Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Diese Woche steht im Zeichen der Nachhaltigkeit, und man könnte auch sagen: im Zeichen einer vernünftigen Politik für ein gutes Leben für heute und für morgen. Aber Nachhaltigkeit beweist sich erst, wenn es wirklich konkret wird. Deswegen will ich noch mal daran erinnern, was wir hier im Bundestag vor gut einem Jahr gemacht haben. Da habe ich hier nämlich gestanden und für ein Klimaschutzgesetz geworben, für mehr Verbindlichkeit, für einen Kohleausstieg, für einen CO2-Preis, für das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 und dafür, dass wir die soziale Frage bei alldem von Anfang an auch wirklich mitdenken.
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Heute ist das alles beschlossene Sache. Wir haben es in dieser Regierung so hinbekommen, dass wir die Wirtschaft beim Wandel unterstützen und dass kleine und mittlere Einkommen eben ganz besonders profitieren. Genau das ist Nachhaltigkeit ganz konkret: das ökologisch Notwendige so zu tun, dass wir unsere Gesellschaft sozial zusammenhalten und dass wir unsere Wirtschaft fitmachen für die Zukunft, und das so, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit eben keine Frage des Geldbeutels sind. Das ist die Politik, die wir hier machen.
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Meine Damen und Herren, die Bedingungen der Klimapolitik in Deutschland haben sich innerhalb eines Jahres wirklich radikal verändert. Die Größe der Aufgabe wird immer mehr Menschen bewusst – übrigens auch auf der Regierungsbank. Aber auch hier gilt: Weg von abstrakten Bekenntnissen hin zu konkretem Regierungshandeln, und zwar jeden Tag bis zum Ende der Legislaturperiode. Oder um es einmal angelehnt an die Bibel auszudrücken: Nicht an den Worten, sondern an den Taten sollt ihr sie erkennen.
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– Genau. Und das machen wir. Das machen wir ganz genau. Wir vermeiden nämlich jetzt unnötige Streitereien, weil das, was wir bei der Gesetzesnovelle zum Ökostromausbau wollen, jetzt eben konkret wird. Diese Novelle muss deutlich ambitionierter ausfallen, als das bisher vorgesehen war.
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Das werden wir auch nicht später beklagen, sondern das Regierungshandeln muss natürlich auf der Höhe der Zeit sein.
Das gilt übrigens auch für die Anhebung des Klimaziels für 2030. Die EU hat heute noch ein Klimaschutzziel, das unter deutlich anderen Bedingungen formuliert wurde. Die Bedingungen waren wirklich radikal anders als heute. Vor sechs Jahren, als das Klimaziel für 2030 beschlossen wurde, da gab es noch kein Pariser Klimaschutzabkommen, da gab es noch keinen europäischen Konsens, dass wir bis 2050 klimaneutral sein wollen. Da gab es kein europäisches Konjunkturprogramm, das Investitionen in Elektroautos, in Bus und Bahn, in klimafreundliche Gebäude, in sauberen Strom und Grünen Wasserstoff ermöglicht. Solar- und Windstrom waren damals um ein Vielfaches teurer, als das heute der Fall ist. Elektroautos und Grüner Wasserstoff haben damals so gut wie keine Rolle gespielt. Wir hatten auch noch keine Coronapandemie, die uns heute ja zeigt, was möglich ist, wenn wir alle entschlossen und rechtzeitig handeln, um Gefahren auch wirklich abzuwenden.
Heute ist der European Green Deal die Zukunftsstrategie für Europa. Wir haben ein Europäisches Parlament, das auf deutlich mehr Klimaschutz drängt, so wie viele, viele Jugendliche in der ganzen Welt. Es gibt immer mehr Wirtschafts- und Finanzunternehmen, die ihre gesamten Geschäftsmodelle hin zu mehr Nachhaltigkeit und mehr Klimaschutz ändern. Und deswegen können wir es uns jetzt auch zutrauen, in der EU den nächsten Schritt zu gehen. Ich bin davon überzeugt, dass es sehr gute Argumente gibt, das Klimaschutzziel auf mindestens 55 Prozent anzuheben und eine Einigung über eine Anhebung des EU-Klimaziels herbeizuführen. Das ist die herausragende Aufgabe für die nächsten Monate.
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Meine Damen und Herren Abgeordnete, Nachhaltigkeit bedeutet viele Tausend kleine und große Schritte gehen. Sie beweist sich im Konkreten. Sie beweist sich hier im Kreislaufwirtschaftsgesetz, beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, beim Insektenschutzgesetz, aber eben auch in der Diskussion über Lieferketten und Freihandelsabkommen. Sie beweist sich tagtäglich mit jedem Gesetz, mit jedem Haushaltstitel, den wir hier beraten und verabschieden, für den wir die Menschen gewinnen wollen. Denn Klimaschutz und Nachhaltigkeit brauchen gesellschaftliche Mehrheiten, und das ist hier unsere gemeinsame Aufgabe. Ich freue mich darauf, mit Ihnen weiter daran zu arbeiten.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Marc Bernhard, AfD.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! 4 000 Euro muss eine vierköpfige Familie jedes Jahr für Ihre Idee, dass Deutschland im nationalen Alleingang die Welt retten könnte, bezahlen. Allein für Ihre sogenannte Energiewende wird jede vierköpfige Familie bis zum Jahr 2025 25 000 Euro bezahlt haben. Und wofür das Ganze? Dafür, dass sich der CO2-Ausstoß Deutschlands in den letzten zehn Jahren praktisch nicht verändert hat. Die Familien in Deutschland müssen also jedes Jahr 4 000 Euro an Steuern und Abgaben bezahlen, ohne dass es irgendeinen positiven Effekt hätte.
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Ganz im Gegenteil: Der einzige Effekt Ihrer verantwortungslosen Politik ist die Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen. Laut Ihren eigenen Experten – den Experten der Regierung – wird allein in der Autoindustrie durch Ihre erzwungene E-Mobilität jeder zweite Arbeitsplatz vernichtet. Das bedeutet: Jeder, der in der Automobilbranche arbeitet, muss sich in den nächsten Jahren immer die Frage stellen: Muss ich gehen, oder muss mein Kollege gehen? Das heißt nämlich: Jeder zweite Arbeitsplatz wird vernichtet. Diese Art von angeblicher Weltenrettung braucht kein Mensch.
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Und das, obwohl Batterieautos die schmutzigste Antriebsart überhaupt sind. Wenn ein E-Auto vom Band rollt und noch keinen einzigen Kilometer gefahren ist, hat es schon so viel CO2 erzeugt wie ein Diesel nach sechs Jahren. Ganz zu schweigen von den riesigen Umweltzerstörungen in Südamerika beim Lithiumabbau und der lebensgefährlichen Kinderarbeit beim Kobaltabbau in Afrika.
Ihr eigenes Pariser Klimaabkommen macht endgültig eindrücklich klar, dass all Ihre Belastungen der Bürger für das Weltklima völlig nutzlos sind; denn der deutsche Anteil am menschengemachten CO2 beträgt gerade mal 1,8 Prozent, während Ihr Klimaabkommen allen Schwellen- und Entwicklungsländern wie China und Indien, die zusammen über 60 Prozent des weltweit verursachten CO2 ausstoßen, erlaubt, ihren Ausstoß bis 2030 unbegrenzt, also ohne Limit, weiter zu erhöhen. Genau das tun diese Länder auch. So steigert China seinen CO2-Ausstoß jedes Jahr um die Menge, die Deutschland in einem einzigen Jahr erzeugt. Also selbst wenn wir unseren CO2-Ausstoß auf null reduzieren könnten, hätte das null Effekt.
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Trotzdem sind Ihnen die ganzen Belastungen der Menschen immer noch nicht genug. Sie fabulieren gemeinsam mit Frau von der Leyen über einen sogenannten Green Deal, der die Menschen in der EU 3 000 Milliarden Euro kosten soll. Das bedeutet für eine vierköpfige Familie in Deutschland noch mal eine zusätzliche weitere sinnlose Belastung von 4 000 Euro pro Jahr für Ihre Klimahysterie.
Alles, was Sie mit Ihrer Wahnsinnspolitik erreichen, ist also, die Bürger abzuzocken, Arbeitsplätze und Unternehmen in Deutschland im großen Stil zu vernichten und dafür zu sorgen, dass sich unsere Hauptwettbewerber auf dem Weltmarkt, wie beispielsweise China, über uns totlachen.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU.
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Kommen wir doch zum Thema zurück, zur Nachhaltigkeit.
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Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit?
Frau Kollegin, damit ich alle Kollegen gleichbehandle: Bitte reden Sie erst den Präsidenten an, nicht als Person, aber als Institution.
Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit, lieber Herr Präsident, meine Damen und Herren?
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In den letzten Tagen habe ich das viele Menschen gefragt; denn das Thema Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt dieser Woche, übrigens auf Initiative, lieber Ralph Brinkhaus, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Antworten waren ganz unterschiedlich: Kinder, Wald, gesunde Ernährung, gute Finanzen, solide Arbeit usw.
Eine junge Landwirtin hat es für mich auf den Punkt gebracht: Nachhaltigkeit heißt: Es muss alles zusammenpassen. – Leider haben immer mehr Menschen in dieser Gesellschaft das Gefühl: Es passt nicht mehr. – Denn Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt haben sich entfremdet. Das gegenseitige Verständnis fehlt: Das beklagt übrigens der Jugendliche, der für die Umwelt auf die Straße geht, ebenso wie der mittelständische Betriebsinhaber, der sich überfrachtet sieht.
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Manche haben daran aber auch kein Interesse – so ehrlich müssen wir sein –; denn wir leben in einer Welt, in der Ideologie sich auszahlt. Wer nicht skandalisiert, bekommt kaum Gehör, keinen Einfluss, keine Spenden, und das ist ein großes Problem.
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Nachhaltigkeit geht anders. Sie ist eine Gemeinschaftsaufgabe: des Staates, des Bürgers und der Wirtschaft. Wir sind an dieser Stelle alle gefordert; denn jeder kann und jeder muss etwas machen. Wer lebt es uns vor? Fachleute, echte Fachleute. Die Fachleute für natürliche Lebensgrundlagen in diesem Land sind unsere Landwirte, unsere Waldbauern, unsere Gärtner, unsere Winzer, unsere Fischer und, und, und.
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Diese Aussage wird Sie vielleicht wundern; denn in der Öffentlichkeit wird ein anderes Bild von Landwirtschaft gezeichnet, ein Zerrbild. Darunter leiden unsere Bauernfamilien. Bei jedem Hofbesuch höre ich inzwischen: Unsere Kinder werden in der Schule gemobbt. Wir werden beschimpft: „Klimakiller“, „Insektentöter“. – Das dürfen wir nicht zulassen!
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Es sind die Bauern, die wissen, was Boden, Pflanzen, Bäume und Tiere brauchen. Sie leben in, mit und für die Natur, übrigens Tag für Tag, morgens wie abends. Fakt ist: Die größten Klimaschützer in Deutschland sind unsere Waldbauern, und das seit Jahrhunderten. Sie sind übrigens die Erfinder der Nachhaltigkeit; denn sie haben gelernt: Ich darf nur so viel fällen, wie auch nachwächst.
Es wächst eine Menge nach in Deutschland, in unseren Nutzwäldern; denn jeder Hektar Wald bindet 8 Tonnen CO2 pro Jahr. Das ist so viel, wie ein Mensch an CO2 in Deutschland erzeugt: 1 Hektar Wald kompensiert den CO2-Ausstoß eines Menschen und liefert damit übrigens auch den bedeutendsten nachwachsenden Rohstoff in Deutschland, und das ist regionales Holz. Ohne Nutzung keine Nachhaltigkeit!
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Deswegen treibt uns auch um, dass selbsternannte Experten den Verzicht auf die Waldbewirtschaftung fordern. Das ist nicht nur verantwortungslos – denn Holz aus Ländern, in denen viel niedrigere Standards gelten, müsste importiert werden –, sondern es bricht die Nachhaltigkeit.
Zurzeit leidet der Wald unter Stürmen, Dürren, Borkenkäfern. Die Holzmärkte sind zusammengebrochen. Wenn wir wollen, dass unser Wald Klimaschützer Nummer eins bleibt, müssen wir die Waldbewirtschafter unterstützen. Auf Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion könnte unsere Bundesforstministerin, Julia Klöckner, über 500 Millionen Euro zusätzlich verfügen – könnte! Dafür müsste aber der Bundesfinanzminister eine Richtlinie freigeben, die seit Wochen in seinem Haus liegt. Lieber Herr Kollege Scholz, wenn Sie da wären – ich hoffe, es wird Ihnen bestellt –: Lassen Sie die Waldbauern nicht hängen!
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Was für den Wald gilt, gilt auch für das artenreiche Grünland. Das ist kein Zufallsprodukt: Die Weiden sind entstanden, weil Landwirte sie bewirtschaftet haben, und zwar über Generationen hinweg. Liebe Frau Kollegin Schulze, Sie haben gerade gesagt: An den Taten sollt ihr sie messen. – Ja, messen Sie die Landwirte an diesen Taten. Dann wissen Sie: Grünland ist ein Alleskönner. Dieser Alleskönner bindet CO2, er ist ein Paradies für Flora und Fauna, und er ist durch Nutzung entstanden. Deshalb ist Ihre Überlegung, diese Nutzung zu verbieten, genau der falsche Reflex; denn damit würden Sie das Gegenteil erreichen. Grünland ohne Bewirtschaftung verbuscht – Artenvielfalt adieu. Ohne Nutzung keine Nachhaltigkeit. Überlegen Sie es sich doch bitte noch einmal!
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Wenn wir wirklich Nachhaltigkeit wollen, dann müssen wir dreierlei tun: Erstens. Setzen wir uns mit den Landwirten und Waldbauern an einen Tisch; denn ohne sie gibt es keinen Artenschutz und auch keinen Klimaschutz. Honorieren wir, zweitens, endlich ihre Leistungen; auch das ist wichtig.
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Das Dritte ist: Lassen Sie uns zusammenarbeiten, damit der Satz der jungen Landwirtin stimmt: Es muss alles zusammenpassen. – Und dann passt es auch wieder.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Judith Skudelny, FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die wahre Herausforderung der kommenden Jahre im Bereich der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes haben wir heute noch gar nicht gesprochen, nämlich darüber, wie wir künftig 10 Milliarden Menschen auf dieser Welt eine Heimat, eine angemessene Heimat, bieten wollen.
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Vor dem Hintergrund der jünger werdenden Weltbevölkerung kann ich Ihnen eins versprechen: Verzichts- und Verbotsideologien werden uns nicht die Antworten geben, die wir brauchen, um diese Menschen angemessen mit Ernährung, Mobilität, Medizin, Bildung, aber auch Sicherheit zu versorgen. Dorthin brauchen wir neue, kreativere Wege.
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Jetzt schauen wir mal, was Deutschland, was diese Bundesregierung auf dem Weg dorthin beiträgt. Es gibt das chemische Recycling. Das chemische Recycling kann es künftig ermöglichen, Kunststoff so oft wiederzuverwenden, dass wir vielleicht neue Rohstoffe gar nicht brauchen. Und was macht die Bundesregierung? Sie verbietet zum Schutz der Weltmeere Strohhalme und Plastiktüten. Was das bringen soll, ist mir bis heute ein Rätsel. Meine Damen und Herren, damit kommen wir nicht ans Ziel. Eine Meereskonferenz, um dieses Thema genauso ernst zu nehmen wie den Klimaschutz, würde uns dort weiterbringen.
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Es gibt in der Mobilität nichts Nachhaltigeres, als die vorhandenen Fahrzeuge weiter zu nutzen. Warum die ganze Flotte austauschen, wenn wir ganz umweltschonend, und zwar klima- und luftschonend, die jetzigen Verbrennungsmotoren mit synthetischen Kraftstoffen nutzen können? Bisher ist das in Deutschland im Individualverkehr verboten. Meine Damen und Herren, das ist aber nicht die Mobilität der Zukunft. So schützen wir die Umwelt nicht. Wir brauchen Innovationen und Kreativität, und in diesem Punkt versagt die Bundesregierung.
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Jetzt habe ich noch eine persönliche Bitte. Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem steht: Im Lockdown haben wir etwas gelernt. – Es gehört zu Innovation und zu Kreativität dazu, Dinge zu lernen. – Wir haben gelernt, dass Dieselfahrverbote nicht zur Luftreinhaltung der Innenstädte beitragen. – Deswegen ist es wichtig, dass wir auch hier umweltpolitische Argumente nicht dazu nutzen, Ideologien durchzusetzen. Beenden wir also diese unsäglichen Dieselfahrverbote am besten heute noch.
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Den Antrag dazu haben wir eingereicht; er liegt uns heute zur Abstimmung vor. Herr Grundmann von der CDU hat im Umweltausschuss gesagt, er finde den Antrag gut. Er ist nur leider in der falschen politischen Ehe. Liebe CDU, wir stehen bereit, Verantwortung zu übernehmen.
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Wir würden Sie nicht nur heiraten, sondern wir stehen auch für einen Dreier zur Verfügung. Wenn man Attraktivität, Intelligenz und einen tollen Partner haben will, dann muss man bessere Angebote machen, als sie der letzte Ehevertrag enthielt. Geben Sie sich ein bisschen mehr Mühe, und wir sind als Innovationsmotor beim nächsten Mal an Ihrer Seite.
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Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich zu Beginn möchte ich Bundesminister Altmaier zitieren, und zwar sagte er: „Wir“ – also die Bundesregierung – „haben viele Menschen beim Klimaschutz enttäuscht.“ Und da hat er recht. Ja, Sie haben uns wirklich enttäuscht.
Die Bundesregierung hat aber nicht nur die junge Generation enttäuscht. Ich will an dieser Stelle, also gleich zu Anfang, ganz deutlich sagen: Wir als Linke unterstützen den globalen Klimastreik von Fridays for Future am 25. September 2020. Seien Sie alle dabei!
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Klimaschutz ist aber nicht nur etwas für die jüngere Generation, sondern das ist etwas für alle Generationen. Ich möchte, dass auch mein 88-jähriger Vater unter vernünftigen Bedingungen leben kann, und ich glaube, diesen Anspruch sollte jeder haben.
CDU/CSU und SPD haben aber auch die Menschen enttäuscht, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Niemand in unserem Land darf Klimapolitik als Bedrohung erleben. Ich denke zum Beispiel an die vielen Mieterinnen und Mieter, die zu Recht fürchten müssen, nach einer teuren energetischen Gebäudesanierung ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können. Klimaschutz darf nicht auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter ausgetragen werden. Das ist eine klare Forderung unserer Partei.
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Die Bundesregierung hat auch all die Menschen enttäuscht, die vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen wollen. Bei vielen blitzen doch nur die Mercedessterne in den Augen, wenn sie an Mobilität denken.
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Wir als Linke unterstützen das Bündnis von Verdi und den Umweltverbänden. Die Verdoppelung der Kapazität für Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr bis 2030, einschließlich guter Arbeit für die Beschäftigten, das ist doch ein gutes Ziel. Dafür sollten wir uns alle einsetzen, meine Damen und Herren.
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Herr Altmaier, Ihr 20-Punkte-Plan hat nicht zur Stärkung Ihrer Glaubwürdigkeit beigetragen. Sie spielen doch mit gezinkten Karten. Einerseits versuchen Sie, die Grünen mit Hochglanzbroschüren als Koalitionspartner zu gewinnen;
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doch in Brüssel treten Ihre Parteifreunde auf die Umweltbremse. Im Europaparlament mobilisieren Abgeordnete der CDU gegen eine fortschrittliche Klimapolitik und stimmen zusammen mit Rechtsextremen und Klimaleugnern gegen Klimaziele. Das darf doch nicht wahr sein!
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Damit fallen Sie, by the way, auch noch Ihrer Parteifreundin Ursula von der Leyen, die ja gestern ein Klimaziel ausgegeben hat – es könnte höher sein –, in den Rücken. Das ist ein doppeltes Spiel, und das sollten wir den Menschen auch ganz deutlich sagen.
Außerdem, Herr Altmaier, kommt Ihr 20-Punkte-Plan exakt nach Verabschiedung der wichtigsten Gesetze zu diesem Thema, nämlich des Klimaschutzgesetzes und des Kohleausstiegsgesetzes. Sie gießen also erst Ihre verkorkste Klimapolitik in Beton, und dann versuchen Sie, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Ich glaube, das ist ein Widerspruch, und darauf sollte niemand hereinfallen.
Meine Damen und Herren, die Journalistin Christine Dankbar setzt sich in der „Berliner Zeitung“ mit einer Offenbarung des Vorsitzenden der Unionsfraktion auseinander.
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Sie schreibt – ich zitiere –:
Es geht diese Woche im Parlament um unsere Zukunft, versichert Brinkhaus. Darüber werde man reden. „Nicht über laufende Gesetze, nicht über den Haushalt.“ Das heißt kurz und ernüchternd: Diskutiert wird ausgiebig, beschlossen wird nichts.
Die Kolumne heißt übrigens „Politiker im Quasselmodus“.
Die Bundesregierung gibt sich also weiterhin verbal aufgeschlossen, verharrt aber weitgehend in einer Verhaltensstarre. Wir als Linke sagen deutlich: Wir brauchen endlich verbindliche Ziele, um eine Klimakatastrophe zu verhindern, damit es nicht zu spät ist.
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Nun wollen Sie die Klimaziele vorrangig durch marktwirtschaftliche Maßnahmen erreichen. Hierzu soll der europäische Emissionshandel reformiert werden; aber damit sind Sie doch bereits gescheitert. Es hat nicht funktioniert, und es ist auch unsozial.
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Wer sich in Zukunft teure Produkte mit einem hohen CO2-Preis leisten kann, der wird weiter zum Beispiel mit seinem Privatjet fliegen und mit dem ökologischen Zeigefinger auf die Menschen zeigen, die sich das nicht leisten können.
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Wir brauchen also zusätzlich Ordnungspolitik. Wir haben hier vor einiger Zeit 9 Milliarden Euro für die Lufthansa zur Verfügung gestellt. Wir als Linke haben gesagt: Das muss mit klaren Forderungen verbunden sein: Sicherung der Arbeitsplätze, Einstellung der Inlandsflüge. Das haben Sie nicht aufgegriffen, und das war ein schwerer Fehler. In Frankreich wurde in der Coronakrise die Air France unterstützt. Die Bedingung, die dort gestellt wurde, war: keine Inlandsflüge. – Wenn das in Frankreich geht, warum geht das in Deutschland nicht? Ich denke, das liegt nur an dieser Regierung, und das muss sich ändern, meine Damen und Herren.
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Der Plan enthält natürlich auch sinnvolle Vorschläge. Herr Altmaier, Sie haben geschrieben, Sie wollen jedes Jahr einen bestimmten Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes für Klimaschutz und Wirtschaftsförderung zur Verfügung stellen. Das ist erst mal keine schlechte Idee. Die Frage ist nur: Was heißt das konkret, und wofür?
An dieser Stelle ist ganz deutlich darauf hinzuweisen, dass es eine andere Kopplung an das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr geben darf. Es muss endlich Schluss damit sein, dass die Bundesregierung in jedem Jahr 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgeben will. Das sind 68 Milliarden Euro im Jahr, und dabei sind die Kosten, das Leid und die Umweltzerstörung noch nicht eingerechnet, die mörderische Kriege kosten. Keiner kann ernsthaft – das sage ich Ihnen ganz deutlich – für Umweltschutz eintreten und gleichzeitig Kriege befürworten.
Meine Damen und Herren, wir als Linke sagen: Nachhaltigkeit geht nur sozial, gerecht und friedlich – anders geht es nicht. Dazu braucht es einen Richtungswechsel in der Politik. Wir als Linke sind darauf vorbereitet.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Papier wird ungeduldig: 2015 wurden in New York die Nachhaltigkeitsziele beschlossen, ebenfalls im Jahr 2015 kam es zum Klimavertrag von Paris. Alle waren sich einig: Wir müssen viel mehr tun für Klimaschutz, für Gerechtigkeit, für das langfristige Überleben des Menschen auf unserem Planeten.
Und was tut sich im deutschen Kabinett? CO2-Preis, Kohleausstieg, EEG-Novelle – überall da, wo Sie etwas Starkes tun könnten, Herr Altmaier, ducken Sie sich weg, weshalb Ihre starken Aussagen vom letzten Freitag zu einer ernstgemeinten Klimapolitik einfach nichts wert sind.
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Bestes Beispiel ist Ihr Vorschlag für Kommissionen. Wie Sie mit deren Empfehlungen am Ende umgehen, das haben Sie bei der Kohlekommission vorgeführt. So frustriert man die Zivilgesellschaft, und genau das können wir in diesen Zeiten nicht brauchen.
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In Ihrer jüngsten EEG-Novelle wollen Sie mit der Hälfte des für den Klimaschutz nötigen Ausbaus von jährlich 16 Gigawatt auskommen. Damit das Ganze dann trotzdem für 65 Prozent Ökostrom im Jahr 2030 reicht, gehen Sie kurzerhand von einer Verringerung des Stromverbrauchs aus. Sie wollen aber, wie wir auch, Elektroautos, Wärmepumpen und Wasserstoff. Das geht doch nicht zusammen.
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30 000 Arbeitsplätze in der Windindustrie, die Sie zusammen mit dem florierenden Ausbau der Erneuerbaren an die Wand gefahren haben, waren Ihnen nichts wert.
Die Rettung der Lufthansa war Ihnen wichtig; aber auf ökologische Bedingungen haben Sie verzichtet.
Vernunft und Verschärfung heutiger Ziele gehen beim Klimaschutz Hand in Hand. Da muss man keine Balance suchen, Herr Scheuer. Und Verunsicherung trägt man in die Wirtschaft nicht durch Klarheit, sondern dadurch, dass man von Klimaschutz redet und nichts tut.
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Der Verkehrssektor hat bislang gar nichts eingespart.
Mit den für Sie typischen Kommentaren zur absolut notwendigen Verschärfung der CO2-Grenzwerte für die Pkw-Flotte machen Sie nicht nur sich, sondern wieder einmal die gesamte deutsche Klimapolitik unglaubwürdig. Und Sie legen Hand an das langfristige Überleben der Automobilindustrie, indem Sie ihr einreden, die Transformation hätte noch Zeit. Nein, hat sie nicht.
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Frau Schulze unterstützt den Vorschlag der EU-Kommission für ein schärferes Emissionsziel. Da heißt es jetzt, den Koalitionspartner überzeugen und dann aber auch konsequent sein.
Das bedeutet, erstens nicht zu akzeptieren, dass Aufforstung als Minderungsmaßnahme angerechnet wird. Das ist in Zeiten brennender und an Hitze und Dürre sterbender Wälder einfach nur absurd.
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Wenn Wälder in der Klimakrise sterben und wieder aufgeforstet werden müssen, soll das dann CO2-Einsparung sein?
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– Ernsthaft?
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Es bedeutet zweitens, unsere nationalen Ziele und Maßnahmen dem neuen EU-Ziel anzupassen und die Chance der EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um zögernde Länder zu überzeugen.
Und im Vorblick auf die Haushaltswoche: endlich den doppelten klimapolitisch-haushalterischen Benefit des Abbaus klimaschädlicher Subventionen zu nutzen.
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Einen doppelten Benefit hätte übrigens auch ein wirksamer CO2-Preis, vor allem, wenn die Einnahmen pro Kopf an die Bevölkerung zurückgegeben werden und so einen sozialen Ausgleich schaffen.
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Spätestens die Coronakrise hat uns gezeigt, wie alle Politikfelder zusammenhängen: ohne Naturschutz keine Gesundheit, ohne Klimaschutz keine soziale Gerechtigkeit. Es braucht resiliente Städte mit anderer Mobilität, die nicht mehr Kinder, Ältere und Geringverdiener zu Verlierern des Systems machen, weil sie überdurchschnittlich unter Lärm, schlechter Luft, verbrauchter Fläche und Erwärmung leiden.
Genauso in der Landwirtschaft: Tierleid, Billigfleisch, unterbezahlte Arbeitskräfte, Überdüngung, Grundwassergefährdung, Schadstoff- und CO2-Emissionen stellen die Negativspitzen des heutigen Systems dar. Sie alle wären schon allein durch die Bindung der Tierzahl an die Fläche abzufedern.
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Wenn Sie sich dann noch zum Glyphosatausstieg und zu einer Pestizidreduktionsstrategie durchringen, hätten Sie nicht nur Bienen und Insekten, sondern auch das Klima ein Stückchen gesünder gemacht.
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Aber nein! Immer wieder ist es Ihre spürbare Angst vor Liebesverlust bei Wirtschaft und Gesellschaft, die Sie auf der Bremse stehen lässt und Sie nicht tun lässt, wovon Sie wissen, dass es getan werden müsste.
Dabei sind Wirtschaft und Gesellschaft vielfach längst weiter als Sie: Ich nenne Fridays/Parents/Scientists for Future, Appelle aus der Wissenschaft, das Weltwirtschaftsforum in Davos, Stiftung 2° oder jetzt gerade die Chefs von 150 internationalen Unternehmen wie Google, Apple, Deutsche Bank, die eine deutliche Senkung des CO2-Ausstoßes anmahnen.
Und sie haben recht! Brände überall auf der Welt – der Regenwald, Kalifornien, die Tundra –, Überschwemmungen in Afrika, Dürre in Brandenburg, Waldsterben, Hitze in deutschen Städten – alles bei nur 1 Grad durchschnittlicher Erwärmung. Dazu kommen vielleicht noch öfter Zoonosen wie Covid-19, die mit der Zurückdrängung natürlicher Räume zusammenhängen.
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Der gerade erschienene Bericht zur Lage der biologischen Vielfalt zeigt,
dass das Massensterben weitergeht, und neben allen anderen fatalen Schäden, die der Rückgang der Artenvielfalt bedeutet, begünstigt er auch das Überspringen von Viren.
Wer jetzt den Gong noch nicht gehört hat, dem ist nicht zu helfen. Nehmen Sie die EU-Klimaschutzziele konstruktiv auf, und setzen Sie sie für Deutschland um. Und nehmen Sie von mir aus auch Herrn Altmaiers 20 Punkte, und füllen Sie sie, aber mit etwas anderem als mit heißer Luft.
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Sie haben noch elf Monate Zeit. Mir ist es nicht aus taktischen Gründen recht, wenn Sie weiterhin versagen; in der Sache haben wir keine Zeit mehr zu verlieren.
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Deshalb nehmen Sie diese Nachhaltigkeits- und Klimawoche als Auftrag.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Carsten Träger, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachhaltigkeit, das ist für uns Zukunftsfähigkeit und Zusammenhalt. Und da ist es wirklich ganz entscheidend, dass wir die Zukunftsthemen vorantreiben – für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, für die Arbeitsplätze –, aber dass wir eben auch das Soziale nie aus dem Blick verlieren.
Natürlich ist die Notwendigkeit, ökologisch zu handeln, uns allen, die wir hier sitzen, klar. Deswegen finde ich, dass dieses Klimaschutzgesetz, aufgrund dessen wir heute hier diese Nachhaltigkeitsdebatte führen können, eine richtig gute Sache ist; denn genau darin vereinen wir diesen Ansatz, dass wir alles zusammendenken müssen, dass diese Herausforderung nicht einfach mit einer Kleinigkeit oder in ein, zwei Gesetzen zu stemmen ist, sondern dass wir einen langen Weg hin zur Treibhausgasneutralität 2050 gehen. Dieses Parlament nimmt sich das Recht, jedes Jahr diesen Weg zu überprüfen. Wir geben klare Zielvorgaben für jeden Sektor, und wir debattieren jedes Jahr: Wird dieser Weg schnell genug gegangen?
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Und es ist klar, dass das natürlich der Opposition nicht schnell genug geht. Aber ich erlaube mir den Hinweis darauf, dass das Gesetz noch nicht mal ein Jahr in Kraft ist und deswegen eine kleine Zwischenbilanz dieses Jahr mehr ein Blick in die Zukunft sein muss.
Trotzdem weise ich darauf hin, dass wir in dem ganzen Bereich viel geschafft haben. Das Kohleausstiegsgesetz ist für mich ein Sinnbild für ein gutes, nachhaltiges Gesetz, weil wir den Ausstieg schaffen; 2038 ist manchen zu spät, mir persönlich auch, aber das Türchen ist offen, dass wir das 2035 machen können.
Und ich rate auch immer: Schaut nicht nur auf das Ende, schaut auf den Anfang. In den nächsten drei Jahren legen wir die letzten Atomkraftwerke in Deutschland und ein Drittel unserer Kohleerzeugungskapazitäten still. Das wird sofort schnelle Wirkung erzielen und den Ausstoß der klimaschädlichen Gase in Deutschland deutlich reduzieren.
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Und wir tun das, und wir halten dabei unser Versprechen, dass wir keinen Kumpel ins Bergfreie fallen lassen. Wir nehmen viel Geld in die Hand, um den Ausstieg sozial abzufedern. Wir investieren in den Regionen in Infrastruktur, wir verlagern Behörden dorthin, wir locken Unternehmen, damit eben Arbeitsplätze für diejenigen Leute geschaffen werden, die vom Kohleausstieg betroffen sind. Das ist für mich ein nachhaltiges Gesetz, und diesen Grundsatz müssen wir viel öfter anwenden.
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Und wir tun ja noch viel mehr. Um nur die Wasserstoffstrategie zu nennen: 7 Milliarden Euro pumpen wir in den Hochlauf dieser neuen Technologie, die am Ende natürlich dann auch Arbeitsplätze in Deutschland schaffen und sichern wird. Wir stecken viel Geld in den Hochlauf der Elektromobilität, auch als Konjunkturprogramm. Da wäre es schön, wenn der Verkehrsminister die Voraussetzungen schaffte, dass wir das Ladesäulenprogramm schnell auf die Straße bringen. Es soll ja ein Konjunkturprogramm sein, das in der Krise und nicht erst nach der Krise seine Wirkung entfaltet. Das wäre meine dringende Bitte.
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Wir machen Förderung von energetischen Sanierungen mit massiver Unterstützung durch den Staat. Da kann man nicht sagen, dass Klimaschutz Geld kostet, sondern das wird die Wirtschaft ankurbeln. Es ist aber auch so ausgestaltet, dass die Menschen das bezahlen können, und davon profitieren natürlich sowohl die Umwelt als auch unsere wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit. Wir scheuen uns auch nicht, dann das scharfe Schwert „Ordnungsrecht“ anzuwenden; denn ab 2025 ist einfach der Einbau von neuen Ölheizungen in Deutschland nicht mehr erlaubt.
Ich finde, wir haben in diesem Bereich wirklich geliefert. Die Bilanz dieser Regierung ist dort wesentlich besser als in der öffentlichen Meinung.
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Bevor meine Redezeit abgelaufen ist, nur noch ein Hinweis: Liebe Frau Klöckner, bei dem zweiten großen Thema, das wir neben dem Klimaschutz haben – Artensterben und Insektenschutz – könnte es nach meiner Wahrnehmung ein bisschen schneller gehen.
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Ich würde Sie bitten: Gehen Sie von der Bremse herunter, und machen Sie den Weg frei, sodass wir endlich das Insektenschutzgesetz auch im Parlament debattieren können. Wir sind da mittlerweile mehr als ein Jahr im Verzug.
Ich freue mich auf Ihre Antwort. Sie werden ja sicherlich gleich zu dem Thema sprechen. Hier wäre es mir ein großes Anliegen, dass wir beim Insektenschutz vorankommen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Karsten Hilse, AfD.
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Es geht schon los. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Mit Ihrer Genehmigung, Herr Schäuble, zitiere ich Sie höchstselbst: „Die Corona-Krise ist eine große Chance“, und Sie meinen damit aus meiner Sicht die Chance,
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via Angst Pläne, die sich sonst nicht umsetzen ließen, durchzusetzen – Angst, welche allein die Regierung und ihre medialen Unterstützer mit ihrer Coronapanik erzeugt haben, Angst, die auch Herr Altmaier nutzen will, aktuell mit seiner Charta für den Klimaschutz. Er will uns damit glauben machen, dass die Wirtschaft für ihren Gang zum Schafott nur einen festen Zeitplan benötigt. „Planungssicherheit“ nennt er das. Sie würde sich dann freudig auf die Ausgeburt der Planwirtschaftshölle stürzen und im Gleichschritt in ihr Elend marschieren. Das nennt er dann „Klimaschutz und Wirtschaft versöhnen“.
Wir wissen, was die Wirtschaft zum größten Teil unter „versöhnen“ versteht: alle Subventionen abgreifen, immer mehr fordern, aber verstärkt und sehr schnell aus diesem Land verschwinden. Und mit ihr verschwinden die Wertschöpfung, unsere Kaufkraft und unser Wohlstand, und zwar für immer.
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Deswegen müssen wir, das Parlament, die Vertretung des deutschen Volkes als Souverän, diesen Leuten in den Arm fallen, bevor es zu spät ist. Das bedeutet zuallererst, aus der unseligen Klimaübereinkunft von Paris auszusteigen. Diese völlig unverbindliche Übereinkunft legt nur gefühlte zulässige Temperatursteigerungen von 1,5 oder auch 2 Grad fest, ohne jemals zu quantifizieren, von welchem konkreten Temperaturausgangswert sich dieser statistische Mittelwert verändern darf. Außer inhaltsleeren Worthülsen findet sich dazu nichts in den fast 30 Seiten; also kann auch niemand die Wirkung irgendeiner Maßnahme überprüfen.
Stattdessen wird darin ebenso unverbindlich festgelegt, dass jeder Staat benennen soll, wie viel CO2 er einsparen will – nicht „muss“, sondern „will“ –, in der völlig unbelegten Annahme, dass das menschengemachte CO2 die Temperatur dieses Planeten maßgeblich beeinflusst. Und es steht noch drin – allerdings nur indirekt –, dass der Green Climate Fund ab 2020 100 Milliarden und ab 2025 500 Milliarden Dollar jährlich verteilen soll, und das leider an teilweise korrupte Eliten, die zwar ihre ersten Selbstverpflichtungen gemeldet haben, aber keine Taten folgen ließen.
Die weltweiten Emissionen stiegen seit 1997 um mehr als 50 Prozent, trotz Klimahysterie, trotz bisher 23 Klimamammutkonferenzen. Einstein soll gesagt haben: Eine Definition von Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu versuchen und ein anderes Ergebnis zu erwarten. – Zeigen Sie, dass Einsteins Zitat nicht für diesen Bundestag gilt! Ändern Sie Ihren Kurs! Stimmen Sie für unser Deutschland! Retten Sie Deutschland aus dem Würgegriff der Klimamafia,
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so wie es Präsident Trump vor knapp einem Jahr bereits getan hat!
Am 4. November ist die Übergangsfrist für den Austritt abgelaufen. Deshalb wünsche ich von hier aus Ihnen, Mister President Trump, für den 3. November viel Erfolg.
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Mögen Sie die Wahl gewinnen und das amerikanische Volk am 4. November aus der Geiselhaft des selbsternannten Weltklimarates führen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Marie-Luise Dött, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man eine nachhaltige Entwicklung voranbringen will, dann geht es auch um die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft. Die Vermeidung von Abfällen und das Schließen von Stoffkreisläufen ist eine Voraussetzung für Ressourcenschutz, für Klimaschutz, für eine prosperierende Wirtschaft und natürlich auch für Arbeitsplätze in unserem Land. Gerade Deutschland als rohstoffarmes Land muss Vorreiter bei der Kreislaufwirtschaft sein.
Meine Damen und Herren, wir sind es auch. Wir haben die Kreislaufwirtschaft in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Gesetzesinitiativen weiterentwickelt, und wir lassen nicht nach.
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Wir arbeiten aktuell an einer Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, des Batteriegesetzes, novellieren die Altfahrzeug-Verordnung, setzen die Vorgaben der Europäischen Union zum Verbot von Einwegkunststoffartikeln um.
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Wir haben im Bereich der Kreislaufwirtschaft viele Mittelständler, die mit ihren innovativen Unternehmen Tausende Arbeitsplätze sichern. Wir wollen diese Entwicklung weiter voranbringen.
Ein erster wichtiger Ansatz dafür ist die Produktpolitik. Mit der Gestaltung der Reparaturfreundlichkeit und gegebenenfalls auch mit einem Verbot von Produkten entscheiden wir auch über das Abfallaufkommen. Aber wir können Produkte nur verbieten, wenn wir einen nachweislich ökologisch besseren Ersatz haben. Eine Kreislaufwirtschaft auf der Grundlage gefühlter ökologischer Vorteile führt umweltpolitisch in die Irre und ist wirtschaftlich schädlich. Wir brauchen zur wissenschaftlichen Beurteilung der Vor- und Nachteile Ökobilanzen.
Ein zweiter Ansatz ist die Stärkung des stofflichen Recyclings. Es macht keinen Sinn, Abfälle zu hohen Kosten zu trennen, zu sammeln und zu sortieren, wenn man sie am Ende nicht nutzt.
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Wir sollten uns deshalb bestimmte Branchen ansehen und prüfen, welche Möglichkeiten der Wiedernutzung für Rezyklate möglich sind. Bei Materialien für den Tiefbau wie Rohren sind die Chancen für einen Rezyklateinsatz sicherlich größer als bei Lebensmittelverpackungen. Zudem muss auch der Rechtsrahmen auf den Prüfstand. Beim Bodenschutz, Gesundheitsschutz, bei der Chemikaliensicherheit oder dem Lebensmittelrecht müssen wir dafür sorgen, dass Zielkonflikte für Rezyklatnutzung abgebaut werden. Eine Null-Schadstoff-Strategie, wie im Green Deal angekündigt, hilft hier jedenfalls nicht weiter.
Drittens müssen wir prüfen, wie wir den preislichen Nachteil der Rezyklate gegenüber Primärmaterial reduzieren. Auch hier gibt es unterschiedliche Ansätze, die geprüft werden müssen.
Ein vierter wichtiger Ansatz ist, die öffentliche Beschaffung stärker auf die Rezyklatnutzung auszurichten. Mit der aktuellen Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sorgen wir in den Ausschreibungen für eine Gleichbehandlung von Rezyklaten. Wir werden in Europa und Deutschland die Kreislaufwirtschaft weiterentwickeln.
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Aber wir müssen auch international stärker zusammenarbeiten. Wir unterstützen andere Länder beim Aufbau von Abfallmanagement und Entsorgungsinfrastruktur; aber wir können hier noch deutlich besser werden. Das hilft gegen den Meeresmüll, hilft den Partnerländern, unterstützt unsere Unternehmen und schafft Arbeitsplätze in Deutschland. Kreislaufwirtschaft muss endlich als ein wesentliches Element nachhaltiger Entwicklung verstanden werden und gehört deshalb stärker in den Mittelpunkt der Politik.
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Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Lukas Köhler, FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kotting-Uhl hat Ihnen gerade mit ein paar Fehlern ein sehr, sehr düsteres Bild dargelegt und gezeigt, wo man alles aussteigen muss, was man alles reduzieren muss, wovon es alles weniger geben muss. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist; aber wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, dann kann man das so sehen.
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Meiner Meinung nach gibt es eine andere Möglichkeit – das richte ich auch an die AfD, die ohne viel Ahnung in eine falsche und andere Richtung geht –: Man kann über den Klimaschutz sprechen und über die Chancen und Möglichkeiten, die dabei entstehen. Denn überlegen wir uns mal, was der Klimaschutz für uns hier in Deutschland bedeutet, vor allen Dingen was er weltweit bedeutet.
Was brauchen wir dafür? Wir brauchen eine starke, eine funktionierende, eine innovative Anlagentechnologie; denn nur die wird irgendwann mal die Möglichkeit bieten, wirklich viel CO2 zu reduzieren.
Was brauchen wir noch? Wir brauchen verdammt gut funktionierende neue Werkstoffe. Wir brauchen leichte Materialien. Wir brauchen gute Verbundstoffe. Wir brauchen also die Möglichkeiten, die die Chemieindustrie uns heute bietet.
Das Dritte, was wir brauchen, sind verdammt gut funktionierende Energienetze. Wir brauchen Netze, die die Energie, und zwar die nichtfossile Energie, von A nach B bringen, ohne dass es zu Problemen kommt.
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Jetzt können wir mal überlegen: Was haben wir denn in Deutschland? Wir haben die besten Anlagenbauer der Welt. Wir haben Ingenieure, wir haben Tüftler, die jeden Tag richtig, richtig, richtig gute neue Lösungen für die Probleme, die wir haben, finden.
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Was ist das Zweite, das wir haben? Wir haben eine verdammt gut funktionierende Chemieindustrie, die jeden Tag, auch hier, aufs Neue dafür sorgt, dass wir richtig gute neue, tolle Produkte haben.
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Was haben wir noch? Auch wenn wir gerne mal drüber herziehen: Eigentlich, wenn wir mal ehrlich sind, haben wir ein verdammt gut funktionierendes Energienetz, und eigentlich haben wir auch eine verdammt gut funktionierende Energieversorgung, die selbst mit Shenanigans aus der Erneuerbare-Energien-Industrie klarkommt.
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Dafür müssen wir sorgen, dass diese Sachen so bleiben. Wenn wir das alles übereinanderlegen, dann haben wir das, was wir in Deutschland brauchen, um wirklichen Klimaschutz zu betreiben.
Das ist die Herausforderung. Das müssen wir weiterführen. Das funktioniert aber nur durch kluge politische Rahmenbedingungen und nicht durch die vielen Tausend Einzelmaßnahmen, die es gibt.
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Ja, LULUCF in den Emissionshandel zu integrieren, bedeutet, eine einheitliche Form zu haben, anständig mit dem Klimaschutz umzugehen. Denn es geht darum, CO2 zu reduzieren. Es ist dafür zu sorgen, die Gesamtheit bis 2050 auf CO2-Neutralität umzustellen. Da müssen natürlich alle Emissionen, aber auch alle Reduktionen von Emissionen berücksichtigt sein. Das funktioniert technologisch. Deswegen freue ich mich auch.
Ich muss sagen: Sie, liebe Linke, und Sie, liebe Grüne, versuchen hier taktisch, die Charta von Peter Altmaier deswegen kleinzureden, weil Sie Sorgen haben, dass Sie sich sonst auf Maßnahmen committen müssten, die Sie nicht nutzen wollen.
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Das finde ich eigentlich schade. Aber ich will sagen, dass es mehr als leere Worte wie beim letzten Mal sein müssen. Lieber Herr Altmaier, Ihre Fraktion, Ihre Partei hat vor einem Jahr schon mal angekündigt, dass es das Ziel wäre, dass wir über Klimaschutz reden wollen.
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Und was ist passiert? Gar nichts. Wir haben sogar einen Brief an Sie geschickt, und ich weiß noch nicht mal, ob wir eine Antwort darauf bekommen haben.
Das ist doch das Problem. Leere Worte sind in der Klimapolitik genau das Falsche;
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denn leere Worte bringen der Chemieindustrie nichts, leere Worte bringen den Anlagenbauern nichts, leere Worte bringen unserer energieintensiven Industrie nichts, und die brauchen wir, um wirklichen Klimaschutz umzusetzen.
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– Wo Sie gerade dazwischenrufen, Frau Weisgerber: Sie reden immer von synthetischen Kraftstoffen. Ich erwarte immer noch, dass Sie mir aufzeigen, wie Sie die in die Verhandlungen über die Flottengrenzwerte einbringen wollen.
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Ich warte immer noch darauf, dass Sie mir zeigen, wie Sie den europäischen Emissionshandel wirklich ausweiten wollen. Ich warte immer noch darauf, dass Sie Gesetze machen, die nicht wahrscheinlich vom Verfassungsgericht gekippt werden. Denn das wäre eine Aufgabe für eine konservative CDU/CSU, die sagt: Ja, wir wollen dafür sorgen, dass Klimaschutz umgesetzt wird. – Rechtskonforme Gesetze, das wäre der erste Schritt.
Meine Damen und Herren, wenn wir das alles machen, wenn wir Rahmen so setzen, dass sie Innovation, Marktwirtschaft und Wettbewerb fördern, und wenn wir dafür sorgen, dass das auch auf den Klimaschutz ausgerichtet ist, dann machen wir wirkliche Nachhaltigkeitspolitik. Meine Damen und Herren, das können wir. Wir bieten Ihnen jeden Tag aufs Neue an, wie das funktionieren kann. Ich hoffe, Sie folgen uns.
Vielen herzlichen Dank.
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Rainer Spiering, SPD, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Zur AfD: Wer sich hier in diesem Haus öffentlich zu Trump und zu Lügen- und Verschwörungspolitik bekennt,
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der bekennt sich zu einer Politik, die für Deutschland auf jeden Fall nicht die richtige Politik ist.
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Sie haben sich übrigens an einer Stelle entlarvt. Wer als ein Hundertstel der Weltbevölkerung ein Fünfzigstel des Energieverbrauchs und des CO2-Ausstoßes für sich in Anspruch nimmt, der sagt, welche Ansprüche er hat und welche Ansprüche er anderen zubilligt. Den Dreisatz versteht jeder.
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Was mir hier heute ein bisschen fehlt – das hat mir bei den Grünen auch gefehlt –, ist der Ansatz zur Zukunft. Ich habe so ein bisschen an die Apokalyptischen Reiter gedacht, als ich gehört habe, was für ein Bild Sie hier aufzeigen. Das sage ich auch noch mal zur AfD: Aus der Geschichte kann man lernen; dass Sie da Schwierigkeiten haben, ist bekannt. Aber wenn ich daran denke, was uns in diesem Land stark gemacht hat: Das sind Motorenbau, Anlagen- und Maschinenbau gewesen. Der Diesel hat tatsächlich die Welt auf den Kopf gestellt. Jetzt tun wir das noch mal, indem wir auf andere Energieformen übergehen und auch zeigen, was wir können. Die Herstellung von Windrädern ist exzellenter deutscher Maschinenbau.
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Mit alldem kann man weltweit Geld verdienen. Das muss das Signal an die Menschen sein: Wir produzieren hier neue Arbeitsplätze durch neue Technologie. Das müssen wir fordern, Herr Minister Altmaier.
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Zur Landwirtschaft. Liebe Gitta Connemann, ich hätte mir auch da eine etwas zukunftsorientiertere Rede vorgestellt. Landwirtschaft muss in diesem Land Zukunft haben. Zukunft bedeutet aber, so hart wie das ist, immer Veränderung. Auch die Landwirtschaft muss in einen Veränderungsprozess kommen. Wir werden das heute Nachmittag bei der Debatte über die ASP diskutieren. Dabei geht es nämlich auch um Stoffkreisläufe. Damit wir der Landwirtschaft wirklich helfen, Frau Ministerin Klöckner, haben wir Ihnen so viel Geld für Digitalisierung zur Verfügung gestellt, das neue Handwerkszeug des 21. Jahrhunderts. Nutzen Sie es! Sie hatten zugesagt, zu Mitte August die Machbarkeitsstudie zur Masterplattform vorzustellen. Sie haben das nicht leisten können. Wenn wir die Probleme der Landwirtschaft lösen wollen, dann brauchen wir Fakten, Daten und Ausgangssituationen. Das können wir nur mit dem modernen Handwerkszeug der Digitalisierung leisten. Tun Sie an der Stelle etwas! Helfen Sie den Landwirten, indem Sie ihnen Fakten und Erkenntnisse übermitteln und das Handwerkszeug geben, um etwas zu verändern!
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Das muss der Ansatz sein. Nur auf der Basis von Faktenwissen können wir agieren.
Zum Abschluss. Wenn mir ein prominenter Wissenschaftler in Deutschland sagt: „Wir sind heute dazu in der Lage, jedes Güllefass zu erfassen und bei jedem Güllefass festzustellen: ‚Wo wird etwas ausgebracht?ʼ“, dann frage ich mich: Warum haben wir das nicht bereits getan?
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Jetzt hat das Wort die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lebe vom Ertrag, lebe nicht von der Substanz. Was das bedeutet, das wissen Land- und Forstwirte nur zu gut. Es bedeutet ihr Überleben, es bedeutet unser aller Überleben. Land- und Forstwirte, Gartenbauer, Fischer – sie denken nicht in Quartalen, sie denken in Generationen. Wir müssen Nachhaltigkeit aber ganzheitlich verstehen, anders als zum Beispiel die Grünen, die nur auf die Ökologie achten. „Ganzheitlich“ heißt, Ökologie im Blick zu haben, aber auch die ökonomische Basis und die soziale Balance.
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Was bedeutet das? Dass wir Ressourcen wertschätzen und nicht verschwenden, dass wir Land- und Ernährungswirtschaft intelligent weiterentwickeln, dass wir unsere natürlichen Verbündeten beim Klimaschutz aktivieren, unsere Wälder und unsere Böden. Wir haben deshalb in meinem Ministerium einen Zehn-Punkte-Plan mit ganz konkreten Maßnahmen erarbeitet.
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– Die Grünen werden dann unruhig, wenn es konkret wird, weil sie dann von ihrer Flughöhe runtermüssen. Dann zeigt sich, wer wirklich Klimaschutz ernst nimmt, weil er ihn in den Alltag überträgt.
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Der Plan reicht vom Schutz des Moorbodens über Energieeinsparung im Gartenbau, eine emissionsarme Tierhaltung, den Humusaufbau im Ackerland sowie die Stärkung unserer Wälder und die Reduzierung von Lebensmittelabfällen bis hin zur Förderung eines regionalen und nachhaltigen Konsums. Wir machen es konkreter: Wir fördern. Wir setzen das als Bundesregierung um: nachwachsende Rohstoffe, Autoreifen aus Löwenzahn, Gummistiefel aus Mais, Fahrradhelme aus Holzfasern.
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Das mag lächerlich klingen. Aber die einen wollen verbieten, und wir bieten Lösungen an. Das ist Nachhaltigkeit.
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Deshalb sage ich auch ganz klar: Stichwort „Holz“. Unser Klimaschützer Nummer eins ist der Wald. Er liefert uns den bedeutendsten nachwachsenden Rohstoff, das Holz. Holz speichert den Kohlenstoff oft über Jahrzehnte in Möbeln, in ganzen Häusern. Wir mögen den Wald, wir mögen Bäume, wir mögen Möbel aus Holz; aber die Grünen mögen nicht, dass Bäume geschlagen werden und Holz geerntet wird. Wir sagen Ja zu einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung; denn ansonsten werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen können.
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Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle wissen: Der Zustand unseres Waldes ist dramatisch. Wir brauchen den Wald, unsere grüne Lunge. Jetzt braucht er uns:
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Schadholz räumen, Schutz vor Schädlingen, standortangepasste, stabile Baumarten pflanzen.
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Deshalb nimmt die Bundesregierung, nehmen wir gemeinsam 1,5 Milliarden Euro in die Hand. Die Große Koalition will das in den kommenden Jahren für die Zukunft investieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Baum, der jetzt nicht gepflanzt wird, ist eine verpasste Chance für unsere Enkel und Urenkel. Deshalb: Machen Sie mit bei den Deutschen Waldtagen, die wir im Anschluss eröffnen werden!
Aber, verehrte Damen und Herren, bei der Nachhaltigkeit sind wir alle gefragt, nicht immer nur die anderen. „Nachhaltigkeit“ heißt für Verbraucherinnen und Verbraucher, Lebensmittel wertzuschätzen und nicht wegzuwerfen. Aber bitte auch die wertschätzen, die für unsere Lebensmittel sorgen, und ihnen nicht ständig unterstellen, dass sie Klimavergifter sind, dass sie Tiere quälen und dass sie den Insektenschutz schleifen würden.
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Deshalb sage ich ganz klar: Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel landet im Müll – das ist zu viel –, während 700 Millionen Menschen weltweit Hunger leiden. In unseren Lebensmitteln stecken Wasser, Energie, Rohstoffe, Arbeitskraft, Sorgfalt und auch Herzblut. Gleichzeitig entstehen durch Lebensmittelverschwendung Treibhausgasemissionen:
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8 Prozent der weltweit anfallenden Menge. Das setzt unsere Erde unter Druck.
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Deshalb haben wir uns als Große Koalition verpflichtet, die Lebensmittelverschwendung pro Kopf zu halbieren und Lebensmittelverluste entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette zu reduzieren.
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– Die Reaktion der Grünen zeigt, dass wir genau den richtigen Punkt getroffen haben, weil Sie nun kein Wahlkampfthema mehr haben,
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weil wir Umsetzungskompetenz und nicht nur Forderungskompetenz haben.
Wir erfassen die Höhe der Lebensmittelabfälle auf jeder Stufe.
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So können wir nachvollziehen, wo Schwierigkeiten sind. Wir haben eine kluge Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung entwickelt, die Vorbild für die Europäische Union geworden ist. Das ist nationale Politik, die auch einen globalen Anspruch hat.
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Deshalb sage ich auch: Produzenten, die Landwirte, sind wirkliche Praxisklimaschützer, weil sie tatsächlich CO2 speichern können, im Gegensatz zu Theorieklimaschützern, die viel fordern, aber kein Milligramm CO2 aus der Luft holen.
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Frau Kotting-Uhl, Herr Spiering, ich habe es schon gesagt: Wir haben die Experimentierfelder eingeführt und zeigen, wie Digitalisierung läuft; denn die Landwirte schützen Artenvielfalt, Energieverbrauch wird reduziert, Emissionen werden eingespart. Wer fordert, dass sich Landwirtschaft verändern muss, hat überhaupt nicht mitbekommen, wo wir heute schon stehen. Wir sind nicht auf der Standspur, sondern wir sind schon längst auf der Überholspur.
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Wir lösen Zielkonflikte. Wir sagen nicht: „Entweder-oder: das eine verbieten, das andere lassen“, sondern wir zeigen, wie Lösungen gehen: Klimaschutz und Tierwohl zusammenbringen. Mehr Emissionen: Ja, wir forschen auch an Futtermitteln, durch die die Tiere weniger Methan ausstoßen. Ja, wir forschen daran, wie wir mit Drohnen Schädlinge auf den Ackerflächen früher erkennen können, damit die Bodenbearbeitung in erosionsgefährdeten Gebieten reduziert werden kann. Das sind Zielkonflikte. Weniger Pflanzenschutzmittel, passgenau aufgebracht – das sind Lösungen.
Deshalb sage ich: Es geht um nichts weniger als um die Bewahrung der Schöpfung.
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Es geht darum, dass wir von den Erträgen leben und nicht von der Substanz. Das geht nur mit Experten.
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Nächster Redner ist der Kollege Marco Bülow.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, wollen, wollen, wollen. Machen wäre einmal schön. Machen ist wie wollen, nur krasser.
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Sehr geehrte Damen und Herren, was ist die Gemeinsamkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie zum Beispiel der Relativitätstheorie oder – noch viel einfacher – dass sich die Erde um die Sonne dreht, und gesellschaftlichen Erkenntnissen, wie beispielsweise der Abschaffung der Sklaverei oder dem Frauenwahlrecht? Die Gemeinsamkeit ist, dass diese Erkenntnis meistens mit der Idee eines Menschen oder einer kleinen Gruppe anfing. Bekämpft wurden diese Ideen, diese Fortschritte, diese Erkenntnisse immer von den reaktionären und konservativen Kräften. Und obwohl sich diese Erkenntnisse dann durchgesetzt haben, die progressiven Kräfte sie immer unterstützt haben, blieb es immer bei den Leugnern, und blieb es immer bei den konservativen Kräften. Aber am Ende haben sie sich durchgesetzt.
Und so wird es auch beim Klimaschutz sein. Am Ende wird es sich durchsetzen, einen richtigen Klimaschutz zu machen. Nur, in diesem Fall ist die Frage die Zeit, wann er sich durchsetzt. Er muss sich schneller durchsetzen, als es bei den anderen Ideen der Fall war. Wir müssen nämlich jetzt schneller handeln, weil ansonsten die Kosten viel zu hoch sind, weil ansonsten die Schäden viel zu hoch sind und weil ansonsten das Leiden viel zu hoch ist. Deswegen muss sich diesmal diese Erkenntnis viel schneller durchsetzen und auch in Handeln umgesetzt werden.
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Und wissen Sie, was noch eine Gemeinsamkeit dieser Erkenntnisse und Fortschritte auf gesellschaftlicher Ebene ist? Dass es am Ende nicht die Leugner waren, die den Fortschritt verhindert haben, sondern diejenigen, die beschönigt haben, die Nebelkerzen geworfen haben, die viel Brimborium darum gemacht, aber am Ende doch gebremst haben. Das hat die Umsetzung vieler Ideen ganz lange verzögert, über die wir heute lachen und wo keiner mehr versteht, dass es einmal eine andere Zeit gegeben hat. Deswegen müssen wir endlich aufhören, schönzureden, tolle Pläne zu machen, viel von Wollen zu reden, und anfangen, wirklich zu handeln.
Nehmen wir zum Beispiel einmal den Wald. Es wird gesagt: Das ist der größte Klimaschützer.
Ja, aber Wald ist eben nicht gleich Wald. Gucken wir uns die Wälder doch an. Das sind zum Teil Monokulturen, wo einzelne Bäume stehen, unter denen nichts wächst. Wenn man sich jetzt in Deutschland die Nadelhölzer anguckt, dann sieht man, dass sie überall wegen der Trockenheit wegsterben. Also gehen wir doch einmal in die richtige Diskussion. Ja, wir wollen den Wald. Und ich bin auch nicht dagegen, dass wir den Wald auch teilweise nutzen, aber wir brauchen auch Wälder und Moore, die unberührt sind und wirklichen Klimaschutz leisten. Dann haben wir einen Fortschritt.
Vielen Dank.
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Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU, hat als Nächster das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Weltbiodiversitätsrat hat im vergangen Jahr festgestellt, dass etwa 1 Million Tier- und Pflanzenarten akut vom Aussterben bedroht sind sowie drei Viertel der terrestrischen Naturräume und zwei Drittel der Meeresnaturräume in ihrem Zustand erheblich verändert wurden.
Ich möchte in meiner kurzen Redezeit auf zwei Dinge eingehen, die wir aus meiner Sicht in der Vergangenheit bei der Förderung der regenerativen Energien im Hinblick auf das Thema biologische Vielfalt ausgeblendet haben und die uns jetzt auf die Füße fallen.
Im Jahr 2000 wurde mit dem EEG der Bau von Biogasanlagen vorangetrieben. Damit verbunden ist eine gewisse Problematik. In der Folge haben wir in den letzten 20 Jahren 300 000 Hektar Grünland – über die Bedeutung des Grünlandes haben schon einige vor mir gesprochen – weniger und 1,1 Millionen Hektar Maisanbau mehr mit einer für alle sichtbaren Monotonisierung unserer Landschaft. Keiner weiß mehr oder möchte heute daran erinnert werden, dass diese Rahmenbedingungen unter anderem dafür Verantwortung tragen, dass unsere Insektenfauna deutlich zurückgegangen ist. Das muss man ganz einfach wissen und an dieser Stelle auch einmal benennen.
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Zweites Beispiel – hier, glaube ich, können wir in den nächsten Monaten einen besseren Weg gehen –: Die deutsche AWZ in der Nordsee ist für die Seetaucher aus der Westpaläarktis das größte Überwinterungsgebiet. Damit haben wir internationale Verantwortung zu tragen. Im Jahre 2002 hat der grüne Umweltminister gegen den Rat vieler Fachleute entschieden, eine Offshorewindanlage in dieses Überwinterungsgebiet zu bauen. Die Folge ist – das hat die Universität Kiel in jahrelangen Untersuchungen bewiesen –, dass diese Überwinterungspopulation deutlich geschrumpft ist, etwa um ein Viertel. Und jetzt diskutieren wir über den Ausbau von Offshore in den nächsten Jahren.
Ich möchte gerne, Herr Minister Altmaier, aus Sicht des Naturschutzes, dass diese Belange in entsprechender Größenordnung dort genauso Berücksichtigung finden wie die Belange der Fischerei, wie die Belange der Seefahrt, wie die Belange der Nutzung der Bodenschätze, die dort sind. Das muss unter einen Hut passen. Wir müssen in den nächsten Monaten nachweisen, dass wir es besser können, als es im Jahr 2001 gemacht wurde.
Herzlichen Dank.
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Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU.
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Werter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachhaltigkeit heißt für uns, heute schon an morgen zu denken, Lebensqualität für diejenigen zu gewährleisten, die noch nicht geboren sind. Das ist eine enorme Verantwortung für uns alle, die wir wahrnehmen. Wir vonseiten der Union haben diese Nachhaltigkeitstage auch genau aus diesem Grund angestoßen.
Die Coronakrise hat uns gelehrt, dass wir uns vorbereiten müssen, dass wir präventiv, vorausschauend und vor allem nachhaltig handeln müssen, dass es jetzt auch darum geht, unsere Wirtschaft klimafreundlich wiederaufzubauen, nachhaltig wiederaufzubauen. Nur so sind wir für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet.
Deshalb haben wir ein Konjunkturprogramm aufgelegt, das ein wahres Kraftpaket beinhaltet für mehr Klimaschutz und mehr Umweltschutz. Insgesamt sind es 40 Milliarden Euro, die aus dem Konjunkturpaket mittelbar oder unmittelbar in den Klimaschutz, in den Umweltschutz investiert werden.
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Ich bin ein Stück weit stolz darauf; denn wir Klima- und Umweltpolitiker haben dafür auch die Ideen geliefert. Zusammen mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz, mit unserem Klimaschutzpaket investieren wir jetzt insgesamt 90 Milliarden Euro in den Klimaschutz; das nimmt der Staat in die Hand. Diese Maßnahmen werden dafür genutzt, dass wir uns klimafreundlich aufstellen, nachhaltig aufstellen. Ich möchte nur einige Beispiele nennen:
Wasserstoff. Die Wasserstoffstrategie dient jetzt auch dazu, dass wir unsere energieintensive Wirtschaft dabei begleiten, Wasserstoff in Zukunft einsetzen zu können, die industriellen Prozesse zu dekarbonisieren. Wasserstoff ist ein ganz wichtiger Schlüsselrohstoff zur Erreichung unserer Klimaziele.
Das Handlungskonzept Stahl, das die Bundesregierung vorgelegt hat, wird dafür sorgen, dass wir weiterhin Stahl in Deutschland produzieren, das aber klimafreundlich, klimaneutral.
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Mit der Förderrichtlinie zur Innovationsprämie für E-Autos, die wir aufgelegt haben, unterstützen wir die Elektromobilität. 2,2 Milliarden Euro werden in diesem Bereich investiert.
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und die steuerliche Förderung im Bereich der energetischen Gebäudesanierung sind wichtige Investitionen im Sektor Wärme.
All das ist ein Paket, das sich sehen lassen kann. Deswegen sage ich auch: Unsere Politik, unsere nachhaltige Politik, heißt: Maß und Ziel zu bewahren, Klimaschutz mit Augenmaß zu machen, die Auswirkungen zu bedenken, auf die Wirtschaft, aber auch auf die soziale Seite, um die Akzeptanz der Menschen zu behalten. Klimaschutz und Umweltschutz mit Menschen und nicht gegen sie, das ist unser Motto.
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Deswegen sage ich in Richtung der Opposition: Hören Sie doch endlich einmal mit dem Märchen auf, dass wir nichts vorgelegt hätten. Wir haben ein Klimaschutzpaket vorgelegt, das sich sehen lassen kann, das es so in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Es besteht aus drei Teilen, zum einen Maßnahmen – über 60 Maßnahmen – mit Förderungen, mit Anreizen, um die Bürger dabei zu begleiten, auf klimafreundliche Technologien umzusteigen, aus einem Klimaschutzgesetz mit Sektorzielen in einzelnen Bereichen und einer CO2-Bepreisung; wir geben CO2 einen Preis.
Ich hätte mir gewünscht, dass zum Beispiel auch einmal wahrgenommen wird, dass wir mit dieser CO2-Bepreisung einen europäischen Prozess angestoßen haben. Die EU-Kommission hat jetzt angekündigt, den Emissionshandel auch auf die Bereiche „Wärme“ und „Verkehr“ auszuweiten. Das ist genau der richtige Weg; denn wir schaffen mit einem marktwirtschaftlichen Instrument Klimaschutz. Dieser Emissionshandel hat dazu geführt, dass wir in Deutschland allen Unkenrufen zum Trotz unsere Klimaziele, unser 2020-Ziel jetzt einhalten werden, und zwar unabhängig von Corona. Das hat Agora Energiewende Anfang des Jahres schon bestätigt.
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Deswegen sage ich noch einmal in Richtung der Opposition: Hören Sie endlich mit Ihrem Märchen auf, dass wir nichts vorgelegt hätten!
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Lassen Sie uns lieber gemeinsam etwas für Klima- und Umweltschutz tun! Wir reichen Ihnen dazu die Hand.
Danke schön.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wohl keine Debatte über Nachhaltigkeit entwickelt sich, ohne dass das Beispiel des deutschen Forstwirtes von Carlowitz aus dem 18. Jahrhundert genannt wird. Heute umfasst unser Nachhaltigkeitsideal eine optimale Balance aus den drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Doch einzelne Maximalforderungen, meine Damen und Herren, waren gestern. Heute sind vernetzende Gateways gefragt. Unser Anspruch muss sein, Nachhaltigkeit nicht auf ein Politikziel zu beschränken, sondern die Einzelziele miteinander zu verzahnen. Dazu gehört: den Klimaschutz voranbringen, den Umweltschutz ausbauen, die Ressourceneffizienz stärken, soziale Sicherheit gewährleisten, Staatsfinanzen konsolidieren und das Wirtschaftswachstum ankurbeln.
Aber was wäre wohl Carl von Carlowitz 1713 angesichts der Borkenkäferplage, die im deutschen Wald gerade tobt, eingefallen? Hätte er dann noch zu einem maßvollen Holzeinschlag auch während der Krise geraten? Oder hätte er seine Erkenntnisse aus der Krise in die Entscheidung über die zukünftige Bepflanzung und Bewirtschaftung der Wälder einfließen lassen? Hätte er die soziale Absicherung von Waldarbeitern und Fuhrleuten im Blick gehabt? Wir wissen es nicht.
Krisen und Missstände erfordern heute zum Teil ein Umdenken, ein Neudenken. Deutschlands Lösung für die Bewältigung der Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg war daher die Verknüpfung von Ökonomie und sozialer Marktwirtschaft, heute verkürzend als Wirtschaftswunder dargestellt. Unsere Antwort auf die Klimakrise, unter anderem heute, ist die Energiewende, die in diesem Jahr mit dem Kohleausstiegsgesetz unter Berücksichtigung der sozialen Folgen in den Revieren von wirtschaftlichen Anreizen mit klimaschonenden Technologien begleitet wird und so alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit umfasst.
Die EU hat die soziale Marktwirtschaft in ihrer Verfassung, im Lissaboner Vertrag. Mittlerweile finden sich die Aspekte der Ökologie in vielen Rechtssätzen wieder. Letztendlich ist auch der Green Deal ein neuer Schritt in diese Richtung. Man könnte sagen: Nachhaltigkeit hat sich als Gedanke den Weg aus den deutschen Wäldern nach Brüssel und nach Europa gebahnt.
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Mit Blick auf die globale Entwicklung, meine Damen und Herren, sehen wir zwar einige positive Entwicklungen. Aber wir müssen leider auch feststellen, dass immer noch das schnelle Wachstum dem nachhaltigen Wachstum vorgezogen wird. Nehmen wir nur die USA, die aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen sind und massiv die Gasgewinnung durch Fracking fördern.
In Deutschland könnten wir weiter sein. Im Mai 2013 haben wir hier im Deutschen Bundestag den Bericht unserer Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ vorgestellt, damals unter dem Vorsitz der geschätzten Kollegin Daniela Kolbe. Wir haben der Politik eine Empfehlung an die Hand gegeben, mit der sowohl Fort- als auch Rückschritt von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität messbar gemacht werden sollte.
Wir haben die sogenannten W-3-Faktoren entwickelt, quantifizierbare Wohlstandsfaktoren in den Bereichen materieller Wohlstand, Soziales und Teilhabe sowie Ökologie. Sie sollten jedes Jahr berechnet werden, um anzuzeigen, in welchen Bereichen wir für Wohlstand und Qualität mehr tun müssen. Natürlich sind nicht alle diese Empfehlungen der Enquete-Kommission umgesetzt worden. Ich hätte gerne gesehen, dass wir eine Visualisierung dieser Entwicklung an einer prominenten Stelle, Herr Präsident, hier im Hause gehabt hätten.
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Aber nachhaltiges Wachstum hat inzwischen einen hohen Stellenwert, und dass wir uns so intensiv in dieser Sitzungswoche damit beschäftigen, spricht für sich.
Meine Damen und Herren, nachhaltige Politik ist dabei kein Selbstzweck. Nachhaltige Politik erkennt die Wechselwirkung zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Absicherung. Sie folgt einer an den Grundsätzen der Sparsamkeit und Effektivität ausgerichteten Haushaltsaufstellung und Haushaltsführung, und, meine Damen und Herren bei der AfD, sie greift gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse auf und stellt sie nicht in Abrede.
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Sie fördert Innovation, und sie lässt ein Krisenmanagement zu, ohne Einzelziele zu verabsolutieren.
Lassen Sie mich anhand von drei kurzen Beispielen hinsichtlich dieser Wohlstandsfaktoren der Enquete-Kommission die Wirkungszusammenhänge aufzeigen. Ein Indikator für den materiellen Wohlstand, also die ökonomische Dimension, ist die Staatsverschuldung. Eine übermäßige Verschuldung wirkt sich nicht nur negativ auf die Wirtschaftsentwicklung aus, sondern führt unter Umständen auch zu sozialen Einschnitten. Nachhaltige Haushalte haben wir mit unterschiedlichen Koalitionspartnern in den Jahren 2015 bis 2019 aufgestellt. Meine Damen und Herren, wer sich so verhält, hat genügend Reaktionsmöglichkeiten, um in einer Krise zu reagieren. Das zeichnet deutsche Politik aus.
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Ein der sozialen Dimension zugeordneter Wohlstandsindikator ist das Bildungsniveau. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin zeigt, dass die Entwicklung des Bildungsniveaus insbesondere durch die Wahrnehmung beruflicher Weiterbildungsangebote positiv vorangebracht wird. Die Arbeitsproduktivität von Unternehmen erhöht sich laut der DIW-Studie um 1 Prozent. Diese Weiterbildungsintensität ist wichtig. Die Ergebnisse sind signifikant. Und gerade Unternehmen, die sich jetzt mehr der Digitalisierung zuwenden, brauchen diese Umschulungsangebote. Auch das ist nachhaltig.
Für den Bereich der Ökologie würde ich gerne das aufgreifen, was die Kollegin Marie-Luise Dött, unsere umweltpolitische Sprecherin, gerade zur zirkulären Wirtschaft gesagt hat. Meine Damen und Herren, Kunststoffrezyklate zu produzieren aus Post-Consumer-Abfällen, ist die eine Sache, einen Markt für ihren Einsatz zu haben, ist die andere. Deshalb geht es darum, hier einen Anreiz zu setzen, da bei einem sehr niedrigen Ölpreis Neuware-Polymere viel günstiger für Unternehmer erscheinen als Rezyklate, die durch einen teuren Prozess erst hergestellt werden müssen.
All diese Dinge, diese Beispiele sind wichtig. Es gilt, dafür einen vernünftigen Ordnungsrahmen zu schaffen, der auch im digitalen Zeitalter Wettbewerb zulässt. Wir müssen Selbstverpflichtungen nicht nur der Industrie, sondern auch der Gesellschaft weiter fordern. Anreize für ressourcensparendes Wirtschaften sind zu setzen. Auch eine regelmäßige Bestandsaufnahme hinsichtlich unserer Ziele gehört mit dazu. Das alles geschieht in einem Rahmen, in dem das Digitale, in dem der Wettbewerb von einer Vermachtung der Märkte durch große Digitalkonzerne vorangetrieben wird. Meine Damen und Herren, das ist eine Herausforderung.
Ludwig Erhard hätte uns in dieser Situation zum Maßhalten aufgerufen: Man solle nur so viel verteilen, wie man nach Maßgabe der Produktion herzugeben imstande ist. Ökonomie, Ökologie und soziale Absicherung, das ist der Fahrplan, den die Union dafür hat.
Herzlichen Dank.
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Steffen Kotré, AfD, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann wenig von Nachhaltigkeit entdecken. Da werden im Zuge der Umgestaltung des Energiesystems Wälder abgeholzt. In der Bildung fallen wir zurück.
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Wir bezahlen unsere eigenen Exporte über die Target2-Salden. Wir sehen in Deutschland immer mehr Parallelgesellschaften. Und das soll Nachhaltigkeit sein? Nein, das ist es mitnichten. Wir leben in Deutschland mittlerweile von der Substanz.
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Die Energiewende, der Ausstieg aus der Kohle und der Kernenergie sind riesige Programme, um uns Deutschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wir haben in China die Produktion für PV-Module angestoßen, damit wir jetzt von dort deren PV-Module, deren Anlagen kaufen und bezahlen können.
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Mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung unterstützen wir Arbeitskräfte in Polen. Dort wird nämlich die Kohle verstromt. Wenn wir Strom brauchen, weil wir hier eine Lücke aufreißen, dann kriegen wir Kohlestrom aus Polen. Genauso stärken wir mit dem Ausstieg aus der Kernenergie die Kernenergiebranche in Frankreich. Irgendwo muss der Strom ja herkommen.
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Wir machen also nichts anderes als einen Arbeitsplatzexport ins Ausland. Nichts anderes! Dadurch verlieren wir Arbeitsplätze hier im Inland. Das kann nicht nachhaltig sein, meine Damen und Herren.
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So zieht sich das durch alle Bereiche der Energiepolitik, der Energiewende. Bei Nord Stream 2 haben wir ein ganz erbärmliches Bild. Anstatt den USA zu sagen: „Bis hierhin und nicht weiter! Jetzt werden wir Gegenmaßnahmen ergreifen“, gibt man noch 1 Milliarde Euro auf dem Silbertablett wie ein Vasall, der seinen Tribut zahlen muss. Das ist doch nicht nachhaltig, meine Damen und Herren.
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Die deutsche Energiepolitik ist „die dümmste Energiepolitik der Welt“. Das hat das „Wall Street Journal“ geschrieben. Das wurde gestern hier schon gesagt; ich muss es aber an dieser Stelle wiederholen. Wir transferieren unseren Wohlstand in andere Länder. Das ist einfach nur dumm; denn es nutzt doch überhaupt nichts. Nur 2 Prozent des menschengemachten CO2-Ausstoßes kommen aus Deutschland. Wenn wir den gesamten Pkw-Verkehr in der EU für ein Jahr lang einstellen würden, dann wäre das Äquivalent beim CO2-Ausstoß, dass China gerade einmal drei Wochen lang keine fossilen Brennstoffe verbrennen dürfte. Die Relationen stimmen überhaupt nicht. Warum sollen wir dann unseren Wohlstand hier dafür aufgeben? Das ist doch überhaupt nicht einsichtig.
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Dann gibt es solche Anachronismen wie gestern, als im Intraday-Handel die Kilowattstunde Strom 4 Euro kostete. Das ist nicht nachhaltig, meine Damen und Herren.
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Hier möchte ich kurz sinngemäß Herrn Professor Sinn zitieren, eine Koryphäe, was die Wirtschaftspolitik anbelangt.
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Er sagte, wir müssten jetzt zusehen, wie wir durch die Krise kommen, dass wir unseren Wohlstand halbwegs retten. Darum geht es hier und nicht darum, die Energiewende noch irgendwie voranzutreiben, ein Wolkenkuckucksheim aufzubauen. Dass wir unseren Wohlstand hier noch halbwegs retten, an diesem Punkt sind wir leider schon angelangt, meine Damen und Herren. Aber diese Politik der Geldvernichtung wird vermutlich in den Geschichtsbüchern stehen als die idiotischste wohlstandsvernichtende Energiepolitik seit dem Zweiten Weltkrieg.
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Das muss man leider so konstatieren.
Wenn Sie CO2 einsparen wollen, dann kommen Sie um Kernenergie nicht herum. Kernenergie ist sicher, umweltfreundlich und preiswert.
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Deswegen werden überall auf der Welt Kernkraftwerke gebaut.
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– Ja, genau, preiswert.
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Wenn Sie alle Kosten der Energiewende berechnen, dann sehen Sie, dass die Kernenergie die preiswerteste Variante ist.
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Vergleichen Sie einmal die Subventionen für Kernenergie mit den Subventionen, die wir für erneuerbare Energien haben. Erstere sind verschwindend gering. Damit kommen wir also zu dem Punkt, den ich noch einmal unterstreiche: Kernenergie ist eine preiswerte Energieform.
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Der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie ist nicht nur ein Sonderweg – er ist noch nicht einmal ein Sonderweg –, sondern eine Sondersackgasse, meine Damen und Herren.
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Energiewende, Umbau unserer Gesellschaft – Herr Altmaier hat es gesagt –, diese Aufgabe wird die Wirtschaft umkrempeln und die politische Landschaft auf Jahrzehnte verändern. Das haben viele hierzulande noch gar nicht begriffen. Ja, viele Menschen haben noch gar nicht begriffen, dass ihnen Wohlstand und Sicherheit genommen werden sollen.
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Kritische Stimmen dagegen werden leider ausgegrenzt, kleingehalten und diskreditiert. Man kann diese große Transformation der Wirtschaft durchaus mit historischen Vorbildern vergleichen. Mao Tse-tung wollte etwas Ähnliches, wenn auch noch in krasserer Form, aber die Lightform, die wir hier erleben, ist ähnlich schlimm, nämlich: Großer Sprung nach vorne! Die Wirtschaft von oben umkrempeln, von oben per Dekret! – Das wird nicht funktionieren.
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Die Folgen waren wirtschaftliches Chaos und der Tod von zig Millionen Chinesen durch Hunger. Die Folge wird ein desaströser Kahlschlag auch in der deutschen Industrie sein. Die energieintensiven Verbände beklagen zu Recht, dass der Standort hier destabilisiert wird.
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Viele Unternehmen überlegen, ob sie Deutschland verlassen. Wir müssen an dieser Stelle leider sagen, dass wir auch hier wieder ein Stück weit Wohlstand verlieren werden.
Zur großen Transformation gehört eben auch die Gängelung der Unternehmen. Da werden gute Unternehmen, die sich an die Vorgaben der Funktionäre halten, belohnt, und diejenigen, die das nicht tun, sind dann eben böse und werden bestraft.
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Doch woher soll eigentlich das ganze Geld kommen? Das wird uns nicht gesagt. Wir zahlen hier, wir zahlen dort;
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aber uns bleibt überhaupt kein Geld mehr für die Weiterführung der Energiewende und sonstige Sperenzchen.
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Der Weg dieser Planwirtschaft, den wir gerade beschreiten, ist ein Weg, den wir schon kennen, nämlich aus der DDR, und der wird in den wirtschaftlichen Untergang führen, meine Damen und Herren, wenn wir nicht gleich dagegenhalten.
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Wir können nur dagegenhalten. Wir können nur Umweltschutz machen mit Kernenergie, liebe Freunde,
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und Kernenergie ist sicher. Mittlerweile kann es keine unkontrollierte Kettenreaktion mehr geben.
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Super-GAU fällt aus, meine Damen und Herren. Kommen Sie bitte mal auf den heutigen Stand der Technik, beschäftigen Sie sich bitte mal damit, und dann werden Sie sehen, dass Kernenergie sicher ist.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns lieber an modernen Konzepten arbeiten anstatt an der Energiewende.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist Bernd Westphal, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zurück zum Thema.
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Zum fünften Mal jährt sich die Verabschiedung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele. Sie richten sich an Regierungen, an Parlamente, an die Privatwirtschaft, an die Zivilgesellschaft und an die Wissenschaft.
Das Ziel von nachhaltiger Politik ist es, unsere Erde auch für nachfolgende Generationen lebenswert zu erhalten. Für die großen Themen der Zeit sind intelligente Lösungen gefragt. Unser Handeln muss in einem umfassenden Sinne nachhaltig sein. Wir verbinden mit dem Nachhaltigkeitsbegriff die Gleichberechtigung von Ökonomie, Sozialem und Ökologie. Natürlich gehört zur Nachhaltigkeit ökonomischer Erfolg, aber auch sozialer Fortschritt.
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Die industriepolitische Wende kann gelingen. Die Ziele der Bundesregierung sowie der Europäischen Kommission für die Wirtschaft und Industrie in Europa sind hoch gesteckt: drastische Reduktion des Energieverbrauchs, fast vollständige CO2-Neutralität bis 2050, nahezu komplette Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energiequellen und ressourcenschonendes Wirtschaften.
Als wäre diese Herausforderung nicht schon groß genug, belastet die Coronapandemie zurzeit die gesamte europäische Wirtschaft wie ein Brandbeschleuniger. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, bei den weiteren Schritten zur nachhaltigen Entwicklung zurückzustehen.
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Ganz im Gegenteil: Corona macht deutlich, welche Defizite wir haben. Es ist also höchste Zeit, dass Strategien und Ideen diskutiert und entwickelt werden, die alle Interessen miteinander in Einklang bringen, und neue Interessen austariert werden.
Es werden auch Unterschiede in den politischen Strategien deutlich. Die CDU und die Grünen predigen Verzicht.
({3})
Die CDU/CSU will sparen und die Schulden, die jetzt durch Hilfsprogramme entstanden sind, natürlich so schnell wie möglich tilgen. Aber wenn wir jetzt nicht investieren, führt doch gerade das zum Abwürgen einer konjunkturellen Entwicklung; das ist die falsche Botschaft.
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Die Grünen wollen eine auf ökonomischer Bescheidenheit aufgebaute Wirtschaft, um so ökologische Anforderungen zu erfüllen. Dies an sich spricht schon gegen eine wirtschaftliche Dynamik.
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Mit unserer Politik zeigen wir Wege auf, wie eine nachhaltige Wirtschafts- und Industriepolitik in Deutschland und Europa gelingen kann,
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zum Beispiel mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, mit dem Klimaschutzgesetz, mit dem Kohleausstieg und dem Strukturstärkungsgesetz, aber natürlich auch mit einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft sowie einer Verstärkung und Verstetigung der Mittel für Forschung und Entwicklung.
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Dass wir den Veränderungsprozess kontinuierlich fortsetzen, zeigt die jetzt anstehende EEG-Novelle, in der viele Dinge für den Ausbau der erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht werden. Denn wer heute die Wirtschaft zukunftssicher machen will, muss den Klimaschutz mitdenken.
Gerade entwickelt sich weltweit zukünftiges Wirtschaftspotenzial an Märkten, an denen wir partizipieren wollen. Die Sicherung des Zugangs zu bezahlbarer und sauberer Energie ist das siebte der 17 Ziele. Es wird für Deutschland ein Standortvorteil sein, wenn wir bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien weitermachen. Das zeigen Investoren weltweit, die sich für den deutschen Standort interessieren. Gerade das wird zukünftig ein Standortvorteil in Deutschland sein.
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Seit über 150 Jahren ist das Austarieren von Ökonomie, Ökologie und sozialen Belangen der Markenkern der SPD. Es ist wichtig, neben einem innovativen Umfeld auch die soziale Balance zu halten. Das wird deutlich zum Beispiel in guten Bildungschancen, ausreichenden Ausbildungsplätzen, ansprechenden Weiterbildungsmöglichkeiten, aber auch in einem wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Es muss auch vernünftig bezahlte Arbeitsplätze mit Tarifbindung geben; vernünftige Bezahlung ist heute neben Mitbestimmung wichtig, weil Demokratie nicht vor dem Werkstor haltmacht, meine Damen und Herren.
({9})
Wir merken, dass wir nicht trotz dieser hohen sozialen und ökologischen Standards, sondern wegen dieser Standards wirtschaftlich so erfolgreich sind. Deshalb ist für uns klar, dass wir den anstehenden Transformationsprozess in unseren Schlüsselindustrien Chemie, Stahl, Maschinenbau und Automobilindustrie mit staatlichem Handeln unterstützen müssen. Die Unterstützung von Innovation und nachhaltiger Industrialisierung, wie das 9. Nachhaltigkeitsziel sie beschreibt, ist von zentraler Bedeutung; deshalb werden wir diesen Weg weiter fortsetzen.
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Wir werden die Dekarbonisierung der Energiesysteme und Industrieprozesse bis 2050 mit entschlossenem Handeln erfolgreich fortführen.
Ich bin davon überzeugt, dass jede Generation für ihre Herausforderungen Lösungen finden muss. Wir können diese Probleme nicht der nachfolgenden Generation hinterlassen.
Vielen Dank und Glück auf!
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Sandra Weeser, FDP, hat jetzt das Wort.
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Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Wachstum und ökologisch-soziale Marktwirtschaft sprechen, dann wird eines relativ schnell klar: Wir haben hier auf der linken Seite, Entschuldigung, auf der rechten Seite die AfD, die Geisterfahrer,
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– gerade noch die Kurve bekommen, ja –, die im Prinzip keine Entwicklung unseres Zusammenlebens und der Wirtschaft wollen. Und auf der anderen Seite haben wir die Bundesregierung und die Grünen, die die Nachhaltigkeit ziemlich einseitig betrachten. Ja, wir müssen ambitionierte Nachhaltigkeitspolitik betreiben. Aber Nachhaltigkeit bedeutet auch soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Die Politik der Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist hier das absolute Gegenteil.
({1})
Schauen wir mal zusammen über den Tellerrand. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen – sie wurden eben schon angesprochen – setzen auf bezahlbare Energie. Deutschland hat mit den höchsten Strompreisen in Europa ein sehr schlechtes Vorbild geliefert. Und das, meine Damen und Herren, müssen wir ändern.
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Sorgen Sie endlich dafür, dass Nachhaltigkeitspolitik wirksam und effizient wird. Statt ständiger Zielverschärfungen kommt es hier doch eigentlich nur auf die richtigen Instrumente an. Hören Sie endlich auf, am EEG herumzuschrauben, und sorgen Sie stattdessen dafür, dass die Ausweitung des EU-weiten Emissionshandels vorankommt.
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Das würde dem Klima und auch der Nachhaltigkeit tatsächlich helfen.
Was haben wir stattdessen? Murks wie beim Gesetz zum Brennstoffemissionshandel. Das nationale Vorgehen beim CO2-Preis war von Anfang an falsch, und in der Umsetzung ist es wahrscheinlich sogar verfassungswidrig. Jetzt droht das große Desaster. Wenige Monate vor dem Beginn hat das BMU immer noch keine Regelungen zum Schutz vor Carbon Leakage vorgelegt, und es gibt auch immer noch keine Ideen zur Vermeidung der Doppelbelastungen. Hier wird der Nachhaltigkeit ein Bärendienst erwiesen, aber nicht nur der Nachhaltigkeit, sondern eben auch der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Sie lassen den Mittelstand hiermit im Stich, meine Damen und Herren.
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Wir Freie Demokraten sind davon überzeugt: Nachhaltigkeit im 21. Jahrhundert gelingt nur mit technologischem Fortschritt. Also, hören wir doch endlich auf, politisch festzulegen, welche nachhaltigen Technologien die besten sind. Sorgen Sie stattdessen für viel Freiheit bei Forschung und Entwicklung. Wir brauchen dafür auch Wachstum, und wir müssen unsere Ziele möglichst gemeinsam international durchsetzen. Auch hier gibt es keine hehren Ziele, die man sich stecken muss, vielmehr haben wir die richtigen Instrumente; sie heißen: regelbasierter Freihandel und multilaterale Institutionen.
Stichwort „Mercosur“: Warum stellt die Bundeskanzlerin dieses Abkommen infrage?
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Das treibt die Südamerikaner in die Arme von China, anstatt sie zu mehr Klimaschutz zu bewegen.
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Wenn man im Nachhaltigkeitskapitel zu Mercosur nachschaut, Frau Dröge, kann man lesen: Die Staaten gehen eine viel größere Verpflichtung ein; sie wollen das Klimaschutzabkommen von Paris einhalten, sie wollen Verträge für Natur- und Artenschutz einhalten, und es enthält auch die Möglichkeit, auf Verstöße hinzuweisen. Warum stellen wir dieses seit 20 Jahren verhandelte Abkommen jetzt infrage?
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Machen wir uns lieber stark für nachhaltiges Wachstum in der ganzen Welt. Dafür setzen wir Freie Demokraten uns permanent ein, unter anderem auch mit diesem Antrag.
Vielen Dank.
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Jörg Cezanne, Die Linke, erhält jetzt das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wohlstand bemisst sich nicht allein an der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts, sondern auch an Lebensqualität. Um nachhaltig zu wirtschaften, brauchen wir ein grundsätzliches Umdenken. Nicht der Geldbeutel darf darüber entscheiden, ob jemand in Zukunft seine Wohnung ausreichend heizen oder Reisen unternehmen kann. Von dieser Einsicht ist die herrschende Politik noch weit entfernt;
({0})
denn dazu bedarf es einer eingreifenden und lenkenden Politik.
Die gewinnorientierte Privatwirtschaft kann bei einzelnen Produkten für Ökoeffizienz sorgen, aber nicht gesamtgesellschaftlich. Sie kann Elektroautos anbieten, aber keine nachhaltigen Verkehrssysteme. Sie kann Regale in Supermärkten mit Bioprodukten füllen, aber nicht die Nahrungsketten als Ganzes ökologisieren. „Systemwandel statt Klimawandel“, wie Fridays for Future das nennen, ist die Losung des Tages.
({1})
Für die Industrie in Deutschland heißt das zum Beispiel: verbindliche und ehrgeizige Verpflichtungen zur vollständigen Vermeidung von Treibhausgasen, insbesondere in den energieintensiven Branchen Stahl und Zement sowie der Chemieindustrie. Der europäische Emissionshandel reicht dafür nicht aus.
Die Vermeidung des Verbrauchs von Rohstoffen muss an erster Stelle stehen.
({2})
Ziel muss es sein, in geschlossenen Kreisläufen zu wirtschaften und Rohstoffe immer wieder zu verwenden; das Kreislaufwirtschaftsgesetz und die Ökodesign-Richtlinie der EU sind dafür deutlich zu verschärfen.
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Im Gegenzug zu diesen Forderungen an die Privatwirtschaft brauchen wir sehr viel mutigere Hilfen für die Entwicklung neuer CO2-neutraler Produktionsverfahren – über Wasserstoff ist schon geredet worden –, und wir müssen einen finanziellen Ausgleich für Unternehmen schaffen, denen durch entsprechend steigende Produktionskosten Wettbewerbsnachteile im Export entstehen. Für diesen Umbau, meine Damen und Herren, müssen wir die Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschäftigten mobilisieren, statt die Leute auf die Straße zu setzen, wie das die Firma Continental bei mir zu Hause in Babenhausen oder Norma in Maintal gerade probieren.
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Belegschaften und ihre Betriebsräte sowie die Gewerkschaften müssen mitentscheiden, welche Produkte das Unternehmen in Zukunft klimaneutral herstellen soll. Betriebe, deren bisherige Produktion nicht schnell genug umgestellt werden kann, sollten mit staatlicher Hilfe die Zeit bekommen, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen. Die IG Metall schlägt hierzu die Schaffung eines Transformationsfonds vor. Ich halte das für eine gute Idee.
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Wo das nicht gelingt, muss Menschen, die vom Arbeitsplatzverlust bedroht sind, eine gute Zukunft gesichert werden; Transformationskurzarbeitergeld zur Weiterbildung, staatliche Beschäftigungs- und Einkommensgarantien sind hier das Mittel der Wahl. Der Prozess muss von einer Verkürzung der Arbeitszeit begleitet werden. Wir haben nicht mehr viel Zeit, das Ruder herumzureißen.
Danke schön.
({6})
Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kotré, wenn Sie sich mit der AfD hier so glühend für die Atomenergie einsetzen, dann wäre es doch ein Leichtes für Sie, jetzt in Ihrem Wahlkreis für das Atomendlager bei sich zu Hause zu werben.
({0})
Es ist doch hanebüchen, dass Sie uns hier erzählen, dass 200 Milliarden Euro Gesamtkosten für ein Atomendlager billig seien. Wenn das für die AfD billige Energie ist, dann kann ich nur den Kopf schütteln.
({1})
An die Bundesregierung. Herr Altmaier, ich will Ihnen einmal ganz konkret erzählen, was Energiepolitik im Jahr 2020 in Bayern auf der Rechtsgrundlage der Bundesregierung bedeutet: Vor zehn Jahren hat der Landkreis Rhön-Grabfeld versucht, einen Windpark zu genehmigen. Er wurde genehmigt. Dann kam die 10-H-Regel. Dann haben die Investoren und die Bürgerenergiegenossenschaften angefangen, zu bauen. Sie haben zehn Fundamente errichtet, ungefähr 10 Millionen Euro investiert. Und jetzt hat die Bayerische Staatsregierung ein Baugesetz erlassen, das es nicht erlaubt, neue Technologien anzuwenden. Also, wir haben hier eine Millionenruine vor Ort. Das ist Folge Ihrer Politik und der Politik Ihrer Freunde in Bayern. Das ist Antiklimaschutzpolitik!
({2})
Es ist auch Folge Ihrer Politik, dass in den letzten Jahren mehr Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien vernichtet worden sind, als wir im gesamten Bereich der Kohleindustrie überhaupt haben. Milliardeninvestitionen fließen in diesen Bereich, und beim Ausbau der Windenergie im Süden zum Beispiel kommen wir nicht voran. Das kann nicht sein. Das müssen Sie dringend ändern.
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Zum Thema Wasserstoff. Ich bin auf Ihrer Seite: Wir müssen das vorantreiben. Wir müssen Partnerschaften finden. Wir werden den dafür benötigten Strom auch nicht allein in Deutschland auf Basis erneuerbarer Energien produzieren. Aber wir müssen dann auch darüber diskutieren, welche Anwendungen wir eigentlich wirklich brauchen. Sie können sich doch nicht gemeinsam mit der Automobilindustrie hinstellen und sagen: „Das ist der Anwendungsbereich“, wenn die Industrie im Stahlbereich, im Chemiebereich, in vielen Bereichen diese Anwendung dringend braucht. Wir brauchen hier Entscheidungen; Sie sind nicht bereit, diese zu treffen. Sie können den Leuten nicht alles versprechen und am Ende nichts realisieren. Sie brauchen hier ein konkretes Konzept, das den Weg weist.
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Überhaupt zum Thema Automobilwirtschaft. Ich wohne in einer Region, die auch stark betroffen ist, nämlich Ingolstadt und München, Audi und BMW. Wir brauchen jetzt Transformationsdialoge, die nach vorne weisen, das heißt, wir brauchen konkrete Maßnahmen, Qualifizierungsoffensiven. Vielleicht ist auch eine Viertagewoche für die Beschäftigten eine gute Idee, um Ängste abzubauen. Wir dürfen also nicht nur über die Vergangenheit reden, sondern müssen entschlossen in die Zukunft investieren. Klimaschutz muss jetzt realisiert werden; denn ohne Klimaschutz – schauen Sie auf die Brände in Kalifornien, schauen Sie auf die Dürren in den deutschen Wäldern – gibt es keine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik. Das muss der Ausgangspunkt sein. Da müssen wir voranschreiten.
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Ganz zum Schluss ein Thema, das vielleicht ein bisschen sperrig, aber doch sehr relevant ist, auch für die deutsche Industrie: das Thema Kreislaufwirtschaft. Wir sind viel zu schlecht darin, Kreislaufwirtschaft zu realisieren. In diesem Bereich gibt es viel Potenzial für unsere Industrie, um führend beim Produktdesign zu werden, beim Ökodesign, bei der Frage, wie wir die gewaltigen Ressourcen, die wir aufwenden, auch wiederverwenden. Hier braucht es auch gesetzliche Initiativen, hier braucht es Fortschritte. Dazu werden wir Grünen – Kollegin Bettina Hoffmann – in den nächsten Wochen und Monaten auch einiges vorlegen. Wir müssen eine moderne Industriepolitik machen. Liefern Sie jetzt endlich! Klimaschutz ist die Aufgabe unserer Zeit. Jobs der Zukunft gibt es nur mit konsequentem Klimaschutz.
Danke schön.
({6})
Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich zunächst einmal bei all denjenigen unter Ihnen, vor allen Dingen in der Opposition, die sich so eifrig und engagiert an meinen Klimaschutzvorschlägen abgearbeitet haben. Ich hätte in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt, dass wir heute Morgen so weit kommen. Aber genau das ist das Ziel: dass wir diskutieren.
Wenn Sie mich kritisieren wollen, nur zu. Ich habe Fehler eingestanden, weil ich tatsächlich der Auffassung bin, dass wir manches vielleicht früher und schneller hätten erreichen können, für die Wirtschaft genauso wie für das Klima. Da Frau Lötzsch auf diesen Punkt zwei Minuten Ihrer Redezeit verwandt hat, sage ich: Das ist alles okay. Aber vielleicht hätten Sie auch einmal darüber nachdenken können, ob nicht auch die Linkspartei irgendwo mal einen Fehler gemacht hat. – Auch Sie von den Grünen hätten mal darüber nachdenken können, ob Sie sich nicht etwas engagierter mit der Frage hätten auseinandersetzen sollen, wie man die Interessen der Wirtschaft schützen und den Klimawandel gestalten muss, sodass am Ende der Weg in eine klimaneutrale Zukunft gelingt.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich sehr bei dem Vorsitzenden meiner Fraktion, Ralph Brinkhaus, dafür, dass wir heute über Nachhaltigkeit diskutieren. Für Nachhaltigkeit gibt es nämlich kein einfaches Konzept. Das hört sich logisch an, aber es lebt davon, dass Sie heute den Mut haben, Entscheidungen zu treffen oder Handlungen zu unterlassen, deren Folgen und Ergebnisse erst ein oder zwei Generationen später sichtbar sind. Deshalb hat man über Jahrhunderte und Jahrtausende die Wälder abgeholzt. Der Bereich „Wald und Holz“ war 250 Jahre lang der einzige Bereich – ich erinnere an das Buch von Herrn Carlowitz –, in dem man dieses Prinzip tatsächlich konsequent umgesetzt hat. In vielen anderen Bereichen war das nicht der Fall. Heute wissen wir, dass Nachhaltigkeit ein übergreifendes Prinzip ist.
Als ich als junger Mensch im Saarland unterwegs war, war der Himmel schwarz und gelb von Ruß und Schwefel, die Saar war ein toter Fluss, die natürlichen Ressourcen waren belastet. Das Argument war damals wie heute: Wir können anders unseren wirtschaftlichen Wohlstand nicht aufrechterhalten. Heute wissen wir, dass das nicht stimmt; denn wir haben es gemeinsam geschafft, den Himmel wieder blau und die Flüsse wieder sauber zu machen, und wir sind wirtschaftlich heute nicht schwächer, sondern stärker als damals.
Nachhaltigkeit bedeutet, anzuerkennen, dass Ressourcen endlich sind, dass man aber, wenn man sorgfältig mit ihnen umgeht, sie potenziell unendlich lange nutzen kann, sie immer wieder nutzen kann. Dazu gehört die Bereitschaft, die Dinge von beiden Seiten her zu sehen. Wir müssen die begrenzten Ressourcen des Planeten und der Natur im Blick haben, aber auch die Verpflichtung gegenüber den Menschen, ihnen ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten, mit Bildung, mit Infrastruktur, mit sozialer Sicherheit, mit Solidarität und allem, was dazugehört.
Das war für mich der Anlass, eine Initiative zu ergreifen, die im Grunde auf einem ganz wesentlichen Gedanken beruht: So, wie wir vor einigen Jahren den Streit über die friedliche Nutzung der Kernenergie nach 40 Jahren polemischer Debatte, nach Irrungen und Wirrrungen zu einem guten Ende gebracht haben und seither die schöpferischen Kräfte auf ganz andere Bereiche konzentrieren können, so ist es, glaube ich, den Schweiß aller Beteiligten wert, dass wir darüber nachdenken, ob wir nicht auch einen Klimakonsens erreichen können, der den jungen Menschen, die demonstrieren, die das Vertrauen in uns verloren haben, die Gewissheit gibt, dass wir die einmal festgesetzten Ziele erreichen, und der den vielen Mittelständlern, den Handwerkern und der Industrie die Gewissheit gibt, dass sie ihre Investitionen, die sie im Vertrauen auf diese Ziele heute tätigen, nicht in 10 oder 15 Jahren frustriert bereuen, weil es dann irgendwelche gibt, die sagen: Das interessiert uns nicht, und wenn die Wirtschaft abwandert, dann ist das vielleicht sogar ganz gut; denn dann sinken unsere CO2-Emissionen. – Nur, meine Damen und Herren, jede Tonne Stahl, die nicht in Deutschland, sondern irgendwo anders außerhalb von Europa produziert wird, belastet das Weltklima mit mehr CO2, als wenn sie in Europa produziert wird. Deshalb wollen und brauchen wir die Industrie – auch für den Klimaschutz.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Europäische Union hat gestern lang erwartete Ziele vorgelegt. Dass wir bis zum Jahr 2050 eine weitgehende Klimaneutralität erreichen wollen, wird inzwischen von einer übergroßen Mehrheit der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union akzeptiert. Nun stellt sich die Frage, wie man damit im Hinblick auf 2030 umgeht. Selbstverständlich müssen wir die 2030er-Ziele so anpassen, dass wir am Ende im Hinblick auf das 2050er-Ziel an Glaubwürdigkeit gewinnen. Meine Damen und Herren – das ist mein Vorschlag als Bundeswirtschafts- und ‑energieminister –, ich werde auch als Präsident von mehreren Ratsformationen, die darüber zu beraten und zu entscheiden haben, alles daransetzen, dass wir sagen: Das sind siamesische Zwillinge. Natürlich kann man solche Ziele setzen. Aber dann muss man in dem Moment, in dem man sie verabschiedet, auch sagen, wie man die Wirtschaft vor den Belastungen schützt, die damit verbunden sind, und wie man sicherstellt, dass die Industrie nicht irgendwann in China, Russland, Indien und anderswo ist und dieses ehrgeizige Projekt damit misslingt.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde auf viele von Ihnen in den nächsten Wochen zugehen. Ich bin auch gerne bereit, Ihren Einladungen zu folgen. Ich glaube, dass es wichtig wäre, vor Beginn der heißen Wahlkampfphase über die grundlegenden Aspekte Einigkeit zu erzielen. Es wird noch genügend übrig bleiben, worüber wir streiten können, auch kontrovers. Es geht gar nicht darum, ein Thema aus dem Diskurs oder aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Es geht nur darum, dass wir, ähnlich wie mit der Marktwirtschaft vor vielen Jahren, ähnlich wie mit unserer wehrhaften Demokratie, ähnlich wie mit dem Umgang mit vielen anderen Fragen, zum Beispiel zu den notwendigen Wirtschaftsreformen zu Beginn dieses Jahrhunderts, Klarheit und Verlässlichkeit schaffen und damit einen Beitrag zum gesellschaftlichen und politischen Frieden in diesem Land leisten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Peter Altmaier. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Martin Neumann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Coronavirus hat uns und die Wirtschaft zeitweise lahmgelegt. Der Stillstand der Wirtschaft hat uns ganz deutlich gezeigt, dass durch Verzicht, wie ihn die Grünen hier gern gebetsmühlenartig predigen, kein Wachstum, keine Weiterentwicklung möglich ist.
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Nachhaltigkeit heißt für mich auch Generationengerechtigkeit. Wir versuchen, nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir nicht nur versuchen, sondern auch machen. Dazu gehört aber auch, Chancen und Optionen für Technologie und Innovation offenzuhalten und keinen starren Weg, sondern ein klares Ziel vorzugeben. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unseren Antrag mit dem Titel „Mit Innovation zu nachhaltigem Wachstum“.
Meine Damen und Herren, konkret nenne ich die Grundhaltung der Grünen, Blauen Wasserstoff zu verteufeln. Liebe Kollegen der Grünenfraktion, das Thema Klimaschutz ist für mich nicht nur ein Teil der Nachhaltigkeit; es ist mittlerweile auch in der Gesellschaft und hier im Plenum angekommen, außer auf der rechten Seite dieses Hauses. Für den Technologie- und Industriestandort Deutschland bedeutet ein Hochlauf der Wasserstofftechnologie Exportchancen und damit auch Klimaschutz für andere Länder der Welt, die nicht eins zu eins dem deutschen Alleingang folgen wollen. Wir haben dazu einen Antrag mit dem Titel: „Tempo in der Energiepolitik – Wasserstoff zum neuen Öl machen“ geschrieben, auf den ich hier verweise.
Ja, meine Damen und Herren, es bringt nichts, einzelne Energieträger oder Technologien konsequent abzustrafen. Wir brauchen eine gute Diversifizierung unserer Energieträger, um in Zukunft auf einem wirklich breiten Fundament zu stehen. Wir sind uns einig: Effizienztechnologien made in Germany können ein Exportschlager werden.
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Liebe Kollegen der AfD, es bringt nichts, uns mit unzähligen Anträgen zur vierten Generation Atomkraft zu behelligen. Im Ausschuss für Technikfolgenabschätzung waren sich alle Fraktionen einig, ein unabhängiges Gutachten zu dieser Technologie in Auftrag zu geben. Wer hat dieses Gutachten blockiert? – Ja, natürlich die AfD.
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Es bringt auch nichts, aus dem Euratom-Vertrag auszusteigen, wie es die Linken hier fordern. Für nachhaltiges Wachstum, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir eine funktionierende Marktwirtschaft. Wir brauchen erstens mehr Innovationen. Wir brauchen zweitens eine Technologieoffenheit der Energieträger, einen Wettbewerb der emissionsarmen Energieträger.
Herr Dr. Neumann.
Wir brauchen drittens Chancengleichheit für diese und nachfolgende Generationen. Das kann nur – viertens – mit einer funktionierenden Wirtschaft gelingen.
Ich bedanke mich.
({0})
Vielen Dank, Dr. Neumann. – Die Zeit war für eine Zwischenfrage zu knapp. Jetzt bekommt Herr Hilse das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich vielmals, dass Sie mir die Gelegenheit geben, etwas richtigzustellen. Die AfD-Fraktion hatte beantragt, ein Gutachten zu Kernreaktoren der Generation IV in Auftrag zu geben. Es haben sich mehrere Institute dafür beworben. Allerdings wurde das Institut favorisiert, welches ausgesprochener Gegner der Kernenergie ist. Deswegen hatten wir vorgeschlagen, zwei Studien erstellen zu lassen, was dann auch nicht mehr gekostet hätte. Das hat der Rest des Gremiums abgelehnt. Also: Wir hätten diese Studie gern in Auftrag gegeben, aber nicht, wenn von vornherein klar ist, dass sie von ausgewiesenen Kernenergiegegnern erstellt wird. Deswegen hatten wir gefordert, möglichst ein Positivgutachten und meinetwegen auch ein Negativgutachten erstellen zu lassen und diese übereinanderzulegen. Dann hätten die Parlamentarier mit ihrer Weisheit quasi entscheiden können – –
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Jetzt ist Herr Hilse dran.
Okay. – Ich wollte das bloß klarstellen.
Ja, danke schön. – Herr Dr. Neumann, wollen Sie antworten? Sie müssen nicht.
Ja, ich will ganz kurz darauf antworten. – Das Thema muss man natürlich wissenschaftlich betrachten und behandeln. Institute von vornherein auszuschließen oder auszugrenzen, halte ich für etwas gefährlich. Man kann darüber diskutieren; völlig klar. Ich glaube, es gab eine Diskussion in diesem Ausschuss, die dazu hätte führen können, ein geeignetes Institut auszuwählen. Ich glaube schon, dass wir an dieser Stelle Bedarf haben, uns über diese Fragen auszutauschen. Aber, wie gesagt, Sie haben es abgelehnt; das Thema ist vom Tisch. Im Augenblick kommen wir nicht weiter.
Danke.
Vielen Dank. – Dann kommt die nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Gabriele Katzmarek.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde heute schon mehrfach angesprochen: Nachhaltiges Handeln ist mehr als Energiepolitik.
({0})
Nachhaltigkeit hat drei Dimensionen: eine ökologische, eine ökonomische und eine soziale. Es geht um soziale Auswirkungen auf die Menschen in diesem Land, in Europa, aber auch auf der Welt. Deshalb ist es bei allen Entscheidungen notwendig, alle drei Aspekte im Blick zu haben.
Wenn wir über nachhaltiges Wachstum reden, reicht es also nicht aus, allein über Energiepolitik oder die Transformation in der Automobilindustrie zu reden. Was ich vermisse, Herr Altmaier, ist eine intensive Beschäftigung mit weiteren Branchen, zum Beispiel der industriellen Gesundheitswirtschaft – eine konjunkturresistente Leitbranche, ein investitions- und exportstarker Bereich mit 1 Million Arbeitsplätzen.
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Ich erwarte mehr Engagement vonseiten des BMWi; denn es reicht nicht, wie wir vorgestern aus der Presse erfahren konnten, dass die Bundesregierung drei Pharmaunternehmen fördern möchte, wie Frau Ministerin Karliczek mitteilte. Das allein ist natürlich keine Lösung. Es geht darum, sich mit der Branche zu beschäftigen, sich damit auseinanderzusetzen, was notwendig ist, um diesen Leitmarkt auch weiterhin auszubauen und unsere Stärke in Deutschland nutzen zu können.
Nachhaltiges Wachstum und ökologisch-soziale Marktwirtschaft sind fest miteinander verbunden. Das bedeutet: Immer wenn es darum geht, wie auch in der Zukunft Wachstum generiert werden kann, müssen zeitgleich die Umwelt und die sozialen Wirkungsweisen mitgedacht werden: Ist die Entscheidung umweltverträglich? Führt sie zu einer stärkeren Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, gerade auch mit Blick auf den Erhalt der Beschäftigung? – Neben einer fairen Wettbewerbsordnung gehören gute Arbeitsbedingungen dazu.
Herr Brinkhaus – Sie sitzen gerade vor mir –, ich habe am Wochenende Ihre Einlassungen in der Presse gelesen, als es um die Frage ging: Welches Gesetz fällt Ihnen ein, wenn Sie zurückblicken, das nicht nachhaltig ist? Da haben Sie zwei Beispiele genannt, die Grundrente und die Mütterrente, und haben gesagt, die Entscheidung hierzu wäre womöglich anders ausgefallen.
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Dazu will ich schon sagen, Herr Brinkhaus: Das steht exemplarisch dafür, dass man nicht unbedingt – ich will nicht sagen: verstanden – akzeptiert hat, dass es immer um drei Dimensionen geht, nämlich neben der ökonomischen und ökologischen auch um die soziale Dimension in diesem Land.
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Es geht um Gerechtigkeit, um gesellschaftlichen Zusammenhalt und darum, dass dies immer in Verbindung gebracht werden muss. Denn eines ist klar: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, hat eine auskömmliche Rente verdient – heute, morgen und übermorgen.
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Deshalb ist eine solche Entscheidung nachhaltig, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Die drei Dimensionen sind Grundlage für Entscheidungen, zum Beispiel bei der Arbeit von morgen, wenn ich an Mindestlohn, Bildung und Digitalisierung denke. Sie sind aber auch Grundlage für eine gute und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Nachhaltiges Wachstum, gespeist aus klugen Ideen, gelingt nur, wenn wir die Umwelt und die Menschen und ihre Lebenssituation in den Mittelpunkt der Entscheidung stellen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Gabriele Katzmarek. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Klaus Ernst.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe Herrn Altmaier vollkommen recht: Wir haben den Klimawandel unterschätzt. – Sie haben das zugegeben. Das freut mich sehr; das macht in der Politik nicht jeder. Es gibt heute eine große Einigkeit darüber, dass es eine menschengemachte Klimaveränderung gibt. Das ist gut so. Es gibt nur eine Fraktion hier im Bundestag, die noch glaubt, dass die Erde eine Scheibe ist; die wird auch noch lernen, dass man am Rand nicht runterfällt. Ich hoffe, dass ein solcher Sinneswandel auch in ihrer Klimapolitik noch stattfindet.
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Wir haben inzwischen tatsächlich ehrgeizige Ziele; Frau von der Leyen hat sie noch einmal erhöht, nämlich durch die Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf 55 Prozent bis 2030. Sie sagt: „Ehrgeizig, aber machbar.“ Da hat sie recht. Die Richtung stimmt; sie musste aber oft gegen Widerstand auch aus der Fraktion der Konservativen und von anderen, vor allem aus der Industrie durchgesetzt werden. Die Industrie hat ihre technischen Möglichkeiten eher zum Schummeln eingesetzt und nicht dafür, neue technische Lösungen für die Bekämpfung des Klimawandels zu finden. Das ist ein Problem, unter dem wir noch heute leiden.
Heute haben wir aber – das möchte ich schon deutlich sagen – einen richtigen Weg eingeschlagen. Wir gehen in Richtung klimaneutrale Technologien, zum Beispiel bei der Produktion von Stahl mithilfe von Wasserstoff. Wir sind im Bereich Mobilität mit klimafreundlichen Antrieben unterwegs. Zwar sind dabei viele Verzögerungen zu verzeichnen; aber wir sind auf dem richtigen Weg. Darin liegt auch unsere Chance: Ich bin überzeugt, dass wir dem Klimawandel nicht durch Verzicht, sondern insbesondere durch technische Lösungen begegnen können, meine Damen und Herren.
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Darin liegt auch unsere Chance, weil wir mit den technischen Lösungen, die hier entwickelt werden, Arbeitsplätze sichern und auch Arbeitsplätze für die Exportindustrie generieren, die wir brauchen, wenn wir unseren Wohlstand hier sichern wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deshalb freue ich mich über die Entwicklungen, die es in diesem Bereich gibt.
Aber, meine Damen und Herren, noch leben wir im Heute. Die Transformationsprozesse bergen auch sozialen Sprengstoff; Sie wissen das. Erst vorgestern zum Beispiel hat die Firma Schaeffler, die auch in meinem Wahlkreis zu Hause ist, die Entlassung von 4 400 Beschäftigten angekündigt.
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Gleichzeitig verlagert das Unternehmen seine Produktion ins Ausland und verschärft damit noch die Probleme, die mit der Transformation verbunden sind.
Wenn der Wandel gelingen soll, brauchen wir Regelungen, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Prozess nicht unter die Räder kommen.
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Deshalb brauchen wir mehr Mitbestimmung der Betriebsräte bei Entscheidungen darüber, ob die Produktion verlagert werden soll oder nicht. Wir brauchen mehr Rechte der Belegschaft, um alternative Vorschläge, die sie selber macht, durchsetzen zu können. Und wir brauchen dort, wo staatliche Unterstützung notwendig ist, die Bindung dieser Unterstützung an Arbeitsplatzgarantien; sonst wird das zulasten der Beschäftigten gehen, und das werden wir nicht mitmachen.
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Vollkommen abwegig – das ist mein letzter Punkt – ist aber Ihr Vorschlag, Herr Altmaier, zu sagen: Wir deckeln die Sozialausgaben bei 40 Prozent. – Die Transformation wird nicht ohne Arbeitsplatzverluste ablaufen. Wir brauchen Geld für Weiterbildung, auch von der Bundesagentur für Arbeit. Wir brauchen einen starken, sicheren Sozialstaat,
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wenn wir diesen Wandel in vernünftigen Bahnen bewältigen wollen. Deshalb ist Ihr Vorschlag wirklich abwegig. Wir werden nie und nimmer zustimmen, die Sozialbeiträge zu deckeln.
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Vielen Dank, Klaus Ernst. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Altmaier! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Sommer ist schon wieder ein trauriger Rekordsommer: Rekordbrände in Kalifornien, Rekordtemperaturen in der Arktis, Rekordbrände im Amazonasregenwald, und auch hier bei uns zu Hause können wir unserem eigenen Wald beim Vertrocknen zuschauen. Herr Altmaier, die Folgen einer falschen Politik werden wir nicht erst in zwei oder drei Generationen merken. Die Folgen einer falschen Politik können wir schon heute ganz konkret im Hier und Jetzt wahrnehmen. Der Klimawandel ist nicht mehr Zukunft, er ist Realität, und es wird Zeit, dass das auch in der politischen Erkenntnis hier im Deutschen Bundestag endlich ankommt.
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Sie, Herr Altmaier, verantworten das Ressort, das eigentlich der Schlüssel wäre im Kampf gegen die Klimakrise. Sie sind Minister für Wirtschaft und Energie. Sie haben es in der Hand, dass sich dieses Land auf den Weg macht, der Welt zu zeigen, wie man klimaneutral wirtschaften kann, wie man den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen kann und gleichzeitig positive Effekte für die Jobs, für die Beschäftigung in diesem Land schafft. Das ist Ihre Aufgabe. Da können Sie uns zeigen, wie das geht.
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Jetzt komme ich zu Ihrem Vorschlag zum Klimakonsens. Ehrlich gesagt: Wir Grünen sind bei jedem Vorschlag, mit dem die Klimakrise ernsthaft bekämpft werden kann, natürlich dabei. Das Problem bei Ihnen ist die Ernsthaftigkeit. Sie können uns nicht auf der einen Seite in einen Gesprächskreis einladen und auf der anderen Seite hier im Parlament das Gegenteil tun. Da sind wir nicht dabei, Herr Altmaier.
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Sie haben es als Minister in der Hand, zu handeln. Sie müssen endlich vorwärtsmachen beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Ohne die erneuerbaren Energien werden wir die Wirtschaft nicht klimaneutral machen. Ohne erneuerbare Energien kriegen wir keinen Grünen Wasserstoff. Und dann müssen Sie uns auch keine Geschichten mehr vom klimaneutralen Stahl erzählen. Das funktioniert nicht ohne den Ausbau der erneuerbaren Energien. Da müssen Sie handeln.
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Auch ohne die Transformation der Automobilindustrie werden Sie das nicht schaffen. Deswegen ist es unglaubwürdig, wenn Sie auf der einen Seite einen solchen Klimakonsens anbieten und auf der anderen Seite gemeinsam mit Herrn Scheuer für eine Prämie für Verbrennungsmotoren kämpfen. Auch das passt nicht zusammen, Herr Altmaier.
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Ich komme zum Thema Handelspolitik. Sie haben mit dem Freihandelsabkommen eines der stärksten Instrumente in der Hand, um auf die Mercosur-Staaten einzuwirken, damit die Brände im Amazonasregenwald endlich aufhören. Sie könnten dieses Abkommen nachverhandeln. Sie könnten starke Klimaschutzklauseln hineinverhandeln, die den Amazonasregenwald effektiv schützen, die diese wichtige Lunge unseres Planeten bewahren. Aber nichts tun Sie! Sie sind auf europäischer Ebene einer der Treiber, dass dieses Abkommen unverändert abgeschlossen wird. Das ist unglaubwürdig, Herr Altmaier.
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Wenn man Klimaschutz ernst meint, dann muss man nicht nur darüber reden, dann muss man nicht nur große Pläne ankündigen, sondern muss es im Hier und Jetzt auch machen. Sie sind Minister, Sie sind gewählt fürs Handeln und nicht fürs Reden.
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Vielen Dank, Katharina Dröge. – Der nächste Redner: für die CDU/CSU Dr. Andreas Lenz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich betonen, dass Nachhaltigkeit auch und gerade ein Wirtschaftsthema ist, beispielsweise durch das SDG, das globale Nachhaltigkeitsziel, Nummer 9, das da heißt: Unterstützung von Innovation und nachhaltiger Industrialisierung. Das ist genau das, was wir wollen, und das, was wir übrigens auch machen: uns den Herausforderungen des Klimawandels durch Innovation zu stellen und dabei unsere starke industrielle Basis zu erhalten. Wer, wenn nicht wir, soll denn die Themen Ökologie und Ökonomie zusammenbringen, meine sehr geehrten Damen und Herren?
Dass wir schon große Fortschritte erzielt haben, sieht man doch allein anhand der Zahlen: Wir werden das Klimaziel 2020 einhalten. Übrigens hätten wir auch ohne Corona ein CO2-Äquivalent von annähernd 40 Prozent gegenüber 1990 eingespart. Wir stehen bei annähernd 50 Prozent erneuerbarer Energien im Strombereich. Wir sind weltweit führend in puncto Kreislaufwirtschaft. Bei der Nutzung von Rezyklaten wollen wir weiter zulegen; Kreislaufwirtschaft wird zukünftig umfassender zu betrachten sein. Durch das Klimapaket haben wir hinsichtlich der Energieeffizienz endlich den schlafenden Riesen im Wärmebereich geweckt. Die Programme sind ein Riesenerfolg. Durch die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung steigen endlich die Sanierungsquoten. Wir sehen daran auch: Anreize wirken besser als Verbote, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Die Antragszahlen haben sich in einigen Segmenten wie bei den Heizungen mittlerweile verdreifacht. Es sind voraussichtlich circa 240 000 Anträge in 2020; circa die Hälfte davon beziehen sich übrigens auf den Austausch von Ölheizungen. Bei den Sanierungen ist die Zahl der Anträge insgesamt um circa 50 Prozent gestiegen. Also: Freiwilligkeit statt Zwang. Wir haben es geschafft, das Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch zu entkoppeln. – Das alles sind Erfolge, meine sehr geehrten Damen und Herren, und das alles sind unsere Erfolge, liebe Freundinnen und Freunde.
Aber man kann nicht einfach „Schnipp!“ machen, und alles ist solar, alles ist Wind, Grüner Wasserstoff und CO2-neutral. Das verkennt eben die Komplexität der Realität. Transformation heißt Transformation, weil es ein Prozess ist, der nicht von heute auf morgen stattfinden kann. Wir haben auf diesem Weg schon viel geleistet; keine Frage. Es liegt aber natürlich noch ein langer Weg vor uns.
Übrigens hilft es auch, manchmal zu überlegen, was nicht nachhaltig ist. Nicht nachhaltig wäre es, wenn wir zwar die Klimaziele irgendwie erreichen würden, dafür aber das produzierende Gewerbe, die Industrie und auch die Landwirtschaft aus Deutschland verschwinden. 1 Tonne Stahl aus China verursacht circa ein Viertel mehr CO2 als 1 Tonne in Deutschland produzierter Stahl. Das wäre eben kein nachhaltiger Weg.
Es ist übrigens interessant, dass Herr Ernst von den Linken jetzt auch auf die exportorientierten Arbeitsplätze bedacht ist. Das finde ich ja gut; aber Sie haben lange Zeit die Exportüberschüsse massiv kritisiert. Da hört man im Moment übrigens auch weniger.
Herr Kollege Dr. Lenz, das hat jetzt eine Frage oder einen Kommentar von Herrn Ernst provoziert.
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Erlauben Sie das?
Wir dürfen Herrn Ernst mit seinen Fragen und Anmerkungen im Ausschuss ja schon ziemlich intensiv ertragen. Deshalb machen wir das lieber im Anschluss.
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Also: Nein. – Gut.
Gerade aus Carbon-Leakage-Gründen ist es auch so gut, dass unser Wirtschaftsminister das Problem, das ich eben beschrieben habe, angeht. Den Vorschlag der sogenannten Carbon Contracts for Difference unterstützen wir deshalb ausdrücklich.
Ich möchte am Schluss noch ein besonderes deutsches Beispiel für Nachhaltigkeit aufzeigen. Das sind die Familienunternehmen. Das sind unsere Mittelständler. Hier wird in Generationen gedacht. Hier stehen eben nicht der kurzfristige Erfolg und Gewinn im Vordergrund. Hier wird heute für morgen investiert. Das ist Nachhaltigkeit im klassischen, ja im besten Sinne. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank an all diejenigen, die ihren Laden gerade jetzt nachhaltig am Laufen halten.
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Gerade der Mittelstand schafft es durch viel Eigenkapital – im Schnitt übrigens 39 Prozent, angespart in den letzten Jahren – und hohe Barreserven, durch die Krise zu kommen. Der Mittelstand zeigt damit eben auch, was Resilienz eigentlich bedeutet. Resilienz und Nachhaltigkeit hängen ja auch eng miteinander zusammen. Der Begriff der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen, hat eben viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Deshalb ist es richtig, dass wir Anstrengungen unternehmen, um mehr Souveränität innerhalb Deutschlands zu erhalten, ob bei der Impfstoffproduktion oder eben auch bei der Antibiotikaherstellung.
Wir wollen gezielt Anreize setzen. Wir können das übrigens nur, weil wir als Bund in der Vergangenheit nachhaltig gewirtschaftet und die Haushalte entsprechend konsolidiert haben. Die schwarze Null war eben kein Irrweg. Die Konsolidierung war nachhaltige und umsichtige Politik. Was für den Mittelständler gilt, gilt in diesem Fall eben auch für den Bund. Für uns liegt die Wahrung der Schöpfung, die Ehrfurcht vor der Schöpfung in unserer DNA. Sie ist unser Begriff für Umweltschutz und Ressourcenschonung. Hier haben wir schon vieles geleistet. Aber natürlich liegt noch ein langer Weg vor uns.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Andreas Lenz. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Klaus Ernst.
Herr Dr. Lenz, wenn man vorne sitzt und den Ausschuss leitet, ist nicht jede Bemerkung und jeder Diskussionsbeitrag vergnügungssteuerpflichtig.
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Das betrifft jetzt allerdings weniger Sie; das muss ich zugeben.
Ich wollte zu Ihrer Bemerkung zum Export etwas sagen. Sie sagen, es sei sozusagen gegen unsere bisherige Position, wenn ich sage, Umwelttechnologie könne ein Exportschlager für diese Republik werden und dazu beitragen, Arbeitsplätze zu erhalten. Ich weiß nicht, ob Sie das jetzt verwechselt haben: Der Export selber ist doch kein Exportüberschuss. Ein Exportüberschuss ist der Saldo zwischen Export und Import.
Wenn wir Export und Import paaren würden, zum Beispiel mit dem Import von grüner Energie, etwa von Grünem Wasserstoff, der dort produziert wird, wo mehr Sonne scheint und mehr Wind weht, dann hätten wir auch die Möglichkeit, ausgeglichene Handlungsbilanzen zu erreichen, obwohl wir in Sachen Umwelt weiterhin eine Exportnation sein würden.
So möchte ich meinen Diskussionsbeitrag verstanden wissen. Ich gehe davon aus, dass Sie da eigentlich mit mir einer Meinung sind.
Das werden wir jetzt gleich hören, wenn er antworten will. – Herr Dr. Lenz.
Lieber Klaus Ernst, die Anträge, die wir in der Vergangenheit zu diesem Thema von Ihnen bekommen haben, haben einfach ein anderes Bild aufgezeigt. Diese können Sie sich im Nachgang auch gerne noch mal durchlesen. Sie haben immer kritisiert, dass wir einen hohen Handelsbilanzüberschuss aufgrund unserer hohen Warenexporte haben.
Ich will noch mal feststellen, dass Verbote nicht zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beitragen. Unser Ansatz ist, die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin zu stärken. Sie kritisieren Exportüberschüsse und wollen Wettbewerbsfähigkeit verhindern; wir wollen unsere Exportfähigkeit – übrigens auch durch nachhaltige Exportgüter – stärken.
In diesem Sinne bleiben wir gerne in Kontakt und diskutieren miteinander.
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Aber ich glaube, an dieser Stelle ändert sich unsere Haltung nicht und Ihre wahrscheinlich auch nicht.
Danke.
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Es muss spannend sein im Wirtschaftsausschuss. – Vielen Dank, Herr Dr. Lenz, vielen Dank, Klaus Ernst. – Letzter Redner in der Debatte: Timon Gremmels für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Transformation unserer Industriegesellschaft ist eine der großen Herausforderungen dieser Zeit. Aber sie bietet auch eine sehr große Chance, als Bundesrepublik Deutschland mit klimafreundlichen, nachhaltigen Produkten wieder Weltmarktführerschaft zu erlangen; das ist unser Anliegen.
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Dass uns das gelingen kann, haben wir als Sozialdemokraten unter Gerhard Schröder gezeigt. Wir haben es doch mit unserem damaligen Koalitionspartner geschafft, mit dem EEG Deutschland über die PV-Branche und die Windbranche zum Weltmarktführer zu machen. Das heißt, das ist ein richtiger Weg. Damit gibt es bis heute über 300 000 nachhaltige Arbeitsplätze in Deutschland. Das heißt: Wir können Energiewende, wir können Nachhaltigkeit, und wir können Transformation, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Das kann – das sage ich als Mitglied der Partei der Arbeit; das ist als Sozialdemokratie unser Selbstverständnis – nur mit den Beschäftigten geschehen. Wir feiern in diesem Jahr 100 Jahre Mitbestimmung. Und die ist für Deutschland gut gewesen. Das war vernünftig, das hat Deutschland vorangebracht. Deswegen brauchen wir Kolleginnen und Kollegen in der Industrie bei der Transformation. Wir machen es mit ihnen und nicht gegen sie.
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Herr Altmaier, auch ich habe mir Ihren 20-Punkte-Plan zu Klimaschutz und Wirtschaftskraft angesehen. Darin stehen auch ein paar vernünftige Dinge. Sie sprechen da von einem Klimakonsens, den Sie jetzt ganz dringend benötigen. Herr Altmaier, die Grundlage Ihres Handelns in dieser Wahlperiode haben wir Ihnen doch gegeben: mit dem Klimaschutzgesetz; das ist die Grundlage. Wenn Sie aber wollen, dass wir da mehr tun, bieten wir Ihnen gern an, nachzuschärfen. Herr Altmaier, das ist die Grundlage. Wenn Sie einen Konsens brauchen, wenden Sie sich an Ihre eigene Fraktion; da haben Sie noch einiges zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Und ansonsten, Herr Altmaier, messen wir Sie nicht an irgendwelchen netten 20-Punkte-Plänen, sondern wir messen Sie an konkreten Gesetzgebungsvorhaben. Ehrlich gesagt, bei den Vorschlägen zum EEG, die Sie fast zeitgleich vorgelegt haben, ist noch ein bisschen Luft nach oben; da könnten wir uns mehr vorstellen. Also, wir messen Sie nicht an Ihrem 20-Punkte-Plan, wir messen Sie am EEG. Und da sage ich Ihnen: Da müssen wir mehr tun, gerade beim Thema Mieterstrom. Wir wollen, dass auch die Bürgerinnen und Bürger, die Mieterinnen und Mieter von preiswerter Energie aus Photovoltaik profitieren können. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der viel besser ist als das, was Sie in Ihren Vorschlägen zum EEG positionieren und präsentieren. Wir möchten das gemeinsam machen. Wir wollen auch mehr Photovoltaik auf die Dächer bringen.
Ich wohne und komme aus Kassel. Wir haben dort einen riesigen Logistikstandort, und die Hallendächer sind leer. Wir haben Flächenversiegelung in großem Ausmaß, aber auf den Hallendächern ist keine Photovoltaik. Ich bin dafür, dass wir bitte schön bei solch einer großen Ansiedlung und Flächenversiegelung Photovoltaikanlagen zur Pflicht machen. Deswegen lassen Sie uns doch gemeinsam für eine Solarpflicht kämpfen, Herr Altmaier! Da haben Sie uns als Ihre Partner.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen auch bei der Elektromobilität mehr tun. Hier kenne ich in Rosenthal in Nordhessen einen innovativen Mittelständler, der Fahrzeuge der Leichtbauklasse entwickelt hat. Er war da Pionier. Die großen Industrien und die großen Autokonzerne waren da noch sehr, sehr weit weg, als er schon auf Elektromobilität gesetzt hat. Jetzt hat er große Sorge, weil er von den Förderprogrammen nicht profitiert und ihm die Kunden weglaufen, weil diese dahin gehen, wo sie eine hohe Förderung bekommen. Ich finde, wir sollten die Pioniere der Elektromobilität nicht alleine lassen. Tun Sie auch was für die E-Fahrzeuge der Leichtbauklasse! Da haben Sie die Verordnung in der Hand. Tun Sie was auch für die, die die Großen vor sich hergetrieben haben.
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Herr Altmaier, ich will aber versöhnlich enden. Ich habe mir in Ihrem 20-Punkte-Plan zwei Punkte angesehen. In Punkt 17 heißt es, Sie möchten gern ein „Haus der Energiewende“ haben. Kommen Sie zu mir in den Wahlkreis Kassel: Wir haben ein House of Energy, wir haben das Fraunhofer-IEE, das gerade die Leitwarten für die Energiewende baut. Da sind Sie herzlich eingeladen, ebenso an die Universität Kassel; Stichwort „Klima-Universität“, Punkt 20. Die Universität in Kassel hat im Sommer entschieden, für alle 17 UN-Nachhaltigkeitskriterien Studiengänge entsprechend anzupassen und da die Forschungs- und Lehrkompetenz zu bündeln. Das ist die Klima-Uni in Kassel. Sie sind herzlich eingeladen, Herr Altmaier. Da gehen wir auch zusammen Würstchen essen.
Vielen Dank.
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Die Ahle Wurscht, nehme ich an.
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Die muss einem schmecken. Danke schön, Kollege Gremmels. – Ich schließe damit die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Minister! Die Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, hervorgerufen durch die Digitalisierung und die Klimakatastrophe. Durch die Coronapandemie sind ganze Branchen in Schwierigkeiten geraten. Die Leidtragenden sind überwiegend die Beschäftigten, die durch Arbeitsplatzverlust und Einkommenseinbußen Zukunftsängste für sich und ihre Familien haben.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Probleme schon lange existieren und erst durch Corona – wie sagt man immer so schön hier in diesem Haus? – wie durch ein Brennglas sichtbar geworden sind. Den Pflegenotstand gibt es nicht erst seit März dieses Jahres, aber seit Corona arbeiten die Pflegekräfte auch noch unter einem erhöhten Infektionsrisiko, wie die Zahlen des Robert-Koch-Instituts beweisen, und nach wie vor mit zu wenig Personal und mit zu langen Arbeitszeiten.
Die Erzieherinnen, Müllmänner und Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die immer schon sehr wichtig für diese Gesellschaft waren, wurden es unter Coronabedingungen erst recht. Wer hat denn im Lockdown die Kinder betreut, den Müll weggebracht, die Anträge auf Hartz IV und Kurzarbeit bearbeitet usw.? Und denen sagt man nun in der aktuellen Tarifrunde, dass eine Lohnsteigerung um 4,8 Prozent unangemessen sei! Anderes Beispiel: die Beschäftigten in der Deutschen Post AG. Die Deutsche Post AG hat im ersten Halbjahr 2020 eine Gewinnsteigerung von 48 Prozent erzielt. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: 48 Prozent!
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Die Beschäftigten aber will man mit einer Lohnerhöhung von 1,5 Prozent abspeisen.
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Es gäbe noch etliche Beispiele mehr. Diese Kolleginnen und Kollegen haben den Laden am Laufen gehalten, sie haben sich dem Risiko einer Infektion ausgesetzt, und hier im Haus hat man ihnen stehend applaudiert. Jetzt aber predigt man Verzicht. Wo bleibt denn die Initiative, über eine Vermögensabgabe die Superreichen zur Finanzierung der Krise heranzuziehen?
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Offensichtlich verwechseln einige die Dienstleistungsgesellschaft mit einer Dienstbotengesellschaft.
Aber kommen wir zurück zur Transformation, insbesondere in der Automobil- und Zulieferindustrie. Dort greift der Kahlschlag um sich: Conti, Schaeffler, ZF, Mahle, Schuler, Voith, Schlemmer usw. usf. Diese Unternehmen – zumindest ein großer Teil davon – nutzen Corona schamlos aus, um Arbeitsplätze abzubauen. Der Absatz sinkt bereits seit Jahren. Die Automobilindustrie leidet nicht an dem Coronavirus, sondern an einer verfehlten Modellpolitik und an einer fehlenden Unternehmensstrategie.
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Und wo bleibt eigentlich die Strategie der Bundesregierung? Wo ist denn das Mobilitätskonzept von Herrn Scheuer? Die Linke sagt: Der notwendige ökologische Umbau der Produktion muss mit Arbeitsplatzgarantien und Beschäftigungsgarantien verbunden werden.
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Angesichts Tausender bedrohter Arbeitsplätze braucht es politische Entscheidungen und Weichenstellungen. Auch wenn Sie das scheuen wie der Teufel das Weihwasser: Das heißt ein Mehr an staatlicher Einflussnahme und nicht ein Weniger.
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Ein nationaler Transformationsrat aus Gewerkschaften, Unternehmen und Umwelt- und Sozialverbänden wäre schon mal ein guter Anfang. Es ist richtig, das Kurzarbeitergeld zu verlängern und die Arbeitslosenversicherung mit Steuergeldern zu unterstützen. Aber bitte machen Sie sich doch ehrlich: Sie schieben die Probleme nur bis nach der Zeit der Bundestagswahl auf.
Es wird Zeit, Kredite und Erstattungen aus den Sozialversicherungen an Bedingungen zu knüpfen, und ich erkläre Ihnen auch, warum: Der kleine Taxiunternehmer hier aus Berlin mit 15 Beschäftigten nimmt einen Kredit auf, um die Löhne weiter bezahlen zu können. Volkswagen, Daimler und BMW hingegen verfügen insgesamt über Gewinnrücklagen von 180 Milliarden Euro, schicken die Leute in Kurzarbeit und greifen die Sozialversicherungsbeiträge ab. Bei Conti sollen 13 000 Arbeitsplätze abgebaut werden, fast gleichzeitig wird aber eine Dividende von 600 000 Euro ausgeschüttet. Nicht unerwähnt lassen will ich die 9 Milliarden Euro für Lufthansa. Und dann sagt der Wirtschaftsminister: Bloß keinen staatlichen Einfluss geltend machen. Ja, meine Damen und Herren, das versteht doch kein Mensch mehr!
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Die Frage ist: Wohin wandelt sich die Arbeitswelt, hin zu noch mehr unsicheren Arbeitsplätzen mit noch mehr Flexibilisierung auf dem Rücken der Beschäftigten und noch mehr Deregulierung? Die Arbeitgeberverbände fahren schon wieder die Attacke auf den Sozialstaat, mit ganz innovativen Vorschlägen wie Verlängerung der Lebensarbeitszeit, mehr Privatisierung, die ganze alte Leier. Diese alten Rezepte haben doch erst in die Sackgasse geführt und führen weiter da hinein. Das zeigen doch die Erfahrungen aus den letzten Krisen.
Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, darauf zu achten, dass die Beschäftigten nicht die großen Krisenverlierer werden, dann nehmen Sie billigend in Kauf, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt weiter erodiert. Notwendig sind neben dem Konzept für einen klimaneutralen Umbau mehr Mitbestimmung, Investitionen in Qualifizierung, gute Arbeit und soziale Sicherheit.
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Das wäre nachhaltig für Mensch und Natur.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Susanne Ferschl. – Nächster Redner: für die Fraktion der CDU/CSU Dr. Matthias Zimmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir tragen als Partei das C im Namen. Das verpflichtet auch und gerade im Bereich der Arbeit.
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Zweck der Arbeit, so hat es Johannes Paul II. einmal formuliert, ist letztlich immer der Mensch selbst. Arbeit hat nicht nur eine objektive Dimension, in der die Welt gestaltet wird. Sie hat vor allen Dingen eine subjektive Dimension, die auf die Wesenserfüllung des Menschen hin geordnet ist. Arbeit ist Ausdruck der Personalität des Menschen. Das verleiht der Arbeit Würde. Deshalb sind die Belange der Arbeit denknotwendig denen des Kapitals übergeordnet. Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht das Kapital. Der Mensch hat Würde, nicht das Kapital.
({1})
– Ich freue mich ja über den Beifall bei den Linken
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und kann da nur mit dem Evangelisten Lukas sagen, dass im Himmel mehr Freude über einen reuigen Sünder ist als über 99 Gerechte. Das gilt auch für uns.
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Was aber hat es, meine Damen und Herren, mit der Nachhaltigkeit auf sich? Ja, Nachhaltigkeit kann sich auf die objektive Dimension der Arbeit beziehen. Dann sagt sie etwas über die Art und Weise aus, wie wir natürliche Ressourcen nutzen, und das ist in den vergangenen Tagesordnungspunkten diskutiert worden. Nachhaltigkeit muss sich aber auch auf die subjektive Dimension der Arbeit beziehen, und dann sagt sie etwas darüber aus, welchen Beitrag die Arbeit zur Entfaltung der Person leistet. Alle Arbeit, die nicht auch in den Dienst der Personalität des Menschen gestellt ist, ist entfremdete Arbeit und nicht nachhaltig. Das ist auch der Grund, warum der Satz, sozial sei, was Arbeit schaffe, grundfalsch und gefährlich ist.
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Meine Damen und Herren, das Soziale ist nach der Soziallehre unmittelbarer Ausfluss des Personalen, und wenn Arbeit der Personalität des Menschen schadet, kann sie per definitionem nicht sozial sein.
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Was folgt für uns daraus, die wir uns als christlich orientierte Partei verstehen? Zum Ersten: Arbeit ist keine Ware, die anderen Waren vergleichbar ist, die auf dem Markt gehandelt werden. Die Rede vom Arbeitsmarkt nimmt die personale Dimension der Arbeit nicht in den Blick. Bei der Arbeit geht es nicht nur um die Herstellung von Dingen, sondern auch um die Entfaltung des Arbeitenden selbst. Deshalb ist es richtig, Formen der entfremdeten, nicht nachhaltigen Arbeit zu eliminieren: Arbeit, die krank macht, Arbeit, die keine Wertschätzung genießt, Arbeit, die für Leben und Gesundheit gefährlich ist, Arbeit, die ausbeuterisch ist, Arbeit ohne gerechten Lohn.
Wir erleben Formen der entfremdeten und entfremdenden Arbeit etwa in der Fleischindustrie und wollen den Untaten hier ein Ende bereiten. Die Zustände bei Tönnies sind eines zivilisierten Landes unwürdig und eines christlichen allemal.
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Die christliche Botschaft – das ist mein zweiter Punkt – ist universal, und als christliche Partei steht es uns gut an, diese Universalität ernst zu nehmen. Es nützt nichts, auf einer Insel der Wohlmeinenden und Gerechten in einem Ozean der Niedertracht, der Ausbeutung und der Entwürdigung zu leben. Aus dieser Grundidee heraus beteiligen wir uns in besonderem Maße an der Internationalen Arbeitsorganisation, der ILO. Aus dieser Grunderkenntnis heraus unterstützen wir die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, zu denen auch menschwürdige Arbeit gehört.
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Meine Damen und Herren, um es sehr deutlich zu sagen: Das gilt auch für die Arbeit in den Wertschöpfungsketten.
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Die Schande der Produkte durch ausbeuterische Arbeit ist auch unsere Schande. Es gibt kein Recht auf Profit zulasten der Menschenrechte.
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Das ist die Mindestanforderung an nachhaltige Arbeit in der globalisierten Welt: kein Gewinn ohne Gewissen.
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Und das Gewissen fängt nicht erst bei Unternehmen mit 5 000 Mitarbeitern an.
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Meine Damen und Herren, das C in unserem Namen verpflichtet, auch wenn es mancher bisweilen damit nicht so genau nimmt. Es verpflichtet uns auf das Gemeinwohl, und das ist nicht eben wenig. Arbeit ist kein Produktionsfaktor, sondern die tätige Mitwirkung an der Gestaltung des Gemeinwohls. Nur so ist sie nachhaltig – in Deutschland, aber auch weltweit. Und nur so können wir auch in Zukunft den Anspruch erheben, die Umbrüche in der Arbeitswelt im Sinne der Menschen gestalten zu können; denn der Mensch ist Zweck der Arbeit.
Danke schön.
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Vielen Dank, Dr. Matthias Zimmer. – Nächster Redner: für die Fraktion der AfD René Springer.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren jetzt über Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt, und ich hätte da ein paar Nachhaltigkeitsfragen an die, die schon länger hier sitzen.
Wie nachhaltig ist es eigentlich, dass wir uns in Europa einen der größten Niedriglohnsektoren leisten, obwohl wir doch wissen, dass ein geringer Lohn im Alter zu Armut führt? Wir haben heute 10 Millionen Beschäftigte, die Vollzeit arbeiten, aber so wenig verdienen, dass sie am Ende keine Anwartschaft für die Rente oberhalb der Grundsicherung aufbauen können. 45 Jahre lang arbeiten, Vollzeit, Armut im Alter – ich glaube nicht, dass das Ihr Wählerauftrag war.
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Aber Armut im Alter heißt auch, dass wir den zukünftigen Generationen enorme Lasten aufbürden.
Kommende Generationen, dieses Stichwort bringt mich zur Bildungspolitik und zur Familienpolitik. Die Zukunft gehört denen, die neue Technologien verstehen, entwickeln und beherrschen. Was setzt das voraus? Die Schüler müssen in Naturwissenschaften fit sein, sie müssen Mathe können, Physik, Biologie, Chemie. Wie nachhaltig ist unsere Bildungspolitik eigentlich, wenn unsere deutschen Grundschüler im internationalen Vergleich bei Naturwissenschaften inzwischen weit abgeschlagen hinter Kasachstan liegen? Wie nachhaltig ist eine Politik, die offensichtlich nachweist, dass wir dem technologischen Wandel der Zukunft nicht mehr gewachsen sind, weil unsere Schüler das nicht hinbekommen werden, wenn wir so weitermachen?
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Da ist es im Übrigen auch kein Trost, dass wir in diesem internationalen Vergleichstest knapp besser sind als Serbien. Das werden wir nicht akzeptieren.
Kommen wir zur Bildungspolitik. Deutschland gibt im Jahr mehr als 200 Milliarden Euro für 150 familienpolitische Leistungen aus, die sich irgendwo in einem Dickicht verlieren, 150 Leistungen, die die Bundesregierung selbst nicht aufzählen kann. Das Ergebnis dieser Leistungen ist: 68 Prozent der Alleinerziehenden sind armutsgefährdet. Jedes Kind, das heute in eine Familie hineingeboren wird, steigert das Armutsrisiko. Wir haben unzählige Kinder im Hartz-IV-Bezug. Kinder sind zu einem Luxus geworden, und wir stolpern unter Ihrer Verantwortung geradezu in eine demografische Katastrophe.
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Morgen werden uns die Fachkräfte fehlen, morgen werden uns die fehlen, die in die Rente einzahlen. Dafür gibt es ja ein neues Zauberwort, das heißt dann „Fachkräfteeinwanderung“. Aber ich frage mich: Wie nachhaltig ist eigentlich eine Fachkräfteeinwanderung, bei der auf 100 Ausländer, die in einen vernünftigen Job kommen, 50 Ausländer ins Hartz-IV-System einwandern? Wie nachhaltig ist eine solche Einwanderungspolitik?
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Wie nachhaltig ist eine Einwanderungspolitik, bei der am Ende 40 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher Ausländer sind? Wer soll das bitte auf Dauer finanzieren?
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Dann haben wir jetzt, bedingt durch Ihre Coronamaßnahmen, einen enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit: coronabedingt 637 000 Arbeitslose, weitere werden folgen; das wissen Sie alle. Wir haben sogar einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Mangelberufen, selbst im Mangelberuf Nummer eins Altenpflege. Kommt da jemand auf die Idee, mal das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auszusetzen oder die Westbalkan-Regelung auslaufen zu lassen, dass in der Zeit, in der bei uns Menschen in die Arbeitslosigkeit gehen, nicht weitere Fachkräfte im Ausland angeworben werden? Nein, auf diese Idee kommt keiner! Sie schauen in eine Zukunft – und wir leider mit Ihnen –, in der ausländische Fachkräfte in einer Zeit steigender Arbeitslosigkeit in einem Arbeitsmarkt konkurrieren, obwohl sie bereit sind, bis 1 500 Euro im Monat weniger Lohn zu akzeptieren.
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Das ist nämlich die Lohnlücke, die wir inzwischen zwischen Deutschen und Ausländern haben: im Monat 1 000 bis 1 500 Euro.
Ich komme zum Abschluss. „Soziale Nachhaltigkeit“ bedeutet das Verbot, in der Gegenwart irreversible Veränderungen vorzunehmen, die von den zukünftigen Generationen nicht gewollt werden könnten. In den vergangenen 30 Jahren haben Sie gezeigt, dass Sie dazu nicht in der Lage sind.
Herr Kollege, Sie sind deutlich drüber. Würden Sie bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. – Gestern hat es der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus deutlich gesagt: Es soll jetzt einen Nachhaltigkeitscheck bei Gesetzen geben: Es soll darauf geachtet werden, was das für zukünftige Generationen bedeutet. Was haben Sie eigentlich vorher getan?
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Bis dahin.
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Danke, Herr Springer. – Viel zu lang.
Nächster Redner: für die Bundesregierung Hubertus Heil.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in dieser Woche so intensiv über Nachhaltigkeit sprechen, dann reden wir eben nicht über ein abstraktes politisches Konzept, sondern sehr konkret über die Zukunft unseres Landes und die Zukunft unserer Kinder. Wir reden davon, wie Deutschland digitaler, ökologischer und sozialer werden kann, und es ist die Verpflichtung unserer Generation, das genau jetzt zu tun.
Erhard Eppler, der große Vordenker der Nachhaltigkeit, sprach in den 70er-Jahren sehr leidenschaftlich von „Zukunftstauglichkeit“. Das war damals visionär. Heute ist es schlicht und ergreifend eine politische Notwendigkeit. Ich will das an drei Beispielen im Bereich der Arbeit deutlich machen.
Die größte Aufgabe, vor der wir im Moment in dieser aktuellen Wirtschaftskrise stehen und in der sozialen, digitalen und ökologischen Transformation, ist es, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen, in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, in vielen anderen Bereichen.
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Ein Schlüssel der Bundesregierung ist ganz konkret die Nationale Weiterbildungsstrategie mit konkret unterlegten Instrumenten, Herr Kollege Ernst aus der Debatte von vorhin. Es ist so, dass wir mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz beispielsweise kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen, in Weiterbildung zu investieren, damit wir Arbeitslosigkeit in dieser Transformation verhindern, bevor sie entsteht.
Es ist so, dass wir beim Kohleausstieg dafür gesorgt haben, dass wir in den Regionen Strukturbrüche nicht zulassen, sondern dass wir Perspektive geben mit industriepolitischen Ansätzen, mit strukturpolitischen Ansätzen und eben auch mit einer Qualifizierungs- und Beschäftigungspolitik, die mithilft, dass die Beschäftigten von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. Das ist das, was wir tun.
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Wenn wir über die Arbeit von morgen reden, müssen wir aber auch über die Frage reden, was das für Arbeit ist. Wer in diesen Zeiten, in der bisherigen Arbeitswelt und der modernen Arbeitswelt versucht, Digitalisierung und Arbeit mit Ausbeutung zu verwechseln, der hat diese Bundesregierung zum Gegner, meine Damen und Herren.
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Ich sage das auch mit Blick auf das, was der Kollege Zimmer vorhin angesprochen hat: die Verhältnisse in der Fleischindustrie. Dieses Geschäftsmodell ist nicht nachhaltig, weil die Ausbeutung von Menschen aus Mittel- und Osteuropa schon vor Corona eine Schande war; jetzt ist es ein allgemeines Pandemierisiko geworden. Deshalb werbe ich dafür, dass wir das Arbeitsschutzkontrollgesetz in diesem Hause ohne Verwässerung von Lobbyisten durchziehen, meine Damen und Herren.
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Wenn wir über „soziale Nachhaltigkeit“ reden, meine Damen und Herren, dann hat das allerdings nicht nur eine Bedeutung für die Arbeit in Deutschland und Europa, sondern es hat auch eine globale Dimension. Angesichts der Rede meines Vorgängers kann ich Ihnen das nicht ersparen: Herr Kollege, es ist ja kein Zufall, dass die Anticoronaideologen auf dieser Welt auch Antinachhaltigkeitsideologen sind.
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Ich rede von Politikern wie Herrn Bolsonaro, dem Präsidenten von Brasilien. Unter seiner Regierung wird die Pandemie verharmlost. Unter seiner Regierung wird der Amazonas weiter zur Brandrodung und Ausbeutung freigegeben. Es werden Gewerkschaften systematisch unterdrückt. Ein großartiges Land wie Brasilien wird seiner Zukunftstauglichkeit beraubt.
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Meine Damen und Herren, anstatt Schaden von den Menschen abzuwenden, führen solche Politiker und solche politischen Freunde, wie Sie sie dort haben, dieses Land Brasilien in eine tiefe Krise. Sie spalten die Gesellschaft. Sie schüren soziale Unruhen. Sie setzen die Zukunft folgender Generationen aufs Spiel. Sie vergiften die Umwelt genauso wie das gesellschaftliche Klima. Sie lassen die Wälder genauso brennen wie die Straßen. Diese Politik des Rechtsradikalismus, meine Damen und Herren, ist das Gegenteil von Zukunftsfähigkeit.
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Unsere Verantwortung als Handelsnation, als Europäer und als Deutsche, ist es, dafür zu sorgen, dass wir in diesen Bereichen unserer Verantwortung gerecht werden, ob das in Handelsabkommen ist
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oder ob das auch die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht deutscher Unternehmen betrifft.
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Ich bin sehr froh, Herr Kollege Zimmer, dass zumindest wir beide – und ich würde Gerd Müller noch dazuziehen – der Meinung sind, dass wir endlich in Deutschland ein Lieferkettengesetz brauchen, das dazu führt, dass Unternehmen sich verbindlich um ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in globalen Lieferbeziehungen zu kümmern haben.
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Ich sage aber auch: Das darf keine Tünche sein; das darf kein Placebo sein. Deshalb gehört zu einem Sorgfaltspflichtenkatalog für große Unternehmen ab 500 Beschäftigte – nicht ab 5 000; da sind wir beide uns einig –, dass es eine verbindliche Haftung für das Erfüllen von Sorgfaltspflichten gibt, dass es eine zivilrechtliche Haftung gibt.
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Meine Damen und Herren, Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft, habe ich einmal gelernt. Es sollen nicht mehr Bäume ausgeschlagen werden, als nachwachsen. Es ist inzwischen ein politisches Konzept geworden, ein guter Kompass für eine bessere, für eine digitalere, für eine ökologischere und eine sozialere Zukunft.
Die Wahrheit ist nur nicht abstrakt. Und so sehr ich die Rede des Kollegen Zimmer genossen habe, die sehr grundsätzlich war und bei der ich jeden Satz unterschreiben könnte: Die Wahrheit ist konkret. Dieser Deutsche Bundestag, meine Damen und Herren, kann in den nächsten Wochen in konkreter Gesetzgebung mithelfen, dass aus diesem politischen Konzept auch politische Wirklichkeit wird.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Hubertus Heil. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Jens Beeck.
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Hochverehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 25. September, in wenigen Tagen, jährt sich zum fünften Mal die Verabschiedung der UN-Nachhaltigkeitsziele, die sich auch befassen mit dem Thema, dem wir uns in diesem Tagesordnungspunkt widmen, nämlich guter sozialer Arbeit – ein Ziel, das sich 193 Staaten mit uns für das Jahr 2030 gesetzt haben; 17 Ziele insgesamt.
Wir alle sind uns der Tatsache bewusst, dass die Besonderheiten in diesem Jahr mit der Coronakrise und anderem mehr weltweit die Erfüllung dieser Ziele deutlich erschwert haben. Trotzdem hat uns die Krise vieles gelehrt, und wir haben die Chance, aus diesen Lehren gestärkt hervorzugehen, indem wir darauf reagieren und in unserem Arbeitsmarkt die Dinge besser machen, die noch besser zu machen sind. Nur muss das am Ende funktionieren.
Die Coronapandemie hat ganz viele gebeutelt: Künstler, Familien, Kinder, Minijobber, ältere Menschen, die Gastronomie. In den Krankenhäusern hatten wir die Herausforderungen. Auch unsere Global Player und Hidden Champions stehen vor Herausforderungen, die wir im letzten Jahr noch nicht absehen konnten.
Deswegen mussten wir auch in der Arbeitswelt neue Wege finden, dieser Pandemie zu begegnen. Innerhalb kürzester Zeit sind Millionen von Menschen in Homeoffice-Arbeit geschickt worden. Analoge Arbeitsabläufe sind durch diverse digitale Kommunikationstools ersetzt worden. Wir haben die vorher nicht hinreichend angegangene digitale Transformation unserer Arbeitswelt im Schnelldurchlauf erlebt.
Wie reagieren? Herr Minister Heil, Sie haben auf Ihre künftigen Gesetzesvorhaben hingewiesen: Arbeitsschutzkontrollgesetz, Lieferkettengesetz. Sie reagieren mit immer noch mehr Bürokratie auf die Herausforderungen, die wir gemeinsam erkennen. Ich glaube zutiefst, dass es der falsche Weg sein kann, wenn man es nicht richtig macht. Wir haben in der letzten Woche das Arbeitsschutzkontrollgesetz hier diskutiert. Wir teilen die Ziele. Wir warten darauf, dass Sie nacharbeiten, um zu verhindern, dass nicht das genaue Gegenteil erreicht wird. Auch beim Lieferkettengesetz werden wir darauf achten müssen.
Wir teilen diese Ziele. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Ministerien und auch wir im Haus uns gemeinschaftlich guter Arbeit verpflichten, damit die Ziele mit unseren Initiativen erreicht werden können.
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Als konstruktive Serviceopposition
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will ich Ihnen deswegen mit unserem Antrag zum inklusiven Arbeitsmarkt, den wir vorgelegt haben, neun ganz konkrete Punkte nennen. – Dazu ist aus dem Hause Heil, dem Hause meines sehr geschätzten niedersächsischen Kollegen in dieser Wahlperiode, außer den Reparaturgesetzen zum Bundesteilhabegesetz leider nichts gekommen. – In diesen Punkten teilen wir alle das Ziel eines offenen, inklusiven Arbeitsmarkts.
Dazu gibt es zum Teil schon Regelungen, die aber in der Praxis nicht funktionieren. Ich will als ein Beispiel die Anfrage bei den Integrationsämtern nennen: Man hat einen Arbeitsplatz und einen passsenden Menschen, und dann dauert es – das wissen Sie selbst – manchmal sechs, manchmal acht, manchmal vierzehn Wochen, bis man einen Bescheid hat. So lange kann das Unternehmen seinen Arbeitsplatz nicht unbesetzt lassen; deswegen ist er dann oft weg. Wir schlagen Ihnen vor, eine Genehmigungsfiktion von vier Wochen einzubauen. Vier Wochen reichen aus, um abzusehen, ob es keine Genehmigung geben kann. Wenn die Genehmigungsfiktion da ist, kann der Arbeitsplatz besetzt werden. Das ist gut für das Unternehmen; das ist gut für den Menschen mit Teilhabebeeinträchtigung, der diesen Arbeitsplatz bekommt. Die weiteren Verfahrensfragen, was konkret in welcher Höhe denn gefördert werden kann, lassen sich danach regeln. Nehmen Sie das Angebot an! Sorgen Sie für diese Genehmigungsfiktion! Verbessern Sie an dieser Stelle den Arbeitsmarkt!
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Ich will ein weiteres Beispiel ausdrücklich nennen: Das Budget für Arbeit ist ein großartiges Instrument in der Konstruktion, wie wir sie uns ausgedacht haben. Es ist bei allem, was wir über die Frage wissen, wie viele Budgets für Arbeit in Kraft sind, derzeit noch nicht mit der Durchschlagskraft versehen, die wir alle uns wünschen. Aber besonders unangenehm ist im Rahmen der Krise aufgefallen: Viele Arbeitgeber wollten eine Arbeitslosenversicherungspflicht auch für die Menschen, die das Budget für Arbeit in Anspruch nehmen. Sie haben freiwillig Versicherungsbeiträge gezahlt, einfach weil sie in ihrem Betrieb – bester inklusiver Gedanke – keinen Unterschied zwischen denen machen wollten, die mit Budget für Arbeit arbeiten wollten, und denen ohne Leistungen aus dem Budget für Arbeit. Nachdem man eingezahlt hat, hat man gedacht: Jetzt besteht in der Krise auch Anspruch auf Kurzarbeitergeld. – Die Reaktion der Bundesagentur für Arbeit war: Man überweist kommentarlos die eingezahlten Beiträge zurück, und die Anträge auf Kurzarbeitergeld und andere Sicherungsmechanismen aus den Versicherungssystemen sind nicht bewilligt worden. Hier fordern wir: Schaffen Sie eine Option dafür, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber freiwillig Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlen können und in das Sozialversicherungssystem hineinkommen!
Übernehmen Sie die anderen sieben Punkte auch noch! Dann haben wir heute ganz konkret eine Verbesserung des inklusiven Arbeitsmarkts erreicht, und die Woche hatte einen Sinn. Wir fordern Sie auf: Nutzen Sie unsere Hilfe!
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
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Viele Dank, Jens Beeck. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Beate Müller-Gemmeke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie müssen bewältigt werden, aber nachhaltig; denn wir sind auch mitten in der Klimakrise, und die ist existenziell und mittlerweile auch spürbar. Wir haben beispielsweise das dritte Dürrejahr in Folge. Es geht also um unsere Lebensgrundlagen. Die schützen wir nur, wenn wir auch tatsächlich die Klimaziele erreichen.
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Deshalb muss unsere Wirtschaft wirklich nachhaltig und klimaneutral werden. Das führt zwangsläufig zu einem Wandel der Arbeit. Am Beginn dieser Transformation stehen im Moment die Automobilindustrie und ihre Zulieferfirmen. Betroffen davon sind rund 800 000 Beschäftigte. Dabei geht es in der Regel um gute Arbeit mit tariflichem Lohn und betrieblicher Mitbestimmung. Dem müssen wir gerecht werden. Die Transformation muss also immer ökologisch und sozial ausgestaltet sein. Deshalb verbinden wir Grünen Klimapolitik immer mit einer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit.
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Deshalb fordern wir heute mit unserem Antrag ein neues Qualifizierungskurzarbeitergeld. Die Automobilbranche braucht Unterstützung in der Übergangsphase zu nachhaltigen Produkten, also beim Übergang vom Verbrenner zur Elektromobilität. Die Beschäftigten brauchen hingegen gute Qualifizierungsangebote für die Arbeitswelt von morgen. Deshalb wollen wir Kurzarbeit ganz konsequent mit Qualifizierung der Beschäftigten verbinden und eng an die Sozialpartnerschaft binden, und zwar mit Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Wir verbinden also Arbeitsmarkt und Industriepolitik und schaffen damit für die Beschäftigten im Strukturwandel neue Perspektiven. Das zeigt: Ökologie und Soziales sind keine Gegensätze. Im Gegenteil: Nur so entstehen gute und vor allem auch zukunftsfähige Arbeitsplätze.
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Die sozialökologische Transformation braucht also Investitionen. Sie braucht verlässliche, gute politische Rahmenbedingungen. Notwendig ist aber auch Vertrauen, und Vertrauen entsteht bei den Beschäftigten durch Mitbestimmung. Deshalb fordern wir ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht bei der Personalentwicklung und insbesondere zur Verbesserung der Klimabilanz. Wir wollen die Beschäftigten zu Akteuren machen. Sie sollen den Klimaschutz aktiv mitgestalten können. So entstehen dann Innovation und vor allem auch Akzeptanz.
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Wir Grünen sind überzeugt: Den Unternehmen wird nur gemeinsam mit den Beschäftigten, mit den Betriebsräten, mit den Gewerkschaften die Transformation ökologisch und auch sozial gelingen. Genau das wollen wir mit unserem Antrag politisch unterstützen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Beate Müller-Gemmeke. – Nächste Rednerin – sie steht schon da –: Dr. Silke Launert für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Sitzungswoche steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit. Das ist ein wichtiges, sehr interessantes Thema und ein wichtiger Schwerpunkt. Ich muss aber zugeben: Als man mich als Rednerin für die heutige Debatte gefragt hat, ob ich dabei das Argument der Familien- und Gleichstellungspolitik aufgreife, habe ich mich doch zunächst ein bisschen schwergetan, für die heutige Debatte eine Verknüpfung herzustellen: Arbeit im Wandel – die Bedeutung von Nachhaltigkeit für die Bereiche Arbeit und Soziales und die Gleichstellungspolitik.
Ich habe mich zunächst gefragt: Wo ist denn da genau der Zusammenhang? Die meisten von uns denken beim Begriff „Nachhaltigkeit“ natürlich zunächst an Umweltpolitik, Bewahrung der Schöpfung, Erhaltung von Ressourcen. Keine Ressourcen verschwenden, Energien, die man investiert und die in den Kreislauf hineingegeben wurden, nicht verlieren – ja, ich habe ihn doch gefunden, den Anknüpfungspunkt; denn auch unsere Gesellschaft verschwendet in hohem Maße eine ganz wichtige und wertvolle Ressource: die gut qualifizierten Frauen.
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Unser Land verfügt über so viele talentierte, in den verschiedensten Bereichen gut ausgebildete und motivierte Frauen. Frauen machen oft das bessere Abitur, zumindest ein gleich gutes, sind in den verschiedenen Ausbildungszweigen gut ausgebildet und im Studium oft sehr gut, oft sogar besser. Wo bleiben denn dann all diese Frauen? Wo sind sie? Man findet sie zumindest nicht in den Chefetagen – hier rede ich nicht nur von der Privatwirtschaft, sondern auch vom öffentlichen Sektor – und leider auch nicht in großer Anzahl in der Politik.
Die Frage ist also: Wo und wann verlieren wir diese Frauen? Klar ist: Eine Frau, die 10 oder 15 Jahre aus dem Beruf ausgeschieden ist, weil sie Kinder bekommen hat und sich um diese kümmern wollte, wird sich schwertun, an diese Arbeitsstelle zurückzukehren, wenn sie überhaupt wieder in ihren Beruf kann. Sie wird sich schwertun, sich schnell weiterzuentwickeln. Sie wird Karrierechancen verpasst haben. Ja, es sind meistens immer noch die Frauen, die im Interesse des Familienlebens zurückstecken. Ja – auch wenn einige es bestreiten –, es gibt die gläserne Decke. Ich habe sie in diesem Haus schon das eine oder andere Mal beobachten können.
Wenn wir als Gesellschaft unsere Frauen nicht verlieren wollen, dann müssen wir an mehreren Punkten ansetzen. Zum einen müssen wir diese gläserne Decke durchbrechen. Es sind zaghafte Versuche gemacht worden: Führungspositionengesetz, Entgelttransparenzgesetz. Ich würde mir auch wünschen, dass alles freiwillig geht, aber dann muss die Wirtschaft endlich einmal liefern. Es müssen nicht 70 Prozent sagen: Wir sind nicht in der Lage, Frauen in den Spitzenpositionen zu finden. Wir brauchen eine Quote null. – Aber auch die Parteien – sie meinen alle, es geht freiwillig – müssen dann liefern. Ich meine damit auch die eigene Partei. Von der FDP oder der AfD will ich gar nicht reden.
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Zum anderen müssen wir bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ansetzen. Auch wenn es den einen oder anderen nervt: Das Thema ist essenziell, und es geht nicht von heute auf morgen, aber man muss immer daran arbeiten.
Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz von Frau von der Leyen war damals nicht von allen gern gesehen, aber er war wichtig und hat eine Bewegung in Gang gesetzt. Das Gute-KiTa-Gesetz – 5,5 Milliarden Euro für die Verbesserung der Qualität – ist wichtig, auch wenn es nicht von heute auf morgen mit Fachkräften zu lösen ist.
Jetzt kommt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Ich habe wirklich Verständnis für die Gemeinden – ganz, ganz schwer –, aber auch die Gemeinden müssen erkennen: Das ist Infrastruktur. Man muss nicht nur eine Wasserversorgung, eine Gemeindestraße bauen, sondern man muss auch die Infrastruktur für die Kinderbetreuung schaffen, sonst schaffen wir es nicht, die Ressource gut ausgebildete Frauen für uns alle und für sich selbst zu nutzen.
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Weitere Themen sind Homeoffice, Aufstiegschancen und Teilzeit. All diese Aspekte sind wichtig für die Frauen. Mir ist aber auch wichtig: Wir haben nichts davon und es ist nicht nachhaltig, wenn wir die Frauen von morgens bis abends einseitig in Arbeit drängen, wenn wir sie kaputtarbeiten. Das ist nicht nachhaltig. Wir gehen von der Frau aus, die frei und selbstbestimmt ist. Wir wollen Frauen, die selbst entscheiden und wissen, wo ihre Potenziale sind, die sie nutzen können, und welche Prioritäten sie in ihrem Leben setzen. Denn auch Care-Arbeit ist Arbeit, ist Ressource. Auch da wird viel weitergegeben. Ich nenne nur ein Beispiel: Kochrezepte. Es gibt eine Generation von vielen Frauen, die nicht mehr kochen kann. Oft waren die Großmütter noch vor Ort und haben die Kinder erzogen. Ich kenne viele junge Frauen, die nicht wissen, was sie machen sollen, wenn das erste Problem mit dem Kind auftaucht. Auch dieses Wissen muss vermittelt, muss weitergegeben werden. Auch das ist Nachhaltigkeit. Dafür muss sich keiner schämen. Auch das ist erlaubt.
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– Die Männer können manchmal besser kochen als viele Frauen – leider. Auch das ist schade. Ich erlebe das immer wieder. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn viele Frauen nicht kochen.
Frau Launert.
Lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen.
Ja, es ist spannend mit den Kochrezepten, aber Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen.
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Da habe ich mich aufgehalten; ich gebe es zu. – Wir wollen, dass die Frauen, die engagiert sind, die gestalten, ihre Potenziale nutzen; denn eines ist klar: Nachhaltigkeit ist viel mehr, als man vielleicht auf den ersten Blick meint.
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Vielen Dank, Dr. Silke Launert. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Sichert.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für 133 Milliarden Euro könnte man jedem Rentner 6 300 Euro geben oder man könnte die Einkommensteuer für ein Jahr halbieren. 133 Milliarden Euro haben Sie diesen Sommer tatsächlich ausgegeben, allerdings für andere EU-Staaten. Die deutschen Rentner würden mit dem Geld in deutschen Läden deutsche Produkte kaufen und damit unsere Wirtschaft stärken. Die Griechen, Spanier und Italiener, denen Sie das Geld geben, reduzieren ihre Steuern und kaufen griechische, spanische und italienische Produkte. Die Deutschen haben davon keinen Nutzen, sie haben nur Kosten. Der durchschnittliche Deutsche hat mit die niedrigsten Vermögen, die niedrigsten Renten und das niedrigste Wohneigentum in ganz Europa. Dafür arbeiten die Deutschen überdurchschnittlich lange, zahlen weltweit am höchsten Steuern,
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und zusätzlich werden jährlich Hunderte Milliarden unseres Wohlstands anderen Staaten geschenkt.
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Herr Sichert, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Hendricks?
Gerne.
Frau Hendricks, bitte.
Sehe ich das richtig, Herr Abgeordneter Sichert, dass Sie nicht damit einverstanden sind, wenn zum Beispiel deutsche Rentner den Winter in Spanien verbringen und dort ihr Geld ausgeben?
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Doch, ich bin vollkommen der Meinung, dass der deutsche Rentner sein Geld dort ausgeben können soll, wo er es möchte, und dass wir eine Freizügigkeit brauchen.
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Aber ich bin der Auffassung, dass der deutsche Rentner das nicht mehr kann,
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weil die Renten in diesem Land mickrig sind, weil viele Rentner unterhalb der Armutsgrenze sind, weil viele Rentner, wenn sie versuchen, ihre Rente aufzustocken, das gar nicht können, weil sie dann gegebenenfalls den Bauernhof, der seit vielen Generationen in Familienbesitz ist, aufgeben müssten. Wir haben viele Rentner in diesem Land, die dringend eine höhere Rente bräuchten. Und dafür soll das Geld ausgegeben werden. Das Geld soll nicht direkt nach Spanien transferiert werden, damit in Spanien die Rente der Spanier finanziert wird.
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Ihre Politik macht die Deutschen zu Lohnsklaven Europas und der Welt. Ein nachhaltiger Sozialstaat ist nicht möglich, solange die deutschen Arbeitnehmer ausgebeutet werden. 1 800 Menschen standen letzte Woche hier in Berlin Schlange für eine Zweizimmerwohnung für 550 Euro. Die Zahl der Obdachlosen ist in den letzten Jahren förmlich explodiert. Deutsche Politiker müssen nicht auf eine griechische Insel fahren, um Fotos mit angeblich Bedürftigen zu machen; denn die wirklich Armen, die wirklich Bedürftigen leben millionenfach mitten unter uns.
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Von der FDP bis zu den Linken haben Sie Platz für theatralisch heulende Migranten in weit entfernten Ländern, aber das Elend unserer Mitbürger ist Ihnen egal.
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Solange Sie hier im Bundestag, ohne mit der Wimper zu zucken, die Deutschen mal eben um 133 Milliarden Euro enteignen, ist jede Diskussion über nachhaltige Sozialpolitik Heuchelei.
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Griechische Politiker vertreten Interessen der Griechen, amerikanische Politiker Interessen der Amerikaner und chinesische Politiker Interessen der Chinesen. Was überall auf der Welt selbstverständlich ist, das muss auch in Deutschland gelten. Als deutsche Politiker sind wir den Deutschen verpflichtet. Und wir müssen erst die Probleme unserer armen Mitbürger lösen, bevor wir uns um die Probleme irgendwo in der Welt kümmern können.
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Deswegen haben wir als AfD beantragt, dass künftig bei jedem Geldtransfer aus Deutschland dargestellt werden muss, welche Erhöhung der Sozialleistungen, welche Steuersenkungen und welcher Ausbau der Infrastruktur uns in unserem Land mit diesem Geldabfluss entgeht.
Wir als AfD sind die Partei der sozialen Nachhaltigkeit.
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Was deutsche Steuerzahler hart erarbeiten, das muss eingesetzt werden, um Wohlstand in Deutschland zu mehren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner: Michael Gerdes für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte versuchen, das Niveau wieder ein bisschen anzuheben.
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Nachhaltigkeit ist einer dieser Begriffe, die wir als Politiker gerne zitieren, weil sie modern und zukunftsweisend klingen. Und wer sich nachhaltig verhält, tut augenscheinlich Gutes. Aber ohne eine genaue Vorstellung, was damit gemeint ist, kommt man nicht weit. Jedes Ressort muss Nachhaltigkeit für sich definieren und mit Inhalten füllen. Der Versuch, die Gesellschaft zu spalten – wie gerade wieder von der rechten Seite des Hauses –, ist jedenfalls nicht nachhaltig.
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Für mich als Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker geht es darum, langfristig für soziale Sicherheit zu sorgen und Arbeitsplätze zu schützen. Ein soziales System, das sich auch in Krisenzeiten als robust erweist und ein Instrument wie das Kurzarbeitergeld kennt, das ist für mich soziale Nachhaltigkeit.
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Ein Sozialstaat, der benachteiligte Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlässt, sondern sie qualifiziert, ihre Erwerbsfähigkeit steigert, indem er verschiedene Bildungswege stärkt – das nenne ich soziale Nachhaltigkeit.
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Ein Arbeitsplatz, der nicht nur heute die Lohntüte füllt, sondern auch in naher Zukunft Geld bringt – das ist nachhaltig.
Ein Job, der mir und meiner Familie ein auskömmliches Leben ermöglicht, von dem ich mir mehr als das Nötigste leisten kann, der es mir auch erlaubt, etwas zu sparen – das ist nachhaltig.
Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, die meine Gesundheit nicht über Gebühr belasten, ganz gleich, ob psychisch oder physisch – so definiere ich Nachhaltigkeit.
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Eine Arbeitsmarktpolitik, die Branchen im Strukturwandel unterstützt, indem sie Angebote für Fort- und Weiterbildung macht – das ist nachhaltig.
Wirtschaft und Arbeitsmarkt müssen so funktionieren, dass sie nicht nur kurzfristig Wohlstand bringen, sondern lange Zeit.
Ganz konkret gehört für uns als SPD-Fraktion auch ein Lieferkettengesetz zur Nachhaltigkeit dazu.
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An vielen Stellen geht es Firmen nur um Gewinnmaximierung. Wir fordern von Unternehmen mehr Verantwortung für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, und das überall auf der Welt.
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Es darf uns nicht egal sein, wenn diejenigen, die unsere T-Shirts oder Hosen nähen, schlecht bezahlt oder gesundheitlich ausgebeutet werden. Nachhaltiges Handeln bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, Missstände zu beheben und nicht wegzuschauen. Es ist bedauerlich, dass im Kabinett bisher keine Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz verabschiedet wurden. Es hätte dieser parlamentarischen Woche der Nachhaltigkeit gut zu Gesicht gestanden.
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Die SPD ist jedenfalls bereit.
Ich bin Hubertus Heil sehr dankbar; denn er hat eindrücklich geschildert, was wir im Fachbereich Arbeit und Soziales in dieser Legislaturperiode bereits getan haben, um unseren Sozialstaat zu stärken: Ich nenne beispielhaft das Qualifizierungschancengesetz, das Arbeit-von-morgen-Gesetz, den sozialen Arbeitsmarkt, die Stabilisierung des Rentenniveaus und die Einführung der Grundrente, mit der wir die Lebensleistung vieler Menschen besser anerkennen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn sich Arbeitsorte, Arbeitsinhalte und Arbeitsformen wandeln, so bleibt es immer dabei, dass wir Arbeit als zentrales Mittel für Teilhabe betrachten. Unsere Politik ist nachhaltig, wenn wir als Gesellschaft solidarisch sind mit denen, deren Arbeit in Gefahr ist, oder wenn wir denen helfen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr oder nur wenig arbeiten können.
Wir sind nachhaltig, wenn wir vorausschauend denken, den Kuchen gerecht verteilen und möglichst allen Teilhabechancen eröffnen. Das ist es, was einen guten und starken Sozialstaat ausmacht. Dafür kämpfen wir, dafür kämpft die SPD Tag für Tag.
Herzlichen Dank und Glück auf!
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Vielen Dank, Michael Gerdes. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Nicole Bauer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den Blick in der Nachhaltigkeitsdebatte noch ein bisschen erweitern und auch auf eine moderne Arbeitswelt lenken. Das typische Vorstandsmitglied eines börsennotierten Unternehmens in Deutschland ist männlich, über 50 Jahre alt und heißt Thomas.
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Mit Diversity hat das wirklich wenig zu tun. Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage: Über die Vereinbarkeit von Familie und Führungsposition hat sich Thomas wohl kaum Gedanken gemacht,
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hätte er aber vielleicht gerne. Genau deshalb diskutieren wir heute über einen Wandel.
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Denn wir haben dringenden Handlungsbedarf. Das hat uns in den letzten Wochen auch die Initiative #stayonboard gezeigt. Vielen Dank an dieser Stelle für eure Initiative und das Engagement!
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Nehmen wir an, dass es neben Thomas auch noch Karin gibt, die gut ausgebildet ist, knapp 40 Jahre alt ist, Vorständin ist und ein Kind erwartet. Für beide Vorstände ist es aktuell nicht möglich, dass sie sich eine Auszeit nehmen – nicht für die Geburt des eigenen Kindes, nicht für die Pflege von Angehörigen und auch nicht bei einer eigenen schweren Erkrankung. Thomas und Karin haben eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder volle Haftung bei Abwesenheit oder die Niederlegung, ja der Verzicht auf das Mandat. Das ist alles andere als zeitgemäß. Deshalb fordern wir, das zu ändern, meine Damen und Herren.
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Wir wundern uns ernsthaft über eine Monokultur in Unternehmensspitzen? Wir wundern uns über zu wenig Familienfreundlichkeit in den Unternehmen, zu wenige Frauen in Führungspositionen, insbesondere junge? Aber das ist doch kein Wunder. Führungskräfte, egal ob Mann oder Frau, haben Familie, Kinder, pflegebedürftige Eltern, und sie können auch erkranken. All das gehört zur Lebenswelt von Thomas und Karin mit dazu. Das können wir nicht ausblenden, nicht wegwischen, hier müssen wir handeln und eine Lösung aufzeigen.
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Eine Auszeit für Vorstände von bis zu sechs Monaten in begründeten Fällen muss möglich sein. Die vielfältigen Interessen – Unternehmen, Gläubiger, Aktionäre, Mitarbeiter, Gesellschaft – berücksichtigen wir selbstverständlich. Ich bin mir sicher: Es geht, und alle werden am Ende von diesen Vorteilen profitieren. Endlich können Menschen Verantwortung im Beruf und für Privates übernehmen. Verständnis und Vorbild werden dabei gestärkt.
Vorstandsmitgliedern kommt somit eine Schlüsselrolle zu: Sie haben eine Strahlkraft in das gesamte Unternehmen hinein und für die Stakeholder. Sie leben eine moderne Unternehmens- und Führungskultur vor. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, meine Damen und Herren, müssen wir hier ansetzen. Denken wir innovativ, denken wir neu für einen Wandel zu mehr Familienfreundlichkeit, Flexibilität und Vielfalt! Fangen wir hier und heute damit an! Ziehen wir für andere Unternehmensformen nach! Es ist höchste Zeit für eine moderne Gesetzgebung.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Nicole Bauer. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Margarete Bause.
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Schimmelpilzbefall, Ungeziefer, Einsturzgefahr, katastrophale Sanitäreinrichtungen, Brandschutzmängel – hier werden nicht etwa Zustände in irgendeinem weit entfernten Land beschrieben. So beschämend liest sich der Bericht des Sozialministeriums Nordrhein-Westfalen über die Unterkünfte für Beschäftigte bei Werkvertragsfirmen in der Fleischindustrie hierzulande.
Corona legt bekannte, aber verdrängte Missstände offen. Wir haben das hier oft diskutiert: Auch hier bei uns gibt es menschenunwürdige Arbeitsbedingungen. Betroffen davon sind oft Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter, die unser Billigfleisch zerlegen, Erdbeeren pflücken, Hotelzimmer putzen oder auf dem Bau schuften.
Kolleginnen und Kollegen, die Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern, egal woher sie kommen, egal wie lange sie bleiben, egal wie ihr rechtlicher Status ist, Arbeitsausbeutung ist in einem Rechts- und Sozialstaat nicht hinnehmbar, und sie ist menschenrechtlich inakzeptabel.
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Arbeitsmigrantinnen und ‑migranten sind nach einer Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte vielfach Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, auch hier bei uns in Deutschland. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat 2018 über zahlreiche Fälle schwerer Arbeitsausbeutung in Deutschland berichtet. Diese Kritik muss uns wachrütteln, gerade weil wir global immer wieder die Einhaltung von Menschenrechten anmahnen.
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Wir reden heute über Arbeit im Wandel und über die UN-Nachhaltigkeitsziele. Ziel Nummer 8 verpflichtet uns, menschenwürdige Arbeit für alle zu fördern. Menschenwürdige Arbeit für alle, das heißt auch für die weltweit etwa 150 Millionen Arbeitsmigrantinnen und ‑migranten; sie sind besonders schutzbedürftig. Um sie zu schützen, hat die UN-Generalversammlung 1990 die Wanderarbeiterkonvention verabschiedet. Bis heute sind ihr weltweit nur 55 Staaten beigetreten. Deutschland lehnt sie nach wie vor ab. Auch hier ist ein diesbezüglicher Antrag von uns abgelehnt worden. Vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf wurde die Bundesregierung wiederholt dafür kritisiert, dass diese Konvention bei uns bisher nicht gilt. Die Konvention ist aber notwendig, wie Skandale bei Tönnies und anderen gezeigt haben.
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Arbeitsmigrantinnen und ‑migranten haben einen Anspruch auf faire Arbeitsbedingungen, auf soziale Mindeststandards, auf angemessene Unterkünfte und den Schutz ihrer Gesundheit. Mit einer Entschuldigung gegenüber Rumänien oder anderen Staaten ist es eben nicht getan. Wir müssen alles tun, um Zustände, die von Menschenrechtsorganisationen zu Recht als moderne Sklavenarbeit bezeichnet werden, mit allen Mitteln zu unterbinden.
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Und wir müssen alles tun, um Zwangsarbeit in der Lieferkette deutscher Unternehmen zu verhindern.
Wenn es um die Arbeit der Zukunft geht, dann geht es um menschenwürdige Arbeit. Dazu brauchen wir ein wirksames Lieferkettengesetz, und dazu muss die Wanderarbeiterkonvention von Deutschland ratifiziert werden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Margarete Bause. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Ingrid Pahlmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Minister! Meine Damen und Herren! Wir debattieren diese Woche alle möglichen Aspekte der Nachhaltigkeit. Ein ganz erheblicher Punkt ist dabei die Gleichstellung von Frauen und Männern. Dass Frauen gleiche Chancen und Möglichkeiten haben wie Männer, ist eine Frage der Gerechtigkeit: dass sie nicht von überholten Rollenbildern ausgegrenzt werden, dass sie nicht mit dem Kopf gegen die gläserne Decke stoßen, dass sie kein Opfer häuslicher Gewalt werden, dass sie ohne Hürden und Nachteile im Arbeitsleben und im Rentenbezug Mutter werden können, dass sie auch selbstbewusst kinderlos bleiben können, dass sie einen Doktortitel, eine Professur in Physik innehaben können, dass sie ihr Frausein eben ganz nach eigenem Gutdünken ausleben können und vieles, vieles mehr.
Wir Frauen haben Stärken, wir haben auch Schwächen – jede Einzelne von uns in einer einzigartigen Kombination. Das unterscheidet uns nicht von den Männern. Wir Frauen stellen gut die Hälfe der deutschen Gesellschaft. Ohne uns ist kein Staat zu machen, ohne uns gibt es aber auch keine nachhaltige Entwicklung. Deswegen fordern wir eine umfassende Gleichberechtigung und Fairness – nicht nur auf dem Papier, sondern auch in den Köpfen.
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Um das zu erreichen, brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz in unserer Politik. Das bietet die geplante Bundesstiftung Gleichstellung, die sich Fragen der gerechten Partizipation von Frauen in Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft widmen wird.
Mit der nationalen Gleichstellungsstrategie hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, Gleichstellung als Aufgabe der gesamten Regierung wahrzunehmen. Auch auf europäischer und globaler Ebene setzt sich die Bundesregierung entschlossen für die Gleichstellung von Frauen und Männern ein. Das ist auch ein zentrales Thema der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Mit der Gleichstellungsstrategie „Eine Union der Gleichheit“ der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen wurde dem Thema höchste Priorität eingeräumt, um in Europa und der Welt mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen.
Uns als CDU/CSU-Fraktion liegt es aber auch besonders am Herzen, Gewalt gegen Frauen umfassend zu bekämpfen. So hat Deutschland das Europaratsübereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert. Wir haben ein umfangreiches Investitions- und Innovationsprogramm für Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und verschiedene Modellprojekte aufgelegt. Seit 2018 koordinieren Bund, Länder und Kommunen auf Initiative der Koalitionsfraktionen ihre Arbeit am runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“.
Meine Damen und Herren, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, müssen wir natürlich auch darüber sprechen, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen. Nun will ich als Frau natürlich nicht darauf hinaus, dass Frauen als Ding oder einfach nur als Ressource angesehen werden, aber ich möchte schon darauf hinweisen, dass wir als Gesellschaft mit einer starken, gut ausgebildeten Gruppe nicht eben, gelinde gesagt, sinnvoll umgehen. Dieses Manko müssen und wollen wir beheben.
Bei den Schulabgängern haben die Frauen die besten Noten. Unter den Absolventen mit Hochschulabschluss ist die Frauenquote extrem hoch. Diese Qualität muss sich nun auch langsam – nee, ich möchte es eigentlich so sagen –, die muss sich ganz schnell auch als Quantität in den Führungsetagen von Unternehmen wiederfinden.
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Und wir Frauen wollen endlich mindestens genauso viel verdienen wie unsere männlichen Kollegen. Die nach wie vor bestehende strukturelle Lohnlücke zwischen Männern und Frauen müssen wir endlich schließen.
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Natürlich wissen wir, dass diese Lücke ihren historisch gewachsenen Ursprung unter anderem in der gezielten Wahl bestimmter Berufe durch Frauen hat
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wie auch in der traditionellen Organisation der Familienphase, die für Frauen eben oft zu Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung geführt hat und leider immer noch führt.
Zu den ergriffenen Maßnahmen, um die Lohnlücke zu schließen, zählen unter anderem die Einführung des Entgelttransparenzgesetzes und der gesetzliche Mindestlohn.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Wahlmöglichkeiten der Eltern wurden beispielsweise durch Einführung von Elterngeld, Elterngeld Plus – es wird momentan auch noch überarbeitet und flexibler gestaltet –, den Ausbau und die qualitative Verbesserung der Kindertagesbetreuung sowie die Neuregelung zur Pflege- und Familienpflegezeit verbessert.
Verbesserungen erwarten wir natürlich auch durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen.
All dies sind die Bausteine, damit insbesondere Frauen Erwerbstätigkeit und Familienzeit endlich besser vereinbaren können.
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Das sind wichtige und richtige Maßnahmen. Und diesen Weg müssen wir konsequent weitergehen.
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Denn wir Frauen wollen gleiche Bildungs- und Karrierechancen. Wir wollen Entgeltgleichheit. Wir wollen keine Gewalt mehr erdulden. Wir wollen selbstbestimmt durchs Leben gehen. Wir wollen keine Fesseln, keine Hürden. Dafür kämpfen wir. Das tun wir auch mit tatkräftiger Unterstützung vieler Kollegen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Ingrid Pahlmann. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Leni Breymaier.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch in Zeiten von Digitalisierung, Strukturwandel und Pandemie gibt es drei wesentliche Sachen, die Erwerbstätige mit ihrer Berufsarbeit verbinden: Sie wollen davon gut leben können. Sie wollen für die großen Lebensrisiken abgesichert sein, sprich: bei Krankheit, bei Erwerbslosigkeit und eben auch im Alter. Auch die nichtbezahlte Familienarbeit und das Ehrenamt müssen mit der Erwerbsarbeit kompatibel sein. – Es geht nie um Beruf und Familie. Das schaffen die Männer alle locker. Es geht immer um Beruf und Familienarbeit. Die wunderbare Käthe Leichter, eine Sozialwissenschaftlerin aus Österreich, hat schon vor 100 Jahren gesagt: „Für die Frauen ist zu Hause nur Schichtwechsel!“.
Wir wissen – das ist jetzt auch mehrfach gesagt worden; es ist ja schön, dass bei dem Thema die Frauenpolitikerinnen zu Wort kommen –: Frauen haben weniger Geld, sie bekommen weniger Rente, und sie haben weniger bezahlte Zeit. Ich halte die Analyse von Frau Pahlmann an der Stelle für falsch; aber, ich glaube, über den Weg sind wir uns einig: Es dürfte insgesamt alles ein bisschen schneller gehen.
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Wir leben heute davon, was Generationen vor uns für uns erstritten und gestaltet haben, und zwar im Guten wie im Schlechten. Wir sind verantwortlich für das, was wir den nächsten Generationen hinterlassen. Daher müssen wir – und darüber reden wir hier die ganze Woche – nachhaltig handeln.
Wo wir gerade überhaupt nicht nachhaltig handeln, das ist aus meiner Sicht hinsichtlich der Situation im Einzelhandel. Wenn ich sehe, wie sich der Versandhandel an der Pandemie eine goldene Nase verdient hat und wesentliche Versandhändler meinen, sie könnten sich in Deutschland den ihnen passenden Tarifvertrag aussuchen, im Fall von Amazon konkret den Tarifvertrag für Spedition und Logistik und nicht den Tarifvertrag des Versandhandels: Das ist nicht richtig. Und parallel dazu bibbert die Verkäuferin von Karstadt, die sich an die normalen Tarifverträge halten, um ihren Arbeitsplatz in der Innenstadt. Ich habe die Tage mit einer Betriebsrätin von Karstadt Kaufhof telefoniert. Sie sagte: Bei uns ist Weihnachtsstimmung. Die Kunden klauen aus den Sicomaticdeckeln die Gummis, und die Frauen wissen nicht, ob sie in vier Wochen ihren Arbeitsplatz noch haben. – Ja, es ist gelungen, einige Filialen zu retten, aber es gibt noch ganz viele, die bibbern. An dieser Stelle will ich, da es ja um Arbeit im Wandel geht, auch mal an diese Frauen erinnern.
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In der SPD freuen wir uns über die Grundrente, von der überwiegend Frauen profitieren. Wir arbeiten weiter an einem gerechten Alterssicherungssystem. Ich halte es für unsäglich, wenn Herr Brinkhaus sagt, das sei nicht nachhaltig. Sozial nachhaltiger geht es überhaupt nicht. Das ist unser Gesetz, und es werden viele, viele Frauen davon profitieren.
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Wir wollen, dass in der Pflege mehr verdient wird und in der Altenpflege bessere Arbeitsbedingungen herrschen. Aber wir können und müssen uns da auch ehrlich machen: Verdi wird es mit einer Lohnforderung von 4,8 Prozent nicht richten. Wir müssen zusehen, dass wir in das System insgesamt mehr Geld bekommen – aus Steuern, aus Beiträgen. Durch Klatschen kommt es zu keiner plötzlichen Geldvermehrung.
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Wir brauchen gute Kitas, und wir geben dafür richtig viel Geld aus, weil wir die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse wollen.
Für gleiches Entgelt brauchen wir ein Entgelttransparenzgesetz mit Biss.
Wir müssen auch an die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf anderen Kontinenten denken. Darum ist das Lieferkettengesetz so wichtig. Es sind überwiegend Frauen in den Fabriken der armen Länder, die unter unsäglichen Arbeits- und Umweltbedingungen schuften. Wir alle haben die Bilder der brennenden Textilfabriken im Kopf. Das Lieferkettengesetz ist ein Frauengesetz.
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Wegen all dem unterstützen wir sowohl die EU-Kommissarin Dalli wie auch unsere Ministerin Franziska Giffey bei der Umsetzung ihrer jeweiligen Gleichstellungsstrategien. 2021 wird die Bundesregierung in New York den Bericht zur nachhaltigen Entwicklung vorstellen. Ich hoffe, da gibt es viel über Taten zu berichten und auch einiges über Vorhaben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Leni Breymaier. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Thomas Heilmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer hier im Saal und an den digitalen Endgeräten! Wir haben uns dieses Thema in der Unionsfraktion aufgeteilt. Der Kollege Zimmer hat unser Wertekonzept erläutert, das ich ausdrücklich teile. Meine Kolleginnen haben über die unerledigten Dinge bei der Gleichberechtigung der Frauen gesprochen. Auch das teile ich selbstverständlich.
Die Liste des Unerledigten ist leider noch lang. Ein Aspekt in dieser Debatte ist mir allerdings zu kurz gekommen, und über den möchte ich reden: Es fehlt an Optimismus bei der Arbeit im Wandel, wie unser Thema heute heißt. Natürlich müssen wir den sozialen Schutz den neuen Bedingungen anpassen; das ist hier vielfach gesagt worden, und dem widerspreche ich ausdrücklich nicht. Aber wir sollten das nicht in der Art und Weise tun, dass wir den Menschen vor allen Dingen Angst vor der Transformation machen.
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Angst ist kein guter Ratgeber und schafft gerade keine Nachhaltigkeit.
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Denn, meine Damen und Herren, die neue Arbeit, die Arbeit im Wandel schafft viele Chancen. Sie entlastet eher von Routine, sie reduziert körperliche Fehlbelastungen, sie schafft größere Flexibilität. Die neue Arbeit verlangt höherwertige Qualifikationen. Sie verlangt mehr soziale Qualifikation, mehr Kommunikationstalent, mehr Planung, mehr Steuerung und übrigens auch mehr Kompetenz im Team – alles Aufgaben, die dann auch auf unsere Bildungssysteme zukommen werden. All das kommt natürlich den Beschäftigten in unserem Land auch entgegen. Höherqualifikation ist eine Chance und aus meiner Sicht keine Belastung.
Insofern habe ich es sehr bedauert, dass Frau Ferschl nach ihrer Rede nun nicht mehr da ist.
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– Dann nehme ich das zurück. Das war mir nicht bekannt.
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– Wenn es nicht anders geht, soll es mir recht sein. – Frau Ferschl hat in den Mittelpunkt ihrer Rede aber vor allem die Begriffe „Katastrophe“, „Leidtragende“, „Zukunftsängste“, „unsichere Arbeitsplätze“ etc. gestellt. Ich halte es, ehrlich gesagt, für viel zu einseitig, wenn man nur auf die Gefahren abstellt. Es kommt mir so vor, als wenn man einem Sporttreibenden sagt, er könne verletzt oder gefoult werden, er könne sich überanstrengen, aber nicht darüber redet, welche guten Seiten der Sport hat. Die Arbeit im Wandel ist insgesamt eine Chance und keine Belastung für unser Land.
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Dann hat hier keiner etwas zu den Äußerungen der AfD gesagt.
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Deswegen will ich die letzte Minute meiner Redezeit darauf verwenden.
Ehrlich gesagt, Herr Springer – mit Ihnen fange ich an; das ist aber das kleinere Problem –, dass ausgerechnet Sie die Rente kritisieren,
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das habe ich nicht verstanden. Wir alle hier in diesem Raum wissen doch, dass ausgerechnet Sie von der AfD gar kein Konzept haben, weil Sie sich auf nichts einigen können.
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Besonders geärgert habe ich mich mal wieder über Sie, Herr Sichert. Sie haben eine ganz besondere Milchmädchenrechnung vorgelegt, aber das hätte ich vielleicht gar nicht erwähnt. Aber dass in diesem Hohen Haus jemand so offen für puren Egoismus plädiert, dafür habe ich mich, ehrlich gesagt, geschämt.
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Denn Egoismus ist gerade nicht nachhaltig, sondern kurzsichtig. Wenn jeder nur an sich selbst denkt, dann geht es eben nicht allen besser, sondern allen schlechter.
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Das bringe ich meinen vier Kindern bei, und das ist doch eigentlich kulturelle Selbstverständlichkeit in diesem Land.
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Herr Heilmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sichert?
Ja, bitte.
Vielen Dank. – Herr Heilmann, Sie haben gerade gesagt, dass es purer Egoismus sei, wenn wir als deutsche Politiker, als deutsche Regierung, als deutscher Staat deutsches Steuergeld für deutsche Bürger ausgeben wollen und eben nicht Hunderte Milliarden Euro jedes Jahr an die Europäische Union und an fremde Staaten vergeben wollen.
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Finden Sie das wirklich puren Egoismus, oder ist das nicht eher vernünftige Politik?
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Nein, das ist purer Egoismus. Es gibt ja, ehrlich gesagt, auch den Beleg, dass wir damit sehr gut gefahren sind. Wir investieren ja nicht erst seit einem Jahr, sondern seit Jahrzehnten in Europa, und Deutschland ist es wirtschaftlich nie so gut gegangen wie mit Europa.
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Das ist doch der wesentliche Unterschied. Das, was Sie sagen, ist weder theoretisch noch praktisch richtig.
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Da Sie gerade stehen, möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mich extrem geschämt für Ihre Äußerung über die sozialen Probleme in der Welt. Ich bitte Sie herzlich: Nutzen Sie die Möglichkeiten als Bundestagsabgeordneter und fahren Sie – wir bezahlen Ihnen auch die Reise – in Flüchtlingsunterkünfte in der Welt. Ich habe das getan. Danach würden Sie sich, glaube ich, nie wieder trauen, zu sagen, die größten sozialen Probleme existierten in diesem Land und nicht in Flüchtlingsheimen. Wie Sie darauf kommen, ist mir völlig schleierhaft.
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Wenn Sie einmal in Jordanien, in der Türkei oder bei den Rohingyas waren, dann wissen Sie wirklich, wovon Sie da eigentlich reden. Das mit der Wohnungsnot in Berlin, so schlimm sie ist – das haben wir auch denen zu verdanken –, hat aber wirklich nichts damit zu tun. Es ist beschämend, dass Sie das hier so sagen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Thomas Heilmann. – Damit schließe ich die Aussprache.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen weist immer wieder darauf hin: Wohlstand hängt wesentlich ab von Befähigungen und Verwirklichungschancen des Einzelnen. – Deshalb erinnere ich in dieser Nachhaltigkeitswoche an die Bildungsrepublik Deutschland, die Angela Merkel vor zwölf Jahren ausrief: Analphabetisierung bekämpfen, Frauen für MINT-Ausbildungsberufe gewinnen, Schulabbrecherzahl halbieren.
Doch vergleichen Sie, Frau Ministerin – sie ist nicht auf der Regierungsbank –, bitte die Zahlen von 2008 mit denen von heute. 6,2 Millionen Menschen in Deutschland können kaum oder nicht lesen und schreiben. Bei PISA sind wir zurückgefallen auf die Werte von vor 17 Jahren, in Mathematik und Naturwissenschaften fast so schlecht wie beim letzten PISA-Schock. Übrigens gibt es auch bei Spitzenleistungen einen ähnlichen Rückgang, ebenso beim Lesen. Es besteht ungedeckter Betreuungsbedarf für mehr als ein Drittel der unter Dreijährigen. Und viel zu wenige junge Geflüchtete lernen Deutsch oder erhalten frühkindliche Bildung.
Hinzu kommt: Unsere digitale Bildungsrepublik erhält derzeit eine Ohrfeige nach der anderen. Citrix-Studie, Digitalreport, Bitkom-Umfrage zeigen: Deutschland ist Schlusslicht beim digitalen Lernen, Absturz um 52 Plätze. Eltern geben den Schulen die Note mangelhaft für Homeschooling und digitalen Unterricht. Mangelhaft, Herr Meister! Bitte an Frau Karliczek weitergeben. Sie verfehlt das Klassenziel. Das hat Ihnen durch die Blume am Montag sogar Ihre Kollegin Dorothee Bär zugerufen.
Wir Freie Demokraten machen seit Monaten konstruktive Vorschläge für guten digitalen Unterricht: Positivlisten für Digitalplattformen, schnelle Fortbildung für Lehrer, Entbürokratisierung des DigitalPakts.
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Aber statt zu handeln und anzupacken, spielt Frau Karliczek Topfschlagen. Ihr Ministerium dekoriert bunte Schaufenster, Attrappen. Es hat keine echte Ware; es fehlt an Produktion und Vertrieb. Beim BMBF geht es zu wie in einer Briefkastenfirma.
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So wird Deutschlands Bildung in dieser Legislatur nicht mehr zukunftsfit!
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Sie führen nicht, Frau Karliczek, Sie agieren nicht wie eine Ressortchefin, sondern wie eine Nachlasspflegerin,
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übrigens auch bei der Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen – da kommt noch was Kräftiges –, und vor allem bei der Batteriezellenforschung in Ibbenbüren, die von allen gerügt wird; da kommt auch noch etwas.
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Meine Damen und Herren, der Speck rutscht weg, Frau Karliczek!
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Unser Anspruch als G-7-Industrienation ist eben nicht Regionalliga, sondern Champions League.
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Wie kommt Deutschlands Bildung da wieder hin? Lesen Sie bitte unseren Antrag zur Bildungsrepublik 2.0. Die Stichworte sind: DigitalPakt 2.0, Exzellenzinitiative Berufliche Bildung, Midlife-BAföG, digitale Lehr- und Lernmittelfreiheit, Unterrichtspflicht für den Staat gesetzlich verankern – analog wie digital, in Präsenz wie in Distanz –, Förderung von Spitzenbegabungen.
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Dies, meine Damen und Herren, wären die Pfeiler einer Bildungsrepublik der Zukunft. Packen wir es endlich an!
Herzlichen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin Sybille Benning.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich wirklich sehr, dass wir zum ersten Mal überhaupt in einer Nachhaltigkeitswoche hier im Parlament gemeinsam diskutieren. Unser Handeln an den planetaren Grenzen der Erde und an dem Ziel „ein Leben in Würde für alle Menschen“ auszurichten, muss die Maxime für unser politisches Handeln sein. Die 17 SDGs – die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen – geben uns den Weg dafür vor.
Bildung und Forschung sind dafür in besonderer Weise wichtig und nützlich, und sie können jedes der 17 SDGs erfolgreich fördern. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, neben dem Leitantrag der Koalition für die Nachhaltigkeitswoche noch einen eigenen Antrag zum Bereich Bildung, Forschung und Innovation vorzulegen.
Im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung des Bundestages befassen wir uns immer wieder mit diesen Fragen: Wie können wir Zielkonflikte zwischen einzelnen SDGs auflösen? Und wie nutzen wir die Schnittstellen gewinnbringend? Denn Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema, das alle Politikbereiche betrifft. Spätestens seit der Coronapandemie bestimmt noch ein drittes Schlagwort die Debatte: Resilienz, also: Wie widerstandsfähig oder krisenfest machen wir unsere Gesellschaft, und wie hängt das mit Nachhaltigkeit zusammen?
Ich fange mal mit der Querschnittsaufgabe an. Nachhaltige Politik meint, jedes Problem und seine Lösung von drei Seiten – nämlich der Ökologie, der Wirtschaft und dem Sozialen – gemeinsam zu betrachten. Als Christdemokraten fordern wir, möglichst Lösungen zu finden, die diese Dimensionen miteinander versöhnen, auch wenn das nicht immer möglich ist.
Voraussetzung dafür sind der Wille und die Kompetenz, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Bildung ist in allen Etappen – von der Kita bis zur beruflichen Weiterbildung – die allererste Grundlage dafür. So ist es auch im SDG 4 formuliert: Eine hochwertige Bildung für alle, um eine mündige Teilnahme für alle an Gesellschaft und Wirtschaft zu ermöglichen.
Über Innovationen wissen wir, dass sie an den Schnittstellen von unterschiedlichen Disziplinen in der Wissenschaft und verschiedenen Perspektiven von Wissenschaft und Wirtschaft entstehen. Wenn wir Fördergelder vergeben, ist dafür in der Regel die Vernetzung von wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch von unterschiedlichen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft eine Voraussetzung.
Es gibt aber auch Schnittstellen, die bislang noch zu wenig genutzt werden, um nachhaltige Innovationen entstehen zu lassen. Die Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit wird in Forschungsprojekten bislang zu wenig systematisch gefördert. Die Digitalisierung hat viel Potenzial, eine nachhaltigere Wirtschafts- und Lebensweise zu ermöglichen, wenn Nachhaltigkeit als Ziel von all jenen Innovatoren mitgedacht wird, die neue digitale Anwendungen entwickeln.
Digitalisierung kann jedoch auch Nachhaltigkeitszielen zuwiderlaufen, etwa der Ressourceneffizienz und der Verminderung von CO2-Emissionen, wenn sie ungesteuert erfolgt. Ich meine, dass die bisher separat arbeitenden Communities von Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsforschung viel mehr zusammenarbeiten müssen, und dafür wollen wir Förderanreize setzen.
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Geeignete Förderinstrumente für nachhaltige Innovationen sehen wir auch in partizipativen Reallaboren, in den digitalen Experimentierfeldern der Landwirtschaft, in der Anwendung von Experimentierklauseln, aber auch in der Mobilisierung von Wagniskapital für junge innovative Unternehmen. Das wollen wir ausbauen.
Und wir fordern, dass die Hightech-Strategie, die ja schon vier Missionen zur Nachhaltigkeit enthält, künftig insgesamt auf die SDGs bezogen wird, dass technische und technologische Innovationen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen anlegen. Das ist im besten Sinne nachhaltige Innovationsförderung. In diesem Sinne fordern wir auch eine Weiterentwicklung des Rahmenprogramms „Mikroelektronik“, das stärker auf energieeffiziente Lösungen ausgerichtet werden soll.
Die Nationale Wasserstoffstrategie, für die das Zukunftspaket der Koalition 7 Milliarden Euro vorsieht, wollen wir eng mit der europäischen Ebene, insbesondere dem Green Deal, verzahnen. Geforscht werden muss noch an einer Reihe von Fragen, etwa wie Grüner Wasserstoff in Masse produziert werden kann, wie die geeigneten Transportwege aussehen; denn ohne Import wird sich der Bedarf nicht decken lassen. In jedem Fall ist der Grüne Wasserstoff eine nachhaltige Alternative zu fossilen Energieträgern.
Bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele stößt man allerdings unweigerlich auf Zielkonflikte. Ein Beispiel ist der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft; das ist ein berechtigtes Ziel. Wenn man es allerdings global betrachtet und sieht, dass der Bedarf an Nahrungsmitteln mit der Weltbevölkerung wächst, dann stellt sich schon die Frage: Kann diese Form der Landwirtschaft die Ernährung der Weltbevölkerung gewährleisten? Denn der Ertrag pro Hektar ist beim ökologischen Landbau eben erheblich geringer. Diese Ziele muss man gegeneinander abwägen. Und wir in der Union stehen für eine nachhaltige Politik, die einen solchen Ausgleich sucht.
Als Gesetzgeber stehen wir permanent vor Zielkonflikten. Darum finden wir es lohnenswert, zu testen, ob wir unseren Gesetzgebungsprozess verbessern können, indem wir frühzeitig den Abgleich mit den Nachhaltigkeitszielen vornehmen.
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Deswegen freuen wir uns besonders, dass wir in unserem Leitantrag eine „Nachhaltigkeitsgesetzesfolgenabschätzung“ an kommenden Gesetzesvorhaben ausprobieren können und dabei verschiedene Methoden einer solchen Prüfung wissenschaftlich evaluieren können. Ich verspreche mir von dieser Idee vor allem mehr Systematik und Transparenz dahin gehend, wie wir Zielkonflikte bewerten können.
Ich komme zum dritten Schlagwort: Resilienz. Um unsere Gesellschaft und Wirtschaft krisenfest zu machen, gibt es eine Menge zu erforschen, aber ebenso gilt es, bereits vorliegende Empfehlungen umzusetzen. Resilienz bedeutet zum einen Vorsorge treffen, zum anderen gewappnet sein, um bei eintretenden Krisenfällen gut reagieren zu können. Wir haben dafür mit dem Rahmenprogramm FONA, Forschung für Nachhaltige Entwicklung, einen erfolgreichen Förderrahmen, der dieses Jahr in die vierte Auflage geht.
Auch die Förderung des Nationalen Aktionsplans Bildung für nachhaltige Entwicklung lässt sich unter dem Aspekt der Krisenfestigkeit betrachten; denn wenn wir unser Bildungssystem so verändern, dass es Zukunftskompetenz vermittelt, sind wir alle für die Veränderungen, die auf uns zukommen, gewappnet. Ich kann gar nicht aufzählen, was dafür alles bedeutsam ist, aber ein paar Beispiele kann ich noch geben.
Wenige bitte, die Zeit ist zu Ende.
Das Ziel muss die Mündigkeit für den Gebrauch und für die Gestaltung digitaler Technologien sein und das Bewusstsein dafür, dass die Einsatzressourcen energieeffizient sein müssen.
So, ich kürze ab; aber es ist wichtig, dass wir uns für eine solche Bildung im Sinne des SDG 4, die hochwertig, inklusiv und gleichberechtigt ist, einsetzen.
Ich sage vielen Dank; es gibt halt viel zum Thema Bildung zu sagen.
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Ich bedanke mich auch und erteile das Wort der nächsten Rednerin, der Kollegin Joana Cotar für die AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! Eine Schlagzeile dieser Woche: „IT-Modernisierung des Bundes droht zu scheitern“. Es ist das Digitalisierungs-Megaprojekt der Bundesregierung. Fünf Jahre Arbeit hat sie in die IT-Konsolidierung bereits gesteckt, über 3,4 Milliarden Euro sind dafür eingeplant, und das Geld wird nicht reichen. Dabei sollen sowohl die Betriebssysteme als auch die Computerarbeitsplätze aller 180 Ministerien und Behörden der Bundesverwaltung modernisiert und vereinheitlicht werden. Nach über fünf Jahren haben die meisten Ämter aber noch nicht einmal mit der Vorbereitung für diese Konsolidierung begonnen, ja, es gibt noch nicht einmal einen Fahrplan, in welcher Reihenfolge die Behörden an die neue IT-Betriebsplattform angeschlossen werden sollen.
Noch schlimmer: Bei 18 Behörden wurde das bereits eingeleitete Systemupdate wegen Neuorganisation zunächst pausiert, um zu prüfen, ob eine Fortführung überhaupt noch Sinn macht. Im Ergebnis wurde das Projekt dann erst einmal gestoppt. Der Zeitplan kann nicht mehr eingehalten werden. Und die Krönung des Ganzen ist die Tatsache, dass noch nicht einmal die Frage beantwortet werden kann, ob die Netze des Bundes, über die der Datenverkehr dann laufen soll, in der gewünschten Zeit und Qualität überhaupt zur Verfügung stehen werden. Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, das ist die totale Bankrotterklärung.
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Aber immerhin eine Branche verdient prima am Rundumversagen der Regierung: die Beraterbranche. Weil der Sachverstand nicht auf der Regierungsbank zu finden ist, muss er von außen eingekauft werden. Allein das Innenministerium hat bis Ende 2019 bereits 250 Millionen Euro für Berater ausgegeben, bis zum geplanten Projektende 2025 sollen es rund 900 Millionen Euro werden. Sind ja nur Steuergelder; die schmeißen Sie mit Vergnügen zum Fenster raus; dem dummen Michel kann man ja noch mehr abpressen, wenn es nötig wird. Olaf Scholz von der Wir-kriegen-den-Hals-nicht-voll-SPD hat ja schon angekündigt, dass es Steuererhöhungen geben wird, wenn er gewählt wird.
Wissen Sie, was das alles nicht ist, meine Damen und Herren? Nachhaltig. Es ist garantiert nicht nachhaltig, was Sie hier tun, und das ist doch das Oberthema dieser Woche. Sie wollen den Bürgern da draußen weismachen, wie sehr Sie sich um die Zukunft kümmern, für wie wichtig Sie die Digitalisierung halten; Sie wollen zeigen, dass Sie die Zeichen der Zeit erkannt haben. Und dabei ist das genaue Gegenteil richtig: Sie kriegen es nicht hin, und es interessiert Sie auch nicht! Wäre das anders, dann müssten wir nicht darüber streiten, ob wir ein Digitalministerium brauchen, das alle Zügel in der Hand hält und echtes Projektmanagement betreibt. Wir hätten es längst. Würde es Sie interessieren, dann müssten wir vom Ausschuss Digitale Agenda nicht um jede Federführung kämpfen. Wir hätten sie längst. Stattdessen stimmen Sie, werte Vertreter von der Koalition, immer gegen die Überweisung in den Ausschuss, wo diejenigen sitzen, die sich tatsächlich mit dem Thema auskennen. Ich nehme an, weil Sie Angst vor der Opposition haben, da alle Oppositionsparteien in diesem Ausschuss mehr drauf haben als Sie!
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Ihr Antrag, den Sie heute vorlegen – „Zentrale Bausteine für eine nachhaltige Entwicklung“ –, liest sich wieder einmal nicht wie ein Plan, sondern wie ein Brief an den Weihnachtsmann. Sie wollen unter anderem bis zum Jahr 2025 ein flächendeckendes 5-G-Netz in Deutschland aufbauen. Verzeihen Sie, dass ich darüber lachen muss, aber manch Dorfbewohner wäre schon froh, wenn er nicht zur großen Eiche in der Mitte des Dorfes laufen müsste, um mit dem Handy telefonieren zu können. An Ihrer Stelle wären mir solche platten Versprechen mittlerweile peinlich.
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Aber weil wir nicht nur kritisieren, sondern auch zeigen wollen, wie es besser geht, legen wir von der AfD heute drei praktische Anträge vor, mit denen wir das Thema Digitalisierung tatsächlich nach vorne bringen wollen. Wir fordern ein Digitalministerium, um die digitalen Kompetenzen und Ressourcen zu bündeln, wir fordern den beschleunigten Einsatz von künstlicher Intelligenz für eine nachhaltige öffentliche Verwaltung, und wir fordern die Öffnung der Echtzeitfahrgastinformationen des ÖPNV und den Aufbau einer zentralen Plattform, um das vorhandene Innovationspotenzial gerade für kleine und mittlere Unternehmen zu stärken.
Deutschland kann mehr, Deutschland verdient mehr. Die Regierung liefert es nicht, wir dagegen schon.
Vielen Dank!
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Ich erteile das Wort der Frau Bundesministerin Dr. Franziska Giffey.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In welchem Land wollen wir leben? Das ist die Frage, die verbunden ist mit der Frage der Nachhaltigkeit. Ein Land mit einer modernen Gesellschaft, das seine Potenziale voll ausschöpft und seinen Kindern die besten Entwicklungsmöglichkeiten gibt, ein Land, in dem Chancengerechtigkeit durch gute Bildung verwirklicht wird und Männer und Frauen gleichermaßen teilhaben können an Sorgearbeit in der Familie, aber auch an beruflicher Entwicklung.
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Gestern haben wir im Bundeskabinett die neue Elterngeldreform beschlossen. Wir wollen das Elterngeld noch partnerschaftlicher, noch flexibler, noch einfacher machen. Wir wollen damit all diejenigen stärken, die auf Partnerschaftlichkeit und Vereinbarkeit setzen. Wir wollen die Unternehmen stärken, die eine familienfreundliche Unternehmenskultur fördern, und wir wollen dafür sorgen, dass Frauen und Männer gleichermaßen profitieren können.
Dabei geht es natürlich um eine der wesentlichen Zukunftsfragen. Es geht nicht nur um die finanzielle Unterstützung von Familien, sondern es geht auch um gute Investitionen in Bildung, und zwar von der frühkindlichen Bildung bis zur guten Betreuung im Grundschulalter und darüber hinaus. Das ist der eine wichtige Strang.
Wir investieren hier in großem Maße. Wir investieren mit dem Gute-KiTa-Gesetz von 2019 über 5 Milliarden Euro bis 2022 in Qualität, in Zugänglichkeit. Im Rahmen des Konjunkturpakets investieren wir jetzt zusätzlich 1 Milliarde Euro, um den Kita-Platz-Ausbau zu befördern. Wir investieren auch in Hygienemaßnahmen und Digitalisierung; denn Digitalisierung ist schon in der Kita wichtig. Wir haben gesehen, wie wichtig es ist, gerade in Krisenzeiten auch über digitale Wege den Kontakt zu Kindern und Eltern zu halten. Das setzt sich in der Grundschule fort, wo das natürlich ganz genauso wichtig ist.
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Natürlich brauchen wir – das ist heute schon angesprochen worden – eine gute Ganztagsschule, die Präsenzunterricht, aber auch E-Learning zu Hause, eine gute digitale Bildung mit Schul-Cloud und alles andere umfasst.
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Deswegen investieren wir zusätzlich in den Ganztagsausbau. Wir arbeiten intensiv am Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Ich kann Ihnen sagen: Das wollen wir noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Wir sind gemeinsam mit den Bundesländern schon sehr weit gekommen. Es gibt auch aufseiten des Bundes eine sehr gute, einheitliche Sicht auf dieses Thema. Ich bin zuversichtlich, dass wir hier die Weichen richtig stellen können. Der Bund hat gesagt: Wir investieren in einem Maße wie noch nie zuvor in den Bau dieser Plätze; wir sind auch bereit, uns an den Betriebskosten, an den Personalkosten zu beteiligen und zusätzliche Bundesmittel in die Digitalisierung zu stecken; wir setzen auch Mittel aus dem Konjunkturpaket ein, nicht nur zur Förderung der Bildung, sondern auch zur Ankurbelung der Konjunktur. – Das werden wir auch umsetzen.
Ich will einen weiteren wichtigen Aspekt ansprechen. Wir reden heute über Digitalisierung in ganz unterschiedlichen Bereichen. Für mich ist die Frage der Digitalisierung der Familienleistungen eine essenzielle Zukunftsfrage. Mit dem Kinderzuschlag Digital konnten wir in der Coronakrise sehr schnell reagieren. Vergleichen wir einmal die Zahlen: Anfang des Jahres haben 300 000 Kinder den Kinderzuschlag bekommen, heute sind es fast 1 Million. Wir konnten die Zahl der Kinder, die vom Kinderzuschlag, dem Zuschlag auf das Kindergeld, der jeden Monat gezahlt wird, profitieren, verdreifachen. Das hat auch damit zu tun, dass wir den Antrag entschlackt haben. Er ist digital abrufbar, 24 Stunden, 7 Tage die Woche.
Dieses Angebot wünsche ich mir auch für alle anderen Familienleistungen. Wir wollen für die Eltern digital erreichbar sein und Hürden abbauen.
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Dabei können wir auf die Erfahrungen mit dem Elterngeld Digital zurückgreifen. Der nächste Schritt war bereits in erster Lesung hier im Bundestag: unser Digitale-Familienleistungen-Gesetz. Wir wollen, dass, wenn ein Kind geboren wird, die Geburtsurkunde, das Elterngeld, das Kindergeld und der Kinderzuschlag in einem Antrag digital, einfach und simpel beantragt werden können, vom Sofa aus, von der Couch aus, von unterwegs aus, von wo auch immer aus, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das ist etwas, womit wir Eltern und Familien mehr Zeit geben für ihre Kinder, für das, was sie wirklich wichtig finden, was sie wirklich brauchen. Wir wollen Hürden abbauen und dafür sorgen, dass alle, die einen Anspruch auf Leistungen haben, davon auch tatsächlich profitieren können.
Diesen Weg wollen wir weitergehen. Wir wollen Innovationen nutzen, um Menschen an den Leistungen, die das Land erbringt, teilhaben zu lassen. Wir wollen, dass ihnen ihr Anspruch gewährt wird. Wir wollen das Land insgesamt voranbringen. Dies ist eine Zeit, in der wir die Weichen stellen für eine gute und nachhaltige Zukunft, für Jung und Alt, für die Engagierten, für alle, die in Deutschland leben.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Dr. Petra Sitte.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über Nachhaltigkeit am Ende eines der heißesten Sommer, die Deutschland je erlebt hat. In Spitzbergen wurde im Juni die höchste Temperatur seit Beginn der Wetteraufzeichnungen verzeichnet. An der amerikanischen Westküste haben die historisch größten Waldbrände bislang eine Fläche von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns verwüstet.
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Das ist das aufgeheizte Umfeld, in dem wir heute über nahezu alle Politikfelder hinweg das Thema Nachhaltigkeit diskutieren. Diese Debatte schulden wir insbesondere den jungen Menschen, die weltweit zu den Fridays-for-Future-Protesten auf die Straßen gegangen sind und bald wieder gehen werden; aber noch mehr schulden wir ihnen, zu handeln.
Die Coronakrise hat die Klimakrise teilweise aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verdrängt. Aber es ist klar: Beide haben miteinander zu tun. Das heißt, dass wir die Konjunkturpakete im Zuge der Coronakrise dazu nutzen sollten, endlich eine umfassende Strategie zur Nachhaltigkeit anzupacken.
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Corona hat auch gezeigt – den Zweiflern will ich das hier mit auf den Weg geben –, wie wichtig und sinnvoll staatliches Handeln im Interesse von Gemeinwohl sein kann: bei der Bildungs- und Forschungsförderung, bei der Stützung des Wirtschaftslebens und der Innovationsentwicklung, bei der Koordination zwischen Regionen, Ländern oder eben auch international. Strategisch angelegte staatliche Impulse sollen Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig, umweltverträglich und sozial gestalten.
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Dazu bedarf es des politischen Willens, den die Regierung bei der Umsetzung ihrer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie seit vielen Jahren vermissen lässt. Natürlich reden hier alle über Innovationen. Selbstverständlich bedarf es Innovationen und Investitionen, aber aus unserer Sicht insbesondere in jene Bereiche, die die Gesellschaft und Demokratie tatsächlich grundieren: Bildung, Wissenschaft, Forschung, Kunst, Kultur, Gesundheit, Pflege und öffentliche Infrastrukturen. Sie merken, hoffe ich jedenfalls: Wir wollen Nachhaltigkeit weiter fassen.
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Es geht um nicht weniger als einen gesellschaftlichen Umbau für bessere Lebensperspektiven. Wenn wir nachfolgenden Generationen tatsächlich gerechtere Chancen bieten wollen, wie Frau Giffey gerade angekündigt bzw. versprochen hat, und Wissen für morgen vermitteln wollen, dann brauchen wir vor allem Bildung, Bildung, Bildung – von der frühkindlichen bis zum lebenslangen Lernen.
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Lust auf Lernen bewahren und Lernen nicht verlernen, darum soll es gehen. So gesehen hat die Koalition aus unserer Sicht noch sehr viel zu tun.
Für Forschung zu Nachhaltigkeit bedarf es wissenschaftlicher Entscheidungsfreiheiten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung lässt sich nur garantieren, wenn am Ende die Einrichtungen auch grundständig öffentlich finanziert werden. Nicht wenige der Einrichtungen sind aber nur noch zu 50 Prozent ausfinanziert. Dadurch sind sie permanent im Rennen nach Zusatzfinanzierungen, ob aus öffentlichen Programmen, ob aus der Wirtschaft oder von Sponsoren jeglicher Couleur. Sie wissen es alle: Das hat bisweilen sehr fragwürdige Abhängigkeiten hervorgebracht. Öffentliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen gesellschaftlichen Zielen und Zwecken dienen. Punkt!
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Meine Damen und Herren, den Klimawandel zu bekämpfen und die Gesellschaft auf Nachhaltigkeit auszurichten, wird natürlich ohne Innovationen nicht gehen; das ist völlig klar. Aber: Innovationen lösen ja nicht automatisch alle Probleme, vor allem nicht, wenn sie ungebrochen Ihrer Wachstumsphilosophie untergeordnet werden. Jede Innovation, jede Technologie bringt doch auch neue Probleme hervor. Nachhaltigkeitsprobleme lassen sich eben nicht nur technisch-technologisch lösen. Das ist viel zu kurz gesprungen.
Ich sage es noch mal, meine Damen und Herren: Es geht um eine gesellschaftliche Transformation, also auch um gesellschaftliche, um soziale Innovationen, um Dinge, die uns alle angehen, die uns jeden Tag begegnen. Infolgedessen kann, wie schon angesprochen, Digitalisierung natürlich nicht die Lösung für alles sein; das ist klar. Auch Digitalisierung ist ein Mittel, das unser Handeln im Guten wie im Schlechten beeinflussen kann. In vielen Bereichen aber hilft die Digitalisierung durchaus, Nachhaltigkeit herzustellen, weil sie es eben ermöglicht, Ressourcen gezielter und damit sparsamer einzusetzen, beispielsweise in der Landwirtschaft oder eben auch bei dem Management stabiler Stromnetze.
Aber sie bringt eben auch Probleme hervor. Man denke an die Ressourcenverschwendung durch Wegwerfhardware oder den riesigen Energieverbrauch im Zusammenhang mit Bitcoin. Insofern muss ich an die Adresse der FDP eine Frage richten – jetzt gucke ich Herrn Brandenburg an; das muss sein, das wissen Sie –; denn die FDP hat ausgerechnet unter der Überschrift „Nachhaltigkeit“ einen Antrag zu Blockchain-Lösungen vorgelegt und ignoriert dabei völlig, dass gerade in diesem Bereich erhebliche Energiemengen verheizt werden. Was soll daran bitte nachhaltig sein?
An die Adresse der Bündnisgrünen gerichtet, will ich anmerken: Ja, Ihr Antrag enthält viele gute Ideen, denen wir auf jeden Fall zustimmen werden.
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Aber eins will ich noch sagen: Gesellschaftliche Probleme sollten wir nicht über schlechtes Gewissen lösen.
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Sie können das nicht einfach auf eine individuelle Ebene schubsen, erst recht nicht, wenn dadurch Menschen mit niedrigeren Einkommen zusätzlich benachteiligt werden. Insofern: Ja, es stimmt, wir müssen das Konsumverhalten ändern; aber noch mehr müssen wir die Art ändern, wie wir produzieren.
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Fazit: Nur wenn wir Bildung, Innovation und Digitalisierung auch selbst nachhaltig gestalten, können sie am Ende tatsächlich ihr Potenzial für mehr Nachhaltigkeit entfalten.
Danke.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Anna Christmann, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Hört auf die Wissenschaft“, das war der Slogan der vielen jungen Menschen, die letztes Jahr überall auf der Welt auf der Straße waren. Hören wir also auf die Wissenschaft, und lasst uns mit klugen Ideen das Klima retten!
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Was wir heute hier hören, klingt ja alles sehr nachhaltig. Aber was die Bundesregierung den Scientists for Future, wie sich Teile dieser Bewegung auch nennen, konkret zu bieten hat, ist bisher äußerst übersichtlich. Vor allen Dingen weiß sie es im Grunde selber nicht; denn schon zweimal haben wir Grüne beim Forschungsministerium nachgefragt, wie viel Geld denn eigentlich in klimaneutrale Technologien fließt, zum Beispiel im Rahmen der Hightech-Strategie. Antwort: Wissen sie nicht so genau. – Beim aktuellen Konjunkturpaket, das ja den Fokus auf Klimatechnologien legen soll, war die Antwort: Das befindet sich noch in Klärung. – Die Klimakrise ist die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts, und die Bundesregierung weiß noch nicht einmal, was sie tut. Eine Priorität beim Klimaschutz sieht anders aus, liebe Bundesregierung.
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Was wäre stattdessen nötig? Wir fordern in unserem heutigen Antrag „Aus dem Labor in die Praxis“ eine konsequente Ausrichtung der Innovationsförderung an den globalen Nachhaltigkeitszielen. Ob Hightech-Strategie oder Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen: Wir müssen konsequent klimaneutrale Technologien fördern, anstatt Absichtserklärungen in Hochglanzbroschüren aufzuschreiben.
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Für einen zukunftsfähigen Mobilitätsstandort bräuchten wir zum Beispiel steigende Investitionen in E-Mobilität und in die Forschung dazu. Fakt ist: Im Bundesministerium sinken die Ausgaben für Forschung in E-Mobilität. Das ist nicht die Zukunft für unseren Mobilitätsstandort.
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Da, wo Sie Geld ausgeben, tun Sie das bekanntermaßen intransparent und unfair, wie im Falle der Batterieforschungsfabrik. Dort, wo die Batterien der Zukunft hergestellt werden, schlampt Ihr Ministerium, und Sie bekommen vom Bundesrechnungshof bescheinigt, dass Sie da ein Chaos im Ministerium veranstaltet haben. Während also bei Tesla bald die ersten Batterien vom Band laufen, sind Sie mit Aufräumarbeiten im Ministerium beschäftigt. Das ist fatal.
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Wir bräuchten aber ein starkes Forschungsministerium, weil die Herausforderungen so groß sind; denn wir brauchen eben genau diese klugen Ideen für die Rettung des Klimas dringender denn je. Natürlich ist dabei auch die Digitalisierung eine wichtige Chance, die wir nutzen müssen. Sie ist aber natürlich gleichzeitig auch Stromfresser. Es geht also darum, sie aktiv nachhaltig zu gestalten; auch das schlagen wir heute noch mal vor.
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Ich möchte abschließend nur noch ein Beispiel nennen, weil gerade ein Gutachten des Umweltbundesamtes zum Onlinestreaming erschienen ist. Man kann viel Strom sparen, wenn man Netflix zu Hause über den Glasfaseranschluss und nicht über das mobile Internet guckt, das nämlich 50-mal mehr Strom verbraucht. Daraus sollten wir die Ideen der Zukunft machen. Ökostreamingangebote, das wären schöne Ideen für Gründungen auf der Grundlage von neuen Forschungserkenntnissen.
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Davon brauchen wir mehr, also mehr Investitionen in Forschung, Digitalisierung und Transfer. Dafür machen wir heute Vorschläge, und ich hoffe auf mehr Aktivitäten der Bundesregierung in diesem Bereich.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise, der Klimawandel, die Migrationsbewegungen und auch die Digitalisierung machen deutlich: Unser Alltagsleben ist immer stärker verwundbar, wenn es um die Auswirkungen von globalen Veränderungen geht – mit gravierenden Folgen für die Menschen, die Wirtschaft und die Gesellschaft.
Wir haben jetzt die Chance, durch Zukunftsgestaltung über die reine Krisenbewältigung hinauszugehen. Bildung und Forschung spielen dabei eine Schlüsselrolle. Auf unserem Weg in eine nachhaltige Zukunftsgestaltung orientieren wir uns an den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen. Aus diesem Grund haben wir bereits das Corona-Konjunkturpaket um ein ambitioniertes Zukunftspaket ergänzt. Es soll Wirtschaft und Gesellschaft dauerhaft strukturell erneuern und weit über einen konjunkturellen Impuls hinausgehen.
Liebe Frau Kollegin Sitte, bei Ihrer Rede habe ich mich erinnert, wie ich im Frühjahr 1990 Görlitz besucht habe. Ich habe dort einen Himmel gesehen, der schwarz war, dunkel von Braunkohlewolken. Das war das Ergebnis von „nachhaltiger“ Politik, die Sie zu verantworten haben.
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Wenn wir heute nach Görlitz fahren, sehen wir, dass der Himmel blau ist. Das ist das Ergebnis nachhaltiger Politik, die wir als Regierung zu verantworten haben.
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Wir investieren 60 Milliarden Euro in die Förderung von Bildung, Forschung und Zukunftstechnologien – Frau Christmann, überhören Sie es bitte nicht: 60 Milliarden Euro. Damit werden die Nachhaltigkeitsziele in den Bereichen „hochwertige Bildung“, „Infrastruktur“ und „Innovationen“ unterstützt.
Lieber Kollege Sattelberger, Sie haben kritisiert, dass meine Ministerin nicht hier ist. Das Thema Nachhaltigkeit hat eine europäische Dimension. Gestern und heute tagen die Bildungsminister Europas in Osnabrück im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft. Meine Ministerin bringt im Rahmen der Bildungspolitik die Nachhaltigkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa voran. Das sollten Sie an dieser Stelle begrüßen und nicht kritisieren.
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Frau Kollegin Giffey hat es vorhin angesprochen: Wir haben die Nachhaltigkeitsziele im Blick, wenn wir 10 Milliarden Euro im Bildungsbereich investieren. Das betrifft einerseits die Digitalisierung von Schulen und andererseits die Ganztagsangebote, die wir schaffen.
Lieber Herr Sattelberger, ich sehe Arnold Vaatz hier sitzen. Sein Bundesland Sachsen hat 105 Millionen Euro an Mitteln aus dem DigitalPakt Schule gebunden. Wenn man das hochrechnet, ist das die Hälfte der in fünf Jahren zur Verfügung stehenden Mittel. Das heißt, es kann nicht an zu viel Bürokratie im Bund liegen, wenn Sachsen es schafft, innerhalb des ersten Jahres die Hälfte der Mittel abzurufen. Da muss es andere Gründe geben. Deshalb: Machen Sie hier keine Scheingefechte, sondern wenden Sie sich an dieser Stelle mal der realen Welt zu.
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Wir haben die nachhaltige Erneuerung im Blick, wenn wir 9 Milliarden Euro in Strukturen für eine Grüne Wasserstoffwirtschaft investieren. Mit nahezu 8 Milliarden Euro fördern wir die Quantentechnologien und die künstliche Intelligenz. Damit stellen wir sicher, dass das Innovationsland Deutschland auch langfristig technologisch souverän, widerstandsfähig und wettbewerbsfähig bleibt.
Liebe Frau Cotar, Sie haben hier eben vorgetragen, wie arm Deutschland mit dieser Regierung dran sei. Wenn Sie mal einen weltweiten Vergleich ziehen, stellen Sie fest: Es gibt bis jetzt kaum ein Land auf dieser Welt, das gesundheitlich so gut durch die Coronakrise gekommen ist wie die Bundesrepublik Deutschland – trotz dieser armseligen Regierung, von der Sie reden –, und es gibt kaum ein Land, das wirtschaftspolitisch so stark durch diese Krise gekommen ist wie unseres.
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Und Sie nennen sich „Alternative“, aber außer Kritik haben Sie nichts vorgetragen. Sie haben keine Alternative!
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Für die Zukunft wollen wir Nachhaltigkeit als handlungsleitendes Querschnittsthema in der Bildungs- und Forschungspolitik verankern. Besonders wichtig ist uns dabei der Transfer von der Forschung in die Praxis.
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Wissenschaft muss auch bei den Menschen ankommen.
Frau Benning, Sie haben zu Recht FONA angesprochen. Wir fördern seit 15 Jahren Forschung für die Nachhaltigkeit, und wir werden jetzt FONA 4, die neue Strategie, vorlegen. Wir werden die Mittel dafür in den nächsten fünf Jahren auf 4 Milliarden Euro verdoppeln, um dafür zu sorgen, dass wir Zukunft aktiv gestalten können. „Wissen, wie Zukunft geht“ – das ist das Motto der neuen FONA-Strategie. Damit treten wir an, um Impulse für eine krisenfeste, nachhaltige Zukunft – ökonomisch, ökologisch und sozial – zu setzen.
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Ich will zum Abschluss einfach sagen, liebe Frau Sitte: Wenn wir über Innovation sprechen, ja, dann geht es um Technologie. Aber es geht auch um soziale Innovation in der Gesellschaft. Das ist für uns ein gleichberechtigter Ansatz. Ich glaube, diese Bundesregierung und diese Koalition sind an der Stelle auf dem richtigen Weg. Sie würden gut daran tun, wenn Sie etwas tatkräftiger unterstützen würden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Für die Fraktion der AfD hat als Nächstes das Wort der Kollege Dr. Marc Jongen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem Motto „Nachhaltigkeit“ über Digitalisierung zu sprechen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie oder Paradoxie. Denn die Digitalisierung, immer stärker auch in Form der künstlichen Intelligenz oder KI, ist wohl der Treiber der beispiellosen Beschleunigung unserer Zeit: der Innovationszyklen, der Finanzmärkte, des gesellschaftlichen wie beruflichen Lebens. Wie ist daran der Begriff der Nachhaltigkeit, der ja aus der Forstwirtschaft stammt und sich an der Wachstumsgeschwindigkeit der Bäume orientiert, sinnvoll anzulegen? Es bleibt das Geheimnis der Erfinder dieser Nachhaltigkeitswoche.
Für uns ist eines klar: Wir befinden uns als Deutschland und Europa in Sachen Digitalisierung in einem gnadenlosen Wettbewerb mit China und den USA. Es gibt zwar noch hohe akademische KI-Kompetenz in Deutschland; aber der „KI-Monitor“ der deutschen Wirtschaft hat gezeigt: Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist seit 2018 zurückgegangen. Vor allem: Wir haben – von SAP vielleicht abgesehen – hierzulande kein Software- oder gar Hardwareunternehmen von Weltrang. Deutschland gerät immer tiefer in Abhängigkeiten. Die digitale Souveränität des Staates ist in weiter Ferne. Diesen Trend müssen wir dringend umkehren, meine Damen und Herren.
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Die Bundesregierung will im Rahmen ihrer KI-Strategie 3 Milliarden Euro bis 2025 investieren. Werte Kollegen, allein die Stadt Schanghai investiert 15 Milliarden Euro in KI-Projekte; die USA bewegen ähnlich hohe Summen. Wir sprechen hier von einer technologischen Revolution, die alle Wirtschaftsbranchen, das Bildungssystem, die Forschung, die gesamte Gesellschaft inklusive der Politik erfassen wird. Millionen Arbeitsplätze werden wegfallen. Neue müssen in dieser Zahl erst einmal geschaffen werden.
Auch wenn das konservativen Gemütern nicht gefällt, die sich lieber an den Rhythmen des Baumwachstums orientieren würden – ich schließe mich da selbst durchaus ein –: Wer diesen Wettlauf verliert, der tritt als entwickelte Industrienation von der Weltbühne ab und infolgedessen auch aus der Geschichte aus. Das dürfen wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.
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Im Rahmen der nationalen Kraftanstrengung in Sachen künstliche Intelligenz, die deutlich verstärkt werden muss, beantragt die AfD-Fraktion, einen zentralen KI-Campus als international sichtbares Leuchtturmprojekt zu errichten – nicht um die bestehenden Forschungseinrichtungen zu ersetzen, sondern als deren zentraler Koordinierungspunkt. Experten wie der renommierte KI-Forscher Jürgen Schmidhuber vertreten die Ansicht, dass nur in dieser räumlichen Bündelung die für die Spitzenforschung notwendigen Synergieeffekte der unterschiedlichen Disziplinen und Köpfe zustande kommen.
100 KI-Professuren wollte die Bundesregierung schaffen. Bis heute konnte nur ein Bruchteil davon besetzt werden. Vielleicht überlegen Sie sich mal, dass es für internationale Spitzenforscher attraktiv sein könnte und auch deutsche Spitzenforscher nur dann aus dem Ausland zurückkehren, wenn sie an einem „deutschen MIT“ Beschäftigung fänden. Das könnte zum Beispiel eine Erweiterung des KIT in Karlsruhe sein. Es könnte im Raum Stuttgart oder auch in München oder in Dresden stehen, überall, wo bereits geeignete universitäre Strukturen und eine wirtschaftliche Technologieregion vorhanden sind.
Wir haben – letzter Satz – in der Enquete-Kommission KI des Deutschen Bundestages die letzten zwei Jahre genug Worte über diskriminierungsfreie Algorithmen gewechselt. Nun lasst uns endlich Taten sehen.
Vielen Dank.
({2})
Der nächste Redner für die Fraktion der SPD ist der Kollege Dr. Karamba Diaby.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es sollte selbstverständlich sein, dass es einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung für Mädchen und Jungen überall auf der Welt gibt. Doch das ist leider nicht so. Noch zu oft hängt der Zugang zu Bildung von der sozialen Herkunft der Kinder ab. Es ist also kein Wunder, dass dem vierten UN-Nachhaltigkeitsziel „Bildung“ die weiteren Nachhaltigkeitsziele wie „keine Armut“, „kein Hunger“ und „gute Gesundheit“ vorangestellt worden sind. Das sollten wir bei unserem heutigen Thema nicht vergessen. Gleichzeitig gilt: Weder in Kassel noch in Casamance dürfen wir Kinder zurücklassen. Das können wir uns einfach nicht leisten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt braucht es mehr denn je, dass die heutige Generation und die kommenden Generationen mit ihrer Umwelt und ihrem Umfeld verantwortungsvoll umgehen. Wir alle müssen verstehen, dass die Maximierung von Gewinn und Nutzen häufig im Widerspruch zu Umwelt und zu Menschenrechten steht. Wir müssen daher Strukturen aufbauen, die ein nachhaltiges Leben im Einklang mit der Natur und der Zivilgesellschaft ermöglichen.
Dazu müssen wir aus meiner Sicht drei Ziele klar verfolgen:
Erstens. Bildung für nachhaltige Entwicklung muss auch in den Lehrplänen stärker berücksichtigt werden.
Zweitens. In der Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften müssen wir Bildung für nachhaltige Entwicklung verankern.
Drittens. Wir müssen Strukturen und Netzwerke stärken, die nachhaltige Entwicklung befördern wie zum Beispiel die Stiftung „Das Haus der kleinen Forscher“, das genau in diesem Bereich bereits Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte anbietet.
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Schon in der Kita sollen die Kinder forschen, wie unsere Gesellschaft und die Welt, in der wir leben, nachhaltiger gestaltet werden könnten. Sie sollen befähigt werden, kreative Lösungen zu finden oder, kurzum, verantwortungsvoll zu handeln. Grundlage dafür ist auch eine frühe MINT-Bildung; das bedeutet Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Damit werden wissenschaftliche Zusammenhänge rechtzeitig erklärt und wird Begeisterung für das Forschen bei den Kindern geweckt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist: Wir haben keinen Planeten B. Klimaschutz, Grüner Wasserstoff, Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind Themen, die nicht nur einige wenige, sondern ganze Bewegungen und viele junge Menschen interessieren. Deshalb: Nehmen wir sie ernst, und stärken wir die Bildung für nachhaltige Entwicklung!
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Diaby. – Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Mario Brandenburg.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Petra Sitte, ich habe nur drei Minuten; aber ein paar Sekunden muss ich opfern. – Es ist mitnichten so, dass jede Blockchain Energie verbraucht; das hängt mit dem Konsensmechanismus zusammen. Aber das sollten Sie als Mitglied des politischen Beirates des Blockchain Bundesverbandes eigentlich wissen.
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Ich muss jetzt aber mit meiner eigentlichen Rede anfangen.
Mir geht es um das SDG 9, nachhaltige Innovationen. Und was passt da besser, als die Biotechnologie und unseren Antrag „Von der Biologie zur Innovation – Von der Innovation zum Produkt“ anzusprechen? Denn während in diesem Haus – das kam ja bei den Vorrednern raus – das Internet jetzt so langsam akzeptiert ist und mutige Pioniere sogar über Digitalisierung sprechen, hat sich die Welt um uns herum trotzdem weiterentwickelt. Wir dürfen nicht den gleichen Fehler noch mal machen. Wir haben schon den Beginn der digitalen Transformation verschlafen. Lassen Sie uns nicht auch noch den Beginn der biotechnologischen Transformation verschlafen.
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Ich will auch erklären, worum es mir geht. Während bei der Digitalisierung die Innovation eher virtualisiert, quasi ins Cyberspace verlagert wurde, ist die Biotechnologisierung die Umkehrbewegung. Denn durch das Wissen, das wir durch Muster und Sonstiges erlangt haben, schaffen wir es jetzt letzten Endes wieder zurück in die Natur, in die Biologie. Die sogenannte Genschere, CRISPR/Cas, und die synthetische Biologie als Ganzes geben uns die Möglichkeit, Pflanzen zu erschaffen, die beispielsweise pilzresistent sind, dürreresistent sind, die in verschiedenen Regionen der Welt Nahrungsmittel produzieren können. Es geht aber weiter über biobasierte Kraftstoffe, personalisierte Medizin und letztendlich hin bis zu einem Impfstoff, beispielsweise für das Coronavirus, auf den wir eben alle warten.
Selbst die ach so disruptive Informationstechnologie wird durch DNA-Data-Storage disruptiert. Es ist Forschern gelungen, eine Streamingserie in DNA zu speichern. Man vermutet, dass in 1 Gramm DNA unglaubliche 200 Millionen Terabyte Daten gespeichert werden können, liebe Kolleginnen und Kollegen – alles basierend auf den Grundsätzen der Natur. Lassen Sie nicht zu, dass uns diese Chancen entgehen.
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So unglaublich chancenreich, wie sich dieses Thema anhört, so unglaublich begrenzt sind die Chancen leider manchmal in diesem Land. Denn durch zu starre Regulation ist es Produkten und Innovationen oft nicht möglich, in den Markt vorzudringen. Eine Forscherin brachte es in einem Gespräch schön auf den Punkt, als sie sagte: Warum soll ich denn hier an etwas forschen, was ich sowieso nie probieren darf? Dann gehe ich halt ins Ausland.
Es ist eben nicht nur diese Seite, nein, es ist auch die Kapitalseite, die ich noch ansprechen muss. Ein Blick über den großen Teich zeigt – ja, mir ist bewusst, die USA haben ein fünfmal so großes Bruttoinlandsprodukt; trotzdem ist das dafür keine ausreichende Erklärung –, dass der Kapitalmarkt für Biotechunternehmen dort um ein 39-Faches größer ist als der hier im Lande. So musste sogar eine gut finanzierte Firma wie die CureVac mit Dietmar Hopp im Rücken ihren Börsengang letztendlich in den USA antreten.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Liebe Bundesregierung, wenn wir nicht in zehn Jahren hier sitzen und den Chancen der Biotechnologie hinterherweinen wollen, dann nehmen Sie unseren Antrag ernst; Sie können ihn auch ablehnen. Hauptsache, Sie machen, was darin steht; dann klappt es auch mit dem SGD 9.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer für Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Frau Ministerin!
Die Menschen der Welt wollen keine halben Sachen oder leeren Versprechungen. Sie fordern einen Veränderungsprozess, der fair und nachhaltig ist.
Das ist ein Zitat von UN-Generalsekretär António Guterres, formuliert anlässlich der UN-Weltkonferenz vor ziemlich genau einem Jahr.
Es sind Worte, die im Kern ausdrücken, was immer mehr Menschen bewegt und was vor allem junge Menschen immer vehementer zum Ausdruck bringen. Fridays for Future zum Beispiel kämpft mit vielfältigen Protesten für ein Umdenken von Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft beim Umgang mit dem Klimawandel. Es wird die Umsetzung einer nachhaltigen Politik gefordert.
Gerade haben wir in Nordrhein-Westfalen bei den Kommunalwahlen gesehen, wie viele junge Menschen sich beteiligen und wie wichtig ihnen die Unterstützung einer Partei ist, die sich für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit einsetzt. Auch Sie als Bundesregierung sollten endlich mehr Gewicht auf das politische Engagement dieser jungen Menschen legen. Stärkung und Mobilisierung der Jugend, das ist schließlich eines der fünf Handlungsfelder, die die UNESCO-Generalkonferenz für wichtig hält. Wir haben unseren Antrag zu Bildung für nachhaltige Entwicklung gemeinsam mit engagierten jungen Menschen entwickelt; „miteinander statt übereinander reden“.
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Für eine gute Zukunft brauchen wir vor allem Bildung, die besser, sozial gerechter und nachhaltiger ist. Da wurde viel verschlafen; da ist viel Luft nach oben. Wenn ich mir anschaue, wie wenig Gewicht in dieser langen Krise auf die Bildung von Kindern und Jugendlichen gelegt wurde, muss ich leider sagen: Das ist ein Armutszeugnis.
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Bildung und Engagement gehören zusammen. Es ist wichtig, dass alle Menschen sich einbringen können. Bildung nachhaltiger zu machen, das haben sich auch fast alle Staaten der Welt als Ziel gesetzt, weil auch im Jahr 2020 Bildung noch nicht gerecht und noch lange nicht nachhaltig ist.
Guten Willen zeigen – das ist jetzt wieder an die Bundesregierung gerichtet – genügt da allein nicht. Deshalb fordern wir, den Nationalen Aktionsplan endlich zügig umzusetzen. Wir fordern in unserem Antrag unter anderem, Kitas, Schulen und auch andere Lernorte demokratischer zu machen, die Gedanken von Nachhaltigkeit in den Unterricht zu bringen, sodass es auch Spaß und Freude macht, die Beteiligungsrechte unserer Kinder und Jugendlichen zu stärken und das Wahlalter endlich zu senken.
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Nur mit mehr Engagement und auch mehr Mut schaffen wir den überfälligen Wandel – gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, gemeinsam mit den jungen engagierten Menschen. Diese warten alle längst auf ein überfälliges Signal der Bundesregierung.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir erforschen Mars und Mond und Venus; aber wir haben bis jetzt nur einen Planeten, auf dem wir leben können: unsere Erde. Bitte schützen wir sie!
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Vielen Dank, Frau Kollegin Walter-Rosenheimer. – Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Tankred Schipanski.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn der Rede Sybille Benning ganz herzlich danken. Sie hat nämlich in der AG Bildung und Forschung das Thema Nachhaltigkeit seit Jahren vorangetrieben. Sie hat diese Nachhaltigkeitswoche ganz aktiv mit vorbereitet und damit die Kollegen an passenden und unpassenden Stellen immer ein bisschen genervt. Ich freue mich, liebe Sybille, dass wir heute hier gemeinsam dein großes Thema diskutieren. Ganz lieben Dank!
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Staatssekretär Meister hat bereits in einer sehr engagierten Rede für die Bundesregierung alle Irrtümer und Fehlinterpretationen der Opposition abgeräumt, sodass ich das gar nicht mehr machen muss. Ich möchte mich daher einfach auf den digitalen Part des Koalitionsantrages beziehen: in der Tat ein kleiner digitaler Part. Und: Ja, man hätte das natürlich auch breiter darstellen können. Aber wir wollen mit diesem Antrag das Bewusstsein wecken, auf Aktivitäten hinweisen, zukünftige Maßnahmen skizzieren.
Wer sich mit der gesamten Dimension von Digitalisierung und Nachhaltigkeit befassen möchte, dem empfehle ich die Stellungnahme „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen aus dem März 2019. Dort können Sie jedweden Aspekt von Bewahrung und Schöpfung im digitalen Zeitalter in wissenschaftlich anspruchsvoller Sprache und Methodik nacharbeiten.
Diese Debatte und auch dieser Antrag dienen der Veranschaulichung, dem Herunterbrechen. Von daher finde ich die Aktion der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz spannend, bei der unsere Kollegen innerhalb von einer Minute mal darstellen sollten – wir haben das in den sozialen Netzwerken veröffentlicht –, was sie unter Nachhaltigkeit verstehen. Der Hauptbegriff dort ist immer „Ressourceneffizienz“ gewesen.
Genau dort helfen uns digitale Technologien und insbesondere eben auch das schon angesprochene Themenfeld künstliche Intelligenz. Ob bei Energieeffizienz, bei Mobilität, bei der Gesundheitsversorgung, bei einer ressourceneffizienten Land- und Ernährungswirtschaft oder bei der Produktion im Bereich der Prozessoptimierung: Überall helfen digitale Technologien, oftmals mit dem Begriff „smart“ gekennzeichnet. Ob Smart City, Smart Grid, Smartphone: Das sind alles Helfer in unserem Alltag, die unseren Verbrauch ressourceneffizient und somit auch nachhaltig machen.
Ich will Ihnen ein Beispiel aus dem Rahmenprogramm Mikroelektronik des Bundesforschungsministeriums aufzeigen, wie dort nämlich ganz konkret Nachhaltigkeit geleistet wird. An meiner Heimatuniversität, der TU Ilmenau, fördert der Bund aus diesem Rahmenprogramm seit 2019 ein Forschungslabor für Mikroelektronik. Und der Forschungsschwerpunkt ist dort die sogenannte neuromorphe Elektronik. Das ist eine von der Biologie inspirierte Elektronik.
Sie wissen, der wachsende Datendurchsatz im Internet, Cloud-Computing, die Nutzung von Smartphones usw. gehören zur Informationsgesellschaft dazu. Eine Studie beziffert den Leistungsbedarf für den Betrieb des Internets allein im Jahr 2015 auf 228 Gigawatt, äquivalent zur Leistung von 228 Kernkraftwerken. Die Nutzung des Internets wird täglich mehr, somit auch der Energiebedarf. Was machen die Forscher an der TU Ilmenau? Sie vergleichen, wie denn die Informationsverarbeitung und ‑speicherung beim Menschen erfolgt, und stellen natürlich fest, dass wir viel weniger Energie brauchen als die Maschinen und das Internet.
Noch, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir klüger als die Maschinen und das Internet. Die Idee der Forscher ist, diese menschlichen, also neurobiologischen, Informationsverarbeitungssysteme in die Elektronik zu übertragen. Wir sprechen dabei von energetisch hocheffizienten mikroelektronischen Schaltungen für selbstadaptierende, also neuromorphe, Systeme. Diese Forschung ist eben gelebte Nachhaltigkeitsforschung für unsere digitale Gesellschaft, weil die Ergebnisse dazu führen werden, dass wir eben wesentlich weniger Energie benötigen, dass wir Energie einsparen, weil wir natürlich auch zukünftig Energie für die Digitalisierung brauchen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass Ralph Brinkhaus gerade hereingekommen ist. Ich will nämlich an etwas anknüpfen, was er in der Nachhaltigkeitsgeneraldebatte gesagt hat: Wir werden unsere Nachhaltigkeitsziele nur durch technische Innovationen erreichen können. Dafür sind eine Technikfreundlichkeit und ein Technikverständnis elementar; ansonsten werden wir nicht innovativ sein. Das macht unser Antrag sehr deutlich, und ich möchte Sie herzlich einladen, ihm zuzustimmen. Er macht zudem ganz deutlich, dass wir das anders sehen als die Opposition. Nachhaltigkeit ist eng mit einer guten MINT-Bildung – also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – verbunden, und zwar über die gesamte Bildungskette hinweg. Da müssen wir noch besser werden.
Für uns steht aber fest: Ohne Innovation erreichen wir die Nachhaltigkeitsziele nicht. Daher ist jede Zukunftsinvestition in Bildung, Forschung und Digitalisierung eine notwendige Investition für Innovation und zur Erreichung dieser Nachhaltigkeitsziele. Daran werde ich Sie auch in den Haushaltsberatungen erinnern, die in Kürze anstehen; denn da können Sie zeigen, ob Sie für nachhaltige und innovative Politik stehen.
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Vielen Dank.
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Der nächste Redner für die Fraktion der SPD ist der Kollege Markus Paschke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich loslege, möchte ich noch etwas zum Thema Software sagen. Es würde mich wirklich freuen, wenn sich die Kollegen von rechts außen ab und zu mal informierten. In Deutschland gibt es nicht nur die größten Softwareunternehmen, sondern wir haben auch viele Unternehmen, die spezielle Lösungen anbieten, von denen einige auch Weltmarktführer sind. Da hilft es, wenn man sich vorher mal informiert und nicht so tut, als ob sich Qualität und Leistung nur woanders finden ließen.
({0})
Aber machen Sie ruhig so weiter. Wissen gilt ja als hinderlich beim Pflegen der Vorurteile. Deswegen habe ich mir überlegt, dass ich, auch im Hinblick auf das, was heute Vormittag und gestern in der Nachhaltigkeitsdebatte so kam, versuchen werde, zu erklären, was Nachhaltigkeit überhaupt ist.
Nachhaltig ist nicht das Ignorieren des Klimawandels und gesellschaftlicher Entwicklungen. Nachhaltig ist auch nicht das Glorifizieren der Vergangenheit, nach dem Motto des kleinen Roboters in dem Film „WALL-E – Der Letzte räumt die Erde auf“. Nachhaltig ist es aber auch nicht – das sage ich in Richtung der anderen Dogmatiker –, mit panischem – –
({1})
– Darf sich jeder angesprochen fühlen, der sich den Schuh anzieht.
({2})
Nachhaltig ist es auch nicht, bei bekannten Problemen mit panischem Aktionismus bisherige Strukturen zu zerschlagen, allein in der Hoffnung, dass später etwas Besseres kommt.
Nachhaltig ist es, erkannte Probleme als Querschnittsaufgabe anzunehmen, mit Forschungs- und Innovationsstrategien zu unterlegen und vor allem gute Ergebnisse umzusetzen.
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Zur Nachhaltigkeit gehört es auch, die Menschen in unserer Gesellschaft mitzunehmen und alle am Fortschritt teilhaben zu lassen. Nachhaltig ist es, für unsere Kinder und Enkelkinder eine Gesellschaft und eine Erde zu hinterlassen, auf der sie die Zukunft für die nächsten Generationen gestalten können. Wir haben heute bereits mehrfach gehört, dass Bildung der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben ist und wir künftige Probleme nur lösen können, wenn wir auch dafür Sorge tragen, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zu Bildung erhalten.
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Dieses Prinzip der Teilhabe gilt auch für den Bereich der Forschung. Mit Forschung und Innovation können wir unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen, aber es bedarf auch der Verankerung in der Gesellschaft. Forschung schafft nicht nur Grundlagen und Orientierungswissen; Forschung bringt auch technische und soziale Innovationen und Lösungen für die Energiewende, für die Verkehrswende, für ein nachhaltiges Wirtschaften und vor allem für eine gute Arbeit der Zukunft hervor.
Der Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft beinhaltet nicht nur technologische Innovationen, sondern insbesondere auch soziale Innovationen, die unsere demokratische Kultur, die soziale Teilhabe und die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland stärken.
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Der Erhalt unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes und Nachhaltigkeit sind kein Widerspruch, sondern es sind zwei Seiten derselben Medaille. Dabei müssen wir auch über den nationalen Tellerrand hinausschauen. Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik kann nur erfolgreich sein, wenn wir international kooperieren und die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken.
Zusammengefasst möchte ich noch mal betonen: Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen haben eine Wirkung; sie beflügeln nämlich die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes und helfen dabei, die gesellschaftliche Transformation zum Wohle aller zu gestalten.
Vielen Dank.
({6})
Es macht sich auf den Weg der Kollege Uwe Kamann, und da er einen etwas weiteren Weg hat, dauert das ein bisschen. – Herr Kollege Kamann, Sie haben das Wort.
Danke schön. – Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ganze 60 Minuten nehmen wir uns heute Zeit, um über die Zukunftsthemen Bildung, Innovation und Digitalisierung zu debattieren – 60 Minuten, in denen wir im Schnelldurchlauf über 15 verschiedene Anträge befinden, die sich mit völlig unterschiedlichen Sachverhalten befassen.
Da geht es wild durcheinander: CDU/CSU und SPD stellen immerhin fest, dass Bildung, Innovation und Digitalisierung wichtig sind, loben sich dabei selbst und ergehen sich in einer Vielzahl unkonkreter Ankündigungen. Die Grünen wollen Digitalisierung ökologisch gestalten,
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und die FDP will Ökologie digital gestalten. Die AfD will alles Mögliche, nur die Linken fordern diesmal nichts.
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Man gewinnt fast den Eindruck, zu TOP 9 seien lauter Anträge eingebracht worden, die einfach mal rausmussten.
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Allen Anträgen ist aber eines gemeinsam: Sie sind meilenweit davon entfernt, zentrale Bausteine für eine nachhaltige Entwicklung zu sein.
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Liebe Kollegen Abgeordnete, ich habe den Eindruck, Sie merken immer noch nicht, dass die Uhr bei diesen Themen auf fünf vor zwölf steht.
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– Nur Änderungsanträge.
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– Ja, heute Nacht war das schwierig. – Sie debattieren hier immer noch munter über Selbstverständlichkeiten. Sie werfen mit Buzz-Wörtern um sich, deren Sinn manche in diesem Hause bis heute nicht verstanden haben, ohne auch nur für eines der Themen einen konsistenten Plan entwickelt zu haben, von der Umsetzung ganz zu schweigen.
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Wo stehen wir im Bereich der Digitalisierung? Abseits. Kleine Länder wie Estland sind seit vielen Jahren digitale Vorreiter. In Dänemark arbeiten alle Schulen im ganzen Land seit Jahren digital.
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Nicht die Großen schlagen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen. Sie wollen die Zukunftsthemen ernst nehmen? Dann gehen Sie den Wandel von der analogen in die digitale Welt grundlegend an, und zwar in allen Bereichen.
Vor allem: Wir brauchen keine Lippenbekenntnisse; wir brauchen ein grundsätzliches Bekenntnis der Bundesregierung zur Förderung dieser Zukunftsthemen mit der höchsten politischen Priorität, damit jeder, aber auch wirklich jeder merkt, dass es der Bundesregierung endlich ernst ist mit der digitalen Transformation.
Wie ernst die Bundesregierung diesen Auftrag bisher genommen hat, durften wir gerade wieder auf „Spiegel Online“ lesen: Die vor fünf Jahren begonnene Bundes-IT-Konsolidierung ist gescheitert, die Kosten sind aus dem Ruder gelaufen – das ist normal –, und das Ergebnis ist de facto gleich null. Im Fortschrittsbericht, den „Spiegel Online“ treffenderweise als „Stillstandsbericht“ bezeichnet, heißt es: Im Ergebnis wurden alle Projekte gestoppt. – Wie es weitergeht? Anscheinend kein Plan.
Wir wollen immer bei allem Weltmeister sein, aber bei den Themen Digitalisierung, Bildung und Innovation sind wir nur Weltmeister im Dicke-Backen-Machen. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, bei der Bildung und Digitalisierung die Zukunft zielgerichtet zu gestalten und nicht nur darüber zu reden.
Herzlichen Dank.
Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allen Debatten, die wir dieser Tage zum Thema Nachhaltigkeit führen, wird eines immer wieder deutlich: Nachhaltigkeit erfordert globales Denken. Nachhaltige Politik kann nicht im Klein-Klein und im Nationalstaatendenken funktionieren, sondern es braucht Kooperation und internationale Zusammenarbeit.
Wir sehen das aktuell bei dem Thema Impfstoff, beim Thema Pandemie. Eine Pandemie macht an keiner Staatsgrenze halt. Und deshalb ist es wichtig, dass wir schon vor vielen Jahren eine Kooperation eingegangen sind, was das Thema Impfstoff betrifft. Die Impfstoffinitiative GAVI beispielsweise oder die Forschungskooperationen von CEPI sind hier wesentliche und wichtige Punkte der internationalen Zusammenarbeit.
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Ich bin auch dankbar dafür, dass wir als Koalition im Bereich der Impfstoffforschung, im Bereich der Gesundheitsforschung noch mal 750 Millionen Euro sehr zügig auf den Weg gebracht haben.
Ich bin aber auch dankbar – das möchte ich ganz deutlich sagen; ich freue mich auch, dass der Entwicklungsminister Gerd Müller da ist –, dass wir gemeinsam mit dem Entwicklungsministerium, aber auch mit dem Bildungs- und Forschungsministerium eine Afrika-Strategie auf den Weg gebracht haben, wo wir auch den Bereich Forschung beleuchten, dass wir mit 14 afrikanischen Ländern Forschungsnetzwerke aufbauen.
Wie wichtig das ist, sehen wir aktuell. Wir dachten über viele Jahre: Manche Krankheit ist ein Entwicklungsthema. Es gibt sie nur in Entwicklungsländern; Stichwort „Ebola“. – Was wir heute aus diesen Krankheiten und aus der Entwicklung und Forschung in diesem Bereich auch für das Thema Corona lernen können, sieht man. Deswegen war es wichtig, dass wir Strukturen geschaffen haben, dass wir Strukturen aufgebaut haben und dass wir vor allem jetzt auf diese Forschungsnetzwerke zurückgreifen können, auch solche mit Entwicklungsländern.
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Ich möchte aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Klimawandel ansprechen, das immer wieder in dieser Debatte genannt wird. Natürlich ist es wichtig, auf Deutschland und auf die Industriestaaten zu schauen. Ich sage: Es ist aber auch wichtig, auf die Entwicklungs- und Schwellenländer zu schauen. Ich weiß, dass dieser Vorwurf immer wieder kommt: Ja, Sie wollen da jetzt ablenken. – Nein, ganz und gar nicht. Es gehört zur Wahrheit einfach dazu, dass wir mit viel geringerem Aufwand in den Entwicklungs- und Schwellenländern beim Thema Klimawandel viel mehr erreichen können.
Ich möchte das Thema Rohstoffe ansprechen, weil die vielgepriesene Elektromobilität immer wieder erwähnt wird. Ja, wo kommen denn die Rohstoffe her? Die kommen aus Entwicklungsländern. Und unter welchen Bedingungen werden diese abgebaut? Wie viel Wasser brauche ich, um Lithium zu gewinnen oder beispielsweise Kobalt abzubauen? Das alles sind also Themen, die auch mit Nachhaltigkeit zu tun haben.
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Wenn wir uns das Thema Kohle anschauen, wenn wir uns das Thema Energiegewinnung anschauen, sehen wir, dass heute schon 600 Millionen Haushalte in Afrika keine Steckdose haben. Jetzt haben wir einen immensen Bevölkerungszuwachs in Afrika. Derzeit sind 450 Kohlekraftwerke im Bau. Ja, da kann ich lange diskutieren, dass wir in Deutschland ein paar Kohlekraftwerke abschalten, wenn woanders neue ans Netz gehen.
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Deswegen ist das Wichtige, dass wir auch hier die Energiewende vorantreiben. Und dafür braucht es Innovation; dafür braucht es auch unsere Technologien, europäische Technologien. Es braucht aber vor allem eines: Technologieoffenheit.
Das Wichtige ist mir, dass wir Zukunftsfragen global zu betrachten und auch global gemeinsam zu lösen lernen. Der Grundstein hierfür ist gute Bildungs- und Forschungspolitik, wie sie die Union seit vielen Jahren macht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Wolfgang Stefinger. – Ich schließe die Aussprache zu diesen Tagesordnungspunkten.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Klimakrise führt zu dramatischen Veränderungen in der Welt, schon heute, auch bei uns. Wir alle sehen die Bilder aus Kalifornien, Bilder wie aus einem apokalyptischen Hollywood-Movie: der Himmel in toxischem Orange.
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Gleichzeitig – davon sehen wir leider weniger Bilder – ertrinkt das östliche Afrika gerade in braunen Fluten. 2,5 Millionen Menschen sind davon betroffen, Hunderttausende auf der Flucht.
Schon heute werden innerstaatlich mehr Menschen durch die Folgen der Klimakrise vertrieben als durch Gewalt und Konflikte. Am härtesten trifft es den Globalen Süden und damit just jene Regionen, die historisch am allerallerwenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. Darum ist die Klimakrise auch und vor allem eine Krise der globalen Gerechtigkeit.
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Der neue WeltRisikoBericht – vor ein paar Tagen erschienen – bestätigt: Die Zahl extremer Wetterereignisse nimmt zu, Wüsten breiten sich aus, der Meeresspiegel steigt, fruchtbare Böden versalzen, der Permafrost taut ab. Hinzu kommt nun auch noch die weltweite Coronapandemie. Sie verschärft ja auch die Situation in vielen Ländern und wird mit der Klimakrise zusammen zu einem lebensbedrohlichen Gemisch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist allerhöchste Zeit, die millionenfache klimabedingte Flucht und Vertreibung endlich wahr- und endlich ernst zu nehmen.
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Es ist höchste Zeit – höchste Zeit! –, über die eigenen Grenzen hinwegzublicken, statt sich von der Pandemie des Nationalismus anstecken zu lassen,
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gerade im 75. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen.
Unsere oberste Priorität muss sein, die Klimakrise radikal einzudämmen, damit Menschen ihre Heimat erst gar nicht verlieren. Gleichzeitig brauchen aber die betroffenen Länder dringend unsere Unterstützung. Die globale Klima- und Entwicklungsagenda müssen viel konsequenter miteinander verzahnt werden, die internationale Klimafinanzierung massiv aufgestockt und die Schulden den ärmsten Staaten endlich erlassen werden.
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Warum? Um damit Gesundheitssysteme und Resilienz aufzubauen, um Schäden und Verluste zu kompensieren, um Menschen Perspektiven zu bieten.
Es gibt aber auch diejenigen, die nicht bleiben können, die von der Klimakrise gezwungen werden, ihr Zuhause zu verlassen.
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Für sie muss eine selbstbestimmte und frühzeitige und legale und würdevolle Migration möglich sein.
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Die Agenda 2030, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das Pariser Klimaabkommen sind keine Almosen; sie sind Ausdruck globaler Gerechtigkeit.
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Und gerade Deutschland hat als Mitverursacher der Klimakrise eine völkerrechtliche Verpflichtung und eine historische Verantwortung.
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Als Augsburgerin sei mir erlaubt, mit Bert Brecht zu sagen: „Ändere die Welt: sie braucht es!“
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Volkmar Klein.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Kofi in seinem ghanaischen Dorf weit nördlich von Accra zu reden darüber, wie er sich ein besseres Leben vorstellt, ist so ein bisschen wie das Durchgehen der SDGs, der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen:
Er will keine Armut – Ziel 1 –, keine Hungersnot – Ziel 2 –, gute Gesundheitsversorgung – Ziel 3 –, hochwertige Bildung – Ziel 4 –, sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen – Ziel 6. Er will aber auch nicht abhängig sein von der Hilfe anderer. Er will sich das selber verdienen; er will einen Job – SDG 8.
Und er ist damit in seinem Land auch noch nicht einmal allein. Die Vision des ghanaischen Präsidenten ist: „Ghana Beyond Aid“. Dafür werden Investitionen gebraucht, Jobs werden gebraucht, Infrastruktur wird gebraucht, Innovationen und Investitionen; auch das wird in den SDGs abgebildet. Nachhaltig soll das natürlich sein, sich selbst tragend, also langfristig ausgeglichen; nicht mehr verbrauchen, als verfügbar ist.
Das gilt in mehrerer Hinsicht. Das gilt für die natürlichen Ressourcen; auch das wird durch mehrere dieser UN-Ziele untermauert. Das gilt aber auch für die Finanzen. Gut, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren finanziell nachhaltig gearbeitet haben! Das gibt uns jetzt die Möglichkeit, sowohl in unserem eigenen Land die richtigen Antworten auf die Coronakrise zu finden wie auch richtig viel Solidarität mit vielen, vielen anderen Ländern in der Welt üben zu können.
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All das ist für Samira nur wenige 100 Kilometer nördlich von Kofi im Osten von Burkina Faso völlig unerreichbar. Ihre Schule, vielleicht früher mal von Deutschland finanziert, ist geschlossen, wie viele Hundert andere Schulen auch, weil IS-Terroristen nicht wollen, dass Mädchen in die Schule gehen, weil sie nicht wollen, dass SDG 5 gilt.
„Frieden und Gerechtigkeit“, also das UN-Ziel 16, wird am Beispiel von Samira auch noch einmal ganz besonders krass deutlich. Vernetzte Sicherheit muss im Sinne von Nachhaltigkeit auch unser Anliegen sein. Entwicklung und Sicherheit sind gerade in der Sahelzone zwei Seiten einer Medaille.
Wenn wir jetzt darüber nachdenken und dabei mithelfen, Perspektiven für Kofi und für Samira zu schaffen, dann ist das zweierlei: Dann ist das einerseits für uns ein ethisches Gebot, auch ein Stück weit christliche Verpflichtung. Dann ist es andererseits aber auch gleichzeitig in unserem praktischen Interesse; denn wenn es nicht gelingt, dort erfolgreich zu sein, dann wird unsere Welt immer instabiler, dann werden am Ende auch wir unseren Wohlstand, unsere Freiheit und unsere Sicherheit verlieren. Das können wir nicht wollen. Sowohl ethisch als auch aus unserem praktischen Interesse ist es richtig, dass wir etwas tun.
Das klingt erst mal nach großen Worten. Üblicherweise wird hier auch das, was man für Prioritäten hält, finanziell untermauert. Die Kollegin Claudia Roth hat da – wahrscheinlich aus Zeitmangel – eben vergessen, der Regierung und der jetzigen Mehrheit zu danken.
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Das ergibt sich, wenn man sich anguckt, wie sich die Zahlen entwickelt haben: 2004, zum Ende der Zeit, zu der die Grünen selber noch in der Regierung waren, umfasste der Haushalt des BMZ 3,7 Milliarden Euro; die ODA-Quote lag bei 0,28 Prozent. Das war so zum Ende der grünen Regierungsbeteiligung. Heute umfasst der Haushalt 12,4 Milliarden Euro; die ODA-Quote liegt bei rund 0,7 Prozent. Ich sage ja: Es lag sicherlich ausschließlich am Zeitmangel, weshalb Claudia Roth nicht auf diesen Sachverhalt hingewiesen und nicht auch ein bisschen der heutigen Regierung gedankt hat.
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Wir machen damit deutlich, wo unsere Prioritäten sind, und zwar nicht nur verbal, sondern einfach mit Fakten. Ich finde, faktenorientiert zu argumentieren, ist besser, als nur mit Worten.
Dieses Geld wird einerseits für Nothilfe ausgegeben; auch das sichert Stabilität. Wir haben gestern im AwZ David Beasley zu Gast gehabt. Er hat uns darüber berichtet, wie denn die 1 Milliarde Euro, die Deutschland beiträgt, sinnvollerweise ausgegeben wird. Auf der anderen Seite geht es darum, Investitionen in Compact-with-Africa-Ländern zu erhöhen, zu helfen, die richtigen Anreize für mehr Investitionen zu schaffen, also wirklich um Nachhaltigkeit im kompletten Sinne.
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Genau das wird gebraucht. Denn – das ist mein Traum – die Vision des ghanaischen Präsidenten sollte sich nicht auf Ghana beschränken. Wir brauchen die Vision „Africa Beyond Aid“.
Vielen Dank.
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Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Markus Frohnmaier.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Roth, kennen Sie diese verstrahlten Typen, die mit so einem Schild auf dem Broadway stehen und vor dem Weltuntergang warnen?
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Ich habe mir gerade einfach nur gedacht: So was könnte man Ihnen auch vorschlagen. Ihnen fehlt eigentlich nur noch das Schild dafür.
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– Ja, was Sie hier gerade gemacht haben, das ist Panikmache, das ist Angstmacherei. So was gibt es mit der AfD nicht. Wir bleiben bei den Fakten. Wir bleiben bei der Realität.
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Frau Roth, warum reden wir heute nicht über 3 Millionen Arbeitslose? Warum reden wir nicht über 7 Millionen Kurzarbeiter? Wir reden nicht über 220 Milliarden Euro neue Schulden allein in diesem Jahr.
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Das Leid der Deutschen, das ist Ihnen egal. Es ist Ihnen egal, dass der Einzelhändler seinen Laden zusperren muss. Es ist Ihnen egal, dass der Gastronom seinen Mitarbeitern kündigen muss.
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Es ist Ihnen auch egal, dass der Arbeiter bei Daimler acht Stunden lang unter seiner Maske nicht atmen kann. Stattdessen beraten wir heute die irren Forderungen von links.
Frau Roth, Sie fordern ernsthaft auch weiterhin ein Umsiedlungsprogramm für sogenannte Klimaflüchtlinge.
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Ich zitiere aus dem Antrag von Frau Roth:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... die Einführung eines Klimapasses national, europaweit und international voranzutreiben
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und in einer ersten Phase den Bevölkerungen kleiner Inselstaaten anzubieten ...
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Liebe Frau Roth, was ist denn die zweite und dritte Phase, nachdem Sie die Bevölkerungen der Inselstaaten nach Deutschland umgesiedelt haben? Sagen Sie den Bürgern da draußen doch endlich mal die Wahrheit: Sie wollen Deutschland und seine Grenzen abschaffen.
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Sie wollen, dass fast 8 Milliarden Menschen von jedem Ort auf der Welt jederzeit nach Deutschland einwandern dürfen.
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Auch jetzt kommt immer noch jedes Jahr eine Großstadt nach Deutschland. Darunter sind Goldstücke wie Abdulsalam R., der erst kürzlich einem deutschen Bürger ein Messer in den Rücken rammte, um sich einen – Zitat – „weiteren Verbleib in Deutschland zu sichern“, da seine Aufenthaltserlaubnis gerade abgelaufen sei. Sie machen mit dem Konstrukt „Klimaflüchtling“ jetzt so richtig Ernst und fordern die totale Migration.
Was sind das für Leute, die kommen? Ganz sicher nicht Klimaflüchtlinge. Die gibt es nämlich gar nicht; das hat das Bundesinnenministerium Anfang des Jahres festgestellt. Stattdessen kommen vor allem Wirtschaftsmigranten nach Deutschland. Es sind eben nicht die Ärmsten der Armen, die aus Afrika und dem Nahen Osten zu uns kommen; sondern das, was von dort zu uns kommt, ist die Mittelschicht. Das sind Leute mit Einkommen zwischen 6 000 und 10 000 US-Dollar pro Jahr, Leute, die eine Schwarzgeldzahlung an Schlepper als Investment begreifen.
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Sobald sie nämlich in Deutschland sind, glühen bei Western Union die Drähte. Rund 20 Milliarden Euro an Rücküberweisungen haben Deutschland so im Jahr 2019 verlassen. Die UN-Studie „Scaling Fences“ belegt, dass 78 Prozent der Migranten aus Afrika wieder Geld in ihre Heimat zurücküberweisen.
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Aber eigentlich hat sich Ihre Forderung nach einem Klimapass schon lange überholt. Denn mittlerweile braucht man keinen Klimapass mehr, sondern es reicht völlig aus, sein eigenes Flüchtlingslager anzuzünden. Dann jettet Katrin Göring-Eckardt ohne Rücksicht auf die CO2-Bilanz schnell nach Moria, und eine Woche später verkündet die Bundeskanzlerin, 1 500 Migranten nach Deutschland einzufliegen.
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Stoppen Sie diese kriminelle Streichholzmigration! Jetzt! Sofort!
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Sascha Raabe.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, womit ich gestraft bin. Fast in jeder Debatte muss ich nach dem Herrn Frohnmaier reden. Herr Frohnmaier, das Thema ist wirklich einfach zu ernst und zu groß, als dass ich mich jetzt hier mit Ihrem kleinen nationalistischen Dünnpfiff abgebe, sorry.
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Ich werde zum Thema kommen: Wir haben eine Woche hier angesetzt, in der wir über die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung reden. Ich sage ganz bewusst nicht: eine „Nachhaltigkeitswoche“, in der es um Klima und Umwelt geht, sondern es gibt 17 Ziele der Vereinten Nationen, die alle zusammengehören und alle wichtig sind. Die ersten beiden besagen nicht umsonst, Hunger und Armut bis 2030 zu überwinden. Das sind die ersten beiden Ziele.
Dazu – Herr Kollege Klein hat es angesprochen – war am Mittwoch der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen David Beasley im Ausschuss. Er hat uns ganz eindringlich und drastisch geschildert, wie sich diese Zahlen entwickelt haben und wie weit wir sind, um diese Ziele zu erreichen. Ich sage: Bereits vor der Coronapandemie sah das nicht gut aus. Ich erinnere noch mal: 2015 hat die Weltgemeinschaft gesagt, innerhalb von 15 Jahren will sie Hunger und Armut überwinden. Wir haben es geschafft, von 2000 bis 2015 den Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung zu halbieren. Aber fast 800 Millionen Menschen sind sozusagen übrig geblieben, und das sind nicht wenig. Wir hatten schon 2018 leider wieder einen leichten Anstieg auf über 821 Millionen Menschen, die hungern. Durch die Coronapandemie kann die Zahl jetzt auf über 1 Milliarde ansteigen.
Das muss uns hier in diesem Hohen Haus ein Warnsignal sein. Von dieser Woche, von dieser Debatte muss ein Mahnruf ausgehen. Wir müssen zeigen, wie die Entwicklung bei den beiden wichtigsten bzw. ersten Zielen verläuft. Aus menschlicher Sicht sind es die wichtigsten Ziele; denn wenn du verhungerst, nutzt dir alles andere auch nichts. Auch Digitalisierung und Bildung nutzen dir nichts, wenn du verhungerst.
Natürlich ist es wichtig, dass wir auch noch mal mit finanziellen Mitteln viel helfen. Ich bin auch stolz und froh, dass es uns gelungen ist – die Kollegen des Hauses und der Entwicklungsminister haben sich eingesetzt, aber auch unser Finanzminister Olaf Scholz –, dass wir in dieser Legislaturperiode im Entwicklungshaushalt so hohe Aufwüchse pro Jahr bei den Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit hatten wie noch nie. Ich bin seit 2002 dabei. Seither gab es noch nie jedes Jahr mindestens 1 Milliarde Euro, dieses Jahr mit den Coronasondermitteln sogar über 2 Milliarden Euro. Insgesamt 3,55 Milliarden Euro zusätzlich in 2020 und 2021 für die EZ, humanitäre Hilfe, als Sondercoronaprogramm.
Aber: Geld alleine wird Menschen auch nicht aus Hunger und Armut führen können. Es ist wichtig, jetzt zu helfen – klar. Wenn ein Haus brennt, kann man nicht sagen: Jetzt warte ich erst einmal, bis ich eine schicke Feuerwehr habe. – Ich muss mit den Mitteln löschen, die ich zur Verfügung habe. Deswegen ist es auch wichtig, über soziale Sicherungssysteme und alle Hilfsmaßnahmen hungernden Menschen direkt zu helfen.
Natürlich geht es langfristig darum, Menschen zu empowern, wie man so schön sagt, in die Lage zu versetzen, dass sie selbstbestimmt von ihrer eigenen Hände Arbeit würdig leben können. Dazu gehört auch fairer Handel. Dazu gehört menschenwürdige Arbeit. Hier brauchen wir faire Handelsverträge. Wir brauchen auch Unternehmen, die überall auf der Welt Menschenrechte umsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ich bin sehr stolz und froh, dass es in der Bevölkerung eine große Zustimmung gibt. In meinem Wahlkreis gibt es viele, die in Eine-Welt-Läden arbeiten, die sich ehrenamtlich für eine bessere Welt engagieren. Wir haben bereits mit Gelnhausen, Erlensee, Rodenbach drei Kommunen, die sich engagieren. Jetzt kommt die größte Stadt Hanau dazu. Die wird im November Fair-Trade-Town. Herzlichen Glückwunsch dazu.
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– Ja, da kann man einmal klatschen. Danke.
Über drei Viertel der Bevölkerung wünscht sich ein scharfes Lieferkettengesetz mit entsprechenden Haftungsmöglichkeiten. Dabei wird es in diesem Haus schon einmal kontrovers, bei allen Übereinstimmungen – auch zwischen CDU/CSU und SPD –, die wir im Entwicklungsausschuss oft haben. Herr Entwicklungsminister, ich weiß, Sie sind auf meiner Seite. Hubertus Heil und Sie kämpfen für ein Lieferkettengesetz. Aber Herr Altmaier ist der Wirtschaftsminister, der ein solches Gesetz derzeit blockiert, der es verhindern möchte, der es verwässern möchte. An dieser Stelle müssen wir sagen: Menschenrechte sind konkret, sie sind unteilbar, sie müssen umgesetzt werden. Ich finde, Herr Wirtschaftsminister Altmaier muss endlich aufhören, dieses Gesetz zu blockieren. Wir brauchen ein Lieferkettengesetz jetzt, meine Damen und Herren.
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Menschenrechte sind konkret, nicht abstrakt. Wenn man, wie ich, in Ghana, im Kongo, in Madagaskar war und sieht, wie Kinder dort in Bergwerksminen schuften müssen, an Eimern in irgendwelche Löcher heruntergelassen werden und nach Stunden aus dem Dunkeln wieder herauskommen, weil sie Diamanten klopfen müssen, wie Kinder auf Kakaoplantagen mit Macheten arbeiten müssen, Lasten auf dem Kopf tragen und zusammenbrechen; wenn man mit Überlebenden von Rana Plaza gesprochen hat – das habe ich in Bangladesch getan –, die verkrüppelt sind, weil dort die Textilfabrik zusammengestürzt ist, dann muss man sagen: Es kann nicht sein, das nur der Freiwilligkeit zu überlassen. Da müssen gesetzlich verpflichtende Regelungen her, so wie wir das bei den Konfliktmineralien geschafft haben. Da gab es am Anfang von einigen Wirtschaftsverbänden die gleichen Gegenargumente. Später waren auch die Edelmetaller an unserer Seite und bereit, das umzusetzen. Viele Unternehmer haben erkannt, dass ein fairer Wettbewerb auch ein gleicher Wettbewerb ist und dass diejenigen, die die Menschenrechte einhalten, keinen Wettbewerbsnachteil, sondern einen Wettbewerbsvorteil haben. Ausbeutung darf kein Wettbewerbsvorteil sein. Deshalb brauchen wir ein verbindliches scharfes Lieferkettengesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Das Gleiche gilt für die Handelsabkommen. In den Handelsabkommen der EU – das passt super zu dem Thema dieser Woche – gibt es die sogenannten Nachhaltigkeitskapitel. Jetzt sagen alle: Wir sind für Nachhaltigkeit. – Aber dann darf es doch nicht sein, dass diese Handelsverträge zurzeit immer so angelegt sind, dass in allen Kapiteln der Handelsverträge steht: Bei Verstößen gibt es Sanktionen. – Aber bei Verstößen gegen Menschenrechte, gegen Arbeitnehmerrechte, gegen Umweltbestimmungen gibt es lediglich ein Dialogverfahren. Da wird miteinander geredet, und am Ende kann eine Rüge erteilt werden. Das kann es doch nicht sein.
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Wenn wir Nachhaltigkeit ernst meinen, müssen wir auch die Nachhaltigkeitskapitel so gestalten, dass auch sanktioniert werden kann, wenn eine Seite sich nicht daran hält.
Das gilt jetzt insbesondere für das aktuell anstehende Abkommen mit den Mercosur-Staaten. Ich habe mich gefreut, nachdem die Kanzlerin immer gesagt hat, das Mercosur-Abkommen soll in der jetzigen Form schnellstmöglich unterschrieben werden, dass sie nach dem Treffen mit Klimaschützern vor ein paar Wochen öffentlich einen 180-Grad-Schwenk gemacht hat. Dazu hat sie allgemein ein paar kritische Worte gesagt, und jetzt wird sie dafür gelobt, dass sie noch einmal etwas verbessern will. Ich finde das inhaltlich richtig; nicht dass Sie mich falsch verstehen. Aber gleichzeitig weiß ich doch, dass vom Wirtschaftsministerium jetzt wieder gesagt wird: Na ja, damit meinen wir aber keine Nachverhandlungen, damit meinen wir vielleicht irgendeine Zusatzerklärung. – Das muss natürlich rechtssicher sein. Es muss ein rechtssicherer Vertrag sein, so wie es damals Sigmar Gabriel bei CETA in Bezug auf die Schiedsgerichte nachverhandelt hat. Und das hängt auch nicht nur von der Person Bolsonaro ab. Wenn Gewerkschaftsrechte missachtet werden, egal welcher Präsident dran ist, oder der Regenwald abgeholzt wird, dann muss das auch rechtssicher sanktioniert werden können, damit so etwas nicht passiert. Es geht hier um die Prävention. Übrigens bindet das auch die Europäische Union. Auch als Mitgliedstaat der Union, beispielsweise wenn irgendein ungarischer Präsident meint, die Gewerkschaften abschaffen zu müssen, muss man sich dann daran halten.
Aber das brauchen wir. Wir brauchen in einem Handelsabkommen ein Nachhaltigkeitskapitel, in dem die Menschenrechte vor den Wirtschaftsgewinnen oder an erster Stelle stehen, dann haben beide Seiten etwas davon: fairer und freier Handel; mit großer Betonung auf „fair“. Das müssen wir erreichen. Dann schaffen wir es vielleicht auch, den Zielen 1 und 2 – Hunger und Armut bis 2030 zu überwinden – wenigstens ein ganzes Stück näher zu kommen. Lassen Sie uns dafür gemeinsam streiten.
Vielen Dank.
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Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist der Kollege Dr. Christoph Hoffmann.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben zu diesem Tagesordnungspunkt ungefähr 20 verschiedene Anträge vorliegen, und es ist schwer, sich zu entscheiden, zu welchem Antrag man hier sprechen will. Ich habe mir natürlich den wichtigsten rausgepickt, er heißt: „Internationale Geberkonferenz für den Wald initiieren“. Zu diesem möchte ich als einziger Förster im Deutschen Bundestag heute sprechen.
Es erfüllt mich mit Stolz, dass das Thema dieser Woche Nachhaltigkeit ist. Das war eine Erfindung der Förster. Sie wollten die Ressourcen, die Energie bereitstellen für eine Schmelzhütte, und das dauerhaft. Von Carlowitz hat eine Art Flächennachhaltigkeit eingeführt. Er hat den Wald eingeteilt in Flächen, und wenn er am Ende angekommen war, war die erste Fläche schon wieder so nachgewachsen, dass er diese nutzen konnte. Aber Waldflächen sind weltweit leider nicht nachhaltig. Wir verlieren jedes Jahr auf dieser Welt 10 Millionen Hektar. Das ist die Fläche des gesamten Waldes in Deutschland – einfach wupp, weg. Und mit diesem Wald verlieren wir die Biodiversität, wir verlieren die Insekten und die Säugetiere, die darin wohnen.
Wachsende Weltbevölkerung, Armut und Klimawandel stellen die gesamte Weltgemeinschaft vor riesige Herausforderungen. Besonders in den Ländern des Globalen Südens schreitet die Waldzerstörung voran. Grund ist die Umwandlung von Wald- in Agrarflächen. Das ist der Hauptgrund. Die Bevölkerung verspricht sich dadurch bessere Einkommen. Diese Waldflächen werden angezündet. Das erleben wir in Brasilien, Bolivien, Indonesien, aber auch in Afrika, zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo. Meine Damen und Herren, diese Waldbrände und diese Umwandlung von Wald- in Agrarflächen müssen aufhören.
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Verheerende Waldbrände beobachten wir aber auch in anderen Staaten: Russland, Australien und jetzt in Kalifornien; Frau Roth hat es beschrieben. Diese Waldbrände sind befeuert durch die höheren Temperaturen und eine enorme Trockenheit. Damit werden weitere Waldflächen vernichtet, die eigentlich für die CO2-Bindung von Bedeutung wären. Wir haben schon heute im deutschen Wald eine Temperatur von nachweislich 1,5 Grad mehr. Wenn Sie das einmal in Relation setzen zu den Pariser Klimazielen, dann wissen Sie, dass es schwierig wird, überhaupt noch dahinzukommen. Es gibt Flächen in Deutschland, auf denen wir wegen der Trockenheit keine Aufforstungen mehr machen können. Sie gelingt einfach nicht mehr, die Böden sind zu trocken. Es kann natürlich helfen, wenn wir wieder ein regenreiches Jahr bekommen.
Aber die Klimaentwicklung ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Ganz einfach: Je wärmer es ist, desto mehr Wald stirbt, desto mehr Wald brennt, desto mehr CO2 wird aus Wäldern freigesetzt und desto wärmer wird es. Das ist dramatisch, und auch das muss aufhören.
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Aber selbst wenn wir den Verbrauch aller fossilen Energie stoppen, haben wir heute schon zu viel Treibhausgas in der Luft. Das heißt, wir müssen CO2 aus der Luft wieder herausholen. Die einzige Maschine, die das mit solarer Energie macht, ist der Baum. Deshalb brauchen wir mehr Wald für den Klimaschutz.
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Wir können nach Berechnungen weltweit 350 Millionen Hektar neuen Wald begründen. Aufforstung und Rehabilitierung – das wurde 2014 schon von der New York Declaration on Forests gefordert. Passiert ist nicht viel. Viele Papiere haben wir gesehen, Bonn Challenge usw., hin und her. Aber on the ground ist nichts passiert. Wir müssen es in den nächsten fünf Jahren schaffen, diese 350 Millionen Hektar hinzukriegen. Wir haben keine Zeit mehr. Das brächte tatsächlich einen stabilisierenden Effekt für das Klima. Deshalb hat die FDP schon im Frühjahr 2019 einen Antrag vorgelegt; er hieß „Weltweit mehr Wald für den Klimaschutz“. Diesen Antrag haben Sie – Grüne, CDU/CSU, SPD – abgelehnt. Das nützt niemandem.
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Deshalb fordere ich Sie heute noch einmal auf: Machen Sie mit bei der internationalen Geberkonferenz! Organisieren wir wenigstens eine Geberkonferenz – durch die Bundesregierung –, um die Gelder aufzubringen, um 350 Millionen Hektar aufzuforsten. Wir kassieren auf der einen Seite für CO2-Zertifikate Steuergelder. Warum geben Sie dann nicht auf der anderen Seite den Leuten, die das CO2 wieder aus der Luft herausholen – den Waldbesitzern, den Waldbauern –, etwas zurück? Das ist doch ein Kreislauf. Das wäre nachhaltig.
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Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Sie von der CDU/CSU können nach den Beratungen, wie Helge Braun es gestern angemahnt hat, unserem Antrag zustimmen. Machen wir endlich den Schulterschluss!
Oder die Grünen: Frau Roth hat es heute noch einmal gesagt: Wir müssen endlich über die Parteigrenzen hinwegsehen. – Stimmen Sie uns zu, hier eine Geberkonferenz für mehr Wald für den Klimaschutz zu organisieren!
Herzlichen Dank.
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Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Heike Hänsel.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung wurden schon 2015 von den Vereinten Nationen festgelegt, für die große Vision einer friedlicheren, einer gerechteren und klimafreundlichen Welt. Als oberstes Ziel wurde aber ganz klar formuliert, die schreiende weltweite soziale Ungleichheit von Arm und Reich zu bekämpfen. Hier hat sich in den letzten fünf Jahren sehr wenig getan; ganz im Gegenteil. Anfang des Jahres gehörten 1 Prozent der Menschheit 45 Prozent des globalen Vermögens. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung hat so gut wie nichts.
Diese Ungleichheit wird jetzt durch die Coronapandemie noch zusätzlich verschärft. UNICEF hat jetzt erst gewarnt, dass weitere 150 Millionen Kinder in Armut fallen werden und wir dann insgesamt von 1,2 Milliarden Kindern, die arm sind, sprechen – übrigens auch 2,8 Millionen Kinder hier in Deutschland –, während wenige Milliardäre zu den Krisengewinnlern gehören, allen voran Jeff Bezos. Er ist der reichste Mensch der Welt mit erstmals über 200 Milliarden Dollar Vermögen. Diesen obszönen Reichtum können wir uns nicht mehr leisten.
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Nachhaltige Politik heißt deshalb: Reichtum umverteilen, und zwar von oben nach unten – nicht wie bisher von unten nach oben –, weltweit und auch hier in Deutschland. Denn die Ziele gelten für alle Länder. Deshalb fordert Die Linke seit Langem, endlich eine Reichensteuer einzuführen, und jetzt aktuell eine einmalige Vermögensabgabe für Milliardäre. Und multinationale Konzerne müssen endlich gerecht besteuert werden!
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Auch die herrschende Freihandelspolitik der Europäischen Union behindert nachhaltige Entwicklung, sie trägt zu mehr Armut bei – das haben wir vielfach diskutiert – und zu Klimazerstörung. Deshalb braucht es endlich eine gerechte neue Handelsordnung, die sozial und ökologisch ausgerichtet ist. Die Bundesregierung hätte dieses Thema viel aktiver bei ihrer EU-Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnung setzen können. Allem voran: Das Mercosur-Abkommen mit Brasilien und anderen Staaten muss gestoppt werden, damit nicht noch mehr Regenwald zerstört wird und die Armut in diesen Ländern nicht noch weiter wächst.
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Zu gerechten Wirtschaftsbeziehungen gehört auch die Verantwortung von Unternehmen für ihre ausgelagerte Produktion; wir haben das hier schon diskutiert. Unternehmen, die verantwortlich sind für Ausbeutung und Umweltzerstörung, müssen hier endlich bestraft werden können; das ist ein entscheidendes Ziel. Deswegen kritisieren wir die nachhaltige Blockade des Wirtschaftsministeriums gegen dieses Lieferkettengesetz; es muss endlich kommen.
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80 Millionen Flüchtlinge sind unterwegs, vielfach auch aus den Krisen- und Kriegsregionen dieser Welt. Deswegen gehört zu nachhaltiger Politik auch Abrüstung und nicht weitere Aufrüstung. Wir sind mittlerweile bei einer Rekordsumme von 2 Billionen Dollar für Aufrüstung, Ausgaben für das Militär. Frieden und Entwicklung sind aber zwei Seiten einer Medaille, wenn wir zu einer Welt beitragen wollen, in der niemand mehr fliehen muss. Deshalb geht mein Appell an die Bundesregierung: Rüsten Sie im nächsten Haushalt ab, und stoppen Sie endlich Ihre tödlichen Rüstungsexporte!
Danke.
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Ich erteile das Wort nun dem Bundesminister Dr. Gerd Müller.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen spannenden eineinhalb Tagen lasst uns konkret werden. Als Erstes würde ich gerne mein Ministerium umbenennen in Bundesministerium für internationale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung; denn wir hinken den Zielen, die wir uns gesetzt haben, weit hinterher.
Konkret, Vorschlag Nummer eins: Dieses Parlament und alle Ministerien stellen den Energieverbrauch klimaneutral. Beschließen wir dies! Treten wir der Allianz für Entwicklung und Klima bei,
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und kompensieren wir den CO2-Ausstoß, indem jeder Abgeordnete 1 000 Bäume pflanzt. 1 Million Bäume für einen Parlamentswald in Äthiopien!
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Herr Präsident, das war ein Vorschlag für Sie.
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Vorschlag Nummer zwei, aus den vielen Initiativen: Der Bund, die Bundeswehr, die Polizei, die Länder und Kommunen stellen um auf nachhaltige Beschaffung. Reden wir nicht nur, tun wir es!
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Es handelt sich um ein Gesamtbeschaffungsvolumen in Höhe von 500 Milliarden Euro. Was wäre das für ein Effekt! Den ersten Schritt könnten wir machen, indem wir die Textilbeschaffung auf der Basis des Grünen Knopfes ausschreiben. Also: Werden wir konkret, meine Damen und Herren!
Vorschlag Nummer drei. Herr Hoffmann, was Sie sagen, um den Wald zu retten, ist spannend. Werden wir konkret, und beschließen wir!
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Wir sind doch das Parlament. Beschließen wir, dass Soja aus Brasilien und Argentinien sowie Palmöl aus Indonesien nur noch aus entwaldungsfreien Lieferketten eingeführt werden darf!
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Warum machen wir das nicht? Damit würden wir die Regenwälder vor Brandrodung retten, das Klima schützen und vieles mehr.
Vorschlag Nummer vier. Werden wir konkret, beschließen wir hier in diesem Parlament ein Nachhaltigkeitskapitel mit Sanktionen im Mercosur-Abkommen!
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Das muss auf die Tagesordnung, meine Damen und Herren. Beim Mercosur-Abkommen darf es uns nicht passieren, dass das eines Tages aufpoppt und durchgewunken wird.
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Die Kommission hat vor, es zu teilen und ein Stück weit an den Parlamenten vorbei zu ratifizieren. Das ist nicht unser Weg. Mercosur muss ins Parlament!
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Vorschlag Nummer fünf. Werden wir konkret, beschließen wir ein Lieferkettengesetz, das Kinderarbeit verbietet und das Menschenrechte garantiert!
({9})
– Besonders freue ich mich über den Beifall aus der Mitte meiner Fraktion. Herr Fraktionsvorsitzender, wenn ich das als Unterstützung mitnehmen kann, dann war es eine tolle Debatte.
({10})
Beschließen wir ein Lieferkettengesetz, das Ausbeutung von Mensch und Natur in den Entwicklungsländern beendet!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestern hat Infratest dimap die Ergebnisse einer unabhängigen repräsentativen Umfrage herausgegeben: 75 Prozent der Bundesbürger wollen ein solches Gesetz.
({11})
Der Kollege Heil und ich haben den Entwurf von Eckpunkten vorgelegt.
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Wichtig ist – das sage ich denen, die es verhindern wollen mit Argumenten, die nicht zutreffen –:
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Der Kollege Heil und ich schlagen Regelungen vor, die auch und gerade für den Mittelstand machbar sind. Die Lobbyvertreter der Wirtschaftsverbände wollen ein Gesetz – gut! –, aber sie wollen ein Gesetz ohne Folgen, ohne Haftung und ohne Wirkung. Und das geht nicht.
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Den Verbandsvertretern sage ich: Die deutschen Unternehmen sind viel weiter als Sie in den Verbandsgeschäftsstellen.
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Das zeigen viele Branchenstandards, das zeigen der Grüne Knopf und das Textilbündnis. Das ist eine Blaupause. Ich besuche kleine, mittelständische und große Unternehmen, die ihre Lieferketten längst zertifiziert haben. Glauben Sie, dass sich im Zeitalter von Blockchain ein Unternehmen in Deutschland, das am Markt bestehen will, Kinderarbeit in seiner Lieferkette nachweisen lassen und damit seine Reputation gefährden will? Nein.
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Eine entsprechende Zertifizierung muss Standard werden, Herr Lambsdorff, auch für die wenigen schwarzen Schafe am Markt, die diese Standards bisher nicht einhalten.
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In Zukunft sollte made in Germany nicht nur für höchste Qualität, sondern auch für Verantwortung und nachhaltige Produktion stehen, in Deutschland und weltweit. Werden wir konkret und beschließen diese Vorgaben.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dietmar Friedhoff für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, werden wir konkret. Was ist die Definition von Nachhaltigkeit? Erstens, dass man nicht mehr entnimmt, als nachwächst, und zweitens der Erfolg oder die Wirksamkeit einer Sache. Nun, wenn man sich diese Definition anschaut, dann kann man durchaus feststellen, dass die Entwicklungspolitik nicht nachhaltig war oder ist. Wir entnehmen mehr, als nachwächst, zum Beispiel Rohstoffe, gerade auch in Bezug zum Bevölkerungswachstum. Wir stellen eine gewisse Erfolglosigkeit fest beim Bekämpfen von Hunger, Gewalt, Terrorismus und Korruption. Entwicklungsprojekte, die begonnen werden, existieren nach wenigen Jahren nicht mehr, weil mit der Übergabe des Projektes und der nicht vorhandenen Selbstverantwortung die Motivation schwindet. Das liegt eben auch daran, dass die hier ständig falsch verstandene Entwicklungspolitik eines nicht wirklich geschafft hat: die Fertigkeiten und Fähigkeiten der Menschen für eine Übernahme der Selbstverantwortung zu stärken.
({0})
Woran liegt es aber, dass es zu keiner nachhaltigen Entwicklungspolitik gerade in Bezug zu Teilhabe und Wertschöpfung gekommen ist? Afrika ist da ein sehr gutes Beispiel: von Lieferkettengesetzen bis zu Fair Trade. Was hilft das alles, wenn die Wertschöpfung nicht in den Ländern bei den Menschen im Globalen Süden bleibt? Unser Antrag „Den afrikanischen Binnenmarkt stärken“ zielt nun genau dahin. Er möchte, dass die Menschen am Wertschöpfungsprozess teilhaben und dass die Wertschöpfung afrikanischer Rohstoffe in Afrika für Afrika passiert: regional, national, kontinental. Dadurch entstehen Gesundheit, Bildung und Arbeitsplätze. Unserer Meinung nach ist das echte Teilhabe.
Jetzt wird es spannend. Warum folgen die anderen Parteien unseren Ansätzen nicht? Sie folgen ihnen nicht, weil wir unser Konzept mit Begriffen begründen, die hier im Parlament immer dazu führen, dass ein Antrag generell abgelehnt wird – das sind die Begriffe „deutsche Interessen“ und „Migration beenden“ –, und weil wir sagen, dass deutsche Technologien und deutsche Unternehmen in Afrika zur Verarbeitung der Rohstoffe und Güter beitragen sollen, die dann in Afrika und für Afrika genutzt werden. Wir wollen gemäß der Agenda 2063 der Afrikanischen Union den afrikanischen Binnenmarkt nachhaltig stärken und aufbauen – im deutsch-afrikanischen Interesse. Das, denke ich, ist echte nachhaltige Partnerschaft.
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Wir sagen, dass die Menschen dann, wenn es Teilhabe gibt, wenn sie spüren, dass es aufwärts geht, ihre Heimat nicht verlassen. Deswegen sagen wir: Migration stoppen, gerade die afrikanische Binnenmigration, für eine echte Perspektive Heimat. Ich denke, das wäre echte Nachhaltigkeit. Dazu sagt die CDU: Und genau daran erkennt man, was die AfD wirklich vorhat. – Ja, dass Menschen nicht migrieren, richtig, liebe CDU, das stimmt. Keine Migration mehr bedingt durch Perspektivlosigkeit, das wäre echte Nachhaltigkeit.
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Wir zeigen auf, was es braucht für eine lebenswerte Perspektive, aber auch diesen Antrag werden Sie ablehnen. Und warum? Weil Sie niemals einem Antrag der AfD zustimmen werden. Das ist eben Ihre Art, keine zielführende Sachpolitik zu machen.
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Aus diesem Grund ist das, was Sie machen, alles, nur nicht nachhaltig.
Danke schön.
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Kann ich noch was sagen?
Sie haben Ihre Redezeit ausgeschöpft. – Das Wort hat Dr. Barbara Hendricks für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zahlreichen Debatten am heutigen Tag zeigen uns, wie vielfältig unser Verständnis von Nachhaltigkeit ist. Die meisten Menschen denken vermutlich zuerst an Klima- oder Umweltschutz, also daran, was unseren Planeten ausmacht und wie wir das ökologische Gleichgewicht auf der Erde erhalten können. Wir denken an die unzähligen Pflanzen in allen Farben und Formen, an bedrohte und nichtbedrohte Tiere, Wirbeltiere, Insekten oder Korallen. Natürlich denken wir in diesem Zusammenhang auch an den Menschen. Nicht zuletzt geht es um uns selbst; denn nur, wenn wir nachhaltig leben und wirtschaften, werden wir künftigen Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen können.
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Vor jetzt ziemlich genau fünf Jahren haben wir in den Vereinten Nationen unsere Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit 17 Zielen festgelegt. Wir wissen alle: Die Nachhaltigkeitsziele betreffen alle Länder gleichermaßen. Industrie- und Schwellenländer und auch Entwicklungsländer arbeiten gleichberechtigt auf die Erreichung der SDGs hin. Dabei hängen die Ziele natürlich alle miteinander zusammen: Der Klimawandel führt zu Dürren oder Überschwemmungen und in der Folge zu Hunger. Dadurch werden Menschen zur Landflucht getrieben und ziehen in die Städte. Ländliche Gegenden verarmen, Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung verschwinden. Gleichzeitig kommt es zu einer Überbevölkerung in den Städten. Das Resultat sind Konflikte um knappen Wohnraum und um Arbeitsplätze. Hinzu kommen natürlich auch Gesundheits- und Umweltprobleme.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Pflicht, im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass Menschen weltweit ein würdiges Leben führen können.
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Dies betrifft uns insbesondere, wenn es darum geht, dass wir im reichen Europa von der Ausbeutung der Ärmsten profitieren; denn nach wie vor arbeiten mehr als 70 Millionen Kinder auf Kaffee- und Kakaoplantagen, in Textilfabriken oder in Minen, in denen die Seltenen Erden für unsere Smartphones, Autos und Fernseher gefördert werden. Dazu kommt die Umweltbelastung etwa durch Chemikalien, welche die Flüsse verseuchen. Der Regenwald wird gerodet, um billiges Fleisch produzieren zu können. Für das Futter der auf deutschem Boden gemästeten Tiere brauchen wir über die uns in unserem Land zur Verfügung stehende Ackerfläche hinaus eine Anbaufläche von Millionen Hektar irgendwo auf der Welt. Zum Beispiel wird Soja aus brandgerodeten Gegenden des Amazonas nach Europa importiert und hier verfüttert, und anschließend exportieren wir die hier gemästeten Schweine wieder nach China. Ganz sinnvoll scheint das alles nicht zu sein.
Profiteure des Ganzen sind die Menschen in den Industrienationen, also auch wir. Wer sich jedes Jahr ein neues Smartphone bestellt, wer ständig neue Kleidung zu Billigstpreisen kauft und wer darauf besteht, jeden Tag Fleisch billig essen zu können, sollte sich darüber im Klaren sein, dass all das seinen Preis hat. Der Preis besteht darin, dass irgendwo auf der Welt Menschen für unseren Lebensstil ausgebeutet werden.
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Auch wenn es einige Abgeordnete im Bundestag noch immer leugnen: Es gibt den Klimawandel, und die Auswirkungen sind spürbar. Der Meeresspiegel steigt, die Zahl von Dürreperioden und Extremwetterereignissen nimmt zu, und den Menschen fehlt es in vielen Teilen der Welt an Nahrung und Wasser. Durch unsere Wirtschaftsweise hat die Artenvielfalt in den vergangenen Jahrzehnten stark gelitten. Wir beobachten auch in Deutschland ein Insektensterben und damit die Gefahr, dass das ökologische Gleichgewicht empfindlich gestört wird. Dabei produzieren wir mehr Lebensmittel, als wir verbrauchen können, exportieren die Überschüsse zu Spottpreisen in die Länder des Südens und machen die dortige Landwirtschaft kaputt, weil die heimischen Bauern mit den Preisen der europäischen Exporte nicht mithalten können.
All die Punkte, die ich gerade aufgezählt habe, lassen sich in einem Wort zusammenfassen, das in den letzten Tagen wieder zunehmende Beachtung gefunden hat. Das Wort heißt: Fluchtursachen. Aktuell reden wir über die furchtbare Situation der Menschen in Moria. Nicht alle Menschen dort sind vor Krieg geflohen. Viele Menschen haben ihre Heimat verlassen, weil sie in Armut lebten und überhaupt keine Perspektive mehr sahen. Dabei ist es häufig unsere konsumorientierte Lebensweise, welche die Situation gerade für die Menschen in den Ländern des Südens unerträglich macht.
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Auch sollten wir bei der aktuellen Situation in Moria nicht vergessen, dass das Elend auf Lesbos keine Momentaufnahme ist. Auch vor dem Brand im Flüchtlingslager waren die Zustände unhaltbar, und die Unterbringung der Geflüchteten war menschenunwürdig.
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Das Feuer hat das Leiden der Menschen noch verstärkt. Wir sind daher jetzt aufgefordert, unsere Menschlichkeit und Solidarität zu zeigen – also das, wofür Europa steht. Wir müssen jetzt handeln und diesen Menschen helfen.
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Die Zusage der Bundesregierung ist ein richtiger Schritt. Dabei dürfen wir auch nicht vergessen, was sich Woche für Woche auf dem Mittelmeer abspielt. Es ertrinken immer noch Menschen; seit 2014 sind es mehr als 20 000.
Kolleginnen und Kollegen, wir haben nicht nur die Pflicht, denjenigen zu helfen, die akut in Not sind. Wir müssen auch die sogenannten Fluchtursachen bekämpfen. Natürlich sind diese vielfältig – es gibt Korruption und anderes, wofür wir nicht verantwortlich sind –, aber es gibt gleichwohl konkrete Möglichkeiten, die Situation vieler Menschen zu verbessern.
Wir haben in den vergangenen Jahren viel für den Klimaschutz auf den Weg gebracht. Ich sehe nach wie vor Möglichkeiten, unser Engagement in diesem Bereich noch ehrgeiziger zu verfolgen.
Darüber hinaus ist es höchste Zeit, dass wir ein Lieferkettengesetz bekommen. Deutschland ist nach den USA und China das drittgrößte Importland und damit von großer Relevanz im Netzwerk der globalen Lieferketten.
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Trotzdem haben wir bislang auf Freiwilligkeit der deutschen Unternehmen gesetzt, wenn es um die Einhaltung von Mindeststandards im Ausland ging. Zwar gab es einige Verbesserungen, viele Unternehmen haben sich dennoch nicht an die Mindeststandards gehalten. Ich sehe den Gesetzentwurf von Hubertus Heil und Gerd Müller daher als große Chance, das Leben vieler Menschen und den Schutz der Umwelt zu verbessern.
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Kollegin Hendricks, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Ich bin mir sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Union diese Erkenntnis teilen werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Olaf in der Beek für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Coronapandemie sind weitere Anstrengungen nötig, um die globalen Nachhaltigkeitsziele und die Pariser Klimaziele zu erreichen. In den ärmsten Teilen der Welt spitzt sich die Situation seit Jahren dramatisch zu. Durch zunehmende Umweltkatastrophen, aber auch durch die aktuelle Coronakrise wird die Situation noch brisanter. Schätzungen des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung zufolge werden allein bis zum Jahresende bis zu 136 Millionen Menschen zusätzlich von Hunger bedroht sein, und bis zum Jahr 2030 könnten laut Weltbank 100 Millionen Menschen zusätzlich in extremer Armut leben.
Diese Zahlen sind mehr als alarmierend. Aber die Probleme sind nicht neu. Wir weisen schon seit Jahren deutlich darauf hin, dass wir unserer Verantwortung gerade gegenüber den am wenigsten entwickelten Ländern der Erde endlich gerecht werden müssen. Wir müssen nachhaltig unterstützen und Widerstandsfähigkeit schaffen. Die globalen Nachhaltigkeitsziele und die Pariser Klimaziele dürfen aufgrund der Coronakrise nicht aus dem Blick geraten. Entwicklungszusammenarbeit, Klimaschutz und Umweltschutz gehen nur gemeinsam.
Wenn wir die Klimaziele und die Umweltziele nicht erreichen und damit die Lebensgrundlage der Menschen gefährden, werden auch alle Maßnahmen zu Bildung, Gesundheitsförderung, nachhaltigem Wirtschaften und zur Schaffung von Lebenschancen ins Leere laufen. Corona darf nicht dafür sorgen, dass wir in diesen Fragen international vom Kurs abkommen.
({0})
Was sind die Folgen, wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen? Hunger, Armut, Flucht und eine dramatische Zunahme von Konflikten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen besser heute als morgen gegensteuern. Nachhaltigkeit heißt nämlich nicht, auf Versäumnisse zu reagieren, sondern zu handeln, bevor es zu spät ist!
({1})
Neben mehr Unterstützung für die Ärmsten der Armen brauchen wir eine deutlich besser abgestimmte europäische Entwicklungspolitik. Die Effizienz deutscher und europäischer Entwicklungszusammenarbeit hat in der Tat noch Luft nach oben. Gerade jetzt – der neue EU-Haushalt wird verhandelt, und Deutschland hat die Ratspräsidentschaft – müssen wir entscheidend vorankommen. Wir müssen Lösungen finden, wie wir Entwicklungs- und internationale Klimapolitik effizienter gemeinsam gestalten können, vor allem auf der europäischen Ebene. Was passiert, wenn wir nicht in der Lage sind, neue europäische Wege zu gehen, sehen wir doch schon am wachsenden Einfluss Chinas und anderer autoritärer Regime. Dort spielt Nachhaltigkeit wirklich keine Rolle, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es ist jetzt an der Zeit für kluge nationale und internationale Entscheidungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklungs- und Klimapolitik. Diese ist heute notwendiger als jemals zuvor. Bitte unterstützen Sie unseren Antrag.
Danke schön.
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Das Wort hat die Kollegin Helin Evrim Sommer für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer sich einfach nur die Maske vom Kopf reißt, einen Aluhut aufsetzt und meint, durch Grenzschließung einen Virus zu stoppen, der wandelt selbst am Rande des Wahnsinns.
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Mehr gibt es an dieser Stelle zu den AfD-Anträgen nicht zu sagen.
Seit Beginn der Pandemie haben sich bereits über 29 Millionen Menschen weltweit mit dem Coronavirus infiziert. Die Corona-Top-Vier werden angeführt von den USA, Indien, Brasilien und Russland. Bei diesen Staaten stechen einige Gemeinsamkeiten hervor: An der Spitze stehen Personen, die es unerhört finden, dass da eine weltweite Pandemie herrscht, die nicht auf ihr Kommando hört. So gern wir darüber süffisant den Kopf schütteln, solche Dickköpfe sind gemeingefährlich. Ihre Politik führt dazu, dass sich die Särge der Coronatoten stapeln. Die Herren Trump, Putin und Bolsonaro haben keine Antworten auf die globalen Probleme. Ganz im Gegenteil: Sie sind selber Teil des Problems!
({1})
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zahl der Klimavertriebenen ist inzwischen größer als die Zahl der Menschen, die vor bewaffneten Konflikten fliehen. Die Weltbank prognostiziert, dass es bis zum Jahr 2050 insgesamt 140 Millionen Klimaflüchtlinge geben wird. Unsere Antwort als Linke umfasst ganz einfach drei Punkte:
Erstens: der Klimapass. Damit schützen wir Menschen, deren Herkunftsländer bald buchstäblich im Meer versinken. Ein Klimapass kann Menschen vor Staatenlosigkeit schützen.
({2})
Zweitens: das Bruttonationaleinkommen. Wir müssen 0,1 Prozent für die globale Gesundheitszusammenarbeit ausgeben, so wie es die WHO schon seit Langem fordert.
Und – last, but not least – drittens: das Lieferkettengesetz. Wir sagen: Schluss mit der Ausbeutung unter der Bettdecke! Hersteller müssen nachweisen, dass ihre Produkte bei gerechtem Lohn unter menschenwürdigen Zuständen und umweltverträglich hergestellt werden.
({3})
Es kann da nicht heißen: Das war unser Kooperationspartner, damit haben wir nichts zu tun.
Entwicklungsminister Müller ist ja bislang kein Mitglied von uns Linken.
({4})
Aber er hat recht, wenn er sagt, wir müssten globale Herausforderungen mit global gerechtem Handeln beantworten.
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Das sollte unser Ziel sein – ohne Aluhüte und ohne nationalistische Politik!
In diesem Sinn vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Uwe Kekeritz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt viele Berichte über negative Entwicklungen gehört. Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, dass das keine neuen Entwicklungen sind. Man konnte sie lange voraussehen, auch Pandemien sind vorausgesagt worden. Das alles ist der Grund dafür, dass sich die Weltgemeinschaft vor fünf Jahren zusammengesetzt und die Nachhaltigkeitsagenda verabschiedet hat.
Deutschland hat damals sehr ambitioniert mitgearbeitet. Allerdings hat sich Deutschland damals auch einen Handlungsauftrag gegeben und der Welt versprochen, dass es diesen ambitioniert umsetzen wird. Ich suche dauernd die Ambitionen. Irgendwie sind dieser Regierung die Ambitionen verloren gegangen; denn das, was zurzeit geliefert wird, reicht nicht aus.
({0})
Eine wesentliche Konsequenz aus der Agenda müsste eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik sein. Ein erster Schritt wäre, dass sich das gesamte Regierungshandeln radikal an Menschenrechten, an den Nachhaltigkeitszielen, am Klimaabkommen und an der ILO-Konvention ausrichtet. Davon sind wir noch weit entfernt.
({1})
Diese Botschaft ist noch nicht im Kanzleramt und in den Ministerien angekommen. Diese Regierung weiß immer noch nicht, was eine kohärente Politik ist. Wenn wir wirklich eine positive Entwicklung wollen, dann brauchen wir eine Kehrtwende in der Handels-, Finanz- und Steuerpolitik, in der Agrarpolitik, in der Wirtschaftspolitik, dann brauchen wir eine andere Rohstoffpolitik. Wir brauchen aber gerade in Deutschland auch eine andere Klimapolitik.
({2})
Wir haben mit den SDGs im Finanzbereich versprochen, dass wir den Entwicklungsländern bei Fragen der Ver- und Überschuldung helfen, und zwar durch Ent- und Umschuldungen. Heute ist die weltweite Verschuldung von Staaten auf einem historisch hohen Niveau. Damit ist natürlich auch ein noch nie dagewesenes globales Krisenpotenzial verbunden. Auch das wissen wir schon lange, und wir wissen auch, welche Möglichkeiten es dagegen gibt.
Die FDP wusste das auch schon mal. Erinnern Sie sich an Ihren Koalitionsvertrag von 2009; Westerwelle hat den unterschrieben. Darin sind Sie für ein Staateninsolvenzverfahren eingetreten. Wir wissen, dass Staateninsolvenzverfahren die einzige Möglichkeit sind, diese Schuldensituation nachhaltig in den Griff zu bekommen.
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Eines muss uns doch wirklich klar sein: Es gilt eine einfache Regelung: Alles, was wir hier tun oder nicht tun, hat globale Auswirkungen, die immer auch auf uns zurückfallen – positiv oder negativ.
Minister Müller präsentiert oftmals richtige Analysen und findet warme Worte in der Öffentlichkeit; das wird von dieser Regierung gern gesehen. Am Kabinettstisch wird er allerdings einfach kaltgestellt. Das sehen wir beim Lieferkettengesetz, beim Mercosur-Abkommen, bei den Cotonou-Verhandlungen oder bei der Aufnahme von Geflüchteten. Das führt sogar so weit, dass der Minister hier das Parlament um Hilfe bittet. Wenn der Minister seine positiven Forderungen vorstellt, dann kriegt er von der CDU/CSU und von der SPD Applaus. Ich frage mich: Warum kann sich dieser Minister nicht durchsetzen? Was hindert ihn eigentlich daran? Das sind doch Sie hier!
({4})
Ich finde es richtig verlogen, dass Sie die Forderungen von Herrn Müller hier mit Applaus quittieren,
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während Sie ihn mit Herrn Altmaier in der Realität einfach blockieren.
({6})
Kollege Kekeritz, Sie müssen den Punkt setzen.
Ich bin am Ende und komme zu meinem letzten Satz. – Diese Regierung hat es bisher versäumt, sich ehrlich zu machen. Hören Sie doch endlich auf, mit der Zukunft Roulette zu spielen. Bringen Sie endlich die Klimaziele, die Nachhaltigkeitsagenda und damit die Menschenrechte auf die Zielgerade.
Danke schön.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Jürgen Hardt das Wort.
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Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir hier nicht im römischen Senat sind, werde ich jetzt nicht wie Cato der Ältere auch noch das Lieferkettengesetz bemühen,
({0})
sondern mich auf drei andere Aspekte aus dem weiten Feld der Nachhaltigkeit im internationalen Bereich konzentrieren.
Zum Ersten. Wir haben heute Morgen im Auswärtigen Amt das European Center of Excellence feierlich eröffnet, das einen Beitrag dazu leisten soll, dass wir in den Ländern, in denen wir gegebenenfalls gegen Unrecht und Gewalt aufgrund einer UN-Resolution einschreiten müssen, deutlich mehr und besser agieren können als nur mit Militär und Polizei; das ist zwar manchmal unvermeidlich, kann aber niemals den Konflikt insgesamt lösen.
Ich glaube, dass zur Nachhaltigkeit in der Außenpolitik gehört, dass wir uns noch deutlich mehr als bisher dem vernetzten Ansatz zuwenden, nämlich der Koordination von zivilen, staatlichen, polizeilichen, zivilgesellschaftlichen, zur Not auch militärischen Instrumenten bei der Friedensbewahrung und Friedensschaffung in der Welt. Da haben wir als Europäer möglicherweise einen längeren Atem als andere in der Welt, und wir sind vielleicht auch ein bisschen uneigennütziger, als das andere große Nationen in dieser Welt sind, wenn sie an anderer Stelle helfen.
Ich glaube, dass wir in der Europäischen Union mittlerweile ein breites Spektrum an Erfahrung und Best Practice haben mit Blick darauf, was man tun kann, um eine Entwicklung in einem Land nachhaltig zum Besseren zu wenden. Dieses Center of Excellence der Europäischen Union in Deutschland wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Ich hoffe, dass wir seine Arbeit positiv anwenden können, etwa in Mali, im Irak, in Afghanistan. Das wäre meine große Forderung, und wir als Außenpolitiker sollten uns dieser Aufgabe in den nächsten Monaten intensiv zuwenden.
Zum Zweiten. Ich glaube, zu wirksamer, nachhaltiger Außenpolitik gehört auch, dass wir Institutionen haben, die in der Lage sind, die internationalen Regeln zu wahren, gegebenenfalls auch weiterzuentwickeln und durchzusetzen. Zur Nachhaltigkeit in der Politik gehört, dass die Menschen, die Bürger in den Ländern dieser Erde sich darauf verlassen können, dass das Set an verlässlichen Regeln auch tatsächlich eingehalten werden kann. Es ist sowohl für die Umwelt als auch für die soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unverzichtbar, dass diese Regeln Bestand haben.
Mit Blick auf die Vereinten Nationen, den Zustand im UN-Sicherheitsrat, habe ich die große Sorge, dass die Möglichkeiten, Vetos einzelner Staaten im Sicherheitsrat zu überwinden, indem man Pakete schnürt und deren Zustimmung dann doch erringt, eigentlich eher kleiner geworden sind und dass wir in den letzten Jahren weniger Kraft der Vereinten Nationen bei der Durchsetzung dieser regelbasierten Weltordnung erleben, als das davor der Fall gewesen ist. Ich glaube, zu nachhaltiger Außenpolitik gehört, dass wir uns dieser konkreten Frage intensiv zuwenden.
Zum Dritten. Wir als Deutschland sind Mitglied der Europäischen Union und wir als Deutsche wissen, was wir von der EU haben. In dieser chaotischen, teilweise auch orientierungslosen Welt mit vielen Völkern, die in ihren Staaten eben noch nicht den Weg zu nachhaltiger, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung gefunden haben, ist die Europäische Union möglicherweise in der Lage, ein großes Vorbild, ein Orientierungsstern zu sein für den Weg, den sie selbst bestreiten wollen. Wenn wir uns zum Beispiel die afrikanische Welt angucken, so stellen wir fest, dass sich die Institutionen der Afrikanischen Union oder der ECOWAS nach dem europäischen Vorbild gebildet haben – zum Machtgewinn in der Region, zum Nutzen der Länder, die sich angeschlossen haben.
Wenn wir in Europa, in der Europäischen Union aber Wochen brauchen, um uns auf 30 bis 40 Namen festzulegen, die wir angesichts der Situation in Belarus oder der Vergiftung von Alexej Nawalny vielleicht mit Personensanktionen belegen, dann ist das kein gutes Vorbild und kein guter Ansporn für die Völker auf anderen Kontinenten, sich in gleicher Weise einer friedlichen und nachhaltigen Konfliktlösung zuzuwenden, wie wir es mit der Europäischen Union für Europa geschaffen haben.
Ich glaube, dass die Europäische Union die Pflicht hat, nicht nur ihre eigenen Dinge ordentlich zu regeln und zum Wohle ihrer Bürger da zu sein, sondern auch als Modell der nachhaltigen Konfliktbewältigung im 21. Jahrhundert für andere Regionen der Erde zu dienen, sodass Menschen in Afrika, in Asien, in Lateinamerika sagen: So, wie die das in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg bis in das 21. Jahrhundert hinein gemacht haben, wollen wir das auch machen. – Darauf sollten wir unsere Kraft verwenden.
Wenn am 24./25. September vom EU-Gipfel ein kraftvolles Signal auch in der Außenpolitik ausgeht, dann, glaube ich, wäre das ganz wichtig und richtig, auch im Sinne von Nachhaltigkeit.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle spüren die enorme Veränderung der Weltordnung; Kollege Jürgen Hardt hat gerade über die internationalen Regeln gesprochen. Autoritäre Akteure wollen mehr Platz auf der Weltbühne, und sie wollen die Welt nach ihren autoritären Vorstellungen neu ordnen. Als Antwort auf den historisch einmaligen Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus und auf die totalitäre Herausforderung wurde die internationale Weltordnung mit einem globalen Mechanismus, den Vereinten Nationen, geschaffen, um Ausgleich und Frieden zu fördern. Integraler Bestandteil dieser Weltordnung sind individuelle Grundrechte, die alle Staaten verpflichtet sind aktiv zu schützen. Die Nachhaltigkeit – und das bedeutet oft schlicht Hartnäckigkeit, mit der die Menschenrechte verteidigt wurden –, hat Hunderte Millionen in die Freiheit und in den Genuss dieser Menschenrechte gebracht.
Der Aufstieg der immer autoritäreren und aggressiv agierenden Volksrepublik China, die individuelle Menschenrechte bekämpft, in der es eine systematische, brutale Verfolgung von vielen Millionen Chinesen, von Religion, ob Uiguren, Tibeter oder Christen, gibt und die inzwischen auch nach außen immer aggressiver gegen freie Gesellschaften vorgeht, führt doch drastisch vor Augen, dass auch beim Thema Menschenrechte eine globale Herausforderung ins Haus steht.
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Nicht nur China, sondern auch autoritäre Regime wie Russland, die Türkei oder Saudi-Arabien und andere stellen uns vor die Entscheidung: Werden die Menschenrechte nachhaltig und universell bleiben, oder werden sie global zurückgedrängt? Werden wir sie nachhaltig verteidigen, oder werden wir verängstigt und erschöpft kapitulieren? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine sehr reale Frage im Jahr 2020. In kaum einem Bereich wird es so wichtig sein wie bei den Menschenrechten, nachhaltig zu verteidigen, was wir erreicht haben.
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Wir reden hier frei und offen, nicht nur in diesem Parlament. Wenn wir diese Freiheit, die der Mensch braucht wie die Luft zum Atmen, nachhaltig sichern wollen, müssen wir bereit sein, sie aktiv zu verteidigen. Dabei gilt auch: Es kann keinen Discount bei Menschenrechten geben, weder bei Umwelt noch bei Wirtschaft. Es ist einfach nicht in Ordnung, es ist unethisch, auch menschenverachtend, für die Einsparung von ein paar Cents oder Euros bei der Produktion oder dem Verkauf die Missachtung von Menschenrechten bewusst oder billigend in Kauf zu nehmen.
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Es entwertet, lieber Minister Gerd Müller, auch unsere Position im Wettbewerb der Freiheit gegen die Unfreiheit! Das gilt für Unternehmen, aber eben auch für uns alle als Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn in Ländern wie China Gefangene für Zwangsarbeit missbraucht werden, dann gehören solche Produkte aus Gründen der Nachhaltigkeit bei Menschenrechten nicht auf unsere Märkte.
({3})
Gleiches gilt, liebe Kolleginnen und Kollegen, für andere Länder und andere Kontinente. Der Schutz der Menschenrechte braucht Nachhaltigkeit durch Standards, auch im Bereich des internationalen Handels.
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Deutschland ist wie kaum ein zweites Land in vielen Ländern der Erde partnerschaftlich engagiert, um Grundrechte wie medizinische Versorgung, ausreichende Nahrung, aber eben auch Partizipation und rechtsstaatlichen Schutz von Individuen oder Gruppen zu stärken. Damit helfen wir nicht nur den Menschen und Regionen vor Ort. Wir leisten auch einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Menschen, die sich in ihren Rechten nicht diskriminiert fühlen und die sich nicht um ihre Chance im Leben betrogen fühlen, gerade nicht den gefährlichen Ausweg der Migration wählen.
Nachhaltige Politik im Bereich der Menschenrechte hat also nicht nur gute Auswirkungen für die Betroffenen. Sie hat auch eine befriedende Wirkung mit Blick auf die Entschärfung von Konflikten innerhalb und zwischen Regionen, und sie wirkt nachhaltig gegen Ursachen von Flucht und Migration. Nachhaltiger Schutz von Menschenrechten ist also nicht „schmuckes Beiwerk“, sondern ein eminent wichtiger, zentraler Beitrag für die Zukunft dieses Kontinents, dieses Planeten und der Menschheit insgesamt.
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Besonders einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland, das nach schlimmen Erfahrungen die Menschenrechte völlig zu Recht zu einer Staatsräson zählt, kommt beim nachhaltigen Schutz der Menschenrechte eine besondere Verantwortung zu. Dieser Verantwortung müssen wir und dieser Verantwortung können wir gemeinsam mit unseren Partnern in der Welt sehr gut gerecht werden.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer über Nachhaltigkeit redet, muss auch über Gro Harlem Brundtland und die von ihr geleitete Kommission sprechen. Sie hat im Jahr 1987 einen wichtigen Bericht herausgegeben, und der Titel sagt bereits, worum es im Kern geht. Es geht um unsere gemeinsame Zukunft und natürlich um die Zukunft der kommenden Generationen. Eines muss man hier auch klar sagen: Gro Harlem Brundtland ist eine große Sozialdemokratin. Sie hat eng mit Willy Brandt zusammengearbeitet, der sich bereits damals den wichtigen globalen Fragen unseres Zusammenlebens gestellt hat. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben das Thema der Nachhaltigkeit also seit Jahrzehnten im Blick.
({0})
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung, weil ich gerade Willy Brandt erwähnt habe. Ohne die Politik von Willy Brandt und die damals erste sozialliberale Reformkoalition hätte ich nicht Abitur machen können; denn damals hat man sich entschieden, die Gesellschaft zu öffnen und Menschen wie mich, Menschen aus armen Familien durch das Schüler-BAföG und das BAföG stärker zu fördern. Ansonsten hätte ich nicht studieren können und würde wahrscheinlich nicht hier stehen.
({1})
– Da gebe ich Ihnen recht; ich will Ihnen gar nicht widersprechen. Wir haben auch viele gute Handwerkerinnen und Handwerker in der Familie.
({2})
Aber zurück ins Hier und Jetzt. Wir leben in einer neuen geochronologischen Epoche, dem Anthropozän. Der Mensch beeinflusst die atmosphärischen, biologischen und geologischen Prozesse auf der Erde in einer nie dagewesenen Art und Weise. Es sind vier Krisen, die die Menschheit bedrohen – vier Krisen, wie die vier apokalyptischen Reiter –: erstens der dramatische Verlust von Arten- und Lebensgemeinschaften weltweit, zweitens die Belastung der Umwelt durch nicht oder nur schwer abbaubare, sogenannte persistente Stoffe, von Pestiziden über Plastik im Meer bis hin zum Atommüll – das sage ich bewusst in die rechte Richtung –, drittens die nukleare Aufrüstung und die Gefahr nuklearer Kriege und viertens die Klimakrise, der menschengemachte Klimawandel. Es gilt weiterhin: Klimaschutz ist nicht alles, aber ohne Klimaschutz ist alles andere nichts.
({3})
Wir haben im letzten Jahr ein wichtiges Gesetz verabschiedet, das Klimaschutzgesetz. Das war eine wirklich große Leistung. Ich habe aber den Eindruck, dass dieses Gesetz wie auch der dahinterstehende Paris-Vertrag von vielen nicht richtig verstanden wird. Wir haben – das geschah ganz klar auf Druck der SPD – das Ziel der Klimaneutralität im Gesetz verankert. Vorher galt der Klimaschutzplan der Bundesregierung. Da war das Ziel eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent. Viele haben damals gedacht: Die 20 Prozent Differenz zu 100 Prozent sind für uns – die Sektoren Industrie, Bau, Verkehr und andere. – Der nicht vorhandene Kuchen wurde mehrfach aufgeteilt. Seitdem es das Klimaschutzgesetz gibt, ist klar: Das gibt es nicht mehr. Die fossile Welt geht ihrem Ende entgegen, und das ist auch gut so.
({4})
Dies ist eine weltweite Entwicklung. Die, die jetzt nicht vorne dabei sind, handeln nicht nur unethisch, sie werden auch ökonomisch verlieren; denn die Zukunft gehört den klimafreundlichen Technologien.
({5})
Das Klimaschutzgesetz stellt weiterhin eine Kopplung mit den Klimazielen der EU her. Auch die Europäische Union ist Vertragspartner des Abkommens von Paris. Alle fünf Jahre müssen nach dem Paris-Abkommen die Ziele überprüft werden, und wir müssen schauen: Passt das Tempo der Zielerreichung zu unseren Klimaschutzzielen, zum 2-Grad-Ziel bzw. zum 1,5-Grad-Ziel? Ich begrüße ausdrücklich – auch unsere Umweltministerin Svenja Schulze hat das getan –, dass die EU jetzt den Weg in Richtung einer Verschärfung des Klimaschutzes geht. Das ist notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Jetzt brauchen wir eine Diskussion über das Wie und nicht über das Ob.
Damit komme ich zurück zu unserem Koalitionsantrag „Innovativ, zukunftssicher und nachhaltig – Vorbild Bund – Das Bauen von Morgen heute fördern“. Wir zeigen in diesem Antrag auf, dass man mit ganzheitlichen Ansätzen wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele besser erreichen kann. Ein Schlüssel ist das Bauen mit Holz, eingebettet in die gesamte Wertschöpfungskette, angefangen bei der naturnahen Forstwirtschaft über die Verarbeitung und den Bau bis zur späteren Wiederverwertung. Dies schafft notwendigen Wohn- und Arbeitsraum, generiert Wertschöpfung und sichert Arbeitsplätze vor allem im Mittelstand. Und jetzt kommt das Besondere: Durch das Bauen mit Holz wird das Bauen von einer CO2-Quelle zu einer CO2-Senke. Bauen mit Holz ist aktiver Klimaschutz.
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Damit verteufeln wir nicht die anderen Baumaterialien. Es kommt weiterhin auf eine intelligente Kombination an; aber natürlich geht es auch um die Defossilisierung der Grundstoffindustrie. Wir schaffen durch eine stärkere Betrachtung des Verursacherprinzips eine echte Kreislaufwirtschaft, ermöglichen den Schutz unserer Kulturlandschaften, unserer Böden und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Vor allem mit der Gewinnung elektrischer Energie aus erneuerbaren Energien schaffen wir eine lohnenswerte Zukunft, für die man streiten kann. Ich sage Ihnen auch: Wir können in Deutschland sogar klimapositiv werden. Wir brauchen solche Innovationen, um die apokalyptischen Reiter zu vertreiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit komme ich zurück zur EU. Die EU setzt – jetzt ist der Bundeswirtschaftsminister leider nicht da – auf die Kraft der Bürgerinnen und Bürger, auf die Energiewende von unten, auf die sogenannten Prosumer. Ich gehöre als Genossenschaftler auch dazu. Wir haben eine PV-Anlage auf dem Dach und ein Blockheizkraftwerk im Keller. Diese Stärkung der Verbraucherinnen und Verbraucher ist beschlossenes EU-Recht, und ich fordere den Bundeswirtschaftsminister auf, EU-Recht umzusetzen, gerade jetzt, wo wir die EU-Ratspräsidentschaft innehaben.
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Wir müssen die Zweiklassengesellschaft bei der Nutzung der Photovoltaik beenden. Die solare Revolution muss auch in die Quartiere mit den Mietwohnungen einziehen; das ist total entscheidend.
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Wir haben mit den Wirtschaftspolitikern – Timon Gremmels sehe ich da sitzen – Vorschläge für den Mieterstrom vorgelegt, die umsetzbar sind und dazu führen, dass wir sozial und ökologisch vorangehen.
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Das gilt auch für viele kleine und mittlere Unternehmen. Viele Menschen in diesem Land wollen ihren Beitrag leisten. Geben wir ihnen die Möglichkeit dazu! Dabei werden das Quartier und das Dorf immer wichtiger. Es geht nicht um wenige Einzelprojekte, sondern darum, dass wir eine Breitenwirkung erzielen. Da sind die Kommunen wichtig, da sind die Stadt- und Gemeindewerke wichtig. Sie sind unsere natürlichen Partner für die nachhaltige Stadtentwicklung und den Klimaschutz. Lassen Sie uns mit den Kommunen zusammenarbeiten, lassen Sie uns mit den Genossenschaften zusammenarbeiten, lassen Sie uns an einer guten gemeinsamen Zukunft arbeiten!
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Frank Magnitz für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Hunderttausende Teilnehmer der Freiheitsdemonstrationen in Berlin und im ganzen Land!
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Bevor ich ins Thema einsteige, möchte ich zu meinem Vorredner eine Bemerkung machen, was Nachhaltigkeit beim Bauen und das Bauen mit Holz anbelangt. Das beste Beispiel für Nachhaltigkeit ist das Haus, in dem wir uns hier bewegen. Es ist weit mehr als 100 Jahre alt und hat in seiner Existenz so einiges überstehen müssen. Man sieht: Das ist nachhaltiges Bauen.
Kommen wir zum Thema. Ohne den vehementen Kampf der Regierung gegen den Klimawandel gäbe es die heutige Debatte gar nicht. Wenn sich diese Regierung mit gleicher Vehemenz für das Fortkommen und den Fortbestand unseres Volkes eingesetzt hätte, ständen wir heute nicht vor einer demografischen Katastrophe nationaler Tragweite. Deutschland wäre auch nach der Selbstermächtigung von Frau Merkel ein prosperierendes Land geblieben.
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Zum Thema „Nachhaltig leben und konsumieren“ hat meine Fraktion im Bereich „Bauen und Wohnen“ zwei Anträge eingebracht, einen zur Vereinfachung des Baurechts. Die Regulierungswut der Behörden ist unerträglich geworden. Die Zahl der Bauvorschriften hat sich in Deutschland seit 1990 auf 20 000 vervierfacht. Wir haben es mit 16 Landesbauordnungen zu tun, die das Bauen eher verhindern als ermöglichen. Ständig gibt es neue Gesetze und Verordnungen: zu den Klima- und Coronazielen der Bundesregierung, zum Dämmen von Gebäuden, zur verpflichtenden Errichtung von Ladesäulen, zu massiven Eingriffen in das Eigentumsrecht, zum Mietendeckel und zu vielem mehr. Alle diese Maßnahmen verteuern das Bauen. Eigentumserwerb wird für breite Schichten unmöglich, Investitionen im Mietbereich und beim Bau von Eigentumsanlagen werden gehemmt. Gleichzeitig ist bezahlbarer Wohnraum die soziale Frage. Festgestellt hat das kein geringerer als Innenminister Seehofer. In der eingemauerten DDR wurde das genauso formuliert. Die Wohnungsfrage als soziales Problem sollte bis 1990 gelöst werden. Das Ergebnis ist, glaube ich, allen bekannt.
75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir eine neue deutsche Wohnungsnot, herbeigeführt von der Bundesregierung durch fortgesetzten Rechtsbruch. Millionenfach wird illegale Masseneinwanderung forciert statt gestoppt, wie es die beeidete Pflicht eines jeden Amtsinhabers wäre. Der deutsche Mieter stellt sich derweil bei der Wohnungssuche hintenan. Das ist kein Kollateralschaden von „Wir schaffen das“; es ist gezielte Benachteiligung des eigenen Volkes gegenüber Fremden, die in unser Sozialsystem aktiv importiert wurden und werden.
Kommen wir zu einem anderen Aspekt verfehlter Politik: zu den Windrädern. Die sogenannten erneuerbaren Energien ruinieren unsere sichere Stromversorgung. Sie können solide Kern- oder Kohlekraftwerke niemals ersetzen. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, gibt es keinen Strom. Dafür halten wir die komplette Infrastruktur konventioneller Stromerzeugung vor. Das führt zu immensen finanziellen Belastungen für jeden Endverbraucher, Gewerbetreibenden und die gesamte Wirtschaft. Was die Windenergieanlagen betrifft, wollen wir die finanzielle Belastung und die Gesundheitsgefährdung der Anwohner minimieren. Deshalb: Der Mindestabstand von Windrädern zu Wohnsiedlungen muss bundesweit das Zehnfache ihrer Höhe betragen.
Kommen wir zum vielstrapazierten Begriff der Nachhaltigkeit, der ursprünglich aus der Forstwirtschaft – der deutschen Forstwirtschaft übrigens – stammt. Er bedeutete, dass im Wald nicht mehr Holz geschlagen werden darf, als nachwächst. Was würde Nachhaltigkeit dann erst für den Finanzminister, die Familienministerin oder den Gesundheitsminister bedeuten? Wer macht diesen Akteuren klar, dass man nicht ungestraft zerstören darf, was Generationen vor uns geschaffen haben?
Herr Magnitz, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss; einen Satz noch. – Stattdessen betreiben diese Politiker, allen voran Frau Merkel selbst, Angst und Panikmache durch Klima- und Coronawahn und streuen Sand in die Augen der Deutschen, damit sie nicht erkennen, was mit ihnen geschieht. Ich versichere Ihnen: Auf Dauer wird das nicht gehen und schon gar nicht mit uns.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Rudolf Henke das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Magnitz, wer angesichts von über 300 000 Neuinfizierten an einem Tag zu Beginn dieser Woche von einem „Coronawahn“ spricht und wer angesichts der Tatsache, dass wir am Anfang des Jahres Brände in Australien erlebt haben und jetzt die Waldbrände in Kalifornien erleben mit einer Fläche, die so groß ist wie ganz Mecklenburg-Vorpommern, von einem „Klimawahn“ spricht, der, finde ich, zeigt damit, dass er sich aktiv und bewusst in den Gegensatz zu den Fakten begibt.
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Deswegen – mit allem Verständnis – konzentriere ich mich auf eine andere Facette dieser Debatte.
Ich möchte beim Thema „Nachhaltig leben und konsumieren“ über die Nachhaltigkeit im gesundheitlichen Sinn sprechen. Barbara Hendricks hat ja in der vorigen Debatte daran erinnert, dass sich 2015 192 Unterzeichnerstaaten für die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung entschieden haben und in deren Ziel 3 zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden. Zum anderen hat der Deutsche Bundestag im gleichen Jahr nach drei vergeblichen Anläufen und einer zehnjährigen Debatte das Präventionsgesetz verabschiedet und in diesem das oberste Ziel festgehalten, lebensstilbedingte Volkskrankheiten einzudämmen.
Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, die die Bundesregierung derzeit für 2021 überarbeitet, verfolgt unter anderem folgendes Ziel: Verringerung vorzeitiger Sterblichkeit durch nichtübertragbare Erkrankungen durch Prävention und Behandlung. Allein morgen in der Sitzung des Bundesrates werden wir mit dem Tabakwerbeverbot und der wartefreien Reha-Wiederholung für Minderjährige weitere Schritte gehen. Mitte August hat das Kabinett den Nutri-Score auf den Weg gebracht, ein Meilenstein für die Ernährungspolitik. Durch den Anstieg der Lebenserwartung und durch den medizinisch-technischen Fortschritt haben wir heute einen anderen Blick auf chronische Erkrankungen als früher. Wenn wir nicht Behandlungen einschränken wollen, wenn wir nicht Spargesetze verabschieden wollen, dann ist der einzige Weg zu einer nachhaltigen Finanzierung und um sonst anfallende Kosten zu vermeiden, Prävention und Gesundheitsförderung. Jeder in Prävention investierte Euro bleibt später um ein Vielfaches erspart.
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Deswegen ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie dazu beiträgt, vorzeitige Sterblichkeit zu senken, die Raucherquote zu reduzieren und die Adipositasquote zumindest bei Jugendlichen zu reduzieren. Wir stimmen, glaube ich, mit Julia Klöckner komplett darin überein, dass wir gesunde Ernährung einfacher machen müssen. Insofern können wir gerne auch die Nationale Reduktionsstrategie beschleunigen.
Was können wir besser machen, um beispielsweise ernährungsbedingte Erkrankungen wie Diabetes im Ursprung zu vermeiden? Da kann ich Ihnen einen kleinen Blick auf den Zuckerstoffwechsel nicht völlig ersparen: Unser Körper spaltet Kohlenhydrate in Zucker. Dann braucht er körpereigenes Insulin, um den Zucker in die Zellen zu bringen. Wenn die Zellen nun resistent gegen Insulin geworden sind, dann steigt nicht nur der Blutzuckerspiegel, sondern auch die Insulinproduktion nimmt zu – Insulinresistenz. Nun ist Insulin das einzige Hormon, das Körperfett aufbaut. Das ist die wichtigste und die eigentliche Ursache der Fettleibigkeit, die überall in der Welt die Gesundheit bedroht. Diese Zusammenhänge – Insulinresistenz auf der einen Seite, glykämischer Index von Nahrungsmitteln auf der anderen Seite – müssen wir, wenn wir nachhaltig sein wollen, strategisch besser berücksichtigen,
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besser angehen, und wir müssen mehr Aufklärungsarbeit leisten. Es gehört vielleicht auch die eine oder andere traditionelle Ernährungsempfehlung dazu auf den Prüfstand. Aber das lohnt sich, und das zahlt sich aus.
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Im Koalitionsvertrag und erneut im gestrigen Leitantrag haben Union und SPD vorgesehen, Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes von 2015 vorzulegen. Die Coronapandemie ist ein klares Zeichen dafür, wie enorm wichtig Prävention ist. In diesem Sinne werbe ich sehr dafür, das neue Präventionsgesetz zeitnah mit genauem Blick auf die alltäglichen Lebenswelten anzugehen. Nachhaltige Gesundheitspolitik beginnt an der Werkbank, in der Kantine und auch auf dem Weg in den Feierabend.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Daniel Föst für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine einfache Wahrheit: Der Erhalt und der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlage ist ein zutiefst liberales Ziel. In Freiheit leben, das können wir nur auf einem intakten Planeten mit einer intakten Umwelt. Das hat Hans-Dietrich Genscher schon 1970 erkannt und den Umweltschutz auf die Agenda der sozialliberalen Koalition gesetzt. Da hat Joschka Fischer noch Steine auf Polizisten geworfen und Robert Habeck seinen ersten Geburtstag gefeiert.
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Genau wie damals Hans-Dietrich Genscher treibt uns Freie Demokraten heute die Frage um: Welche Welt wollen wir unseren Kindern und unseren Enkeln hinterlassen? Diese Frage gilt auch für unsere Städte, für unsere Häuser, für unsere Infrastruktur. Was wir heute planen und bauen, das machen wir nicht für die nächsten fünf bis zehn Jahre; so lange dauert allein das Genehmigungsverfahren. Was wir heute planen und bauen, das bauen wir für die nächsten 50 bis 100 Jahre. Also: Wenn wir über nachhaltiges Leben diskutieren, müssen wir auch zwangsläufig über nachhaltiges Planen und Bauen reden.
Aber zuerst und vor allem müssten wir endlich mal die Potenziale des Gebäudesektors bei der CO2-Einsparung heben. Ein großer Teil der CO2-Emissionen stammen aus dem Gebäudesektor. Aber wer sich die Zahlen anschaut, sieht: Hier passiert so gut wie gar nichts, und was passiert, ist ideologiegetrieben und extrem ineffizient.
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In den letzten zehn Jahren wurden gut 300 Milliarden Euro – 300 000 Millionen Euro! – in die energetische Gebäudesanierung investiert. Aber heute ist der Energieverbrauch pro Quadratmeter immer noch so hoch wie vor zehn Jahren. Das ist eine Verschwendung von Zeit, Geld und Vertrauen. Dazu fällt mir nichts mehr ein. Hier muss endlich etwas passieren.
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Was wir brauchen, ist ein sofortiger Paradigmenwechsel beim Klimaschutz im Gebäudesektor.
Erstens. Wir brauchen einen klaren und harten CO2-Deckel für Gebäude mit einem echten Emissionshandel. Es ist Ihnen vielleicht noch nicht allen bewusst: Dem Klima ist es völlig egal, wo wir CO2 einsparen. Der Emissionshandel lenkt die Investitionen dorthin, wo mit dem niedrigsten Aufwand der höchste Effekt erzielt wird. Alles andere macht das Wohnen teuer und hilft dem Klima nicht. Das beweisen Sie mit Ihrer Politik.
Zweitens. Ja, wir brauchen Investitionen in den Gebäudesektor. Aber das kann weder einseitig auf Kosten der Mieter gehen noch einseitig auf Kosten der Vermieter. Es ist an der Zeit, dass die Regierung endlich – endlich! – dieses Investitionsdilemma aufhebt. Leider liefern Sie hier auch nichts, aber Ihnen rennt die Zeit davon, weil die CO2-Steuer bald kommt.
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Drittens. Wenn wir Städte bauen und planen, dann müssen wir das voll digital machen, und zwar von der Planung über den Bau, Instandhaltung, Betrieb bis hin zum Rückbau. Die komplette Digitalisierung dieses Prozesses schont Ressourcen und macht den Energieverbrauch steuerbar. Damit spart man Geld und CO2.
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Aber auch hier kommt außer ein paar Pilotprojekten von der Regierung gar nichts.
Fazit – das dürfte jedem klar sein –: Mit Populismus, Planwirtschaft, Degrowth-Fantasien und Askese werden wir Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht zum Erfolg führen. Für ein so großes Projekt brauchen wir die gesamte Gesellschaft. Das schaffen wir nur mit der sozialen Marktwirtschaft und mit mutigen Innovationen. Also hören Sie endlich auf, Zeit und Geld zu verschwenden!
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Erstmals führen wir die im Klimaschutzpaket beschlossene Nachhaltigkeitswoche hier im Bundestag durch. Ich finde es richtig gut, wenn nicht nur Umwelt‑, Klima- und Verkehrspolitikerinnen, sondern auch Gesundheits‑, Bildungs‑, Sozialpolitiker, Rechtspolitikerinnen, Wirtschaftspolitikerinnen, Renten‑, EU- und Außenpolitiker ihre Themen mit Blick auf die komplexe Nachhaltigkeit und ihre Wechselwirkungen auf soziale Gerechtigkeit, Umwelt und Klimawandel betrachten. Diese Verknüpfung herstellen ist gute Politik.
Deshalb quälen wir Sie erneut mit unserem Antrag zur längeren Haltbarkeit von technischen Produkten,
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so wie 2013 und 2016. Ehrlich: Haben Sie etwas dagegen, wenn Ihr Kühlschrank auch nach zehn Jahren noch sicher funktioniert? Würden Sie es ablehnen, wenn Ihre Waschmaschine nach acht Jahren vom Hersteller noch kostenfrei repariert würde? Oder wäre es nicht super, wenn die Handys in Ihrer Familie auch nach drei Jahren noch Updates laden, die Akkus wechselbar wären und die neuesten Apps funktionieren würden?
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Echt: Ich verstehe nicht, warum Union, SPD und FDP diesen Antrag mehrmals ablehnten.
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Unser Antrag zielt auch auf Unternehmen, damit sie in Forschung und Innovation investieren und zukünftig haltbare, langlebige Produkte produzieren. Die besten Produkte produziert man mit gut ausgebildetem und hochmotiviertem Personal. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit gutem Gehalt sichern die Zukunft von Unternehmen. Das ist definitiv nachhaltiger als eine Billigproduktion mit einem menschenverachtenden System von Heuern und Feuern.
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Liebe Verbraucherinnen und Verbraucher, wir alle sparen bei technischen Geräten mit längerer Lebensdauer, so wie in unserem Antrag gefordert, auch bares Geld. Ich bin Techniker und plante die Massenfertigung von Achsfedern, Stabilisatoren und Objektiven für Beamer. Meine Erfahrungen sind: 20 Prozent mehr in die Fertigung, in die Qualität investieren erbringt doppelte Haltbarkeit der Produkte. Also, stellen wir uns vor: Statt nach vier Jahren 100 Euro für eine Kaffeemaschine auszugeben und nach weiteren vier Jahren erneut 100 Euro zu bezahlen, bezahlt man dann einmal 120 Euro und hat für acht Jahre Ruhe. Das spart Geld, hilft der Umwelt. Das ist echte nachhaltige Politik.
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Dagegen kann man doch nicht sein. Also geben Sie sich von der Koalition einen Ruck: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Oder machen Sie es wie die Grünen: Bringen Sie einen ähnlichen Antrag ein.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Gerhard Zickenheiner das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Städte und Kommunen könnten das leisten, was Sie hier auf der Regierungsbank schlichtweg überhaupt nicht hinbekommen: Klima-, Umweltschutz und Nachhaltigkeit.
Schauen Sie, es ist doch zynisch, dass es eine Pandemie braucht, um in die Nähe unserer Klimaziele für 2020 zu kommen. In Kommunen gibt es willige Akteure über fast alle Fraktionen hinweg, die wissen, was für Klima, Nachhaltigkeit und Resilienz zu tun ist. Sie erklären in ihren Dörfern, Städten und Kreisen den Klimanotstand. Sie haben längst das Fachwissen, wie lokale Resilienz zu generieren ist. Sie arbeiten verzweifelt daran, mit Radwegen, Mobilitätsstationen, ÖPNV den Verkehr endlich zu entgiften, die Probleme von Flora und Fauna in ihrer Heimat zu lösen, die Überhitzung in ihren Städten und den Wassermangel in den Griff zu bekommen.
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Denen hilft nur keiner, und wenn, dann in homöopathischen Dosen. Dabei läge in der Koppelung von Pandemiefolgen und Klimakrise enormes Lösungspotenzial.
Wenn wir unsere Kommunen bei der Transformation finanziell und personell so ausstatten, dass es zielführend zur Umsetzung der Paris- und der Nachhaltigkeitsziele reicht, dann können zum Beispiel im Forst hinreichend Mitarbeiter eingestellt werden, die Planungsämter die Radwegeplanungen leisten, die Tiefbauer und die Busunternehmen die Verkehrswende tatsächlich herbeiführen, und Städte könnten grüner und wasserspeichernd werden. Das liegt nämlich alles in deren Kompetenzen.
Was wären die Folgen? Erstens. Wir würden jede Menge schnell verfügbare Arbeitsplätze schaffen. Zweitens. Durch schnellstmögliche Aufstockung der Ausbildungs- und Studienplatzkapazitäten in den entsprechenden Disziplinen schaffen wir es endlich einmal, dass Förderprogramme auch abgerufen werden können, weil die Umsetzungskapazitäten ausnahmsweise rechtzeitig geschaffen werden, und bringen damit nebenbei eine ganze Generation Fridays for Future in Lohn und Arbeit. Drittens – und damit zum Titel unseres Antrag –: Wir würden „Klimaschutz, Klimaanpassung und nachhaltige Entwicklung als kommunale Konjunkturmotoren nutzen“.
Wenn nämlich das öffentliche Auftragsvolumen durch die Transformationsarbeit hochschnellt, dann geht erstens die Arbeitslosigkeit herunter, zweitens steigen die Gewerbesteuereinnahmen, und drittens sinken die Sozialkosten. Wenn Sie meinen, das wäre zu teuer, dann empfehle ich ein Gespräch mit dem Städtetag, den Rückversicherern und am besten auch noch mit der Ärztekammer, die seit Langem die irrsinnig hohen Zahlen von Opfern der Luftverschmutzung und Hitze beklagt.
Die Mittel dafür sind heute besser angelegt als morgen, weil die Klimaschäden und ihre Kosten und das Leid, das sie verursachen, mit jedem Jahr gigantisch wachsen. Wir investieren damit in eine sichere und gerechte Zukunft.
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Fragen Sie bei sich zu Hause in den Kommunen die Menschen in ihren Fraktionen, was sie davon halten, und danach reden Sie mit uns. Das, Herr Altmaier, könnte Teil eines glaubwürdigen, die Menschen vor Ort motivierenden, parteiübergreifenden Klimapaktes sein.
Danke.
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Das Wort hat die Kollegin Marja-Liisa Völlers aus der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Plenarwoche ist eine Premiere für unser Parlament, eine ganz wichtige, wie ich finde; denn Nachhaltigkeit geht uns alle an. Nachhaltigkeit ist kein abgedroschenes Modewort, sondern eine Verpflichtung für uns alle. Es ist zweifelsohne nicht bequem, dies immer und jedes Mal mitzudenken, aber wir sind es uns und vor allem den nachfolgenden Generationen schuldig.
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Seit gestern gehen wir dieses Thema hier im Bundestag durch. Ich habe mir für die SPD-Fraktion die Bereiche Gesundheit und Ernährung vorgenommen. Was verstehen wir unter nachhaltiger Politik, wenn wir den Aspekt der Gesundheit ein bisschen näher beleuchten? Zunächst können wir ganz sicher eines feststellen: Unser Gesundheitssystem steht infolge der Coronapandemie vor riesigen Herausforderungen. Wir sind bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, dank unserer guten Strukturen und vor allem aufgrund der großartigen Leistung der Mitarbeitenden im Gesundheitssektor.
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Wir müssen jetzt aber dafür Sorge tragen, dass unser Gesundheitssystem auch für die Zukunft gewappnet ist. Alle Menschen, ganz unabhängig von ihren Erkrankungen, ihrem Alter, ihrem Wohnort, ihrem Einkommen oder ihrer Herkunft, müssen auch noch in 10, 20 oder 30 Jahren Zugang zu einer qualitativ hochwertigen medizinischen und pflegerischen Versorgung haben. Das sollte unser aller Ziel sein.
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Wir müssen die Strukturen fortlaufend verbessern und effizienter gestalten. Wir müssen den Fachkräftebedarf absichern, und wir müssen eine sichere finanzielle Basis schaffen. Ich vermute, die meisten von Ihnen werden wenig überrascht sein, wenn ich jetzt sage, dass wir uns als SPD eine Bürgerversicherung vorstellen könnten.
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Corona zeigt uns aber auch ganz deutlich, dass wir im Bereich Prävention besser werden müssen. Zu den Risikogruppen zählen ältere Menschen und Menschen mit chronischen Krankheiten. Gesunde Lebensbedingungen und die Vorbeugung gegen die sogenannten Volkskrankheiten wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ungemein wichtig. Bei Gesundheitsförderung und Prävention besteht daher dringender Handlungsbedarf. Darüber werden wir mit unserem Koalitionspartner von der Union in der nächsten Zeit noch beraten. Herr Kollege Henke, es ist schön, dass Sie sich da so offen gezeigt haben, dieses Thema jetzt forciert anzugehen.
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Sorge bereiten darüber hinaus auch die vielen Menschen in unserem Land, die unter Übergewicht oder sogar Adipositas leiden. Die Hälfte aller Frauen und sogar zwei Drittel der Männer in diesem Land sind davon betroffen. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig, und 6 Prozent davon sogar adipös, also krankhaft fettleibig. Viele von ihnen haben ein hohes Risiko für eine Diabetes-mellitus-Typ-2-Erkrankung. Zum Teil sind sie bereits erkrankt, wissen es aber noch nicht.
Mir geht es an dieser Stelle vor allem um gesundheitliche Chancengleichheit. Kinder und Jugendliche aus armen und von Armut bedrohten Familien ernähren sich weit ungesünder und sind leider überproportional häufig übergewichtig. Ernährungsgewohnheiten werden in der Familie weitergegeben. Dies geschieht natürlich nicht aus Boshaftigkeit oder Leichtsinn, sondern oft schlicht aus fehlendem Wissen darüber, was gesund ist und was nicht gesund ist. Hier müssen wir endlich die richtigen Weichen stellen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen es den Verbraucherinnen und Verbrauchern leichter machen, sich gut zu informieren und sich dann auch gut und gesund – eben ausgewogen – ernähren zu können. Dafür brauchen wir den Nutri-Score als einfaches, leicht verständliches Nährwertkennzeichnungssystem auf der Vorderseite einer jeden Verpackung, einen Score, der in der ganzen Europäischen Union verpflichtend ist.
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Warum? Weil Studien und Befragungen klar gezeigt haben: Im Vergleich schneidet dieses Ampelsystem mit seiner fünfstufigen Farbskala mit den Buchstaben A bis E ganz eindeutig am besten ab, und es ist am leichtesten für alle zu verstehen. Deshalb fordern auch Ärzteschaft und Krankenkassen den verpflichtenden Nutri-Score. Dieser Aspekt ist mir als Gesundheits-, aber auch als Bildungspolitikerin besonders wichtig.
Sehr geehrte Frau Klöckner, stellvertretend Herr Staatssekretär Fuchtel, wir erwarten von Ihnen und der Bundesregierung, dass Sie sich während der deutschen Ratspräsidentschaft für den EU-weit verpflichtenden Nutri-Score einsetzen werden.
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Meine Damen und Herren, als SPD ist uns noch eine weitere Sache besonders wichtig: Der Fleischkonsum in Deutschland ist zu hoch. In einigen Teilen unserer Gesellschaft wird das schon sehr lebhaft diskutiert. Wir wollen nicht nur Vegetarierinnen und Vegetarier, Veganerinnen und Veganer erreichen, sondern alle Bevölkerungsgruppen, also auch Menschen wie mich, die sehr gerne mal ein Mettbrötchen essen. Wir müssen noch viel mehr darauf aufmerksam machen, welche Folgen ein zu hoher Fleischkonsum hat – für die Gesundheit, aber auch für unser Klima. Dabei geht es nicht um ein Bevormunden oder um Verbote, sondern um die Sensibilisierung der Menschen.
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Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat erst Ende August dieses Jahres sein Gutachten an die Ministerin übergeben. Darin wird unter anderem bemängelt, dass die Lobby der Lebensmittelwirtschaft einen viel zu großen Einfluss auf ihr Haus hat. Dieser verhindert, dass Verbraucherinnen und Verbraucher beim Thema „gesunde Ernährung“ unterstützt werden. Und noch schlimmer: Sie werden mit ihrer Verantwortung in vielen Bereichen alleine gelassen. Das muss anders werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Geben Sie an dieser Stelle bitte Ihre Blockadehaltung auf.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich komme zum Schluss –, Sie sehen, wir haben noch viele gemeinsame Herausforderungen vor uns. Wenn ich bei der nächsten Nachhaltigkeitswoche hier am Rednerpult stehe und eine Rede halte, möchte ich sagen können: Wir haben gemeinsam Fortschritte erzielt; es geht weiter voran. – Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen!
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für die AfD-Fraktion.
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Servus, seid gegrüßt und habe die Ehre! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste im Hohen Haus und zu Hause an den TV-Geräten! Wir reden über: nachhaltig leben und konsumieren. Die Kollegin hat über Ernährung gesprochen, und da ist zunächst die Landwirtschaft für die Nachhaltigkeit und auch für vernünftige Nahrungsmittel verantwortlich.
Aber der deutschen Landwirtschaft geht es schlecht, und das wissen wir nicht erst seit den Demonstrationen oder Bauernprotesten. Verantwortlich dafür ist die Bundesregierung, die die Landwirtschaft in immer kürzeren Abständen mit Auflagen oder Verboten belastet. Dadurch werden für die einheimische Landwirtschaft die Kosten erhöht und die Gewinne gesenkt.
Die deutsche Landwirtschaft muss nicht nur mit unserer Regierung zurechtkommen, sondern auch mit den Dumpingimporten aus europäischen Nachbarländern oder aus Übersee, wo Umweltschutz und Tierschutz keine Rolle spielen und die Landwirtschaft somit auch nicht nachhaltig ist. Das muss einmal angesprochen werden.
Sie, sehr geehrte Damen und Herren von den Altparteien, zwingen die deutsche Landwirtschaft dazu, dass sie ihre qualitativ hochwertigen Nahrungsmittel zu Billigstpreisen verkauft. Mittlerweile ist es schon so schlimm, dass die landwirtschaftlichen Produktionskosten zum Teil höher sind als die erzielten Erlöse. Es ist also kein Wunder, dass jedes Jahr Tausende landwirtschaftliche Familienbetriebe ihre Existenzgrundlage verlieren. Das hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.
Wir alle können wirklich froh sein, dass es überhaupt noch Landwirte in Deutschland gibt, die trotz aller Widrigkeiten weitermachen; denn Landwirtschaft ist nicht nur Beruf – Landwirtschaft ist eine Berufung. Landwirtschaft ist Liebe zur eigenen Scholle.
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Landwirtschaft ist gelebter Tierschutz. Landwirtschaft ist Umweltschutz, Gewässerschutz und nachhaltig. Landwirtschaft ist vor allem auch Heimat und Freiheit, meine Damen und Herren.
In der Lockdown-Krise haben wir alle erlebt, wie wichtig die regionale Landwirtschaft für die Versorgungssicherheit ist. Der eine oder andere hat vielleicht noch mitbekommen, dass wir auch in Deutschland schon mal Hunger leiden mussten. Allein deshalb lohnt es sich, die heimische Landwirtschaft zu erhalten, um kommende Generationen vor Hunger zu bewahren.
Wir fordern deshalb in unserem Antrag, hinderliche bürokratische Auflagen zu deregulieren, um die Verbreitung und Vermarktung von regionalen Nahrungsmitteln zu vereinfachen. Wir wollen die regionale Landwirtschaft stärken und fördern, um dadurch dafür zu sorgen, dass jeder Landwirt wieder von seiner eigenen Hände Arbeit leben kann und nicht von den Subventionen und somit von der Regierung abhängig ist.
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Mit Ihrer Zustimmung zu unserem Antrag helfen Sie uns dabei, einen ersten wichtigen Schritt zu machen.
Liebe Landwirte, ich möchte euch für die Geduld mit der katastrophalen Agrarpolitik dieser Regierung danken. Haltet durch! Mit uns habt ihr in Zukunft wieder eine Alternative; denn nur mit der AfD sind Umweltschutz, Tierschutz und Landwirtschaft möglich.
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Danke schön, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir die Menschen in unserem Land fragen, was sie sich für jetzt und die Zukunft wünschen, was sie sich für sich selbst wünschen, aber auch für ihre Familie, dann sagen uns ganz viele: an vorderster Stelle Gesundheit. Gesundheit ist elementar, und die Coronasituation der vergangenen Wochen und Monate hat uns einmal mehr eindringlich vor Augen geführt, dass Gesundheit ein Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft ist. Ein gut funktionierendes Gesundheitswesen und gut funktionierende Wirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille.
Meine Damen und Herren, wir können heute sagen: Wir haben in Deutschland ein starkes Gesundheitswesen, eines der besten der Welt, und die 5,6 Millionen Menschen, die in unserem Land im Gesundheitswesen tätig sind, leisten Woche für Woche und Tag für Tag eine großartige Arbeit.
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Was treibt uns in der Gesundheitspolitik um? Wir wollen Probleme lösen, das Gesundheitswesen voranbringen, Stück für Stück ein wenig besser machen, den Alltag der Menschen verbessern, und wir wollen den Menschen die Sicherheit geben, dass sie sich darauf verlassen können, dass auch in 10 und in 20 Jahren gilt: Wir haben in Deutschland eine gute, eine flächendeckende gesundheitliche und pflegerische Versorgung, und zwar unabhängig davon, wo in Deutschland jemand lebt, und unabhängig vom Geldbeutel.
Dafür, meine Damen und Herren, investieren wir heute eine ganze Menge. Wir investieren zum Beispiel jetzt ganz aktuell, obwohl wir eigentlich als Bund dafür gar nicht zuständig sind, 3 Milliarden Euro zusätzlich in unsere Krankenhäuser, um zu helfen, sie für die Zukunft fit zu machen. Wir investieren in Digitalisierung, in IT-Sicherheit, in moderne Strukturen.
Ich nenne ein anderes Beispiel. Wir investieren in den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Warum? Weil wir in dieser Coronazeit erleben, spüren und feststellen, wie wichtig der Öffentliche Gesundheitsdienst ist, die Gesundheitsämter vor Ort, die die Kontaktnachverfolgung betreiben, die Infektionsketten unterbrechen. Deswegen haben wir entschieden, langfristig den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken, ihn zu modernisieren. Wir investieren 4 Milliarden Euro, und zwar über den Tag und die Coronasituation hinaus. Meine Damen und Herren, das ist nachhaltige Politik.
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Wenn wir nach vorne blicken, dann ist auch klar: Wir stehen natürlich auch vor gewaltigen Herausforderungen. Ich nenne die demografische Entwicklung, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Pflege. Wir gehen dies an. Ich nenne die technologischen Entwicklungen, die aber zugleich eine riesige Chance sind. Wir treiben die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran, weil sie nicht irgendwie ein Selbstzweck wäre, sondern die Digitalisierung uns helfen kann, die medizinische Versorgung der Menschen zu verbessern. Und aus diesem Grund haben wir etwa einen Leistungsanspruch der Versicherten auf digitale Gesundheitsanwendungen eingeführt, und aus diesem Grund startet zu Beginn des kommenden Jahres die elektronische Patientenakte, ein Meilenstein für die kommenden Jahre.
Meine Damen und Herren, all diese Veränderungen gehen damit einher, dass es in Zukunft noch wichtiger werden wird, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu stärken. Deswegen – um ein konkretes Beispiel zu nennen – haben wir zum 1. September, vor wenigen Tagen, das nationale Gesundheitsportal gestartet. Die Menschen können sich unter gesund.bund.de einfach, verständlich, aber objektiv, wissenschaftlich fundiert und ohne Werbung über Fragen der Gesundheit informieren.
In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Prävention, die Gesundheitsförderung, enorm wichtig. Ein Indikator ist die Adipositasquote. Sie ist bei den Erwachsenen leider gestiegen – hier haben wir noch einiges zu tun –; aber bei den jüngeren Menschen, bei den Drei- bis Zehnjährigen, ist sie immerhin gesunken.
Ein Schwerpunkt ist und bleibt natürlich die Bekämpfung der Krebserkrankungen. Prävention, Früherkennung, die Versorgung der Patientinnen und Patienten bleibt nicht nur wichtig, sondern wir werden dies weiterentwickeln.
Meine Damen und Herren, wenn wir über Nachhaltigkeit und Gesundheit debattieren, dann will ich auch folgenden Punkt ansprechen. Es ist ja oft so, dass uns die Länder Hinweise geben, Appelle an uns richten, und das ist in Ordnung; vieles greifen wir auf und setzen es um. Aber ich möchte heute ganz bewusst im Zusammenhang dieser Debatte einen Appell aus Bundessicht an die Länder richten. Die Grundlage für eine gute Gesundheitsversorgung auch in 15 und in 20 Jahren zu legen, heißt auch, dass wir heute genügend Ärztinnen und Ärzte ausbilden.
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Und wenn wir fragen: „Wie ist die Situation heute?“, dann müssen wir leider feststellen: Es geschieht nicht in ausreichendem Maße. In Deutschland fehlen uns 5 000 Studienplätze. Und deswegen appelliere ich an die Länder im Sinne einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung: Handeln Sie heute für morgen! Schaffen Sie heute mehr Studienplätze für eine gute Gesundheitsversorgung auch in 15 und in 20 Jahren.
Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt. Mehr Nachhaltigkeit heißt auch mehr globales Engagement. Auch das hat uns Corona sehr deutlich vor Augen geführt. Deswegen engagiert sich Deutschland für eine nachhaltige Entwicklung der Gesundheitssysteme in der Welt, und deswegen engagiert sich Deutschland für die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Weltgesundheitsorganisation. Wir brauchen nicht weniger, sondern wir brauchen mehr internationale Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Hagen Reinhold für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte in dieser Woche der Nachhaltigkeit mit einer Anmerkung beginnen: Nachhaltigkeit kann nur gelingen, wenn wir alle mitnehmen, die komplette Gesellschaft. Da reicht keine Debatte im Bundestag und nicht die bestgemeinte Verordnung.
Und so, wie ich wenige Abgeordnete kenne, mir eigentlich gar keiner persönlich bekannt ist, der morgens aufsteht und sagt: „Heute mache ich aber ein besonders schlechtes Gesetz, das mit Sicherheit vor dem Verfassungsgericht scheitert“, kenne ich auch keinen Menschen, der morgens aufsteht und sagt: Aber heute zerstöre ich mal so richtig meine Heimat; heute zerstöre ich die Umwelt, die Natur, und versaue das Klima so sehr, dass meine Kinder darunter leiden. – So jemanden kenne ich nicht, ist mir nicht bekannt.
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Und deshalb stört es mich, wenn selbsternannte Messiasse losgehen und für sich die einzige Wahrheit gepachtet zu haben scheinen, Steine ins Wasser schmeißen, sich an Bäume ketten und glauben, mit diesen einzelnen Sachen tun sie Gutes. Denn sie tun nichts anderes, als den Leuten, die jeden Morgen aufstehen und die Umwelt und ihre Heimat genauso schützen, vorzuwerfen: „Nur wir tun was für das Klima, und andere tun das eben nicht.“
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Wenn ich mir die Anträge heute so anschaue, dann sehe ich viel Klein-Klein – das greift ja um sich –, und ich sehe viele, viele Trippelschritte. Ich glaube aber, mit Trippelschritten geht man keinesfalls voran, viel öfter eher hinterher. Auf gar keinen Fall kommt man am Ziel an. Bevor ich nämlich die Haltbarkeitsdauer eines Mixers vorschreibe – was ja schwieriger wird als bei der Milch; das kennen wir zumindest –, hätte ich mir gewünscht, viel größere und mächtigere Hebel anzusetzen.
Ich stehe in einem; Sie sitzen in einem drin: Das ist ein guter, ziemlich nachhaltiger, haltbarer Gegenstand, nämlich ein Haus, ein altes Haus. Das ist auch gut so; denn alt ist die Mehrheit der Häuser, die in Deutschland stehen. Nur 20,4 Prozent der Wohnungen in Deutschland sind nach 1990 gebaut, der Rest davor. Bei 41 Millionen Wohnungen werden auch 2050, an diesem so wichtigen Datum, noch 80 Prozent der Wohnungen Altbestand sein. Das ist auch gut und richtig so. Den kann man gut sanieren, zumindest den alten Altbestand. Da sind Putzfassaden dran, die sind super zu entsorgen, natürlich ressourcenschonend; mit Dämmung geht das nicht.
Jetzt schauen wir uns mal an: Wie nachhaltig ist denn das, was wir gerade machen? Ist es nachhaltig, dass wir die Dicke der Dämmung vorschreiben und sie immer dicker machen: eines Produkts aus Rohöl, das mit einem Treibstoff produziert wird, wobei CO2 ausgestoßen wird? Ist es nachhaltig, dass wir Boden auskoffern und durch vier Bundesländer schaffen, um dann neuen zurückzutransportieren? Ist es nachhaltig, dass wir jetzt auch flächendeckend gegen Radon abdichten, obwohl es nur sehr regional ein Problem ist? Ist es nachhaltig, dass Trafos bald wasserdicht sind, weil wir uns gegen Hochwasserereignisse schützen wollen, obwohl das gar nicht überall gebraucht wird? Ist es nachhaltig, dass Fundamente bewehrt sind wie noch nie, obwohl die 80 Prozent der Altbestände, die noch nicht bewehrt sind, immer noch stehen?
Ist es eigentlich nachhaltig, dass Rathäuser, die durch Krankheit, Gleitarbeitszeit oder Homeoffice zum Teil leer stehen, oder Gemeindehäuser, Veranstaltungszentren, die leer stehen, nicht besser genutzt werden, zum Beispiel durch Start-ups oder Bildungseinrichtungen? Was kann man in diesen leer stehenden Häusern und Gebäuden nicht alles machen? Ist das nachhaltig?
Was ist uns eigentlich wichtig? Ist uns Dämmung wichtig, Bewehrung, Bitumenabdichtung oder Heizanlagengröße? Nein! Ressourcen sind uns wichtig, Klima und Umwelt. Dann sollten wir aber auch dafür sorgen, dass die Ziele darauf ausgerichtet sind. Viel wichtiger wäre es, Primärenergie sauber, ökologisch und nachhaltig zu machen.
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Dann ist es nämlich völlig egal, wie viel ich im Haus verbrauche. Das passt irgendwie auch zu den 80 Prozent der alten Gebäude, die dann noch da sein werden. Das ist nachhaltig.
Mein Wunsch nach diesen zwei Tagen Debatte wäre, dass bei vielen die Erkenntnis gereift ist:
Erstens. Es klappt nicht mit „Vollgas – linke Spur“; das ist kein Konzept für die Zukunft.
Zweitens. Gesellschaft, Wirtschaft und Bildung sind im Wandel, mehr denn je. Forschung und Entwicklung sind der Schlüssel, Ressourcen zu schonen und effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten.
Und wer den Zauber der Zukunft dadurch zerstört, dass er die Zukunft totredet,
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dass er sie totreglementiert, der schafft es nicht – –
Kollege Reinhold, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sorry, jetzt war ich ein bisschen raus. – Es mag manchmal eine Kleinigkeit geben, die regional gelöst werden muss. Aber langfristige Lösungen sind global, zumindest europäisch; der Emissionshandel ist eine davon. Im Klein-Klein werden wir diese Welt nicht besser machen.
Schönen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Niema Movassat das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. So produzieren wir in Deutschland Lebensmittel, von denen Jahr für Jahr laut WWF 18 Millionen Tonnen im Müll landen. Davon werden alleine 2,5 Millionen Tonnen vom Groß- und Einzelhandel weggeworfen. So kann es nicht weitergehen, wenn wir nachhaltig und ressourcenschonend leben wollen.
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Denn ein Großteil dieser weggeworfenen Lebensmittel ist noch genießbar. Doch werfen die Supermärkte sie in die Tonne, weil sie nicht mehr eins a aussehen oder weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Dabei heißt es aus gutem Grund „Mindesthaltbarkeitsdatum“ und nicht „Tödlich ab-Datum“. Wir brauchen in Deutschland endlich ein Antiwegwerfgesetz wie in Frankreich.
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Aber, meine Damen und Herren, in Deutschland passiert genau das Gegenteil. Menschen, die weggeworfene Lebensmittel aus Supermarkttonnen retten – man nennt das „containern“ –, werden strafrechtlich verfolgt und können im Knast landen, und das ist vollkommener Irrsinn.
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Wenn überhaupt irgendwer bestraft gehört, dann derjenige, der genießbare Lebensmittel in die Mülltonne wirft.
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In diesem Haus wird oft beklagt, dass Polizei und Justiz überlastet seien. Gleichzeitig aber Delikte wie das Containern von Lebensmitteln, deren Unrechtsgehalt gegen null tendiert, verfolgen zulassen, ist schlicht absurd.
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Anstatt ständig mehr Polizei oder mehr Stellen in der Justiz – die übrigens im letzten Jahr in keinem einzigen Bundesland zu 100 Prozent besetzt werden konnten – zu fordern, hat der Bundestag mit dem Antrag der Linksfraktion die Chance, für Entlastung zu sorgen; denn wir beantragen heute, das Containern zu entkriminalisieren.
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Die Entkriminalisierung von Bagatellen ist übrigens auch die freiheitliche Alternative zur steten Forderung nach mehr Polizei und Justiz.
Unser Antrag heute hat auch einen sehr aktuellen Anlass. Das Bundesverfassungsgericht hat vor Kurzem eine Verfassungsbeschwerde zweier Aktivistinnen nicht zur Entscheidung angenommen. Die beiden wurden wegen Diebstahls verurteilt, weil sie weggeworfene Lebensmittel aus der Mülltonne eines Supermarktes gerettet hatten. Das Bundesverfassungsgericht wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass es unsere Sache als Gesetzgeber ist, darüber zu entscheiden, wie weit der strafrechtliche Eigentumsschutz reichen darf. Wir Linke sind davon überzeugt, dass sich dieser Schutz nicht auf weggeworfene, oft noch genießbare Lebensmittel erstrecken darf.
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Wir haben die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite. Laut einer Umfrage von forsa von Anfang September sind 86 Prozent der Bevölkerung in Deutschland dafür, das Containern zu entkriminalisieren. Meine Damen und Herren, Sie haben die Chance, sich diesem Willen der Mehrheit im Land anzuschließen. Beenden wir die Kriminalisierung nicht strafwürdigen Verhaltens, und leisten wir einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit! Containern ist kein Verbrechen.
Danke schön.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Tabea Rößner das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was unterscheidet die Bundesregierung von Verbrauchern? Der Wunsch nach Nachhaltigkeit! Und ausgerechnet da ist die Bundesregierung komplett blank. Übrigens genauso blank wie der Sitz hier der für Verbraucherschutz zuständigen Ministerin. Das ist mir bei einem TOP mit dem Titel „Nachhaltig leben und konsumieren“ nicht erklärlich.
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Seit über vier Jahren gibt es das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum, aber ohne ein einziges konkretes Ziel. Kein Wunder, dass politisch nichts passiert – für eine nachhaltige Produktionsweise oder langlebige Produkte. Sie lassen die Verbraucher allein, und das ist verantwortungslos gegenüber Umwelt und zukünftigen Generationen.
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Beispiel Elektroschrott. Wer kennt nicht die Schublade mit ungenutzten Kleingeräten oder den Drucker, der nach Ablauf der Garantie kaputtgeht und bei dem die Reparatur teurer ist als ein neuer. Fakt ist: Der Berg an Elektroschrott wächst unaufhörlich, allein in Deutschland um rund 20 Kilogramm pro Kopf jährlich. Viele Altgeräte werden übrigens illegal entsorgt oder ins Ausland gekarrt. Dabei ginge es ganz einfach, Elektroschrott zu vermeiden: Geräte langlebig und reparierbar machen und Anreize für Recycling setzen. Dafür braucht es klare gesetzliche Regelungen. Diese Standards müssten Sie setzen.
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Es ist ein Skandal, wenn Elektrogeräte schon nach kurzer Zeit unbrauchbar sind, weil es keine Ersatzteile oder keine Updates gibt. Daher brauchen wir dringend ein Recht auf Reparatur.
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Elektrogeräte müssen so gebaut sein, dass anfällige Komponenten wie Akkus nicht fest verbaut sind und es Ersatzteile und Reparaturanleitungen gibt.
Seit April sammle ich Laptops für Schülerinnen und Schüler, damit sie am digitalen Unterricht teilnehmen können. Über 200 Geräte kamen schon zusammen – zu gut, um sie einfach wegzuwerfen. Viele funktionierten aber nicht, weil Updates fehlten. Mit Open-Source-Software sind die jetzt wieder nutzbar; das finde ich eine gute Aktion.
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Dank der EU wird es demnächst eine Pflicht für Sicherheitsupdates geben. Dann müssen Verbraucher aber auch erkennen können, wie lange Updates und Ersatzteile bereitgestellt werden. Auch das Gewährleistungsrecht muss dringend verbessert werden. Schöpfen Sie den Rahmen aus, und verlängern Sie die Gewährleistungsfristen für langlebige Geräte wie zum Beispiel Waschmaschinen oder Kühlschränke. Verlängern Sie auch die Beweislastumkehr um zwei Jahre.
Und wenn dann auch das langlebigste Gerät irgendwann ausgedient hat, gehören die wertvollen Rohstoffe nicht in die Tonne, sondern ins Recycling. Dafür braucht es aber wirksame Anreize. Deshalb fordern wir ein Handypfand in Höhe von 25 Euro und eine Rücknahmepflicht für alle Händler, auch Onlinehändler. Die Rückgabe eines Altgerätes muss genauso einfach sein wie der Kauf eines neuen Gerätes. Also, gehen Sie es endlich an!
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Kollegin Rößner, auch Sie müssen einen Punkt setzen.
Ich komme zum Schluss. – Gehen wir es an, damit diese Nachhaltigkeitsdebatte nicht heiße Luft bleibt.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Alois Gerig für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Danke für die Nachhaltigkeitswoche. Danke auch an unsere Gesundheitspolitiker, dass sie mir hier einen Teil ihrer Redezeit geben.
Ich habe auch gleich eine Anmerkung zur Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen. Thomas Gebhart hat die Ärzte angesprochen. Mir ist es wichtig, dass wir die kleinen Kliniken im ländlichen Raum weiterhin erhalten. Auch das ist Nachhaltigkeit. Das heißt kurze Wege für die Patienten. Das bedeutet für viele aber auch einen Faktor, in diesen ländlichen Räumen zu bleiben.
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Heute Vormittag wurden die Waldtage eröffnet. Für mich ist der Wald das Sinnbild für die Nachhaltigkeit schlechthin. Der deutsche Wald steht aus ökologischer Sicht aber nur dann, wenn er bewirtschaftet wird und nicht stillgelegt wird, wie das viele hier fordern, für Nachhaltigkeit. Das ist wichtig. Ich bin dankbar dafür und stolz darauf, dass wir in den vergangenen zwei Jahren insgesamt 1,5 Milliarden Euro als Ad-hoc-Hilfsmaßnahme für den stark geschädigten Wald zur Verfügung gestellt haben. Ich sage auch: Um die Ökosystemleistung unseres Waldes für die Zukunft zu honorieren, müssen wir neue Debatten führen.
Ich möchte hier den Blick auf die Nachhaltigkeit in Bezug auf gesunde Ernährung, auf Lebensmittelsicherheit, auf die Verfügbarkeit, auf die Verschwendung und die Lebensmittelproduktion lenken. Fakt ist, meine Damen und Herren: Unsere Bauern produzieren die besten Lebensmittel weltweit.
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Große Sorge bereitet mir der immense Strukturwandel, das Höfesterben. Weil Lebensmittel und deren Erzeuger nicht die notwendige ideelle und materielle Wertschätzung erfahren, sind junge Menschen immer seltener bereit, den Hof der Eltern zu übernehmen. Das schadet der Kulturlandschaft, und wir verlieren permanent Marktanteile im Segment Lebensmittel aus deutschen Landen. Das bereitet nicht nur unseren Agrarpolitikern große Sorgen. Dem Verbraucher kann man es im Grunde gar nicht verübeln, wenn er zum kulinarischen Geizhals geworden ist und nur noch 10 Prozent seiner Konsumausgaben für Lebensmittel ausgibt. Dass daher vieles weggeworfen wird, wurde gesagt. Er wird von den vier Großen im Lebensmittelhandel permanent mit Ramschpreisen in die Märkte gelockt. Das ist nicht nur unmoralisch; es wird gar pervers, wenn solche Konzerne nicht nur an jeder Ecke zum Leidwesen kleiner Händler einen Supermarkt bauen, sondern auch, wie kürzlich geschehen, mit dem Geld, das den Bauern abgezwackt wurde, viele Tausend Hektar Ackerland gekauft werden.
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Das darf so nicht passieren. So werden sie zum Totengräber für die heimische Landwirtschaft. Das muss sich ändern.
Zum Glück wird hier politisch im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten an vielen Stellschrauben gedreht. Als verantwortungsvolle Politiker müssen wir den Bauern helfen, aus der Defensive herauszukommen. Bauern-Bashing muss bekämpft werden, aber schöne Reden allein tun es auch nicht. Es braucht vor allen Dingen ein besseres Marketing für deutsche Lebensmittel und die Bauern und nicht ständig Worte gegen sie.
Das Premiumprodukt „Lebensmittel made in Germany“ – das gibt es tatsächlich – weist schon eine hohe Rate der Umstellung auf Ökolandbau auf. Für mich ist ganz wichtig, zu sagen: Auch im konventionellen Ackerbau werden die Lebensmittel dank der Digitalisierung modernster Landtechnik und Forschung und Entwicklung immer besser.
Das heißt, wenn man Nachhaltigkeit in der Ernährung ernst nimmt, braucht es Wertschätzung, und es braucht kurze Transportwege vom Erzeuger zum Verbraucher. Beispiel: Unsere Winzer stellen Topweine her. Warum müssen wir dann 60 Prozent ausländische Weine importieren? Oder warum brauchen wir, wenn es bei uns die guten Qualitäten gibt, Rindfleisch aus Argentinien? Ich kann es nicht verstehen.
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Kollege Gerig, Sie können natürlich weitersprechen, Sie tun es dann aber auf Kosten Ihres Kollegen.
Ich habe noch den letzten Satz: Nachhaltige, richtige, gesunde Ernährung beginnt mit dem Einkauf.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Michael Kießling für CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner hat man das Glück und oft auch das Leid, alle Debatten verfolgen zu dürfen. Das macht mir Angst. Angst macht es mir deshalb, weil zwei Parteien in diesem Plenum mit Angst Politik machen: zum einen die AfD, die Menschen gegeneinander ausspielt; zum anderen hört man bei den Ausführungen der Grünen,
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dass sie vom Klimanotstand und von Klimakatastrophen reden, meine Damen und Herren.
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Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, dann müssen wir die Gesamtheit betrachten. Es geht uns darum, unserer Nachwelt ein intaktes Ökosystem, ein stabiles Wirtschaftssystem und natürlich auch eine faire Gesellschaft zu übergeben. Da ich im Bauausschuss und im Umweltausschuss bin, möchte ich den Fokus auf das Thema Bau richten. Wo kann der Bund Vorbild sein? Ich bin ganz froh, dass wir dazu einen Antrag zusammen mit den Kollegen von der SPD eingebracht haben. Dahinter steht die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Ich meine den Antrag zum Bauen von morgen.
Um was geht es darin? Es geht darum, dass der Bund erstens eine Vorbildfunktion einnimmt, zweitens die Nachhaltigkeit fördert und drittens die Forschung intensiviert. Wie wollen wir das erreichen? Unter Verwendung von ressourceneffizienten Baumaterialen im gesamten Produktlebenszyklus. Wir sehen, dass das, was die FDP fordert, hier im Antrag steht: dass wir das ganzheitlich betrachten. Es macht auch die Partei der Mitte aus, dass wir nicht nur Ideologien verfolgen, sondern das Gesamte betrachten.
Dazu kommt, dass wir natürlich klimaneutrale Gebäudestandards setzen wollen, die Funktionalität und auch eine entsprechende Architekturqualität gewähren. Die Bauforschung soll unterstützt werden. Auch soll im Wohnungsbau der demografische Wandel berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, es gibt einen Punkt, der auch wichtig ist und von dem wir schon oft gehört haben: das Thema Digitalisierung. Liebe FDP, Sie haben einen Antrag eingebracht, den wir allerdings schon im März diskutiert haben. Das ist für mich ein bisschen wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Der erste Gedanke, der bei mir beim Durchlesen dieses Antrags gekommen ist: Wer diesen Antrag schreibt, der dreht wahrscheinlich auch das Quadrat bei Tetris. – Meine Damen und Herren, wenn wir digitalisieren wollen, dann brauchen wir Digitalisierung von der Planung über die Nutzung bis hin zur Wiederverwertung. Das machen wir mit unserem Antrag, den wir auch schon gestellt haben, bindend. Wenn Sie den durchgelesen hätten, hätten Sie sich viel Arbeit sparen können, liebe FDP.
Zum FDP-Antrag. Sie fordern auch noch Smart-Citys-Pilotprojekte. Wir sind mittlerweile in der zweiten Staffel. Wir sind froh, dass wir mehr Geld zur Verfügung stellen konnten und dass wir dieses Jahr 32 Projekte, die zur Ausführung kommen, sozusagen ausgerufen haben. Es ist natürlich schon so, dass die Kommunen teilweise auf dem Weg der Digitalisierung sind. Das gilt es zu unterstützen. Ich bin froh, dass wir dort das Thema Smart Citys haben, weil unterschiedliche Kommunen unterschiedliche Bedarfe haben. Sie handeln teilweise interkommunal, teilweise sind es kleine Kommunen, teilweise große Städte. Da setzen wir das richtige Signal für die Transformation. Das bedeutet auch Nachhaltigkeit: die Kommunen zu unterstützen, sodass sie ihren Tätigkeiten in Zukunft gerecht werden können.
Aber zurück zum Antrag. Der Bund gibt dort ein klares Signal als starker Bauherr, der die Nachhaltigkeit entsprechend unterstützen will. Konsequent wollen wir Bundesbauten klimaschonend bauen und bewirtschaften, Ressourcen schonen und Klimaziele erreichen, um als Bund bundesweit als Taktgeber tätig zu sein – und das über die Legislaturperiode hinaus, weil jeder weiß: Ein Bauprojekt dauert länger, es steht länger. – So wollen wir mit unserem Antrag erreichen, dass der Bund ein Signalgeber wird für die Gestaltung der Zukunft und beispielgebend wird für Bauherrn – ob private, öffentliche oder gewerbliche –, sich über Nachhaltigkeit, über den Einsatz von Baumaterialien, über die Digitalisierung Gedanken zu machen und darüber, wie ich Gebäude sinnvoll nutze und Ressourcen schonend einsetze. Da wollen wir tätig werden.
Deshalb bin ich froh, dass wir gemeinsam mit der SPD diesen Antrag einbringen, und bitte Sie im Sinne der Nachhaltigkeit, diesen auch zu unterstützen. Denn nachhaltiges Bauen ist und bleibt eine Daueraufgabe.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Michael Kießling. – Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten uns natürlich zu Wort gemeldet, weil wir den Eindruck hatten, die AfD wolle zu diesem Thema reden. Dann ist es, glaube ich, guter Brauch, wenn man Rede und Gegenrede hat. Jetzt habe ich aber die Möglichkeit, für alle Fraktionen, so verstehe ich Sie jetzt, liebe Kollegin von der AfD,
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darzulegen, warum wir die Regelung zu § 126a in der Geschäftsordnung verlängern. Was machen wir nämlich?
Wir verlängern die Regelung, dass der Deutsche Bundestag beschlussfähig ist, wenn mindestens ein Viertel der Kolleginnen und Kollegen im Bundestag sind. Das trägt dazu bei, dass wir die Abstandsregeln hier im Hause einhalten können, dass es uns möglich ist, an den Sitzungen teilzunehmen, aber zugleich auch die nötigen Voraussetzungen, was die Hygienemaßnahmen betrifft, einzuhalten.
Das Gleiche gilt für die Ausschusssitzungen. Auch da haben wir die Regelung, dass Ausschüsse beschlussfähig sind, wenn mindestens ein Viertel der Ausschussmitglieder anwesend sind oder digital zugeschaltet sind. Das ist, glaube ich, auch eine gute Regelung; diese verlängern wir jetzt bis Ende des Jahres. Und wir ermöglichen es auch den Ausschussvorsitzenden, im Umlaufverfahren Beschlüsse zu fassen, wenn das notwendig ist, wenn der Ausschuss dies so möchte.
Letzten Endes ermöglichen wir auch digitale Anhörungen, nämlich als Stream. Ich glaube, auch das ist eine gute Regelung, in der heutigen Zeit unter den Gegebenheiten diese Voraussetzungen zu haben, um deutlich zu machen: Wir tun all das, damit wir arbeitsfähig sind.
Warum verlängern wir diese Regelungen? Weil wir noch nicht über den Berg sind mit Corona. Ich glaube, in den letzten Wochen ist ganz deutlich geworden, dass es immer wieder Fälle gibt, dass es vor Ort immer wieder intensive Ausbrüche gibt. Da muss man nicht erst an Garmisch-Partenkirchen denken – da hätte noch viel mehr passieren können, wie es jetzt scheint. Wir wollen vermeiden, dass so etwas hier im Deutschen Bundestag passiert. Wir wollen, dass wir arbeitsfähig bleiben. Stellen Sie sich vor, wir würden einen sehr intensiven Ausbruch mit vielen Fällen auch hier im Deutschen Bundestag haben. Das würde gegebenenfalls unsere Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass wir arbeitsfähig bleiben, und das sollen diese Regelungen uns ermöglichen.
Wir tragen eine Verantwortung für uns alle, aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier im Hause. Und: Alle anderen Behörden, Einrichtungen, Unternehmen in unserem Land machen das auch. Wir sind kein Einzelfall, wir sollten uns da also nicht aus der Verantwortung nehmen. Wir haben eine Vorbildfunktion gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern. Deswegen halten wir auch die nächsten Monate, bis Ende des Jahres, die entsprechenden Hygienemaßnahmen ein.
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Wir sehen es ja auch heute: Die parlamentarische Arbeit funktioniert, wir haben Plenarsitzungen, wir haben strittige Debatten, wir haben hitzige Debatten. Die Ausschusssitzungen funktionieren, die vorbereitenden Sitzungen in Arbeitsgruppen, in Fraktionen und, und, und. Das funktioniert; wir sind ein arbeitsfähiges Parlament. Trotzdem berücksichtigen wir die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen.
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Eigentlich leugnen nur Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der AfD, das Thema leider ein wenig. Ich sage „ein wenig“, weil ich gleich auch etwas Versöhnliches sage. Aber diejenigen, die es ignorieren, handeln unkollegial, nicht nur unkollegial gegenüber uns Abgeordneten, sondern auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Mehr als 7 000 Menschen arbeiten hier.
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Ich weiß auch, dass einige von Ihnen sehr vorbildlich Masken tragen. Geben Sie sich doch einen Ruck und machen es alle, auch damit die Institution Deutscher Bundestag arbeitsfähig bleibt! Dass wir funktionieren, das muss in unser aller Interesse sein – ich hoffe, auch in Ihrem Interesse. Alles andere wäre ja wirklich böse. Also: Geben Sie sich einen Ruck!
Danke schön.
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Vielen Dank, Kollege Dr. Sensburg. – Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Stunde heute beantragt, weil der Ernstfall eingetreten ist: Die Afrikanische Schweinepest ist in Deutschland angekommen.
Heute Morgen war ich in Südbrandenburg, da, wo das erste infizierte Wildschwein gefunden wurde. Ich habe mir die Vorkehrungen gegen die Schweinepest vor Ort angesehen, mit Jägern und mit Landwirten gesprochen. Es war traurig und erschütternd: dilettantisch aufgestellte Zäune, hüfthoch, ohne Strom. Schon im Dezember 2019 wurden Zäune an der polnischen Grenze aufgestellt, aber keiner funktionierte: lose Drähte, eingewachsene Zäune, geklaute Akkus usw. Hinzu kommt: nirgends Desinfektionswannen, nirgends effektive Warnschilder. Hunderte Hektar Mais stehen noch, für Wildschweine ein Schlaraffenland. Die örtlichen Jäger sagten mir, dass gestern 45 Personen nach Kadavern gesucht haben. Das sind 90 Stiefel, die alle ohne Desinfektion wieder nach Hause gelangt sind – also absolut fahrlässig.
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Dazu kommen – das habe ich heute Morgen gesehen – ungefähr 30 bis 40 Wanderer und Radfahrer, die sich im Sperrbezirk aufgehalten haben. Das ASP-Warnsystem, meine Damen und Herren der Bundesregierung, funktioniert also absolut nicht.
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Natürlich wird sich die Bundesregierung mit Verweis auf die Zuständigkeiten herausreden. Das lassen wir Ihnen aber nicht durchgehen, Frau Klöckner.
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Hier geht es um ein nationales Interesse. Erklären Sie die Afrikanische Schweinepest zur Chefsache.
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Sorgen Sie dafür, dass bei der Bekämpfung der ASP Deutschland eine Vorbildfunktion einnimmt. Mein Eindruck heute Morgen war: Wir sind von einer Vorbildfunktion weit entfernt. Fragen Sie die Unterstützung des THW oder der Bundeswehr bei Ihren Amtskollegen an. Handeln Sie endlich, statt wegzuschauen!
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Alleine in Schenkendöbern stehen noch über 1 000 Hektar ungeernteter Mais. Jeder einzelne Acker über 100 Hektar bietet optimale Lebensbedingungen für Wildschweine. Die Ernteverbote sind nicht praxistauglich, Frau Klöckner. Bei Maisflächen, die bis zum Horizont reichen, reicht es nicht aus, nur Jagdschneisen anzulegen. Die Felder müssen in Abschnitten beerntet werden, eingezäunt werden, und dann müssen die Wildschweine dort bejagt werden. Die Theorie darf hier nicht vor der Praxis kommen.
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Deswegen ist es richtig, wenn sich jetzt alle Beteiligten voll und ganz um die Schwarzwildjagd kümmern. Deren Einsatz muss allerdings auch mit einem Anreiz verbunden werden. Prüfen Sie zum Beispiel die Möglichkeiten der Arbeitnehmerfreistellung und der Erstattung des Verdienstausfalls. Klare Anreize sind wichtig für klares Vorgehen.
In der gestrigen Sitzung unseres Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft blamierte sich das BMEL bereits mit Unwissen. Im Januar 2020 haben Sie sich mit dem polnischen Agrarminister getroffen und über die ASP gesprochen. Ein Maßnahmenkatalog und die Zusammenarbeit mit der polnischen Seite sollten her. Daran konnte sich gestern kein Regierungsvertreter im Ausschuss erinnern. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Gehen Sie in die Schweinepestregion, sprechen Sie dort mit den Menschen, und sagen Sie ihnen, was Sie uns heute Morgen gesagt haben; das wird erwartet.
Mit Ansage kommt ein weiteres Problem auf Sie zu. Die Testkapazitäten der Tierärzte müssen nun langfristig für die Bekämpfung der ASP reserviert werden. Corona und ASP dürfen hier nicht in Wettbewerb geraten.
Die Existenz vieler Tierhalter ist nun echt bedroht. Die anstehenden Tierwohlauflagen tun ihr Übriges. Wettbewerbsmäßige Tierhaltung sieht anders aus. Zum Schluss nicht zu vergessen: die gesamte Wertschöpfungskette, die durch diese Katastrophe in Mitleidenschaft gezogen wird.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Julia Klöckner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Backhaus! Herr Busen, ich muss sagen: Deutschland kann froh sein, dass Sie angesichts der kruden Vorstellungen, die Sie hier haben, nicht für das Krisenmanagement zuständig sind.
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Sie haben so viel durcheinandergeworfen. Das Einzige, was hängen bleibt, ist: Maisfelder abernten und einzäunen. Ich trage gerne dazu bei, dass Sie nun etwas Klarheit gewinnen.
Die Afrikanische Schweinepest hat jetzt Deutschland erreicht. Deshalb danke ich der FDP für die Möglichkeit, hier über die aktuellen Entwicklungen zu informieren, genauso wie ich das seit Tagen auf vielen Ebenen mache. Wenn Sie mit den Verbänden gesprochen hätten, dann wäre Ihnen das auch widergespiegelt worden. Wir sind im intensiven Gespräch mit den Bundesländern, der Europäischen Kommission, den internationalen Behörden, den relevanten Verbänden und mit unseren Handelspartnern.
Wie ist die Situation? Wenige Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt wurden in dieser und der vergangenen Woche mit ASP infizierte Wildschweinkadaver entdeckt. Insgesamt liegen sieben vom Friedrich-Loeffler-Institut, von unserem nationalen Referenzlabor, bestätigte Fälle mit Afrikanischer Schweinepest vor. Wir müssen auf Basis dieser Zahlen unsere Maßnahmen planen und diese kommunizieren. Wir dürfen das nicht auf Basis medialer Alarmmeldungen tun.
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Die Afrikanische Schweinepest ist eine Krankheit, die für den Menschen völlig ungefährlich ist. Es wäre gut gewesen, das hier zu erwähnen. Auch vom Verzehr von gegebenenfalls ASP-virushaltigem Fleisch geht keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen aus. Wir wissen aber um die Gefahr einer sich ausbreitenden ASP für die gesamte deutsche Schweinehaltung, weil diese Krankheit für Schweine fast immer tödlich ist. Deshalb ist eines ganz wichtig: dass wir schnell, dass wir angemessen reagieren. Genau das tun wir.
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Ich warne aber gleichzeitig vor Panik und Aktionismus und mahne zur Besonnenheit. Dazu gehört, dass wir schnell und umfassend informieren, auf der Basis amtlicher Befunde unseres Referenzlabors. Nach Bekanntwerden des ersten Fundes haben wir schnell reagiert. Der Krisenstab im BMEL hat unmittelbar seine Arbeit aufgenommen. Wir haben zwei Ziele: Erstens müssen wir verhindern, dass sich die Schweinepest weiter ausbreitet, dass sie den Weg in die Ställe findet. Ich will betonen: Deutschland ist bei Hausschweinen ASP-frei.
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Zweitens müssen wir beobachten, wie sich die Märkte weiterentwickeln, und Vorsorge treffen, falls es zu nachhaltigen Marktverwerfungen kommen sollte.
Auch der Zentrale Krisenstab Tierseuchenbekämpfung von Bund und Ländern wurde unmittelbar von mir einberufen. Die Bund-Länder-Taskforce Tierseuchenbekämpfung ist längst aktiv. Mein Ministerium ist im ständigen Austausch mit den Brandenburger Behörden und der Europäischen Kommission.
Unmittelbar um die Fundorte wird ein sogenanntes Kerngebiet mit elektrischen Wildschutzzäunen gesichert. Außerdem wurde mit einem Radius von etwa 24 Kilometern um den Fundort ein sogenanntes Gefährdetes Gebiet mit Schildern und Hinweistafeln markiert. Als Sofortmaßnahme wurden 20 Gemeinden in drei Landkreisen als Restriktionsgebiet festgelegt, alle im Bundesland Brandenburg. Das betone ich deshalb, weil alle anderen Bundesländer bisher nach unserer Kenntnis ASP-frei sind. Innerhalb der Restriktionsgebiete gelten strikte Verbringungseinschränkungen.
Vor Ort wurde die Suche nach weiteren möglichen infizierten Tieren gestartet. Es ist davon auszugehen gewesen, dass weitere Kadaver gefunden werden. Das ist klar, weil sich Wildschweine in Rotten aufhalten. So wurden auch die weiteren verendeten Tiere entdeckt. Ziel ist es weiterhin, das infizierte Gebiet schnellstmöglich abzugrenzen, damit sich das Virus nicht noch weiter ausbreitet.
Wir sind gut vorbereitet, mit vielen präventiven Maßnahmen. Wir haben sehr frühzeitig vorgesorgt, um im Krisenfall schnell reagieren zu können und nicht nur schnelle Schlagzeilen machen zu können, was ich der Opposition aber nicht übelnehme.
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Mehrfach wurde der Ernstfall mit den Nachbarländern sowie den Bundesländern geprobt. Wir waren auch bemüht, mit der polnischen Regierung einen Zaun zu bauen. – Sie sind ja nicht in der Regierung. Deshalb kann ich ja verstehen, dass vielleicht ein bisschen Praxiserfahrung fehlt. Aber Deutschland kann nicht alleine einen Zaun auf polnischer Seite bauen, wenn Polen seine Zusage zurückzieht. Ich glaube kaum, dass die FDP empfehlen wird, gegen den Willen eines Mitgliedstaates dort einen Zaun zu bauen.
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Wobei auch ein Zaun niemals vollständige Sicherheit bedeutet; denn die ASP kommt nicht nur auf vier Beinen, sondern auch auf vier Rädern.
Auch die rechtlichen Instrumente, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen vor, um die ASP zu bekämpfen. Auf Initiative meines Hauses wurden bereits 2018 das Tiergesundheits- und das Bundesjagdgesetz sowie die Schweinepest-Verordnung geändert, damit die zuständigen Behörden im Ausbruchsfall noch zielgerichteter handeln können. Das hat etwas mit Einschränkungen des Personen- und Fahrzeugverkehrs zu tun, Absperrungen bestimmter Gebiete, Beschränkungen oder Verboten der Jagd und der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen. Es geht um Jagdschneisen und vieles andere.
Wir informieren schon seit längerer Zeit sehr zielgerichtet über die Bedrohungslage der ASP. Wir können froh sein, dass wir bisher so lange verschont geblieben sind, bis die ASP bei uns ausgebrochen ist. Wir informieren vor allem an den Orten, die Gefahrenquellen sein können. Wir haben Reisende gewarnt in verschiedenen Sprachen, weil wir wissen, dass die ASP auch über mitgebrachte Wurst sowie durch Jäger, Landwirte oder Fernfahrer übertragen werden kann. Aber mehr muss ich, glaube ich, dazu auch nicht sagen, da wir im Ausschuss schon sehr häufig darüber informiert haben.
Auch wenn die Seuche nur bei Wildschweinen aufgetreten ist: Die Auswirkung auf die Märkte ist bereits sehr deutlich. Gerade die Sauenhalter stehen vor erheblichen Absatzproblemen. Wir sehen bereits seit dem ersten Fund direkte Reaktionen am Handelsmarkt. Der Schweinepreis ist in der vergangenen Woche um 20 Cent gefallen. Wir hoffen, dass er sich jetzt etwas stabilisiert. Die Entwicklung werden wir nicht nur intensiv beobachten, sondern wir überlegen auch, welche Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt zu ergreifen sind. Wir haben zumindest die Situation, dass innerhalb der Europäischen Union der Handel von Schweinefleisch weiter möglich ist, nur durch den Einsatz von Deutschland. Wir haben massiv vorangetrieben, dass das Regionalisierungsprinzip und ‑konzept greift.
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70 Prozent unsere Exportumsätze erzielen wir im europäischen Binnenmarkt. Deshalb ist das Regionalisierungskonzept wichtig und auch richtig. Das heißt, dass es keine Handelseinschränkungen gibt für Betriebe außerhalb des Sanktionsgebietes in Brandenburg.
Aber wir haben auch die Situation, dass der Export in Drittstaaten wegfällt. Hier erzielen wir etwa 30 Prozent unserer Exportumsätze, unter anderem in China, Südkorea oder Japan. Ein Importstopp asiatischer Länder war nicht überraschend. Natürlich haben wir in den vergangenen Jahren sehr intensiv verhandelt, um auch hier Regionalisierungsvereinbarungen abzuschließen. Wir haben sie vorbereitet, sowohl bilateral als auch auf europäischer Ebene. Wir haben Regionalisierungslösungen in China vorgelegt. Ich habe persönlich bei Gesprächen mit den zuständigen Ministern in China diskutiert. Wir haben klar gezeigt, dass die Trennung von infizierten Haus- und Wildschweinen eine Beurteilungsgrundlage von Importverboten sein könnte.
Man muss klar sagen: Bei allen Ländern, die das verhandeln wollten, wurde das abgelehnt. Das ist bisher weder der Europäischen Kommission noch irgendeinem Mitgliedstaat gelungen. Wir bleiben da dran – auch im engen Austausch mit dem Bundeskanzleramt und im intensiven Austausch mit der Kommission.
Wir schauen uns die Marktentwicklung an und prüfen, welche Möglichkeiten für Marktstützungsmaßnahmen es gibt. Sie kennen zum Beispiel die Beihilfen zur privaten Lagerhaltung – hier kommt es auf den Zeitpunkt an – und Liquiditätsprogramme. Wir müssen auf die jeweilige Situation eine passende Antwort haben.
Eines ist für uns klar: Wir werden unsere Bäuerinnen und Bauern unterstützen und lassen sie in dieser besonderen Situation nicht allein. Wir brauchen Besonnenheit, aber wir brauchen eines nicht, nämlich dass diese Situation jetzt genutzt wird, um über das System der Nutztierhaltung an sich zu sprechen oder um populistische Schlagzeilen zu produzieren.
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Wir müssen hiermit verantwortlich umgehen und wollen die wirtschaftlichen Konsequenzen so gering wie möglich halten. Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, und ich sage auch: Ich lasse meine Kolleginnen und Kollegen in den Ländern nicht beschimpfen von einer Oppositionspartei, die noch nicht mal richtig informiert ist.
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Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Wilhelm von Gottberg.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun hat die Afrikanische Schweinepest Deutschland erreicht. Dass dieses schädigende Ereignis erst in der vorigen Woche eintrat, ist sicherlich auch den intensiven Präventionsmaßnahmen des Klöckner-Ministeriums zu verdanken; denn die Seuche grassierte seit Langem östlich von Oder und Neiße. Es war eine Frage der Zeit, doch nun ist der Ernstfall da. Wir alle – die Politik, die Verwaltung, die Schweinehalter – mussten damit rechnen. Wir wird es weitergehen? Sind wir auf den Ernstfall gut vorbereitet? Eher nein!
Zunächst greifen die allgemeinen Verordnungen zum Schutze vor der Verbreitung von Seuchen. In der speziellen Ausformung der amtlichen Verfügungen für die Eindämmung der ASP-Seuche werden Landwirte und Schweinehalter, die Jagdausübungsberechtigten und auch viele Menschen im Sperrgebiet zusätzlich belastet. Diese Belastungen müssen die Betroffenen zusätzlich tragen, weil sie ja auch schon, wie alle anderen auch, die Coronabelastungen ertragen müssen. Frau Ministerin Klöckner, für diese Menschen haben Sie nun eine besondere Obhutspflicht; Sie haben es ja angekündigt.
Die Verfügungen zur Eindämmung der ASP sind sinnvoll und finden unsere Zustimmung. Sie sind hart. Ich kann sie aus Zeitgründen nicht einzeln aufführen. Nur so viel: Ernteverbot im gesamten Sperrgebiet! Wird die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern die Ernteausfälle ersetzen, wenn die Ernte wegen Zeitablaufs nicht eingebracht werden kann? Das Verbringen von Hausschweinen aus dem Sperrgebiet in andere Betriebe ist untersagt. Was soll mit den Schweinen geschehen, die schlachtreif sind? Was soll mit den Ferkeln aus dem Sperrgebiet geschehen, die an Mastbetriebe weitergegeben werden können?
Wir fragen: Wird die Bundesregierung nunmehr sehr zeitnah dafür sorgen, dass ein fester durchgehender Zaun entlang der Grenze zu Polen installiert wird? Wir fragen: Warum ist das Regionalisierungsprinzip mit den Exportländern für deutsches Schweinefleisch nicht umfassend geregelt? Der Export von Schweinefleisch aus Bayern oder Nordrhein-Westfalen muss möglich sein, auch wenn in Brandenburg die Seuche bei Wildschweinen angekommen ist.
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Wir fragen: Warum wurde nicht prophylaktisch die Möglichkeit geschaffen, durch private Lagerhaltung den Markt zu entlasten und den Schweinepreis zu stützen? Unter bestimmten Marktkonstellationen ist die EU-Kommission ermächtigt, zur Entlastung des Schweinefleischmarktes entsprechende Maßnahmen zu beschließen. Aktuell findet keine derartige Maßnahme statt.
Die Hausschweinbestände sind glücklicherweise bisher nicht betroffen. Wir unterstützen alle Bemühungen, dass dies auch so bleibt. Gleichwohl appellieren wir an die Bundes- und die Landesregierung, die getroffenen Maßnahmen immer wieder auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen.
Deutschland exportiert weltweit jährlich 2,4 Millionen Tonnen Schweinefleisch. Das entspricht einem Jahresumsatz von circa 4,5 Milliarden Euro. 50 Prozent des in Deutschland erzeugten Schweinfleisches gehen in den Export. Der Preis für Schweinefleisch pro Kilogramm Schlachtgewicht lag im Januar noch bei eben über 2 Euro. Durch Corona und ASP fiel der Preis auf heute 1,27 Euro. Der Ferkelpreis pro Stück beträgt 27 Euro. Das ist für die Schweinehalter eine ganz trostlose Situation.
Es bedarf keiner prophetischen Begabung, um zu wissen: Wenn die Bundesregierung nicht möglichst bald Unterstützungsmaßnahmen für die Schweinehalter auf den Weg bringt, geht weitere Wertschöpfung in Deutschland verloren. Originalton Frau Klöckner heute Morgen: Man lebt von den Erträgen, nicht von der Substanz. – Wie wahr!
Natürlich ist bei einem derartigen Preisverfall die Politik gefordert. Der Bundesregierung stehen in jedem Jahr 60 Millionen Euro aus der GAP als Krisenreserve zur Verfügung. Wenn dieses Geld jetzt genutzt wird, um den Markt zu stützen und den Produktionszweig zu erhalten, wäre es für die Schweinehalter in Deutschland gut investiert. Unsere diesbezügliche Frage in der gestrigen Ausschusssitzung beantwortete Staatssekretär Fuchtel ausweichend:
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Man prüfe!
Meine Damen und Herren, unsere Regierung hat in jüngster Vergangenheit Milliarden Euro für die Bekämpfung der Coronahysterie europaweit hergegeben.
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Jetzt gilt es zu beweisen, dass die amtierende Bundesregierung in erster Linie dem Wohl der eigenen Landsleute und den hier betroffenen Landwirten verpflichtet ist.
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Frau Klöckner, wir haben gerne gehört: Wir lassen die Leute nicht allein. – Wir werden das verfolgen.
Danke.
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Für den Bundesrat erteile ich nun das Wort Herrn Landesminister Dr. Till Backhaus.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme ja – in Anführungsstrichen – aus dem schönsten Bundesland der Welt
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und aus dem gesündesten und dem sichersten Deutschlands.
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– Wenn Sie mir ganz in Ruhe zuhören mögen! – Wir haben tatsächlich lange Zeit gehabt, uns auf die ASP, auf die Afrikanische Schweinepest, vorzubereiten. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat bereits im Jahr 2009 mit diesen Maßnahmen begonnen. Wenn Sie mir jetzt die Fragen stellen: „Sind wir ausreichend vorbereitet? Wie ist das Zusammenspiel national und international, was die Vorbereitung und Umsetzung von Maßnahmen anbetrifft, gelaufen? Können wir damit zufrieden sein?“, dann muss ich hier und heute erklären: Nein, ich bin nicht zufrieden.
Eines müssen wir feststellen: Die Afrikanische Schweinepest – das ist hier schon angedeutet worden – ist vor sehr vielen Jahren aus Afrika über das Flugzeug durch den Menschen eingetragen worden. Das nehmen wir doch bitte zur Kenntnis! Dass es uns in Europa nicht gelungen ist, dieses schrecklichen Virus Herr zu werden, ist eine Tragödie.
Deswegen sage ich hier in aller Klarheit auch noch mal ausdrücklich: Während wir bei Corona in Deutschland eine, wie ich glaube, sehr gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gezeigt haben, haben wir bei der ASP zwar auch eine Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern, aber ich nehme auch zur Kenntnis, dass wir Probleme offen und ehrlich ansprechen müssen. Die Probleme liegen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik und damit letzten Endes auch in der gesamten Gesellschaft. Ich will die Folgen auch offen ansprechen:
Erstens. Es ist uns nicht gelungen, zwischen Deutschland und Polen einen Zaun zu bauen. Das nehme ich zur Kenntnis. Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Land in Deutschland, das zurzeit einen festen Wildschutzzaun baut, der temporär für fünf Jahre errichtet wird. Wenn wir es geschafft hätten, einen solchen Zaun zwischen Polen und den neuen Bundesländern zu errichten, hätten wir diesen Eintrag wahrscheinlich – damit ist uns heute aber nicht mehr geholfen – verhindern können; ich sage das sehr klar und deutlich. Ich bin traurig darüber, dass uns das nicht gelungen ist.
Zweitens. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir jetzt gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir zwischen dem Bund und den Ländern auch die Finanzierung sehr schnell auf die Beine stellen können. Das gilt für den Zaun; das gilt aber auch für weitere Maßnahmen.
Man muss auch feststellen, dass wir zwischen dem Bund, den Ländern und der Europäischen Union dringend ein insgesamt abgestimmtes System der Bekämpfungsmaßnahmen zu etablieren haben. Ich weiß auch, dass wir mit Vorwürfen gegenüber der Bundesregierung und den Bundesländern vorsichtig sein sollten. Denn es kann jeden treffen; das sage ich in aller Klarheit.
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Das hätte Mecklenburg-Vorpommern als Erste treffen können, genauso aber auch Baden-Württemberg, das Saarland oder Nordrhein-Westfalen.
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Deswegen hat es keinen Sinn, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das kann einen ganz schnell wieder einholen.
Es ist für mich wichtig, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern – auch wenn der intensive Austausch zwischen den Ländern weitergehen muss – erstens einen festen Zaun gebaut haben, der dreimal pro Woche kontrolliert wird, der im Übrigen 1,50 Meter hoch, 30 Zentimeter tief eingegraben und mit einem Unterwühlschutz versehen ist. Wenn wir das überall gemacht hätten, dann hätten wir das Problem in der Form nicht.
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Das sage ich sehr klar und deutlich.
Zweitens haben wir eine enge Kooperation zwischen den Veterinärbehörden, und wir haben die Testkapazitäten komplett hochgefahren. Ich glaube, sehr geehrte Frau Bundesministerin, auch die Telefonschaltkonferenz gestern Abend war zielführend in der Richtung, wie wir die Zusammenarbeit intensivieren können, und zwar über Landesgrenzen und Nationen hinaus. Wir erhalten aber zurzeit überhaupt keine Informationen mehr aus Polen über die Situation dort. Ich bedaure das sehr.
Im Übrigen haben wir auch intensive seuchenprophylaktische Übungen gemacht, auch länderübergreifend mit Brandenburg, aber auch nationenübergreifend mit Polen. Ich war der Erste, der die sogenannte Pürzelprämie in Deutschland auf den Weg gebracht hat, mit der wir großen Erfolg haben. Allein in unserem Bundesland sind im Durchschnitt der letzten Jahre etwa zwischen 130 000 und 168 000 Stück Schwarzwild gefallen. Im letzten Jahr waren es 196 000 Stück. Es hilft also.
Meine dringende Bitte ist da: Der Bund möge sich daran – auch an den Kosten – beteiligen, damit wir die Jägerschaft weiter motivieren, uns bei dieser Bekämpfungsmaßnahme zu helfen. Wenn wir sie demotivieren und mit dem Finger auf sie zeigen, kommen wir keinen Millimeter weiter. Im Übrigen sind auch die Landwirte aktiv mit einzubinden.
Dass wir jetzt ein Ernteverbot aussprechen, ist aus meiner Sicht nicht nur richtig, sondern auch zielführend. Wir müssen in diesen Gebieten Ruhe bekommen, und wir müssen diesen Krisenherd so schnell wie möglich ausgeräumt bekommen. Ich nehme aktuell zur Kenntnis, dass angeblich weitere Fälle aufgetreten sind, und zwar in Stadtnähe. Ich hoffe, wir alle wissen, was das bedeuten würde. Auch das nehme ich zur Kenntnis.
Es ist unbedingt wichtig, dass wir weitere Barrieren schaffen. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass wir an der Autobahn A11 die Wildschutzzäune komplett neu hergerichtet haben; sie wurden im letzten Jahr fertiggestellt. Ich sage auch ausdrücklich den Landwirten Unterstützung zu. Hier bitte ich um weitere Unterstützung, um die Früherkennung weiter hochzufahren. Wir müssen bei den Nutztierbeständen einen genauen Überblick haben. Von den 250 Betrieben in Mecklenburg-Vorpommern beteiligen sich 70 Betriebe an der Früherkennung.
Ich glaube, wir müssen uns auch auf weitere Entschädigungsregelungen einstellen, und zwar nicht nur in der Landschaftswirtschaft. Wir müssen zu einer Verwertungskette kommen, was die Sauen – die Wildbestände, aber auch die Haustierbestände – angeht.
Wir brauchen weiter eine unverzügliche Beprobung auch bei Verdachtsfällen. Das ist bei uns gesichert. Ich darf an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass das Friedrich-Loeffler-Institut, das seinen Sitz in der Nähe von Greifswald auf der Insel Riems in Mecklenburg-Vorpommern hat, hervorragende Arbeit abliefert.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg und Sachsen wie auch in den anderen Bundesländern leisten hier zurzeit eine wirklich enorme und wichtige Arbeit. Aber auch die Landwirtschaft, die Ernährungswirtschaft und der Lebensmitteleinzelhandel haben in der Coronakrise hervorragende Arbeit abgeliefert. Auch das darf man an dieser Stelle mal sagen. Dass wir diese Herausforderung jetzt in dieser Branche noch zusätzlich bekommen, schmerzt uns sicherlich alle sehr. Ich denke, Sie haben dafür Verständnis. Ich hoffe aber nicht, dass wir uns hier in ein hoffnungsloses Unterfangen begeben. Ganz im Gegenteil: Wir müssen konsequent handeln, ohne Panik, ohne Hysterie, aber konsequent. Alles andere hilft uns nicht weiter.
Wir sind auf dem Boden der Realität angekommen. Von entscheidender Bedeutung ist für mich: Wir müssen den Landwirten, die in der Schweinehaltung mit den drei Ks – Kastenstand, Kastration und Kupierverbot – zu tun haben – und dann kommt noch die Düngeverordnung dazu –, zeigen, dass wir wieder erkennen, dass der Wirtschaftszweig der Land- und Ernährungswirtschaft eine entscheidende Wirtschaftsgrundlage in der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Und ich stehe zu der Landwirtschaft, so wahr ich hier stehe.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, mein dringender Appell an uns ist: Wir müssen eine Strategie der Vorbeugung, aber auch der schnellen Umsetzung fahren. Wir brauchen des Weiteren ganz klar die Regionalisierung bei den Exportpapieren, und zwar unverzüglich, damit wir da weiterkommen. Ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist, dass wir bei der Forcierung der Schwarzwildbejagung insgesamt in Deutschland vorankommen. Da ist noch mal meine dringende Bitte an den Bund, finanzielle Mittel bereitzustellen.
Absatz- und Verwertungsmöglichkeiten für Schweine, auch für Wildschweine, sind zu eröffnen. Auch dazu gibt es aus meiner Sicht gute Vorstellungen seitens der Länder. Wir werden das in der kommenden Woche auf der Agrarministerkonferenz besprechen.
Ich glaube auch, dass es wichtig ist, Unterstützungsmaßnahmen zu prüfen und auch die notwendigen rechtlichen und finanziellen Grundlagen zu schaffen. Wir haben jedenfalls in unserem Bundesland auch in dieser Frage Vorsorge getroffen. Außerdem ist es wichtig, Liquiditätsprogramme, die über die Rentenbank zur Verfügung gestellt werden können, jetzt für die betroffenen Landwirtschaftsbetriebe, aber auch für die Landwirte insgesamt bereitzustellen.
Abschließend: Ich bin überzeugt, dass auch die Biosicherheitsmaßnahmen, das heißt die seuchenhygienischen Maßnahmen, insgesamt in der Schweinebranche deutlich hochgefahren werden müssen. Ich hoffe, wir bewältigen das, und ich gehe davon aus, dass wir zwischen dem Bund, den Ländern und der Europäischen Union schnell zu einvernehmlichen Lösungen kommen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Minister Backhaus. – Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bundesministerin Klöckner! Lieber Landesminister Backhaus! Die Lage nach der Einschleppung der Afrikanischen Schweinepest im Südosten meines Heimatbundeslandes Brandenburg ist sehr ernst. Übrigens heißt diese Tierseuche so – Minister Backhaus hat schon darauf hingewiesen –, weil sie ursprünglich aus Afrika stammt. Sie ist tödlich für europäische Haus- und Wildschweine. Der Mensch ist nicht empfänglich. Das ist wichtig.
Hoffnungslos ist die Lage nicht – noch nicht. Dass sie nicht hoffnungslos wird, ist aus meiner Sicht unsere gemeinsame Verantwortung. Ich habe als Tierärztin in einem Institut für Epidemiologie und Tierseuchenbekämpfung gearbeitet und deshalb weiß oder zumindest ahne ich, welche Last jetzt auf den Schultern der Verantwortlichen vor Ort im Land und im Bund liegt.
Belehrungen aus dem Bundestag sind ganz sicher nicht zwingend das, was jetzt gebraucht wird.
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Aber unnötige Risiken haben wir als Linke schon lange benannt und thematisiert. Es gab eine lange Vorbereitungszeit. Trotzdem hat sich bei wichtigen Risiken nichts oder zu wenig geändert. Das könnte sich jetzt rächen.
Dazu gehören weiter historisch hohe Schwarzwildbestände. Sie machen dem Virus eine Verbreitung sehr leicht. Viel Maisanbau heißt eben auch viel Futter und Deckung für die Schwarzkittel. Das macht es der Jägerschaft schwer.
Und ja, man kann mit konsequent umgesetzten Infektionsschutzkonzepten den Viruseintrag auch bei sehr großen Schweinebeständen vermeiden, aber nicht sicher verhindern. Ein Bestand mit 60 000 Schweinen in nur 50 Kilometer Entfernung vom Fundort infizierter Wildschweine macht deshalb sehr wohl sehr nervös. Auch wenn in unserem Land Infektionen bisher nur beim Schwarzwild und nicht beim Hausschwein nachgewiesen sind: Man mag sich gar nicht vorstellen, was es heißt, wenn ein solcher Bestand mit 60 000 Schweinen geräumt werden muss. Gleiches gilt auch für den Schweinegürtel in Niedersachsen. Das ist alles seit Langem bekannt und diskutiert. Aber oft wird leider nur aus Schmerz gelernt, und das ist fatal.
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Nur, jetzt muss alles dafür getan werden, den Schaden wenigstens zu begrenzen – alles, was nötig ist, und zwar schnell. Das ist leichter gesagt als getan, erst recht, da uns die Afrikanische Schweinepest ausgerechnet während der Coronapandemie trifft. Denn Veterinärbehörden sind oft vor Ort in die Coronabekämpfung einbezogen, auch als Leitende. Das macht natürlich viel Sinn; denn die Tierärzteschaft hat bei der Bekämpfung von Tierseuchen Wissensvorsprung. Dieser Wissensvorsprung könnte sich dann übrigens auch mal in der gleichen Bezahlung ausdrücken.
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Ihre Verwendung in der Pandemiebekämpfung hat aber eben auch Nachteile. Sie verursacht nämlich Lücken im eigentlichen Zuständigkeitsbereich, in dem ja auch keine freien Spitzen verfügbar waren, schon gar nicht, wenn seit Monaten die Afrikanische Schweinepest vor der Tür lauerte. Wenn sie sich jetzt aber um diese kümmern müssen, reißt das wieder neue Lücken bei der Pandemiebekämpfung. So sehr man auch zieht – diese personelle Decke bleibt einfach zu kurz.
Die vielseitige Verwendung von Personal mag die kommunalen Haushalte kurzfristig entlasten; aber sie verschleiert personelle Engpässe im öffentlichen Dienst auf allen Ebenen, und das rächt sich sehr schnell. Seit vielen Jahren wird auf dem Rücken der Beschäftigten gespart, und das kann nicht so weitergehen.
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Das gilt übrigens auch für das Forstpersonal. Auch das wurde massiv abgebaut und fehlt jetzt an allen Ecken und Enden. Dabei könnte man jetzt mit mehr Personal sogar Krisen vermeiden. Am Personal zu sparen, kann also teuer werden. Umso absurder ist es. Und es wäre ja auch genügend Geld verfügbar. Wir brauchten nur ein wirklich sozial gerechtes Steuersystem und eine konsequente Verfolgung von Steuerflucht.
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Was jetzt aber auf keinen Fall passieren darf – und das hat sich hier schon angedeutet –, ist das, was oft passiert: das Gerangel um Zuständigkeit und Verantwortung zwischen Bund, Land und Verantwortlichen vor Ort.
Noch mal: Es muss jetzt sofort alles Nötige getan werden. Wenn das Mögliche nicht reicht, muss unverzüglich Hilfe angefordert werden, und sie muss auch solidarisch und unbürokratisch geleistet werden, egal ob es um Personal oder um Finanzen geht. Reibungsverluste wie zum Beispiel bei der BSE oder bei der Vogelgrippe auf Rügen können wir uns nicht leisten.
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Wir dürfen den Wissensvorsprung schmerzvoller Erfahrungen anderer Länder mit der Afrikanischen Schweinepest nicht verspielen; denn das würde viele Agrarbetriebe die Existenz kosten. Aber es droht eben auch ein sehr hoher volkswirtschaftlicher Schaden. Die hohe Exportabhängigkeit der Schweinehaltung verschärft doch schon jetzt die Krise aufgrund von Handelssanktionen. Hier ist eine Korrektur doch längst überfällig, und zwar aus vielen Gründen.
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Aktuell kann es erst mal nur um Schadensbegrenzung gehen; aber darum muss es jetzt auch gehen.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren war uns allen hier im Haus klar: Es ist lediglich eine Frage der Zeit, nicht ob, sondern wann die Afrikanische Schweinepest in Deutschland ankommt. Damals hat die Koalition das Tierseuchengesetz geändert. Und manches war sinnvoll, manches nicht, vieles hat gefehlt, und darauf haben wir damals schon hingewiesen. Jetzt ist die Seuche da, und es gilt, sie schnellstmöglich und schleunigst einzudämmen und ihre Folgen zu begrenzen.
Das Land Brandenburg hat, wie ich meine, schnell und umfassend reagiert: Die nötigen Zäune zur sofortigen Gebietsabriegelung waren schon beschafft, die Krisenpläne erstellt. Dass Zäune durch Vandalismus zerstört werden, ist für mich an dieser Stelle wirklich völlig unverständlich.
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Gut ist, dass es in Tschechien, wo die ASP ebenfalls ausgebrochen war, durch kluge Maßnahmen gelungen ist, die Seuche erfolgreich zu bekämpfen. Und es ist eben nur ein Teil, wenngleich ein wichtiger, auf die Wildschweinpopulation und jagdliche Maßnahmen zu blicken. Denn allein über Wildschweine – Frau Ministerin Klöckner hat es schon gesagt – kommt die Seuche nur langsam voran.
Machen wir uns nichts vor: Der Verantwortliche für die Langstreckenverbreitung ist und bleibt – so hat es gestern auch der Präsident des Friedrich-Loeffler-Institutes, das im Bundesland von Herrn Backhaus ansässig ist, im Agrarausschuss bestätigt – der Mensch. Vier Räder seien nun mal schneller als vier Beine. Deshalb, werte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir diesen Hauptvektor in der Ausbreitung, den mobilen Menschen mit seinem Wurstbrot, im Fokus haben. Nur so können wir die Ausbreitung wirksam eindämmen. Sicherlich ist es gut, Autobahnparkplätze einzuzäunen und Infotafeln aufzustellen; aber mehr hat sich die Bundesregierung an dieser Stelle bisher nicht getraut.
Klar müssen wir über Schwarzwildbestände und Jagd reden. Aber die große Bazooka, wie manche es jetzt fordern, ist halt auch hier nicht das geeignete Instrument. Vielmehr gilt es, in den abgeriegelten Bezirken möglichst Jagdruhe zu bewahren, um ein wirres Versprengen der Tiere ins Umland zu verhindern. Mit Zäunen allein wird man das nicht erreichen. Im Umfeld muss – auch das ist richtig – die Suche nach verendeten und kranken Tieren intensiviert werden.
Schon seit Jahren reden wir über bundesweit zu hohe Schwarzwilddichten. Vor zwei Jahren wurde vieles getan, um den Abschuss von Schwarzwild zu erleichtern. Strecken wurden sozusagen vergrößert; doch gebracht hat es kaum etwas. Ja, die Bestände sind zu hoch, und dafür gibt es auch Ursachen: Klimakrise mit milden Wintern, Eichelmastjahre im Wald, wenn Bäume unter Trockenstress stehen, ein reich gedeckter Tisch mit Mais bis zum Horizont – das ist ein Paradies für die Schwarzkittel.
Solange wir an den Ursachen nichts ändern, wird auch intensive Bejagung wenig ausrichten.
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Im Gegenteil – auch beim Schießen ist es nun mal so –: Viel hilft nicht automatisch viel. Und selbst wenn: Unsere Waldökosysteme brauchen eben auch das Wildschwein als integralen Bestandteil. Es würde nichts an der extremen Krisenanfälligkeit unseres Agrarsystems und vor allem der intensiven und industriellen Tierhaltung ändern. Deren Abhängigkeit von externen Faktoren wie Fleischexporten und Futtermittelimporten ist eine systemimmanente Achillesferse mit eingebautem Damoklesschwert.
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– Ja. – Immer noch produziert Deutschland 20 Prozent mehr Schweinefleisch als den eigenen Bedarf, mit erheblichen Importen von Soja, das von ehemaligen Regenwaldflächen stammt. An diese Abhängigkeiten müssen wir ran, um unsere Landwirtschaft krisenfester zu machen.
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Es reicht eben nicht aus, Ställe zwar größer zu machen, aber trotzdem gleich viele Tiere wie vorher zu halten, wie das jetzt nach der Borchert-Kommission vorgesehen ist. Ohne eine Reduzierung der Gesamttierzahl im Land kommen wir hier nicht weiter.
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Es ist endlich Zeit für eine Flächenbindung der Tierhaltung, um sie vom Kopf auf die Füße und auf den Boden der Tatsachen zu stellen.
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Akut müssen wir darauf achten, dass die vom Erntestopp betroffenen Betriebe jetzt nicht ins Hintertreffen geraten. Gerade jetzt, wo angesichts der verkündeten Importstopps der Schweinefleischpreis ins Bodenlose fällt, darf eines nicht passieren: dass eine Art Gesundschrumpfen zulasten vieler kleiner Betriebe stattfindet und am Ende nur noch die gigantischen Megamastanlagen übrig bleiben.
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Bei allen Unterstützungsmaßnahmen muss man das im Auge haben. Sie werden aber alle nichts nützen, wenn wir nicht konsequent umsteuern und mit einer echten Agrarwende wegkommen vom „Immer weiter, schneller, höher, billiger“. Nur damit beugen wir den Krisen vor, statt nur zu reagieren. Packen Sie es endlich an.
Danke schön.
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Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Albert Stegemann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gestatten Sie mir eine Bemerkung: Ich habe mich sehr darüber gefreut, wie die Debatte bisher lief. Sie lief erstaunlich sachlich. Sie hatte allerdings ein paar negative Punkte ganz am Anfang, und ganz zum Schluss wurde es dann auch noch mal etwas schwieriger. Aber in der Mitte habe ich mich sehr über das hohe Maß an Sachlichkeit gefreut. Ich sage das deshalb, weil die Lage tatsächlich ernst ist.
Ich fühle mich in diesen Tagen wirklich an das Buch Hiob aus der Bibel erinnert. Hiob war ein gerechter, ein angesehener Mann. Seine friedfertige Art bescherte ihm ein Leben in Wohlstand und Glück. Der Teufel war jedoch davon überzeugt, die Treue Hiobs zu Gott sei nur mit seinem persönlichen und ökonomischen Erfolg im Leben begründet – Grund genug für Satan, Gott zu einer Wette herauszufordern.
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Gott willigt ein, und „Top, die Wette gilt!“ Und fortan trudelten die schlechten Nachrichten, die Hiobsbotschaften, ein. – Wer die Geschichte kennt, weiß, dass der Teufel die Wette verloren hat; aber eine schöne Zeit war das für Hiob sicherlich nicht.
Liebe Kollegen, wenn es eine Berufsgruppe gibt, die sich derzeit wie Hiob fühlen muss, dann sind es die Beschäftigten der schweinehaltenden Betriebe in Deutschland. Ich denke dabei zum Beispiel an die Umsetzung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, an die Umsetzung der Düngeverordnung, an die Umsetzung des Verbots der betäubungslosen Ferkelkastration, an den Umgang mit dem dritten Dürrejahr in Folge, an den Umgang mit der Coronapandemie, an den Umgang mit der schwierigen Situation im Bereich der Schlachthöfe, die teilweise mit enormen Kostensteigerungen für die landwirtschaftlichen Betriebe einhergehen wird, und an den Umgang mit einem Verbraucher, der zwar alles oder vieles verlangt, aber an der Supermarktkasse wenig dafür zu geben bereit ist. Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, kommt die Afrikanische Schweinepest jetzt noch obendrauf.
Auf der einen Seite kann man sagen, dass Deutschland sehr gut vorbereitet ist. Genau dieser Ernstfall wurde mehrfach geprobt, und ich glaube, dass wir wirklich sehr, sehr gut vorbereitet sind. Wir haben als Regierungskoalition das nationale Recht optimiert und angepasst. So ist es zum Beispiel nun möglich, Betretungsverbote und Ernteverbote zu erlassen, und auch Jagdschneisen können angelegt werden. Alle Werkzeuge liegen derzeit auf dem Tisch, um die weitere Ausbreitung zu verhindern.
An dieser Stelle will ich es dem Minister gleichtun und mich noch einmal bei allen Helferinnen und Helfern bedanken, die – auch in den Behörden – daran mitgearbeitet haben, diese Krise schnell in den Griff zu bekommen. Ich finde aber, dass auch den Jägerinnen und Jägern ein Dank ausgesprochen werden sollte. Es ist gut, dass wir hier wirklich eine verlässliche Truppe an unserer Seite haben. Von hier aus dafür ein ganz herzliches Dankeschön!
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Auf der anderen Seite stellt die Hiobsbotschaft „Afrikanische Schweinepest“ für den Fleischmarkt nichts anderes als eine Zäsur dar. Der Importstopp von deutschem Schweinefleisch in für uns wichtige Drittländer belastet den Markt massiv. Hatten wir vor einiger Zeit noch die Situation, dass man für 1 Kilogramm Fleisch 2 Euro bekommen hat, so haben wir coronabedingt, also noch nicht bedingt durch die ASP, ein Abrutschen auf 1,47 Euro gesehen. Jetzt, direkt nach der Meldung des Ausbruchs, sind wir bei 1,27 Euro. Das ist tatsächlich eine ganz schwierige Situation für die Mäster, die teilweise sehr hohe Einstallungskosten bei den Ferkeln hatten. Aber auch die Ferkelerzeuger sind betroffen. 27 Euro – auch das klang gerade schon an – beträgt der derzeitige Preis für ein Ferkelchen in Deutschland. Das kann zu diesem Preis nicht erzeugt werden. Deswegen ist die Situation sehr ernst, und deswegen fragen sich viele Betriebe nicht nur, wie es weitergehen kann, sondern auch, ob es überhaupt weitergehen kann.
Deshalb ist es mir wichtig, für die Unionsfraktion noch mal zu sagen: Wir sehen diese Nöte, und wir nehmen diese Sorgen sehr, sehr ernst. Wir sind dabei, kurz- und langfristige Hilfen zu erarbeiten. Kurzfristig können finanzielle Hilfen sicherlich immer ein Baustein im Mosaik der Hilfen sein. Aber ich glaube, dass es jetzt erst mal wichtig ist, das Regionalisierungsprinzip, das wir Gott sei Dank – das hat auch die Ministerin richtigerweise angesprochen – europaweit anwenden können, auch auf den internationalen Märkten durchzusetzen.
Aber auch die Differenzierung zwischen Haus- und Wildschwein ist wichtig. In Deutschland ist es ja nicht so wie in anderen Regionen der Welt, dass Haus- und Wildschwein permanent in Kontakt kommen, sondern das Wildschwein ist ein Wildtier, und unser Haustierbestand ist gut abgeschottet. Das findet, wenn wir uns mit den Botschaften auseinandersetzen, seuchentechnisch leider keine Berücksichtigung. Das muss aber unbedingt Berücksichtigung finden.
Was mir auch noch wichtig ist, ist, dass unsere Landwirte endlich eine Perspektive bekommen müssen. Deswegen appelliere ich wirklich an uns alle, auch an die anderen Fraktionen, endlich ein Zukunftspaket Landwirtschaft zu schnüren. Wir müssen die Vorschläge der Borchert-Kommission jetzt endlich konsequent in Gänze umsetzen. Das heißt, dass es eben auch einen finanziellen Anreiz für die Landwirte geben muss, Investitionen zu tätigen.
Außerdem müssen wir beim Bau- und Immissionsschutzrecht endlich durchgreifen und für Erleichterung sorgen. Da haben wir wirklich ganz große Baustellen. Die Landwirte wollen Tierwohl umsetzen, können es aber nicht.
Herr Kollege Stegemann, die Zeit ist um.
Gut. – Deswegen appelliere ich noch mal an alle Bremser und an alle Blockierer, vielleicht auch in Richtung des Bundesumweltministeriums, die Widerstände endlich aufzugeben. Lasst uns nach vorne blicken und den Landwirten wieder eine Perspektive geben!
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Der nächste Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Peter Felser.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Landwirte, die ihr sicherlich mit Spannung diese Debatte verfolgt! Heute geht es auch wirklich um die Landwirtschaft.
Die Schweinepest ist da. Der erste stark verweste Kadaver wurde vor einer Woche gefunden. Das heißt, wir haben es schon seit zwei, drei Wochen mit der ASP in Deutschland zu tun. Das Tier wurde übrigens durch Zufall von einem Spaziergänger gefunden; weitere Funde haben wir schon bestätigt bekommen.
Was jetzt wichtig ist: Wir müssen ganz schnell ein klares und eindeutiges Lagebild erstellen. Wir brauchen jetzt Klarheit, damit wir die richtigen Maßnahmen treffen. Das sind wir nicht zuletzt unseren Landwirten schuldig. Was wir jetzt brauchen – wir haben es heute schon gehört –, sind klare Signale an die Jägerschaft. Denn eines ist Ihnen, Frau Ministerin, hoffentlich klar: Ohne die Hilfe unserer Jäger werden wir die Bekämpfung der Seuche nicht schaffen können; das hat sich auch in den Nachbarländern gezeigt.
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Für dieses freiwillige Engagement unserer Jäger sollten wir uns heute auch bedanken. Unsere Jäger sind hervorragend ausgebildet; sie sind ausgezeichnet auf diese Schweinepest vorbereitet. Und sie haben Außerordentliches geleistet: Im Jagdjahr 2018 haben sie über 800 000 Wildschweine erlegt; ein Jahr später waren es fast 600 000. Wir brauchen unsere Jäger jetzt, und sie brauchen unsere Unterstützung. Was sie jetzt gar nicht brauchen – das sei an dieser Stelle ganz deutlich in Richtung Innenminister gesagt –, sind ein verschärftes Waffengesetz und eine weitere Gängelung im neuen Bundesjagdgesetz, über das wir auch noch diskutieren werden.
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Zurück zum Lagebild. Jetzt wäre es eine große Hilfe, wenn wir zusätzliche Suchhunde bundesweit einsetzen könnten. Ich sagte „wäre“, ich sagte „könnte“ – ich spreche im Konjunktiv. Als ich vor der Sommerpause die Bundesregierung gefragt habe, wie wir denn in Sachen Suchhunde aufgestellt sind, war die Antwort sehr, sehr dürftig. Liebe Kollegen, es wusste doch jeder, dass der Tag kommen wird, dass es eines Tages heißen wird: Die ASP ist auch in Deutschland angekommen. – Jetzt ist es so weit, und wir hinken wieder einmal den Ereignissen hinterher.
Suchhunde könnten wir jetzt sehr gut gebrauchen, um ganz schnell herauszufinden, wie weit sich die Seuche schon ausgebreitet hat. Das können wir mit Menschen gar nicht machen. Wir haben es gehört: Wenn 500 Menschen durch den Wald, durch das Unterholz tapern, ist die Gefahr umso größer, dass sich die Seuche verbreitet. Die Wichtigkeit und die Stärke von Hundestaffeln werden von anderen längst erkannt. Schon ab nächstem Montag sollen Hundestaffeln aus Bad Segeberg und Lauenburg in Brandenburg zum Einsatz kommen. In den betroffenen Gebieten müssen wir jetzt schnell und schlagkräftig handeln, liebe Kollegen. Im Ausschuss haben wir doch das gesamte Repertoire an Maßnahmen schon durchdekliniert, und wir waren uns in vielen Punkten einig:
Wir fordern Schussschneisen in der Feldflur. Dort muss das Schwarzwild jetzt gezielt bejagt werden können. Aber dafür müssen wir die Landwirte für den Ausfall der Erträge auch entsprechend entschädigen.
Wir müssen als Sofortmaßnahme die Zäune zu unseren Nachbarländern weiter ausbauen; Polen und Belgien machen uns das vor. In Mecklenburg-Vorpommern habe ich mir das angesehen; dort ist es vorbildlich ausgeführt worden. Es darf auch kein Tabu mehr sein, Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Amtshilfe hierfür einzusetzen. In Brandenburg wird das mit dem Zaunbau etwas schwieriger. Dort haben wir teilweise mit Kampfmittelrückständen zu kämpfen; aber das sollte uns nicht daran hindern, da jetzt voranzukommen.
Wir fordern eine Erhöhung des Jagddrucks auf Wildschweine. Dafür müssen wir die Leistungen der Jäger aber auch wertschätzen. Wir müssen jetzt bundesweit die Pürzelprämie für jedes geschossene Wildschwein ausloben, und wir müssen sie auch schnell und unbürokratisch auszahlen. Und es sollte selbstverständlich sein, dass wir den Jägern die Kosten für die Trichinenuntersuchung erstatten.
Die Hauptbetroffenen der jetzigen Krise sind die Schweinehalter; das haben wir heute schon mehrfach gehört. Die wirtschaftlichen Folgen durch Exportverluste und Preisverfall sind bisher kaum abzuschätzen. Da kommt einiges auf uns zu. Die Schweinehalter brauchen jetzt eine schnelle, unbürokratische Unterstützung. Aber in den ASP-Gefährdungsgebieten sind ja nicht nur die Schweinehalter betroffen, sondern auch die Milchviehhalter, die Biogasanlagenbetreiber und die Ackerbauer. Das Verbot der Maisernte in den Hotspots bringt weitere Probleme für die Futtermittelversorgung.
Liebe Kollegen, vor einer Woche wurde der erste verseuchte Wildschweinkadaver durch Zufall gefunden. Lassen Sie uns jetzt die wichtige Aufklärung systematisch angehen und schnell durchführen. Unser konkreter Ansatz mit den Suchhunden sollte jetzt umgesetzt werden. Ich bin gespannt, liebe Frau Ministerin, wie das Krisenmanagement der Bundesregierung aussehen wird. Die gleichgültige „Nun sind sie halt da“-Formel wird uns in dieser Krise nicht sehr weit bringen.
Danke schön.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Mittag für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Till Backhaus! Schon seit einigen Jahren ist die Bedrohung durch die Afrikanische Schweinepest bekannt, und entsprechend lange konnten wir uns in Deutschland auf den Tag vorbereiten, an dem das Virus bei uns erstmals nachgewiesen wird – und das wurde es jetzt.
Die Fälle in Brandenburg haben gezeigt, dass die Landkreise und das Bundesland vorbereitet waren und schnell die entsprechenden Maßnahmen ergreifen konnten. Ebenso hat das Landeskrisenzentrum in Brandenburg reagiert. Es arbeitet wie die anderen grenznahen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen auch bei derartigen Seuchenlagen mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium und Forschungseinrichtungen zusammen, wobei – das haben wir gerade gehört – bei der Zusammenarbeit offensichtlich noch Luft nach oben ist.
Genauso wie nicht vorhersehbar war, wann genau das Virus in Deutschland ist, ist auch aktuell nicht ansatzweise abzuschätzen, wie schnell es wieder eingedämmt werden kann, insbesondere da der Krankheitserreger äußerst widerstandsfähig und langlebig ist. Auch wenn das Schwein schon längst tot ist: Das Virus überlebt. Sogar in der Wurst verarbeitet hält es noch sehr lange durch.
Doch auch für solche Katastrophenfälle gibt es Organisations- und Durchführungspläne, mit denen mehrfach Probeläufe und Echtverläufe stattgefunden haben. Ich erinnere an die Bekämpfung der klassischen Schweinepest Mitte der 90er-Jahre; das hat uns ja auch sehr bewegt. Unser Nachbarland Polen zieht nach dortigen Ausbrüchen vergleichbare Maßnahmen durch. Belgien hat es geschafft, die weitere Ausbreitung zu verhindern, und in Tschechien ist es sogar gelungen, wieder ASP-frei zu werden – aber erst nach zwei Jahren. Auch davon könnte man in der Präventions- und Einsatzplanung lernen.
Bei allen Gegenmaßnahmen wie Sperrzäunen und Wildschweinbejagung bleibt aber immer noch ein unkalkulierbarer Risikofaktor, und das ist der Mensch als Überträger auf das Tier, ohne sich selbst zu gefährden, durch Nachlässigkeit, Gedankenlosigkeit und auch Ignoranz. Der Kollege Backhaus hat das schon dargestellt: Wodurch kommt es denn zur Verbreitung der Afrikanische Schweinepest? Durch den Menschen.
Auch bei aktuellen Fällen kann bisher noch nicht gesagt werden, ob es sich um Tiere handelt, die aus Polen eingewandert sind, oder ob doch wiederum womöglich der Mensch der Überträger war, wie auch vermutlich in Tschechien und ziemlich sicher in Belgien; denn da wurden Hunderte von Kilometern übersprungen durch Wegwerfen infizierter und nichtverbrauchter Lebensmittel.
Deshalb bleibt es wichtig, die Informationskampagnen weiter zu intensivieren und alle verfügbaren Medien und Maßnahmen zu nutzen. Aber auch intensivere Kontrollen werden über längere Zeit notwendig sein. Schon jetzt wirkt sich der regionale Ausbruch auch auf den Ruf aller Brandenburger Schweinehalter aus. Schlachtunternehmen zahlen sofort weniger für die Schweine, und ausländische Großabnehmer verhängen Importverbote für ganz Deutschland.
Was wird bei der Debatte und bei öffentlichen Beiträgen deutlich? Wir führen hier offenbar vornehmlich eine wirtschaftliche Debatte. Wir reden hier eigentlich so gut wie gar nicht über den Schutz der betroffenen Tiere. Der Schutz von Tieren ist inzwischen Staatsziel. Artikel 20a Grundgesetz besagt: Der Staat muss Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung schützen. – Derzeit wird nur über Abschließen, Isolieren und gegebenenfalls Keulen gesprochen, wenn die Hausschweine betroffen sein sollten. Für mich als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion ist das wenig akzeptabel.
Damit wären wir beim Thema Impfstoff. Ja, es wird an einem Impfstoff geforscht. Aber offenbar ist das Geschäft nicht als rentabel angesehen worden. Auch wenn jetzt alle Notfallpläne ordnungsgemäß abgearbeitet werden: Vernachlässigt wurde die erfolgreiche Entwicklung eines Impfserums gegen ASP, was auch die entscheidende und vorbeugende Maßnahme hätte sein können. Die erfolgreiche Bekämpfung der klassischen Schweinepest in Deutschland hat gezeigt, wie effektiv die Immunisierung zum Beispiel bei den Wildschweinen durch Impfköder sein kann. Die Wirkung ist langfristig deutlich größer als die durch Zäune und Bejagung.
Die vergangenen sechs Jahre, in denen die ASP auf dem Vormarsch war, wurden nicht intensiv genutzt, um einen Impfstoff zu entwickeln, weder für Haus- noch für Wildschweine. In der Regel dauert die Entwicklung für solche Impfstoffe sechs bis acht Jahre. Es wäre also möglich gewesen, diesen in absehbarer Zeit verfügbar zu haben. Und wie Impfstoffforschung forciert werden kann, das sehen wir zurzeit.
Dieser Ansatz wäre, gemessen am drohenden Gesamtschaden für die deutsche Schweinefleischproduktion, vielleicht wirtschaftlich ziemlich sinnvoll gewesen. Bevor wir im Nachhinein über Sondertöpfe und Förderprogramme diskutieren, muss mehr Geld in einen zu entwickelnden Impfstoff gesteckt werden. Auch Schweine sind es um ihrer selbst willen wert, dass man sie vor einer Seuche bewahrt und dass man gerade bei so viel betroffenen und bedrohten Tieren in einen Impfstoff investiert, auch um in Zukunft im besten Fall die ASP auszurotten und nicht die Schweine.
Das Tolle daran wäre, dass aus dem Thema erstmals auch ein Tierschutzthema werden würde; denn es würde sowohl Wildschweine als auch Hausschweine vor einem quälenden Verenden bewahren, und das auch in der Zukunft.
Herzlichen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Gero Hocker.
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Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Tierhaltern in Deutschland geht es schlecht. Allein im vergangenen Jahr haben 5 Prozent der Betriebe ihre Tore für immer schließen müssen. Das liegt logischerweise nicht alleine an der Afrikanischen Schweinepest, sondern das liegt vor allem daran, dass den deutschen Tierhaltern immer höhere Auflagen gemacht werden und dass die Daumenschrauben durch zusätzliche, immer höhere Standards in Deutschland immer enger angezogen werden.
Das führt nur dazu, dass diejenigen, die jetzt schon höchste Standards erfüllen – die deutschen Tierhalter –, aus dem Markt herausgedrängt und dass diejenigen, die zu niedrigen Standards tierische Erzeugnisse produzieren, honoriert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit landen am Ende genau die Lebensmittel auf den Tellern der deutschen Verbraucher, die zu Standards erzeugt wurden, die man einem deutschen Landwirt nicht zugestehen würde. Deswegen sage ich es ganz ausdrücklich: Verehrte Frau Ministerin, nutzen Sie bitte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dafür, eine Angleichung der Standards für Nutztierhaltung innerhalb Europas voranzutreiben.
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Die Afrikanische Schweinepest macht das Desaster, das wir seit vielen Jahren in diesem Bereich sehen, sozusagen komplett und ist der Tropfen, der das Fass für viele Betriebe zum Überlaufen bringt. Die Dänen machen es uns ja vor. Es wurde ja schon darauf hingewiesen, auch vom geschätzten Kollegen Backhaus, dass man durchaus auch mit solchen Zaunbauten Erfolg haben kann. Ich habe vor 20 Jahren mal ein Praktikum in Australien machen dürfen. Dort wurde schon vor 140 Jahren ein 5 600 Kilometer langer Zaun errichtet, um die Nutztierhalter in Südaustralien vor einwandernden Krankheiten und vor Rissen zu schützen.
Wir diskutieren glücklicherweise und zu Recht in dieser Woche ganz prominent das Thema Nachhaltigkeit. Wir diskutieren über die Mobilität der Zukunft, über autonomes Fahren, über Digitalisierung und viele Dinge mehr. Aber darüber dürfen wir doch nicht die Brot-und-Butter-Themen vergessen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und der Bau eines Wildtierzaunes sollte dazugehören. Ich will nicht verstehen, dass im Deutschland des Jahres 2020 nicht möglich ist, was in Australien schon im Jahre 1880 passiert ist.
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Zuletzt, verehrte Frau Ministerin, kann ich Ihnen das Zitat einer Äußerung nicht ersparen, die Sie am Rande Ihres Besuches bei Ihrem Amtskollegen in China im Juni letzten Jahres gemacht haben. Ich darf das mit freundlicher Genehmigung des Präsidenten kurz verlesen. Sie haben damals gesagt, Frau Ministerin:
Wir haben Schritte vereinbart, um im Fall einer Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest in Europa sicherzustellen, dass der Export von Schweinefleisch möglich bleibt.
Das haben Sie gesagt, nachdem Sie den chinesischen Landwirtschaftsminister getroffen haben.
Frau Ministerin, Ihnen ist nicht verborgen geblieben, dass die Afrikanische Schweinepest Europa und Deutschland erreicht hat. Da frage ich Sie: Wann werden Sie denn diese Schritte, die Sie angeblich mit dem chinesischen Landwirtschaftsminister vereinbart haben, besprochen haben, fixiert haben, endlich in die Tat umsetzen? Meine Befürchtung ist, dass es hier wiederum nur einmal um die Show, um die Verpackung gegangen ist und dass Sie tatsächlich überhaupt nichts in der Pipeline haben. Das machen wir Ihnen zum Vorwurf, verehrte Frau Ministerin.
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Ich glaube – das haben Sie eben selber angesprochen –, dass wir ein regionalisiertes Konzept benötigen, dass nur Schweinefleisch aus betroffenen Regionen und nicht bundesweit sanktioniert wird. Ich sage es ganz ausdrücklich: Was hat denn der Schweinebauer in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen, in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg, in Bayern damit zu tun, dass einige Hundert Kilometer entfernt in Brandenburg an der polnischen Grenze diese positiv getesteten Kadaver aufgetaucht sind? Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Wenn es jemals Zeit dafür gewesen ist, eine europäische Lösung hinzubekommen, dann ist dieser Zeitpunkt jetzt. Dieser Zeitpunkt ist günstiger denn je; denn Deutschland ist in der Funktion der EU-Ratspräsidentschaft, und auch die Kommissionspräsidentin ist Deutsche. Es ist jetzt an der Zeit, eine europäische Lösung voranzutreiben, verehrte Frau Ministerin.
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Verehrte Frau Klöckner, ich mache Ihnen ausdrücklich keinen Vorwurf. Aber es ist tatsächlich so, dass in den letzten Jahren, auch seitdem Sie im Amt sind, Landwirtschaft quasi im dauerhaften, permanenten Krisenmodus ist. Deswegen sage ich Ihnen: Das liegt nicht alles in Ihrer Verantwortung, das ist nicht alles Ihre Schuld – um Gottes willen. Aber diese akute Krise zu managen, mit Augenmaß und ohne Ideologie: Das ist Ihre Aufgabe als Bundeslandwirtschaftsministerin. Machen Sie sich bitte endlich an die Arbeit!
Vielen Dank.
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Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hans-Jürgen Thies.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Karlheinz Busen, ich halte nicht viel von Seuchen- und Katastrophentourismus. Ich kann nur hoffen, dass du dir dein Schuhwerk nach dem heutigen vormittäglichen Besuch der Fundstelle im ersten ASP-Fall wirklich gründlich gereinigt hast –
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trotz fehlendem Dekontaminierungsmaterial vor Ort. Ich möchte mir nicht ausmalen, was wäre, wenn Berlin-Mitte oder überhaupt das Stadtgebiet von Berlin, wo schätzungsweise 2 000 Wildschweine leben, jetzt zum Kerngebiet oder zum Restriktionsgebiet erklärt würde. Das wäre eine Katastrophe. Also, deswegen noch mal: Gehen wir da sehr sorgsam, sehr behutsam mit um. Ich hoffe, dass das hier der Fall gewesen ist.
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Herr Landesminister Backhaus, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Es ist jetzt nicht die Zeit, wechselseitig mit dem Finger aufeinander zu zeigen und vielleicht dem einen oder anderen Fehlverhalten vorzuwerfen. Im Moment müssen wir die Krise bewältigen. Aber ich halte auch nichts davon, wenn Sie spekulieren und sagen: Ja, wäre der Zaun zu Polen schon früher durchgängig errichtet worden, dann wäre es nicht zu diesem ASP-Fall gekommen. – Wir wissen bis heute nicht, wo sich dieses Wildschwein, das verendet ist – der erste Fund –, infiziert hat. Das kann auch auf deutschem Boden geschehen sein.
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Wie gesagt, wir haben verschiedene Karnivoren, die auch Zäune überwinden können, sodass Zäune kein Allheilmittel sind, um diese Seuche von uns fernzuhalten. Deswegen: Ersparen Sie uns solche Spekulationen.
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Ich möchte nur ganz kurz darauf hinweisen: Es kommt darauf an, mögliche Ausbruchsherde schnell zu identifizieren und zu isolieren. Da ist also der Zeitfaktor ganz wichtig. Dazu können alle Beteiligten sehr viel Wertvolles beitragen: der Bund durch verstärkte Aufklärungsarbeit bei den Landwirten, bei den Jägern, auch bei der allgemeinen Bevölkerung. Die Bekämpfungsmaßnahmen der Länder können vonseiten des Bundes begleitet und unterstützt werden. Ich halte es auch für wichtig, dass das koordiniert wird. Denn eins ist klar: Das Virus macht weder vor Kreis- noch Gemeindegrenzen noch vor Ländergrenzen halt. Insofern ist da auch ein bundesweites ASP-Monitoring sicherlich hilfreich und wichtig.
Und zu guter Letzt bitte ich auch den Bund, zu überlegen, inwieweit bei der Vermarktung von Wildbret, also beim Schwarzwild, zusammen mit den Ländern Unterstützung geleistet werden kann; denn die Jäger wollen nicht für die Tonne, sondern sie wollen für die Truhe schießen.
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Die Länder können vieles tun. Es ist angesprochen worden, die Trichinen-Untersuchungsgebühren zu ersparen oder unbürokratisch zu übernehmen, Sammelstellen für Aufbruch und Fallwild zu schaffen und in den Restriktionsgebieten eine ASP-Jagdverordnung zu erlassen. Da dürfen dann in Restriktionsgebieten auch unbequeme, bittere Maßnahmen wie der Schrotschuss auf Frischlinge, das Betreiben von Saufängen durch geschulte Personen – das ist ganz wichtig – oder aber auch der Einsatz künstlicher Lichtquellen und Nachtzielgeräte leider kein Tabuthema sein.
Die Kreise und Gemeinden können das Ganze mit Blick auf die Jäger durch den Verzicht auf Jagdsteuer, durch den Verzicht auf die Hundesteuer bei geprüften Jagdhunden unterstützen. Der normale Bürger kann helfen, indem er zum Beispiel einen Kadaverfund, wenn er sich in der freien Natur bewegt, den zuständigen Behörden meldet. Es gibt eine entsprechende Tierfund-Kataster-App, wo jeder Bürger sich registrieren und die Fundstelle eines Kadavers melden kann. Aber bitte, bitte nicht berühren; das ist vielleicht noch der Appell an die Bürger.
Eine Schlüsselrolle bei der ASP-Bekämpfung kommt natürlich den Landwirten und den Jägern zu. Für die Landwirte ist Stallhygiene wichtig. Das werden sie im eigenen Interesse tun; ganz klar. Aber es geht natürlich auch darum, Bejagungsschneisen im Feld anzulegen; das hilft natürlich bei der Bejagung.
Die Jäger müssen die Schwarzwildbestände weiter reduzieren, und zwar massiv. Sie haben in den letzten drei, vier Jahren wahnsinnig viel geleistet. Sie haben die Abschusszahlen beim Schwarzwild auf 600 000 oder 800 000 erhöht. Aber wir müssen in der Bestandsdichte auf unter ein Stück pro 100 Hektar herunterkommen. Teilweise haben wir noch Bestandsdichten von sieben oder acht Stück pro 100 Hektar, also eine Mammutaufgabe für die Jäger.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Jäger diese Aufgabe in Deutschland auch leisten können; denn die Jäger stehen vor der Alternative: schießen oder schaufeln. Ich appelliere an die Jäger: Entscheiden Sie sich für das Schießen.
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Die Jagd ist kein Freizeitvergnügen, sondern ist ein wichtiges verantwortungsvolles Handwerk, das gerade in Zeiten der ASP sehr verantwortungsvoll ausgeübt werden muss. Ich bin zuversichtlich und eigentlich auch sicher, dass die Jägerschaft, die 400 000 Jäger in Deutschland,
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ihrer diesbezüglichen Verantwortung gerecht wird.
Vielen herzlichen Dank.
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Nächster Redner: der Kollege Rainer Spiering, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Lieber Till Backhaus! Die Diskussion heute finde ich zu großen Teilen ausgesprochen sachgerecht und auch gut. Lieber Hans-Jürgen Thies, ich habe natürlich alles Verständnis dieser Welt dafür, dass du vier Minuten deiner fünf Minuten Redezeit dafür verwendet hast, dich dem Jagdwerk zu widmen; das sei dir zugestanden. Den armen Till Backhaus so abzuwatschen, fand ich unverhältnismäßig. Aber das musst du für dich selber entscheiden.
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Ich will noch ein kurzes Wort zu Gero Hocker sagen, weil mir das zunehmend auffällt. Dr. Hocker,
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wer so auftritt wie Sie, der versucht, das Trump’sche System in Deutschland hoffähig zu machen. Das ist der Trump’sche Ansatz: Sie vernebeln, Sie stellen falsche Tatsachen dar,
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und Sie suggerieren Hilfe da, wo keine Hilfe zu bekommen ist.
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– Ich will Ihnen das mal an folgendem Beispiel zeigen, Herr Dr. Hocker:
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Wenn Sie hier suggerieren, dass die Bundesministerin in der Lage sei, den chinesischen Präsidenten zu irgendwas zu zwingen, dann ist das doch blanker Humbug.
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Das nehmen Sie einfach mal zur Kenntnis. Das ist reine Trump’sche Manier und nicht besser.
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Jetzt würde ich ganz gerne zur Sache kommen. Mich macht das Ganze tief betroffen. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Der Hauptexporteur nach China ist natürlich leider Tönnies.
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Jetzt haben wir einen Rückstau von Tieren zu erwarten. Wenn man die einfache Rechnung aufmacht, dass Tönnies für ungefähr 300 Tage nichts nach China exportieren kann, dann haben Sie eine Millionenzahl von Schweinen, die nicht nach China geliefert werden können. Wir haben berechnet, dass es dabei zu einem Druck auf den europäischen Markt von ungefähr 2 Millionen Schweinen kommt.
Wenn wir jetzt zugrunde legen, dass zur Ernährung ungefähr 300 Kilogramm Futtermittel verwendet werden und 750 Kilogramm Wasser, und wenn das heute mit 1,27 Euro pro Kilogramm Fleisch bewertet wird, dann ist das bitter. Das zeigt, dass das System an eine Grenze gekommen ist, und das ist im Moment krank. Das tut mir für unsere Landwirte bitter, bitter leid.
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Till Backhaus und ich haben einen Vortrag von namhaften Wissenschaftlern gehört. Dabei ging es um die Frage von regionaler Kreislaufwirtschaft; das waren sehr hochkarätige Wissenschaftler. Die haben natürlich auch deutlich gemacht: Wenn man in diesem Stile exportiert, dann betreibt man einen Austrag von heimischen Ressourcen ins Ausland. Das bedeutet aber auch, dass man die Verdauungsrückstände hier verarbeiten muss. Das überlastet und stresst Boden, Luft und Wasser.
Der Appell der Wissenschaftler war: Versucht, den Export runterzufahren, und versucht eine regionale Kreislaufwirtschaft. Versucht es! – Ich halte diesen Ansatz für absolut richtig. Er ist auch nachvollziehbar, vor allen Dingen vor folgendem Hintergrund: Wenn mit dem Fleisch Benefit zu machen wäre, dann könnte man es ja zumindest noch wirtschaftlich begründen. Aber im Moment wird das nicht belohnt, und das gilt für alle Betroffenen der Wertschöpfungskette, ob das der Schlachter oder die Schlachterin ist, ob das der Fleischverkäufer oder der Landwirt ist. Denen tritt man, auf Deutsch gesagt, in den … . Das können wir nicht zulassen. Das können wir doch nicht machen in diesem Land!
Der Ratschlag der Wissenschaftler war, die regionale Wirtschaft auch als regionale Wirtschaft zu verstehen. Das bedeutet für mich, dass wir regionale Schlachthäuser fördern,
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und zwar mit Bundes- und Landesmitteln, auch mit kommunalen Mitteln, und dass wir eine Infrastruktur herstellen, die es möglich macht, zu Hause entsprechende Mengen zu schlachten.
Jetzt sage ich noch mal ausdrücklich, an die Kolleginnen und Kollegen aus Süddeutschland und Südwestdeutschland gerichtet: Es sind eure kleinen Höfe, die diesem Marktdruck nicht standhalten werden. Das sind nicht die gigantischen Höfe, sondern das sind eure Höfe. Da kommt es zum Rückstau. Die Großen können eventuell noch preiswerter produzieren; eure kleinen Höfe können das aber nicht.
Es täte mir bitter leid um die wunderschöne Kulturlandschaft in Bayern, in Baden-Württemberg und in anderen Landesteilen, wenn dieser entscheidende Träger der Kulturlandschaft pleitegehen würde, nur weil wir im Fleischbereich ein Wirtschaftssystem fahren, das sich an dieser Stelle als völlig krank erwiesen hat.
Ich bitte Sie alle, das jetzige System der Fleischwirtschaft zu überdenken, in dem wir so ziemlich alle ausplündern. Wir plündern die Kolleginnen und Kollegen aus, wir plündern zum Teil auch unsere Naturressourcen aus, und wir plündern die Landwirte aus. Ich finde, das muss ein Ende haben. Heute ist die Gelegenheit, damit anzufangen.
Herzlichen Dank für Ihr Zuhören.
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Der nächste Redner: der Kollege Johannes Röring, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage war nicht, ob, sondern wann die Afrikanische Schweinepest nach Deutschland kommen würde. Diese Frage ist jetzt beantwortet. Am 9. September wurde ein infizierter Wildschweinkadaver im östlichen Brandenburg gefunden, und seitdem, Stand heute, gibt es sechs weitere Fälle. Das hatte Konsequenzen: Fast alle Drittländer, die Schweineerzeugnisse von uns kaufen, haben sofort den Import gestoppt. Dies führte zu einem massiven Einbruch am Markt. Und, meine Damen und Herren, wer bezahlt die Zeche? Natürlich wieder der Landwirt.
Ich will Ihnen das kurz aufzeigen: Anfang dieses Jahres haben die Schweinehalter noch 2,04 Euro pro Kilo Schlachtgewicht bekommen. Das war nach langen, schlechten Jahren wieder auskömmlich und gut. Im Frühjahr ist dann der Preis coronabedingt wegen der eingeschränkten Schlachtung um 30 Prozent gesunken. Im Sommer ist das auf diesem Niveau geblieben. Das hat die Margen weggenommen, und das hat wehgetan.
Einen Tag nach dem ersten ASP-Fund hatten unsere Abnehmer nichts Besseres zu tun, als den Preis noch mal um 20 Cent abzusenken. Dieser Preis ist zu niedrig und überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich kritisiere an dieser Stelle ganz deutlich unsere Abnehmer, aber auch den deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Sie nutzen diese Situation schamlos aus.
Meine Damen und Herren, was wir schnell brauchen, ist eine Stabilisierung des Marktes. Wir brauchen wieder Marktnormalität für unsere Schweinehalter. Ich weiß, dass unsere Bundesministerin Julia Klöckner und ihr Ministerium mit den Abnehmern in aller Welt in Kontakt sind und intensiv verhandeln, und zwar schon seit längerer Zeit, damit der Schweineexport wieder möglich wird. Und dass unsere Bundeskanzlerin dabei hilft, finde ich super. Deutschland ist gut aufgestellt. Wenn hier einige Kollegen, wie beispielsweise Herr Busen, sagen, das alles sei nicht gut, dann hilft das unserer Ministerin in den Verhandlungen überhaupt nicht. Das ist kontraproduktiv.
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Ich glaube, es sind drei Punkte jetzt wichtig: Erstens. Unsere Handelspartner sollten die Unterscheidung zwischen Hausschwein und Wildschwein bei der Afrikanischen Schweinepest genauso treffen, wie es bei der klassischen Schweinepest schon möglich ist. Zweitens. Die Regionalisierung muss greifen. Nur aufgrund eines lokal auftretenden Falls darf nicht ein Exportstopp für ganz Deutschland gelten. Drittens. Es gilt weiterhin, die Seuche konsequent zu bekämpfen und die weitere Ausbreitung zu verhindern.
Die Hausschweinbestände sind übrigens sehr gut gesichert. Die Landwirte sind gesetzlich verpflichtet, ihre Höfe einzuzäunen. Ich appelliere aber auch an die Hobbyschweinehalter und an diejenigen, die eine Außenhaltung betreiben, sich genauso intensiv an diese Vorgaben zu halten.
Ich möchte noch einmal betonen: Für die Menschen ist die Afrikanische Schweinepest ungefährlich. Das gilt auch für den Verzehr von Schweinefleisch. Aber uns sollte bewusst sein, dass unachtsames Verhalten des Menschen das Virus verbreiten kann. Die Verbreitungswege sind bekannt: kontaminierte Jagdausrüstung, Futtermittel, in der Wildnis entsorgte Wurst- oder Fleischwaren durch Reisende. Es gilt also: Hygiene, Hygiene.
Ich will auch kurz die Schwarzwildbekämpfung ansprechen und dabei zwei in der letzten Zeit gescholtene Unternehmen erwähnen. Die Westfleisch und die Firma Tönnies haben uns in Nordrhein-Westfalen dabei unterstützt, Wildschweinfleisch abzunehmen. Sie haben ein Kühlhaus zur Verfügung gestellt, damit der Jäger das Schweinefleisch für die Truhe oder für das Kühlhaus schießen kann und nicht für die Tonne schießen muss.
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Insgesamt ist Deutschland nach meiner Einschätzung gut vorbereitet. Ich sage es noch mal, auch an Herrn Backhaus gerichtet: Wenn wir nach außen signalisieren, wir wären nicht gut vorbereitet, schädigt das die Verhandlungen unserer Ministerin mit den ausländischen Abnehmern.
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Ich will Ihnen ein gutes Beispiel dafür geben, was man noch machen kann. In meinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen haben wir eine Wildtierseuchen-Vorsorge-Gesellschaft gegründet, bestehend aus Bauern, Kammern und Landesregierung. Was macht eine solche Gesellschaft?
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Sie kauft zunächst einmal Zäune und lagert sie ein. Sie hat auch Menschen, die die Zäune aufstellen können. In einem Restriktionsbereich können wir in Nordrhein-Westfalen an einem Tag einen 3-Kilometer-Radius einzäunen. Das ist sehr vorbildlich. Wir haben das Personal dafür. Dies kann auch anschließend in dem Restriktionsbereich fachgerecht die gefallenen Tiere auffinden und seuchenhygienisch vernünftig entsorgen.
Wen habe ich jetzt vergessen? – Ach, Herrn Ebner. Herr Ebner, Sie sind doch schon seit längerer Zeit im Agrarausschuss und müssten wissen, dass Deutschland nicht halbe oder ganze Schweine in die Welt hinein vermarktet. Wir sind nicht mehr das Land, in dem ein Schwein von der Nase bis zum Schwanz konsumiert wird. Wir vermarkten für den Export in erster Linie die Teile, die unsere Verbraucher nicht mehr haben wollen.
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Zum Beispiel haben wir bei den Schnitzeln einen Fehlbedarf: Wir haben zu wenig Schnitzel in Deutschland, aber zu viele Schwänze, Nasen und Ohren, die wir gerne – –
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Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen. Den Rest muss dann der Kollege Auernhammer noch erklären.
Ja. – Zum Schluss, meine Damen und Herren, noch ein kurzer Tipp, wie Sie unseren Schweinebauern helfen können: Draußen ist noch gutes Grillwetter – kaufen Sie regionales Schweinefleisch, und genießen Sie es!
Vielen Dank.
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Der nächste Redner, zugleich der letzte Redner in der Aktuellen Stunde, ist der Kollege Artur Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion.
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Geschätzter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Landesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, jetzt ist sie da, die Afrikanische Schweinepest. Ich will ganz deutlich sagen: Wir waren nicht unvorbereitet. Wir haben Arbeitsgruppen gehabt, und wir haben Riesenstäbe in den Ministerien: im Bundesministerium und in den Landesministerien. Wir haben auch in den Kommunen die Übungen durchgezogen. Wir haben Arbeitspläne erstellt; wir haben uns darauf vorbereitet.
Ich kann mich an keine Kreisversammlung der Jägerschaft bei mir im Wahlkreis erinnern, wo nicht das Thema „Afrikanische Schweinepest“ auf der Tagesordnung stand. Wir haben uns vorbereitet. Jetzt ist sie da, und unsere Schweinebäuerinnen und ‑bauern sind trotzdem schockiert, weil sie da ist.
Mein Kreisobmann, selbst Schweinehalter, hat mir in den letzten Tagen Folgendes gesagt: Die Frage für uns Schweinehalter ist jetzt nicht mehr: Welche Methode der Kastration verwenden wir in Zukunft? Die Frage ist nicht mehr: Wie baue ich meinen Kastenstand um? Die Frage gerade für viele kleinbäuerliche Schweinehalter lautet vielmehr: Halte ich in Zukunft noch Schweine? Dass sie es nicht mehr tun, das müssen wir verhindern. Unsere Schweinehalter brauchen eine Zukunftsperspektive.
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Wir haben im Jagdrecht schon viel in die Wege geleitet. Wir haben die Nachtzieltechnik eingeführt. Wir haben die Jäger motiviert, rauszugehen, zum Beispiel mit einer Rüsselprämie. Andere Länder zahlen andere Prämien. Das ist ein guter Weg, und da müssen wir weitermachen.
Aber es muss auch eine Wertschöpfung für dieses Wildschwein, für dieses Wildbret sein, und dieser Preis ist leider zurzeit auch eingebrochen.
Wir haben jetzt viel über die Wildschweine, über die Jagd geredet; aber den Eintragsweg mit vier Rädern dürfen wir nicht außer Acht lassen. Wir müssen hier in Zusammenarbeit mit dem Bundesverkehrsministerium unsere Autobahnen, unsere Fernstraßen im Blick haben; wir müssen auch den internationalen Flugverkehr im Blick haben. Die Schweinepest kommt auch auf vier Rädern oder mit dem Flugzeug zu uns, und das sollte auch im Fokus sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Preissturz durch den weggefallenen Export nach China ist nachvollziehbar. Und ich bin stolz – ich sage das jetzt ganz bewusst – auf unsere Metzgerstrukturen. Das Metzgerhandwerk Bayern hat seine Mitgliedsbetriebe angeschrieben und seinen Metzgern empfohlen: Bitte senkt die Preise nicht; bleibt bitte bei einem Auszahlungspreis von 1,50 Euro plus eurem Zuschlag und macht diesen Preissturz, der jetzt gekommen ist, nicht mit. – Da habe ich allen Respekt vor unserer Metzgereistruktur.
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Lieber Kollege Spiering, vielen Dank auch für die Worte zu uns Richtung Süden und unserer Struktur. Ich bin hier zuversichtlich, dass wir, was das Thema Arbeitsschutzkontrollgesetz anbelangt, gerade auch für die Metzgereibetriebe eine vernünftige und tragbare Lösung hinbekommen. Denn diese Struktur zu erhalten, das muss uns allen wichtig sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in Europa Mitgliedstaaten, die vielleicht organisatorisch nicht so aufgestellt sind wie die Bundesrepublik Deutschland. Aber die hatten auch schon die Afrikanische Schweinepest, und sie haben sie besiegt: Sie sind wieder auf den Märkten vertreten. Und das sollte auch für uns Motivation sein, dass wir auch in Deutschland diese Krise in den Griff bekommen, dass wir in erster Linie jetzt verhindern, dass die ASP in den Hausschweinebestand eindringt, aber dass wir auch unsere Märkte wieder in geregelte Bahnen lenken.
Eins muss man auch merken: Die Chinesen brauchen immer Schweinefleisch, egal ob es aus Deutschland kommt, aus Spanien oder den USA. Es werden sich die Warenströme etwas verändern. Und deshalb zum Schluss noch etwas Positives für die Zukunft unserer Schweinehaltung: Die Schweinehalter wissen, dass Preise in den Keller stürzen, und sie wissen auch: Sie gehen wieder nach oben. – Ich wünsche den deutschen Schweinehaltern, dass auch diese Preise wieder nach oben gehen.
Vielen Dank.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen weniger Zoff und dafür mehr Klimaschutz bei den Wohnungseigentümergemeinschaften, und ich glaube, da ist uns hier in guter Zusammenarbeit mit dem Justizministerium wirklich ein sehr gutes Gesetz gelungen.
In Deutschland gibt es 10 Millionen Eigentumswohnungen. Nach wie vor ist die Eigentumswohnung für viele oft die günstigste Möglichkeit, eine Immobilie zu erwerben, und deswegen wollen wir die Eigentumswohnungen auch weiterhin attraktiv halten. Ja, wir haben auch bei den Eigentumswohnungen doch einen gewissen Sanierungsstau. Bei vielen Wohnungseigentümergemeinschaften gibt es Unfrieden, weil man sich nicht einig ist, welche baulichen Veränderungen gemacht werden sollten, und das ändern wir mit diesem Gesetz. Ich glaube, es ist ein gutes Gesetz, weil wir für mehr Klimaschutz und für weniger Ärger sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wer Maßnahmen wie eine E-Ladestation oder Einbruchschutz oder einen barrierefreien Zugang für sich selbst haben möchte, der kann das zukünftig verlangen. Er braucht nicht die Mehrheit der Eigentümer hinter sich zu versammeln. Ein einziger Querulant, wie wir es leider oft haben, kann also zukünftig nicht mehr bauliche Veränderungen verhindern. Das ist bedeutsam, weil wir wichtige Investitionen brauchen.
Maßnahmen, die sich amortisieren – und da gehen wir von einem Zeitraum von rund zehn Jahren aus –, können auch zukünftig mit einer Mehrheit beschlossen werden, und zwar so, dass dann alle mitbezahlen müssen. Sinnvolle Maßnahmen, die sich nicht amortisieren, zum Beispiel neue Balkone oder eine attraktivere Außenfassade, können mit Mehrheit beschlossen werden. Dann müssen es aber diejenigen, die zugestimmt haben, bezahlen, es sei denn, sogar zwei Drittel haben zugestimmt: Dann müssen es alle bezahlen. – Das hört sich zunächst mal kompliziert an, das muss man sich im Detail dann auch für die Praxis anschauen. Aber wir werden dadurch viele wichtige Investitionen ermöglichen.
Und wir stärken auch die Eigentümerrechte. Wenn ein Verwalter einen Fehler macht und den Eigentümern ein Schaden entsteht, dann – so haben wir es ausdrücklich im Gesetz geregelt – können Ansprüche von den Eigentümern auch gerichtlich gegen den Verwalter geltend gemacht werden.
Und wir vereinfachen vieles Weitere. Es wird also weiterhin die Beschlusssammlung geben. Das heißt, die Eigentümer können sich einfach informieren, wie die Beschlusslage bei der Wohnungseigentümergemeinschaft ist.
Wir lassen auch Umlaufbeschlüsse zu. Das heißt, wenn die Eigentümer eine Entscheidung treffen möchten, aber sich nicht persönlich treffen, wird das zukünftig möglich sein. Und auch online wird zukünftig ein Eigentümer an einer Versammlung teilnehmen können. Auch das ist ein wichtiger Fortschritt.
Dann gab es die Befürchtung, dass die Stellung des Hausverwalters zu stark sein könnte. Das mag vielleicht an der einen oder anderen Stelle im Referentenentwurf der Fall gewesen sein. Deswegen hat die SPD durchgesetzt, dass der Hausverwalter in Zukunft im Verhältnis zu den Eigentümern ohne eine ausdrückliche Ermächtigung nur noch unbedeutende Geschäfte vornehmen darf, die die WEG nicht zu hohen Summen verpflichtet.
Und ganz wichtig: Auch in Zukunft wird der Hausverwaltung eine ganz besondere Rolle zukommen. Deswegen war uns als SPD die Qualifikation des Hausverwalters wichtig, und das haben wir durchgesetzt; die Kollegen musste man zu diesem Ziel ein bisschen schieben.
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– Ja, das stand in der Presseerklärung heute bei euch etwas anders. Das fand ich sehr lustig. – Also gut, dass die SPD durchgesetzt hat, dass zukünftig eine Zertifizierung bei den Hausverwaltern vorliegen muss. Das sichert die Qualität, und das ist im Sinne aller Eigentümer, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Was mich wirklich sehr geärgert hat, ist, dass überwiegend schwarz-grün regierte Länder – Bremen, okay, das ist ein kleines Land, die brauchen da ein bisschen Zeit; da verstehe ich das – dagegengestimmt haben, dass morgen im Bundesrat dieses Gesetz verabschiedet werden kann. Das ist wirklich sehr, sehr ärgerlich.
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Kollege Luczak notiert sich das gerade. Das war von SPD-Seite nur Bremen, um es zu sagen. – Also, die Schwarz-Grünen haben verhindert, dass die Wohnungseigentümergemeinschaften die Mehrwertsteuersenkung jetzt noch nutzen können. Das war eigentlich der Plan. Insofern ist das sehr ärgerlich, und der Appell an den Bundesrat ist, dann möglichst bald dieses gute Gesetz zu verabschieden.
Alles in allem, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir überfordern die Eigentümer nicht. Wir schaffen verhältnismäßige Lösungen. Wir ermöglichen mit diesem Gesetz viele wichtige Investitionen. Langer Rede kurzer Sinn: weniger Zoff, mehr Klimaschutz, ein gutes Gesetz. Stimmen wir dem so zu!
Vielen Dank.
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Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion der Kollege Jens Maier.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Barmherzige denkt an sich zuerst. Eingedenk dieser Weisheit habe ich das ganze Paket zunächst mal aus der Sicht eines Zivilrichters betrachtet und kam zu einem Schluss: Dieses Gesetz, vor allem in der Fassung des Änderungsentwurfs, ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für unsere sowieso schon überlasteten Gerichte.
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In der Kürze der Zeit kann ich nur auf zwei Punkte eingehen. Erster Punkt: die Verwaltervollmacht. Wir hatten mit unserem AfD-Änderungsantrag als erste Fraktion im Rechtsausschuss versucht, die geplante, noch nie so dagewesene Außenvollmacht des Verwalters auf Geschäfte von bis zu 500 Euro zu beschränken. Das hat der Änderungsantrag der Koalition im Ausschuss leider nicht aufgegriffen und trotz der massiven Kritik daran die Außenvollmacht des Verwalters nur für Darlehensverträge und Grundstücksgeschäfte reduziert. Diese nun kommende umfassende prokuraähnliche Vollmacht des Verwalters birgt für die Eigentümergemeinschaft unkalkulierbare Risiken in sich, und der Verweis auf Regressmöglichkeiten vermag daran nichts zu ändern. Diese neue Regelung entwertet die Stellung des Wohnungseigentümers beträchtlich.
Schlecht geregelt sind aber auch die das Innenverhältnis betreffenden Befugnisse des Verwalters. In § 27 des Entwurfs wird der Verwalter nun nur noch dazu ermächtigt, Maßnahmen zu treffen, die eine untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen. Ja, was soll das sein, untergeordnete Bedeutung, erhebliche Verpflichtung? Hier flüchtet man sich wieder ins Unbestimmte mit der Hoffnung: Der Richter wird’s schon richten. Das wird in der forensischen Praxis zu einer Fülle an Einzelfallentscheidungen führen.
Der zweite Punkt: die Kostentragungspflicht bei baulichen Veränderungen. Besonders hinzuweisen ist da auf § 21 Absatz 2 des Entwurfs. Danach haben alle Wohnungseigentümer die Kosten baulicher Veränderungen nach dem Verhältnis ihrer Anteile zu tragen, die mit mehr als zwei Drittel der abgegebenen Stimmen und der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen wurden, es sei denn – es sei denn! –, die bauliche Veränderung ist mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Ja, wie kann sich die überstimmte Minderheit gegen bauliche Veränderungen wehren? Nur dann, wenn sie darlegen und beweisen kann, dass die beschlossenen Maßnahmen unverhältnismäßig sind.
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In der Begründung hierzu heißt es, dass ein objektiver Maßstab anzulegen sei. Das bedeutet: Auf die Situation des einzelnen Eigentümers kommt es überhaupt nicht an, auch auf seine finanzielle Situation nicht.
Hinzu kommt, dass nicht die tatsächlich entstandenen Kosten für die Frage „Was ist verhältnismäßig, was nicht?“ maßgeblich sind, sondern dass auf eine Ex-ante-Betrachtung abzustellen ist. Das bedeutet, dass es auf die kalkulierten und nicht auf die wirklich entstandenen Kosten ankommt. Da kann ich nur sagen: Vae victis! Wehe den Besiegten! Da kann ich mir jetzt schon vorstellen, wie arme Rentner, die in ihrer über Jahre abbezahlten Eigentumswohnung ihren Lebensabend verbringen wollen, durch Mehrheitsbeschlüsse aus der linksökologischen Schickimickiecke finanziell überfordert und aus der Eigentümergemeinschaft rausgemobbt werden. Das ist das Ergebnis.
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Und wieder mal, wie so oft, bekommt eine derartige Sozialignoranz einen Anstrich, nämlich einen grünen Anstrich – wobei: Schwarz, grün, das ist ja mittlerweile eigentlich das Gleiche.
In der Zielsetzung des Gesetzentwurfs heißt es unter anderem: „Für die Erreichung der Klimaziele ist die energetische Sanierung von Bestandgebäuden unerlässlich.“ Herr Fechner hat das ja vorhin auch angesprochen. Die Klimaziele zu erreichen, ist eben für die Kartellparteien das Allerwichtigste. Und ob da ein paar Wohnungseigentümer hinten runterfallen und das Wohnungseigentumsrecht, wie wir es jetzt sehen, insgesamt entwertet wird: Was macht das schon? Das ist völlig wurscht! Da machen wir als AfD nicht mit. Wir lehnen das Gesetz ab.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal replizieren auf den Kollegen Fechner. Ich will ganz klar sagen: Auch wir hätten uns als Bundestagsfraktion gewünscht, dass das Gesetz den Bundesrat passieren würde. Denn wir haben den Sommer über hart an diesem Gesetz gearbeitet, auch gemeinsam hart gearbeitet, und ich finde, es ist ein wirklich gutes Gesetz geworden. Es ist auch ein extrem wichtiges Gesetz, weil ein Viertel der Wohnungen in unserem Land, etwa 10 Millionen, Eigentumswohnungen sind.
Das WEG ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Seit 1951 gibt es dieses Gesetz, also seit fast 70 Jahren. Das Ziel dieses Gesetzes war, Eigentum attraktiv zu gestalten, mehr Menschen den Traum vom Eigenheim zu ermöglichen. Deswegen war es uns so wichtig, dass wir das WEG, dieses etwas in die Jahre gekommene,
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etwas angestaubte Gesetz tatsächlich reformieren, damit es auch zukünftig attraktiv bleibt. Seit 2007 ist es nicht mehr angefasst worden. Jetzt geht es darum, dieses Gesetz fitzumachen für die Herausforderungen der Zukunft.
Wir haben im Kern drei Ziele verfolgt. Wir wollten die Handlungsfähigkeit von Wohnungseigentümergemeinschaften stärken. Wir wollten den Modernisierungsstau, den es in vielen Anlagen gibt, auflösen. Und wir wollten dabei vor allen Dingen – das war uns als Union wichtig – die Eigentümerrechte wahren. Ich kann heute sagen: Alle diese drei Ziele haben wir miteinander erreicht.
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Wenn ich nur mal mit dem Verwalter anfange: Der Verwalter wird nach der Konzeption dieses Gesetzes zukünftig wie ein Organ der Wohnungseigentümer fungieren; er soll diese vertreten. Es war uns wichtig, dass wir einen starken, aber eben auch einen kompetenten Verwalter haben; denn Eigentümer sind ja nicht immer die großen, sondern eben auch viele kleine Leute. Für sie ist die Investition in eine Eigentumswohnung häufig die größte Investition, die sie in ihrem Leben jemals machen. Deswegen war es uns ganz, ganz wichtig, dass sie gute Verwalter, kompetente Verwalter an ihrer Seite haben. Das ist ein ganz zentraler Bestandteil für mehr Verbraucherschutz.
Wir haben eine Zertifizierung eingeführt; der Kollege Fechner hat schon darauf hingewiesen. Jeder Eigentümer hat zukünftig einen Anspruch darauf, einen kompetenten, von der IHK geprüften Verwalter zu haben, der die juristischen Kenntnisse, die kaufmännischen Kenntnisse und auch die technischen Kenntnisse mitbringt. Das ist wichtig, um den Modernisierungsstau aufzulösen – das zweite Ziel unseres Gesetzes, bei dem es darum geht, mehr altersgerechten und barrierefreien Umbau zu fördern, E-Mobilität zu stärken sowie das Recht auf Glasfaseranschluss in den Wohnungseigentümergemeinschaften zu stärken.
Für all das braucht man natürlich, wenn man es auf den Weg bringen will, den kaufmännischen, juristischen und auch den technischen Sachverstand. Das haben wir jetzt mit dem zertifizierten Verwalter erreicht und damit, dass wir diese Maßnahmen privilegieren, sodass das zukünftig einfacher umgesetzt wird. Es ist ein massiver Schritt in Richtung Zukunft, was wir jetzt mit diesem Wohnungseigentumsgesetz auf den Weg bringen, meine Damen und Herren.
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Wir haben uns vor allen Dingen die Situation in den Wohnungseigentümergemeinschaften angesehen. Viel von dem Modernisierungsstau, den wir erleben, kommt daher, dass bauliche Veränderungen bis heute in aller Regel nur einstimmig möglich waren. Es gibt in jeder Wohnungseigentümergemeinschaft immer mindestens einen, der irgendwie dagegen ist. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Das kann mal wirtschaftliche Gründe haben; das kann aber einfach auch daran liegen, dass man vielleicht mit anderen Eigentümern überquer liegt, denen etwas nicht gönnen möchte. Diese Menschen haben an vielen Stellen Dinge blockiert; das wollten wir auflösen.
Das haben wir mit dem Gesetz erreicht; denn wir sagen: Bauliche Veränderungen sind zukünftig nicht mehr nur einstimmig möglich, sondern es gibt ein Quorum. Wenn jetzt zukünftig zwei Drittel der Eigentümer zustimmen und diese gleichzeitig auch 50 Prozent der Miteigentumsanteile repräsentieren, dann ist eine solche bauliche Maßnahme zulässig, dann kann man das beschließen, und dann müssen am Ende auch alle dafür die Kosten tragen.
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Wir haben uns in diesem Zusammenhang natürlich auch die Frage gestellt: Was ist denn mit den Eigentümern, die vielleicht wirtschaftlich nicht so gut aufgestellt sind? Der Herr Kollege Straetmanns hebt jetzt darauf ab. Natürlich haben wir uns das angeschaut und haben deswegen eine Regelung, die auch vernünftig ist, in das Gesetz hineingebracht: Für Konstellationen, in denen es zu unverhältnismäßigen Kosten kommt, in denen jemand wirklich in Bedrängnis kommt und diese baulichen Maßnahmen nicht mitfinanzieren kann, haben wir eine Grenze eingesetzt. Das kann zukünftig gerichtlich überprüft werden, und dann kann eine solche Maßnahme auch gestoppt werden.
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Jetzt spricht der Kollege Maier, der ja nun selber Richter ist, von einer Überlastung der Justiz. Ich kann nicht erkennen, wie man von einem ganz normalen Regelungsmechanismus, den wir in diesem Gesetz haben – nur weil die individuelle Qualifikation vielleicht nicht ausreicht, um mit diesen gesetzgeberischen Rahmenbedingungen umzugehen –, einfach so auf eine Überlastung der Justiz schließen kann, meine Damen und Herren.
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Ein letzter Punkt, der für die Union besonders wichtig war: Es gab viele, viele Zuschriften im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens. Uns haben Eigentümer angeschrieben, die Sorge hatten, dass wegen der starken Verwalter, die es jetzt geben soll, Eigentümerrechte möglicherweise nicht mehr gewahrt werden. Da kann ich ganz deutlich Entwarnung geben; dafür haben wir uns als Union in dem Gesetzgebungsverfahren eingesetzt.
Der Kollege Fechner hat es ja gerade selber zugegeben: Im Referentenentwurf gab es tatsächlich viele Regelungen, bei denen man auch die Frage hätte stellen können: Geht das nicht zu weit? Greift das nicht zu sehr in Eigentümerrechte ein? Wir haben jetzt dafür Sorge getragen, dass trotz dieser starken Verwalter die Sorgen von Eigentümern ernst genommen werden und sie auch zukünftig bei der Wohnungsverwaltung den Hut aufbehalten.
Das haben wir dadurch erreicht, dass ein Verwalter immer nur Dinge von untergeordneter Bedeutung allein entscheiden kann, wenn damit also keine hohen wirtschaftlichen Kosten einhergehen. In allen anderen Konstellationen, wenn es also um wirklich wichtige Dinge geht, da behalten die Eigentümer den Hut auf, da braucht es auch zukünftig einen Beschluss.
Deswegen können wir hier und heute sagen: Das ist ein gutes Gesetz. Wir haben unsere Ziele erreicht. Der Modernisierungsstau wird aufgelöst. Wir machen das WEG fit für die Zukunft. Gleichzeitig haben wir die Eigentümerrechte gewahrt. Deswegen darf ich an dieser Stelle sehr herzlich um Zustimmung bitten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Jan-Marco Luczak. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Katharina Willkomm.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohnungseigentum ist wunderbar. Millionen Menschen haben sich so den Wunsch nach eigenen vier Wänden erfüllt. Sie leben in Eigentum und sind damit unabhängig von Vermietern und sicher vor Mieterhöhungen bis ins hohe Alter. Das von Bauminister Seehofer geplante Umwandlungsverbot ist daher völlig widersinnig, zumal das Institut der deutschen Wirtschaft gerade erst belegt hat, dass es keine Verdrängung von Mietern durch die Entstehung von Eigentumswohnungen gibt. Also hören Sie mit der Gängelung der Wohnungsmärkte auf! Lassen Sie den Menschen die Freiheit, selbst für sich vorzusorgen!
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Alles hat Vor- und Nachteile; so ist es halt auch beim Wohnungseigentum: Man lebt gemeinsam, und man entscheidet gemeinsam. Bislang sind wichtige Sanierungen wegen der notwendigen Einstimmigkeit zu oft auf der Strecke geblieben. Komplizierte Beschlussquoren verhindern Modernisierung, altersgerechte Umbauten und die Nachrüstung klimafreundlicher Technologien. Die Reform des WEG ist daher absolut notwendig.
Wir Freien Demokraten haben dazu auch gute Vorschläge gemacht. So wollen wir erstens Beschlussquoren vereinheitlichen und auch im Umlaufverfahren die Mehrheit entscheiden lassen, zweitens die Nutzung digitaler Plattformen für die Abstimmung der Gemeinschaft zulassen und drittens den Verwaltungsbeirat für eine bessere Kontrolle des Verwalters verstärken. Viertens müssen Verwalter für die anspruchsvolle Arbeit, die sie leisten, ihre Sachkunde nachweisen.
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Der nachgebesserte Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, enthält diese Punkte im Großen und Ganzen. Es ist ein Gesetz, das, sagen wir mal, okay ist.
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Das Leben wird für viele WEGs leichter als vorher werden, aber es würde noch mehr gehen. Mit der Reform rücken Sie davon ab, die Aufgaben und Befugnisse des Verwalters gesetzlich aufzulisten. Das ist ein Fehler. Natürlich könnten die Eigentümer alles kleinteilig vertraglich regeln. Aber woher sollen sie überhaupt wissen, welche Punkte es zu regeln gilt? Es kann doch nicht sein, dass die Menschen wegen allem zum Anwalt rennen müssen. Sie wollen die Befugnisse des Verwalters eingrenzen, aber Sie schaffen im Gesetz nur schwammige Rechtsbegriffe. Dass Sie in der Gesetzesbegründung typische Beispiele nennen, hilft vielleicht einem Richter, aber nicht dem Normalbürger. Daher fordern wir einen gesetzlichen Katalog. Der hätte Klarheit geschaffen.
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Auch Ihr Kompromiss bei der Kostenverteilung birgt Nachteile. Wenn ein Eigentümer bei einer baulichen Maßnahme von zwei Dritteln überstimmt wird, soll er die Kosten mittragen. Für Geringverdiener oder Rentner ist das ein echter Fallstrick. Unverhältnismäßige Kosten sind davon zwar ausgenommen; aber diese Unverhältnismäßigkeit muss erst mal vor Gericht bewiesen werden. Hier wäre ein besserer Minderheitenschutz dringend notwendig gewesen. Deshalb können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Katharina Willkomm. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Friedrich Straetmanns.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst mit Lob beginnen.
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Offenbar wurde die Kritik, die von den Sachverständigen bei der Anhörung geäußert wurde, in Ihrem Gesetzentwurf zumindest teilweise berücksichtigt. Sie haben sie zumindest in Ihren Änderungsantrag eingebaut. Sie haben so versucht, größere Schieflagen im Gesetzentwurf abzumildern, und haben bestimmte Rechte der Wohnungseigentümer gestärkt.
Es wurde angesprochen: Der Sachkundenachweis für Verwalter ist eingeführt worden. Hinzu kommt, dass nun die Bestellung und die Abberufung des Verwalters sowie bauliche Veränderungen nur noch mit Zweidrittelmehrheit und der Hälfte aller Miteigentumsanteile aufgrund Beschlusses der Wohnungseigentümer auf Kosten aller erfolgen dürfen. Eingeschränkt wurde auch die Vertretungsbefugnis des Verwalters bei Grundstückskauf- und Darlehensverträgen. Zumindest das begrüßen wir; deswegen haben wir Ihrem Änderungsantrag zugestimmt. Wir halten das alles aber für bei Weitem nicht ausreichend.
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Es gibt nämlich noch immer eklatante Lücken. Die Vertretungsbefugnis des Verwalters geht uns immer noch zu weit. So dürfte er zum Beispiel langfristige Wartungsverträge für Aufzüge ohne Genehmigung der Miteigentümer abschließen.
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Insgesamt führen Sie einen Systemwechsel durch. Somit wird die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die gesamte Verantwortung und Haftung für die Verwaltung des Wohneigentums übernehmen müssen. Das führt zu Beschneidungen von Rechten einzelner Eigentümer, insbesondere kleiner Eigentümer.
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Kritisch sehen wir, dass auch der Schlüssel bei der Verteilung von Betriebskosten weiter zulasten von Wohnungseigentümern mit kleinen Wohnungen geht. Ihren Ansatz, die Betriebskosten nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile an der Gemeinschaft zu berechnen, lehnen wir Linken im Interesse der Mieterinnen und Mieter ab.
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Ohne diese Änderungen wären uns auch die Einschnitte im Mietrecht erspart geblieben. Bezeichnend ist übrigens, dass Sie in Ihrem Entwurf die Kritik des Deutschen Mieterbundes nicht aufgegriffen haben. Die Lage von Mieterinnen und Mietern in den Großstädten wird bundesweit immer prekärer, sie verschlechtert sich weiter. Wir bleiben dabei: Miteigentumsanteile sind abstrakte Größen ohne notwendigen und erkennbaren Bezug zur Wohnnutzung. Sie bleiben auch abstrakt, wenn Mieterinnen und Mieter zukünftig Abrechnungen nach Miteigentumsanteilen erhalten. Dazu kommt – es ist angesprochen – eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe im Bereich der Kostentragungspflichten, die uns rechtlich noch allerlei Schwierigkeiten bereiten werden.
Zu guter Letzt noch ein Wort zur Elektromobilität: Es ist gut, dass mit der WEG-Reform Halter von E-Fahrzeugen endlich einen Anspruch auf eine private Lademöglichkeit in Tiefgaragen oder auf Parkplätzen bekommen.
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Aber Ihnen ist offensichtlich entgangen, dass Mieterinnen und Mieter, die sich eine solche E-Ladestation zulegen, letztendlich auf den Kosten sitzen bleiben. Nach Beendigung des Mietverhältnisses steht Ihnen nämlich keine Entschädigung zu.
Wegen all der genannten Lücken und Mängel lehnen wir den Gesetzentwurf in Gänze ab.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Canan Bayram.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fasse mal zusammen: Die FDP lehnt den Gesetzentwurf ab, weil die – –
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– Ah ja, okay. – Die FDP stimmt dem Gesetzentwurf nicht zu, weil sie der Ansicht ist, dass die Rechte der Eigentümerinnen und Eigentümer zu sehr eingeschränkt werden. Die Linke will dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil sie die Eigentümer vor Einschränkungen ihrer Rechte schützen will. Das ist, glaube ich, eine der interessanteren Debatten.
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Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen; das kann ich schon vorwegnehmen. Für mich stellt sich die Frage: Ist hier eigentlich das Glas halb leer oder halb voll? Wir hätten auch gerne noch ein bisschen mehr dringehabt und sind der Ansicht, dass insbesondere die Korrekturen, die nach der Anhörung im Rechtsausschuss vorgenommen wurden, etwas deutlicher hätten ausfallen können. Ich habe aber keinen Anzuhörenden gehört, der gesagt hat: Alles soll so bleiben, wie es ist. – Das habe ich von niemandem gehört.
Dass der Handlungsbedarf ganz drängend ist und dass der Status quo so ist, dass wir seine Beibehaltung nicht verantworten wollen, hat uns eben dazu gebracht, dem Gesetzentwurf zustimmen zu wollen. Wir haben auch einen Entschließungsantrag eingebracht, in den wir reingeschrieben haben, was wir hätten ändern wollen. Das ist zum Beispiel Folgendes: Man hätte das Grundbuch so erweitern können, sodass dort künftig etwa Teilungserklärungen und die Gemeinschaftsordnung zusammengefasst und für den Berechtigten einsehbar wären. Das hätte einen großen Fortschritt zum Schutz des Rechtsverkehrs mit sich gebracht. Auch die Regelungen zu von allen Eigentümern zu zahlenden baulichen Veränderungen enthalten weiterhin unklare Begriffe. Das kann man kritisieren; trotzdem kann man dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir sehen auch die Bemühungen, bei den Quoren Klarheit zu schaffen. Da müssen wir schauen, wie sie sich tatsächlich in der Realität auswirken.
Von daher kann man sagen: Den umweltpolitischen Belangen wird uns noch nicht weit genug entsprochen; da hätten wir uns mehr vorstellen können. Damit künftig ein Gesetz geschaffen wird, das wirklich hilft, möchte ich Ihnen tatsächlich unseren Entschließungsantrag ans Herz legen. Darin steht eine Menge konkrete Verbesserungen, deren baldige Umsetzung wir uns mit Ihrer Zustimmung erhoffen.
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Insbesondere bei der Transparenz der Kosten muss nachgebessert werden; denn es darf nicht dazu kommen, –
Frau Kollegin, erlauben Sie eine – –
– dass höhere Betriebskosten für die Mieterinnen und Mieter mangels Transparenz bei vermieteten Wohnungen entstehen.
Frau Kollegin, Frau Kollegin.
Darauf bestehen wir.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich wollte Sie eigentlich etwas fragen, liebe Kollegin.
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Jetzt ist zu spät.
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Dann bekommt der Herr Straetmanns eine Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte, weil die Kollegin das gerade so ausdrücklich angesprochen hat, noch einmal unseren Kritikpunkt in Bezug auf die Eigentumsrechte bzw. Eigentümerposition deutlich machen.
Es geht uns vor allen Dingen um die sogenannten kleinen Eigentümer. Hier denken wir insbesondere an die in selbstgenutzten Eigentumswohnungen. Mit Ihrem Gesetzentwurf schließen Sie folgende Fallkonstellation nicht aus: Wir stellen uns einmal vor – reines Fantasiegebilde –: Herrn Luczak gehören in einer Eigentumsanlage von 20 Eigentumswohnungen mehr als 50 Prozent, also elf Wohnungen.
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Gleichzeitig hat er einen sehr guten Draht zu anderen Eigentümern. In dieser Wohnungsanlage wohnt leider die arme Rentnerin, die ich Erna B. nenne, die im Alter in ihrer Eigentumswohnung, die sie sich zusammengespart hat, wohnen will. Die Kosten für diese Wohnung können Sie, wenn Sie über genügend Barmittel verfügen, über kostenträchtige bauliche Veränderungsmaßnahmen so in die Höhe treiben, dass Erna B. am Ende gezwungen ist, ihre Wohnung zu verkaufen, weil sie da nicht mitgehen kann. Das ist wie beim Pokern. Irgendwann muss sie aussteigen. Genau das kritisieren wir, weil wir uns nämlich auch um die kleinen Eigentümer kümmern. Das ist der Unterschied.
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Vielen Dank. – Frau Bayram, Sie wollen gerne erwidern.
Sehr geschätzter Herr Kollege, ich muss Ihnen wirklich sagen, dass ich in meinem Wahlkreis derzeit das Problem habe, dass sehr viele Häuser in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden. Diese werden dann verkauft. Durch die Aufteilung in Eigentumswohnungen sind sehr, sehr viele Menschen in meinem Wahlkreis, in Friedrichshain-Kreuzberg, bedroht, ihre Wohnungen zu verlieren. Insoweit finde ich es sehr interessant, dass Sie sich hier dafür einsetzen, dass das Wohnungseigentumsrecht so gestaltet wird, dass der Kauf und Weiterverkauf von Wohneigentum attraktiv wird. Ich nehme das sehr interessiert zur Kenntnis.
Ich möchte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass Frau Willkomm von der FDP noch einmal gesagt hat, dass sie Herrn Seehofer dafür kritisiert, dass er die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen bekämpfen oder einschränken will. Ich kann Ihnen sagen: Ich fiebere dem Tag entgegen, wo es Herrn Seehofer gefällt, dieses politische Ziel zu erreichen.
Jetzt wissen Sie, warum ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte. Ich wundere mich darüber, wie Sie sich dazu verhalten.
Wir haben in der Anhörung von allen ganz deutlich gehört, dass man, wenn man älter ist, einen Aufzug oder sonstige Umbauten benötigt. Es kann doch nicht sein, dass die anderen einen dann zwingen, die Wohnung zu verlassen.
Wir haben gehört, dass der Klimaschutz sehr drängend und wichtig ist. Mir ist sehr wichtig – das habe ich versucht deutlich zu machen –, dass Mieterinnen und Mieter nicht die Verlierer sein dürfen in diesem Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz. Das erwarte ich, und daran werde ich auch weiter arbeiten.
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Davon habe ich auch meine Zustimmung abhängig gemacht. Ich hoffe, dass Sie insoweit meine Interessen bezüglich der Zustimmung nachvollziehen können.
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Vielen Dank Ihnen beiden. – Der nächste Redner ist Michael Groß für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit so viel Lob können wir, glaube ich, gut leben.
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Herr Straetmanns, ich bin der festen Überzeugung, dass der Kollege Luczak alles dafür tun wird, dass die arme Rentnerin nicht aus dem Haus ausziehen muss.
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Wie ich ihn aus Diskussionen kenne, wird er wahrscheinlich dafür sorgen, dass andere Lösungen gefunden werden.
Ich will nur betonen, dass wir von der SPD-Fraktion natürlich daran interessiert sind und auch in der Koalition daran arbeiten, dass es keine Verzögerung beim Umwandlungsverbot geben darf. Das ist ein wichtiges Thema.
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Ich kann nur sagen, dass es an der Zeit ist, da wirklich etwas zu tun. Deswegen haben wir dieses moderne Gesetz vorgelegt. Deswegen geht mein Dank an das Ministerium und an diejenigen, die zwei Jahre daran gearbeitet haben, dass das Gesetz, das wir jetzt vorlegen, auf der Höhe der Zeit ist.
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Wir wollen nämlich die Eigentumsbildung attraktiv machen, weil wir in Deutschland Wohnungen brauchen, und zwar mehr als die 4,5 Millionen Mietwohnungen, die diese Eigentümer auch anbieten. Diese Mietwohnungen müssen natürlich – davon gehe ich auch aus – einen sozialen Mietpreis haben. Das haben wir auch geregelt.
Aber wir wollen auch, dass sich die Lebensqualität in den Eigentumswohnungen verbessert.
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Deswegen ist es uns wichtig, dass wir barrierereduzierten und barrierefreien Umbau ermöglichen, dass wir Einbruchschutz ermöglichen und über Quoren ermöglichen, dass alle diese Umbaumaßnahmen tragen. Das war uns besonders wichtig.
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Wir haben gemeinsam dafür gesorgt, dass wir die Stellung der Eigentümer verbessern. Uns war besonders wichtig, dass der Verwaltungsbeirat, das Kontrollorgan, gestärkt wird. Es gab aber noch die Frage: Wie kann man die Verwaltungsbeiratsmitglieder auch in Haftungsfragen schützen? Hier gibt es die Möglichkeit von Versicherungen. Jeder vernünftige Verwalter wird dafür sorgen, dass die Mitglieder des Verwaltungsbeirates entsprechend den Aufgaben und Anforderungen versichert sind.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Eigentümerversammlung, die Gemeinschaft der Eigentümer, das willensbildende Organ ist und haben deswegen natürlich die Stellung der Eigentümer gegenüber dem Verwalter gestärkt. Das war uns ganz wichtig.
Wir hätten natürlich gerne, Herr Luczak, den Sachkundenachweis in der Gewerbeordnung verortet. Ich muss Ihnen nicht sagen – Sie gehen ständig damit hausieren, dass es Ihr Werk ist –, dass dies Ihr Ministerium verhindert hat. Wir hätten es natürlich gerne gehabt, dass in der Gewerbeordnung deutlich gesagt wird, welche Qualität der Sachkundenachweis haben muss. Wir haben jetzt eine zivilrechtliche Lösung. Die soll dafür sorgen, dass sich die Eigentümer darauf verlassen können, dass sie Qualität einkaufen. Die Eigentümerversammlungen haben demnächst einen Rechtsanspruch auf Fachkunde beim Verwalter.
Herzlichen Dank für die Beratungen. Ich wünsche mir, dass die Eigentümer und die Verwalter zufrieden sind. Ich habe gehört, das ist so. Das geht aus den Presseerklärungen hervor.
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– Die Mieter habe ich zu Beginn erwähnt.
Herzlichen Dank. Glück auf!
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Vielen Dank, Michael Groß. – Nächster Redner: Mario Mieruch.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Gesetz von 1951 auf den Stand der heutigen Zeit zu bringen, ist sicher geboten. Was aber Mieter künftig von den Vermietern alles verlangen können, ist schon sehr spannend.
Die sinnvollen bestehenden Regelungen aus dem früheren § 554 BGB für Menschen mit Behinderungen werden nun um Einbruchsschutz und Ladestruktur für E-Fahrzeuge erweitert. Während es beim Einbruchsschutz vielleicht viel zielführender wäre, Maßnahmen gegen Einbrecher zu ergreifen, spricht man bei der Ladestruktur für E-Fahrzeuge von einem gewollten Markthochlauf. Gewollter Markthochlauf: Ist das die andere neue Bezeichnung für Planwirtschaft? Planwirtschaft für eine Technologie, die ihre negativen Begleiterscheinungen ins Ausland verlagert, wie die Kinderarbeit in Afrikas Minen und die Grundwasserprobleme in Südamerika zeigen.
Mit dieser Gesetzesänderung stellen Sie die Nutzer und Eigentümer rechtlich noch weiter gleich. Was bei Behinderungen noch begründbar und sinnvoll ist, ist in allen anderen Punkten jedoch ein fundamentaler Eingriff in die Eigentumsrechte. Die geplante Gesetzesänderung ist am Ende sogar noch eine Mietwohnungsbauverhinderung.
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Denn Investoren bauen jetzt schon vielfach nur noch Eigentumswohnungen. Junge Familien überlegen es sich dreimal, ob Vermieten als Altersvorsorge noch Sinn ergibt. Diejenigen, die im alten Corsa oder im alten Polo zur Arbeit fahren, dürfen zwar über das EEG und ihre Steuern die Wendepläne bezahlen, werden sich selbst aber nie diese E-Mobile leisten können. Eine Mietwohnung finden sie derweil auch immer schwieriger, weil dieser Bereich völlig überreguliert wird. Dass man ausgerechnet hier in Berlin nicht versteht, was die eigene Wohnungsbaupolitik vor Ort ausrichtet, entbehrt nicht einer gewissen Komik.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Mario Mieruch. – Letzter Redner in dieser Debatte: Sebastian Steineke für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn man diese sehr interessante Debatte noch einmal zusammenfasst, kann man sagen: Einige haben das Gesetz offensichtlich gar nicht gelesen oder wollten es nicht lesen. Auch ich habe interessante Erinnerungen an Berichterstattergespräche, was dort gelaufen ist und wer welche Vorschläge gemacht hat. Aber das lassen wir auch einmal weg.
Am Ende des Tages, Herr Straetmanns, steht immer die Frage: Man sucht das Haar in der Suppe, um tatsächlich Nein sagen zu müssen, weil man das Gesetz ansonsten ganz gut findet.
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– Nein, das war so nicht gemeint.
Aber ich glaube, wir haben hier im Wesentlichen tatsächlich die Reform, die notwendig war, auf den Weg gebracht. Viele Punkte, von denen wir uns vorgestellt hatten, dass wir sie in diesem Gesetz brauchen, haben – ein großer Wurf – tatsächlich Eingang in das Gesetz gefunden.
Bevor ich auf die inhaltlichen Punkte noch einmal kurz eingehe, geht mein Dank – ich habe das schon im Ausschuss gesagt – an das Ministerium, das sehr gut mitgearbeitet hat, viele gute Vorschläge gemacht hat. Dank auch an den Koalitionspartner – auch wenn wir manchmal unterschiedliche Erinnerungen an Vorgänge und Gespräche hatten –, weil das, glaube ich, eine sehr kollegiale und gute Zusammenarbeit zu einem sehr wichtigen Thema war.
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Natürlich ist, wenn man sich den ganzen Bereich des Wohnungseigentums anguckt, die entscheidende Komponente für uns der Eigentümer. Man kann festhalten: Wohnungseigentümer und die gesamte WEG sind Verbraucher. Deswegen haben wir im Bereich des Eigentümerschutzes in den Beratungen ganz klare Schwerpunkte besprochen. Was das Außenverhältnis angeht, haben wir klipp und klar gesagt, dass Grundstücks- und Kreditgeschäfte von der Außenvollmacht ausgenommen werden. Das war übrigens auch expliziter Wunsch der Branche selber, insofern auch von den Verwaltern gewünscht.
Wir haben auch die Innenvollmacht des Verwalters begrenzt – wir haben es schon gehört –, auf Maßnahmen, die untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen.
Ich sage auch ganz klar und deutlich, warum wir hier keinen großen Katalog aufgestellt haben: weil es komplett unterschiedliche WEGs gibt. Es gibt die Zweier-WEG, die Reihenhaus-WEG, und es gibt München-Olympiapark mit 1 800 Einheiten, sind es, glaube ich. Dass es schwierig ist, das in Summe zu fassen oder in bestimmte, einzelne Sachverhalte, liegt, glaube ich, auf der Hand. Da muss man eben mit solchen Begriffen arbeiten. Die Gerichte – die meisten Richter sind da ganz gut – können mit diesen Begriffen auch umgehen; so schätzen wir das ein.
Es heißt häufig, der Eigentümer werde entmachtet. Das ist mitnichten der Fall, der Eigentümer wird gestärkt. Wir haben über das Instrument der Abberufung des Verwalters noch kaum gesprochen. Wir haben die schuldrechtliche Vereinbarung, die dahintersteht, noch einmal gestärkt, und das ist ein Instrument, das dem Verwalter sehr wohl wehtut, weil dadurch die Planbarkeit seiner Wirtschaftspläne gestört wird.
Trotz all dieser Maßnahmen kann der Verwalter für den Eigentümer besser arbeiten. Der neue § 27 WEG und die neuen Regelungen zu Abstimmungen und Kostentragung – darüber ist schon viel geredet worden – machen das möglich.
Und – das war uns wichtig – wir stärken den Beirat als Aufsichtsorgan für die WEG. Ich glaube, mit diesem Überwachungstatbestand, den wir jetzt eingesetzt haben, schaffen wir zum ersten Mal ein Gleichgewicht in diesem Verhältnis. Das war uns besonders wichtig. Der Beirat ist kein zahnloser Tiger mehr, sondern kann jetzt konkret Einfluss nehmen. Jetzt müssen die Eigentümer selber für sich tätig werden.
Eine wichtige Änderung – der Kollege Fechner hat darüber gesprochen – gibt es bei der Qualifizierung der Verwalter. Nachbesserungen an dieser Stelle – das haben wir schon in der ersten Lesung gesagt – waren uns als CDU/CSU wichtig. Was nun im WEG steht, ist aus unserer Sicht eine sehr gute Lösung.
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Die Zertifizierung soll dort erfolgen, wo dies bereits in anderen Bereichen professionelle Praxis ist: durch die IHKs. Die Einzelheiten werden noch durch eine Verordnung geregelt. Es wird Ausnahmen geben, gerade für die Eigenverwaltung – das ist uns sehr wichtig –, damit nicht jede kleine Verwaltung gehemmt wird, aber auch für Berufe, die in dem Bereich schon tätig sind. Damit sich alle auf die neue Situation einstellen können, brauchen wir eine gewisse Übergangszeit. Mit der vorgesehenen Qualifizierung werden wir die Qualität der Arbeit der Verwalter verbessern, was natürlich auch den Eigentümern zugutekommt.
Das Gesetz stellt klar: Wir brauchen klare Regeln, klare Strukturen. Die schaffen wir mit diesem Gesetz. Der Verwalter muss schneller und effizienter arbeiten können; das schaffen wir mit diesem Gesetz. Auf der anderen Seite schaffen wir neue Kontroll- und Informationsrechte; auch das war uns wichtig.
Aus unserer Sicht haben wir den großen Wurf geschafft, den wir wollten. Wir hoffen auf Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Sebastian Steineke. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Coronavirus ist nicht schwächer geworden, es ist genauso hochinfektiös wie zu Beginn der Pandemie im Frühjahr. Wir sind allerdings stärker geworden und besser aufgestellt als zu Beginn.
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Warum? Weil wir im März gemeinsam eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt und weitreichende Befugnisse auf das Bundesgesundheitsministerium übertragen haben. Es ist uns gelungen, eine sich dynamisch entwickelnde Ausbruchssituation einzudämmen, die zu einer schweren Gefährdung der öffentlichen Gesundheit in Deutschland zu werden drohte. Das Ministerium hat von seinen Ermächtigungen umsichtig und maßvoll Gebrauch gemacht und den Gesundheitsausschuss zeitnah, bereitwillig, transparent und umfassend informiert.
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Dass unser Land mit Blick auf die Opfer im internationalen Vergleich bislang glimpflich davongekommen ist, dafür gebührt vor allem all den Frauen und Männern auf allen Ebenen unseres Gesundheitswesens ein großes Dankeschön, aber es gebührt auch all denen, die mit Besonnenheit und Rücksichtnahme die Einschränkungen im Alltag akzeptiert haben.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung des Kollegen Hollnagel, AfD?
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Ja oder nein?
Ich mach’s.
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Recht herzlichen Dank für das Wort. – Sie haben gerade, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gesagt, dass durch den Lockdown ganz Schlimmes verhindert worden wäre. Dazu eine Frage: Ist Ihnen bekannt, dass am 23. März, als der Lockdown beschlossen worden ist, der R-Wert bereits unter 1 lag?
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Herr Kollege.
Die Pandemie ist so ziemlich gleichzeitig auf der Welt, gerade in Europa, ausgebrochen. In Deutschland ist die Lage deshalb besonders gut, weil wir frühzeitig konsequent gehandelt haben.
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Die Einschränkungen, die wir der Bevölkerung zugemutet haben und zumuten, sind deutlich geringer bei wesentlich größerem Erfolg als in fast allen anderen Ländern, die das anders geregelt haben.
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Man muss einfach anerkennen, dass hier Politik und das ganze Gesundheitswesen sehr verantwortungsbewusst und gut reagiert haben. Ich möchte nicht wissen, wie die Zahlen in Deutschland aussehen würden, wenn wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären.
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Meine Damen und Herren, demnächst stehen Herbst und Winter vor der Tür, womit sich das Leben dann stärker in Innenräumen abspielt. Unsere Nachbarländer melden teilweise erschreckende Zahlen täglicher Neuinfektionen. Ein Blick über die Grenze zeigt, wie sich aus örtlichen Hotspots ein Infektionsgeschehen entwickeln kann, das ganze Regionen erfasst. Ehe wir über einen geeigneten Impfstoff verfügen, darf deshalb nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, was durch Disziplin und Besonnenheit in den vergangenen Monaten erreicht worden ist.
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Im Übrigen haben wir wahrlich genug Aufgaben vor uns, um eine zweite Infektionswelle zu vermeiden. Ich will nur auf die Schnelltests für Erkältungszeiten hinweisen, die Vorbereitung und Umsetzung geeigneter Impfstrategien sowie die Beibehaltung unserer Sicherheitsregeln. Anfang letzter Woche haben wir bei der Konferenz aller Gesundheitsausschussvorsitzenden der EU zudem gemeinsame Ziele formuliert: Digitalisierung und Vernetzung gemeinsam voranbringen, relevante Produkte zukünftig wieder verstärkt in Europa herstellen und das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten stärken, um die Verhütung und Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der EU zu verbessern. Das alles wird auch unserem Öffentlichen Gesundheitsdienst zugutekommen, den wir jetzt aktuell mit 4 Milliarden Euro zusätzlich unterstützen.
Die Sorge um unser Grundgesetz und um die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger ist gewiss aller Ehren wert. Niemand von uns kann aber ein Interesse daran haben, Rechte des Parlaments einzuschränken oder auszuhebeln. Es geht nur um eines, nämlich um den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung angesichts einer weltumspannenden Pandemie. Deshalb plädiere ich gemeinsam mit der Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss dafür, den Status der epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Deutschland aufrechtzuerhalten.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir fordern in unserem Antrag erneut – ich betone: erneut –, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite sofort aufzuheben, darüber hinaus die parlamentarische Kontrolle zukünftig sicherzustellen und natürlich auch die Verordnungsermächtigungen zu beenden.
Hatten wir am 25. März 2020 eine epidemische Lage von nationaler Tragweite, wie der Bundestag feststellte? Wir sagen: Nein.
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Denn, meine Damen und Herren, die als Begründung herangezogenen Bedingungen für diese Definition waren niemals vorhanden, zum Beispiel fehlende Bettenkapazität. Wir haben Patienten aus dem Ausland aufgenommen. Fehlende Medizinprodukte? Wir haben ins Ausland geliefert. Auch der R-0-Wert – er wurde eben angesprochen – lag unter 1, aber das interessierte keinen. Im späteren Zeitraum kam der Übergang von dynamischem zu linearem Wachstum: Für Sie kein Anlass, die Beendigung festzustellen.
Im Rahmen der bundesweiten Coronamaßnahmen wurden in Deutschland etwa 1 Million Operationen Schwerkranker abgesagt bzw. verschoben, mit dramatischen Folgen. Es gab die Zerstörung von wirtschaftlichen Existenzen, unzumutbar empfundene Maßnahmen wie Quarantäne sowie Beschäftigungs- und Kontaktverbote. Den Begriff der Legaldefinition lasse ich weg; den hatte ich das letzte Mal erläutert, auch der fehlt nach wie vor.
Die AfD hatte am 6. Mai 2020 die Situation in einem entsprechenden Antrag bereits bewertet. Es lag keine epidemische Lage von nationaler Tragweite vor. Aber jetzt wird es interessant. Die FDP nimmt in ihrem vorliegenden Antrag vom Juni 2020 Forderungen der AfD – die Punkte II und III aus dem Antrag der AfD vom 6. Mai – auf. Sie haben scheinbar keine eigenen Ideen.
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Damals lehnte die FDP den AfD-Antrag ab – ohne schlüssige Begründung, ganz klar –, versucht sich aber nun mit den damaligen Forderungen der AfD zu profilieren.
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Das ist eigentlich ganz schön billig. Die Profilierungssucht der FDP geht sogar so weit – hören Sie zu –, dass sie der Zeitung „Die Welt“ die Falschmeldung übermittelten, die FDP sei die einzige Fraktion, die die Beendigung der Feststellung der epidemischen Lage fordert.
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„Die Welt“ hat es aber mittlerweile dementiert; Professor Dr. Ullmann, das wissen Sie. Das war eine Falschmeldung. Das ist bezeichnend für Ihre Arbeit. So schaffen Sie die Fünfprozenthürde im nächsten Jahr nicht. Das garantiere ich Ihnen.
Meine Damen und Herren, Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, stellt fest: Die Zahlen von Intensivpatienten wie auch von Sterbefällen seien auf niedrigem Niveau, und diese Zahlen geben Anlass, alle Maßnahmen zu überdenken. So Herr Gassen. Im Artikel der „Welt“ des Herausgebers Stefan Aust vom 8. September mit dem interessanten Titel: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ – es gab sogar mal einen Film, der so hieß –, stellt Aust eine aufwendige Analyse deutscher und internationaler Sterbedaten aus Statistiken vor. Meine Damen und Herren, solch eine Analyse hätte man allerdings von der Bundesregierung oder dem Robert-Koch-Institut erwartet. Aust erläutert anhand der Studie: Die Sterberate für das erste Halbjahr 2020 liegt unter der von den Vergleichszeiträumen in den Jahren 2017/2018. Eine Übersterblichkeit, also eine auffallend hohe Sterberate, im Zusammenhang mit einer Erkrankungswelle gab es in den Monaten des laufenden Jahres 2020 während der sogenannten Coronaepidemie nicht. – Festgestellt!
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Meine Damen und Herren, es ist nicht nachweisbar, dass die geringen Sterbezahlen in Deutschland den lang andauernden und strikten Maßnahmen hierzulande zu verdanken sind.
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Beispiel: In Schweden gab es keine höhere Sterblichkeit, auch ohne Lockdown. Schweden versinkt nicht im Viruschaos. Man hat in Schweden das zugelassen, was ohnehin für die kommenden Monate und Jahre unausweichlich ist: die eigene Immunisierung.
Aust erklärt weiter: Die Maskenpflicht – das ist hochinteressant – diene der Disziplinierung, als Symbol für Gehorsam Maßnahmen der Regierenden gegenüber und dazu, dass man ständig an eine Gefahr erinnert werde. – Das hat er gesagt. Das hat er gewagt, meine Damen und Herren. Damit ist Stefan Aust nun vielleicht auch in Ihren Augen ein Coronaleugner und ein rechter – –
Herr Spangenberg, Ihre Redezeit ist längst überschritten.
Ja. – Einen Satz noch: Darauf müssen wir reagieren, mit Augenmaß, niemals aber mit der Zerstörung der heimischen Wirtschaft und unzulässigen Einschränkungen der Grundrechte.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Spangenberg. – Nächste Rednerin: Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier der demokratischen Parteien sind selbstverständlich immer aufgefordert, Rechte des Parlaments und natürlich auch die Wahrung der Grundrechte zu verteidigen. Das ist selbstverständlich für uns.
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Wie wichtig uns das ist, haben wir im März dieses Jahres gezeigt. Als der ursprüngliche Gesetzentwurf vorsah, dass die Bundesregierung, also die Exekutive, die Notlage erklären und wieder aufheben soll, haben wir gesagt: Das ist das Recht der Legislative. – Wir haben uns durchgesetzt.
Selbstverständlich ist auch, dass wir seither immer wieder überprüft haben, ob diese Notlage noch existiert und ob wir wieder als Parlament unsere vollen Rechte bekommen sollten, ja oder nein. Selbstverständlich bietet jetzt auch der Antrag der FDP Anlass, genau darüber zu diskutieren. Die Anhörung dazu hat völlig klar gezeigt: Wir haben es mit zwei Dingen zu tun, auf die wir unser Augenmerk legen müssen. Erstens. Wie ist die epidemische Lage? Zweitens. Rechtfertigt sie Einschränkungen durch entsprechende Maßnahmen? Der Großteil der Sachverständigen hat uns gesagt: Es ist keine Entwarnung in Sicht. Vielmehr müssen wir im kommenden Herbst nicht nur die Zahlen beobachten, sondern uns auch darauf einstellen, dass die Zahlen noch einmal steigen werden. Andere Länder zeigen uns doch, dass genau da eine Überforderungssituation eingetreten ist, wo die Maßnahmen zum Teil nicht so nachdrücklich und konsequent ergriffen wurden.
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Wenn Frankreich sagt: „Wir sind nicht mehr in der Lage, die Infektionsketten nachzuvollziehen“, dann bedeutet das, dass wir rechtzeitig genau das Richtige gemacht haben.
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Jetzt zum zweiten Teil: Rechtfertigt das Hygienemaßnahmen? Rechtfertigt das Maßnahmen, die auch Demonstrationen unter gewisse Regeln stellen? Ja, das rechtfertigt das. Sie finden doch gerade die Situation in Ihren eigenen Reihen vor, dass sich jemand angesteckt hat, und hoffen darauf, dass die Maßnahmen Sie davor schützen.
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Sie sollten unbedingt Ihre Anträge in letzter Konsequenz zurückziehen. Wir stellen in dieser außergewöhnlichen Zeit fest, dass der Bundestag als zentraler Ort unserer Demokratie voll handlungsfähig ist und bleibt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Hilde Mattheis. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Christine Aschenberg-Dugnus.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kurzer Satz zu Herrn Spangenberg: Wir befassen uns grundsätzlich nur mit seriösen Anträgen,
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und ich persönlich befasse mich auch nur mit seriösen Redebeiträgen. Deswegen werde ich auf Ihren Beitrag nicht weiter eingehen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung möchte die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite bis März 2021 aufrechterhalten. Das ist aus demokratischer Sicht, aus unserer Sicht inakzeptabel; denn dieser Eingriff in unsere Parlamentsrechte ist verfassungsrechtlich unzulässig, meine Damen und Herren.
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Dabei wird immer wieder missverstanden – das haben auch Redebeiträge gezeigt –: Das Vorliegen einer Epidemie ist doch nicht gleichzusetzen mit dem Vorliegen einer epidemischer Lage von nationaler Tragweite, meine Damen und Herren. Sie zünden hier Nebelkerzen. Auch Sie, liebe Frau Kollegin Mattheis, tun das, indem Sie sagen: Die epidemische Lage ist erst dann beendet, wenn die Epidemie beendet ist. – Das ist aber falsch.
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Selbstverständlich existiert das Virus. Selbstverständlich haben wir weiterhin eine Epidemie, und sie wird uns auch noch länger begleiten. Aber – auch das hat die Anhörung eindeutig ergeben – für das Vorliegen einer epidemischen Notlage von nationaler Tragweite muss eine Überlastung des Öffentlichen Gesundheitssystems vorliegen, der nur zentral auf Bundesebene begegnet werden kann, meine Damen und Herren. Eine solche Situation hat im März vorgelegen. Deswegen haben wir dem zugestimmt. Da widerspreche ich auch ganz ausdrücklich der AfD.
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Jetzt ist die Situation aber eine andere. Wir haben eine ausreichende Anzahl an Intensivbetten. Wir haben genügend Beatmungsgeräte. Wir haben keine Versorgungskrise. Die Anzahl der Menschen, die im Moment intensivmedizinisch behandelt werden müssen, ist – das sagt Herr Spahn immer wieder – auf gleichbleibend niedrigem Niveau. Unter Einhaltung der Hygienekonzepte und Hygieneregelungen können wir wieder Restaurants besuchen. Die Museen sind wieder geöffnet, und auch Urlaube sind möglich. All diese Maßnahmen haben die Länder auf ihrer Ebene beschlossen; die Realität hat Sie doch längst eingeholt. Das heißt doch, es muss durch Herrn Minister Spahn gerade nicht zentral gehandelt werden, meine Damen und Herren.
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Sie argumentieren hier, es könne ja zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen; das hat auch der Kollege Rüddel wieder vorgebracht. Meine Damen und Herren, es kann doch wirklich nicht sein, dass durch die bloße Möglichkeit, dass wir zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen, die Parlamentsrechte von uns allen derart beschnitten werden. Das kann es doch wohl nicht sein.
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Ich frage Sie: Sind Sie wirklich der Ansicht, dass alle Entscheidungen, die Sie hier einsam getroffen haben,
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im Rahmen des Parlamentsvorbehaltes nicht von uns allen gemeinsam hätten getroffen werden können? Musste hier zwingend das Ministerium allein entscheiden? Das ist doch hier die entscheidende Frage, meine Damen und Herren. Das Besorgen von Schutzkleidung oder die Teststrategie, das alles hätten wir hier gemeinsam besprechen können und auch gemeinsam verabschieden können.
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Wir haben einen Parlamentsvorbehalt und keine Notsituation, meine Damen und Herren; das müssen wir hier immer wieder sagen. Der Minister sagt ja selbst, unser Gesundheitssystem sei gut aufgestellt, und da hat er natürlich recht. Der Minister sagt auch, er habe dazugelernt. Das geht mir leider nicht weit genug; denn die eigene Machtfülle hat er leider nicht kritisch hinterfragt.
Kommen Sie zum Schluss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur sagen: Wir müssen endlich wieder den Parlamentarismus durchsetzen; denn darauf fußt unsere Verfassung. Wenn Ihnen allen unsere Parlamentsrechte noch etwas bedeuten, dann stimmen Sie unserem Gesetzentwurf und unserem Antrag zu.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Christine Aschenberg-Dugnus. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Achim Kessler.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuallererst sollten wir heute mit dem Irrtum aufräumen, dass der Bundestag einfach nur die epidemische Lage nationaler Tragweite beende müsste und dann wäre die Coronakrise beendet. Niemand müsste dann mehr Masken tragen, Abstand halten oder auf den Karneval verzichten. Meine Damen und Herren, das ist Unsinn.
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Selbst wenn wir den Antrag der FDP beschließen würden, würde das an den Regelungen, die es gibt, nichts ändern; denn alle Beschränkungen des Alltags werden von den Bundesländern und den Kommunen beschlossen. Mit ihrer Forderung zum Ende der epidemischen Lage nimmt die FDP – so scheint es – nur zu gern in Kauf, genau diesen Eindruck zu erwecken, um sich als Normalisierungspartei darzustellen. Ich halte das für verantwortungslos.
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Meine Damen und Herren, die Coronakrise ist nicht vorbei, egal was wir heute beschließen. In Frankreich und Spanien nimmt die Zahl der Neuinfektionen massiv zu. Auch in Deutschland hatten wir über den Sommer steigende Zahlen, wenn auch moderater als dort. Wir müssen im Herbst und im Winter mit einem weiteren Anstieg der Zahlen rechnen. Trotzdem gibt es gute Argumente dafür, den verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand wieder zu beenden.
Die Linke hat von Anfang große Bedenken gegen einzelne Maßnahmen der Bundesregierung gehabt. Wir haben uns zum ersten Pandemiegesetz enthalten, das zweite haben wir abgelehnt. Tatsächlich müssen wir uns als Abgeordnete sehr ernsthaft die Frage stellen, ob die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitssystems noch immer akut gefährdet ist, sodass normale Gesetzgebungsverfahren zu langsam wären. Nach meiner Einschätzung war das im März der Fall, aber inzwischen hat sich die Lage geändert.
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Maßnahmen könnten wieder in ordentlichen gesetzlichen Verfahren beschlossen werden.
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Dass Urlauber wieder nach Deutschland zurückkommen, ist so überraschend nicht. Aktionistische Ministererlasse sind öffentlichkeitswirksam, aber in der Zwischenzeit nicht mehr wirklich erforderlich – eine vorausschauende Politik vorausgesetzt.
Trotzdem wird sich Die Linke zu dem Antrag der FDP enthalten.
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Denn Zustimmung könnte bei der Bevölkerung als falsches Signal ankommen – und das müssen wir sehr ernst nehmen –,
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nämlich dass die Abstands- und Schutzmaßnahmen nicht mehr nötig sind, und zu der Enttäuschung führen, dass sie trotzdem fortbestehen. Dieses Risiko sollten wir nicht eingehen.
Was wir jetzt brauchen, ist ein radikaler Umbau unseres Gesundheitssystems mit einer solidarischen Finanzierung. Die Lehre aus der Pandemie lautet doch, dass Markt, Wettbewerb und Profitlogik bei der Steuerung unseres Gesundheitssystems versagt haben.
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Das Gesundheitssystem muss in die öffentliche Hand, und das ist das genaue Gegenteil von dem, was die FDP will.
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Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dr. Achim Kessler. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Kordula Schulz-Asche.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die meisten Rednerinnen und Redner in dieser Debatte haben die gleiche Intention. Wir kämpfen gemeinsam dafür, dass sich der Rechtsstaat und die Demokratie in der Coronakrise bewähren können.
Die nahezu unbeschränkte Verordnungsbefugnis des Bundesministeriums für Gesundheit im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist rechtsstaatlich bedenklich; da stimmen wir der FDP-Fraktion zu.
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In der öffentlichen Anhörung zu diesem Gesetzentwurf gaben die meisten Sachverständigen fast einhellig aber auch gute Gründe an, warum in der aktuellen Situation die Feststellung der epidemischen Lage eben nicht aufgehoben, sondern beibehalten werden sollte. Deswegen halten wir Grünen es für sinnvoller, den Bundestag regelmäßig über die Lage zu informieren, ihn entscheiden zu lassen und ihm das Recht zu geben, von der Bundesregierung die Aufhebung von Rechtsverordnungen zu verlangen. Das, glauben wir, ist die flexiblere und besser angepasste Lösung.
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Meine Damen und Herren, durch Covid-19 sind für uns alle die Einschränkungen im Alltag massiv. Darum müssen sie auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse bewertet und fortlaufend auf Rechtsstaatlichkeit hin überprüft werden. Das fehlt leider im Antrag der FDP. Das ist schade; denn wir brauchen für die Vorbereitung der Strategien im Herbst und Winter zur Verhinderung des Infektionsgeschehens eine breite interdisziplinäre wissenschaftliche Bewertung bisheriger und laufender Maßnahmen. Deswegen fordern wir Grünen seit Monaten einen unabhängigen wissenschaftlichen Pandemierat. Auch dies wurde in der Anhörung breit unterstützt.
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Wir brauchen nicht nur Virologen oder medizinische Erkenntnisse. Wir brauchen auch Experten aus den Gesundheits-, Sozial-, Rechts- und Bildungswissenschaften sowie aus den Kommunikationswissenschaften; denn ein Pandemierat, der das Wissen von Spitzenwissenschaftlern und ‑wissenschaftlerinnen bündelt, kann durch die interdisziplinäre Perspektive zur Versachlichung, zur Transparenz und damit auch zur andauernden Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung beitragen.
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Anstatt die Aufhebung der epidemischen Lage zu fordern, ist jetzt der richtige Zeitpunkt für eine fundierte Zwischenbilanz. Umfragen zeigen, dass der Großteil der Bevölkerung die Maßnahmen für angemessen hält. Lassen wir die Bürgerinnen und Bürger nicht an ihrer Einschätzung zweifeln! Gründen wir den Pandemierat, um als Demokratie mit breiter Wissenschaftlichkeit und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern durch diese Krise zu kommen!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Kordula Schulz-Asche. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Krauß.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die zentrale Frage ist: Haben wir eine Pandemie, also eine weltweite Epidemie, oder nicht? Sind wir über den Berg?
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Einerseits kann man da auf die Zahlen der Vergangenheit schauen, wobei wir feststellen, dass es 1 Million Tote gab. Andererseits können wir auf die Gegenwart schauen.
Heute hat uns die Nachricht aus Tschechien, einem Nachbarland von uns, erreicht, dass dort der höchste Tageswert überhaupt festgestellt worden ist. Wir haben heute in den Zeitungen von Frankreich lesen können, dass die Zahl der Infizierten in den Krankenhäusern steigt und in Bordeaux und Marseille die Intensivbetten knapp werden. Außerdem wissen wir, dass Israel morgen für drei Wochen in den Lockdown geht. Das ist die Realität, die wir derzeit auf der Welt erleben.
In Deutschland ist das zum Glück anders. Dass wir so wenige Infektionen haben, meine Freunde von der AfD
({1})
– „Freunde“ dürfen Sie in Anführungszeichen setzen –,
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hat doch folgenden Grund: Genau das war das Ziel all unserer Maßnahmen. Alle Maßnahmen haben darauf abgezielt, dass wir nicht dieses hohe Infektionsniveau erreichen, wie wir es in anderen europäischen Ländern erlebt haben. Das ist der Grund.
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Das ist übrigens auch der Grund, warum wir hier Masken tragen und versuchen, Abstand zu halten. Diese Regelungen sind mitunter unbequem – mir macht es auch nicht immer Spaß, eine Maske zu tragen –, aber haben halt ihren Sinn. Deswegen, glaube ich, war es richtig, dass wir das gemacht haben.
Die AfD bezweifelt, dass es überhaupt eine Pandemie gibt. Ich will noch einmal daran erinnern, dass Sie am Anfang der Pandemie der Bundesregierung vorgeworfen haben, sie mache zu wenig. Das war damals Ihre Argumentation.
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Ihr Vorwurf an uns war, wir würden zu wenig machen. Jetzt haben Sie Ihre Argumentation vollkommen gedreht.
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Keine Frage, zu Beginn gab es Grundrechtseinschränkungen. Ich finde aber, dass es jetzt kaum noch Grundrechtseinschränkungen gibt. Ich finde es in Ordnung, dass man, wenn man eine Demonstration macht – das Demonstrationsrecht ist wichtig –, eine Maske tragen muss und ein bisschen Abstand hält. Ich finde nicht, dass das eine Einschränkung eines Grundrechts ist. Das steht übrigens im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, die in dieser Pandemie richtige Einschränkungen veranlasst haben, wie Spanien, Russland oder Italien, wo es Ausgangssperren gab.
Ich will auch daran erinnern, dass im Grundgesetz nicht nur die Versammlungsfreiheit steht, die ganz wichtig ist, sondern auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das steht im Übrigen ein bisschen weiter vorne im Grundgesetz.
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Ich finde, die Bürger haben ein Anrecht darauf, dass wir dafür sorgen, dass es ihnen gut geht und sie möglichst nicht krank werden.
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Ja, die Politik ist auf den Rat der Wissenschaft angewiesen. Ich glaube, es war auch richtig, dass wir uns die Mehrheitsmeinung der Wissenschaftler zu eigen gemacht haben, insbesondere das, was medizinische Fachgesellschaften gesagt haben. Ich glaube, das war klüger, als auf Pseudowissenschaftler zu hören, die ihre Vorlesungen via YouTube aus irgendeiner Bodenkammer heraus halten. Dass es in der Wissenschaft unterschiedliche Meinungen gibt, finde ich im Übrigen gut; denn nur das bringt uns voran. Wenn es unterschiedliche Meinungen in Wissenschaft und Politik gibt, wenn man sich reibt, dann bringt das eine Gesellschaft voran.
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Das entbindet uns aber nicht davon, zu schauen, was die Mehrheitsmeinung ist, und daran haben wir uns orientiert.
Das Virus war für uns alle Neuland. Wir haben uns in einem Nebel bewegt. Wenn man mit dem Auto in den Nebel fährt, dann fährt man lieber etwas langsamer. Wir sehen jetzt, dass sich der Nebel lichtet. Deswegen können wir etwas schneller fahren. Wir können bei der Quarantäne sagen: „Zehn Tage reichen“, und wir können sagen, dass Schulen und Kitas wieder öffnen. Ich finde aber, dass wir weiter mit Vorsicht vorgehen sollten. Mir ist ein bisschen mehr Vorsicht lieber als ein bisschen zu wenig Vorsicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Alexander Krauß. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dirk Heidenblut.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächst kurz auf die Kollegin Aschenberg-Dugnus eingehen und zum Einstieg sagen: Die Regierung hat meines Erachtens bisher nicht erklärt, dass sie die epidemische Lage bis zum 31. März aufrechterhalten will. Selbst wenn sie es erklären würde, könnte sie das nicht umsetzen; denn wir haben ja glücklicherweise dem Bundestag die Entscheidung übertragen, wie lange die epidemische Lage aufrechterhalten wird.
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Das Gesetz sieht vor, dass das der späteste Zeitpunkt ist, aber das hat nichts mit einer Erklärung der Regierung zu tun. Es ist die Entscheidung des Bundestages, dass wir das Ganze spätestens bis dahin aufrechterhalten wollen. Das ist also nicht Sache der Regierung.
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Wir beschäftigen uns viel damit und natürlich ist uns daran gelegen, dass wir uns immer wieder damit beschäftigen – vor dem Hintergrund habe ich gar keine Einwände gegen Anträge, wie die FDP sie mit durchaus klugem Sachverstand vorgelegt hat –,
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ob wir nicht eine veränderte Situation haben, der wir uns stellen müssen. Wenn wir dann aber eine Anhörung durchführen und die weit übergroße Mehrheit der dort gehörten Experten sehr deutlich macht, dass es der falsche Zeitpunkt ist und dass das nicht richtig wäre, dann sollten wir dieser Expertise auch folgen.
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Letztlich ist sie ja auf Ihren eigenen Wunsch zustande gekommen.
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Ich will noch einen zweiten Punkt deutlich machen. Ich weiß nicht, ob meine Kollegin bewusst oder einfach nur so missverstanden worden ist. Die Kollegin hat nicht gesagt, dass die Epidemie die einzige Grundlage ist. Das wissen wir auch. Epidemien gab und gibt es immer wieder. Man spricht auch von Grippeepidemien und ähnlichen Dingen; da haben wir nie eine epidemische Lage von nationaler Tragweite ausgerufen. Es muss schon mehr dazukommen. Das heißt aber nicht, dass das Gesundheitswesen erst überfordert sein muss, bevor wir eingreifen und etwas tun, sondern dazukommen kann auch die Erwartung, dass eine Überforderung eintreten kann, und diese Erwartung ist, zumindest nach allem, was wir bisher wissen, nicht ganz vom Tisch.
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Ich habe es mir leider nicht so einfach gemacht – vielleicht hätte ich das tun sollen, Frau Kollegin –, die Anträge der AfD gar nicht anzugucken. Ich habe mal draufgeguckt. Spätestens dann bereut man das; das gebe ich zu.
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Aus diesen Anträgen geht wieder hervor, mit welcher Scheinheiligkeit diejenigen vorgehen, die im Zweifel die Brandstifter sind, wodurch wir viele Fehlverhalten haben, durch die die große Mehrheit der Bevölkerung, die sich vernünftig verhält, leider immer noch in Schwierigkeiten gebracht wird.
Da wird in einem Antrag gefordert, die parlamentarische Kontrolle wiederherzustellen, und damit suggeriert, die gäbe es nicht, was ich überhaupt nicht so sehe – die gibt es;
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die meisten Gesetze in dieser Pandemie haben wir hier im Parlament gemacht; das wurde nicht durch das Bundesministerium mit irgendwelchen Verordnungen geregelt –, und dann wird in der Folge nicht etwa eine vielleicht sinnvolle Expertengruppe zur Pandemieberatung gefordert, sondern eine Expertengruppe, die festlegt, dass wir demnächst entscheiden müssen, dass eine solche Lage zustande kommt. Da wird nicht nur die parlamentarische Kontrolle ausgehebelt, sondern das wird im Zweifel demnächst einer Expertenkommission überlassen, und sie wird willkürlich schlicht durch Berufung durch die Fraktionen zusammengesetzt. Eine Expertenkommission sagt, wann wir entscheiden müssen; das nenne ich Aushebelung des Parlaments. Das ist das, was die AfD will, und das machen wir auf keinen Fall mit.
Danke schön.
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Vielen Dank, Dirk Heidenblut. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, und es wird auch bestimmt nicht das letzte Mal sein, dass wir hier im Bundestag mit den Fraktionen der FDP und der AfD über die Coronamaßnahmen diskutieren. Schon vor der parlamentarischen Sommerpause haben wir als CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich davor gewarnt, die vom Parlament getroffene Feststellung einer epidemischen Lage aufzuheben und die Coronakrise damit faktisch für beendet zu erklären.
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Diese Einschätzung hat sich bis jetzt nicht geändert, im Gegenteil. Die Lage hat sich eher noch verschärft. Dazu müssen wir nicht ins Ausland schauen. Zeitweise über 2 000 Neuinfektionen pro Tag und nur noch wenige coronafreie Landkreise sprechen aus meiner Sicht eine mehr als deutliche Sprache.
Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, die bestehenden Regelungen weiterzuentwickeln und zu optimieren. Nur so können wir verhindern, dass wir in den kommenden Herbst- und Wintermonaten die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verlieren. Mit dem Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst haben wir bereits die nötigen Schritte eingeleitet, um künftig auf ein vernetztes System moderner Gesundheitsbehörden in ganz Deutschland zurückgreifen zu können. Bis Ende 2021 sollen dazu in den Gesundheitsämtern mindestens 1 500 neue Stellen geschaffen werden, bis Ende 2022 weitere 3 500. Hierfür werden 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus entwickeln wir unsere Coronateststrategie ständig und konsequent weiter. Dank entscheidender Fortschritte in Wissenschaft, Forschung und Industrie können wir in Zukunft noch schneller, noch günstiger und vor allem noch gezielter testen.
Meine Damen und Herren, eine lebhafte parlamentarische Diskussion über Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ist sicherlich notwendig und richtig. Wir dürfen die anhaltende Gesundheitskrise deshalb aber nicht leichtfertig für überstanden erklären. Ein schnelles und effizientes Handeln aller Beteiligten im Gesundheitswesen ist weiterhin unerlässlich, um das Infektionsgeschehen im Griff zu behalten. Zahlreiche Coronafälle unter den Reiserückkehrern und ein viel zu leichtfertiger Umgang mit den Coronamaßnahmen haben die Zahl der Erkrankten innerhalb kürzester Zeit in die Höhe schnellen lassen. Das liegt auch an der Propaganda von verschiedener Seite.
Auch wenn Sie hier in Bezug auf die Beurteilung des Infektionsgeschehens zu anderen Schlüssen kommen, so möchte ich doch erneut davor warnen, das Virus zu verharmlosen. Wir müssen jetzt handlungsfähig bleiben. Die Coronakrise ist nicht vorüber, meine Damen und Herren. Die heutige Debatte über die Beendigung der epidemischen Lage sendet ein völlig falsches Signal an die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, und das ist nicht nur fahrlässig, sondern in Anbetracht der kommenden Erkältungs- und Grippesaison auch gefährlich.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Stephan Pilsinger. – Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen alle, dass die Kommunen in Deutschland von dieser Pandemie besonders hart betroffen sind, auf der einen Seite, weil ihnen die Steuereinnahmen wegbrechen, insbesondere aus der Gewerbesteuer, auf der anderen Seite, weil sie sich darauf einstellen müssen, dass ihre Sozialausgaben, insbesondere in den Städten und Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit, stark ansteigen werden. Daher ist die Botschaft des heutigen Tages: Wir wollen und wir werden die Kommunen mit ihren finanziellen Herausforderungen in dieser Pandemie nicht alleinlassen.
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Darum übernehmen wir als Bund die Hälfte der Gewerbesteuerausfälle der Kommunen im Jahr 2020. Das sind für uns immerhin 6,1 Milliarden Euro. Und wir stellen mit unseren Beschlüssen auch sicher, dass das Geld noch in diesem Jahr bei den Städten und Gemeinden ankommt.
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Das Zeichen und der Appell aus dem Deutschen Bundestag an die Kommunen ist daher: Stellt eure Investitionstätigkeit nicht ein! Investiert weiter in eure Infrastruktur! Wir helfen euch in dieser finanziellen Not.
Die Kompensation der Gewerbesteuerausfälle ist, weil es auch um Investitionen in die Kommunen geht, ein Bestandteil unseres Pakets zur Stabilisierung der Konjunktur in Deutschland.
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Und wir nehmen Geld in die Hand, um unsere Kommunen krisenfester zu machen. Wir übernehmen nunmehr drei Viertel der Kosten der Unterkunft für Empfänger von staatlichen Leistungen. Wir helfen damit insbesondere den Kommunen, die unter der finanziellen Last hoher Arbeitslosigkeit und hoher Sozialausgaben leiden. Wir helfen den Kommunen, die strukturelle Herausforderungen haben. Wir helfen den Kommunen, die es in Deutschland am schwersten haben. Und wir tun das nicht nur heute, wir werden das dauerhaft tun.
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Wir leisten damit einen Beitrag zur Verbesserung der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in unserem Land.
Wir tun das, weil wir wissen: Wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung. – Wir könnten uns als Bund darauf zurückziehen, dass die auskömmliche Finanzausstattung der Kommunen in unserem Verfassungsgefüge Aufgabe der Länder ist. Und ja, wir erwarten auch, dass die Länder zuerst die Aufgabe der finanziellen Ausstattung der Kommunen angehen.
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Aber es geht uns heute um schnelle Lösungen. Es geht uns um schnelle Hilfen, die ankommen. Mitten in der Krise geht es nicht um finanztaktische Spiele innerhalb des Föderalismus. Es geht darum, dass Hilfen ankommen, und das stellen wir mit der Grundgesetzänderung heute sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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In der Anhörung, die wir als Ausschuss abgehalten haben, hat eine breite Mehrheit die Meinung vertreten, dass der Weg, den wir gewählt haben, nämlich einmalig wegen der Gewerbesteuerausfälle die Verfassung zu ändern, derjenige ist, der am zielgerichtesten ist und auch sicherstellt, dass sich am Ende des Tages die Länder an dieser Aufgabe beteiligen. Daher ist die Änderung der Verfassung notwendig und richtig.
Ja, ich glaube, alle, die in den letzten Wochen daran mitgearbeitet haben – ich möchte an dieser Stelle ganz besonders auch den Fraktionen von Grünen und FDP danken, dass sie heute gemeinsam mit uns sicherstellen, dass wir eine Zweidrittelmehrheit erreichen werden –, räumen ein: Wir werden mit dieser Verfassungsänderung keinen Preis für Verfassungsästhetik gewinnen. Aber es geht ja darum, dass wir die Probleme der Kommunen lösen. Politik ist dafür da, drängende Probleme zu lösen, und das machen wir sehr pragmatisch am heutigen Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen vorgenommen. Und ich hätte gerne in Richtung einer gut besetzten Bundesratsbank gesagt, dass diese Änderungen uns als Parlament auch wichtig sind; denn es geht ganz zentral um die Sicherstellung der Informations- und der Kontrollrechte des Deutschen Bundestages. Wenn wir uns schon engagieren und viel Geld für Kommunen zur Verfügung stellen, dann müssen wir auch für Transparenz und Klarheit bei der Mittelverwendung sorgen. Und das machen wir heute gemeinsam, Kolleginnen und Kollegen.
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Ich bin zuversichtlich, dass die Länder diesem leicht geänderten Gesetzespaket morgen im Bundesrat zustimmen werden. Und dann wird morgen ein guter Tag für die Kommunen sein. Aber es wird auch ein guter Tag für uns alle sein; denn wir sind es, die in den Kommunen leben, die dort wohnen, wir sind es, die in den Städten und Gemeinden leben, über die wir heute so abstrakt diskutieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dennis Rohde. – Nächster Redner: Albrecht Glaser für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zielt zum einen darauf ab, dauerhaft die Mitfinanzierung des Bundes bei den kommunalen Ausgaben für Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 22 SGB II zu erhöhen, und zwar von ungefähr 49 auf knapp 74 Prozent. Dies löst nach Artikel 104a Grundgesetz den Effekt aus, dass die Länder bzw. Kommunen dadurch als Auftragsverwaltung des Bundes tätig werden. Auf diese Weise wird dann dem Hauptkostenträger Bund die Fachaufsicht ermöglicht, nach dem Motto: Wer bezahlt, muss auch kontrollieren dürfen.
Zum allgemeinen Erstaunen der Fachwelt will die Große Koalition diesen logischen Mechanismus durch eine Verfassungsänderung außer Kraft setzen. Die vorhandene Systematik des Grundgesetzes soll also so geändert werden, dass eine unkontrollierte und damit, wie vom Bundesrechnungshof in vergleichbaren Fällen festgestellt, unwirtschaftliche Mittelverwendung bei den Kommunen geradezu provoziert wird. Ein Schildbürgerstreich, meine Damen und Herren!
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Im Prinzip ist es richtig, den Kommunen zu helfen. Im vorliegenden Fall geht es um 3,4 Milliarden Euro zusätzliche Bundesmittel. Dabei ist die dauerhafte zusätzliche Übernahme von Lasten der Arbeitslosigkeit durch den Bund deshalb vernünftig, weil der Bund am ehesten einen Einfluss auf das Arbeitsmarktgeschehen hat. Irritationen kommen allerdings auf, wenn Länder und Städte unbegrenzt und freiwillig Migranten aufnehmen wollen und anschließend ihre Armut beklagen.
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Zum anderen soll den Gemeinden gemeinsam durch Bund und Länder ein Ausgleich für die in diesem Jahr entstehenden Ausfälle bei der Gewerbesteuer in Höhe von 12 Milliarden Euro verschafft werden. Auch dafür soll das Grundgesetz geändert werden, da eine unmittelbare Bundeshilfe die föderale Zuständigkeit der Länder für ihre Kommunen nicht zulässt.
Warum zusätzlich dieser leichtfertige Umgang mit der Verfassung durch die Große Koalition?
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Der vorgeschlagene Eingriff in die Systematik der Finanzverfassung des Grundgesetzes, soweit sie denn überhaupt noch rudimentär existiert, aus dem alleinigen Anlass der in diesen Monaten wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen ist völlig unangemessen. Man ändert die Verfassung nicht für ein Jahr.
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Der richtige Weg zur Hilfe bei Gewerbesteuerausfällen der Kommunen in der Coronakrise ist, dies im bestehenden System durch einfaches Gesetz zu bewerkstelligen. Dann muss man auch nicht so viele Nachtkonferenzen machen, bis man die verfassungsändernde Mehrheit beisammenhat. Richtig wäre also, das Finanzausgleichsgesetz für ein Jahr so zu ändern, dass der Kommunalanteil an der Umsatzsteuer um circa 12 Milliarden Euro erhöht wird und die Bund- und Länderanteile jeweils um 6 Milliarden Euro verringert werden. Das ist ein ganz einfacher Vorgang, wenngleich verbunden mit einem – das ist richtig – zustimmungspflichtigen Gesetz.
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Damit würde der identische Geldbetrag, der von der Großen Koalition vorgesehen ist, an die Kommunen fließen, und zwar direkt und zu deren eigener Disposition, und Bund und Länder wären in gleicher Weise belastet wie durch den neuen Artikel 143h GG beabsichtigt. Selbstverständlich würde durch diesen Vorgang auch gesichert, dass die Länder die Umsatzsteuerzahlung an die Kommunen weiterleiten. Das ist bisher bestritten worden; es wurde behauptet, das gehe nur über den Artikel 143h GG. Einfacher ist die hier vorgesehene Vorgehensweise allemal. Ob sie weniger zielgenau wäre als das Verteilungsverfahren des Gesetzentwurfes, steht dahin.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kennen die Höhe der Gewerbesteuereinnahmen dieses Jahres noch lange nicht; Jahresabschlüsse gibt es noch nicht. Es gibt viele Stundungen, die die Zahlen über die Jahresgrenze hinweg verschieben. Also: Die Verteilungsmathematik, die da beabsichtigt ist – zumal die Verteilung auch noch schnell erfolgen soll; denn das Geld soll ja schnell fließen –, wird nicht funktionieren. Die eben genannte Lösung würde funktionieren.
Herr Glaser, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Ende. – Der von der Großen Koalition vorgesehene Weg einer Verfassungsänderung und einer einfachgesetzlichen Hilfspflicht der Länder stellt demgegenüber die Kommunen rechtlos. Es liegt danach allein im Ermessen der Länder, wie sie damit umgehen. Die AfD spricht sich mit Nachdruck gegen die von der Großen Koalition beabsichtigten unnötigen und kontraproduktiven Eingriffe in die Verfassung aus.
Herzlichen Dank.
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Danke schön. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Eckhardt Rehberg.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gemeindesteueraufkommen wird in diesem Jahr um 13,3 Milliarden Euro gegenüber dem letzten Jahr zurückgehen. Der Bund wird davon 9,5 Milliarden Euro kompensieren. Die Änderung bei der Gewerbesteuer ist so angelegt, dass wir die Gewerbesteuerausfälle in diesem Jahr einmalig pauschal zu gleichen Teilen mit dem jeweiligen Land ersetzen wollen. Da kommen insgesamt 15,5 Milliarden Euro heraus. Das heißt, wir kompensieren die Ausfälle bei den Gemeindesteuern schon in diesem Jahr um mehr als 2 Milliarden Euro über, obwohl der Bund dieses Jahr Steuermindereinnahmen in einer Größenordnung von rund 80 Milliarden Euro hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Artikel 28 des Grundgesetzes liegt die Finanzverantwortung für die Kommunen bei den Ländern. Ich finde, hier wird der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung mehr als gerecht.
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Da immer wieder darüber debattiert wird, dass wir nur punktuell an der Finanzsituation der Kommunen etwas ändern, möchte ich Folgendes anmerken: Erstens. Die Kosten für die Grundsicherung im Alter betragen heute knapp 8 Milliarden Euro; die liegen komplett beim Bund. Zweitens. Mittlerweile übernimmt der Bund mit der Grundgesetzänderung 12,4 Milliarden Euro bei den Kosten der Unterkunft. Und drittens – darüber redet leider fast keiner mehr –: Einmal als Kompensation für die Eingliederungshilfe gedacht, gibt es völlig ungebunden an Länder und Kommunen 5 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft und die Umsatzsteuer.
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Wenn ich dies alles zusammenzähle, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich bei einer strukturellen Entlastung der Kommunen in Höhe von 25 Milliarden Euro per annum im Vergleich zu vor zehn Jahren.
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Wer dann noch sagt, der Bund werde hier seiner gesamtstaatlichen Verantwortung nicht gerecht: Das ist eine Belastung des Bundes in Höhe von 250 Milliarden Euro im letzten Jahrzehnt, von einer Viertelbillion, die der Bund übernommen hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es dann auch etwas fragwürdig, wenn in der Woche vor der NRW-Wahl – das Parteibuch war da ziemlich egal – fast kein Kommunalpolitiker einmal darauf hingewiesen hat, welche Last der Bund dieses Jahr übernimmt, aber gleich darauf hingewiesen wird, dass das ja im nächsten Jahr fortgeführt werden muss.
Wie sieht denn die Einnahmesituation bei Bund, Ländern und Kommunen im nächsten Jahr aus? Der Bund verzeichnet Steuermindereinnahmen in Höhe von 34 Milliarden Euro gegenüber 2019, bei den Ländern sind es nach der Steuerschätzung der letzten Woche minus 2,7 Milliarden Euro und bei den Kommunen minus 1,9 Milliarden Euro. Wenn ich dann die Kompensation von 3,6 Milliarden Euro im nächsten Jahr dagegenrechne – denn die Übernahme der Kosten der Unterkunft wirkt dauerhaft – und völlig beiseitelasse, was wir im zweiten Nachtragshaushalt beschlossen haben – Sondervermögen für den Kitaausbau, Übernahme der Regionalisierungsmittel in Höhe von 2,5 Milliarden Euro –, ist die Finanzausstattung in Relation bei den Gemeindesteuern einschließlich der Gemeinschaftsteuern – das hat die Steuerschätzung ergeben – vor allem in den Kommunen besser: plus 1,5 Milliarden Euro.
Warum sage ich das, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ich finde, wir müssen auch einmal darauf achten, dass der Bund seinen Herausforderungen heute, morgen und übermorgen noch gerecht werden kann. Deswegen, glaube ich, gehört das, was ich zuletzt gesagt habe, zur Wahrheit mit dazu: Der Bund erreicht in 2023 die Höhe der Einnahmen von 2019, Länder und Kommunen schon im kommenden Jahr.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Eckhardt Rehberg. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Otto Fricke.
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Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über eine Grundgesetzänderung um diese Uhrzeit für eine halbe Stunde Debatte; es geht um eine Höhe von 10 Milliarden Euro. Um das einmal kurz umzurechnen: Jede Minute sind das 250 Millionen Euro mehr für die Kommunen – nur um das einmal ins Verhältnis zu setzen, was wir hier heute machen.
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Ich bin dankbar, dass wenigstens ein Ländervertreter da ist – ich glaube, aus Sachsen-Anhalt –, womit man feststellen kann: Sachsen-Anhaltiner sind nicht nur Frühaufsteher, sondern auch Spätaufpasser.
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Aber das Schlimme ist, dass da sonst keiner sitzt. Im Vorfeld haben wir – ich darf das noch mal sagen: Kollege Rohde, Kollege Rehberg, Kollegin Hajduk – einen fairen Kompromiss gefunden, auch mithilfe des Finanzministers, den ich auch freundlich hier im Parlament begrüße. Wir haben hier eine Lösung gefunden, die ein fairer Kompromiss ist. Ich will aber für meine Fraktion ausdrücklich sagen: Das ist jetzt nicht die super Lösung, der wir zustimmen, weil sie unser großer Herzenswunsch war, sondern das ist ein Kompromiss, den wir machen mussten, um kurzfristig das hinzubekommen, was notwendig war.
Ich will auch deutlich sagen, dass für die FDP zwei Dinge von besonderer Bedeutung dafür waren, dass wir heute zustimmen:
Das Erste war, dass uns als FDP neben den schon von der CDU/CSU eingebrachten Regelungen zur nachträglichen Darstellung, wie sich die Einnahmen zusammensetzen bzw. wie die Gelder verteilt worden sind, ermöglicht wurde, ausdrücklich zu sagen: Es wird nicht nur klargemacht, wie viel Geld von den Ländern an welche Kommune gegangen ist, sondern es wird auch klargemacht, welche tatsächlichen Gewerbesteuereinnahmen und welche Gewerbesteuerstundungen die Kommunen hatten, damit für alle – Kommunen, Länder, Bund und den Steuerzahler – Transparenz sichergestellt ist.
Zweitens – das will ich ausdrücklich sagen, Herr Finanzminister –: Was meiner Fraktion auch geholfen hat, war Ihre klare Aussage, dass Sie diesen ausgehandelten Kompromiss auch gegenüber den Ländern vertreten; denn wir wollen hier nicht wieder das Spiel haben, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird und so, Herr Glaser, aus einem Gesetz, das nur ein Jahr gelten soll, am Ende ein Gesetz wird, das nach der Verhandlung im Vermittlungsausschuss auf einmal fünf Jahre gilt. Auch das war für unsere Zustimmung wichtig.
Des Weiteren will ich hier ansprechen, weil zum Bund-Länder-Verhältnis ansonsten schon alles sehr klar und deutlich vom Kollegen Rehberg gesagt worden ist: Wir packen hier nicht Grundsätzliches an. Wir müssen aber, weil wir als Staat die Kommunen als Basis der Daseinsvorsorge benötigen, dafür sorgen, dass diese nicht abhängig sind von einer erkennbar und erwiesenermaßen schwankenden Gewerbesteuer, die in jeder kleineren Krise sofort zu Problemen führt, gerade auch bei den Kommunen, die besonders stark betroffen sind. Wir müssen die Kommunen dauerhaft mit stabilen Finanzen und wirklich mit einer Finanzverfassung, die das Wort wert ist, ausstatten. Ich will das deutlich sagen: Das ist und kann dann auch nur die stabilste Steuer sein, die wir haben, und das ist die Mehrwertsteuer.
Wir sollten uns mal überlegen – das sage ich hier an alle, die Fachpolitiker sind –: Ist es denn immer richtig, ein neues Förderprogramm für den nächsten Fahrradschnellweg zu machen, anstatt den Kommunen zu vertrauen, den Politikern vor Ort aus allen Fraktionen und Parteien zu vertrauen, den Bürgermeistern zu vertrauen, dass sie mit dem Geld richtig umgehen, oder über Förderprogramme zu schauen, wo Sie noch etwas absäbeln können?
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Zum Schluss will ich – –
Ich vertraue jetzt darauf, dass Sie schnell zum Ende kommen.
Ich wäre sogar noch schneller gewesen, wenn Sie jetzt nichts gesagt hätten.
Ja, das sagt man immer.
Zum Schluss will ich eines klar und deutlich sagen. Wir müssen doch erkennen: Was wir heute machen, ist wieder eine Spritze, mit der wir die Schmerzen lindern. Aber den Zahn ziehen und zu einer guten Finanzierung kommen, das machen wir nicht. Ich wette mit Ihnen: Wir sehen uns im nächsten Jahr wieder, wenn 2021 die Gewerbesteuerausfälle weitergehen und die Große Koalition sich vor der Wahl überlegt, wie sie den Kommunen dann wieder helfen kann. Das ist dann Flickschusterei, und das ist schade.
Herzlichen Dank.
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Herr Fricke, ich danke Ihnen für die Rede. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Linke unterstützt alle Schritte, die die Kommunen unterstützen, und darum werden wir auch der Grundgesetzänderung zustimmen. Nicht nur die Grünen und die FDP, auch Die Linke stimmt der Grundgesetzänderung zu, meine Damen und Herren.
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Aber mit dieser Grundgesetzänderung sind natürlich nicht alle Probleme gelöst. Häufig fiel vor einigen Monaten der Satz: Vor dem Virus sind wir alle gleich. – Dieser Satz war von Anfang an falsch. Die Pandemie hat arme Menschen ärmer gemacht, und in allen großen Programmen, die hier beschlossen wurden, sind die Interessen und Bedürfnisse dieser Menschen nicht richtig berücksichtigt worden. Wir wollen, dass arme Menschen wirksam unterstützt werden, meine Damen und Herren.
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In der Pandemie ist auch die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen größer geworden. Katja Wolf, Oberbürgermeisterin von Eisenach, berichtete in der Anhörung im Haushaltsausschuss, wie hart Eisenach von der Coronakrise getroffen ist. Der Ausgleich für den Ausfall der Gewerbesteuern sei zwar schön; doch die Oberbürgermeisterin wies darauf hin, dass die Stadt auch Ausfälle bei Gebühren, bei der Einkommens-, Übernachtungs- und Sondernutzungsteuer hat. Das macht in Eisenach die Hälfte aller Mindereinnahmen aus. Dafür gibt es keine Kompensation, und Eisenach ist kein Einzelfall.
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Ich will vielleicht einmal an den Steuereinnahmen verdeutlichen, wie groß die Unterschiede sind. Pro Einwohner erzielen die finanzstarken Städte fast zweieinhalbmal so hohe Steuereinnahmen wie die finanzschwachen. Die Differenz ist in den vergangenen Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die kreisfreie Stadt Halle an der Saale hat pro Kopf Steuereinnahmen von 243 Euro – das war 2017 –, und Frankfurt am Main hat pro Kopf Gewerbesteuereinnahmen von 2 345 Euro. Das ist fast das Zehnfache. Ich finde, wir brauchen mehr Solidarität, um die Spaltung in unserem Land in reiche und arme Kommunen zu überwinden, meine Damen und Herren.
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Ich fordere die Bundesregierung auf: Geben Sie den Kommunen ihre Handlungsfähigkeit zurück! Streichen Sie die Altschulden der armen Kommunen!
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Herr Scholz, Sie haben vor einiger Zeit diesen sehr sinnvollen Vorschlag gemacht. Von dem ist nichts mehr zu hören. Wir haben von Anfang an gesagt: Wir als Linke unterstützen die Entschuldung der Kommunen. Ich finde, Sie sollten Ihren eigenen Vorschlag wieder aufgreifen, Herr Scholz.
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Gerade die armen Kommunen müssen in ihre Zukunft investieren. Wir brauchen einen Investitionsfonds, um die Investitionskrise in unserem Land endlich zu beenden.
Grundsätzlich muss man sagen: Nur in der Krise lässt sich Politik grundsätzlich ändern. Die Linke ist dazu bereit. Die Linke ist vorbereitet.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Gesine Lötzsch. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Anja Hajduk.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, wir wollen jetzt gleich zweimal das Grundgesetz ändern. Es ist auch wichtig, dass wir das heute machen, weil wir uns alle sicher waren: Es muss sichergestellt werden, dass die Kommunen bis Ende 2020 zusätzliche Gelder bekommen. Deswegen sind wir Grünen froh, dass wir, wie wir es vor der Sommerpause verabredet haben, einerseits intensiv durch Anhörungen und andererseits zügig zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen sind. Deswegen werden wir Grüne dieser Grundgesetzänderung zustimmen.
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Es geht inhaltlich – das ist schon ausgeführt worden – um die Entlastung der Kommunen. Einen Punkt will ich hier besonders hervorheben: Es geht nicht nur um die Reaktion auf die Krise und die krisenhaften Mindereinnahmen der Kommunen, sondern es geht für uns auch um eine lange überfällige, dauerhafte, strukturelle Besserstellung der Kommunen. Der Bund wird jetzt dauerhaft 74 Prozent der Kosten der Unterkunft übernehmen. Das war überfällig. Daher ist es richtig und gut, dass wir das heute machen.
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3,4 Milliarden Euro werden das sein.
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Wenn man diese Änderung einen „Schildbürgerstreich“ oder „unnötig“ nennt, dann kann ich nur aus der Anhörung zitieren: Die Erhöhung des Bundesanteils ist belastungsgerecht und unterstützt die wirtschaftlich und finanziell schwächsten Kommunen. – Deswegen ist gerade diese Änderung zielgenau, und deswegen ist sie gut.
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Es wird nicht Geld mit der Gießkanne auf die Kommunen geschüttet – es gibt schließlich auch reiche Kommunen –, sondern sie hilft den Kommunen, die das brauchen.
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Die zweite Änderung ist in der Tat ganz stark bezogen auf die coronabedingten Mindereinnahmen, die durch die wirtschaftliche Belastung zu erwarten sind und die wir auch durch die Steuerschätzung kennen. Da ist es notwendig, eine Grundgesetzänderung zu machen, um die Länder in die Pflicht zu nehmen. Deswegen sind wir auch bereit, eine befristete Grundgesetzänderung mitzutragen, um das sicherzustellen.
Aber – das will ich ganz deutlich sagen – die Anhörung hat gezeigt, dass uns das Thema „Finanzierung der Kommunen“ über die heutige Krisenhilfe hinaus erhalten bleiben wird. Ich will gerne zugestehen – ich fand, die Zahlen waren korrekt, Eckardt Rehberg –: Der Bund ist hier in Vorleistung gegangen. Das ist auch durch die Experten in der Anhörung gesagt worden. Auch wenn die Länder heute nicht hier sind: Sie müssen klar wissen, dass der Bund in Vorleistung geht. Er übernimmt jetzt den großen Batzen der Entlastung. Aber das heißt nicht, dass sich die Länder einer überfälligen Altschuldenregelung entziehen können.
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Das wird nicht gehen, und das werden wir Grünen auch von den Ländern, nicht nur vom Bund, in Zukunft erwarten.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.
Meine Redezeit ist um. – Insofern: So kontrovers die Altschuldenregelung ist, so unbestritten ist der Investitionsstau in den Kommunen. Wir stellen uns dem. Der Bund geht heute voran, und die Länder müssen folgen.
Schönen Dank.
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Vielen Dank, Anja Hajduk. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bernhard Daldrup.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was uns wirklich im Kern verbindet, ist die Tatsache, dass die Folgen der Pandemie ohne starke Kommunen und ohne den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nicht zu bewältigen sind. Diese Gemeinsamkeit haben wir alle, und diese Gemeinsamkeit ist, glaube ich, Kernpunkt dafür, dass wir beispielsweise auch weitreichende Entscheidungen wie Grundgesetzänderungen treffen; mit „wir“ meine ich alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Ich will ganz deutlich sagen: Ich bedanke mich sehr für diese Gemeinsamkeit. Das ist nicht selbstverständlich.
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Ich bedanke mich auch bei Olaf Scholz für die Art und Weise des Pakets, das vorgelegt worden ist, weil es eine schnelle und wirksame Hilfe ist, die wir in der gegenwärtigen Situation auch unmittelbar brauchen. Die Kommunen fordern im Kern eigentlich immer zwei Säulen: auf der einen Seite die Stärkung der Investitionskraft und auf der anderen Seite eine Entlastung von den Sozialausgaben. Beide Seiten der Medaille werden hier verfolgt, auch unter dem Gesichtspunkt der schnellen Hilfe – Frau Hajduk hat dies gerade dargestellt, was die Gewerbesteuer und andere auch angeht –, und das ist, glaube ich, genau richtig. Das heißt mit anderen Worten: Investitionskraft stärken statt den Gürtel enger schnallen. Ich glaube, das ist ein richtiger Schritt.
Der zweite Punkt ist die Entlastung von Sozialausgaben und die erhöhte Beteiligung des Bundes um 3,4 Milliarden Euro – Pi mal Daumen jedenfalls – jährlich. Das ist eine wirklich massive Hilfe, und die Kommunen sind außerordentlich erleichtert darüber. Um das einmal ein bisschen praktisch zu machen – ich sehe gerade den Kollegen aus Essen –: Das sind so ungefähr 50 bis 60 Millionen Euro im Jahr für Essen. Das sind für Duisburg 40 Millionen Euro. Selbst für meinen kleinen katholischen Kreis Warendorf sind es 10 Millionen Euro. Das ist eine tatsächliche, wirkliche und große Hilfe, und das ist ausgesprochen gut.
Ich glaube auch, die Regelung für die neuen Bundesländer ist hilfreich. Ich will aber sozusagen insgesamt feststellen, dass uns überhaupt nichts trennt, dass selbstverständlich alle Länder gefordert sind, die Mittel an die Kommunen weiterzuleiten. Das gilt in den neuen Ländern beispielsweise für die Wohnungsgesellschaften und Ähnliches mehr.
Ich muss übrigens sagen, Eckhardt Rehberg: Ich weiß nicht, wie oft Sie im Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen gewesen sind. Ich kenne sehr viele sozialdemokratische Oberbürgermeister und Bürgermeister, die sich für die Unterstützung des Bundes gegenüber den Kommunen sehr bedankt haben.
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Also, das ist nichts Besonderes. Bei uns jedenfalls passiert das.
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Wenn sie sich beklagen, dann beklagen sie sich über die Art und Weise, wie die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen mit ihnen umgeht. Das darf man aber nicht verwechseln. Das sind zwei verschiedene Sachen.
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Also, den Weg, den wir beschreiten – Herr Fricke, das ist so –, ist, zwei Artikel des Grundgesetzes zu ändern, einmal temporär durch den neuen Artikel 143h, was die Zielgenauigkeit der Gewerbesteuer angeht, und dauerhaft durch den Artikel 104a bei den Kosten der Unterkunft, ohne die kommunale Verantwortung aufzugeben.
Ich sage einmal ausdrücklich: Herr Glaser, Sie haben daran gewisse Zweifel; das mag möglicherweise biografische Gründe haben. Wir haben diese Zweifel an der Aufrechterhaltung der kommunalen Verantwortung jedenfalls nicht. Wir sind auch zuversichtlich, dass die Länder die Mittel weitergeben, sind aber auf die Kompromisslinie gerne eingegangen und sagen: Vertrauen ist gut, aber Berichterstattung gehört dazu.
Am besten ist, wenn Sie jetzt zum Ende kommen.
Das ist ein guter Tag, Frau Präsidentin, für die Kommunen. Herzlichen Dank. Das Thema wird uns weiter beschäftigen.
Ich bedanke mich sehr für die breite Unterstützung.
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Vielen Dank, Bernhard Daldrup. Ich habe versprochen, streng zu sein. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Christian Haase.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurz nach den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen stelle ich fest: Die Kommunen sind systemrelevant. Dort findet nicht nur Verwaltungshandeln statt. Die Kommunen sind die Keimzellen unserer Demokratie. Vor Ort spielt die Musik. Deshalb sprechen die Bürgerinnen und Bürger in unseren Städten und Kreisen ihren örtlichen Vertretern auch das größte Vertrauen aus.
Zu Beginn einer Debatte um Grundgesetzänderungen will ich zwei grundsätzliche Feststellungen machen: Erstens. Der Föderalismus hat sich bewährt. Zweitens. Das Durchgriffsverbot des Bundes auf die Kommunen hat sich bewährt.
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Daher liegt die verfassungsgemäße Verantwortung für eine aufgabenangemessene Finanzausstattung der Kommunen auch in Zukunft allein bei den Ländern.
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Das soll nicht heißen, dass der Bund in der Vergangenheit in der Not nicht ausreichend geholfen hätte; darauf ist schon hingewiesen worden. 8 Milliarden Euro jährlich Übernahme Grundsicherung im Alter; 5 Milliarden Euro allgemeine Entlastung, 5 Milliarden Euro DigitalPakt Schule; 7 Milliarden Euro Kommunalinvestitionen usw. usf., immer on top, obwohl der Bund für diese Aufgaben eigentlich gar nicht zuständig ist.
Auch das Konjunkturpaket hat hier eine starke kommunale Komponente mit dem Dreiklang „Entlastung der Sozialkosten“, „Kompensation von Steuerausfällen“ und „Sicherung kommunaler Investitionen“. Wenn man das mal aufaddiert, sind wir schon alleine durch das Konjunkturpaket wieder bei 42 Milliarden Euro.
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Bei der heutigen Debatte geht es aber im Kern um zwei Grundgesetzänderungen, zum einen um eine stärkere Beteiligung des Bundes bei den Kosten der Unterkunft von bis zu 75 Prozent, ohne dass es zur Bundesauftragsverwaltung kommt, zum anderen um den hälftigen Ausgleich der Gewerbesteuerausfälle durch die Coronakrise; das eine dauerhaft, jedes Jahr 3,4 Milliarden Euro mit aufsteigender Tendenz; das andere knapp 12 Milliarden Euro, wenn wir die Anteile der Länder dazurechnen. Das heißt, wir helfen der kommunalen Ebene. Ich will auch von der kommunalen Ebene mitbringen: Die kommunale Ebene ist dafür dankbar, meine Damen und Herren. Das ist an dieser Stelle meine Rückmeldung von der Basis.
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Ich bin etwas irritiert, dass dann, wenn quasi die gebratenen Tauben des Bundes durch die Gegend fliegen, von interessierten Stellen jetzt schon wieder der Pudding für den Nachtisch bestellt wird. Das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren.
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Deshalb dürfen wir solche Ausnahmen, die wir jetzt machen, nicht zur Regel werden lassen. Das wollten einige Sachverständige in der Anhörung, das kann es aber an dieser Stelle nicht sein. Die Länder bleiben hier grundsätzlich in der Pflicht. Sie müssen strukturell für eine auskömmliche Finanzierung ihrer Kommunen sorgen. Es kann nicht sein, dass wir immer wieder vom Bund mit Notprogrammen kommen und die Kuh vom Eis holen müssen.
Vor einem weiteren Punkt will ich an dieser Stelle warnen: Das Geld, das wir jetzt an die Kommunen geben, muss dort eins zu eins ankommen – ich glaube, dafür haben wir gesorgt –, und es muss auch dauerhaft da bleiben. Wir hören schon wieder von irgendwelchen Tricks von Ländern, die unterwegs sind, um den Kommunen das Geld an irgendeiner anderen Stelle wieder zu nehmen. Wir haben versucht, das im Gesetzgebungsverfahren noch ein wenig aufzugreifen. Gerade deshalb ist die eingeführte Berichtspflicht richtig.
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Ich glaube, wir haben auch bei den Kosten der Unterkunft richtig entschieden. Die Rückmeldung von Bürgermeistern und Kämmerern an mich ist: Das hilft uns dauerhaft und ist viel besser als jede Altschuldenübernahme, die ursprünglich geplant war. – Ich bin froh, dass wir dieses Thema nicht mehr auf der Agenda haben.
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Ein letzter Punkt, der mir am Herzen liegt – in der Anhörung und heute habe ich es auch wieder gehört –: Die erhöhte Übernahme der Kosten der Unterkunft heißt nicht automatisch, die Kommunen würden jetzt irgendwie Missbrauch bei den Kosten der Unterkunft betreiben.
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Dieser Vorwurf ist nicht in Ordnung. Selbst wenn es mal ein schwarzes Schaf gibt: Es bleibt eine weiße Herde. Die Kommunen werden mit dem Geld verantwortungsvoll umgehen.
Abschließend will ich mich bei all denen bedanken, die den Änderungen heute zustimmen. Ich hoffe, dass das der Bundesrat morgen auch macht. Dann haben wir ein schönes Wochenende für die Kommunen.
Danke.
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Vielen Dank, Christian Haase. – Zum Abschluss dieser Debatte spricht Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vorbereitung auf dieses Thema ist mir dieser Satz eingefallen: Tu felix austria nube. Das war die Erläuterung und Erklärung dafür, warum das Habsburger Reich so groß geworden ist, ohne Kriege, ohne Eroberungsfeldzüge zu führen. Tu felix austria nube: „Glückliches Österreich, heirate“, hat das geheißen. Damit haben sie ihr Reich vergrößert.
Heute könnten wir so ähnlich sagen: Die deutschen Städte und Gemeinden können sich glücklich schätzen, dass sie den Bund an der Hand haben, dass sie aus der schwierigen Situation, in der sie sich befinden, doch großenteils wieder herausgeholt werden.
Unsere Hilfe ist nicht einfach zu leisten, meine Damen und Herren. Wir haben auf der einen Seite keine Verpflichtung und auf der anderen Seite keine rechtlichen Grundlagen. Beides schaffen wir heute mit diesen Beschlüssen, die wir fassen werden. Wir wissen, dass nur unsere zupackende Art die schwierige Situation der Gemeinden lindern wird; dazu stehen wir.
Ein Blick auf die augenblickliche Situation, sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, zeigt uns, dass die Steuereinnahmeseite doch ziemlich schwierig und schlimm geworden ist. Die Pandemie hat große Löcher hineingerissen. Die Steuereinnahmen in Deutschland sollen gegenüber der letzten Steuerschätzung um ungefähr 100 Milliarden Euro niedriger ausfallen. Der Bund wird 53 Milliarden Euro weniger erhalten und die Kommunen 14 Milliarden Euro weniger.
Es ist schon ein Paradoxon, meine Damen und Herren, dass derjenige, der von den Steuermindereinnahmen am meisten gebeutelt ist – der Bund –, sich zu den Leistungen für Städte und Gemeinden in der Weise, wie wir das heute beschließen, verpflichtet erklärt. Aber wir wissen auch, dass unsere Städte und Gemeinden die Lebensqualität in Deutschland wesentlich mitbestimmen und dass es ihre kraftvolle Vitalität ist, die unsere Heimat zu lebenswerten und liebenswerten Bezirken machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Städte und Gemeinden brauchen natürlich Sicherheit und Berechenbarkeit. Diese wollen wir durch zweierlei Beschlüsse schaffen: das Grundgesetz zu verändern und die unterstützenden Gesetze auf den Weg zu bringen. Wir übernehmen mit mehr als 6 Milliarden Euro 50 Prozent bei den Ausfällen der Gewerbesteuern der Gemeinden – einmalig. Einmalig, meine Damen und Herren, heißt für mich einmalig. Das heißt nicht, dass man im nächsten Jahr mit einem ähnlichen Antrag wird kommen können oder dass man sagt: „Ab und zu geht das schon“, oder „Öfter mal ist das durchaus gefragt“. Sie kennen möglicherweise auch die schleichend daherkommenden Gewohnheitsrechte, die dann zu dauerhaften Lösungen führen. Das möchte ich nicht, und das schließen wir ein für alle Mal aus, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Wir sagen klipp und klar, dass die Einmaligkeit sich auf dieses Jahr beschränkt. Ich möchte noch einmal ausführen, dass auch der Starke überfordert werden kann. Oder wie der Volksmund auch sagt: Die Kuh, die man melken möchte, darf man nicht schlachten.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Die Hilfestellung wird sich in der zweiten Weise so darstellen, dass wir den Bundesanteil bei den Leistungen für Unterkunft und Heizkosten deutlich anheben. All dies wird uns in Deutschland etliche Milliarden kosten.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung.
Nicht mit meiner Genehmigung – Sie sind schon drüber. Also, los geht’s, komm!
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– Da gibt’s gar nichts zu lachen. Herr Karl, bitte kommen Sie zum Schluss.
Frau Präsidentin, mit den heute zustimmenden Fraktionen werden die Gemeinden in Deutschland sicherlich ein herzliches Danke sagen, die Gemeinden in Bayern möglicherweise ein herzliches „Vergelts Gott“! Das sage ich auch.
Das sage ich Ihnen auch. Danke schön und vergelts Gott.
Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben die Woche der Nachhaltigkeit im Deutschen Bundestag. Es ist nicht nachhaltig, wenn Menschen ihren Müll trennen, der Großteil des Plastikmülls aber verbrannt wird. Es ist nicht nachhaltig, wenn fast 50 Prozent der Batterien, die in Umlauf sind, irgendwohin verschwinden und nicht recycelt werden.
Es ist auch nicht nachhaltig, wenn wir das, was man früher als Müll bezeichnet hat und was so viele Wertstoffe beinhaltet, nicht in Kreisläufen führen, wenn wir das nicht recyceln und wiederverwenden, um im ganz klassischen Sinne Kreislaufwirtschaft zu betreiben. Deswegen ist es gut, dass sich die Europäische Kommission im Rahmen des Green Deals und in anderen Bereichen das Thema Kreislaufwirtschaft ganz oben auf die Agenda gesetzt hat und uns dabei unterstützt, hier ganz konkrete Fortschritte zu machen.
Ich freue mich, dass wir, was die Ressourceneffizienz und die Kreislaufwirtschaft angeht, in das Mosaik der Nachhaltigkeit heute weitere Steinchen einfügen, um daraus ein tolles Gesamtbild zu erhalten. Im Zusammenhang mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz sind das im Kern drei große Punkte.
Erstens. Zum ersten Mal definieren wir eine Obhutspflicht. Mit einer Erweiterung der Produktverantwortung wollen wir dafür Sorge tragen, dass zum Beispiel im Onlinehandel die Dinge, die zurückgeschickt werden, nicht einfach weggeschmissen werden, nur weil das billiger ist, sondern dass sie weiterverwendet werden. Wir führen hier eine Obhutspflicht ein und auch entsprechende Transparenzvorschriften, um dem Missstand, funktionierende Produkte einfach wegzuschmeißen, ein Ende zu setzen.
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Zweitens. 700 Millionen Euro geben die Kommunen jedes Jahr dafür aus, um Einwegbecher und andere Einwegplastikartikel zu entfernen, nicht nur von den Stränden am Meer, sondern insbesondere von den Gehwegen, von den Straßen und aus den Parks. Wir erweitern auch hier die Produktverantwortung und werden diejenigen, die den Plastikmüll in den Verkehr bringen, zu diesen Kosten heranziehen. Auch das ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit.
Drittens. Wir müssen Vorbild sein. Die öffentliche Beschaffung muss mit gutem Beispiel vorangehen. Wir können nicht erwarten, dass die Wirtschaft wiederverwertbare Produkte anbietet, wenn die öffentliche Hand nicht mit gutem Beispiel darin vorangeht, diese zu bestellen und zu kaufen.
Deswegen haben wir diese drei wichtigen Mosaiksteine entwickelt, neben vielen anderen, die wir in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten noch dazugeben werden, um Nachhaltigkeit im wahrsten Sinne des Wortes im Kreislauf zu führen und auf diese Weise etwas Gutes zu tun.
Herzlichen Dank an alle, die dazu beigetragen haben, für die guten Beratungen, auch den Berichterstattern und allen, die daran mitgewirkt haben. Ein herzlicher Dank geht auch an das BMU für die gute Vorarbeit.
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Vielen Dank Herr Staatssekretär. – Nächster Redner ist der Kollege Andreas Bleck, AfD-Fraktion.
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Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Abfallwirtschaft ist Daseinsvorsorge, Umweltschutz und Aufgabe der Kommunen. Als Bundespolitiker und Kommunalpolitiker habe ich die Erfahrung gemacht, dass der Bürger dem Staat in der Kommune am nächsten ist. Umso wichtiger ist es, dass der Deutsche Bundestag mit großer Sorgfalt darauf achtet, die Kommunen als Fundament des Staates zu stabilisieren. Dieser Verpflichtung fühlt sich die AfD in ihrer Politik zutiefst verbunden.
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Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie könnte jedoch Gegenteiliges bewirken. Hierbei geht es insbesondere um die Erweiterung der freiwilligen Rücknahme von Abfällen. Damit wird nämlich die Pflicht zur Überlassung von Haushaltsabfällen an die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger weiter ausgehöhlt. Mit Abfällen wie Altmetall und Altpapier lassen sich bei der Entsorgung Gewinne erzielen; mit Abfällen wie Sonderabfällen hingegen Verluste. Freiwillige Rücknahmesysteme sind gewinnorientiert und nehmen nur die Abfälle zurück, mit denen sie Gewinne erzielen können. Die Abfälle, mit denen Verluste erzielt werden, bleiben hingegen bei den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern. Das bedeutet: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert, und das lehnen wir entschieden ab.
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Im Unterschied zur Bundesregierung wollen wir die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, die von den Bürgern gerade wegen ihrer Stabilität als Fels in der Brandung wahrgenommen werden, also stärken.
Des Weiteren möchte die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf die Hersteller und Verkäufer an den Entsorgungskosten von illegal entsorgten Abfällen beteiligen. Mit der sogenannten Erweiterung der Produktverantwortung wird das Verursacherprinzip jedoch von den Füßen auf den Kopf gestellt. Das wäre in etwa so, als würde man BMW dafür bestrafen, wenn ein BMW-Fahrer in einem verkehrsberuhigten Bereich mit 120 km/h geblitzt werden würde.
Diese Erweiterung der Produktverantwortung, werte Kolleginnen und Kollegen, ist eine Perversion. Sie entlässt Verbraucher implizit aus ihrer Verantwortung, Abfälle legal zu entsorgen. Damit werden die Bemühungen, ein kritisches Verbraucherbewusstsein zu erzielen, sogar konterkariert.
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Dabei möchte ich nicht falsch verstanden werden. Es ist und bleibt natürlich auch ungerecht, dass die Entsorgungskosten für illegal entsorgte Abfälle bei den Kommunen hängen bleiben. Gerechtigkeit wird jedoch nicht dadurch erreicht, dass die Ungerechtigkeit auf andere abgewälzt wird. Deshalb sollte die Bundesregierung das Verursacherprinzip nicht vom Verbraucher auf die Hersteller verschieben. Stattdessen sollte sie sich für die Erhöhung der Strafen bei der illegalen Entsorgung von Abfällen einsetzen.
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Zudem fällt auf, dass die Bundesregierung in der Kreislaufwirtschaft auch weiterhin ihren eigenen Ansprüchen hinterherläuft. Zwar bekennt sie sich zur Abfallhierarchie; aber die Vermeidung, die dort an erster Stelle steht, spielt im Gesetzentwurf nur eine untergeordnete Rolle. Hier gibt es also zwei Möglichkeiten: Entweder die Bundesregierung stärkt die Vermeidung, beispielsweise durch die Einführung garantierter Mindestnutzbarkeitszeiten, oder sie setzt sich auf der Ebene der Europäischen Union für eine Änderung der Abfallhierarchie ein. Wir fordern die Bundesregierung auf, konsequent zu handeln, statt Lippenbekenntnisse abzugeben.
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Zum Schluss möchte ich noch einmal klarstellen, dass wir Gesetzentwürfen, Änderungsanträgen und Anträgen, die deutsche Hersteller und Verkäufer im gemeinsamen Markt der Europäischen Union einseitig belasten, nicht zustimmen können. Das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund der geplanten Obhutspflicht, die einen nationalen Alleingang darstellt. Das machen wir nicht mit.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Björn Simon, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Kreislaufwirtschaft ist eine der innovativsten Wirtschaftsbranchen in Deutschland. Ständige Weiterentwicklungen in Technologie und Wirtschaftlichkeit prägen dieses Erfolgsmodell.
Raum für Verbesserung von politischen Rahmenbedingungen ist immer; das haben wir natürlich jetzt schon gehört, und das werden wir heute Abend vermutlich noch öfter hören. So schlecht aber kann unsere Kreislaufwirtschaft nicht sein. Ansonsten wäre sie nicht ein solcher Exportschlager.
Heute Abend debattieren wir über eine Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Vorangegangen sind dem vorliegenden Papier zahlreiche Ausschusssitzungen, öffentliche Anhörungen und Gespräche, um die Kreislaufwirtschaft in Deutschland sinnvoll weiter auszubauen und voranzutreiben.
Essenziell dabei ist: Wir müssen Abfälle weiter reduzieren und das Recycling stärken, vor allem im Verpackungsbereich. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zu Klimaschutz, zu Ressourcenschonung und in der Energiewende. In Zahlen: In Deutschland werden jährlich über 400 Millionen Tonnen Abfälle gesammelt, transportiert, sortiert, aufbereitet und stofflich oder energetisch verwertet. Über 11 000 kommunale und private Unternehmen sind daran beteiligt und in der Folge von den gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie wir sie heute beschließen, betroffen. Die Abfallrahmenrichtlinie der Europäischen Union macht uns dazu weitreichende Vorgaben, die wir mit der vorliegenden Gesetzesänderung umsetzen.
Ein erstes wichtiges Thema der Richtlinie ist der Einsatz von Rezyklaten. Kunststoffrecycling spielt in Deutschland bereits eine bedeutende Rolle. Marktübergreifend stoßen wir auf wiederverwendete Kunststoffe aller Art. Das gibt uns auf der einen Seite natürlich Grund zur Freude, muss uns auf der anderen Seite aber auch Ansporn sein, noch deutlich mehr Kunststoffe zu recyceln, anstatt auf Neumaterial aus Rohöl zu setzen.
Und das ist gar nicht so einfach: Die Reinheit des Rezyklats spielt bei der Wiederverwendung eine große Rolle. Hier besteht ein Zielkonflikt, der aus dem Stoff- und Chemikalienrecht resultiert. Einerseits müssen wir gefährliche Inhaltsstoffe ausschleusen, reduzieren damit aber logischerweise die Gesamtmenge; andererseits wollen wir möglichst viel qualitativ hochwertigen Kunststoff wiederverwerten.
Indem wir beim Bodenschutz, der Chemikaliensicherheit oder dem Lebensmittelrecht Verschärfungen gesetzlich regeln, versperren wir bestimmten Kunststoffen den Weg zurück in den Markt. Gerade an dieser Stelle brauchen wir endlich klare und einheitliche Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene.
Das heißt nicht, dass wir uns selbst aus der Verantwortung nehmen. Vielmehr werden wir mit neuen Regelungen in der öffentlichen Beschaffung den Rezyklateinsatz in Deutschland weiter ankurbeln, weg von einer Prüfpflicht hin zu einer Bevorzugungspflicht. Konkret bedeutet das: Sofern keine unzumutbaren Mehrkosten entstehen, sind beim Einkauf Produkte zu bevorzugen, die rohstoffschonend, abfallarm, reparierbar, schadstoffarm und recyclingfähig sind.
Ein weiterer wichtiger Teil der Novelle behandelt einzelne Verordnungsermächtigungen, die der Umsetzung der vieldiskutierten EU-Einwegkunststoffrichtlinie dienen. Bestimmte Einwegartikel mit Kunststoffanteilen wie Ohrstäbchen, Einweggeschirr etc. werden verboten.
Nun bin weder ich noch ist die Unionsfraktion dafür bekannt, Produktverbote gerne auszurufen. Verbote dürfen immer nur die letzte Konsequenz sein. Schon länger fordert meine Fraktion eine ökobilanzielle Betrachtung. Das heißt, wenn Produkte ökologisch nicht sinnvoll anzuwenden sind, weil das angewendete Material ökobilanziell schlecht ist, dann müssen wir eine Alternative finden, aber nur, wenn es auch eine ökologisch bessere Alternative gibt. Alles andere sehen wir als Symbolpolitik. Es schadet uns ökologisch und ökonomisch und ist mit uns deswegen nicht zu machen.
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Ein wichtiger Punkt, der die Novelle bestimmt, ist die sogenannte Obhutspflicht. Hier handelt es sich um das Problem der Retourenvernichtung, vor allem im Onlinehandel. Wir beschränken uns dabei auf den Business-to-Consumer-Bereich, also den Handel zwischen Verkäufer und Endkunden. Wir konzentrieren uns dabei auf Elektronikartikel und Textilien, weil in anderen Bereichen aus verschiedenen Gründen, beispielsweise solchen der Hygiene, eine Retourenvernichtung zumeist unumgänglich ist. Das merken wir in der aktuellen Coronadebatte umso mehr.
Zu einem weiteren Punkt des ursprünglichen Gesetzentwurfes haben mich besonders viele Zuschriften von Marktteilnehmern erreicht. Bei der sogenannten SCIP-Datenbank handelt es sich um eine Datenbank für besonders besorgniserregende Stoffe in Produkten, die von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA auf Grundlage der Abfallrahmenrichtlinie entwickelt wurde.
Den ursprünglichen Entwurf haben viele Unternehmen kritisiert, weil sie einen enormen Verwaltungsaufwand und Belastungen befürchten. Wir als Union nehmen diese Sorgen ernst. Gerade in der gegenwärtig ohnehin wirtschaftlich schwierigen Zeit sollten wir unseren Unternehmen nicht höhere Belastungen aufbürden, als absolut notwendig ist. Wir beschränken daher die Datenbereitstellung für die Chemikaliensicherheit in dieser SCIP-Datenbank auf die Anforderungen der europäischen Chemikalienverordnung REACH. Damit setzen wir gleichzeitig die Vorgaben der EU eins zu eins um und belasten gerade kleinere und mittelständische Betriebe nicht übermäßig.
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Mit der freiwilligen Rücknahme möchte ich einen letzten Punkt der Novelle ansprechen. Natürlich begrüßen wir es, wenn der Handel über die gesetzlichen Vorgaben hinaus Produkte zurücknimmt. Originär sind hier jedoch die Kommunen verantwortlich, und um hier Planungssicherheit zu schaffen und den Anreiz zu kurzfristigen Werbemaßnahmen zu minimieren, haben wir eine Pflicht zur Vertragslaufzeit von mindestens drei Jahren implementiert.
Abschließend möchte ich mich bei allen Beteiligten der Gesetzesänderung für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich möchte hier namentlich zum einen unsere umweltpolitische Sprecherin Marie-Luise Dött nennen, aber auch meinen Kollegen aus der SPD-Fraktion Michael Thews, hier Berichterstatter. Ich bin der Ansicht, dass wir seitens des Bundesumweltministeriums einen soliden Gesetzentwurf erhalten haben, den wir im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens in den zuständigen Ausschüssen und in zahlreichen Fachgesprächen noch weiter spürbar verbessern konnten.
Können Sie zum Schluss kommen?
Mit der vorliegenden Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes stärken wir einen unserer innovativsten Wirtschaftsbereiche, der einen großen, oft zu wenig betrachteten Beitrag zum Umweltschutz leistet.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Judith Skudelny, FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist im Wesentlichen eine Umsetzung der EU-Richtlinie. Ich habe ihn mir angeguckt. Daran schmeckt mir nicht alles; es ist nicht perfekt. Aber überwiegend ist es schon ganz in Ordnung, was hier umgesetzt worden ist. Deswegen hatte ich im Ausschuss noch gesagt: Ich glaube, ich werde mich enthalten. – Ich habe mir jetzt in Vorbereitung dieser Rede noch einmal das Gesetz angeschaut und habe meine Meinung geändert. Ich möchte Ihnen hier ganz kurz erklären, warum.
Das Kreislaufwirtschaftsgesetz hatte schon zahlreiche Ermächtigungsgrundlagen, durch die Verantwortung des Bundestages auf die Bundesregierung übertragen worden ist. Diese Ermächtigungsgrundlagen sind in diesem Gesetz noch erweitert worden. Es geht um Sachen wie das Verbot von Einwegkunststoff. Das ist ein Eingriff in das Eigentum der Produzenten, und es ist damit ein Eingriff in Grundrechte. Die Verantwortung dafür übertragen wir der Bundesregierung.
Die Hersteller müssen Verantwortung übernehmen und sich an den Kosten für die Entnahme von Produkten aus der Umwelt beteiligen, also wenn da Müll rumliegt. Die Idee ist ja gut. Aber ganz ehrlich: Deutschlandweit nehmen wir nicht diejenigen in die Verantwortung, die dafür wirklich zuständig sind, nämlich die Grasdackel, die ihre Kippe einfach in die Walachei reinwerfen.
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Es ist ja okay, dass wir darüber reden. Aber ich finde, dass dafür der Bundestag zuständig ist.
Nicht zuletzt gibt es hier noch ein Thema, bei dem der Bundestag schon eingegriffen hat; das ist die gerade erwähnte SCIP-Datenbank. Das ist eine europäische Datenbank, in der besorgniserregende Stoffe gesammelt werden müssen. Jetzt ist aber die Datenbank, die Europa eingerichtet hat, nicht die Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie, sondern sie geht noch mal ein Stück darüber hinaus. Das bedeutet, dass die Unternehmen dort nicht nur jedes einzelne Fitzelbauteilchen nennen müssen. Sie müssen sogar Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse preisgeben und dafür auch noch Milliardenbeträge aufwenden, und das einfach nur ‑sorry! –, weil das Wirtschaftsministerium gepennt hat. Das einer Regierung einfach durchgehen zu lassen, das geht nicht.
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Deswegen ist es auch richtig, dass CDU/CSU und SPD gemeinsam – wir haben einen Antrag dazu gestellt – hier im Bundestag Korrekturen vorgenommen haben und Änderungsanträge gestellt werden. Aber jetzt stellen wir uns einfach mal vor, die hätten das nicht gemacht. In Absatz 2 heißt es nämlich: Auch hier geben wir für alle zukünftigen Veränderungen eine Ermächtigungsgrundlage an die Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, ich bin Parlamentarier geworden, weil ich für wichtige wirtschaftliche und gesellschaftliche Belange zuständig sein will. Ich bin dafür verantwortlich, was hier gemacht wird, und ich werde diese Verantwortung nicht an diese und nicht an irgendeine künftige Bundesregierung abgeben.
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Diese ganze Ermächtigungsgrundlagerei, wie wir sie hier frönen, widerspricht meinem Demokratieverständnis, und deswegen kann ich dem ganzen Ding hier so leider doch nicht zustimmen.
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Ich möchte ganz zum Schluss noch auf eines hinweisen: Die SCIP-Datenbank muss evaluiert werden. Wir wenden Milliardenbeträge dafür auf, und mir konnte nicht mal das Bundesministerium erklären, was das eigentlich für die Umwelt tut. Wir haben einen Antrag gestellt, hier eine Evaluation zu machen. Ich würde mich freuen, Sie könnten sich diesem Antrag anschließen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die ganze Woche diskutiert der Bundestag über Nachhaltigkeit. Bei der Umsetzung der EU-Abfallrahmenrichtlinie geht es konkret um unsere Siedlungsabfälle und die Reihenfolge zur nachhaltigen Beseitigung.
Das Beste ist die Vermeidung von Abfall; das meint eine lange Haltbarkeit von Produkten. Das Zweitbeste ist die Wiederverwendung oder Secondhand. Das Dritte ist die stoffliche Verwertung, also Recycling. Das Vierte ist die thermische Entsorgung, die Verbrennung. Und natürlich zuletzt: einfach entsorgen.
Seit Jahren ignorieren die unionsgeführten Bundesregierungen diese Reihenfolge. Das nervt mich ungemein. Statt Abfall zu vermeiden und die Wiederverwendung zu fördern, drehen sie an Recyclingquoten der Verpackungsverordnung. Ihren Wettbewerbswahn, der privaten Unternehmen Profite zuschanzt, der Umwelt schadet und die Müllgebühren zum Steigen bringt – was die Bürgerinnen und Bürger bezahlen müssen –, das lehnt Die Linke ab.
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Union und FDP installierten die dualen Systeme, die ihre Profite aus Lohndumping und Betrug bei Abrechnungsmengen ziehen. Und worum kümmert sich die Koalition? Nur um Recycling, aber nicht etwa um die Verpackungsmengen! Dass die von 1997 mit 167 Kilogramm je Einwohner und Jahr auf heute 226 Kilogramm je Einwohner und Jahr steigen, das scheinen Sie gar nicht zu bemerken. Da ist Recycling einfach zu wenig.
Die Linke fordert Mindestzeiten für die Nutzung technischer Geräte – das ist Vermeidung – und eine Einschränkung bei Verpackungen aus demselben Grund.
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Wir fordern Reparierbarkeit und Upgrade-Möglichkeiten für bessere Wiederverwendung. Und wir fordern weniger Materialsorten bei Verpackungen, damit Recycling hochwertig erfolgen kann.
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Natürlich gehört für uns die Sammlung von Abfall, Altpapier, Altglas und auch Verpackungen in die Hoheit der Kommunen. Der Flickenteppich bei den Sammlungsstrukturen kostet unnötig Geld bei Ausschreibungen. Die Rosinenpickerei von gewerblichen Sammlern, die bei Textilien zuschlagen, wenn es 400 Euro pro Tonne gibt, sie aber liegen lassen, wenn man dafür kein Geld erhält, muss endlich aufhören.
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In der Anhörung zum Gesetzespaket wurde die Benachteiligung der Kommunen gegenüber privaten Entsorgern deutlich. Liebe Koalition, Ihr Änderungsantrag beseitigt diesen Fehler. Schön, dass Sie lernfähig sind. Deshalb stimmen wir dem Änderungsantrag zu.
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Aber es ist schon dreist, dass die unionsgeführte Koalition in der Nachhaltigkeitswoche die systematischen Fehler im Abfallsystem ignoriert, Gewinne privatisiert und die Kosten den Kommunen und Gebührenzahlern übrig lässt. Dazu sagte Die Linke Nein.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Bettina Hoffmann, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Täglich sind wir von Tausenden Gegenständen umgeben, seien es Kleidung, Möbel, Mobiltelefone, Fahrzeuge etc. Mit der Art und Menge der Rohstoffe, die wir für die Herstellung all dieser Güter verbrauchen, überlasten wir unsere Erde massiv. Das können wir uns nicht mehr leisten.
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Wir brauchen eine Ressourcenwende, und das bedeutet nichts weniger als eine Revolution der gesamten Güterproduktion – raus aus der Wegwerfgesellschaft, rein in eine echte Kreislaufwirtschaft.
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Ziel ist ein Verlangsamen, Verringern, Schließen, Verbessern von Material- und Energiekreisläufen, beispielsweise durch langlebige Konstruktion, Reparatur, Wiederverwendung und Recycling: Klasse statt Masse. Konkrete Schritte, um das zu beeinflussen, fehlen weitgehend in dem Gesetz.
Die Vermeidung von Abfall ist das erste Ziel einer Kreislaufwirtschaft. Deutschland ist hier besonders schlecht aufgestellt. Alle Europäer verursachen weniger Müll pro Kopf als wir Deutsche. Doch Müllvermeidung wird noch nicht einmal als Zweck des Gesetzes erwähnt, ganz zu schweigen von unserem konkreten Vorschlag eines gesetzlichen Ziels, um den Verpackungsmüll bis 2030 zu halbieren.
Enttäuschend ist, dass die Vernichtung gebrauchsfähiger Ware weiterhin legal ist. Ohne eine entsprechende Verordnung bleibt die ja eigentlich richtige Einführung einer Obhutspflicht eine leere Ankündigung. Beim Produktdesign bleibt der Gesetzentwurf völlig vage und unverbindlich. Gerade mit Blick auf recyclingfreundliches Design war der ursprüngliche Referentenentwurf deutlich weiter.
Das Gesetz schafft nicht die notwendigen Impulse für einen besseren Einsatz von Rezyklaten. Hier helfen auch Prüfaufträge nicht weiter. Eine Lösung wären Einsatzquoten für Rezyklate – doch auch hier: Fehlanzeige.
Letzter Punkt: die öffentliche Beschaffung. Entwicklungsminister Müller hat sich heute Mittag ganz stark dafür eingesetzt: Sie muss zum Motor der Kreislaufwirtschaft werden. Wenn aber die Einkäufer in den Behörden entsprechende Produkte gar nicht erkennen, dann wird das nichts. Ein unabhängiges Kreislauflabel könnte Orientierung bieten; es fehlt aber.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, aus vielen Gesprächen weiß ich: Die Recyclingwirtschaft erwartet jetzt klare Antworten vom Gesetzgeber. Dieses Gesetz liefert sie leider nicht. Es ist eine verpasste Chance, Deutschland zu einem attraktiven Standort für die Kreislaufwirtschaft zu machen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist schon sehr früh in die Kreislaufwirtschaft eingestiegen. Das Gesetz dazu stammt von 1994. Das heißt, viele Parteien, die heute hier in diesem Hohen Haus sind, haben daran mitgewirkt. Das Gesetz hatte zur Folge, dass sich in Deutschland eine sehr leistungsfähige Kreislaufwirtschaftsindustrie angesiedelt hat; das heißt, beim Sammeln, Trennen und Recyceln sind wir in Deutschland Weltspitze. Und ich möchte gerne, dass das auch so bleibt.
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Wir haben in dieser Woche in einer Anhörung des Parlamentarischen Beirats die Firma Werner & Mertz – viele kennen sie auch unter dem Markennamen „Frosch“ – gehabt. Dabei handelt es sich tatsächlich um eine Firma, die auch heute schon ganz massiv auf Nachhaltigkeit setzt und zum Beispiel ihre Verpackungen bis zu 100 Prozent aus recyceltem Material herstellt. Wir erleben, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher das auch tragen, dass sie das akzeptieren und dass diese Firma mit genau diesem Vorgehen auch wirtschaftlichen Erfolg hat. Diesen Weg wollen wir weiter beschreiten.
Die Abfallentsorgung ist aber auch ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge; das heißt, jeder von uns ist darauf angewiesen, dass der Müll in den Kommunen auch abgeholt wird. Deswegen ist es uns ganz wichtig gewesen, im parlamentarischen Verfahren zu erreichen, dass es hier auch eine Klarstellung für die kommunalen Entsorger gibt, die in der Konkurrenzsituation mit den gewerblichen Sammlern ihre Rechte einfordern müssen, wenn es dort – ich sage mal – an der einen oder anderen Stelle hapert. Es ist also ganz wichtig, dass wir da Waffengleichheit hergestellt haben.
Herr Kollege Thews, darf ich Sie jetzt unterbrechen?
Jetzt können Sie das tun.
Ich habe die Redezeit angehalten. Sie kriegen auch ein bisschen was obendrauf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 14 a. Die Zeit für die namentliche Abstimmung ist vorbei. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? Ich frage in den Saal hinein und nach draußen. – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen nach Tagesordnungspunkt 16 bekannt gegeben
Herr Kollege Thews, ganz herzlichen Dank dafür. Sie haben das Wort.
Kein Problem, gerne. – Wenn man dann aber so etwas einführt wie das, was jetzt im Gesetzentwurf steht, die freiwillige Rücknahme – das war ja insbesondere im Textilbereich eine Idee –, dann muss man auch sicherstellen, dass die Kommunen das einplanen können, damit das nicht nur eine kurzzeitige Marketinggeschichte ist, sondern eben auch wirklich langfristig durchgeführt wird. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir die Mindestanzahl von drei Jahren aufgenommen haben und auch eine hochwertige Sammlung und ein hochwertiges Recycling geregelt haben.
Ich sage es ganz offen: Mir wäre es lieber, die Hersteller würden wirklich recycelbare Produkte auf den Markt bringen, diese wieder zurücknehmen und im Sinne von „Cradle to Cradle“ aus einem hochwertigen Recyclingproduktabfall möglichst wieder dasselbe Produkt per Recycling hinbekommen. Dann hätten wir natürlich noch mehr erreicht.
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Wir kommen in vielen Bereichen dadurch, dass Sachen nicht zu 100 Prozent recycelbar sind, immer wieder an unsere Grenzen. Wir merken das gerade im Kunststoffbereich. Wir haben im Kunststoffbereich sehr hohe Recyclingquoten – gerade erst im Verpackungsgesetz beschlossen. Wir wissen aber, dass diese Quoten auch von der Vermarktbarkeit der Rezyklate abhängig sind. Ich will das noch mal erklären: Man sammelt Kunststoffe, reinigt und zerkleinert sie; und aus den zerkleinerten Kunststoffen werden wieder neue, möglichst hochwertige Produkte gemacht. Wir haben das Problem, dass diese Rezyklate in Konkurrenz zu den primär hergestellten Kunststoffen stehen, das heißt zu denen, die aus Erdöl hergestellt werden. Wir wissen alle: Momentan ist der Erdölpreis niedrig. Deswegen ist es, sage ich mal, tatsächlich schwierig, diese rezyklierten Dinge in den Markt zu bekommen, und wir brauchen dort einen Anreiz.
Einen haben wir im Verpackungsgesetz, indem wir gesagt haben: Die Quote wird jetzt auch ökologisch ausgestaltet. – Aber wir brauchen wahrscheinlich noch weitere Anreize. Deswegen ist es gut, dass wir den Entschließungsantrag zu dem Thema geschrieben haben, um das zu klären. Aber ich glaube, wir brauchen da einfach noch mehr, um wirklich Marktanreize zu erreichen.
Eine große Rolle bei den rezyklierten Stoffen spielt natürlich auch – das ist gerade eben schon erwähnt worden – der Bereich der öffentlichen Beschaffung. Auch da haben wir gesagt: Es gibt jetzt sozusagen nicht mehr eine Art Anreiz, sondern in diesem Bereich besteht eine Verpflichtung, Dinge einzusetzen, die in besonderer Weise den Zielen der Kreislaufwirtschaft dienen, die also nachhaltig hergestellt werden. Bisher gab es da nur eine Prüfpflicht, jetzt gibt es die Verpflichtung. Ich glaube, auch das ist ein deutlicher Fortschritt.
Ich sage mal so: Im Umfeld der Kreislaufwirtschaft werden wir hier immer wieder über Details streiten und uns auseinandersetzen; das ist auch gut so. Letzten Endes müssen wir aber über eine echte Kreislaufwirtschaft sprechen, die sich so entwickelt, dass Recycling eben schon am Anfang der Überlegungen einer nachhaltigen Wirtschaft steht. Das muss das Ziel sein. Bis dahin ist sicherlich noch einiges zu klären. Die Kreislaufwirtschaft muss auch in weitere Gesetzesbereiche übernommen werden. Ich glaube, da haben wir noch einiges vor. Aber ich weiß, dass viele auch gern in diesem Bereich arbeiten.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Thews. – Da der Kollege Michael Kießling, wie gesagt, seine Rede zu Protokoll gegeben hat, schließe ich nunmehr die Aussprache.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in den Deutschen Bundestag einbringt, der eine Ergänzung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vorsieht, und zwar in der Form, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr durch ein gesondertes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht überprüft werden sollen und können. Als Voraussetzung für dieses Verfahren sieht der Gesetzentwurf vor, dass entweder ein Viertel der Mitglieder des Hauses oder eine Fraktion einen entsprechenden Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht stellen kann.
Ich werde Ihnen jetzt begründen, warum wir diesem Antrag nicht folgen können und Ihnen empfehlen werden, diesem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen.
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Zunächst einmal will ich deutlich machen, dass es sich der Deutsche Bundestag seit dem Streitkräfteurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 nicht einfach macht, unsere Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze zu schicken.
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Jeder Einsatz, egal ob er ein größeres Kontingent umfasst oder nur vier oder fünf Soldaten, wie im Fall von Darfur, wird in zwei Lesungen, in zwei Durchgängen im Deutschen Bundestag beraten. Jeder Einsatz wird durch namentliche Abstimmung hier im Deutschen Bundestag entschieden, womit dokumentiert wird, wie jeder einzelne Bundestagsabgeordnete zu den Auslandseinsätzen steht.
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Es gibt nichts, was im Deutschen Bundestag mit größerer Sorge behaftet ist als unsere Auslandseinsätze. Deswegen will ich zunächst einmal zum Ausdruck bringen, dass dieses Parlament die Entscheidung mit höchster Sorgfalt vornimmt.
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Wenn Sie sich Ihren Gesetzentwurf ansehen, dann werden Sie feststellen, dass er ein Stück weit inkonsistent wirkt, und zwar deswegen, weil Sie die Verfahren des Organstreits und der abstrakten Normenkontrolle vermischen. Wenn ein Auslandseinsatz verabschiedet wird und der Deutsche Bundestag nicht beteiligt wird, dann kann das ohnehin bereits im Organstreitverfahren gerügt werden. Deswegen brauchen wir dieses neue Verfahren nicht.
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Aber es ist etwas seltsam, dass Sie als Zugangsvoraussetzungen entweder die Fraktionsgröße im Deutschen Bundestag, also mindestens 5 Prozent, oder ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages nehmen. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie eine Art Organstreitverfahren wollen oder ob Sie ein Verfahren wollen, welches sich an der abstrakten Normenkontrolle anlehnt.
({5})
Wenn Sie beides vermischen, dann haben Sie – bei allem Respekt – das System des Zugangs zum Verfassungsgericht nicht verstanden. Das wird in diesem Antrag deutlich gemacht.
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Ich will auch materiell-rechtlich vor diesem Antrag warnen. Zunächst einmal muss man sich ja fragen: Was ist eigentlich Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts? Prüfungsmaßstab ist nämlich nicht die Rechtsordnung als solche, sondern Prüfungsmaßstab wird die Frage werden: Liegt ein System kollektiver Sicherheit vor? Prüfungsmaßstab wird damit auch werden: Wie sind denn eigentlich die Voraussetzungen in den jeweiligen Einsatzgebieten? Damit machen Sie letztendlich etwas, was schwierig ist, was Deutschland schwächen würde. Sie werden durch diesen Antrag das Bundesverfassungsgericht zu einem neuen Akteur der Außenpolitik machen.
({7})
Haben Sie eigentlich das Bundesverfassungsgericht schon selbst gefragt, ob es ein Akteur der Außenpolitik werden möchte?
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Wenn Sie nämlich so weit gehen, dass Sie die Frage der Staatsleitung in der Außenpolitik nicht nur auf Bundestag und Bundesregierung übertragen, sondern auch noch ein Gericht hinzuziehen, ein Gericht, das auch noch drei Monate Zeit hat, um ein Urteil zu fällen, dann wird passieren, dass wir am Ende des Tages außenpolitisch handlungsunfähig werden.
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Dann werden uns unsere Verbündeten nicht mehr vertrauen, weil jeder, der für die Bundesrepublik Deutschland im Ausland unterwegs ist, deutlich machen muss, dass er keine letztendliche Kompetenz hat, über entscheidende Fragen, auch der Bündnisfähigkeit, zu entscheiden, sondern dass jedes Mal auch die Gefahr besteht, dass die entscheidenden Fragen vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden.
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Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht, welches Handlungen des Deutschen Bundestages, aber auch Grundrechtsverletzungen zu beurteilen hat. Aber das deutsche Verfassungsgericht soll keine Außenstelle des Internationalen Strafgerichtshofs werden oder einer Letztauslegung von Völkerrecht anheimfallen. Das wäre falsch.
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Entscheidend ist: Die Beurteilung der Frage, ob ein Einsatz der deutschen Bundeswehr angemessen ist, ob er in ein internationales Gefüge passt und ob er völkerrechtlich zulässig ist, obliegt diesem Hohen Haus; das obliegt dem Deutschen Bundestag. Wir sollten uns nicht durch ein Gesetz schwächen, indem wir den Deutschen Bundestag als direkte Volksvertretung entmachten, damit unsere Bündnisfähigkeit abmildern und letztlich zu einer Situation kommen, wo wir im Gefüge der Verfassungsorgane dem Bundesverfassungsgericht etwas aufdrücken, was dieses selber gar nicht will.
Deswegen empfehle ich in unserem eigenen Interesse, diesen Antrag abzulehnen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich. – Nächster Redner ist der Kollege Tobias Matthias Peterka, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Ein durchaus interessanter Antrag, den die Grünen hier einbringen. Ich vermute an dieser Stelle einmal, eine Art Werksauftrag seitens der Linken, obwohl man dort Werksverträge ansonsten lauthals ablehnt.
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Aber gut, man gibt sich hier jedenfalls konkret die Türklinke in die Hand und will eine festgestellte Rechtslücke schließen. Die zeigte sich amtlich bei einem Organstreitverfahren der Linksfraktion vor circa einem Jahr. Gewandt wurde sich gegen den Anti-IS-Einsatz im Irak und Syrien, wie immer in sturer Undifferenziertheit, aber in dem Fall durchaus korrekt. Die Linksfraktion stand damals jedoch ohne Antragsbefugnis da; denn der Bundestag hatte schließlich mit Mehrheit zugestimmt, und eine Allgemeinüberprüfung von spezifischen Einsatzgründen gibt das Besteck der Verfahren zurzeit eben nicht her. Ärgerlich für die Linken; denn dort wird, wie gesagt, jeder Auslandseinsatz abgelehnt. Da wäre es doch praktisch, mit solch einem Verfahren nach dem Einsatzgrund der Abkommen zur kollektiven Sicherheit dann nahtlos den der nationalen Verteidigung vielleicht auch noch zu schleifen.
Nun kann man sich hier ganz grundsätzlich auf den Standpunkt eines Sachverständigen stellen, dass das Bundesverfassungsgericht kein Völkerrechtsgericht werden darf – wurde schon gesagt, Stichwort: diese Systeme der Sicherheit. Doch sieht auch und gerade die AfD das Problem, dass unsere Bundeswehr viel zu schnell und für fragwürdige Dinge ins Ausland geschickt wird.
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Aus dem Entwicklungshilfeministerium hört man ja die Tage tatsächlich solche Forderungen wie, dass Naturschutzgebiete in Afrika durch die Bundeswehr verteidigt werden sollten. Na ja, steht dann bei solchen und ernsthafteren Zuckungen jeweils die Regierungsmehrheit, ist jedenfalls von dem hehren Begriff der Parlamentsarmee de facto nicht mehr viel übrig.
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Der Verteidigungsfall und diese Systeme kollektiver Sicherheit, das sind die beiden materiell-rechtlichen Eckpfeiler für zulässige Einsätze – ausreichend und sinnvoll. Wir sind keine Präsidialdemokratie. Dass inzwischen aber sogar die EU als solch ein System kollektiver Sicherheit angesehen wird und damit für Militäreinsätze herhalten soll, das ist wirklich absolut unzulässig und abzulehnen.
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In unserem Fall wäre das quasi eine doppelte Heimsuchung der Bundeswehr durch Frau von der Leyen.
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Aber ernsthaft: Für derlei Dinge braucht es in der Tat ein neues explizites Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn schon, dann aber bitte richtig. Der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen übersieht, dass auch im materiellen Verfassungsrecht, also im Grundgesetz selber, die neue Verfahrensart verankert werden muss – so auch schlüssig der Sachverständige Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller. Der Änderungsantrag von der AfD, der Ihnen vorliegt, hilft dem ab. Ein Anspruch auf Einhaltung der Verfassung in einem so spezifischen Punkt gehört nun einmal ins Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht sah das übrigens ganz genauso bei dem Beschluss damals gegen die Linksfraktion, schwarz auf weiß.
Weiter ist die Antragsberechtigung auf 25 Prozent des Plenums zu setzen, nicht auch auf einzelne Fraktionen. Wir als AfD widerstehen hier dieser Versuchung; denn wenn ein Einsatz wirklich – im Sinne einer Parlamentsarmee – fraglich ist, dann wird ein Viertel der Abgeordneten ohne Probleme übergreifend zustande kommen. Maßangefertigte Verfahren für Links-Grün lehnen wir ab.
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Kleinere Ungereimtheiten wie Definition des Prüfumfangs oder der Fristsetzung, die hier inkonsequent ist, haben wir als Service auch gleich mit glattgezogen. Stimmen Sie unseren Änderungen, unserem Antrag zu! Dann ist die Sache auch rund.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Peterka.
Da die Kollegin Sonja Amalie Steffen, SPD-Fraktion, ihre Rede zu Protokoll gegeben hat
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Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Manches von dem, was der Kollege Ullrich angesprochen hat, könnte ich jetzt mit vollster Inbrunst wiederholen,
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weil verfassungsrechtliche Fragen als solche richtig beantwortet wurden.
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Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung, werte Kolleginnen und Kollegen, den Entwurf eines Gesetzes, eingebracht durch Bündnis 90/Die Grünen, das vorsieht, Auslandseinsätze jeglicher Art durch das Bundesverfassungsgericht auf ihre verfassungsgemäße Legalität zu überprüfen.
Ich sage es Ihnen vorweg: Dieser Gesetzentwurf ist abzulehnen; denn er gefährdet zum einen die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten
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und zum anderen die Sicherheit unserer Einsätze, ohne dass hierfür eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit besteht.
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Erlauben Sie mir an dieser Stelle, dies auch zu begründen.
Zum einen: Nach dem Entwurf sollen nicht nur ein Viertel der Mitglieder des Bundestages antragsberechtigt sein, sondern auch einzelne Fraktionen. Wie groß diese Fraktionen sind, sagt der Entwurf nicht. Dass damit die politische Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung und des Bundestages herbeigeführt werden kann, kann man nur erahnen. Sie vermischen hier die Antragsfähigkeit der abstrakten Normenkontrolle und des Organstreitverfahrens. Beide Verfahren sind aber strikt zu trennen. Und es gibt gute Gründe, diese abstrakten Rechtsfragen nur nach Antrag einer qualifizierten Mehrheit zu prüfen. Die Rechtsfolgen als solche sind fragwürdig.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, zuletzt spricht gegen diesen Antrag, dass eine Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht auch aus verfassungsrechtlichen Gründen schlicht nicht geboten ist. Die Entscheidung über Auslandseinsätze aller Art, ob zur Verteidigung oder im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, obliegt nicht nur der Abstimmung durch die Regierung, sondern auch dem Beschluss des Deutschen Bundestages. Das ist das Wesen unserer Parlamentsarmee. Mit diesem Beschluss des Bundestages ist die gefestigte und langjährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbunden; denn es überprüfen bereits zwei Verfassungsorgane die Rechtmäßigkeit, nach einer sehr umfassenden Debatte und einer umfassenden Erörterung.
Auch über kurzfristige Auslandseinsätze muss der Bundestag immer qualifiziert unterrichtet werden. Bundestag und Bundesregierung sind Verfassungsinterpreten, die sich umgehend mit der Frage der Legalität von Auslandseinsätzen beschäftigen.
Zudem geht es bei der Entscheidung über Einsätze der Bundeswehr im Kern weniger um rechtliche, schon gar nicht um verfassungsrechtliche, vielleicht völkerrechtliche Fragen. Es geht aber im Wesentlichen um politische Fragen.
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Wir sollten bedenken, welche politische Signalwirkung ein solcher Machtzuwachs des Bundesverfassungsgerichts bei der Frage von Auslandseinsätzen auf unsere Bündnispartner hätte. Aus guten Gründen hat sich das höchste deutsche Gericht bei diesen schwierigen sicherheitspolitischen Abwägungsentscheidungen bisher äußerst zurückgehalten und der Politik einen extrem weiten Einschätzungs- und Ermessensspielraum zugestanden.
Aus diesen rechtlichen und politischen Erwägungen heraus und weil es keine Rechtsschutzlücke gibt, –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– ist der Antrag abzulehnen. Wir werden auf jeden Fall nicht diese Rechtsunsicherheit schaffen.
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Wir wollen Handlungsfähigkeit des Bundestages herstellen bzw. behalten, und dies nicht auf Kosten der Sicherheit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Brunner. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Martens, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es hier klarzustellen: Bei dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen geht es weniger um die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und des Sinns von militärischen Einsätzen im Allgemeinen oder im Besonderen, sondern zunächst nur um die Schaffung einer besonderen Klageart im Bundesverfassungsgerichtsgesetz.
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Das klingt vernünftig.
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– Das werden wir noch sehen, Frau Keul, ob das wirklich so vernünftig ausgestaltet ist, wie man es machen könnte und wie man es vor allen Dingen auch machen sollte.
Es ist ja schon gesagt worden: Die klare Trennung zwischen den Rechtsschutzformen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, die das Bundesverfassungsgericht immer wieder herausstellt und klarmacht, wird von Ihnen nicht gesehen, sie wird sogar absichtlich verwischt, etwa bei der Antragsbefugnis entweder einer Fraktion oder aber einem Viertel der Mitglieder bei der abstrakten Normenkontrolle oder bei der Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte durch eine Organklage.
Wenn Sie eine besondere Klageart einführen wollen, dann müssen Sie, wenn es weder Organklage noch abstrakte Normenkontrolle sein soll, auch sagen, nach welchem Prüfprogramm das Gericht seine Entscheidung ausrichten soll. Ansonsten kommen Sie zu einer – vielleicht von den Grünen intendierten, aber von uns sicherlich abzulehnenden – allgemeinen Verfassungsaufsicht durch das Gericht. Damit kämen wir in eine politisch fragwürdige Situation; denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und keine Gerichtsarmee, und das soll sie auch bleiben.
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Die Antragsfrist von drei Monaten ist in der Tat, wie man im Juristendeutsch sagt, untunlich lang, sie würde zu nicht hinnehmbaren Verzögerungen in der Entscheidungsfindung führen.
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Hier wird von den Antragstellern, wie schon gesagt, inkonsistent vorgegangen.
Man kann sich tatsächlich der Frage widmen, welche Rechtsschutzmöglichkeiten es gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Aufgrund des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gibt es eben nur die klassische Form Organklage oder abstrakte Normenkontrolle. – Aber wenn man das macht, sollte man es etwas sorgfältiger machen und den Gesetzentwurf klar formulieren. Deswegen wird die FDP sich zu diesem Gesetzentwurf allenfalls enthalten.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Martens. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Niema Movassat, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag muss bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr zustimmen. Stimmt der Bundestag nicht zu und die Bundesregierung würde trotzdem bewaffnete Soldaten ins Ausland entsenden, dann kann jede Fraktion vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Aber die inhaltliche, also die materiell-rechtliche Frage, ob die Entsendung der bewaffneten Truppen trotz Zustimmung des Parlamentes verfassungsgemäß ist, spielt für das Bundesverfassungsgericht bisher eine nur sehr untergeordnete Rolle.
Als wir als Linksfraktion in Karlsruhe gegen den Einsatz der Bundeswehr in Syrien im Rahmen der Anti-IS-Koalition klagten, haben wir mangels Antragsbefugnis verloren; denn das Bundesverfassungsgericht durfte nur prüfen, ob eine Zustimmung des Parlamentes vorlag – die lag vor – und ob die völkerrechtliche Auffassung der Bundesregierung vertretbar ist. Da diese laut Karlsruhe nicht evident absurd war, wurde unser Antrag abgewiesen. Eine umfassende rechtliche Prüfung konnte gerade nicht stattfinden; denn dafür gibt es bisher schlicht keine Verfahrensart. Es ist unhaltbar, dass bei einer so wichtigen Frage wie der von Krieg und Frieden keine inhaltliche verfassungsgerichtliche Prüfung möglich ist. Und das muss sich endlich ändern.
({0})
Deshalb ist es gut – und wir unterstützen das als Linke –, dass die Grünen einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, um eine materiell-rechtliche Prüfung zu ermöglichen.
Die hochspannende Frage bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist, ob sie inhaltlich verfassungsgemäß sind. Das ist auch beim Syrien-Einsatz der Bundeswehr genau die spannende Frage; denn ein UN-Mandat existiert für diesen Einsatz nicht, und die Konstruktion kollektiver Selbstverteidigung gegen den IS ist völkerrechtlich kaum tragfähig. Hätte es eine materiell-rechtliche Prüfung gegeben, wäre Ihnen von der CDU/CSU und SPD, die Sie für den Einsatz gestimmt haben, dieser wohl um die Ohren geflogen.
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In einem Rechtsstaat muss jedes staatliche Handeln überprüfbar sein. Es gibt die Normenkontrollklage, weil auch der Gesetzgeber manchmal verfassungswidrige Gesetze macht. Deshalb brauchen wir auch für Auslandseinsätze der Bundeswehr ein Verfahren, bei dem auf Antrag das Bundesverfassungsgericht umfassend prüfen darf.
({2})
Nur durch so ein Verfahren, ausgestattet als Minderheitenrecht, kann der Bundestag seiner Kontrollfunktion nachkommen. Das Gegenargument von Herrn Ullrich, dass damit die außenpolitische Handlungsfreiheit Deutschlands eingeschränkt würde, ist wirklich zynisch, muss ich sagen. Bundesregierung und Bundestag müssen doch ein gemeinsames Interesse daran haben, verfassungskonform zu handeln.
({3})
Wer von einer Einschränkung des Spielraums Deutschlands spricht, fordert nichts anderes, als dass die Bundesregierung weiterhin in der Lage sein soll, die Bundeswehr in rechtswidrige Kampfeinsätze zu schicken. Das verhöhnt auch die Präambel des Grundgesetzes, in der steht: „von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. In diesem Sinne: Stimmen Sie für die rechtliche Überprüfbarkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Movassat. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Morgen debattieren wir über die fünfte Verlängerung des Syrien-Einsatzes. Dieser Einsatz ist nach meiner klaren Überzeugung sowohl verfassungs- als auch völkerrechtswidrig, da er außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit stattfindet als Koalition der Willigen ohne Mandat der Vereinten Nationen.
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Als der Einsatz 2015 beschlossen wurde, gab es deswegen auch unterschiedliche Auffassungen innerhalb Ihrer Koalition, wie man hier eine Rechtsgrundlage konstruieren sollte. Die SPD behauptete, es gäbe doch irgendwie ein System kollektiver Sicherheit nach Artikel 24 Grundgesetz und begründete das mit einer Sicherheitsresolution, die gerade keine militärischen Mittel legitimiert. Eine solche Auslegung ist geradezu absurd, weil die Resolution nur deswegen zustande gekommen ist, weil sie gerade keinen Militäreinsatz nach Kapitel VII der UN-Charta legitimierte, sondern auf die Einhaltung des Völkerrechts hinweist.
Die CDU/CSU wiederum gab zu, dass keine Legitimation über Artikel 24 vorlag und wollte dafür alle Einsätze schlicht zur Selbstverteidigung nach Artikel 87a Grundgesetz machen. Nicht wenige aus Ihren Reihen gaben mir damals unter der Hand recht, dass es doch sinnvoll sei, diese Frage gerichtlich klären zu lassen. Das hätten wir gerne getan. Allerdings fehlte uns ein zulässiger Klageweg; denn die Wege zum Verfassungsgericht sind in § 13 Bundesverfassungsgerichtsgesetz abschließend aufgeführt. Eine Organklage scheidet hier aus, da es nicht um die Verletzung parlamentarischer Rechte geht. Eine Normenkontrollklage scheidet aus, da ein Bundeswehreinsatz eben etwas anderes ist als ein Gesetz. Herr Kollege Ullrich, es geht nicht darum, irgendetwas zu vermischen. Weil es beides nicht ist, braucht es eben einen eigenen Weg, und das ist hier Sinn der Sache.
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Die Linke hat es trotzdem mit einer Klage versucht, und die Klage wurde wie erwartet als unzulässig abgewiesen. Das Gericht hat die materielle Rechtslage also gar nicht geprüft, aber ausdrücklich erklärt, dass es Sache des Gesetzgebers sei, die verfassungsgerichtliche Kontrolle gegebenenfalls zu ermöglichen. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der sich stark an dem Verfahren zur abstrakten Normenkontrolle orientiert. Nur die Frist von sechs Monaten haben wir auf drei Monate verkürzt, um das Verfahren zu beschleunigen, und neben dem Quorum von 25 Prozent haben wir auch das Klagerecht einer Fraktion vorgesehen, was uns in Anbetracht der Bedeutung von bewaffneten Einsätzen angemessen und notwendig erscheint.
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Ich sage aber ganz klar: Über die Fragen von Frist und Quorum können wir sicherlich reden. Die Behauptung allerdings, es sei eine Grundgesetzänderung nötig, wurde auch in der Sachverständigenanhörung vom 14. Januar dieses Jahres von fast allen als geradezu abwegig zurückgewiesen. § 13 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist eine enumerative Aufzählung der Klagearten, und selbstverständlich kann dieser einfachgesetzliche Katalog auch einfachgesetzlich ergänzt werden.
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Einige betonten, es gebe keine Pflicht, eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen. Das mag sein. Ich sage Ihnen aber: Wir können und wir sollten diese Überprüfung materiellen Verfassungsrechts ermöglichen. Das sind wir auch den Soldatinnen und Soldaten schuldig, die wir in den Einsatz schicken und die ihren Eid auf die Verfassung geschworen haben.
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Keinesfalls geht es hier darum, sicherheitspolitische oder außenpolitische Erwägungen zu überprüfen; vielmehr geht es darum, das materielle Verfassungsrecht zu überprüfen, wie es in Artikel 24 GG, in Artikel 25 GG und in Artikel 87a GG enthalten ist. Wenn jedes sonstige exekutive Handeln und alle Gesetzesbeschlüsse dieses Hauses zu Recht auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden können, muss das auch für die Voraussetzung von Bundeswehreinsätzen gelten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Letzter Redner dieser Debatte ist der Kollege Professor Dr. Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag schickt Soldatinnen und Soldaten nur dann in den Einsatz, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Einsatz vorliegen. Das gilt für die Verlängerung des Syrien-Einsatzes, und das gilt auch für die anderen Einsätze. Wir diskutieren intensiv, sehr kontrovers und sehr strittig über die rechtlichen Aspekte, aber dann beschließen wir als Deutscher Bundestag einen solchen Auslandseinsatz.
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So ist das, und das muss festgestellt werden. Gleichzeitig stehen wir hinter unseren Soldatinnen und Soldaten, die in den Auslandseinsatz gehen. Wir sind auch stolz auf ihren Einsatz für unsere Sicherheit und die von sehr vielen Menschen.
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Richtig ist, dass es derzeit keine Möglichkeit gibt, einen entsprechenden Beschluss rechtlich vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Diese Konstruktion ist so auch beabsichtigt und macht Sinn. Die Absicht von Bündnis 90/Die Grünen ist relativ durchschaubar, und es ist ja auch nicht das erste Mal, dass Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, jetzt allerdings in veränderter Form. Zwar wurden die Quoren und die Voraussetzungen verändert, aber die Absicht ist offensichtlich. Sie versuchen, im Endeffekt ein Gericht einzuschalten, um das ganze Verfahren in die Länge zu ziehen, um gegebenenfalls am Ende zu erreichen, dass ein Beschluss für einen Auslandseinsatz verhindert wird.
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Gegebenenfalls haben die Rahmenbedingungen sich in dem Einsatzland dann so verschlechtert, dass Frieden im Grunde nicht mehr erreicht werden kann. Das ist durchschaubar, das ist die Absicht. Und wenn es so ist – es ist eben gesagt worden –, dass eine Fraktion im Deutschen Bundestag dann sicherlich jeden Beschluss im Zuge eines Antragsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen wird, dann weiß man, dass Einsätze in vielen Fällen keinen Sinn mehr machen werden und Frieden keine Chance bekommt. Das muss Ihnen klar sein.
Die Einführung einer abstrakten Normenkontrolle für einen entsprechenden Beschluss des Deutschen Bundestages – es ist eben gesagt worden – vermischt systemisch zwei Systeme, weil es sie zu einem zusammenführen will – das ist eine neue Verfahrensart –, mit Bestandteilen aus dem Organstreitverfahren und auch der abstrakten Normenkontrolle.
Nicht klar ist der Prüfungsaufbau und das Prüfungsschema; das wird offengelassen. Es reicht nicht, zu sagen: Das sind die Grundrechte in Artikel 24 und Artikel 25 Grundgesetz. – Klar macht das das Bundesverfassungsgericht, sonst wären Sie ja vor einem anderen Gericht. Den Prüfungsmaßstab müssen Sie schon konkreter darlegen, aber das bleiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf deutlich schuldig.
Es ist bereits gesagt worden: Wir haben eine Parlamentsarmee, keine Exekutivarmee und erst recht keine Gerichtsarmee. Von daher würden Sie im Endeffekt dem Bundesverfassungsgericht eine Letztentscheidungskompetenz aufbürden für viele Fragen, die sich nicht allein bezogen auf das Grundgesetz beantworten lassen, sondern über – Sie haben selbst die Artikel 24 und 25 GG genannt – eine entsprechende Hinterfragung des Völkerrechts, und dafür ist das Bundesverfassungsgericht in keiner Weise zuständig.
Abschließend: Sie zitieren aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – es ist die Randnummer 44 –, dass die „Ermöglichung verfassungsgerichtlicher Kontrolle Sache des Gesetzgebers“ sei.
({3})
Das ist richtig. Davor stehen aber zwei größere Ausführungen, die lauten wie folgt:
Zum einen ist die Entscheidung über Auslandseinsätze über die Grundsätze des verfassungsrechtlich verankerten Parlamentsvorbehalt nicht der Exekutive, sondern dem Deutschen Bundestag als Repräsentationsorgan des Volkes anvertraut … Zum anderen rechtfertigt allein die verfassungsrechtliche Bedeutung einer Maßnahme nicht die Bildung weiterer beziehungsweise die Ausweitung bestehender verfassungsgerichtlicher Verfahrensarten entgegen dem im Grundgesetz verankerten Enumerationsprinzip …
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Das Verfassungsgericht sagt also gerade nicht, dass eine Lücke im Rechtsschutz vorliegt, sondern verweist auf die Verantwortung des Parlaments, und die sollten wir auch wahrnehmen.
Mir scheint der wesentliche Punkt Ihres Gesetzentwurfs zu sein, dass Sie auf Zeit spielen wollen. Sie wollen Entscheidungen in die Länge ziehen und Einsätze möglichst erschweren. Nach meiner Beurteilung verhindern Sie damit sinnvolle, vernünftige Einsätze, die Frieden bewahren und sichern könnten. Den Frieden zu bewahren, schaffen Sie durch so ein Verfahren, wie Sie es vorschlagen, nicht.
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Dass Sie nebenbei auch noch unsere Bündnisfähigkeit schwächen und der Bundesregierung nicht die Möglichkeit geben, sich auch international klar zu äußern, was möglich ist, –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
– all das spricht gegen Ihren Gesetzentwurf. Wir werden ihn auch diesmal ablehnen.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg. – Damit schließe ich die Aussprache.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Der Klimawandel ist für unsere Welt eine Schicksalsfrage“, so die Bundeskanzlerin 2017 auf der UN-Klimaschutzkonferenz in Bonn. Eine Schicksalsfrage, die sich nicht nur an die Vereinten Nationen richtet, nicht nur an Europa, an die Mitgliedstaaten in Europa. Sie richtet sich an jeden Einzelnen von uns. Wir als CDU/CSU-Fraktion erkennen die Relevanz und die Brisanz des Klimawandels an. Wir engagieren uns gegen die erwarteten Folgen des Klimawandels und gegen die Erderwärmung. Und das tun wir nach bestem Wissen und Gewissen im Rahmen unserer Möglichkeiten, nicht aus der Überheblichkeit heraus, dass wir alleine die Welt retten könnten, wohl aber aus der Einsicht – bei aller Bescheidenheit –, dass es eben auch auf uns ankommt: jetzt und hier und ganz konkret.
Als Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele haben wir ein umfassendes, detailliertes Klimaschutzprogramm 2030, in dem es auch darum geht, Beiträge zu einer Verkehrswende, zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen im Verkehr zu leisten. Im Klimaschutzprogramm 2030 heißt es dazu:
Die Bundesregierung wird die Kraftfahrzeugsteuer stärker an den CO2-Emissionen ausrichten …, sodass von dieser eine deutlich stärkere Lenkungswirkung beim Neuwagenkauf hin zu emissionsärmeren bzw. emissionsfreien Antrieben ausgeht.
Mit dem heute zu entscheidenden Gesetzesvorschlag wird ein Versprechen eingelöst, meine Damen und Herren, ein Zeichen der verlässlichen und kalkulierbaren Politik der Großen Koalition.
({0})
Auf die wesentlichen Punkte dieses Gesetzentwurfs haben wir schon in der ersten Lesung Bezug nehmen können. Es geht darum, dass die Steuersätze für CO2-Emissionen in Gramm pro Kilometer mit erhöhter Ausbringungsmenge steigen. Es war uns wichtig, dass die Fahrzeuge, die deutlich geringere Emissionen aufweisen – unter 95 Gramm pro Kilometer –, eine Steuergutschrift erhalten. Wir vereinbaren, dass die Dauer der Steuergutschrift für Elektrofahrzeuge noch einmal verlängert wird, dass es sich also unter dem Gesichtspunkt der Kfz-Steuer lohnt, in Zukunft Elektrofahrzeuge zu kaufen. Diese Maßnahmen sind zusammen ein starkes Signal für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.
Meine Damen und Herren, wir haben über diesen Gesetzentwurf in der öffentlichen Anhörung, aber auch in den Fraktionssitzungen und den Sitzungen mit dem Koalitionspartner sehr intensiv diskutiert. Auf einige Punkte möchte ich kurz eingehen. Der erste Punkt betraf die Frage, ob die Anreizwirkung der Staffelung eigentlich hinreichend sei. Die Fraktion der Grünen, Herr Schmidt, schlägt vor, auf ein Bonus-Malus-System umzusteigen, um die Anreizwirkung noch einmal zu verstärken. Das ist gerade angesichts des vorgeschlagenen vereinfachten Systems ein etwas komplexeres Verfahren, das vielleicht infrage zu stellen ist. Wir haben, Herr Schrodi, von Mietwagenunternehmen und Unternehmen mit größeren Fuhrparks Rückmeldungen, dass man dort bereits umdisponiert, hin zu emissionsärmeren Fahrzeugen. Man erkennt also sehr wohl: Es gibt eine Anreizwirkung. Wir glauben, dass der Gesetzesvorschlag dem hinreichend Rechnung trägt.
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Wir haben über den Verzicht auf die Hubraumkomponente diskutiert. Auch dazu hatten einige Gutachter Hinweise. Tatsächlich muss man davon ausgehen, dass etwas über die Hälfte des Steueraufkommens auf die CO2-Komponente entfällt und nur etwa 10 Prozent auf die reine Hubraumkomponente. Der Rest ist dem Dieselvorteilhaftigkeitsausgleich geschuldet, der sich auch nach dem Hubraum bemisst. Auf die Hubraumkomponente zu verzichten, würde möglicherweise die Steuerbasis destabilisieren, und der gewünschte Effekt ist nicht so groß. Die Dieselkomponente müssen wir anderweitig regeln. Deswegen, glaube ich, ist es gut, zunächst daran festzuhalten.
Wir haben des Weiteren über die Emissionswerte bei den Plug-in-Hybriden diskutiert und sind uns einig, dass da stabilere Daten zu beschaffen sind, damit auch die Emissionswerte, die ja Grundlage für die Steuer sind, verlässlich sind. Da sind wir uns auch mit den Grünen einig.
Die Fraktion der Linken weist darauf hin, dass man vielleicht bei den E-Fahrzeugen doch stärker differenzieren müsse, weil es da auch schwerere und größere gebe, zumindest perspektivisch. Auch das ist sicherlich diskussionswürdig, aber nicht im Rahmen dieser Gesetzesänderung angebracht.
Zuletzt haben wir sehr grundsätzlich – das ist der letzte und entscheidende Punkt, den ich hier ansprechen möchte – über die Frage diskutiert, ob die Kfz-Steuer überhaupt sinnvoll ist, wenn es darum geht, Anreize gegen CO2-Emissionen zu setzen. Fast übereinstimmend haben die Gutachter dargelegt, dass diese Steuer – eigentlich eine Art Haltesteuer – perspektivisch abgeschafft werden sollte und in eine angepasste Energiesteuer oder ein entwickeltes CO2-Bepreisungssystem überführt werden könnte. Ich mache keinen Hehl daraus – auch für die Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann ich das so sagen –: Vieles spricht dafür – es hat unsere Sympathie –, diese Kfz-Steuer abzuschaffen.
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Allerdings müssen wir die damit verbundenen Konsequenzen sehr sorgfältig prüfen. Wir möchten, dass die Akzeptanz dieser Maßnahmen nicht verloren geht. Über die Verteilungseffekte, die daraus resultieren, wollen wir intensiv diskutieren. Ich lade dazu auch die Vertreter der anderen Fraktionen, insbesondere auch den Koalitionspartner, ein, das im Weiteren zu verfolgen.
Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren. Es ist ein guter Gesetzentwurf. Er ist wohlüberlegt, gut abgewogen und vernünftig. Er bedeutet ein klares Signal, aber er ist auch ein Zwischenschritt auf dem Weg zu noch mehr Anreizen im Sinne einer reduzierten Emission von CO2.
Ich lade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein, sich weiter an der Diskussion zu beteiligen und dem hier vorliegenden Gesetzentwurf aber uneingeschränkt zuzustimmen. Ich bitte um Verständnis, dass wir dem Entschließungsantrag der Grünen nicht folgen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Tebroke. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Franziska Gminder, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute findet die zweite und dritte Lesung des siebten Kfz-Steueränderungsgesetzes mit anschließender Abstimmung durch die Abgeordneten statt. Ich erinnere an meine Rede vom 9. September zur ersten Lesung. Alle meine dort vorgebrachten Einwendungen gegen diese Lenkungsstrategie der Bundesregierung halte ich aufrecht. Die Regierung strebt Planwirtschaft an: erstens Steuererhöhung für Verbrennungsmotoren ohne Begünstigung für solche, die umweltschonende synthetische Kraftstoffe einsetzen; zweitens Kaufprämien und Steuerbefreiung für Elektro- und Hybridfahrzeuge. Das lehne ich mit Nachdruck ab.
({0})
Die AfD steht für eine soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards und für eine Wahlfreiheit der Verbraucher zwischen Diesel-, Otto-, Hybrid- oder E-Auto. Nicht noch mehr Bevormundung, Verbote und Regulierungen!
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Die deutsche Automobilindustrie ist unsere wichtigste Schlüsselindustrie, von der unzählige Arbeitsplätze abhängen, und würde durch dieses Gesetz ins Mark getroffen, mit unzähligen Arbeitslosen.
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Angesichts des deutschen Anteils von 2 Prozent und des Anteils aller 27 EU-Länder mit 8,1 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen stellt sich die Frage, ob hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.
Die Bundesregierung hält den Verkehr für den größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland und will daher gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis 2030 um mindestens 40 Prozent verringern. Deshalb soll die Kfz-Steuer stärker an CO2-Emissionen ausgerichtet werden. An diesem Montag fand nun die öffentliche Anhörung zur Kfz-Steuererhöhung statt. Bereits drei Tage später wird heute nach zweiter und dritter Lesung die Schlussabstimmung stattfinden. Warum diese Hast? So ist die Möglichkeit der Einarbeitung der Gutachten leider gar nicht mehr möglich. Dies bedaure ich zutiefst. Es wurde eine gute Gelegenheit verschenkt.
Entgegen der mehrheitlichen Jubelarien der anderen Sachverständigen führte ein Professor der Finanzwirtschaft unter der Überschrift „Der Irrweg der sektorbezogenen Emissionsminderungspolitik“ ganz andere und schlagkräftige Argumente gegen das geplante Gesetz aus. Dem entnehme ich:
Aus Sicht der Umweltökonomie lassen sich CO2-Emissionsziele nur effizient, das heißt zu den geringsten volkswirtschaftlichen Kosten, erreichen, wenn ein einheitlicher Preis für die Emission von CO2 etabliert wird.
Weiter heißt es,
dass eine spezielle Beeinflussung des Verkehrs bzw. des Straßenverkehrssektors prinzipiell der falsche Ansatz ist: Zielführend wäre stattdessen nur die Einbeziehung des Verkehrs- bzw. Straßenverkehrssektors in ein umfassendes System der CO2-Minderung.
Es solle gewährleistet werden, dass CO2 dort vermieden wird, wo die Vermeidung die niedrigsten Kosten verursacht. Dafür gibt es zwei Wege: Entweder man schafft ein einheitliches und umfassendes Emissionszertifikatssystem für CO2 europaweit mit einer Preisbildung am Markt, oder dieser Preis wird in Form des Steuersatzes festgelegt, und die Gesamtemissionsmenge ergibt sich als Ergebnis der Anpassungsreaktionen der CO2-Emittenten. Selbstverständlich würden dann keine weiteren Eingriffe des Staates notwendig werden: keine Verbrauchsvorgaben für Kraftfahrzeuge, keine Vorschriften zur Gebäudedämmung, keine Förderung bestimmter Energieerzeugungsarten, keine Verbote bestimmter Leuchtmittel etc. Solche Eingriffe wären nicht nur überflüssig, sondern schädlich, da sie den Mechanismus von CO2-Steuer oder CO2-Zertifikatssystem beeinträchtigen und zu Abweichungen vom Kostenminimum führen würden.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Nur noch kurz.
({0})
Für E-Autos müssen angestellte Überlegungen auf den Sektor Stromerzeugung ausgedehnt werden. Eine rein auf den Straßenverkehrssektor bezogene Betrachtung ist nicht mehr möglich, –
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss!
– da die Emissionen der E-Autos nicht lokal, sondern bei der Produktion des zu ihrem Antrieb – –
Frau Kollegin, ich habe Ihnen jetzt das Wort entzogen, weil Sie der zweiten Aufforderung nicht nachgekommen sind und bereits 40 Sekunden überzogen haben. – Es kann Sie niemand mehr verstehen. Sie können jetzt wieder zu Ihrem Platz gehen. Ich habe Ihnen das Wort entzogen.
({0})
– Frau Kollegin, ich bedaure das auch, aber da Sie bereits 40 Sekunden drüber waren, war das notwendig.
Da der Kollege Schrodi seine Rede zu Protokoll gegeben hat
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Um mehr als 50 Millionen Tonnen sind die CO2-Emissionen 2019 gesunken – minus 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und was war der effektivste Mechanismus, der genau dazu geführt hat? Das war die Preisentwicklung für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel.
Das ist das Ergebnis einer Studie von Agora Energiewende, einer Organisation, die ganz sicher liberalen Vorstellungen eher nicht zugeneigt ist. Es hat sich einfach bereits gezeigt, dass der Emissionshandel die beste Möglichkeit ist, mit effektiven marktwirtschaftlichen Elementen die klimapolitisch wichtige Verringerung des CO2-Ausstoßes zu erreichen.
({0})
Aber ausgerechnet auf dem Verkehrssektor zögern Sie jetzt, dieses Instrument konsequent anzuwenden. Stattdessen gehen Sie einen Weg weiter, der die steuerliche Belastung auf stillstehende Fahrzeuge bezieht, statt sich auf die reale Inanspruchnahme von Mobilität zu beziehen.
({1})
Das ist schade, weil hier eine Chance vertan wird.
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Gerade jetzt ist die Bereitschaft der Menschen in Deutschland doch groß, mutige, zukunftsweisende politische Konzepte anzunehmen. Stattdessen: mentaler Stillstand im Steuerrecht mit einem Ausbau der Kfz-Stillstandssteuer!
({3})
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet uns vor, dass die Autofahrer in Deutschland rund 50 Milliarden Euro Steuern im Jahr für ihre Mobilität bezahlen. Wir haben also einen großen Spielraum, Mobilität künftig konsequent unter Klimaschutzaspekten auszugestalten, ohne dabei die Bürger mehr zu belasten. Mobilität wird dann nicht teurer, sondern finanziell nur enger an die echte Nutzung gekoppelt.
({4})
Wir könnten die Bürger, die auf die Mobilität ja angewiesen sind, sogar ein wenig entlasten. Wenn wir die rückwärtsgewandte Kfz-Steuer abschaffen und dieses Steuervolumen konsequent auf den Zertifikatehandel übertragen, können wir die Einsparungen bei den Erhebungskosten an die Autofahrer weitergeben.
({5})
Da geht es um immerhin 200 Millionen bis 300 Millionen Euro im Jahr.
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Daher lehnen wir diesen falschen Weg der Kfz-Steuer ab. Wir werden Ihren Gesetzentwurf nicht unterstützen, sondern fordern die Abschaffung der Kfz-Steuer zugunsten von Emissionszertifikaten.
({7})
Noch ein Wort zum Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen: Es wundert mich schon,
({8})
dass gerade Sie, die Sie doch selbst gerne von mutigen, ja radikalen Änderungen sprechen, ausgerechnet hier so verzagt agieren. Sie wollen vom falschen Medikament ein bisschen mehr verordnen, als ob es dann helfen würde.
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Sie wollen die falsche Systematik sogar verstärken, indem Sie ein Bonus-Malus-System vorschlagen, das darauf hinausläuft: Wer als Bürger das macht, was Sie für falsch halten, kriegt einen Tadel, einen Malus, ins Schulheft geschrieben, und wer aus Ihrer Sicht richtig kauft, dem verpassen Sie ein Fleißbienchen, einen Bonus. Das ist Greenwashing für ein inzwischen doch überholtes Steuerkonzept, das unsere Bürger nur zusätzlich entmündigt.
({10})
Geben Sie sich einen Ruck, und stellen Sie die Systematik der Kfz-Steuer gerade unter klimapolitischen Aspekten doch mal wirklich infrage! Ich bin mir ziemlich sicher: In nicht allzu ferner Zukunft werden Sie sich unserer Forderung anschließen. Schaffen wir die Kfz-Steuer ab!
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Knapp 9,4 Milliarden Euro spült die Kfz-Steuer jedes Jahr in die öffentlichen Kassen, viel Geld, mit dem die öffentliche Infrastruktur im Straßenverkehr aufrechterhalten wird. Die Kosten dafür betragen allerdings – die Zahl ist aus 2019 – 10,8 Milliarden Euro. Ja, es gibt auch noch weitere Einnahmen aus dem Automobilverkehr, aber es gibt auch noch weitere Ausgaben; nehmen wir nur die Folgen des Klimawandels. Wir brauchen im Verkehrssektor also mehr als nur eine Reform der Kfz-Steuer.
({0})
Zu Ihrer Gesetzesinitiative: Positiv ist, dass Sie die Kfz-Steuer stärker an klima- und umweltschutzpolitischen Faktoren ausrichten. Wer sich zukünftig ein neues Auto mit Verbrennungsmotor anschafft, wird vielleicht genauer hinsehen, wie die Abgaswerte sind, damit es nicht zu teuer wird. Positiv ist auch, dass Sie bislang erworbene Fahrzeuge von dieser Reform ausnehmen; denn aufgrund eines vielerorts vollkommen unattraktiven und zu teuren Bus- und Bahnverkehrs sind noch viele Menschen auf die Nutzung des Pkws angewiesen. Dies zu korrigieren, bedarf auch weiterer Maßnahmen als nur einer Kfz-Steuerreform.
({1})
Steuerfrei stellen Sie weiterhin elektrisch betriebene Fahrzeuge. Das wäre richtig, wenn Sie es auf kleine Fahrzeuge und auf Kleintransporter beschränken würden. Nein, bei Ihnen bekommt man zum Beispiel für einen Audi e-tron 55 quattro die Kfz-Steuerbefreiung. Dieses Auto hat ein Leergewicht von rund 2,5 Tonnen. Auch wenn das Fahrzeug einen Elektroantrieb hat: Der Strom kommt bekanntlich nicht nur aus der Steckdose. Es ist schlichtweg Energieverschwendung, so etwas steuerlich zu bevorzugen. Das geht gar nicht.
({2})
Unter uns: Glauben Sie wirklich, dass jemand, der über 75 000 Euro für so einen Neuwagen ausgibt, allen Ernstes nachschaut, wie viel Kfz-Steuer fällig wird oder ob er möglicherweise befreit wird?
Die Steuerwirkung der Kfz-Steuer ist also sehr begrenzt, weil sie den Besitz eines Autos besteuert und nicht die Nutzung.
({3})
Die Linksfraktion wird in der nächsten Wahlperiode eigene Vorschläge machen und hier in den Bundestag einbringen, in denen auch die sozialen Aspekte und der Klimaschutz noch wirksamer miteinander verbunden werden.
({4})
Eine kleine Idee im Vorgriff: Wäre es nicht sinnvoll, alle Bürgerinnen und Bürger, die eine Monatskarte im Jahresabo haben, von der Kfz-Steuer zu befreien? Das wäre vielleicht ein echter Anreiz, im Alltag das Auto stehen zu lassen und Bus und Bahn zu benutzen.
Vielen Dank und ein herzliches Glückauf!
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Vielen Dank, Herr Kollege Lutze. – Nächster Redner ist der Kollege Stefan Schmidt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Wirkung dieses Gesetzentwurfes gibt es erhebliche Zweifel – von Gutachtern, vom Bundesrechnungshof und insbesondere von den Sachverständigen der Anhörung am Montag. Diese Zweifel haben Union und SPD aber komplett ignoriert. Nachgebessert haben Sie nicht; nein, es bleibt bei diesem mickrigen Reförmchen, das keine Lenkungswirkung hat und deshalb nicht dazu beitragen wird, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Das ist wirklich bitter.
({0})
Den CO2-Ausstoß im Verkehr können wir nur dann senken, wenn die Menschen umsteigen. Die Menschen brauchen Anreize, um auf emissionsarme oder emissionsfreie Autos zurückzugreifen oder komplett umzusteigen. Solche Anreize bietet dieser Gesetzentwurf nicht.
Niemand wird auf den Kauf eines spritschluckenden Verbrenners verzichten, weil man dafür im Schnitt gerade mal 15,80 Euro mehr Steuern im Jahr zahlt, und niemand wird sich ein emissionsfreies Auto anschaffen, nur weil man sich dadurch ein paar Euro spart. Noch schlimmer: Die Reform gaukelt den Menschen vor, Plug-in-Hybride seien Klimaretter. Das ist doch Unsinn! Das Gegenteil ist häufig der Fall, und das sollte sich auch in der Kfz-Steuer widerspiegeln.
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Wir müssen die Emissionen im Verkehr endlich senken, und dafür brauchen wir wirksame Instrumente. Die Kfz-Steuer zu einem Bonus-Malus-System weiterzuentwickeln, ist ein äußerst wirksames Instrument. Ein solches System basiert auf dem Verursacherprinzip und ist damit auch fair. Wer sich ein Auto mit hohem CO2-Ausstoß anschafft, muss die Kosten für die ökologischen Folgen tragen und Gutschriften für diejenigen finanzieren, die umsteigen. Und das wirkt! Das haben andere europäische Staaten mit ähnlichen Systemen schon längst bewiesen. Diese Länder verzeichnen den niedrigsten CO2-Ausstoß bei Neuzulassungen.
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Raten Sie mal, wo wir Deutschen da liegen: im hinteren Drittel! Das Bonus-Malus-System ist eine effektive Maßnahme, um diesen Kellerplatz zu verlassen. Es motiviert die Menschen zum Umstieg, trägt dazu bei, die Klimaziele im Verkehr zu erreichen und ist sozial gerecht.
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Es ist sogar so gut, dass Bundesumweltministerin Schulze es selbst noch vor ein paar Monaten gefordert hat. Das ist auch klar, weil das Beschlusslage der SPD ist. Warum also gerade die Sozialdemokraten hier den kümmerlichen Gesetzentwurf unterstützen, ist mir völlig unbegreiflich. Wenn es um Nachhaltigkeit und Klimaschutz geht, klaffen Reden und Handeln bei Schwarz-Rot meilenweit auseinander. Das haben die heutigen Debatten leider gezeigt, und das zeigt auch dieser Gesetzentwurf. Gerade in dieser Nachhaltigkeitswoche werden wir Grünen Ihnen diese Symbolpolitik aber nicht durchgehen lassen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie wollen, dass wir die Klimaziele erreichen, dann lehnen Sie diesen Gesetzentwurf bitte ab, und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu.
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Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir beraten heute den Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes. Ich habe mal nachgesehen, wann wir den ersten Gesetzentwurf dazu beraten und verabschiedet haben. Das war am 26. September 2002.
Ich war damals schon dabei und kann mich erinnern, dass wir damals schon diskutiert haben: Was wollen wir eigentlich besteuern, das Fahren oder das Potenzial, zu fahren, also die Autos?
({0})
Wir haben damals gesagt: Es gibt Vielfahrer – das sind die Pendler –, die wir nicht zu stark belasten dürfen, weswegen nicht alles über den Spritpreis gehen darf. – Wir wollten allerdings, dass die Leute Autos kaufen und besitzen; wir wollten 2002 auch die Automobilindustrie unterstützen. Deswegen war die Kraftfahrzeugsteuer von Anfang an ein Kompromiss.
Jetzt haben wir das Pariser Klimaschutzabkommen, und wir wollen unbedingt die CO2-Emissionen im Verkehrssektor stark verringern. Meiner Meinung nach wird die Lenkungswirkung der Steuer allerdings ein bisschen überschätzt.
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Wenn es nämlich anders wäre, dann würden alle Leute Elektroautos kaufen und fahren und keine SUVs mehr kaufen. Das tun sie allerdings trotzdem.
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Deswegen haben wir auch diesmal vielleicht noch nicht das Optimum erreicht, aber wir haben einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Die Details der Neuerung wurden von meinen Vorrednern schon erläutert. Das Gesetz soll helfen, dass 2030 zwischen 7 Millionen und 10 Millionen Elektroautos auf unseren Straßen fahren werden. Ich hoffe, das passiert, möchte aber auch noch was zum Thema Nachhaltigkeit sagen.
Wir haben gestern und heute Nachhaltigkeitsdebatten gehabt und – ich war acht Jahre im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung – eine Gesetzesfolgenabschätzung beschlossen. Die Nachhaltigkeitsaspekte dieses Gesetzentwurfs möchte ich mal vorlesen: Wir werden mit diesem Gesetz die „globale Verantwortung wahrnehmen“, wir werden „natürliche Lebensgrundlagen erhalten“, wir werden „nachhaltiges Wirtschaften stärken“, wir werden eine „gesunde Umwelt erhalten“, wir werden die „Staatsfinanzen konsolidieren“, wir werden die „Wirtschaftsleistung umwelt- und sozialverträglich steigern“, wir werden die „Mobilität sichern“ und die „Umwelt schonen“, und wir werden die „Treibhausgase reduzieren“.
Das alles schaffen wir mit diesem Gesetz. Es ist ein toller Gesetzentwurf, und ich habe meine Redezeit eingehalten und finde, auch das ist ein guter Aspekt um diese Uhrzeit.
Vielen Dank.
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Frau Kollegin, ich danke Ihnen herzlich für diese Feststellung. – Der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für die freundliche Begrüßung! Ich wollte schon sagen: Es ist derselbe Präsident wie letzte Woche, das gleiche Thema wie letzte Woche. – Wir haben ein wichtiges Gesetz eingebracht, und ich freue mich, dass die Justizministerin heute Abend extra noch da ist; denn es geht um die Frage, wie wir mit den Insolvenzen umgehen, die sich coronabedingt ergeben haben.
Wir als Staat haben zu Beginn der Coronakrise die staatliche, sozusagen die strafrechtliche Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Wir haben sie ausgesetzt, weil wir wussten, dass sonst Insolvenzlagen unter Strafe zum Vorschein kommen. Deshalb war das ein richtiger Schritt, den wir am Anfang der Coronakrise gemacht haben. Und so ist es jetzt auch ein richtiger Schritt, dass wir sagen: Wir müssen in die zum Teil traurige Normalität zurückkehren.
Wir gehen diesen Schritt – wir haben das schon letzte Woche diskutiert – differenziert: Erstens. Für die Unternehmen, die zahlungsunfähig sind, die echt ihre Schulden nicht mehr sofort bezahlen können, führen wir die Insolvenzantragspflicht wieder ein; wir beleben sie wieder ab 1. Oktober – ein wichtiger Schritt zur Rückkehr in die insolvenzrechtliche Normalität.
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Zweitens. Bei bloß überschuldeten – das sage ich ganz bewusst – Unternehmen machen wir das aber nicht. Frau Skudelny wird das gleich nachhaltig kritisieren; das ist mir schon klar.
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Wir machen es unter anderem deshalb nicht, weil beim Antragsgrund der Überschuldung der Nachweis schwierig ist. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass in dem Reformgesetz, das wir jetzt schon mehrfach angesprochen haben und das wir in den nächsten Tagen erwarten, vielleicht etwas mehr dazu drinsteht, dass man diesen Grund etwas modifizieren oder gar abschaffen muss. Deshalb ist es richtig, dass wir in dem Gesetz, das jetzt zur Debatte steht, diesen Grund jedenfalls noch bis zum 31. Dezember aussetzen. Und wir haben die Hoffnung und die Zuversicht, dass wir dann zu einer Dauerlösung übergehen können.
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Wir haben bei diesem Gesetz in drei Punkten noch einmal etwas klargestellt; wir haben es in einem Änderungsantrag zu unserem Fraktionsentwurf noch ein wenig präzisiert. Wir haben nämlich erstens präzisiert, dass die Aussetzung, die jetzt zurückgenommen wird, nicht früher gewährte Darlehen betrifft. Dabei geht es – ich hatte es letzte Woche eigentlich schon als selbstverständlich angesprochen – um die sogenannten KfW-Darlehen. Insofern ist die Rücknahme nicht erfolgt. Diese Darlehen bleiben also privilegiert.
Diese Privilegierung – das ist der zweite Punkt, den wir noch klargestellt haben – bleibt auch für die Sonderfälle erhalten, in denen eine Insolvenzantragspflicht unter Strafbewehrung – etwa bei Personengesellschaften – früher gar nicht bestand, aber trotzdem Kredite privilegiert werden sollen. Die sprachliche Klarstellung hat uns das Justizministerium dankenswerterweise zugeliefert.
Was wir nicht gemacht haben – und das war in der Diskussion –, war, auch Stundungen etwa von Mietzahlungen, aber insbesondere von Sozialversicherungsbeiträgen zu privilegieren. Darüber kann man nachdenken – das möchte ich ganz deutlich sagen –, aber nur unter einer Voraussetzung – und deshalb waren die Texte, die da kursierten, meines Erachtens nicht direkt zielführend –, dann nämlich, wenn dem Unternehmen neue Liquidität zugeführt wird. Das ist nämlich das, was in diesem Gesetz jetzt schon drinsteht: Wer neue Liquidität zuführt, wer das Unternehmen sozusagen am Leben erhalten will, der soll dafür nicht bestraft werden, nicht anschließend Anfechtungsansprüchen ausgesetzt sein. Das gilt aber nicht für alle Sozialversicherungsbeiträge, es gilt auch nicht für alle Mietzahlungen, die gestundet sind. Da müsste man möglicherweise noch einmal über einen besseren Text nachdenken. Meines Erachtens folgt das aber schon jetzt aus dem aktuellen Gesetzestext, sodass die Änderung, die in der Diskussion war, in diesem Punkt nicht erforderlich ist.
Ich möchte noch einen dritten und letzten Punkt ansprechen. Ich habe letzte Woche schon darauf hingewiesen: Im Zusammenhang mit dem Gesetz, dessen Änderung – sozusagen die Rücknahme – wir jetzt beraten, ist im März auch eine gesellschaftsrechtliche Reform in Kraft getreten, das Maßnahmengesetz, das zum Beispiel befristet eine virtuelle Hauptversammlung ermöglicht.
Das Bundesjustizministerium hat – erstens – die Möglichkeit, den zeitlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes durch Verordnung zu verlängern. Aber ich habe – wir haben bei uns in der Fraktion diesen Punkt diskutiert – bei einigen der Regelungsgegenstände Bedenken, ob sie noch coronabedingt verlängerbar sind. Das betrifft etwa die Einschränkungen des Fragerechts der Aktionäre, durch die in der Hauptversammlung keine Interaktion mehr stattfindet. Ob das jetzt noch gelten kann, obwohl man sich als Gesellschaft auf die Fortführung der früheren gesetzlichen Regelung vorbereiten kann, daran habe ich Zweifel, im Übrigen auch verfassungsrechtliche Zweifel.
Das gilt – zweitens – auch für die Verkürzung der Einladungs- und ähnlicher Fristen. Das war im März nötig, denn da kam das alles ganz schnell; aber ob das mit Blick auf das Jahr 2021 – dann finden die Hauptversammlungen statt, um die es geht – noch nötig ist, daran kann man zweifeln.
Es gilt – drittens – für das Teilnehmerverzeichnis. Im Übrigen geht es hier um ein Problem, das auch bei Parteien auftritt; das Innenministerium arbeitet an entsprechenden Gesetzentwürfen. Wenn wir eine elektronische Versammlung haben, dann müssen wir auch wissen, wer die Teilnehmer waren, die durch Briefwahl an der Veranstaltung teilgenommen haben; sonst kann man ja die Mehrheitsverhältnisse nicht kontrollieren. Wir haben uns deshalb an Ihr Haus gewandt, Frau Justizministerin, und glauben, wir müssten in diesen Punkten noch etwas nachsteuern, ungeachtet der Frage, ob die virtuelle Hauptversammlung als solche aus Gründen der Rechtssicherheit auch für das nächste Jahr ein geeignetes Instrument ist. Aber das ist eine weitere Baustelle.
Man könnte noch viel dazu sagen; aber dann würde der Präsident sagen, ich solle Schluss machen. Also schenke ich dem Präsidenten zehn Sekunden meiner Redezeit, bedanke mich für die Aufmerksamkeit, hoffe und bitte um Ihre Zustimmung und wünsche einen schönen guten Abend. „Gute Nacht“ darf ich ja noch nicht sagen; das ist letzte Woche kritisch angemerkt worden.
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Herr Hirte, Sie haben mir nichts geschenkt; denn Sie haben die zehn Sekunden jetzt noch mit Ihren Worten ausgefüllt. Aber das ist in Ordnung.
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– Das dachte ich mir schon. – Nur damit es im Protokoll festgehalten wird: Mir wurde hier nichts geschenkt.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche haben wir hier in erster Lesung diesen Gesetzentwurf behandelt, durch den die Regierungsfraktionen die Geltung der Insolvenzordnung betreffend die Antragspflicht wegen Überschuldung erneut und weiterhin aussetzen wollen. Ich habe an dieser Stelle bereits letzte Woche gesagt, dass uns die sehr knappe schriftliche Begründung des Entwurfs nicht überzeugt, weil sie sich letztlich allein auf die unzutreffende Behauptung stützt, es bestehe weiterhin fundamentale Ungewissheit über die Folgen der Coronapolitik der Regierung. Das genügt als Begründung für einen so massiven Eingriff in die Rechtsordnung nicht, und daran hat sich seit letzter Woche auch nichts geändert.
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Die Gründe, welche die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im März noch vertretbar gemacht haben, liegen so nicht mehr vor.
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Nun wurde hier in der ersten Beratung von der CDU vorgetragen, dass es den Regierungsfraktionen eigentlich weniger um eine vorübergehende Aussetzung als vielmehr um eine endgültige Abschaffung des Insolvenzgrundes der Überschuldung gehe. Allerdings eröffnet das dann eine ganz andere Debatte als die über eine zeitlich befristete Notmaßnahme. Dann reden wir über einen dauerhaften, gravierenden Eingriff in unser Insolvenzrecht.
Der Insolvenzgrund der Überschuldung betrifft nur Gesellschaften ohne persönlich haftenden Gesellschafter, also insbesondere Kapitalgesellschaften. Er soll sicherstellen, dass diese Gesellschaften nur so lange am Geschäftsverkehr teilnehmen, wie sie ein eigenes Vermögen haben, das ihre Schulden abdeckt. Ist das nämlich nicht der Fall, dann stellen solche überschuldeten Gesellschaften eine Gefahr für alle anderen Teilnehmer am Wirtschaftsleben dar, die sich auf Geschäftsverbindungen einlassen.
Kapitalgesellschaften auch dann unbegrenzt weiterwirtschaften zu lassen, wenn sie längst kein Vermögen mehr aufweisen, das ihre Schulden deckt, und ihre Zahlungsfähigkeit nur durch immer weitere Schulden aufrechterhalten, würde den Schutzzweck des Insolvenzrechts verfehlen und dessen Ordnungsfunktion bedrohen.
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Dieses Vorhaben ist bezeichnend. Weitet man den Blick nur ein weniges, lässt es sich in einen grundlegenden kulturellen Wandel einordnen. Kredite mögen in einer neuzeitlichen Marktwirtschaft bis zu einem gewissen Grad funktionsnotwendig sein; gleichwohl bedeuten Schulden immer Abhängigkeit und damit Unfreiheit. Sie stellen zudem einen Übergriff der Gegenwart auf die Zukunft dar. Früher gab es wohl eher ein kulturelles Bewusstsein dafür, dass Schulden, wenn sie sich irgend vermeiden ließen, auch zu vermeiden seien. Dieses Bewusstsein ist seit Langem im Schwinden begriffen. Es wird in allen Bereichen – den staatlichen und überstaatlichen, den privaten, den wirtschaftlichen – durch eine Kultur des Lebens, des Konsumierens und des Investierens auf Pump ersetzt. Wir halten das nicht für einen Fortschritt.
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So stellt sich etwas, das hier als akute Notmaßnahme in einer konkreten, wenngleich womöglich selbstverschuldeten Wirtschaftskrise daherkommt, bei näherer Betrachtung als Baustein einer übergreifenden kulturellen Fehlentwicklung dar, einer Fehlentwicklung, der sich die frühere konservative Volkspartei in diesem Land geradezu wollüstig hingibt. Wir wollen das nicht unterstützen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP die Kollegin Judith Skudelny.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ursprünglich die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt worden ist, war die Intention, den Unternehmen so lange Zeit zu geben, sie so lange nicht in die Insolvenz zu schicken, bis staatliche Hilfen organisiert werden können, bis staatliche Hilfen bei den Unternehmen ankommen. Damals war die Entscheidung richtig und wichtig.
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Heute allerdings sehen wir, dass nicht nur von Covid-19 betroffene Unternehmen keinen Insolvenzantrag stellen: Die Zahl der Unternehmen, die Insolvenzanträge stellen, liegt im Moment deutlich unter der Zahl von vor einem Jahr. Selbst im regulären Wirtschaftsverkehr scheiden Unternehmen aus. Im Moment schieben wir eine Bugwelle an Insolvenzen vor uns her, und das ist eine Gefahr für die gesamte Wirtschaft in Deutschland.
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Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir wieder zur Normalität kommen. Aber Sie, liebe Große Koalition, wollen die Insolvenzantragspflicht nur für diejenigen Unternehmen einführen, die komplett pleite sind, die heute schon zahlungsunfähig sind, und die Insolvenzantragspflicht für die Unternehmen aussetzen, die überschuldet sind und – Achtung! – eine negative Fortführungsprognose haben. Denn entgegen dem, was mein Vorredner gesagt hat, reicht die Überschuldung nicht; die Fortführungsprognose muss negativ sein, der Geschäftszweck darf nicht funktionieren. Dann ist man insolvenzantragspflichtig. Und selbst diese Insolvenzantragspflicht wollen Sie aussetzen.
Jetzt gibt es die Unternehmen – Schausteller, Gastronomiebetriebe, aber auch die Veranstaltungsbranche –, die eine negative Fortführungsprognose haben, weil wir entsprechende Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung eingeführt haben. Bei denen ist es richtig, dass eine Überschuldung und eine negative Fortführungsprognose nicht zu einer Insolvenzantragspflicht führen. Aber ganz ehrlich, liebe Große Koalition: Diese Unternehmen brauchen nicht den Schutz vor dem Insolvenzrecht; sie brauchen eine wirtschaftliche Perspektive, wieder arbeiten zu können.
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Allen anderen Unternehmen, denjenigen nämlich, die vielleicht aus ganz anderen Gründen eine negative Fortführungsprognose haben, sollte die Politik das Signal geben: Leute, von euch erwarten wir, dass ihr etwas tut, dass ihr aktiv werdet, dass ihr in ein Sanierungsverfahren geht. – Dadurch, dass Sie auch für diese Unternehmen die Insolvenzantragspflicht weiter aussetzen, erhöhen Sie die Gefahr, dass weitere Gläubiger in Mitleidenschaft gezogen werden und noch mehr Insolvenzen kommen werden, als wir ohnehin schon zu erwarten haben.
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Deswegen brauchen wir keine dauerhafte Insolvenzantragspflicht aufgrund von Überschuldung und negativer Fortführungsprognose. Was wir brauchen, sind Perspektiven. Und wir brauchen ein Sanierungsverfahren für kleine und mittlere Unternehmen. Mit dem ESUG haben wir eine gesetzliche Lösung geschaffen, die große Unternehmen in Anspruch nehmen können. Das macht im Moment viele Sanierungsberater sehr glücklich – gegönnt sei es ihnen; sie machen einen guten Job. Aber kleine und mittlere Unternehmen können sich das im Moment nicht leisten. Und wir brauchen im Moment gerade für diejenigen eine Perspektive, deren Betrieb durch Covid-19, durch den Lockdown, beeinträchtigt ist, deren Geschäftsmodell aber funktionsfähig ist. Für sie müssen wir auch im Sanierungsrecht Perspektiven schaffen.
Wir haben dazu übrigens einen Antrag geschrieben. Eigentlich sollte für diese Unternehmen bereits ein Sanierungskonzept vorliegen, und zwar bis Mitte dieses Jahres. Sie haben es jetzt für Ende dieses Jahres angekündigt. Wenn es schneller gehen soll, schreiben Sie einfach unseren Antrag ab und übernehmen ihn in einen Gesetzentwurf. So schaffen wir ein funktionierendes System, und auch die kleinen und mittleren Betriebe haben Perspektiven.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Gökay Akbulut.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über die Verlängerung des COVID‑19-Insolvenzaussetzungsgesetzes bis zum 31. Dezember 2020 ab. Im März dieses Jahres, zu Beginn der Coronakrise, haben wir dem Gesetzentwurf zugestimmt. Nun soll dieses Gesetz bis zum Ende des Jahres verlängert werden.
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Wir stimmen dieser Verlängerung zu, sagen aber auch ganz deutlich: Damit alleine ist es nicht getan.
Sechs Monate nach Beginn der Coronakrise haben einige Lebens- und Arbeitsbereiche zu einer neuen Normalität gefunden; die Pandemie ist jedoch noch nicht überstanden. Mit den wieder steigenden Infektionszahlen können wir nur bedingt von einer verbesserten Ausgangslage sprechen. Deshalb gilt es umso mehr, kleine und mittelständische Unternehmen in der Krise zu unterstützen.
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Doch das Krisenmanagement der Bundesregierung ist an dieser Stelle nicht vorausschauend. Mit der Verlängerung des Gesetzes wird die drohende Insolvenzwelle nur verschoben. Ab Beginn des kommenden Jahres werden wir einen schlagartigen Anstieg von Insolvenzanmeldungen sehen. Und was passiert dann? Dann werden nicht nur die Insolvenzgerichte überlastet sein, sondern dann wird auch die Bilanz von bis dahin gesunden Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen.
Eine Insolvenzflut droht letztendlich auch die Stabilität des Bankensektors zu gefährden. So einen Dominoeffekt müssen wir unbedingt vermeiden. Dabei sollte doch das oberste Ziel sein, dass es gar nicht erst zu Insolvenzen von eigentlich lebensfähigen Unternehmen kommt und vor allem nicht noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen.
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Die Unsicherheiten in der Veranstaltungsbranche, in der Gastronomie und in vielen anderen Branchen sind noch groß. Es reicht nicht aus, darauf zu hoffen, dass sich die Unternehmen bis Ende des Jahres von selbst erholen oder sanieren. Stattdessen müssen erprobte Hilfsprogramme verlängert und gegebenenfalls ausgeweitet werden.
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Ein konkreter Weg, um Zahlungsausfälle zu vermeiden, wäre, Firmen bei der Rückzahlung von Krediten durch Streckung zu entlasten. Darüber hinaus brauchen wir eine grundsätzliche Debatte darüber, welchen Beitrag der Staat zu einer Belebung der Wirtschaft leisten kann. Der beste Schutz vor Insolvenzwellen ist ein Staat, der investiert und die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Höhere Löhne, insbesondere für systemrelevante Berufe, ein Pandemiezuschlag auf niedrige Renten und Hartz-IV-Sätze: Das ist es, was viele Menschen im Moment brauchen. All das wären auch Maßnahmen, die die Kaufkraft und die Konjunktur stärken.
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Das käme auch den von Insolvenzen bedrohten Unternehmen zugute.
Wir haben an vielen Stellen gesehen, dass die Coronapandemie die Krisen in genau den Bereichen verstärkt hat, die die Bundesregierung über Jahre hinweg vernachlässigt hat. Statt einem Weiter-so sollte die Bundesregierung in der Krise mehr Verantwortung übernehmen. Eine Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzanzeigepflicht muss mit staatlichen Coronahilfen einhergehen, die an konkrete Bedingungen für die Unternehmen geknüpft sind und sozial und ökologisch verträgliches Wirtschaften fördern.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Manuela Rottmann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss, glaube ich, noch mal klarstellen, Frau Akbulut: Ab dem 1. Oktober gilt für zahlungsunfähige Unternehmen – und Zahlungsunfähigkeit ist der Hauptgrund für Insolvenzanmeldungen in Deutschland – wieder die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen. Wir verlängern also nicht einfach irgendwas, sondern wir kehren weitgehend zu den Regeln vor Corona zurück. Es ist mir wichtig, dass noch mal klarzustellen.
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Wenn das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit im Geschäftsverkehr Schaden nimmt, dann droht eine Lähmung unserer Wirtschaftskreisläufe. Denn unsere Volkswirtschaft funktioniert nicht auf Basis von Vorkasse; das geht einfach nicht. Eine solche Lähmung müssen wir abwenden. Deswegen stimmen wir Grünen diesem Gesetzentwurf zu.
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Wir widersprechen aber, wenn jemand sagt, das Ziel der Aussetzung sei erreicht; die Insolvenzantragspflicht sei deswegen aufzuheben, weil die staatlichen Hilfen wegen Corona ja nun angekommen seien, und wer jetzt noch insolvent gehe, dessen Geschäftsmodell sei auch unabhängig von Corona nicht tragfähig. Das stimmt nicht.
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Wer so etwas behauptet, der wird bei vielen Betroffenen nicht auf Gegenliebe stoßen. Sie werden es als Unverschämtheit empfinden; denn Ihre Hilfen kommen eben nicht alle an.
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25 Milliarden Euro sollten als Überbrückungshilfe in kleine und mittlere Unternehmen fließen, deren Umsatz wegen Corona eingebrochen ist. Davon wurden bis Anfang August ganze 3 Prozent beantragt. Dieses Programm darf ausdrücklich nur zur Deckung von Betriebskosten verwendet werden. Viele Soloselbstständige und Familienunternehmen mit niedrigen Betriebskosten erreicht es nicht. Haben der Ehepartner oder im Haushalt lebende Kinder noch ausreichend Einkommen, ist auch der Weg ins ALG II versperrt, und sobald das Vermögen 60 000 Euro übersteigt, muss eine aufwendige Vermögensprüfung durchgeführt werden. Viele Selbstständige haben aber keine eigene gesetzliche Altersvorsorge. Deswegen haben sie Vermögen angespart, oder ihr Vermögen besteht gerade aus ihren Betriebsmitteln.
In vielen Branchen ist der Zusammenhang zwischen dem Wegbrechen des Umsatzes und Corona ganz offensichtlich, etwa in der Veranstaltungsbranche. Wenn diese Unternehmen und Selbstständigen jetzt Insolvenz anmelden müssen, dann nicht, weil ihr Geschäftsmodell nicht funktioniert, sondern, weil Minister Altmaier mit der Bazooka danebengeschossen hat.
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Wenn jetzt Lichttechniker ihr wertvolles Equipment zu Schleuderpreisen verkaufen oder Übersetzerinnen auf ihre Altersvorsorge zurückgreifen müssen, dann ist das mehr als eine individuelle Tragödie: Es ist volkswirtschaftlich eine Katastrophe.
Das Insolvenzrecht kann diesen Fehler nicht ausbügeln. Es sind die Hilfsprogramme der Bundesregierung, die endlich an die Realität der Selbstständigen angepasst werden müssen. Auch dafür läuft am 1. Oktober die Uhr ab. Das darf nicht irgendwann passieren; das muss heute passieren, und zwar jetzt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Die Reden von Sonja Amalie Steffen und Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD, gehen zu Protokoll
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Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon angeklungen: Wir versuchen heute, ein Spannungsverhältnis aufzulösen. Wir versuchen auf der einen Seite, den Unternehmen Stabilität zu geben und zu helfen, die durch Corona in Not geraten sind. Andererseits geht es aber auch darum, weiterhin einen sicheren und solventen Wirtschaftsmarkt zu gewährleisten. Ich glaube, dass wir mit dem, was wir heute vorlegen, dieses ausgewogene Verhältnis sicherstellen.
Ich will an dieser Stelle feststellen, dass hier fast fraktionsübergreifend ein gutes Signal aus diesem Haus nach draußen in die Wirtschaft gesandt wird. Das Signal lautet: Wir lassen Unternehmen auch in diesen schwierigen Zeiten nicht im Regen stehen; wir helfen diesen Unternehmen.
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Anders als es die Kollegin von der FDP skizziert hat, ist es auch nicht so, dass wir uns vor der Frage der Funktionalität und der Zukunftsfähigkeit des Insolvenzrechts drücken,
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sondern damit, dass wir sehr wohl zwischen dem Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit und dem Insolvenzgrund der Überschuldung unterscheiden, den wir weiterhin aussetzen,
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zeigen wir doch – das hat der Kollege Hirte in der ersten Lesung schon sehr schön skizziert –,
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– Sie hatten doch vorhin Gelegenheit, zu reden; das haben Sie doch gemacht – dass wir an diesem zweiten Insolvenzgrund ansetzen wollen.
Jetzt kommen wir aber zu einem ganz wichtigen Punkt – deswegen noch mal die persönliche Ansprache an die FDP –: Ich finde es bemerkenswert, dass Sie bei diesem wichtigen Thema Seite an Seite mit der AfD im Trüben fischen
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und wirklich, Entschuldigung, fast auf Biegen und Brechen versuchen, eine Argumentation zu konstruieren, damit Sie diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen müssen.
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Denn zu einem Punkt haben Sie nichts gesagt, nämlich: Die Uhr läuft. Die Uhr läuft am 1. Oktober ab. Deshalb – das ist das Letzte, was ich sage; ich will etwas Zeit sparen – ist es so wichtig, dass wir das heute im Schulterschluss durchbringen. Deswegen möchte ich noch mal ausdrücklich um Zustimmung werben. Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Batteriegesetz, das wir nun novellieren, gibt es seit zehn Jahren. Es umfasst alle Batterien, die wir so kennen: im Haushalt, Fahrzeugbatterien und Industriebatterien. Batterien enthalten wertvolle Wertstoffe, aber auch Gefahrstoffe. Deswegen noch mal der Hinweis an alle: Batterien nicht in den Restmüll werfen! Das ist ganz wichtig.
Wir haben in Deutschland ein gut funktionierendes Netz an Sammelstellen. Es gibt insgesamt 200 Sammelstellen – viele kennen sie – in Supermärkten, Drogeriemärkten, aber natürlich auch in den kommunalen Wertstoffsammelhöfen. An diesen Sammelstellen werden die Batterien gesammelt. Bis zu diesem Jahr erfolgte das in einem gemeinsamen Rücknahmesystem, dem GRS, ein Solidarsystem, dem sich alle Hersteller anschließen mussten. Dieses Solidarsystem ist jetzt leider aufgelöst worden, und es gibt ein reines Wettbewerbssystem. Ich will das noch mal ganz deutlich sagen, weil ich heute von Journalisten danach gefragt wurde: Diese Gesetzesänderung ist wirklich erforderlich gewesen.
Wir haben das Problem, dass durch diese Änderungen bei den Sammelstellen teilweise nicht mehr abgeholt wurde bzw. willkürlich festgelegt wurde, in welchen Rhythmen oder welche Mengen abgeholt wurden. Das wird jetzt in diesem Gesetzentwurf ganz klar beschrieben, und das ist für die Sammelstellen wichtig. Das kam auch in der Anhörung gerade noch mal heraus.
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Um sicherzustellen, dass die Akkus überall abgeholt werden, insbesondere auch bei den kommunalen Sammelstellen, müssen die Betreiber ein kostenloses Angebot machen. Alle Betreiber müssen sich daran beteiligen.
Wir haben im parlamentarischen Verfahren auch das Sammelziel erhöht, von 45 auf 50 Prozent. Das war wichtig – das will ich noch mal ganz deutlich sagen –, weil wir sonst einen Ausgleich hätten schaffen müssen. Den gab es aber nicht. Und bevor sich Systeme sozusagen einen schlanken Fuß machen und nur die 45 Prozent erfüllen, haben wir die Sammelziele erhöht. Auch das ist ein wichtiges Zeichen für das, was wir wollen, nämlich höhere Sammelziele in diesem Bereich.
Ich will noch eines sagen, weil viele die Sammelquoten kritisieren: Die wirkliche Sammelquote ist noch höher, weil sich auch das Berechnungsverfahren geändert hat. Bisher zählten die Fahrzeugbatterien bzw. Bleibatterien mit dazu; das wurde jetzt eingeschränkt. Also auch da haben wir jetzt eine ganz andere Quote. Einige Systeme haben sich auch selbst eine Quote errechnet. Wir haben jetzt festgelegt, wie dieses Berechnungsverfahren laufen soll, und damit auch für Klarstellung gesorgt.
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Im Oktober wird die Kommission einen Vorschlag für die Novelle der Batterierichtlinie vorlegen. Fragen des Pfands und der Kennzeichnung werden dort mit Sicherheit angesprochen. Ich will an dieser Stelle noch mal die Umweltministerin loben, die sich auch auf europäischer Ebene für diese Dinge eingesetzt hat. Vieles wurde in der Anhörung diskutiert, aber vieles muss letztendlich auf europäischer Ebene geklärt werden. Das gilt auch für die Entnehmbarkeit von Batterien und Akkus; das betrifft die Ökodesign-Richtlinie.
Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit und ein hochwertiges Recycling im Batteriegesetz. Dieses Gesetz löst Probleme, die jetzt anstehen. Im Herbst geht es weiter. Weitere Dinge werden folgen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. Drei Minuten gespart. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Andreas Bleck.
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Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest: Die von der Bundesregierung forcierte Energiewende stellt die Abfallwirtschaft vor eine große Herausforderung. Immer mehr Lithiumbatterien und Lithium-Ionen-Akkumulatoren werden in Verkehr gebracht. Von diesen geht eine erhebliche Brandgefahr aus, insbesondere bei Fehlwürfen. Kaum ein Tag, kaum eine Woche vergeht, ohne dass in Deutschland Abfallsammelanlagen oder Abfallsammelfahrzeuge in Brand geraten.
Hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Batteriegesetzes diese große Herausforderung berücksichtigt? Nein.
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Weiterhin fehlt ein Pfand für diese Batterien und Akkumulatoren, weiterhin fehlt eine Kennzeichnungspflicht. Beides wäre dringend notwendig. Stattdessen vollzieht die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf bei der Entsorgung von Batterien den Wechsel vom Solidar- zum Wettbewerbssystem. Das hört sich gut an, ist aber genau das Gegenteil davon. Das Sammeln und das Entsorgen von Batterien verursachen nämlich Kosten. Gewinne lassen sich damit jedenfalls nicht erzielen. In einem Wettbewerbssystem führt das unweigerlich dazu, dass die Rücknahmesysteme nicht in einem Wettbewerb um die höchstmögliche Sammelquote, sondern um die geringstmögliche Mindestsammelquote stehen. Das widerspricht zutiefst dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft und des Umweltschutzes.
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Anreize, mehr Batterien zu sammeln und zu entsorgen, werden durch das Wettbewerbssystem nicht geschaffen. Abhilfe könnte hier ein Lastenausgleichsystem zwischen den Rücknahmesystemen schaffen, das im Gesetzentwurf der Bundesregierung jedoch nicht vorgeschrieben ist. Immerhin soll die Mindestsammelquote von 45 Prozent auf 50 Prozent erhöht werden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass 2019 die Sammelquote bereits bei 52,2 Prozent lag, ist das jedoch zu wenig. Zur Erhöhung der Mindestsammelquote ist ein Einstieg bei 55 Prozent mit einer stufenweisen Erhöhung bis 2030 leistbar und zumutbar. Dies war auch die einhellige Auffassung der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung. Im Übrigen gibt es zwei Stellschrauben, um die Sammelquote zu erhöhen: zum einen die Sammler und Entsorger, zum anderen die Verbraucher. Die Bundesregierung fokussiert sich jedoch einseitig auf die Sammler und Entsorger. Dabei wird unnötigerweise Potenzial verschenkt.
Auch rechtliche Vorschriften tragen oder verwirren die Verbraucher zusätzlich. Viele Bürger unterscheiden bei der Entsorgung von Batterien eben nicht zwischen Gerätebatterien und Industriebatterien – versuchen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, doch einmal Bürgern zu erklären, dass die Batterie aus einem E-Bike oder E-Scooter keine Gerätebatterie, sondern eine Industriebatterie ist; sie werden bestenfalls Kopfschütteln ernten und schlimmstenfalls für verrückt erklärt werden.
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Daher werden im Haushalt anfallende Industriebatterien oft bei den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern abgegeben. Aus diesem Grund haben die Kommunen übrigens darum gebeten, dass unter Bereitstellung von Aufbewahrungsbehältnissen und der Übernahme von Transportkosten diese Batterien freiwillig durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zurückgenommen werden können. Warum sich CDU/CSU und SPD im Änderungsantrag nun entschlossen haben, dies zwar für die Fahrzeugbatterien, aber nicht auch für im Haushalt anfallende Industriebatterien zu ermöglichen, ist nicht nachvollziehbar. Apropos Fahrzeugbatterien: Für diese gibt es bereits seit zehn Jahren ein Pfand. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.
Ich hoffe, dass die Bundesregierung irgendwann erkennt, dass langsam die Zeit für ein Pfand gekommen ist; denn ohne Pfand lässt sich die Sammelquote nicht – jedenfalls nicht beliebig – in die Höhe treiben.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Die nächsten beiden Reden von Björn Simon und Judith Skudelny gehen zu Protokoll
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Dann kommt als nächster Redner der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche diskutierten wir öffentlich mit Experten über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Batteriegesetzes. Jetzt lese ich Ihren Änderungsantrag und frage mich: Waren Sie in der Anhörung anwesend,
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oder haben Sie geschlafen?
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Da wird die Koalition für das alte Batteriegesetz gelobt, sie arbeitet aber weiter an dem schlechten neuen Entwurf, senkt das Niveau auf das des Verpackungsgesetzes ab und installiert ein duales System Batterie 2.0. Ich frage mich: Haben Sie aus den Erfahrungen beim Verpackungsgesetz nichts gelernt? Es gab Betrug bei Angaben zu Sammlungsmengen, das Verweigern der Bezahlung von Leistungen der Kommunen und falsche Mengenangaben bei der Altpapierentsorgung: zu hohe Mengenangaben, wenn man für Altpapier Geld bekommt, und zu niedrige Mengenangaben, wenn die Entsorgung von Altpapier Geld kostet. Dieses Betrugssystem auf die Batterieerfassung auszuweiten, ist einfach schäbig. Wir sagen dazu Nein.
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Hinzukommt, dass Sie die Quoten gegenüber dem jetzigen Istzustand absenken. 52 Prozent der Altbatterien werden derzeit gesammelt, eine Quote von 50 Prozent fordern Sie im Gesetzentwurf. Selbst Ihre Freunde aus der Industrie boten eine Sammelquote von 65 Prozent an, aber das haben Sie wohl ebenfalls verschlafen.
Die Linke fordert ein solidarisches Batteriesammelsystem, so wie es bis 2018 funktionierte. Außerdem haben wir einen Antrag zur Einführung einer Pfandpflicht vorgelegt. Klar ist, dass die Union die Pfandpflicht, wenn der Vorschlag von Linken kommt, aus Prinzip ablehnt.
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Aber vielleicht sollten Sie auf Ihre eigenen Sachverständigen hören. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände forderte: Pfand auf Lithium-Ionen-Batterien. Der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie forderte: Pfand auf Lithium-Ionen-Batterien. Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft forderte: Pfand auf Lithium-Ionen-Batterien. Der Verband kommunaler Unternehmen und selbst der private Entsorger Remondis forderten: Pfand auf Lithium-Ionen-Batterien.
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Das ist logisch; denn Lithium-Ionen-Batterien, die in Müllfahrzeugen oder ‑anlagen gequetscht werden, entzünden sich und fackeln Müllfahrzeuge und ‑anlagen ab. Das ist gefährlich für Mensch und Technik, teuer für uns alle und definitiv nicht umweltfreundlich.
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Wenn Sie sich fragen, wie man die Erfassung regeln sollte: In Zeiten von RFID-Chips und Barcodes ist es überhaupt kein Problem, ein entsprechendes System zu installieren. Wenn man will, kann man; wenn man nicht will, dann findet man Ausreden, so wie die CDU/CSU.
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Dass die Koalition so ein schlechtes Batteriegesetz in der Nachhaltigkeitswoche auf den Weg bringt, ist enttäuschend. Sie hätten aber jetzt noch eine Chance, das zu korrigieren. Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann wird es besser.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Da Dr. Bettina Hoffmann von den Grünen und Karsten Möring von der Union ebenfalls ihre Reden zu Protokoll gegeben haben