Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/9/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Herr Präsident! Schönen Dank für Ihre Worte, die Sie am Eingang unserer Beratung gefunden haben – ich glaube, es geht um ein ganz wichtiges Thema unserer Demokratie –, und dafür, dass Sie noch einmal an die schrecklichen Morde erinnert haben. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Beitrag für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Wir müssen da gesellschaftlich zusammenhalten. Ich finde, dass es auch richtig ist, noch einmal angesprochen zu haben: Die Kundgebung und diejenigen, die versucht haben, das Reichstagsgebäude mit Fahnen aus einer dunklen Vergangenheit verächtlich zu machen, das war schlimm. Auch das ist richtig zu sagen: Wir können das nicht hinnehmen. Die Demokratie ist darauf angewiesen, dass das Parlament als Ort der Diskussion und des Streits untereinander friedlich funktioniert. ({0}) Mein Eindruck ist – und das gilt für die ganze Regierung –, dass die vielen Entscheidungen, die wir getroffen haben, die die 16 Länder getroffen haben und die auch der Deutsche Bundestag mit vielen Gesetzgebungsverfahren begleitet hat, zur Bekämpfung der gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, die mit der Coronapandemie verbunden sind, auf breite Zustimmung unter den Bürgerinnen und Bürgern treffen. Deshalb ist es ja kein Problem, dass darüber diskutiert wird, ob sie richtig oder falsch sind. Aber es ist absolut richtig, auch darauf hinzuweisen, dass die allermeisten unverändert diese Entscheidungen und die Wege, die wir hier gegangen sind, unterstützen. Wir sind noch mittendrin, auch wenn wir mittlerweile sehen können, dass die gesundheitliche Situation sich besser entwickelt, als wir vor einiger Zeit hoffen durften, und auch wenn wir sehen können, dass die wirtschaftliche Belebung im Angesicht der großen Programme, die wir auf den Weg gebracht haben, sichtbar wird. Wir können hoffen, dass es uns mit allem zusammen gelingen wird, dass wir vielleicht Ende nächsten Jahres oder Anfang übernächsten Jahres wirtschaftlich das Vorkrisenniveau wieder erreicht haben werden. Das bedeutet aber, dass wir kontinuierlich an dem arbeiten müssen, was wir angefangen haben. Aus diesem Grunde ist es eine gute Entscheidung, dass die Regierungskoalition und damit auch die Regierung sich vorgenommen hat, die Maßnahmen zu verlängern, die bereits jetzt hilfreich sind und die auch dazu beitragen werden, dass wir die ganze Krise miteinander meistern werden. Ich will ausdrücklich die Verlängerung verschiedener Programme bis zum Jahresende benennen, und ich will ausdrücklich die Verlängerung der Schutzregelungen zur Kurzarbeit bis zum Ende des nächsten Jahres benennen. Alles das hilft, damit wir Arbeitsplätze erhalten können und diese Krise auch wirtschaftlich meistern können. ({1}) Wir wissen, dass es dabei nicht bleiben kann. Gerade jetzt haben wir die Beschlüsse, die zu früherer Zeit getroffen worden sind, weiter vorangetrieben. Ich will an den Öffentlichen Gesundheitsdienst erinnern. Der ist wichtig; er wird in den Kreisen dieser Republik verantwortet. Dort überall sind diejenigen, die dafür zu sorgen haben, dass wir, wenn ein Infektionsgeschehen sich ausweitet, auch darauf reagieren können. Dass hier ein Programm mit 4 Milliarden Euro die Unterstützung gewährleistet, die notwendig ist, damit der Öffentliche Gesundheitsdienst jetzt technisch und personell so ausgebaut werden kann, dass wir auf immer neue Herausforderungen reagieren können, was die gesundheitlichen Probleme betrifft, ist richtig. Gut, dass wir diese Entscheidung getroffen haben. ({2}) Um Ihnen viel Zeit für Ihre Fragen zu lassen, will ich im Vorfeld nur noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das mir wichtig ist: Wir alle sind tief betroffen von dem Mordanschlag auf den russischen Oppositionellen Nawalny. Das ist ein schlimmes Verbrechen, und wir sind ganz sicher, dass es ein Anschlag war, der mit einem Giftstoff aus der Nowitschok-Gruppe verübt worden ist. Das ist etwas, was wir nicht hinnehmen können. Die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger ist ein universelles Recht. Überall müssen Menschen ihre Meinung äußern können und auch in Opposition zur Regierung stehen können, ohne dass ihr Leben davon bedroht ist. ({3}) Ich bin sehr froh darüber, dass dadurch, dass Herr Nawalny nach Deutschland gekommen ist und hier in der Charité behandelt wird, wir alles dafür tun können, sein Leben und seine Gesundheit zu sichern. Heute weiß noch niemand, wie sich das entwickeln wird. Ich glaube, das muss bedrückt eingestanden werden. Aber für uns ist auf alle Fälle wichtig, dass wir diesen Beitrag leisten. Er ist gut für die Gesundheit dieses russischen Bürgers; aber er ist auch ein wichtiger Beitrag, den wir zu leisten haben. Für uns ergibt sich aber aus dem, was wir jetzt wissen, dass auch Konsequenzen gezogen werden müssen. Deshalb ist es richtig, dass wir die russische Regierung dazu auffordern, zusammenzuarbeiten, aufzuklären und mitzuarbeiten bei der Aufdeckung dieser Tat, und da erwarten wir noch die notwendigen Erklärungen und Mitarbeiten, die dafür notwendig sind. Es ist auch richtig, dass wir uns entschieden haben, dass wir zusammen mit unseren europäischen Partnern auf diese reagieren wollen. Wir wollen also mit ihnen die weiteren Erkenntnisse beraten, die Ergebnisse, die wir aus den Untersuchungen gewinnen, aber auch die Reaktionen, die wir von anderen bekommen, und dann die entsprechenden Entscheidungen treffen. Dies ist eine Angelegenheit, die wir als Europäerinnen und Europäer zu bewegen haben, und da sollten wir als Deutsche im Rahmen der Europäischen Union unsere Verantwortung sehen. Schönen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die erste Frage stellt der Kollege Albrecht Glaser, AfD.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Minister, die EU-Kommission beabsichtigt, zum Wiederaufbau Europas – was immer damit gemeint sein mag – 750 Milliarden Euro an Schulden aufzunehmen; zum ersten Mal in ihrer Geschichte nimmt die EU Schulden auf. Einen Großteil dieser EU-Anleihen soll die EU-eigene EZB kaufen. Die nächste Generation soll bis 2058 diese Schulden zurückzahlen. Da Sie diesen Vorgang mit großer Freude begleiten, haben Sie in einem Interview als Beweis für die Klugheit dieses Vorganges den ersten Finanzminister der USA, Hamilton, zitiert. Dieser habe die Schulden der Einzelstaaten auf der Ebene der Föderation übernommen, und dies sei sehr erfolgreich gewesen. Ich frage Sie daher: Ist Ihnen der Fortgang dieser Geschichte bekannt, die einige Zeit später zum Staatskonkurs von neun Einzelstaaten der damaligen Staatenwelt der USA geführt hat? Ist Ihnen ebenfalls bekannt, dass die USA aus diesem Vorgang gelernt haben und jegliche Haftung des Gesamtstaates für die Schulden der Einzelstaaten ausgeschlossen haben –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Glaser, denken Sie an die rote Ampel.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– ja, sofort; zwei Zeilen – und ebenfalls die Haftung aller Einzelstaaten der USA untereinander, und dies bis auf den heutigen Tag? Könnten die EU und auch Sie selber nicht vielleicht aus diesem Stück Wirtschafts- und Finanzgeschichte etwas lernen?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Schönen Dank für den Hinweis auf das wirklich großartige Programm zur Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft, das European Recovery Program. Ich glaube, das ist wirklich ein großer Schritt, vor allem, weil es ja nicht nur darum geht, als Europäische Union gemeinsam Schulden aufzunehmen, sondern auch darum, sich zu verpflichten, sie wieder zurückzuzahlen – Sie haben darauf hingewiesen –, und darum, dass wir auch den Weg der Finanzierung mit regeln. Denn das wird die politische Aufgabe sein, die jetzt in diesem und vor allem im nächsten Jahr ansteht. Die Kommission wird Anfang nächsten Jahres Vorschläge über eigene Einnahmen der Europäischen Union machen – own resources – und damit auch ein seriöses Finanzierungskonzept sicherstellen. Das ist das, worauf wir bestanden haben. Aus unserer Sicht ist es aber dann auch wichtig, zu verstehen, wie die Dinge sich insgesamt weiterentwickeln werden. Deshalb bin ich unverändert der Meinung, dass wir etwas lernen können von dem ersten Finanzminister der USA. Denn wenn wir uns die Vereinigten Staaten von Amerika heute anschauen, stellen wir fest, dass es sich um eine global erfolgreiche, wirtschaftlich starke Nation handelt, die heute für diejenige gehalten wird, die wirtschaftlich am stärksten ist. Es ist also nicht so schlecht, sich daran ein Vorbild zu nehmen, was finanzpolitische Beginne und Entwicklungen der ganzen Zeit betrifft. Im Übrigen – ein Satz noch als Ergänzung –: Eine No-bailout-Klausel gibt es in den europäischen Verträgen, und daran ist ja gar nichts geändert worden. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Glaser?

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wenn ich fragen darf: Die heutige Situation der USA – mit allem Respekt – hat sicher wenig mit dem Ereignis vor 200 Jahren zu tun. Diese Kausalität herzustellen – könnte es nicht sein, dass das eine sehr kühne Überlegung ist, Herr Finanzminister?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Nein, das ist eine sehr naheliegende Überlegung. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Artur Auernhammer, CDU/CSU. ({0}) – Ist der Kollege Auernhammer nicht da? Irgendjemand hat mir das aufgeschrieben. Dann stellt die nächste Frage der Kollege Florian Toncar, FDP.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön. – Herr Präsident! Herr Minister Scholz, die Finanzbehörde in Hamburg hat im Jahr 2016 darauf verzichtet, von der Warburg-Bank 47 Millionen Euro an aus kriminellen Cum/Ex-Geschäften erlangten Geldern zurückzufordern, und musste 2017 – nur durch heftige Intervention des Bundesfinanzministeriums – dazu gebracht werden, weitere 43 Millionen Euro einzufordern, ohne dass Verjährung eintrat. Sie waren damals als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg in der politischen Gesamtverantwortung für das Handeln der Hamburger Regierung und der Hamburger Behörden. Wie erklären Sie den Kleinunternehmern, die jeden Tag im Finanzamt auch durchaus kleine Dinge ausführlich erklären müssen, wie erklären Sie einer Arbeitnehmerin mit Durchschnittseinkommen, 36,5 Prozent Grenzsteuersatz und 49 Prozent Abgabenbelastung, dass es in Hamburg möglich war, dass bis zu 90 Millionen Euro von der Warburg-Bank nicht zurückgefordert worden sein könnten? ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Zunächst mal finde ich als Bundesminister der Finanzen sehr richtig, was das Bundesministerium der Finanzen unternommen hat, und das ist etwas, auf das wir heute aufbauen können. Im Übrigen ist es so, dass ich fest davon überzeugt bin, dass wir alle Aktivitäten unternehmen und unterstützen müssen, um die von Anfang an mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden und kriminellen Cum/Ex-Geschäfte aufzuklären, das Geld zurückzufordern und diejenigen anzuklagen, die solche Straftaten verwirklicht haben. Das Geld ist zurückgefordert. Es ist so, dass wir auch das weiter unterstützen mit Gesetzgebung, die wir zur Verlängerung von Verjährungsfristen auf den Weg gebracht haben. ({0}) Und das geschieht auch durch all die anderen Dinge, die wir auf den Weg bringen wollen. Insofern bin ich sicher, dass wir es schaffen werden, überall in Deutschland diejenigen zu kriegen, die mit Cum/Ex etwas verdient haben. Die Staatsanwaltschaften sind aktiv, und wir unterstützen mit all den Behörden, die wir in Deutschland haben, diese Aktivitäten. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Toncar.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Scholz, Sie waren damals ja Regierungschef in Hamburg und damit in einer politischen Gesamtverantwortung. Ich möchte wissen: Wann haben Sie erfahren, dass es in Hamburg eine Diskussion darüber gab, ob bei der Warburg-Bank Steuern in der großen Größenordnung von 90 Millionen Euro – erst 47 Millionen Euro, dann 43 Millionen Euro – zurückgefordert werden sollten? Was war Ihre Rolle in dieser Diskussion? Und was haben Sie als Regierungschef veranlasst, um in dieser ja auch für Hamburg wichtigen Frage zu den richtigen Ergebnissen, nämlich einer Rückforderung, zu kommen? Haben Sie irgendetwas veranlasst, um den Steuerzahler vor einem drohenden doch ganz erheblichen finanziellen Schaden zu bewahren? Was war da Ihre Rolle, Herr Minister?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Wie überall in Deutschland entscheiden die Finanzämter auch in Hamburg eigenständig über die Angelegenheiten, die mit den Steuerfällen zu tun haben. Sie tun das nach Recht und Gesetz und eigenen Überzeugungen, und eine politische Intervention soll es nicht geben und hat es in Hamburg auch nicht gegeben. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich habe jetzt als nächste Fragesteller gemeldet: Herrn Schneider, Herrn De Masi und Frau Paus. Deswegen möchte ich jetzt keine Nachfrage zulassen, sondern zunächst Herrn Schneider die nächste Frage geben, nachdem die CDU/CSU liebenswürdigerweise in dieser Runde auf ihre Frage verzichtet hat. ({0}) – Ja, so ist das.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Bundesfinanzminister, ich habe eine Frage zum Lobbyregister. Sie wissen, dass in dieser Woche in erster Lesung ein Gesetzentwurf für ein Lobbyregister hier in den Bundestag eingebracht wird. Der gilt nur für den Bundestag und die Abgeordneten. Es geht uns darum, die Transparenz herzustellen, die der Herr Bundestagspräsident eben auch mit ausgeführt hat, Transparenz über Einflussnahme auf Gesetzgebung, und letztendlich auch darum – und das ist keine Wertung –, das Ganze öffentlich und nachvollziehbar zu machen. ({0}) Meine entscheidende Frage an Sie als Mitglied der Bundesregierung ist, ob Sie diese Maßnahmen, die wir uns letztendlich für den Bundestag als Gesetzgeber geben, auch für die Bundesregierung mit anstreben und auch umsetzen werden?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Für die Bundesregierung kann ich an dieser Stelle nicht antworten, für mich selber schon. ({0}) Ich persönlich glaube, dass das, was wir im Bereich der Regelung zum Lobbyregister für Abgeordnete vornehmen, selbstverständlich in entsprechender Form für Regierungen auch gelten soll. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege De Masi, Die Linke.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister, Sie haben ausgeführt, dass Cum/Ex-Geschäfte kriminell waren und sind, und Sie haben sie auch als „Schweinerei“ bezeichnet. Fänden Sie es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, dass die SPD Hamburg, die ja in Person von Herrn Kahrs so eifrig Parteispenden von der Warburg-Bank eingetrieben hat, dieses Geld zurückzahlt? Und finden Sie es plausibel, dass sich eine Finanzbeamtin der Stadt Hamburg über mehrere Wochen einer Weisung des Finanzministeriums – damals unter Wolfgang Schäuble – widersetzt, das Geld von der Warburg-Bank, das geraubte Cum/Ex-Geld, einzutreiben, und der Stadt damit einen millionenfachen Verlust beschert, dass diese Finanzbeamtin eine solche Entscheidung trifft, ohne sich politischer Rückendeckung zu versichern? Und wenn das so war: Müsste diese Finanzbeamtin nicht eigentlich ihren Job verlieren?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Zunächst mal ist es wichtig, dass bei politischen Spenden, die geleistet werden – ob nun an Parteien oder wen auch immer –, immer gewährleistet ist, dass es keine Einflussnahme gibt. Deshalb ist es wichtig, dass überall ganz harte Regelungen getroffen werden, die das auch sicherstellen. Dazu zählt zum Beispiel auch, dass Verantwortliche in der Regierung davon keine Kenntnis haben sollten und an diesen Entscheidungen nicht beteiligt sein sollten. Nach meinem Wissen ist das in Hamburg immer der Fall gewesen und bis heute der Fall. Auf dieser Basis möchte ich auch die Entscheidung, die die Hamburger SPD zu treffen hat, nicht beeinflussen, zumal ich, wie Sie wissen, jetzt in Potsdam lebe. Die zweite Bemerkung zu Ihrer Frage: Ich bin dafür, dass Entscheidungen von Finanzämtern nach Recht und Gesetz, in eigener Verantwortung und ohne politische Beeinflussung getroffen werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr De Masi?

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, sehr gerne. Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte Sie – erstens – fragen, Herr Scholz, ob Sie Kenntnis darüber haben, dass es weiterhin Cum/Ex-ähnliche Gestaltung in Deutschland gibt – zu dieser Auffassung gelangt einer der führenden Cum/Ex-Experten, Professor Spengel, Sachverständiger in einer Anhörung des Bundestages heute –, und ob die nach 2012 genutzten Modelle, wegen derer Mitte August 2020 unter anderem die Varengold Bank und die Privatbank Hauck & Aufhäuser durchsucht wurden, sogenannte Cum/Fake-Modelle sind oder es sich dabei um unbekannte Arten von steuergetriebenen Aktiengeschäften handelt. Zweitens möchte ich gerne wissen, warum Sie Herrn Olearius aufgefordert haben, ein Schreiben an das Finanzamt Hamburg, an den Finanzsenator, weiterzugeben, und nicht gesagt haben: Ich bin nicht die Post; schicken Sie das an das Finanzamt.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Zur letzten Frage. In aller Klarheit: Ich bin nicht die Post, und es ist auf den Dienstweg verwiesen worden. Das ist genau die Art und Weise, wie es laufen muss. Abgesehen davon habe ich ja den Vorgang selber der Medienberichterstattung entnommen und Ihnen bereits an anderer Stelle sorgfältig erklärt, dass das etwas ist, zu dem ich Ihnen hier keine konkreten Einzelheiten nennen kann. Aber auf den Dienstweg zu verweisen, das ist, glaube ich, immer eine richtige Vorgehensweise. Das Zweite – das will ich gerne noch ergänzend sagen –: Ich glaube, dass wir immer damit zu tun haben werden, alle aktuellen Fälle neu zu bewerten und zu schauen, ob es neue Wege gibt, zu versuchen, mit Steuervermeidungsstrategien und Steuergestaltung Steuern nicht zahlen zu müssen, bis hin zu illegalen Praktiken. Cum/Ex zum Beispiel war eine illegale Praktik – aus meiner Sicht und, ich glaube, aus der Sicht so ziemlich aller, die sich damit beschäftigen. Deshalb bleibt es unsere Aufgabe, das immer genau anzuschauen; das geschieht gegenwärtig. Überall, wo wir eine Gesetzeslücke entdecken, versuchen wir nachzuschärfen. Das ist mit mehreren Änderungen, zum Beispiel bei Jahressteuergesetzen, geschehen und wird auch weiter geschehen. Alle aktuell diskutierten Fälle werden bewertet, beobachtet, und wenn die Notwendigkeit entsteht, wird einem Verfahren, einer Praxis durch Gesetz ein Riegel vorgeschoben. Im Übrigen ist es so, dass wir eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen haben, die uns in die Lage versetzen sollen, besser gegen Steuergestaltung vorzugehen. Dazu zählt zum Beispiel ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Steuergestaltungen, das wir in Kraft gesetzt haben. Es hat jetzt Meldungen dazu in überschaubaren Größenordnungen gegeben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Bundesfinanzminister, ich bitte um Nachsicht; aber Sie sind schon weit über die Zeit.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank, dass Sie mich darauf hinweisen. – Also: Es gibt eine ganze Reihe von Regelungen, die wir getroffen haben, um zum Beispiel solchen Steuervermeidungsmodellen auf die Schliche zu kommen, und wir werden weitere entwickeln. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt die Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesfinanzminister, Sie haben heute Morgen im Finanzausschuss eingeräumt, dass Sie sich dreimal mit Olearius getroffen haben. Sie haben eingeräumt, dass Sie wahrscheinlich auch einen Brief in Empfang genommen haben. Sie haben eingeräumt, dass es sein kann, dass Sie ein Telefonat mit ihm geführt und ihn darauf hingewiesen haben, dass er diesen Brief an den Finanzsenator schicken soll. Drei Tage nachdem dieses Telefonat stattgefunden hat, hat das Land Hamburg auf die 47 Millionen Euro verzichtet, und im Jahr darauf gab es heftigen Widerstand des Landes Hamburg – übrigens war es das einzige Bundesland – gegenüber dem Bundesfinanzministerium, als es darum ging, das Geld einzutreiben. Auf der anderen Seite sagen Sie: Es hat keine politische Einflussnahme gegeben. – Kann es wirklich so viel Zufall geben?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Es hat keine politische Einflussnahme auf die Entscheidung des Finanzamtes Hamburg gegeben – von mir nicht und auch von anderen nicht; da bin ich mir sehr, sehr sicher. Deshalb ist das auch alles, was man dazu sagen kann. Alles andere sind Erwägungen, die man anstellen kann. Solche Erwägungen müssen aber irgendwann auch zu einem Ergebnis führen, und das Ergebnis ist: Diese Intervention hat es nicht gegeben. Dass sich politisch Verantwortliche mit Bürgern, mit Unternehmen treffen und sich ihre Anliegen anhören, gehört zum Alltagsgeschäft der demokratischen Politik. Dass man innerlich klar und gefestigt genug ist, sich davon nicht beeindrucken zu lassen, und das tut, was man richtig findet, das gehört allerdings auch zu dem von mir gewünschten Alltag der Politik. ({0}) Deshalb noch mal: Es hat keine Intervention politischer Art für die eine oder die andere Entscheidung gegeben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Frau Kollegin Paus?

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie in letzter Zeit in der Öffentlichkeit über Cum/Ex reden, dann erlebt man Sie ja ungewöhnlich emotional; Sie bezeichnen das als Schweinerei und als Sauerei. Gleichzeitig haben Sie uns heute Morgen aber im Finanzausschuss gesagt, Sie könnten sich an diese Treffen mit Herrn Olearius, wo es um den genannten Sachverhalt ging – Steuerraub der Warburg-Bank; Mindereinnahmen für das Land von 47 bzw. 43 Millionen Euro –, nicht erinnern, und Sie könnten sich auch nicht daran erinnern, dass er gesagt hat, die Warburg-Bank sei in ihrer Existenz bedroht. Können Sie mir noch mal erläutern, wie es zusammenpasst, dass Sie das auf der einen Seite richtig schlimm finden und sich auf der anderen Seite, wenn Ihnen so etwas vorgetragen wird, nicht daran erinnern können?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich finde, Cum/Ex-Geschäfte sind in der Tat eine Sache, die wir nicht hinnehmen können. Ich finde das, wie Sie es formulieren, richtig schlimm, und deshalb habe ich alle gesetzgeberischen Maßnahmen unterstützt und alle Aktivitäten auf den Weg gebracht, die notwendig sind, damit unsere Verwaltung in der Lage ist, besser dagegen vorzugehen. Sie wissen, dass in meiner Verantwortung all die Institutionen des Bundes, die dafür zuständig sind, nicht nur rechtlich, sondern auch personell und technisch besser ausgestattet worden sind, um das bewerkstelligen zu können, und dass wir gerade mehrere Gesetze gemacht haben, die uns zum Beispiel beim Kampf gegen Cum/Ex unterstützen, und das weiter tun. Das ist eine tiefe innere Überzeugung von mir. Um es noch mal zu sagen: Ein guter Bürgermeister, ein guter Minister ist jemand, der ganz viele Gespräche führt. In meinen sieben Jahren waren es – ich habe es nie gezählt – gefühlt Tausende. Es ist, glaube ich, sehr plausibel, dass man sich nicht an jedes einzelne dieser Gespräche erinnern kann. ({0}) Aber woran man sich erinnern kann, ist, welche Überzeugungen man hat. Ich zum Beispiel bin überzeugt, dass es bei Entscheidungen von Finanzämtern keine politische Intervention geben darf. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Bruno Hollnagel, AfD.

Dr. Bruno Hollnagel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004760, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident, vielen Dank für das Wort. – Herr Bundesminister Scholz, seit geraumer Zeit erleben wir heftige Demonstrationen in Bulgarien. Das Volk begehrt gegen eine langanhaltende, ausufernde Korruption auf. „Die Welt“ sagt dazu: „Ein nahezu geschlossenes System, das durch EU-Gelder gestützt wird.“ In Bulgarien sollen Oligarchen die Fäden in der Hand halten. Der bulgarische Ministerpräsident selbst hat betont, dass er 29 Milliarden Euro für sein Land für die nächsten Jahre gesichert habe. Nun meine Frage: Welche Vorkehrungen haben Sie und Ihr Ministerium getroffen, um eine mögliche Zweckentfremdung von EU-Geldern, die ja auch mit deutschen Steuergeldern zustande kommen, an möglicherweise korrupte Regierungen und Oligarchen zu verhindern?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Nicht nur ich habe Vorsorge getroffen, sondern auch schon viele vor mir, die Verantwortung in Deutschland und in Europa getragen haben. Sie haben dazu eine europäische Institution mit dem Kürzel OLAF eingerichtet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Hollnagel?

Dr. Bruno Hollnagel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004760, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Auf der offiziellen Seite der EU-Kommission ist zu lesen, dass die EU-Kommission der Auffassung ist, dass die Kooperations- und Kontrollverfahren für Bulgarien entfallen sollen. Wie ist Ihre Position dazu? ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Aus meiner Sicht ist es so, dass wir überall die notwendigen Kontrollen auf den Weg bringen, die man braucht. Deshalb haben wir zum Beispiel bei dem European Recovery Program dafür gesorgt, dass es ein ganz besonderes, sehr spezielles Verfahren gibt, mit dem wir sicherstellen, dass das Geld nicht einfach zur Budgetfinanzierung oder für irgendwelche selbstgewählten Zwecke genutzt werden kann, sondern dass das tatsächlich etwas mit Recovery und Wiederaufbau der Infrastruktur und der Wirtschaftsentwicklung zu tun hat und dass es den Bürgerinnen und Bürgern aller Länder zugutekommt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Thomas Heilmann, CDU/CSU.

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, ich frage nach der Lage der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg. Wie beurteilen Sie die finanzielle Lage dieses Unternehmens, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es offensichtlich noch keinerlei Abschreibungen auf die deutlich überhöhten Baukosten dieses Flughafens gibt, der ja letztlich zweimal gebaut worden ist, dass es schon vor Corona einen Businessplan gab, der offensichtlich unrealistische Annahmen enthielt, und dass sich die Anzeichen vermehren, dass Verträge, die abgeschlossen worden sind, in Bilanzen nicht berücksichtigt wurden? Zusammengefasst: Sehen Sie die Lage des Flughafens Berlin Brandenburg, einer wichtigen Bundesbeteiligung, als überschuldet an und, wenn nicht, warum nicht?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Zunächst mal ist es so, dass alles, was wir an Daten zur Verfügung haben, was uns jeweils vorgelegt wird und was wir beurteilen können, dafür spricht, dass es nicht der Fall ist. So hat sich ja auch der Geschäftsführer des Unternehmens geäußert; das ist kein besonderes Geheimnis. Er hat das ausführlich und in allen Details sogar in der Presse und den Medien wiedergegeben, sodass ich hier auch auf solche öffentlich zugänglichen Informationen zurückgreifen kann. Wir sind bereit, mit den anderen Gesellschaftern zusammen die notwendige Liquiditätsversorgung sicherzustellen, damit auch diese komplizierte Situation gemeistert wird. Dass die Lage angesichts der langen Bauzeit und der hohen Kosten angespannt ist, ist allerdings auch kein Geheimnis und auch nicht neu. Nur: Eine angespannte Lage ist noch nicht das, was Sie in Ihrer Frage als möglich unterstellt haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Wenn Sie mir das anzeigen, kann ich Ihnen das Wort erteilen.

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigung. Dann mache ich das.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, gerne.

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch wenn Sie offensichtlich die Lage des Flughafens als nicht überschuldet ansehen, sondern nur als finanziell angespannt: Mit welchen Kosten für den Bund in den nächsten zwei Jahren, wofür Sie Mittel zuschießen müssen, rechnen Sie denn? Können Sie sich vorstellen, dass eine Insolvenz eine Lösung ist? Oder ist das, was Herr Gatzer angedeutet hat – eine Teilprivatisierung oder gar vollständige Privatisierung –, eine Lösung? ({0}) Und wenn das die Gesellschafter zahlen sollen: Auf welche Kosten etwa muss man sich im Bund denn nach Ihrer Einschätzung einstellen?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Es ist sehr schön, dass Sie in Ihren Fragen immer die Worst-Case-Szenarien beschreiben, die gar nicht die realistischen Pfade sind. Realistisch beschränken wir uns auf das, was plausibel ist, nämlich dass der Flughafen jetzt seinen Betrieb aufnimmt, dass er Erträge erzielen wird und dass die Sache trotz der angespannten Lage gut ausgehen wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Christian Dürr, FDP.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegen! Herr Bundesminister Scholz, Sie haben am Anfang Ihrer Ausführungen über die Würde des Parlaments gesprochen und über das, was ein Parlament in einer Demokratie braucht. Ein Parlament braucht auch eine Bundesregierung und insbesondere einen Ressortminister, der sich nicht hinter Erinnerungslücken versteckt. Die damalige Auffassung bei Cum/Ex war, dass der Bund und 15 Länder der Auffassung waren, dass solche Gelder zurückgefordert werden müssen. Es gab eine einzige Institution in Deutschland, die anderer Auffassung war, und das war der hamburgische Senat unter Ihrer Führung, Herr Minister Scholz, der gesagt hat: Nein, diese 47 Millionen Euro wollen wir nicht zurückhaben. – Es gab mehrere Termine zu diesem Thema in Ihrem Büro mit Herrn Olearius, wie Sie jetzt einräumen mussten – im Jahr 2016 zwei weitere –, wo es um 47 Millionen Euro ging, Herr Minister Scholz. ({0}) Diese Erinnerungslücken sind für einen Kanzlerkandidaten ({1}) bemerkenswert; das will ich vorab sagen. ({2}) Ich will Sie eins fragen, Herr Minister Scholz – Sie waren damals auch Vorsitzender der hamburgischen SPD –: Wie erklären Sie sich die umfangreichen Spenden der Warburg-Gruppe im Jahr 2017 an die SPD Hamburg, insbesondere eine Wahlkampfspende an einen damaligen Bundestagskandidaten aus Hamburg, der diese Termine bei Ihnen für Herrn Olearius vermittelt hat? ({3}) Wie erklären Sie sich diese Spenden aus dem Jahr 2017 unter Ihrer Führung als SPD-Vorsitzender in Hamburg?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage; denn es gibt mir die Gelegenheit, noch mal auf eine, wie ich finde, sehr vorbildliche und wahrscheinlich auch nachahmenswerte Praxis der Hamburger SPD zu verweisen. Als ich Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg wurde, habe ich sichergestellt, dass niemand, der in Hamburg eine Regierungsverantwortung hat – als Bezirksamtsleiter, als Staatsrat, als Senator oder als Bürgermeister –, ({0}) in Entscheidungen über Spenden eingebunden ist oder von ihnen Kenntnis erlangt. Diese strikte Trennung ist die Grundlage dafür, dass man sicher sein kann, dass es keine Beeinflussung von Politik gibt, was ich sehr wichtig finde. Sie hat aber zur Konsequenz, dass ich Ihnen zu dieser Sache keine inhaltlichen Auskünfte geben kann, weil ja das System damit verbunden ist, dass ich dazu nichts weiß. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sie möchten eine Nachfrage stellen?

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Herr Präsident, ich würde gerne eine Nachfrage stellen. – Herr Scholz, ich verweise noch einmal auf das, was Frau Paus, Herr Toncar, Herr De Masi gesagt haben, nämlich dass die damalige Rechtsauffassung klar war. Der Bund und 15 Bundesländer haben gesagt: Man muss zurückfordern. – Ihr Senat hat das Gegenteil gesagt, nämlich dass man das Geld bei der Warburg-Bank belassen muss. Herr Scholz, was ist Ihre Auffassung heute? War dieser Steuererlass in Höhe von 47 Millionen Euro Steuergeld richtig, oder war der falsch? ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Um es kurz noch mal klarzustellen: Der Senat hat in dieser Frage gar keine Haltung eingenommen, weil das eine Entscheidung des Finanzamtes ist, die dort getroffen worden ist. Auch wenn Sie das als Frage insinuieren, wird daraus kein Sachverhalt. Deshalb will ich das ausdrücklich noch mal unterstreichen. ({0}) Das Zweite, was ich Ihnen gerne sagen will, ist: Das Bundesministerium der Finanzen hat die Rückforderung verlangt. Und wie ich bereits eingangs gesagt habe: Ich halte dies für eine richtige Entscheidung. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt die Kollegin Sonja Steffen, SPD.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. – Herr Minister, ich möchte wieder auf die Sachebene zurückkommen und eine Frage zum Konjunkturpaket stellen. Das in Ihrem Ministerium maßgeblich entwickelte Konjunkturprogramm ist beispiellos. Die aktuellen Wirtschafts- und Beschäftigungszahlen stimmen uns alle optimistisch, dass Deutschland, sofern sich die Infektionsrate nicht noch wesentlich erhöht, vergleichsweise gut durch die Krise kommen wird. Vor diesem Hintergrund meine Frage an Sie: Wie schätzt Ihr Haus die weitere ökonomische Entwicklung ein? Und was ist aus Ihrer Sicht sinnvoll und nötig, um die staatliche Handlungsfähigkeit weiter zu stärken?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Ich glaube, dass wir gemeinsam vorsichtig optimistisch sein können. Die Daten, die wir aus der Wirtschaft bekommen, zeigen, dass wir überall bessere Entwicklungen haben, als sie vor einigen Wochen und Monaten absehbar waren. Tatsächlich sind wir aber natürlich noch nicht da angelangt, wo wir sein wollen. Die Prognosen, die wir heute haben, besagen, dass wir möglicherweise erst Anfang 2022 an das Vorkrisenniveau anknüpfen können. Deshalb ist klar, dass wir mit Maßnahmen zur Konjunkturstabilisierung in diesem und im nächsten Jahr noch sehr gefordert sein werden. Das wird auch für die Haushaltgesetzgebung eine große Rolle spielen. Es geht darum, Millionen von Arbeitsplätzen zu erhalten und dafür zu sorgen, dass Unternehmen durch diese Krise kommen und, wenn diese Situation vorbei ist, wieder an ihre bessere Zeit anknüpfen und dafür sorgen können, dass wirtschaftliches Wachstum in Deutschland wieder in dem Ausmaß Realität wird, wie wir das gerne hätten. Also: Eine gute Entwicklung, angestoßen durch das Stabilisierungsprogramm und das Konjunkturprogramm. Wenn wir diesen Pfad weitergehen, darf man annehmen, dass wir es schaffen werden, durch diese Situation zu kommen und eine gute ökonomische Entwicklung zu haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Ulla Jelpke, Die Linke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, heute Nacht ist auf Lesbos das größte Lager der EU abgebrannt. Dieses Lager ist für 2 800 Menschen ausgelegt. Tatsächlich lebten bis gestern 13 000 Flüchtlinge in diesem Lager – wenn man überhaupt von „leben“ sprechen kann. Das ist meines Erachtens die Folge der menschenverachtenden Flüchtlingspolitik der letzten Monate und Jahre. Ich möchte Sie fragen: Hat sich das Bundeskabinett heute Morgen damit beschäftigt, einen EU-Rettungsplan auszurufen bzw. sich an einer sofortigen Evakuierung der Flüchtlinge dort zu beteiligen? Vor dem Reichstagsgebäude stehen gerade leere Stühle unter dem Motto „Wir haben Platz“. Ich möchte ganz gerne wissen, was Ihrer persönlichen Meinung nach jetzt sofort getan werden muss, um die Flüchtlinge, die unversorgt auf der Insel leben müssen, schnellstens nach Europa und auch nach Deutschland zu holen?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Zunächst einmal: Ich bin nicht der Meinung, dass wir in Deutschland keine humanitäre Strategie der Flüchtlingspolitik entwickelt haben. Ich glaube, insgesamt wird auch international anerkannt, dass das, was Deutschland 2015 und danach gemacht hat, die Bewältigung einer großen Herausforderung gewesen ist, die auf uns zugekommen war. Es hat sehr dazu beigetragen, dass wir erstens moralisch etwas getan haben, was richtig und humanitär geboten war, aber was zweitens für ganz Europa von größter Bedeutung gewesen ist. Ich glaube, das sollten wir auch als große Leistung anerkennen. Darüber hinaus glaube ich, dass wir, gerade weil das so ist, nicht weggucken können, wenn wir die Bilder aus Moria sehen, die Bilder von den Bränden, von der wirklich dramatischen Situation der Flüchtlinge, die ja dort schon vorher, wie Sie richtig beschrieben haben, unter schwierigen und unmenschlichen Bedingungen untergebracht waren. Deshalb ist es notwendig, dass wir ihnen jetzt helfen. Das muss in der Tat gemeinsam auf europäischer Ebene geschehen, und in der Tat hat sich die Bundesregierung heute mit der Frage beschäftigt: Wie können wir bewirken, dass die Europäische Union, dass wir im Verbund mit anderen Ländern vor Ort helfen, um die Situation zu verbessern, dass wir auch humanitär all das Notwendige tun, was damit verbunden ist? Selbstverständlich gehört dazu auch die Frage, wie man gemeinsam Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen kann; denn auch mir erscheint es offensichtlich, dass nicht alle Probleme vor Ort gelöst werden können. Deshalb sind alle Länder, aber eben auch Deutschland, gefordert, hier einen Beitrag zu leisten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage?

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Hier draußen stehen 13 000 Stühle unter dem Motto „Wir haben Platz“. Ich meine, die Bundesregierung bzw. Deutschland hat sich bisher nicht mit Ruhm bekleckert. ({0}) Es sind gerade mal gut 400 geflüchtete Kinder und unbegleitete Minderjährige aus Griechenland geholt worden, obwohl man seit Jahren weiß, dass Griechenland völlig überfordert ist und dass die Situation in Lesbos inzwischen gekippt ist und dass Rechtsextremisten dort regelmäßig Flüchtlinge bedrohen und Ähnliches mehr. Was wollen Sie tatsächlich sofort tun, um den Menschen dort jetzt zu helfen?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich habe ja bereits gesagt, was wir sofort tun wollen, zusammen mit den europäischen Partnern, aber auch hierzulande. Und ich habe gesagt, dass das keine Sache ist, die nur andere angeht, sondern dass wir auch selbst gefordert sind; das will ich ausdrücklich noch einmal unterstreichen. Das habe ich sehr bewusst so formuliert. In diesem Sinne sind wir auch tätig geworden. Ich teile also Ihre Einschätzung nicht, dass es keine Anstrengung wert gewesen ist, sich dafür einzusetzen, dass minderjährige Kinder und unbegleitete Minderjährige hier aufgenommen worden sind. Das ist, glaube ich, schon eine gute humanitäre Geste gewesen. Aber angesichts der konkreten Situation müssen wir auch konkret zu Entscheidungen kommen. Deshalb kann ich Ihnen erstens versichern – noch mal –, dass sich die Bundesregierung mit dieser Angelegenheit befasst hat und die zuständigen Ministerinnen und Minister jetzt auch in Europa unterwegs sind, um darauf hinzuwirken, dass wir schnell und angemessen reagieren können, und dass das selbstverständlich nicht ohne Konsequenzen für uns selber und unsere eigene Bereitschaft, mitzuhelfen, bleiben kann. Das möchte ich noch mal unterstreichen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Danyal Bayaz, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Dr. Danyal Bayaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Scholz, der Skandal um Wirecard war ein Skandal mit lauter und langer Ansage. Sie haben uns in der Sondersitzung im Sommer gesagt, dass Sie sich über diesen Fall immer haben informieren lassen. Andererseits haben wir auch erfahren, dass sich beispielsweise Ihr Staatssekretär mit dem mittlerweile in Untersuchungshaft befindlichen Markus Braun, dem ehemaligen CEO von Wirecard, getroffen hat. Sie wussten weder vor noch unmittelbar danach von diesem Treffen Bescheid. Ich sehe darin eine gewisse Widersprüchlichkeit. Deswegen ist – angesichts der vielen Vorwürfe und angesichts der Grauzone von reguliertem und nichtreguliertem Bereich – meine Frage an Sie: Haben Sie als zuständiger Minister, der sich ja immer hat informieren lassen, niemals ein Unbehagen verspürt und ein Verlangen, zu sagen: „Ich möchte jetzt meine ganze politische Macht einsetzen, jeden Stein umzudrehen“? Denn informieren lassen ist ja das eine; politisch aktiv werden ist das andere. Diese Frage hätte ich gerne, wie übrigens auch sehr viele Menschen da draußen, die sehr viel Geld verloren haben, beantwortet. ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Ich bin der Überzeugung, dass ein System wie die Wirtschaftsprüfung in der Lage sein muss, aufzudecken, welche Probleme bei einzelnen Unternehmen auftreten. Das ist nicht nur eine deutsche Lösung, sondern das ist überall in der Welt so. Die großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die internationale Konzerne prüfen, sind ja nicht zufällig international tätig. Vielmehr sind sie international tätig, weil dieses System dasjenige ist, das zunächst mal als Allererstes dazu geeignet sein muss, solche Fälle des Bilanzbetrugs, wie sie uns hier begegnen, aufzudecken. Wenn man viele Jahre in diesem Bereich tätig ist, sehr viel Geld und sehr viele Mitarbeiter zur Verfügung hat, ist es schwer begreifbar, warum es den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicht gelungen ist, das aufzudecken. Deshalb müssen wir Wege finden, wie wir diese Arbeit intensivieren. Sie wissen, dass zu den Vorschlägen, die ich zusammen mit anderen dazu verfolge, auch die Idee gehört, dass wir eine größere Rotation bei den Wirtschaftsprüfern erreichen, dass zu diesen Vorschlägen auch gehört, dass wir sicherstellen, dass eine klare Trennung von Prüfung und Beratung existiert, sodass es nicht zu schwierigen Situationen kommt, in der das eine das andere beeinflusst. Selbstverständlich gehört auch dazu, dass wir die verschiedenen Aufsichtsmechanismen und Regelungen, die wir in Deutschland haben, entsprechend verbessern und ausbauen. Wir haben bisher – bis die aktuellen Zahlen der letzten Prüfung aus diesem Jahr vorlagen – ein von fast niemandem kritisiertes, sondern sogar von vielen gelobtes System der Prüfung gehabt, das dazu führte, dass, wenn Zweifel auftreten, eine weitere Prüfung durch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung stattfinden kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Bundesfinanzminister.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank. – Diese Erkenntnisse, über die wir heute reden, sind im Januar und Februar des letzten Jahres aufgetreten. Und deshalb ist noch im Februar 2019 die genau dafür vorgesehene Stelle, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, damit beauftragt worden. Das gehört auch zu meinem Wissen und ist auch der Hinweis darauf, dass das gesetzlich Vorgesehene auf den Weg gebracht worden ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Eine Nachfrage? – Herr Kollege Bayaz.

Dr. Danyal Bayaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir merken, die Befragung der Bundesregierung ist vielleicht nicht das beste Gremium, um die Details zu klären; deswegen gibt es ja ein anderes Gremium, den Untersuchungsausschuss; da werden wir die Details klären. Aber es geht ja nicht nur um den Schaden des Finanzplatzes Deutschland; es geht auch um die Pressefreiheit. Dieser Skandal wäre nicht aufgeklärt worden, wenn nicht mutige Journalistinnen und Journalisten immer wieder den Finger in die Wunde gelegt hätten. Zum Dank wurden sie von dem Unternehmen Wirecard beschattet, und sie wurden von der BaFin – einer Behörde, für die Sie ja zuständig sind – auch mit Ihrem Wissen angezeigt. Letzte Woche hat die Staatsanwaltschaft in München diese Ermittlungen eingestellt. Meine Frage an Sie, Herr Minister: Haben Sie sich mittlerweile eigentlich bei Dan McCrum und seiner Kollegin dafür entschuldigt, und, wenn nicht, wäre es dafür jetzt nicht höchste Zeit? Vielleicht ist jetzt die Gelegenheit. ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für diese Frage. – Ich habe keine Anzeige erstattet, wenn ich das einmal sagen darf. Nur, um konkret zu werden: Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass die Pressefreiheit ein hohes Gut ist, und ich bin sehr froh darüber, dass wir sie haben; denn ohne Pressefreiheit wäre sehr viel Gemauschel möglich, würden viele Dinge nicht aufgeklärt, die wir heute wissen. Deshalb bin ich dankbar dafür. Ich bin auch dankbar für die Arbeit dieser beiden Journalisten. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Stefan Keuter, AfD.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Bundesminister, lassen Sie uns einmal über die Staatsbeteiligung in der Coronakrise reden. Ich habe mich in einer Anfrage an Ihr Ministerium gewandt und habe nachgefragt: An welchen Unternehmen haben Sie sich beteiligt, wie viele Milliarden Euro deutsches Steuergeld haben Sie dafür aufgewandt, und an wie vielen Unternehmen haben Sie sich beteiligt? Daraufhin habe ich erst mal keine Antwort bekommen. Es hieß, das könne die Verhandlungen mit den Unternehmen negativ beeinflussen. Deshalb frage ich Sie jetzt, einige Monate später: Was sind die Ergebnisse? An welchen Unternehmen haben Sie sich beteiligt? Wie wird die Öffentlichkeit durch Sie informiert, was mit dem hart verdienten, erarbeiteten deutschen Steuergeld passiert ist?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für diese Frage. – Ich glaube, dass wir mit den Entscheidungen, die wir zur Bekämpfung der Coronapandemie und ihrer ökonomischen Folgen getroffen haben, das Richtige getan haben, indem wir sagen: Es gibt nicht nur Kreditprogramme, sondern auch Programme, die mit Eigenkapitalunterlegung in Unternehmen arbeiten. Denn andernfalls würden viele Unternehmen in dieser Krise wirtschaftlich in große Schwierigkeiten geraten und überschuldet sein. Wenn man sich mit Eigenkapital beteiligt, dann muss man natürlich im Einzelfall immer sicherstellen, dass man das, was man dort tut, auch ordentlich bewacht und dass man nicht nur für Verluste, sondern auch für mögliche Gewinne mitverantwortlich bleibt. Wir haben das in einigen auch öffentlich bekannten Fällen sehr intensiv diskutiert. Sie kennen das Thema Lufthansa, das so breit diskutiert worden ist, dass es auch da kein Geheimnis mehr mitzuteilen gibt. Ansonsten ist es so, dass wir über die einzelnen Beteiligungen und die Aktivitäten, die zum Beispiel der WSF oder die KfW vornehmen, jeweils in dem Rahmen Bericht erstatten, der erforderlich ist. Da im Einzelfall Vertraulichkeitsvorschriften berührt sind, würde ich schon vorschlagen, dass Sie das auf schriftlichem Wege erfragen. Sie bekommen dann die entsprechenden Antworten, soweit sie gegeben werden können. Aber hier ist vollständige Transparenz sicher. Sie können davon ausgehen, dass es nichts geben wird, was wir nicht gemeinsam als Wissen teilen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Keuter?

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, sehr gerne. – Herr Bundesminister, ich trage diese Frage extra in dieses Plenum, damit wir auch Zuschauer bedienen können, die die Sitzung jetzt an den Fernsehgeräten verfolgen; denn genau diese schriftliche Anfrage ist nicht beantwortet worden. Deshalb die Frage: Wie kommen wir, wie komme ich als gewählter Volksvertreter an diese Informationen heran? Und dann eine Antwort, die Sie diesem Plenum vielleicht geben können: Wie viele Milliarden sind bisher als Eigenkapitalhilfen an Unternehmen – Stichwort „Bestrebungen des Staates, sich an der Wirtschaft zu beteiligen“ – geflossen? Das sollte ja kein Geheimnis sein.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Das kann man auch beantworten. Es ist nicht so, dass ich Ihnen das jetzt aus dem Kopf sagen kann, weil sich das jeden Tag und jede Woche ändert. Aber das sind alles keine geheimen Informationen. Wir haben entsprechende Kontrollstrukturen in den entsprechenden Gesetzen vorgesehen. Deshalb werden die Informationen in diesem Rahmen auch alle dargelegt werden, und Sie können sicher sein, dass es Berichte geben wird und dass man über alles – alles! – Bescheid wissen wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU.

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Bundesminister! Kommen wir in die Niederungen des deutschen Steuerrechts, in die stille Erotik des deutschen Steuerrechts. Wir haben im Jahressteuergesetz eine Neufassung von § 8 Absatz 1 Satz 3, also die sogenannten Sachbezüge für Arbeitnehmer betreffend, beschlossen. Da geht es ja darum, dass man 44 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei an Arbeitnehmer geben kann, wenn es zusätzlich zum Arbeitslohn geschuldet ist und sich um keine Geldleistung, sondern eine Sachleistung handelt. Wir haben damit der Tatsache Rechnung getragen, dass es neuartige Produkte gibt, eben Gutscheinkarten, und haben in den Bericht des Finanzausschusses als CDU, CSU und SPD extra eingebracht, dass man eben auch diese Karten, die keine Geldauszahlungsfunktion haben, zulässt. Jetzt gibt es einen Entwurf eines BMF-Schreibens, das in der Abstimmung ist und genau diesem gesetzgeberischen Willen widerspricht, indem diese Karten wieder ausgenommen werden. Ich gehe davon aus, dass das ein Missverständnis ist, und will Sie fragen: Sie sind mit Sicherheit auch der Meinung, dass die 6,5 Millionen Nutzer dieser Karten und die 325 000 Unternehmer, die dieses Modell einsetzen, auch zukünftig Rechtssicherheit haben sollen?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

BMF-Schreiben entsprechen immer der Gesetzeslage, vor allem wenn sie fertig sind.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Brehm, Nachfrage?

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne. – Ich empfehle den Fachleuten trotzdem, noch mal im Bericht des Finanzausschusses nachzulesen, weil nämlich genau dort darauf hingewiesen wird, was der gesetzgeberische Wille ist. Wenn man diesen mit dem BMF-Schreiben vergleicht, dann zeigt sich eben, dass nicht der gesetzgeberische Wille umgesetzt wird. Ich gehe also davon aus, dass man da noch mal nachbessert. Es ist ein Entwurf, der noch nicht veröffentlicht ist. Da bitte ich Sie herzlich, sich noch einmal den Bericht des Finanzausschusses zu Gemüte zu führen.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für diesen zusätzlichen Hinweis, aber ich will noch einmal sagen: Nichtveröffentlichte Entwürfe sind keine fertigen BMF-Schreiben. Und ich wiederhole – das ist sehr zugewandt gemeint –, damit es kein Missverständnis gibt, die Aussage: BMF-Schreiben folgen immer dem Gesetz und auch dem Willen des Gesetzgebers.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Florian Toncar, FDP.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Herr Minister Scholz, ich möchte auch noch mal auf das Thema Wirecard zu sprechen kommen, einen Skandal in beispiellosem Umfang und mit erheblicher krimineller Energie. Aber wenn man ehrlich Zwischenbilanz zieht, muss man feststellen: Es wurde den Kriminellen auch nicht besonders schwer gemacht; denn es haben alle Sicherungsnetze nicht gegriffen. Der Aufsichtsrat hat das nicht entdeckt. Der Abschlussprüfer hat das nicht entdeckt. Die Ihnen unterstehende Finanzaufsicht BaFin hat das nicht entdeckt. Auch die Staatsanwaltschaft München hat offensichtlich nicht ausreichend ermittelt und auch nichts entdeckt. Mein Eindruck ist, dass die Bürger neben dem Verbrechen als solchem, was immer von Verbrechern begangen wird, inzwischen aber nicht weniger stört, dass jede Institution, die für Kontrolle zuständig war, vor allem weiß, wofür sie nicht zuständig war und was sie nicht konnte. Ich frage Sie: Was wäre so schwer gewesen – auch für Sie als für die Finanzaufsicht zuständigen Minister –, nach Bekanntwerden dieses Skandals klar zu sagen: „Auch in meinem Geschäftsbereich, bei der Finanzaufsicht, gab es Fehleinschätzungen, gab es Fehler; dafür bin ich politisch verantwortlich“? Wäre das, nämlich dass Sie diese Verantwortung erkennen und die Fehler benennen, nicht die Voraussetzung dafür, dass Sie diese Fehler nachher auch abstellen können? ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Ich glaube, dass etwas sehr Ungewöhnliches geschehen ist, nachdem wir in diesem Jahr erfahren haben, welche Bilanzmanipulationen dort vorgenommen worden sind, nämlich dass mit unglaublicher Akribie und sehr viel Arbeit in den zuständigen Behörden – auch in den verschiedenen Behörden, die hier in Bezug auf das Finanzministerium relevant sind – dafür gesorgt worden ist, dass maximale Aufklärung zustande kommt. Es sind viele Details bekannt, die sonst oft erst in ein-, zweijähriger Arbeit von Ausschüssen ermittelt werden. Das liegt, wenn der Ausschuss demnächst seine Arbeit beginnt, dann schon vor. Auch das ist ein Beitrag, um dafür zu sorgen, dass wir institutionelle Vorkehrungen treffen, um so gut wie möglich aufgestellt zu sein. Noch mal will ich wiederholen, was ich vorhin gesagt habe und was, glaube ich, ein bisschen aus dem Fokus der Betrachtung geraten ist: Das Problem ist neben den vielen Straftaten, die hier offenbar begangen worden sind, dass diejenigen, die zuallererst und in großem Umfang und mit großem Personalaufwand und mit sehr viel Einkommen, das sie in Form von Gebühren dafür beziehen, nicht in der Lage waren, diese Zahlen zu sehen. Die sind über zehn Jahre lang dabei gewesen, die Bilanzen zu prüfen, und haben nichts erkannt, obwohl sie immer, soweit wir das sehen können, einbezogen haben, was es an öffentlicher Berichterstattung gab. Deshalb müssen wir heute erkennen, dass die Instrumente, die eingesetzt worden sind, als im Februar klar war, dass man der Presseberichte wegen eine Sonderprüfung einsetzen muss – diese ist auch auf den Weg gebracht worden –, nicht ausreichen. Wir müssen also stärkere Instrumente haben, und für die setze ich mich ein. Meine Hoffnung ist – um das als Letztes noch zu sagen –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Bundesfinanzminister.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

– ja –, dass wir jetzt nicht in eine Situation geraten, in der alles versickert, lange diskutiert wird und der Reformelan aufhört.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Also, an sich ist die Obergrenze für die Antwort eine Minute. Danach leuchtet es Rot. Ich weiß zwar, dass manche Rot sehr lieben, aber man sollte es nicht zu exzessiv machen.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Mein großes Problem, Herr Präsident, ist, dass ich immer diejenigen freundlich angucke, die mich befragen, und deshalb das hübsche Bild nicht so richtig sehe.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die Uhr ist aber dafür da, dass die Zeiten eingehalten werden. Herr Kollege Toncar stellt eine Nachfrage.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, jetzt haben Sie wieder ganz viel über die Verantwortung anderer wie die der Prüfer gesprochen – leider. Weil Sie in Ihrer Antwort auch die Zukunft in den Blick genommen haben, will ich Sie noch zwei Dinge fragen. Wir werden über Ihren Aktionsplan sprechen. Ich finde auch nicht, dass alles daran falsch ist. Aber es ist vielleicht auch nicht alles so vollständig, wie wir uns das vorstellen würden. ({0}) Wäre nicht eine zentrale Konsequenz, jetzt zu sagen: „Die Aufsicht, die wir haben und die wir auch brauchen, muss sich viel stärker auf die wirklich systemischen Risiken, auf die großen Risiken konzentrieren und besser als heute in der Lage sein, globale, auch komplexe internationale Sachverhalte abzuarbeiten“? Wäre nicht ein erster Schritt dafür auch, dass Sie – es mag Sie jetzt verwundern, dass ich Sie dazu auffordere – das, was im Koalitionsvertrag an dieser Stelle steht, auch umsetzen, nämlich die sogenannte Small Banking Box? Das heißt eine abgestufte, proportionale Regulierung: für kleine Banken weniger Auflagen, für mittelgroße Banken mittlere und für die großen Akteure, die globalen und komplexen Gebilde, die strengsten Auflagen. Wäre nicht die erste Konsequenz, die man ziehen müsste, dass Sie genau für diese Veränderung bei der BaFin eintreten, sodass sie sich stärker um die großen Risiken kümmern kann als bisher? ({1})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Zunächst schönen Dank für Ihre Frage und auch für die Kurve, die Sie da gezogen haben hin zu einem Thema, das uns gemeinsam interessiert. Erstens. Ich glaube, ja, es muss jetzt die Konsequenz gezogen werden. Die Aufsicht muss mehr Möglichkeiten bekommen. Sie muss auch – das ist ja nicht ohne Risiko – Sonderprüfungen veranlassen können – mit großem Personalaufwand und auch forensisch, das heißt auch gegen den Willen der Geprüften, also dass sie sich auch Unterlagen beschaffen kann gegen den Willen der Geprüften, damit das besser wird. Das heißt: Wir gehen damit auch das Risiko ein, dass ein Unternehmen sich hinterher beklagt, durch diese Prüfung sei der Ruf geschädigt. Ansonsten bin ich der Überzeugung, dass wir genau das, was Sie gerade fordern, mit der europäischen Regulierung Stück für Stück umsetzen. Jeden Tag setzen wir uns dafür ein, Proportionalität bei der Regulierung zwischen großen und kleinen Unternehmen und Banken zustande zu bringen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Christoph Hoffmann, FDP, hat eine Nachfrage.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben gerade zu Wirecard gesagt, dass vieles unbekannt gewesen sei, die Prüfer hätten alles bestätigt usw. Aber die „Financial Times“ hat doch schon vor einem Jahr genau darüber berichtet, was eigentlich los ist. Meine Frage an Sie ist: Gibt es niemanden in der BaFin, der eine solch bedeutende Finanzzeitung liest und diesen Dingen dann auch nachgeht, und haben Sie inzwischen ein Abo für die BaFin bestellt?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für Ihre Frage. – Das Abo ist nicht nötig. Sie hat schon eines, ich glaube, sogar sehr, sehr viele. Und aus der Berichterstattung vom Januar, Februar letzten Jahres, über die Sie geredet haben, ist ja die Konsequenz gezogen worden, dass im Februar die vorgesehene Maßnahme ergriffen wurde, nämlich die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung mit einer Sonderprüfung zu beauftragen, was auch gemacht worden ist. Als im Herbst des letzten Jahres weitere Informationen in ebendieser Zeitung und auch in anderen Veröffentlichungen zu lesen waren, sind noch einmal weitere Aufträge erteilt worden und Aufgaben benannt worden. Diese Sachen sind in die Prüfung eingesteuert worden. Es ist also exakt das, was Sie jetzt hier gewünscht haben, passiert: Erstens. Abo existiert. Zweitens. Konsequenzen aus der Zeitungslektüre sind erfolgt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Na gut, Herr Glaser, dann gebe ich Ihnen noch einmal das Wort zu einer Nachfrage zu dem Thema. Danach kommt der Kollege Petry.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herzlichen Dank, Herr Präsident, für die Freundlichkeit. – Wenn ich an diesem Punkt noch einmal nachfragen darf, verehrter Herr Minister. Die DPR kann das nicht, was sie hätte tun müssen, weil das nicht ihr Auftrag ist, weil sie keinen körperschaftlichen Status hat, weil sie eine ganz kleine Truppe ist, die einen Vertrag hat, in dem steht, was sie kann. Das, was nach diesem „FT“-Bericht indiziert war, nämlich eine forensische Prüfung in diesem Unternehmen mit internationaler Vernetzung und allem, was dazugehört, ist nie ihr Job gewesen. Insofern war die Entscheidung der BaFin immer falsch, der DPR – sie braucht acht Monate für eine Prüfung – einen Job zu geben, den sie definitionsgemäß nicht erledigen kann. Würden Sie das auch so sehen und vielleicht die Meinung teilen, dass die BaFin damals unmittelbar mit ihrem eigentlichen hoheitlichen Anspruch und ihren Möglichkeiten hätte einschreiten müssen? Bitte kommen Sie nicht mit der Nummer, sie hätte das nicht gedurft, weil sie erst die DPR hätte nehmen müssen. Es gibt so viele professorale Aussagen darüber, dass die BaFin sofort hätte handeln können, dass man darüber nicht anders denken kann. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat das, was ich gerade behauptet habe, ebenfalls bestätigt.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Letzteres ist unzutreffend. Das habe ich aber auch schon von anderen gehört. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat über Fälle berichtet, bei denen die Tatsache, dass die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung bereits tätig ist, nicht daran hindert, dass man auch eine eigene Prüfung macht, wenn die Voraussetzungen vorliegen, die für diese eigene intensive Prüfung vorliegen müssen. Die aber lagen hier nicht vor. Das, was wir heute wissen und was auch Sie wissen könnten, wenn Sie wollten, ist, dass auf die Berichte hin das im Gesetz vorgesehene Verfahren, nämlich die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung zu beauftragen, auf den Weg gebracht worden ist. Was wir heute auch wissen, ist, dass das, was Sie so nebenbei sagen, zutrifft. Das ist nämlich eigentlich vom Gesetzgeber nicht gut zu Ende gedacht. Wahrscheinlich hätte Ende letzten Jahres niemand diese Aussage gemacht, ich auch nicht. Aber mit dem Wissen von heute, das wir aus der Offenlegung der Bilanzen aus dem jetzigen Jahr haben, will ich ausdrücklich noch einmal unterstreichen, was ich eben gefordert habe, nämlich dass die BaFin sofort eine forensische Prüfung in dem von Ihnen gewünschten Umfang veranlassen können muss, auch anlasslos und mit allem Reputationsschaden, den das für ein Unternehmen hat. Ihr muss also erlaubt werden, das riskieren zu können. Diesen Weg schlage ich jetzt vor.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt stellt der Kollege Christian Petry, SPD, die nächste Frage.

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Vizekanzler, ich möchte zum Thema Europa eine Frage stellen. Zunächst einmal ist, der Pandemie geschuldet, sehr viel Bewegung in Europa, auch im positiven Sinne, zu verzeichnen. Sie haben es geschafft, dass in einem ersten Schritt als Rückversicherung 500 Milliarden Euro über den ESM zur Verfügung gestellt werden können, um Krisen abzuwenden. Dadurch haben zum Beispiel die Südstaaten ausreichend Bonität im Rücken gehabt, um selbst den Anleihemarkt noch bedienen zu können, um nicht unbedingt auf europäische Mittel zurückgreifen zu müssen. Das war schon eine große Tat, und der historische Schritt, der Scholz/Le-Maire-Plan, ein deutsch-französischer Plan, der jetzt zum Wiederaufbauprogramm geführt hat, führt zu echten Investitionen, zu gemeinsamen Anleihen, die, mit neuen Eigenmitteln versehen, auch eine seriöse Refinanzierung haben. Das ist also eine Chance, den sozialen Zusammenhalt in Europa zu stärken und ein solidarisches Europa fortzuentwickeln. Meine Frage geht dahin: Wie bewerten Sie diese Vorgänge jetzt, und wie geht es weiter? Wie können wir diesen positiven Schwung über die dramatischen Folgen der Coronakrise hinaus in Europa stabilisieren?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Schönen Dank für die Frage. – Ich glaube schon, dass es sehr bemerkenswert ist, dass die vielen Mittel, die wir zum Beispiel mit den ersten Maßnahmen in Höhe von über 500 Milliarden Euro auf den Weg gebracht hatten, wie Sie zu Recht beschreiben, schon allein dadurch, dass sie da waren und als Zeichen der Solidarität existiert haben, die Refinanzierung vieler Mitgliedstaaten sofort besser gemacht haben. Und das wird uns wahrscheinlich am Ende gar nicht so viele Mittel kosten, wie wir sichtbar gemacht haben, weil es von alleine gut funktioniert hat. Das wird ergänzt durch das jetzt notwendige Wiederaufbauprogramm mit 390 und 360 Milliarden Euro, zusammen 750 Milliarden Euro, wovon ein Teil, nämlich die ersten 50 Milliarden Euro, als direkte Zuwendungen gedacht sind. Wir werden dazu als Europäische Union das erste Mal in diesem Umfang Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen. Und das nächste Notwendige ist jetzt, dass wir die Frage der Rückzahlung regeln, indem wir über die Frage, wovon das bezahlt wird, entscheiden. Das sind die Own Resources, die jetzt notwendig sind. Aus meiner Sicht ist das der Moment der großen politischen Reformen, der in Europa lange nicht gelungen ist und der jetzt in diesem Zusammenhang und bei dieser Krise gelingen kann. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann stellt die nächste Frage der Kollege Stefan Liebich, Die Linke.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Scholz, ich habe eine Frage zum Cum/Ex-Komplex, die aber in die Zukunft gerichtet ist. Was haben eigentlich die Unternehmen zu befürchten, die in diese Machenschaften involviert waren? ({0}) Gibt es beispielsweise Überlegungen in Ihrem Haus, dass Unternehmen wie Freshfields oder andere künftig von Vergaben ausgeschlossen werden?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Also, zunächst einmal ist es so, dass wir auf viele Weise dafür Sorge tragen wollen, dass diejenigen, die daran verdient haben, das auch wieder herausgeben müssen. Wir haben ja nicht nur über Verjährungsregelungen gesprochen und entschieden und werden das noch weiter vertiefen – da haben wir die nächste Reform bereits vor –, sondern wir haben auch gleichzeitig die Situation, dass gewissermaßen diejenigen, die selbst möglicherweise oder nachweisbar nichts gemacht haben, aber profitiert haben, ({0}) das auch herausgeben müssen. Das ist jetzt auch mit der Entscheidung des Landgerichts Köln verbunden. Darüber hinaus müssen wir natürlich, insbesondere wenn wir genügend wissen, Konsequenzen ziehen für das, was wir dann tun, wenn wir mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten. Ich für mich habe jedenfalls in Bezug auf die von Ihnen genannte Anwaltskanzlei gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass da neue Aufträge erteilt werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sie haben eine Nachfrage? – Keine Nachfrage. Dann stellt die nächste Frage Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. – Herr Finanzminister, Sie persönlich wissen, wie wichtig mehr Steuertransparenz im Kampf gegen aggressive Steuervermeidung von internationalen Großunternehmen ist. Sie haben vor einem Jahr öffentlich verkündet, dass Sie für ein sogenanntes Country-by-Country Reporting sind. Es gibt ein fertiges Gesetz und einen fertigen Kompromissvorschlag. Diese liegen in Brüssel. Nach Medienberichten gebe es aktuell eine Mehrheit dafür, selbst wenn sich die deutsche Bundesregierung weiter enthält. Was hindert Sie daran, jetzt im Rahmen der Ratspräsidentschaft diesen Vorschlag auf die Tagesordnung zu setzen und zur Abstimmung zu bringen?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Zunächst einmal: Es ist richtig, dass ich mich für das Public Country-by-Country Reporting ausgesprochen habe. Wir haben schon ein sehr effizientes Country-by-Country Reporting, wo wir jetzt auch technisch im großen Umfang und personell aufrüsten, weil wir unglaublich viele Meldungen bekommen, die natürlich verarbeitet, gewichtet und bewertet werden müssen und bei konkreten Steuerprüffällen meistens in Form von Betriebsprüfungen durch die Länder und ab und zu mal durch den Bund eine Rolle spielen müssen, die uns aber natürlich auch Erkenntnisse vermitteln über Gestaltungsstrukturen, die wir zum Beispiel durch Gesetzgebung aufgreifen und verhindern können, sodass wir nicht um unsere Steuern gebracht werden. Für mich gehört übrigens die internationale Debatte über Minimum Taxation ebenfalls dazu, weil das ein Beitrag dazu sein kann, solche Modelle weniger attraktiv zu machen, wenn wir eh an das Geld kommen. Für Public Country-by-Country Reporting wäre, wenn das eine Entscheidung der Finanzminister wäre, Einstimmigkeit erforderlich. Deshalb ist die Kommission jetzt der Meinung, dass dies in einem anderen Rahmen entschieden werden soll. Und in der Tat ist es so, dass die Bundesregierung sich enthalten wird, weil wir darüber nicht einer Meinung sind. Es kann aber sein, dass demnächst irgendwann eine solche Entscheidung zustande kommt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. – Herr Minister, als Ratspräsidentschaft haben Sie sich den Regierungen in Europa auf die Rolle eines fairen und neutralen Vermittlers verpflichtet. Glauben Sie nicht, dass eine Weigerung, das Thema abstimmen zu lassen und damit klar Position gegen mehr Steuertransparenz in Europa von Großunternehmen zu beziehen, damit klar im Widerspruch steht? ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich glaube, dass es in absehbarer Zeit zu einer Situation kommen wird, in der sich diese Mehrheitsmeinung auch durchsetzt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste und voraussichtlich letzte Frage in dieser Regierungsbefragung stellt der Kollege Podolay, AfD.

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Vizekanzler, wie stehen Sie zu den Forderungen sowohl aus den eigenen Reihen, also von der SPD-Partei, als auch vom Koalitionspartner zum Stopp von Nord Stream 2? Wäre so eine höchst umstrittene Entscheidung überhaupt gerecht gegenüber den beteiligten 100 Unternehmen – davon 50 aus Deutschland – und den deutschen Verbrauchern?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Die Bundesregierung hat bisher eine klare Position zu diesem Pipelineprojekt eingenommen, nämlich dass es sich um ein privatwirtschaftliches Vorhaben handelt, für das zahlreiche Genehmigungen vorliegen, auf die Sie zu sprechen kommen. Das ist der Stand der Dinge.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Podolay?

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, ich habe eine Nachfrage. – Glauben Sie wirklich, dass Spekulationen und Überlegungen solcher Art, also Eskalation statt Entspannung, im Geiste von Willy Brandts Entspannungspolitik richtig sind?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ganz im Sinne von Willy Brandt und Helmut Schmidt glaube ich, dass wir so etwas wie eine neue Ostpolitik brauchen, die allerdings dann ganz klar eine Politik der Europäischen Union sein muss. Wir müssen als Europäische Union dafür Sorge tragen, dass wir es bei all den Unterschieden, die wir in den Gesellschaften haben – wir sind die Vertreter freier, offener Gesellschaften, liberaler Demokratien mit großen Möglichkeiten und freier Wahl bei der Lebensgestaltung –, hinbekommen, dass wir in einer friedlichen Welt leben. Deshalb bin ich unverändert der Überzeugung, dass gemeinsame Sicherheit ein politisches Projekt für die ganze Welt ist und dass zum Beispiel die OSZE eine Organisation ist, deren Bedeutung man gar nicht überschätzen kann, auch zur Lösung der Konflikte, die wir gegenwärtig haben. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Damit beende ich die Regierungsbefragung. Vielen Dank, Herr Bundesfinanzminister.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute erneut über Cum/Ex-Geschäfte – den größten Steuerraub der Geschichte. Dabei werden Aktien hin- und hergeschoben und Steuern erstattet, die nicht bezahlt wurden. Das war und das ist kriminell! ({0}) Gerade eben sagten uns Experten in einer Anhörung, diese Geschäfte liefen weiter und es wäre die Aufgabe eines Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland, diesem Treiben ein Ende zu setzen. ({1}) Der Finanzminister sagt zwar, Cum/Ex sei eine Schweinerei, aber in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister öffnete er dem Warburg-Bankier Olearius mehrfach sein Amtszimmer. Darüber täuschte er wiederholt den Deutschen Bundestag. ({2}) Gegen Herrn Olearius wird im Cum/Ex-Strafprozess ermittelt. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft. Herr Scholz führte aus, dass Herr Olearius ein Mann sei, der sich über die Jahrzehnte große Anerkennung in Hamburg erworben habe. Er hat Hamburg jedoch um mindestens 160 Millionen Euro Steuergelder betrogen. Wie viele Straftaten muss ich eigentlich begehen, bis ich einen Termin bei Olaf Scholz bekomme und er einen Blick auf meine Steuererklärung wirft, meine Damen und Herren? ({3}) Hamburg ließ 2016 Ansprüche gegenüber der Warburg-Bank in Höhe von 47 Millionen Euro als Beute aus kriminellen Cum/Ex-Geschäften verjähren. 2017 schritt dann das Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble ein und zwang Hamburg, eine erneute Verjährung von Ansprüchen in Höhe von 43 Millionen Euro zu unterbinden. Herr Scholz traf sich am 10. November 2017 mit Herrn Olearius – an dem Tag, als die Weisung des Finanzministeriums per Post in Hamburg eintraf. Der Hamburger Senat verschwieg dieses Treffen gegenüber meiner Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft. Herr Olearius jedoch schrieb Tagebuch, ({4}) sogar über die Teppichfarbe im Büro von Herrn Scholz. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte seine Tagebücher, und so flog alles auf. ({5}) Seit Kurzem wissen wir: Es gab weitere Treffen in 2016. ({6}) Wir befragten Herrn Scholz im März dieses Jahres im Finanzausschuss des Bundestages. Meine erste Frage war: Herr Scholz, haben Sie Herrn Olearius weitere Male getroffen? Er führte aus, es gebe nichts, was nicht bereits in der Presse gestanden habe, und das sei eben nur ein Treffen in 2017 gewesen. Herr Scholz hat die Unwahrheit gesagt. So einfach ist die Welt. ({7}) Warum hat Herr Scholz die weiteren Treffen nicht offengelegt? Warum schrieb Herr Olearius in sein Tagebuch, Herr Scholz habe gesagt, er erwarte sogar, dass sich Herr Olearius in dieser Angelegenheit an ihn wende? Und warum kassierte der frühere Kollege Johannes Kahrs – Mister House of Kahrs – Parteispenden für die SPD von der Warburg-Bank? ({8}) Das ist schmutziges Cum/Ex-Geld. Warum zahlt die SPD Hamburg das Geld nicht zurück? ({9}) Meine Fraktion ist der Auffassung: Parteispenden von Unternehmen gehören verboten! ({10}) Wenn in Hamburg nur das Finanzamt und nicht die Politik entschied, warum nahm Herr Scholz dann mitten im Steuerverfahren ein Schreiben der Warburg-Bank an das Finanzamt entgegen? Warum rief Herr Scholz Herrn Olearius sogar an und trug ihm auf, er solle dieses Schreiben ohne weiteren Kommentar an den damaligen Finanzsenator Tschentscher weiterreichen? Wenige Tage später entschied die Finanzverwaltung, die Ansprüche auf die Cum/Ex-Millionen verjähren zu lassen. Warum sagte Herr Scholz nicht: „Ich bin nicht der Postbote, wenden Sie sich bitte an das Finanzamt“? ({11}) Lieber Kollege Schrodi, unanständig ist es, ({12}) Warburg-Parteispenden anzunehmen von einer Bank, die die Hamburger Steuerzahler um 160 Millionen Euro erleichtert hat. Das ist unanständig, lieber Kollege! ({13}) Der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, also auch der Gewerkschaft der Finanzbeamten, sagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: Kluge Finanzminister und Regierungschefs mischen sich niemals in Fälle ein, die irgendwie mit … Steuerhinterziehung zu tun haben. … Selbst ein unverfängliches Treffen hinterlässt den Anschein, dass Politik Einfluss nehmen könnte und übt dadurch indirekt Druck auf Ermittlungsbeamte aus. Am 8. November 2017 wies das Finanzministerium Hamburg an – ein einmaliger Vorgang! –, die erneute Verjährung eines Anspruchs in Höhe von 43 Millionen Euro zu unterbinden. Zwei Tage später fand das Treffen von Herrn Scholz mit Herrn Olearius statt. Am 16. November 2017 gab es ein Krisentreffen zwischen Finanzministerium, den Ermittlern der Staatsanwaltschaft und der Finanzbehörde Hamburg. Am 1. Dezember 2017 wies das Finanzministerium Hamburg ein zweites Mal an. Auch dies wurde auf Anfrage von mir mehrfach bestritten, bis sich das Finanzministerium verplappert hat. Warum ist das relevant? Weil sich keine Finanzbeamtin und kein Finanzbeamter über mehrere Wochen einer Weisung des Finanzministeriums widersetzt, Ansprüche in Höhe von zig Millionen an Steuergeldern für ihre Stadt nicht verjähren zu lassen, ohne politische Rückendeckung zu haben. Das können Sie meiner Großmutter erzählen! ({14}) Sie müssen selbst wissen, ob Sie mit diesem Rucksack den Wahlkampf bestreiten wollen. Sie müssen selbst wissen, wem Sie in diesem Land zu dienen haben: den Steuerzahlern, den Menschen, die jetzt in der Coronakrise um ihre Existenz kämpfen, oder den Ganoven im Nadelstreifen. Wir wünschen uns andere politische Mehrheiten in diesem Land, aber wir werden Sie in dieser Angelegenheit nicht schonen. Vielen Dank. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Fabio De Masi. – Nächster Redner: für die Fraktion der CDU/CSU Fritz Güntzler. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Cum/Ex ist ein Thema, das jedenfalls mein politisches Leben schon etwas länger verfolgt. Heute ist ja ein ganz besonderer Tag: Im Ausschuss haben wir uns ausgiebig mit dem Thema beschäftigt. Wir haben eine Anhörung gehabt und jetzt folgt auch noch das Instrument der Aktuellen Stunde. Das ist ein wirklich wichtiges Thema, mit dem wir uns beschäftigen und das wir uns auch in allen Facetten ansehen. Wichtig ist – das hat der Kollege De Masi gesagt; fast möchte ich sagen, dass es das einzig Richtige an seiner Rede war –, dass das, was mit Cum/Ex gemacht worden ist, rechtswidrig war und ist. Das ist unstrittig; das war auch das Ergebnis des Untersuchungsausschusses, im Bericht auf 1 000 Seiten nachzulesen. Dort von einer Gesetzeslücke zu reden, wie es manche hochgeschätzte Professoren getan haben, ist aberwitzig und abwegig, wie das Finanzgericht Hessen festgestellt hat. Von daher ist es richtig, dass man diesem Problem auch weiterhin auf den Grund geht, und das tun wir. 51 Fälle sind derzeit durch das Bundeszentralamt für Steuern abgeschlossen worden. Da sind immerhin 1,1 Milliarden Euro Kapitalertragsteuer zurückgefordert bzw. gar nicht erstattet worden. Der Finanzminister hat heute in der Anhörung ausgeführt, es gebe noch weitere 500 Fälle in Bearbeitung. Von Steuerfahndern und Vertretern der Staatsanwaltschaften haben wir gehört, dass man dran ist. Ich möchte diesen Männern und Frauen mal ganz herzlich danken, weil die einen tollen Job machen. Es ist alles andere als einfach, Cum/Ex-Sachverhalte aufzudecken. Man stellt sich das immer so einfach vor. Aber vor dem Hintergrund der Dinge, die passiert sind, und der politischen Rolle, die Hamburg dabei spielt, ergeben sich natürlich Fragen. Ich frage mich schon – gar nicht bezogen auf eine Person oder dieser die Schuld zuweisend –, warum man 2016 Ansprüche hat verjähren lassen. Man muss sich erinnern: Anfang 2016 hat der Untersuchungsausschuss hier angefangen zu arbeiten. 2016 gab es das erste Urteil des Finanzgerichtes Hessen, es gab die ersten Durchsuchungen. Das Thema Cum/Ex war also in die Öffentlichkeit gekommen. Warum also hat man in diesem Zeitraum etwas verjähren lassen? Es ging ja gar nicht unbedingt darum, die Bank zu zwingen, etwas zurückzuzahlen; man hätte ja nur die Verjährungshemmung erreichen müssen. Das war ja auch das Ansinnen des Bundesfinanzministeriums unter der damaligen Führung von Wolfgang Schäuble. Warum die Freie und Hansestadt Hamburg und die Finanzbehörden dort nicht reagiert haben, ist für mich nach wie vor nicht erklärlich. Es macht, glaube ich, das Problem aus, dass das nicht erklärbar ist. Es wurden teilweise auch Zusammenhänge hergestellt, die ich nicht immer zwingend finde, auch wenn man sie als Opposition vielleicht gerne herstellt. Natürlich gibt es Fragen. Ich habe mich schon gefragt, warum man, obwohl man mit dem Thema nichts zu tun haben will und keine politische Einflussnahme will, das Schreiben an den Finanzsenator weiterleitet. Zu welchem Zweck wird denn das Schreiben an den Finanzsenator weitergeleitet? Doch mit dem Zweck, dass er sich kümmert. Das würde ich jedenfalls machen. Wenn mir jemand etwas zuschickt, verstehe ich das als Auftrag, was zu machen. ({0}) Von daher glaube ich schon, dass diese Fragen beantwortet werden müssen. Herr De Masi hat ja auch darauf hingewiesen, dass wir 2017 einen ähnlich gelagerten Fall hatten. Da ging es um 43 Millionen Euro. 2016 ging es um 47 Millionen Euro, dann um 43 Millionen Euro. Dort ist das BMF ja eingeschritten. Wenn es eine Anweisung des Bundesfinanzministeriums nicht gegeben hätte, wären auch die Ansprüche auf diese Beträge verjährt. Jetzt ist natürlich die Frage: Ist tatsächlich ein Schaden entstanden? Wir können nur hoffen, dass das Landgericht Bonn mit seiner Meinung durchkommt, dass die 170 Millionen Euro von der Warburg-Bank auch zu zahlen sind, wie es im Urteil steht; denn das ist überhaupt nicht sicher. Wir haben versucht, es sicher zu machen, indem wir durch das Corona-Steuerhilfegesetz II etwas in der Abgabenordnung geändert haben. Den Vorschlag hat das Bundesfinanzministerium erarbeitet. Nun müssen wir leider feststellen, dass er unzureichend ist, was ich sehr bedauere. Ich hoffe – der Minister hat es heute angekündigt –, dass zusammen mit der Bundesjustizministerin etwas vorgeschlagen wird, damit wir dieses Thema beenden können. – Hier läuft gar keine Uhr.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie haben noch eine Minute.

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es steht hier aber gar nicht. Gut, okay. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, da steht gar nichts. Jetzt haben Sie noch 54 Sekunden. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut. – Ich fasse zusammen. Ich glaube, wir müssen uns die Frage stellen: Was ist da in Hamburg passiert? Die Hamburgische Bürgerschaft hat einen besonderen Auftrag. Ich höre, dass auch über einen Untersuchungsausschuss geredet wird. Da gehört es meines Erachtens auch hin, damit das aufgeklärt wird. Es liegt aber – das muss man ehrlicherweise auch sagen – nur der Verdacht nahe, dass es eine politische Einflussnahme gegeben haben könnte. Es gibt keinerlei Beweise dafür. Ich möchte auch mal für uns alle in Anspruch nehmen, dass es nach wie vor möglich sein muss, dass wir uns mit Unternehmerinnen und Unternehmern zu Gesprächen treffen und dass nicht jedes Gespräch hinterher skandalisiert und zum Problem erklärt wird. Denn es wäre auch ein Problem, wenn wir nicht mehr miteinander im Gespräch bleiben würden. Daher finde ich es richtig, dass der Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg solche Gespräche führte. Das macht Herr Tschentscher hoffentlich, und das machen andere Ministerpräsidenten hoffentlich auch. Daher sollten wir mit einer Skandalisierung vorsichtig sein. Herzlichen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Fritz Güntzler. – Nächster Redner: Volker Münz für die AfD-Fraktion. ({0})

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Herr Minister Scholz! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei den sogenannten Cum/Ex-Geschäften handelt es sich um den größten Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik. Jahrelang haben Anleger und Banken den Staat bei der Kapitalertragsteuer auf Aktiendividenden betrogen. Die Bundesregierung hat diesen Betrug viel zu spät erkannt und viel zu spät gehandelt. Man muss von einer Mischung aus Unfähigkeit und Lobbyeinflüssen ausgehen, meine Damen und Herren. ({0}) 2012 wurde dann endlich die gesetzliche Regelung geändert. Doch dies war nicht ausreichend. Es besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf, um weiteren Steuerbetrug zu verhindern, wie namhafte Finanzwissenschaftler, Finanzrichter und auch der Bundesrechnungshof anmahnen, Stichwort „Cum/Cum“ oder „Cum/Fake“. Das Ausmaß dieses Steuerbetrugs ist gewaltig. Schätzungen sprechen von mindestens 32 Milliarden Euro seit 2001. Dass dieser Steuerbetrug immer noch nicht wirksam verhindert worden ist, ist ein Versagen dieser Bundesregierung und des Finanzministers Olaf Scholz, meine Damen und Herren. ({1}) Dies allein ist schon schlimm genug. Jetzt wurde bekannt, dass Olaf Scholz in seiner Zeit als Hamburgs Erster Bürgermeister bei der Aufarbeitung des Cum/Ex-Skandals eine unrühmliche Rolle gespielt hat. Außerdem hat er den Finanzausschuss getäuscht, meine Damen und Herren. Die Hamburger Privatbank Warburg war in die Machenschaften mit Cum/Ex involviert. Dieser Bank wurde die Rückzahlung der zu Unrecht eingestrichenen Kapitalertragsteuergutschriften in Höhe von 47 Millionen Euro durch die Hamburger Finanzverwaltung erlassen – unter dem damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz und dem Finanzsenator Tschentscher, der heute Bürgermeister ist. Dies hätte nicht geschehen dürfen, meine Damen und Herren. ({2}) An mehrere Treffen in den Jahren 2016 und 2017 mit dem Bankchef von Warburg, während gegen diesen ein Ermittlungsverfahren wegen schwerer Steuerhinterziehung lief, wollte sich Herr Scholz nicht erinnern. Als er im Finanzausschuss des Bundestages danach gefragt wurde, räumte er nur ein unbedeutendes Treffen ein; weitere Kontakte verschwieg er. Mittlerweile ist bekannt, dass drei Treffen und ein Telefonat stattfanden. An den Inhalt der Gespräche kann sich Herr Bundesminister Scholz aber leider nicht mehr erinnern. Das ist unglaubwürdig, meine Damen und Herren. Wie bekannt wurde, verzichtete die Hamburger Finanzverwaltung drei Tage nach dem Telefonat zwischen Herrn Scholz und dem Bankchef auf die Forderung von 47 Millionen Euro. Das ist doch kein Zufall, meine Damen und Herren. Mich überzeugt Ihre jetzt nachgeschobene Erklärung nicht. Vielleicht sind ja in Ihren Augen 47 Millionen Euro nur Peanuts angesichts der Hunderte von Milliarden, mit denen Sie die kommenden Bundeshaushalte und damit die Bürger belastet haben. Da kann man schon mal Kleinigkeiten vergessen. Auch die Spende von Warburg an die Hamburger SPD über 45 000 Euro im Jahr 2017 muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Das ist ein starkes Stück, Herr Minister, was Sie hier aufführen, und das geht nicht. Herr Minister, wie wollen Sie das den Millionen ehrlichen Steuerzahlern erklären? Die Menschen müssen doch den Eindruck haben, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Bei großen Beträgen nimmt der Staat es offensichtlich nicht so genau. Wie wollen Sie das gerade jetzt den vielen Bürgern erklären, die nicht zuletzt auch wegen der falschen Politik der Bundesregierung in Sachen Corona von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht sind, wo viele Unternehmen und Selbstständige vor dem Ruin stehen? Das alles untergräbt das Vertrauen in unsere Staatsorgane, in den Rechtsstaat und in die Demokratie – nicht zuletzt aber auch das Vertrauen in den Bundesminister. ({3}) Vor dem Hintergrund Ihres Agierens, Herr Minister Scholz, im Cum/Ex-Skandal, aber auch angesichts des Versagens Ihres Hauses bei der Finanzaufsicht im Fall Wirecard fordere ich Sie auf: Treten Sie zurück! ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Volker Münz. – Der nächste Redner: für die Bundesregierung Minister Olaf Scholz. – Herr Güntzler, das war tatsächlich vorhin ein Problem bei der Technik. Entschuldigen Sie bitte. ({0}) – Nein, es lag nicht an ihm, an mir auch nicht; es war die Technik. – Herr Scholz, bitte.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh darüber, dass wir dieses wichtige Thema heute diskutieren. Ich finde es auch ausgesprochen angemessen, dass wir dreimal darüber reden: im Ausschuss, bei der Regierungsbefragung und jetzt in der Aktuellen Stunde. Denn es geht in der Tat um etwas, das uns alle gemeinsam zu Recht empört. Cum/Ex – das ist hier schon mehrfach gesagt worden, aber ich will es noch mal unterstreichen – ist von Anfang an kriminelles Handeln gewesen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, wie man auf den Gedanken kommen kann, dass man Steuern, die man gar nicht gezahlt hat, erstattet bekommen kann. Das ist etwas, was in irgendeiner Weise jedem offensichtlich sein muss. Deshalb bin ich auch sehr sicher, dass es durch die vielen Verfahren, die mithilfe der Tätigkeit der Finanzämter, der Steuerfahndung an den Gerichten jetzt anhängig sind und die die Staatsanwaltschaften voranbringen, gelingen wird, Stück für Stück all die offenen Fälle aufzuklären und Milliarden an Steuergeld zurückzuholen. Die ersten Erfolge sind da; aber wir werden weitermachen, und das ist auch richtig so. ({0}) Wenn wir über Cum/Ex reden, zeigt sich natürlich auch, dass eine große Zahl derjenigen, die Entscheidungen zu treffen haben, offenbar nichts dabei finden, wenn sie irgendwie mit Steuervermeidung zu tun haben. Das ist nicht in Ordnung. Das ist keine Sache, die man akzeptieren kann. Wir müssen dafür sorgen, dass es fair zugeht in unserem Land. Das heißt auch, dass sich nicht diejenigen, die über besonders viel Technik, Anwälte, Informationen und sonst was verfügen, auf irgendeine Weise darum drücken. Noch weniger ist es akzeptabel, dass sie das mit illegalen Handlungen tun. ({1}) Ich glaube deshalb, dass es richtig war, all die Gesetze auf den Weg zu bringen, die zum Beispiel konkret mit Cum/Ex und verschiedenen anderen Steuergestaltungen umgehen. Ich finde, dass wir auch da immer weitermachen müssen. Denn aus meiner Sicht ist das Schlimmste, was uns passieren kann, dass wir irgendwie das Gefühl haben: Eines Tages ist die Sache vorbei, und so was passiert uns nie, nie wieder. Wir müssen davon ausgehen, dass es immer wieder so sein wird, dass ziemlich viele unterwegs sind und versuchen, solche Betrugsmanöver auf den Weg zu bringen. Deshalb müssen wir mit vielen energischen Schritten dazu beitragen, dass wir besser aufgestellt sind. Eine der Maßnahmen, die wir erst jüngst beschlossen haben und die uns heute hilft, ist zum Beispiel die Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltung. Ich finde, das ist eine große Reform. Wir haben jetzt die ersten Meldungen bekommen, nicht so viele, wie einige befürchtet haben, aber doch ziemlich viele, sodass man damit Arbeit hat. Diese zeigen uns, dass da was zu tun ist. Ich glaube auch, dass wir weitermachen müssen und dass wir mindestens, wenn wir Erfahrungen gewonnen haben, gucken müssen, ob solche Anzeigepflichten uns nicht auch im Inland weiterhelfen. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, zum Beispiel um Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel aufzugreifen. Kaum sind die Regelungen, die wir beschlossen haben, in Kraft gewesen, haben sich Tausende gemeldet, die bisher gar nicht an Steuerzahlungen in dieser Frage gedacht haben. Das Finanzamt Berlin hat mehrfach darüber berichtet, in welchem Umfang das geschehen ist, einfach aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung. Und wir werden im europäischen Rahmen dafür sorgen, dass das so weitergeht. Wir haben eine Taskforce gegen Steuerhinterziehung gebildet mit all den verschiedenen Behörden des Bundes, was notwendig ist, weil der Bund selbst fast nie – in vielen Fällen schon, aber nicht in denen, an die wir jeden Tag denken – für die Steuern zuständig ist. Aber es ist auch in einem föderalen Land mit der Zuständigkeit der Länder wichtig, dass wir Zusammenarbeit organisieren, dass wir unser Wissen austauschen und dass wir damit umgehen. ({2}) Aus meiner Sicht gehört in diesen Zusammenhang auch vieles von dem, was wir jetzt bereits in anderen Feldern auf den Weg gebracht haben. Ich will nur mal das Gesetz über illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit und Sozialleistungsbetrug anführen. Hier ist gesetzgeberisch und personell viel gemacht worden. Zurück zu unserem Thema Cum/Ex. Es war illegal – ich will es ausdrücklich sagen –, und wir müssen mit unseren Möglichkeiten dafür Sorge tragen, dass wir all die Aufklärungsarbeit leisten, die jetzt erforderlich ist. Natürlich gilt dabei auch immer wieder, dass wir Wege finden, wie es gelingen kann, das umzusetzen. Da gibt es ein Prinzip, und dieses Prinzip ist für mich und viele andere wichtig. Das Prinzip lautet: Diese Entscheidungen sind von den Finanzämtern zu treffen. Sie müssen nach Recht und Gesetz entscheiden, und sie müssen sich darauf verlassen können, dass es keinen politischen Einfluss gibt, keinen, der ihre Entscheidungen beeinflusst, zum Beispiel zugunsten derjenigen, die etwas tun, was nicht verantwortbar ist. Deshalb sage ich: Das darf nicht passieren, und – ich ergänze – es ist nicht passiert. ({3}) Das ist das, was in diesem Fall wichtig ist. ({4}) Natürlich ist es so, dass, wenn ein Verdacht geäußert wird, wenn Erwägungen angestellt werden, alles Mögliche aufkommen kann. Aber am Ende zählen immer die Tatsachen. ({5}) Und zu den Tatsachen, über die überall berichtet worden ist, gehört, dass es eben nicht der Fall gewesen ist, und – ich will das noch mal unterstreichen – das muss auch so sein. ({6}) Deshalb kann sich jeder darauf verlassen, dass wir in der weiteren Beschäftigung mit diesem Thema das auch immer wieder neu feststellen werden. Eines ist klar: Wer als Politiker Verantwortung hat, ob nun als Abgeordneter oder als jemand, der in einer Regierung ist, der trifft sich mit vielen, die in dieser Gesellschaft Interessen haben. Die Frage ist nicht, ob wir uns treffen. Die Frage ist, wie wir innerlich eingestellt sind und ob wir uns davon beeindrucken und beeinflussen lassen. ({7}) Natürlich ist es so, dass, wenn man sehr viel zu tun hat und sehr viel Verantwortung hat, es ziemlich viele Gespräche gibt. ({8}) Umso wichtiger ist die klare innere Einstellung in dieser Frage. Ich jedenfalls will dazu sagen, dass ich sehr störrisch sein kann und mich noch lange nicht beeindrucken lasse. Ich kann Ihnen berichten, dass zum Beispiel – um mal ein Thema zu nehmen – die Frage der Bankenabgabe und ihrer steuerlichen Berücksichtigung mich schon als Abgeordneter, als ich mit diesem Thema gar nichts zu tun hatte, erreicht hat. Als Bürgermeister haben mich viele angesprochen und auch jetzt als Minister. Trotzdem bin ich, trotz all dieser Ansprachen, immer bei der Haltung geblieben: „Es bleibt bei der Regelung, wie sie ist“, und habe sie nicht geändert. So muss das sein, und darauf müssen sich alle Bürgerinnen und Bürger verlassen können. ({9}) Das, meine Damen und Herren, ist das, worum es hier geht. Wir sollten uns allerdings aus der Diskussion, die wir jetzt führen, auch noch ein paar Aufträge mitnehmen. Zu diesen Aufträgen gehört, nicht nur den Weg weiterzugehen, den ich eben beschrieben habe, sondern wir müssen auch im internationalen Bereich dafür Sorge tragen, dass all diese Gestaltungsmodelle nicht mehr weiter funktionieren. ({10}) Darum wird zum Beispiel eine der großen Fragen sein, die auf der Agenda heute steht: Kriegen wir das hin, in Europa und weltweit so etwas wie eine globale Mindestbesteuerung zu vereinbaren, damit nicht durch den Auszug in Steueroasen vermieden werden kann, Steuern dort zu zahlen, wo die Wertschöpfung stattfindet? Ich bin froh, dass wir dort so weit sind, wie wir noch nie waren, und wir werden diesen Weg zu Ende gehen müssen. ({11}) Ich will ergänzen, dass wir auch auf andere Weise in Europa solche Zusammenarbeiten brauchen, zum Beispiel, wenn es darum geht, dass wir jetzt daran arbeiten, dass es Mindeststandards für Plattformbetreiber gibt. Gerade haben einige eine Meldung darüber bekommen – übrigens auf Veranlassung der Hamburger Finanzbehörden –, wie da hinterhergegangen worden ist, dass an Plattformen Umsätze für Vermietungen bei Airbnb gemeldet oder nicht gemeldet worden sind. Das ist ein mehrjähriges Verfahren gewesen, das jetzt gewissermaßen mit der Datenlieferung begleitet worden ist, und wir werden sehen, dass wir bei der Steuerehrlichkeit ein paar große Fortschritte machen. Wir müssen jetzt erreichen, dass das in Europa nicht so kompliziert ist, und wir müssen Austauschregelungen vereinbaren, die das schnell und zügig möglich machen. Meine Damen und Herren, ich komme zurück zu der Debatte, die wir hier führen. Ich finde, es ist wichtig, dass wir unseren Kampf gegen solche Steuerbetrügereien zusammen führen. Wir sollten uns nicht ablenken lassen. Und Sie können sich darauf verlassen, dass ich an vorderster Stelle all derjenigen stehe, die diesen Kampf führen. Schönen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Olaf Scholz. – Der nächste Redner steht schon da: für die FDP-Fraktion Dr. Florian Toncar. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im ganzen großen Komplex Cum/Ex, von dem viele sagen: „Es war eine Form organisierter Kriminalität“, bildet der Steuerfall Warburg schon einen ganz besonderen Fall, weil anders als bei anderen Fällen hier die Interaktion mit dem Finanzamt und auch die Frage der Rückforderung von ganz anderer Qualität waren als sonst. Deswegen müssen wir darüber hier heute reden. ({0}) Es geht bei der Diskussion über den Steuerfall Warburg um 90 Millionen Euro kriminell erlangtes Geld: 47 Millionen Euro, um die es 2016 ging, und noch mal 43 Millionen Euro im Jahr 2017. 47 Millionen Euro wurden von der Finanzbehörde in Hamburg nicht zurückgeholt, obwohl man das hätte tun können. 43 Millionen Euro wurden von der Finanzbehörde Hamburg allein deshalb zurückgeholt, weil das Bundesfinanzministerium im Wege der Weisung, die mehrfach wiederholt und betont werden musste, sie mehr oder weniger dazu gezwungen hat, das Geld zurückzuholen. Deswegen, Herr Minister Scholz, muss ich schon sagen, auch nach den neun Minuten, die Sie heute hatten: Nichts von dem, was Sie über die Bekämpfung von Steuerbetrug gerade eben gesagt haben, wurde in Hamburg zu Zeiten Ihrer Verantwortung praktiziert, ({1}) sondern das glatte Gegenteil, und diesen Teil haben Sie eben verschwiegen. ({2}) Ich frage mich schon: Wie wollen Sie eigentlich glaubwürdig in Ihrer heutigen Position über das Thema „Bekämpfung von Steuerbetrug“ sprechen, wenn Sie eine solche Historie hier in das Amt mitgebracht haben? Millionen Steuerpflichtige werden von den Finanzbehörden extrem genau geprüft: Kleine Betriebe, Selbstständige, Handwerker, der Mittelstand, da wird zum Teil über Jahre hinweg über die Veranlagung diskutiert, intensivst. Und ein Durchschnittsverdiener, ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin mit Durchschnittseinkommen zahlt 36 Prozent Grenzsteuersatz – brav, weil es da kaum Ausweichmöglichkeiten gibt; da kann man kaum irgendwo was sparen, was geltend machen, ganz, ganz wenig. Die zahlen das alle, jedes Jahr aufs Neue. Das Vertrauen all dieser Menschen in die gerechte steuerliche Veranlagung, das leidet nicht nur, das wird zerstört, wenn es andererseits möglich ist – auf welche Weise auch immer und wer auch immer dafür verantwortlich war –, dass eine Warburg-Bank kriminell erlangtes Geld nicht zurückzahlen muss. Das zerstört viel. Es geht um viel mehr als nur um die 90 Millionen Euro oder 47 Millionen Euro. Da geht Vertrauen verloren in die Redlichkeit der steuerlichen Veranlagung. ({3}) Deswegen müssen wir uns auch mit dem auseinandersetzen, was in der Tat ein beschuldigter Herr Olearius in seinen Tagebüchern notiert hat. Das ist alleine noch kein Beweis; aber es sind eben doch fundierte Aussagen aus seiner Perspektive, die man nicht vom Tisch wischen kann. Ich will nur sagen: Man kann zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen, wo wir heute stehen, aber dieses Tagebuch liegt der Staatsanwaltschaft vor. Möglicherweise wird es eines Tages auch als glaubwürdig und beweisgeeignet vor Gericht eingeschätzt und im Gerichtsverfahren verwendet werden. Ein Gericht wird möglicherweise am Ende auch eine Aussage über die Glaubhaftigkeit des Tagebuchs treffen, indem es Aussagen verwertet oder nicht. Das können wir heute noch nicht sagen; das hat die Justiz alleine zu entscheiden. Aber wir werden das beobachten, und wir werden, je nachdem, was die Justiz zu diesem Tagebuch sagt, unsere Rückschlüsse auf dessen Inhalt ziehen. Einige Dinge, die darin stehen, sind übrigens heute von Ihnen bestätigt worden, Herr Minister. Sie haben die Treffen als solche bestätigt – nur nicht den Inhalt –, und Sie haben auch bestätigt, dass der SPD-Mann Pawelczyk – in Hamburg eine Instanz in der SPD – Sie auf das Thema Warburg und auf den Warburg-Fall konkret angesprochen hat. Was ist das anderes als der Versuch, einen politischen Verantwortungsträger zu beeinflussen, wenn man ihn auf den Fall anspricht? ({4}) – Es ist offensichtlich ja zumindest der Versuch beschrieben worden. ({5}) Jedenfalls ist es keine Konstruktion, hier nachzufragen. ({6}) – Die Nervosität in der SPD-Fraktion nimmt an dieser Stelle zu. ({7}) Es gab – ich kann nur wiederholen – ein Gespräch mit dem SPD-Urgestein Pawelczyk, bei dem er offensichtlich Herrn Scholz auf diesen Sachverhalt angesprochen hat. ({8}) Das ist etwas, was doch auf den Versuch von Einflussnahme hindeutet. ({9}) Nun wäre es ja auch möglich gewesen, etwas dazu zu sagen, was denn bei den Gesprächen zwischen Herrn Scholz – –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So, jetzt ist Herr Dr. Toncar dran.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich sehe das der SPD nach; denn ich weiß ja, warum sie bei dem Thema so empfindlich und nervös ist. ({0}) Jedenfalls, Herr Minister Scholz, möchte ich eines festhalten: Sie haben jetzt im Finanzausschuss dazu ausgesagt, was Sie wissen, und sich heute in der Regierungsbefragung und gerade eben dazu geäußert. Ich unterstelle, dass das, was wir inzwischen von Ihnen erfahren haben, vollständig ist und dass wir nicht auf weitere Dinge stoßen, die Ihnen bekannt waren, die aber bisher nicht genannt worden sind. Das ist, glaube ich, auch eine Frage des Respekts vor parlamentarischen Institutionen. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, auf der gegenwärtigen Grundlage den Minister weiter zu befragen. Aus meiner Sicht liegt der Ball jetzt ganz klar in Hamburg und dort in der Bürgerschaft. Meine Aufforderung an die Christdemokraten in der Bürgerschaft ist, nunmehr den Weg frei zu machen, um eine parlamentarische Untersuchung in die Wege zu leiten. Es ist vom Hauptbeteiligten dieses Vorgangs genug gehört worden. Jetzt ist es so weit, dass Hamburg untersuchen muss; dort gehört der Fall hin. Ich fordere die Christdemokraten auf, den Weg für die Aufklärung frei zu machen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und ich fordere Sie auf, schnell – aber wirklich schnell! – zum Ende zu kommen.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jawohl. Danke, Frau Präsidentin. – Ganz egal, wer nachher welche Entscheidung getroffen hat – wir wissen das heute noch nicht –: Die Person, die für die Entscheidungen in der Causa Warburg verantwortlich ist, muss auch mit Konsequenzen rechnen, egal ob das beamtenrechtliche oder am Ende politische sind. Das wird die Aufklärung zeigen. Herzlichen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Toncar. – Die nächste Kollegin ist eine Rednerin: Lisa Paus für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das waren wirklich starke Worte von Olaf Scholz im Dezember 2019, als er zu Cum/Ex-Geschäften sagte: Mir ist völlig schleierhaft, wie jemand das für legal oder nur irgendwie legitim halten kann. – Aber seit Donnerstag letzter Woche wissen wir, dass derselbe Olaf Scholz sich 2016 und 2017 nicht nur einmal, sondern dreimal mit dem Chef der Warburg-Bank, Christian Olearius, getroffen hat – mit dem Chef der Bank also, die inzwischen wegen genau dieser illegalen Cum/Ex-Geschäfte vom Bonner Landgericht zu einer Rückzahlung in Höhe von 176 Millionen Euro verurteilt wurde, mit einem Mann, gegen den ermittelt wird und dem zehn Jahre Haft drohen. Und wir wissen, dass Olaf Scholz diese drei Treffen eben nicht dazu genutzt hat, um Herrn Olearius mitzuteilen, dass er Steuerraub durch Cum/Ex für eine „Riesenschweinerei“ hält, wie der Scholz von 2019 es formulierte. Vielmehr hat Olaf Scholz sich dreimal mit dem Chef der Warburg-Bank getroffen und sich erläutern lassen, warum Herr Olearius die geraubten Steuern nicht an den Staat zurückzahlen will. Olaf Scholz hat einen Brief desselben Inhalts angenommen und später telefonisch angeregt, diesen Brief an den Finanzsenator zu schicken. Meine Damen und Herren, mir ist völlig schleierhaft, wie jemand, der Cum/Ex wirklich für eine Schweinerei hält, so etwas machen kann. ({0}) Im Übrigen: 2016 gab es bereits erste Cum/Ex-Verurteilungen durch Finanzgerichte. 2016 hat der Deutsche Bundestag auf Initiative der Grünen einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, um den größten Steuerraub mit zig Milliarden Euro Schaden aufzuarbeiten. In allen Bundesländern hatten zu der Zeit die Finanzämter begonnen, Cum/Ex-Steuerbescheide zu ändern und so den Steuerraub rückgängig zu machen – nur in Hamburg passierte das nicht, obwohl die Staatsanwaltschaft das Finanzamt über ihre Ermittlungen gegen die Warburg-Bank informiert hatte. In Hamburg verjährte eine Rückzahlung von 47 Millionen Euro. Hamburg war auch das einzige Land, das sich massiv widersetzt hatte, weitere 43 Millionen Euro im Jahr darauf einzufordern. Das Bundesfinanzministerium musste es anweisen. Dennoch bleibt Olaf Scholz bei seiner Aussage, es habe keine politische Einflussnahme gegeben. Mir fällt es schwer, das zu glauben, meine Damen und Herren. ({1}) Es bleiben die Fragen: Warum hat Olaf Scholz sich dreimal mit Olearius getroffen? Denn spätestens nach dem ersten Treffen muss ja wohl klar gewesen sein, dass es nicht um die Elbphilharmonie, sondern um Cum/Ex und um Rückerstattungsansprüche ging. Warum hat Olaf Scholz den Brief angenommen? Warum hat Scholz Olearius später noch in einem Telefonat direkt aufgefordert, den Brief an seinen Kollegen Tschentscher und nicht an das Finanzamt zu schicken? Scholz hatte uns für heute volle Transparenz versprochen. Was wir bekommen haben, war erneut eine scheibchenweise Aufklärung. Er hat heute alles eingeräumt, was in der Zeitung stand; die Termine muss es wohl so gegeben haben. Gleichzeitig hat er gesagt, das Problem sei gewesen, er könne sich daran aber nicht erinnern. Außerdem hält er weitere wichtige Dokumente in diesem Zusammenhang unter Verschluss mit dem Hinweis, wir Parlamentarier hätten kein Recht auf Akteneinsicht. Das ist keine volle Transparenz, das ist eine weitere scheibchenweise Aufklärung, meine Damen und Herren. ({2}) Aber ich verstehe das Agieren; denn natürlich kann es Olaf Scholz nicht gefallen, was die Öffentlichkeit jetzt in voller Klarheit sieht, nämlich die zwei Gesichter von Olaf Scholz: öffentlich der Kämpfer für Steuergerechtigkeit, aber hinter den Kulissen Kuschler mit der Wirtschaft zulasten des Gemeinwohls. Vielleicht hätte Olaf Scholz, wenn er alles früher offengelegt hätte, die Wahrheit über seine Treffen und Verbindungen zu Olearius und der Warburg-Bank gesagt hätte, glaubwürdig die Geschichte „Vom Saulus zum Paulus“ erzählen können, also die Geschichte, dass er Herrn Olearius schon so lange als ehrenwerten Mann kannte, als jemanden, der der Stadt schon so oft geholfen hat, dass er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass dieser illegale Geschäfte macht, selbst als die Staatsanwaltschaft Köln gegen ihn und seine Bank ermittelte. Aber auch diese Chance ist inzwischen vorbei; denn unter anderem ist mir Scholz bis heute eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie er denn die Cum/Ex-Geschäfte der Warburg-Bank, die er heute als Schweinerei bezeichnet, damals bewertete. Es gibt also keinen Wandel; es gibt keine Läuterung; es gibt keinen anderen Scholz. Es gibt nur einen Scholz, und zwar den mit zwei Gesichtern – damals wie heute –: einen öffentlichen, sozialdemokratischen Scholz, der sich als Kämpfer gegen Steuerbetrug und Steuervermeidung inszeniert, und einen, der sich im Zweifel für die Interessen der Wirtschaftslobby entscheidet. Wer diese zwei Gesichter sucht, der findet sie eben nicht nur 2016, sondern auch 2020, nur dass sie jetzt den Steuerzahler nicht Millionen kosten, sondern Milliarden. Beispiel: öffentliches Country-by-Country Reporting. Alle Experten sind sich einig; das Europäische Parlament ist dafür; die Kommission hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Es geht darum, dass internationale Konzerne endlich verpflichtet werden, ihre Gewinne nach Ländern aufzuschlüsseln, damit aggressive Steuergestaltung besser entdeckt werden kann. Auch Olaf Scholz ist öffentlich selbstverständlich dafür; aber konkret verhindert gerade die Bundesregierung die Beratung dieses Gesetzentwurfs, in dem das öffentliche Country-by-Country Reporting eingeführt werden soll, weil sie den Vorsitz hat und dieses Thema einfach nicht auf die Tagesordnung setzt. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit; die ist zu Ende.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. – Das Gleiche bei der Digitalsteuer: Öffentlich ist er dafür, aber seit zwei Jahren verhindert er, dass es in Europa so etwas gibt. ({0}) Das betrifft auch weitere Gesetze. Deswegen versichere ich Ihnen heute, Herr Scholz: Wir werden Ihre zwei Gesichter weiter aufdecken, auch in der nächsten Zeit. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Lisa Paus. – Der nächste Redner: Dr. Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Abkürzung „Cum/Ex“ – das ist hier heute schon mehrfach erwähnt worden – steht für einen Milliardenskandal, steht für den Versuch etlicher windiger Manager, den Staat mit hoher krimineller Energie abzuzocken und sich mit dem Geld die eigenen Taschen zu füllen. Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Cum/Ex-Machenschaften um den Dividendenstichtag kriminell waren, und das von Anfang an. Das war gemeinwohlschädliche Kriminalität erster Ordnung zulasten des Staates, zulasten des Fiskus. Alle, die dabei mitgemacht haben, wussten um den Rechtsbruch; aber die eigene Gier war stärker als der Respekt vor dem Recht. Meine Damen und Herren, dass viele der Beteiligten keine Scheu hatten, sich auch hinterher noch als Saubermänner hinzustellen, ist geradezu eine Beleidigung für alle, die in diesem Land Jahr für Jahr ehrlich ihre Steuern zahlen. ({0}) Solche Leute – das möchte ich betonen – sind natürlich keine Gesprächspartner, auch wenn sie einen noch so edlen Zwirn tragen. ({1}) Sie sind Kriminelle, die ohne Ansehen ihrer Person bestraft werden müssen. Sie können nicht ernsthaft Gesprächspartner für Politiker sein. Politiker, die sich mit solchen Leuten für einen Steuererlass an einen Tisch setzen, schüren Politikverdrossenheit und schaden dem Ansehen der Demokratie. Es ist für mich unvorstellbar, dass der Spitzenmann der Warburg-Bank mehrfach über die Rückzahlung seiner Cum/Ex-Steuerschuld über 90 Millionen Euro im Rathaus verhandeln durfte. Ich denke, man hätte ihm besser den Staatsanwalt schicken müssen ({2}) und nicht den Hinweis: „Schicken Sie das Schreiben ohne weitere Bemerkung an den Finanzsenator“, wie es im Tagebuch heißt. Dessen Finanzbehörde hat wenige Tage später auf 47 Millionen Euro Steuerforderung aus Cum/Ex-Geschäften der Warburg-Bank verzichtet. Warum diese Verjährung im Jahr 2016, meine Damen und Herren? Diese Frage muss beantwortet werden; sie ist bisher nicht beantwortet. Es kann nicht sein, dass heute niemand die politische Verantwortung für diesen Verzicht übernehmen will. ({3}) Es kann und darf auch nicht sein, dass man dies auf eine kleine Finanzbeamtin schiebt. Wir bestehen auf einer Klärung. Ich bin weit davon entfernt, Vorverurteilungen vorzunehmen. ({4}) Wir müssen nachweisen können, dass hier eine politische Einflussnahme stattgefunden hat, die heute letzten Endes nicht bejaht wird. Aber es wurden schon Merkwürdigkeiten und Verbindungen dargestellt, die man als verantwortungsvoller Parlamentarier, der die Aufgabe hat, die Bundesregierung für den Fiskus zu kontrollieren und Dinge gesetzlich zu beraten und darüber zu entschließen, berücksichtigen muss. Meine Damen und Herren, wir können diesen Cum/Ex-Skandal nicht abschließen. Es laufen noch viele Verfahren. Fachleute sagen, dass es auch heute noch Cum/Cum- und Cum/Ex-Gestaltungen gibt. Vieles muss noch nach- und aufgearbeitet werden. Das ist mühsame Kleinarbeit für den Bundestag, für Steuerbehörden, Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte. Sie müssen dort, wo es nötig ist, weiter gestärkt werden. Meine Damen und Herren, wir haben durch Gesetzesänderungen dafür gesorgt, dass es zu Verschärfungen im Gesetz gekommen ist. Aber wir haben das Problem, dass wir wegen des Rückwirkungsverbots die Regelung zur Verjährung zum 1. Juli nicht so gestalten und durchsetzen konnten, wie das mehrfach vom Kollegen Brehm für die CDU/CSU-Fraktion vorgetragen wurde. Da muss sofort nachbessert werden. ({5}) Es kann nicht sein, dass sich die Kriminellen durch diese Verjährungen einen schlanken Fuß machen und zum Schluss über den Gesetzgeber lachen, uns auslachen. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren. Auch das gehört zur Glaubwürdigkeit von Politik: Die ergaunerten Millionen und Milliarden Euro gehören in die Kasse des Fiskus. Wir dürfen die Täter nicht davonkommen lassen. Das muss jetzt unsere Aufgabe sein. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Michelbach. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Kay Gottschalk. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Jetzt ist hier viel von den Vorrednern gesagt worden. Ich sage einfach nur: Heute wieder Cum/Ex, am Freitag Wirecard. Ich glaube, es ist was faul im Staate Deutschland und was den Finanzplatz Deutschland angeht. Herr Scholz, Sie tragen nun mal seit mehr als zwei Jahren dafür Verantwortung; das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen. Sie sind Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Diese Sachverhalte, lieber Fritz Güntzler – wir kennen uns ja nun auch schon etwas länger aus den Ausschüssen –, sind auch ihm länger bekannt. Das fällt nicht vom Himmel. Darauf will ich im Laufe meiner Rede weiter eingehen, liebe Freunde. Sie hatten Transparenz angekündigt, Herr Scholz. Das war heute dann wohl eher ein Rohrkrepierer, den Sie uns da präsentiert haben. Immerhin versprechen Sie jetzt in den Medien mehr Transparenz – nach der heutigen Enttäuschung. Denn erst heute haben Sie Ihren vollständigen Kalender vorgelegt. Wir hatten Treffen im Juni, wir hatten Treffen im März, wir hatten ein VS-Treffen. Aber erst heute haben Sie Ihren Kalender bis 2015 abgeglichen. Oh Wunder, da traten dann auf einmal diese Termine in Erscheinung, die Sie heute eingeräumt haben. Da bleiben Fragezeichen, sehr verehrter Herr Scholz. ({1}) Ich nenne das, was Sie hier betreiben, die handelsübliche Salamitaktik, getreu dem Motto: Ich gebe nur das zu, was unmöglich noch abzustreiten ist. – Das finde ich vor dem Hintergrund, was Sie dazu an starken Worten gefunden haben, mehr als enttäuschend. Insofern reihen sich Ihre Transparenzversprechen in eine Serie von Versprechungen der SPD für die Bürger dieses Landes – Sie da draußen – ein, die dann doch niemals eingehalten worden sind. Glückwunsch, Herr Scholz, Sie wären also insofern ein wahrer SPD-Kanzler! Aber nun zum tatsächlichen Tatbestand. Bei Cum/Ex-Geschäften – das ist hier alles schon ausgeführt worden – wird seit Jahrzehnten um den Dividendenauszahlungstag so lange hin und her gehandelt, bis man gar nicht mehr erkennen kann – das ist in der Anhörung eben klar geworden –: Wer ist denn nun eigentlich der Eigentümer? Wer kann schuldrechtlich verfügen? Am Ende wussten nicht mal mehr die Finanzämter: Wer ist also nun der Eigentümer? Ich finde, da hat ein Professor in unserer Anhörung etwas Wahres gesagt: Deutschland, meine Damen und Herren – das zeigt auch Wirecard –, hängt der tatsächlichen Entwicklung zehn Jahre hinterher. – Er führte als Beispiel die Vereinigten Staaten an, die digitale Aktie, an der der Anspruch hängt und die zeigt, ob oder ob nicht die Kapitalertragsteuer abgeführt wurde. In Deutschland: Fehlanzeige! Liebe Freunde von der FDP, das wäre vielleicht mal ein Thema für eine wahre Digitalisierung; denn die Zahlen, die Sie eben genannt haben, sind erschütternd. Hören Sie zu, liebe Bürger: Für das Jahr 2018 wurden jetzt, nachdem gebohrt wurde, 499 Fälle zu Cum/Ex aufgedeckt; Volumen: 5,4 Milliarden Euro. Für das Jahr 2019 waren es 391 Fälle; Volumen: 4,3 Milliarden Euro. Zurückgeflossen sind bisher, 2019 – das sind aktuelle Zahlen –, immerhin 1,1 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, das ist Ihr Geld. Ich erinnere Sie daran, wenn die kalte Progression wieder zuschlägt oder die Abgaben erhöht werden müssen. Wir als Gesetzgeber sind dafür verantwortlich, hier schuldig zu sein. Da können wir als AfD uns tatsächlich mal reinwaschen; denn wir sitzen erst seit drei Jahren hier. Wenn wir diese digitale Aktie vorgeschlagen hätten, ({2}) hätten Sie das wahrscheinlich wieder zurückgewiesen – es kommt ja von der bösen AfD –, auch wenn es vielleicht eine vernünftige Lösung gewesen wäre. Meine Damen und Herren, das ist schon ein starkes Stück, auch des gesamten Hauses; denn wir sind hier mit Ansage in eine Fortsetzung der Cum/Ex-Gestaltung hineingelaufen. Bis 2018 – auch das haben wir gehört; es liegen entsprechende Anfragen bei der ESMA vor – wurde dieses Roulette zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und der Arbeitnehmer dieses Landes weitergedreht, liebe Freunde. ({3}) Tja, Fehlanzeige, Herr Scholz? Genau wie bei Wirecard: Keiner hat Schuld, keiner hat etwas getan, niemand hat sich eigentlich etwas vorzuwerfen. Wie sagte ich schon: Keiner hat Fehler gemacht; aber aus denen wollen wir lernen. Nein, das ist an dieser Stelle zu billig. Bitte bringen Sie komplett Licht ins Dunkel. Ich kann auch nur die Kollegen in Hamburg auffordern, hier nachzubohren und einen Untersuchungsausschuss ins Leben zu rufen; denn so dürfen und können wir mit den Geldern der Menschen, die da draußen arbeiten, nun wahrlich nicht umgehen. Ein wenig grüßt hier sogar die Amigo-Affäre. Insoweit sollten wir, auch im Staat Hamburg, nachfühlen, wer wann was gewusst und vielleicht Einfluss genommen hat. An dieser Stelle schließe ich mich Frau Paus an: Ich glaube nicht daran, dass die Finanzverwaltung Hamburg, die ich sehr gut kenne, ohne entsprechende Weisung von irgendwem – das müssen wir aufklären – einen solchen Betrag verfristen lässt. Da wollen und wünschen wir Aufklärung, meine Damen und Herren. Danke. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kay Gottschalk. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Michael Schrodi. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Aktuellen Stunde stehen bisher nicht die belegbaren Fakten im Mittelpunkt, sondern gefühlte Wahrheiten, Spekulationen, teils auch unverschämte Unterstellungen. Deshalb erst einmal zurück zur Sachebene. Vier Feststellungen: Erstens. Cum/Ex war kriminell; das war immer Betrug. Zweitens. Cum/Ex war immer illegal; es gab keine Gesetzeslücke. Drittens. Mit der Regelung 2012 wurden letzte Cum/Ex-Praktiken unterbunden. Viertens. Die juristische Aufarbeitung – das ist die gute Nachricht – ist in vollem Gange. Es gibt zahlreiche Verfahren; es gibt erste Verurteilungen. 1,1 Milliarden Euro wurden gesichert. Es ist gut, dass das funktioniert und dass wir das auf den Weg gebracht haben. ({0}) Wir als SPD-Fraktion wollen gemeinsam mit Olaf Scholz noch mehr, nämlich zum Beispiel eine Meldepflicht für nationale Steuergestaltung. Ich bin gespannt, ob sich Union und FDP bewegen werden, um das anzugehen. ({1}) Zu dieser Aktuellen Stunde gibt es ein gewisses Déjà-vu-Erlebnis. Bereits kurz vor der Hamburg-Wahl dieses Jahres gab es Meldungen über Gespräche zwischen Vertretern der Warburg-Bank und dem damaligen Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz. Dabei wurde der Eindruck erweckt, es habe eine direkte, unzulässige Einflussnahme auf ein Steuerverfahren gegeben. Letztlich musste man, sowohl die Presse als auch die Vertreter der Parteien, einräumen, dass es dafür keinen einzigen Beleg gab. ({2}) Vielmehr hat die Steuerverwaltung in Hamburg erklärt: Es hat keine Versuche gegeben, politisch auf Entscheidungen der Steuerverwaltung Einfluss zu nehmen. – Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis! ({3}) Kurz nach der Kür von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten wird das nun wieder aufgewärmt. Gibt es jetzt eine neue Faktenlage? Das ist doch die Frage. ({4}) Gibt es eine andere Faktenlage als die vor einem halben Jahr, wo alles im Grunde erledigt war? ({5}) – Nein, eben nicht. ({6}) Olaf Scholz hat Gespräche geführt – natürlich, wie auch wir das tun – mit Vertretern von Gewerkschaften, Umweltverbänden, der Wirtschaft und auch der Banken. Er hat auch Gespräche mit Vertretern der Warburg-Bank geführt. Aber aus den Tagebuchaufzeichnungen schlussfolgern jetzt Medienvertreter und die Opposition, die das befeuert, die Warburg-Bank habe offenbar versucht, Einfluss auf die Hamburger Regierung zu nehmen. Und wieder wird der Eindruck erweckt, dieser Versuch sei erfolgreich gewesen. ({7}) Genau wie vor einem halben Jahr gibt es selbstverständlich keinen einzigen Beleg dafür. Nehmen Sie das zur Kenntnis, meine sehr geehrten Damen und Herren! ({8}) Deshalb noch einmal – noch einmal; da können Sie so lange rumzetern, wie Sie wollen –: Es gibt keine Belege. Es sind Spekulationen, Vorwürfe, Unterstellungen; aber es gibt nirgendwo einen Beleg. ({9}) Noch einmal: Es gab keine politische Einflussnahme auf Entscheidungen der Steuerbehörden. Finanzbehörden arbeiten unabhängig. Sie arbeiten und urteilen nach der geltenden Rechtslage. Es gibt keine neue Faktenlage. ({10}) Was passiert hier tatsächlich? ({11}) Solch eine parteitaktisch motivierte Anschuldigung fällt auf uns alle zurück, auch auf Sie von der Opposition. ({12}) Auch andere Bürgermeister, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten oder Bundesminister, auch von den Oppositionsparteien, führen solche Gespräche. ({13}) Auch Bodo Ramelow führt Gespräche mit Wirtschaftsvertretern. ({14}) Auch ein grüner Ministerpräsident führt zurzeit, in der Zeit des Abgasskandals, Gespräche mit Daimler. ({15}) Ich würde es kritisieren, wenn Bürgermeister, Ministerpräsidenten das nicht täten. Sie müssen Gespräche führen mit Vertretern von Banken, aus der Wirtschaft, von Umweltverbänden. ({16}) Im Gegenteil: Es würde kritisiert werden, täte man das nicht. Das, was Sie aber unterstellen, ist – das ist der Unterschied –, dass das Einfluss hat. Das hört sich dann folgendermaßen an: Die Enthüllungen nähren einfach das Gefühl – so lässt sich ein Politiker der Grünen zitieren –, dass gute Kontakte in die Politik eine rechtsstaatliche Bevorzugung ermöglichen. Dieser Fall ist Futter für die Wut auf die Eliten und nährt das Misstrauen in die Demokratie. – Nein, mit solchen Unterstellungen bedienen Sie Gefühle. Sie bestärken Vorurteile gegen sogenannte Eliten – das sind auch Sie –, ohne aber Belege zu liefern. Und dann beklagt man das Misstrauen in die Demokratie, das man selbst mit solch einer Nebelkerzenpolitik verursacht. Auch das verschlechtert und vergiftet das politische Klima in diesem Land. ({17})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Schrodi, kommen Sie bitte zum Schluss.

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen in diesen Zeiten vor großen Aufgaben. ({0}) Wir müssen eine Wirtschaftskrise bekämpfen, eine Pandemie. Wir müssen die Jahrhundertaufgabe des Klimawandels bewältigen. Wir müssen die europäische Stabilisierung voranbringen. Diese Aufgaben zu bewältigen, das ist es, was die Menschen jetzt von uns erwarten, anstatt eines kleinen Karos mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Vielen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Michael Schrodi. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Jörg Cezanne. ({0})

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. – Eigentlich ist mein Manuskript jetzt ziemlich wertlos; aber ich werde noch darauf zurückkommen. Herr Scholz, ich teile Ihre Einschätzung vollständig, dass diese Cum/Ex-Geschäfte von Anfang an kriminelles Handeln waren. Aber warum Sie dann, wenn Sie diese Einschätzung haben, mit jemandem, der sich genau dieses kriminellen Handelns schuldig gemacht hat, dreimal zusammentreffen, sich von ihm vortragen lassen, dass das irgendwie doch nicht so kriminell war und dass er das Geld, was er dort ergaunert hat, behalten kann, das haben Sie nicht gut erklärt; da haben Sie mich überhaupt nicht überzeugt. ({0}) Lieber Michael Schrodi, bei allem Einsatz und bei allem sportlichen Ehrgeiz, aber das war doch jetzt ein bisschen zu arg. Natürlich haben wir eine neue Faktenlage, ({1}) weil wir wissen, dass Herr Scholz uns im Ausschuss im Sommer, im Frühjahr nicht die ganze Wahrheit gesagt hat. Warum das so ist, dazu hat er versucht, Stellung zu nehmen. Ich habe gesagt: Es hat mich nicht überzeugt. ({2}) Wir werden, glaube ich, weiterhin darüber reden müssen. Tut mir leid! ({3}) So, jetzt versuche ich, zu meinem eigentlichen Anliegen zu kommen. Wir müssen nämlich noch über ein anderes Thema sprechen; das ist hier schon zum Teil aufgepoppt. Es geht darum, zu verhindern, dass die Steuerbetrüger aus den Cum/Ex-Geschäften ihre Tatbeute selbst dann behalten können, wenn sie dafür rechtskräftig verurteilt werden. Dafür ist es zwingend, dass der Bundestag schnell handelt. Beim Steuerbetrug mit Handel von Wertpapieren rund um den Dividendenstichtag, eben diese Cum/Ex-Geschäfte, lassen sich Betrüger Kapitalertragsteuer vom Finanzamt zurückerstatten, die sie gar nicht bezahlt haben. Diese Vorgänge gelten als größter Steuerraub in der deutschen Geschichte; die Schadenssumme wird auf bis zu 32 Milliarden Euro geschätzt. Die juristische Verfolgung findet jetzt statt, viel zu spät; das hat viel zu lange gedauert. Aber gut, dass es endlich passiert. ({4}) Mit dem Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz – das war, wer sich nicht mehr so richtig daran erinnert, im Juni – hat der Bundestag seit dem 1. Juli dieses Jahres eine Regelung geschaffen, dass widerrechtlich und mit betrügerischen Mitteln erhaltene Steuerrückzahlungen bei Cum/Ex vom Staat eingezogen werden können. Warum ist das nötig? Die Betrugsfälle sind spät aufgedeckt worden – zum Teil liegen sie schon 15 Jahre zurück –; die Strafverfahren sind kompliziert und dauern lange. Dieser neue § 375a Abgabenordnung soll es den Staatsanwaltschaften ermöglichen, die Erträge aus kriminellen Geschäften von Banken und anderen Beteiligten auch dann noch einzuziehen, wenn sie steuerrechtlich bereits verjährt sind. So weit, so gut. Wir haben das als Linke auch gefordert und unterstützt; diese Regelung ist ja auch gut und richtig. Der Haken an der Sache: Neben dieser notwendigen und sinnvollen Regelung wurde auch eine Vorschrift geschaffen – wer es jetzt genau wissen will: § 34 in Artikel 97 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung –, die festlegt, dass diese Vorschrift nur für Steueransprüche gilt, die am 1. Juli 2020 noch nicht verjährt waren. Das führt dazu, dass in Fällen, in denen bis zu diesem Zeitpunkt die steuerliche Verjährung bereits eingetreten ist, die Tatbeute auch im Fall einer strafrechtlichen Verurteilung nicht herausgegeben, also an das Finanzamt zurückgezahlt werden muss. Das ist, gelinde gesagt, ein Skandal. Das Finanzministerium begründete die Einführung dieses Artikels mit dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot: Gesetze dürfen nicht einfach im Nachhinein verändert werden. Bürger müssen darauf vertrauen können, dass die derzeitigen Gesetze auch in Zukunft gelten. Klar. Nur, wenn man den gesunden Menschenverstand anwendet – in Rechtsfragen nicht immer der beste Ratgeber –, klingt das doch recht seltsam. Kann es wirklich rechtens sein, dass dieser Vertrauensschutz auch für verurteilte Steuerbetrüger gilt, die uns alle als Allgemeinheit um Milliarden von Steuergeldern betrogen haben? Logischer wäre doch, wenn ein Betrüger seine Beute so lange zurückgeben muss, wie er eben auch strafrechtlich dafür verurteilt werden kann. Ich verstehe nicht, warum das Finanzministerium nicht versucht hat, diese Verjährung besser zu regeln, als das jetzt der Fall ist. Es gibt dazu unterschiedliche Rechtsauffassungen. Eine abschließende Klärung in einer anderen Rechtsfrage durch das Bundesverfassungsgericht steht aus. Zumindest so lange, wie Karlsruhe dazu kein abschließendes Urteil gefasst hat, ist es verfassungsrechtlich nicht notwendig, dass wir uns so stark zurückhalten. Es gibt eine Initiative von den Grünen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, wie man das beheben könnte. Ich bitte Sie alle um Hilfe, damit es uns gelingen kann, zu verhindern, dass in dieser Frage weitere hinterzogene Gelder dem Fiskus verloren gehen. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jörg Cezanne. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Matthias Hauer. ({0})

Matthias Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Millionengeschenke auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an eine Hamburger Privatbank, die illegale Steuertricksereien gemacht hat, und Hamburger Finanzbehörden, die lascher als nahezu alle anderen Finanzbehörden gegen Cum/Ex-Steuerbetrug vorgegangen sind, und das alles während der Amtszeit des heutigen Finanzministers Olaf Scholz als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg – darum geht es in der heutigen Aktuellen Stunde. Da drängen sich natürlich viele Fragen auf: zu bislang verschwiegenen Treffen von Herrn Scholz mit dem Bankenchef – insofern gibt es tatsächlich einen neuen Sachverhalt, weswegen wir uns heute zu Recht in einer Aktuellen Stunde treffen –, aber auch zu politischer Einflussnahme durch den heutigen Bundesfinanzminister und durch andere Hamburger SPD-Größen zulasten der Steuerzahler. Noch einmal zur Erinnerung: Worum geht es eigentlich bei den sogenannten Cum/Ex-Geschäften? Vermeintlich findige Banken und Investoren haben Aktiengeschäfte allein mit dem Ziel getätigt, sich Kapitalertragsteuer zweimal erstatten zu lassen, die nur einmal gezahlt wurde. Grundlage dieser kriminellen Geschäfte war ein Aktienhandel rund um den Dividendentermin, nämlich kurz davor, Cum-Dividende, und kurz danach, Ex-Dividende. Durch Leerverkäufe und das gezielte Ausnutzen von Fristen fielen der rechtliche und der wirtschaftliche Eigentümer der Aktie auseinander. Mit großer krimineller Energie gelang es so, die Abführung der Kapitalertragsteuer doppelt bescheinigt und damit doppelt erstattet zu bekommen. Das war damals noch möglich, weil es nicht dieselbe Stelle war, die den Steuerabzug vornahm und die Steuerbescheinigung ausstellte. Spätestens seit 2012 sind diese Cum/Ex-Geschäfte nicht mehr möglich. Unter Finanzminister Wolfgang Schäuble wurde die steuerliche Systematik geändert und damit den Cum/Ex-Geschäften die Grundlage entzogen. Dennoch sind wir wachsam und müssen wir auch gemeinsam wachsam sein, andere illegale Steuertricksereien aufzudecken. Da sind wir gemeinsam im Kampf gefordert. Derzeit sind Staatsanwaltschaften und Gerichte mit den Cum/Ex-Profiteuren befasst. Unsere Erwartungshaltung ist, dass diese Kriminellen auch hart bestraft werden. Selbstverständlich sollte dabei sein, dass staatliche Stellen das Steuergeld zurückholen, das durch solche Betrügereien zulasten der Steuerzahler ergaunert wurde, zumal es laut Anklageschrift im Hamburger Fall um einen insgesamt dreistelligen Millionenbetrag geht. Wir wollen, dass die Betrüger die Steuermillionen nicht behalten können. ({0}) In Hamburg scheint das nicht selbstverständlich gewesen zu sein. Während Herr Scholz in der Öffentlichkeit Cum/Ex gerne als strafbar oder auch als „Riesenschweinerei“ bezeichnet, findet Herr Scholz im Zwiegespräch mit diesen Vertretern der Cum/Ex-Betrüger offenbar kein negatives Wort und gibt sogar noch Handlungstipps, was man wem wie schicken soll. Da frage ich Sie, Herr Scholz: Wieso haben Sie da nicht Klartext gesprochen? ({1}) Wieso haben Sie denen nicht mal den Kopf gewaschen? ({2}) Das verstehe ich nicht. Ein kraftvolles Schweigen reicht da einfach nicht für einen späteren Bundesfinanzminister. Da fallen öffentliches Reden und tatsächliches Handeln bei Ihnen offenbar auseinander. Allein 2016 ging es um eine drohende Verjährung von circa 47 Millionen Euro. Dazu gab es die Treffen zwischen Ihnen und Vertretern der Banken, mindestens zwei persönliche Treffen, ein Telefonat. Das wurde bislang von Ihnen, Herr Scholz, verschwiegen. 2016 hat sich Hamburg dafür entschieden, das verjähren zu lassen. 2017 ging es weiter; es drohte eine erneute Verjährung, diesmal von 43 Millionen Euro. Da musste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eingreifen ({3}) und Sie auf den Pfad der Tugend zurückbringen. Eine schriftliche Weisung – das muss man sich einmal vorstellen: erst auf schriftliche Weisung! – musste ergehen, damit das von Herrn Scholz geführte Bundesland die betrügerisch erlangten Steuermillionen überhaupt zurückverlangt. Ein unglaublicher Vorgang! ({4}) Herr Scholz, Sie berufen sich in der ganzen Sache auf Erinnerungslücken, weil Sie viele Gespräche führen. Ich glaube Ihnen, dass Sie viele Gespräche führen; das ist für einen Bürgermeister auch selbstverständlich. Aber man muss sich einmal diese Dimension vor Augen führen: Es geht um mehrere persönliche, auch längere Treffen. Es geht allein um 90 Millionen Euro in 2016 und 2017, Steuergeld. Es geht um eine örtlich bedeutsame Institution, eine Bank mit finanziellen Schwierigkeiten. Und es geht um kriminelle Cum/Ex-Machenschaften. Angesichts dieser Dimension – das muss ich Ihnen sagen, Herr Scholz – halte ich es für wenig glaubhaft, dass Sie daran keine Erinnerung haben. ({5}) Als letzten Satz möchte ich sagen: Herr Scholz, Sie sprechen gerne von voller Transparenz. Lassen Sie Ihrem Reden endlich Taten folgen! Genau das muss nämlich unser Anspruch sein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Matthias Hauer. – Nächster Redner: Marco Bülow. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Cum/Ex ist der größte Steuerbetrug aller Zeiten. Keiner weiß, um wie viele Milliarden es sich wirklich handelt. Der eigentliche Skandal ist, dass lange kein Skandal darum gemacht wurde, sondern dass auch die Politik verdrängt, verzögert, beschwichtigt hat, so lange, bis viele straffrei ausgehen, weil es verjährt ist, und dass Regelungen, die dann getroffen worden sind, immer noch Schlupflöcher haben, dass weitere Geschäfte in diesem Bereich gemacht werden können. Das ist eigentlich das Thema, über das wir reden müssen, aber auch darüber, dass es immer noch nicht genug Steuerfahnder gibt, die dem nachgehen können. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir nicht in der Lage sind, Steuerfahnder einzusetzen, die genau diese kriminellen Machenschaften wirklich alle aufdecken, während wir uns rühmen, dass die ersten Fälle jetzt endlich bestraft werden. Das kann nicht sein! Das hätte schon viel länger passiert sein müssen! ({0}) Dann reden wir über die Warburg-Bank und über 47 Millionen Euro und eigentlich noch viel mehr Millionen Euro. Interessant ist: Als dieser Steuerbetrug in Hamburg stattgefunden hat, gab es in Hamburg eine Regelung, dass es ein Büchergeld in Höhe von 100 Euro von allen Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen, geben muss. Ich persönlich kenne Leute in Hamburg, die es schwer hatten, dieses Büchergeld aufzubringen. Eine Stadt verzichtet darauf, 47 Millionen Euro einzutreiben und nimmt auf der anderen Seite Geld von Eltern für Bücher und andere Dinge. Genau das ist das Problem, das wir haben. ({1}) Dann sind wir nämlich nicht bei einem Einzelfall, über den hier geredet wird. Natürlich muss er aufgeklärt werden. Natürlich ist es wichtig: Wer hat wo die Wahrheit und was gesagt? Aber wir reden nicht über einen Einzelfall, sondern wir reden über ein System – damit kommen wir auch dazu, dass es wichtig ist, mit wem wir reden –, bei dem Banker und andere einflussreiche Leute mal eben ihr Handy zücken und einflussreiche Leute in der Politik mal eben anrufen können, eben treffen können, Zugang zum Oberbürgermeister haben, mehrfach Zugang zu Abgeordneten haben, denen nach einer Zeit natürlich auch einmal etwas spenden können. Genau diese Zugänge haben andere eben nicht. Die Handwerker und Handwerkerinnen, die Krankenpfleger usw. haben diesen Zugang nicht. Das ist der Lobbyismus, der eben nicht funktioniert. Gespräche sind richtig, aber die Ausgewogenheit ist wichtig. Ich spreche doch nicht mit Leuten, die wahrscheinlich verurteilt werden oder zumindest Steuern hinterziehen und ein Verfahren anhängig haben. Genau mit solchen Leuten redet man nicht. Deswegen müssen wir vom Lobbyismus sprechen. ({2}) Deswegen müssen wir auch sagen, welche Regelungen wir haben wollen. Erstens. Wir brauchen nicht nur Transparenz in diesem Fall, sondern wir brauchen eine allgemeine Transparenz. Politiker müssen offenlegen, mit wem sie Gespräche führen. Da muss man hinterher nicht nach Kalendern sehen. Es muss eingetragen werden, mit wem sie Gespräche geführt haben. Zweitens. Wir brauchen einen Kodex für klare Regelungen für Abgeordnete, Minister usw. Und wir brauchen ein Lobbyregister, das den Namen verdient und nicht nur für den Bundestag gilt, sondern auch für die Bundesregierung. Wir brauchen nicht das, was Sie hier am Freitag einführen werden, sehr geehrte Damen und Herren, liebe GroKo, sondern wir brauchen ein richtiges Lobbyregister. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512

Letzter Satz: Wir brauchen die Einsetzung einer Cum/Ex-Soko und genug Steuerfahnder, um diesen Fall auch wirklich aufzuklären. Dann wären wir einen Schritt weiter. Wir brauchen keine schönen Worte, dass wir irgendwann einmal anfangen, ernst zu machen. Danke schön. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Andreas Schwarz. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich beginnen mit einem abgewandelten Zitat des amerikanischen Schriftstellers Henry Louis Mencken. Er hat einmal gesagt: „Unmoral ist die Moral derer, die sich amüsieren.“ Und ich ergänze: auf Kosten des Steuerzahlers. Amüsiert, zumindest für eine gewisse Zeit, meine Damen und Herren, haben sich diejenigen, die mit viel krimineller Energie ein Geschäftsmodell entwickelt haben, das nur ein einziges Ziel kannte: den Staat, und damit uns alle, zu betrügen. Wir reden heute hier wieder von den rechtswidrigen Cum/Ex-Geschäften. Hätte mich jemand vor einigen Jahren gefragt: „Was bedeutet Cum/Ex?“, hätte ich wahrscheinlich geantwortet, wie viele: „Zwei lateinische Wörter.“ – Dass sich hinter Cum/Ex aber Geschäftsmodelle verbergen, die mit Aktienleerverkäufen um den Dividendenstichtag eine mehrfache Erstattung einer nur einmal gezahlten Kapitalertragsteuer erzielen, musste ich mir im Untersuchungsausschuss in intensiver Einarbeitung näherbringen. Oder, wenn man es einfacher ausdrücken will: einmal Kapitalertragsteuer zahlen und sich mindestens zweimal oder noch mehr mit entsprechenden Steuerbescheinigungen ganz frech Steuern vom Staat erstatten lassen, die man gar nicht bezahlt hat. Jeder ehrliche Mensch in diesem Land weiß: Das ist Betrug, und das ist im Prinzip, sonst hätte es nicht funktioniert, bandenmäßige Steuerhinterziehung, die hier in diesem Land gelaufen ist. Was für ein Geschäftsmodell! Meine Damen und Herren, wer waren diese Kriminellen? Machen wir uns nichts vor: Solange es auf der Welt Regeln gibt, wird der Mensch immer versuchen, Regeln zu umgehen, und wenn es ums Geld geht, wird er mit Sicherheit sehr kreativ. Die, die sich hier am Steuergeld bedient haben, sind die, die sich auf Kosten der Allgemeinheit amüsiert haben, die uns alle hier betrogen und beklaut haben. Das waren keine Kleinanlegersparmodelle. Nein, es waren superreiche Menschen, wie wir im Untersuchungsausschuss zur Kenntnis nehmend durften. Es waren Banken, die sich eine Parallelwelt im Cum/Ex-Bereich geschaffen haben, und sie haben sich auch von der Solidargemeinschaft dieser Gesellschaft verabschiedet. Diese Geschäfte wurden im Prinzip auch nur unter dem Ladentisch gehandelt. Um es mit den Worten meines ehemaligen Kollegen Uli Krüger zu sagen: „Gier frisst Seele und Anstand“, meine Damen und Herren. Ich verrate kein Geheimnis, dass in diesem Zusammenhang auch zahlreiche, angeblich ehrbare Wissenschaftler mit Gefälligkeitsgutsachten mitgemacht haben, um den Akteurinnen und Akteuren auf den Finanzmärkten zu suggerieren: Läuft alles im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. – Ja, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, die wie wir hier auch regelmäßig einkaufen gehen, das ist ungefähr so, als wenn man den Tatbestand des Ladendiebstahls mit entsprechenden Rechtsgutachten so lange verdreht, bis nicht mehr der Dieb der Täter ist, sondern der Ladenbesitzer. Dies ist in höchstem Maße empörend und gehört in den Bereich der organisierten Kriminalität. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits vor vier Jahren haben wir mit dem Cum/Ex-Untersuchungsausschuss dieses rechtswidrige Geschäftsmodell aufgeklärt und auf über 1 000 Seiten viele Verantwortliche beim Namen genannt. Und, meine Damen und Herren, es ist bis heute viel passiert, auch wenn man das im Hohen Hause nicht unbedingt zur Kenntnis nehmen will. Buchen wir einen Teil der Debatte heute auf Wahlkampf. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaften ermitteln mit Hochdruck und versuchen, möglichst viele Täter dingfest zu machen. Wie wir feststellen: Sie haben auch Erfolg. ({0}) Aufgrund der Komplexität und sehr schwierigen Geschäftsstruktur von Cum/Ex-Modellen erfordert das nicht nur enormen Sachverstand, sondern es braucht auch viel Zeit. Ich weiß aber, dass unsere Behörden hier vehement und tatkräftig arbeiten, um die Täter ausfindig zu machen. An dieser Stelle auch einmal Dank dafür, dass der Vollzug der Gesetze in diesem Land funktioniert. ({1}) Zudem leisten Bund und Länder in den letzten Jahren Enormes, um zu Unrecht erstattete Steuern zurückzufordern. Die Summen haben wir schon gehört. Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen, es war Norbert Walter-Borjans in seiner damaligen Funktion als nordrhein-westfälischer Finanzminister, der durch den Ankauf von Steuer-CDs einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dieses Steuerbetrugsmodell aufzudecken und diverse Tatverdächtige auch ausfindig zu machen. Welche Kritik durfte er sich in diesem Land aus mancher Reihe anhören, als er uns half, Steuerkriminalität zu bekämpfen! Olaf Scholz jedenfalls – da seien Sie einmal ganz sicher –, meine Damen und Herren, unternimmt alles, um Cum/Ex-Geschäfte und ähnliche Gaunereien zu unterbinden und zu Unrecht gezahlte Steuerbeträge zurückzufordern. Das hat er Ihnen auch schon mehrfach plausibel dargelegt. Er macht –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– ich weiß – es nicht nur national, sondern auch international. Dafür unseren Dank! Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Das Amüsement der Unmoralischen muss ein Ende haben. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Es ist Schluss mit lustig. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Schwarz. – Es macht sich bereit für die CDU/CSU der Kollege Sepp Müller. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Solange nichts bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung, und das gilt natürlich auch für den Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Dass sich natürlich die SPD – das ist auch ihr gutes Recht – für ihren Kanzlerkandidaten hier in die Bresche schmeißt, ist vollkommen verständlich. Aber wir als Abgeordnete in diesem Hohen Haus haben auch die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Da stellen sich doch schon einige Fragen im Fall der Warburg-Bank ({0}) mit Cum/Ex und dem damaligen Gebaren unseres jetzigen Bundesfinanzministers und damaligen Ersten Bürgermeisters. Herr Schrodi, Sie hatten vorhin gesagt, es gebe keine neue Faktenlage. Doch. Die Faktenlage ist klar neu: Im Frühjahr und im Sommer dieses Jahres hat unser Bundesfinanzminister uns erklärt, er hätte sich ein Mal mit dem Vertreter der Warburg-Bank getroffen. Wie wir jetzt aus Medienberichten erfahren, gab es weitere Treffen und ein Telefonat. Just nach diesem Telefonat, drei Tage später, lässt die Hamburger Finanzbehörde 47 Millionen Euro zulasten des Hamburger Haushaltes verstreichen. Das sind Fragen, die geklärt werden müssen, Herr Scholz. ({1}) Welche Rolle haben Sie damals gespielt? Was haben Sie in diesem Telefonat mit Herrn Olearius und mit dem Vertreter der Warburg-Bank besprochen? Wissen Sie, Herr Scholz, ich kann vollkommen verstehen, dass Sie als Regierender Bürgermeister viele Gespräche führen, und dass Sie deswegen Erinnerungslücken haben, was einzelne Gespräche angeht, weil es so viele sind, kann ich auch nachvollziehen. Aber wir reden hier von einer Größenordnung von 47 Millionen Euro. Ihr sozialdemokratischer Bürgermeisterfreund Michael Jahn aus Jessen hat sich bei mir und beim Kollegen Diaby aus der SPD-Bundestagsfraktion vehement dafür eingesetzt, dass er 2,7 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt zur Sanierung seiner Turnhalle bekommt. Ich kann Ihnen sagen: Zehn Jahre später kann er sich immer noch an jedes einzelne Gespräch dazu erinnern, weil er traurig ist, dass er das Geld nicht bekommen hat. Für 47 Millionen Euro hätten wir 20 Schulen und Turnhallen in diesem Land, auch in der Hansestadt Hamburg, sanieren können. Lieber Herr Scholz, warum haben Sie darauf verzichtet? Diese Frage stelle ich mir schon. Dann muss natürlich noch eine Frage aufgeklärt werden – ich hoffe, das wird die Hamburgische Bürgerschaft tun –: Wenn ein Jahr nachdem die Hamburger Finanzbehörde auf 47 Millionen Euro verzichtet hat, 46 000 Euro als Spende an die Hamburger SPD fließen, von der Bank, die 47 Millionen Euro behalten durfte. Das ist eine Frage, die müssen wir klären. Herr Scholz, das ist in Ihre Zeit nicht nur als Hamburger Bürgermeister, sondern auch als Landesvorsitzender der Hamburger SPD gefallen. Diese Frage müssen Sie beantworten. ({2}) Wenn Sie dann am Ende sagen: „Das sind Erinnerungslücken“, dann bin ich doch etwas verwundert, dass es bei solchen Beträgen Erinnerungslücken gibt. (Michael Schrodi [SPD]: Wieder Unterstellungen! Keine Fakten! Aber lassen Sie uns nicht nur die Vergangenheit debattieren. Wir haben uns mit Ihnen schon über das Thema einer eventuellen Fusion von Commerzbank und Deutscher Bank unterhalten. Wir haben demnächst wahrscheinlich einen Wirecard-Untersuchungsausschuss. Wir unterhalten uns mit Ihnen über Cum/Ex und die Warburg-Bank. Getreu dem Motto von Altkanzler Schröder – der war ja der „Genosse der Bosse“ – wollen Sie anscheinend in die Geschichtsbücher eingehen als „Lenker der Banker“. ({3}) Deswegen müssen wir uns die Frage stellen: Wie wollen wir, nicht nur was die Vergangenheit angeht, sondern zukünftig mit diesem Land umgehen? Sie wollen Spitzensteuersätze erheben und verzichten gleichzeitig auf 47 Millionen Euro. Lassen Sie uns doch in diesem Parlament endlich einmal über eine Unternehmensteuerreform reden. ({4}) Vorschläge von der Unionsfraktion liegen auf dem Tisch. Dieses Land ist wirtschaftlich am Rande, und Sie reden das teilweise herbei. Anstatt über eine Unternehmensteuerreform zu reden, reden Sie über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. ({5}) Lassen Sie uns doch über die Verkäuferin in Hamburg reden, die mit 2 600 Euro brutto so belastet ist, dass sie am Ende wegen Kurzarbeit teilweise gar nicht mehr ihre Miete des letzten Monats bezahlen kann. ({6}) Warum führen wir nicht solche Debatten, lieber Herr Scholz? ({7}) Ich erwarte von einem Bundesfinanzminister, dass er solche Fragen beantwortet. ({8}) Ich erwarte nicht von einem Bundesfinanzminister, dass er sich an jedes Detail eines Telefonats erinnert, nein. Aber wenn es um 47 Millionen Euro geht, um 20 Schulen und Turnhallen in diesem Land, dann erwarte ich schon, dass er diesem Parlament Rechenschaft abliefert und nicht von Erinnerungslücken spricht. Danke. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wir kommen zum letzten Redner in der Aktuellen Stunde, und das ist der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ja Leute, die denken bei der heutigen Debatte an Wahlkampf. Das steht – das wollte ich nur mal sagen – überhaupt nicht zur Debatte. Es hat nichts mit Wahlkampf zu tun. Es geht um eine rein objektive Klärung der Verhältnisse. ({0}) – Ja, jeder merkt sofort, was ich gemeint habe. Wie kann überhaupt jemand darauf kommen, dass Wahlkampf eine Rolle spielt? Ich wollte noch etwas zum Schutz verschiedener Leute sagen. Ich kenne Herrn Kretschmann gut. Der hätte alle Termine parat. Der erinnert sich an alles, auch der Volker Wissing aus Rheinland-Pfalz, auch der Lothar Binding aus Baden-Württemberg und auch der Kollege Güntzler. Wir hätten alle die Termine, die wir vor drei Jahren hatten, sofort und spontan parat. So viel will ich einmal zum Schutz unseres Erinnerungsvermögens sagen. Nur dass wir wissen, worum es geht; das ist schon klar. ({1}) Ich will noch etwas sagen: Ich kenne den Olaf Scholz ganz gut. Dem kann man bestimmt etwas vorwerfen. Aber was man ihm nicht vorwerfen kann, ist, dass er nicht mit den Leuten redet. Er redet übrigens auch mit einer Krankenschwester. Der redet auch mit einem Hafenarbeiter. Der redet auch mit einer Lehrerin, und der redet auch mit einem Banker. Wenn jetzt ein so richtig wichtiger Banker, der so richtig lobbyieren will, der so richtig seine Interessen durchsetzen will, zum Olaf Scholz kommt, dann sagt der Olaf Scholz: Geben Sie Ihr Papier mal bitte zum Finanzressort. – Dieser Lobbyist ist also total zufrieden und sagt: Der hat mich richtig gut bedient. Der hat gesagt: Geben Sie Ihr Papier zur Fachabteilung. – Da merkt man: Irgendwie muss der doch bei dem Olaf Scholz an eine Grenze gestoßen sein, die ihm nicht gefällt. Übrigens: Es ist kein Geld verloren gegangen. ({2}) Wir sehen heute: Der eine Teil, 43 Millionen Euro, ist zurückgezahlt, für den anderen, 47 Millionen, gibt es einen Rückforderungsbescheid. Der ist sozusagen ergangen, und da warten wir auf das Geld. Das ist also ganz normal rechtsförmlich abgearbeitet. Und ja – das habe ich jetzt auch gelernt –, Olaf Scholz hat sich dreimal getroffen. Lisa Paus hat dann gesagt, er habe hinter den Kulissen auf Kosten des Gemeinwohls gekuschelt. Da frage ich mich, ob das wirklich stimmt. ({3}) – Woher weißt du, was da passiert ist? Ich weiß es nicht. Ich würde das in die Kategorie dessen stellen, was der Michael Schrodi eben gesagt ist: Es ist eine Unterstellung. ({4}) Mir werden jeden Tag irgendwelche Vorschläge gemacht. Ich bekomme jeden Tag irgendwelche Forderungen – jeder weiß, von wem die kommen – aufgeschrieben. Manche meinen sogar, wir hätten Dinge verabredet, die sie mir nur erzählt haben. Die erzählen mir, gehen nach Hause und sagen: Das habe ich mit dem verabredet. – Ich habe gar nichts dazu gesagt. Also, auch das gibt es. Unternehmen, Banken, Versicherungen, Vereine und Verbände, alle tragen uns was vor. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Nun hat der Fabio De Masi auch was zitiert. Wir haben ein kleines Problem: Wir zitieren immer aus dem Tagebuch von einem, den wir gleichzeitig als den Betrüger bezeichnen. Wir zitieren also jemanden, der uns eigentlich möglicherweise auch keine gute Quelle ist. Jedenfalls gibt es dieses Tagebuch, und da steht drin, wann man sich getroffen hat. ({5}) – Das hast du gut zitiert. – Was aber komischerweise nicht zitiert wird – auch in der Öffentlichkeit wurde das schon bewusst verschwiegen; das kann ich nachweisen –, ist, dass der Bürgermeister nicht hat erkennen lassen, welche Haltung er einnimmt. Was ist denn das für ein trauriger Tagebucheintrag? ({6}) Da gehe ich als Lobbyist irgendwohin, und der, den ich frage, der lässt nicht erkennen, was er denkt? ({7}) Das ist jedenfalls kein Zugeständnis, dass er mich unterstützt. ({8}) Jetzt hat jemand gesagt, er hätte ihm den Kopf waschen müssen. Jetzt möchte ich mal wissen, ob ein Gauner in sein Tagebuch schreibt: Der Bürgermeister hat mir den Kopf gewaschen. – Wie kann man denn die Quellenlage so verdrehen? Der ist also ganz traurig nach Hause gegangen. ({9}) Übrigens: Wer das nachlesen will, der kann mal im „Hamburger Abendblatt“ vom 19. Februar 2020 – das „Hamburger Abendblatt“ lese ich nicht so oft – nachschauen. Da wird ein bisschen erklärt, wie die Hintergründe sind, und da kann man auch lesen, dass offensichtlich in der Medienlandschaft in Hamburg es sehr unterschiedliche Auffassungen dazu gibt und dass auch die Medien gelegentlich parteipolitisch irgendwie sortiert sein könnten. Der Florian Toncar war ganz traurig. Er hat gesagt: Millionen von Bürgern werden geprüft, die armen Arbeitnehmer zahlen einen Grenzsteuersatz von 36 Prozent – was nur heißt, die zahlen keine 36 Prozent –, und eine Warburg-Bank zahlt 90 Millionen Euro nicht zurück. – Die muss sie ja zurückzahlen. Was du verschwiegen hast, ist, dass die juristische Bearbeitung all der vorhin genannten Fälle – die 499 und 391 – ja im Gange sind. Die Betrüger werden juristisch verfolgt, und das ist richtig; das haben wir heute schon ganz oft gehört. ({10}) Insofern ist klar, dass hier mit Vermutungen gearbeitet wird und dass es unterschiedliche Auffassungen von Behörden gibt. ({11}) Ich will es ganz explizit sagen: Das hat was mit Verjährung zu tun. In dem Moment, wo jemand sagt: „Es ist Steuerhinterziehung“, gelten zehn Jahre, und das Geld wäre nie weg gewesen, ist man anderer Auffassung, gelten kürzere Verjährungsfristen. Darum kümmern wir uns jetzt, weil wir selbst alle zusammen einen kleinen Fehler gemacht haben. Im Moment ist ein bisschen unsicher, was vor Juli passiert. Das wird jetzt korrigiert. Insofern, glaube ich, sind wir auf einem guten Weg, und wenn wir ohne Unterstellungen arbeiten, sogar auf einem richtigen. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Binding. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Sarah Ryglewski (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004622

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen das Dilemma einer Parlamentarischen Staatssekretärin: einerseits im Parlament sitzend und andererseits hier vorne am Redepult stehend und dann auf der Regierungsbank sitzend. Unser Thema ist heute die Reform der Kraftfahrzeugsteuer. Hier geht es um ein wesentliches Element dessen, was auch unsere Gesellschaft prägt: Es geht um das Thema Mobilität. Mobilität ist eine wesentliche Voraussetzung für Beschäftigung und Wohlstand in unserer Gesellschaft. Sie ermöglicht es den Menschen überhaupt erst, am wirtschaftlichen und auch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Aber Verkehr ist – das wissen wir alle – auch einer der größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Und der Verkehr belastet auch unabhängig davon Mensch und Umwelt etwa durch Lärm, durch Straßenbau und auch durch vollgeparkten öffentlichen Raum. Klar ist deshalb: Wir müssen im wichtigen Sektor Verkehr die CO2-Bilanz deutlich verbessern. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Klimaschutz und bezahlbare und sozial gerechte Mobilität miteinander in Einklang zu bringen; denn es kann nicht sein, dass die Frage der Mobilität vom Geldbeutel abhängt. Unser Ziel ist es – das betone ich ganz ausdrücklich –, entsprechend den Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens die CO2-Emissionen im Verkehrssektor um mindestens 40 bis 42 Prozent zu verringern und zugleich die sozialen Belange zu berücksichtigen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu gewährleisten und bezahlbare Mobilität sicherzustellen. Um diese Ziele zu erreichen, hat die Bundesregierung das Klimaschutzprogramm 2030 verabschiedet. Im Verkehrssektor liegt der Fokus dabei ganz klar auf Anreizen für klimafreundliche Mobilität. Das Ganze ist nur mit einem wirklichen Maßnahmenbündel zu schaffen. Es geht um den Ausbau des ÖPNV, es geht um die Frage, wie wir Radverkehr und andere Alternativen attraktiver machen. Aber es geht – und das muss man, glaube ich, so klar sagen – auch darum, dass wir den Individualverkehr den entsprechenden Verhältnissen anpassen und wir hier den Umstieg auf elektrische Antriebe und andere emissionsarme Fahrzeuge attraktiver machen. Das Steuerrecht ist hier ein wesentliches Instrument. Das Steuerrecht muss hier wirklich steuern und unser Ziel unterstützen, den Klimawandel einzudämmen. Wir müssen das Steuerrecht klimagerechter ausgestalten. Hier haben wir auch schon einiges erreicht. Ich erinnere an das Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht, mit dem der notwendige Veränderungsprozess bereits begonnen wurde, um die Herausforderungen der CO2-Reduktion auch im Verkehrssektor steuerrechtlich anzugehen. Mit dem heute eingebrachten Regierungsentwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes führen wir diesen Reformprozess maßgeblich fort und setzen ein klares Zeichen für einen nachhaltigen und klimafreundlichen Straßenverkehr. Der Gesetzentwurf sieht insbesondere vor, für erstzugelassene Pkw die CO2-Prüfwerte durch progressiv gestaffelte Steuersätze stärker zu gewichten und hier auch tatsächlich die realen Emissionen zu berücksichtigen. Konkret heißt das: Künftig sind für Erstzulassungen Steuersätze von 2 bis 4 Euro je Gramm pro Kilometer vorgesehen, die im Bereich von 95 bis 195 Gramm pro Kilometer jeweils innerhalb von fünf gleichmäßigen Stufen und einer nach oben offenen Stufe gelten sollen. Für Pkws, die besonders wenig ausstoßen, gibt es eine Reduktion um 30 Euro für fünf Jahre. Wir werden die E-Mobilität weiter stärken, indem wir die Förderung erstzugelassener Pkws in diesem Bereich – die Förderung wäre Ende des Jahres ausgelaufen – bis 2025 verlängern. Hier werden keine Steuern fällig. Einen letzten Punkt aus dem Gesetz möchte ich, bevor ich zum Ende kommen muss, noch aufgreifen. Ich habe eingangs gesagt: Es geht darum, dass wir verschiedene Ziele in Einklang bringen. Wir sehen beim Thema Wirtschaft, bei Handwerkern, die Problematik, dass gerade im Bereich der leichten Nutzfahrzeuge wenige Alternativen zur Verfügung stehen. Hier sind wir davon abgegangen, die bisherigen höheren Besteuerungen fortzuführen, und schaffen Entlastung. Hiervon würden rund 390 000 Fahrzeuge profitieren. Ich glaube, das macht sehr deutlich, dass wir hier einen ausgewogenen Gesetzentwurf haben, der den verschiedenen Zielen im Bereich der Mobilität einerseits und dem Ziel einer deutlichen Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehrsbereich andererseits Rechnung trägt. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen zu diesem Gesetz. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Die nächste Rednerin ist für die Fraktion der AfD die Kollegin Franziska Gminder. ({0})

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur heutigen ersten Lesung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes möchte ich vorausschicken: Die deutsche Automobilindustrie ist unsere wichtigste Schlüsselindustrie, von der unzählige Arbeitsplätze abhängen. Schwer getroffen durch den Corona-Shutdown, liegt die Autoproduktion heute 15 Prozent unter dem Wert vom Februar, Autos im Wert von circa 14 Milliarden Euro sind auf Halde. Der gestrige Autogipfel der Kanzlerin mit Vertretern von Autoindustrie, Gewerkschaften und Ministerpräsidenten der autoproduzierenden Länder hat keine neuen Beschlüsse gebracht. Zu einer Kaufprämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ist es leider nicht gekommen. ({0}) Zur Durchsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens plant die EU-Kommission massive Einschränkungen der individuellen Mobilität in ganz Europa. Erreicht werden soll das durch die Verteuerung und Strafzahlungen für konventionelle Pkw, Fahrverbote und Subventionierung der E‑Mobilität. Leider ist die deutsche Regierung bei der Diskriminierung der deutschen Autoindustrie und Autofahrer voll dabei. ({1}) Das private Auto ist für weite Teile der Bevölkerung unersetzlich. Ein Auto bedeutet Freiheit und unabhängige Beweglichkeit, zumal in verkehrstechnisch schlecht angebundenen ländlichen Regionen. Es ist Familienkutsche und Arbeitsmittel. Die Bundesregierung hält den Verkehr für den größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Deshalb will sie die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis 2030 um mindestens 40 Prozent verringern. Deshalb soll die Kfz-Steuer stärker an CO2-Emissionen ausgerichtet werden. Eine erhöhte CO2-Besteuerung in Deutschland ist jedoch rein ideologisch begründet und ändert das Weltklima nicht; denn die globalen CO2-Emissionen werden nicht weniger, wenn Deutschland seine Automobilwirtschaft abwürgt und Länder wie China und Indien weiter unbegrenzt CO2 ausstoßen dürfen. ({2}) Der Wirtschaft, einschließlich der mittelständischen Unternehmen, entstehen für neue Pkw höhere Kosten, soweit die Fahrzeuge einen CO2-Prüfwert von mehr als 115 Gramm pro Kilometer aufweisen. Die E-Mobilität soll es jetzt richten. Elektroautos werden bevorzugt und finanziell gefördert: Kaufprämie E‑Mobil 9 000 Euro, Kaufprämie Hybridfahrzeug 6 750 Euro seit Juni 2020, weiterhin eine Kfz-Steuer-Befreiung ab Kaufdatum bis Ende 2025, mit Verlängerungsmöglichkeit bis Ende 2030. Die Regierung träumt von 7 bis 10 Millionen E‑Fahrzeugen bis Dezember 2030. Die AfD hält diese Zahlen für völlig illusorisch. ({3}) Hinderungsgründe für die Zukunft der Elektroautos sind: erstens der teure Anschaffungspreis trotz Kaufprämie. Wer soll sich das leisten können? Zweitens. Die Herstellung der Batterien ist nicht nachhaltig: kurze Lebensdauer, Austausch sehr teuer, keine Entsorgungslösung für verbrauchte Batterien. Drittens: die Naturzerstörung in Afrika für den Abbau der Seltenen Erden mithilfe von Kinderarbeit zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Viertens. Die Batterien werden in Asien und in den USA hergestellt. Das wird auch die Tesla-Fabrik in Grünheide nicht entscheidend ändern. Fünftens: eingeschränkte Reichweite und Mangel an geeigneten Ladestationen einheitlicher Art. Woher soll der benötigte Strom denn kommen? Es gibt eine lange Aufladezeit. Sechstens: die Problematik der Explosionsgefahr und der schieren Unmöglichkeit der Löschung im Brandfall. Warum schließt die Bundesregierung Verbrennungsmotoren mit synthetischen Treibstoffen, die wir jetzt schon haben, nahezu aus? E‑Fuels sind eine echte Alternative. Jetzige Verbrenner, insbesondere Diesel, haben eine bessere Gesamt-Ökobilanz als Elektroautos, deren Batterie extrem umweltschädlich ist. Verbraucher sollen Wahlfreiheit – Diesel, Otto, Hybrid oder E-Auto – haben und nicht vom Staat gegängelt werden. Nicht noch mehr Verbote, Regulierungen und Bevormundungen!

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich komme zum Schluss. – Die AfD will private und bezahlbare Autos erhalten. Wir als AfD-Fraktion lehnen die jetzige Klima- und Autopolitik entschieden ab, nicht weil wir gegen Umwelt- und Naturschutz sind, sondern weil wir die Maßnahmen der Bundesregierung für ideologisch, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin.

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– nicht zielführend und für die deutsche Wirtschaft für schädlich halten. ({0}) Wir brauchen keine Planwirtschaft, sondern eine Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft, die in der Vergangenheit bestens funktioniert hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Dr. Hermann-Josef Tebroke. ({0})

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steht zum Pariser Abkommen und zu seinen nationalen Klimaschutzzielen. Wir wollen die Verantwortung für das Klima wahrnehmen. Deshalb hat unser Kabinett vor etwa einem Jahr das Klimaschutzprogramm als ein umfassendes Arbeitsprogramm beschlossen. Es soll darum gehen, insbesondere im Verkehrsbereich Emissionen – davon war bereits die Rede – deutlich zu reduzieren. Dazu sind zahlreiche Maßnahmen beschlossen worden; einige davon sind Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfes, den wir zu diskutieren haben. Es geht nicht darum, gegen die Automobilindustrie zu agieren, sondern es geht darum, für die Bürgerinnen und Bürger einen Anreiz zu schaffen, sich für emissionsärmere Fahrzeuge zu entscheiden. Es geht also nicht um Verbote oder Strafabgaben, sondern darum, den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, dass sie mit emissionsärmeren Fahrzeugen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Auf drei wesentliche Punkte des Gesetzentwurfs möchte ich kurz zu sprechen kommen. Der erste Punkt betrifft die Änderung des Steuertarifs in § 9 KraftStG in Verbindung mit einem neu eingefügten § 10b KraftStG. Seit 2009 – Sie wissen das – besteht die Kfz-Steuer eines neu zugelassenen Pkw aus zwei Komponenten: einer Hubraumkomponente und einer CO2-Komponente. Mit diesem Änderungsgesetz soll die CO2-Komponente eine stärkere Gewichtung im Steuertarif erhalten. Die ersten 95 Gramm pro Kilometer bleiben frei. Danach steigt der Tarif in sechs Stufen von 2 Euro auf 4 Euro pro Gramm CO2 je Kilometer. In den Vorgesprächen zum Gesetzentwurf war es unserer Fraktion wichtig, besonders emissionsarme Fahrzeuge nochmals günstiger zu stellen. Mit dem neu geschaffenen § 10b KraftStG erhalten Käufer eines Neuwagens, der weniger als 95 Gramm CO2 pro Kilometer aufweist, bis Ende 2024 eine Entlastung in Höhe von bis zu 30 Euro pro Jahr. Wer also ein klimafreundliches Auto kauft, wird – zumal im Vergleich zu den stärker emittierenden Fahrzeugen – zum Teil deutlich weniger Kfz-Steuer zahlen als bisher. Dies ist ein deutliches Signal für den Klimaschutz und – hoffentlich – ein starker Anreiz für den Kauf und dann auch die Produktion emissionsärmerer Motoren. Eine gute Nachricht, meine Damen und Herren. ({0}) Der zweite Punkt betrifft die geplante Änderung in § 3d KraftStG. In den letzten fünf Jahren ist die Anzahl der Elektrofahrzeuge zwar auf das Fünffache gestiegen, aber von einer niedrigen Basis aus. Auch wenn in den letzten Monaten die Zulassungszahlen deutlich gestiegen sind, kann das auf gar keinen Fall zufriedenstellen. Deshalb unterstützen wir als Fraktion die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Verlängerung des Erstzulassungszeitraums für die Gewährung der zehnjährigen Steuerbefreiung reiner Elektroautos. Das heißt, wer sich bis Ende 2025 ein Elektroauto kauft, wird bis Ende 2030 weiter von der Kfz-Steuer komplett befreit – auch dies ein deutliches Signal. ({1}) Der dritte Punkt des Gesetzentwurfs, auf den ich nur ganz kurz hinweisen möchte, betrifft die Abschaffung einer Ausnahmeregelung in § 18 KraftStG, die sich in der Praxis nicht bewährt hat und nicht zuletzt zahlreiche mittelständische Betriebe und Handwerker benachteiligt hat. Danach sind verkehrsrechtlich und steuerrechtlich bindend als leichte Nutzfahrzeuge eingestufte Fahrzeuge, etwa Pritschenwagen, abweichend wie Pkw und damit höher zu besteuern, wenn sie geeignet sind, mehrere Personen zu befördern. Das wird jetzt abgeschafft. Ich bin froh, dass das Bundesfinanzministerium den damit verbundenen bürokratischen und finanziellen Mehraufwand erkannt hat und diesen Missstand nun korrigiert. Ich bin auch froh und dankbar den Kolleginnen und Kollegen, namentlich Frau Bellmann, die die Hinweise aus der Wirtschaft und aus der Verwaltung aufgenommen haben und zu der vorliegenden Lösung beigetragen haben. Meine Damen und Herren, in den Vorberatungen zum vorliegenden Gesetzentwurf sind zahlreiche Varianten der Steuerbemessung gerechnet und intensiv diskutiert worden. So sind bei der Bemessung der Steuern neben Hubraum und potenziellem CO2-Ausstoß auch Kriterien wie Masse, Volumen, Grundfläche und Motorleistung herangezogen worden, die zum Teil korrelieren und mehr oder weniger deutlich die Belastungen für das Umfeld darstellen. Aber je mehr Kriterien in die Ermittlung der Steuer miteinbezogen werden, desto intransparenter wird das System, und desto schwieriger wird es, den Effekt nachzuvollziehen, den wir mit der Kfz-Steuer erreichen wollen. Wenn wir wie hier aber eindeutige und deutliche Anreize für den Kauf emissionsärmerer Fahrzeuge setzen wollen, dann wäre in Erwägung zu ziehen, auf die einnahmestabilisierende Hubraumkomponente zugunsten der CO2-Komponente gänzlich zu verzichten. Dagegen sprechen aber fiskalische Argumente – immerhin zu diskutieren. Würde man der Argumentation noch weiter folgen – wenn ich das an dieser Stelle darf –, dann läge es nahe, von der Besteuerung des potenziellen CO2-Ausstoßes auf die Besteuerung des tatsächlichen Ausstoßes überzugehen. ({2}) Das hieße dann aber, von der Kfz-Steuer ganz abzugehen und die Steuer an dem tatsächlichen Ausstoß respektive Verbrauch von Kraftstoffen festzumachen. ({3}) Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, so weit sind wir noch nicht. Unter den aktuellen Bedingungen spricht vieles für den vorliegenden Gesetzentwurf. Aber kein Gesetzentwurf ist so gut, dass er nicht im Laufe der parlamentarischen Beratung noch verbessert werden könnte. Insofern freue ich mich nicht nur auf die öffentliche Anhörung, sondern auch auf die zahlreichen sachlichen Debatten im Ausschuss und den Arbeitsgruppen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Tebroke. – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege Till Mansmann. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Nicht alles am vorliegenden Gesetzentwurf ist schlecht. Dass Sie zum Beispiel Handwerksbetriebe entlasten, indem Sie die Einstufung von Handwerksfahrzeugen neu bewerten, das begrüßen wir Freien Demokraten. Auch dass Sie uns von den rechtlichen Artefakten befreien, die Minister Scheuers Mautdebakel hinterlassen hat, ist eine gute Entscheidung. Aber was die Bewertung insgesamt angeht: Hatten wir nicht alle gesagt, dass wir nach Corona etwas anders machen? ({0}) Hatten wir nicht alle gesagt: „Da verändern wir das Land mit unbürokratischen, modernen Konzepten; da verbinden wir unsere Wirtschaftskraft besser mit sozialem Ausgleich, Klimaschutz und Digitalisierung“? Hören Sie einfach mal, was der Bundesrechnungshof zu Ihrem Gesetz sagt: Es handele sich bei diesem Gesetz um – Zitat – „keine konsequente CO2-bezogene Reform der Kfz-Steuer“. ({1}) Vielmehr blieben die – Zitat – „tatsächlichen CO2-Emissionen des Fahrzeugs … unberücksichtigt“, ({2}) während es zu einem – Zitat – „Verlust der Systematik bei der Kraftfahrzeugbesteuerung“ komme. Das sind die Ideen, mit denen Deutschland endlich im 21. Jahrhundert ankommen soll? Es ist ja nicht so, dass Ihnen das nicht bewusst wäre. Auf meine schriftliche Einzelanfrage zur sachlichen Herleitung Ihrer vorgeschlagenen Maßnahmen teilte mir die Bundesregierung mit, dass – Zitat – „Fahrbedingungen, Fahrleistung und Fahrweise als wesentliche Einflussfaktoren auf reale Abgasemissionen … kraftfahrzeugsteuerrechtlich … ebenso wie aus den realen Abgasemissionen resultierende Schadenbetrachtungen ohne Belang“ sind. ({3}) Sorgen Sie dafür, dass künftig nicht das Halten eines Fahrzeuges, sondern die tatsächliche Inanspruchnahme belastet wird. ({4}) Es ist Zeit, Schluss zu machen mit dem bunten bürokratischen Mix aus Öko- und Pkw-Stillstandssteuern ({5}) und stattdessen wirksamen Klimaschutz durch einen marktwirtschaftlichen Preis auf CO2 als zentrales Steuerungsinstrument in allen Sektoren einzuführen, am besten europaweit. Herr Kollege Tebroke, Sie sagen, wir seien nicht so weit. Ich sage Ihnen: Wir sind jetzt so weit. Wann, wenn nicht jetzt? ({6}) Bei der Automobilindustrie fahren wir eine komische Strategie. Wir zwingen sie mit Überregulatorik in die Knie, ({7}) und dann subventionieren wir sie aus Steuereinnahmen, die gar nicht mehr so gut fließen, weil die Industrie ja fast kaputt ist. Stattdessen müssen wir doch eine technologieneutrale Grundstruktur in die Steuer bringen. Aber was passiert bei uns? Sie belegen die Bürger mit einem undurchsichtigen Abgabennetz: Stromsteuer, Kfz-Steuer, Energiesteuer obendrauf, hier und da noch die Umsatzsteuer usw. Damit erreicht man keinen Klimaschutz, sondern wilde Steuererhöhungen durch die Hintertür, und das ist das, was hier eigentlich passiert. ({8}) Das hat mit gerechter Steuerpolitik nichts zu tun, das hat mit gesunder Klimapolitik nichts zu tun, das hat mit sinnvoller Verkehrspolitik nichts zu tun. So kommt unser Land nicht im 21. Jahrhundert an. ({9}) Geben Sie sich doch einen Ruck, und legen Sie uns mal ein mutiges Konzept vor, das dem von uns allen formulierten Anspruch wirklich gerecht wird. Wir haben gesagt: Nach Corona wird die Politik besser. – Jetzt, während der Coronapandemie, muss das anfangen. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Einen Moment, Herr Kollege Cezanne. Wir müssen noch Reinigungsarbeiten vornehmen. – Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Jörg Cezanne. ({0})

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Reform der Kraftfahrzeugsteuer ist seit Langem überfällig. Sie wird von Verkehrsverbänden, von Umweltverbänden und auch von der Linken gefordert. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf haben CDU/CSU und SPD aber eine grundlegende Neuorientierung, eine Zukunftsausrichtung für eine echte Verkehrswende verpasst. Worum muss es gehen? Zur Abwendung der drohenden Klimakatastrophe ist es zwingend notwendig, auch die Kfz-Steuer, auch wenn sie dabei nicht die Hauptrolle spielen wird, darauf auszurichten, den Ausstoß schädlicher Klimagase wie CO2 durch Autos gänzlich zu vermeiden. Daher ist es richtig – da geht die Vorlage auf jeden Fall in die richtige Richtung –, wenn sich die Kfz-Steuer in Zukunft noch weniger an der Größe der Motoren, sondern noch stärker am CO2-Ausstoß orientiert. Die im Gesetzentwurf sogar vorgesehene exponentielle Steigerung der Steuersätze für Kraftfahrzeuge mit höherem CO2-Ausstoß bietet einen richtigen finanziellen Anreiz, beim Neuwagenkauf auf Modelle mit geringerem CO2-Ausstoß zu setzen. ({0}) Dass die Neuregelung nur für Neuwagen gilt, halten wir für angemessen und richtig. Autofahrer müssen also nicht für ihren derzeit genutzten Privat-Pkw auf einmal höhere Steuern zahlen. Darauf könnten insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen kaum sofort mit der Anschaffung eines neuen Pkws reagieren. – Auch da stimmen wir zu. ({1}) Der andere Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfs liegt in der geplanten Verlängerung der vollständigen Kfz-Steuer-Befreiung für Autos mit Elektroantrieb. Dazu muss ich sagen: Ökologisch ist es einfach unsinnig, ausnahmslos alle Modelle von der Steuer zu befreien. Jeder Wagen mit batterieelektrischem Antrieb hat einen CO2-Ausstoß – er braucht ja Strom –, aber ein solcher Kleinwagen verursacht weniger CO2-Ausstoß als ein 2 Tonnen schwerer, 500 PS starker Elektro-SUV, auch wenn hinten scheinbar kein Dreck rauskommt. Die Energiewende, die Verkehrswende wird ja nicht dadurch vorangetrieben, dass wir ein Auto mit Verbrennungsmotor durch ein gleichartiges Auto mit Elektromotor ersetzen, sondern dadurch, dass wir weniger Autos auf der Straße haben und mehr in den Umweltverbund investieren; und dafür taugt diese steuerliche Regelung nicht. ({2}) Konsequent wäre es, bei der Berechnung der Kfz-Steuer für batterieelektrische Autos auch den bei der Herstellung des Stroms anfallenden CO2-Ausstoß zu berücksichtigen. Wir hatten bereits in die Beratungen zum Klimapaket einen Vorschlag der Deutschen Umwelthilfe dazu eingebracht. Greenpeace hat Größenklassen vorgeschlagen, an denen man sich orientieren könnte. Es gibt also noch einiges zu bereden. Lassen Sie uns loslegen! Danke schön. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Stefan Schmidt. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf ein Elektroauto in Deutschland kommen 28 SUVs. Kein Wunder also, dass der CO2-Ausstoß im Verkehr zuletzt wieder stieg. So erreichen wir die Pariser Klimaziele nicht. Die sind und bleiben aber unsere Richtschnur, und dafür muss der CO2-Ausstoß endlich deutlich sinken, insbesondere im Verkehrsbereich. ({0}) Die Menschen brauchen Anreize, um statt Spritschluckern emissionsfreie oder zumindest emissionsarme Autos zu kaufen. Diesen Anreiz bietet der Vorschlag der Bundesregierung aber nicht. Ich will das mal an drei Punkten festmachen: Erstens. Die Bundesregierung will Plug-in-Hybride subventionieren. Das ist nicht logisch und schon gar nicht sinnvoll. Plug-in-Hybride sind keine Elektroautos mit ein bisschen Verbrenner. Das sind Verbrenner mit ein bisschen Elektro. Schlimmer noch: Sie stoßen teilweise mehr CO2 aus als reine Verbrenner. Warum sollen gerade die gefördert werden? Davon profitiert nur die Autoindustrie. Dem Klima und damit uns allen bringt das überhaupt nichts. ({1}) Der zweite Punkt. Ja, es ist ganz nett, dass reine Elektroautos nach wie vor begünstigt und für weitere zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit werden sollen. Aber so eine Regelung gibt es doch schon, und die Menschen haben trotzdem nicht den Autohäusern die Türen eingerannt, um Elektroautos zu kaufen. Warum auch? Die paar Euro Ersparnis im Jahr machen Elektromobilität nicht attraktiver. Klar ist: Wir müssen wegkommen von Diesel und Benzinern. Das ist mein dritter Punkt: Deren Besteuerung kommt in dieser Reform viel zu kurz. Um das mal vor Augen zu führen, zitiere ich Zahlen der Bundesregierung. Letztes Jahr zahlte man in Deutschland für einen neu zugelassenen Benziner mit einem CO2-Ausstoß von über 195 Gramm pro Kilometer durchschnittlich 324 Euro Kfz-Steuer im Jahr. Wenn das gleiche Auto nächstes Jahr zugelassen wird, zahlt man gerade mal 130 Euro mehr. – Glauben wir wirklich, dass sich diejenigen, die sich einen SUV leisten wollen, von 11 Euro mehr im Monat davon abhalten lassen? Wer das glaubt, glaubt wirklich auch an Märchen. ({2}) Wir brauchen echte Anreize, damit die Menschen umsteigen. Die bietet nur ein Bonus-Malus-System: Wer Autos mit hohem CO2-Ausstoß fährt, muss die ökologischen Folgen tragen und Gutschriften für diejenigen finanzieren, die umsteigen. ({3}) Das hat dieser Tage auch ein Gutachten bestätigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man bei einer Steuerreform Applaus von der Autolobby bekommt, dann sollte uns das zu denken geben. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass aus diesem Feigenblatt-Reförmchen der Bundesregierung doch noch eine ordentliche Reform wird. Ich hoffe, dass die Aussagen, die heute gefallen sind – dass man auf weitere Verbesserungen des Gesetzentwurfs dringen wird –, auch gehört werden. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Schmidt. – Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Michael Schrodi. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir setzen einen weiteren Bestandteil des großen Klimaschutzpakets der Bundesregierung um, und zwar mit einer stärkeren Ausrichtung der Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß – neben der Komponente Hubraum. Diese Regelung ist sozial ausgewogen, entfaltet aber dennoch Lenkungswirkung, gemeinsam mit anderen Maßnahmen, die wir getroffen haben. Die Kfz-Steuer-Reform ist nicht isoliert zu betrachten. Wir haben im Verkehrsbereich schon einiges auf den Weg gebracht. Ich erwähne beispielsweise die Erhöhung der Luftverkehrsteuer, die Mehrwertsteuersenkung für die Bahn, auch massive Investitionen in die Bahn und in den öffentlichen Personennahverkehr. Zusammengenommen entfalten diese Maßnahmen eine Lenkungswirkung im Verkehrsbereich und werden für CO2-Einsparungen sorgen. Und nun eben die Kfz-Steuer-Reform. Zentraler Bestandteil dieser Reform sind neue CO2-Tarifklassen mit ansteigenden, progressiven Steuersätzen und auch eine Verlängerung der Steuerbefreiung für reine E-Autos. Beides führt dazu, dass Anreize geschaffen werden, auf CO2-ärmere oder komplett CO2-freie Mobilität zu setzen. In der Bevölkerung ist an dieser Stelle natürlich schon eine klare Vorstellung vorhanden, wen diese Regelungen treffen sollen. Da ist die Idee: Große Autos, SUVs sollen getroffen werden – diese hätten einen höheren CO2-Ausstoß –, während kleine, oft günstigere Autos mit weniger Hubraum nicht getroffen werden sollen; denn diese hätten weniger CO2-Verbrauch. So einfach ist die Sache leider nicht, wenn man sich das anschaut. Denn wenn man beispielsweise ein Auto aus dem Segment Mini mit 138 Gramm CO2 pro Kilometer mit einem Auto aus dem Segment SUV, das immer herangezogen wird, mit einem Ausstoß von 146 Gramm pro Kilometer vergleicht, dann sieht man, dass man da gar nicht so weit auseinander ist und es gar nicht so einfach ist, die zu treffen, die man treffen will. Wir haben uns deshalb, damit wir das auch sozial ausgewogen hinbekommen, an dem klassischen Familienauto orientiert; denn wir wollen ja gerade solche Personenkreise nicht über Gebühr belasten. Herausgekommen ist eine Reform der Kfz-Steuer, die einerseits Lenkungswirkung entfaltet, wo es sinnvoll ist, ohne andererseits Bürgerinnen und Bürger über Gebühr zu belasten. Wo ist es denn sinnvoll? Inwiefern entfaltet sie denn Lenkungswirkung? Da sei mal zuerst zu erwähnen: Zwei Drittel der Neuzulassungen sind nicht für private Haushalte, sondern für Firmen oder Autovermieter. Da haben wir beispielsweise mit solchen Autovermietern gesprochen. Die haben gesagt: Eine zu hohe Belastung; es seien mehrere Hunderttausend Euro. Wenn man aber mal genau hinschaut: Der Flottenwert beträgt im Schnitt 136 Gramm pro Kilometer. Bei 135 Gramm pro Kilometer beginnt schon ein geringerer Steuertarif. Und genau um das geht es: Bei Firmenwagen oder auch bei solchen Unternehmen gibt es einen Anreiz, die Flotte eben entsprechend CO2-ärmer auszugestalten, um dann CO2 und damit auch Geld zu sparen – und das am besten mit einem höheren Anteil von E-Autos. Das ist eben die Lenkungswirkung, die dieses Gesetz entfaltet, und deswegen bringen wir das auch auf den Weg, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Und dennoch, muss man sagen, kann man nicht erwarten, dass von dieser Kfz-Steuer alleine die Wirkung ausgeht, nun CO2 zu begrenzen, sondern es ist eben in einem Gesamtmaßnahmepaket zu sehen, das wir auf den Weg gebracht haben. Und in diesem Sinne ist es gut, dass wir das auf den Weg bringen. Danke schön. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu Tagesordnungspunkt 3 ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Klimakabinett hat am 20. September 2019 beschlossen: Die Bundesregierung wird die Kfz-Steuer stärker an den CO2-Emissionen ausrichten und dazu ein Gesetz zur Reform der Kfz-Steuer bei Pkw vorlegen, so dass von dieser eine deutlich stärkere Lenkungswirkung beim Neuwagenkauf hin zu emissionsärmeren bzw. emissionsfreien Antrieben ausgeht. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt dies um. Die bisherige Systematik – mein Kollege Hermann-Josef Tebroke hat es auch erläutert – setzt auf zwei Komponenten bei der Berechnung der Kfz-Steuer, einmal auf den Hubraum je angefangene 100 Kubikzentimeter, und der andere Fakt ist der CO2-Ausstoß je Gramm pro Kilometer. In der bisherigen Systematik der Kfz-Steuer galt ein einheitlicher Steuersatz oberhalb der CO2-Grenze von 95 Gramm pro Kilometer in Höhe von 2 Euro pro Gramm. Nun wird ein stärkerer Anreiz gesetzt hin zu emissionsärmeren Fahrzeugen mit gestaffelten Steuersätzen bis 4 Euro pro Gramm bei hohen CO2-Werten. Das ist doch ein deutliches Signal und soll Anreize schaffen für neue und klimafreundliche Fahrzeuge, übrigens auch für den Neuerwerb von Fahrzeugen. Insofern ist die Autoindustrie mit Sicherheit auch da bedacht, so dass weitere Fahrzeuge gekauft werden. ({0}) Ich möchte in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs drei Punkte besonders hervorheben: Erstens. Ein wesentlicher Punkt des Gesetzentwurfs ist die Verlängerung der Steuerfreiheit für Elektrofahrzeuge. Zunächst war die Regelung zur zehnjährigen Steuerfreiheit bis 2020 befristet. Nun wird beim Erstzulassungszeitraum die zehnjährige Steuerfreiheit bis 2025 bzw. die Auszahlung bis 2030 verlängert. Damit gibt es einen starken Impuls für die Verwirklichung unserer Klimaziele in Richtung alternativer Antriebe, übrigens auch für Wasserstoff. Ein zweiter wichtiger Punkt dieses Gesetzentwurfs – das war der CSU aber auch ganz wichtig – ist es, emissionsärmere Verbrennungsmotoren ebenfalls zu begünstigen. Eine reine Fokussierung auf die Elektromobilität wäre ein Fehler. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, dann kann das nur mit einer Technikoffensive ohne Scheuklappen und mit Sachverstand passieren. ({1}) Und, lieber Herr Kollege Schmidt, wenn Sie da die SUVs usw. anführen: Es geht doch nicht um SUV oder Sportwagen oder Pkw. Es geht darum, dass wir emissionsarme oder emissionsfreie Antriebe fördern, und deswegen setzen wir dieses Gesetz so um. ({2}) Übrigens, auch bei Verbrennungsmotoren in Kombination mit Plug-in-Hybrid-Technik gibt es ja eine deutliche Reduzierung von CO2. Bei Pkws mit Werten bis 95 Gramm je Kilometer wird eine entsprechende Erleichterung von 30 Euro pro Jahr für die nächsten fünf Jahre gegeben. Auch das ist ein richtiges Ziel für die Weiterentwicklung unserer Klimaziele. Ich glaube, es wird auch dazu dienen, dass im Verbrennungsmotorbereich neue Technologien eingesetzt werden, und das ist gut und richtig: technologieoffen und klimaschonend. Und ein dritter wichtiger Punkt – das war der CSU auch wichtig – ist die Abschaffung des § 18 Absatz 12 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, die sogenannte Pick-up-Steuer. Hier wurden ja insbesondere Handwerksbetriebe in den letzten Jahren bei leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen immer wieder von neuen Belastungen betroffen. Man hat ein Fahrzeug gekauft, und dann war die Frage: Ist es eine Einordnung als Personenkraftwagen, ist es eine Einordnung als Nutzfahrzeug? Und letztlich sind immer weitere Belastungen aufs Handwerk und auf den Mittelstand zugekommen. Diese Rechtsunsicherheit ist beendet. Es wird keine weitere Diskussion mehr geben, keine weitere Rechtsunsicherheit. Es bleibt dabei, dass es leichte Nutzfahrzeuge sind. Das ist ein wichtiges Signal für den deutschen Mittelstand und ein wichtiges Signal für das Handwerk. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen begrüßen wir ausdrücklich den Gesetzentwurf. Wir sind auf dem Weg, mit dem Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ein zukunftsweisendes und den Klimazielen verpflichtetes Gesetz zu verabschieden, übrigens aus meiner Sicht transparent und unbürokratisch, weil es völlig nachvollziehbar ist, wie berechnet wird. Mich wundert schon, lieber Herr Kollege Mansmann von der FDP, dass Sie Verbrauchsbesteuerungen vornehmen wollen. Damit belasten Sie den Pendler, damit belasten Sie den Unternehmer, der viel fahren muss. ({4}) Also, dass die FDP im Bundestag den Vorschlag macht, den Mittelstand zu belasten, den Handwerker zu belasten, den Vielfahrer zu belasten, das ist schon ein wirklich außerordentlicher Vorgang; den sollte man sich merken. ({5}) Und vielleicht ein letzter Punkt: Ich bin froh, dass man es im Haushalt – bis auf die Abschaffung der Pick-up-Steuer von ungefähr 100 Millionen Euro – aufkommensneutral geschafft hat. Auch das ist übrigens ein Zeichen für eine solide Haushaltspolitik und eine zukunftsgerichtete, nachhaltige Haushaltspolitik. Insofern: Gehen wir in die Beratungen! Heute ist die erste Lesung. Wir werden sehen, was noch zu tun ist, und werden es diskutieren. Aber vom Grunde her ist das ein sehr guter Vorschlag, dem wir zustimmen können. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/20978 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Also, es wird ja in Mali ein UN-Mandat verwirklicht, und die EU hat sich entschlossen, bei der Ausbildung von Soldaten und Offizieren in Mali jede Unterstützung zu gewähren, und es ging ja um einen Kampf gegen bestimmte Rebellen. Deutschland entsandte auch Soldaten nach Mali, und es wurden auch welche hier in Deutschland ausgebildet. Die Regierung Malis galt schon immer als korrupt; das hat die Bundesregierung nicht weiter gestört, ist aber schon ein Punkt. Nun haben wir einen Militärputsch erlebt. Auch die von uns Ausgebildeten haben durch die Ausbildung die Fähigkeit erworben, einen solchen Putsch durchzuführen; das muss man erst mal real feststellen. ({0}) – Ja, Entschuldigung, das ist einfach so. ({1}) – Ich werde es Ihnen ganz konkret sagen. Zwei am Putsch beteiligte malische Offiziere wurden in Deutschland ausgebildet, darunter der Vorsitzende des vorübergehenden Putschrates Assimi Goita. Er wurde 2008 an einer Truppenschule der Bundeswehr als Kompaniechef ausgebildet. Außerdem hat er in Garmisch-Partenkirchen einen Lehrgang in Tourismusbekämpfung absolviert. ({2}) – Nein, Terrorismusbekämpfung; Entschuldigung. ({3}) – Na ja, das kann manchmal identisch sein, aber nur in seltenen Fällen. ({4}) Ein weiterer Offizier wurde von 1997 bis 2004 an einer Bundeswehruniversität ausgebildet. Beide waren am Putsch beteiligt. Was haben sie mit dem Putsch gemacht? Sie haben die verfassungsmäßige Ordnung zerstört und die Regierung gestürzt, und nun regieren eben Militärputschisten. § 8 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ermöglicht es, eine Entsendung zu widerrufen. Wenn Sie das nicht tun, dann sagen Sie: Es ist Ihnen völlig egal, dass Sie Soldaten ausgebildet haben, die dadurch zum Putsch fähig geworden sind und ihn durchgeführt haben. ({5}) Und Sie sagen etwas ganz Neues: Erstmalig würde die Bundeswehr dann eine Militärputsch-Regierung unterstützen und an ihrer Seite stehen. ({6}) Und das nehmen Sie einfach so hin? Glauben Sie wirklich, dass das mit unserem Grundgesetz in Übereinstimmung stehen kann? Dort werden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geschützt. Militärputschisten kennen keine Demokratie, und die kennen auch keine Rechtsstaatlichkeit. Deshalb ist es meines Erachtens die Pflicht des Bundestages, so schnell wie möglich gemäß § 8 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes die Zustimmung zur Entsendung der Soldaten nach Mali zu widerrufen. Es wird höchste Zeit. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der CDU/CSU hat das Wort der Kollege Markus Koob. ({0})

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind hier im Mai das letzte Mal zusammengekommen, um über Mali und die Bundeswehrmandate, die wir damals verlängert haben – EUTM Mali und MINUSMA –, zu reden. Allen Rednern damals war eines gemeinsam: Sie haben die Lage in Mali aufgegriffen, die uns alle mit großer Sorge erfüllt. War die Lage im Mai schon schwierig, so ist sie bis heute sicherlich nicht besser und vor allem auch nicht übersichtlicher geworden; das muss man sicherlich feststellen. Als Mitte August die Meldung kam, dass es in Mali einen Putsch gegeben hat, sind mir zunächst mal zwei Fragen durch den Kopf gegangen: Die erste Frage ist: Was bedeutet das für unsere Soldatinnen und Soldaten, die mit der Bundeswehr dort unten in diesen beiden Missionen ihren Dienst tun? Sind sie sicher, und können wir diese Einsätze fortführen oder nicht? ({0}) Die zweite Frage ist: Was bedeutet das eigentlich für die Zukunft Malis? Ich fange mal mit dem ersten Punkt an, weil das auch für uns in meiner Fraktion die Nummer eins und am wichtigsten ist. Die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten steht an oberster Stelle. Sobald diese nicht mehr gewährleistet ist, müssen wir eingreifen. Nach unserem Kenntnisstand war sie aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet, und ich danke auch hier dem Verteidigungsministerium ausdrücklich dafür, dass es dafür Sorge getragen hat, dass die Soldatinnen und Soldaten vor Ort entsprechend sicher sind. ({1}) EUTM Mali ist im Moment ausgesetzt; MINUSMA läuft weiter. Natürlich werden wir auch schauen müssen, wie es in Mali weitergeht, und darüber beraten, ob diese Einsätze eine langfristige Zukunft haben oder nicht. Die Frage ist: Ist heute der Zeitpunkt, um darüber zu entscheiden? Ich finde, nein, und werde auch gleich sagen, warum. Die zweite Frage ist: Was bedeutet es eigentlich, wenn wir unser Bundeswehrengagement und vielleicht sogar auch das internationale Engagement in Mali jetzt beenden? Und da – das muss ich ganz ehrlich sagen, Herr Gysi – war ich wirklich ein bisschen enttäuscht von Ihrer Rede. Ihr Antrag gibt ja eigentlich nur rein formale Gründe wieder, warum wir die Bundeswehr zurückholen und das Mandat beenden sollten. Sie setzen sich aber mit keiner Silbe mit der Frage auseinander, was das eigentlich heißen würde. Ich bin auch deshalb enttäuscht von Ihnen, weil letztes Jahr zwei Kolleginnen aus Ihrer Fraktion in Mali waren und Gespräche mit Entwicklungshelfern geführt haben. Die Entwicklungshelfer haben klar gesagt: Die militärische Präsenz vor Ort ist eine Voraussetzung dafür, dass Entwicklungshilfearbeit überhaupt stattfinden kann. ({2}) – Das ist die zweite Frage, aber Sie müssen doch erst mal überlegen, was die Konsequenz wäre, wenn wir hier heute beschließen würden: Wir ziehen die Bundeswehr zurück. – Die Konsequenz wäre, dass wir die Entwicklungshilfe vor Ort nicht weiter fortführen könnten. Sie müssen doch auch mal eine Perspektive eröffnen und sagen, was das dann für das Land heißt. Ist es denn eine verantwortungsvolle Politik, heute, wo wir noch gar nicht wissen, in welche Richtung sich dieses Land in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt, zu sagen: „Wir ziehen jetzt die Truppen zurück, überlassen das Land sich selbst und sorgen dafür, dass es weiterhin in Chaos gestürzt wird“? Ich glaube, dass für all diejenigen, die damals im Mai schon gesagt haben, dass die Situation in Mali nicht nur eine Bedeutung für dieses Land selbst, sondern auch für die Stabilität der Sahel- und der Subsahararegion insgesamt hat, gelten muss: Dieses Argument gilt heute umso mehr. Denn wenn wir zulassen, dass Mali destabilisiert und ins Chaos gestürzt wird, dann hat das möglicherweise auch Auswirkungen auf die Nachbarländer, zum Beispiel auf Burkina Faso, das ebenfalls schon mit großen Problemen kämpft. Deshalb, glaube ich, ist heute der falsche Zeitpunkt, um über eine Rückkehr unserer Soldaten zu reden, sondern wir müssen überlegen, wie wir damit umgehen und wie wir die Aktion und das Engagement von ECOWAS unterstützen können, hier für einen schnellen zivilen Übergang und schnelle Wahlen zu sorgen, damit es hier auch wieder zu einer geordneten demokratischen Regierungsbildung kommt. Die völkerrechtlichen Grundlagen für die Fortsetzung der Mandate sind da, und auch deshalb gibt es im Moment keinen Grund, über eine Beendigung nachzudenken. Der AfD-Antrag geht ja im Prinzip in eine ähnliche Richtung. Ich will mich jetzt nicht groß zu handwerklichen Fragen des Antrags äußern, aber es hat mich etwas überrascht, dass Sie Quellen aus der Systempresse dafür anführen, warum wir diesen Einsatz in Mali beenden müssten. Ich kenne Ihre Rede noch nicht, Herr Maier. Wir haben aber schon öfter über Mali geredet. Deshalb habe ich eine ungefähre Vorstellung, in welche Richtung das gehen wird. Wahrscheinlich ist es die Richtung, dass wir es unseren Soldatinnen und Soldaten dort vor Ort nicht zumuten können, unter solchen Bedingungen ihren Dienst zu leisten, und dass es hier auch um Anerkennung geht. Da sage ich: Ja, es geht hier um Anerkennung und um Wertschätzung von Arbeit. Ich sage Ihnen aber auch: Heute Mittag, als wir hier in Anwesenheit von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble einen Dank an die Polizistinnen und Polizisten ausgesprochen haben, die versucht haben, sich der Menge entgegenzustellen, die hier in den Reichstag eindringen wollte – in Mali sind übrigens auch Polizisten und nicht nur Soldaten im Einsatz –, haben wir erlebt, dass Sie es als einzige Fraktion geschafft haben, bei diesem Dank an die Polizistinnen und Polizisten nicht aufzustehen. Ich glaube, Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie sich in Ihrem Redebeitrag hier jetzt wieder als die Wächter von Recht, Sicherheit und Ordnung gerieren oder nicht. Ich glaube, das haben Sie spätestens mit dem heutigen Tage verwirkt. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der AfD hat als Nächstes das Wort der Kollege Dr. Lothar Maier. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben uns mit dem Thema Mali in diesem Hause im Grunde seit 2013 zigmal – ich weiß nicht genau, wie oft – beschäftigt. Die Antwort, die dieses Hohe Haus jedes Mal gegeben hat, lautete: Weiter so! – Wohin hat uns dieses Weiter-so inzwischen eigentlich gebracht? Die Lage in Mali – das ist ja von den Vorrednern auch so gesagt worden; man kann es auch nicht mehr verschleiern – verschlechtert sich von Woche zu Woche. Es treffen immer größere Kontingente von Kämpfern der einen und der anderen Seite aufeinander – inzwischen fast in Bataillonsstärke. Es geht auch längst nicht mehr darum, dass Rebellen im Nordteil von Mali bekämpft werden sollen, wie zuvor in den Gebieten der Tuareg und der Fulbe, sondern die Dschihadisten haben ihre Stützpunkte inzwischen auch in den Nachbarländern. Sie haben Stützpunkte in Niger, von denen aus sie immer wieder massiv in Mali eindringen. Sie haben Stützpunkte in Burkina Faso und inzwischen anscheinend auch in Guinea. Offenbar ist mittlerweile sogar Boko Haram dabei, sich in Mali breitzumachen. Dieser Krieg ist mit den vorhandenen militärischen Mitteln definitiv nicht zu gewinnen. ({0}) Wenn Sie ihn gewinnen wollten, dann müssten Sie nicht mit 1 400 deutschen Soldaten in Mali präsent sein, sondern mit 14 000, 40 000 oder 50 000. Das ist natürlich illusorisch, und das kann in niemandes Interesse sein, am allerwenigsten im Interesse der malischen Bevölkerung. Die malischen Truppen und auch die Interventionstruppen verlieren die Initiative. Die Kämpfer, die aus den anderen Staaten kommen, bestimmen, wann und wo sie zuschlagen. Die Abwehrkräfte können nirgendwo so stark sein, dass man bei überraschenden Angriffen auch nur die Chance zu einer wirksamen Gegenwehr hätte. Das ist die militärische Seite, aber das ist es nicht alleine. Die andere Seite ist: Der malische Staat ist auf 90 Prozent des malischen Territoriums nicht existent; den gibt es nicht. Das geben inzwischen sogar Regierungsinstitutionen zu. Es gibt dort kein Justizsystem, und wo es keine Gerechtigkeit gibt, da hält man sich natürlich an diejenigen, die gerade die Stärksten zu sein scheinen. Es gibt kein Gesundheitswesen. Es gibt kein Schulsystem. Es gibt keine Infrastruktur, die in der Lage wäre, eine einigermaßen vernünftige Entwicklung des Landes zu garantieren. Deswegen braucht dieser Konflikt keine militärische, sondern eine politische Lösung, und um die müssen wir uns bemühen. ({1}) Wir haben in diesen Tagen einen Putsch erlebt, der Hoffnungen geweckt hat. Nur haben die Putschisten als Erstes erklärt, sie suchten nicht nach einem Ausgleich mit den verfeindeten Völkern der Tuareg und der Fulbe; im Gegenteil: Sie wollten den Kampf gegen die Regionen im Norden intensivieren. Das kann sicherlich keine Grundlage sein, auf der man in diesem Land weiterarbeiten kann. Andere Staaten treten hinzu. Auch die Türkei ist jetzt offensichtlich in Mali aktiv geworden. Im benachbarten Niger verfügt sie bereits über einen Militärstützpunkt. Für die Türkei ist das ein willkommener Anlass, sich bei Frankreich, das in Mali noch viel stärker engagiert ist, als wir es sind, durch entsprechende Wühlarbeit, wenn nicht sogar durch militärische Anwesenheit, zu revanchieren und ein paar Hühnchen zu rupfen, die man eigentlich anderswo mit Frankreich zu rupfen hat. Unsere Antwort lautet daher nicht „Weiter so!“, sondern: Lassen Sie uns versuchen, zusammen mit den Staaten der Region und mit den jetzigen Interventionsmächten eine politische Lösung für diesen Konflikt zu finden. Stimmen Sie dem Antrag der AfD zu, die deutschen Truppen, die noch in Mali stehen, sofort zurückzuholen! Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Christoph Matschie. ({0})

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke und die AfD haben beantragt, die Bundeswehr sofort aus Mali abzuziehen. Ich halte das nicht für eine gute Idee, und ich sage Ihnen auch, warum. Zunächst, Herr Gysi: Der Regierungskoalition ist überhaupt nicht egal, was da gerade in Mali passiert ist, und man macht auch nicht einfach so weiter, sondern die Bundesregierung hat diesen Putsch sehr klar und deutlich verurteilt und die Rückkehr zu einem demokratisch legitimierten System gefordert. Das ist die Grundlage, auf der wir weiter agieren werden. ({0}) Wir befinden uns da übrigens in Übereinstimmung mit anderen international Beteiligten. Die Afrikanische Union hat direkt am Tag nach dem Putsch nicht nur den Putsch verurteilt, sondern auch darum gebeten, MINUSMA nicht aus Mali abzuziehen. Warum? Weil die Befürchtung besteht, dass durch einen solchen Abzug ein weiteres Sicherheitsvakuum entstehen könnte, das wiederum bewaffnete Gruppen bzw. terroristische Gruppen ermutigt, in dieses Sicherheitsvakuum vorzustoßen. Das ist eine Erfahrung, die wir an vielen Stellen auf der Welt gemacht haben: Dort, wo ein Sicherheitsvakuum entsteht, gibt es Leute, die versuchen, dieses Vakuum zu füllen. Aber das wäre keine gute Entwicklung für Mali. ({1}) Was passiert im Moment? ECOWAS hat schon vor dem Putsch, als es Unruhen in Mali gab, versucht, zu vermitteln und ist jetzt dabei, in diesem Konflikt Druck auf die Putschregierung auszuüben hinsichtlich der Entwicklung in Mali. Am letzten Montag hat der ECOWAS-Rat getagt; er hat die Beteiligten in Mali dazu aufgefordert, bis zum 15. September dieses Jahres eine Lösung zu finden, wie ein ziviler Übergangspräsident installiert werden und wie ein Prozess hin zu freien Wahlen aussehen kann. Die Putschregierung hat Gespräche mit der Zivilgesellschaft aufgenommen. In den letzten Tagen sind Gespräche mit ungefähr 500 Beteiligten geführt worden; diese Gespräche gehen in dieser Woche noch weiter. Wir sind gut beraten, zunächst abzuwarten, was dabei herauskommt. Wenn es gelingt, eine zivile Übergangsregierung und einen zivilen Ministerpräsidenten ins Amt zu bringen und einen klaren Fahrplan für freie Wahlen zu beschreiben, dann wäre es doch das Verkehrteste überhaupt, jetzt unsere Unterstützungsmission in Mali zu beenden und die Lage weiter zu destabilisieren. Im Gegenteil: Es ist richtig, dazubleiben und eine mögliche positive Entwicklung zu unterstützen. ({2}) Dass wir nicht einfach so weitermachen, zeigt auch die Tatsache, dass die Ausbildungsmission EUTM Mali erst mal abgebrochen worden ist; sie wird in dieser Situation nicht fortgeführt. Sie kann auch erst dann fortgeführt werden, wenn klar ist: Es gibt einen Weg hin zu einer demokratisch legitimierten Regierung. Wir müssen also gemeinsam mit den internationalen Partnern die Situation genau im Blick behalten und positiv auf die Entwicklungen Einfluss nehmen. Niemandem ist damit gedient, wenn Mali im Chaos versinkt und wenn als Nächstes vielleicht auch Burkina Faso im Chaos versinkt. Im Gegenteil: Wir haben ein eminentes Interesse an Stabilität und Sicherheit in der Region. Die können wir aber nur herstellen, wenn wir gemeinsam mit den Partnern der internationalen Gemeinschaft handeln, und das tun wir. Deshalb bitte ich, die beiden Anträge abzulehnen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Kollege Ulrich Lechte. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Wie üblich sind Christoph Matschie und ich uns inhaltlich absolut einig. Dem Kollegen Gysi darf ich sagen: Ich liebe es, wenn Sie reden. Ich höre Ihnen immer sehr gerne zu; Sie sind ein begnadeter Rhetoriker. ({0}) Wenn wir aber hier im Hohen Hause über so etwas diskutieren wie den Abbruch einer Mission, der wir alle seit Jahren zustimmen – – ({1}) – Außer Ihnen links und außer Ihnen rechts; das Spiel kennen wir ja. Deswegen dürfen wir ja heute darüber diskutieren, weil ihr eure Grundeinstellung gar nicht geändert habt. Es geht ja nicht darum, dass wir hier einen Politikwechsel vollziehen, sondern ihr nutzt nur die Situation, um das, was ihr vorher schon vorgetragen habt, erneut vorzutragen, und ihr nutzt den Staatsstreich – der Gott sei Dank sehr unblutig abgelaufen ist –, um hier eure Thesen erneut zu verbreiten. Wir aber, die Mitte des Hauses – und dazu zählt die FDP genauso wie die Grünen, die SPD und die CDU/CSU –, ({2}) sind der Meinung, dass wir in dieser Region aus guten Gründen unterwegs sind: weil es um die Stabilität geht. Dieses Wort haben wir heute schon häufig gehört. Es geht auch um unseren vernetzten Ansatz, den eigentlich auch Die Linke immer gut findet, wenn es um entwicklungspolitische Maßnahmen geht; das haben wir bereits vom Kollegen von der CDU/CSU gehört. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass wir ein Interesse daran haben, dass die Sahelregion zusätzlich zu ihrer Bevölkerungsexplosion nicht weiter destabilisiert wird. Zu den Fakten, die Sie wieder nicht gebracht haben, gehört, dass unter den Obristen – also denjenigen, die geputscht haben; das haben wir im Ausschuss gehört – auch Leute sind, die in Russland ausgebildet wurden. Zwei von den Obersten sind in Russland ausgebildet worden, und einer hatte die Gnade, in den USA ausgebildet zu werden. In dem Sinne hätten wir es also mit einer Weltverschwörung zu tun – die Einzigen, die noch fehlen, sind die Chinesen, die da offensichtlich keine Ausbildung durchgeführt haben –, wenn wir Ihren Thesen folgen würden. ({3}) Es ist aber keine Weltverschwörung. Diejenigen, die geputscht haben, sind Oberste, was in Afrika gar nicht so selten vorkommt. In dieser Region – wir haben es heute schon gehört – steht auch Burkina Faso kurz vor einer Destabilisierung, und der Niger als Nachbarland ist auch nicht sonderlich glücklich dran.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel von der AfD?

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da ich weiß, wo das hinführt, nicht. – Ich möchte festhalten, dass wir eine Verantwortung gerade gegenüber der Bevölkerung dort haben. Wir müssen versuchen, den islamistischen Terrorismus dort kleinzuhalten. Die Probleme sind ja nach wie vor da. Wir müssen aber auch gleichzeitig in der Region mit der weltweit größten Bevölkerungsexplosion dafür sorgen, dass Hilfe bei den Menschen ankommt, dass Entwicklungspotenzial da ist, auch im Bereich von Gesundheit; dazu gehört auch Hygiene. Wir haben gerade erst wieder gehört, dass die Kindersterblichkeit Gott sei Dank weltweit zurückgegangen ist. Das sind Maßnahmen, die wir mit unserem Einsatz in Mali flankierend begleiten müssen. Wir müssen selbstverständlich dorthin kommen, dass es wieder Demokratie in Mali gibt, dass es schnellstmöglich Neuwahlen gibt. Präsident Keïta hat durch seinen Rücktritt dafür gesorgt, dass dieser Weg frei ist. Das ist es, worum es geht. Deswegen lehnen wir selbstverständlich die Anträge, sowohl den der AfD als auch den der Linken, ab und diskutieren weiter in den Ausschüssen und in Fachgremien darüber, wie wir mit der Situation in Mali weiterhin umgehen. Wir wollen natürlich auch nicht mit Putschisten zusammenarbeiten. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Agnieszka Brugger hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in Mali leiden seit Jahren unter Korruption, unter Machtmissbrauch und unter Terroranschlägen. Die Regierung unter Präsident Keïta wurde dabei über die Jahre immer mehr zum Teil des Problems, statt zur Lösung beizutragen. Dass die Bundesregierung die Lage aber immer wieder schöngeredet hat und eben keinen echten Druck auf die politischen Akteure ausgeübt hat, das war ein großes Versäumnis. ({0}) Schon lange hat in Mali eine breite Allianz ihren Unmut friedlich auf die Straße getragen, darunter Frauen und sehr viele junge Menschen. Trotzdem muss bei aller berechtigten Kritik eins ganz klar sein: Der Putsch des Militärs Mitte August ist nicht nur ein Bruch der malischen Verfassung, er darf international nicht als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung anerkannt werden. Daher ist es auch absolut notwendig, die Ausbildung der Sicherheitskräfte durch die europäische Militärmission EUTM zu stoppen, was ja auch passiert ist. Es kann natürlich langfristig nur weitergehen, wenn es jetzt auf schnellstem Wege wieder zu einer legitimen politischen Ordnung unter einer zivilen Führung kommt. Trotzdem wäre es das völlig falsche Signal, zum jetzigen Zeitpunkt, in dieser völlig unübersichtlichen Situation einfach alles hinzuwerfen und abrupt die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aus Mali komplett abzuziehen. Die UN-Friedensmission MINUSMA sollte doch gerade jetzt ihre Möglichkeiten nutzen, um hier in dieser Lage zu vermitteln. Während Teile der Oppositionsbewegung am Anfang den Putsch sogar begrüßt haben, ist nun sehr große Ernüchterung eingetreten; denn das Militär wollte ursprünglich einen Übergangsprozess von drei Jahren. Das wird so weder von den Menschen in Mali noch von der internationalen Gemeinschaft akzeptiert – zu Recht; denn dieser Zeitraum ist natürlich viel zu lang. ({1}) Meine Damen und Herren, ob Mali zu einer Militärdiktatur wird oder ob es eine Demokratie bleibt, das ist die zentrale offene Frage. Einen friedlichen Ausweg und einen echten politischen Neuanfang kann es aber nur geben, wenn die Zivilgesellschaft und die Opposition von Anfang an eingebunden werden. Das mit aller Kraft zu unterstützen, muss doch jetzt gerade die dringlichste Aufgabe der deutschen Außenpolitik sein, ({2}) weil es uns eben nicht egal sein kann, welchen Weg ein so wichtiges Land wie Mali nimmt – menschlich nicht, aber auch sicherheitspolitisch nicht; denn die Probleme aus der Sahelzone können auch sehr schnell hier in Europa bei uns ankommen –, weil Deutschland mit der EU-Ratspräsidentschaft gerade jetzt eine besondere Verantwortung für eine gemeinsame europäische Politik trägt und weil Russland und China massiv darauf aus sind, ihren Einfluss in Mali auszubauen, und dabei kaum das Wohl der Menschen dort im Sinn haben. Ich frage mich aktuell: Was tut eigentlich die Bundesregierung? Es muss endlich Schluss sein mit dieser ambitionslosen Antriebslosigkeit in der deutschen Außenpolitik. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen haben dieses wunderbare Land in den letzten Jahren besucht. Sie werden es auch erlebt haben: Deutschland hat in Mali einen sehr guten Ruf. Die Menschen bringen uns großes Vertrauen entgegen. Das sollte die Bundesregierung angesichts der ernsten Lage annehmen und endlich etwas daraus machen, damit die Menschen in Mali wieder eine Chance auf eine friedliche und eine bessere Zukunft haben. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Florian Hahn. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Dass wir uns die Frage stellen, ob wir angesichts der jüngsten Entwicklungen in Mali nach dem Militärputsch vor wenigen Wochen an unseren verschiedenen Engagements festhalten wollen und sollen, finde ich absolut legitim. Allerdings sollten wir nicht Hals über Kopf unilateral die Segel streichen und die Fahne einrollen, sondern die Lage und die Entwicklungen genau beobachten. Das steht für mich außer Frage. Deutschland engagiert sich im militärischen Rahmen von EU- und VN-geführten Missionen seit 2013 bei der Stabilisierung Malis, zusammen mit den 54 anderen Nationen, von denen mir im Übrigen nicht bekannt ist, dass eine, ähnlich wie das in den Anträgen gefordert ist, jetzt nach dem Putsch sofort die Segel gestrichen hätte. Um diese beiden Einsätze geht es den Antragstellern von links und rechts außen. Beide wollen das sofortige Ende unseres militärischen Engagements in Mali. Die Begründungen sind allerdings recht dünn und offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt. Dass sie konsequenterweise nicht auch unser ziviles Engagement unter die Lupe nehmen, werte ich als weiteres Indiz dafür, dass es ihnen nicht um die Sache geht, sondern um die Show für ihre eigene Anhängerschaft. Trotzdem will ich eine ernsthafte Betrachtung der Lage vornehmen. Die Situation in Mali ist seit vielen Jahren nicht zufriedenstellend, und der Putsch ist sicherlich ein Rückschlag auf dem Weg zu einem stabilen Staat. Allerdings scheinen die neuen Machthaber einen großen Rückhalt in der Bevölkerung zu haben und sind außerdem bereit, mit dem westafrikanischen Staatenbund ECOWAS zu verhandeln; Neuwahlen scheinen nach einer Übergangszeit möglich zu sein. Dies sollten wir dringend unterstützen, damit mittel- und langfristig wieder eine legitime Regierung etabliert werden kann; denn gerade in unserem eigenen deutschen und europäischen Interesse ist es, dass dieses riesige Land in der Sahelzone, das so zentral in Westafrika liegt, nicht völlig zum Failing State wird. Deshalb bleibt unser langfristig ausgerichteter und umfassender Ansatz in Mali richtig – militärisch, politisch und in der Entwicklungszusammenarbeit. So können wir weiterhin zur Stabilisierung der Region beitragen. Aus sicherheitspolitischer Sicht wäre das abrupte Einstellen dieser Aktivitäten geradezu fahrlässig. Wir müssen aber auch immer das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten im Auge behalten. Das ist deshalb wichtig, weil sie sich auf uns verlassen. Es darf kein unverantwortliches Risiko für unsere Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen entstehen. Dazu kann ich nur sagen, dass nach Aussage unserer Kräfte dies in Mali nicht der Fall ist, sondern im Gegenteil die Bundeswehr dort weiterhin hervorragende und wichtige Arbeit leisten kann und von allen Seiten geschätzt wird. Meine Damen und Herren, wir können in dieser Situation nicht einfach unsere Zelte abbrechen und gehen. Das wäre verantwortungslos gegenüber den Maliern und gegenüber unseren Partnern und schlicht gegen unsere eigenen Interessen. Wir müssen auch weiterhin dazu beitragen, dass die Menschen in Mali eine Zukunft haben, sonst suchen sie ihre Zukunft in Europa. Deswegen lehnen wir die Anträge ab. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Dr. Eberhard Brecht hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere ein wenig, dass Herr Dr. Gysi trotz seiner rhetorischen Fähigkeiten den eigenen Antrag etwas schwach begründet hat. Er hat nämlich, ganz anders als im Text, sich auf die Ausbildung der Putschisten in Deutschland kapriziert. Das ist zum einen natürlich nicht die Begründung, die Sie im eigenen Text formuliert haben. Zum anderen ist es etwas kurios: Dann müsste jedes Gymnasium in Deutschland geschlossen werden, aus dem zwei Straftäter hervorgegangen sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Linke und AfD wissen offensichtlich ein bisschen mehr als der Rest des Hohen Hauses. Da berichtet die AfD in ihrem Antrag, dass es in Mali „auf absehbare Zeit“ keine „demokratischen Strukturen“ geben wird. Die Linke geht sogar noch weiter: Sie spricht von der „Errichtung einer dauerhaften Militärjunta“. Mit solchen Mutmaßungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann man eine seriöse Außenpolitik wohl kaum begründen. ({0}) Natürlich ist jeder Putsch gegen eine leidlich demokratisch gewählte Regierung zu verurteilen. Aber wir können heute sehr schwer voraussagen, wer sich im malischen Machtkampf durchsetzen wird. Immerhin bekennt sich das Militärkomitee CNSP in seinem 15-Punkte-Plan zur Einhaltung internationaler Abkommen, auch des Algier-Abkommens, zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen und grundsätzlich – leider ohne Terminierung – zur Abhaltung von Wahlen. Was muss die internationale Gemeinschaft jetzt tun? Sie muss die malische Militärjunta nicht an ihren Ankündigungen messen, sondern daran, was sie tatsächlich realisiert. Bis klare Konturen in Mali erkennbar sind, sollten wir die Stabilität Malis nicht etwa schwächen, sondern wir sollten stabilisierend wirken. Deshalb ein ganz klares Nein zu beiden Anträgen. ({1}) Meine Damen und Herren, es geht heute eigentlich mal wieder um die Grundsätze der Außen- und Sicherheitspolitik beider Parteien. Die Linke lehnt deutsche Auslandseinsätze grundsätzlich ab, ({2}) selbst mit UN-Mandat – Herr Gysi klatscht gerade nicht. Und die AfD bekennt sich zwar formal zu Systemen kollektiver Sicherheit, stellt aber ein „klar erkennbares deutsches Interesse“ über diese politische Orientierung. Dabei fokussiert sich das „deutsche Interesse“ vor allen Dingen auf die Abwehr von Flüchtlingen. Sicherlich – und in dieser ungewollten Koalition nicht gewollt – verfolgen Linke und AfD gemeinsam eine Renationalisierung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Eine solche Politik ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen. Wir bekennen uns ganz klar zu einem multilateralen Politikansatz. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu den Zusatzpunkten 2 und 3 ist der Kollege Thomas Erndl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Für uns ist klar: Sahelregion und Mali bleiben ein wichtiger Einsatzort. Herr Kollege Maier, die Logik habe ich nicht ganz verstanden, dass Sie beschreiben, der Staat Mali sei eigentlich nicht existent; aber auf der anderen Seite sollten wir an politischen Lösungen arbeiten. Dieser Bogen erschließt sich mir nicht ganz. Die politische Lösung in Form eines Friedensabkommens, die gibt es ja. Aber trotzdem braucht die Region Unterstützung, das umzusetzen. Deswegen noch mal: Für uns ist klar: Sahel und Mali bleiben ein wichtiger Einsatzort. Wir wollen nicht, dass Staaten an der Südgrenze Europas zerfallen, und wir wollen nicht, dass Terrorismus und Flucht in unserer unmittelbaren Nachbarschaft wüten. Das ist die Linie, die uns in der Frage leitet, ob und wie wir unsere Soldaten in Mali und in der Region einsetzen, und diese Linie hat sich durch den Putsch in Mali eben nicht verändert. Natürlich wirft die Situation Fragen auf, und es ist gut, dass wir die heute hier beantworten. Lassen Sie mich das hier deutlich sagen: Selbstverständlich ist der Putsch in Mali zu verurteilen. Mali muss schnellstmöglich zu einer demokratisch legitimierten Regierung zurückkehren. Deswegen ist es richtig, dass wir die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, ECOWAS, hier bei ihrem Vorgehen unterstützen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Unmut in der malischen Bevölkerung ist groß. Instabile Sicherheitslage, Korruption, Perspektivlosigkeit, das waren Auslöser der Massendemonstrationen. In dieser fragilen Lage wäre es das völlig falsche Signal gegenüber der Bevölkerung, aber auch gegenüber unseren Verbündeten, wenn wir unsere Soldaten jetzt voreilig aus Mali abziehen würden. ({0}) Ein Abzug wäre auch aus zwei weiteren Gründen falsch. Denn erstens hat sich an der dramatischen, instabilen Sicherheitslage in Mali nichts geändert. Die zentralen Probleme bestehen immer noch, und damit bleibt auch unser Auftrag bestehen. Zweitens ist der Einsatz in Mali Teil einer Gesamtstrategie im Sahel. So haben wir zum Beispiel die Ausbildungsmission EUTM Mali angepasst und das Mandatsgebiet auf die gesamte G-5-Sahelregion ausgeweitet. Das war notwendig, meine Damen und Herren, weil islamistische Terrororganisationen wie IS und al-Qaida eben keine Grenzen kennen. Sie bedrohen nicht nur die eben genannten Länder, sondern auch uns in Europa, und deshalb wäre ein Abzug ein fatales Signal. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass alle deutschen Soldatinnen und Soldaten wohlauf sind. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und ihnen für diesen schwierigen Einsatz danken. ({1}) Sicherheit und Stabilität in Mali und der Sahelregion sind ein strategisches Interesse unseres Landes. Gemeinsam mit unseren Partnern müssen wir uns hier weiter militärisch, aber auch wirtschaftlich und zivilgesellschaftlich engagieren. Jetzt ist auch der Zeitpunkt, beim Thema „Korruptionsbekämpfung“ und vor allem beim Thema „Verwaltungsstrukturen der Armee“ einen großen Schritt nach vorne zu machen. Dieses Fenster müssen wir nutzen. Die Anträge sind abzulehnen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Sarah Ryglewski (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004622

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Vertragsgesetzentwurf werden die Voraussetzungen für die Ratifikation des Mehrseitigen Übereinkommens vom 24. November 2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung geschaffen. Das klingt erst mal sehr kompliziert, sehr technisch, ist aber in der Tat ein sehr, sehr wichtiges Element im Aktionsplan gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, also gegen den Missbrauch von Steuerregelungen, und bewegt sich als wichtiger Punkt im Rahmen des Projekts BEPS, Base Erosion and Profit Shifting. Der BEPS-Aktionsplan enthält eine ganze Reihe von Empfehlungen, wie die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen geändert werden sollen, um Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen zu verhindern. Von diesen Doppelbesteuerungsabkommen gibt es weltweit über 3 000. Mit diesen Doppelbesteuerungsabkommen werden Besteuerungsrechte zwischen Staaten verteilt, und sie sollen sicherstellen, dass jeder seinen fairen Anteil an den Steuern zahlt. Man kann sich vorstellen, dass die Anpassung dieser Abkommen im Wege üblicher bilateraler Vertragsverhandlungen vermutlich mehrere Jahrzehnte dauern würde. Zudem liegt es in der Natur der Sache, dass die vereinbarten internationalen Mindeststandards zur Verhinderung von Abkommensmissbrauch und zur Verbesserung der internationalen Streitbeilegung in Doppelbesteuerungsfällen nur dann funktionieren können, wenn sie zeitnah und einheitlich gelten. Ziel dieses Mehrseitigen Übereinkommens ist es daher, die verschiedenen Doppelbesteuerungsabkommen in einem neuen Verfahren und eben ohne diese langwierigen Verhandlungen möglichst schnell anzupassen. Für die beitretenden Staaten gibt es daher zunächst zwei Pflichtpunkte, die alle erfüllen müssen. Das sind zum einen die Regelungen zu den beiden Mindeststandards gegen Abkommensmissbrauch und für Streitbeilegung. Diese bewirken unter anderem die Aufnahme von Antimissbrauchsvorschriften und von Musterklauseln für zwischenstaatliche Verfahren, die Steuerpflichtige beantragen können, wenn sie bei grenzüberschreitenden Sachverhalten doppelt besteuert werden. Daneben enthält das Übereinkommen zahlreiche optionale Regelungen, deren Übernahme den Vertragsstaaten freigestellt ist. Hier hat sich Deutschland beispielsweise für die Ermöglichung von Schiedsverfahren entschieden, mit denen Fälle internationaler Doppelbesteuerung verbindlich gelöst werden können. ({0}) Die jeweilige Auswahlentscheidung eines beitretenden Staates wird in einer Liste aufgeführt. Soweit sich diese Auswahlentscheidungen jeweils zwischen zwei Staaten decken, kommt es zu entsprechenden Änderungen des zwischen ihnen bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens, also eigentlich ein ganz einfaches Prinzip. ({1}) Wegen der großen Zahl der Auswahlmöglichkeiten ist dieses Vorgehen allerdings trotzdem außerordentlich komplex und für die Anwender schwer zu überblicken. Der Gesetzentwurf sieht daher im Interesse von Rechtssicherheit und Klarheit vor, dass die Konkretisierungen der einzelnen Änderungen, die sich für ein vom Übereinkommen erfasstes Doppelbesteuerungsabkommen ergeben, durch einen zweiten gesetzgeberischen Akt erfolgen. Diese Anwendungsgesetzgebung wird nach der Ratifikation des Übereinkommens erfolgen, mit der die von deutscher Seite getroffenen Auswahlentscheidungen dann verbindlich werden. Daneben – das ist natürlich auch ganz klar – bleiben Verhandlungen über bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen weiterhin möglich, und das ist auch sinnvoll. Manchmal gibt es ja auch Gründe, warum man bestimmte Sachen noch mal neu und anders aufsetzen sollte. Aber grundsätzlich ist es ein Verfahren, das die Möglichkeiten hier deutlich vereinfacht und mit dem wir schnell zu Ergebnissen kommen. Zusammengefasst: Das Mehrseitige Übereinkommen ist ein wichtiger internationaler Baustein zur Bekämpfung aggressiver grenzüberschreitender Steuergestaltung. Es ist ein wertvolles Hilfsmittel, mit dem die hierfür notwendigen Anpassungen von Doppelbesteuerungsabkommen beschleunigt werden können. In diesem Sinne werden wir sicherlich an diesem Projekt weiterarbeiten. Es ist nur ein Bestandteil – das habe ich eingangs gesagt –, aber es ist ein wichtiger. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Für die Fraktion der AfD hat als Nächstes das Wort der Kollege Albrecht Glaser. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der etwas sperrige Titel des Gesetzentwurfs weist auf eine komplizierte Materie hin. Dahinter steckt ein großes Werk von 150 Seiten internationaler Steuerregularien: die Festlegung von Mindeststandards in internationalen Steuerabkommen, speziell zum Problem der Gewinnverlagerung. Es ist die Rede von Betriebsstättenbesteuerung, von hybriden Gestaltungen, von Streitbeilegungsverfahren und vielem anderen mehr – für den normalen Bürger und Steuerzahler ein eher exotisches Thema, wenngleich auch für ihn relevant, falls er Einkommen aus dem Ausland bezieht, beispielsweise Einnahmen aus der Vermietung eines Ferienhauses oder ausländisches Arbeitseinkommen. Die Staaten regeln hierbei durch Vertrag die wesentlichen Merkmale der Besteuerung, beispielsweise auf welcher Bemessungsgrundlage und mit welchem Steuersatz der jeweilige Quellenstaat oder Empfängerstaat eine Steuer erheben darf. Für die Steuerabteilung eines international agierenden Unternehmens ist dies tägliches Brot. Nach jahrelangen Gesprächen und Verhandlungen der OECD und der G-20-Staaten wurde ein umfangreicher Aktionsplan entwickelt. Dieser Aktionsplan, BEPS – er wurde schon genannt –, soll die aggressive Steuerplanung, das heißt also das bewusste Ausnutzen von Steuerschlupflöchern im internationalen Rahmen durch trickreiche Steuerung der Geld- und Gewinnströme, verhindern. Andererseits sind viele solcher Gestaltungen durchaus legal. Wir sprechen hier nicht von Steuerhinterziehung im klassischen Sinn, wo mit krimineller Energie durch Lug und Trug dem Staat die Steuer vorenthalten wird, sondern von subtiler und grenzwertiger Steuervermeidung. Vom Grundsatz her begrüßen wir die Maßnahmen, die helfen sollen, Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung zu verhindern; denn bisher waren die steuergesetzlichen Maßnahmen der Bundesregierung eher begrenzt auf die Einführung von immer mehr Vorschriften, wodurch der Verwaltungsapparat zusätzlich aufgebläht und das eigentliche Problem nicht annähernd adressiert wurde. Man denke nur an das Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen innerhalb der EU – ein Bürokratiemonster mit Hunderttausenden von Datensätzen, die nie ausgewertet werden, und ein lukratives Beschäftigungsprogramm für Steuerberater. Eine andere Strategie der Bundesregierung bezüglich Steuerhinterziehung war auch das lautstarke Schweigen oder sogar Beihilfe, so im Falle der Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäfte – davon war heute schon die Rede –, wo die jeweiligen Finanzminister tatenlos über Jahre hinweg einen gigantischen und systematischen Steuerbetrug geschehen ließen, ({0}) wodurch Steuerverluste in zweistelliger Milliardenhöhe entstanden sind. ({1}) Das Mehrseitige Übereinkommen, immerhin bereits von 67 Staaten unterzeichnet, soll eine Plattform darstellen, die Mindeststandards setzt, auf die sich die Staaten im Vorfeld geeinigt haben. Somit muss nicht mehr in zeitraubenden Gesprächen jedes einzelne Doppelbesteuerungsabkommen neu verhandelt werden, sondern es wird durch das Mehrseitige Übereinkommen sozusagen simultan für alle Vertragspartner geregelt. Dadurch könnten zukünftige Anpassungen im gesamten Abkommensnetzwerk sehr effizient und zeitnah durchgeführt werden. Für Deutschland, ein Land mit zahlreichen internationalen Verflechtungen im Wirtschaftsverkehr, sind Rechtssicherheit und Steuertransparenz wichtige Güter. Ob das Gesetz diese Erwartungen erfüllt, wird sich im Rahmen einer Anhörung nächste Woche zeigen, wo wir das Thema vertieft erörtern. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion macht sich der Kollege Fritz Güntzler bereit. ({0}) Sie haben das Wort. Bitte schön.

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein sehr technisches Gesetz, das wir heute beraten. Die Frau Staatssekretärin hat schon darauf hingewiesen: Es ist Teil des sogenannten BEPS-Projektes, also der OECD-Initiative, die insbesondere auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gestartet hat, damit wir gemeinsam international gegen aggressive Steuergestaltung und internationale Gewinnverschiebung vorgehen können. Damals wurden 15 Aktionspunkte vereinbart, und der 15. Action Point, wie es so schön heißt, hatte die Umsetzung des Multilateralen Instrumentes vorgesehen. Die Kollegen haben es schon geschildert: Das soll dazu dienen, dass die Doppelbesteuerungsabkommen nicht alle einzeln angefasst werden müssen. 94 Staaten haben diesen Vertrag unterzeichnet, 47 haben ihn mittlerweile ratifiziert. Deutschland hat 72 Doppelbesteuerungsabkommen und hatte zunächst – das wird ein Punkt sein, den wir mit der Bundesregierung besprechen werden – für 35 Länder angemeldet, um das MLI zu nutzen; mittlerweile sind wir nur noch bei 14 Ländern, darunter Frankreich, Österreich und Spanien. Mit den anderen 58 Ländern soll bilateral verhandelt werden. Die Frage ist, wenn man so ein Instrument geschaffen hat, warum man das dann nicht in größerer Breite nutzt. Das ist für mich nicht unbedingt ersichtlich; aber das werden wir ja dann erörtern können. Übrigens gibt es weltweit 3 000 Doppelbesteuerungsabkommen, und man geht davon aus, dass durch das MLI-Verfahren die Hälfte davon geändert werden kann, was wirklich eine bürokratische Erleichterung wäre. Selbstkritisch müssen wir natürlich anmerken, dass Deutschland den Vertrag in Paris am 7. Juni 2017 unterzeichnet hat. Das MLI ist eigentlich am 1. Juli 2018 in Kraft getreten. Wir haben mittlerweile September 2020 und debattieren über das Umsetzungsgesetz. Ich glaube, das hätte auch ein wenig schneller gehen können. Nun haben wir es vorliegen, und wir werden sehen, wie wir damit umgehen. Das Problem – das habe ich eben vergessen zu sagen – bei den bilateralen Verträgen wird sein, wie wir weiter verhandeln; denn wir haben derzeit ein sogenanntes OECD-Musterabkommen. Die Doppelbesteuerungsabkommen sind ziemlich ähnlich, sodass man mit einem einfachen Grundgedanken an die DBAs rangehen kann. Wenn wir jetzt alle DBAs anfassen, wird es nicht ganz einfach – auch für die Steuerberater und den Steuerpflichtigen nicht –, den jeweiligen Regelungsinhalt weiterhin nachzuvollziehen. Die Staatssekretärin hat schon erwähnt, dass es ein zweistufiges Verfahren geben soll: Heute beraten wir über das Umsetzungsgesetz, und die einzelnen Dinge werden in einem Anwendungsgesetz geregelt. Dann werden wir auch über die einzelnen materiellen Punkte diskutieren müssen. Es wird darum gehen, wie wir die hybriden Gestaltungen angehen; das ist ja ein berühmtes Thema. Danach ist es nicht möglich, in zwei Ländern einen Betriebsausgabenabzug geltend zu machen bzw. Einkünfte nicht zu versteuern, sogenannte weiße Einkünfte. Es geht um Abkommensmissbrauch; das ist in Deutschland in § 42 Abgabenordnung – Gestaltungsmissbrauch – geregelt. Eine solche Regelung soll in allen Ländern gleichermaßen gelten. Es geht – und das ist für Deutschland ganz wichtig – um die Betriebsstättendefinition. Das muss man sich angucken; das kann zu Problemen führen. „Betriebsstätte“ heißt: Wenn zum Beispiel ein deutsches Unternehmen im Rechtskleid einer GmbH im Ausland tätig ist und dort eine Betriebsstätte hat, werden die Einkünfte aufgeteilt auf die, die in Deutschland zu versteuern sind, und die, die im Ausland zu versteuern sind. Also hat das andere Land natürlich immer eher ein Interesse daran, einen Ort als „Betriebsstätte“ zu definieren. Da sind Dinge vorgesehen, die auch dazu führen könnten, dass Steuersubstrat aus Deutschland verlagert wird. Das müssen wir uns also in Ruhe angucken. Gut finde ich auch die Regelungen zur Verbesserung der Streitbeilegung und der Schiedsverfahren. Im internationalen Bereich dauern diese Dinge teilweise viel zu lange, und es ist der Steuerpflichtige, der es ausbaden muss, wenn zwei Staaten sich nicht einigen können. Also: Insgesamt ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Der BEPS-Prozess wird weiter begleitet. Ich freue mich auf die Beratungen und besonders auf die Umsetzungsgesetze. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Güntzler. – Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Katja Hessel. ({0})

Katja Hessel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ein guter Tag: Es ist mal ein Gesetz, das die Bundesregierung vorlegt, das zum Bürokratieabbau beiträgt. Denn durch die Ratifizierung der einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen haben wir einen extremen Bürokratieabbau. Die Kritikpunkte, die einem einfallen, hat Kollege Güntzler ja schon fast ein Stück weit selber vorgetragen. Es stellen sich natürlich die Fragen, warum man nur für die Ratifizierung – die Inhalte diskutieren wir ja noch – fast vier Jahre braucht, warum aus den ursprünglich 35 Staaten nur 14 geworden sind und warum 47 Staaten es schon ratifiziert haben, wir mit denen aber noch nicht in engeren Kontakt treten. Das alles werden uns, dem Finanzausschuss, sicherlich die Sachverständigen in der Anhörung nächste Woche Mittwoch und die Regierungsvertreter bestimmt noch ausführlich erläutern. Der BEPS-Prozess, der hier umgesetzt wird, ist gut und richtig, und es ist auch wichtig, dass wir die Doppelbesteuerungsabkommen auf ein Mal angehen. Da ist viel gewonnen. Nur: Manchmal wäre es auch schön, wir würden schneller viel gewinnen. Ich kann jetzt nur hoffen, dass wir für die inhaltliche Ausgestaltung nicht noch mal vier Jahre brauchen; denn dann wäre wirklich viel Zeit ins Land gegangen. Aber es gibt auch noch einen Punkt, der mir ein bisschen Schwierigkeiten macht; den werden wir sicherlich auch im Finanzausschuss thematisieren. Es steht in der Präambel dieser Vereinbarung – ich möchte hier gerne zitieren –: In Anerkennung dessen, dass es wichtig ist, sicherzustellen, dass Gewinne an dem Ort besteuert werden, an dem die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit, mit der die Gewinne erzielt werden, ausgeübt wird und an dem die Wertschöpfung stattfindet … Die Formulierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, klingt doch sehr nach der Säule eins einer weltweiten Steuerreform, die von der OECD und ihren Mitgliedstaaten gerade mehr als kontrovers diskutiert wird. Die Besteuerung von Gewinnen in Marktstaaten ist aber für eine Exportnation wie Deutschland durchaus sehr riskant. Uns könnte damit ein erheblicher Anteil an Steuersubstrat verloren gehen. Bisher hat die Bundesregierung immer wieder erklärt: Die Neuverteilung von Besteuerungsrechten erfolgt nur unter der Bedingung, dass eine Mindestbesteuerung eingeführt wird. Die Formulierung in dem hier vorliegenden Abkommen klingt nun ein wenig anders. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen hier vorsichtig sein, dass wir nicht voreilig eine Vereinbarung in Stein meißeln, die uns hinterher vielleicht international ein Stück weit mehr verpflichtet. Vorsicht gilt hier umso mehr, da dieses Abkommen lediglich erst einmal die Ratifizierung darstellt; die konkrete Ausgestaltung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. Ein solcher Aktionismus auf internationaler Ebene kann für uns später vielleicht eine Erschwernis bei der Besteuerung bedeuten. Deswegen müssen wir hier aufpassen. Wir diskutieren dieses Gesetz weiter. Wie gesagt: Ich wünsche mir, dass die nächste Umsetzung keine vier Jahre mehr dauert. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Stefan Liebich. ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin hier auf den letzten Metern noch zum Finanzpolitiker geworden. Da lernt man viele neue Begriffe, zum Beispiel den schönen Begriff BEPS, der hier schon ein paarmal fiel. Für alle, die in der Finanzpolitik noch nicht so bewandert sind – ich musste es auch gerade lernen –: BEPS heißt „Base Erosion and Profit Shifting“. ({0}) Übersetzt heißt das: International tätige Unternehmen versuchen, sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen, indem sie ihre Gewinne kleinrechnen oder in Steueroasen verschieben. ({1}) Oder noch deutlicher übersetzt, damit es jeder versteht: Es handelt sich um globalen Kapitalismus, der die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler am Nasenring durch die Manege zieht, und das muss dringend gestoppt werden. ({2}) Ich finde gut, dass die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, OECD, das gemeinsam mit den G-20-Staaten versucht. Allerdings muss ich auch sagen, dass es eigentlich besser wäre – da kommt vielleicht wieder der Außenpolitiker in mir durch –, wenn sich die Vereinten Nationen dieses Themas annehmen würden und sie eine aktivere Rolle bei der globalen Steuerverhandlung spielen würden. Denn ganz im Ernst: Die 37 Mitgliedstaaten der OECD oder die 19 Mitgliedstaaten der G 20 plus die EU sind nun wirklich nicht legitimiert, globale Steuerregeln festzulegen. ({3}) Heute – sehr spät – wird uns hier ein Verhandlungsergebnis – das ist jetzt schon mehrfach kritisiert worden, deswegen will ich das nicht noch mal machen – zur Bewertung vorgelegt. Die Interessen waren sehr unterschiedlich. Es gab Staaten, die wollten, dass die Unternehmen endlich angemessen besteuert werden. Es gab andere Staaten, die wollten ihre Steueroasen beschützen. Und es gab Staaten, die ihre Unternehmen beschützen wollten. Entsprechend sieht das Ergebnis aus, nämlich sehr durchwachsen. Es hat viel zu viele Hintertürchen. Was ich wirklich ärgerlich finde, ist, dass die Bundesregierung diese Hintertürchen nutzt. Damit schadet Deutschland einem eigentlich guten Anliegen. Ich mache das mal an einem Beispiel fest: Sie sagen in dem Vorschlag, über den wir entscheiden sollen, dass Sie zum Teil auf Besteuerung verzichten mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft zu unterstützen. Das finde ich tatsächlich falsch. Lassen Sie mich noch einen Blick in die Zukunft werfen. Es gibt ja ein Folgeabkommen; da geht es um die digitalen Dienstleistungen. Auch dort soll es globale Regeln geben. Dieses Folgeabkommen ist gerade von der Trump-Administration gesprengt worden. Der US-Handelsbeauftragte hat vor wenigen Wochen gesagt, dass sich alle Nationen der Welt zusammengeschlossen haben, um Amerika zu schaden. Das ist natürlich die typische Sichtweise der USA. Hier verhindern die USA globale Steuerregeln auf digitale Dienstleistungen, und sie sorgen dafür, dass der perverse Reichtum von einigen wenigen Milliardären weiter wächst. Aber es darf doch nicht sein, wie gerade vor einigen Wochen geschehen, dass eine Person, nämlich Jeff Bezos, der Chef von Amazon, an einem einzigen Tag 11,3 Milliarden Euro Gewinn einstreicht. So etwas darf nicht sein, und dagegen muss die Weltgemeinschaft vorgehen. ({4}) Die Bundesregierung darf sich nicht dahinter verstecken, dass es derzeit keine globalen Regeln gibt, und nichts tun. Vielmehr erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie auf europäischer und, wenn notwendig, auch auf deutscher Ebene handelt, nämlich in die Richtung, dass auch digitale Gewinne endlich angemessen besteuert werden. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Dr. Danyal Bayaz. ({0})

Dr. Danyal Bayaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mache da weiter, wo der Kollege Liebich – übrigens, so schnell wird man Finanzpolitiker – aufgehört hat; denn es war tatsächlich eine der ersten Entscheidungen der neugewählten Regierung in dieser Legislatur, einer gemeinsamen europäischen Steuer für große Digitalkonzerne die Unterstützung zu versagen. Für den Finanzminister war es erfolgversprechender, auf Ebene der OECD eine Einigung darüber zu erzielen, wie wir US-amerikanische, zum Teil chinesische Weltkonzerne angemessen besteuern können. Das Ergebnis heute: Donald Trump und die USA verhandeln auf OECD-Ebene nur noch über den Teil einer globalen steuerlichen Neuordnung, der in ihrem eigenen Interesse ist, und die Besteuerung digitaler Unternehmen gehört nun mal eben nicht mehr dazu. Bisher gibt es keine Einigung der OECD zu irgendeinem Verhandlungspunkt zur Weiterentwicklung der sogenannten BEPS-Beschlüsse von 2015. Gleichzeitig ist es so, dass die Bundesregierung die europäische Ratspräsidentschaft ungenutzt verstreichen lässt. Sie könnten sich innerhalb der Europäischen Union dafür einsetzen, dass es jetzt endlich eine einheitliche, eine angemessene Steuerregel für die Amazons und Apples dieser Welt gibt – gerade für diejenigen, die in der Coronakrise extrem profitiert haben. Aber weil sich da nichts tut, droht ab nächstem Jahr eine Zersplitterung des europäischen Binnenmarkts durch viele unterschiedliche nationale Digitalsteuern. Meine Damen und Herren, Europa ist dann stark, wenn es zusammensteht. Aktuell steht der Finanzminister auf der Seite der Integrationsbremser, und das ist die falsche Seite. ({0}) Wie hängt das mit dem Abkommen von heute zusammen? Die letzten OECD-Beschlüsse zur Verhinderung von Steuervermeidung von Unternehmen sind jetzt schon fünf Jahre alt. Die Beschlüsse waren ein Meilenstein; keine Frage. Sie sind aber bei Weitem nicht überall und nicht in allen Doppelbesteuerungsabkommen umgesetzt. Auch das Mehrseitige Übereinkommen, über das wir heute sprechen, umfasst lediglich Vereinbarungen mit 14 Staaten der OECD – wohlgemerkt: bei 137 Verhandlungspartnern –, und zusätzlich müssen noch viele andere Doppelbesteuerungsabkommen bilateral angepasst werden. Ganz ehrlich: Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dann wird das in den nächsten Jahren nichts, meine Damen und Herren. Deswegen ist klar, dass der Weg zu einer weltweiten Steuerrevolution, wie ihn die OECD gehen möchte, ein sehr, sehr weiter ist. Ich wünsche mir, dass er schnell gegangen wird; aber ich bin eben auch Realist. Ich wünsche mir, dass wir zeitgleich die europäische Integration auch in Steuerfragen stärker vorantreiben. Ein Binnenmarkt von dieser Größenordnung hat ja auch das Potenzial, Standards zu setzen. Sollten sich die OECD-Staaten nicht einigen können, so hätten wir immerhin eine gemeinsame Antwort aus Europa. Deswegen unser Appell: Nutzen Sie die Ratspräsidentschaft, und setzen Sie sich für mehr Steuergerechtigkeit in Europa ein. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich begrüße ganz herzlich im Hohen Haus und erteile ihr das Wort: Kollegin Dorothee Martin, SPD-Fraktion. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Gesellschaft kann nur dann gut funktionieren, wenn das Steuersystem gerecht ist und alle einen angemessenen Beitrag für unser Gemeinwesen leisten. Deswegen steht für die SPD der Kampf gegen Steuervermeidung und Steuerflucht ganz oben auf der Agenda – sowohl national wie auch international. ({0}) Es kann nicht sein, dass große internationale Unternehmen durch Schlupflöcher und Tricksereien am Rande der Legalität kaum Steuern zahlen und dem Staat dadurch die dringend notwendigen Mittel für Investitionen fehlen. So ein Verhalten ist schlichtweg schäbig. Steuerflucht darf kein Geschäftsmodell sein, meine Damen und Herren! ({1}) Ich finde, dass gerade die Coronakrise und ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen uns doch ganz klar zeigen, dass wir einen handlungsfähigen Staat mit zuverlässigen Einnahmen brauchen. Deswegen wollen wir mit ganz klaren Regeln, mit multilateraler Zusammenarbeit den Sumpf aus Steuerflucht und aggressiver Steuergestaltung schrittweise trockenlegen. ({2}) Wir begrüßen daher sehr, dass das Finanzministerium mit diesem Vertragsgesetzentwurf einen weiteren Beitrag zur Umsetzung des Aktionsplans gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung – also Anti-BEPS – der OECD leistet. Der gesamte Aktionsplan stellt ja einen Meilenstein in der internationalen Steuerpolitik dar und hat etwa zum Ziel, sicherzustellen, dass Gewinne an dem Ort besteuert werden, an dem die Wertschöpfung stattfindet, was wir auch grundsätzlich richtig finden. ({3}) Durch das Mehrseitige Abkommen, über das wir heute sprechen, das mittlerweile rund 100 Staaten unterzeichnet haben, können die vielen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zum einen zeitnah an einheitliche internationale Standards angepasst werden. Die vorgesehenen Regelungen zur Streitbeilegung werden aber eben auch ermöglichen, dass die Wirksamkeit dieser Mindeststandards verbessert wird und damit auch Rechtssicherheit und ‑klarheit geschaffen werden. Die Staatssekretärin hat ja die genauen Regelungen schon sehr gut erläutert. ({4}) Im Grunde sind solche Doppelbesteuerungsabkommen ja eine gute Sache. Sie sollen zum einen verhindern, dass man bei grenzüberschreitender Tätigkeit doppelt Steuern zahlt. Aber den Missbrauch, durch solche Abkommen in Form von doppelter Nichtbesteuerung seine Steuern zu umgehen, wollen wir eben auch stoppen. ({5}) So stellen wir sicher, dass alle ihren angemessenen Beitrag für das Gemeinwesen leisten, dass wir die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb an eine doch immer globalere und digitalere Welt und Wirtschaft anpassen. Und das, meine Damen und Herren, ist letztlich auch nur anständig gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen, die steuerehrlich sind. ({6}) Also, wir sind davon überzeugt: Mit diesem Gesetzentwurf gehen wir jetzt einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung eines gerechteren und effektiven internationalen Steuersystems, bei dem wir auch weiterhin für eine globale Mindeststeuer, für eine Digitalsteuer kämpfen. Wir freuen uns jetzt aber auf die weiteren Beratungen, auf die Fragen, auf die Kritikpunkte im Ausschuss nächste Woche. Vielen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Herzlichen Glückwunsch zu dieser ersten frischen Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Hans Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Lassen Sie mich gleich zu Beginn eines in aller Deutlichkeit sagen: Die aggressiven Steuergestaltungen einiger internationaler Großkonzerne, die in der Vergangenheit bekannt geworden sind, sind inakzeptabel und hochgradig asozial; denn die ehrlichen Bürger und rechtschaffenen Unternehmen tragen umso höhere Steueranteile, je mehr multinationale Konzerne mit Missbrauch durch dubiose Steuerspargestaltungen Gewinne verkürzen und Gewinne verlagern. Deshalb haben sich G 20 und OECD auf einen Maßnahmenkatalog gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung verständigt, kurz BEPS genannt. Dazu hat Wolfgang Schäuble in seiner Zeit als Bundesfinanzminister wesentlich beigetragen. Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist ein weiterer Schritt auf dem Weg hin zu einer fairen Besteuerung von Unternehmen. Es geht darum, die Möglichkeit der Nichtbesteuerung von Gewinnen im Rahmen bestehender Doppelbesteuerungsabkommen zu beseitigen. Jedes Doppelbesteuerungsabkommen einzeln zu überarbeiten, wäre wegen der Vielzahl dieser Abkommen allerdings eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit gewesen; denn dazu wären bilaterale Änderungsabkommen erforderlich. Deshalb hat man im Rahmen der OECD das neue Instrument einer Modifikation bilateraler Steuerabkommen durch ein Mehrseitiges Übereinkommen entwickelt, das wir jetzt auf den Weg bringen werden. Es wird für alle von dem Übereinkommen erfassten Steuerabkommen gelten. Mit dem Übereinkommen werden die BEPS-Empfehlungen rasch und flächendeckend im Abkommensnetzwerk der rund 100 beteiligten Staaten umgesetzt werden. Ziel ist es, die Steuerabkommen künftig widerstandsfähiger gegen aggressive und missbräuchliche Steuergestaltung zu machen. Mit der heutigen Debatte starten wir die Ratifizierung dieses völkerrechtlichen Vertragswerks. Wir sagen damit multinationalen Konzernen den Kampf an, die durch Ausnutzung unterschiedlicher Steuersysteme ihre Steuerlast auf ein Minimum drücken wollen. Wir schaffen die Grundlage dafür, dass der Staat zukünftig wieder die Einnahmen erhält, die ihm zustehen, nämlich dass dort, wo Geschäfte gemacht werden, bei denen Steuern anfallen, diese bezahlt werden müssen. Und wir sorgen dafür, dass mittelständische Unternehmen im Wettbewerb nicht weiter gegenüber international aggressiv agierenden Konzernen benachteiligt werden. Darum geht es. Es geht um das sogenannte Level Playing Field, dass alle multinationalen Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe und ihrem Sitz, in die Verantwortung genommen werden und dass wir durch Tax Rulings, Country-by-Country Reporting Aktivitäten transparenter machen. Das alles lässt sich nur im internationalen Kontext umsetzen. Wir haben in der Koalition in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen gegen Steuergestaltung, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung ergriffen und damit, meine Damen und Herren – und das ist die Wahrheit –, viel erreicht. Das Übereinkommen, das wir jetzt beraten, ist ein weiterer Baustein von vielen, um Steuervermeidung und Steuerverkürzung zu verhindern. Wir gehen damit einen wichtigen weiteren Schritt hin zu ausgewogeneren Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen. Es geht letzten Endes darum, dass wir mit diesem Level Playing Field für kleine, mittlere und große Unternehmen eine gleiche progressive Besteuerung bekommen. ({0}) Und das, meine Damen und Herren, sollte unsere Zustimmung, die Zustimmung aller hier im Hohen Hause finden. Ich möchte noch einmal betonen: Das liegt im Interesse des Fiskus und des Staates und somit des Gemeinwohls. Wir sollten in naher Zukunft aber auch Zustimmung für eine Unternehmensteuerreform erreichen – das möchte ich anfügen –, um eine Stärkung der mittelständischen Unternehmen auf den Weg zu bringen. ({1}) Denn das erhöht letzten Endes die Chancengleichheit der kleinen und mittleren Unternehmen; und das ist notwendig. Wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen in unserem Land. Insbesondere die Rechtsformneutralität hinsichtlich der Besteuerung von Kapital- und Personengesellschaften ist ein wichtiges Anliegen. Wir können die Steuerlast der einzelnen Unternehmen nicht allein von der Rechtsform abhängig machen. ({2}) Es ist wichtig, dass gerade die Familienunternehmen, die Unternehmen, die persönlich haften, nicht gegenüber den anonymen Kapitalgesellschaften die Benachteiligten sind. In diesem Sinne wünsche ich, dass wir über den Tag hinaus diesem Gesetzentwurf zustimmen und weiterhin aktive Steuerpolitik für die Unternehmen betreiben. Herzlichen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank, Herr Michelbach, Sie waren der letzte Redner in dieser Debatte. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Tage sollte der große EU-China-Gipfel in Leipzig stattfinden. Ich habe den Eindruck, dass das Aufatmen im Kanzleramt, dass dieser Gipfel coronabedingt abgesagt werden musste, sehr laut war. Denn was hatte man sich vorgenommen? Man hatte sich vorgenommen, eine Ein-Europa-Politik gegenüber China zu machen. Dieser Tage verkündet beim Besuch des chinesischen Außenministers Italien den Relaunch seiner bilateralen Beziehungen. Man hatte sich vorgenommen, ein Investitionsabkommen abzuschließen. Heute Morgen im Ausschuss hat der Außenminister gesagt, er rechne gar nicht damit, dass es bis Ende des Jahres noch überhaupt ein Ergebnis gibt. Gleichzeitig agiert China nach innen von Xinjiang bis Hongkong immer repressiver und entlang der Neuen Seidenstraße wie im Südchinesischen Meer immer ungenierter – allen Bekenntnissen zum Multilateralismus zum Trotz. Die außenpolitische Zurückhaltung, einst unter Deng Xiaoping Kernbestandteil chinesischer Außenpolitik, ist nach Xi Jinping verschwunden, und wir erleben, wie die Welt quasi auf einen Kampf zweier Großmächte zusteuert: den USA, im Rückzug eher, und dem aufsteigenden China. Vor diesem Hintergrund ist eine neue China-Politik Europas überfällig. Die Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung im Juni hier deutlich gemacht, dass China für sie nicht einfach ein Partner ist, sondern sogar ein strategischer Partner. Ich will mal sagen: Das ist in der deutschen Außenpolitik ein sehr belasteter Begriff, belastet von Naivität und teilweise sehr egoistischen Exportinteressen. Die erste Große Koalition hier glaubte noch, dass Russland ein strategischer Partner sei. Und noch vor Kurzem hielt Horst Seehofer Saudi-Arabien für einen strategischen Partner, trotz Kopf-ab und Jemen-Krieg. Hinter diesem Begriff der strategischen Partnerschaft stand immer der Glaube, dass freier Handel automatisch zu mehr Rechtssicherheit nach innen wie nach außen führen würde. Eigentlich war die Idee hinter diesem Glauben, Wachstum führt zu Demokratie. Wirtschaftliches Wachstum aber, umfassende Verflechtung mit einer globalisierten Welt, das geht in China einher mit weniger Rechtssicherheit, weniger Freiheit, totaler Überwachung – und China sieht das durchaus als Modell für die Welt. China ist kein strategischer Partner, China ist ein schwieriger Partner. ({0}) Deswegen müssen wir uns nicht nur vom Begriff, sondern auch von der Idee, die dahintersteht, verabschieden. Ich finde die Definition des Europäischen Auswärtigen Dienstes, der gesagt hat, Europa ist für China heute Partner, Wettbewerber und Systemrivale, richtig. Dann kann man sich darauf so beziehen, wie Sie es getan haben, Herr Annen, indem das Auswärtige Amt in seiner Antwort auf unsere Große Anfrage sagt, sie machen das alles gleich gewichtet, so ausgewogen balanciert. Entschuldigung, das ist ziemlich blauäugig; denn es verkennt ja die Konflikte zwischen diesen drei Dimensionen. Wenn wir uns diesen Konflikten nicht stellen, dann werden wir die globalen Herausforderungen – von der Klimakrise über Pandemien bis hin zur globalen Rezession – nicht bekämpfen können. Wir müssen einen Weg finden, mit schwierigen Partnern wie China umzugehen; denn nur so werden wir am Ende des Tages auch die strategische Souveränität Europas gegenüber diesem neuen Kalten Krieg verteidigen können. ({1}) Das ist der Grund, warum wir für eine wertegebundene Realpolitik plädieren. Da muss man alle drei Dimensionen im Blick haben. Nehmen wir einmal die Klimapolitik. Da ist China Partner, ohne China gäbe es das Pariser Klimaabkommen nicht. Gleichzeitig gibt der Wettbewerber China nicht nur zehnmal so viel für erneuerbare Energien aus wie wir, sondern er ruiniert unsere Industrie durch unfaire Wettbewerbsbedingungen. Und wenn alle Kohlekraftwerke, die in Chinas Provinzen geplant werden, ans Netz gehen, dann kann man sich das Pariser Klimaziel in die Haare schmieren. Wenn es Europa wie China ernst ist mit dem Klimaschutz, dann müssen wir diese Auseinandersetzung führen. Es müssen sich beide Seiten zu ambitionierteren Klimazusagen verpflichten und diese auch mit konkreten Maßnahmen unterlegen, statt das eine nur zu bereden und das andere zu verschweigen. ({2}) Europa – auch das gehört zur Wahrheit dazu – kann nicht auf Handel mit und Investitionen auf dem riesigen chinesischen Markt verzichten. Aber wir sollten uns da auch nicht klein machen: China kann auch nicht auf den größten Binnenmarkt der Welt, die Europäische Union, verzichten. ({3}) Wenn auf dem letzten EU-China-Gipfel davon geredet worden ist, dass für Wettbewerber in China bessere Marktzugänge gemacht werden sollen, so sage ich: Das ist bis heute nicht eingetreten. Wir müssen endlich dafür sorgen, dass Reziprozität das zentrale Prinzip der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen wird. Und wir müssen dem Systemrivalen klarmachen, wofür Europa steht: Menschenrechtsverletzungen in Hongkong und Xinjiang müssen einen Preis haben. Was der Systemrivale anrichtet, muss Konsequenzen für den Wettbewerber haben. Man kann nicht auf der einen Seite über Rechtssicherheit verhandeln und auf der anderen Seite zusehen, wie der letzte Rest von Rechtssicherheit in Hongkong zerstört wird. ({4}) Frau Merkel hat den Begriff der strategischen Partnerschaft 2006 bei ihrer ersten China-Reise benutzt; ich weiß das, ich war dabei. Ich finde, sie sollte für die Videokonferenzen Anfang dieser Woche diesen Sprechzettel beiseitelegen und tatsächlich mit einer Politik anfangen, die genau diese drei Dimensionen im Verhältnis zu China – Partner, Wettbewerber und Systemrivale – endlich in den Blick nimmt. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johann Wadephul für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ihre Rede, lieber Herr Kollege Trittin, hat eigentlich unterstrichen, dass der Konsens über die außenpolitische Einschätzung Chinas als Herausforderung über die Grenzen der Großen Koalition hinweg viel größer ist, als oft angenommen wird. Vieles, was Sie gesagt haben, können wir unterstreichen, vieles, was Sie gesagt haben, ist eine volle Unterstützung der Politik der Bundesregierung. Und diese Widersprüche, die Sie noch einmal angesprochen haben, existieren: natürlich Partnerschaft in vielen Bereichen, aber natürlich auch Zunahme der Rivalität. Dass das Verhältnis Europas zu China schwieriger geworden ist, hat die Reise des chinesischen Außenministers in viele europäische Hauptstädte und auch nach Berlin noch einmal unterstrichen. Interessant an der Reaktion Europas fand ich, dass der chinesische Außenminister in Berlin ebenso wie in anderen Hauptstädten im Wesentlichen dasselbe gesagt bekommen hat, nämlich etwa, dass das, was in Hongkong geschieht, ein Verstoß gegen grundlegende Regeln des Zusammenlebens und insbesondere gegen die Vereinbarungen, die China bezüglich Hongkongs international geschlossen hat, ist und dass wir alle in Europa darauf bestehen, dass diese Vereinbarungen seitens der Volksrepublik China eingehalten werden, dass es nicht um eine Einmischung in innere Angelegenheiten geht, sondern dass es um die Einhaltung von klaren Kriterien geht. Deswegen sagen wir: Die Situation in Hongkong und das Verhalten Chinas bezüglich Hongkongs ist ein Lackmustest für die Glaubwürdigkeit und für das Ansehen Chinas. Aus dieser Verantwortung entlassen wir gemeinsam China nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) In der Tat, China kann erwarten, dass es seinem wirtschaftlichen und politischen Gewicht entsprechend respektiert wird. Es beansprucht eine große internationale Rolle, die ihm grundsätzlich auch zusteht. Aber Voraussetzung dafür ist aus unserer Sicht – nicht nur bezogen auf das Einzelbeispiel Hongkong; auch auf Taiwan komme ich gleich noch zu sprechen –, dass es die internationale Ordnung anerkennt und respektiert und nicht versucht, eine eigene, eine sinozentrische zu errichten. Es reicht nicht, dass Präsident Xi in Davos vor einem erlauchten Publikum die multilaterale Ordnung, den Multilateralismus hochhält und eine Lobrede darauf hält, sondern wir erwarten in der Sache von China die Einhaltung aller wesentlichen internationalen Regeln auf dieser Welt. ({1}) Dazu gehören die Vereinten Nationen, die China mit aufgebaut hat. Dazu gehört auch die Menschenrechtscharta. Eine massenhafte Internierung und Gewaltbehandlung von Minderheiten, insbesondere der Uiguren, bleibt und ist ein eklatanter Verstoß gegen elementare Menschenrechte, den die westliche Welt, auch wir nicht, niemals akzeptieren und immer wieder ansprechen wird. Das muss Konsequenzen haben. Das ist vollkommen klar. ({2}) Dazu gehört das internationale Völkerrecht. Die Errichtung von künstlichen Inseln, die fortwährende Missachtung völkerrechtlichen Gebietsrechtes, die durch einen Schlichterspruch 2016 auch konkretisiert worden ist, nehmen wir nicht hin, sondern wir müssen als Europäer möglichst geschlossen – das gelingt nicht immer; das wissen wir bei vielen europäischen Sachen – hinter den betroffenen Anrainerstaaten Philippinen, Vietnam und Malaysia stehen. Nur wenn wir das an dieser Stelle unterstützen, wird auch China eingedämmt und wird klar, dass völkerrechtliche Regeln eingehalten werden müssen. Wir erwarten die Einhaltung internationalen Handelsrechts, der Reziprozität und des gleichberechtigten Marktzugangs. Wir erwarten natürlich auch Regelungen – das haben Sie völlig richtig angesprochen – gegenseitigen Investitionsschutzes. Davon sind wir zum jetzigen Zeitpunkt weit entfernt. Es wird keine weitere Normalisierung und keinen gedeihlichen Fortgang der Handelsbeziehungen zwischen der EU und China und damit auch zwischen Deutschland und China geben, wenn sich China hier nicht bewegt. Wir erwarten die Vereinbarung eines Investitionsschutzabkommens. Da haben wir klare Bedingungen. Und da müssen wir als Europäer auch gemeinsam handeln. Wenn wir gemeinsam handeln – das an die Adresse Roms, das sich schon manchen Sonderweg erlaubt hat –, werden wir uns durchsetzen. Und wenn wir uns auseinanderdividieren lassen – das galt schon im alten Rom wie auch heute –, dann werden wir schwächer. Deswegen die Aufforderung an alle Europäer: Lasst uns zusammenstehen, dann können wir an der Stelle auch etwas durchsetzen. ({3}) Wir müssen insgesamt mehr Resilienz aufbauen: im wirtschaftlichen, im politischen wie im sicherheitspolitischen Bereich. Wir wollen keine neue Bipolarität. Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg, um das klar zu sagen. Da hören wir manche Töne aus Washington, die wir Europäer so nicht teilen. Wir wollen uns nicht zwangsläufig wieder zwischen zwei Blöcken entscheiden müssen. Wenn wir zu einer Entscheidung gezwungen werden sollten, dann lassen wir uns – klar – auf keinen Fall von China gegen unsere transatlantischen Partner in Stellung bringen. Eine große transatlantische Einigung darüber ist wichtig und notwendig. Aber natürlich erwarten wir auch von Washington, dass es gemeinsam mit Europa eine China-Politik entwickelt. Ich erwarte, dass es nicht so abläuft, dass in Washington in irgendeiner Weise der Ton oder der Takt vorgegeben wird und Europa kuscht und von vornherein alles akzeptiert. Resilienz werden wir aber nur dann entwickeln, wenn wir weitere internationale Partner einbinden in diese Politik, insbesondere diejenigen, die in unmittelbarer Umgebung im indopazifischen Raum damit konfrontiert sind, wie Japan, Australien, Südkorea, Indien und unsere anderen Partner in den ASEAN-Staaten. Die warten darauf, dass Europa mit ihnen Vereinbarungen trifft, an ihrer Seite steht. Wenn wir das tun, dann können wir gemeinsam China zeigen, dass wir Bündnisse bilden können. Das ist eine Sache, die China nicht kann. Es ist nicht in der Lage, positive Bündnisse zu schmieden. Wir können aber auch – ich finde, das sollten wir auch erkennen – von diesen Staaten lernen. Japan oder Taiwan – Kollegin Anita Schäfer kümmert sich sehr um unsere Beziehungen zu Taiwan, wofür wir sehr dankbar sind – ({4}) haben eine noch viel engere wirtschaftliche Verbindung zu China, sind eigentlich noch viel abhängiger von China, sind aber sicherheitspolitisch und außenpolitisch durchaus unabhängiger und selbstbewusster als wir. Dieses Selbstbewusstsein, das beispielsweise Japan und Taiwan zeigen, sollte uns Europäern ein Vorbild sein. Daran sollten wir uns orientieren. Ich möchte einen letzten Blick in unsere unmittelbare Umgebung richten, weil China ja auch versucht, auf Europa Einfluss zu nehmen, seine Einflusszone zu erweitern. Allen Ländern des westlichen Balkans sei klar gesagt: Natürlich haben sie die volle Freiheit, mit China Handel zu treiben und mit China Beziehungen zu entwickeln. Aber Länder, die sich in außen- und sicherheitspolitischen Fragen an die Seite Chinas und gegen EU-Positionen stellen, können nicht erwarten, dass sie EU-Mitglied werden. So viel Selbstbewusstsein muss Europa an der Stelle auch haben. Herzlichen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der AfD ist der Kollege Dr. Roland Hartwig. ({0})

Dr. Roland Hartwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004738, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wiederaufstieg Chinas zeichnet sich seit Ende der 70er-Jahre ab. Er ist eine historische Normalität und sollte eigentlich niemanden überraschen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Chinesen haben ihr Land mit harter Arbeit und klugen Wirtschaftsreformen wieder zu einer führenden Nation gemacht. Bei uns fand in dieser Zeit der Marsch der 68er durch die Institutionen statt – mit der Folge, dass immer mehr Ressourcen, losgelöst von Fakten, in ideologischen Projekten verschwendet werden. ({0}) Während die Chinesen inzwischen weltweit 5G-Netze bauen, verpflichten wir unseren Mittelstand, Stellen auch für diverse Geschlechter auszuschreiben, und schalten moderne, hocheffiziente Kraftwerke ab. ({1}) Das ist die Dekadenz der 68er, die sich wie ein Mehltau über unser Land gelegt hat und die nun zunehmend mit der Realität konfrontiert wird. ({2}) Zwei Vorschläge, wie wir mit dem Wiederaufstieg Chinas umgehen sollten: Erstens. Widerstehen wir denjenigen, die uns in einen neuen Kalten Krieg treiben wollen. Mit China von heute verbinden uns fast 50 Jahre gute Beziehungen. China hat anders als viele europäische Staaten und die USA seit dem Fall der Berliner Mauer keine Kriege geführt. ({3}) Vielmehr hat es durch eine konstruktive Wirtschaftspolitik dazu beigetragen, dass sich das Leben der meisten Chinesen, aber auch vieler Menschen in Europa und in anderen Teilen der Welt verbessert hat. Vor Corona sind jedes Jahr mehr als 100 Millionen chinesische Touristen nach Europa gekommen und wieder nach China zurückgekehrt. Sie hätten das nicht getan, wenn das Leben dort so schlecht wäre, wie immer von Ihnen dargestellt. ({4}) Auch in Bezug auf Russland sollten wir den Kräften entgegentreten, die immer weiter auf eine Konfrontation zusteuern. ({5}) Es besteht die reale Gefahr, dass sich die künstliche Spaltung des europäischen Kontinents verfestigt, dass ein westlicher Teil als amerikanischer Brückenkopf ausgebaut und der östliche als Juniorpartner in die chinesische Einflusssphäre hineingezogen wird. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Hartwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der FDP?

Dr. Roland Hartwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004738, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein. – Wir müssen die Idee einer europäischen Gemeinschaft souveräner Staaten unter Einbeziehung Russlands wieder mit Leben füllen. ({0}) Zweitens. Seien wir aufrichtig. Die Uiguren sind eine Volksgruppe, die weniger als 1 Prozent der chinesischen Bevölkerung ausmacht und deren traditioneller islamischer Lebensstil im starken Kontrast zur weiter voranschreitenden chinesischen Modernisierung steht. ({1}) Seit den 90er-Jahren führt dies zu steigenden Spannungen mit den Han-Chinesen. Die Chinesen forcieren nun die Integration der Uiguren in die chinesische Moderne, indem sie sie zwingen, die chinesische Sprache zu lernen und eine Ausbildung zu durchlaufen, die eine Beschäftigung in einer modernen Industriegesellschaft ermöglicht. ({2}) Kritik daran wäre sicherlich glaubwürdiger, wenn die Mehrheit dieses Parlamentes nicht jedes Jahr den Militäreinsatz verlängern würde, mit dem die Afghanen in direkter Nachbarschaft zu den Uiguren in die westliche Moderne integriert werden sollen. Sie bemühen dabei dieselben Argumente wie die Kommunistische Partei Chinas. ({3}) Der Bevölkerung und den Soldaten erzählen Sie, dass es dort um Bildung und Entwicklung, Mädchenschulen und Brunnenbau sowie den Kampf gegen den Terrorismus geht. Tausende westliche Soldaten, unter ihnen auch Bundeswehrsoldaten, haben in Afghanistan bereits ihr Leben gelassen. Die Zahl der getöteten Afghanen hat die Hunderttausend schon lange überschritten. ({4}) Allein die Amerikaner haben dort fast 1 Billion Dollar ausgegeben. Sie rümpfen die Nase über das chinesische Gesellschaftsmodell. Aber Ihr Umgang mit anderen Gesellschaftsmodellen, meine Damen und Herren, ist nicht nur blutiger und teurer als der chinesische, er ist auch erfolgloser. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Bundesregierung Staatsminister Niels Annen. ({0})

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aufstieg der Volksrepublik China hat die Welt verändert. Bis zu 500 Millionen Menschen sind durch die Öffnungspolitik von der Armut in die Mittelschicht aufgestiegen. Auch der Kollege Trittin hat darauf hingewiesen: Deutschland, die deutsche Industrie, hat von diesem Aufstieg ökonomisch profitiert. Nicht immer, denke ich, haben wir diese Leistung des chinesischen Volkes ausreichend gewürdigt. Aber die politischen und ökologischen Kosten hierfür sind ebenfalls enorm gewesen. Die aggressive Politik Chinas, etwa im Südchinesischen Meer, zeigt unmissverständlich, dass die Politik der Zurückhaltung unter Deng Xiaoping endgültig vorbei ist. Die Europäische Union, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht vor einer wahrscheinlich weltpolitischen Bewährungsprobe. Es ist deswegen folgerichtig, dass China in unserer Außenpolitik eine zentrale, ich würde sagen, eine immer zentralere Rolle spielt und dass das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und China aus ebendiesen Gründen auch eine Schwerpunktsetzung in unserer Ratspräsidentschaft zur Folge hat. Die Europäische Union hat China – auch darauf ist hingewiesen worden – erstmals nicht nur als Partner und Wettbewerber, sondern eben auch als systemischen Rivalen eingestuft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will das hier sehr deutlich sagen: Wir wollen China auch künftig als Partner. Doch das ist – das gehört zur Wahrheit dazu – seit der Amtsübernahme von Präsident Xi deutlich schwieriger geworden. Chinesische Milliardeninvestitionen wie etwa im Rahmen der „Belt and Road“-Initiative, der sogenannten Seidenstraßeninitiative, werden immer häufiger verknüpft mit der Übernahme des chinesischen Narrativs. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Offene Drohungen wie jüngst im Fall des tschechischen Senatspräsidenten gehören leider inzwischen auch zum Repertoire der chinesischen Diplomatie. ({0}) Deswegen sind Menschenrechte zentraler Bestandteil unserer China-Politik. Zusammen mit unseren Partnerinnen und Partnern haben wir etwa auf die Entwicklung in Hongkong und in Xinjiang entschlossen reagiert. Auch die jüngsten Entwicklungen, etwa in der Inneren Mongolei, beobachten wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit großer Sorge. Deutschland setzt sich ein für die Menschenrechte in China, für die Verbesserung der menschenrechtlichen Situation, beispielsweise im Rahmen des Menschenrechtsdialogs, den die Kollegin Bärbel Kofler – und auch das ist, glaube ich, kein Geheimnis – unter großem Aufwand gerade gestern durchgeführt hat. Beim Besuch des chinesischen Außenministers am 1. September ist Minister Maas in aller Deutlichkeit für unsere Werte eingetreten. Er hat auf der einen Seite China eine enge Partnerschaft angeboten, gleichzeitig aber auch klargemacht, dass China sich hierfür bewegen muss. Heiko Maas hat die demokratischen Wahlen in Hongkong eingefordert, ist für die Uiguren in Xinjiang eingetreten und hat Drohungen gegen europäische Partner klar verurteilt. Hierfür haben wir uns im Vorfeld eng mit unseren europäischen Partnern abgestimmt. So konnte bei der Reise des chinesischen Außenministers sichergestellt werden, dass es einen hohen Grad an europäischer Geschlossenheit gegeben hat. Damit das auch in Zukunft gelingt, meine sehr verehrten Damen und Herren, brauchen wir ein geeintes, ein starkes, ein souveränes Europa. Das gilt für viele Bereiche. Ich will hier beispielsweise das Thema 5G nennen, weil wir auch Sicherheit in unseren Netzen brauchen. Ich will das noch einmal unterstreichen: Wir sind zur Partnerschaft bereit. Aber wir erwarten von China, dass es eine seinem Gewicht entsprechende Verantwortung übernimmt. China muss Zugeständnisse machen, damit die Verhandlungen über das Investitionsabkommen abgeschlossen werden können. Wir brauchen dort mehr Gegenseitigkeit und faire Bedingungen im Wirtschaftsaustausch mit der chinesischen Seite. Auch auf die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, etwa den Klimaschutz, ist bereits eingegangen worden. Wir können das nicht ohne China bewältigen. China bleibt ein wichtiger Wirtschaftspartner und auch als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat mit einem Veto ausgestattet. China ist ein unverzichtbarer internationaler Akteur, den man nicht einfach umgehen oder ignorieren kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einen Satz zur aktuellen, immer angespannteren politischen Debatte sagen: Wir teilen viele Kritikpunkte, die wir von der amerikanischen Seite hören. Sie werden das genauso verfolgt haben wie ich: Fast im Tagesabstand gibt es entsprechende Äußerungen der amerikanischen Seite. Wir teilen viele Kritikpunkte; einige Punkte habe ich hier genannt. Aber den gegenwärtigen amerikanischen Weg der Dämonisierung Chinas halte ich für falsch. Er birgt unkalkulierbare Gefahren für die globale Stabilität. Das ist eigentlich umso bedauerlicher, weil eine geeinte Haltung des Westens nicht nur für die amerikanische Seite, sondern auch für uns das eigene Gewicht verstärken und erhöhen würde. Aber weder Decoupling noch Containment sind ein geeignetes Mittel. Eine neue Bipolarität quer durch den Indopazifik kann nicht in unserem Interesse sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den Leitlinien der Bundesregierung zum Indopazifik wollen wir uns deutlicher in diesem Raum engagieren und unsere Beziehung stärker als in der Vergangenheit diversifizieren. Wir werden die Zusammenarbeit mit den Ländern der Region in allen Bereichen intensivieren. Unsere Leitlinien schließen dabei keinen Partner aus, und sie richten sich auch nicht gegen China. Zum Abschluss will ich hier betonen: Die Bundesregierung will eine China-Politik der Partnerschaft auf Augenhöhe. Dabei sind wir jedoch nicht naiv, sondern wir werden unsere Interessen und Werte wahren und verteidigen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion der FDP die Kollegin Gyde Jensen. ({0})

Gyde Jensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004941, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen hier im Deutschen Bundestag nicht zum ersten Mal über die Volksrepublik China. Aber ich glaube, wir können festhalten, dass wir zum ersten Mal mit ein klein wenig Optimismus in diese Debatte hineingehen bzw. aus der Debatte hinausgehen können, weil wir in den vergangenen acht Tagen doch schon erleben konnten, dass es ein paar vorsichtige Anzeichen der Bundesregierung gegeben hat, dass sie langsam aus ihrer außenpolitischen Apathie erwacht und ihre China-Politik ein bisschen zu korrigieren beginnt. Ich glaube, das ist auch eine Runde Applaus wert. ({0}) Was mir allerdings ein Rätsel ist, ist, wie die Bundesregierung sich so lange an einem längst überholten China-Narrativ festklammern konnte. Die Menschenrechtslage in der Volksrepublik ist und vor allem war katastrophal. Und trotzdem sprach die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Grünen, die wir ja hier heute debattieren, lediglich von einer verschlechterten Menschenrechtslage. Gestern hat die Menschenrechtsbeauftragte – wir haben es hier schon erwähnt – erstmals ein entscheidendes Adjektiv hinzugefügt. Sie sprach von einer „dramatischen“ Menschenrechtslage. Meine Damen und Herren, zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Großen Anfrage war bereits bekannt, dass es in der Region Xinjiang über 1 Million Uiguren gibt, die systematisch in Umerziehungslagern interniert wurden, die ihrer Freiheit, ihrer Identität, ihrer Würde beraubt wurden. Es war bereits bekannt, dass das Sicherheitsgesetz in Planung war und auch dramatische Konsequenzen nach sich ziehen würde. Wir verdanken die veränderte Position der Bundesregierung sicherlich auch ein Stück weit der Opposition im Deutschen Bundestag und können somit heute festhalten, dass die Bundesregierung sich von ihrem China-Narrativ ein Stück weit verabschiedet hat. ({1}) Meine Damen und Herren, das ist eine Erleichterung; denn wir kritisieren hier ja nicht den Außenminister oder die Bundesregierung, weil es uns Genugtuung verschafft. Wir kritisieren den Außenminister, weil wir von seiner Politik in diesem Fall nichts halten. Und das braucht man nicht abzuwägen oder wegzuwischen. Es ist tatsächlich so, dass Heiko Maas in der Pressekonferenz letzte Woche erstmals so deutliche Worte gefunden hat und sich hinter europäische Partner gestellt hat, wie Jo Wadephul das hier auch gerade gesagt hat. Liebe Bundesregierung, lassen Sie uns doch genau bei dieser neu gefundenen Realitätsnähe und Offenheit bleiben und daran weiterarbeiten. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus der Pressemitteilung der Menschenrechtsbeauftragten von gestern: „Die chinesische Seite zeigte keine Bereitschaft, auf konkrete Fälle und Vorgänge wirklich einzugehen.“ Meine Damen und Herren, ich übersetze kurz: Es ist nicht mehr möglich, auf eine konstruktive Weise mit Präsident Xis Regime im Dialog eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China zu erreichen. Für uns Freie Demokraten ist deshalb klar: Menschenrechtsfragen und europäische Sicherheitsinteressen müssen bei jedem Gespräch auf den Tisch und dürfen nicht hinten runterfallen und auf dem Verhandlungstisch geopfert werden. Sie müssen mit besprochen werden. Das geht vor allen Dingen auch in die Richtung der digitalen Infrastruktur und des Ausbaus; der Kollege Michael Brand hat es heute im Menschenrechtsausschuss noch einmal ganz deutlich gemacht. Ich finde, das zeigt, dass es wichtig ist, dass Huawei ausgeschlossen wird von einem 5G-Ausbau hier in Europa, hier in Deutschland. Das wäre eine Möglichkeit, China zu zeigen, welche Konsequenzen die Menschenrechtsverletzungen in China nach sich ziehen. ({2}) Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt. Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat gestern einen Antrag ähnlich dem Magnitsky Act verabschiedet. Ich habe den Eindruck, dass wir hier immer noch „Opposition gegen Regierung“ spielen. Das sollten wir aber nicht tun, wenn wir tatsächlich wollen, dass der Bundestag und Europa mit einer Stimme sprechen. Deswegen fordere ich Sie auf: Legen Sie Ihre Opposition-gegen-Regierung-Denke beiseite, ({3}) und stimmen Sie auch für diese Initiative, für unseren Antrag in der Art des Magnitsky Acts, also für personenbezogene Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzer. Damit würde der Bundestag ein Signal senden, wie es so häufig beschrieben wurde. Genau da könnte man jetzt auch deutlich machen, dass Deutschland seine Ratspräsidentschaft in Europa tatsächlich für etwas Gutes nutzt. Wir als Freie Demokraten stehen bereit, um hier mit Ihnen eine Initiative auf den Weg zu bringen. ({4}) Ich würde mich freuen, wenn wir das in den nächsten Wochen schaffen, auch noch im Rahmen der Ratspräsidentschaft. Denn am Ende geht es tatsächlich darum, den Menschen klarzumachen: China muss sich an Völkerrecht und Menschenrechte halten, sonst hat es eben Konsequenzen. Herzlichen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist der Kollege Andrej Hunko. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Dezember 2017 bezeichnete die Trump-Regierung in der nationalen Sicherheitsstrategie der USA China als rivalisierende Macht. Spätestens seitdem ist diese Rivalität zu einem Paradigma der internationalen Politik geworden, und das ist ja auch der Rahmen, in dem wir diese Diskussion hier führen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem US-Präsident Trump nicht neue Maßnahmen gegen China auflegt; das ist ja eben schon richtigerweise angesprochen worden. Es zeichnet sich ein veritabler Wirtschaftskrieg ab, und wir wollen diesen Wirtschaftskrieg nicht. Wir wollen nicht, dass Deutschland und die EU Teil eines solchen Wirtschaftskrieges werden. ({0}) Menschenrechtsverletzungen, Rechtsstaatsverletzungen in China müssen natürlich kritisch angesprochen werden; das muss auch zentraler Teil einer China-Strategie sein. Doch wir sehen gerade an dem Beispiel der USA – und das ist ja auch schon ausgeführt worden –, dass die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen auch instrumentell eingesetzt werden, und das macht natürlich eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik schwierig. Sie werden eingesetzt als Legitimation für eine solche Eskalationspolitik. Ich will noch mal daran erinnern, dass zum Beispiel die Kopf-ab-Diktatur in Saudi-Arabien enger Partner der USA ist. Das zeigt eigentlich diesen Doppelstandard in der internationalen Politik. Und an einem solchen Doppelstandard sollten wir uns nicht beteiligen. ({1}) Ich sehe in Deutschland mit Besorgnis, dass beispielsweise die hiesigen Konfuzius-Institute zunehmend von der Schließung bedroht sind. Ich habe vor wenigen Wochen das Institut in Essen besucht und mit dem deutschen Leiter dort gesprochen. Ich finde, der wissenschaftlich-kulturelle Austausch, der dort stattfindet, ({2}) sollte nicht behindert werden. Ich halte es für sinnvoll, ihn aufrechtzuerhalten. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Hunko, möchten Sie eine Zwischenfrage der FDP beantworten?

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bitte schön.

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werter Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben hier von Doppelstandards gesprochen. Sie haben jetzt mehrfach Trump erwähnt, was ich bei diesem TOP gar nicht erwartet hätte. Aber sehen Sie denn vielleicht auch, dass wir bei China von einer Diktatur sprechen, die über 1 Million Menschen der eigenen Bevölkerung in Arbeitslagern interniert hat? Sehen Sie da vielleicht schon einen Unterschied zu den USA, oder taucht das in Ihrer Betrachtung gar nicht auf? Vielen Dank. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe den Rahmen beschrieben, in dem diese Debatte stattfindet. Der Rahmen ist, dass wir tatsächlich auf einen Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China hinsteuern, in dem wir uns positionieren müssen. Natürlich weiß ich, dass China widersprüchlich ist. Sie haben da richtige Sachen angesprochen; sie sind auch in der Debatte angesprochen worden. Zur Wahrheit gehört auch, dass in China 600 Millionen Menschen aus der Armut geholt worden sind. ({0}) Es ist sehr widersprüchlich, und ich denke, man sollte China in dieser Widersprüchlichkeit behandeln, aber eben nicht – und da stimme ich dem Staatsminister zu – dämonisieren. Statt immer neuer Konfrontationen brauchen wir konstruktive Zusammenarbeit, insbesondere in den Bereichen der Bekämpfung der globalen Armut und des Klimawandels und im Bereich der globalen Abrüstung. Menschenrechtsverstöße, fehlende bürgerliche Rechte und vor allen Dingen die Entwicklung des Rechtsstaats in China sind dabei selbstverständlich kritisch anzusprechen und müssen Teil einer China-Strategie sein. Aber wir sollten uns – ich will das noch mal sagen – gegen eine Dämonisierung wenden, wie sie gerade die Regierung in den USA anstrebt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thomas Erndl für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Kollege Hunko Diktatoren relativiert, ist nichts Neues und eigentlich gar keiner weiteren Beachtung wert. ({0}) Vergangene Woche war ich zu politischen Gesprächen in Tschechien. Was hat das mit China zu tun? Zurzeit sehr viel. Zum einen war da natürlich die Drohung des chinesischen Außenministers, dass der tschechische Senatspräsident für seine Reise nach Taiwan einen hohen Preis bezahlen müsse – eine Drohung, ausgesprochen in Berlin, die eine Welle der Empörung in unserem Nachbarland ausgelöst hat. Lassen Sie mich das hier mit aller Deutlichkeit sagen: Diese Worte sind inakzeptabel. ({1}) Sie zeugen von fehlendem Respekt gegenüber Demokratie und unseren europäischen Werten. China ist zwar ein wichtiger Partner für Europa. Diese Partnerschaft muss jedoch auf Augenhöhe stattfinden. Drohungen gegenüber frei gewählten Abgeordneten gehören nicht dazu, meine Damen und Herren. Zum anderen zeigt sich am Beispiel Tschechien auch, was die EU ganz dringend braucht: eine gemeinsame, abgestimmte europäische China-Politik. Ich war im Rahmen der angesprochenen Reise auf einer Wahlkampfveranstaltung eines jungen Kandidaten für die Regionalwahlen. Und in der Diskussion mit jungen Menschen, die ich dort führen durfte, wurde eine große Aufgeschlossenheit für eine größere wirtschaftliche Hinwendung zu China deutlich. Das zeigt im Übrigen auch, wie erfolgreich China Mittel der strategischen Kommunikation einsetzt. Meine Damen und Herren, China darf es nicht schaffen, die EU auseinanderzudividieren. Es besteht kein Zweifel daran, dass China dies mit ökonomischen Anreizen und Milliardeninvestitionen versucht und damit teilweise auch erfolgreich ist. Umso wichtiger ist jetzt eine gemeinsame China-Strategie, die dem entgegenwirkt. Diese Strategie muss – erstens – strategische Klarheit herstellen. China ist Partner, aber auch systemischer Rivale. China verfolgt eine aggressive Außen- und Sicherheitspolitik und verletzt Menschenrechte massiv. Beispiele – sie wurden bereits angesprochen – sind das Sicherheitsgesetz in Hongkong und die militärischen Drohgebärden gegenüber Taiwan. Diese Vorgänge müssen wir klar benennen und verurteilen. Zweitens müssen wir unsere Wirtschaftsbeziehungen neu justieren, neu ausrichten. China bleibt ein enger Wirtschaftspartner. Aber diese Zusammenarbeit muss auf Augenhöhe und auf Basis fairer Bedingungen stattfinden. Deshalb brauchen wir endlich ein Investitionsschutzabkommen, das heißt gleiche Rechtssicherheit, gleiche Wettbewerbschancen und gleich offene Märkte. Drittens muss mit einer China-Strategie auch einhergehen, dass bei Schlüsselindustrien Abhängigkeiten abgebaut werden und keine neuen entstehen. Dazu zählen Medikamente und Pharmaprodukte genauso wie 5G-Mobilfunk. Für mich ist klar: Der Schutz von kritischen Infrastrukturen, geistigem Eigentum und Schlüsseltechnologien muss Vorrang vor rein wirtschaftspolitischen Erwägungen haben. Meine Damen und Herren, Europa darf sich nicht kleinmachen. Denn auch Peking braucht uns: Es braucht Europa als Absatzmarkt, es braucht europäische Investitionen und in vielen Bereichen immer noch unser Know-how. Wir müssen selbstbewusst sein. Aber vor allem müssen wir einig sein. Strategische sowie sicherheitspolitische Klarheit und wirtschaftliche Interessen schließen sich nicht aus. Herzlichen Dank. ({2})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Coronakrise hat uns sehr eindrücklich vor Augen geführt, wie schnell es gehen kann, dass Menschen ohne eigenes Zutun, ohne Verschulden in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten bzw. überschuldet sein können, mit weitreichenden Konsequenzen. Deswegen freue ich mich – es ist ein gutes Zeichen –, Ihnen heute hier in erster Lesung einen Gesetzentwurf vorzustellen, in dem es um eine Reform des Restschuldbefreiungsverfahrens und eine deutliche Verkürzung der entsprechenden Fristen geht. Ich freue mich als Ministerin, die auch für den Verbraucherschutz zuständig ist, dass wir in diesem Fall vorschlagen, über die EU-Vorgaben hinauszugehen, und die Verkürzung der Fristen auch für Verbraucherinnen und Verbraucher vorsehen. Wenn Menschen in die Insolvenz geraten, wollen wir ihnen schneller einen Neuanfang ermöglichen. Eine zweite Chance soll greifbar sein; denn Überschuldung, das ist kein nüchterner, wirtschaftlicher Sachverhalt. Für die Betroffenen ist es oftmals eine sehr bedrückende Last. Eine bedrückende Last ist sie oft auch für ihre Angehörigen. Für Kinder kann es dramatische Folgen haben, wenn die Mutter, wenn der Vater in eine wirtschaftliche Schieflage gerät. Ausgrenzung, Stigmatisierung können die Folgen von Überschuldung sein. Wie gesagt, die Coronapandemie hat uns vor Augen geführt, wie schnell das geht: ein Ereignis von außen, und plötzlich droht der Arbeitsplatzverlust; eine Erkrankung, und ich kann meiner Tätigkeit nicht mehr wie gewohnt nachgehen, und die Überschuldung tritt ein. Jetzt soll schnell die Möglichkeit geschaffen werden, wieder am gesellschaftlichen und am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Deswegen ist es richtig, dass wir überschuldeten Unternehmen, Selbstständigen und Privatpersonen eine zweite Chance geben. ({0}) Das ist nicht nur ein Gebot des Sozialstaats. Die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens fördert auch die wirtschaftliche Dynamik; denn wer mutig war und ein Wagnis eingegangen ist, hat die Chance verdient, nach angemessener Zeit wieder wirtschaftlich handlungsfähig zu werden, auch wenn die erste Geschäftsidee gescheitert ist oder durch äußere Umstände nicht erfolgreich war. Unser Gesetzentwurf bringt die Interessen von Schuldnern und Gläubigern in einen angemessenen Ausgleich; denn wir müssen immer beachten, dass es bei einer solchen Überschuldung Gläubiger gibt, die auf die Zahlung der ausstehenden Forderungen warten. Aber in Zukunft erfolgt das Restschuldbefreiungsverfahren nur noch in drei Jahren. Tätigkeitsverbote, die allein wegen der Insolvenz verhängt worden sind, enden künftig mit dem Abschluss der Restschuldbefreiung. Bei der Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners und den Interessen des Gläubigers ist klar: Diese Befreiung ist kein Geschenk. Natürlich müssen die Schuldnerinnen und Schuldner ihre Pflicht erfüllen: Sie müssen einer Arbeit nachgehen oder sich nachweisbar um Arbeit bemühen. Noch stärker als bisher müssen die Schuldner erlangtes Vermögen herausgeben, um so ihre Schulden zu begleichen und eben die Gläubiger entsprechend zu befrieden. Das haben wir sehr wohl im Blick. Es geht darum, eine zweite Chance zu gewähren – eine zweite Chance, nicht eine dritte oder eine vierte. Nein, das haben wir bewusst im Blick gehabt. Deswegen wird die Verfahrensdauer, wenn es zu einem weiteren Verfahren käme, dann nicht mehr bei drei Jahren liegen, sondern dann wird es fünf Jahre dauern. Die Sperrfrist wird ebenfalls verlängert, um deutlich zu machen, dass eine zweite Chance gewährt werden soll. Meine Damen und Herren, für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist das Gesetz zunächst bis zum Jahr 2025 befristet. Ein Jahr vor Fristende wird die Bundesregierung über die Effekte des Gesetzes durch einen Verbraucherbericht informieren. Wir werden analysieren, welche Auswirkungen die Verkürzung auf das Wirtschaftssystem hat, und, wenn nötig, können wir nachjustieren. Meine Damen und Herren, ich denke, das ist ein sehr ausgewogener Entwurf, der auf die Krise eingeht. Er war aber schon lange vor der Krise geplant, weil es wichtig ist, dass Menschen, die etwas riskieren und dann in Schwierigkeiten geraten, in diesem System eine zweite Chance verdienen, in einem gerechten Ausgleich mit den Schuldnern. Ich freue mich auf die anstehende Beratung. Vielen Dank. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Fabian Jacobi. ({0})

Fabian Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004767, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens. Wo soll man anfangen? Ich fange mal bei den alten Römern an. Zur Zeit der Römischen Republik gab es der Sage nach einen Staatsmann, der an jede seiner Reden im Senat, egal worum es darin ging, den immer gleichen Satz anhängte: Und im Übrigen muss auch noch Karthago zerstört werden. – Er wird seinen Zeitgenossen damit nicht unerheblich auf die Nerven gegangen sein. ({0}) Nun will ich wahrlich nicht wagen, mich mit Cato dem Älteren zu vergleichen, aber auch in diesem Hause gibt es etwas, das leider immer wieder erwähnt werden muss. Einmal mehr haben wir es mit einem Gesetzentwurf zu tun, der – jedenfalls in seinem Kerngehalt – den Stempel „alternativlos“ trägt. ({1}) Gleich auf der ersten Seite steht es zu lesen: Der Entwurf sei, weil und insoweit er eine Richtlinie der EU umsetze: „ohne Alternative“. Die EU also hat mit dem materiellen Insolvenzrecht ein weiteres Rechtsgebiet entdeckt, das bislang beim Deutschen Bundestag als Gesetzgeberrecht gut aufgehoben war, und hat uns in ihrer Güte von der schweren Bürde befreit, hier eigene Entscheidungen treffen zu müssen. Dem Rest des Hauses mag das gefallen, uns nicht. ({2}) Welche Entscheidung nun hat man uns freundlicherweise abgenommen? Ein kleiner Rückblick: Im Jahr 1999 wurde die Restschuldbefreiung eingeführt, also die Möglichkeit, dass ein Schuldner nach Durchlaufen eines Insolvenzverfahrens und einer gewissen Zeit, in der er sich um die Erfüllung seiner Schulden zumindest zu bemühen hat, von den danach noch offenen Verbindlichkeiten befreit werden kann. Eine damals nicht unumstrittene Neuerung; denn der Befreiung von Verbindlichkeiten für den Schuldner steht der endgültige Verlust aufseiten des Gläubigers gegenüber, der seine Forderung verliert, also quasi enteignet wird. Die Dauer des Verfahrens betrug ursprünglich sieben Jahre. Sie ist bereits einmal verkürzt worden, seitdem beträgt sie im Regelfall sechs Jahre, wenn der Schuldner zumindest die Verfahrenskosten begleicht, fünf Jahre, und wenn er wenigstens ein Drittel seiner Schulden tilgt, nur drei Jahre. Das ist aus unserer Sicht eine ausgewogene und angemessene Regelung. Nun aber hat die EU in ihrer Weisheit beschlossen, dass die Dauer, für die sich der Schuldner um die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bemühen muss, auf höchstens drei Jahre herabgesetzt werden müsse. Das soll für unternehmerisch tätige Schuldner zwingend sein, ob es auch für Verbraucherschuldner gelten soll, das dürfen wir einstweilen noch selbst entscheiden. Die Bundesregierung meint nun, dass in jedem Fall die Restschuldbefreiung nach drei Jahren erteilt werden solle, und zwar bedingungslos, also unabhängig davon, ob der Schuldner wenigstens einen Teil seiner Schulden oder zumindest die Verfahrenskosten begleicht. Einige der vorliegenden Stellungnahmen begrüßen das: Die Forderungen der Gläubiger seien eh wertlos, und auch sonst seien keine negativen Folgen zu gewärtigen, wie eine Verschlechterung der Zahlungsmoral. Schließlich stürze sich niemand absichtlich in Schulden, nur weil es die Restschuldbefreiung gebe. Zwar dürften die Fälle, in denen Schulden schon mit der Absicht gemacht werden, diese anschließend über eine Restschuldbefreiung wieder loszuwerden, krasse Ausnahmen sein, aber dass die Möglichkeit, auf diesem Wege schnell und einfach Schulden loszuwerden, überhaupt keine Auswirkungen auf die Bereitschaft zu einem auch leichtfertigen Eingehen von Verbindlichkeiten haben sollte, scheint doch eine gewagte Prognose zu sein. Auch die Annahme, die Forderungen der Gläubiger seien eh wertlos, da in dem Restschuldbefreiungsverfahren häufig keine oder geringe Ausschüttungen erfolgten, greift zu kurz. Vor einem Insolvenzantrag steht oft der Versuch, das Verfahren durch einen Vergleich abzuwenden. Hierbei wird sich der Schuldner daran orientieren, was er im Falle des Insolvenzverfahrens leisten müsste, nach der jetzigen Regelung also zur Erlangung der Restschuldbefreiung nach drei Jahren eine Befriedigungsquote von 35 Prozent. Durch den Wegfall dieser Voraussetzung entfällt aber jeder Anreiz auf diesem Wege, also ohne Insolvenzverfahren, zu einer Schuldenregulierung zu gelangen. Entgegen der zitierten Annahme schmälert die beabsichtigte Regelung die Befriedigungsaussichten der Gläubiger in vielen Fällen durchaus. Wir haben also grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Gesetzentwurfs. Die vielen Details folgen dann in der angesetzten Anhörung bzw. im Ausschuss. Vielen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Heribert Hirte. ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade in der letzten Rede gehört: Das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens – wir beraten den Entwurf, den die Ministerin ausführlich vorgestellt hat – geht auf europäisches Recht zurück. Es geht auf die sogenannte Restrukturierungsrichtlinie zurück, die mehrere Punkte des deutschen Rechts beeinflussen wird. Dies ist der erste, den wir behandeln, und es ist gerade in der Coronakrise der wichtigste Punkt; denn – Frau Ministerin, Sie haben völlig recht – es hilft den Menschen, den Unternehmern, die unverschuldet durch die Coronakrise in Not geraten sind. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, ein ganz wichtiges Signal an diese Menschen. ({0}) Es ist wichtig, zu sehen, dass diese Richtlinie eingebettet ist in den großen Komplex der Richtlinien zur Kapitalmarktunion. Es geht nämlich um die Stabilisierung der Wirtschaft in ganz Europa; denn wenn Unternehmer in Europa insolvenzrechtlich gleich behandelt werden, dann haben wir keine Banken mehr, die in Schieflage geraten, und dann haben wir auch keine Staaten mehr, die in Schieflage geraten. Das nutzt unserer Währung, dem Euro. Deshalb ist das, was hier von Europa kommt, ein gutes und wichtiges gemeinsames Signal. ({1}) Damit komme ich zu den Einzelheiten, die ja schon zum Teil angesprochen wurden: Das wesentliche Element ist die Verkürzung der Restschuldbefreiungsperiode von sechs auf drei Jahre. Ja, das ist eine kurze Zeit; und man glaubt auf den ersten Blick, man müsste sie länger halten, damit die Gläubiger mehr bekommen. Wer sich mit Insolvenzverfahren beschäftigt, weiß: Das, was gezahlt, was geleistet wird, wird am Anfang gezahlt. Am Ende kommt ohnehin nichts mehr rum. Deshalb ist das richtig. Es ist auch richtig, hier auf die Verfahrenskostendeckung zu verzichten – das betrifft letztlich den Justizhaushalt –; denn wenn wir als öffentliche Hand die Entschuldung von unverschuldet in die Insolvenz Geratenen verhindern, weil wir uns als Fiskus bei ihnen bedienen wollen, dann ist das sozialstaatlich bedenklich. Es ist ebenso richtig, dass wir diese Mindestbefriedigungsquote abschaffen. Diese konnte in vielen Fällen nicht erreicht werden, weswegen das Gesetz nicht wirklich wirkte. Deshalb ist es auf der anderen Seite richtig und verständlich, um falsche Anreize zu vermeiden – auch das wurde schon angesprochen –, dass wir an der einen oder anderen Stelle nachschärfen. Die sogenannten Obliegenheiten, die einen Insolvenzschuldner in dieser Phase von drei Jahren treffen, werden verschärft. Wir sehen jetzt auch vor, dass etwa Schenkungen abgeführt werden müssen, die bisher nicht abgeführt werden mussten. Auch wer es vorsätzlich unterlässt, Geld zu verdienen, hat nicht das Privileg des Verfahrens. Insofern besteht ein Gleichgewicht zwischen Schuldnern und Gläubigern. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, für die Unternehmerinnen und Unternehmer. Dieser Schritt ist nachhaltig, was gerade in diesen Tagen wichtig ist. ({2}) Und jetzt kommen die Punkte, über die wir noch einmal nachdenken müssen – heute Morgen haben wir im Ausschuss beschlossen, in der übernächsten Sitzungswoche eine Anhörung durchzuführen –: Die Richtlinie sieht vor, dass Unternehmerinnen und Unternehmer dieses Privileg des Restschuldbefreiungsverfahrens bekommen können. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht weiter und erstreckt dieses Privileg auf Verbraucherinnen und Verbraucher; und das ist auch richtig so. Ich will daran erinnern, dass wir als Bundestag, als Unterausschuss Europarecht und auch als Fraktion uns an diesem Rechtsetzungsverfahren auf europäischer Ebene intensiv beteiligt haben. Wir haben der Bundesregierung Leitplanken gesetzt, wir haben Wünsche aufgelistet und gesagt, in welche Richtung es gehen soll. Die Bundesregierung hat das dankenswerterweise in Brüssel auch so verhandelt. Ein wesentlicher Punkt war, dass wir als Arbeitsgruppe Recht gesagt haben: Das Recht soll und darf erstreckt werden auf die Verbraucherinnen und Verbraucher. Dieser Schritt, der hier gegangen wird, ist richtig. Das ist insbesondere in dieser Coronazeit ein wichtiges Signal. Dass diese Regelung laut Gesetzentwurf der Bundesregierung befristet sein soll, hat uns nicht ganz so überzeugt. Das ist ein Punkt, über den wir vielleicht noch einmal nachdenken müssen. ({3}) Beim zweiten Punkt ist es genau umgekehrt: Im ursprünglichen Referentenentwurf stand, dass Auskunfteien das Datum, dass die Restschuldbefreiung stattgefunden hat, nicht verwenden dürfen. Ich bin froh, dass diese Formulierung nicht mehr im Entwurf steht; in der Evaluation soll dieser Punkt noch einmal angeschaut werden. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen: Das frühere Kreditverhalten spielt eine Rolle. Zu glauben, dass, wenn das Datum von den offiziellen, bezahlten Auskunfteien nicht mehr verzeichnet wird, es dann auch nicht mehr im Netz auffindbar ist, ist ein Irrglaube. Das Recht auf Vergessen ist zwar vom Bundesverfassungsgericht anerkannt, lässt sich aber nicht für alle diese Daten durchsetzen. Es ist so: Wir haben auch kein Recht auf einen neuen Kredit. Das muss jeder wissen, der die Restschuldbefreiung beantragt. Dadurch wird indirekt der Anreiz gesetzt, sich nicht neu zu verschulden. Ich glaube, auch dieses Signal ist wichtig, nicht nur die Verlängerung der Fristen. Der letzte Punkt: Die Anhörung soll am 30. September 2020 stattfinden. Wir werden es nicht schaffen, das Gesetz am 1. Oktober im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Ich glaube, es ist in Ordnung, wenn es einige Tage später kommt und wir es dann rückwirkend zum 1. Oktober in Kraft setzen. Es ist ein begünstigendes Gesetz; Vertrauensschutzbedenken und damit verfassungsgerichtliche Bedenken in dieser Richtung sehe ich nicht. Insofern, glaube ich, kommen wir auch bei diesem sozusagen technischen Punkt am Ende noch zusammen. Lassen Sie uns gemeinsam beraten. Vielen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP die Kollegin Judith Skudelny. ({0})

Judith Skudelny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004159, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das hört sich hier ein bisschen so an, als würden wir das heute freiwillig machen. Tatsächlich setzen wir eine Richtlinie um, über die Deutschland zwar mitdiskutiert hat, die aber von Europa vorgegeben worden ist, damit sich die Lebensbedingungen der Menschen in Europa weiter angleichen, und zwar auch hinsichtlich einer zweiten wirtschaftlichen Chance für Menschen, die Fehlentscheidungen getroffen haben oder ein Unglück erleiden mussten. Menschen und Unternehmen begehen Fehler, die Dinge laufen manchmal schief. Deswegen ist es wichtig, dass wir über die Gesetzgebung diesen Menschen in Deutschland signalisieren: Auch ihr habt eine zweite wirtschaftliche Chance verdient. ({0}) Diese zweite Chance war sehr ungleich geregelt: In Irland waren es zwölf Monate, in Frankreich zwei Jahre, und bei uns in Deutschland haben über 90 Prozent der Betroffenen sechs Jahre warten müssen. Gerade jetzt, vor dem Hintergrund der Coronakrise, ist es richtig, vorzeitig und sehr schnell die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vorzunehmen. Es gibt zwei Gesetzentwürfe zu diesem Thema. Uns liegt der Gesetzentwurf der Koalition bzw. der Bundesregierung vor und ein Gesetzentwurf der Grünen. Beide haben Licht und Schatten. Ich fange mit dem der Bundesregierung an. Sie geben den Menschen eine zweite Chance. Es ist durchaus richtig, Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmer gleichzusetzen; denn Mensch ist Mensch, unabhängig von seiner Tätigkeit. Deswegen haben sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch Unternehmer die gleichen Chancen verdient. Aber Sie gestalten diese Chancen nicht richtig aus. Sie sagen nämlich: Ja, im Insolvenzrecht erlangt ihr die Restschuldbefreiung nach drei Jahren; aber in den Auskunfteien bleibt das stehen. Herr Hirte, Sie haben das so nett gesagt: Natürlich gibt es im Netz kein Recht auf Vergessen, aber die standardisierte Nachfrage bei Auskunfteien ist entscheidend dafür, ob man einen Kredit kriegt, aber auch, ob man einen vergünstigten Fahrausweis bekommt. Diese Auskunfteien müssen gewährleisten, dass die Leute diese zweite Chance wahrnehmen können. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Punkt mit realisiert wird. ({1}) Bei dem Entwurf der Grünen bemängele ich diesen Beibringungsgrundsatz. Tatsächlich gibt es die Fälle, wo die Leute einfach nicht mitarbeiten. Ich bin selbst Insolvenzverwalterin. Wir haben Insolvenzverfahren, bei denen ich fünf Jahre lang von den Insolvenzschuldnern rein gar nichts höre: nicht nach Eröffnung des Verfahrens, nicht nach Verfahrensabschluss, nicht in der Wohlverhaltensperiode. Oftmals ist es so, dass die einzige Möglichkeit, die man von Amts wegen vonseiten des Insolvenzverwalters hat, greift, nämlich dann, wenn er die Verfahrenskostenstundung aufgehoben bekommt. Und erst dann, wenn endlich beim Insolvenzverwalter ein Rückstand dokumentiert ist, kann die Restschuldbefreiung versagt werden. Ganz ehrlich, Leute: Restschuldbefreiung muss man sich verdienen, und wenn man sich nicht redlich benimmt, dann soll man sie auch nicht erhalten, dann muss es von Amts wegen die Möglichkeit geben, die Restschuldbefreiung zu versagen. ({2}) Was aber in beiden Entwürfen noch fehlt, ist eine Privilegierung in der Form, dass diejenigen, die sich besonders anstrengen, die Leistung bringen, die überobligatorische Leistungen und Geld in das Verfahren geben, etwas davon haben: Die kriegen eine schnellere Restschuldbefreiung. Jetzt ist es so, dass diejenigen, die gar nichts oder nur das Minimum machen, genauso behandelt werden wie diejenigen, die sich richtig anstrengen. Alle werden gleich behandelt. Da, denke ich, sollten wir noch mal Hirnschmalz reinlegen, da sollten wir noch überlegen, wie wir eine Unterscheidung hinbekommen. Für den redlichen Schuldner, den, der sich bemüht, der die zweite Chance nutzt, sein Leben in die Hand nimmt und es neu gestalten möchte, sollten wir in diesem Haus da sein, dem sollten wir ein Gesetz vorlegen, das seinen Bemühungen gerecht wird, und daran arbeiten wir noch im Verfahren. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Niema Movassat. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Privatpersonen oder Unternehmen in Insolvenz gehen, also sprichwörtlich pleite sind, gibt es ein Verfahren, damit ein Neustart im Leben möglich ist, gibt es eine zweite wirtschaftliche Chance: Das ist das sogenannte Restschuldbefreiungsverfahren. Die Schulden gelten nach Abschluss des Verfahrens als getilgt. Bisher ist dies im Regelfall nach sechs Jahren der Fall. Die Bundesregierung will das Verfahren auf drei Jahre verkürzen, und das unterstützen wir als Linke. ({0}) Allerdings ist die Verfahrensverkürzung auch schon die einzige gute Regelung in dem Entwurf. Meine Damen und Herren, prekäre Beschäftigung, Erwerbslosigkeit, viel zu hohe Mieten und Krankheit sind nur einige der Gründe, die die Menschen in die Armut und dann oft auch in die Schuldenfalle treiben. Wir haben in Deutschland 7 Millionen überschuldete Privatpersonen, und ab Herbst droht infolge der Coronapandemie eine neue Insolvenzwelle. Es ist also wichtig, dass jetzt gehandelt wird. Aber die Bundesregierung ist nicht fähig, die europäische Richtlinie, die ja die Grundlage der heutigen Debatte bildet, vernünftig umzusetzen. Auch im Vergleich zum ursprünglich vorgelegten Referentenentwurf ist die jetzige Fassung eine deutliche Verschlechterung. So sah der Referentenentwurf sinnvollerweise vor, dass die Speicherdauer bei der Schufa verkürzt wird. Denn sonst ist man dank des Restschuldbefreiungsverfahrens zwar schuldenfrei, aber bekommt keine neuen Kredite, keine Wohnung, keine Gewerberäume, weil das Schufa-Rating zu schlecht ist. Mit einer negativen Schufa-Auskunft ist man, obwohl man keine Schulden mehr hat, im Wirtschaftsleben weiterhin stigmatisiert. Das ist keine echte zweite Chance. Deshalb: Kehren Sie zurück zum ursprünglichen Referentenentwurf, und verkürzen Sie die Speicherfristen für Schufa-Einträge! ({1}) Daneben setzen Sie in Ihrem Entwurf Verbraucher gegenüber Unternehmen ungerechtfertigt herab. Während die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens für Unternehmen dauerhaft gelten soll, also unbefristet, ist sie für Verbraucher befristet bis zum 30. Juni 2025, und das ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Verbrauchern gegenüber Unternehmern. ({2}) Die cleveren Schuldner werden diese Ungleichbehandlung doch umgehen. Sie werden sich kurzerhand selbstständig melden, um dann in die Gunst der privilegierten Restschuldregelung zu kommen. Der Ehrliche, der diese Umgehung nicht durchführt, ist dann am Ende der Dumme. Und im Ergebnis hält die Bundesregierung dann auch die Unternehmer für wertvoller als die Verbraucher. Was Sie vorlegen, ist mit dem Rechtsstaats- und Sozialstaatsgebot kaum zu vereinbaren, wenn ein Unternehmen eben nach drei Jahren wieder voll am Wirtschaftsleben teilhaben kann, während die Verbraucher dann nach Ende der Befristung wieder sechs Jahre warten müssen. Das verstößt aus Sicht von uns Linken gegen Artikel 3 des Grundgesetzes. Legen Sie den Referentenentwurf wieder vor. Der war allemal besser, vor allem für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land, die in die Schuldenfalle getappt sind. Vielen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Manuela Rottmann. ({0})

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat die Veranstaltungsbranche draußen vor dem Reichstag demonstriert, und ich finde, zu Recht. Diese Branche erbringt für die gesamte Wirtschaft momentan ein Sonderopfer. Corona trifft sie unverschuldet, wie alle anderen Branchen auch, aber mit einer Wucht wie kaum eine andere Branche. Und gerade dort finden wir viele Soloselbstständige, Menschen, die nie staatliche Unterstützung in Anspruch genommen haben – bis heute –, Menschen, die immer ihr unternehmerisches Risiko selbst getragen haben, immer die Steuern gezahlt haben. Diese ganze Branche in die unverschuldete Insolvenz rutschen zu lassen, ist volkswirtschaftlich falsch, und es ist im höchsten Maße unfair. ({0}) Wer ein Sonderopfer für uns alle bringt, für unsere Gesundheit, der hat einen Anspruch auf unsere Solidarität. Wo mehr als Corona zu bewältigen ist, wird es noch schwerer. Nehmen wir einen selbstständigen Tontechniker, der schon 2019 vielleicht wegen Krankheit ein paar Monate lang keine Aufträge annehmen konnte und deshalb einen Kredit aufnehmen musste. In dem Moment, als es ihm besser ging, als er wieder hätte arbeiten können, kam Corona, mit voller Wucht. Dieser Mann steht seit Monaten vor der Frage: Wie soll es weitergehen? Wie soll ich diesen Kredit zurückbezahlen? Wie soll ich wieder auf die Beine kommen? Und eine Insolvenz sagt in einem solchen Fall überhaupt nichts über die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells oder über seine Zahlungstreue aus. Es muss in unser aller Interesse sein, dass so jemand schnell neu anfangen kann. ({1}) Vor einem halben Jahr habe ich hier die Verkürzung der Frist bis zur Restschuldbefreiung gefordert. Nach den Maßstäben der Koalition mag es schnell sein, dass wir nach einem halben Jahr darüber reden. Nach dem, was in der Krise nötig und machbar ist, ist es ja nicht kompliziert. Ich finde, es sind hier heute viele gute Vorschläge gemacht worden. Ich habe mich auch über die Vorschläge von Frau Skudelny gefreut. Aber Tempo ist da auch wichtig, und wir hätten auch diese Vorschläge ohne Weiteres vor der Sommerpause in Kraft setzen können. ({2}) Jetzt finde ich den Regierungsentwurf zudem noch halbgar geraten, und ich bin sehr froh, dass ich hier viel Offenheit höre, darüber noch mal zu reden. Sie wollen die Gläubiger schützen; das ist richtig, das will ich auch. Aber mit der Staffelung der Verkürzung haben Sie gerade Anreize gesetzt, dass die Menschen in den letzten Monaten einen Insolvenzantrag bis zum 1. Oktober verzögert haben, weil sie dann plötzlich eine viel kürzere Frist bis zur Restschuldbefreiung haben. Es ist also das Gegenteil von Gläubigerschutz, was Sie erreicht haben. Darüber, die Verkürzung für Verbraucherinnen und Verbraucher zu befristen, debattieren wir noch mal. Das hat mich sehr gefreut. Heribert Hirte hat ja gezeigt: Wir wissen alles; wir wissen, wie Privatinsolvenzen ablaufen, was die Gründe dafür sind. – Ich sehe da wirklich keinen Anlass für eine weitere Evaluation. ({3}) Und das Schlimmste: Die jahrelange Speicherung des Insolvenzverfahrens in Auskunfteien wollen Sie nicht antasten. Sie hängen damit denjenigen Menschen einen Mühlstein um den Hals, die wegen Corona unverschuldet Insolvenz anmelden müssen. Nach drei Jahren müsste mein Tontechniker noch einmal drei Jahre damit leben, dass er keinen Kredit kriegt, keinen Mietvertrag abschließen kann. Der wird nach sechs Jahren nicht mehr neu anfangen. Deswegen: Lassen Sie uns hier kein halbgares Zeug verabschieden, sondern beherzt eine Tür in die Zukunft nach Corona aufstoßen. Danke. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der SPD ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir hören in diesem Hohen Haus ja sehr oft, wie schlimm und wie fürchterlich die Europäische Union ist, und jetzt sind wir heute an diesem Abend beieinander und stellen fest: Mit dem Anstoß zur Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie der Europäischen Union haben wir etwas sehr Gutes auf den Weg gebracht, nämlich Menschen und Unternehmen in kürzerer Zeit, in angemessener Zeit wieder zur Rückkehr in den Wirtschaftskreislauf zu verhelfen und dem wirtschaftlichen Leben zuzuführen. Die Bundesregierung, insbesondere das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, hat diese Gelegenheit beim Schopf genommen und – ich sage es ganz deutlich – den richtigen Weg gewählt, Verbraucherinnen und Verbraucher und Unternehmer nicht ungleich, sondern gleich zu behandeln. Ob wir die Befristung doch verlängern oder ob wir im Wege der öffentlichen Anhörung dazu kommen, sie vielleicht wegfallen zu lassen, das will ich heute nicht in den Raum stellen. Ich möchte aber auf eines hinweisen, nämlich dass viele Menschen immer sagen: Ach, die paar Jahre, die sechs Jahre bis zur Restschuldbefreiung, der Wohlverhaltensphase, die kann doch jeder hinnehmen. – Sechs Jahre, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind eine lange Zeit. In sechs Jahren werden Kinder geboren, gehen in den Kindergarten, werden stigmatisiert, ({0}) kommen in die Schule, werden eingeschult. Sechs Jahre ist für einen natürlichen Menschen ein langer Zeitraum, in dem er nicht am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Sechs Jahre sind eine lange Zeit, in der kleine und mittlere Unternehmen keine Chance haben, wieder auf die Füße zu kommen; denn in vielen Fällen kommt während des Insolvenzverfahrens die Untersagung des Gewerbes nach § 35 der Gewerbeordnung zum Tragen, sodass es in diesem Zeitraum auch ein Berufsverbot gibt. Deshalb ist es richtig und gut in dem Gesetzentwurf, dass mit Rechtskraft der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens genau diese Regelung wegfällt und keine Berufsverbote mehr ausgesprochen werden können. Ich hoffe an dieser Stelle natürlich, dass die Landratsämter und kreisfreien Städte von dieser Regelung bei Neuerteilungen Gebrauch machen und nicht wie früher die Mathematiker sagen: „Das habe ich mir gemerkt“, sondern die entsprechenden Gewerbeerlaubnisse erteilen und kein Berufsverbot eintragen. Beim Ausgleich zwischen Schuldnerinnen und Schuldnern und Gläubigern ist es, glaube ich, ein guter Dreiklang, wenn die öffentliche Hand, der Staat, auf die Begleichung der Verfahrenskosten verzichtet, weil damit den Gläubigern effektiver wieder mehr zur Verfügung steht und der Betrag nicht für die öffentliche Hand aufgewendet werden muss. ({1}) Eine gute Regelung, um nicht zum Hopping beizutragen, indem gesagt wird: „Jetzt durchlaufe ich ein Insolvenzverfahren und dann noch eines“, ist auch die Begrenzung, dass erst nach elf Jahren ein erneutes Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung auf den Weg gebracht werden kann. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetzentwurf zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vielen Menschen in diesem Land wieder Chancen und Zuversicht geben und gerade jetzt, da sich die Covid-19-Krise langsam abschwächt, zeigen können, dass wir die Menschen im Mittelpunkt sehen und ihnen neue Chancen geben wollen. Ich sage zum Abschluss: Wenn jemand es in der Wohlverhaltensphase nicht schafft, wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzukommen und keine Schulden mehr zu machen, dann schafft er es nicht nach sechs Jahren, dann schafft er es auch nicht nach fünf Jahren und auch nicht nach drei Jahren. Diese Menschen schaffen es nie. Die Mehrzahl der Menschen – das kann ich aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung sagen –, die in einem Insolvenzverfahren gesteckt haben, hat aber den Weg bzw. den Tritt wiedergefunden, und denen müssen und wollen wir Chancen geben – auch den Unternehmen –, auf den Weg zurück in den Wirtschaftskreislauf zu kommen. Ich freue mich auf die Beratungen und die öffentliche Anhörung. Vielleicht können wir das eine oder andere noch verbessern, zum Beispiel die Regelung zur Schufa, sodass sie wieder so wie im alten Referentenentwurf aussieht. ({2}) Die Formulierung dort hat mir persönlich sehr gut gefallen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Alexander Hoffmann für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man im Internet den Begriff „Insolvenzverfahren“ in eine Suchmaschine eingibt, dann kriegt man eine ganze Menge Treffer. Viele Treffer enthalten sachliche Informationen, wie ein solches Verfahren abläuft und mit was man rechnen muss, aber es gibt auch Treffer, die nichts anderes als Werbung sind. Da werben Kanzleien, Rechtsanwälte und andere Institutionen zum Beispiel damit, dass man im EU-Ausland besonders schnell ein Insolvenzverfahren durchlaufen kann – vielleicht schon in 24 Monaten –, und es wird damit geworben, dass man in anderen europäischen Ländern auch von Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung befreit werden kann. Letztendlich stellt man fest, dass wir in der Europäischen Union, was das Insolvenzrecht angeht, schon so etwas wie einen Flickerlteppich mit unterschiedlichen Regelungen haben. Ich will Ihnen sagen: Ich halte das für gefährlich. Denn nicht immer muss das, was im Internet beworben wird, letztendlich auch für den Schuldner die bessere Variante sein. Es werden zum Beispiel Überlegungen angestellt, dass man doch den Wohnsitz nach Irland oder nach England verlagern könnte und dann laufe alles viel einfacher. Nicht jedoch kommt die Information vor, dass die Verfahrenskosten dort ganz schnell mal 40 000 Euro betragen können. Es entsteht eine Art Insolvenztourismus, und dieser Insolvenztourismus birgt vor allem die Gefahr, dass nicht mehr das beste Verfahren für den Schuldner und den Gläubiger angewandt wird, sondern vielleicht das Verfahren, das am Schluss nur noch die Interessen des Schuldners berücksichtigt. Ich möchte hier auch zu einem Aspekt kommen, der mir in der einen oder anderen Rede an dieser Stelle zu kurz gekommen ist. Wir als Rechtsstaat haben die Aufgabe, eine Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners – natürlich – und den Interessen des Gläubigers zu treffen. Gerade durch Corona haben wir viele Gläubiger im Land, die eine Wohnung vermietet und durchaus langfristig ein Interesse daran haben, nicht immer an Mieterinnen und Mieter zu geraten, die die Miete nicht bezahlen können, ohne dass ich das unterstellen will. Deswegen glaube ich, dass wir in der weiteren Debatte gut beraten sind, diese beiden Interessen immer wieder gegeneinander abzuwägen. Zurück zu meinem Flickerlteppich: Man kann schon mal resümierend sagen, dass der Entwurf, der heute vorliegt, nicht nur ein richtiger Schritt in Sachen Richtlinienumsetzung ist, sondern auch ein richtiger Schritt auf dem Weg, die verschiedenen Rahmenbedingungen anzugleichen. Die Inhalte sind schon skizziert worden, und ich will vor allem auf einen Punkt eingehen, der bislang noch nicht geschildert worden ist, gerade weil es heißt: Das alles ist jetzt plötzlich ein Spaziergang. – Aus einer anderen Ecke ist gekommen: Das ist ja wieder typisch EU, und der, der Geld bekommt, schaut mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Es ist so, dass damit auch verschiedene Verschärfungen einhergehen. Vorhin ist angeklungen – die Ministerin hat es gesagt –, dass Schenkungen und Lottogewinne in der Wohlverhaltensphase eben nicht mehr frei sind. Das gab es vorher nicht. Die Sperrzeit für eine erneute Insolvenzbeantragung ist auf elf Jahre hochgesetzt worden, und wer neue unangemessene Verbindlichkeiten in der Wohlverhaltensphase eingeht, der bekommt eben keine Restschuldbefreiung. Ich glaube, dass man diese Elemente aufgrund der Ausgewogenheit durchaus darstellen sollte. Am Ende: Es gibt viele gute Ansätze, aber wenn ich auf den Flickerlteppich gucke, dann glaube ich schon, dass wir diesen Gesetzentwurf vielleicht auch zum Anlass nehmen sollten, zu überlegen, wo wir gerade, was diesen Flickerlteppich angeht, das eine oder andere vielleicht noch weiter angleichen können, um auch die Schuldnerinnen und Schuldner davor zu bewahren, dass sie unter Umständen einer Illusion hinterherlaufen und zur Bewältigung des Insolvenzverfahrens leichtfertig ins Ausland gehen. Ein letzter Punkt – das hat die Kollegin von der FDP richtigerweise schon angesprochen –: Es fällt ein Aspekt weg, den wir nicht unberücksichtigt lassen sollten. Was machen wir eigentlich mit dem Schuldner, der wirklich Überobligatorisches leistet und sagt: „Ich bin in die Falle getappt; ich will diese Zeit hinter mir lassen; ich will meine Gläubiger so viel wie möglich befriedigen, aber irgendwann muss ich auch mal die Chance haben, wieder ein normales Leben zu führen“? Was können wir dem eigentlich im Vergleich zu demjenigen anbieten, der sich zurücklehnt und sagt: „Ist doch alles gesetzlich geregelt; ich warte jetzt die drei Jahre ab“? Ich überspitze jetzt mal. Deswegen kann ich dieser Idee sehr viel abgewinnen, und ich hoffe, dass wir die parlamentarische Debatte auch dazu nutzen, uns hierüber Gedanken zu machen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})