umständlichen Prozesse dazu führen, dass man sich teilweise selbst im Wege steht. Wir kommen auf einen ganz gefährlichen Pfad, wenn wir als Verantwortliche diese Missstände als normal akzeptieren und einfach als gegeben ansehen. Gerade jetzt könnte und muss die Bundeswehr auch konjunkturelle Akzente setzen, beispielsweise im Flugzeugbereich. In diesem Zusammenhang müssen wir aber auch über den Ausbau und den Schutz von deutschen Schlüsseltechnologien reden. Liebe Bürgerinnen und Bürger, jetzt fragen Sie sich bestimmt: Was genau muss passieren? Ganz einfach: weniger Juristerei und mehr praktischer Menschenverstand, ({3}) weniger Sonderanforderungen und mehr von der Stange kaufen, siehe das letzte gescheiterte Großprojekt „schwerer Transporthubschrauber“. Warum können andere NATO-Partner mit konventioneller Ausstattung fliegen, und wir haben Anforderungen an die Technik, die erst entwickelt werden muss? Natürlich begrüße ich es, dass die Kommandeure vor Ort mittlerweile ein Handgeld erhalten, um notwendige kleine und überschaubare Anschaffungen zu tätigen. Doch hier gibt es ein Problem: Handelt es sich um eine etwas größere oder teurere, aber notwendige und eilige Anschaffung, endet der Spielraum bei 4 999 Euro. Somit legt man jedem Kommandeur ein enges Korsett an, das ihm am Ende zum Handeln die Luft abdrückt. Dieser Zustand, meine Damen und Herren, ist ineffektiv, er zermürbt viele Soldatinnen und Soldaten bei ihrer täglichen Arbeit und zeugt auch nicht von viel Vertrauen. Und, ich glaube, Vertrauen müssen wir in unsere Truppe setzen. Das haben die Soldatinnen und Soldaten mit Sicherheit auch verdient. ({4}) Sie sorgen für Sicherheit national, aber auch international. Und ich weiß aus vielen Gesprächen, dass unsere Armee hier ein anerkannter, auch ein geschätzter und gut ausgebildeter Partner in den internationalen Organisationen ist. Ich wünsche mir und hoffe, dass das am Ende auch so bleibt. Dafür, meine Damen und Herren, müssen wir hier im Parlament zusammenstehen. Wir haben eine Parlamentsarmee, auf die wir stolz sind. Es macht unsere Bundeswehr am Ende auch so einmalig in der Welt, dass sie ihren Auftrag ja nur von diesem Hohen Haus bekommt. Meine Damen und Herren, es gibt noch viel zu tun. Frau Ministerin, die Lenkwaffen gegen Bürokratie haben Sie in Ihrem Haus. Ich kann Ihnen eines versichern: Die SPD-Fraktion ist an Ihrer Seite, wenn wir im Sinne der Truppe schneller und effizienter werden und diese Lenkwaffen dann gegen die Bürokratie einsetzen. Die drei Bs – Bauen, Beschaffen, Betrieb – brauchen somit dringend eine Reform. Wagen wir einfach mehr Vertrauen in die Kommandeure, in die Truppe, in uns selber. Liebe Kollegen, machen wir uns an die Arbeit und gestalten wir die Zukunft unserer Bundeswehr, pflegen wir unsere Pflanze im Sinne von Sicherheit und Effizienz. Die Soldatinnen und Soldaten haben es verdient. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Karsten Klein für die FDP-Fraktion. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich will gleich mit einem großen Thema anfangen. Wir von den Freien Demokraten hätten uns heute von Ihnen eine klare Aussage zum Thema NATO-Quote und 2-Prozent-Ziel erwartet. Sie haben das ja sehr leise aus dem Kabinettsbeschluss gestrichen. Aber, ich denke, die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, von der Bundesverteidigungsministerin zu erfahren, wie sie zu diesem Thema steht. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie das in den Haushaltsverhandlungen noch nachholen. ({0}) Und das Gleiche gilt für das Versprechen, das Ihre Vorgängerin, Frau von der Leyen, die Bundeskanzlerin und Sie selbst zuletzt auf der Münchener Sicherheitskonferenz unseren NATO-Partnern gegeben haben. Sie haben gesagt, dass Sie mittelfristig 1,5 Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung zur Verfügung stellen. ({1}) Und ich finde es eine etwas sarkastische Freude, dass das bei schrumpfender Wirtschaft dieses Jahr als Erfolg verkauft werden soll. Aber ich will mit Ihnen auch mehr in die Zukunft schauen. Hier muss man feststellen, dass in den Folgejahren dieses Ziel nicht nur nicht erreicht wird, sondern dass Sie sich wieder von diesem Ziel wegbewegen. Deshalb, glaube ich, ist ein klares Wort in Richtung der Partner und auch der Soldatinnen und Soldaten nötig, ob Sie Ihr Versprechen einlösen oder nicht, Frau Ministerin. ({2}) Gleiches, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt mit dem Blick auf den Gesamtetat und dessen Entwicklung. Ich weiß: Da wollen einige heute schon wieder feiern, dass der Etat zwischen 2020 und 2021 etwas angewachsen ist. Aber die mittelfristige Finanzplanung und der Blick in die Zukunft – das haben Sie mitbeschlossen – zeigen, dass es sich um einen stagnierenden Einzelplan für die Bundeswehr handelt. Wenn man bedenkt, dass dort die Mittel aus dem Konjunkturpaket in Höhe von 3,1 Milliarden Euro schon eingerechnet sind, dann heißt das in Wahrheit, dass Ihr Etat rückläufig ist, Frau Ministerin. Wenn man dann noch hinzuzieht, dass die Personalausgaben in den nächsten Jahren natürlich ansteigen werden, heißt das, dass für Rüstungsinvestitionen, für modernes Gerät für die Soldatinnen und Soldaten immer weniger Geld zur Verfügung steht und deshalb zu wenig dort getan werden kann. ({3}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich an dieser Stelle einmal feststellen: Die Trendwende im Bereich Rüstungsinvestitionen ist gescheitert. Sie findet schlicht nicht statt, Frau Ministerin. Ein Blick in den Haushalt lohnt auch bei den großen Rüstungsprojekten. Sie haben den schweren Transporthubschrauber selber angesprochen. Sie haben die Ausschreibung aufgehoben. Auch nächstes Jahr ist mit keiner Auftragsvergabe zu rechnen. Die Truppe braucht aber dringend dieses neue Gerät. Thema Eurofighter: großes Fragezeichen beim Tranche-1-Ersatz. Eurodrohne: Fragezeichen. FCAS, Kampfflugzeug der Zukunft: großes Fragezeichen, Frau Ministerin. Beim Main Ground Combat System sind wir bei Weitem nicht so weit, wie wir wollten und wie dieses Parlament übrigens schon beschlossen hat. Beim TLVS: großes Fragezeichen in Ihrem Haushalt. Ich möchte noch einmal festhalten: Bei den großen Rüstungsprojekten, beim dringend nötigen modernen Gerät für die Soldatinnen und Soldaten, die Sie selbst zu Recht am Anfang in den Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt haben, kommt am Ende doch nichts an. ({4}) Dann, liebe Frau Ministerin – das geht auch an die Unionsfraktion –, lohnt ein Blick darauf, wie denn die Investitionsmittel für die Zukunft in Ihrem Haushalt ausgestaltet sind. Da lohnt sich wirklich ein genauer Blick: 9,6 Milliarden Euro, fast 10 Milliarden Euro, der 24 Milliarden Euro Zukunftsmittel für Rüstungsinvestitionen unterliegen in diesem Haushalt einem Finanzierungsvorbehalt des Bundesfinanzministers. Die sind in Ihrem Haushalt gesperrt. Deshalb auch ein Appell an die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion: Sie wissen schon, dass der Bundesfinanzminister im nächsten Jahr der Kanzlerkandidat der SPD sein wird? Die SPD hat bis heute noch nicht geklärt, in welchem Verhältnis sie zu Zukunftsinvestitionen bei der Truppe steht. Ich verstehe nicht, wir verstehen nicht, wie Sie sich hier in so eine Zwangslage bringen können. Planungssicherheit bei Rüstungsinvestitionen ist mit dieser Ausgestaltung und gesperrten Haushaltsmitteln nicht möglich. ({5}) Ich möchte zum Schluss zusammenfassen, Frau Ministerin: Die fehlenden Mittel im Haushalt, vor allem für die Zukunftsinvestitionen, sorgen dafür, dass die Auftragserfüllung der Bundeswehr zur Sicherung von Demokratie, Freiheit und Frieden der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land – Sie haben das selbst benannt – gefährdet ist. Deshalb erwarten wir mehr Dampf in diesen Haushaltsverhandlungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das war der Kollege Klein. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Sie werden sich jetzt bestimmt erst mal verwundert die Augen reiben, aber ich möchte mit zwei positiven Dingen beginnen. ({0}) Das Erste ist: Ich habe interessiert gelesen, dass die Unterstützung für in Not geratene Ex-Soldaten der NVA in der Bundeswehr angehoben wird, zwar nur um 250 000 Euro; aber darum habe ich jedes Jahr gerungen. Da sieht man – auch an den kleinen Dingen –: Links wirkt auch im Verteidigungsbereich. Sehr schön. Das Zweite: Die Mittel für den Militärischen Abschirmdienst werden angehoben. Nun ist mir klar: Auch der Militärische Abschirmdienst muss kritisch hinterfragt und begleitet werden. Auf der anderen Seite ist es genauso wichtig, den Kampf gegen rechtsextremistische Tendenzen in der Bundeswehr zu verstärken; das ist absolut notwendig. Wir sprechen derzeit über 750 Verdachtsfälle in der Bundeswehr. Da kann man auch nicht mehr sagen: Das sind Einzelfälle. – Ich glaube auch, dass der Kampf gegen diese rechtsextremistischen Tendenzen wichtig ist, um die anderen über 180 000 Soldatinnen und Soldaten zu schützen, die eben keine Rechtsextremisten sind. Frau Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie sich darüber ärgern, dass Die Linke angeblich Militärausgaben gegen Bildungsausgaben ausspielen würde, ({1}) dass wir das gegenüberstellen würden. Ich sage Ihnen: Wir spielen das nicht gegeneinander aus, sondern wir stellen es gegenüber, um es greifbarer zu machen. Ich kann es auch anders gegenüberstellen. Ich kann zum Beispiel genauso schön sagen: Wenn man den Verteidigungsetat von 47 Milliarden Euro auf die Pro-Kopf-Summe der Einwohner in Deutschland herunterbricht, dann kommt man auf Ausgaben von ungefähr 560 Euro im Jahr pro Kopf. Dann könnten Sie bestimmt antworten: Na ja, okay, so viel kostet auch eine Risikolebensversicherung; das ist doch in Ordnung. – Dann sage ich zu Ihnen: Aber was deckt denn diese Risikolebensversicherung alles ab? Darüber kann man ja bei so hohen Summen grundsätzlich mal sprechen. Der erste Punkt ist die Landesverteidigung; sie ist hier schon angesprochen worden. Ich glaube, die Landesverteidigung ist hier Konsens im Raum; das steht nicht infrage. Der zweite Punkt ist die Bündnisverteidigung; das wurde ebenfalls bereits mehrfach angesprochen. Da möchte ich schon ein größeres Fragezeichen dahinter setzen, wenn ich mir derzeit den Zustand des Bündnisses so anschaue. Bündnis heißt ja, ich brauche Partnerschaft. Das heißt, ich brauche Partner. Und Partner funktionieren nur miteinander, wenn sie gleiche Ziele und Werte teilen, also nach dem Motto: Freunde helfen Freunden. Mir fehlt, ehrlich gesagt, so ein bisschen die Vorstellungskraft, dass hier im Bundestag der Bündnisfall beschlossen werden würde, wenn zum Beispiel die Türkei das anfordern würde. So wie derzeit die Lage im Mittelmeer aussieht, frage ich mich: Was ist denn eigentlich mit Griechenland, wenn dieser Bündnisfall wirklich mal eintreten würde? Dürfen die dann noch mitmachen? Dürfen eigentlich griechische Soldatinnen und Soldaten auf türkischem Boden operieren, wenn es der Bündnisfall erfordert? Solange solche Fragen ungeklärt im Raum stehen, muss man dieses Bündnis natürlich irgendwie in Zweifel ziehen. Den dritten Punkt hat vor Kurzem der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ins Gespräch gebracht, und zwar in einem Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“ unter der Überschrift: „Die NATO muss den Klimawandel bekämpfen“. ({2}) – Ich lese alles; ich möchte informiert sein, wenn ich hier spreche. ({3}) Man muss ganz klar sagen: Er hat natürlich recht, wenn er die simple Weisheit schreibt: Der Klimawandel bedroht unsere Sicherheit. – Ich glaube, es ist auch eine Binsenweisheit, wenn ich hier vortrage, wir werden durch den Klimawandel nicht alle in Sturmfluten ertrinken, und wir werden auch nicht alle erfrieren, wenn es kälter wird. Aber wir werden damit zu kämpfen haben, dass Staaten destabilisiert werden. Wir werden es erleben, dass massive Kämpfe um Ressourcen ausgetragen werden und es damit verbunden zu massiven Fluchtbewegungen kommt. Im Übrigen – um das auch einmal hier anzubringen –: Es ist nicht gottgegeben, dass bei uns in Europa alles immer so ist, wie es ist. Hoffen wir, dass es so bleibt. Aber auch bei uns kann das passieren, weil der Klimawandel an uns nicht vorübergeht. Aber die Schlussfolgerung von NATO-Generalsekretär Stoltenberg, dem Klimawandelkampf mit besserer Ausbildung und besserer Ausrüstung zu begegnen, ist wiederum falsch; denn den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen wir nicht mit besserer Ausbildung und besserer Ausrüstung. Das ist ein Kampf, den wir nur global und gesamtgesellschaftlich gewinnen können. ({4}) Wenn Jens Stoltenberg recht hat, dann möchte ich hier einen Vorschlag machen, um zu mehr Sicherheit beizutragen: Aus diesem Grunde erscheint es mir nämlich wesentlich sinnvoller, die Klimabilanz der einzelnen NATO-Staaten als sicherheitsrelevant festzusetzen anstatt die 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Militärausgaben, über die hier so oft gestritten wird. ({5}) Wenn Sie diese Debatte innerhalb der NATO, wie vom Generalsekretär gefordert, anstoßen, dann freue ich mich auf die Debatte und bin sehr gespannt auf die Reaktion aus den Vereinigten Staaten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes hat das Wort der Kollege Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten diesen Verteidigungsetat in Zeiten der Coronakrise. Natürlich ist es an dieser Stelle dann richtig, den Soldatinnen und Soldaten, die in der Bekämpfung dieser Krise Amtshilfe leisten, nicht nur Anerkennung zu zollen, sondern auch herzlichen Dank zu sagen. ({0}) Aber genauso klar ist: Die durch Corona veränderte Haushaltslage macht sich natürlich auch am Verteidigungsetat manifest. Ich erwarte von einer verantwortungsbewussten Bundesregierung, dass sie daraus auch ihre Rückschlüsse zieht. Was meine ich? Wir haben hier – Frau Ministerin, Sie haben sich darüber gefreut, und das ist Ihr gutes Recht – wieder eine Etatsteigerung, aber man kann feststellen: Der Etat wächst – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr überproportional, sondern im Wesentlichen wie der Durchschnitt des Haushalts. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage: In den kommenden Jahren, in denen man auf Sicht fahren muss, wird es vermutlich weiterhin so sein. Wenn man sich dann Ihre Planungen, die mit dem Weißbuch 2016 angelegt und dann mit dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr fortgeführt wurden, anschaut, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Frau von der Leyen hier noch ein Dokument vorgelegt hat, nach dem bis 2030 Rüstungsinvestitionen von über 130 Milliarden Euro erforderlich wären, dann ist doch klar: Die Grundsätze Ihrer Sicherheitspolitik, die Grundsätze Ihrer Planungen sind hohl; sie fallen wie ein Kartenhaus in sich zusammen, sobald es im Haushalt eine Eintrübung gibt. Das ist eben keine verantwortungsbewusste Sicherheitspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Sie haben, Frau Kramp-Karrenbauer, hier am Pult gesagt, welche Projekte Ihnen wichtig sind. Das ist auch gut. Ich erwarte von einer Verteidigungsministerin, dass sie sagt, was ihr wichtig ist. Aber ich erwarte von Ihnen genauso, dass Sie auch sagen, auf was im Zweifel verzichtet werden kann, was eine geringere Priorität hat. Aber wenn ich in diesen Haushaltsplan, vor allem in den Bereich Beschaffung, hineinschaue, dann findet sich da ein Sammelsurium von Wunschprojekten, für die Mittel fiktiv eingestellt, aber gesperrt sind. Am Ende des Tages ist es eben nicht sicherheitspolitisch rational, sondern ein Lotteriespiel: Die Frage, ob Vertragsverhandlungen erfolgreich zu Ende geführt werden oder ob der Preis stimmt, entscheidet darüber, was für die Bundeswehr beschafft wird. Das finde ich unverantwortlich gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten, um es ganz deutlich zu sagen. ({2}) Ich möchte es an drei Beispielen ausführen. Sie sind jetzt über ein Jahr im Amt, und Sie haben Entscheidungen getroffen. Manche davon haben wir auch begrüßt, etwa die Entscheidung – erstes Beispiel –, beim Projekt Pegasus frühzeitig die Reißleine zu ziehen und keinen risikoreichen Großdrohnenansatz zu verfolgen. Vor wenigen Tagen – zweites Beispiel – haben Sie uns aber mitgeteilt, das Ergebnis einer jahrelang andauernden Ausschreibung über die Neubeschaffung eines Nachfolgers für das G36, also eines neuen Sturmgewehres, sei – die Kollegen werden sich daran erinnern; die Aufgabe war, ein marktverfügbares Sturmgewehr zu beschaffen, damit man nicht Jahre dafür braucht, irgendwas auszuwählen –, dass am Ende eine Firma den Zuschlag erhalten soll – das ist noch nicht rechtskräftig –, die im Besitz eines Staatskonzerns der Vereinigten Arabischen Emirate ist. ({3}) Wenn ich der Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes gefolgt bin und wenn ich in den Koalitionsvertrag dieser Koalition schaue, in dem steht, dass Sie keine Waffen an Staaten exportieren wollen, die Krieg im Jemen führen, dann denke ich, dass Sie auch die Frage beantworten müssen, ob ausgeschlossen werden kann, dass ein wesentlicher Teil des Gewinns, der auf den dreistelligen Millionenbetrag entfällt, der für das neue Sturmgewehr draufgehen wird, ({4}) an einen Staatskonzern eines Landes abfließen wird, das Krieg im Jemen führt. Das kann am Ende des Tages nicht sein. ({5}) Sie haben uns gestern Morgen, um ein drittes Beispiel zu nennen, mit einem zweiseitigen Wisch – die Kollegen der Koalition wissen vielleicht mehr – durch Ihren Staatssekretär mitteilen lassen, dass das Vergabeverfahren für einen neuen schweren Transporthubschrauber, eine Ersatzbeschaffung für einen 40 Jahre alten Hubschrauber, gestoppt worden ist. Ich finde es im Kern richtig, dass Sie sich nicht von der Industrie jeden Preis diktieren lassen. Aber die Tatsache, dass im Vergabeprozess Preise rauskommen können, die höher sind als das, was man zu zahlen bereit ist, ist doch nicht überraschend. Ich hätte von Ihnen schon erwartet, dass Sie dann wenigstens einen Plan B in der Tasche haben, was stattdessen passieren soll. Ich sage Ihnen, was stattdessen passiert: Die alten CH-53, die jetzt schon einen geheim gehaltenen, deutlich niedrigeren Klarstand haben, werden weiter fliegen müssen, mit dem Ergebnis, dass sie immer schlechter und schlechter werden. Die Leidtragenden sind am Ende des Tages die Soldatinnen und Soldaten. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in den Haushaltsberatungen versuchen müssen, beim Verteidigungsetat eine Aufgabe zu leisten, zu der das Ministerium mit dem Entwurf nicht in der Lage war, nämlich Prioritäten zu setzen. Wir werden sagen müssen, was alles auch nicht geht und was für uns Vorrang hat. Das können wir in diesem Etatentwurf noch nicht erkennen; aber wir werden in den Haushaltsberatungen dazu unsere Vorschläge machen. Ich freue mich darauf und danke Ihnen. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Tobias Lindner. – Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Henning Otte. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade in dieser Zeit der Coronapandemie zeigt sich doch mehr denn je: Die Sicherheit steht im Vordergrund – sowohl die soziale Sicherheit als auch die innere Sicherheit und die äußere Sicherheit. Der Einzelplan 14 mit dem Verteidigungshaushalt bildet hierfür die Grundlage; denn die Bundeswehr ist der Garant für Frieden und Freiheit, für die Landesverteidigung, für die Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO, aber eben auch für Friedenseinsätze mit europäischem Mandat oder Mandat der Vereinten Nationen. Auch im Rahmen der Amtshilfe steht unsere Bundeswehr bereit und hilft, wo sie gefordert ist. Eine starke Truppe kann aber nur so stark sein, wie wir bereit sind, sie finanziell, materiell und personell auszustatten. Dieser Verteidigungshaushalt ist Ausdruck davon, dass wir eine starke Truppe haben. Deswegen danken wir allen Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz, meine Damen und Herren. ({0}) Der Verteidigungshaushalt umfasst 46,8 Milliarden Euro. Ich danke an dieser Stelle sehr herzlich Ihnen, Frau Bundesverteidigungsministerin, dafür, dass Sie in den Finanzverhandlungen so beherzt gekämpft haben und mit Ihrer „Initiative Einsatzbereitschaft“ auch ein deutliches Zeichen der Priorisierung gesetzt haben, indem Sie nämlich sagen: Es ist wichtig, was bei der Truppe ankommt. Ich war in der letzten Woche bei einem Truppenbesuch in Faßberg bei den Heeresfliegern. Da ist sehr deutlich geworden, dass die Zahl der Flugstunden wieder gestiegen ist. Dagegen stellt sich Die Linke und tut so, als wären das 46,8 Milliarden Euro für Rüstungsgeschäfte, anstatt mal darauf zu achten, dass es für Freiheit und für Frieden ist. ({1}) Ich will es Ihnen aufschlüsseln – sagen Sie das mal Ihrem Herrn Bartsch –: 20 Milliarden Euro für Personalausgaben für Frauen und Männer, die bereit sind, im zivilen und militärischen Bereich für unser Land einzustehen, nur 7 Milliarden Euro für militärische Beschaffung, 4 Milliarden Euro für Materialerhalt, 2,5 Milliarden Euro für Bekleidung und Instandsetzung, 800 Millionen Euro für Auslandseinsätze. Meine Damen und Herren, das ist gut in die Sicherheit investiertes Geld. Bei Ihnen würden die Kinder im Sozialismus arm werden; bei uns werden sie in Frieden und Freiheit groß, meine Damen und Herren. ({2}) Platt war vielleicht die Rede der AfD, die an Nörgelei nicht zu überbieten ist. Man muss wirklich sagen: Die AfD ist in der Argumentation stehen geblieben. Sie wollen alles nur national ausrichten. Die Welt ist aber eine andere. Es ist gut, dass wir uns heute im vernetzten Ansatz einsetzen, und zwar in Kooperation und Absprache mit unseren europäischen Partnern und auch innerhalb der NATO, und auch Beschaffungsprogramme nicht alleine, sondern übergreifend angehen. Das stärkt die Zusammenarbeit, das steigert die Effizienz, und es spart am Ende auch Kosten ein. Wir müssen zusammen die Herausforderungen annehmen, die es gibt. Ich erinnere an die Annexion der Krim, ich erinnere an die Verletzung des INF-Vertrages, ich erinnere auch an die Großmanöver, die vor dem Baltikum oder vor der Ukraine laufen. Ich denke, dass der Kreml ganz bewusst einen Keil in die NATO treiben will. Die Vergiftung von Herrn Nawalny sollte uns doch alle wachgerüttelt haben. Wir müssen wehrhaft sein als Demokratie, und zwar mit unseren europäischen Partnern. Deswegen müssen wir bereit sein, zu investieren, und unsere Fähigkeiten, die wir der NATO versprochen haben, einbringen. Da geht es nicht, dass man wie Sie, Herr Dr. Lindner, sagt: Wir wollen ein Wünsch-dir-was-Konzert. ({3}) Vielmehr geht es danach, was notwendig ist. Hier zu erzählen, dass die Beschaffung eines neuen Sturmgewehres ein Verstoß gegen die Exportrichtlinie sein könnte, ist nicht nur grüne Romantik, sondern auch ein grünes Märchen. ({4}) Das glaubt Ihnen doch niemand, nicht mal in der eigenen Fraktion. Wir müssen uns den Haushaltsentwurf aber auch kritisch ansehen. Da habe ich mich über Herrn Klein von der FDP gefreut, der fragte: Na, ob die NATO-Zahlen in den nächsten Jahren wohl eingehalten werden? – Na, hätten Sie nicht nur den Mund gespitzt, sondern auch gepfiffen, hätten Sie mal bei der Regierung mitgemacht, dann müssten Sie sich jetzt nicht solche Sorgen machen. Wir sagen: Auch der Finanzplan muss eine verlässliche Grundlage sein, und die Ausrüstungsvorhaben müssen gemeinsam geschafft werden. Dazu gehört der schwere Transporthubschrauber, dazu gehört das Mehrzweckkampfschiff und dazu gehört der Schützenpanzer Puma. Wir müssen die Bundeswehr einsatzbereit und durchhaltefähig halten. Wir müssen vor allem politisch wie materiell Rückdeckung für die Einsätze geben: in Afghanistan, in Mali, im Irak, im Mittelmeer, vor dem Libanon oder vor Libyen. Das ist eine große Aufgabe. Hier zeigt sich, dass Deutschland verlässlich ist, weil wir uns auf unsere Soldatinnen und Soldaten verlassen können. ({5}) Ein Zeichen der Notwendigkeit und auch der Anerkennung ist, dass wir 1 000 neue Planstellen zur Verfügung stellen sowie 6 000 Stellenhebungen durchführen – das ist richtig und wichtig –, dass wir die Beschaffung der Eurodrohne angehen, dass wir die Bewaffnung der Drohne Heron TP angehen – es geht um den Schutz unserer Soldaten, wir sind es ihnen schuldig –, dass wir die deutsch-französischen Kooperationen angehen und dass wir das Unterwasserschiffbauprojekt mit Norwegen angehen. Dafür brauchen wir Geld, und deswegen müssen wir mit kühlem Kopf und klarem Blick die Weichen richtig stellen. Der Haushalt für das nächste Jahr stellt dafür die Weichen. Es geht um nichts weniger als um die Sicherheit zu Land, zu Wasser und in der Luft sowie im Cyber- und im Spacebereich, 360 Grad, 24/7. Das ist der Auftrag, um die Sicherheit unseres Landes und unserer Bündnispartner zu gewährleisten und um sich einer hybriden Kriegsführung entgegenzustellen, immer im vernetzten Ansatz. Der Generalinspekteur hat recht, wenn er sagt: Der Auftrag „muss unser Denken und Handeln als Soldaten maßgeblich bestimmen“; das stand heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Unser Denken und Handeln muss davon bestimmt sein, den Soldatinnen und Soldaten das Gerät, die personelle und finanzielle Ausstattung zur Verfügung zu stellen, damit sie ihren Auftrag erfüllen können. Wir stehen mit aller Kraft für eine moderne, einsatzbereite Bundeswehr. Wir stehen ganz klar zu unseren Streitkräften und danken ihnen für ihren Einsatz für unser Land. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Henning Otte. – Der nächste Redner: für die Fraktion der AfD der Kollege Martin Hohmann. ({0})

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr ist Teil der Sicherheitsarchitektur der NATO; das will ich ganz klar herausstellen, lieber Kollege Otte. Ohne konventionelle Schlagkraft, ohne Kampfkraft ist jedes Bündnis ein machtpolitisches Nullum. Martin van Creveld schreibt zu Kampfkraft, Moral und Material: Das eine kann das andere nur in begrenztem Maße ersetzen, und das eine ist ohne das andere vollkommen wertlos. Wie sieht es aus mit dem Material, mit der Einsatzbereitschaft? Künftiger schwerer Transporthubschrauber – gestoppt, 120 000 neue Sturmgewehre – auf Eis, Schützenpanzer Puma – nicht einsatzreif, Kampfpanzer Leopard – keine Ersatzteile, Munition – fehlt in hohem Umfang. Jetzt ein Zitat: Die Trendwende Material hat bis heute noch nicht zu spürbaren Verbesserungen geführt. Das, was da ist, ist häufig nicht einsatzbereit: Es gibt zu wenig oder keine Ersatzteile, oder Instandsetzungskapazitäten fehlen. Und weiter: Nicht zu verstehen ist, dass es bisher nicht einmal gelungen ist, die Soldatinnen und Soldaten komplett mit neuer persönlicher Ausrüstung auszustatten … Bekleidung, Gefechtshelme, Rucksäcke, Nachtsichtgeräte – alles kommt zu langsam und in zu geringen Stückzahlen. So der ehemalige Wehrbeauftragte, der gestern in Ehren in den Ruhestand geschickt worden ist. Das andere Feld ist die Moral. Wie geht die Regierung mit den ihr anvertrauten Menschen um, mit dem MAD-Chef, mit dem KSK? Die Auflösung der zweiten Kompanie des KSK ist das Eingeständnis eines Versagens. ({0}) Was wir neben der Trendwende Material besonders brauchen, ist die Trendwende Wehrwillen, Wehrwillen in Gesellschaft und Politik. ({1}) Zitat: „Die Deutschen fühlen sich … nicht verpflichtet, sich zu verteidigen.“ Das beklagt der designierte US-Botschafter Douglas Macgregor. Und ja, der Afghanistan-Einsatz steht vor dem Scheitern. Nach einem Abkommen zwischen den Taliban und den USA wird auch die Bundeswehr das Land verlassen. War dieser Einsatz die Opfer wert? – Wir sagen Nein. ({2}) Und wir waren von Anfang an dagegen. ({3}) Macgregor sagt übrigens auch, dass muslimische Migranten nach Europa kämen – Zitat – „mit dem Ziel, Europa in einen islamischen Staat zu verwandeln.“ ({4}) Außerdem kritisiert er Deutschland dafür, dass dieser Staat, anstatt in seine Streitkräfte zu investieren, „Millionen ausgibt für unerwünschte muslimische Invasoren.“ ({5}) Die AfD hat frühzeitig und immer wieder den verfassungsrechtlichen Vorrang der Landes- und Bündnisverteidigung eingefordert und betont. Das heißt – ich sage es noch einmal – zum Beispiel, den Afghanistan-Einsatz endlich beenden. ({6}) – Nein, ich habe mich in meiner letzten Rede dagegen ausgesprochen. Die neueste Konzeption der Bundeswehr schreibt fest: Die Bundeswehr muss … in der Lage sein, zur kollektiven Bündnisverteidigung in allen Dimensionen mit kurzem Vorlauf, mit umfassenden Fähigkeiten bis hin zu kampfkräftigen Großverbänden innerhalb und auch am Rande des Bündnisgebietes eingesetzt zu werden. Sieben Brigaden und drei Divisionen sollen – sollen! – kommen. Frau Ministerin, stellen Sie diese Kampfkraft endlich her! Handeln Sie! ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Dr. Fritz Felgentreu. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 2021 ist kein Sparhaushalt. Die Koalition hat sich bewusst dafür entschieden, auch im kommenden Jahr auf eine aktive Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu setzen. Ein Konjunktureinbruch ist durch die Coronakrise unvermeidlich geworden. Unsere auf Exporte ausgerichtete Wirtschaft leidet besonders darunter, dass die Aufträge aus dem Ausland zurückgehen. In dieser Lage wollen wir ein Gegengewicht schaffen. Wir wollen Menschen in Kurzarbeit absichern, wir wollen die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger, die der Unternehmen und die der öffentlichen Hand stärken. Dafür gehen wir zum zweiten Mal in eine massive Neuverschuldung. Wir tun das nicht aus Lust am Geldausgeben, sondern weil es notwendig ist, um die Folgen der Krise zu überwinden; denn diese Koalition kann Krise. ({0}) Und sie hat das Geld des deutschen Volkes dem richtigen Mann anvertraut, nämlich Olaf Scholz – das werden wir auch 2021 beweisen –, mit dem festen Ziel, zu einer zurückhaltenden Haushaltspolitik zurückzukehren, sobald das wirtschaftliche Gleichgewicht wiederhergestellt worden ist. Wir durchleben ein merkwürdiges Jahr. In der Verteidigungspolitik starrt seit einigen Jahren alles auf die sogenannte NATO-Quote, den Anteil an der Wirtschaftsleistung, den Deutschland für die Verteidigung aufbringt. Nicht wahr, Herr Klein? Das politisch vereinbarte Ziel sind 2 Prozent des BIP. Die Prognosen für 2020 ergaben bei etwa 45 Milliarden Euro im Einzelplan 14 einen Anstieg der NATO-Quote auf 1,45 Prozent des BIP, erreichen werden wir stattdessen voraussichtlich 1,6 Prozent des BIP, ({1}) und zwar ohne einen einzigen Cent mehr auszugeben; im Gegenteil. ({2}) Nach ernüchternden Erfahrungen im vergangenen Jahr sind wir in der SPD-Fraktion relativ gespannt, ob das Verteidigungsministerium es wohl in diesem Jahr schaffen wird, seinen ganzen Etat tatsächlich wie vorgesehen auszuschöpfen. Nein, der ansehnliche Anstieg der NATO-Quote ist allein dem Umstand zu verdanken, dass die Wirtschaftsleistung zurückgegangen ist. ({3}) – Ja. – Ich sage deswegen aber nicht: Danke, Corona! – Denn unserem eigentlichen Ziel kommen wir durch diese Zahlenspiele keinen einzigen Zentimeter näher. ({4}) Worauf es ankommt, sind die Fähigkeiten und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, und da ist immer noch viel zu tun, nicht nur bei Sorgenkindern wie dem Schützenpanzer Puma oder dem Kampfhubschrauber Tiger. Für den Verteidigungshaushalt ist es deshalb eine gute Nachricht, dass die Koalition auf Wachstum setzt. Es ist eine schlichte Selbstverständlichkeit, dass die Bundeswehr nicht leer ausgehen darf, wenn die öffentliche Hand Konjunkturpolitik macht. ({5}) Auch die Bundeswehr sichert durch ihre Aufträge Arbeitsplätze und bringt die Wirtschaft in Schwung. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht der Auftrag der Bundeswehr. Ihr Auftrag ist die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten. Die Bundeswehr braucht militärische Fähigkeiten und eine höhere Einsatzbereitschaft, um ihren Auftrag zu erfüllen: in der Bündnis- und Landesverteidigung und in einer Reihe anspruchsvoller Auslandseinsätze von Mali bis Afghanistan. Deshalb, Herr Klein, hat die SPD auch kein 2-Prozent-Ziel. Wir haben ein 100-Prozent-Ziel. ({6}) Wir wollen, dass unsere – im historischen Maßstab kleine – Armee alles hat, was sie braucht: Personal, Waffen, Ausrüstung. Das kostet Geld, und diesem Anspruch wird der Haushalt 2021 durch weiteren Aufwuchs auch in Krisenzeiten gerecht. Mit einer Gesamthöhe von rund 47 Milliarden Euro wächst der Verteidigungshaushalt erneut – inklusive Konjunkturpaket – um zweieinhalb Milliarden Euro, und das ist auch notwendig. ({7}) Nur durch den stetigen Aufwuchs haben wir die Chance, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr schrittweise wieder auf die Höhe einer zunehmend unruhigen Zeit zu bringen. Aber, meine Damen und Herren, Geld ist viel, aber nichts alles. Es bleibt die Bringschuld der Bundesverteidigungsministerin, ihr Ministerium und die Verwaltung auf Umsetzung zu trimmen. Noch immer dauert viel zu viel viel zu lange. Der Zulauf von 100 modernisierten Kampfpanzern, die noch nicht einmal zusätzlich beschafft, sondern nur umgebaut werden mussten, begann erst fünf Jahre, nachdem der Bundestag die Entscheidung gebilligt hatte. Noch immer ist die schleppende Beschaffung von Ersatzteilen der Hauptgrund, warum millionenschwere Systeme ungenutzt in Werkshallen und Hangars herumstehen oder an Kaimauern vor sich hindümpeln, und noch immer warten Soldatinnen und Soldaten auf unverzichtbare Teile der persönlichen Ausrüstung, die sie brauchen, um für ihren Einsatz zu trainieren. Selbst kleinste Baumaßnahmen scheitern zu oft an der Bürokratie, weil alles, was mehr kostet als 15 000 Euro, ein aufwendiges zentralisiertes Genehmigungsverfahren durchlaufen muss. Frau Ministerin, hier sind Sie in der Pflicht. Das Parlament wird mit der Mehrheit der Koalition auch 2021 seine Hausaufgaben machen. Sie bekommen das Geld, das Sie brauchen. Geben Sie es bitte so aus, dass es bei den Männern und Frauen ankommt, die als Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in Uniform unser Land und unsere Demokratie schützen. Sie haben einen Anspruch darauf. Danke schön. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Monaten sind unsere Soldatinnen und Soldaten im Coronaeinsatz in Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, Pflegeheimen. Einen herzlichen Dank von uns an alle, die da so aktiv teilnehmen. ({0}) Das sind momentan primäre Aufgaben der Bundeswehr. Gleichzeitig wurden die Ausbildungsmissionen in den Einsatzgebieten Mali, Afghanistan, Irak zwar nicht ausgesetzt, zumindest jedoch deutlich reduziert. Das heißt nicht, dass die Welt während und gerade wegen der Pandemie sicherer geworden ist; das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren. Terror und Gewalt haben durch das entstandene Vakuum zugenommen. Denn eines muss uns klar sein: Terroristen warten nicht darauf, bis der Virus bekämpft ist oder wir einen Impfstoff gefunden haben. Fakt ist: Die Anforderungen an die Bundeswehr steigen stetig weiter. Folgerichtig steigt der Verteidigungsetat – nicht überproportional, in der Tat. Aber umso wichtiger ist, dass er steigt; denn, meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie Sie das machen: Zuerst sichert man die Haustür, bevor man das Haus innen nett einrichtet. Das ändert allerdings nichts an der Frage, wie effizient das bereitgestellte Geld eigentlich ausgegeben wird. Die jüngste Entscheidung, die Ausschreibung für den schweren Transporthubschrauber – es wurde gerade genannt – auszusetzen, hinterlässt wahrlich nur Kopfschütteln, und es ist ein Paradebeispiel dafür, wie absurd die Abläufe im Ministerium sind, wenn es um die Beschaffung wichtiger Geräte geht. Seit Jahren werden nicht die Dinge beschafft, die dringend erforderlich sind, obwohl im Haushalt bereits vorgesehen, entweder weil die Mittel wegen anderer Projekte umgeschichtet werden, oder sie werden nicht ausgegeben, weil das Beschaffungsamt es nicht auf die Kette bekommt. Meine Damen und Herren, jetzt trifft es genau diesen Transporthubschrauber, obwohl klar ist, dass wir diese Fähigkeit dringend brauchen. Wir hatten bis vorgestern die Wahl zwischen zwei marktverfügbaren Modellen. Ja, Frau Ministerin, man darf sich von der Industrie nicht durch den Ring führen lassen; aber es hätte in der Tat einer anderen Antwort bedurft. Ich kann nur sagen: Sie ziehen jetzt vor, dass Geld weiter in die Entwicklung eines komplett neuen taktischen Luftverteidigungssystems gesteckt wird, ein System, das schon jetzt Milliarden verschlungen hat und bei dem uns niemand sagen kann, ob es kommt, wann es kommt und welchen Mehrwert es uns eigentlich bringt. ({1}) Frau Ministerin, Sie laufen erneut sehenden Auges in die jähe Fähigkeitslücke. Es ist jetzt Ihr Haushalt und nicht mehr der Ihrer Vorgängerin wie vor einem Jahr: teuer für die Steuerzahler, vor allen Dingen aber verantwortungslos unseren Soldatinnen und Soldaten gegenüber, die nämlich jetzt mit dem alten Material irgendwie zurechtkommen müssen. Das ist auch deswegen kurios, weil Sie, wie auch gerade wieder, immer neue Ansprüche haben. Ich erinnere mich: Die Bundeswehr soll in Syrien etwas machen, in der Straße von Hormus, soll im Sahel massiver auftreten. Jetzt plötzlich kommt noch der Indopazifik dazu. Ich weiß nicht, wer Sie beraten hat. Ich habe gedacht, alle Berater, die uns im Untersuchungsausschuss begegnet sind, sind inzwischen woanders; aber offensichtlich gibt es immer noch ein paar, die das machen. Wie wollen Sie das alles hinbekommen, diese außenpolitische, ambitionierte Sache, wenn die Brot-und-Butter-Artikel für die Soldatinnen und Soldaten nicht mal zu Hause, vor der Haustür erreichbar sind? ({2}) – Das freut mich. Die Hoffnung stirbt zuletzt. ({3}) – Ja, man sieht ja gerade, was erreicht wird. Es werden zentrale Projekte gestrichen, übrigens auch des Heeres, und die Ausgabentitel – können Sie nachschauen – Munition, Materialerhalt und Bekleidung sind wieder reduziert worden. Jetzt noch ein Letztes zur NATO. Ja, es ist ein richtiges Signal, auch an unsere NATO-Verbündeten, dass der Verteidigungshaushalt zumindest nicht sinkt. Aber: Herr Schwarz von der SPD, Sie sprachen gerade so glücklich darüber, wir würden uns dem 2-Prozent-Ziel nähern. Ich meine, das ist ja Zynismus pur, nach dem Motto: Wenn der Haushalt so richtig schlecht ist – super! –, dann erreichen wir 2 Prozent. – So kann man es auch rechnen. Herr Felgentreu, Sie haben recht: Die SPD kann Krise. ({4}) Frau Ministerin, ich darf Sie an Ihre Worte erinnern – da bin ich übrigens auch bei Ihnen –: Nicht allein die Ausgaben zählen, sondern es zählt, welche Fähigkeiten wir der NATO zur Verfügung stellen. Eine zentrale Verpflichtung ist die Gestellung der NATO-Speerspitze VJTF 2023. Dafür sollte das Heer eine voll ausgestattete Brigade aufstellen. Dafür reicht dieser Haushalt erneut nicht. Manchmal frage ich mich, was im Ministerium dem ein oder anderen durch den Kopf geht, was die Soldatinnen und Soldaten – Sie sagten es ja gerade –, die für unsere Freiheit in Frieden da sind, eigentlich denken müssen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir brauchen mehr Soldatinnen und Soldaten. Aber dieser Aufwuchs wird nur gelingen, auch in diesen Coronazeiten, wenn die Einsatzbereitschaft gewährleistet ist; denn nur Einsatzbereitschaft ist Attraktivität. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Alexander Neu, Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden. Wir verpflichten uns daher, bei der Festigung von Vertrauen und Sicherheit untereinander sowie bei der Förderung der Rüstungskontrolle und Abrüstung zusammenzuarbeiten. Diese Passage habe ich in der Charta von Paris entdeckt. In wenigen Wochen könnten wir 30 Jahre Charta von Paris feiern – könnten, wenn sie noch Substanz hätte. Aber Begriffe wie „Vertrauen“ oder „gemeinsame Sicherheit“ sind mittlerweile Fremdworte. Sie spielen in der politischen Debatte überhaupt keine Rolle mehr. Stattdessen: Aufkündigung bi- und multilateraler Abkommen in der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung, Stellvertreterkriege, Cyberkriege, Wirtschaftskriege, Propagandakriege und Großmanöver. Stattdessen: steigende Militärausgaben und massive Aufrüstungsprogramme. Sehr geehrte Damen und Herren, das Ergebnis 30 Jahre nach der Charta von Paris ist katastrophal. Der Westen als Sieger des Kalten Krieges hat gänzlich versagt. Das westliche Dominanzstreben stand und steht auf der Tagesordnung, ({0}) anstatt die UNO-Charta mit Leben zu füllen. Das ist ein Skandal. ({1}) Das erste Ergebnis sind doch die wachsenden Militärausgaben. Laut SIPRI wurden im Jahr 2019 weltweit 1,9 Billionen US-Dollar, also 1 917 Milliarden US-Dollar, alleine fürs Militär ausgegeben. Die NATO – 29 Staaten – hat davon 1 039 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Rund 54 Prozent der weltweiten Militärausgaben entfallen also auf die NATO. Die USA sind hier natürlich Spitzenreiter mit 732 Milliarden US-Dollar; das entspricht 38 Prozent der weltweiten Militärausgaben. 38 Prozent der weltweiten Militärausgaben entfallen also auf ein Land, auf die USA. ({2}) Deutschland wird mit dem vorgeschlagenen Bundeshaushalt 2021 nach NATO-Kriterien rund 52 Milliarden Euro fürs Militär ausgeben und hat damit erneut den Weltranglistenplatz 8 erklommen. ({3}) Russland lag 2019 dagegen bei 65 Milliarden Euro. Wenn man das vergleicht bzw. ins Verhältnis setzt – 1 039 Milliarden Euro auf der einen Seite durch die NATO, 65 Milliarden Euro auf der anderen Seite durch Russland –, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die NATO 16-mal mehr ausgibt als Russland, also nicht doppelt so viel, nicht viermal so viel, sondern 16-mal so viel. Ich denke, das bedarf keiner Kommentierung. ({4}) – Sie sollten sich die Sachen noch mal genau durchlesen. Sie sind offensichtlich kein Sicherheitspolitiker, sondern Außenpolitiker, ({5}) aber es würde auch Ihnen nicht schaden, wenn Sie sich mit den Zahlen vertraut machen würden. ({6}) Das zweite Ergebnis des globalen Dominanzstrebens sind die von den USA geführten Kriege zur Zerschlagung von Staaten an der Peripherie. Das „New York Times Magazine“ hat am 8. September 2020, also vor rund drei Wochen, über eine Studie der US-amerikanischen Brown University berichtet. Der Titel der Studie lautet „Kosten des Krieges“. Untersucht wurden lediglich acht Staaten, die durch US-Truppen „beglückt“ wurden. Ergebnis: mindestens 37 Millionen Flüchtlinge – Menschen, die auf der Flucht sind – aufgrund der von den USA geführten Kriege in der Region seit 2001. Sehr geehrte Damen und Herren, die Steuerzahler in Deutschland zahlen dementsprechend dreimal für das Dominanzstreben der westlichen Politik: erstens für die Aufrüstung an der Seite der USA, zweitens für die Kriege an der Seite der USA und drittens für die daraus resultierenden Kriegsflüchtlinge. – Ich finde, das ist absolut inakzeptabel, und wir werden uns als Linke auch immer wieder dagegen positionieren. ({7}) Die Linke fordert demgegenüber, die kostbaren Steuergelder in den ernsthaften Kampf gegen die wirklichen Bedrohungen der Menschheit und nicht gegen imaginierte Bedrohungen zu investieren, statt die Steuergelder für hochgefährliche militärische Abenteuer und Sandkastenspielchen zu missbrauchen. ({8}) Die wirklichen Bedrohungen sind Klima- und Umweltkatastrophen und daraus resultierende Armuts- und Hungerkatastrophen. Das und nicht irgendwelche Großmachtrivalitäten sind die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Grüne. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist wieder einmal die Gelegenheit, uns mit der Frage zu beschäftigen, was unsere Streitkräfte brauchen und was nicht. ({0}) Letztes Mal hatte ich hier berichtet, wie durch überteuerte und überflüssige Beraterverträge öffentliche Mittel verschwendet werden, wie an Recht und Gesetz vorbei Aufträge vergeben wurden und dadurch erheblicher Schaden entstand. Solche Berater brauchen unsere Streitkräfte nicht. ({1}) Ich hatte die Hoffnung, dass wir am Ende der Untersuchungen die Akten gemeinsam an die Staatsanwaltschaft zur strafrechtlichen Aufarbeitung senden würden. Inzwischen liegt der Abschlussbericht vor, aber ich sehe leider wenig Interesse daran, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Statt uns im sicherheitssensiblen Bereich von Beratungsfirmen wie Accenture oder McKinsey abhängig zu machen, sollten wir den Wettbewerb fördern, indem wir die Vergabestellen in ihrer Unabhängigkeit stärken, damit sie wirklich frei von politischer Einflussnahme entscheiden können, und wir sollten die Fähigkeiten der eigenen Leute innerhalb der Streitkräfte stärken, egal ob es darum geht, die eigenen Geräte zu reparieren oder eigene Softwarelösungen zu entwickeln. Soldatinnen und Soldaten sind oft kreativer, als die Strukturen es erlauben. ({2}) Auch bei den großen Beschaffungsprojekten wird immer noch zu sehr industriepolitisch und zu wenig sicherheitspolitisch gedacht. Es kann in einem vereinten Europa nicht sein, dass jetzt jeder wieder seine nationalen Industrieinteressen in den Vordergrund stellt. So kommen wir nie zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik. ({3}) Wir können die industriellen Fähigkeiten nicht weiter dadurch wirtschaftlich erhalten, dass wir Kriegswaffen an Despoten und Diktatoren in aller Welt verkaufen. ({4}) Ich denke dabei gerade an die U-Boote, die wir aktuell an die Türkei liefern, obwohl die mit ihrer Marine die EU-Außengrenzen im Mittelmeer bedroht und attackiert. Leider stehen viele potenzielle Käufer von U-Booten, Jagdflugzeugen und Kampfpanzern nur selten auf dem Boden von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und nicht selten bedrohen sie am Ende uns selbst bzw. den Weltfrieden. Deshalb müssen wir den Preis dieser Waffensysteme anders bewerten, nämlich sicherheitspolitisch. Die finanziellen Kosten werden wahrscheinlich höher, wenn wir aufhören, sie zu exportieren. Auf der anderen Seite ist der Preis am höchsten, wenn damit Konflikte eskaliert und Menschenrechte verletzt werden. ({5}) Die Herausforderung ist es, endlich europäisch zu entscheiden, wer welche Schlüsseltechnologie in Europa zur Verfügung stellen soll, und die Europäer dazu zu bringen, europäisch einzukaufen, wenn es um ihre Streitkräfte geht. Mit einer Rückkehr in die Kleinstaaterei wird Europa nur seine Bedeutungslosigkeit als globaler Akteur zementieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann gibt es noch die Waffensysteme, deren Preis nie bezahlt werden kann, Waffensysteme, die niemals dazu dienen können, europäische Staaten zu verteidigen, weil jeder potenzielle Einsatz denjenigen vernichtet, der angeblich verteidigt werden soll. Die atomare Aufrüstung auf russischer und amerikanischer Seite und das Ende der zentralen Rüstungskontrollabkommen sind eine einzige sicherheitspolitische Bedrohung für uns in Europa, ({6}) und zwar unabhängig davon, ob wir in Paris, in Warschau oder in Moskau wohnen. Atomwaffen in Büchel, die mit deutschen Flugzeugen zum Abwurf über Russland transportiert werden sollen, machen die Welt nicht sicherer, genauso wenig wie russische Atomraketen in Kaliningrad. ({7}) Wir brauchen dringend einen Neustart bei der nuklearen Abrüstung, und der Abzug der Atomwaffen aus Deutschland könnte ein Einstieg dazu sein. ({8}) Verbauen Sie diesen Weg jetzt also bloß nicht, indem Sie sich für den Kauf atomwaffenfähiger US-Kampfflugzeuge entscheiden! Investieren Sie nicht weiter in die nukleare Teilhabe! ({9}) Waffen, die man niemals einsetzen kann, ohne sich selbst zu vernichten, sind auch nicht zur Abschreckung geeignet. ({10}) Den zivilen Atomausstieg haben wir bald gemeinsam geschafft, mit dem entsprechenden politischen Willen schaffen wir den militärischen auch noch. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion, ist der nächste Redner. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, mit Spannung haben wir auf den Regierungsentwurf zum Einzelplan Verteidigung gewartet. Wir geben ihn jetzt in die parlamentarische Beratung, und so, wie ich einige Wortmeldungen verstanden habe, werden wir versuchen, ihn an der einen oder anderen Stelle noch zu verbessern. Im vergangenen Jahr, aber auch in den Debatten, wenn es um Mandatsverlängerungen ging, haben viele Kollegen hier über die fragile sicherheitspolitische Lage in der Welt und über die Hotspots gesprochen. Ich kann es kurz machen: Die Sicherheitslage in der Welt ist nicht besser geworden, ganz im Gegenteil. Die Coronapandemie wirkt gerade in schwächelnden Staaten wie ein Katalysator. Gerade auf internationaler Ebene sind die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die vorherrschenden Lebensverhältnisse teilweise verheerend. Umso wichtiger ist es, unsere nationalen Strukturen – dazu zähle ich ausdrücklich auch eine funktionsfähige und gut ausgerüstete Bundeswehr – zu stärken. Ich habe die Rede des Bundesfinanzministers gestern sehr aufmerksam verfolgt. Es irritiert mich schon sehr, dass Finanzminister Olaf Scholz in seiner fast 50-minütigen Rede zwar breite Ausführungen zur Stärkung der Wirtschaft, zum Klimaschutz, zum Klimawandel, zu unserer sozialen Verantwortung und zur Sicherung von Arbeitsplätzen gemacht hat – ja, das alles ist wichtig –, aber – das habe ich schon vermisst – kein einziges Wort zur Verantwortung Deutschlands im Bündnis und zur Stärkung unserer Streitkräfte verloren hat. ({0}) Ich glaube auch, über ein Lob, das hier ja mehrfach von Rednern ausgesprochen wurde, an unsere Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Pandemieeinsatz im Rahmen der Amtshilfe tatsächlich Hilfe leisten, hätten sich die Soldatinnen und Soldaten sicherlich gefreut. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den Vorstellungen des Kabinetts umfasst der Einzelplan 14 – wir hörten die Zahl schon – rund 46,8 Milliarden Euro und ist nach dem Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der zweitgrößte Einzelplan im Gesamthaushalt. Im Vergleich zum Vorjahr erkennen wir einen Aufwuchs um fast 1,2 Milliarden Euro, ein Plus, das sich als Bekenntnis zu unserer Bundeswehr, als Anerkennung für die Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interpretieren lässt. ({2}) Die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat für mehr geworben, und die CDU/CSU-Fraktion steht dabei ganz fest an ihrer Seite. Ich weiß, dass dieser Aufwuchs und die Forderung nach einem noch höheren Plafond nicht von jeder Fraktion in diesem Haus mitgetragen wird. Die Rufe nach Beendigung von Mandaten oder der deutlichen Verringerung des Verteidigungsetats kommen immer wieder von der rechten oder von der linken Seite des Plenums. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Argumente, die wir aus diesen Richtungen gehört haben, waren in den Debatten davor und sind auch in der heutigen Debatte die falschen Argumente. ({3}) Auch wenn die Begriffe „Ausrüstung“ und „Aufrüstung“ sich auf den ersten Blick nur in einem Buchstaben unterscheiden, liegen zwischen den Wortbedeutungen Welten. Wenn meine Fraktion für eine bessere Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten kämpft, hat das noch lange nichts mit einer Aufrüstung zu tun. ({4}) In unserem Koalitionsvertrag bekennen wir uns ausdrücklich zu den Vereinten Nationen und zur NATO. Auch wenn es zurzeit nicht immer leicht ist, pflegen wir, zumindest auf der Arbeitsebene, gute transatlantische Beziehungen und verstehen uns als Teil eines gemeinsamen Organismus namens Europa. Dass wir auf Arbeitsebene in der NATO so gut kommunizieren, liegt auch an der Parlamentarischen Versammlung der NATO. Ich möchte Professor Dr. Lamers, der in Videokonferenzen immer wieder hier die Verbindung hält, auch in Pandemiezeiten, einmal namentlich lobend erwähnen. ({5}) Viele kleine Bündnispartner schauen auf Deutschland und suchen in uns einen verlässlichen Anlehnungspartner. Das ist der Ansatz, mit dem wir gewährleisten können, dass auf dem gemeinsamen Fundament unserer Werte innerhalb der Bündnisse agiert werden kann. Das Bild und die Diskussion rund um die Bundeswehr waren in den letzten Monaten und auch hier in der Debatte geprägt von der Frage der materiellen Einsatzbereitschaft. Man kann und darf vor den bestehenden Ausrüstungsdefiziten nicht die Augen verschließen. Das tun auch wir nicht. Wir alle kennen die Gründe, die oftmals weit zurückliegen. Darüber haben wir mehrfach in diesem Hohen Haus diskutiert. Meine Damen und Herren, es gab schon einmal eine Zeit mit hohen Nettokreditaufnahmen, in der die Bundeswehr zum Sparschwein der Nation degradiert wurde. Das hatte verheerende Folgen, unter denen wir heute noch leiden. Deshalb darf sich dieser Fehler nicht wiederholen. ({6}) Wir müssen gerade jetzt aufpassen, dass durch Ausrüstungsdefizite keine Fähigkeitslücken entstehen. Meine Damen und Herren, im internationalen Bündnis setzen wir mit vielen gemeinsamen Rüstungsprojekten Wegmarken. Die deutsch-norwegische U-Boot-Kooperation – sie ist schon genannt worden – stellt einen Teil der Verteidigungsstrategie im Nord- und Ostseeraum dar. Ein Aspekt ist mir darüber hinaus besonders wichtig: Als einer, der aus Norddeutschland kommt und Berichterstatter der Marine ist, habe ich einen geschärften Blick auf die strauchelnde Werftindustrie. Unter- und Überwasserschiffbau sind Schlüsseltechnologien. Dazu zähle ich auch den Instandsetzungsbereich. Wenn wir jetzt nicht alles daransetzen, Auftragsvergaben zu beschleunigen und Vorhaben vorzuziehen, könnte am Ende der Krise die Werftenlandschaft derart am Boden liegen, dass diese Schlüsseltechnologien nur noch auf dem Papier bestehen, real aber nicht mehr existieren. Deshalb muss jetzt schnell gehandelt werden bei der Auftragsvergabe der Flottendienstboote, schnell gehandelt werden bei der Auftragsvergabe der Doppelhüllentanker. Auch der Bau der zusätzlichen fünf neuen Korvetten muss in diesem Raum ein Thema sein. Wir werden die kommenden Wochen bis zur zweiten und dritten Lesung, bis zur Beschlussfassung über diesen Haushalt tüchtig an genau diesen Punkten arbeiten. Die CDU/CSU-Fraktion ist dazu bereit und unser Koalitionspartner ganz sicher auch. Herzlichen Dank, Herr Präsident. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion die Kollegin Siemtje Möller. ({0})

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die schönsten Begegnungen für mich sind immer die mit den Angehörigen der Bundeswehr, sei es in der Heimat oder im Einsatz, ({0}) wenn sie von ihren Eindrücken, von ihren Erfolgen, von dem Glück der Gemeinschaft, der Kameradschaft berichten und davon, wie bereichernd bei aller Herausforderung – interkulturell, persönlich und beruflich – die Einsätze der Bundeswehr im Ausland sind. Aber auch von ihren Nöten und Sorgen erzählen sie; von den Engpässen bei Material, den zähen Beschaffungs- und Instandsetzungsprozessen, dem Rumschlagen mit feinstem Verwaltungsdeutsch und der Mühsal, die sich daraus ergibt. Viele Sorgen höre ich und zugleich von der unerschütterlichen Bindung an das Grundgesetz und die Bundesrepublik, der die Soldatinnen und Soldaten und auch die Zivilbeschäftigten treu zu dienen geschworen haben. Artikel 87a unseres Grundgesetzes legt fest: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Genau das ermöglichen wir mit dem vorgelegten Haushalt. Satte 46 Milliarden Euro wollen wir zur Verfügung stellen, um diesem Verfassungsgrundsatz nachzukommen. Ich finde das, genauso wie meine Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion, richtig; im Übrigen tragen wir das seit 2014 mit. Es ist richtig, weil es darum geht, dass wir die Menschen, die wir in die Einsätze schicken, die ihrer Treueverpflichtung nachkommen, die bereit sind, im Fall der Fälle ihre Haut zu riskieren und ihr Leben zu lassen, mit den notwendigen Ausrüstungen und dem notwendigen Material ausstatten. ({1}) Für diese staatliche Aufgabe, die sich aus der Verfassung ergibt – für die Sicherheit unseres Landes und auch für die Sicherheit der eingesetzten Kräfte zu sorgen –, Geld auszugeben, ist richtig und sinnvoll. Aber, sehr geehrte Frau Ministerin, das Geld, das wir Ihnen zur Verfügung stellen, will auch sinnvoll ausgegeben werden. Wenn die Einsatzbereitschaft von Material und Personal das Ziel ist – und nichts anderes besagt Artikel 87a Satz 1: „Der Bund stellt bewaffnete Streitkräfte zur Verfügung“ –, dann bedarf es dringender Verbesserungen im Bereich „Beschaffung und Instandhaltung“, um zur Gestellung ebenjener bewaffneter, einsatzbereiter Streitkräfte zu kommen: Streitkräfte, die sich nicht mit Kleinstbeschaffungen monatelang aufhalten müssen und schon beinahe bessere Verwaltungswirte denn bestens ausgebildete Soldaten sind, Streitkräfte, die nicht bibbern, wenn sie mal ihr Schiff an die Kette legen, und fürchten müssen, dass es jahrelang ausfällt, weil es vor Gericht Auseinandersetzungen gibt, Streitkräfte, die sich nicht per Learning by Doing ihre Waffensysteme selber erschließen, Streitkräfte, die sich am Ende darauf verlassen können, dass in allen Geschäftsbereichen Artikel 87a Satz 1 Grundgesetz oberstes Ziel ist. Wir erwarten deshalb, Frau Ministerin, dass Ihr Haus nicht taktiert, sondern die für die Beschaffung notwendigen 25-Millionen-Vorlagen auch liefert. So können wir im Haushalts- und Verteidigungsausschuss die Beschlüsse zum Wohle der Bundeswehr und zum Schutze der Soldatinnen und Soldaten auch treffen. ({2}) – Ich hab da eine ganze Reihe, Herr Kollege, und die kennen Sie. Ein weiterer Baustein davon ist, Teile der Wehrindustrie als Schlüsseltechnologie einzustufen und die regierungseigenen Strategiepapiere dann auch konsequent anzuwenden. Am Ende muss der nationalen Sicherheit mehr Gewicht beigemessen werden als dem dogmatischen Festhalten am europäischen Vergaberecht, das nirgends sonst als in der Bundesrepublik Deutschland Anwendung findet. ({3}) Natürlich umfasst der Schlüsseltechnologiebereich ebenso die Instandhaltung wie auch den Neubau. Unsere Bundeswehr muss sich darauf verlassen können, dass ihre Ausstattung, egal ob es PC, Uniform oder Mehrzweckkampfschiff ist, zügig beschafft wird und einwandfrei funktioniert. Schon bei der Verabschiedung des letzten Haushaltes war klar: Der Beschaffungsprozess ist so, wie er ist, viel zu langwierig, kostet unnötig Zeit, Geld und Nerven. Das dient weder unseren Soldatinnen und Soldaten noch unserer Sicherheit. Halten wir doch Moltke in Ehren, der sagte: Fester Entschluss und beharrliche Durchführung eines einfachen Gedankens führen am sichersten zum Ziel. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Möller. – Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Reinhard Brandl. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in echten Krisenzeiten. Die Coronakrise beschäftigt uns Tag für Tag: Sie beschäftigt jeden Einzelnen von uns persönlich. Sie beschäftigt uns in der Wirtschaft, und sie fordert die Gesundheits- und Sozialsysteme aller Länder weltweit heraus. Wir sind durch die erste Welle noch gut durchgekommen, aber die zweite Welle kommt, und mit der zweiten Welle kommt eine fulminante Wirtschaftskrise: minus 5,8 Prozent, prognostiziert für dieses Jahr. Damit verbunden ist auch eine Haushaltskrise. Wir diskutieren jetzt über einen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Es tut mir fast körperlich weh, für diesen Haushalt am Ende die Hand heben zu müssen, weil ich mal für eine schwarze Null angetreten bin. Meine Damen und Herren, ich weiß, das sind besondere Zeiten. Wir sind in einer Krise, und wir dürfen jetzt nicht sparen, sondern müssen gegen die Krise investieren. Aber die Zeiten der schwarzen Null müssen dringend wiederkommen, und dafür werde ich kämpfen. ({0}) Allein damit wären wir eigentlich schon gut beschäftigt. Aber wenn wir über den deutschen Tellerrand blicken, dann merken wir, dass um uns herum ganz viel passiert, das uns in viel größere Krisen stürzen könnte. Russland beispielsweise hält sich nicht mehr an Grenzen oder irgendwelche völkerrechtlichen Regeln. In Belarus taumelt ein Regime seinem Abgrund entgegen, mit ungewissem Ausgang. In Bergkarabach wird ein eingefrorener Konflikt plötzlich wieder ganz heiß. Mit Griechenland und der Türkei stehen sich plötzlich zwei NATO-Partner in einem sehr ernsten, fast bewaffneten Konflikt gegenüber. ({1}) Im Nahen und Mittleren Osten gibt es ein Riesenpulverfass – die Konflikte hier aufzuzählen, würde meine Redezeit sprengen –, und in Nordafrika droht eine Kettenreaktion an zerfallenden Staaten. Dazu kommen die systemische Herausforderung durch China und der ungewisse Weg unserer amerikanischen Partner, auch mit Blick auf die NATO. Wenn ich einen Strich darunter ziehe, meine Damen und Herren, kann ich sagen: Die Anzahl derer außerhalb Europas, die es gut mit uns meinen, ist überschaubar. ({2}) Aus diesem Grund tritt in dieser Zeit der vielen gleichzeitig auftretenden Krisen wieder eine Aufgabe des Staates in den Vordergrund, die wir lange Zeit etwas vernachlässigt haben, nämlich die Wahrung der äußeren Sicherheit unseres Landes. Das ist nicht nur Aufgabe der Bundeswehr. Nach mir spricht gleich der Entwicklungsminister; ({3}) auch er leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Wir haben die zweithöchsten Entwicklungsausgaben der Welt. Wir haben die Mittel massiv aufgestockt. Vorhin ging es um den Einzelplan des Außenministeriums; auch das Ministerium leistet einen Beitrag. Aber wer die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten wahren möchte, der muss in der Lage sein, sie im Ernstfall auch zu verteidigen. ({4}) Und die Verteidigung geschieht heute nicht mehr allein an Land, auf See oder in der Luft, lieber Ingo, sondern genauso im Cyberraum und auch im Weltraum. Meine Damen und Herren, jetzt bin ich beim Verteidigungshaushalt. Wir führen diese Diskussion ja nicht im luftleeren Raum, sondern in einer konkreten Bedrohungssituation für uns und unsere Bündnispartner. Wir haben gelernt: Der Verteidigungshaushalt wächst leicht auf. Wir kommen dem Ziel, dass wir uns glaubhaft verteidigen können, einen Schritt näher. Aber aus meiner Sicht reicht das bei Weitem noch nicht aus. Wir führen seit einigen Wochen ja wieder die Diskussion über einen Verschiebebahnhof: Sollen wir neue Flugzeuge kaufen? Nein, kommen vielleicht doch nicht. Nehmen wir dann lieber U-Boote oder Korvetten? Ah, doch lieber neue Panzer. Schwere Transporthubschrauber oder TLVS oder, wie es im Moment aussieht, keines von beiden? – Meine Damen und Herren, zu diesen Entscheidungen werden im Moment, bildlich gesprochen, die Planer im Bundesverteidigungsministerium vom Bundesfinanzminister gezwungen, weil die Decke im Haushalt zu kurz ist. Man kann sie hinlegen, wie man will: Mit einer kurzen Decke kann man vielleicht irgendwie einschlafen, aber man kann in keinem Fall ruhig schlafen. Weil der Kollege Lindner vorhin über die Priorisierung gesprochen hat: Es ist ja nicht so, dass die Bundeswehr in einem luftleeren Raum „Wünsch Dir was“ spielt. Vielmehr gibt es von der Bundesregierung und jetzt auch gemeinsam mit den europäischen Partnern eine Bedrohungsanalyse. Auf Basis dieser Bedrohungsanalyse gibt es eine Aufgabenverteilung im Bündnis. Es gibt Zusagen darüber, welche Rolle Deutschland hat, welche Aufgaben wir in der NATO übernehmen. Auf dieser Basis gibt es ein Fähigkeitsprofil, und auf dieser Basis gibt es eine Finanzplanung. Diese Finanzplanung sollte Grundlage für unsere Entscheidung im Haushalt sein. Meine Damen und Herren, seit 2015 haben wir es Jahr für Jahr geschafft, der Bundeswehr immer mehr Mittel zur Verfügung zu stellen und auch das, was sie braucht. Die Trendwenden beim Personal, bei den Finanzen, beim Material wirken. Sie kommen bei der Truppe an. Truppenbesuche laufen heute anders ab als 2014. Natürlich gibt es immer wieder etwas, das fehlt und das nicht in Ordnung ist. Aber das ehrliche Bemühen dieses Parlaments, der Truppe die notwendigen Mittel und das notwendige Material zur Verfügung zu stellen, ist in der Truppe und auch bei unseren Partnern angekommen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass diese Kurve nicht abknickt. Wir sind in einer Krisenzeit. Aber gerade in einer Krisenzeit müssen wir ganz besonders in Vorsorge und in Sicherheit investieren. Dazu leistet die Bundeswehr einen ganz wesentlichen Beitrag. Deswegen bitte ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir in der Krise auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt nicht an der falschen Stelle sparen. Die falsche Stelle wäre aus meiner Sicht die Sicherheit unseres Landes. Dies ist eine Kernaufgabe unseres Staates. Hier dürfen wir nicht sparen. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Reinhard Brandl. – Der letzte Redner zum Einzelplan 14 ist der Kollege Thomas Hitschler, SPD-Fraktion. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Auch wenn mich der Kollege Brandl gerade zum Entwicklungsminister gemacht hat: Ich spreche noch zum Verteidigungshaushalt. ({0}) Kolleginnen und Kollegen, mit der Einbringung des Verteidigungshaushalts setzen wir heute die Beratungen darüber fort, wie die Ausrichtung der Bundeswehr für die nächsten Jahre aussehen wird. Um auf diese Frage die richtigen Antworten geben zu können, brauchen wir nicht nur ein Verständnis für die Situation auf der weltpolitischen Bühne. Mindestens genauso wichtig ist, dass wir gemeinsam die direkten Belange unserer Soldatinnen und Soldaten fest im Blick haben. Die Männer und Frauen, die in der Truppe ihren Dienst für unsere Sicherheit leisten, sind das Herzstück der Bundeswehr. Sie sind die wichtigste, die zentrale Ressource unserer Streitkräfte. ({1}) Damit die Bundeswehr ihre Aufträge und Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllen kann, muss genau dieses Herzstück voll ausgestattet sein. Das gilt gerade für den Bereich der persönlichen Ausrüstung. Deshalb haben wir gemeinsam im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir den Männern und Frauen in der Bundeswehr die bestmögliche persönliche Ausstattung zur Verfügung stellen werden. Das ist unsere Verantwortung. Und dieser Verantwortung kommen wir als Deutscher Bundestag nach. Wir haben hier im Haus Änderungen beschlossen, damit schneller und einfacher beschafft werden kann. Jetzt geht es im Haushalt 2021 darum, dafür zu sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten ihre persönliche Ausrüstung möglichst schnell und in ausreichender Menge bekommen. Das Parlament macht also seine Aufgaben. Und Sie, Frau Ministerin, können da gerne noch eine Schippe drauflegen. Sorgen Sie dafür, dass die persönliche Ausrüstung endlich bei der Truppe ankommt, und erfüllen Sie so unseren gemeinsamen Koalitionsvertrag! Es kann nicht sein, dass es unseren Soldatinnen und Soldaten am Nötigsten wie Schutzwesten, Helmen, Stiefeln und Rucksäcken fehlt. Ankündigungen allein reichen uns hier nicht mehr aus. Wir alle gemeinsam wollen endlich Ergebnisse sehen, Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Zur Frage der Ausstattung kommt die der Modernisierung der Infrastruktur der Bundeswehr hinzu. Baumaßnahmen sind langwierige Prozesse, die viel Planbarkeit erfordern. Diese Planbarkeit ist nicht nur für die Bundeswehr wichtig. Auch die Länder, die in ihren Baubehörden das dafür benötigte Personal einzuplanen haben, müssen wissen, woran sie sind. Dafür braucht es langfristig gesicherte Planungslinien. Deshalb werden wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Mittel für Infrastruktur im Etat verstetigt bleiben. Die letzten Jahre waren dafür beispielgebend. Jetzt brauchen wir gemeinsam einen langen Atem, um die Infrastruktur so zu gestalten, wie es unsere Truppe braucht, Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Abschließend noch ein Punkt, den ich von der Truppe mitgenommen habe: Die Auswahlkonferenzen zur Berufssoldatin und zum Berufssoldaten in der Laufbahn der Unteroffiziere wurden in diesem Jahr aufgrund der Coronapandemie durch das BMVg ausgesetzt. Davon betroffen sind etwa 7 000 Soldatinnen und Soldaten. Für rund 300 Männer und Frauen reicht die verbleibende Dienstzeit nicht aus, um sich nächstes Jahr erneut zu bewerben. Wird diesen Soldatinnen und Soldaten nicht rasch ein alternatives Angebot gemacht, gehen diese gut ausgebildeten Kräfte für die Bundeswehr verloren. Es kann nicht in Ihrem Interesse sein, Frau Ministerin, dass wir gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels diese wichtigen Menschen verlieren. Unteroffiziere bilden das Rückgrat unserer Bundeswehr. Auf ihre Fähigkeiten können wir nicht verzichten; das hat auch dieses Coronajahr in besonderer Weise gezeigt. Dass die Auswahlkonferenzen ohne einen alternativen Lösungsansatz ausgesetzt wurden, hat gerade für diesen Personenkreis eine verheerende Signalwirkung. Wir dürfen diejenigen Soldatinnen und Soldaten, die bereits seit mehreren Jahren ihren Dienst in der Truppe leisten, nicht hängen lassen. Deshalb erwarte ich von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie in dieser Frage Ihrer Fürsorgepflicht nachkommen und für die Betroffenen schnellstmöglich eine Lösung finden. Ein Großteil der Truppe schaut darauf. Lassen Sie diese Männer und Frauen nicht im Stich! ({4}) Kolleginnen und Kollegen, die Angehörigen der Bundeswehr zählen darauf, dass wir uns als Bundestag um sie kümmern. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass sich das weiterhin auch im Haushalt abbildet. Vielen Dank. ({5})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland erfüllt im Jahr 2020 aller Voraussicht nach zum ersten Mal die jahrelang angestrebte 0,7-Prozent-ODA-Quote. ({0}) Darauf dürfen wir Entwicklungspolitiker ein Stück weit stolz sein. ({1}) Dankbar bin ich vor allem der Kanzlerin und den Finanzministern, also Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz. Olaf Scholz hat Wort gehalten: Deutschland ist das einzige Land in der Europäischen Union, das mit einem Corona-Sofortprogramm in Höhe von 3 Milliarden Euro auf diese Herausforderung reagiert hat. Ich danke meinem Kollegen Sascha Raabe von der SPD-Fraktion ganz besonders, aber auch Ecki Rehberg, dem Sprecher im Haushaltsausschuss, und der CDU/CSU-Fraktion, dass dies gelungen ist. ({2}) Wir Entwicklungspolitiker haben es nicht immer so ganz leicht. ({3}) Aber es ist doch schön: Wir denken nicht nur an uns – das ist das Zeichen Deutschlands an Europa, an Brüssel –, sondern auch an die Entwicklungsländer, die sich durch die Coronakrise in schwierigster Notlage befinden. Gestern fand ein informelles EZ-Ministerratstreffen mit David Beasley statt, der uns dazu berichtet hat. Längst ist die Coronapandemie in diesen Ländern zu einer Wirtschafts-, Hunger- und Armutskrise mit dramatischen Ausmaßen geworden. Der Haushalt des BMZ hat sich seit 2013 verdoppelt. Auch das ist ein starkes Signal Deutschlands, Herr Kekeritz. Wenn auch die Amerikaner diesen Weg gehen würden, könnten wir viele Krisenregionen der Welt anders bedienen. Die Notlagen sind groß. Deshalb können wir nicht akzeptieren, dass die Hilfen gekürzt werden, wie jetzt beispielsweise im Jemen. Ich sage das ganz bewusst. Erinnern wir uns, was dort vor fünf Jahren passiert ist, und jetzt werden die Hilfszusagen, zum Beispiel die Nahrungsmittelunterstützung, für den Jemen um 30 Prozent gekürzt. Warum? Weil die Gelder nicht da sind. Wir könnten – das vorausblickend – mit einem UN-Nothilfefonds von 10 Milliarden Euro weltweit den Tod durch Hunger und fehlende Medikamente verhindern. Warum tun wir das nicht? ({4}) Ich höre und sehe, wie die Milliarden hin- und hergeschoben werden. Hier geht es um 10 Milliarden Euro, aber zugleich um Leben und Tod. Das System der internationalen Hilfe muss verändert, muss reformiert werden. Ich bin der Meinung, dass das System umgestellt werden muss, weg von der Krisenintervention – es kann nicht sein, dass erst gestorben werden muss, dass wir erst die Kinder an den Stränden liegen sehen müssen –, hin zu einer Krisenprävention. Es gilt, vorsorgend zu investieren. Jetzt zu handeln, ist viel vernünftiger, als zu warten. Die Folgen der Krisen werden zur Destabilisierung von Staaten führen – die Verteidigungsministerin ist weg –; es geht hier um den vernetzten Ansatz. Dann können wir vonseiten der Verteidigung, also mit der Bundeswehr, nach Mali, in die Sahelzone. Diese Krisen führen jetzt zur Destabilisierung ganzer Staatenregionen. Bürgerkriege, Elend und Fluchtbewegungen werden die Konsequenz sein. Durch Corona werden derzeit 100 Millionen Menschen in absolute Armut zurückgeworfen. Absolute Armut heißt: Ich wache in der Früh auf und weiß nicht, wovon ich leben soll oder was die Kinder zu essen bekommen. – In den Entwicklungsländern sterben Menschen an Hunger, an fehlenden Medikamenten und Impfungen. Die UN schätzt, dass dieses Jahr 1 Million Menschen zusätzlich an Malaria, HIV, Tuberkulose sterben werden. Warum? Weil die Impfprogramme ausgesetzt sind, weil die Medikamente fehlen, meine Damen und Herren. Das sind die dramatischen Folgen dieser Coronapandemie in Afrika, aber auch in Lateinamerika. Wir müssen helfen! Die Coronakrise erfordert Soforthilfen. Und dazu gehört auch – darüber werden wir diskutieren – ein Schuldenerlass für die Ärmsten mit klaren Vorgaben und Reformen. ({5}) Die Kanzlerin hat kürzlich bei der UN gesagt, dass die Impfstoffe weltweit zugänglich sein müssen, so sie vorhanden sind. Ich begrüße dies außerordentlich. Die Kanzlerin hat 100 Millionen Euro für den Kauf von Impfdosen für Entwicklungsländer bereitgestellt. Das ist Solidarität aus Deutschland. ({6}) Ich spreche von der Solidarität aus Deutschland. Aber wo bleibt die Solidarität der Europäischen Union? Ich habe es gestern mit klaren Worten gesagt: Die EU muss sich wesentlich stärker engagieren. Wir dürfen nicht nur auf uns selber schauen. 2 000 Milliarden Euro – das ist eine große Zahl mit vielen Nullen – umfassen die Hilfs- und Stabilisierungsprogramme der Europäischen Union für die 27 Staaten nach innen. Die Reichen für die Reichen, gut so. Aber gleichzeitig – Sie hören richtig – kürzt die Europäische Union den Haushaltsansatz für die nächsten sieben Jahre in der Kategorie „Entwicklung, humanitäre Hilfe, Afrikapolitik, Fluchtursachenbekämpfung“. Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren. Diese Haushaltskürzungen müssen vom Europäischen Parlament korrigiert werden! ({7}) Gleichzeitig legt die Kommission die neuen Vorschläge zur Migration und zum Asylsystem vor. Was fehlt, ist eine europäische Komponente zur Stärkung der Hilfen zur Fluchtursachenbekämpfung. Wir können nicht nur in Frontex investieren. Wir müssen auch dort investieren, von wo aus sich die Menschen aus Not und Elend und Hunger auf den Weg machen. ({8}) Wir wissen, was zu tun ist; aber es fehlt weltweit an Entschlossenheit. Bei der Umsetzung der SDG-Agenda hängen wir weit zurück. Bei der Erfüllung des Pariser Klimaabkommens sind nur zwölf Staaten auf Kurs. Nur zwölf Staaten erfüllen das, was sie umsetzen sollten, unter anderem bei der Verwirklichung – ich sage das heute bewusst – der Biodiversitätskonvention zur Verhinderung eines globalen Artensterbens. Wir alle stehen zur Einhaltung von Menschenrechten und zum Verbot von Kinderarbeit. Seit 70 Jahren gibt es die UN-Konvention, und trotzdem schuften auch heute 25 Millionen Kinder in Steinbrüchen, auf Plantagen, in der Textilwirtschaft. Sie werden weltweit ausgebeutet von Konzernen, die international tätig sind, auch hier in Deutschland. Freiwilligkeit führt hier auch nach 75 Jahren nicht zum Ziel. ({9}) Es ist deshalb höchste Zeit, jetzt ein Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen. ({10}) Hubertus Heil, dem ich sehr dankbar bin, und ich haben die Eckpunkte erarbeitet und mit einer Mittelstandskomponente versehen. Wir wollen Handwerkern und Mittelständlern die Angst nehmen, die zum Teil bewusst geschürt wird, dass sie die gesetzlichen Vorgaben eines Sorgfaltspflichtengesetzes nicht umsetzen könnten. Ich sage Ihnen: Wer jetzt noch sagt, das gehe nicht, der will ganz einfach nicht. ({11}) Und es geht. Ich habe heute ein Hemd mit dem Grünen Knopf angezogen. Dieses Hemd wurde in Bangladesch produziert. Ich habe die Firma von Lidl, die diese Standards vor Ort umsetzt, besucht. Bangladesch ist nicht aus der Welt; da gibt es Computer, Telefone, und man kann hinreisen. So habe ich mir die Firma angeschaut. Dieses Hemd ist nach bestimmten Standards produziert. Frauen und Männer bekommen einen vernünftigen Lohn, von dem sie leben können, ({12}) der existenzsichernd ist. Sie bekommen den gleichen Lohn. Die Lohnlisten sind ausgehängt. Es gibt eine Beschwerdebox. Es gibt soziale und ökologische Standards. Nun sagt der zuständige Branchenverband: Das geht nicht. Ein Hemd hat 140 Arbeitsschritte. Wie soll das mit der Zertifizierung gehen? – Hier steht der lebende Beweis; dieses Lidl-Hemd beweist es. Das zweite Argument ist: Das können wir nicht finanzieren. Das ist zu teuer. – Dieses Hemd kostet 11,98 Euro und schaut doch gut aus. ({13}) Das ist der Beweis für all diejenigen, die das Lieferketten- und das Sorgfaltspflichtengesetz madig machen. Es geht für Kleine und für Große. Wer sagt, das gehe nicht, der will nicht. Das ist eine ganz klare Aussage. ({14}) Es gibt einen weltweiten Trend zur Nachhaltigkeit. Die Wirtschaft weiß, dass die ESG-Kriterien – Umwelt, Soziales, Unternehmensverantwortung – im internationalen Maßstab längst Basis für Investoren sind. Das wird auch die Zukunft sein. Global tätige Firmen bekommen kein Geld mehr von Investoren, von Anlegern, wenn sie diese grundlegenden Standards nicht erfüllen. „Made in Germany“ steht für höchste Qualität und sollte und muss auch für eine globale Verantwortungsethik von Politik und Wirtschaft stehen. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Minister. – Der nächste Redner für die AfD-Fraktion ist der Kollege Volker Münz. ({0})

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Kanzler des geeinten Deutschlands, Otto von Bismarck, beschrieb die Politik einmal als Kunst des Möglichen. ({0}) Leider ist diese Maxime bei der Bundesregierung seit Jahren völlig aus dem Blick geraten. Dies zeigt sich bei der sogenannten Energiewende, der Bekämpfung des Klimawandels, bei der Einwanderung und bei vielem mehr. Die Politik der Bundesregierung ist geprägt von Wunschträumen und Utopien, meine Damen und Herren. ({1}) Ganz besonders deutlich wird die Abkehr von der Realpolitik an der Politik von Entwicklungsminister Müller und seinem Ministerium. Da heißt es in den Erläuterungen zum Haushalt: Die deutsche Entwicklungspolitik befasst sich mit den zentralen Überlebens- und Zukunftsfragen der Menschheit. Die Deutschen wollen den Euro retten, die Flüchtlinge, das Klima und jetzt die ganze Menschheit. ({2}) Staatliche Hypermoral ist auch eine Form nationaler Überheblichkeit, meine Damen und Herren. ({3}) Rupert Neudeck, der Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, sagte: Die westliche Entwicklungspolitik ist gescheitert. Ihr Geld versickert ohne Wirkung. Häufig hat das Geld der Entwicklung sogar geschadet, weil es die Eigeninitiative lähmt. Helfen kann sich die Dritte Welt nur selbst, mit Unterstützung der Wirtschaft. – So weit Rupert Neudeck. ({4}) Solange in den Entwicklungsländern Korruption, Misswirtschaft, Bürgerkriege nicht beendet werden und das enorme Bevölkerungswachstum nicht deutlich reduziert wird, wird sich nicht viel zum Guten ändern. ({5}) Nach wie vor werden deutsche Steuermittel wie mit einer Gießkanne an Hunderte von Trägern für Tausende Projekte in rund 100 Ländern ausgeschüttet. Dies ist überhaupt nicht zu kontrollieren. Der Herr Minister sprach schon vor einigen Jahren von einem Paradigmenwechsel. Aber noch hat sich nichts Wesentliches geändert. Wir sollten uns auf das Machbare konzentrieren, meine Damen und Herren. ({6}) Wir brauchen eine Konzentration auf gezielte Projekte in wenigen Ländern. Die Entwicklungszusammenarbeit setzt Vertrauen, Kooperationsbereitschaft – auch bei der Rücknahme von eigenen Landsleuten – und Vertragstreue voraus. Wenn diese Bedingungen nicht eingehalten werden, müssen wir konsequent unsere Mittel streichen. ({7}) Wohlgemerkt: Dies gilt nicht für Nothilfemaßnahmen. Bei der Entwicklungszusammenarbeit sind auch die Interessen unseres Landes zu berücksichtigen, meine Damen und Herren. Wir sollten verstärkt die wirtschaftliche Zusammenarbeit gemeinsam mit deutschen Unternehmen fördern. Nur die Schaffung von Produktion in den Entwicklungsländern bewirkt eine nachhaltige Verbesserung der Lebensperspektiven und trägt zur Reduzierung der Migrationsbewegungen bei. Nun soll der Etat des Entwicklungsministeriums für 2021 um sage und schreibe 3 Milliarden Euro gegenüber der bisherigen Finanzplanung auf 12,4 Milliarden Euro aufgestockt werden. ({8}) Diese Erhöhung ist schuldenfinanziert und nur möglich, weil abermals die Schuldenbremse durch Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation gemäß Artikel 115 Grundgesetz wegen Corona aufgehoben werden soll. ({9}) Der Feststellung einer Notsituation werden wir auch diesmal nicht zustimmen. ({10}) Abgesehen davon, dass das Coronavirus kein Freibrief für ein grenzenloses Schuldenmachen von 315 Milliarden Euro innerhalb von zwei Jahren sein darf, rechtfertigt die Feststellung einer Notsituation und einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gemäß Grundgesetz keine schuldenfinanzierten Mehrausgaben im Ausland. Wir halten das für verfassungsrechtlich unzulässig, meine Damen und Herren. ({11}) Im Haushalt des BMZ gibt es jede Menge Einsparmöglichkeiten. Es ist doch seit Langem bekannt – mein Kollege hat es hier ja schon öfter gesagt –, dass es eine Vielzahl von fragwürdigen Projekten oder ineffizienten Mittelverwendungen gibt, ({12}) beispielsweise gendersensible Männerarbeit in Nicaragua oder Förderung von Solardächern auf Moscheen in Marokko. ({13}) – Sie lachen; aber das ist doch die Wahrheit. ({14}) Wir brauchen eine Politik – und zwar nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit –, die sich im Sinne Bismarcks am Möglichen und an einer sparsamen Haushaltsführung orientiert und nicht Wunschträumen anhängt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Sonja Amalie Steffen, SPD-Fraktion. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe 2013 meine Arbeit als Berichterstatterin der SPD-Fraktion für den Haushalt der Entwicklungszusammenarbeit übernommen. Damals lag der Etat bei knapp 6,3 Milliarden Euro. Jetzt, sieben Jahre später, hat sich der Etat um 6 Milliarden Euro erhöht. ({0}) Der Entwurf 2021 sieht in der Tat 12,4 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit vor. Das ist mehr als jemals zuvor. Wir wollen es hier einmal festhalten: Seitdem die SPD wieder mitregiert, seit 2013 also, haben wir den Etat für die Entwicklungszusammenarbeit verdoppelt. Und das kann sich sehen lassen. ({1}) Ich betone das hier ausdrücklich, weil es wirklich das Verdienst der SPD-Bundestagsfraktion ist. ({2}) Es ist zwar verständlich, Herr Minister, dass Sie sich dafür feiern lassen wollen – das ist auch durchaus berechtigt –; aber der abknickende Finanzplan für die nächsten fünf Jahre zeigt: In der Regierung hat das Thema Entwicklungszusammenarbeit keine gute Vertretung. Ohne den Druck aus dem Parlament würde es hier ganz anders aussehen. ({3}) Neben meinen Kolleginnen und Kollegen – ich nenne jetzt mal stellvertretend Gabi Weber, Sascha Raabe und Rolf Mützenich, aber auch meine Kollegen von der Union Carsten Körber und Volkmar Klein –, die sich schon immer mit Nachdruck für einen höheren Etat eingesetzt haben, ({4}) sind es auch große Namen, die schon fast in Vergessenheit geraten sind, die sich in den letzten Jahren für diesen Etat sehr stark eingesetzt haben. Ich muss es hier einmal ganz klar sagen: Ohne Andrea Nahles und ohne Sigmar Gabriel würden wir heute über eine deutlich geringere Summe reden. ({5}) Aber nicht nur die Summe zeigt, dass wir es hier mit einem richtigen Parlamentsetat zu tun haben. Auch die Schwerpunkte zeigen, wie wichtig wir alle – fast alle; rechts außen natürlich nicht – diesen Einzelplan nehmen: Wir haben in den letzten Jahren die deutschen Beiträge für die multilateralen Institutionen erheblich gestärkt. Wir haben die globale Gesundheit schon vor der Pandemie in den Fokus gestellt. Wir haben dafür gesorgt, ({6}) dass mit den Sonderinitiativen – ich muss es so sagen, Herr Minister – kein Schattenhaushalt des Ministeriums entstanden ist. Und wir haben dafür gesorgt, dass besonders Mädchen und Frauen in den Fokus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit rücken. ({7}) Hier möchte ich noch etwas weiter ausholen; denn wir haben aktuell in der Tat viel zu verlieren; der Minister hat vorhin auch schon darauf hingewiesen. Ich möchte es mal ganz konkret machen: Lassen Sie uns an ein Mädchen in einem der LDC, der ärmsten Länder der Welt, denken – ein Mädchen, das durch Krieg, durch die humanitäre Lage, durch den Klimawandel viel verloren hat, ein Mädchen, das wenig Chancen hatte, ein Mädchen, das aber das Glück hatte, durch die gemeinsame Hilfe der Weltgemeinschaft eine Perspektive zu haben. Es wurde durch das World Food Programme ernährt. Es wurde durch die Impfallianz GAVI, GFATM und GPEI zumindest mit den notwendigen Impfungen versehen. Es wurde durch GPE mit einer Grundbildung versorgt. UNICEF hat aufgepasst, dass es eine richtige Kindheit haben konnte und nicht arbeiten musste. Und UN Woman sorgt dafür, dass es auch als Frau einen Platz in der Gesellschaft finden kann. ({8}) Meine Damen und Herren, dank der politischen Stiftungen, dank der Kirchen und dank der privaten Träger sieht sie für ihre Gesellschaft eine Zukunft. Aber all diese Errungenschaften stehen für das Mädchen jetzt auf dem Spiel. Eine Pandemie, die die globalisierte Welt in diesem Ausmaß noch nicht erlebt hat, sorgt dafür, dass diese ganzen Hilfen das Mädchen zukünftig vielleicht nicht mehr erreichen. Und während ihre Altersgenossen in besser entwickelten Staaten wie zum Beispiel bei uns in Deutschland über das Internet weiter unterrichtet werden konnten und wieder die Schulen besuchen können, wird sie die Schule vielleicht nie wieder besuchen. Ihre Eltern haben ihren Job verloren, es gibt keine soziale Sicherung, von Kurzarbeit erst gar nicht zu reden. Da kommt die Mitgift im Übrigen sehr gelegen, und sie wird oft trotz ihres jungen Alters zwangsverheiratet. Das ist die traurige Realität, und deswegen dürfen wir uns heute nicht zufrieden auf die Schultern klopfen, dass wir trotz schlechter wirtschaftlicher Lage den Etat halten konnten. Wir müssen mehr leisten. Der Weg, den manche Staaten, ganz besonders die USA, an dieser Stelle gehen, ist fatal. Es ist unsere Aufgabe als Menschen, hier noch mehr zu leisten. ({9}) Deswegen verstehe ich nicht, warum das Ministerium in seinem Entwurf des Einzelplans, über den wir heute beraten, die Mittel für genau die multilateralen Hilfen absenken will, über die ich vorhin gesprochen habe. ({10}) Damit werden wir der internationalen humanitären Verantwortung nicht gerecht. Hier werden wir, das Parlament, noch einiges zu ändern haben. ({11}) Ich bin überzeugt, dass der Entwurf des Ministeriums das Parlament nicht so verlassen wird, wie er eingebracht wurde. ({12}) Genau dafür werde ich mich einsetzen. Weil mir noch ein bisschen Zeit bleibt, möchte ich noch kurz etwas zum Lieferkettengesetz sagen. ({13}) Ich habe mich heute Morgen in der Generaldebatte wirklich ausdrücklich darüber gefreut, dass Herr Dobrindt in seiner Rede gesagt hat, dass es ein verbindliches Lieferkettengesetz geben wird. Da haben wir alle applaudiert, ({14}) und wir verlassen uns darauf. Wir verlassen uns auf die Union, dass es bis zum Ende der Legislaturperiode noch dazu kommen wird. ({15}) Ich freue mich jetzt auf die Beratungen im Ausschuss. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen. – Der nächste Redner: Michael Georg Link, FDP-Fraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, es ist schon eine Chuzpe, dass Sie die 0,7 Prozent hier so deutlich herausheben. Man kann ja darüber streiten, ob diese 0,7 Prozent überhaupt so sinnvoll sind. Wir haben als Fraktion diese Fixierung auf Prozentzahlen, diese quantitative Fixierung anstelle einer qualitativen, immer kritisch gesehen. Aber das jetzt angesichts der schlechten Wirtschaftszahlen herauszuheben, ist schon ziemlich frech. ({0}) Natürlich freuen wir uns, wenn Deutschland entsprechend seiner Verantwortung mehr tut. Wir müssen doch aber gleichzeitig fragen: Wofür geben wir das Geld aus? Deshalb werden wir als Opposition, als FDP-Fraktion sehr genau hinschauen, wofür zum Beispiel die 1,5 Milliarden Euro, die das BMZ letztes Jahr im Nachtragshaushalt erhalten hat, genau ausgegeben werden. Im Ausschuss wurden uns gegenüber ziemlich große Ausflüchte gemacht, wofür es genau eingesetzt wird; das wurde alles nur sehr allgemein beziffert. Das kann so nicht sein. Deshalb werden wir da sehr genau hinschauen. ({1}) Uns ärgert auch sehr – insbesondere als Haushälter, aber auch als Fachpolitiker –, dass all das, was im Haushaltsverfahren gemacht wurde, vom Ministerium wieder einkassiert wurde. Die entsprechenden Punkte, an denen wir gemeinsam gearbeitet haben, müssen wir bzw. diejenigen, die sie beantragt haben, offensichtlich wieder neu beantragen. Und wir werden natürlich auch bei den Sonderinitiativen sehr genau hinschauen. Kollegin Steffen hat zu Recht darauf hingewiesen: Da gibt es durchaus offene Fragen, die die verschiedenen Fraktionen sehen. Das bleibt für uns weiterhin ein Ärgernis. Ich bleibe dabei: Bei keinem anderen Haushalt würde es sich der Haushaltsausschuss gefallen lassen, dem Minister mehr oder weniger 10 Prozent des gesamten Etats im Prinzip zur freien Verfügung zu geben. Grotesk ist am Haushaltsentwurf allerdings, wenn Sie, Herr Minister, in einer globalen Gesundheitskrise nach dem nennenswerten Aufwuchs im Nachtragshaushalt 2020 bei der multilateralen Zusammenarbeit jetzt dort kürzen, wo in der Tat die international koordinierte Antwort auf die Folgen der Pandemie nötig wäre: minus 20 Millionen Euro für UNICEF, minus 25 Millionen Euro für die Globale Bildungspartnerschaft ({2}) – so steht es schwarz auf weiß da drin –, minus 30 Millionen Euro für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen – ich bin gespannt auf die Haushaltsberatungen und ob Sie diesmal im Ausschuss auf Fragen antworten –, minus 200 Millionen Euro für die Programme der Weltbank; stattdessen Aufwüchse von 650 Millionen Euro für die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit. Das wird dem deutschen Anspruch auch hinsichtlich internationaler Verantwortung nicht gerecht. ({3}) Um es ganz klar zu sagen: Das ist keine Kritik an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von BMZ, GIZ oder KfW. Denen möchte ich im Namen meiner Fraktion ausdrücklich einen Dank dafür aussprechen, dass sie auch unter diesen sehr schwierigen Umständen ihre wichtige Arbeit fortsetzen. Das ist vielmehr eine Kritik an dem Multilateralismus, den die Bundesregierung nach außen lobt, aber dann eben nicht lebt. Herr Minister, Sie fördern mit Ihrem Haushalt für 2021 mit der großen Gießkanne bilaterale Projekte, die nicht nachhaltig abgesichert sind; denn ab 2021 sackt der Haushalt des BMZ, der Plafond, um 25 Prozent ab. Auch sind die Projekte weder international noch – das ist uns besonders wichtig – mit unseren EU-Partnern koordiniert. In solcher Art von bilateralem Großeinsatz wird das Geld am Ende ohne Wirkung versickern. Aber im Hinblick auf die europäische Einbettung der Entwicklungszusammenarbeit – das wäre der entscheidende Punkt – wird leider sehr wenig gemacht; mein Kollege Olaf in der Beek wird noch einige wichtige Punkte dazu nennen. Ich will nur eins sagen: Sie sind zurzeit ein Meister darin – auch heute wieder –, die EU zu kritisieren; aber gleichzeitig haben Sie doch zurzeit ({4}) gemeinsam mit Herrn Borrell die Ratspräsidentschaft im Entwicklungsministerrat inne. ({5}) Gestern hat der Rat getagt. ({6}) Sie sagen: Die EU soll mehr Solidarität zeigen. – Die EU sind Sie selbst, das ist kein abstraktes Brüssel. ({7}) Da bräuchten wir tatsächlich mehr Abstimmung. ({8}) Aber wo tun Sie es? Tun Sie es bei der Länderliste, die Sie jetzt reduzieren? Sie reduzieren ja die Aktivitäten – übrigens zum großen Schrecken der Kirchen, der politischen Stiftungen und vieler anderer –, bei denen Sie weltweit auftreten. Es ist zunächst einmal immer sinnvoll, wenn man Dinge auf den Prüfstand stellt. Es ist vielleicht auch sinnvoll, dass man sich auf etwas konzentriert; aber wichtig wäre natürlich, dass dieser Konzentrationsprozess innerhalb der Bundesregierung – Auswärtiges Amt, andere Häuser – und vor allem mit den wichtigen Mittlern und Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit abgestimmt ist, also Kirchen, NGOs, Stiftungen. Klar, es wird ihnen mitgeteilt; aber gemeinsam erarbeitet ist dieses Konzept nicht. Deshalb ist es für mich ein Alarmzeichen, wenn sich das BMZ weitgehend komplett aus Lateinamerika zurückzieht oder zum Beispiel – das ist auch geplant – aus Südosteuropa oder dem Kaukasus – da war doch was; gerade jetzt gibt es wieder Konflikte im Südkaukasus – oder von der indirekten Tätigkeit, die Sie noch in Belarus und in der Ukraine ausüben. Ist es klug, sich aus all diesen Dingen zurückziehen zu wollen? Ist das abgestimmt? Ich glaube, nicht. ({9}) Also, uns fehlt sowohl die Abstimmung mit den anderen Ministerien, die in diesem Bereich tätig sind, als auch mit den EU-Partnern; denken Sie mal an die Schweden, die Norweger, natürlich auch die Franzosen oder auch kleine, aber feine Länder wie Österreich oder die Schweiz, die eine ganz wichtige Arbeit machen. Diese Abstimmung fehlt uns weitgehend, und da bleiben Sie weit unter den Möglichkeiten dessen, was wir eigentlich machen könnten. ({10}) Uns stehen spannende Haushaltsberatungen bevor, wir freuen uns darauf, und wir hoffen sehr, dass diesmal auch Anregungen aus dem Parlament so aufgenommen werden, wie es sich gehört, nämlich mit offenen Ohren, und dass diese hinterher tatsächlich auch umgesetzt werden. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Link. – Der nächste Redner ist der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben heute wieder so toll gesprochen; ich habe kurz überlegt, ob ich meine Redezeit abgebe, ({0}) aber habe mich dann doch anders entschieden und gedacht: Auf eine Sache möchte ich noch mal verstärkt hinweisen. Sie haben die Problemlagen schon ganz gut umrissen und angesprochen. Wir sprechen derzeit von fast 80 Millionen Flüchtlingen weltweit. 80 Millionen, das ist erst mal eine Zahl, die im Raum steht. Man muss sich vergegenwärtigen: Das sind fast so viele Menschen, so viele Schicksale, wie es in Deutschland Einwohnerinnen und Einwohner gibt. Da sind alle Altersklassen dabei: Männer, Frauen, Alte, Kranke, Kinder, Babys. Wir wissen ganz genau, warum diese Menschen fliehen. Sie fliehen vor Armut, vor Not, Kriegen, Vertreibungen, Naturkatastrophen, Perspektivlosigkeit. ({1}) Wir wissen auch, von wo sie fliehen. Herr Minister – Sie hatten das auch schon angesprochen –, wir wissen leider auch, dass es wahrscheinlich in Zukunft noch schlimmer werden wird wegen der Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind – Stichwort „Klimawandel“. Der Klimawandel – wir haben das vorhin auch schon angesprochen – ist ein sicherheitsrelevanter Faktor beim Thema Verteidigung. Er wird nicht dazu führen, dass sich die Situation verbessert, vielmehr trägt er zur Destabilisierung von Staaten bei, das heißt noch mehr Flüchtlinge, noch mehr Ressourcenkämpfe. Wir wissen außerdem, dass diese Aufgaben nur global gelöst werden können. Und wir wissen, wenn wir die Probleme nicht lösen, werden wir die Auswirkungen hier bei uns direkt spüren. Noch schlimmer: Die derzeitigen Krisen wirken direkt bei uns. Covid-19 und die Klimakrise richten auch bei uns unmittelbar Schäden an. Deshalb ist es eben nicht mehr so wie vor einigen Jahrzehnten, als über Entwicklungshilfe gesprochen wurde und damit folgendes Konzept gemeint war: Es gibt Geberländer und Nehmerländer; wir geben Geld und Unterstützung, damit die Nehmerländer ein gewisses Niveau erreichen. – Wir sind aber auch nicht mehr wirklich in der Zeit der Entwicklungszusammenarbeit, in der gleichberechtigte Partnerschaft existiert und in beiderseitigem Interesse gearbeitet wird. Ich glaube, wir sind mittlerweile an einem Punkt, der darüber hinausgeht, nämlich dass wir gleichzeitig Partner, Geber und Nehmer sind. Denn auch wir sind Nehmer, auch wir müssen uns verändern, auch wir müssen uns entwickeln, zum Beispiel bei den Lieferketten, den Wertschöpfungsketten – Sie haben es angesprochen –; sie müssen ökologisch und sozial sein. ({2}) Herzlichen Glückwunsch zu dem Hemd! Ich habe noch nie ein Hemd für 11,98 Euro gekauft, und das auch noch ökologisch und sozial; aber darüber können wir uns später noch mal unterhalten. Ich glaube, eines zumindest ist klar geworden, und es liegt auf der Hand: Die Lösungen, die wir brauchen, können nur global und gesamtgesellschaftlich erarbeitet werden: im wirtschaftlichen Bereich, im landwirtschaftlichen Bereich, im Energiebereich, im Verbraucherbereich. Das kann das BMZ nicht alleine leisten, selbst wenn wir 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes dafür zur Verfügung stellen, und erst recht nicht, wenn wir international mit einer Situation konfrontiert sind, wo sich Supermächte wie die USA, China und Russland gewissen Wegen verweigern. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir die Instrumente, die wir haben, nämlich international funktionierende Strukturen, Organisationen nutzen und stärken. Mehr Optionen haben wir nämlich leider gerade nicht. Das Problem ist, dass die Mittel für gerade diese Strukturen im aktuell vorgelegten Haushaltsentwurf gekürzt werden sollen. Wir sehen im Haushaltsentwurf eine massive Prioritätenverschiebung, Umverteilung von multilateralen Projekten zu bilateralen Projekten. Ich glaube, das ist ein Fehler. Wir brauchen natürlich beides; aber die Lösung werden wir ohne multilaterale Projekte und die entsprechende Finanzierung nicht erreichen. ({3}) Noch ein letzter Punkt. Herr Minister, ich glaube, es gibt natürlich über Fraktionsgrenzen hinweg Freude darüber, dass wir in den letzten Jahren einen kräftigen Aufwuchs verzeichnen konnten, dass wir auch jetzt wieder knapp 1,5 Milliarden Euro mehr für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung haben; ({4}) aber man muss ehrlichkeitshalber auch dazusagen: Wenn man in den Finanzplan schaut, dann kann einem nur schlecht werden, weil der Finanzplan für die nächsten Jahre ein Minus von 3 Milliarden Euro pro Jahr vorsieht. Das ist völlig inakzeptabel. ({5}) Ich glaube auch nicht, dass es umgesetzt wird. Spannend fand ich nur, dass gestern von der CDU-Fraktion hier schon betont wurde – der Wahlkampf hat begonnen! –: Mit dem Finanzplan haben wir überhaupt nichts zu tun; das muss eh alles neu verhandelt werden. – Egal wer die Koalition in der nächsten Legislatur bildet: Ich hoffe, es wird kräftig nachverhandelt. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Ich kann gut an meinen Vorredner anschließen, da ich das Thema der nachhaltigen Finanzierung ansprechen will. Gute Entwicklungszusammenarbeit muss nachhaltig sein, und das heißt aber auch: Sie muss nachhaltig finanziert sein. Deswegen brechen wir uns keinen Zacken aus der Krone, wenn wir sagen: 12,4 Milliarden Euro im Haushaltsplanentwurf 2021 ist schon eine beachtliche Summe. ({0}) Zwar weiß man, dass der Haushalt 2020 zusammen mit dem Nachtragshaushalt genauso hoch war, aber der Haushalt 2019 lag immerhin nur bei 10,1 Milliarden Euro. Aber ein Minister sitzt – im Unterschied zu uns im Bundestag – in einem Kabinett, und der Finanzplan wird ja auch im Kabinett beraten. Wenn dann im Finanzplan – deswegen sage ich das so deutlich – ein Absturz um 25 Prozent in den Jahren 2022, 2023 und 2024 vorgesehen ist, dann ist das keine verantwortungsvolle Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit, die Sie uns hier vorlegen, ({1}) und das vor dem Hintergrund der Pandemie. Seit 1998 gibt es zum ersten Mal leider wieder einen Anstieg der absoluten Armut. Die bisherigen Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit – Herr Minister, Sie wissen das – können durch diese Pandemie leider mit einem Fingerschnippen, sage ich mal, kurzfristig zunichtegemacht werden. Deswegen kann uns dieser Haushaltsplanentwurf in keiner Weise zufriedenstellen, Frau Steffen. ({2}) Zweiter Punkt. Was ist mit den multilateralen Programmen? Das ist gerade schon von meinem Kollegen Link sehr zu Recht angeführt worden. Wir sehen: Mensch, wir haben so viel Geld für das Jahr 2021. – Und dann sehen wir: Da wachsen die sogenannten bilateralen Vorhaben an. – Gleichzeitig muss man leider zur Kenntnis nehmen, dass viele Programme – multilaterale Programme, Programme der Vereinten Nationen – auf das Vorcoronaniveau zurückgestrichen sind. ({3}) Das passt doch nicht zusammen mit der Aussage des Ministers Müller im „Handelsblatt“ am 22. September 2020, die da lautet: An den Folgen der Lockdowns werden weit mehr Menschen sterben als am Virus. … Allein auf dem afrikanischen Kontinent rechnen wir dieses Jahr mit zusätzlich 400 000 Malaria-Toten und HIV-Opfern sowie einer halben Million mehr, die an Tuberkulose sterben werden. Dann darf man genau diese Programme, die gegen diese Entwicklungen ankämpfen, nicht auf Vorcoronaniveau kürzen; das passt überhaupt nicht zusammen. ({4}) Deswegen möchte ich Sie auch bitten, Herr Müller, und auch die die Regierung tragenden Fraktionen: Zu der BMZ-Strategie 2030, also der Strategie des Ministeriums, nach der die Entwicklungszusammenarbeit mit einigen Ländern beendet werden soll, um sich auf bestimmte Länder stärker zu fokussieren, würde ich sagen: Im Grundsatz kann man so eine Idee verfolgen; wir werden das sehr kritisch beleuchten. Aber wenn man sagt: „Die Länder, aus denen wir uns zurückziehen, die sollen dann wiederum durch multilaterale Zusammenarbeit gut bedient werden“, dann passt dazu auch wieder nicht die Schwächung der multilateralen Programme. Es ist also mehr als widersprüchlich. ({5}) Mein letzter Punkt muss auch, leider, wieder sehr kritisch ausfallen. Da schaue ich jetzt noch mal auf den Haushalt 2021, der in der Höhe durchaus beachtlich ist. Aber wie steht es mit der Qualität, der qualitativen Ausrichtung unserer Entwicklungszusammenarbeit? Da steht Deutschland, gewertet durch viele NGOs, leider mit einem „mangelhaft“ da. Da habe ich mich sehr gewundert. Liebe Sonja Steffen, wir arbeiten seit Jahren gut und gerne zusammen. Ich finde, dass der Anteil der ODA-relevanten Mittel, die aus Deutschland in die am wenigsten entwickelten Länder fließen, immer noch weit zu gering ist. ({6}) Wir müssen es jetzt noch mal mit dem Aufwuchs analysieren; aber es waren bislang unter 20 Prozent, und das ist weit zu gering und gegen die internationale Zusage, gerade die ärmsten Länder stärker zu unterstützen. ({7}) Aber noch gravierender wird das Problem, wenn wir auf den qualitativen Anteil schauen: Wie viel der ODA-Mittel, die wir zur Verfügung stellen, dienen eigentlich der Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter, also Frauen und Mädchen, die in der Pandemie ganz besonders leiden? Der Anteil liegt bei sage und schreibe einem einstelligen Prozentsatz unserer ODA-Mittel. Auch das ist qualitativ sehr zu bemängeln. Deswegen, Herr Minister: Wir haben in diesem Etat noch ungeheuer viel zu arbeiten, bis wir zufrieden sein können. Wir werden Sie und die Kanzlerin daran messen, ob Sie mit zusätzlichen Millionen nicht nur im nächsten Jahr, sondern bis in die Mitte des nächsten Jahrzehnts sicherstellen, dass ein Impfstoff gegen Covid-19 für alle Menschen auf diesem Globus zugänglich wird. Auch das wird zu klären sein am Ende dieses Jahres. Danke schön. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hermann Gröhe. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Deutschland steht zu seiner internationalen Verantwortung, gerade in einer globalen Gesundheitskrise, wie wir sie im Augenblick erleben, gerade in einer Zeit, in der eine multilateral gestaltete globale Ordnung immer stärker unter Druck gerät. Das prägt den Haushaltsentwurf als Ganzes, und das prägt natürlich in besonderer Weise den Entwurf des Einzelplans 23. Nach dem Rekordhaushalt des Jahres 2020 zuzüglich der 1,5 Milliarden Euro aus dem Nachtragshaushalt gibt es nun einen erneuten Rekordhaushalt von 12,4 Milliarden Euro. Das ist seit Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel eine Verdreifachung dieser Position. Darauf sind wir als CDU/CSU stolz, meine Damen, meine Herren. ({0}) Angesichts der Neigung der geschätzten Kollegin Steffen, den Beitrag der Sozialdemokratie hier besonders zu betonen, erlaube ich mir den Hinweis, dass dieser Verdreifachung in der Regierungszeit von Angela Merkel sieben magere Jahre unter einem sozialdemokratischen Kanzler ohne jede Steigerung vorangegangen sind. ({1}) Dank der Weisheit der Wählerinnen und Wähler liegt das lange zurück; aber man darf daran erinnern. ({2}) Ich will, meine Damen, meine Herren, die Aufwüchse im Haushalt aber ausdrücklich nicht für eine Partei allein in Anspruch nehmen. Es ist eine gemeinsame Leistung. Dieses Parlament sagt fast als Ganzes – dazu sage ich gleich noch etwas – seit Jahren: Wir stehen zur internationalen Verantwortung, wir müssen in diesem Bereich mehr tun. Wir ringen um das Wie, und es ist richtig, dass wir um das Wie ringen. Aber dass wir in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen einen geeigneten politischen Rahmen für diese Anstrengung unseres Landes sehen und dass wir uns ausdrücklich dazu bekennen, einen dem Bruttoinlandsprodukt eines so reichen Landes angemessenen Beitrag für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, das ist ein starkes gemeinsames Fundament. Nur ganz rechts gibt es die bekannte Stimmungsmache – ich sage: schäbige Stimmungsmache angesichts des dramatischen Elends in der Welt – ({3}) gegen jede Entwicklungshilfe. Meine Damen, meine Herren, wer angesichts der bitteren Not – die Zahl der Menschen, die zurzeit akut vom Hungertod bedroht sind, ist von 100 auf 270 Millionen Menschen gestiegen –, wer angesichts dieser Not Stimmung macht, abstrusen Abschottungsträumen nachläuft und in menschenverachtender Weise sozusagen gegen diese Hilfe hetzt, der versagt intellektuell, und der versagt moralisch. ({4}) Es gibt keine große Herausforderung, vor der unser Land steht – wie alle anderen Länder –, die neben nationalstaatlichen und europäischen nicht auch internationale Bemühungen verlangt. Das zeigt die Pandemie. Das zeigt das Großthema, dem Klimawandel wirksamer zu begegnen. Das zeigen Hunger und Armut in der Welt, Konflikte, die zu lösen sind, und Fragen der Friedenssicherung. Immer wird es darum gehen, auch international angemessen zu reagieren. Deswegen war es wichtig, der Coronapandemie neben den Maßnahmen im eigenen Land mit einem Sofortprogramm des BMZ zu begegnen – 4 Milliarden Euro durch Umschichtung, durch den Nachtragshaushalt, jetzt durch diese deutliche Erhöhung –, ihr in vielfältiger Weise entgegenzutreten, zunächst vor allem durch Stärkung der Gesundheitssysteme der ärmsten Länder der Welt – Schulungen, Meldesysteme, Schutzausrüstung –, aber auch durch Maßnahmen gegen die dramatischen Folgeschäden. Meine Damen, meine Herren, für diese Flexibilität geht mein Dank an das Ministerium, auch dafür, dass diese Flexibilität auch denen zugutekommt, die etwa als private Trägerorganisationen in der Entwicklungshilfe die Umsetzung ihrer Projekte natürlich auch den Bedingungen der Coronapandemie anpassen mussten. Auch da war es wichtig, dass das Ministerium entsprechend flexibel reagiert hat. Meine Damen, meine Herren, ein Thema ist die Zunahme der Folgeschäden, der begleitenden Umstände dieser Pandemie, etwa die Hungerkatastrophe, die ich schon erwähnt habe. Es ist richtig, die vielfältigen Initiativen der Ernährungssicherung zu stärken. Das Thema Bildung ist angesprochen worden. In vielfältiger Weise sind gerade die Schulen in vielen armen Ländern betroffen, weil das öffentliche Leben dort weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Deswegen muss auch eine Verstetigung – darüber werden wir sicher noch zu reden haben – multilateraler Anstrengungen im Bereich der Bildung zentral auf unserer Tagesordnung stehen. Schließlich will ich das Thema Klimaschutz nennen. Wir haben in der Koalition verabredet, dass Ende dieses Jahres die Mittel für die unterschiedlichen Maßnahmen der verschiedenen Ministerien – im Wesentlichen aber aus dem BMZ – zum Thema „Internationaler Klimaschutz“ auf 4 Milliarden Euro verdoppelt werden. Die Ärmsten in der Welt tragen am wenigsten zum Klimawandel bei und leiden am stärksten unter ihm. Deswegen schulden wir ihnen Maßnahmen, die diesen Ländern helfen – mit eigenen Minderungszielen, vor allen Dingen aber durch Anpassung an den Klimawandel –, ihre Lebenssituation zu schützen. Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesen Maßnahmen nicht nachlassen, meine Damen, meine Herren. Ja, wir ringen um wichtige Details. Das Thema „Multilateralismus/bilaterale Hilfen“ wurde angesprochen. Kollege Link, mich hat etwas gewundert, dass Sie es schaffen, einerseits zu beklagen, es würde zu viel mit der Gießkanne verteilt, um dann zu sagen, wo man überall aus Ihrer Sicht fälschlicherweise bilaterale Hilfe reduziert. Sie werden vielleicht im Haushaltsausschuss noch einmal erklären können, wie man dies zusammenführen soll. Ich kann nur sagen: In wichtigen Bereichen, etwa erstmalig im Hinblick auf internationale Anstrengungen, die Diagnostik zu modernisieren, gibt es zusätzliches Geld für multilaterale Anstrengungen. Gleiches gilt für GAVI. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass, wenn ein Impfstoff gefunden ist und es darum geht, ihn auch den Ärmsten in der Welt überall zur Verfügung zu stellen, wir international, aber auch in unserem Land weitere Anstrengungen brauchen werden. Ich freue mich, dass mit Herrn Barroso, wenn ich das so sagen darf, einer von uns – das meine ich im Hinblick auf Europa, das meine ich im Hinblick auf unsere christdemokratische Familie – im Januar den Vorsitz von GAVI übernimmt. Dies wird auch in Europa den Blick für diese Fragen sicher noch einmal schärfen. Meine Damen, meine Herren, ich freue mich auf die Haushaltsberatungen. Noch einmal: Wir werden unserer internationalen Verantwortung gerecht. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Hermann Gröhe. – Der nächste Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Markus Frohnmaier. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 2013 trat Entwicklungsminister Müller sein Amt an. 2013 erhielt das Entwicklungsministerium 6,3 Milliarden Euro vom deutschen Steuerzahler. Heute sollen es 12,4 Milliarden Euro werden. Ich muss Ihnen, Herr Minister Müller, gratulieren: Seit Ihrem Amtsantritt hat sich der Entwicklungsetat fast verdoppelt. Wenn es um das Ausgeben von Steuergeldern geht, sind Sie der erfolgreichste Minister der Bundesregierung, man könnte sagen, der FC Bayern unter den Ministern. ({0}) Profitieren wirklich die Ärmsten der Armen von diesen Steuermilliarden? Das ist doch die Frage. Es profitieren kleptokratische Machthaber, es profitieren Kriegsregime wie die Türkei oder Aserbaidschan, es profitiert die Entwicklungshelferindustrie. ({1}) Und diese Industrie hat ein ganz besonderes Selbstverständnis. Lassen Sie mich das mit einem Erlebnisbericht verdeutlichen. ({2}) Ende 2018 war ich auf Einladung Ihres Ministeriums zu einem Empfang in den Gropius Bau eingeladen, ein alter palastähnlicher Bau im Zentrum der Hauptstadt. Zunächst reichten mir junge Männer in Abendgarderobe auf einem Silbertablett Bionade. Vertreter indigener Stämme in Stammeskleidung saßen auf dem Boden und mahlten mit einem Mörser Kaffeebohnen. Der Minister ergriff irgendwann das Wort und ernannte Topmodel Sara Nuru zur Nachhaltigkeitsbotschafterin des Ministeriums. Der Minister erzählte noch einen kleinen Herrenwitz und bemerkte, ein Foto mit Frau Nuru könne ja nur schön werden. Schließlich kam ein junger Afrikaner, barfuß und in Stammestracht, langsam mit einem phallusähnlichen Instrument die Wendeltreppe heruntergelaufen. Zu den Klängen seines Instruments bewegten sich die Vertreter des Ministeriums auffallend rhythmisch. Im Anschluss an seine Darbietung verkündete der junge Mann den Gästen, dass er jetzt Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen habe. Da klatschten alle; ich nicht. ({3}) Abgerundet wurde dieses Spektakel mit der Eröffnung des Insektenbuffets durch den Minister. Ein denkwürdiger Abend! – Da müssen Sie gar nicht schreien. Ich kann ja nichts dafür, wenn Sie solche Abendveranstaltungen durchführen. ({4}) Seit drei Jahren begleite ich die Politik des Ministeriums. Da treffen sich hochrangige Beamte der Bundesregierung und Vertreter der sogenannten Zivilgesellschaft ({5}) und amüsieren sich bei einer wilhelminischen Völkerschau. Linke und Grüne, die sich immer tapfer für den Minister in die Bresche werfen, haben da kein Störgefühl. Aber für dieses Spektakel braucht man nun wirklich nicht 12,4 Milliarden Euro. In Zeiten der Lockdown-Krise ist das Geld in Deutschland, hier bei unseren Unternehmen, hier bei unseren Bürgern, wirklich besser aufgehoben. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin, ich hatte Sie nicht gesehen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Sascha Raabe. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich muss immer nach dem Kollegen Frohnmaier reden. ({0}) Ich möchte aber schon sagen – damit hier nicht Darstellungen über einen Abend hängen bleiben, an dem ich auch anwesend war –, dass das ein Abend war, an dem sehr schön und beeindruckend ({1}) kulturelle Elemente dargestellt wurden, wirklich schöne Lieder mit Inhalt und großartigen Texten dort dargebracht wurden. – Wissen Sie, über Ihr Kulturverständnis möchte ich lieber nicht reden. Es ist einfach peinlich und beschämend, wie Sie hier kulturelle Darbietungen aus anderen Ländern verächtlich machen. ({2}) Das ist eigentlich keiner Erwähnung mehr wert. Wissen Sie, Sie haben im Ausschuss und hier im Parlament Anträge gestellt, die Entwicklungszusammenarbeit jetzt aufgrund der Pandemie zu streichen, keine Neuzusagen mehr zu machen. ({3}) – Doch. In Ihrem Antrag steht wörtlich drin: Ein Großteil der Entwicklungsprojekte ist unsinnig, die sollen jetzt gestoppt werden. – Das ist genau das, was Ihr Pressesprecher hier neulich entlarvt hat. ({4}) Sie wollen nicht Fluchtursachen bekämpfen, sondern Sie wollen Fluchtursachen schaffen. Sie wollen, dass Menschen aus Armut und Not nach Deutschland flüchten müssen, ({5}) damit Sie das schäbig ausbeuten können, nach dem Motto: Wenn es Deutschland schlecht geht, geht es der AfD gut. Damit haben Sie sich doch entlarvt. Das werden wir nicht zulassen. ({6}) Wir wollen Menschen helfen und Fluchtursachen bekämpfen. Wir wollen, dass die Menschen würdig überall da leben können, wo sie wollen. Daher werden wir uns mit Ihrem nationalistischen Unsinn hier nicht weiter beschäftigen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Sie können auch gar nicht meine gute Laune verderben; denn für mich ist es heute schon ein besonderer Tag; das möchte ich sagen. Es ist mein 19. Haushalt, den ich als Mitglied des Entwicklungsausschusses, als dienstältester Veteran im Parlament in dem Ausschuss, heute hier einbringe. Wer mich kennt, weiß, dass ich bei der Einbringung eines Haushaltes hier 18-mal gestanden habe und jedes Mal entweder gesagt habe: „Es ist viel zu wenig, wir müssen unbedingt noch viel mehr machen“ oder „Es ist ein erster Schritt, aber es muss noch viel mehr sein“. Frau Kollegin Sonja Steffen hat es ja schon gesagt: Wir haben es dann auch immer parlamentarisch geschafft, da noch etwas aufzustocken. Aber es war immer ein wahnsinniger Kampf zwischen Einbringung und zweiter Lesung. Ich höre im nächsten Jahr hier im Parlament auf und habe jetzt das große Glück, dass ich im letzten Jahr bei meinem 19. Haushalt bei der Einbringung eine Premiere habe und wirklich sagen kann: Toll, dieser Haushalt ist mit 12,4 Milliarden Euro einfach super. ({8}) Darüber freue ich mich und sage allen – Herrn Minister, Herrn Finanzminister Olaf Scholz, unserer SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion –, die mitgemacht haben, herzlichen Dank dafür. Da haben wir schon bei der Einbringung hier was ganz Tolles geschafft, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Ja, es wurden schon Zeitlinien aufgeführt. Sonja hat etwas zu der Zeit seit 2013 gesagt. Als ich 2002 anfing, hatten wir 3,7 Milliarden Euro im Einzelplan 23; die ODA-Quote lag bei 0,27 Prozent. Es war immer unser Traum und unser Ziel, dass wir mal die 0,7 Prozent erreichen, und zwar nicht durch Anrechnung inländischer Flüchtlingskosten, wie das 2016 mal passiert ist, sondern wir werden jetzt die 0,7 Prozent erreichen, einfach mit den großen Steigerungen, die wir geschafft haben. Wir haben jetzt den sechsten Haushalt in Folge, in dem wir mindestens 1 Milliarde Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen. Wir hatten schon im März 2015 die Eckpunkte mit dem ersten großen Wurf, noch vor der Flüchtlingskrise. Das möchte ich auch mal sagen, weil manchmal so getan wird, als hätten wir nur auf Krisen reagiert. Nein, seit sechs Jahren haben wir über 1 Milliarde Euro pro Jahr mehr Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. ({10}) Ich glaube, das sind Dinge, die uns nicht nur stolz machen können, sondern eine Verpflichtung sind, in der Tat dann auch als Parlamentarier zu schauen, in welche Bereiche sie gehen. Da ist klar, Herr Minister – das wurde schon gesagt –: Die multilaterale Ebene werden wir mit Änderungsanträgen wieder stärken. Ich glaube, das ist richtig und wichtig. Aber trotzdem sollten wir auch gucken, dass wir angesichts von 1 Milliarde Menschen, denen jetzt wieder Hunger droht, die also mangelernährt sind, tätig werden. Es gibt ja nicht nur die vom Hungertod Bedrohten, sondern die Zahl aller, die hungern müssen, ist noch viel höher. Sie ist schon seit 2015 wieder leicht angestiegen, nachdem wir erst mal einen Rückgang des Anteils der Hungernden an der Weltbevölkerung hatten; wir hatten ihn bis 2015 halbiert. Dann ging die Zahl wieder hoch, und jetzt droht sie, wieder auf über 1 Milliarde zu steigen. Und da ist es toll und gut, dass Deutschland in diesem Haushalt so viel macht. Das wird auch geschätzt, glaube ich. Aber – Herr Minister Müller hat es schon angesprochen – im EU-Haushalt müssen wir da jetzt noch eine kräftige Schippe drauflegen. Ich bin froh, dass Udo Bullmann – das ist sozusagen mein Kollege als Sprecher für die europäischen Sozialdemokraten, so wie ich das hier für die SPD-Fraktion im Bundestag bin – zurzeit gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen und vielen Gutwilligen dafür kämpft, dass dieser Haushalt aufgestockt wird. Das ist ganz klar: Der Haushalt der Europäischen Union muss auch seiner Verantwortung für den Nachbarkontinent Afrika und für alle Entwicklungsländer und alle Menschen, die von Hunger und Not bedroht sind, gerecht werden. Das sollten wir als starkes Signal von diesem Parlament nach Brüssel schicken, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Genauso müssen auch alle anderen Geberländer ihren Verpflichtungen nachkommen. Ich sagte, wir erreichen dieses Jahr, 2020, sicherlich das 0,7-Prozent-Ziel. Im Schnitt kommen die anderen Geberländer aber nur auf 0,3 Prozent ODA-Leistungen. Ich denke, da muss noch einiges getan werden. In der letzten Sitzungswoche hatten wir eine Debatte über die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele. Wenn man sieht, dass wir international ganz schön im Hintertreffen sind, was die Bekämpfung von Hunger und Armut angeht, dann müssen sich einige ganz kräftig an die Nase fassen. Ich sage auch: Ich fand es fair, Frau Kollegin Hajduk, dass Sie als Vertreterin der Grünen auch gelobt haben, dass die 12,4 Milliarden Euro ein wirklich großer Schritt sind; denn das haben wir mit dem Finanzminister vereinbart. Gerd Müller weiß das. Gerd Müller und ich persönlich haben das mit ihm besprochen, und er hat Wort gehalten. Wir haben gesagt: Wir wollen nicht das gesamte Paket im Jahr 2020 ausgeben; denn das hätten wir gar nicht mehr schaffen können. Wir haben erst im Juli den Nachtragshaushalt beschlossen. Ich erinnere daran: Die Grünen hatten im April 2 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe gefordert. ({12}) Dann haben wir gesagt: Wir wollen 3 Milliarden Euro. Dann kam Die Linke natürlich mit 4 Milliarden Euro. ({13}) Und am Ende haben wir zusammen 3,55 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitgestellt. Dann haben wir aber gesagt: Wir wollen nicht den Etat des Einzelplans 23, also die gesamten 3,1 Milliarden Euro – von 10,9 Milliarden auf 14 Milliarden Euro –, im Jahr 2020 nehmen, sondern wir wollen das lieber auf zwei Jahre verteilen, damit es langfristig abfließen kann, und – das ist mir ganz wichtig – die 12,4 Milliarden Euro, die wir im Haushalt 2021 haben, müssen dann noch der Sockel für die kommenden Haushalte sein. ({14}) Sie haben zu Recht die Finanzplanung angesprochen. Dazu sage ich Ihnen als Kollege, der schon sehr lange dabei ist, aber auch – Sie können gerne einen Faktencheck machen –: ({15}) Schon seit 20 Jahren war die Finanzplanung für den internationalen Bereich immer beschämend niedrig. Wir als Parlamentarier haben es zum Glück jedes Mal geschafft, extrem viel draufzulegen. ({16}) In dieser Legislatur hatten wir eine Finanzplanung, Frau Kollegin, die dem Koalitionsvertrag zugrunde lag, der 51. Finanzplan. Nach der Finanzplanung wären es jetzt 8,7 Milliarden Euro gewesen. Wir liegen jetzt 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung des Koalitionsantrages. Dazu haben wir als Parlament unseren Beitrag geleistet, und ich freue mich, weil ich davon ausgehe, dass die Grünen mit großer Wahrscheinlichkeit in einer nächsten Regierungskoalition sein werden, egal mit wem. Aber – ich höre ja auf – das will ich ganz genau sehen; ich kann Sie nur ermutigen – dann schaffen Sie auch das, was ich, was wir Sozialdemokraten geschafft haben, und erhöhen Sie auch die Mittel faktisch! Denn die Finanzplanung beschließen wir nicht im Parlament; das ist eine Absichtserklärung der Regierung. Wir beschließen im Parlament den Haushalt. Dann können Sie als Grüne schauen, ob Sie das so gut machen wie wir Sozialdemokraten. Dann können Sie auch mal sehen, ob Sie in der nächsten Legislatur 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung landen. Darauf bin ich mal gespannt. ({17}) Wie gesagt, wir haben in dieser Legislaturperiode die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit so erhöht wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik bzw. seit es das Ministerium gibt; denn so lange gibt es das noch nicht. Darauf kann man aufbauen. ({18}) Es ist klar – keine Rede von mir kann enden, ohne dass ich das sage –: Wir brauchen noch faire Handelsabkommen mit Nachhaltigkeitskapiteln, die sanktionsbewehrt sind. ({19}) Und wir brauchen ein Lieferkettengesetz, das verbindlich ist, das ein Stück weit eine zivilrechtliche Haftung umfasst und ({20}) das bußgeldbewehrt ist. Herr Minister, Sie haben das Beispiel Bangladesch genannt. Auch ich habe mit den hinterbliebenen Opfern von Rana Plaza gesprochen. Sie haben gesagt: Hätten wir einen Betriebsrat gehabt, ({21}) dann hätten wir gesagt: Wir wollen nicht wieder in die Fabrik. – Wenn die ILO-Kernarbeitsnormen in solchen Ländern garantiert werden, dann müssen wir das über Handelsverträge absichern.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Raabe, auch wenn es der 19. Haushalt ist: Es wird Zeit.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lesen Sie das alles noch mal in meinen vielen Reden nach, in denen ich das alles schon erwähnt habe! Also: Fairer statt freier Handel, Lieferkettengesetz und dauerhaft 0,7 Prozent ODA-Quote. Ich bin stolz auf diesen Haushalt. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sascha Raabe. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Olaf in der Beek. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt ist das Königsrecht des Parlaments. Ich könnte jetzt hier, wie vielfach schon vorgebracht, Kritik üben, dass die vom Bundesfinanzministerium avisierte Haushaltsberatung im Eiltempo eigentlich eine Farce ist und der Würde und dem Recht des Hauses nicht gerecht wird. ({0}) Mich ärgert aber viel mehr, dass dieser Haushalt und insbesondere die mittelfristige Finanzplanung bis 2024 reine Augenwischerei ist. Liebe Frau Steffen, passend zu Ihrer Rede mal in die Zukunft geschaut: Schwarz auf weiß will Ihr Bundesfinanzminister die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit ab 2022 um ein Viertel senken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, entweder legt uns hier der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten in seinem Amt als Finanzminister einen völlig unsoliden finanzpolitischen Fahrplan für die kommenden Jahre vor, der niemals haltbar ist, oder der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten legt uns hier als Bundesfinanzminister ein offizielles Zeugnis darüber vor, dass die internationale Zusammenarbeit gekürzt wird, wenn die Sozialdemokraten erneut in Regierungsverantwortung kommen sollten. ({1}) Beides, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, ist ein Trauerspiel. Heute Morgen hat Ihr Fraktionsvorsitzender Mützenich noch gesagt, Olaf Scholz sei der richtige Kanzler für Deutschland, weil er das Land durch die Krise führen könne. Mit dieser mittelfristigen Finanzplanung für internationale Zusammenarbeit müssen wir heute Nachmittag feststellen: Mit Olaf Scholz als Kanzler gerät Deutschland in die internationale Bedeutungslosigkeit. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, während es in diesem Jahr angesichts der Folgen der Coronapandemie sogar im zweiten Nachtragshaushalt nochmals mehr Geld gab, will Ihr Finanzminister also ab 2022 kürzen. Wie Sie damit den internationalen Verpflichtungen Deutschlands gerecht werden wollen, wie Sie damit einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenschancen von Menschen in Entwicklungsländern leisten und Fluchtursachen bekämpfen wollen, wie Sie damit den internationalen Klima- und Umweltschutz weiter ambitioniert vorantreiben wollen, das müssen Sie den Menschen im Wahlkampf aber erklären. Und dabei wünsche ich Ihnen schon jetzt sehr viel Spaß. Ich werde ab sofort bei jeder Gelegenheit, auf jeder Veranstaltung genau darauf hinweisen. Davon können Sie sicher ausgehen. ({3}) Jetzt zum Haushalt für das kommende Jahr. Die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit bleiben auf dem hohen Niveau von 2020. Das ist insgesamt auch richtig so; denn gerade Entwicklungs- und Schwellenländer sind besonders hart von den Folgen der Pandemie betroffen. Das darf gleichzeitig aber nicht bedeuten, dass wir das Geld nach dem Gießkannenprinzip ausgeben. „Viel hilft viel“ ist auch in der Entwicklungspolitik falsch. Deshalb wundert es mich umso mehr, dass insbesondere die Mittel für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit so dramatisch ansteigen sollen, während die Mittel für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit wieder absinken. Und man könnte fast den Eindruck bekommen, dass das BMZ Probleme hätte, die Gelder loszuwerden. Anders kann ich mir nicht erklären, wie vor zwei Tagen ein Vertrag über Budgethilfe an den Senegal mit über 100 Millionen Euro zustande kam. Das verstehe ich einfach nicht. Und, Herr Minister Müller, wie mein Kollege Michael Link gerade sagte: Das ist leider kein Haushaltsentwurf, der Deutschlands Rolle in der Welt gerecht wird. Wir sind uns doch einig, dass wir gerade jetzt unsere Anstrengungen zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Klimaabkommens erhöhen müssen. Dafür müssen wir aber auch unser internationales, multilaterales Engagement erhöhen und dürfen es nicht absenken. ({4}) Wieso die höheren Zusagen für multilaterale Organisationen aus dem Nachtragshaushalt, der keine drei Monate alt ist, jetzt wieder zurückgedreht werden sollen, das müssen Sie uns schon erklären, Herr Minister. ({5}) – Danke. – Und ich sage es immer wieder: Wir brauchen ein gemeinsames internationales Vorgehen, und wir brauchen ein deutlich besser abgestimmtes schlagkräftiges europäisches Vorgehen. Gerade während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und angesichts der Verhandlungen über den künftigen mehrjährigen Finanzrahmen der EU ist es genau dafür an der Zeit. ({6}) Wenn Sie dabei Unterstützung brauchen, dann bekommen Sie die gerne von den Freien Demokraten. Wir werden die Haushaltsberatungen, wie Sie es gewohnt sind, konstruktiv begleiten. Und dann werden wir nach den Wahlen im nächsten Jahr, nach der Bundestagswahl, dafür sorgen, dass Schluss ist mit der unsoliden Finanzplanung von Olaf Scholz. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Olaf in der Beek. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Helin Evrim Sommer. ({0})

Helin Evrim Sommer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004897, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Minister Müller! Vor zwei Wochen habe ich hier im Plenum meine letzte Rede gehalten, und seitdem haben sich weltweit weitere 3 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Daraus folgt: Eine Pandemie braucht globale Antworten. ({0}) Die Bundesregierung sieht das leider ganz anders. Sie glaubt, auch im Rückwärtsgang ans Ziel zu gelangen. Minister Müller fördert die deutsche Privatindustrie, indem er die Ausgaben für die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft massiv erhöht. Seit 2017 wurden diese Gelder sogar verdoppelt. ({1}) – Ja, aber gleichzeitig wurden die Mittel für die Entwicklungskooperation mit den Vereinten Nationen, der Weltbank und den regionalen Banken in Asien und Afrika gekürzt. Das heißt: fast 1 Milliarde Euro weniger, und das in Pandemiezeiten, meine Damen und Herren. Das ist der völlig falsche Weg. ({2}) Wir brauchen in der globalen Krise nicht weniger internationale Zusammenarbeit, sondern mehr; das haben Sie ja auch alle hier deutlich gesagt. ({3}) Aber nicht nur das. Wenn Herr Minister Müller hier angesichts der schlechten Wirtschaftslage behauptet, der aktuelle Entwurf für den Entwicklungshaushalt erfülle das 0,7-Prozent-Ziel, dann sagen wir: Tut uns leid, Herr Minister Müller, das stimmt nicht. Denn unser aktueller Entwurf für den Entwicklungshaushalt versagt hier erneut, wenn es darum geht, die 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Das geht seit 50 Jahren so, und das werden Sie wohl auch in Ihrer Restlaufzeit leider nicht ändern, lieber Minister Müller. Schade eigentlich. ({4}) Wir müssen das in der Entwicklungszusammenarbeit anders machen. Wenn wir das Virus erfolgreich bekämpfen wollen, muss jeder einen freien Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, die alleinerziehende Mutter in Simbabwe ebenso wie der Grundschullehrer im Sudan. Auch im eigenen Interesse: Wer die Viren im südlichen Afrika bekämpft, bekämpft sie auch hier in Deutschland. Hierzu braucht es aber eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe um 4 Milliarden Euro, ohne Wenn und Aber. ({5}) Noch was liegt mir besonders am Herzen: 218 Millionen Kinder weltweit verrichten Zwangsarbeit. Sie schuften in den Minen in Burkina Faso oder als Textilarbeiter in Bangladesch. Sie riskieren ihr Leben, und die Schulbildung bleibt ihnen verwehrt. Was können wir dagegen tun? Nach dem Global Slavery Index hat Deutschland allein im Jahr 2018 Laptops, Computer und Mobilfunktelefone im Wert von 15,4 Milliarden Euro importiert. Wer stellt dabei sicher, dass die Tablets nicht durch sklavenähnliche Kinderarbeit hergestellt wurden? Wir müssen die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Das bedeutet: Wer Schäden an Menschen und Umwelt in seinen Lieferketten verursacht, muss auch dafür haften. ({6}) Genau das haben wir auch in unserem Antrag gefordert. Lieber Minister Müller, in der Presse stand, dass Sie bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten wollen. Es stellt sich die Frage, was später mit Ihrem Namen verbunden bleiben soll. Deshalb an dieser Stelle mein abschließender Appell an Sie: Setzen Sie Ihr Budget für die globale Gesundheit ein und schaffen Sie ein wirksames Lieferkettengesetz, damit die Kinder wieder in der Schule Mathe lernen können, statt in der Fabrik schuften zu müssen! ({7}) An der linken Opposition würde ein solches Gesetz gewiss nicht scheitern. In diesem Sinne: vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Helin Evrim Sommer. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Uwe Kekeritz. ({0})

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es jetzt oft genug gehört: Das 0,7-Prozent-Ziel ist erreicht oder vielleicht auch nicht erreicht. Die Freude darüber gönne ich Ihnen. Wir sollten aber trotzdem zur Kenntnis nehmen, dass wir wirklich in der schwersten wirtschaftlichen Krise angekommen sind. ({0}) Wir hier in Deutschland bekämpfen diese Krise mit einem 100-Milliarden-Euro-Programm. Das ist gut so, das ist richtig, und es findet auch unsere Unterstützung. Doch was machen die Länder des globalen Südens, die eben keine Coronasoforthilfe, kein Kurzarbeitergeld, keine Lohnfortzahlung, keine Konjunkturpakete auflegen können? Wir alle kennen die Folgen. Wir kennen die ökonomischen und damit auch die humanitären Konsequenzen. Es ist schon gesagt worden: Sie sind katastrophal. Sie sind verheerend. ({1}) Die Fragilität der Länder nimmt zu. Manche Länder könnten auch kollabieren. Deshalb ist unsere Solidarität gefragt. Offensichtlich will diese Regierung über den BMZ-Etat zukünftig kaum mehr zu diesen Lösungen beitragen; denn – auch das wurde schon diskutiert – Sie planen mittelfristig eine Reduktion von 25 Prozent. Mehr Aufgaben, mehr Anforderungen, weniger Mittel: Das heißt, Sie verabschieden sich aus diesem Bereich. Mit Verlaub, das ist ein grob fahrlässiger Ansatz. ({2}) Wie viele Beispiele braucht diese Regierung eigentlich noch, damit sie erkennt, dass zusammenbrechende Staaten für uns die teuersten Alternativen sind? Und für die betroffenen Menschen sind sie die brutalsten Alternativen, die Hunger, Armut, Vertreibung und verlorene Perspektiven nach sich ziehen. Ich finde es auch geostrategisch einfach naiv, einen möglichen Zusammenbruch nicht mit allen möglichen Kräften und Mitteln verhindern zu wollen. ({3}) Die Situation verschärft sich global. Die finanzielle Situation vieler Länder des globalen Südens ist einfach eine Katastrophe, und alle Finanzanalysen zeigen uns klar, dass das Allzeithoch der Verschuldung dieser Länder durch die Pandemie noch weiter nach oben katapultiert wird. Die Zahl der Hungernden droht auf 1 Milliarde zu steigen. Das ist eben auch die traurige Wahrheit: Nicht das Virus allein tötet, auch die Verschuldung tötet. Deshalb war das Schuldenmoratorium der G 20 richtig. Aber es hat einen entscheidenden Geburtsfehler: Kein einziger privater Gläubiger ist Teil dieser Initiative. Was bedeutet denn das konkret? Staatliche Kredite werden durch ein Moratorium nicht mehr bedient. Die Länder erhalten so dringend benötigte Liquidität; das ist auch der Plan dahinter, und das ist auch gut. Aber die privaten Gläubiger bestehen auf die Bedienung ihrer Schulden, und die Liquidität, die wir durch das Moratorium geschaffen haben, fließt in den Geldbeutel der Privaten. Kurz gesagt: Staaten finanzieren, und die Privaten kassieren. Deswegen brauchen wir ein neues Moratorium, aber eines, das wirkt. Ein Moratorium ohne Beteiligung der privaten Gläubiger darf es zukünftig in der Regel nicht mehr geben. Denn nur dann haben die Menschen vor Ort etwas davon. Und Friedrich Merz und seinen Fans hier in diesen Reihen sei klar mitgeteilt: Den Privaten und den BlackRocks dieser Welt muss nicht geholfen werden. ({4}) Allerdings brauchen wir endlich eine dauerhafte, wirksame Lösung bei Überschuldung, eine Lösung, die auch dazu beiträgt, dass Überschuldung grundsätzlich erschwert wird und nicht mehr zu einem risikofreien Glücksspiel für korrupte Eliten und Investitionshasardeure verkommt. Dazu muss die Bundesregierung ihren Widerstand gegen ein Staatsinsolvenzverfahren aufgeben. Das Problem lässt sich nicht aussitzen. Die Kanzlerin muss endlich aus ihrem Aussitzmodus diesbezüglich herauskommen. Die Gelegenheit ist ja zurzeit da. Wir stehen kurz vor der Jahrestagung von Weltbank und IWF. Machen Sie endlich den Weg frei, und stellen Sie sich dort an die Spitze einer nachhaltigen und geordneten Entschuldungsinitiative! Ich danke Ihnen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Uwe Kekeritz. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Peter Stein. ({0})

Peter Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr wird uns trotz einer besonderen Situation das Setzen neuer Schwerpunkte gelingen. Da meine ich nicht nur Corona, sondern auch Maßstäbe im globalen Klimaschutz. Das beinhaltet den von der Unionsfraktion immer angestrebten Umbruch in der Entwicklungszusammenarbeit hin zu mehr Effektivität und globaler Wertschöpfung und hin zu mehr Nachhaltigkeit. Wir wollen weniger Geber, wir werden noch mehr Partner sein, und das im eigenen Interesse der Stabilität. Wir arbeiten unter Einbezug der NGOs, der Durchführungsorganisationen und auch der deutschen Wirtschaft. Die finanzielle Ausstattung ist auch im letzten Jahr dieser Legislatur so gut wie nie zuvor. Wir sehen eine Verstetigung einer nachhaltigen und werteorientierten Entwicklungszusammenarbeit. Sehr geehrter Herr Minister, lieber Gerd, du hast diesem Ministerium zu einer Bedeutung verholfen, wie es der Bundesrepublik Deutschland gut zu Gesicht steht. ({0}) Das ist dann unser Land, würde die Kanzlerin sagen. Der Footprint deiner Arbeit, lieber Gerd, und auch deiner persönlichen moralischen und christlichen Haltung ist herausragend. ({1}) Deutschland genießt höchsten Respekt und höchstes Vertrauen überall in der Welt. Das ist im Wesentlichen das Verdienst unserer Bundeskanzlerin und deines Wirkens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es gelungen ist, neben den Coronahilfen alle Programme für Klimaschutz und Hungerbekämpfung so fortzuschreiben, wie wir es begonnen haben, dafür einen großen Dank an unsere Haushälter der Koalition! Tatsächlich möchte ich heute aber nicht über Krisen, sondern über eine große Chance sprechen. Wir stellen nahezu die komplette globale Energieversorgung auf „strombasiert“ um, auf Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien. Für die Entwicklungszusammenarbeit, aber auch für die gesamte Partnerschaftsstrategie der Bundesregierung werden die nächsten zwei bis drei Jahre in diesem Punkt entscheidend sein. Unser Land wird auch in Zukunft erheblich von Energieimporten abhängig sein. Wir verfügen nicht über genügend eigene Potenziale für eine wettbewerbsfähige regenerative Energieversorgung. Daher sind wir langfristig darauf angewiesen, dass CO2-neutrale Energie andernorts erzeugt und dann zu uns exportiert wird. Hier kommt unter anderem der Wasserstoff ins Spiel. In ihm und den Derivaten wie beispielsweise Ammoniak kann die Energie gespeichert werden und transportiert werden. Zur Herstellung von CO2-neutralen Produkten bieten sich Standorte an, an denen Grüner Wasserstoff günstig produziert werden kann, die also ein hohes Potenzial preiswerter erneuerbarer Energien aufweisen. Viele dieser Gegenden liegen in unseren Partnerländern, unter anderem auf dem Nachbarkontinent Afrika. Vielen dieser Länder bietet sich mit unserer Kooperation eine erstmalige und wahrscheinlich auch einmalige Chance zur Teilhabe am globalen Energiemarkt, auch und zuvorderst zur CO2-neutralen Eigenversorgung. Ich bitte an dieser Stelle unsere Wirtschaftspolitiker dringend darum, die Fokussierung der Energie- und Wirtschaftspartnerschaften nicht in erster Linie auf Länder wie Saudi-Arabien, Australien oder Russland zu legen, sondern stark auch auf Marokko, Tunesien, Ghana oder Namibia zu setzen; um nur einige zu nennen. ({2}) Das ermöglicht uns auf der einen Seite, unsere Energieversorgung der Zukunft, unsere Lieferbeziehungen breiter aufzustellen und einseitige geopolitische Abhängigkeiten aufzubrechen. Es ermöglicht uns aber auch – das möchte ich aus entwicklungspolitischer Sicht besonders herausstellen – echte Partnerschaften auf Augenhöhe auf dem Energiesektor mit Ländern des Compact with Africa. Das alte Desertec ist zum Glück gescheitert. Es hatte aus meiner Sicht einen zutiefst kolonialistischen Ansatz: Ihr liefert uns den Strom, und wir machen so weiter wie bisher. – Gott sei Dank denken wir heute in Partnerschaften, und das unterscheidet uns vom chinesischen Weg. Das ist die Basis unseres guten Rufes und auch – das betone ich ausdrücklich – Basis unseres zukünftigen, nachhaltigen Erfolges als Exportnation. Wir brauchen mehr Projekte, Herr Minister, wie das deutsch-marokkanische Wasserstoffabkommen, und dies sehr schnell. Genauso schnell müssen wir die dafür benötigte Logistik hochfahren, über Pipelines, aber insbesondere per Schiff oder Container über unsere Seehäfen. Ich spreche hier von einem Zeithorizont von höchstens fünf Jahren. Nur mit heute begründeten, langfristig vertrauensvollen Technologie- und Lieferpartnerschaften kann Deutschland seine Energieversorgung der Zukunft sichern. Nur so können wir mithelfen, in Partnerländern die enormen Potenziale der Wertschöpfung zu heben und bezogen auf Nordafrika eine gute Nachbarschaftspolitik zu pflegen. Wirtschaft und Entwicklung – die CDU/CSU hat es immer gesagt – sind zwei Seiten derselben Medaille. Mit dem Potenzial der erneuerbaren Energien, beispielsweise von Wasserstoff, haben wir die Möglichkeit, beidem gerecht zu werden. Vielen herzlichen Dank, dass wir das mit diesem Haushalt unterstützen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Peter Stein. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dietmar Friedhoff. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident – – Frau Präsidentin!

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Mit Verlaub, ich bin eine Präsidentin.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe es ja sofort – sofort! – korrigiert.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja gut, aber man sagt es halt dann doch lieber noch mal.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, mit Verlaub! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Müller! Zur Coronapandemie in Afrika noch mal der Hinweis: Es werden weit mehr Menschen an den Folgen des Lockdowns sterben als am Virus. Wie meine Kollegen bereits dargelegt haben, lehnen wir Ihren Haushalt ab. Ich möchte noch einmal mit einem Hilfsmittel erklären, warum. Das Hilfsmittel, das ich benutze, ist Ihr letztes Buch, Herr Minister: „Überlebensfragen der Menschheit“. Es behandelt also nicht Antworten auf die Überlebensfragen der Menschheit, sondern nur Fragen. Kennen Sie Lucy? Nein? Wer dieses Buch liest, wird sie auf Seite 18 kennenlernen dürfen. Sie ist eine Urfrau, die in Addis Abeba im Nationalmuseum steht. Der Herr Minister schätzt sie – so weit, so gut. Die Frage, die aber über dem Kapitel steht, lautet: „Wie viel Mensch erträgt die Erde?“ – Die zentrale Frage überhaupt für alles, was es zu erdenken und zu handeln gibt. Herr Minister, wie viel Mensch erträgt die Erde, und unter welchen Bedingungen? Antwort auf die Frage: keine. Nach dem Teil mit Lucy liest sich alles wie ein Reisebericht, gepaart mit ständigen Wiederholungen, dass pro Jahr 80 Millionen Menschen dazukommen. Dann die richtige Feststellung: Das Wasser wird knapp, die Nahrungssicherheit muss man angehen, jeder Mensch braucht Strom. – Wie das gelingen soll: keine Antwort. ({0}) So möchte der Minister, dass jedes Haus in Afrika eine Steckdose bekommt. 600 Millionen Afrikaner leben derzeit ohne Strom, also ungefähr so viele, wie es Menschen in Europa gibt, und das auf einer Fläche 100-mal so groß wie Deutschland. Aber wie genau kommt jetzt der Strom in diese Steckdose, Herr Kekeritz, damit er da auch rauskommen kann? Für die Grünen kommt er bekanntlich einfach nur aus der Steckdose. Was soll in die Steckdose überhaupt gesteckt werden? Und wer kann sich das kaufen, was daran betrieben werden soll? Antworten in dem Buch: keine. Wichtig ist nur die Feststellung: Es muss klimaneutral sein. ({1}) Kosten, Dauer, wer macht es? Keine Antworten. Dann Seite 184 – ich zitiere –: Der Belastungsdruck auf die natürlichen Ressourcen des Planeten steigt gewaltig an. Der Wasserverbrauch hat sich in den letzten 5 Jahren verdreifacht, der CO2-Ausstoß vervierfacht und die Weltwirtschaftsleistung hat sich verzehnfacht. Der Planet hat Grenzen, und seine Ressourcen sind endlich. ({2}) „Richtig!“ – Aber alles hat direkt etwas mit dem rasant steigenden Bevölkerungswachstum und mit dem Konsum zu tun. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, könnten die 17 Nachhaltigkeitsziele übrigens auch mehr Druck auf die Ressourcen der Welt ausüben. Haben wir mal darüber nachgedacht? Wir müssen endlich feststellen, dass die extreme Bevölkerungsentwicklung allen Vorhaben – mögen sie auch noch so gut gemeint sein – die Luft rauslässt. Hier sind eben und gerade auch die Entwicklungsländer in Selbstverantwortung gefragt. Auf Seite 183 kann man dann zur Kenntnis nehmen, dass Sie die Bevölkerungsentwicklung, Herr Minister, als gegeben hinnehmen, wohl wissend, dass es ein Zuwachs in Hunger und Armut ist.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Jawohl. – Deswegen fordern Sie einen Pakt gegen Hunger und Armut, eine Klimapartnerschaft und eine geregelte Migration. Herr Minister, Ihr Haushalt und Ihre Politik sind wie Ihr Buch: fehlerhaft und mangelhaft. Genau deswegen lehnen wir ihn ab. ({0}) Und ganz zum Schluss: Viele liebe Grüße an Lucy! Danke. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Johannes Selle. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor uns haben wir mit 12,4 Milliarden Euro den höchsten Haushalt des BMZ, den wir je hatten, 2,3 Milliarden Euro mehr als ohne Corona. Stolz und Freude fallen mir aber schwer. Auch die dazu passende ODA-Quote möchte ich nicht zitieren; denn wir erleben eine Ausnahmesituation. Die ganze Welt wird geplagt von einem Virus. Es ist richtig, dass wir das zum Anlass nehmen, für die Unterstützung unserer Partnerländer mehr Mittel zur Verfügung zu stellen – für Gesundheit, für Beschäftigung und für die Nahrungsmittelversorgung. Für die Bewältigung der Krise in Deutschland sehen wir 2021  55 Milliarden Euro vor. Daran kann man am wirkungsvollsten sehen, welches Gefälle es zwischen hier und dort gibt und welche Wegstrecke vor uns liegt, wenn wir den jungen Menschen helfen wollen, Perspektiven in ihrer Heimat zu entwickeln. Die Nachhaltigkeitswoche hier im Deutschen Bundestag hat es thematisieren sollen: Die Welt hat sich verpflichtet, Armut und Hunger bis 2030 zu eliminieren. Es war notwendig, das ins gesellschaftliche Bewusstsein zurückzuholen. Nun erhöhen wir die Mittel in diesem Haushalt signifikant, allerdings im Wesentlichen, um die Wirkungen der Pandemie abzufedern. Das darf nicht zulasten der international vereinbarten Zielstellung gehen. Das tut es auch nicht; denn wir erhöhen auch den Ansatz für die Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ um 70 Millionen Euro. Seit 2014 haben wir zur Förderung von Medien einen eigenen Titel. Die Mittel dafür konnten wir in den letzten Jahren mehr als verdoppeln. Im Entwurf für 2021 sind bereits 35 Millionen Euro veranschlagt. Ich hoffe, dass wir im parlamentarischen Verfahren die Mittel für diesen Titel noch auf 40 Millionen Euro erhöhen können. ({0}) Das ist notwendig. Wir brauchen eine Initiative „Transparenz und Medienfreiheit“ zur Eindämmung der Auswirkungen der Coronapandemie, zur Stärkung unabhängiger lokaler Medien und der Gesundheitsberichterstattung sowie zur Verbesserung der Faktenprüfung. Vor Kurzem hatte ich ein Gespräch mit Medienschaffenden – Journalisten, Filmemachern und Radiomoderatoren – aus den Regionen, die ihre Arbeit an die Pandemiebedingungen bereits angepasst haben. Es ist beeindruckend, wie die jungen Leute mit dem Motorrad über Land fahren, um Aufklärungsvideos zu zeigen. In Uganda werden beispielsweise vor allem Radiostationen im ländlichen Raum unterstützt, um die Bevölkerung über Corona und die entsprechenden Schutzmaßnahmen aufzuklären, und das in 40 lokalen Sprachen und Dialekten. Für eine schnellere Entwicklung setzen wir auf mehr private Investitionen. Die Kanzlerin hat beim Afrika-Gipfel 2018 dafür bis zu 1 Milliarde Euro bis Ende der Legislaturperiode angekündigt. In diesen Tagen wurde ein erfolgreiches Beispiel öffentlich. Das Korbwarenunternehmen Hansen aus Heinsberg in Nordrhein-Westfalen hat sich aufgrund dieses Angebots als Investor werben lassen und mit Unterstützung der GIZ im Senegal bereits 150 Arbeitsplätze geschaffen. Das Unternehmen produziert nun Korbwaren für deutsche Supermärkte. Ohne den Compact with Africa wäre dieses Unternehmen nicht auf die Idee gekommen, in Afrika zu produzieren. Es gibt noch weitere Beispiele. Die Gelder, die zur Verfügung stehen, müssen allerdings schneller an ihr Ziel kommen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir neue Wege gehen können und müssen; denn die Einhaltung der Klimaschutzziele und die Schaffung von Arbeitsplätzen lassen sich kombinieren. Der Sudan hat eine quasifriedliche Transformation von einer Diktatur hin zu Demokratie beschritten. Dort sind Signale der Hoffnung und der Unterstützung dieses Weges dringend notwendig. Warum nicht die Hauptstadt Khartum mit emissionsfreiem Sonnenstrom versorgen? Dort laufen teure umweltschädigende Dieselaggregate. Gleichzeitig können wir die vorhandenen Redox-Flow-Speicher einsetzen, die wir in Deutschland maßgeblich entwickelt haben. Allein in Mitteldeutschland gibt es die entsprechenden Produzenten und Ideen. Deshalb brauchen wir neue, schnellere Ansätze. Die politischen Absprachen zu organisieren, ist die Sache der Politik. Die Unternehmen würden gerne solche großen Projekte umsetzen. So ist die Initiative für Afrika auch gedacht. Das könnte ein rein deutsches Projekt von internationaler Wirkung werden. Wir debattieren am Ende dieser Woche „30 Jahre Deutsche Einheit“. Wir wissen, wie lange es dauerte, bis der Aufschwung gegriffen hat. In Afrika sagt man: Ihr in Deutschland habt das geschafft. Macht es für uns genauso. – Das könnte uns anspornen. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Johannes Selle. – Letzter Redner in der Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Carsten Körber. ({0})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat, über den wir in dieser Woche debattieren, ist bereits der dritte, den wir in diesem Jahr verabschieden werden. Das zeigt: Wir leben momentan in besonderen Zeiten mit besonderen Herausforderungen. Das ist auch der Grund dafür, dass wir unsere Beratungen für den regulären Etat für 2021 nach nunmehr zwei Nachtragshaushalten in der ersten Jahreshälfte erst einige Wochen später beginnen als üblich. Nun zum Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Einzelnen. Der BMZ-Etat ist wieder ein Rekordetat. Er wird in der Höhe fortgeschrieben, die er im zweiten Nachtragshaushalt mit den Coronahilfsmaßnahmen erreicht hat. Das sind in der Summe stolze 12,4 Milliarden Euro. Der Anteil des Einzelplans 23 am gesamten Bundesetat steigt auf circa 3 Prozent. Es war vollkommen richtig, die 3,1 Milliarden Euro aus dem Cronapaket für Entwicklungszusammenarbeit in zwei genau gleiche Jahreshälften aufzuteilen und die eine Hälfte 2020 und die andere Hälfte 2021 zur Verfügung zu stellen. Genau deshalb können wir den hohen Etatansatz auch im nächsten Jahr fortschreiben. Auch im 2021er-Haushalt haben wir zusätzlich 1,55 Milliarden Euro vorgesehen, um die schlimmsten Folgen von Corona in unseren EZ-Partnerländern zu bekämpfen. Herr Minister Müller und sein gesamtes Haus haben hier wirklich eine sehr solide Vorarbeit geleistet. Ihnen und insbesondere allen im Haus mit den Haushaltsaufstellungen betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt an dieser Stelle mein besonderer Dank. ({0}) Wir werden uns Ihre Vorlage in dem parlamentarischen Verfahren genau anschauen, und wir werden mit Sicherheit einige Änderungen daran vornehmen. ({1}) Der Etat ist wirklich eine sehr gute Grundlage für die parlamentarischen Beratungen. Aber eines muss ich an dieser Stelle nicht ganz unkritisch feststellen – verschiedentliche Vorredner hatten es schon geäußert –: Dass die Änderungen am Etat des BMZ, die wir im Haushaltsausschuss – nicht nur als Koalition, sondern auch mit breiter Unterstützung von Oppositionsfraktionen – mit guten Gründen in den zweiten Nachtragshaushalt geschrieben haben, zum größten Teil wieder zurückgedreht wurden, das können wir als Parlament so nicht akzeptieren. Da wird es Änderungs- und Gesprächsbedarf geben. ({2}) Auch ohne Corona wäre die Not in den weniger entwickelten Staaten und Regionen dieser Welt groß genug; aber mit Corona gibt es im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mehr als genug zu tun. Die Pandemie hat die Situation zum Teil extrem verschärft; der Minister hat eingangs darauf hingewiesen. So sieht zum Beispiel das UN-Entwicklungsprogramm UNDP die Entwicklung der Menschheit in diesem Jahr um sechs Jahre zurückgeworfen; das ist dramatisch. Daher wird die Pandemie bis auf Weiteres nicht nur unsere Politik im Inland und in Europa bestimmen. Nein, auch unsere Entwicklungszusammenarbeit mit unseren Partnern in Afrika, in Asien, in Nahost und anderswo wird in nächster Zeit maßgeblich von Corona beeinflusst werden. Dieser Regierungsentwurf trägt dieser Prämisse Rechnung. Wenn man in den Etat schaut, kann man das deutlich erkennen: Während wir uns mit den ersten beiden Nachtragshaushalten in diesem Jahr eher auf die erste Phase der Pandemie fokussiert haben, also auf den Gesundheitssektor und die internationale Krisenbewältigung, müssen wir uns im kommenden Jahr voraussichtlich viel stärker um die Abfederung der sozialen und ökonomischen Folgen von Corona kümmern. Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Vorsicht ist nach wie vor das Gebot der Stunde. In diesen Zeiten kommt auf uns alle hier im Hohen Haus eine immense Verantwortung zu. Lassen Sie uns in den nun anstehenden Haushaltsberatungen dieser großen Verantwortung gerecht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf die anstehenden Beratungen. Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk gehen. Vielen Dank. ({3})