Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/7/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere klare Botschaft an Studierende und Wissenschaftler in Deutschland in diesen herausfordernden Zeiten lautet: Wir lassen euch, wir lassen Sie nicht alleine. Wir bauen Brücken über die Coronakrise hinweg. ({0}) Kein Student und kein Wissenschaftler darf Nachteile dadurch haben, dass der Studien- und Wissenschaftsbetrieb dieser Tage nicht wie gewohnt stattfinden kann. Wer als Student wegen Corona seinen Job verloren hat, soll sein Studium fortsetzen und auch abschließen können. Vor diesem Hintergrund haben wir als Regierungskoalition schon frühzeitig beim BAföG an mehreren Stellen nachjustiert, damit es auch während der Pandemie verlässliche und schnelle Unterstützung für Studierende bietet. ({1}) So haben wir sichergestellt, dass BAföG-Geförderte ihr Geld weiter erhalten, auch wenn der Lehrbetrieb an Schulen und Hochschulen wegen der Pandemie ausgesetzt wird. Auch der BAföG-Vollzug wurde erleichtert, um BAföG-Berechtigten und vor allem denen, die wegen veränderter eigener oder elterlicher Einkommensverhältnisse kurzfristig BAföG beantragen müssen, möglichst schnell finanziell zu helfen. Zudem haben wir mit der BAföG-Änderung im März dafür gesorgt, dass BAföG-Leistungen während der Coronakrise abweichend von den bisherigen Regelungen ungekürzt weiter ausgezahlt werden, wenn sich BAföG-Empfänger in dieser Zeit für unsere Gesellschaft engagieren. Mit dem Wissenschafts- und Studierendenunterstützungsgesetz, das wir nun heute hier beraten, wollen wir an diese Änderungen im BAföG anknüpfen. Wir wollen Anreize schaffen, dass Studierende auf freiwilliger Basis vorübergehende Tätigkeiten in allen systemrelevanten Bereichen aufnehmen bzw. bereits vorher aufgenommene Tätigkeiten aufstocken. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist es ein besonderes Anliegen, auch diejenigen Studentinnen und Studenten zu unterstützen, die nicht auf die vorhandene staatliche Ausbildungsunterstützung zugreifen können. Es ist uns wichtig, auch denjenigen zu helfen, die keinen BAföG-Anspruch haben, zur Finanzierung eines Studiums nebenher jobben müssen und ihren Job jetzt in der Krise verloren haben. Auch die ausländischen Studierenden aus Drittstaaten, die in Deutschland einen Teil ihrer Ausbildung absolvieren, wollen wir nicht im Regen stehen lassen. Hierbei waren wir uns in der Union einig, dass für diese Studierenden eine Lösung außerhalb des BAföG gefunden wird. Denn wir sind der festen Überzeugung, dass das BAföG eine subsidiäre Sozialleistung ist. Es ist eben kein Instrument für Zuschüsse ohne eine Bedürftigkeitsprüfung. ({3}) Ich bin dem Haus und Ministerin Anja Karliczek dankbar dafür, dass es in nicht ganz einfachen Verhandlungen letzte Woche gelungen ist, ein Unterstützungshilfenpaket zu schnüren. Unbürokratische Hilfe statt Diskussionen über einen Systemwechsel beim BAföG, meine Damen und Herren, darum ging es in den letzten Wochen. Ich gestehe den Oppositionsparteien und auch dem Koalitionspartner allerdings gerne zu, dass es Ihnen ebenfalls um eine schnelle Hilfe gegangen ist. Mit den Überbrückungshilfen, die letzten Donnerstag vorgestellt wurden, hat das BMBF einen stimmigen Instrumentenmix gefunden, der den unterschiedlichen Notlagen der Studierenden Rechnung trägt. Härtefallfonds und ein ausgeweiteter Studierendenkredit zusammen sind ein gutes Angebot zur Unterstützung. Das Wichtigste ist: Sie können unmittelbar umgesetzt werden, rasch und unbürokratisch. Das war unser Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Alle Studierenden in Deutschland, auch internationale Studierende, haben nun die Möglichkeit, ein zinsloses Darlehen bei der KfW zu beantragen: bis zu 650 Euro im Monat zu fairen Konditionen, schnell und ohne aufwendige Prüfungen. Das war uns wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Zudem können Studierende in besonders dringlichen Notlagen unkompliziert Zuschüsse über ihr Studierendenwerk erhalten. Ich finde es richtig, dafür den Härtefallfonds des DSW um 100 Millionen Euro aufzustocken und den BAföG-Ämtern damit die Möglichkeit zu geben, im Einzelfall zu entscheiden, welche Studierenden sich in einer besonders akuten Notlage befinden und solche Hilfen auch tatsächlich benötigen. ({6}) Wichtig ist nun, dass diese Regeln für den Härtefallfonds schnell erarbeitet werden und die finanziellen Hilfen für die Betroffenen dann auch tatsächlich rasch fließen können. Dafür wollen wir Sorge tragen. Mir ist bewusst, dass die Maßnahmen, die bereits getroffen wurden – das Unterstützungsgesetz, das wir heute beraten, eingeschlossen –, und nun auch die vom BMBF bereitgestellten finanziellen Hilfen bei vielen der Studierenden den Wegfall des Nebenjobs nicht komplett kompensieren können. Aber ich bin mir mit den Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition sicher, dass dieser Mix von Hilfen, den wir gefunden haben, maßgeblich dazu beitragen wird, die Zeit der Coronapandemie zu überbrücken für unsere Studierenden, für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Abschließend möchte ich meine Botschaft an die Studierenden und Wissenschaftler in Deutschland nochmals wiederholen: Wir werden diese Krise gemeinsam und wir werden sie solidarisch meistern. Alle sollen ihr Studium oder ihre Forschungen trotz dieser Pandemie fortsetzen können. Wir helfen euch, wir helfen Ihnen dabei. Oder um es etwas emotionaler auszudrücken: You will never walk alone. Danke sehr. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Götz Frömming, AfD. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Kanzlerin sagte vor Kurzem zu Recht, dass wir uns in einer Krise historischen Ausmaßes befinden. Inzwischen fragen sich aber immer mehr Menschen, ob diese Krise durch das Virus oder durch das Nichthandeln bzw. die falschen Handlungen und Entscheidungen der Regierung verursacht worden ist. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zunächst kurz in die Geschichte zurückblicken. Vor genau 100 Jahren, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, gründeten Studenten, Professoren sowie Vertreter aus Wirtschaft und Politik sogenannte Studentenhilfen als private Selbsthilfeeinrichtungen. Ihr Ziel war die Verbesserung der sozialen Situation der Studenten durch den Betrieb von Mensen, die Vermittlung von Wohnungen und Werkarbeit. Im Erlanger Programm von 1921 betonte die Selbsthilfe der Studenten die Ablehnung von Almosen und die Idee des Werkstudententums als Richtlinien ihrer Arbeit. Selbsthilfe, Ablehnung von Almosen und körperliche Arbeit als Ideale der Studentenschaft – seitdem hat sich viel verändert. ({1}) Aus der privat organisierten Studentenhilfe wurden die Studentenwerke. Inzwischen sind das Anstalten des öffentlichen Rechts, die heute wie eine staatliche Behörde funktionieren. Aus der Ablehnung von Almosen ist der Ruf nach paternalistischer Betreuung, nach einem BAföG für alle, einer Art Grundeinkommen für Studenten ohne entsprechende Gegenleistung geworden. ({2}) Und der Vorschlag, meine Damen und Herren, dass Schüler und Studenten bei der Ernte helfen könnten, wurde als Zumutung empfunden. Dabei hätte er breite Unterstützung gerade auch aus der Politik, gerade auch von Bildungspolitikern erfahren müssen. ({3}) Meine Damen und Herren, um nicht missverstanden zu werden: Auch heute sind viele Studenten in einer Notlage und auf Unterstützung angewiesen; darin waren wir uns alle hier im Hause einig. Auch die AfD-Fraktion ist bereit, zu helfen. Wie groß die Not allerdings wirklich ist, kann derzeit keiner genau sagen; dazu fehlen einfach empirische Daten. In welchem Umfang und wie die notwendige Hilfe geleistet werden sollte, darüber bestand auch gestern im Ausschuss keine Einigkeit. Die Bundesregierung hat zunächst allein auf die Vergabe von Krediten gesetzt. Die Koalitionsfraktionen haben sich das dann zu eigen gemacht: die CDU/CSU mit fliegenden Fahnen, der Koalitionspartner SPD widerstrebend. Wir haben in der ersten Beratung erlebt, dass die SPD ihren eigenen Entwurf kritisierte und unbedingt zusammen mit den anderen linken Parteien das BAföG ausbauen wollte. ({4}) Das, meine Damen und Herren, lässt tief blicken, wie es um den Zustand der Koalition bestellt ist. Offenbar werden einige kurz vor Ende der Legislaturperiode schon nervös, sehr geehrter Herr Kollege. ({5}) Die AfD-Fraktion hat in ihrem Antrag „Hilfe mit Augenmaß – Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter passgenau unterstützen“ gefordert, bedürftige Studenten durch eine einmalige Finanzhilfe direkt und unbürokratisch zu unterstützen. ({6}) Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung diese Idee nun zu eigen gemacht hat und dem Deutschen Studentenwerk für diesen Zweck 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen will. Meine Damen und Herren, im vorliegenden Gesetzentwurf ist das allerdings nicht enthalten. Außerdem dürfte die bereitgestellte Summe zu niedrig sein. Insgesamt geht der vorliegende Gesetzentwurf in die richtige Richtung, aber er geht nicht weit genug. Und er erfasst auch nur Teilprobleme. Ein durch Anordnung der Regierung ausgefallenes Semester, meine Damen und Herren, darf nicht zur Benachteiligung der Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter führen. Wir hätten uns hier an dieser Stelle übrigens auch einen rechtsverbindlichen Anspruch auf Verlängerung der Befristungsdauer gewünscht. Auch das fehlt im Gesetzentwurf. Auch die enthaltene Korrektur der BAföG-Vorschriften, die nun einen Hinzuverdienst in den sogenannten systemrelevanten Berufen möglich macht, ist sinnvoll und wird von uns mitgetragen. Allerdings erfassen Sie auch damit nur ein Teilproblem und helfen den in Not geratenen Studenten nicht. Frau Karliczek, sehr geehrter Herr Kaufmann, Sie sind hier eindeutig zu kurz gesprungen. ({7}) Wir werden uns deshalb enthalten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, sehr geehrter Kollege. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Bas, SPD. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Maßnahmen, die wir heute mit dem Gesetz zur Unterstützung von Wissenschaft und Studierenden beschließen werden, sind richtig und vor allen Dingen auch dringend notwendig; das hat die Anhörung in der Woche bestätigt. ({0}) Die Anhörung hat aber auch bestätigt, dass die Maßnahmen für Studierende, die eben jetzt auf Nothilfe angewiesen sind, unbürokratisch und schnell sein müssen. Ich will jetzt nicht verhehlen – das ist, glaube ich, nicht unbekannt geblieben –, dass wir hier in der Koalition fundamental unterschiedliche Auffassungen über das Hilfesystem hatten. ({1}) Die Union und auch die Ministerin favorisieren im System einen zinslosen Kredit. Wir favorisieren oder hätten favorisiert, das BAföG für Studierende, die sonst keinen Anspruch darauf haben und die jetzt in Notsituationen sind, im System zu öffnen und auch hier schnell zu helfen. ({2}) Unsere Meinungen gingen hier auseinander. Bei aller Liebe zum Koalitionspartner: Die Einrichtung des Notfallfonds mit 100 Millionen Euro, die wir jetzt dem Deutschen Studentenwerk zur Verfügung stellen, damit es in Schwierigkeiten geratenen Studenten individuell nach ihrer Notlage helfen kann, wäre ohne uns nicht erreicht worden. Insofern bin ich Ihnen dankbar, dass Sie das mitgemacht haben. ({3}) Aber sagen Sie jetzt nicht, dass dieser Notfallfonds sowieso gekommen wäre; denn am Ende war es ein Kompromiss, und den halte ich auch für richtig. Ich bin froh, dass uns dieser Kompromiss gelungen ist. Denn ein reines Kreditsystem mit der dahinterstehenden Zinssystematik, die uns allen bekannt ist, ist nicht in unserem Sinne und der falsche Weg. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass uns das Finanzministerium ausdrücklich geholfen hat und diese 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Ich erwarte vom Koalitionspartner, dass dieser Kompromiss nun schnell umgesetzt wird, ({4}) damit diese Hilfe nicht irgendwann zur Verfügung steht, sondern jetzt, wo sie auch gebraucht wird. Das ist uns ein wichtiges Anliegen. Darum bitte ich Sie, Frau Karliczek, dass diese Vereinbarung jetzt schnell in die Wege geleitet und nicht mit Kriterien versehen wird, die irgendwie doch einen Kredit für eine anschließende Nothilfe voraussetzen. Das war nicht das, was wir besprochen haben. Insofern möchte ich, dass das in dem Sinne, wie wir es vereinbart haben, umgesetzt wird. Nur das wird den Studenten helfen. ({5}) Alles andere unterstützen wir gerne, aber ich finde: Da muss dann auch das, was wir vereinbart haben, vernünftig umgesetzt werden. Wie gesagt, ich bedanke mich beim Koalitionspartner, dass er am Ende mit uns diesen Kompromiss gefunden hat. Wir hatten beide unterschiedliche Auffassungen. Es ist uns aber gelungen, mit diesem Notfallfonds und auch mit dem Kreditmodell für viele Studierende eine Lösung zu finden. Insofern bin ich allen Beteiligten, die daran mitgewirkt haben, sehr dankbar und bedanke mich dafür. Dieses Gesetz werden wir natürlich mit Ihnen beschließen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Jens Brandenburg, FDP. ({0})

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin und auch lieber Kai Gehring! Seit Mitte März ist unser Land im Lockdown. Hunderttausende Studierende haben ihre Nebenjobs verloren. Sie fallen beim BAföG durchs Raster und wissen nicht, wie sie ihr Studium noch finanzieren sollen. Und Sie lassen sich Zeit. Auf unseren Druck hin haben Sie jetzt endlich Hilfe angekündigt – zwei Monate später. Das ist keine Soforthilfe, jedenfalls keine sofortige Hilfe. Wann kommt sie denn, Ihre Hilfe? Nicht heute, nicht morgen. In ein paar Wochen sollen die ersten Gelder fließen, für internationale Studierende sogar erst im Juli. Ob Ihre Späterhilfe dann zumindest helfen wird, bleibt abzuwarten. Frau Karliczek, den Titel der Trödelministerin haben Sie sich redlich verdient. ({0}) Der Nothilfefonds ist überfällig. Viele Fragen bleiben aber offen: Nach welchen Kriterien wird das Geld verteilt? Wer kann die Hilfe beantragen? Was ist mit den Studentenwerken, die den Fonds bisher gar nicht eingerichtet haben? Sorgen Sie für eine schnelle Auszahlung. Die Hilfe wird dringend benötigt. ({1}) Warum Sie ausgerechnet auf den KfW-Studienkredit setzen, das bleibt mir ein Rätsel. Er ist mit seinen starren Strukturen und besonders hohen Zinsen bisher schon ein Ladenhüter. ({2}) Sie kündigen jetzt Zinsfreiheit an – auch im Zwischenruf von Stefan Kaufmann –, aber diese gilt ja nur für ein Jahr. Was glauben Sie denn, wie viele Studierende, die jetzt dringend auf finanzielle Hilfe angewiesen sind, schon im Winter wieder locker ein paar Tausend Euro zurückzahlen können? Das ist eine lukrative Neukundenprämie für die KfW, aber noch lange keine krisenfeste Studienfinanzierung für alle. ({3}) Wenn Sie es ernst meinen, dann folgen Sie doch einfach unserem Vorschlag und öffnen Sie das BAföG-Volldarlehen für alle Studierenden, die in der Krise ihr Einkommen verloren haben, und zwar elternunabhängig. ({4}) Das BAföG ist bekannt; die Verfahren sind eingespielt. Die Gelder sind sofort verfügbar, und die Rückzahlung ist erst nach dem Studium bei gutem Einkommen und zinsfrei fällig. Das ist übrigens keine Gießkannenpolitik, sondern eine gezielte, faire Unterstützung für alle, die diese Hilfe jetzt brauchen. ({5}) Auch BAföG-Empfänger brauchen jetzt Klarheit. Stellen Sie doch einfach klar, dass das Coronasommersemester nicht auf die Förderungshöchstdauer angerechnet wird. Beschleunigen Sie die Prüfung auch neuer BAföG-Anträge, indem Sie wie bei der Grundsicherung auf die aufwendige Vermögensprüfung bei Studierenden verzichten. Schaffen Sie mit der Arbeitsagentur und den Studierendenwerken vor Ort eine schnellere Vermittlung in neue Nebentätigkeiten, zur Unterstützung der Landwirte, der Supermärkte, der Gesundheitsbehörden, und blockieren Sie nicht länger eine strukturelle Reform zu einem elternunabhängigen BAföG, wie wir Freie Demokraten es längst vorgeschlagen haben. ({6}) Der Zugang zum Studium darf nicht länger vom eigenen Geldbeutel abhängen. Es gibt viel zu tun, und Sie haben schon viel zu lange gewartet. Der halbe Weg ist nicht genug. Sorgen Sie jetzt für eine krisenfeste Studienfinanzierung, damit Corona nicht auch noch zur Bildungskrise wird. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Die Linke. ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise ist ohne Zweifel eine besondere Herausforderung. Sie legt aber auch wie unter einem Brennglas die Schwachstellen und Missstände der Gesellschaft offen – Missstände, die sich die Bundesregierung seit Jahren leistet ({0}) und die jetzt dazu führen, dass viele gesellschaftliche Bereiche und Gruppen noch mal potenziert unter der aktuellen Krise leiden müssen. Zu diesen Schwachstellen und Missständen gehören an den Hochschulen zum Beispiel die Tatsachen, dass kaum mehr ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat oder dass das BAföG so verstümmelt wurde, dass es kaum mehr für sozialen Ausgleich sorgen kann. Diese Missstände, dieser ganze neoliberale Mist gehört zu den großen politischen Irrtümern der letzten Jahre. Dieses Denken gehört spätestens jetzt ganz schnell korrigiert. ({1}) Mehr denn je ist es jetzt unter Coronabedingungen wieder eine Frage des Geldbeutels der Eltern, der sozialen Herkunft und des Wohnortes geworden, ob und wie gut man noch studieren und mit der Krise umgehen kann. Wer in Bautzen oder im Bayerischen Wald wohnt und von dort aus gerade versucht, online zu studieren, hat schlechte Karten, weil die Netzkapazität oft nicht ausreicht, um an den Onlinekursen teilzunehmen. ({2}) Wer jetzt Kinder daheim hat, die gerade nicht in die Kita oder in die Schule gehen können, bekommt Probleme, weil nicht alle Seminare und Vorlesungen auch später abrufbar sind, wenn man sie einmal verpasst hat. Und wenn man zu den fast 2 Millionen Studierenden gehört, die sich mit Nebenjobs das Studium und den Lebensunterhalt finanzieren, und wenn man diesen Job wegen der Pandemie verloren hat, dann steht man jetzt vielleicht bald vor der Frage, ob man überhaupt noch weiterstudieren kann. Frau Ministerin Karliczek, all diese Menschen lassen Sie gerade allein. ({3}) Auf die meisten dieser Probleme haben Sie noch nicht mal reagiert; Sie bieten Scheinlösungen an, die die Missstände am Ende noch einmal verschärfen werden. Das ist unglaublich! ({4}) Wenn Sie, Frau Karliczek, auf der Homepage des Ministeriums schreiben – ich zitiere –: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Corona-Pandemie Studierende in den Abbruch … ihres Studiums treibt“, dann frage ich: Wie passt es denn dann zusammen, dass Sie lediglich Kredite gewähren wollen, noch dazu mit einer immensen Zinslast? Genau dazu führen doch die Verschuldung und die Angst vor Schulden: dass junge Menschen das Studium aufgeben. Gerade diejenigen Studierenden, die sich den Weg an die Hochschulen erkämpft haben, die auf den eigenen Verdienst angewiesen sind, die jeden Tag darum kämpfen, das Studium und die Finanzierung des Lebensunterhalts unter einen Hut zu bringen, die trifft es jetzt. Ich sage noch mal: Reformieren Sie das BAföG endlich zu einem sozialen Förderinstrument, ({5}) bringen Sie echte Nothilfen auf den Weg, die den Studierenden jetzt unter die Arme greifen, ohne dass sie sich verschulden müssen, ({6}) und sorgen Sie dafür, dass die Beschäftigten an den Hochschulen einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung haben, auch nach der Pandemie. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierung nennt es „Unterstützungspaket für Studierende und Wissenschaftler“. Ich nenne es eine sozial- und bildungspolitische Bankrotterklärung. ({0}) Die Coronakrise bedroht Existenzen. Wir haben hier im März in aller Eile 150 Milliarden Euro für Rettungsschirme bewilligt. ({1}) Außen vor geblieben sind 3 Millionen Studierende im Land. Für sie gilt: Bist du deinen Job los und stehst vor der Pleite, dann darfst du dich jetzt mit einem Kredit verschulden. – Das ist unterlassene Hilfeleistung. ({2}) Was machen Union und SPD in ihrem Unterstützungspaket? Genau einen Trippelschritt: BAföG-Empfänger, die nach dem 1. März einen Nebenjob in Krankenhäusern oder in der Landwirtschaft angetreten haben, können den Verdienst komplett behalten. ({3}) Ja, wunderbar; dagegen sagen wir auch nichts. Aber ist das alles, was Ihnen in zwei Monaten einfällt? Das kann doch wohl nicht wahr sein. ({4}) Es wäre genug Zeit gewesen, das BAföG für alle vorübergehend zu öffnen, für die Studierenden, deren Nebenjob futsch ist. ({5}) Das haben wir vorgeschlagen, das beantragen wir heute auch hier im Haus, und von Gewerkschaften bis zur Hochschulrektorenkonferenz sind da viele auf unserer Seite. Das ginge übrigens schnell. Dieses Gesetzeswerk wäre kein Hexenwerk, das könnten wir heute hier mit den Änderungsanträgen beschließen. Man muss es nur wollen. ({6}) Aus dem letzten Jahr sind 900 Millionen BAföG-Mittel übrig; die sind einfach an den Finanzminister zurückgeflossen. Das ist doch nicht bildungsgerecht! Was macht die Bundesregierung? KfW-Studienkredite öffnen. Das ist ein Modell aus der Mottenkiste. Und wissen Sie, mit welchem Schuldenberg man dann nachher am Jobeinstieg steht? Das ist doch wirklich unglaublich. Das heißt, viele aus der Mittelschicht, die jetzt weder BAföG bekommen noch reiche Eltern haben und deren Studentenjob futsch ist, müssen sich jetzt entscheiden: entweder Schuldenfalle oder Studienabbruch aus Geldmangel. Das kann es wirklich nicht sein. ({7}) Dann stellen Sie noch den Nothilfefonds ins Schaufenster. Ja, den gibt es ja noch gar nicht; den müssen Sie jetzt noch verhandeln. Es ist völlig unklar, wie viele davon profitieren. Wann ist das Geld auf dem Konto? Im August? Das hilft doch in einer ganz konkreten Notlage nicht; das ist doch wirklich verheerend. Der Staatssekretär hat gestern im Ausschuss gesagt, er gehe davon aus, dass 66 000 davon profitierten. Wir haben 3 Millionen Studierende. Kann die SPD eigentlich noch rechnen? ({8}) Sich damit zufriedenzugeben, das ist doch unterirdisch! ({9}) Mir scheint, dass SPD und Union die Lebensrealität junger Menschen im Land nicht mehr wahrnehmen. Sie arbeiten fieberhaft dafür, Einkaufszentren zu öffnen und die Fußballbundesliga starten zu lassen; aber es gibt keinen Rettungsschirm für Studierende, es gibt keinen Rettungsschirm für Bildung. Deshalb tragen Sie, Frau Karliczek und Herr Scholz als Finanzminister, die Verantwortung, wenn aus der Coronakrise jetzt eine Bildungskrise wird. Das ist wirklich traurig. ({10}) Wir sollten als Bundestag hier im nächsten Schritt etwas beschließen, was wirklich den Namen „Unterstützungspaket“ verdient. Denn das hier heute ist wirklich eine traurige Veranstaltung. Öffnen Sie das BAföG, und helfen Sie wirklich! ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Staffler, CDU/CSU. ({0})

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zahlen spielen in diesen Tagen ja eine ganz besondere Rolle. Ich glaube, wir alle werfen täglich einen besorgten Blick auf die Entwicklung der Zahl der Infizierten. Wir diskutieren über die mögliche Dunkelziffer, und natürlich bedauern wir auch jeden Tag die leider weiterhin steigenden Zahlen der Toten, von denen – das muss man auch mal sagen – jeder Einzelne einer zu viel ist. Es gibt noch eine Zahl, die mir in den letzten Tagen besonders aufgefallen ist: 89. 89 Prozent der Bevölkerung in Deutschland messen laut dem Wissenschaftsbarometer Corona Spezial wissenschaftlichem Wissen einen besonders wichtigen Stellenwert bei, wenn es darum geht, die Verbreitung von Corona in Deutschland zu verlangsamen. Grundsätzlich ist das Vertrauen in die Wissenschaft so hoch wie noch nie in den vergangenen Monaten oder Jahren. Ich glaube, das sind gute Nachrichten für die Wissenschaftslandschaft in Deutschland; denn die Zahlen zeigen uns, welchen hohen Stellenwert Forschung und Wissenschaft als zuverlässige Informationsquellen gerade in Krisenzeiten einnehmen, und gleichzeitig machen sie uns deutlich, wie wichtig Wissenschaft ist, nicht nur in ihrer Rolle als Aufklärer, sondern vor allem auch als Orientierungsgeber. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronapandemie zwingt uns dazu, dass wir unser soziales, unser wirtschaftliches und unser öffentliches Leben in einem Ausmaß einschränken, das uns bis vor Kurzem völlig undenkbar erschienen ist. Leider ist es gerade auch der Wissenschafts- und Hochschulbetrieb, der unter den gegenwärtigen Bedingungen leidet. Viele Studenten haben das diesjährige Sommersemester mit Sorge über ihre finanzielle Lage begonnen; Sie blicken auch mit einer gewissen Unsicherheit in die kommenden Monate. Aber nicht nur die Studenten sind von der derzeitigen Situation stark betroffen – das ist in vielen Beiträgen angesprochen worden –; gerade auch die Forscher machen sich Gedanken: Wann kann ich wieder unter normalen Umständen an meinem Forschungsvorhaben weiterarbeiten? Was passiert mit meiner befristeten Stelle, wenn mein Forschungsprojekt aktuell auf Eis liegt und mir beispielsweise am Schluss der Promotion wertvolle Zeit einfach fehlt? Gerade auf diese Fragen, die momentan sehr viele Forschende umtreiben, haben wir im vorliegenden Wissenschafts- und Studierendenunterstützungsgesetz, finde ich, gute Antworten gegeben. Die im Wissenschaftszeitvertragsgesetz festgelegten Höchstbefristungsgrenzen für das wissenschaftliche und künstlerische Personal, das sich in der Qualifizierungsphase befindet, also für genau die, von denen ich gerade gesprochen habe, werden um sechs Monate verlängert. Eine angemessene Verlängerung der Vertragsverhältnisse hängt auch von vielen, teilweise ganz individuellen Faktoren ab. Deswegen war es uns wichtig, dass man die Entscheidungen, wie lang eine Verlängerung denn sein kann, eben nicht einfach von oben herab trifft, sondern den Beteiligten vor Ort überlässt; denn sie kennen die individuellen Verhältnisse einfach am besten. ({1}) Insgesamt schaffen wir mit den Maßnahmen die nötigen Voraussetzungen dafür, dass die Betroffenen trotz der pandemiebedingten Einschränkungen eben am Ende ihre Qualifizierungsziele erreichen und erfolgreich sein können. ({2}) Darüber hinaus haben wir auch noch weitere Maßnahmen ergriffen, um diesen Wissenschafts- und Forschungsbereich auf die aktuelle Situation einzustellen und in die Lage zu versetzen, darauf zu reagieren. Das BMBF berücksichtigt zum Beispiel in der Projektförderung die Verzögerungen bei der Durchführung, indem es die Laufzeiten von einzelnen Projekten verlängert. Auch das ist ein ganz wichtiger Schritt und ein ganz wichtiges Signal für die Forschenden. Auch die Wissenschaftsorganisationen – ich möchte allen voran die DFG nennen – haben auf die aktuelle Situation reagiert. Es sind Maßnahmen ergriffen worden, die eben genau diese Flexibilisierung für die Arbeitenden vor Ort erlauben. Mehr als 175 europäische Stiftungen, die, wie ich finde, eine ganz maßgebliche Rolle bei der Finanzierung von drittmittelgeförderten Forschungsprojekten spielen, haben ihre Unterstützung zugesichert, wenn vereinbarte Leistungen aufgrund der Pandemie eben nicht im vereinbarten Maße oder nicht im vereinbarten Zeitplan erbracht werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Situation unterscheidet sich schon ganz grundlegend von der Situation, in der wir normale politische Auseinandersetzungen führen, in der jeder seinen Standpunkt hat, diesen Standpunkt auch vertritt, wo man sich zusammensetzt, miteinander diskutiert und am Ende gemeinsam zu einem Kompromiss kommt. Wir kämpfen im Moment gegen ein Virus. Dieses Virus macht halt keine Kompromisse mit uns. Wir können mit dem Virus nicht diskutieren. Wir können uns mit ihm nicht zusammensetzen und um mögliche Lösungen ringen. Wir können nur eins tun: Wir können alles daransetzen, diejenigen zu unterstützen, die durch das Virus in Nöte geraten. Genau das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Oliver Kaczmarek, SPD. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in den letzten Wochen intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich die Krise auf die Situation von Studierenden auswirkt, und wir haben viel erreicht. Deswegen möchte ich vier Punkte nennen, die zeigen, wie wir helfen, damit Studierende ihre Ausbildung erfolgreich fortsetzen können. Erstens. Für den Fall, dass wegen der Krise und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen Prüfungstermine verschoben werden müssen oder Ausbildungsanteile nicht stattfinden können, haben wir für Sicherheit gesorgt: Das BAföG fließt weiter, auch verlängert. Das gibt den Studierenden für ihre Ausbildung Sicherheit. ({0}) Für die SPD, Frau Ministerin, zählt weiterhin dazu: Das Sommersemester ist trotz der hervorragenden Bemühungen der Hochschulen mit so vielen Unwägbarkeiten verbunden, dass wir Sie bitten: Reden Sie mit den Ländern! Drängen Sie auf eine bundeseinheitliche Lösung, damit dieses Semester nicht auf den BAföG-Bezug angerechnet werden muss! Und wenn das nicht fruchtet, dann machen Sie einfach einen Erlass. Wir wollen, dass dieses Semester nicht angerechnet wird. ({1}) Zweitens. Wer heute in eine Notlage kommt, weil die Eltern in Kurzarbeit gehen mussten oder ihren Arbeitsplatz schon verloren haben, der muss schnell an einen neuen BAföG-Bezug kommen. Dazu hat es dankenswerterweise einige Klarstellungen auch seitens des Ministeriums gegeben, die die Arbeit der Studierendenwerke bei der Bearbeitung der Anträge erleichtern. Ich möchte meinen Dank mit dem an die Studierendenwerke verbinden, denen jetzt eine besondere Rolle zukommt. Sie sind jeden Tag für ihre Studentinnen und Studenten da. Sie sind der richtige Ort, um den Nothilfefonds zugänglich zu machen. Drittens. Wir wollten Anreize für die, die in der Krise mit anpacken – in den medizinischen Dienstleistungen, in der Erntehilfe, in den Supermärkten, wo auch immer –, und dafür sorgen wir heute. Man darf als BAföG-Empfänger alle Einnahmen aus diesen Jobs behalten, und das ist gut so; denn das ermutigt die Leute, auch in diesen systemrelevanten Bereichen mit anzupacken. Ich möchte an der Stelle hinzufügen: Ich bin auch dankbar für den Hinweis des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung an die Krankenkassen: Wer in systemrelevanten Jobs arbeitet, soll nicht automatisch aus der Familienversicherung rutschen. – Das ist ein ganz wichtiges Element für Studierende, um eine Beschäftigung aufnehmen zu können, weil auch das hohe Kosten verursacht. Insofern ist das ein Paket, mit dem wir die Leute ermutigen, auch in systemrelevanten Bereichen mit anzufassen. ({2}) Vierter Punkt: die Nothilfe für alle, die ihren Job kurzfristig verloren haben. Ein Satz, den ich hier vor zwei Wochen zum selben Thema gesagt habe, bleibt richtig. Ich will ihn noch mal sagen: „Die SPD ist der Meinung, dass es für diesen Fall“ – also für alle, die ihren Job kurzfristig in der Krise verloren haben – „in Deutschland ein Gesetz gibt“, das schon millionenfach geholfen hat: das BAföG. – Das bleibt richtig. Damit befindet sich die SPD in guter Gesellschaft; denn Hochschulrektorenkonferenz, Deutsches Studentenwerk, Kultusministerkonferenz und viele Landesminister haben die Ministerin aufgefordert, genau diesen Weg zu gehen: das BAföG zu öffnen. Wer der Debatte gefolgt ist, hat auch verstanden, woran es gescheitert ist und warum wir diesen Weg nicht gegangen sind. Unsere Aufgabe als Parlament und auch unser Verständnis als SPD-Regierungsfraktion ist doch: Wir werfen unsere Überzeugungen nicht über Bord, im Gegenteil: Sie bleiben richtig. Wir müssen aber immer auch die politische Lage abwägen und dann zu Entscheidungen kommen, die in diesem Fall den Studentinnen und Studenten tatsächlich helfen. Abwägen und entscheiden! Deshalb hat die SPD zusammen mit Finanzminister Olaf Scholz dafür gekämpft, ein neues Element einzuführen: einen Nothilfefonds, der mit 100 Millionen Euro ausgestattet wird, und zwar als Zuschuss – das war in der letzten Debatte noch strittig – und abgewickelt durch die Notfallfonds der 57 Studierendenwerke in Deutschland. Deswegen ist es richtig: Wir haben den ursprünglichen Vorschlag besser gemacht, und deshalb ist das auch ein Erfolg, den wir hier heute erzielen können. ({3}) Übrigens wird aus dem Bundeshaushalt mehr Geld für diesen Nothilfefonds als für die Zinsübernahme für den KfW-Kredit aufgewendet. Wir haben hart gerungen in der Koalition; das ist tatsächlich richtig. Aber wir sind jetzt auch einen Schritt weiter als vor zwei Wochen. Die Studentinnen und Studenten können sich darauf verlassen, dass wir ihre Lage auch weiter im Blick behalten und notfalls auch in der Lage sein werden, nachzusteuern, wenn es notwendig ist. Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir widmen uns heute zum zweiten Mal innerhalb dieser Plenarwoche der Situation von Familien in dieser Krisenzeit. Das gibt mir noch mal Gelegenheit, deutlich zu machen, dass wir als Bundesregierung auch mit Unterstützung der Oppositionsfraktionen und Unterstützung der Länder die Familien von Anfang an mit in den Blick genommen haben. Was sie in dieser Krise auszuhalten haben, haben wir sofort in den Fokus genommen. Wir haben uns gleich zu Beginn mit den Ländern verständigt, dass wir als Bund 50 Prozent der Lohnersatzleistungen über das Infektionsschutzgesetz mittragen, wenn die Eltern ihre Kinder nicht in die Kindertagesstättenbetreuung geben können. Das ist eine wichtige Maßnahme. Sie hilft den Eltern gerade in dieser Anfangszeit der Krise wirklich, dass sie, wenn sie auf die Betreuung nicht zurückgreifen können, wenigstens eine Lohnersatzleistung bekommen. Vielen Dank an Bund und Länder für diese Lösung, die gleich am Anfang gefunden worden ist! ({0}) Und: Wir helfen mit dem Notfall-KiZ insbesondere den Familien, die jetzt aufgrund ihrer sozialen, finanziellen Situation in die Lage kommen, dass sie auch den Kinderzuschlag bekommen können. Gerade mit vereinfachten, verkürzten und offenen Verfahren helfen wir genau den Familien, bei denen die Eltern in Kurzarbeit sind. Das wird auch sehr gut angenommen. Franziska Giffey hat damit einen sehr guten Vorschlag unterbreitet, den wir gleich von Anfang an umgesetzt haben. Damit helfen wir insbesondere Familien, die finanziell nicht so gut ausgestattet sind. Auch hier herzlichen Dank an alle, die das mittragen! ({1}) Gestern haben sich auch die Länder auf die Öffnung der Kitas verständigt. Sie werden hierzu verbindliche Pläne erstellen und die Notfallbetreuung, so heißt es immer, ausbauen. Das ist eine wichtige Maßnahme, weil auf Dauer die Lohnersatzleistungen nicht greifen und weil es auf Dauer auch gut und richtig ist, dass Kinder mit gleichaltrigen Kindern, mit Kindern insgesamt in Kontakt kommen, um zu lernen und zu spielen. Das geht nicht, wenn sie nur in ihrer Wohnung oder – wenn er vorhanden ist – in ihrem Garten alleine sind. Von daher auch herzlichen Dank an die Länder, die das ermöglicht haben, aber auch vielen Dank an Franziska Giffey, die immer wieder gefordert hat, auch das Wohl der Kinder bei der Kitabetreuung in den Blick zu nehmen! Wir hoffen, dass die Länder jetzt zu vernünftigen Lösungen kommen. Die Grundsteine sind gelegt. ({2}) Natürlich ist es so, dass alle anderen Maßnahmen, die wir zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, für Selbstständige und für die Wirtschaft in den Blick nehmen und angepackt haben, auch den Familien zugutekommen: die Regelung zum Kurzarbeitergeld, die Wirtschaftshilfen für Solo-Selbstständige usw. Das hilft auch Familien. Jetzt greifen wir den nächsten Punkt auf: Das ist das aktuelle Elterngeld. Auch hier gibt es natürlich Situationen, die es nicht möglich machen, ganz klassisch Elterngeld zu beziehen bzw. Elternzeit zu nehmen, so wie es Familien in ihren Planungen vielleicht vorgesehen haben. Wenn man Kurzarbeit hat, dann wäre es nicht gut, wenn man nur den dadurch erzielten Lohn zugrunde legen würde. Mancher kann aufgrund der arbeitstechnischen Situation keine Elternzeit nehmen. Es ist auch nicht vernünftig, jetzt nur deswegen Elternzeit zu nehmen, weil es diese Regelung gibt. Deshalb machen wir eine Flexibilisierung. Deshalb machen wir hier eine Öffnung. Deshalb helfen wir jetzt ganz speziell den Eltern, die auf Elternzeit angewiesen sind und Elterngeld brauchen. Diese Flexibilisierung ist nötig. Auch hier danke ich der Ministerin und auch insgesamt dem Haus – wir haben gestern im Ausschuss beraten – für die breite Unterstützung dieser Änderung. Jetzt will ich aber auch deutlich machen, dass das natürlich noch nicht alles sein kann, sondern es muss bei uns mehr passieren. Ich habe gerade von den Lohnausfällen, die jetzt durch das Infektionsschutzgesetz ausgeglichen werden, gesprochen. Auch da brauchen wir jetzt eine Anschlusslösung. Deshalb mein Appell an die Länder und auch an alle in diesem Hause, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Wir brauchen auch hier eine Weiterfinanzierung des Lohnausfalls. Es kann nicht angehen, dass wir hier die Familien, insbesondere die mit geringem Einkommen, im Stich lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir brauchen perspektivisch auch Unterstützung für Familien mit einem geringen finanziellen Einkommen. Das heißt: Wie können wir denen zur Unterstützung mehr finanzielle Leistungen zukommen lassen, wenn wir die Konjunktur wieder ankurbeln wollen? Das sind insbesondere Familien im Sozialbezug; das sind die Familien mit geringem Einkommen. Da wird der KiZ auf Dauer nicht ausreichen. Hier müssen wir insgesamt zu einer Bonuslösung kommen, wie es sie auch in anderen konjunkturell schwierigen Situationen gab. Ich freue mich auf die Beratungen, bei denen es um diese Sachen geht. Unterm Strich: Die Familien sind bereits unter dem Schutzschirm, unter dem Rettungsschirm; aber wir müssen weitere Maßnahmen folgen lassen. Es ist auch gut, dass wir das zu diesem Zeitpunkt regeln. Alle weiteren Maßnahmen zum Elterngeld, zur Elternzeit, die wir reformieren wollen, führen wir sowieso im weiteren Verfahren zur Reform des Elterngeldes durch. Aber diesen Schritt, den wir heute mit unserem Gesetzentwurf gehen, ist ein richtiger und ein guter. Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Martin Reichardt, AfD. ({0})

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kinder sind Kinder und eben keine Virenschleudern. Kinder, die ihre Oma und ihren Opa nur noch mit Mundschutz und eingeschränkt besuchen dürfen, Kinder, die nicht mit ihren Freunden spielen können, diese Kinder werden ohne wissenschaftlich fundierte Grundlage als Coronaherde diffamiert. Kinder sind Opfer einer Panikmache der Regierung. Eltern, die ihre Überstunden und ihren Jahresurlaub genommen haben, Eltern, die von Kurzarbeitergeld leben, die von ihren Arbeitgebern oft genug vor die Alternative gestellt sind: „Entweder du kommst, oder du verlierst vielleicht deinen Arbeitsplatz“ – Eltern sind Opfer der Panikmache dieser Regierung. ({0}) Es sind tüchtige Menschen, die ihre Existenz verlieren, die zum Bittsteller werden. Und dass Sie hier so schreien, das zeigt nur Ihre Schuld, die Sie sich eingestehen. ({1}) Kitas und Schulen sind im Notbetrieb. Die einzige Perspektive, die Sie Eltern und Kindern anbieten – Frau Ministerin, auch Sie –, ist ein Impfstoff, von dem keiner weiß, wann er kommt, und dann noch verbunden mit einer Impfpflicht, die mit uns nicht zu machen ist. ({2}) Aus Ihrem Ministerium kommen kleine Korrekturen beim Elterngeld. Wir werden diesem zustimmen, damit wenigstens etwas getan wird. Sie haben es versäumt, bereits bei der Schließung der Kitas ein Konzept zu deren verbindlicher Öffnung vorzulegen. Sie haben es versäumt, Eltern eine rechtliche und finanzielle Sicherheit zu geben. Sie haben es versäumt, dafür zu sorgen, dass der Freiwilligendienst Familien und Senioren unterstützen kann. Wir als AfD-Fraktion haben bereits am 24. März dazu entsprechende Anträge vorgelegt. Die maßlosen Maßnahmen der schwarz-roten Regierung gelten aber als alternativlos. Die Regierung – das muss hier auch mit trauriger Stimme gesagt werden – schürt eine Urangst der Menschen. Es ist die Urangst um das eigene Leben, um das Leben von Angehörigen. ({3}) Denn ohne Panik, ohne Angst können sich Frau Merkel und Herr Söder nicht als Retter der Nation darstellen. ({4}) Unabhängige Medien? Fehlanzeige! Virologen, die eine andere Meinung vertreten als die der Experten der Bundesregierung, werden verleumdet und totgeschwiegen. Heute gilt: Wer auf Kritik an der Regierung verzichtet, der handelt angeblich verantwortungsvoll. ({5}) Das ist verheerend, meine Damen und Herren, verheerend für dieses Hohe Haus. ({6}) Die Kanzlerin und das Coronakabinett, dem die Familienministerin übrigens nicht angehört, haben ein ganzes Volk entmündigt. ({7}) Zurzeit wird vor einer zweiten Welle gewarnt, gestützt auf Zahlen, die widersprüchlich und von Ungereimtheiten voll sind. ({8}) Schweden ist das einzige Land, das dem politischen Herdentrieb nicht gefolgt ist. Es hat auf Eigenverantwortung und nicht auf Entmündigung der Bürger gesetzt. Hieran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. ({9}) Keine geschlossenen Kitas, kein Lockdown: Schweden meldet am 5. Mai 2020 eine Reproduktionsrate von 0,85. ({10}) Ein führender Mitarbeiter der WHO lobt das schwedische Konzept, sieht es als Vorbild für andere Länder. Wir als AfD, meine Damen und Herren, kritisieren die Bundesregierung. Denn wie schon der große Sozialdemokrat – es gab sie tatsächlich – Otto Wels einst sagte: „Kritik ist heilsam und notwendig.“ ({11}) Wir als AfD sind verantwortungsvoll. Aus Verantwortung für unsere Familien und Kinder, aus Verantwortung für Deutschland: Beenden Sie den radikalen Lockdown, so wie sie ihn beschlossen haben! Vielen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das Redepult wird vorbereitet für Nadine Schön, CDU/CSU. – Sie haben das Wort. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Sammelsurium an Verschwörungstheorien braucht man, glaube ich, weiter nicht zu kommentieren. Die Bürgerinnen und Bürger können sich ein eigenes Bild machen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, seit fast acht Wochen sind in Deutschland Kitas und Schulen geschlossen, von jetzt auf gleich, von hundert auf null. Und von null auf hundert wurden Eltern somit zu Lehrern, zu Lernbegleitern, zu Betreuern, ({1}) und das nicht statt Arbeit, sondern meistens zusätzlich zu ihrer Arbeit. ({2}) Ich kann nur sagen: Wow! Das waren wirklich sehr intensive Wochen. Für viele Familien waren es auch schöne intensive Wochen, weil man wirklich sehr viel Zeit mit der Kernfamilie im Mikrokosmos Familie hatte, sehr viel Zeit gemeinsam verbringen konnte. Kein Vereinshopping, kein Taxi Mama und Papa, kein Sich-die-Klinke-in-die-Hand-Geben, kein Familienkalender, in dem die Termine aufeinander abgestimmt werden müssen: also für viele auch eine schöne Erfahrung. ({3}) Aber ohne Frage: Für viele war es auch eine wirklich anstrengende Erfahrung und eine wirklich herausfordernde Zeit. Diese Herausforderungen sind so vielfältig wie die Familien in unserem Land. Die einen haben finanzielle Sorgen. ({4}) Andere kommen an die Grenzen dessen, was sie tagtäglich leisten können. Für die, die Homeoffice, Betreuung, Homeschooling und Haushalt vereinbaren, ist es wirklich anstrengend. Jeder – und ich denke auch viele von uns – könnte unendlich viele Geschichten erzählen vom täglichen Wahnsinn zwischen Computer, Kochlöffel und Kinderbüchern. Man macht immer mindestens zwei Dinge gleichzeitig, irgendwas kommt immer zu kurz, und permanent hat man ein schlechtes Gewissen. Einen Einblick in diese wirklich intensive Situation geben viele Blogs und auch ganz aktuell eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich diese Familienblogs einmal angeschaut und das Ganze dann versehen hat mit dem Titel „Corona – Familien am Limit“. Ja, es ist eine herausfordernde Zeit. Es sind ganz oft die Mütter, aber auch oft die Väter, die diesen Spagat zwischen den Ansprüchen von Job, Familie und Erwartungshaltung an sich selbst stemmen müssen. Diese Familien wollen vor allem eins: Entlastung. Deshalb ist es gut, dass es jetzt eine Perspektive gibt. Es ist gut, dass diese Woche die Spielplätze wieder geöffnet haben. Es ist gut, dass die Notbetreuung ausgeweitet wird. Es ist gut, dass die Schulen langsam wieder anfangen. Das gibt Perspektiven. Eine Umfrage von der Initiative „ElternSTIMME“ hat gezeigt, dass diese Entlastung von Eltern noch mehr gewünscht wird als finanzielle Entlastung. Aber: Es gibt auch die finanziellen Sorgen und Nöte. Wir haben die Familien, die vom Kurzarbeitergeld leben müssen und deshalb eben Einkommenseinbußen haben. Wir haben gerade bei den Frauen die vielen Minijobberinnen, die gar keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder deren Jobs schon weggefallen sind. Wir haben Eltern, die nicht arbeiten können, weil sie eben die Betreuung der Kinder übernehmen müssen und deshalb auch im Homeoffice die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gar nicht hinbekommen. Das sind finanzielle Sorgen. Unser Anliegen ist, diese Sorgen weitestgehend zu nehmen. Deshalb haben wir die Lohnersatzleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz eingeführt. Deshalb haben wir ganz schnell den Notfall-KiZ auf den Weg gebracht, was gerade die Familien mit kleinen Einkommen und Kindern entlastet. Heute bringen wir ein Gesetz zum Abschluss, das dafür sorgen wird, dass die Eltern, die im Elterngeld- oder Elterngeld-Plus-Bezug sind und jetzt nicht in dem Stundenkorridor arbeiten können, wie es eigentlich geplant war, nämlich entweder weil sie in einem systemrelevanten Beruf mehr arbeiten oder weil sie eben wegen Kurzarbeit weniger arbeiten, keine finanziellen Einbußen haben. Wir sorgen dafür, dass diejenigen, die sich jetzt auf ein Baby freuen und ihre finanziellen Planungen gemacht haben, keine coronabedingten Ausfälle haben. Diese Monate klammern wir aus der Einkommensberechnung aus. Das sind wichtige Maßnahmen. Denn die finanzielle Sicherheit ist ein ganz, ganz wichtiger Faktor. Diese Maßnahmen nehmen den Familien ein Stück der Sorge, die sie tagtäglich umtreibt. Deshalb haben wir das auch in der Koalition in großer Einigkeit gemacht. Sönke Rix hat bereits die Lohnfortzahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz angesprochen. Wir würden uns wünschen, dass es eine Anschlusslösung gibt für Familien, die dies länger als sechs Wochen in Anspruch nehmen müssen. Das ist eine Verantwortung, die Länder und Bund gemeinsam in Angriff genommen haben. Dies soll auch fortgeführt werden. Die Länder haben auch die Möglichkeit, diesen Familien nach Ablauf der sechs Wochen einen Zugang zur Notbetreuung zu verschaffen; auch das ist eine Möglichkeit. Deshalb noch mal der Appell auch an die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern: Wir dürfen die Familien in dieser Situation nicht alleinlassen! ({5}) Finanzielle Sorgen nehmen, Entlastung schaffen, eine Perspektive eröffnen: Das können wir als Politik tun. Natürlich können wir nicht die Herausforderungen in Gänze nehmen. Deshalb am Ende eine große Anerkennung für das, was in den letzten acht Wochen in den Familien geleistet worden ist. Große Anerkennung und ein ganz herzliches Dankeschön! ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Grigorios Aggelidis, FDP. ({0})

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in einer Krisensituation, die neben den Älteren vor allem Kinder und Familien trifft. Die Bundesregierung macht viel – und manchmal auch schnell. Aber macht sie aus der Sicht von Familien auch die richtigen Dinge? Was brauchen Familien in der Krise? Was ich höre, sind drei Dinge: Sie brauchen schnelle und unkomplizierte Hilfen, sie brauchen konkrete Perspektiven, wie sich ihre Situation schnell wieder verbessert, und vor allem brauchen sie endlich Verständnis. Wenn wir uns unter dieser Prämisse anschauen, was Sie machen, dann sehen wir: Sie springen immer wieder zu kurz. Es ist nun mal mit Ihr Versäumnis, dass bei den Lohnausgleichszahlungen für Familien aktuell nach sechs Wochen Schluss ist und Sie jetzt hier im Parlament die Länder auffordern müssen, das bitte zu verlängern. Das hätten Sie von Anfang an gleich so machen müssen. ({0}) Wir fordern, dass Eltern die gleiche Sicherheit haben müssen wie Beschäftigte in Kurzarbeit. Das ist für uns von Anfang an eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und wir wollen endlich – auch da zeigt sich wieder, wie kurzsichtig Sie sind – das Insolvenzgeld in die Berechnung von Elterngeld miteinbeziehen. Für den Fall, dass Unternehmen in den kommenden Monaten Insolvenz anmelden müssen, müssen wir jetzt vorsorgen und nicht erst, wenn es passiert, ({1}) damit Familien nicht von einer Krisensituation in die nächste schlittern. Schauen wir auf die konkreten Perspektiven, die Sie Eltern in Aussicht stellen. Familienfreundliche Politik bedeutet eben nicht allein, mehr Geld auszuteilen. Aktuell wälzen Sie die Last auf die Eltern ab und – ich sage es Ihnen ganz deutlich – vor allem auf die Frauen. Auch im Homeoffice bleibt größtenteils an ihnen der Spagat zwischen Arbeit, Kinderbetreuung und Beschulung hängen. Wie sorgen Sie denn vor, damit das in Zukunft besser wird? Was für konkrete Pläne erarbeiten Sie jetzt schon über die Notbetreuung hinaus? Familienfreundliche Politik muss ein gutes Umfeld für Gleichberechtigung bieten. Müttern ist eben nicht geholfen, wenn ihnen gesagt wird: Bleibt zu Hause; wir geben euch mehr Coronaelterngeld. – Liebe Kolleginnen von der linken Seite im Parlament, wir Freien Demokraten sagen den Müttern: Auch eure Berufstätigkeit ist uns wichtig; wir nehmen euch und genau das ernst. ({2}) Kaum Worte hat die Kanzlerin in ihren Pressekonferenzen für Familien übrig. Zwei Zahlen reichen aus, um das eindrucksvoll zu dokumentieren: vier und sechs. Vier Sätze auf sechs Seiten – das nenne ich doch mal „Familieninteresse“. Das ist eigentlich ein „Ihr seid uns egal“. Realität ist: Ein Elternteil müsste – wenn man sich anguckt, wie das jetzt läuft – zu Hause bleiben. Am Montag öffnen alle Geschäfte. Wie sollen Eltern dann ohne Betreuung arbeiten? Kommen wir zum Verständnis und zu den Rahmenbedingungen. Sie haben das gesellschaftliche Klima mitverursacht, in dem Schilder mit der Aufschrift „Kein Zutritt für Kinder“ auftauchen. Das ist unglaublich. Kinder werden pauschal als Gefahrenherd stigmatisiert, und das, ohne irgendeine verlässliche wissenschaftliche Basis dafür zu haben. ({3}) Das hat die Bundesregierung sogar in der Antwort auf eine Einzelfrage von mir bestätigt, meine Damen und Herren. Sie sind für genau dieses familienfeindliche Klima mitverantwortlich. ({4}) Wir fordern Sie auf – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –: Stellen Sie konkrete Pläne und finanzielle Hilfen vor, die über die Akutmaßnahmen hinausgehen. Handeln Sie endlich vorausschauend. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass ab Mai oder Juni die Wirtschaft wieder brummt und alles so ist wie vorher. Familien werden länger Hilfe brauchen. Erarbeiten Sie konkrete Maßnahmen, damit die Rahmenbedingungen für Betreuung und Beschulung in Zukunft auch krisensicher aufgestellt sind. Und schaffen Sie endlich ein kinder- und familienfreundliches Klima. ({5}) Sollten wir in Zukunft nochmals vor einer ähnlichen Situation stehen, sollten wir besser gewappnet sein. ({6}) Unsere Vorschläge dafür haben Sie. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch diese Pandemie werden die Missstände in der Sozialpolitik der Bundesregierung deutlich offengelegt. Das zeigen zum Beispiel die Diskussionen um das viel zu niedrige Kurzarbeitergeld oder die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Über vier Millionen Menschen arbeiten bei Vollzeit im Niedriglohnbereich. Wie sollen denn Familien mit 33 Prozent weniger Geld auskommen, wenn sie vorher schon knapsen mussten? Die Linke fordert: Das Kurzarbeitergeld muss rauf auf mindestens 90 Prozent. ({0}) Meine Damen und Herren, Die Linke weist schon seit Jahren auf die Missstände hin; aber unsere Anträge haben Sie konsequent abgelehnt, als wollten Sie nichts hören und nichts sehen. Was die Bundesregierung grundsätzlich ausblendet, ist die Situation von armen Familien. Was passiert, wenn auf einmal die Tafeln schließen, die übrigens alle ehrenamtlich arbeiten, haben wir gesehen. 1,6 Millionen Menschen, davon rund ein Drittel Kinder und Jugendliche, sind auf die Tafeln angewiesen. Sie hatten auf einmal nichts mehr zu essen. Und es ist traurig, dass es in einem so reichen Land überhaupt Tafeln geben muss, meine Damen und Herren. ({1}) Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP, Sie alle tragen die Verantwortung. Kinderarmut, Altersarmut, Armut bei Erwerbstätigen, Millionen Menschen im Niedriglohn, über drei Millionen Menschen arbeiten in zwei oder drei Jobs, weil sie sonst nicht über die Runden kommen – das ist alles, was von Ihrem Sozialstaat übrig geblieben ist, meine Damen und Herren, und das ist eine Schande. ({2}) Es ist skandalös, dass Kurzarbeit und Arbeitslosengeld mit null Euro in die Berechnung des Elterngeldes einfließen sollten und somit das Elterngeld erheblich reduziert hätten. Das wäre der Gipfel der Ungerechtigkeit. Es gab einen Sturm der Entrüstung der werdenden Mütter, und das war auch gut so, meine Damen und Herren. ({3}) Diese Ungerechtigkeit wollen Sie jetzt beheben. Für die Betroffenen ist das gut. Aber es ist nicht nachvollziehbar, warum dies nur befristet bis zum Ende des Jahres gelten soll. Die Neuregelungen müssen unbefristet sein. Werdende Mütter brauchen einfach Sicherheit. ({4}) Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist eine soziale Wende. Wir brauchen einen Sozialstaat, der wieder seinen Namen verdient. ({5}) Und was wir vor allen Dingen brauchen, sind höhere Löhne in Deutschland. Deshalb fangen Sie gleich mit dem Mindestlohn an – rauf auf zwölf Euro; Sie haben es in der Hand –; denn die Familien brauchen endlich wieder mehr Geld in der Tasche. ({6}) Für Familien muss deutlich mehr getan werden, vor allen Dingen in der jetzigen Zeit. Deswegen fordert Die Linke einen Rettungsschirm für Familien, das heißt ein Coronaelterngeld, ein höheres Kurzarbeitergeld, einen Pandemiezuschlag von 200 Euro auf Hartz IV. ({7}) Meine Damen und Herren, wenn Sie eine soziale Katastrophe aufhalten wollen, dann tun Sie was, und tun Sie es schnell. Danke schön. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist jetzt zwei Wochen her, dass wir das erste Mal über den Antrag der Grünen und auch den Antrag der Linksfraktion gesprochen haben, ein Coronaelterngeld einzuführen. Zwei weitere Coronakrisenwochen sind ins Land gezogen, und bei der Bundesregierung tut sich in dieser Frage gar nichts. ({0}) Das ist ein dramatisches, ein so schlechtes Signal an die Eltern, an die Familien in diesem Land. Das können wir auf keinen Fall akzeptieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ich weiß nicht, ob die Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen keine Briefe von Eltern bekommen, die über ihre Situation im Homeoffice berichten und über die krasse Belastung, die damit einhergeht. Wer auf Twitter ist, dem lege ich nahe, sich das Hashtag #CoronaEltern mal anzuschauen. Das alles zeigt: Wir müssen ganz dringend den Druck von den Familien nehmen. ({2}) Wir müssen das im Interesse der Eltern tun; wir müssen das aber auch unbedingt im Interesse der Kinder tun. Druck und Stress führen zu häuslicher Gewalt; sie führen auch zu Vernachlässigung. Ein Recht auf Arbeitszeitreduzierung in Kombination mit einer Lohnersatzleistung für die Eltern würde gerade für die Kinder das Leben in dieser schwierigen Situation so viel besser machen. Und deshalb muss ein solches Coronaelterngeld schnell kommen. ({3}) Wir brauchen nicht nur Interviews der Ministerin, wie wichtig die Perspektive der Kinder in der Coronakrise sei; wir brauchen auch eine Bundesregierung, die endlich handelt. Ein Coronaelterngeld ist überfällig. ({4}) Und wenn Sie nicht auf die Opposition hören, dann hören Sie auf die Eltern, oder hören Sie auf das DIW, auf den Familienbund der Katholiken oder den Verband alleinerziehender Mütter und Väter. Alle fordern das. Wir fordern ein Coronaelterngeld. Wir müssen den Druck aus den Familien nehmen. Dieses Instrument ist jetzt einfach angesagt. ({5}) Es ist bitter, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bundesregierung zwar ein Herz für die Lufthansa, aber nicht für die Familien und Kinder in diesem Land hat ({6}) – ja, das müssen Sie sich schon anhören –, vor allem nicht für die armen Familien, die unter der Coronakrise besonders leiden. ({7}) Ein kostenloses Mittagessen, das zurzeit in Schule und Kita nicht stattfinden kann, soll jetzt von den Kommunen als Lunchpaket ausgegeben werden. Ich muss wirklich sagen: Wir lebensfremd, bürokratisch und stigmatisierend ist das denn? ({8}) Was ist so schwer daran, in einer solchen Krisensituation den Regelsatz befristet zu erhöhen? Das wäre unbürokratisch. Das käme bei den Familien unmittelbar an. Deshalb halten wir an der Forderung nach einer solchen Regelsatzerhöhung fest. ({9}) Ein letzter Punkt: Ich bitte alle Kinder- und Familienpolitikerinnen und ‑politiker, dass sie sich dafür einsetzen, dass die Sozialpädiatrischen Zentren mit ihren Leistungen vollumfänglich unter den Schutzschirm für Gesundheitseinrichtungen genommen werden. Wir brauchen diese Einrichtungen ganz dringend. Das sind Einrichtungen, die auf Kinder- und Jugendgesundheit spezialisiert sind. Sie kümmern sich um Familien mit behinderten Kindern, die zum jetzigen Zeitpunkt ganz besonders belastet sind. Es darf nicht sein, dass sie nicht vollumfänglich abgesichert sind. ({10}) Wir befinden uns im Prozess. Wir als Kinder- und Familienpolitikerinnen und ‑politiker sind nicht federführend, aber ich appelliere an alle: Hier muss nachgebessert werden. Ich bitte Sie alle darum, sich dafür einsetzen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Silke Launert, CDU/CSU. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie schaffen wir es, dass wir die nächsten Wochen oder Monate finanziell über die Runden kommen? Muss ich mir vielleicht sogar einen neuen Job suchen? Wie kriegen wir den Familienalltag gestemmt? Wie erkläre ich meinen Kindern, dass sie mit ihren Freunden nicht spielen dürfen? – Diese Fragen haben sich viele Millionen Menschen in Deutschland in den letzten Wochen gestellt, auch ich. Ja, die Krise trifft uns alle im Kern, und sie trifft alle: jung oder alt, reich oder arm, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, Familien oder Alleinlebende. Keiner kann sagen: Das geht mich nichts an. In der Krise haben wir gezeigt, was unser Land durch Zusammenhalt und Besonnenheit erreichen kann. Ich fand es sehr beeindruckend, wie über die Parteigrenzen hinweg alle zusammen geholfen haben, alle versucht haben, das Virus einzudämmen, Geschlossenheit gezeigt haben, an einem Strang gezogen und schnelle Handlungsfähigkeit bewiesen haben. Das hat mich beeindruckt. Ein paar Wochen später ist das leider nicht mehr so. Heute richtet sich der Blick vor allem auf die Familien. Ein weiteres kleines Gesetz soll verabschiedet werden, einige maßgebliche Gesetze wurden bereits verabschiedet. Wir haben einen erleichterten Zugang zum Kinderzuschlag. Und glauben Sie mir von den Grünen: Auch wir stehen mit Eltern und Müttern im Austausch. Jeden Tag kommuniziere ich mindestens 20-mal über Facebook mit einem Elternteil. Ich bin selbst Mutter von zwei Kindern, die zu Hause sind, und vollerwerbstätig. Sie können sich also vorstellen: Wir sehen die Probleme auch. ({0}) – Wir haben einen erleichterten, schnellen Zugang zum Kinderzuschlag geschaffen. Das ging nicht von jetzt auf gleich, aber jetzt greift er. Ich kenne viele Beispiele, die belegen, dass er jetzt ausgezahlt ist. Die Entschädigung für Eltern ist nur als Notfallauffangbecken gedacht. Sie ist im Infektionsschutzgesetz geregelt. Man hat nur in dem Fall Anspruch auf Entschädigung, wenn man es nicht anderweitig auf die Reihe kriegt. Es wundert mich schon, dass die Grünen plötzlich quasi zum Vorkämpfer des Betreuungsgeldes werden; denn nur für Notfälle, also wenn es nicht anders geht, ist die Entschädigung gedacht. Natürlich weiß ich um die Belastungen, aber ich will trotzdem, dass die Frauen es schaffen. Sie sollen im Beruf nicht den Anschluss verlieren und sagen: Jetzt habe ich das Geld, jetzt scheide ich ein paar Monate ohne Weiteres aus. – Ich will, dass sie trotzdem am Ball bleiben; denn ich weiß, wie die Realität aussieht, wie schnell man, wenn man sich zurückzieht, aus dem Erwerbsleben draußen ist. ({1}) Es geht um einen Kompromiss zwischen der Ansicht der FDP und dem links-grünen Flügel. Heute reformieren wir – das ist nur ein kleiner Teil – ein paar Punkte im Zusammenhang mit dem Elterngeld; Sönke Rix hat es dargestellt. ({2}) Was haben wir aus dieser Krise gelernt oder können wir lernen? Wir können lernen, dass nichts selbstverständlich ist. Wir können alles regeln, und trotzdem ist von heute auf morgen plötzlich alles anders. Was nehmen wir mit? Warum reden wir von der Familie als Keimzelle der Gesellschaft? Wenn es hart auf hart kommt, ist die Familie das Netz, das uns auffängt, so schwer und belastend es auch ist. Die Familie hält zum Glück meistens, von einigen Ausnahmen abgesehen, zusammen. Genau deshalb steht sie so geschützt in der Verfassung. Es soll jeder wissen: Nicht immer alles abschieben, wenn es darauf ankommt. Was bleibt, ist die Familie. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Hitschler, SPD. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Häufig hat man in den letzten Wochen gelesen: In Krisen schlägt die Stunde der Exekutive. Die Exekutive, das sind Männer und Frauen, die das umsetzen, was wir hier beschließen, sei es bei der Polizei, bei der Bundeswehr, in den Gesundheitsämtern, in den Verwaltungen oder an vielen anderen systemrelevanten Stellen. Als Legislative leisten wir heute einen Beitrag für sie, indem wir diesen Männern und Frauen die Arbeit ein bisschen leichter machen. Sie merken vielleicht: Es geht gerade um das Bundespersonalvertretungsgesetz und nicht um das Elterngeld; obwohl mir nach den Reden bisher das eine oder andere dazu einfallen würde. Zwischen März und Mai dieses Jahres standen Personalratswahlen im öffentlichen Dienst an. Dann kamen Corona, Social Distancing und Homeoffice sowie die Erkenntnis, dass im BPersVG bisher leider noch keine Regelung für den Fall steht, dass Personalratswahlen nicht fristgerecht durchgeführt werden können. Das könnte zu personalratslosen Zeiten führen, aber einen öffentlichen Dienst ohne echte Mitbestimmung darf es nicht geben. ({0}) Genau deshalb schaffen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zeitlich befristete Übergangslösungen. Dadurch wird die Weiterführung der Personalvertretung möglich, bis die Wahl ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Es wird möglich, dass Personalvertretungen Beschlussfassungen mittels Video- oder Telefonkonferenz treffen können, und es wird möglich, dass sie Sprechstunden auf elektronischem Weg abhalten können. Sie sehen: Wir schaffen hier Möglichkeiten, die wir inzwischen alle aus unserem aktuellen Arbeitsalltag kennen. Ich vermute, den Personalvertretungen geht es wie uns: Sie sind froh, wenn das normale, persönliche Gespräch das digitale wieder ablösen kann. Zum Gesetzentwurf kommt noch ein Änderungsantrag, über den wir ebenfalls abstimmen. Darin befinden sich befristete Neuregelungen, die es ermöglichen, dass Beamte und Soldaten im Ruhestand in der Coronakrise helfen können, ohne Pensionsabzüge befürchten zu müssen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Punkt, wie ich finde; denn wir brauchen in dieser Krise ihre Erfahrung und auch ihre Arbeitskraft. Ich bin froh, dass wir immer wieder auf sie zählen können, jedes Mal aufs Neue. ({1}) Kolleginnen und Kollegen, wir werden bald noch die Gelegenheit haben, ausführlich über das Bundespersonalvertretungsgesetz zu diskutieren. Im Koalitionsvertrag haben wir eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzes vereinbart. Die wird kommen, und das ist auch gut so. Aber auch jenseits des BPersVG werden wir das Thema „öffentlicher Dienst“ im Auge behalten. Wir werden gemeinsam Strategien entwickeln, mit denen wir den öffentlichen Dienst auch künftig stark, ja auch künftig krisenfest halten können; denn gerade die aktuelle Situation zeigt uns wieder einmal, wie wichtig funktionierende, starke staatliche Strukturen sind. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um all denjenigen unseren Dank und unsere Anerkennung auszusprechen, die ihre Arbeit im öffentlichen Dienst tun. Sie leisten wertvolle, sie leisten wichtige Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Vielen Dank dafür. ({2}) Zwei wichtige Punkte möchte ich Ihnen, liebe Kollegen, mitgeben. Erstens. Stimmen Sie heute dem Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag zu. Sichern wir so Mitbestimmungsrechte im öffentlichen Dienst. Zweitens. Behalten wir auch künftig die Zukunft des öffentlichen Dienstes im Blick; denn ein handlungsfähiger Staat braucht einen starken öffentlichen Dienst, und der öffentliche Dienst braucht langfristige Konzepte, um handlungsfähig zu bleiben. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Petra Nicolaisen, CDU/CSU. ({0})

Petra Nicolaisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004841, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Last, but not least beraten wir heute in zweiter und dritter Lesung in geänderter Fassung den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes; der Kollege Hitschler hat es eben schon gesagt. Mit diesem Gesetz schaffen wir insbesondere die Rechtsgrundlage dafür, dass es nicht zu personalratslosen Zeiten kommt. Wir stellen die Interessenvertretung der Beschäftigten des Bundes, auch in der jetzigen Krisenzeit, sicher. Diese Krisenzeit verlangt den Interessenvertretungen einen hohen Einsatz ab; für diesen Einsatz auch von meiner Seite ein herzliches Dankeschön. ({0}) Lassen Sie mich kurz einige Worte zum Hintergrund sagen. Nach § 27 des Bundespersonalvertretungsgesetzes finden die regelmäßigen Personalratswahlen alle vier Jahre in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai statt, auch in diesem Jahr just in dieser Zeit. Die Amtszeit des amtierenden Personalrats endet nach § 26 des Bundespersonalvertretungsgesetzes stichtagsgenau mit dem Ablauf von vier Jahren. Die Coronapandemie führt zu erheblichen Erschwernissen bei den derzeit stattfindenden Personalratswahlen. Es ist nicht absehbar, wann die Wahlen durchgeführt werden können. Das Problem ist – das wurde schon geschildert –, dass das jetzige Gesetz nicht vorsieht, dass die bestehenden Personalvertretungen die Geschäfte über das Ende der Amtszeit hinaus kommissarisch fortführen. Vielmehr stünden die Beschäftigten des Bundes dann ohne Personalvertretungen da. Darüber hinaus stellt das Virus die Geschäftsführer der Personalvertretungen vor praktische und natürlich auch vor rechtliche Schwierigkeiten. Befristet bis zum 31. März 2021 haben wir folgende Maßnahmen vorgesehen: Erstens. Die im Amt befindlichen Personalvertretungen führen die Geschäfte im Rahmen eines Übergangsmandats kommissarisch weiter, wenn die Wahlen zu den Personalvertretungen bis zum Ablauf der Amtszeit nicht erfolgen oder die konstituierende Sitzung der neugewählten Personalvertretungen nicht stattgefunden hat. Zweitens. Die Beschlussfassungen sollen auch ohne physische Anwesenheit der Mitglieder in Sitzungen vor Ort erfolgen können, also mittels Video- und Telefonkonferenzen. Drittens. Sprechstunden des Personalrats mit den Beschäftigten können nun optional auch als Videosprechstunden durchgeführt werden. Darüber hinaus sind auf Antrag der Koalitionsfraktionen in die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat noch Änderungen aufgenommen worden, unter anderem eine bis Ende dieses Jahres befristete Anhebung des anrechnungsfreien Hinzuverdienstes von pensionierten Bundesbeamten und Soldaten auf 150 Prozent der früheren Besoldung. Zudem erfolgt im Bereich der Dienstunfallfürsorge eine Anpassung im Beamtenversorgungsgesetz. Der Leistungsumfang des Heilverfahrens wird – unter Berücksichtigung rechtlicher Veränderungen im Beihilferecht und in der gesetzlichen Unfallversicherung – den Bedürfnissen der Verletzten hinsichtlich der heutigen Möglichkeiten des Gesundheitswesens angepasst. Das ist ein guter Gesetzentwurf. Ich bitte um Zustimmung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Frühjahr 2020 wird lange in Erinnerung bleiben. Sechs Wochen lang wurde Deutschland praktisch von einem Notstandsregime geführt, das in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel ist. ({0}) Unser Antrag will das in Zukunft verhindern. Regiert wurde Deutschland de facto von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten auf dem Verordnungswege ohne echte parlamentarische Kontrolle. Das Grundgesetz kennt einen solchen Notstand nur für den Verteidigungsfall, nicht für den Fall einer Epidemie. Für den Coronaausnahmezustand mit einer so weitreichenden Außerkraftsetzung der Grundrechte gibt es in der Verfassung keine Grundlage. ({1}) Das Grundgesetz erlaubt zwar die Einschränkung von Grundrechten zum Schutze anderer Güter, zum Beispiel natürlich zum Schutz der Gesundheit, das aber nur nach strengen Regeln der Verhältnismäßigkeit und in jedem Einzelfall. ({2}) Unter dem Eindruck der Coronakrise hat die Exekutive in die Grundrechte so drastisch und so pauschal eingegriffen, dass diese Verhältnismäßigkeit massiv verletzt worden ist. Jeder Tag, an dem dieser Zustand andauert, untergräbt das Fundament unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. ({3}) Die Bundeskanzlerin hat die notwendige Debatte über den Lockdown und die Lockerung, wie wir alle wissen, als „Öffnungsdiskussionsorgie“ denunziert. Das zeigt ihr tief gestörtes Verhältnis zu Rechtsstaat und Grundgesetz. ({4}) Die AfD-Fraktion hat sich bereits vor Ostern für eine zügige Aufhebung der Beschränkungen ausgesprochen. Die Bundesländer schwenken in den letzten Tagen auf diesen Kurs ein. Dass sie Merkels Seuchenregiment die Gefolgschaft aufgekündigt haben, ist ein Befreiungsschlag. Es ist richtig, die Hauptverantwortung liegt bei den Ländern; aber der Bundestag kann sich nicht auf die Rolle des Zuschauers zurückziehen. Es ist unsere Aufgabe, der Bundesregierung für ihre Gespräche mit den Ländern einen klaren Auftrag zu erteilen. Wir fordern Mustervorschriften für die Parlamente für verhältnismäßige Entscheidungen statt der bis heute waltenden politischen Willkür der Exekutive. Die Außerkraftsetzung der Grundrechte war ein gefährlicher Präzedenzfall, der sich nie wiederholen darf. ({5}) Die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen betreffen die gesamte deutsche Nation. Dass die Kirchen in diesem Jahr zu Ostern leer bleiben mussten, das ist keine Fußnote – das ist ein Symbol für die tiefe Krise unserer christlichen Kultur in Zeiten der völligen moralischen Beliebigkeit. ({6}) Dass nur drei Wochen nach Ostern das Bundesverfassungsgericht die Gottesdienste für die Muslime zum Ramadan erlaubt hat, ({7}) beweist: Unsere Ostergottesdienste hätten auch stattfinden können und müssen. Ihr Verbot war reine Willkür. Es ist das Ergebnis der Gleichgültigkeit ({8}) und der Respektlosigkeit zu großer Teile der Politik gegenüber unserer eigenen christlichen Kultur. ({9}) Die gegenwärtigen Lockerungsmaßnahmen bedeuten nun aber keinen Schutz für die Grundrechte in der Zukunft; denn die Exekutive behält sich ja vor, bei einer undefinierten zweiten Welle zum Seuchenregiment zurückzukehren. ({10}) Die Grundrechte sind der Schutzschirm der Bürger gegen den Staat und stehen deswegen nicht im Belieben der Regierung. Was passiert, wenn der Schutzschirm reißt, haben wir in den letzten Wochen gesehen: das Ende der Versammlungsfreiheit, das Ende der Glaubensfreiheit und die hunderttausendfache Zerstörung bürgerlicher Existenzen. Wir lassen uns die Grundrechte nicht nehmen, nicht in der Coronakrise und auch in keiner anderen Krise, nicht von dieser Regierung und auch von keiner anderen. Ostern ist ausgefallen. Weihnachten werden wir feiern. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Philipp Amthor, CDU/CSU. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben es mit den wohl intensivsten Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte des Grundgesetzes zu tun, und es ist richtig und es ist legitim, dass man sie hinterfragt, dass man sie gegebenenfalls auch kritisiert, und es ist richtig, dass wir das hier im Parlament tun. Das Parlament ist genau der richtige Ort dieser Debatte. Das Parlament muss aber vor allem auch der Ort einer anständigen Diskussion über die Verfassung und eines vernünftigen Umgangstons sein, und den haben Sie völlig verfehlt, Frau Kollegin von Storch. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der AfD entlarvt sich doch schon dem Titel nach: „Grundrechten trotz Corona wieder Geltung verschaffen“. Das insinuiert doch quasi schon, die Grundrechte würden nicht gelten. Sie reden hier von einer Aussetzung der Grundrechte, von einem Seuchenregiment, und ich sage Ihnen: Von diesem Wording, von dieser Logik ist es nicht mehr weit zu den Verschwörungstheorien, die dieser Tage eine große Gefahr für unser Land sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Angesichts dessen, was Sie hier vorgeführt haben, muss man sagen: In einigen Jahren können Parlamentshistoriker nachforschen, ob an Ihrer Universität damals tatsächlich Staatsrecht gegeben wurde oder nicht. Anwesend waren Sie scheinbar nicht, Frau von Storch. ({2}) Wir müssen sagen: Ja, man kann die Freiheitsbeschränkungen gerne kritisieren. Aber man kann beim besten Willen nicht behaupten, die Grundrechte seien außer Kraft; ({3}) denn die vergangenen Wochen haben doch gezeigt, dass auch in den Zeiten der Krise gerade nicht das Recht des vermeintlich Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gilt. Es gab rechtmäßige Maßnahmen, und es gab auch unrechtmäßige Maßnahmen. ({4}) Es gab Mut, und es gab auch Übermut. Aber die Grundrechte sind ihrer Bedeutung als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat gerecht geworden. ({5}) Ich weiß nicht, was Ihr Rechtsverständnis von der AfD ist; aber unsere Bundesregierung und uns als Parlament muss man nicht extra auffordern, sich an die Grundrechte zu halten, ({6}) sondern die Grundrechtsbindung gilt kraft Artikels 1 Absatz 3 für uns automatisch. Da sollten Sie lieber sich hinterfragen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Die vergangenen Wochen haben auch bestätigt, dass die Grundrechte staatlichem Handeln konsequent Grenzen ziehen. Gerichte hin bis zum Bundesverfassungsgericht haben Maßnahmen bestätigt, aber Maßnahmen eben auch aufgehoben: Reisebeschränkungen, Ausgangsbeschränkungen, Demonstrationsverbote. ({8}) Um das aufzuheben, braucht es nicht die AfD und auch nicht Ihren Antrag. Der beschränkt sich allein auf ein Rekapitulieren der Rechtsprechung und bringt keinen Mehrwert, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich will trotzdem sagen: Ich kann die AfD ja ein bisschen verstehen, warum Sie hier diesen Zirkus aufführen. ({9}) Corona macht es Ihnen ja auch wirklich nicht leicht. Sie verhalten sich da ja ein bisschen wie das Fähnchen im Wind. Erst gab es die Verschwörungstheorie: Die Regierung ignoriert das Virus, die Maßnahmen kommen zu spät. ({10}) Dann waren Ihnen die Maßnahmen zu hart. Jetzt gibt es neue Verschwörungstheorien. Manche von Ihnen finden die klasse, manche nicht, und das Problem ist offensichtlich: Auf einmal fühlen Sie sich vielleicht so ein bisschen wie wir. Jetzt haben Sie auf einmal rechts neben sich Fake-News-Truppen, die sich auch aus Ihrem Instrumentenkasten bedienen. Das tut mir ja ein bisschen leid für Sie. ({11}) Außerdem haben Sie noch das Problem der Ursache für Corona. Merkel ist nicht schuld, die Flüchtlinge sind nicht schuld. ({12}) Es ist halt eine schwierige Lage. Da muss man sagen: Dieses Problem ist für Sie einfach eine Nummer zu groß, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({13}) Gerade weil das so ist, sollten wir im Parlament die Zeit auch nicht nutzen, uns mit Ihrer Propaganda zu beschäftigen, sondern lieber mit der sinnvollen Frage, wie man jetzt als Gesetzgeber und auch als Parlament sinnvoll über Grundrechte und die Verfassung diskutieren sollte. Denn ich habe es gesagt: Wir haben es mit den intensivsten Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte unseres Landes zu tun, und wir müssen zur Kenntnis nehmen, ({14}) dass diese Freiheitsbeschränkungen eben an vielen Stellen auch mit mich teilweise überraschender, gigantischer Zustimmung zustande gekommen sind, ({15}) Freiheitseinschränkungen mit donnerndem Applaus. ({16}) Manche haben dabei eben dann auch gesagt, die Gesundheit sei so etwas wie das neue Supergrundrecht. Manche Staatsrechtslehrer haben deshalb davor gewarnt, dass wir uns von einem freiheitlichen Rechtsstaat zu einem hysterischen Hygienestaat bewegen könnten. ({17}) Natürlich kann man sagen: Diese Warnungen sind übertrieben. ({18}) Natürlich hat mancher gesagt: In der Zeit dieser wirtschaftlichen Krise über Grundrechte, über Verfassung zu reden, das ist doch ein bisschen abgehoben, das ist theoretisch. – Ich sage aber: Die Frage der Grundrechtsbindung ist keine theoretische Frage; sie ist eine eminent entscheidende lebenspraktische Frage. Sie betrifft die Gewerbefreiheit, die Religionsfreiheit, die Reisefreiheit. ({19}) Deswegen ist es richtig, dass wir widersprechen, wenn jemand sagt: Das ist die Diskussion nicht wert, jetzt ist die Zeit des Handelns, jetzt ist die Stunde der Exekutive. – Da kann ich nur sagen: Das mag richtig sein. Aber richtig ist auch: Ja, es ist die Zeit des Handelns; und Politiker, die aus Angst vor dem Handeln nicht handeln, haben ihren Job verfehlt. ({20}) Und ja, es ist auch richtig, zu sagen: Es ist die Stunde der Exekutive. – Aber es ist eben auch die Stunde des Parlaments und vor allem zu jeder Zeit die Stunde der Verfassung. Das ist der Geist, den wir als selbstbewusste Parlamentarier zeigen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({21}) Deswegen ist die Frage der Grundrechtsbindung eben kein Schönwetterthema. ({22}) Vielmehr müssen wir wissen: Je länger diese Freiheitsbeschränkungen andauern, desto begründungsbedürftiger werden sie. ({23}) Deswegen ist es richtig, dass wir uns auf den Weg zu Lockerungen machen. Das Grundgesetz zwingt uns vor allem zu einem: zu permanenten Abwägungen. Ich kann nur davor warnen, das Denken der AfD zu übernehmen: Schwarz oder weiß, null oder eins. ({24}) So funktioniert die Verfassung nicht. Es geht nicht um Gesundheit oder Wirtschaft, Gesundheit oder Religionsfreiheit. Es geht immer um Gesundheit und Wirtschaft, Gesundheit und Religionsfreiheit, Gesundheit und andere Grundrechte. ({25}) Genau darauf müssen wir setzen. Diese Abwägung müssen wir hier einfordern, das müssen wir begleiten, das erfordert Feinjustieren, Austarieren. Und das ist, meine Damen und Herren, nichts für die verfassungsrechtlichen Grobmotoriker der AfD. Ich kann nur sagen: Diese Grundrechtsabwägung ist eine Operation am offenen Herzen, und Sie haben auch in Ihrer Zeit im Deutschen Bundestag Ihr OP-Besteck für das Verfassungsrecht noch immer nicht gefunden. ({26}) Wir lehnen Ihren Antrag ab. ({27})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Konstantin Kuhle, FDP. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte gestern ein Telefonat mit einem Herrn aus Niedersachsen, ({0}) der mit seiner Familie in Stade ein Reisebüro betreibt. Für die Reisebüros ist das momentan keine leichte Zeit: Die Einnahmen brechen weg, es gibt keine Perspektive für den Sommer. Deswegen haben sich die Betreiber dieses Reisebüros mit anderen zusammengetan, um eine Demonstration zu organisieren. Sie wollen eine richtig große Versammlung machen, um auf ihre Sorgen und Nöte aufmerksam zu machen. Er hat sich an mich gewendet und gefragt: Dürfen wir das überhaupt? Ist es überhaupt gestattet, in einer solchen Zeit – Corona, der Staat ergreift starke, harte Maßnahmen – eine Versammlung zu machen? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir bricht das das Herz. Denn wir brauchen auch in diesen Zeiten Bürgerinnen und Bürger, die ihre Grundrechte nutzen, die auf ihre Sorgen und Nöte aufmerksam machen und auch die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit für sich nutzen. Deswegen ist es gut, dass wir hier über die Versammlungsfreiheit miteinander diskutieren. ({1}) Ich wundere mich ein bisschen, meine Damen und Herren, darüber, dass es in der Debatte über die Versammlungsfreiheit, über die Coronamaßnahmen so etwas wie autoritäre Reflexe gibt. Da wird sich mitunter darüber aufgeregt, dass Lockerungsdiskussionen geführt werden. Da werden diejenigen diffamiert, die sich für Öffnungen einsetzen. ({2}) Aber ich will Ihnen eines sagen: Es ist ganz wichtig, dass wir die Debatte über Öffnungen und über Lockerungen hier im Parlament führen. Es gehört zu einer freiheitlichen Demokratie dazu, dass Wissenschaftler sich auch in der Öffentlichkeit widersprechen können. Es gehört dazu, dass Medien unterschiedliche Thesen austesten können, dass man dort miteinander diskutiert. Denn ich will Ihnen eines sagen: Wenn diese Diskussion nicht im Parlament, nicht in der freien Presse, wenn diese Diskussion nicht in der Wissenschaft stattfindet, dann findet sie in irgendwelchen obskuren Telegram-Gruppen von C-Promis statt, ({3}) beklatscht von den Rechtspopulisten der AfD. Deswegen müssen wir hier über Grundrechte und über die Versammlungsfreiheit diskutieren und dürfen das nicht denen am rechten Rand überlassen. ({4}) Gestern hat, meine Damen und Herren, hier vor dem Gebäude eine Demonstration stattgefunden, bei der am Ende ein Kamerateam der ARD angegriffen worden ist. Ich will dazu zwei Bemerkungen machen. Erstens. Die Versammlungsfreiheit gilt immer nur für friedliche Versammlungen. ({5}) Die Menschen können sich versammeln, ohne Waffen und friedlich. Aber wer unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit dieses Grundrecht missbraucht, um Journalisten anzugreifen, der muss mit einer harten Gegenreaktion des Staates rechnen. ({6}) Deswegen gilt meine zweite Bemerkung, gilt mein Dank den Polizistinnen und Polizisten, die weiß Gott keinen einfachen Job gestern hatten, dort die Pressefreiheit hochzuhalten und gleichzeitig übrigens auch ein Zeichen an die friedlichen Demonstrantinnen und friedlichen Demonstranten zu senden. ({7}) Vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst bei der Polizei, dass sie gegen diese Truppe unsere Grundrechte hochhalten. Die haben es wirklich nicht leicht. ({8}) Ich glaube, dass wir angesichts der massiven Einschränkungen der Grundrechte, die es momentan in der Bundesrepublik gibt, hier darüber reden müssen, wie wir strukturell, wie wir institutionell unsere Grundrechte wieder mehr in den Vordergrund rücken können. Dafür machen wir als Freie Demokraten im Wesentlichen drei Vorschläge. Erstens sollte es immer um materielle Kriterien und nicht um formelle Kriterien gehen. Es ist egal, ob da 20, 30 oder 50 Menschen demonstrieren. Wenn die Hygiene und die Abstandsregeln eingehalten werden, dann ist der Versammlungsfreiheit der Vorrang einzuräumen. ({9}) Israel zeigt das übrigens. Dort haben 2 000 Menschen in einer Demokratie gegen die Regierung demonstriert, unter Einhaltung der Abstandsregeln, und das ist möglich. ({10}) Also: In einer Demokratie gibt es auch in Coronazeiten Versammlungsfreiheit. Deswegen muss das Ganze an materiellen Kriterien ausgerichtet werden. ({11}) Zweitens sollten wir uns, meine Damen und Herren, darüber unterhalten, wie wir die Diskussion über Grundrechtsbeschränkungen weg von der Exekutive hin zur Legislative bewegen. Es ist in Ordnung, dass der Staat in so kurzer Zeit auch pragmatisch als Exekutive tätig wird, aber je länger diese Maßnahmen dauern, umso mehr müssen die Debatten darüber im Parlament geführt werden – übrigens nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in den Landtagen; Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes gibt darauf einen wichtigen Hinweis. Wenn die Länder auf der Grundlage des Bundesrechts Rechtsverordnungen erlassen können, dann kann das auch im Wege von Gesetzen erfolgen. Deswegen sollten wir hier die Länder auffordern, den Gesetzesweg zu wählen und sich nicht alleine auf Rechtsverordnungen zu beschränken. ({12}) Zu guter Letzt, meine Damen und Herren, sollten wir uns auch dafür einsetzen, dass es eine Freiheitskommission beim Deutschen Bundestag gibt, in der nicht nur die virologische Sichtweise, sondern auch die psychologische, die soziologische, die juristische Sichtweise zur Geltung kommt. So können wir etwas für die Versammlungsfreiheit in Deutschland erreichen, mit Ihrem Antrag nicht. Vielen Dank. ({13})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Mahmut Özdemir, SPD. ({0})

Mahmut Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Anträge, bei denen man sich schon beim Lesen fragt: Wie soll die AfD-Rednerin eigentlich diese vier Seiten Antrag, die planlos zusammengeklaubt sind, im Deutschen Bundestag begründen? ({0}) Gelungen ist es Ihnen nicht. Wir fragen vielleicht mal beim BfV für Sie nach, ob es irgendwie einen Nachhilfekurs Grundrechte oder so etwas gibt. Ich würde mich gerne auch mit dem Kollegen Amthor dazu bereit erklären, als Nachhilfelehrer zu fungieren. ({1}) Der Versammlungsfreiheit und der Religionsfreiheit Geltung verschaffen zu wollen, ist ein ehrenwertes Anliegen. Ich frage mich allerdings, wo Sie, liebe AfD-Fraktion, die vergangenen Wochen waren, als die Menschen in diesem Land über das Osterfest die Einschränkungen mit größter Disziplin und hohem Augenmaß erfüllt haben und so den Erfolg, gemessen an den Infektionszahlen, erzielten? Ihr Antrag liest sich wie ein schlechter Aufsatz zur Besprechung eines Bundesverfassungsgerichtsurteils, dem zu allem Überfluss auch noch die letzte Seite mit der Schlussfolgerung abhandengekommen ist. Ihnen fehlt schlicht die Haltung. Sie ziehen keine politischen Konsequenzen, Sie zeigen keinen Weg auf für eine Entscheidungsfindung, wie Veranstaltungen und religiöse Feiern wieder begangen werden können. Sie sind darüber hinaus auch einfach spät dran. Denn viele demokratische Protestversammlungen und Zusammenkünfte zur Religionsausübung werden mit vernünftigen, mit notwendigen Beschränkungen und Auflagen schon längst wieder durchgeführt. ({2}) Während Sie Anträge geschrieben haben, haben wir uns mit den Menschen zusammengesetzt und nach vernünftigen Lösungen gesucht, wie Versammlungen in diesem Land wieder möglich werden. ({3}) So macht man Politik für die Menschen. Die Versammlungsfreiheit und die Religionsfreiheit werden hier einfach zusammengewürfelt. Dabei verkennt die AfD-Fraktion, dass die Versammlungsfreiheit schon durch das Versammlungsgesetz beschränkt wird und die Religionsfreiheit nur durch Güter von Verfassungsrang überhaupt in die Schranken verwiesen werden kann. Darüber hinaus ist jede Maßnahme einer Verwaltungsstelle immer zugleich auch eine Einzelfallentscheidung. Diese unterliegt der verwaltungsinternen, der gerichtlichen, aber auch der parlamentarischen Kontrolle nicht zuletzt über die Rechtmäßigkeit und das Ermessen. Man spürt bei diesem Antrag oft förmlich, dass sich die AfD-Fraktion ärgert. Sie ärgert sich darüber, dass der Antrag sich überholt hat. Sie ärgert sich darüber, dass dieser Rechtsstaat intakt ist; denn ein intakter Rechtsstaat entzieht Ihnen Ihre Existenzberechtigung mit allen Behörden, die wir zur Verfügung haben. ({4}) Zu Ihren Forderungen im Einzelnen: Darauf hinzuwirken, dass Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen Geltung zu verschaffen ist, verkennt schlicht, dass dies bereits im Gesetz steht. § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz einfach mal lesen! Lesen bildet schließlich. Folglich würde eine Missachtung einen Rechtsverstoß darstellen. Ich nehme an, dass Sie nicht hier pauschal Vorwürfe gegen Regierungen und Rathäuser erheben wollen, dass sie vorsätzlich sich nicht an Recht und Gesetz halten. Angemessene Begehung von religiösen Veranstaltungen und insbesondere das letzte Geleit von Verstorbenen werden von Kommunen und dem geistlichen Beistand unter den gegebenen Umständen sehr sensibel gehandhabt, und Beschränkungen hier werden auch, wie ich finde, sehr gut erklärt. Das heißt, auch hier brauchen die Menschen keinen AfD-Antrag. Sie fordern letztlich Mustervorschriften des Bundes. Erst mal muss man das verstehen. Ich hatte gerade mit der Kollegin Haßelmann eine Diskussion darüber, was Sie überhaupt meinen; ({5}) das ist nicht so richtig klar geworden. Wozu es aber angesichts einer einvernehmlichen Konferenz der Länder mit der Kanzlerin solche Vorschriften braucht – wir können ja nur mutmaßen –, ist schlicht schleierhaft. Hier verkennen Sie die Bedeutung des Bundesstaates. Das Grundgesetz schreibt dem Bund und den Ländern Kompetenzen zu. Unser Föderalismus ist stark und notwendig. Regionalen Besonderheiten wird von den Landesregierungen und Kommunen mit passgenauen Entscheidungen und kurzen Entscheidungswegen Rechnung getragen. Den Föderalismus durch Mustervorschriften schleifen zu wollen, halte ich für nicht zielführend, sogar für gefährlich. Eines kann man Ihnen vielleicht am Rande noch mitgeben: Nur weil es Bundesländer gibt, in denen Ministerpräsidenten das Heft des Handelns in der Hand haben, die darum wetteifern, höhere politische Weihen zu erreichen, muss man nicht den Föderalismus über Bord werfen, wie ich finde. Die Diskussion über die Einschränkung des öffentlichen Lebens haben wir vor Wochen geführt, und ich frage mich, warum Sie damals stillgehalten haben. Ich kann es Ihnen erklären: Wer Entscheidungen trifft und vorangeht, übernimmt Verantwortung. Und Sie wollen keine Verantwortung übernehmen für dieses Land, ({6}) Verantwortung auch für unbeliebte Maßnahmen, die zum Erfolg der Eindämmung der Pandemie deutlich beigetragen haben, und zwar – ich betone es immer wieder – aufgrund der Disziplin der Menschen in diesem Land. Mit dem Stand von heute über das Gestern zu lästern, das tun Sie. Das ist nicht redlich, und es verkennt auch den Erfolg der Bürgerinnen und Bürger, den sie mit viel Disziplin und Hingabe erreicht haben. Wir Sozialdemokraten haben den Grundrechten immer abwägend Geltung verschafft und damit derzeit wirksame Hygienekonzepte und Sicherheitskonzepte ins Werk gesetzt. Das geschah nämlich im Rahmen einer Verhältnismäßigkeit, im Rahmen einer Abwägung einer Zweck-Mittel-Relation. Das waren die Abwägungen mit den Grundrechten, die zu treffen waren. Die Normalität von vor der Pandemie ohne Mund-Nase-Schutz und Litern von Desinfektionsmitteln können wir in diesem Parlament nicht einfach herbeientscheiden. Jetzt schon in Erwartung einer etwaigen zweiten Infektionswelle, die uns hoffentlich erspart bleibt, von der Sie aber reden, vorauseilend einigen Bereichen einfach Absolution zu erteilen, ist daher der Versuch, faktenbasierte Entscheidungen durch Glücksspiel zu ersetzen. ({7}) Wichtig ist mir: Dieser Rechtsstaat, dieser Sozialstaat, die Kontrolle seiner demokratischen Institutionen durch unabhängige Gerichte war und ist in jeder Phase dieser Pandemie für die Bürgerinnen und Bürger erreichbar gewesen. Damit haben die Grundrechte immer ihren Schutz gehabt, damit haben die Grundrechte immer ihre Geltung gehabt, und die Gerichte, bis hin zum Bundesverfassungsgericht, haben ihnen auch Geltung verschafft, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Einen verwertbaren Beitrag von der AfD-Fraktion bzw. von der AfD-Opposition auf dem Weg zu solchen Entscheidungen habe ich noch nicht erblickt oder gehört. ({9}) – Ja, Sie reden. Sie sagen viel, aber Sie tun nichts. ({10}) Es ist keine Verantwortungsübernahme, was Sie hier tun. Sie reden über die Grundrechte und werden zugleich vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Sie haben grundrechtsfeindliche Tendenzen in Ihren eigenen Reihen, und dann wollen Sie diesem Deutschen Bundestag erklären, wie man Grundrechten Geltung verschafft! ({11}) Das muss man den Menschen draußen im Land aber auch mal erklären. Erklären Sie doch erst mal dem Bundesamt für Verfassungsschutz, wie Sie es mit dem Grundgesetz halten! Das wäre ein Anfang. ({12}) Franz Müntefering hat einmal gesagt: Opposition ist Mist. – Frank-Walter Steinmeier führte fort und sagte: Dann ist dieser Mist eben Dünger für die Demokratie. – Ich setze niederrheinisch fort und sage: Nicht jeder Dünger taugt was. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Mahmut Özdemir. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir Ihnen! Nächster Redner in der Debatte: Dr. André Hahn für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kein Zweifel: Die Maßnahmen von Bund und Ländern gegen die Coronapandemie führten zu Freiheitsbeschränkungen, die einschneidend und beispiellos sind. Zum notwendigen Schutz von Leib und Leben wurden fundamentale Grundrechte über Verordnungen und Allgemeinverfügungen von Landesregierungen und Landräten im Eiltempo ausgesetzt, ohne die Parlamente in angemessenem und nennenswertem Umfang zu beteiligen. ({0}) Derartige Zustände sind, wenn überhaupt, nur befristet hinnehmbar. Deshalb begrüßen wir es als Linke, dass jetzt erste Lockerungen möglich sind. Zugleich hoffen wir natürlich, dass es keine voreiligen Schritte gibt, die zu einem erneuten Ansteigen der Infektionszahlen führen. ({1}) Natürlich sind alle demokratischen Kräfte gefordert, die Maßnahmen von Bund und Ländern kritisch zu begleiten und permanent zu hinterfragen. Bei diesem Prozess, der unbedingt notwendig ist, weil die Grundrechte selbstverständlich auch und gerade in Krisenzeiten gelten müssen, brauchen wir aber ganz gewiss keine Nachhilfe durch die AfD. ({2}) Dass diese Partei, die bei jeder Gelegenheit gegen Muslime hetzt, sich jetzt auch noch zur Verteidigerin der Religionsfreiheit aufzuspielen versucht, ist geradezu grotesk. ({3}) In Wahrheit geht es der AfD nicht um Grund- und Bürgerrechte, sondern nur darum, einen vorhandenen und in Teilen auch berechtigten Unmut in der Bevölkerung über manche Regierungsmaßnahmen in der Coronakrise populistisch auszuschlachten. Das ist einfach nur schäbig. ({4}) Meine Damen und Herren, gleichwohl gibt es reale Probleme, über die wir hier reden müssen. Gerade die Schließung von Schulen und Kindergärten hatte massive Folgen, und damit meine ich nicht nur den Betreuungsaspekt. Es geht um den Zugang zu Bildung; es geht um das Kindeswohl. Hier sind vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien in einer schwierigen Situation. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, wenn seit Wochen über Geisterspiele im Profifußball diskutiert wird und dafür diverse Sonderregelungen ermöglicht werden, aber Kinder auf dem Bolzplatz hinter dem Haus weiterhin nicht Fußball spielen dürfen, weil es ja direkte Körperkontakte gibt. Wie absurd ist das denn! ({5}) Gestern gab es eine Beratung der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten – im Übrigen ein informelles Gremium ohne jede Rechtsgrundlage. Dass dabei eine Perspektive für Hotels und Gastronomie, auf die besonders die Tourismusregionen dringend warten – ich komme bekanntlich aus der Sächsischen Schweiz –, aufgezeigt wurde, ist gleichwohl ebenso positiv wie der Umstand, dass endlich auch das Thema Sport auf der Tagesordnung stand. Das war überfällig. Auch viele Erleichterungen für den Breitensport und die Vereine begrüßen wir. Noch eine letzte Bemerkung. Wir als Linke meinen: Die noch ausstehenden Geisterspiele der Bundesliga müssen im frei zugänglichen Fernsehen übertragen werden, ({6}) um Fanzusammenballungen, vor denen die Polizei jetzt schon warnt, sowie private Sky-Partys und damit erhöhte Infektionsrisiken zu vermeiden. Zudem sollte ein Drittel der noch ausstehenden TV-Einnahmen der Bundesliga in einen Solidarfonds zur Unterstützung der unterklassigen Vereine fließen. Das wäre doch mal ein wichtiges Zeichen. ({7}) Im Übrigen – letzter Satz:

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an die Redezeit.

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Morgen ist der 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, ({0}) ein Tag, den wir alle nie vergessen sollten. Herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. André Hahn. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Canan Bayram. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie stellt uns alle vor Herausforderungen. Während ich der bisherigen Debatte gefolgt bin, habe ich überlegt: Was kann ich noch Wertvolles beitragen? ({0}) Für uns ist die Situation natürlich eine besondere, weil wir hier im Deutschen Bundestag als Grüne in der Opposition sind, aber in sehr vielen Bundesländern mit Koalitionspartnern aus verschiedenen auch hier vertretenen Fraktionen in der Regierungsverantwortung stehen. ({1}) Deswegen würde ich sagen: Meine Rede ist vielleicht unter der Überschrift „Verantwortung“ zu sehen. Wie können wir alle gemeinsam Verantwortung übernehmen in dieser Krise, die uns herausfordert wie wohl keine andere bisher, jedenfalls keine, an die ich mich erinnern kann? ({2}) Insoweit habe ich, ehrlich gesagt, bei der Rede der AfD überhaupt nicht verstanden, was der Vorschlag und die Strategie waren. ({3}) Das kann aber auch daran liegen, dass heute Morgen im „Morgenmagazin“ ein Herr Müller aus der AfD-Fraktion Verschwörungstheorien sondergleichen von sich gegeben hat, Herr Hilse die Polizei zum Ungehorsam aufruft und man bei der Vielstimmigkeit innerhalb der AfD im Prinzip gar nicht mehr weiß: Sind die gefährlich, oder spinnen die nur? ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Hilse?

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich lasse nur Fragen von weiblichen Abgeordneten der AfD zu. ({0}) Jedenfalls hat dann Frau von Storch deutlich gemacht, dass sie sehr darunter gelitten hat, dass sie nicht Ostern feiern konnte, und sich wünscht, dass sie Weihnachten feiern kann. Diesem Wunsch können wir uns, glaube ich, alle anschließen; jeder von uns wünscht sich geruhsame oder fröhliche oder wie auch immer geartete Weihnachtsfeste in all den Jahren, die uns bevorstehen. Viel spannender fand ich, ehrlich gesagt, die Frage, die die Kollegin Launert beim vorigen Tagesordnungspunkt aufgeworfen hat. Das sind auch die Fragen, die mich erreichen. Es sind die Fragen von Menschen aus der Bevölkerung, die ein Problem haben, ihren Alltag zu bewältigen, wo das Geld nicht mehr reicht, wo der Job unsicher ist, wo die Zukunft der Kinder unsicher ist. Das sind die Fragen, die die Menschen beschäftigen, und das sind die Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen und die uns eigentlich zwingen sollten, unsere gemeinsame Verantwortung für die Menschen in diesem Land zu erkennen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Natürlich sind die Versammlungsfreiheit und die Religionsfreiheit ein hohes Gut, das wir alle schützen wollen. Auch insoweit stellt sich die Frage, ob es Ihren Antrag braucht, um diese Dinge zu gewährleisten. ({2}) – Die Kollegen sind alle so klug hier. Was soll ich da noch sagen? Ich will dennoch argumentativ darlegen, warum ihre Zwischenrufe zutreffend sind. Auf der Basis der gestrigen Beschlüsse, die die Ministerpräsidenten und die von Ihnen mehrfach erwähnte Bundeskanzlerin gefällt haben, werden auch wieder An- und Versammlungen von über 20 Personen erlaubt. Und in der Zwischenzeit gab es sowohl Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als auch der Verwaltungsgerichte, die sehr wohl deutlich gemacht haben, dass die eine oder andere Verordnung über das Ziel hinausgeschossen ist. Es wurde korrigiert. Also können wir sagen: Es braucht diesen Antrag nicht, weil unser Rechtsstaat auch ohne die AfD sehr gut funktioniert. ({3}) Auch Gottesdienste haben vielfach schon stattgefunden. Teilweise durfte man dabei nicht singen; aber das Beten war möglich. In Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin waren ab dem 1. bzw. 3. Mai Gottesdienste möglich; und das ist auch gut so. Denn auch wir erkennen natürlich an, dass gerade in der Krise, wo die Not groß ist, die Sehnsucht nach Beistand und nach Zusammenhalt ebenso groß ist. Deswegen kann man hier feststellen: Im Grunde sind wir uns alle einig, dass die Balance zwischen Lockern und Wiederanziehen, also der Hygiene und unserer neuen Normalität, wie wir sie nennen, richtig und wichtig ist. Aber ich will natürlich auch nicht verhehlen, dass es mich gewundert hat, dass gerade die AfD Deutschland und die hier lebenden Menschen beleidigen will, indem ausgerechnet sie sich anmaßt, uns Nachhilfe über Grundrechte erteilen zu wollen – vom Recht auf Leben über den Gleichheitssatz bis zur Meinungsfreiheit –, die sie und ihresgleichen ansonsten auch für meinesgleichen abschaffen möchte, etwa durch Hetze gegen Andersdenkende oder ‑aussehende, gegen freie Medien bis hin zu Drohungen gegen Andersdenkende und Mordanschläge, meine Damen und Herren. Dafür braucht es diese AfD nicht. ({4}) Die Krise hat uns sehr deutlich gemacht, dass dieses Land rechtsstaatlich und auch politisch viel besser aufgestellt ist, wenn Sie von der AfD nichts mehr zu sagen haben. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Canan Bayram. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Hilse. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie wissen ja nicht, wie ich mich heute fühle. ({0}) Ich möchte zurückweisen, dass ich die Polizisten, die ihren Job machen, zu Ungehorsam aufgefordert habe. Ich habe lediglich ausgeführt, dass Polizisten sich nicht auf einen sogenannten Befehlsnotstand zurückziehen können, sondern für ihre Handlungen grundsätzlich persönlich verantwortlich gemacht werden. Ich möchte sie also vor zukünftigen Verurteilungen – unter Umständen – bewahren und habe ausgeführt, was Polizisten machen sollten, wenn sie zumindest vermuten, dass es eine rechtswidrige dienstliche Anordnung ist. Das habe ich ausgeführt. Nach § 63 Bundesbeamtengesetz und gleichlautend in § 33 Beamtenstatusgesetz gibt es die sogenannte Remonstrationspflicht. Das heißt, der Beamte hat, wenn er vermutet, dass die dienstliche Anordnung rechtswidrig oder zumindest teilweise rechtswidrig ist, seine Bedenken dem Vorgesetzten zu melden. Wenn der dann sagt: „Die dienstliche Anordnung gilt trotzdem“, hat er diese Bedenken dem nächsten Vorgesetzten zu melden. Dann kann er nicht mehr verurteilt werden, dann ist er seiner Remonstrationspflicht nachgekommen. Und natürlich geht es mir nicht darum, Polizisten zu Ungehorsam aufzufordern oder Polizisten schlechtzumachen. ({1}) Ich bin über 30 Jahre Polizist gewesen. ({2}) Es geht mir darum, erstens Polizisten dazu aufzufordern, unnötige Härte gegen Menschen, die für ihre Freiheit friedlich auf die Straße gehen, zu unterlassen, und zweitens die Spaltung zwischen Volk und Polizei, die gerade entsteht, weil Polizisten teilweise rechtswidrige Anordnungen durchführen müssen, zu verhindern. Ich möchte Polizisten dazu auffordern, unnötige Härte zu unterlassen, und gleichzeitig Verständnis bei den friedlichen Demonstranten für die Polizei wecken. Darum ging es mir, nicht darum, Polizisten zu Ungehorsam aufzufordern. ({3}) Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Hilse, danke schön. Sie haben die zwei Minuten überschritten. – Frau Bayram, wollen Sie antworten?

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – In aller Kürze will ich antworten. Ich habe das mit Herrn Amthor beraten, und wir sind übereingekommen, dass die Polizisten vielleicht besser auf Juristen hören sollten als auf einen Abgeordneten der AfD-Fraktion. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Bayram. – Nächster Redner: für die CDU/CSU Christoph Bernstiel. Das Pult ist schon desinfiziert für Sie. ({0})

Christoph Bernstiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste, wenige auf den Tribünen, viele vielleicht an den TV-Bildschirmen! Wir reden heute unter anderem über den Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Grundrechten wieder Geltung verschaffen – Keine Datensammlung durch eine Corona-App“. Ich muss schon sagen: Es macht mich ein wenig traurig, nein es bestürzt mich sogar, dass Sie ausgerechnet in einer Phase, in der wir einen beispiellosen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erleben, in der sich Menschen disziplinieren, genau so einen Antrag einbringen, der nur ein Ziel verfolgt, nämlich Angst zu schüren, Misstrauen zu säen und die Regierung zu diskreditieren. ({0}) – Ja, das Lachen wird Ihnen gleich vergehen; denn Ihr Redner Martin Reichardt hat in der Debatte zuvor noch gesagt, dass es schäbig wäre, Angst in der Bevölkerung zu schüren und diese zu benutzen, um irgendwelche Rechte einzuschränken. Genau das machen Sie jetzt mit Ihrem Antrag, indem Sie hier, wie es der Kollege Amthor, der heute schon häufig erwähnt wurde, gesagt hat, falsche Fakten verbreiten und einfach eine Stimmung erzeugen, die sich so nicht hält. Aber wenn Sie von Problemen reden bzw. von einem Missbrauch, der durch diese App entstehen kann, dann ist das in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Denn Sie beziehen sich in Ihrem Antrag ausgerechnet auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke, die auf ähnliche Weise immer wieder unsere Sicherheitsorgane kritisiert und ihnen ohne jedes Augenmaß und pauschal einen Missbrauch jeglicher Kompetenzen unterstellt. Das machen Sie in Ihrem Antrag auch, und das lehne ich ab. Es zeigt aber erneut, wie nah sich doch die beiden Pole sind, was Sie hier immer wieder leugnen. ({1}) Schauen wir uns doch einmal an, wie Datenmissbrauch mit einer solchen App tatsächlich funktionieren kann. ({2}) Ausgerechnet bei Ihren populistischen Freunden in Polen können wir erstaunlicherweise sehr gut beobachten, wie eine solche App nicht verwendet werden sollte. Dort ist es nämlich so: Jeder, der sich mit dem Coronavirus infiziert hat, ist verpflichtet, diese App zu nutzen. Die Daten werden an die Polizei weitergegeben. Die Menschen müssen, wenn sie die Aufforderung bekommen, ein Selfie von sich an die Polizeibehörden posten. Tun sie dies nicht, so können sie festgenommen werden. Dieses Selfie muss im Umkreis von 100 Metern um ihren Wohnort aufgenommen worden sein, und die Daten werden bis zu sechs Jahre gespeichert. Nicht viel besser sieht es in Russland aus. Dort gibt es ebenfalls eine App-Pflicht; die App hat ähnliche Funktionen. Hinzu kommt die Einrichtung von Checkpoints. Die Menschen müssen einen QR-Code auf ihrem Handy haben. Wenn dieser QR-Code nicht gültig ist, dürfen sie gewisse Bereiche der Stadt nicht betreten. Das alles ist noch gewürzt mit einer Prise Gesichtsüberwachung. So funktioniert das in autoritären Staaten. Über China – da kennen Sie sich wahrscheinlich bestens aus – brauchen wir hier gar nicht zu reden. Dass wir so etwas in Deutschland nicht wollen und dass das auch niemand geplant hat, das ist Konsens hier im gesamten Haus und mittlerweile bei allen angekommen, nur anscheinend bei Ihnen nicht. ({3}) Ich möchte an dieser Stelle aber auch Danke sagen; denn Sie geben uns jetzt die Gelegenheit, das Thema App hier ausführlich darzustellen und einige Fake News und Unwahrheiten, die verbreitet wurden, zu klären. Ich möchte etwas zu den Funktionen der App sagen. Worum geht es eigentlich? Es geht darum, Infektionsketten rekonstruieren und die Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus eindämmen zu können, indem frühzeitig Warnungen ausgesprochen werden. Das sind die zwei Kernfunktionen dieser App. Hinzu kommt noch, wenn das von den Nutzern gewünscht ist – das ist ja ein ganz entscheidendes Kriterium –, dass man mehr über das Virus selbst erfahren kann, zum Beispiel über die Verbreitungswege oder auch über die oft genannte Dunkelziffer. In diesem Zusammenhang gab es verschiedene Ansätze, die bereits verfolgt wurden – Sie alle haben sicherlich den europäischen Ansatz verfolgt –, und es gibt Diskussionen – das ist gut, richtig und vollkommen normal in einem Rechtsstaat – über Fragen des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre. Was Sie, liebe AfD, als Versagen der Regierung kritisieren, dass es nicht gelungen ist, diese App schnellstmöglich auf den Weg zu bringen, das würde ich als qualitativ gutes Arbeiten und Vorgehen mit der gebotenen Sorgfalt beschreiben, um so eine wichtige App auf den Weg zu bringen. ({4}) Genau auf diesem Weg befinden wir uns gerade. Ein ganz wesentliches Kriterium ist das sogenannte Prinzip der doppelten Freiwilligkeit, das heißt, wenn diese App kommt, dann ist es für jeden freiwillig, sie zu installieren, und es ist auch freiwillig, eine Datenspende zu machen bzw. überhaupt eine Meldung in diese App einzugeben. Das ist ein ganz fundamentales Prinzip und unterscheidet diese App, den deutschen Ansatz von vielen anderen Ansätzen in der Welt und – leider, muss man sagen – in Europa. Ich will aber auch darauf hinweisen, weil es einige Kritik in diesem Zusammenhang gibt, welche Probleme sich in diesem Zusammenhang aus dem Vergleich zwischen dem zentralen und dem dezentralen Ansatz ergeben. Ein maßgeblicher Punkt, den wir besprechen müssen, ist das Thema Fehlalarm. Stellen Sie sich mal vor, jemand nutzt diese App, ist mit dieser App unterwegs, die App registriert die Kontakte, natürlich anonymisiert, und dann macht er sich einen Spaß und löst Fehlalarm aus. Dann kriegen im schlimmsten Fall in einer Großstadt wie Berlin mehrere Tausend Menschen die Meldung: Achtung, Coronainfizierung in Ihrem Umfeld! Bitte begeben Sie sich zum Arzt, oder gehen Sie gleich in Quarantäne. – Das gilt es natürlich zu vermeiden. Für diesen Prozess brauchen wir dringend eine Schnittstelle, die überprüft, ob derjenige, der den Alarm auslöst, tatsächlich infiziert ist. Die gute Nachricht ist: Da kann man viel machen, mit anonymisierten PIN-Codes, mit Blockchain. Alles ist möglich. Aber dieses Problem dürfen wir nicht aus den Augen verlieren; wir dürfen nicht einfach sagen: Nur der dezentrale Ansatz löst alle Probleme. Dann noch mal zu der Frage der Freiwilligkeit. Hier wird ja häufig infrage gestellt, dass das mit der Freiwilligkeit funktionieren könnte, die Deutschen würden das überhaupt nicht wollen. Da gibt es Gott sei Dank einige Erkenntnisse. Und zwar gibt es ja bereits die Datenspende-App des Robert Koch-Instituts, zugegeben am Anfang mit einigen Startschwierigkeiten. Es gab immerhin 400 000 Deutsche, die freiwillig an dieser Datenspende teilgenommen haben, die Fitnessdaten gespendet haben, sogar unter Angabe ihrer Postleitzahl. Etwa zur gleichen Zeit hat der Bayerische Rundfunk Anfang April eine Umfrage durchgeführt; diese ist für Sie äußerst interessant, liebe Kollegen von der AfD. ({5}) Und zwar wurden dort 10 000 Teilnehmer gefragt, wie sie es denn halten würden, ob sie überhaupt eine solche App benutzen würden, ja oder nein. 56 Prozent gaben an, dass sie diese App nutzen würden. Die Umfrage geht noch ein bisschen tiefer und beleuchtet, welche Anhänger welcher Partei einer Nutzung dieser App zustimmen bzw. ein hohes Vertrauen sehen. Überraschend: Die höchste Zustimmung geben die Unionswähler mit 71 Prozent. Auch die Grünen – sonst eigentlich immer sehr kritisch bei solchen Fragen – stimmten mit 62 Prozent zu; 59 Prozent sind es bei der SPD. Bei der AfD sind es erstaunlicherweise – das ist der mit Abstand niedrigste Wert – nur 27 Prozent. Nur 27 Prozent der AfD-Wähler stimmen einer Verwendung dieser App zu. Das spiegelt sich auch in Ihrem Antrag wieder. Wenn Sie fordern, diese App nicht einzusetzen, dann sind Sie es, die den nächsten Shutdown provozieren. ({6}) Wir brauchen diese App, um lokal präzise eingrenzen zu können, wo sich Infektionsketten ausbreiten. Wir brauchen diese App auch, um auf den nächsten Virus, der sicherlich kommen wird, vorbereitet zu sein. Und wir brauchen diese App, um die Verhältnismäßigkeit auch in Zukunft gewährleisten zu können und präzise eingreifen zu können. Wenn Sie die Einführung dieser App ablehnen, dann lehnen Sie auch all diese sinnvollen Maßnahmen ab. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Zum Schluss möchte ich noch sagen: Wir haben das Grundgesetz schon verteidigt – gegen rechts und links –, da hat es Ihre Partei noch gar nicht gegeben. Wir brauchen von Ihnen keine Belehrung. Und machen Sie sich keine Sorgen: Wir werden das Grundgesetz auch in Zukunft verteidigen, wenn Sie hoffentlich nicht mehr hier in diesem Haus sitzen. Herzlichen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christoph Bernstiel. – Die nächste Rednerin für die AfD-Fraktion: Joana Cotar. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wie verspielt man in kürzester Zeit eine Menge Vertrauen? Die Regierung hat uns das in den letzten Wochen eindrucksvoll demonstriert. Ich rede von der Corona-App. Was für ein Chaos, was für ein kommunikatives Desaster, was für absurde und gefährliche Pläne, meine Damen und Herren. ({0}) Zu Beginn wollte Jens Spahn das Auswerten von Standortdaten zur Bekämpfung von Covid-19 erlauben; ein absolut unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und technisch sinnlos noch dazu. Der Aufschrei war groß genug, dass er den Plan zurückziehen musste. Jetzt sollen es Apps richten. Zur Tracing-App gesellte sich plötzlich die Datenspende-App des RKI. Bald soll es – neben anderen – eine Quarantäne-Tagebuch-App geben. Eine Immunitätsausweis-App war auch im Gespräch. Der Regierung gefällt es sichtlich, diese Krise auszunutzen, um zu sehen, wie weit sie gehen kann, bevor die Bürger endgültig genug haben. Anders ist dieses Treten von Freiheitsrechten nicht zu erklären. ({1}) Zu Beginn setzte die Regierung bei der Tracing-App auf den zentralen Serveransatz. Daraufhin warnten 300 Wissenschaftler von renommierten Universitäten vor einer möglichen beispiellosen Überwachung. Die Bundesregierung hielt trotzdem an dem zentralen Ansatz fest. Die Big-Brother-Idee war eben zu reizvoll. Erst als sich die Tech-Giganten Google und Apple querstellten, musste die Regierung den Plan aufgeben. Jetzt soll es also der dezentrale Ansatz richten. Wie genau, wissen wir noch nicht. Wir durften im Ausschuss Digitale Agenda feststellen, dass es keinen Zeitplan gibt, kein Budget, keinen Verantwortlichen. Der Datenschutz ist noch nicht geklärt, die technischen Probleme schon gar nicht. Es gab keinerlei persönliche Gespräche mit Apple, die mit dafür verantwortlich sind, dass diese App überhaupt funktionieren kann. Es gibt keinen Exit-Plan. Und das Allerwichtigste: Es gibt keinerlei Pläne der Regierung, die Nicht-App-Nutzer vor sozialer Diskriminierung zu schützen. Diese App muss, wenn sie denn kommt, absolut transparent und freiwillig sein, und es darf nicht passieren, dass man eben nicht mehr den Supermarkt betreten darf oder nicht mehr zur Arbeit gehen kann, wenn man die App nicht nutzt. Dass es nicht so weit kommt, liegt in Ihrer Verantwortung, liebe Regierung. Machen Sie Ihren Job! ({2}) Im Moment tun Sie das genaue Gegenteil. Aus den Reihen der CSU kam der Vorschlag, die Grundrechte an die Nutzung der App zu koppeln. ({3}) Was für ein absurd gefährlicher Gedanke! Ebenso die Idee, die Leute mit Steuererleichterungen zu locken. Grundrechte kann man nicht verkaufen, liebe Kollegen. ({4}) Eine App ist kein Allheilmittel. Sie ersetzt keine Hygienemaßnahmen. Es ist nicht einmal bewiesen, dass sie überhaupt epidemiologisch sinnvoll ist. Singapur, das lange Zeit als Vorbild galt, erlebte eine erschreckende zweite Welle – trotz App. Aber das ist die schöne neue Welt der Regierung; wir sollen uns eben an die Überwachung gewöhnen. Und wenn nicht genug Bürger mitmachen, kommt nach der Freiwilligkeit der Zwang – und sei es durch soziale Ausgrenzung. Der Städte- und der Landkreistag forderten bereits umfangreichen Zugriff auf mögliche gesammelte Daten. Die Polizei hat den schon – siehe Baden Württemberg. Die AfD lehnt diese Eingriffe in die Bürgerrechte konsequent ab! Im Zweifel immer für die Freiheit! Daher fordern wir die Regierung auf, die App-Pläne zu stoppen. Machen Sie einen Haken dran, und konzentrieren sie sich auf das, was wirklich hilft! Finden wir einen Weg zur Normalität, ohne Bespitzelung, ohne die Freigabe der Bürgerrechte, dafür aber mit gesundem Menschenverstand. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Kollegin Cotar. – Nächster Redner: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie fordert uns als Gesellschaft, aber auch als Parlament. Wir sind allerdings nicht das erste Mal mit einer solchen Pandemie globalen Ausmaßes konfrontiert. Wir sind auch schon in der Vergangenheit mit der Hongkonggrippe konfrontiert gewesen oder gar vor über 100 Jahren mit der Spanischen Grippe. Allerdings sollten wir uns daran erinnern, dass wir jede dieser Pandemien und jede der Herausforderungen, der wir als Gesellschaft und auch als Staaten begegnet sind, überwunden haben. Wir waren dazu in der Lage, weil wir vor allen Dingen zwei Dinge in den Blick genommen haben: Wir haben auf der einen Seite Fortschritt und Wissenschaft, die uns leiten können. Wir als Parlament haben die Verantwortung, Expertenrat aufzunehmen und abzuwägen, aber nicht jedem Expertenrat zu folgen. Das andere, das Entscheidende in diesem Moment ist: Der Erfolg, den wir nun sehen, was die Infektionszahlen angeht, die Eindämmung der Pandemie in diesem Land ist nicht das Ergebnis des alleinigen Handelns einer Regierung oder eines Ministerpräsidenten oder der Kanzlerin allein, sondern es ist ein Erfolg, den wir in diesem Land gemeinsam hinbekommen haben. Dafür gilt der Dank all denjenigen Menschen in diesem Land, den Bürgerinnen und Bürgern, die sich verantwortungsvoll und vor allen Dingen solidarisch gezeigt haben. Wir haben aufeinander achtgegeben, die Regeln der Hygiene eingehalten und so dafür gesorgt, dass sich Infektionen nicht weiter ausbreiten. Die entscheidende Frage war nicht, ob man selbst zu einer Risikogruppe gehört oder ob man selbst in der Gefahr ist, zu erkranken. Vielmehr ging es darum, auch auf den anderen, vor allem auf diejenigen in den Risikogruppen, achtzugeben. Hierfür meinen herzlichen Dank! Meine Damen und Herren, das ist das Fundament dieses Erfolgs. ({0}) Damit sind wir bei der Gefahr. Nun wird versucht, in diesem Haus die Saat des Zweifels, des Hasses, der Hetze und der Spaltung zu streuen, ({1}) indem Erkenntnisse, die wir während dieser Pandemie schon erreicht haben, durch Diffamierung von Experten, durch das Teilen von Fake News oder das Stellen von absurden Anträgen und Behauptungen, die jeder Grundlage entbehren, infrage gestellt werden. Dadurch soll eben diese Saat des Zweifels gesät werden. Sie gefährdet das Vertrauen, das man in der Demokratie immer wieder neu begründen muss. Die Sozialdemokratie ist unverdächtig, dass wir etwa Freiheitsrechte und Grundrechte einschränken wollten. Wir haben in aller Klarheit gesagt: weniger Pressekonferenzen, weniger interne Besprechungen, mehr Debatte im Parlament. Das ist die Stunde des Parlaments. Eine Debatte wie die heutige zeigt in den wohlabgewogenen Beiträgen, dass wir genau das tun. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich darauf verlassen: Wir gehen verantwortungsvoll mit dieser Situation um. ({2}) Die angesprochene App kann ein Hilfsmittel sein, um über Corona zu lernen und zu erfahren. Aber für uns als Sozialdemokratie gilt: kein zentraler Ansatz, sondern ein dezentraler Ansatz, maximaler Datenschutz. Wir haben diese Debatten nicht erst im Zusammenhang mit dieser Corona-App geführt. Ich habe den Kollegen von der FDP zugehört, als sie für die Grundrechte und Freiheitsrechte geworben haben. Ich fand viele Teile ihrer Ausführungen wirklich absolut zustimmungsfähig. Das war auch der Grund, warum wir in Nordrhein-Westfalen der schwarz-gelben Regierung in den Arm gefallen sind, als sie ein Pandemiegesetz beschließen wollte, das vorsah, Zwangsrekrutierungen von medizinischem Personal bis hin zur Beschlagnahme vorzunehmen. Die FDP rutschte da unangenehm auf der Regierungsbank hin und her und sagte: Das geht zu weit. ({3}) Sie hatten recht. Deswegen haben wir das in Nordrhein-Westfalen verhindert. Jetzt ist in der weiteren Debatte klarzumachen: Das wird nicht unser Weg sein. Ein letzter Gedanke zu dieser App. ({4}) – Ihr habt euch für die Regierungsbeteiligung mit der Union entschieden. Das ist eure Verantwortung. – Aber ein Gedanke zur App. Wir reden über eine Corona-App, die der Gesundheitsminister schon für Mitte April angekündigt hatte, bevor überhaupt Schnittstellen zwischen Google und Apple klar waren, bevor besprochen worden war, ob man einen dezentralen oder zentralen Ansatz wählt. Aber wir haben doch schon 2015 eine App eingeführt. Es ist die Warn-App NINA, die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zur Verfügung stellt mit einer Vielzahl von Hinweisen, zum Beispiel wie man Regeln der Hygiene beachtet und auf den Nächsten achtgibt. Ich werbe dafür – das ist das Entscheidende in unserer Demokratie, in einem demokratischen transparenten Rechtsstaat –: Schauen wir auf die Informationen, und schauen wir darauf, was wir zur Verfügung stellen, auch auf den Rat der Experten, die sich möglicherweise widersprechen. Aber das ist doch der Moment, wo wir objektiv informieren wollen. Wir haben nicht ein einziges Mal den Anschein erweckt, dass wir mit dem Fortschritt der Erkenntnisse nicht auch Dinge, die wir als Grundlage formuliert haben, möglicherweise infrage stellen oder verändern. Demjenigen, der zu Anfang behauptet, alles zu wissen, obwohl man mit einer neuen und unbekannten Situation konfrontiert ist, darf man nicht glauben. Deswegen: Bevor die Corona-App, in welcher Form auch immer, kommt, installieren Sie doch die Warn-App NINA, und informieren Sie sich, wie die Lage in Ihrem Landkreis, in Ihrer Stadt ist. Das ist doch schon verfügbar. Hier arbeiten Bund und Länder hervorragend zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Ausübung der Religionsfreiheit ist auch angesprochen worden. Ja, all die Einschränkungen, denen sich Parteien wie auch Kirchen und Religionsgemeinschaften in unserem Land freiwillig unterworfen haben, sind massive Eingriffe. Ich glaube, dass wir in der Folge erkennen müssen, dass ganz viel durch freiwilliges Verhalten erreicht worden ist, eben im Vertrauen auf staatliche Stellen und Parlamente, die ihrer Verantwortung nachkommen, auch der kritischen Abwägung. Das ist das, was wir Bürgerinnen und Bürger gemeinsam geschaffen haben. Es ist davon gesprochen worden, dass Weihnachten gemeinsam gefeiert werden soll. Aber wir sind doch nicht voneinander gegangen, sondern wir haben doch gerade jetzt in diesem Moment versucht, solidarisch im Zusammenhalten zu sein, und die Kirchen haben das getan. Der Rednerin hier im Hause, die über Weihnachten sprach, möchte ich doch eher das Pfingstfest empfehlen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Sie sollte auch sehen: Solange Sie in Ihren Reihen Verfassungsfeinde dulden, die das Grundgesetz infrage stellen – ich meine die Rechten von der AfD –, so lange dürfen Sie niemanden hier im Haus irgendwie belehren, was die Geltung unserer Grundrechte und des Grundgesetzes angeht. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sebastian Hartmann. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Benjamin Strasser. ({0})

Benjamin Strasser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Millionen von gläubigen Menschen in Deutschland, egal ob Christen, Jüdinnen, Juden, Muslime, erleben momentan harte Zeiten. Das Osterfest ist in weiten Teilen ausgefallen, genau wie die Pessachfeiern, und auch der Ramadan kann nicht wie gewohnt stattfinden. Bei alldem handelt es sich um massive Eingriffe in die Religionsausübung, die wir auch hier im Deutschen Bundestag besprechen müssen. In dieser Situation kommt jetzt ein Antrag der AfD auf den Tisch, der ein bemerkenswertes Verständnis von Religionsfreiheit offenbart. Wenn es nach dieser Partei geht, so lesen wir im Antrag, ist nämlich in Coronazeiten Religionsfreiheit nur für Christen gestattet. Sie sprechen in Ihrem Antrag von pauschalen Verboten von Ostergottesdiensten, aber kein Wort zu Pessachfeiern oder dem Ramadan. ({0}) Sie sorgen sich um Weihnachten 2020. Ob Jüdinnen und Juden in diesem Land Chanukka feiern können, ist Ihnen offensichtlich egal. Dieses Verhältnis zur Religionsfreiheit ist entlarvend. Sie benützen Religionsfreiheit nur dann, wenn es in Ihre politische Agenda passt, Frau Storch, ({1}) wenn man sich als Vorkämpferin von Jüdinnen und Juden geriert, wenn es gegen Muslime geht; aber sonst zählen diese Menschen für Sie offensichtlich nichts. Das ist nicht der Geist des Grundgesetzes. Laut Grundgesetz gilt Religionsfreiheit für alle Menschen, und dahinter stehen wir Freien Demokraten ganz ausdrücklich. ({2}) Aber Herr Amthor hat recht: Reden wir weniger über die AfD; reden wir lieber über das Verhalten der Bundesregierung in der letzten Zeit. ({3}) Sie werden sicher schon festgestellt haben, dass in Ihrem Kommentar zu den Grundrechten steht, dass es dem Staat grundsätzlich nicht zusteht, darüber zu verfügen, wie Gläubige ihren Glauben ausleben. Es steht nicht zur Disposition des Staates oder der Mehrheitsgesellschaft, irgendwelche Änderungen an diesem Glauben vorzunehmen. Genau deshalb gab es auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 10. April, das nicht nur festgestellt hat, dass diese Gottesdienstverbote schwerwiegende Grundrechtseingriffe sind, sondern auch festgelegt hat, dass es eine andauernde Überprüfung dieser Maßnahmen gibt. ({4}) Ich kann dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz nur zustimmen, der sich sehr enttäuscht über das gezeigt hat, was die Bundeskanzlerin fünf Tage nach dieser Entscheidung beschlossen hat. Alle Religionsgemeinschaften in Deutschland, Jüdinnen und Juden, Christen, Muslime, haben durch die Bank diese Maßnahmen in der Coronakrise sehr kooperativ mitgetragen. Dass die Frau Bundeskanzlerin am 15. April dann Kfz-Händler und die ganzen Ladengeschäfte unter Sicherheitsvorkehrungen öffnen lässt, aber Gottesdienste nicht gestattet, das kann nicht sein und ist ein massiver Eingriff in die Glaubensfreiheit dieser Menschen. ({5}) Glaubensfreiheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt nicht – ihr ist damit auch nicht Genüge getan –, dass jeder an das glauben darf, was er will, aber bitte daheim, sondern dass man seinen Glauben auch ausleben kann. Gottesdienste sind kein Nice-to-have, sondern wesentlicher Teil einer Grundrechtsausübung. Deswegen muss in der Zukunft klar sein, dass solche Entscheidungen, wie sie die Bundesregierung getroffen hat, so nicht mehr vorkommen, sondern dass die Religionsfreiheit für alle Menschen in diesem Land gewährleistet bleibt. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Benjamin Strasser. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Niema Movassat. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Coronakrise machte und macht staatliches Handeln notwendig. Dennoch ist es auch in dieser Situation wichtig, sich über Grundrechte Gedanken zu machen. Wir erleben die heftigsten Einschränkungen von Grundrechten seit dem Bestehen des Grundgesetzes. Wir erleben, wie Regierungen per Rechtsverordnung einschneidende Maßnahmen beschließen, ohne dass die Parlamente was zu sagen haben. Wir erleben, dass Bundesminister rote Linien überschreiten, wie Gesundheitsminister Spahn mit seiner Novelle des Infektionsschutzgesetzes. Besorgniserregend ist, wie die Grundrechte und der Rechtsstaat teilweise zu einem Spielball im Kampf um den CDU-Vorsitz geworden sind und einige Ministerpräsidenten auf diese Weise ihre fragile Männlichkeit miteinander und gegeneinander austherapieren. Verantwortungsvoll ist das alles nicht. ({0}) In dieser Gemengelage kommt der Opposition eine wichtige Rolle zu – es sei denn, ein Teil der Opposition versucht, die Ratlosigkeit vieler Menschen in dieser Zeit zu missbrauchen; es sei denn, ein Teil dieser Opposition greift von diesem Plenum aus ständig die Menschenwürde an, indem sie Geflüchtete verächtlich macht, Schwule und Lesben beleidigt und Frauenrechte zurückdrehen will. Und dieser Teil – das ist die AfD. Sie sind die Partei, die ihr Verhältnis zur NS-Zeit in Deutschland immer noch nicht geklärt hat; die Partei, deren Fraktionschef Gauland ernsthaft meint, der morgige 8. Mai, der Tag der Befreiung Deutschlands, sei ein Tag der Niederlage. ({1}) Ja, für Nazis war es ein Tag der Niederlage. Da weiß man, wo Sie sich politisch einreihen. ({2}) Ich jedenfalls bin froh, dass das rot-rot-grün regierte Berlin den 8. Mai zum Feiertag erklärt hat. Wer die Befreiung nicht feiert, der hat verloren. ({3}) Wenn sich die AfD heute im Bundestag hinstellt und von Grundrechten redet, dann muss man sagen: Das ist an Heuchelei nicht mehr zu überbieten. Dass Sie Grundrechte nur für einige Menschen wollen, das zeigt doch Ihr Herangehen an die Religionsfreiheit in Ihrem Antrag. Sie fordern, religiöse Feste wie Ostern, Pfingsten, Weihnachten trotz Corona zu feiern. Aber das Pessachfest oder Ramadan? Fehlanzeige in Ihrem Antrag! Sie wollen Religionsfreiheit nur für das Christentum. Sie können es offenbar nicht ertragen, dass in diesem Land auch Juden und Muslime leben und Rechte haben. ({4}) Wir werden als Linke für ein Deutschland kämpfen, in dem alle Menschen gleiche Rechte haben. ({5}) Zudem müssen Sie sich als AfD mal entscheiden, ob Sie wirklich die rechte Fake-News-Blase bedienen wollen, die das Coronavirus auf die leichte Schulter nimmt oder gar leugnet. So behauptete Ihr Abgeordneter Müller, der Statistik zu den Coronatoten würden „andere Tote untergeschoben, um die Statistik nach oben zu jubeln“. Was für eine eklige Wortwahl! Erklären Sie doch mal, wer warum Todeszahlen nach oben manipuliert haben soll. Dieses Haus braucht die AfD, deren ganzes Programm auf der Ausgrenzung von Menschen beruht, nicht, um sich Grundrechte erklären zu lassen. Nicht die Coronakrise ist die größte Gefahr für die Grundrechte in diesem Land, sondern die AfD ist die größte Gefahr für die Grundrechte. Danke schön. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Niema Movassat. – Vielleicht hören Herr Amthor und Herr Grübel auch mal zu. ({0}) – Ja, vielleicht jetzt. ({1}) Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Tino Sorge. ({2})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind heute wieder in der Debatte über einen AfD-Antrag, den man getrost in die Rubrik „Pleiten, Pech und Pannen“ einsortieren kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Lesen des Antrags – sinngemäß heißt es dort: Nein zu Big Brother! – stellt sich schon die Frage: Was wollen Sie denn eigentlich damit? Reden Sie von George Orwells Buch „1984“, oder reden Sie von der TV-Trash-Sendung, in der es um Containerdörfer geht? Wir sollten uns alle mal daran erinnern: Corona ist keine TV-Show. Corona ist kein altes Buch, das wir einfach zur Seite legen können. Und gegen Corona gibt es nun mal noch keine Impfung. Deshalb, glaube ich, wäre es auch angesichts der Menschenleben, die Corona fordert, angebracht, ({0}) dem Thema nicht solche merkwürdigen Vergleiche angedeihen zu lassen. Aber zur Sache. Quer durch alle Fraktionen haben wir in den letzten Wochen darüber diskutiert, wie das Coronavirus effizient bekämpft werden kann. Da haben wir uns natürlich auch über digitale Möglichkeiten unterhalten. Da ging es um die Tracing-App, die uns helfen soll, Infektionsketten besser nachzuvollziehen. Da kann man sich natürlich darüber streiten: Wie wird diese konkrete App ausgestaltet? Was hat man für unterschiedliche Auffassungen? Aber was machen Sie? Sie kommen wieder mit kruden Verschwörungstheorien, Corona wäre entweder nur eine verhältnismäßig leichte Grippe oder Bill Gates hätte das alles mitgetriggert. ({1}) Super Idee: Jetzt kann Bill Gates endlich mal reich werden, indem er mit seinen Impfstoffen Geld verdient. Und klar: Die Regierung hat natürlich die ganzen Grundrechte außer Kraft gesetzt. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, ich empfehle Ihnen wirklich mal: Gehen Sie in die Gesundheitsämter! Schauen Sie sich an, wie dort Coronafälle nachrecherchiert werden. Das ist Detektivarbeit. Es ist sehr mühsam, wie dort recherchiert wird. Ich glaube, wir verlieren wertvolle Zeit im Kampf gegen das Virus. Das Virus als Gegner hat sowieso schon einen Vorsprung. Deshalb sollten wir auch, solange es keinen Impfstoff gibt, solche digitalen Möglichkeiten nutzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Deshalb ist es ja auch gut, dass wir nach modernen Lösungen suchen, dass wir Innovationspotenziale dabei miteinbeziehen. Insofern glaube ich schon an die Möglichkeiten von Apps. Ob das jetzt Tracing oder Tracking ist: Wir können uns streiten, in welchem Umfang das ausgestaltet wird. Da können wir uns über Datenschutz streiten. Da können wir uns sehr gern über die Abwägung von Grundrechten streiten. Deshalb unterstützen wir als Union den Ansatz mit Apps, um Epidemien möglichst zeitnah, zumindest aber die kommenden Epidemien, besser nachverfolgen zu können. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was Sie als AfD hier mit diesem AfD-Antrag machen, zeigt ja nichts anderes, als dass Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Beim Lesen des Antrages fällt einem ja schon auf: Sie kriegen es ja nicht mal unfallfrei hin, den Namen der Staatsministerin für Digitales richtig zu schreiben. Die heißt nämlich nicht „Dorothea Bär“, sondern Dorothee Bär. Sie kriegen es nicht mal hin, zwischen „Tracing“ und „Tracking“ zu differenzieren. Also, insofern stellt sich mir dann die Frage: Ist das jetzt Dummheit, oder ist das bewusste Irreführung, was Sie hier machen? ({3}) Der Antrag ist ja auch in sich widersprüchlich. Da bringen Sie heute den entsprechenden Antrag ein und sagen darin Nein zu Corona-Apps, Nein zur Datensammlung durch Corona-Apps. Und gestern stellt sich Ihr Kollege Spangenberg – ich weiß nicht, wo er steht – im Gesundheitsausschuss hin und stellt drei AfD-Anträge, in denen genau das Gegenteil gefordert wird. Sie fordern Dinge wie: Corona digital bekämpfen. ({4}) – Ja, dann schauen Sie sich es doch mal an. Genau in den Anträgen steht das drin. Sie haben drei Anträge. Sie sollten in der Fraktion vielleicht mal miteinander sprechen. Insofern ist das echt putzig: Sie fordern heute das Gegenteil dessen, was Sie gestern im Ausschuss für Gesundheit gefordert haben. ({5}) – Ich zitiere mal. Da schreiben Sie zum Beispiel, Digitalisierung sei ein gutes Instrument. Digitale Innovationspotenziale müssten ausgeschöpft werden, auch durch Apps. ({6}) Digitale Lösungen via Smartphone könnten besonders in der aktuellen Lage schnell für Entlastung sorgen. Das heißt, im Gesundheitsausschuss präsentieren Sie sich als die großen Digitalpolitiker; Sie präsentieren sich als die Innovationsgeister des Parlaments. Und dann stellen Sie sich hier im Parlament hin und schüren die Angst vor Apps: Grundrechte würden außer Kraft gesetzt, die Regierung plane eine Verschwörung. – Also, das ist nicht nur widersprüchlich. Das ist absolute Volksverdummung; das sage ich Ihnen ganz offen. ({7}) Und zur Sache. Wir werden die Diskussion über digitale Möglichkeiten, auch in Form von Apps, natürlich –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt haben Sie aber keine Zeit mehr, das auszuführen.

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– hier im Parlament führen. Ich freue mich, dass wir das vielleicht ein bisschen sachlicher und weniger angst-, sondern chancengetrieben machen werden. Das wird der Akzeptanz solcher Möglichkeiten guttun, und das tut, glaube ich, uns allen hier gut. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tino Sorge. – Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion. Herr Pilsinger, bitte. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser gemeinsamer Einsatz zeigt die ersten Erfolge. Dank der ergriffenen Maßnahmen konnten wir die Ausbreitung des Virus in den vergangenen Wochen entscheidend verlangsamen. Diesen Vorsprung dürfen wir jetzt nicht leichtfertig verspielen. ({0}) Wir befinden uns in einer Phase, in der wir unsere Wirtschaft und unser soziales Zusammenleben behutsam wieder hochfahren können. Das bedeutet nicht, dass wir sofort in unseren gewohnten Alltag zurückkehren können. Im Gegenteil: Wenn wir nun unvorsichtig werden, verspielen wir am Ende die mühsam erkämpften Fortschritte. Ganz entscheidend für das weitere Vorgehen ist die Kapazität unserer Kliniken. Mit unseren Maßnahmen haben wir erreicht, dass jeder Coronapatient in Deutschland zu jeder Zeit bestmöglich versorgt werden konnte und versorgt werden kann, und das muss auch wirklich so bleiben. Das behutsame Hochfahren bedeutet für die Krankenhäuser: Wenn sie freie Kapazitäten haben, sollen sie die geplanten Operationen und Behandlungen auch wieder durchführen können. An dieser Stelle möchte ich mich daher ausdrücklich beim Gesundheitsminister dafür bedanken, dass er bereits mit Hochdruck an einem Konzept für einen neuen Alltag in den Kliniken arbeitet. ({1}) Um die Kliniken bei der Bewältigung ihrer Aufgaben bestmöglich zu unterstützen, denken wir jetzt auch über neue Wege zur Nachverfolgung von Infektionsketten nach. Künftig sollen unsere zahlreichen engagierten Containment Scouts in den Gesundheitsämtern dabei Hilfe von einer App bekommen. Eine solche App könnte ein entscheidendes Element unserer künftigen Strategie zur Bekämpfung des Virus werden. Das wird sie aber nur dann, wenn möglichst viele mitmachen. Und ich betone an dieser Stelle ausdrücklich: Die Nutzung der App ist freiwillig, und sie wird auch freiwillig bleiben! Die Daten der Nutzer sollen dabei stets dezentral auf den Geräten gespeichert werden, damit sie besser vor dem Zugriff von außen geschützt bleiben. Eine Aufzeichnung oder Auswertung von GPS-Standortdaten findet nicht statt; auch die Funktionsweise der App soll für alle nachvollziehbar sein. Nur wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern jetzt vermitteln können, dass die Nutzung einer solchen App sicher ist, werden wir auch eine ausreichende Verbreitung erreichen können. Unbegründete Panikmache, wie Sie das hier in Ihrem Antrag versuchen, ist eindeutig fehl am Platz und schreckt die Menschen unnötig ab. Je mehr wir alle künftig von solchen Technologien Gebrauch machen, desto mehr Menschen können wir schützen, desto schneller können wir in unseren gewohnten Alltag zurückkehren. Und diese Ziele, meine Damen und Herren, können wir hier, denke ich, alle unterstützen. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Stephan Pilsinger. – Damit schließe ich die Aussprache.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein leistungsstarkes, ein belastbares Gesundheitswesen ist entscheidend in einer Lage wie dieser. Ein solches Gesundheitswesen, leistungsstark und belastbar, ist ein Stabilitätsanker eines funktionierenden Staates. Und dieses Gesundheitswesen in dieser Lage und ganz generell weiter zu stärken, ist unser Ziel, auch das Ziel dieses Gesetzentwurfs. Es geht um eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, vor allem der Behörden vor Ort, in den Landkreisen und kreisfreien Städten, aber auch beim Robert-Koch-Institut. Dort ist eine personelle Stärkung vorgesehen. Darüber hinaus sind klare Ansprechpartner für die Kommunen vorgesehen. Gerade auch im Hinblick auf die gestrige Entscheidung der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin ist die Möglichkeit zur schnellen und zügigen Nachverfolgung von Kontaktpersonen, von Infizierten und die Unterbrechung von Infektionsketten ein ganz entscheidender Punkt. Deswegen investieren wir nicht nur in die personelle Ausstattung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, sondern vor allem auch in eine technische Auf- und Ausrüstung. Dazu gehört – es ist gerade schon angesprochen worden – ein Onlinetool für die Meldewege. Weitere Investitionen in die Digitalisierung machen wir mit diesem Gesetz möglich, auch mit einem Förderprogramm. Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist ein wichtiger Pfeiler in dieser Krise, und wir wollen ihn weiter stärken. ({0}) Darüber hinaus machen wir möglich, dass mehr Tests auf das Coronavirus finanziert werden, auch von den gesetzlichen Krankenkassen. Jetzt, nachdem es uns gemeinsam gelungen ist, die Dynamik – auch bei der Zahl der Neuinfektionen – wieder in eine Entwicklung zu bringen, mit der wir im Gesundheitswesen insgesamt umgehen können, ist es wichtig, gerade auch in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen noch mehr zu testen, als es in den letzten Wochen der Fall war; denn insbesondere dort, einfach aus der Behandlungssituation heraus, bestehen hohe Infektionsrisiken. Deswegen machen wir es möglich, dass die gesetzlichen Krankenkassen präventives Testen in den Pflegeeinrichtungen, in den Krankenhäusern, auch bei der Verlegung und Aufnahme in ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung finanzieren, auch für das Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Das ist ganz, ganz wichtig, um insbesondere dort schnell und zügig nachvollziehen zu können, wenn es zu Infektionsherden kommt. Wir haben gesehen, wie brutal dieses Virus gerade in Pflegeheimen zuschlägt, weil es insbesondere für die Höchstbetagten sehr gefährlich ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Testkapazitäten nicht nur ausweiten – es sind mittlerweile bis zu 1 Million Tests in der Woche möglich –, sondern auch umfänglicher finanzieren. Auch das wollen wir mit diesem Gesetz möglich machen. ({1}) Der Einsatz vieler Millionen, die im Gesundheitswesen jeden Tag tätig sind, hat uns bis hierhin gut durch diese Krise getragen. Sie haben unter erschwerten Bedingungen gepflegt, geheilt, behandelt. Das gilt besonders auch in der Altenpflege: ambulant und stationär. Dort kam es aufgrund von Stress zu sehr schwierigen, auch persönlich schwierigen Situationen. Es gab die Besuchsverbote, die vor allem zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner notwendig waren und jetzt zum Teil gelockert werden. Diese Verbote sind aber auch hart, wenn es nicht möglich ist, den eigenen Partner, die Partnerin, die Verwandten, die Familie, die Freunde zu sehen und zu besuchen. Dadurch entstehen auch emotional schwierige Situationen, die über die generellen Herausforderungen, in der Pflege zu arbeiten, hinausgehen. Deswegen ist mir wichtig, dass wir mit diesem Gesetz auch über eine Prämie in der Altenpflege für diejenigen, die ambulant und stationär in Pflegeeinrichtungen tätig sind – beispielsweise Pflegefachkräfte –, von 1 000 Euro entscheiden, finanziert von den Pflegekassen. Einige Bundesländer haben schon gesagt und beschlossen, dass sie das auf die maximal möglichen 1 500 Euro aufstocken. Diese Prämie ist in diesem Jahr steuer- und abgabenfrei. Der Applaus ist wichtig, die Anerkennung ist wichtig, aber auch die finanzielle Anerkennung ist wichtig, und die stellen wir mit diesem Gesetz sicher. ({2}) Auch das will ich erwähnen: Aufgrund unseres Gesundheitswesens, aufgrund der guten Situation, in der wir uns befinden, ist es uns auch möglich, zu helfen. Es konnten viele Patienten aus Nachbarländern in Deutschland behandelt, auf der Intensivstation beatmet werden. Es ist aus meiner Sicht selbstverständlich, dass wir hierfür auch die Kosten übernehmen, dass wir natürlich solidarisch sind. Diese Selbstverständlichkeit setzen wir mit diesem Gesetz um: Der Bund übernimmt in dieser konkreten Lage die Kosten für die Behandlung von Patienten aus dem Ausland mit Covid-19. Ich finde, das ist auch ein wichtiges Signal europäischer Solidarität in dieser Zeit. ({3}) Deswegen beginnen jetzt die Beratungen zu diesem Gesetz. Abschließend noch mal grundsätzlich: Debatten wie die, die vorher geführt wurde, und die, die wir jetzt führen, sind wichtig. Wir können sie auch kontrovers führen; denn es geht ja um was. Es geht um was im Grundsätzlichen. Ja, es sind die größten Freiheitseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik, die notwendig waren und die auch eine hohe Akzeptanz erfahren haben. Aber es geht natürlich auch immer um die richtige Balance von öffentlichem Leben, Gesundheitsschutz, Wirtschaft, den Interessen des Einzelnen und den Interessen der Gesellschaft, der Mitbürger. Und es geht am Ende um Konkretes wie in diesem Gesetzentwurf. All das verdient und braucht eine grundsätzliche und, ja, auch eine kontroverse Debatte; die gehört natürlich dazu. Ich finde nur wichtig, dass wir diese Debatten auch in ihren Unterschieden – denn die spüren wir ja alle – so führen, dass wir dabei versuchen, einen Kompromiss zu finden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Spahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Manuela Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Klar, gerne.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Rottmann, bitte.

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesminister, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben erfreulicherweise gesagt: Wir brauchen Debatten. – Warum schaffen wir es dann nicht, über die Erweiterung der Befugnisse des Bundesgesundheitsministers eine gemeinsame Anhörung des Rechtsausschusses und des Gesundheitsausschusses zu veranstalten, um die staatsrechtlichen Fragen, die davon betroffen sind, die vielen verfassungsrechtlichen Einwände, die es dagegen gibt, offen zu diskutieren?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, da ich gerade als Mitglied der Bundesregierung spreche, möchte ich mich nicht in die interne Organisation des Parlamentes und die Frage, wie die Anhörungen stattfinden, einmischen. Gleichwohl habe ich, wenn ich die öffentliche Debatte und auch die Debatte hier im Parlament betrachte, den Eindruck, dass alle Aspekte zur Sprache kommen. Ich finde, wir sollten aufhören, überall den Eindruck zu erwecken, man könnte bestimmte Dinge hier nicht sagen oder bestimmte Punkte hier nicht anbringen. ({0}) Alles kann überall gesagt und angesprochen werden, ({1}) und jeder Aspekt wird in der Debatte berücksichtigt. ({2}) Das bringt mich noch einmal zu dem, was ich gerade versuchte grundsätzlich zu sagen: Es braucht nach meiner festen Überzeugung die auch kontroverse, kritische Debatte, weil es um viel geht. Die Frage ist nur, wie wir diese führen. Führen wir sie mit dem Ziel, die richtige Balance, den Ausgleich zu finden, den Kompromiss möglich zu machen und vor allem durch die gut geführte Debatte zusammenzubleiben? Oder führen wir sie mit dem Ziel – wie wir es in den letzten Tagen auch wieder erleben mussten –, zu spalten und zu polarisieren? ({3}) Das ist die entscheidende Frage in einer solchen Debatte. Wir haben in den letzten Wochen wieder ein Wirgefühl und eine Gemeinsamkeit in der Gesellschaft erlebt, die vorher über viele Monate angesichts von viel Aggressivität und Wut gar nicht mehr zu spüren waren. Wir haben zu Beginn dieser Pandemie gemerkt, was alles in diesem Land steckt, wie bereit wir sind, miteinander solidarisch zu sein und gemeinsam zu agieren. Eines wünsche ich mir bei der Debatte zu diesem Gesetz wie bei allen Debatten, die im Grundsätzlichen und im Konkreten wichtig sind: dass wir diskutieren, dass wir mit Leidenschaft diskutieren, dass wir auch kontrovers diskutieren, dass wir das aber immer mit dem Ziel tun, zusammenzubleiben – wir als Gesellschaft, wir als Nation –, um am Ende eben zu guten Ergebnissen, guten Entschlüssen und vor allem zu viel Gemeinschaft in dieser Krise zu kommen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Minister Jens Spahn. – Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion Detlev Spangenberg. ({0})

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich immer über eine Begrüßung. – Meine Damen und Herren, die Politik, die Sie zurzeit machen, vernichtet jeden Tag weitere Existenzen in Deutschland. Am 25. März 2020 wurde hier im Bundestag das erste von der Regierungskoalition eingebrachte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite abgestimmt und beschlossen. Gleichzeitig wurde somit nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes im Zusammenhang mit dem Virus SARS-CoV-2 eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt. Mit der durch den Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite wird dem Bundesministerium für Gesundheit nach dem Infektionsschutzgesetz eine hohe Anordnungs- und Verfügungsmöglichkeit eingeräumt, und das Ministerium erhält Befugnisse zur Einschränkung von zahlreichen Bürgerrechten; vor allem kann das die Reise- und Bewegungsfreiheit betreffen. Nun fehlt allerdings aus unserer Sicht eine Legaldefinition, was „eine epidemische Lage von nationaler Tragweite“ eigentlich genau ist und anhand welcher Kriterien diese festgestellt wird. Auch die Gesetzesbegründung zeigt das nicht auf. Nehmen wir einmal als Kriterien, als Maßstab zur Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, deren Vorliegen Sie ja immer behauptet haben, die Auslastung des Gesundheitssystems und die Möglichkeiten der Versorgung von Epidemieerkrankten, so können wir feststellen, dass die Aufrechterhaltung dieser epidemischen Notlage nicht mehr zu begründen ist. ({0}) Ich begründe: Eine hohe Anzahl freier Intensivbetten und die gleichzeitige Aufnahme von zahlreichen Covid-19-Intensivpatienten aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass die Notlage nicht gegeben ist. ({1}) Ebenso muss festgestellt werden, dass durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle von Mitte März bis Anfang April eine große Menge von Schutzausrüstungsgegenständen an verschiedene Länder weltweit geliefert wurde, darunter sogar nach China und an etwa weitere 20 Länder. Gleichzeitig wurde in den letzten Wochen gerade die Knappheit dieser Schutzgegenstände in Deutschland wiederum beklagt. Jetzt importieren wir Schutzausrüstungen aus China – das hatten wir ja besprochen –, zunächst mit teilweise gravierenden Qualitätsmängeln – das ist mittlerweile wohl nicht mehr der Fall; sie werden jetzt kontrolliert –, wobei wir aber nicht vergessen sollten, meine Damen und Herren, dass die Abhängigkeit von China uns gerade in dieser Situation in eine schwierige Lage gebracht hat. Nicht nachvollziehbar ist, dass heimischen Produzenten, die Mund-und-Nase-Schutzmasken herstellen wollten – das hatten wir ja auch gefordert –, hingegen Absagen erteilt wurden; Artikel aus der „Welt“ vom 24. April. Weiterhin werden Schutzgegenstände in hoher Zahl exportiert wie Mund-und-Nase-Schutzausrüstungen usw. Und wir haben seit Wochen immer mehr als 12 000 freie Intensivbetten; in einigen Krankenhäusern wurde Kurzarbeit eingeführt. Die Zahl der Covid-19-Erkrankten und der Neuerkrankungen sowie die Letalität durch Covid-19 geben keinen Anlass, die Feststellung einer epidemischen Notlage weiterhin aufrechtzuerhalten, meine Damen und Herren. ({2}) – Nun hören Sie doch erst einmal zu! Sie regen sich doch dann anschließend viel besser auf. ({3}) Am 17. April hat der Bundesgesundheitsminister auf einer Pressekonferenz erklärt, dass das Wachstum der Neuinfektionen nun linear und der Ausbruch inzwischen beherrschbar sei. Wir beantragen hiermit, meine Damen und Herren, dass der Deutsche Bundestag feststellt, dass nach § 5 Absatz 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes die Voraussetzungen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht mehr vorliegen. ({4}) Der Deutsche Bundestag hebt nach Maßgabe des § 5 Absatz 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder auf. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, die Einschränkungen der Grund- und Bürgerrechte und weitere einschränkende Maßnahmen, die auf § 5 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes basieren, sofort zu beenden. Meine Damen und Herren, in der letzten Zeit hatte man den Eindruck, dass die Bundesregierung die Gewaltenteilung als lästiges Beiwerk ansieht. Beispiel: Kanzleramtschef Braun – „Welt am Sonntag“ vom 3. Mai 2020 – beklagte jüngst öffentlich die Entscheidung einzelner Gerichte, welche die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Virus aufgehoben haben. Meine Damen und Herren, kritisiert ein Minister – das sollte uns eigentlich zu denken geben – öffentlich Gerichte für Entscheidungen, ({5}) weil diese den Wünschen der Regierung zuwiderlaufen, sollte uns das wirklich alarmieren, denke ich. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, ({6}) ebenso wie über Denk- und Redeverbote, die die Kanzlerin gerne erteilen möchte. Ihr Begriff „Öffnungsdiskussionsorgien“ – der soll ja gefallen sein – spricht, denke ich, für sich. Würden die Bundesländer hier nicht mit großen Schritten vorangehen, kämen überhaupt keine Lockerungen zustande und Erleichterungen für die Bürger somit auch nicht. Meine Damen und Herren, die – teils mit Polizeigewalt aufgelösten – stattfindenden friedlichen Demonstrationen von Bürgern, die sich mit Freiheits- und Grundrechtseinschränkungen und überzogenen Maßnahmen nicht abfinden wollen, bringen logischerweise Widerstand und organisierte Opposition hervor. Das ist nun einmal ein Prinzip der Demokratie, mit dem Sie ja sowieso Probleme haben, schon immer. ({7}) Sie haben ein Problem mit der Demokratie, aber Sie müssen das erdulden. Wir sind nun einmal ein demokratischer Rechtsstaat. ({8}) Nun stellt die Regierungskoalition ein Zweites Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vor. Darin sind zahlreiche Maßnahmen bzw. Gesetzesänderungen geplant. Jetzt wird es interessant, meine Damen und Herren. Besonders umstritten ist der bekanntermaßen mittlerweile zweifache Versuch, einen Immunitätsnachweis und damit eine gesetzliche Ungleichbehandlung und folglich quasi eine indirekte Nötigung, sich impfen zu lassen – um keinen Nachteil zu erfahren –, einzuführen. Das haben Sie wieder zurückgenommen. Ich weiß, aber Sie haben es versucht. Zweimal haben Sie versucht, über einen Umweg diese Nötigung durchzuführen. ({9}) Nun hat die Koalition dies offensichtlich unter erheblichem Widerstand zurückgenommen. ({10}) – Gut. Ihren Mist kann ich auch nicht mehr hören, den Sie immer erzählen; das sage ich Ihnen ganz ehrlich, Herr Sorge. Nicht nachvollziehbar ist, dass der Bund die Kosten für europäische Intensivpatienten, die in deutschen Krankenhäusern wegen mangelnder Kapazität im Heimatland behandelt werden, übernehmen sollen. Meine Damen und Herren, dass wir anderen Ländern in Notlagen helfen, ist gar keine Frage. Wenn es um Leben, Tod und Gesundheit geht, wird geholfen. Da brauchen wir von Ihnen keine Belehrungen. Aber weshalb sollen diese Länder diese Behandlung nicht als Kredit bekommen und anschließend bezahlen? Unsere eigenen Wirtschaftsunternehmen, die pleitegehen werden, sollen Kredite aufnehmen und andere Länder sind nicht in der Lage, diese Kosten irgendwann zurückzuerstatten? Vermitteln Sie das einmal dem deutschen Steuerzahler. Das ist eine Unverschämtheit den eigenen Bürgern gegenüber, meine Damen und Herren. ({11}) Der deutsche Beitrag des Steuerzahlers soll wieder das tragen, was Sie als Almosen geben. Machen Sie das mit Ihrer eigenen Kasse! Schon im ersten Entwurf zum Bevölkerungsschutzgesetz ist der Versuch enthalten, dass die Bundesregierung selbst die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite treffen kann – ohne Bundestag und ohne Bundesrat. Das war der erste Versuch.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Spangenberg, Ihre Redezeit ist vorbei. ({0})

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, gut. Vielen Dank. – Letzter Satz: Meine Damen und Herren, Grundrechtseinschränkungen wird es mit der AfD niemals geben; dagegen werden wir uns immer wehren, auch wenn Sie es hier ständig versuchen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Bärbel Bas. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, alle haben den Wunsch, wieder Schritt für Schritt in eine normalere Lebenssituation zurückzukehren. Gestern haben Bund und Länder weitreichende Entscheidungen, wie ich finde, getroffen. Das muss man hier noch einmal ansprechen, weil jetzt sehr viel Verantwortung auf die Länder zurückgeht. Und wir haben eine Zahl festgelegt, wie ich den Medien entnehmen konnte, dass man an sieben Tagen in Folge nicht mehr als 50 Infizierte pro 100 000 Einwohnern haben darf; ich glaube, ich habe das richtig referiert. Wie es gelingen soll, diese Verantwortung wahrzunehmen, steht in diesem Entwurf. Deshalb ist es wichtig, dass wir mehr testen; denn ich kann diese Zahl nur kontrollieren, wenn ich diese Testmöglichkeiten habe. Mit diesem Gesetz erweitern wir die Testmöglichkeiten. Man kann sich natürlich über die Finanzierung streiten. Ein Stück der Verantwortung, die andere haben, wenn es um Seuchenbekämpfung und um Testkapazitäten geht, allein der gesetzlichen Krankenversicherung aufzubürden, kann man machen. Aber ich glaube, wir müssen uns langfristig mit dieser Finanzierungsfrage noch einmal auseinandersetzen. ({0}) Aber wichtig ist, dass wir viel testen. Das will ich explizit sagen; das hat der Minister auch gesagt. Es ist sehr wichtig, sonst kann ich die Verantwortung nicht wahrnehmen. Es ist auch doppelt wichtig, weil die Verantwortung jetzt bei den Kommunen und ihrem Öffentlichen Gesundheitsdienst, bei den Gesundheitsämtern liegt. Ich muss auch sagen: Wir sind noch lange nicht so weit, dass sie so gut ausgestattet sind, um genau diese Verantwortung wahrzunehmen. Auch das haben wir in diesem Gesetz jetzt verankert. Es ist wichtig, dass das kommt. Deshalb sind die Schritte sowohl der Digitalisierung als auch der Personalausstattung sehr, sehr wichtig. Ich hätte mir gewünscht – das ist meine persönliche Auffassung, das muss man nicht teilen –, dass die Länder diesen Zeitpunkt vielleicht noch abgewartet hätten, weil das wahrscheinlich erst zum 15. Juni in Kraft tritt. Dann hätten wir die Voraussetzung geschaffen, übrigens neben einer App, die neben allen Maßnahmen, die wir bis jetzt gemacht haben, auch wichtig ist. Sie wird hoffentlich bald kommen, und zwar mit den Voraussetzungen, wie wir sie für richtig halten. Nur im Konzert dieser Maßnahmen können wir die Infektionszahlen so gering halten, wie wir sie jetzt auch haben. Dann sind wir weiterhin ein gutes Beispiel für die Welt – das sage ich einmal –, was den Umgang mit der Pandemie angeht. ({1}) Manchmal ist es schon interessant, dass mehr über Dinge gesprochen wird, die gar nicht im Gesetz stehen. Aber das muss möglicherweise in den Debatten sein; denn das zeigt ja auch, dass wir kontrovers diskutieren. Dass wir, solange wir keinen Impfstoff, kein Medikament haben und auch nicht sicher wissen, wie lange und inwieweit man immun ist, diese Passagen auch mit Zustimmung des Ministers und des Koalitionspartners noch einmal herausgenommen haben, hat, glaube ich, die Debatte und vor allen Dingen diesen Gesetzentwurf – das, was dort bezüglich der neuen Meldepflichten usw. enthalten ist, ist sehr wichtig – dann auch nicht belastet. Der Ethikrat hat jetzt auch die Zeit, darüber zu reden; denn es ist schon entscheidend, wie wir mit diesem Thema in Zukunft umgehen. Ich will noch sagen, was uns in diesem Entwurf fehlt, aber wir haben ja noch Zeit in diesem Verfahren, den Blick vielleicht noch darauf zu lenken. Wir haben in den letzten Tagen viel über Familien gesprochen, über Kinder und die Belastungen, wenn sie nicht zur Schule oder in den Kindergarten gehen können. Ich will mein Augenmerk noch einmal darauf lenken, dass wir viele Schutzschirme beschlossen haben. Seit dieser Woche ist auch der Schutzschirm für die Heilmittelerbringer, für das Müttergenesungswerk in Kraft getreten. Ich bin sehr dankbar, dass der Minister das aufgenommen hat und wir das auch geschafft haben. Das war ein wichtiger Schritt für die, die das betrifft. ({2}) Was uns allerdings noch fehlt, ist, den Blick insbesondere auf die Familien mit behinderten erwachsenen Menschen zu werfen. Hier ist jetzt ein Hilfesystem weggebrochen ist. Wir haben die medizinischen Behandlungszentren noch nicht im Schutzschirm und haben die Sorge, dass möglicherweise bei ambulanten Rehadiensten – wir haben uns sehr stark auf das Stationäre konzentriert – noch ein Stück Hilfe fehlt. Das würden wir als Sozialdemokraten auch noch in die Diskussion einbringen. Vielleicht finden wir an dieser Stelle noch eine Lösung, uns auf diese Bereiche zu konzentrieren, um am Ende ein Gesamtpaket zu haben, das wir auf den Weg bringen werden, und die dafür sorgt, dass die Existenz gerade dieser wichtigen medizinischen Behandlungszentren nicht aus dem Blick gerät. Insofern wünsche ich uns gute Beratungen zu diesem Gesetz. Es ist ein wichtiges Gesetz. Es wird die Länder und auch die Kommunen dabei unterstützen, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Ich freue mich auf die Beratungen in den weiteren Tagen. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bärbel Bas. – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Andrew Ullmann. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich freue mich übrigens, dass wir heute schon wieder zusammenkommen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Man freut sich in diesen Tagen, weil man sich leibhaftig sieht.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, genau. Das ist etwas Tolles. Das macht manchmal mehr Spaß als digital. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Coronapandemie ist nicht die letzte Pandemie der Menschheitsgeschichte. Die Vorbereitung auf die nächste Pandemie muss bereits jetzt begonnen werden. Was hier von der GroKo angeboten wird, ist in Teilen richtig, aber auch Magerkost. Es wird Zeit, dass Sie als Bundesregierung nachhaltig agieren, statt hektisch auf die Pandemie zu reagieren. Wir müssen unsere Lehren aus der Covid-19-Pandemie ziehen und national und international endlich Schritte unternehmen, um uns besser auf die nächste Pandemie vorzubereiten. ({0}) Experten warnen bereits jetzt vor neuen Seuchen, die sich aufgrund der Globalisierung und des Klimawandels ausbreiten. Bereits vor der Coronapandemie hätten Schritte unternommen werden können. Ich verweise ganz gerne auf die Studie der Bundesregierung aus dem Jahre 2012 und die Warnung des GPMB aus dem letzten Jahr. Doch was unternimmt die Bundesregierung? Wir haben jetzt ein Gesetzeskonvolut. ({1}) – Entschuldigung bitte, das war von unserem Ministerium. Wir waren dann aber nicht mehr im Bundestag. Wenn Sie aber eine Frage dazu stellen möchten, gern; ich beantworte sie. ({2}) Vier Punkte möchte ich hier gerne kritisch aufzeigen. Erstens. Es ist nach wie vor unklar, warum an der Verordnungsermächtigung, also Ad-hoc-Regelungen, ohne parlamentarische Beteiligung festgehalten wird. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig. Deshalb fordere ich Sie auf: Kommen Sie zurück zu einem ordnungsgemäßen parlamentarischen Verfahren! Wir als Opposition würden Sie gern wieder als Regierung und als BMG an den Bundestag fesseln. ({3}) Zweitens. Pseudonymisierte Meldungen über Verdachtsfälle, die an das RKI weitergeleitet werden, können Rückschlüsse durchaus auf konkrete Personen zulassen, die nicht mit SARS-CoV-2 infiziert sind. Diese Art der Datenweitergabe zeigt erneut massive Einschnitte bei den Grundrechten. Und sorry: So kann es nicht gehen. ({4}) Auch wenn Sie, Herr Spahn, die Immunitätsnachweisthematik jetzt herausgenommen haben, ist es nicht ausgeschlossen, dass Ihre unzureichende Forderung zu einem späteren Zeitpunkt aus der Versenkung kommen wird. Davor wollte ich gern an dieser Stelle warnen. Das ist jetzt nicht Thema, aber es ist hier herausgenommen worden. Drittens: massenhafte Tests von asymptomatischen Menschen in unserem Land. Als Wissenschaftler finde ich das durchaus interessant. Aber das ist nicht umsonst möglich. Die Kosten sind immens. Eine massive Kostenausweitung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist zu erwarten, und das darf nicht auf dem Rücken der Beitragszahler erfolgen. Das wäre nicht richtig. Denn das kann man anders gestalten. Mit unserem Antrag haben wir den Vorschlag von repräsentativen Antikörpertests und der Auswertung von Obduktionen eingebracht. Dies wäre zielführender und effizienter. ({5}) Viertens. Sie haben gerade auch gesagt, der Öffentliche Gesundheitsdienst soll ausgeweitet und gestärkt werden. Das begrüßen wir ausdrücklich. Aber das darf nicht einseitig zulasten des Bundes gehen. Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist Ländersache, und die Länder machen sich wieder einmal einen schlanken Fuß, ähnlich wie es beim Krankenhausentlastungsgesetz war. So kann es nicht weitergehen. ({6}) Es wird Zeit, in Deutschland bei der Pandemiebekämpfung vom Reagieren zum Agieren überzugehen, unter Zuhilfenahme der Wissenschaft und ohne Verschwörungstheoretiker. Grundrechtseinschränkungen, die übrigens ohne Evidenz nur gefühlt richtig sind, sind zurückzunehmen. Wir brauchen eine gute und selbstbewusste Fehlerkultur. Die Vorbereitung auf die nächste Pandemie muss bereits jetzt beginnen. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht und werden uns hoffentlich auch konstruktiv in den Auseinandersetzungen im Ausschuss einbringen können; vielleicht kann man auch etwas von uns übernehmen. Denn wir müssen multilaterale Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation stärken und bestehende Mechanismen effizienter ausgestalten. Nationale Herausforderungen müssen jetzt angegangen werden. Das globale und das nationale Gesundheitssystem müssen auf eine mögliche zweite Welle und kommende Pandemien vorbereitet sein. Dazu brauchen wir ein klares Bekenntnis zu Demokratie, Wissenschaft und Freiheit.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das war es?

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wunderbar. Gutes Zusammenspiel. – Vielen Dank, Dr. Ullmann. ({0}) – Was hat er gesagt? ({1}) Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Achim Kessler. ({2})

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon absurd, wie sich die AfD hier als Vorkämpferin der Freiheitsrechte geriert und gleichzeitig immer genau die Länder, die besonders repressiv vorgehen – Singapur, Taiwan –, als Vorbild hinstellt. Ich finde, meine Damen und Herren, das sollten wir schon gemeinsam zurückweisen. ({0}) Aber zum Thema: Herr Minister Spahn, selbst in einer so schlimmen Krise wie jetzt sind Sie nicht bereit, die grundlegenden Probleme anzugehen, die besonders jetzt in der Krise mit deutlicher Schärfe hervortreten. Die Finanzierung der Krankenhäuser durch Fallpauschalen führt zu einem enormen Kostendruck. Es ist genau dieser Kostendruck, der zum Pflegenotstand führt, der jetzt die Arbeit in den Krankenhäusern so schwer macht. Aber auch die fehlenden Labor- und Bettenkapazitäten, die fehlenden Vorräte an medizinischem Schutzmaterial sind Folge genau dieses Kostendrucks. ({1}) Denn Kapazitäten, die nicht unmittelbar zu Gewinn führen, sind in unserem Gesundheitssystem von der Logik her ein Wettbewerbsnachteil. Es ist unverantwortlich, dass Sie selbst in der Krise diese Politik fortsetzen. ({2}) Meine Damen und Herren, es ist der blanke Hohn, dass Sie Pflegekräfte in der Altenpflege mit einer Einmalzahlung von 1 500 Euro abspeisen wollen, und selbst darüber wird seit Wochen noch gefeilscht wie auf einem Basar. Gleichzeitig lassen Sie Unternehmen fröhlich weiterhin Boni mit Staatshilfe an Manager auszahlen. Statt einer Einmalzahlung brauchen wir dauerhaft attraktive Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. ({3}) Deshalb fordert die Linke 500 Euro monatlich mehr, und zwar für alle, die in den Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen, aber auch in der ambulanten Pflege für uns schuften. ({4}) Wir müssen gerade in der Pflege die Menschen unterstützen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht. Ich werbe sehr dafür: Unterstützen Sie bitte diesen Antrag! Es darf auf keinen Fall sein, dass die Coronaprämien von den Menschen mit Pflegebedarf auch noch selbst bezahlt werden müssen; denn die Eigenbeteiligungen sind schon viel zu hoch. Wir sagen: Die Kosten der Krise dürfen nicht auf die Versicherten abgewälzt werden. ({5}) Steigende Kassenbeiträge und Eigenanteile als Folgen der Krise lehnt die Linke strikt ab. ({6}) Herr Spahn, Sie reden jetzt davon, dass die Krankenhäuser wieder in den Normalbetrieb zurückkehren sollen, mit Zwölfstundenschichten im Normalbetrieb wohlgemerkt. Das ist verantwortungslos gegenüber den Patientinnen und Patienten, und das ist auch verantwortungslos gegenüber den Kolleginnen und Kollegen. Meine Damen und Herren, so geht man nicht mit Menschen um, die nicht nur jetzt in der Krise, sondern immer im Alltag ihr Äußerstes für unsere Gesundheit geben. ({7}) Einige Krankenhäuser werden durch die Krise Gewinn machen, andere werden in tiefrote Zahlen rutschen und machen jetzt schon Kurzarbeit. Unsere Krankenhäuser brauchen jetzt einen wirklichen Schutzschirm. Für einen begrenzten Krisenzeitraum müssen ihnen die gesamten Kosten erstattet werden, sodass sie aus der Pandemie ohne finanzielles Fiasko herauskommen. Das heißt, die Fallpauschalen müssen jetzt sofort ausgesetzt werden. Wir müssen zurück zur selbstkostendeckenden Finanzierung der Krankenhäuser. Wir brauchen endlich eine bedarfsgerechte und vor allem auch transparente Krankenhausplanung. Außerdem brauchen wir gesetzliche Personalschlüssel, die dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und die Spielräume für Not- und Krisensituationen beinhalten. Aber vor allem, meine Damen und Herren: Unsere Krankenhäuser müssen zurück in die öffentliche Hand. ({8}) Aber die Folgen unseres profitgetriebenen Gesundheitssystems zeigen sich auch noch an anderer Stelle – das geben Sie auch selber zu –: ({9}) In der Coronakrise geraten noch mehr Privatversicherte als sowieso schon in Zahlungsschwierigkeiten, und die rutschen dann automatisch in den Basistarif und haben dann eine viel, viel schlechtere Versorgung als die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn sich ihre finanzielle Lage gebessert hat – so sieht es Ihr Gesetzentwurf vor –, sollen sie wieder unproblematisch in ihren Ursprungstarif zurückkehren können. Meine Damen und Herren, das unterstützen wir. Aber ich frage Sie: Was wird denn aus den kleinen Selbstständigen – den Friseurinnen und Friseuren, den Bäckerinnen und Bäckern –, wenn sie sich nach der Krise finanziell nicht erholen?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Dr. Ullmann?

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gerne.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kessler, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben ja gerade ziemliches Bashing auf unser Krankenhauswesen in Deutschland gemacht. Befürworten Sie als Linke ein staatliches medizinisches System, wie wir es auch von England her kennen?

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist gar nicht die Frage, die hier zur Debatte steht. ({0}) – Möchten Sie eine Antwort hören, oder nicht?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Moment! Jetzt darf er erst einmal antworten. ({0}) – Nein. Jetzt antwortet Dr. Kessler.

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Also, das ist gar nicht die Frage, die zur Debatte steht. Ich habe mich auch gar nicht dafür ausgesprochen. Es geht darum, jetzt in der Krise genau hinzugucken, wo die Probleme sind und woher sie kommen. Und dann müssen Sie einfach einmal von Ihrem ideologischen Irrglauben ablassen, ({0}) dass über Wettbewerb und Markt alles geregelt werden kann. ({1}) Denn wir erleben im Moment das genaue Gegenteil. Gehen Sie doch einmal in die Krankenhäuser, und schauen Sie sich an, unter welchen Bedingungen gearbeitet werden muss, weil am Personal gespart werden muss, um die Gewinne zu erhöhen! ({2}) Schauen Sie es sich doch einmal persönlich an! ({3}) Aber ich würde jetzt gerne mit meiner Rede fortfahren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja. Das hätte ich Ihnen jetzt auch empfohlen. Weiter geht’s!

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Was – das habe ich gerade gefragt – wird aus den kleinen Selbstständigen, wenn sie sich nach der Krise nicht erholt haben? Was wird aus den Rentnerinnen und Rentnern, die uns allen Briefe schreiben, weil sie im Alter die steigenden Kosten ihrer Privatversicherung nicht mehr bezahlen können? ({0}) Geben Sie es doch endlich zu, Herr Ullmann und auch alle anderen, die das unterstützen: Die private Krankenversicherung ist ein Holzweg. Sie dient im Zweifel den Interessen der Versicherungskonzerne und eben nicht denen der Versicherten. ({1}) Deshalb muss die private Krankenversicherung abgeschafft werden. Wir brauchen eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung, in der alle Menschen in Deutschland Mitglied werden, in die alle einzahlen, in der aber auch alle – das ist das Entscheidende – denselben umfassenden Versicherungsschutz haben. ({2}) Herr Minister, für brandgefährlich halte ich Ihren Vorschlag eines Immunitätsausweises. Es hilft Ihnen jetzt auch nichts, sich hinter dem Ethikrat zu verstecken. Die Einführung eines Immunitätsausweises konterkariert nämlich Ihre eigene Strategie der Pandemiebekämpfung. Denn Ihr Vorschlag wäre zum Beispiel mit dem Privileg verbunden, sich ungehindert im öffentlichen Raum bewegen zu können. Dadurch würde ein starker Anreiz gesetzt, dass Menschen mit einem geringen Risiko sich absichtlich infizieren. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir die ganze Zeit erreichen wollen. Letztendlich würde das auf eine Diskriminierung und Stigmatisierung derjenigen hinauslaufen, die noch nicht an Corona erkrankt sind. Ich bin sehr froh, dass dieser Vorschlag vorläufig vom Tisch ist. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Kritik von links wirkt. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. Trotz unserer Kritik enthält das Gesetz, Herr Minister Spahn, manche richtige Einzelmaßnahme. Aber die Maßnahmen werden leider nicht zum Erfolg führen, weil Sie selbst in der Krise nicht bereit sind, von Ihrem irrationalen Glauben an die Steuerung sozialer Systeme durch Markt und Wettbewerb abzulassen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Kessler. ({0}) So, jetzt ist es spannend. ({1}) – Jetzt geht es weiter in der Debatte. Können wir mal wieder ein bisschen runtercoolen? ({2}) – Jan Korte, das ist schlecht für den Blutdruck. Nächste Rednerin in der Debatte: Maria Klein-Schmeink für Bündnis 90/Die Grünen. ({3})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Hause! Wenn man jetzt so die Stimmung hier erlebt, könnte man den Eindruck haben, wir würden am Ende einer Pandemie sein. Wir sind nicht am Ende dieser Pandemie, sondern wir haben es geschafft – sehr erfolgreich –, die Pandemie zu begrenzen. Und das sollten wir in jedem Moment, immer wieder ernst nehmen. Es geht nicht darum, dass wir tatsächlich von einer grundsätzlichen Lockerung ausgehen können. Wir können nicht davon ausgehen, dass es zu keinen zusätzlichen Infektionen kommt, und wir müssen damit rechnen, dass auch in den nächsten Wochen noch sehr viele Menschen versterben werden. Und das, bitte schön, darf bei aller Grundsatzdiskussion, die hier gerade anfing, sich zu entfalten, nicht vergessen werden. ({0}) Wir müssen uns den konkreten Problemen an dieser Stelle stellen. Und es wäre fatal, wenn wir davon ausgingen, dass die Gefahren der Pandemie nicht mehr bestehen. Das muss an jeder Stelle immer wieder klargemacht werden. Mit diesem gemeinsamen Verständnis haben wir genau das geschafft, was wir bisher geschafft haben; aber es steht auch schnell wieder auf dem Spiel, und das sollte in dieser Debatte keiner vergessen. ({1}) Da hat der Zusammenhalt eine ganz große Rolle gespielt, aber auch das Vertrauen und die Akzeptanz und die Nachvollziehbarkeit der Maßnahmen, die wir getroffen haben – trotz des Geredes der AfD, der es erst nicht weit genug gehen konnte und die jetzt darüber klagt, ({2}) dass Grundrechte eingeschränkt würden. Genau dieses Spiel dürfen wir nicht mitmachen, sondern es muss darum gehen, dass wir gemeinschaftlich durch diese Krise gehen und darauf achten, damit umgehen zu können. Herr Minister, leider muss ich sagen – bei all dem, was vorher auch gut gelaufen ist –: Sie haben das Vertrauen mit der überstürzten Debatte um den Immunitätsausweis beschädigt – ganz klar – ({3}) und damit leider auch verschiedenste andere Debatten befördert. Hinzu kommt: Mit dem jetzt vorliegenden Gesetz werden zwar einige wichtige Dinge angegangen; aber sie sind – erstens – in vielen Teilen nicht nachhaltig, und sie reichen – zweitens – auch nicht. Das muss man ganz klar sagen. Kommen wir zur Pflegeprämie. Es sind nicht nur die Pflegekräfte in den Altenheimen, die eine Prämie verdient haben, sondern alle diejenigen im Gesundheitswesen und auch in der Behindertenhilfe, die sich besonderen Risiken aussetzen mussten, besondere Belastungen gestemmt haben und das auch noch weiterhin tun. Und deshalb darf es nicht nur um eine Pflegeprämie für die Altenpflege gehen. Vielmehr sind alle, die diese besonderen Belastungen zu stemmen hatten, einzubeziehen. ({4}) Es ist kleinlich, dass wir vier Wochen darüber reden mussten, ob die Prämie finanziert wird oder nicht, und jetzt bei 500 Euro von den 1 500 Euro immer noch fraglich ist, ob sie denn gezahlt werden oder nicht, und nicht geklärt ist, ob die Pflegebedürftigen am Ende die Zeche mitbezahlen müssen. Das ist kleinlich; das ist halbherzig. Und wenn ich mir die Versprechungen aus dem Autogipfel angucke, dann muss ich sagen: Es fehlt ein Pflegegipfel, der endlich für klare Verhältnisse sorgt. ({5}) Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass die Pflegekräfte mit dieser Prämie abgespeist werden und der versprochene und längst überfällige allgemeinverbindliche Tarif für die Altenpflege nicht kommt. Das sind die Aufgaben, die zu lösen sind, und sie sind im Zusammenspiel mit einer Reform der Pflegeversicherung zu lösen; denn es kann nicht angehen, dass die dringend nötigen Verbesserungen in der Pflege ausschließlich von den Pflegebedürftigen bezahlt werden. ({6}) Das Nächste: der Schutzschirm. Er ist in der Tat löcherig geblieben. Ich bin froh, dass Frau Bas angekündigt hat, dass wir die Menschen in den Blick nehmen müssen, die in besonderer Weise mit Risiken konfrontiert sind. Gerade die Menschen mit Behinderung, die Kinder und Jugendlichen mit einer Schwerstbehinderung und deren Familien fallen bisher nicht unter diesen Schutzschirm – die entsprechenden Einrichtungen im Übrigen auch nicht –, und das halte ich für ein Unding. ({7}) Das betrifft ganz viele Institutionen und Angebote. Wir haben einen sehr umfangreichen Antrag dazu vorgelegt. Da bitte ich Sie: Nehmen Sie ihn mit in die Debatte. Es ist mehr als überfällig, diese Menschen in den Blick zu nehmen. Und es ist ein Unding, dass ausgerechnet diejenigen mit den allerhöchsten Risiken, diejenigen, die durch den Wegfall der Dienste, die sie ansonsten im Alltag unterstützen, einer enorm hohen Belastung ausgesetzt sind, alleine bleiben, gleichzeitig unsichtbar hinter ihren Wohnungsmauern sind und sich keiner um sie kümmert. Das kann nicht sein. ({8}) Nächster Punkt: Prävention. Auch da kann es doch nicht sein, dass wir die Mittel einsparen. Klar, wir brauchen andere Wege, damit Prävention und Gesundheitsförderung auch in Coronazeiten umsetzbar sind. Aber dann brauchen wir flexible, risikoangepasste Möglichkeiten, und wir brauchen nicht das Wegsparen an genau dieser Stelle. Das ist das falsche Signal. ({9}) Insgesamt wäre es auch ein falsches Signal, wenn die Ausweitung der Testungen, sofern sie denn endlich kommt, ausschließlich von den gesetzlich Versicherten zu zahlen wäre. Es geht hier nicht um symptombezogene Testungen – natürlich muss dann die GKV diese Testungen zahlen –, sondern es geht darum, durch regelmäßige, ständige Reihentestungen Arbeitsschutz zu betreiben, aber auch den besonderen Schutz von Risikogruppen zu organisieren. Das wird sehr viel Geld kosten, und das kann nicht nur der GKV übergeholfen werden, sondern das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Ich erwarte von Ihnen, dass das in diesem Gesetz nachgebessert wird. Da geht es um enorm hohe Kosten. Die können nicht einfach nur die gesetzlich Versicherten übernehmen, und die PKV ist nicht einmal dabei. ({10}) Das kann so nicht gehen. In diesem Sinne: Wir haben noch viel zu tun. Die Coronapein ist noch nicht zu Ende.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an die Redezeit.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir brauchen Zusammenhalt, nicht das Gegenteil. Wir brauchen Solidarität, nicht das Auseinanderdividieren von Menschen, die immun sind, und Menschen, die nicht immun sind. So sollte man Debatten nicht führen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink. – Der nächste Redner in der Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Georg Nüßlein. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die Vorrednerin hat selbstverständlich recht mit der Feststellung, dass noch nicht alles überstanden ist, die Pandemie nicht überwunden ist. Wir sind mittendrin. Trotzdem, glaube ich, gibt es Anlass zur Freude, nämlich festzuhalten, dass wir das Thema aktuell besser im Griff haben, als alle von uns jemals gewagt haben zu hoffen. Auch das darf man an dieser Stelle festhalten. Angesichts dessen ärgert es mich natürlich genauso wie Sie, Frau Klein-Schmeink, dass die Populisten von rechts wie von links jetzt kommen und lieber ganz was anderes diskutieren wollen. ({0}) – Seien Sie ruhig! ({1}) Sie haben doch gerade hier versucht, uns Ihr linkes Spezialprogramm zu präsentieren, bis hin zur Verstaatlichung von Krankenhäusern, anstatt sich an das Thema zu halten, über das wir hier diskutieren. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Dr. Nüßlein, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Korte?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich befürchte, dass er weiter sein Programm darstellen will. Aber bitte! ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Korte.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Unser gutes Programm will ich jetzt nicht ausführlich darstellen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nö, das würden Sie auch nicht dürfen.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielmehr will ich die Gelegenheit nutzen, genauer nachzufragen. Der Kollege Ullmann sprach mit Blick auf Großbritannien. In Zeiten der Pandemie kann man doch nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, dass die Privatisierung des Gesundheitssystems und die Kürzung von staatlichen Mitteln zu den unerträglichen Zuständen, unter denen Pflegekräfte arbeiten müssen, überhaupt erst geführt haben. Auf die Spitze getrieben wurde das Ganze in Großbritannien unter der grässlichen Margaret Thatcher und unter Tony Blair, als die staatlichen Mittel im Nationalen Gesundheitsservice kurz und klein gekürzt worden sind. Ist Ihre Auffassung allen Ernstes, dass wir weiterhin eine Marktlogik im Gesundheitssystem brauchen? Sind Sie nicht der Auffassung, dass gerade in diesen Zeiten der Markt aus dem Gesundheitssystem raus muss und dass wir eine top finanzierte staatliche Versorgung brauchen? ({0}) Ich will keine privatisierten Krankenhäuser. In der Tat will ich ein top finanziertes staatliches Gesundheitssystem und kein staatliches Gesundheitssystem wie in Großbritannien, das wegen Leuten wie Ihnen, die den Neoliberalismus und den Markt anbieten, in dem Zustand ist, in dem es ist. ({1}) – Ja, das ist die Situation. Deswegen frage ich nach. Das ist doch erlaubt. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Jan Korte. – Jetzt kommt Herr Nüßlein.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege, Sie haben ja gerade bei Ihren Ausführungen den eigenen Widerspruch selbst bemerkt. ({0}) Sie fordern hier ein staatliches Krankenhauswesen, kritisieren gleichzeitig das staatliche Krankenhauswesen in Großbritannien, bei dem es eben nicht funktioniert. ({1}) Es funktioniert deshalb nicht, Herr Kollege, weil es staatlich ist, nicht weil es am Geld mangelt. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ey, jetzt ist Herr Nüßlein dran. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der von Ihnen gescholtene Markt wird dafür Sorge tragen, dass sich die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Pflegekräfte verbessern; ({0}) denn die marktliche Situation ist momentan doch die, dass momentan diejenigen Institutionen, die Pflegekräfte anwerben wollen – – ({1}) – Jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt mal ganz im Ernst. Bei aller Erregung, die ich nachvollziehen kann, weil es ein wirklich schwieriges Thema ist: Lassen Sie bitte denjenigen, der eine Frage gestellt bekommen hat, diese auch beantworten. ({0}) Können wir das so machen? – Gut. Das ging jetzt an Herrn Dr. Kessler. – So, Herr Nüßlein, Sie sind dran. Und nebenbei: Die Antwort kann man auch ein bisschen kürzer halten.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist angenehmer, wenn man in größerer Ruhe antworten kann. ({0}) Ich sage jetzt etwas vorher – und Sie können mich daran messen –: Der Markt und die Problematik, dass wir zu wenig Pflegekräfte auf diesem Markt haben, werden dafür Sorge tragen, dass die Bezahlung besser wird, dass in der Konsequenz mehr Menschen diesen Beruf ergreifen werden und die Arbeitsbedingungen besser werden. Genau so wird es kommen. Das können Sie sich anschauen. ({1}) Nichts kann die Problematik besser lösen als der Markt; denn auch bei staatlichen Systemen, lieber Herr Kollege, sind die Mittel knapp. Wir werden in den nächsten Monaten vielfach über die Knappheit dieser Mittel nach der Krise reden und uns überlegen, wie man mit dieser Knappheit umgeht; ({2}) denn leider Gottes ist die Zeit vorbei, wo man sich alles leisten kann. Dass wir eine Steuerung in den Krankenhäusern brauchen und die Selbstkostenfinanzierung seinerzeit daran gescheitert ist, dass am Schluss die Mittel ausgegangen sind und der Arbeitsmarkt entsprechend belastet war, das wissen Sie doch selber. ({3}) Ich verstehe, dass Sie uns Ihr linkes Programm unterjubeln wollen, aber es ist nicht die Zeit und nicht die Stunde, über so etwas zu diskutieren. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So, jetzt kommen wir wieder zu Ihrer Rede.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau. – Ich bleibe bei der Linken: Ich hätte mich gefreut, wenn Sie die Prämie für Pflegekräfte gewürdigt hätten. Ich halte es für ein wichtiges Signal, dass Anerkennung nicht nur Applaus, nicht nur mündliche Wertschätzung ist, ({0}) sondern dass es auch darum geht, die Wertschätzung auch in materiellen Werten auszudrücken. Die Menschen haben die Prämie in Höhe von 1 000 Euro – ich hoffe, dass die Länder den Betrag auf 1 500 Euro aufstocken – verdient, weil die Besuchsverbote nicht nur die zu Pflegenden belasten. Die veränderte Situation, einspringen zu müssen, Menschen, die auf einem schwierigen, vielleicht auf dem letzten Weg sind, professionell begleiten zu müssen, sorgt für Anspannung. Das müssen wir anerkennen, auch finanziell. Ich hätte mich gefreut, wenn es entsprechend gewürdigt worden wäre. Nun macht das, was ich gerade beschreibe, das folgende Dilemma deutlich. Wir haben auf der einen Seite hochvulnerable, ältere Menschen, die wir vor Corona schützen müssen, und auf der anderen Seite die Vereinsamung, die durch Isolierung entsteht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle unterstreichen, dass eine der wichtigsten Lockerungen, die dieser Tage von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin beschlossen wurden, die Lockerung des Besuchsverbots ist. Das ist ganz wichtig für die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen, aber auch, meine Damen und Herren, für die Pflegekräfte. Beim Thema Lockerung ist für mich entscheidend, dass wir vorsichtig, aber zielorientiert vorangehen. Es darf nicht sein, dass die Therapie und deren Nebenwirkungen am Ende schlimmer sind als die Krankheit selbst. Das darf nicht sein. Ich weiß, dass manche auf der rechten Seite des Hauses meinen, das sei schon so. Ich weise darauf hin, dass wir als Politik eine Gesamtverantwortung wahrnehmen, die übrigens größer ist als die enge Perspektive der Virologen. Ich weise auch darauf hin, dass ich sehr wohl wahrnehme, dass draußen in der Bevölkerung die Stimmung allmählich kippt und es wichtig ist, denen, die wirtschaftlich in einer schwierigen Situation sind, Perspektiven zu bieten. Insofern freue ich mich, dass das gestern in einer sehr guten Art und Weise, wenn auch in der gebotenen Vorsicht, gelungen ist. Nun haben wir hier vielfach über etwas Bemerkenswertes diskutiert, nämlich über den Immunitätsnachweis. Darüber steht allerdings nichts im Gesetz. ({1}) Es ist komisch, dass man über etwas diskutiert, das nicht mehr im Gesetz steht. Ich sage Ihnen auch: Das ist eine Diskussion, die wir ganz anders hätten führen müssen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was machen wir in Zukunft an der Grenze oder im Altenheim? Wie dokumentieren wir, wenn wir irgendwo einreisen wollen, dass wir keine Viren tragen? Für so etwas werden wir einen Nachweis brauchen. Diesen Nachweis gibt es übrigens. Wenn Sie sich Ihren Impfpass anschauen, werden Sie überrascht feststellen, dass nicht nur die Impfungen eingetragen sind – die Coronaimpfung gibt es übrigens noch gar nicht –, sondern dass auch Antikörpertests darin vermerkt werden können. ({2}) Wenn die Wissenschaft die Grundlage dafür liefert, dass sie sagt: „Wer Antikörper trägt, ist für einen bestimmten Zeitraum immun“, wird sich derjenige anders bewegen können in Europa und über Europa hinaus als derjenige, der das nicht dokumentieren kann und für diesen Zweck einen aktuellen Test mitführen wird. Das ist die Realität an dieser Stelle. ({3}) – Dafür brauchen wir keinen Staat; das mag sein. Die Diskussion, die wir geführt haben, hat mich insbesondere deshalb geärgert, weil man gesehen hat, wie das jetzt wieder läuft. Die Impfgegner, die Verschwörungstheoretiker und diejenigen, die ein bisschen politisches Kapital aus der Geschichte schlagen wollen, tun sich zusammen und behaupten allen Ernstes, wir würden eine Impfpflicht verordnen. Als ob jemand eine Impfpflicht verordnen würde, wenn es noch gar keinen Impfstoff gibt. Das ist widersinnig. ({4}) Sie unterschätzen auf der einen Seite die Intelligenz der Regierung. Auf der anderen Seite spielen Sie, ganz offen gesagt, mit der Dummheit bestimmter Leute, die auf solche Geschichten hereinfallen. Dass das funktioniert, macht mich ärgerlich und erfüllt mich auch mit Sorge; denn die gleiche Argumentation erleben wir auch bei der Tracing-App. Man muss festhalten: Das ist ein auf Freiwilligkeit beruhendes, intelligentes System, mit dem man nur für sich selber nachvollziehen kann, ob man in engem Kontakt mit jemand war, der Corona hat. Genau diese Idee, die eigentlich ideal ist – die man übrigens nicht verpflichtend machen kann, weil man keinen verpflichten kann, sich ein Smartphone in die Tasche zu stecken –, diese Idee wird von Ihnen verunglimpft, weil Ihnen das alles egal ist, weil es Ihnen nicht auf das Ergebnis ankommt, sondern nur auf Ideologie, was Sie uns vorhin vorgehalten haben; sonst kommt es Ihnen auf gar nichts an. Schämen Sie sich an dieser Stelle! ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Dr. Nüßlein. – Nächste Rednerin in dieser lebhaften Debatte ist für die SPD-Fraktion Hilde Mattheis. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lebhafte Debatten sind wichtig und richtig; aber jetzt hoffe ich auf Zuspruch im ganzen Haus, wenn ich das Thema ÖGD wieder aufrufe. ({0}) Mit diesem sogenannten zweiten Schutzgesetz machen wir viel für den ÖGD; denn zwei Dinge wurden deutlich: Erstens. Es ist wichtig und richtig, den ÖGD zu stärken, Personal im RKI zu etablieren, direkte Ansprechpartnerinnen und ‑partner zu etablieren und zu sagen: Wir brauchen in den 400 Gesundheitsämtern eine bessere Ausstattung; denn eine Übermittlung von Zahlen per Telefon oder Fax gehört nicht in diese Zeit. ({1}) Das Zweite, was ich aufzeigen möchte, ist Folgendes: Es ist ein ganz schmales Spektrum, das wir als Bundesgesetzgeber nutzen können. Wir müssen uns die Frage stellen – diese Lehre können wir zusammen aus dieser Coronakrise ziehen –: Brauchen wir nicht eine Debatte über die Stärkung der Daseinsvorsorge, gerade im Gesundheitsbereich, und über die Etablierung des ÖGDs? Und wir müssen fragen: Was dürfen wir und was müssen wir als Bundesgesetzgeber können, um den ÖGD nachhaltig zu stärken? ({2}) Schon 2016 haben die Landesgesundheitsminister miteinander Leitlinien für den ÖGD vereinbart. In diesen Leitlinien stehen wunderbare Sachen: Wir brauchen eine wesentlich bessere multiprofessionelle Ausstattung, also Teams, interdisziplinäre Aufgaben müssen bewältigt werden, die Ausgaben für den ÖGD müssen sich an Versorgungsherausforderungen orientieren – tja, was stellen wir denn gerade fest? –, und die Zusammenarbeit des ÖGD mit Forschung und Wissenschaft muss verbessert werden. Als vierter Punkt steht in diesen Leitlinien: Die Gesundheitsämter sollen Unterstützung von Kommunen, Ländern und dem Bund bekommen. – So. Wir machen uns jetzt auf den Weg, die Möglichkeiten auszunützen und auszuschöpfen, um genau das hinzukriegen; denn wir stellen in dieser Coronakrise fest, dass der ÖGD eine wichtige Stellschraube ist, dass er fundamental wichtige Aufgaben hat. Aber die ÖGDs müssen diese Aufgaben auch bewältigen können. Doch in den letzten Jahren hat sich das ärztliche Personal im ÖGD-Bereich um 30 Prozent reduziert, nicht nur, weil die Stellen vielleicht nicht so attraktiv sind wie die Stellen in den Kliniken, sondern auch, weil angesichts der Schuldenbremse Länder und Bund gesagt haben: Wir müssen bestimmte Bereiche der Daseinsvorsorge irgendwie zusammensparen. Das rächt sich jetzt. Wir versuchen, angesichts des Flickenteppichs, der unser föderales System kennzeichnet, einiges hinzubekommen. – Herr Spahn, ich danke Ihnen, dass Sie an wichtigen Stellschrauben gedreht haben. Abschließend wünsche ich uns allen, dass wir diese Debatte nach überstandener Coronakrise nicht vergessen, sondern Lehren aus der Krise ziehen. Ich hoffe, dass wir den ÖGD, nicht nur weil möglicherweise eine neue Pandemie vor der Tür steht, sondern weil wir die Versorgungsstrukturen im Gesundheitsbereich grundsätzlich verbessern wollen, als dritten Baustein der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung stärken. ({3}) Das, was wir jetzt sagen, sollten wir in Zukunft ab und zu nachlesen und dann auch umsetzen. Das wäre echt prima. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Hilde Mattheis. – Die nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Nicole Westig. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben eben hier an das Gemeinschaftsgefühl appelliert und dabei eine sehr große Gruppe unserer Gesellschaft ausgegrenzt. Zu dieser Debatte liegen Anträge zur Situation pflegender Angehöriger vor, und Sie erwähnen diese große Gruppe mit keiner Silbe. ({0}) Dabei zeigt die Covid-19-Pandemie zeigt die ohnehin schon schwierige Situation der pflegenden Angehörigen wie durch ein Brennglas. Zur generellen Überlastung gesellen sich nun noch weitere Sorgen: die Sorge vor der eigenen Infektion, die Sorge, die zu Pflegenden anzustecken, die Sorge darum, was passiert, wenn nicht mehr gepflegt werden kann. Das, was in normalen Zeiten schon ein unwürdiger Zustand für unsere Gesellschaft war, ist nun, in Coronazeiten, noch einmal deutlich verschärft worden. Dass hier dringend verbessert werden muss, haben Sie selbst eingestanden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroKo. Notwendige Änderungen stehen im Koalitionsvertrag. Ende letzten Jahres haben Sie selbst einen Antrag eingebracht. Das sind die richtigen Ansätze, zum Beispiel die Zusammenlegung der Budgets für Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Sie wollen das, wir Freie Demokraten wollen das, Grüne und Linke wollen das – schade, dass Herr Korte nicht mehr da ist; ich wollte auch etwas Gemeinsames hier betonen –; ({1}) worauf warten wir noch? ({2}) – Danke schön. Warum begrenzen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der GroKo, die notwendigen Erleichterungen beim Entlastungsbudget allein auf den Pflegegrad 1? Warum lassen Sie die weitaus stärker beanspruchten Menschen, die Angehörige der Pflegegrade 2 bis 5 versorgen, aber im Regen stehen? Den Beschäftigten in den Kliniken ist es mithilfe der Politik jetzt beispielhaft gelungen, die Kapazität an Intensivbetten zu erhöhen. Das war richtig und wichtig. Warum aber unternehmen Sie, Herr Minister, nicht die gleichen Anstrengungen zum Schutz vulnerabler Gruppen wie den Pflegebedürftigen vor der Covid-19-Infektion, damit es gar nicht erst zu stationären Aufenthalten kommen muss? ({3}) Warum waren Kontaktsperren bislang der einzige Schutz dort, wo regelmäßige Testungen und ausreichend Schutzkleidung längst überfällig sind? ({4}) Wir brauchen das gerade für Menschen in der Pflege und natürlich für pflegende Angehörige. Und noch etwas: Viele ausländische Betreuungskräfte sind wegen der Quarantäneregelung in ihre Heimat zurückgekehrt. Bei den Erntehelfern lag exakt die gleiche Problematik vor. Diese wurde unbürokratisch gelöst. Für die Menschen, die nun nicht mehr häuslich betreuen, wurden ähnliche Anstrengungen nicht unternommen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne die sorgenden Angehörigen würde unser Pflegesystem kollabieren, personell und finanziell. Die herausragende Leistung dieser Menschen gehört ebenso anerkannt wie die Leistung aller Pflegekräfte in den Kliniken, in der stationären wie der ambulanten Pflege derzeit. ({6}) Lassen wir diese große Gruppe nicht länger allein. Unterstützen wir sie. Die entsprechenden Anträge liegen vor. Setzen wir sie einfach um. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Nicole Westig. – Der nächste Redner in der Debatte: Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Westig, das werden wir ja in einer – die Überweisung sei unterstellt – für den kommenden Montag geplanten Anhörung diskutieren können; das werden wir anschließend im Ausschuss diskutieren können. Insofern finde ich: Zur Debatte gehört ja auch, dass jeder seine Vorschläge einbringt und dass man sie dann bewertet und gewichtet. ({0}) Ich möchte mich hauptsächlich noch mal auf die Situation konzentrieren, in die wir seit der gestrigen Entscheidung der Ministerpräsidenten der Länder und der Bundesregierung gekommen sind, sehr viele Öffnungen vorzunehmen. Ja, dann finden sich immer unter „Schutzmaßnahmen“ die berühmten AHA-Kriterien: Abstand, Hygieneregeln, Alltagsmasken. Ja, dann wird auch gesagt: Die Betriebe müssen jetzt wieder Geld verdienen. – Dann muss aber natürlich ein Hygienekonzept her, das auch mit Arbeitswissenschaft und Arbeitsmedizin abgestimmt ist und mit dem man dann Betrieb für Betrieb klären kann, dass man weder Beschäftigte noch Kunden in eine Gefährdung bringt. Damit ist jetzt eine große Verantwortung auf die Ministerpräsidenten und die Bundesländer übertragen. Uns hier mag das vielleicht auch ein Stück weit erleichtern. Aber ich bin Jens Spahn und auch dem Bundeskabinett insgesamt sehr dankbar, dass in diesem Beschluss von gestern klare Kriterien dafür enthalten sind, wann die Länder, die sich das ausdrücklich ausbedungen haben, tätig werden müssen. Man wundert sich, warum heute die Bundesratsbank hier im Plenum so schwach besetzt ist. Warum sind nicht mehr Länder vertreten, wenn es der Zeitpunkt ist, zu dem ihre Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung in vollem Umfang zurückkehrt? Warum ist das so? Ich frage mich das. ({1}) Wir alle müssen Wächter dafür sein, dass die Bundesländer jetzt in der Tat ihre Zusage einhalten. Dazu ist der Öffentliche Gesundheitsdienst natürlich das zentrale Instrument, und es ist gut, dass wir ihn stärken, übrigens nicht erst zu dem Zeitpunkt, da das Gesetz beschlossen sein wird, wie das vorhin mal jemand angemerkt hat. Vielmehr gibt es ja schon eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über die Maßnahmen, die getroffen werden. Das Papier vom 25. März 2020 enthält ja, dass kurzfristig pro 20 000 Einwohner mindestens ein Kontaktnachverfolgungsteam aus fünf Personen in den Einsatz gebracht wird. ({2}) – Am 25. März ist diese Entscheidung getroffen worden: Die Verantwortung für diese personelle Ausstattung liegt bei den Ländern. In einer Stadt wie Köln, die in den letzten Wochen enorm belastet war, erleben wir eine Aufstockung des Personals der Gesundheitsämter von 350 Personen auf 700 Personen. Natürlich haben ganz viele Ämter in Köln dafür etwas opfern müssen. Der Betriebsärztliche Dienst der städtischen Bediensteten in Köln liegt zurzeit ziemlich darnieder, weil man diese Kräfte im Gesundheitsamt konzentriert, und auch andere Ämter können davon ein Lied singen. Das ist in vielen Städten der Fall. Trotzdem haben wir noch kein Monitoringsystem, um festzustellen, wie denn der Öffentliche Gesundheitsdienst personell ausgestattet ist. Auf eine entsprechende Frage in dem Briefing heute Morgen konnte zumindest der Vizepräsident des RKI keine bundesweite Zahl der Beschäftigten in den Gesundheitsämtern nennen. Da müssen wir höllisch achtgeben; denn die Fähigkeit zum Aufdecken erneuter Infektionsausbreitung liegt jetzt in deren Händen. Wir helfen, der Bund hilft, das Bundesministerium für Gesundheit hilft, wo es nur geht. Wir stellen die Containment Scouts, einen schnellen Eingreifdienst, zur Verfügung, 525 Kräfte. Wir schaffen 40 zusätzliche Kräfte in der Kontaktstelle Kommunaler Öffentlicher Gesundheitsdienst beim RKI. Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes wird in dem Projekt Medis4ÖGD mit Medizinstudierenden zum Einsatz in den Gesundheitsämtern unterstützt. Das ist alles sehr, sehr gut, aber die eigentliche Verantwortung liegt woanders. Man wird ja die zusätzlichen 350 Kräfte im Kölner Gesundheitsamt jetzt nicht innerhalb weniger Monate wieder zurückschicken können. Also, wie macht man das? Wo ist das Konzept dafür, dass diese Zahl an Kräften dort auch bleibt? Diese Frage stellt sich in der gesamten Republik. Deswegen wäre ich froh gewesen, hätten wir Ministerpräsidenten oder Gesundheitsminister der Länder zu Gast gehabt, die hier bekundet hätten, wie sie das ganz genau machen werden. ({3}) Ich bin aber sicher und fest überzeugt, dass ihnen die Größe dieser Aufgabe, die sie da gestern übernommen haben, natürlich vollständig bewusst ist, und deswegen bin ich absolut sicher und optimistisch, dass wir alle Öffnungen, viele von den Ministerpräsidenten gefordert, jetzt natürlich auch einlösen werden. Ich will noch ein Wort zu der, wie ich finde, etwas unsinnigen Debatte um das Thema Immunitätsausweis sagen. Dass das jetzt dort nicht drinsteht, finde ich in Ordnung, weil wir ja, realistisch betrachtet, je nach Studie allenfalls 2 Prozent der Bevölkerung haben, die derzeit infiziert sind und sich in Antikörpertestungen als Antikörperträger ausweisen können. Im Moment weiß keiner, wie lange diese Antikörper Bestand haben, und wenn sie denn da sind, weiß keiner, was es bedeutet und ob sie einen Krankheitsschutz bieten. Wenn sie einen Krankheitsschutz böten, wüsste auch keiner, ob sie einen Infektionsschutz in der Weise bieten, dass man andere nicht anstecken kann. Weil das so ist, hat die Debatte darüber auch noch Zeit. Aber über eines müssen wir uns, finde ich, alle klar sein: Jeder Arzt und jede Ärztin, der oder die bei einem Patienten einen Befund erhebt, ist natürlich rechtlich verpflichtet, diesem Patienten den Befund zu eröffnen und mitzuteilen. Selbstverständlich kann der Patient mit diesem Befund verfahren, wie er will, und selbstverständlich kann er ihn auch dazu nutzen, um beispielsweise, wenn eine Quarantäne gegen ihn verhängt würde, dagegen zu argumentieren und zu sagen: Quarantäne für mich ist doch völlig unverhältnismäßig; Besuchssperre für mich ist doch völlig unverhältnismäßig. Ich bin sicher: Wenn die wissenschaftlich zu klärenden Fragen betreffend Charakter, Dauer und Bedeutung des Immunitätsnachweises beantwortet sind, dann ereilt uns diese Frage selbstverständlich wieder. Deswegen, finde ich, ist es auch richtig, dass wir die Zeit, die jetzt gewonnen ist, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege.

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dazu nutzen, uns darauf vorzubereiten. ({0}) Allerletzte Bemerkung.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen. Ich bitte wirklich um Nachsicht. Also, das geht jetzt nicht mehr.

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Ich habe die Nachricht verstanden. – Dann bedanke ich mich. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Sie haben bald wieder Gelegenheit.

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe ja vielleicht irgendwann noch mal eine Gelegenheit. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ja, gut. – Dann ist die letzte Rednerin zu diesem Punkt die Kollegin Heike Baehrens, SPD-Fraktion. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Virus besiegen wir nur mit Solidarität, und solche Solidarität braucht die Pflege, ({0}) brauchen die, die aufgrund von Alter und Krankheit Sorge haben, sich anzustecken, brauchen jene Menschen, die zu Hause pflegen oder sich in Pflegeheimen um die sorgen, die das größte Risiko haben, bei einer Covid-19-Erkrankung zu sterben. Solche Solidarität brauchen alle, die ganz nah mit anderen Menschen in Kontakt kommen. Gerade sind die Scheinwerfer und Kameras auf das gerichtet, was die Pflege sowieso immer leistet und was sie auch nach Corona weiter leisten wird. Darum ist es so gut, dass das Startsignal von Olaf Scholz, nämlich 1 500 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei zu stellen, den Weg für eine Sonderzahlung an alle eröffnet hat, die in der Altenpflege arbeiten, ({1}) eine Coronaprämie für alle, die gerade in Pflegeheimen und ambulanten Diensten einer besonderen Belastung ausgesetzt sind und die eh nicht gut entlohnt werden, jedenfalls nicht so, wie es ihrer eigentlich anspruchsvollen Aufgabe entspricht; das ist gerecht. Auch die geteilte Finanzierung von Bund und Ländern ist gerecht. ({2}) Ein Bonus ist gut. Aber echte Anerkennung wird es erst geben, wenn sich alle auf eine gute Tarifbezahlung und bessere Arbeitsbedingungen verlassen können, und da bleiben wir als SPD am Ball. ({3}) Weil auch die Pflege zu Hause unsere Solidarität braucht, gibt es in diesem Gesetzentwurf, den wir hier beraten, wichtige Entlastungsmaßnahmen. Rehakliniken können für die Kurzzeitpflege in Anspruch genommen werden; die Kurzzeitpflege wird stärker durch die Pflegeversicherung unterstützt; der Entlastungsbetrag von 125 Euro kann flexibler in Anspruch genommen werden. Und ein ganz wichtiger Punkt, der noch nicht zur Sprache kam: Der Zugang zum Pflegeunterstützungsgeld wird einfacher. Wir als SPD werden im weiteren Verfahren dafür kämpfen, dass die Geltungsdauer des Pflegeunterstützungsgeldes, das immerhin 90 Prozent des Nettogehaltes bei Arbeitsfreistellung umfasst, auf mindestens 20 Tage aufgestockt wird. Denn einen Monat mehr Zeit, um Pflege zu organisieren, das ist wichtig zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. ({4}) „Wir können uns ein Stück Mut leisten“, sagte gestern die Kanzlerin. Mir ist wichtig: In der Pflege müssen wir mutig sein; denn man kann im Alter auch an Einsamkeit sterben. Die Seelennöte, die das auch bei Ehepartnern, Kindern oder Enkelkindern zurücklässt, sind mindestens so groß wie die Bestürzung darüber, dass jemand an einer Viruserkrankung gestorben ist. Darum lassen Sie uns all das tun, was zu schützen hilft: Abstands- und Hygieneregeln einhalten, persönliche Schutzausstattung für alle, die in der Pflege arbeiten oder Besuche machen, und testen, testen, testen – aber nicht aus lauter Sorge Menschen isolieren, die eigentlich menschliche Nähe und Beistand brauchen. ({5}) Auch diejenigen dürfen wir nicht alleinlassen, die auch ohne Covid-19 auf ihrer letzten Wegstrecke sind. Denn auch dafür ist Pflege da: ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Baehrens. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der erfolgreiche Geschäftsführer der Motorenölfirma Liqui Moly, Ernst Prost, hat einen klaren Standpunkt. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: Wer fette Gewinne an die Aktionäre verteilt, aber Staatsknete abgreift, ist unanständig. ({0}) Der Mietwagenmillionär Erich Sixt beklagte sich hingegen über staatliche Gier nach Steuergeld. Erich Sixt tauchte als Kunde der kriminellen Kanzlei Mossack Fonseca in den Panama Papers auf. Sixt schickt Gewinne aus Deutschland in die Steueroase Malta. Nun hat Sixt seine Liebe für den Staat wiederentdeckt und hat sich auch von der KfW einen Milliardenkredit besorgt. Ein Motto von Sixt lautete einst: „Da sixt, was ois geht.“ Die Regierungen Dänemarks und Frankreichs haben nun in der Coronakrise angekündigt: Wer Hilfe vom Staat will, darf keine Steueroase nutzen, kein Geld aus Unternehmen ziehen und an Aktionäre verteilen oder eigene Aktien zurückkaufen. Die Linke meint: Deutschland muss Dänisch lernen. Was unsere Nachbarn können, können auch wir. ({1}) Meine Fraktion hat die 30 DAX-Konzerne untersucht. Sie haben über 3 800 Niederlassungen in Steueroasen gemäß Corporate Tax Haven Index. Es gibt keinen einzigen DAX-Konzern ohne Tochter in einer Steueroase. ({2}) Etwa 3 Prozent dieser Briefkastenfirmen befinden sich in Gebieten der schwarzen Liste der EU, die wichtige Steueroasen gar nicht umfasst. Da stehen keine EU-Staaten wie Luxemburg drauf, keine britischen Überseegebiete und keine US-Bundesstaaten wie Delaware. Selbst bei 0 Prozent Steuern ist man in der EU nicht automatisch Steueroase. Das ist, als wenn ich mit 100 Prozent Alkohol im Blut in die Polizeikontrolle fahren und behaupten würde, ich sei nüchtern. Spitzenreiter bei Firmen auf dieser schwarzen Steuerliste ist die Deutsche Bank. Auch die Lufthansa ist dabei. Die Lufthansa will staatliche Hilfen, aber wie bei der Pleitebank Commerzbank nur eine stille Beteiligung für den Staat. „Stille Beteiligung“ heißt auf Deutsch: Kohle rüberschieben, Klappe halten. – Die Lufthansa sitzt mit Briefkastenfirmen in Panama und auf den Cayman Islands. Die sind da nicht, weil es da bessere Parkplätze für Flugzeuge gibt, sondern weil es da bessere Parkplätze für Gewinne gibt, die sie nicht in Deutschland versteuern. Wir fordern: Erstens. Wer mit der Konzernmutter oder den ‑töchtern in einer Steueroase sitzt, die von der EU gelistet wird, muss den Briefkasten dort abschrauben, oder es gibt keinen Cent vom Staat. ({3}) Zweitens. Wir brauchen eine strengere nationale Liste der Steueroasen, wie sie viele EU-Staaten haben, die auch Niedrig- und Nullsteuergebiete umfasst. Wer dort mit der Konzernmutter sitzt, soll die Koffer packen, oder es gibt keine Staatshilfen. ({4}) Drittens. Wer eine Konzerntochter in einer Steueroase gemäß dieser strengeren nationalen Liste hat und Staatshilfen beantragt, soll zumindest öffentlich machen, wie hoch die Gewinne und Steuern in jedem Land sind. Damit wären weiter Geschäfte in den Niederlanden oder Irland möglich. Lieber Kollege Fricke, genau das ist auch eine Forderung der FDP im Europäischen Parlament. ({5}) 10 Millionen Menschen sind bald in Kurzarbeit. Sie bekommen weniger Lohn. Viele wissen nicht mehr, wie sie ihre Mieten oder die Kinderbetreuung bezahlen sollen. DAX-Konzerne wollen jedoch Dividenden von über 44 Milliarden Euro ausschütten. Die Bundesregierung sagt, sie schließt Dividenden bei Staatshilfen aus. Aber was in Deutschland immer noch geht, aber in Dänemark verboten wird, ist: erst Dividende ausschütten, dann Hilfe beantragen. – Wir wollen diese Abzocke beenden, ({6}) auch Exzesse bei Managergehältern und Managerboni. Manager sollten bei Staatshilfen nicht mehr als das 20-Fache des Arbeiters der untersten Lohngruppe verdienen. ({7}) Es gibt keinen vernünftigen Punkt für diese Dividendenparty. Auch Übernahmen deutscher Unternehmen wehrt man nicht mit Kurspflege ab. Dafür gibt es andere Instrumente. Der Reisekonzern TUI hat noch im Februar 300 Millionen Euro Dividende ausgeschüttet, aber nun einen Kredit der KfW über 1,8 Milliarden Euro beantragt. BMW will 1,5 Milliarden Euro Dividenden verteilen. ({8}) 700 Millionen Euro davon gehen an die Milliardäre Quandt und Klatten, die der Union jedes Jahr ein paar Euro Parteispenden abgeben. Gleichzeitig schickt BMW 30 000 Beschäftigte in Kurzarbeit Der Lkw- und Bahnzulieferer Knorr-Bremse verschuldet sich, um eine Dividende von 300 Millionen Euro auszuzahlen. Dividenden fließen an den Milliardär Thiele. Der hat gerade 10 Prozent der Lufthansa-Aktien gekauft. Das macht man nur, wenn man denkt, dass die Steuerzahler Lufthansa retten. Die Beschäftigten von Knorr wurden in Kurzarbeit geschickt. Verehrte Damen und Herren, Kurzarbeit wird aus der Arbeitslosenversicherung finanziert. Aber Unternehmen sparen Lohn- und Sozialabgaben. Sie halten Mitarbeiter, um die Produktion schnell wieder anzufahren. Außerdem wird der Staat bald mit einer Bürgschaft an die Arbeitslosenversicherung einspringen müssen. Das hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit kürzlich eingeräumt. Millionen Menschen haben in Deutschland großen Zusammenhalt bewiesen. Oft sind es jene, die am wenigsten haben, die für die alte Dame in der Nachbarschaft einkaufen, die ihren Bäcker oder Friseur unterstützen. Aber es gibt Konzernbosse und Großaktionäre in Deutschland, die den Hals nicht voll genug kriegen. ({9}) Wir sind solidarisch in Deutschland, aber wir sind nicht bescheuert. Es muss Schluss sein mit der Abzocke in diesem Land! ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege De Masi. – Das Wort hat als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Klaus-Peter Willsch. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie uns zuschauen, wenn auch leider nicht auf der Tribüne! Das geht nach wie vor nicht; aber wir hoffen, Sie bald wieder hier im Plenarsaal bei uns zu haben. Der Antrag der Linken ({0}) zum Thema, wie es für Unternehmen wirtschaftlich weitergeht, muss natürlich diskutiert werden; es ist ein Antrag, der hier eingebracht worden ist. Aber eigentlich brauchen wir Ihre Ratschläge in diesem Bereich wirklich nicht. ({1}) Damit das in der Öffentlichkeit nicht so stehen bleibt, will ich Ihnen, Herr De Masi, gleichwohl einmal deutlich machen, wie die Regelungen für die Direktbeteiligung bei der Konsortialfinanzierung oder für die KfW-Unternehmenskredite sind. Bei der Direktbeteiligung für Konsortialfinanzierung heißt es ausdrücklich, dass sie sich an in- und ausländische Unternehmer richtet – das muss so sein, weil die Förderung ja entsprechend von der EU genehmigt werden und diskriminierungsfrei sein muss –, die sich infolge von Corona in Finanzierungsschwierigkeiten befinden und die ein Vorhaben in Deutschland finanzieren. Das ist also genau das, was wir überall machen, um zu versuchen, möglichst viel von der Wirtschaftsstruktur, die wir haben, zu erhalten für die Zeit nach der Krise, nach dem Lockdown, wenn es in Deutschland wieder aufwärtsgeht. Es ist zudem ausdrücklich geregelt, dass Gewinn- und Dividendenausschüttungen während der Laufzeit des Kredits nicht zulässig sind. Das Gleiche gilt für den KfW-Unternehmerkredit. Auch hier ist geregelt, dass die Auszahlung nur erfolgen kann, wenn keine Gewinn- und Dividendenausschüttung vorgenommen wird. Die Ausnahme, die es hier gibt, ist, dass ein angemessener Unternehmerlohn an natürliche Personen ausgezahlt werden kann. Das ist eine völlig richtige und sinnvolle Maßnahme. Dazu gibt es noch die Regel – das will ich hier vielleicht noch anmerken –, dass als weitere Maßnahme überprüft wird, ob das Unternehmen zum 31. Dezember 2019 gesund und mit einer entsprechenden Fortführungsperspektive aufgestellt war. Ich hielte es für angezeigt und angemessen, wenn man diese Frist für die Reiseverkehrsbranche auf den 31. Dezember 2018 zurückdatierte, weil wir dann die Thomas-Cook-Pleite vor der Klammer hätten, wodurch eine fairere Beurteilung möglich wäre. Das möge bitte im Ministerium noch mal geprüft werden. Also, Herr De Masi, ich stelle fest: Sie bekämpfen hier einen Drachen, den es nicht gibt. Sie bauen einen Popanz auf, um Ihre Klassenkampfparolen hier vorzutragen. ({2}) Die Union, die CDU/CSU, hat hier in Deutschland die größten Köpfe und die größte Kompetenz im Bereich der Wirtschaftspolitik hervorgebracht. ({3}) Denken Sie nur zurück an Ludwig Erhard, der das, was wir heute als soziale Marktwirtschaft feiern ({4}) und was Erfolgsmodell Deutschlands war, mit den Köpfen der Freiburger Schule auf den Weg gebracht hat. Ich will Ihnen, Herr De Masi, noch sagen: Schauen Sie sich doch mal um, in welcher Gesellschaft Sie sitzen. ({5}) Sie sitzen hier in der SED-Fortsetzungspartei. ({6}) Eine Partei, die 44 Jahre lang alle Machtmittel in der Hand hatte und alles regeln konnte, ({7}) hat Verheerungen in diesem Land angerichtet, die so schlimm waren wie die nach dem Dreißigjährigen Krieg. ({8}) Sie haben dieses Land in Grund und Boden gewirtschaftet, unsere neuen Bundesländer zwischen Elbe und Oder, und wollen uns hier wirtschaftspolitische Erklärungen abgeben. Das ist hanebüchen, das ist wirklich absurd! Gucken Sie sich Ihre wirtschaftspolitischen Vorbilder an: Venezuela, Kuba, Nordkorea. Da sehen Sie, wohin Sozialismus führt, wenn der in der Wirtschaftspolitik um sich greift und Wirklichkeit wird. ({9}) – Jetzt will ich erst mal einen bisschen Raum geben für Ihre Erregung. Es ist nie schön, wenn man den Spiegel so vorgehalten bekommt. Herr De Masi, ich habe eigentlich gedacht, Sie hätten vielleicht aus Ihrer Zeit im Europaparlament ein bisschen was mitgenommen. Sie waren dort ja auch im Bereich der Finanzmarktpolitik tätig und wissen doch spätestens aus dieser Zeit, wie mühsam es ist, in Europa in Fragen der Wahrung des Steuersubstrats, einheitlicher Finanzierungs- und Bemessungsgrundlagen und der Vereinheitlichung von Steuersätzen vorwärtszukommen, weil natürlich verschiedene, auch kleinere Länder ihre eigenen Modelle haben, und wie mühsam es ist, mit denen zu konsentieren. Dass wir jetzt in einer Lage, wo es um Nothilfe geht, wo wir zusehen müssen, dass wir etwas vom vorhandenen Bestand retten, nicht alle ewigen Wünsche berücksichtigen und Ihre Regulierungs- und Gestaltungsfantasien für die Wirtschaft umsetzen können, ist doch selbstverständlich. Da kann ich die Regierung nur ermuntern, weiter so vorzugehen und sich auf solche Spinnereien nicht einzulassen. ({10}) Was wir in Deutschland brauchen, ist Luft für Unternehmen, Luft für Eigeninitiative, Luft für Entfaltung. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir entbürokratisieren, damit die Unternehmer nicht ständig Formulare ausfüllen müssen, sondern sich darum kümmern können, wie wir jetzt wieder Geschäftsmodelle entwickeln und im Land vorwärtskommen. ({11}) Sie wollen Unternehmer kujonieren, wir wollen das nicht. Wir wollen, dass sie etwas unternehmen, dass sie Arbeitsplätze schaffen und Steuereinnahmen generieren in diesem Land, für dieses Land. Dafür treten wir als Union an, und daran arbeiten wir in dieser Großen Koalition. Deshalb: Behindern Sie uns nicht mehr als nötig. Sie können Ihre Anträge hier stellen. Der Antrag geht jetzt in den Ausschuss, und dann wird er eben danach abgelehnt. ({12}) Wenn Sie weiter darauf bestehen, Ihren Quatsch hier vorzutragen, werden das immer mehr Menschen mitbekommen, und das ist gut so; denn dann sehen sie, dass Sie hier in diesem Parlament überflüssig sind. ({13}) Sie hatten zwei Generationen lang die Chance, etwas Blühendes aufzubauen, wie Sie das in Ihrer Ideologie immer vorhergesagt haben. Nichts haben Sie fertiggebracht, nichts außer Verheerung, Elend, Umweltzerstörung und Verelendung der breiten Massen. ({14}) Das ist das, wofür Sozialismus steht, und das brauchen wir nicht in diesem Land. Danke schön. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat für die Fraktion der AfD der Kollege Stefan Keuter. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer zu Hause an den Fernsehgeräten! ({0}) Herr De Masi, ich bedanke mich ganz herzlich für diesen Antrag, der inhaltlich wenig substantiiert ist, aber mir die Gelegenheit gibt, etwas zur Coronakrise zu sagen und Sie mit Ihrem staatssozialistischen Antrag weiter zu demaskieren. Sie erwarten jetzt hier von mir als Vertreter der AfD, dass ich das sofortige Ende des Shutdowns fordere, dass ich auf das gigantische Staatsversagen hinweise, dass ich auf die falschen und zu spät ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung eingehe, ({1}) dass ich auf die Steuerverschwendung in Milliardenhöhe eingehe, dass ich eine Attacke gegen diesen staatssozialistischen Antrag der Linken reite und an die Tatsache erinnere, dass die Bundesregierung derzeit die Bevölkerung mit Angst regiert. Und ich sage Ihnen: Genau das werden Sie bekommen. Die Coronakrise fordert ihre Opfer: auf der einen Seite die Konzerne, die mit Staatsgeldern gerettet werden müssen, alternativ in die Insolvenz gehen oder denen ein Kauf aus dem Ausland droht, ({2}) und auf der anderen Seite unsere Unternehmer, die gerade die Leidtragenden sind, insbesondere die Gastronomen, die Hoteliers und unsere Schausteller; da geht gerade jahrhundertealte Tradition verloren. Wir haben inzwischen festgestellt, dass das Gesundheitssystem in Deutschland eben nicht überlastet ist ({3}) und dass die Bundesregierung viel zu spät gehandelt hat, getreu dem Merkel-Mantra: Die Grenzen lassen sich nicht schließen; Deutschland lässt sich nicht abschotten. – Dann ist viel zu hart und viel zu lange gehandelt worden. Die AfD war übrigens die einzige Fraktion, die eine automatische, regelmäßige Überprüfung der Coronamaßnahmen gefordert hat. Dem sind Sie in diesem Hohen Haus leider nicht nachgekommen. ({4}) Dieser Antrag ist von Freunden linksdrehender und linker Politik geschrieben worden. Sie kämpfen gegen das Kapital. Sie bekämpfen kleine Unternehmen und Unternehmer. Für Sie ist es einfach die Krise, aus der Sie jetzt politisch Kapital schlagen wollen, ({5}) die gerade unsere Unternehmerschaft, die kleineren Unternehmen, den leistungsfähigen deutschen Mittelstand vom Markt fegt. Es erfolgt eine Konzentration auf Konzerne, die Sie gerne durch einflussreiche Betriebsräte kontrollieren und steuern wollen – viel leichter für Sie. ({6}) Sie haben in unserem Vizekanzler, dem Herrn Scholz, einen willfährigen Helfer gefunden. Auch er befördert die Staatswirtschaft. Er verleibt sich gerade günstige Aktienpakete der deutschen Schlüsselindustrie ein, um damit künftige marode Haushalte sanieren zu können. Das, meine Damen und Herren, ist Staatssozialismus, und dagegen steht die AfD. ({7}) Sie denken, dass die Wirtschaft eine statische Größe ist, die man nach Belieben ein- und ausschalten kann. Genau so ist es nicht. Die Wirtschaft ist ein lebender Organismus. Und wenn ein Organismus stirbt, ist er irgendwann tot, und dann lässt er sich in dieser Form nicht mehr wiederbeleben. Eine Leiche lässt sich in der Regel nicht wiederbeleben. ({8}) Wir müssen dringend über die Rolle des Staates sprechen. Wir als AfD sagen: Der Staat hat sich einzig und allein auf die Schaffung von guten Rahmenbedingungen für Unternehmen und Unternehmer zu beschränken und sich nicht in das operative Geschäft einzumischen. ({9}) Und jetzt zu dem Antrag der Linken. Was bitte ist daran so schlimm, wenn ein Unternehmen oder ein Unternehmer auf legalem Wege versucht, seine Steuerlast zu reduzieren, wenn er Gehälter frei verhandelt, Bonifikationen für leistungsfähige Manager frei festsetzt und natürlich seine Aktionäre mit Dividenden entsprechend vergütet? ({10}) Und was bitte ist so schlimm daran, wenn ein Unternehmen Auslandsniederlassungen gründet und betreibt? Wir Deutsche leben vom Handel. Sie, Herr De Masi, haben eben durch die Blume 30 DAX-Unternehmen Steuerhinterziehungen unterstellt. ({11}) Dagegen wehren wir uns als AfD vehement und stehen hinter der deutschen Wirtschaft. ({12}) Leistungsanreize müssen auch in Coronazeiten gelten. Arbeitnehmer und Manager dürfen in diesem Land keine Coronaopfer werden, ({13}) zumal die von Ihnen – ich zeige auf die Bundesregierung – verabschiedeten Maßnahmen unverhältnismäßig sind und wir als AfD stark daran zweifeln, dass diese verfassungskonform sind. Herr De Masi, es besteht doch Konsens darüber, dass Staatshilfen nur Unternehmen gewährt werden können, die die Gelder, die sie dort in der Regel als Darlehen erhalten, nicht gleich wieder entnehmen. ({14}) Darüber braucht man doch gar nicht zu reden. Ihr Antrag ist absolut überflüssig. Was wir vielmehr brauchen, ist Transparenz. Herr Bundesminister Scholz, wer bekommt wie viel Geld? Ich habe Ihre Parlamentarische Staatssekretärin Ryglewski exakt dreimal gefragt, und was ich erhielt, war ein dröhnendes Schweigen. Da kam so ein Rumgedruckse: Die betroffenen Unternehmen wollen nicht, dass wir darüber sprechen. Wir stehen noch in Beteiligungsverhandlungen. Wenn ich Sie darüber informiere, könnte das die Erfolge gefährden. – Ich sage Ihnen: Sie entziehen sich hier bewusst der parlamentarischen Kontrolle, und das geht so in diesem Lande nicht. ({15}) Das halten wir von der AfD für höchst bedenklich. Höchst bedenklich finden wir es auch, dass die AfD als größte Oppositionsfraktion in Zeiten der Coronakrise im öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt nicht – gar nicht – stattfindet. Sie von den Altparteien sitzen in den Kontrollräten, in den Medienbeiräten. Und was passiert? Das „male model“ Lindner von der FDP wird medial als handzahme Opposition – lenkbar, steuerbar – aufgebaut, und ich muss jeden Abend in den Medien erleben, wie er sich Schritt für Schritt mit jeder Sendung den Positionen der AfD annähert. ({16}) Die alternativlosen Maßnahmen der Bundesregierung werden von der AfD nicht mitgetragen. Und ich sage Ihnen ganz klar, liebe Bundesregierung: Ich bin ziemlich sicher, dass wir uns vor einem Untersuchungsausschuss Corona wiedersehen werden. ({17}) Wenn Sie mich fragen, gehören Sie nicht vor einen Untersuchungsausschuss, sondern vor ein Strafgericht. ({18}) Ich sagen Ihnen: Was Sie hier machen, ist, die deutsche Bevölkerung in bittere Armut zu stürzen, diesem Land irreparablen Schaden beizufügen. ({19}) Wir als AfD stellen uns dagegen. Vielen Dank. ({20})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes hat die Kollegin Cansel Kiziltepe von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Cansel Kiziltepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir befinden uns in einer beispiellosen Krise. Vor wenigen Wochen hat noch niemand geahnt, in welchem Maß unser Land, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft auf den Prüfstand gestellt wird. Doch Krisen sind auch immer Zeiten von Solidarität, und genau das erleben wir jetzt in unserem Land. Deshalb noch mal ein riesengroßes Dankeschön an alle, die dabei helfen, diese Krise zu überwinden. ({0}) Auch wir im Bundestag suchen permanent nach solidarischen Antworten auf diese Krise. Dazu gehört, dass wir in diesen schweren Zeiten einen Schutzschirm für Arbeitsplätze und Unternehmen spannen. Wir wollen und werden die Wirtschaftsstruktur Deutschlands in ihrer ganzen Breite – vom Weltkonzern bis zum Kleinstunternehmen – unterstützen. Wer unverschuldet jetzt in Not gerät, dem soll auch geholfen werden; das ist Solidarität von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern für die Betroffenen von Corona. Ich sage Ihnen auch: Das sind die Vorzüge eines starken Staates, für den wir als SPD eintreten. ({1}) Doch wer die Unterstützung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erhält, darf diese weder heute noch morgen mit Füßen treten, liebe Genossen – liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) – Es wurde hier zu viel vom Staatssozialismus gesprochen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier noch mal die Position der SPD-Bundestagsfraktion deutlich machen: Wir sind bereit, zu unterstützen, doch wir akzeptieren keine Selbstbedienung von denjenigen, die sowieso schon genug haben. ({4}) Konkret heißt das: Erstens. Man kann nicht auf der einen Seite die Hand für Steuergelder aufhalten und gleichzeitig Milliardengewinne ausschütten. ({5}) Wir machen hier Politik, um Arbeitsplätze zu schützen. Wir machen keine Politik, um Dividenden für Aktionäre zu sichern. ({6}) Zweitens. Wer Staatshilfen erhält, darf sich nicht die Gehälter mit Boni versilbern. Gerade die Spitzenverdiener sollten auf die Gehaltseiscreme verzichten, damit alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach der Krise noch einen Arbeitsplatz haben. ({7}) Drittens. Staatsgeld darf nicht dafür missbraucht werden, die Aktienkurse künstlich hoch zu halten. Aktienrückkäufe müssen der Vergangenheit angehören, damit endlich wieder Geld in produktive Investitionen fließt. ({8}) Und zu guter Letzt. Wer seine Gewinne kleinrechnet, darf seine Hilfsbedürftigkeit jetzt nicht großrechnen. Gewinne in Steueroasen zu verstecken, ist ein höchst unsolidarischer Akt. Wer das Gemeinwesen so behandelt, kann auch keine Solidarität von der Gemeinschaft erwarten. ({9}) Das ist unsere tiefste Überzeugung, und deswegen werden wir als SPD das auch im Fokus haben. ({10}) Bei allen Maßnahmen stellen wir sicher: Die Mittel werden hierzulande verwendet und landen nicht auf einer Karibikinsel. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Blick – das hilft immer – auf die bestehenden Hilfsmaßnahmen zeigt, dass wir schon längst damit begonnen haben. Wer beispielsweise KfW-Kredite erhält, darf währenddessen keine Gewinn- und Dividendenausschüttungen vornehmen. Auch versteckte Auszahlungen über die Gehälter von Geschäftsführern haben wir mit klaren Obergrenzen verhindert. Das alles ist also bereits Regierungshandeln; das haben wir gestern im Finanzausschuss ausgiebig erörtert. Ich sage Ihnen: Trotzdem sind wir weit weg vom Staatssozialismus. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Maßnahmen, deren Details noch geklärt werden müssen, wird diese sozialdemokratische Handschrift klar erkennbar sein; das sage ich hier ganz deutlich. Ich will zum Schluss noch einen weiteren Punkt betonen: Wir wollen die Hilfen schnell und unbürokratisch bereitstellen, und das tun wir auch bereits. Das bedeutet aber nicht, dass wir damit unseren moralischen Kompass verlieren. Ganz im Gegenteil: Wir müssen es vereinen und zusammenbringen. Deshalb freue ich mich auch über den Beschluss unserer Fraktion, der die notwendigen Leitplanken hierfür setzt. Solidarität ist unser Leitbild als Sozialdemokratie, als SPD. Die SPD steht für eine Politik mit Gewissen. Dafür kämpfen wir schon seit jeher und werden das auch in Zukunft tun. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Kollege Otto Fricke, der noch ein bisschen Abstand halten muss, aber schon an das Pult heranschleicht. – Bitte schön. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken ist ein klassischer Fabio-Robin-De-Masi-Antrag: Da sind die bösen reichen Unternehmer; die machen alles ganz schlimm. Und da sind die Armen; denen helfen wir. ({0}) So etwas hört sich auf den ersten Blick immer gut an, und ich will der Linken auch zugestehen, dass es ohne Weiteres richtig ist, dass wir dafür sorgen müssen, dass in dieser Zeit die Hilfen dort ankommen, wo sie gebraucht werden: bei Unternehmern, aber genauso auch bei Arbeitnehmern, bei Bürgern, bei sozial Schwachen. All das muss richtig ankommen. Nur, wir müssen uns klarmachen, dass das, was Sie heute hier vorschlagen, wieder so ein Beispiel dafür ist, wie Sie von den Linken einen Popanz aufbauen. Aber wenn man sich dann die Vorlagen anguckt – Herr Minister, es tut mir leid; ich muss Sie sogar verteidigen –, sieht man, dass das alles gar nicht so ist, wie es von Ihnen beschrieben wird, und dass im Gegenteil – und das ist noch viel schlimmer – die Lösungsvorschläge der Linken arbeitnehmerfeindlich bis zum Gehtnichtmehr wären, wenn wir sie mal eben so umsetzen würden. ({1}) Meine Damen und Herren, es ist schon sehr bemerkenswert, dass Sie sagen: Wir wollen das so wie in Dänemark und in anderen Ländern machen. – Wir haben, wenn es um die Frage von sogenannten Steueroasen geht, ein europäisch-gemeinschaftliches Vorgehen und eine Liste. Und was macht da die Linke? Sie sagt: Uns interessiert Europa gar nicht. Wir gehen national vor; wir definieren, was Steueroasen sind. Wir sagen jetzt mal unseren Nachbarn: Ihr seid böse Steueroasen; euch werden wir zeigen, wohin es geht. Ich stimme Ihnen bei dem Punkt sogar ausdrücklich zu, dass wir innerhalb Europas durch bestimmte Konstruktionen einen unfairen Steuerwettbewerb haben. Nicht umsonst kritisiert das die FDP auch schon seit Jahren. Aber für diejenigen, die uns zuhören und gedacht haben: „Mensch, der De Masi hat ja so recht; der hilft uns mal, dass das richtig geht“, ({2}) sage ich: Sie wollen also, dass Unternehmen, wenn sie einen Sitz in einer Steueroase haben, keine Hilfen bekommen dürfen. Geht es um den Hauptsitz oder nur um einen von mehreren Sitzen? Und das sagen Sie für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, dessen größere Unternehmen in nahezu jedem Land einen Sitz haben. Na, viel Spaß, dann können Sie schon einmal den gesamten DAX-Unternehmen sagen: Ihr habt einen Sitz in einem Land, das eine Steueroase ist. – Nach der Definition von den Linken wären das übrigens auch die Niederlande, Herr De Masi. Ist doch so, oder? ({3}) Nehmen wir noch ein weiteres Beispiel, ein konkretes, einfaches Beispiel, nämlich das Unternehmen Airbus. Airbus geht es im Moment nicht gut. Da im Moment nicht geflogen wird, stellt sich nicht die Frage nach der Anschaffung von neuen Flugzeugen. Airbus ist eine Holding mit Hauptsitz in den Niederlanden, hat aber 46 000 Arbeitnehmer alleine in Deutschland. In der Zulieferindustrie kommt eine fünfstellige Anzahl hinzu. Nach Ihrer Definition dürfte Airbus, wenn es Gelder beantragt, keinen einzigen Cent bekommen, weil der Hauptsitz in den Niederlanden ist. Ergebnis der Linken: Liebe Arbeitnehmer von Airbus, ihr seid uns egal! Das interessiert uns nicht. Wir warten erst einmal ab, bis Airbus seinen Sitz dort auflöst. – Bis dahin ist Airbus aber pleite; bis dahin ist alles vorbei. Das ist die Konsequenz von gut gemeint, aber schlecht gemacht. ({4}) Meine Damen und Herren, es ist hier auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds angesprochen worden und gesagt worden, dass einiges angeblich nicht klar wäre, dass beispielsweise nicht klar wäre, wie das mit Dividenden, wie das mit der Bezahlung, wie das mit den Steueroasen ist. Ich will das noch einmal deutlich sagen: Die KfW macht schon seit Jahren klare Regelungen. Wenn Kredite vergeben werden, sind all diese Fragen von den EU-Steueroasen über die Spitzengehälter bis hin zu den Dividenden geregelt. Sollte es hier etwas Neues geben, erwarte ich von Ihnen, Herr Finanzminister, dass wir Anpassungen der Regelungen bekommen und dem Bundesfinanzierungsgremium diese Problematik auch dargestellt wird. Aber, meine Damen und Herren, eines möchte ich noch klarstellen, bevor meine Kollegin Hessel nachher noch etwas zu anderen Aspekten sagen wird: Wir werden sicher auf Dauer über den unfairen Wettbewerb im Steuerrecht reden müssen – wir müssen aber auch erkennen, dass das auch gegen uns gerichtet sein kann –, aber derjenige, der in dieser Krisensituation versucht, dieses Kriterium zur Voraussetzung für Hilfe zu machen, riskiert nicht nur Jobs in einzelnen Unternehmen, sondern riskiert – ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken – am Ende das Funktionieren und das Hochfahren unserer Marktwirtschaft. Und das muss doch unser aller Aufgabe in den nächsten Wochen und Monaten sein. Jetzt kommen erst die eigentlichen Schwierigkeiten: auf dem Markt, auf dem Arbeitsmarkt. Die Bürger haben nicht nur Angst, dass ihre Zukunft von einer Krankheit bedroht wird, sondern auch davor, dass ihre soziale und wirtschaftliche Existenz bedroht ist. Mit diesem Antrag würden Sie sicherlich nicht erreichen, diesen Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Danke. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Fricke. – Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Lisa Paus von Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, das Pult ist frei für Sie. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns seit Wochen in der Coronakrise. Wir haben die schwerste Rezession in der Nachkriegsgeschichte. Es gibt zig milliardenschwere steuerfinanzierte staatliche Rettungspakete. Aber dennoch: Drei von vier börsennotierten Unternehmen in Deutschland haben angekündigt, trotzdem Gewinne an die Aktionäre ausschütten zu wollen, darunter auch Daimler, VW, BMW, also genau die Autokonzerne, die an diesem Dienstag im Kanzleramt beim Autogipfel milliardenschwere Abwrackprämien, finanziert aus Steuermitteln, eingefordert haben. Beispiel BMW. Die Konzernleitung gab bekannt, man wolle rund 1,6 Milliarden Euro als Dividende an Aktionäre überweisen. Das bedeutet in diesem Fall: Allein Susanne Klatten und Stefan Quandt würden davon 770 Millionen Euro überwiesen bekommen, da ihnen 47 Prozent der BMW-Anteile gehören, und das, während jetzt schon die Förderbänder stillstehen, während Mitarbeiter auf große Teile ihres Gehaltes verzichten, während das Unternehmen BMW selbst bereits staatliche Unterstützung in Form von Kurzarbeitergeld in Anspruch nimmt. ({0}) Ein solches Auftreten, ein solches Handeln gegenüber der Solidargemeinschaft geht gar nicht, meine Damen und Herren! ({1}) Die Automobilindustrie wäre wirklich gut beraten, ihre gesamte Haltung von Grund auf noch einmal zu überdenken. Aber ich frage mich auch: Wo war da die Ansage der Bundesregierung? Liebe Bundesregierung, wie soll ein normaler Mittelständler das verstehen: Für die Inanspruchnahme staatlicher Kredite – also nicht einmal von Zuschüssen – gilt inzwischen selbstverständlich, dass während der Laufzeit keine Gewinne und keine Boni ausgezahlt werden dürfen. Aber wenn man mit der Automobilindustrie über staatliche Kaufzuschüsse redet, dann ist das Zahlen von Dividenden nur am Rande Thema als – ich zitiere Olaf Scholz – „eine komplizierte Idee“. Und darüber, dass alle drei – Daimler, BMW und VW – laut Corporate Tax Haven Index zusammen ganze 137 Tochterfirmen in Steueroasen haben, wird nicht einmal ein einziges Wort verloren. Wir Grünen sind der Meinung: Wer in der Krise von der Solidargemeinschaft gerettet werden möchte, der darf sich seinen Pflichten als Steuerzahler nicht durch Steuertricks und Parken von Geldern in Steueroasen entziehen, meine Damen und Herren. ({2}) In Österreich haben die Grünen durchgesetzt, dass es keine Staatshilfen an Unternehmen gibt, die selbst oder deren Mutter- oder deren Tochterunternehmen ihren Sitz in Steueroasen haben. Dieser Ausschluss gilt zwar nur für die zwölf Steueroasen, die sich auf der offiziellen schwarzen Liste der EU befinden, darunter die Cayman Islands und auch Panama. Damit sind übrigens rund 80 Prozent der real existierenden Steueroasen laut Expertenschätzungen noch nicht einmal erfasst. Aber das ist ein wichtiger Anfang. Und Österreich ist nicht allein; auch in Dänemark und Frankreich sieht man das so. Aber von der Bundesregierung gibt es bisher – so auch gestern erneut im Finanzausschuss – überhaupt keine Bereitschaft, sich mit der Frage zu beschäftigen; in großen Teilen gibt es nicht einmal ein Problembewusstsein. ({3}) Dabei ist es hochrelevant: In Deutschland wären 18 von 30 DAX-Konzernen von Hilfen ausgeschlossen, wenn wir die österreichische Regel einführen würden, wie wir dank der Fleißarbeit der Linken nunmehr wissen. Darunter sind eben auch VW, Lufthansa, die bereits über direkte Staatshilfen verhandeln, und auch Adidas, die einen staatlichen Kredit über 2,4 Milliarden Euro bekommen haben. Vermutlich liegt darin wohl der Grund für das so laute Schweigen der Bundesregierung. Wenn Ihnen die österreichische Lösung zu viel ist, schlagen wir Grünen vor, dass Unternehmen, die Staatshilfe beantragen, wenigstens offenlegen müssen, in welchem Land sie welchen Gewinn machen und wie viel Steuern sie zahlen. Das ist übrigens schon allein deshalb unabdingbar, weil ansonsten der Subventionsbetrug überhaupt nicht kontrollierbar ist, meine Damen und Herren. ({4}) Es gibt einfach zu viele Bilanzierungstricks, mit denen man leicht das Verschieben von Staatshilfen in Steueroasen verschleiern kann. Deswegen brauchen wir diese Offenlegung. Und die Unternehmen sollten sich bereit erklären, Briefkastenfirmen in Steueroasen zu schließen. ({5}) Das hieße übrigens im Falle von Adidas, dass man über die zwei Töchter in Panama nachdenken müsste und die Gewinne nach Ländern gegliedert öffentlich gemacht werden müssten. Jetzt mal ganz ehrlich, meine Damen und Herren von der Koalition: Ich finde, das ist wirklich zumutbar. ({6}) Der Fall Adidas zeigt übrigens auch noch etwas anderes. Adidas ist auch deshalb heute in einer Schieflage, weil der Konzern seit 2018 seinen Aktienwert durch den Rückkauf eigener Aktien in Höhe von 3 Milliarden Euro aufgepimpt hat, und Adidas ist kein Einzelfall an der Deutschen Börse. In der Coronakrise zeigt sich erneut: Dieser kurzfristig orientierte Shareholder-Value-Kapitalismus ist einfach nicht krisenfest. Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir darüber nachdenken, ob Aktienrückkäufe generell und nicht nur während der Programmlaufzeit wieder verboten werden sollten – wie es übrigens in Deutschland bis in die 90er-Jahre der Fall war. Meine Damen und Herren, der hilflose Autogipfel hat gezeigt: Wir brauchen auch klare ökologische und soziale Kriterien für die notwendigen Konjunktur- und Investitionsprogramme nach der akuten Coronakrise. Die Unterstützung der Transformation hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft muss dabei zum entscheidenden Kriterium werden; denn das ist die entscheidende Aufgabe unserer Generation. ({7}) Wenn wir es jetzt klug anstellen, dann können wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft krisenfester machen und unsere Lebensgrundlagen und die unseres Planeten retten. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Paus. – Der nächste Redner ist der Kollege Carsten Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor rund sechs Wochen haben wir hier im Bundestag mit ganz überwältigender Mehrheit das größte Hilfsprogramm auf den Weg gebracht, das diese Republik bisher gesehen hat. Anders als es manchmal suggeriert wird, richtete sich dieses Programm nicht nur an die Konzerne, an die Großunternehmen; denn insbesondere kleine Unternehmen, kleine mittelständische Unternehmen, Einzelselbstständige profitierten davon, und zwar nicht nur durch Kreditgewährung, sondern vor allen Dingen auch durch unmittelbaren Liquiditätszufluss in einer rapiden Geschwindigkeit und ganz unbürokratisch. Das war eine große Leistung, und dafür möchte ich mich bei der Bundesregierung bedanken. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte auch die KfW ausdrücklich erwähnen. Sie können, Kollege Binding, gleich noch einmal großen Beifall spenden; denn darüber wird, finde ich, zu leichtfertig hinweggegangen. Bei der Komplexität, die eine Bank dieser Größe zu bewältigen hat, ist es doch atemberaubend, wie dieses Institut – um das wir übrigens weltweit beneidet werden – es hinbekommen hat, zielgenau wirkungsvolle Programme innerhalb kürzester Zeit aufzusetzen und sie über die Hausbanken an den Mann, an die Frau, an die Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmer zu bringen. Dafür, finde ich, gebührt der KfW und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun wirklich großer Beifall. ({1}) Wir haben den KfW-Schnellkredit; er ist auf Wunsch in den ersten zwei Jahren tilgungsfrei. Wir haben den KfW-Unternehmerkredit und den KfW-Gründerkredit für kleine und mittlere Unternehmen im Angebot; bei den beiden letztgenannten Programmen gibt es eine Risikoübernahme von bis zu 90 Prozent. Meine Damen und Herren, allein an den Programmbezeichnungen sehen Sie schon, dass es eben nicht nur um Konzerne, um Großunternehmen geht – in einigen Programmen gerade nicht. Auch eine gute Leistung der Regierung – allerdings auch von weiten Teilen des Parlamentes – war, wie ich finde, dass wir außergewöhnlich kommunikativ aufgestellt waren und es uns in dieser einzigartigen Situation gelungen ist, Hinweise, Anregungen – auch hier gerade über die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages – aufzunehmen, in den Regierungsapparat einzuspeisen und dort nachzusteuern, wo Verbesserungsbedarf bestand. Das spricht für die Handlungsfähigkeit dieser Bundesregierung und der Großen Koalition in einer so schwierigen Zeit. ({2}) Möglich geworden ist das Ganze nur durch eine solide Haushaltspolitik in den vorangegangenen Jahren, und da war es zweifelsohne die Union, die für die schwarze Null gekämpft und gestritten hat. Die Haushaltsergebnisse der letzten Jahre haben uns erst in die Lage versetzt, entsprechend schnell und wirkungsvoll reagieren zu können, mit beispiellosen Programmen. Wenn es nach den Linken gegangen wäre – über deren Antrag wir heute hier beraten –, dann wäre das alles nicht möglich gewesen, weil bei Ihnen sozusagen der Spruch gilt: Raus mit dem Geld, koste es, was es wolle; es kommt von alleine rein. – Sie machen sich über die Einnahmenseite ({3}) und auch über die Ausgabenseite selten Gedanken. ({4}) Sie wollen beglücken, Sie wollen Geld verteilen – wir wollen das nicht. Der solide Haushalt war Voraussetzung für die gute Politik in dieser Coronakrise. ({5}) Meine Damen und Herren, zu einer guten Haushaltspolitik gehört eben auch, dass wir Steuerhinterziehung vermeiden. Dazu gibt es beispielsweise den Informationsaustausch zu Finanzkonten; dieser hat nachweislich dazu beigetragen, dass es erheblich erschwert worden ist, die Steuerlast zu verkürzen. Meine Damen und Herren, auch das war ein Erfolg dieser Regierung. Kommen wir zu Ihrem Antrag. Sie sprechen die Ausschüttung von Dividenden an. Da empfehle ich Ihnen einen genauen Blick in das Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds, das wir hier vor einigen Wochen verabschiedet haben. So müssen Unternehmen, die die Mittel in Anspruch nehmen, Gewähr für eine solide und umsichtige Geschäftspolitik bieten und insbesondere einen Beitrag zur Stabilisierung von Produktionsketten und zur Sicherung von Arbeitsplätzen bieten. – Das Thema Arbeitsplätze kommt in Ihrem Antrag im Übrigen praktisch gar nicht vor. ({6}) Zur Sicherstellung können Auflagen mit begünstigten Unternehmen vereinbart werden, und dabei kann das BMF im Einvernehmen mit dem BMWi durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die von den begünstigten Unternehmen zu erfüllenden Anforderungen explizit auch zur Ausschüttung von Dividenden und zur Vergütung von Unternehmensorganen erlassen, und genau das passiert. Sie sprechen auch das Country-by-Country Reporting an. Da muss ich Sie enttäuschen: Das findet bereits statt und ist insofern auch ins Werk gesetzt und wirksam. ({7}) Meine Damen und Herren, ich könnte so zum Thema „Aktienrückkäufe und Vorstandsgehälter“ fortfahren. Ich möchte allerdings auf einen anderen Punkt in Ihrem Antrag zu sprechen kommen. Sie haben in Ihrer etwas plakativen Überschrift gesagt, wir könnten und sollten jetzt von Dänemark lernen, sozusagen mehr Dänisch sprechen. Ich habe mir einmal genau angeguckt, wie es in einigen Bereichen, im Bereich der Steuerpolitik in Sonderheit, in Dänemark läuft. In Dänemark liegt der Unternehmensteuersatz bei 22 Prozent; er liegt damit nicht nur deutlich unter dem deutschen Unternehmensteuersatz, sondern eben auch deutlich unter dem Durchschnitt der OECD und der EU. Gleichzeitig ist allerdings die Einkommensteuer in Dänemark substanziell höher als in Deutschland. ({8}) Unabhängig davon, ob Sie eine Familie sind – also ob Sie Kinder im Haushalt haben oder nicht –, gibt es einheitlich einen wesentlich höheren Einkommensteuersatz. Das konterkariert doch Ihre vorgeblichen Ziele, sich um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmern zu wollen. Sie zeigen allein durch Ihre leichtfertige Überschrift, dass Ihnen das in Wahrheit vollkommen egal ist. Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland also eine niedrige Einkommensteuer, und wir kümmern uns um Familien, indem wir sie steuerlich begünstigen. Und dann gucken wir noch auf einen anderen wichtigen Punkt: Wir haben uns ja in diesem Haus auch häufig über das Thema Mehrwertsteuer unterhalten. Ehrlich gesagt, wenn wir uns im Bereich der Mehrwertsteuer an Dänemark ein Vorbild nähmen, dann müssten wir sie auf 25 Prozent erhöhen. Das wäre die Konsequenz Ihrer schlechten Vorschläge. ({9}) Deswegen fassen wir zusammen: Ihr Antrag ist weitgehend ungeeignet. Sofern beim Thema „Beispiel an Dänemark nehmen“ bei der Überprüfung das eine oder andere noch herauskommt, nehmen wir das auf. Das Thema „niedrigere Unternehmensbesteuerung“ ist ein Ansatz. Das haben Sie vielleicht auch gemeint. Ganz bestimmt nehmen wir das auf, weil wir als Union der Meinung sind, dass wir eine andere Gestaltung bei der Unternehmensbesteuerung haben müssen, damit wir aus dieser schweren Coronakrise gut herauskommen. ({10}) Ein Letztes sei noch gesagt: Ich würde mir wünschen, dass auch Sie Ihre Abneigung gegen Großunternehmen und Konzerne überwinden und einfach einmal über den Tellerrand hinausschauen und die vielen Zehntausend, Hunderttausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen, die dort beschäftigt sind; auch deren Arbeitsplätze sind uns lieb und teuer. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Müller. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Lothar Binding. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst Herrn Müller anschließen und der Bundesregierung danken. Ich hätte nicht gedacht, dass man in der kurzen Zeit ein solches Programm operativ abwickeln kann. Also, das muss ich ehrlich sagen: Was da, auch mit unserer Unterstützung, in vier oder sechs Wochen passiert ist! – Aber wir wissen, auf wen viele Ideen zurückgehen. Das ist eine Wahnsinnsleistung, finde ich; das muss man erwähnen, und das wurde auch schon mehrfach erwähnt. Das ist auch verdient. ({0}) Weil es immer viel um Geld geht – es geht auch um viel Geld –, will ich Olaf Scholz besonders erwähnen, weil er immer irgendwie Ja sagen muss. Falls in ein paar Jahren irgendwas schiefgeht, dann weiß ich, wem man dafür die Schuld geben wird. Ich sage jetzt nicht, wem. Aber es ist völlig klar: So wird das Spiel laufen. – Vielen Dank für das, was da geleistet wurde. Ich will ein Wort zu Otto Fricke sagen, weil er etwas Gutes behauptet hat. Er hat ausgeführt: Mal angenommen, einem Unternehmen geht es schlecht, und es würde die 1 Milliarde Euro, die ihm helfen würde, nicht bekommen – es hat nämlich ein Tochterunternehmen in Panama –, wodurch wir 50 000 Arbeitsplätze verlieren. ({1}) Jetzt gibt es noch eine andere Lösung. Wir sagen: Wer eine passive Gesellschaft als Tochter in Panama hat, kriegt die 1 Milliarde Euro nicht. ({2}) Dann können wir sagen: Die 50 000 Arbeitsplätze sind weg. Oder wir sagen: Die stille Gesellschaft in Panama wird geschlossen. Wird die stille Gesellschaft geschlossen, werden die 50 000 Arbeitsplätze durch die 1 Milliarde Euro erhalten. ({3}) Das ist gutes Management. Darauf würde ich mich gerne beziehen. Ich will Klaus-Peter Willsch eine Frage stellen: Weißt du, was in einer Mottenkiste ist? ({4}) Der Staat macht sehr viel; das will ich gar nicht alles wiederholen. Cansel Kiziltepe hat schon gesagt: Der Staat hat bewiesen, dass er hilft.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Binding, der Kollege Fricke würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Risiko gehe ich ein. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Binding, das Risiko können Sie ruhig eingehen. Es ist auch nett, dass Sie hier versuchen, die Zuhörer ein bisschen zu, wie man es im Rheinland so schön sagt, verkasematuckeln. Ich habe bewusst nicht das Beispiel Panama gebracht. Ich glaube, bei Panama sind wir uns beide ziemlich einig darin, dass wir hier ein Land auf der Länderliste haben – das gilt genauso für die Cayman Islands und andere –, bei dem es einfach ganz klar sein muss, dass es in einem solchen Fall keine Staatshilfe gäbe. Ich habe aber bewusst das Beispiel Niederlande gebracht. Ich würde deswegen gerne wissen – das müssen wir nämlich klarmachen –: Was machen Sie denn in dem Fall, den die Linken im Zusammenhang mit den 46 000 Arbeitnehmern von Airbus angeführt haben? Sie sagen: Ja, es stimmt. – Die Holding ist – übrigens aus steuerlichen Gründen, wie wir beide wissen – in den Niederlanden. Ist es denn nach Ihrer Meinung so, dass Airbus, wenn das Unternehmen mit der Bitte um Hilfe käme, keine Hilfen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds bekommen dürfte, oder doch?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die KfW würde vertraglich zu verabreden haben, dass die Gelder, die dort als Kredite, verzinst und rückzahlbar, zur Verfügung gestellt werden, dem Unternehmensstandort Deutschland helfen. Diesen Vertrag muss man dann entsprechend gestalten. ({0}) Man muss dann schauen, ob in dieser Liste mit den 40 Steueroasen auch die Niederlande aufgeführt sind. Das sollte man im Einzelfall prüfen. Gibt es da einen Kanal, der letztendlich nur dazu dient, dass unser Zuschuss oder unser günstiger Kredit, für den letztendlich der Staat haftet, ({1}) dann in den Niederlanden landet, um ihn von dort über Irland nach Panama weiterzuleiten, dann muss der Vertrag – das wäre meine Meinung – so gestaltet sein, dass die Antwort ist: Ja, die Niederlande bekommen das Geld bei einer klugen Vertragsgestaltung. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

So, weiter geht es.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir wollen, dass Unternehmen dann, wenn sie Kredite oder Hilfen vom Staat bekommen, auch einen finanziellen Anteil für die Gemeinschaft leisten. Wir wissen seit Jahren, dass wir mit BEPS, Country-by-Country Reporting, mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz, dem Lizenzschrankengesetz, dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, dem Gesetz gegen Kassenbetrug immer dagegen vorgehen müssen, damit das System halbwegs fair funktioniert. Ist es nicht schlimm, dass wir permanent solche Gesetze machen müssen? Könnten die Unternehmen sich nicht so verhalten, dass diese Gesetze überflüssig wären? Das wäre ein Anspruch. Diesen hätte ich an einen halbwegs ethisch-moralisch korrekten Manager. ({0}) – Ja, ja. Wir wollen auch, dass die Investitionen in Deutschland den deutschen Unternehmensstandort stärken; das ist doch völlig klar. Das sind deutsche Steuergelder. Insofern ist das eine kluge Sache. Aber Vorsicht: Nicht auf dem Rücken anderer! Wir müssen schon schauen, dass die Gemeinschaft den Einzelnen hilft. Und wenn die Krise vorbei ist, helfen wieder die Einzelnen der Gemeinschaft. So einfach ist das. Was wir hier verteilen, ist ja nicht unser Geld, sondern das Geld aller. Wir wollen nicht – das habe ich schon gesagt –, dass dann diese Gelder über geschickte Gestaltungen über Steueroasen letztendlich ganz woanders landen. Es geht eben nicht, dass man hier einen Zuschuss bekommt und gleichzeitig Dividenden ausschüttet und Aktien zurückkauft; dazu ist schon viel gesagt worden. Das Gute an dem Antrag der Linken ist, dass er sozusagen zwei Ausgänge hat. Der eine Ausgang ist, dass die Regierung, dass wir, dass die KfW dieses Anliegen unterstützt. Wer jetzt ein bisschen genauer nachschaut, der findet dazu in den Merkblättern der KfW – die Merkblätter muss ich ja lesen, wenn ich diesen Antrag beurteilen will –: Gewinn- und Dividendenausschüttungen sind verboten. ({1}) – Ja, manchmal hilft die Wiederholung. Ich meine, über die Mottenkiste haben wir schon geredet. ({2}) Diese KfW-Coronahilfen sind eben so gestaltet, dass das verboten ist, und zwar für alle. Deshalb steht das in dem entsprechenden Papier, das ich zeichnen muss, wenn ich den Kredit bekommen will. Aktienankäufe sind genauso verboten. Also, das ist eigentlich schon geregelt. Wir haben aber natürlich auch das Ziel, dass Konsortialfinanzierungen in einer ähnlichen Weise organisiert und unterstützt werden, dass auch Konsortien, also Zusammenschlüsse großer Unternehmen – die meisten mittelständischen und großen Unternehmen sind groß –, liquide bleiben. Da ist die Sache jetzt ein bisschen schwieriger, weil dazu nichts im Merkblatt steht, sondern das wird einzelvertraglich verabredet; das habe ich schon gerade als Antwort auf die Frage von Otto Fricke gesagt. Mit dieser einzelvertraglichen Regelung bin ich nicht glücklich. Ich finde, wir müssten versuchen, zu erwirken, dass diese einzelvertraglichen Regelungen dort rausgelöst werden und sozusagen auch in die Form eines Merkblatts kommen, damit das für alle gilt. ({3}) – Ja, du schüttelst den Kopf. – Ich meine, es ist klug, alles für alle gleich zu machen. Denn dann gelten die Regeln für alle, dann ist es also durchgängig. ({4}) Allerdings kann man jetzt nicht sagen: Es ist nichts geregelt. – Die KfW hat die Chance, diese Verträge zu machen. Das ist natürlich eine sehr gute Sache, weil man im Einzelfall genauer hingucken muss; das haben wir schon diskutiert. Man kann, glaube ich, keine Regel finden, die jetzt die Grenze scharf zieht, ab wann ein Tochterunternehmen in einem Land eine passive Gesellschaft ist, derentwegen wir einen Zuschuss verweigern müssen. Wer das von vornherein festlegen will, der merkt: Das ist richtig schwer. Diese europäische Liste ist ja eigentlich – das muss man sagen – ohne großen Wert, weil die wichtigsten Steueroasen gar nicht aufgeführt sind. Das ist ein Vehikel, um anzudeuten: Wir kümmern uns darum. Aber das ist keine Lösung des Problems. Darüber haben wir schon oft was gehört. Insofern ist es klar, dass wir eine große Unterstützung geben wollen. Wir wollen aber auch, dass die Unterstützung zurückkommt und dass die Unternehmen sich daran erinnern, wenn die Krise vorbei ist. Jetzt gibt es eine Sache, die ich unter „maßlos“ subsumieren würde. Es gibt Unternehmen, die Zuschüsse, Darlehen bekommen. In dieser kritischen Phase, wo der Staat sich gigantisch neu verschuldet und Wahnsinnsrisiken eingeht: Was verlangen diese Unternehmen in dem Moment? Steuersenkungen! Und da muss ich sagen: Man sollte nicht maßlos werden. Steuersenkungen in dieser Phase zu fordern, halte ich nicht für in Ordnung. Dort, wo man erkennt, dass der Staat sich um die Einzelnen kümmert, sollten die Einzelnen nicht noch mehr fordern. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Für die Fraktion der FDP hat das Wort die Kollegin Katja Hessel. ({0})

Katja Hessel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Stunde Debatte über Staatshilfen, über Steueroasen, und jede Fraktion hat dabei irgendeinen Punkt gefunden, der ihr besonders wichtig war. Frau Kollegin Paus hat sich an der Automobilwirtschaft abgearbeitet. Wir sprechen viel über Dänemark, Kollege Müller. Ich fand das sehr schön, weil mir dazu sehr spontan eingefallen ist: „Etwas ist faul im Staate Dänemark.“ Das ist das Zitat, das wir hier sonst immer anführen, wenn es um dieses Thema geht. Wir schauen jetzt nicht nach Dänemark, was Umsatzsteuerhöhen und Einkommensteuerhöhen angeht, sondern wir gucken, was wir mit den Staatshilfen machen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Staatshilfen eine Solidarität der Steuergemeinschaft sind, die nicht ausgenutzt werden darf. Aber was ist denn der Grund, warum wir diese Staatshilfen gegeben haben? Es geht darum, Arbeitsplätze zu retten, Kollege De Masi. Es geht darum, die Arbeitsplätze hier in Deutschland zu schützen. Wenn wir vor der Vergabe darauf achten, dass jeder DAX-Konzern jede irgendwie geartete Niederlassung in einer von Ihnen definierten Steueroase schließt, dann, glaube ich, hätten wir uns die kompletten Maßnahmen ein Stück weit sparen können. Dann würden sie nämlich zu spät kommen, und wir hätten am Ende der Krise keine Arbeitsplätze mehr. ({0}) Aber es geht doch auch darum, die Unternehmen hier zu retten. Dann kommt, wenn man sich den Antrag weiter anguckt, das, was wir sonst auch immer wieder zu lesen bekommen , etwa öffentliches Country-by-Country Reporting. Wir sind wieder bei der Neiddebatte. Wir sind wieder bei der Vergleichbarkeit, die wir jedes Mal aufs Neue hier diskutieren. Wir brauchen die Vergleichbarkeit für die Steuerbehörden. Diese Vergleichbarkeit gibt es zwar schon, aber wir brauchen sie nicht in der Öffentlichkeit. Diese Argumente sind hier schon des Öfteren ausgetauscht worden. Kollege Binding, ich darf über meinen geschätzten Kollegen Otto Fricke sagen: Er sagt hier immer was Tolles, nicht nur ab und an. Was er sagt, ist immer bemerkenswert.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Katja Hessel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. – Dann sind wir wieder beim Thema Unternehmensteuerreform. Wir sind ein Hochsteuerland; das hat die OECD letzte Woche festgestellt. Wenn wir auch nach der Krise wieder international wettbewerbsfähig sein wollen, werden wir um eine Unternehmensteuerreform nicht herumkommen. ({0}) Es ist, glaube ich, auch nicht unlauter, sie an dieser Stelle zu fordern, da wir momentan auch über Wettbewerbsfähigkeit nach der Krise diskutieren müssen. Ich glaube, es ist richtig und wichtig, dass wir dies nicht von unserer Agenda nehmen. Die Unternehmen, die gerade Staatshilfen beantragen, werden auch diejenigen sein, die am Ende des Jahres wahrscheinlich keine Steuern zahlen. ({1}) Da werden noch ganz andere Themen auf uns zukommen. Jetzt sind wir beim Thema, das ich in den letzten Tagen schon angesprochen habe: Für Unternehmen mit null Umsatz ist eine Absenkung der Körperschaftsteuer auf etwa 12 Prozent keine Hilfe; auch das ist die Wahrheit. Wir freuen uns auf weitere Beratungen über diesen Antrag. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, liebe Kollegin Katja Hessel. – Bevor ich den letzten Redner aufrufe, möchte ich kurz zu den Tagesordnungspunkten 9 bis 11 sowie zu den Zusatzpunkten 4 und 20, nämlich den Wahlen, zurückkommen. Die Zeit, um zu wählen, ist gleich abgelaufen. Ich muss jetzt fragen: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Wahlen, und ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der Wahlen werden Ihnen später bekannt gegeben. Jetzt zum letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Ihr Beitrag ist, den Sie zur Bewältigung der Krise leisten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, dann ist das ziemlich dünn. ({0}) Ihr Vorhaben mit diesem Antrag ist so durchsichtig wie die Glasscheibe Ihres politischen Schaufensters, in welches Sie Ihren Antrag stellen. Ihr Ziel war, in zehn Minuten mal schnell einen Antrag runterzuschreiben, eineinhalb Seiten; aber ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger brauchen keinen schnell runtergeschriebenen Antrag, damit man in die Schlagzeilen kommt, sondern sie brauchen und erwarten Ernsthaftigkeit. Und sie erwarten vor allem in der jetzigen Krise, dass wir die Probleme angehen und lösen. Das, was Sie fordern, ist schon lange von dieser Regierungskoalition umgesetzt, und zwar besser als in den von Ihnen erwähnten europäischen Ländern wie Dänemark. In diesen Nachbarländern sind das Regierungsempfehlungen. Wir haben es ins Gesetz gegossen. Wenn wir es so gemacht hätten wie die anderen Länder und nur Empfehlungen ausgesprochen hätten, wären Sie die Ersten gewesen, die es kritisiert hätten. Wir haben eine entsprechende gesetzliche Regelung. Ich wiederhole es zum dritten Mal am heutigen Tag – vielleicht tritt dann ein Lerneffekt ein –: Im Bereich der Coronahilfen, bei den KfW-Hilfsprogrammen gibt es diese klaren Regelungen in den Ausführungsbestimmungen. Ein Blick auf die Seite des Bundesfinanzministeriums oder in die entsprechenden KfW-Auflagen hilft bei der Wahrheitsfindung: ({1}) Erstens: Unternehmen, die einen Hilfskredit aus dem KfW-Sonderprogramm 2020 oder einen KfW-Schnellkredit erhalten, dürfen bis zur vollständigen Rückzahlung des Kredits keine Gewinne ausschütten bzw. Dividenden zahlen. ({2}) Zweitens: Unternehmen, die einen Hilfskredit der KfW im Volumen von mehr als 500 Millionen Euro erhalten, – das sind übrigens die von Ihnen erwähnten Konzerne – müssen sich dazu verpflichten, im Jahr 2020 keine Boni oder andere variable Vergütungen an den Vorstand zu zahlen. Drittens: Der Bund knüpft die Corona-Hilfsprogramme an strenge Auflagen, um eine zielgenaue Verwendung der Mittel zu gewährleisten und Missbrauch zu verhindern. Der Aspekt der Steuergerechtigkeit spielt bei der Vergabe eine wichtige Rolle. Für Corona-Hilfen der KfW gilt: Keine Kredite an Unternehmen aus Steueroasen. Also, vielleicht noch mal zum Nachlesen für Sie; vielleicht bringt es ein bisschen was. Der zweite Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der von uns eingerichtete und mit 600 Milliarden Euro ausgestattete Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Er wurde überwiegend für große Unternehmen und Konzerne eingerichtet: für Staatsgarantien, für staatliche Beteiligungen und für die Refinanzierung durch die KfW. Hier gibt es sogar bereits gesetzlich umgesetzte Regelungen. ({3}) Auch da hilft zur Wahrheitsfindung ein Blick ins Gesetz; dort werden entsprechende Bedingungen gestellt. Lassen Sie mich diese noch ausführen; dann können wir gerne darüber sprechen. Die Unternehmen müssen folgende Nachweise erbringen: Erstens: die Verwendung der aufgenommenen Mittel. Zweitens. Die Aufnahme weiterer Kredite muss angezeigt werden. Drittens. Die Vergütung der Organe, des Vorstandes und des Aufsichtsrates, muss angezeigt werden. Viertens: die Ausschüttung von Dividenden. Fünftens: die Maßnahmen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Sechstens: branchenspezifische Restrukturierungsprogramme. – Das alles ist streng geregelt, wesentlich schärfer als in allen anderen europäischen Ländern. Das haben wir mit einer großen Selbstverständlichkeit umgesetzt; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir deutsches Steuergeld verwenden, dann muss dieses auch in Hilfsprogramme für Deutschland und in Deutschland verwendet werden; das ist völlig klar. Wer hier versucht, Missbrauch zu betreiben, wird auch zur Rechenschaft gezogen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Brehm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen De Masi?

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich freue mich. Warten wir es ab.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm, dass Sie die Frage zulassen. – Durch Ihre Rede erkennt man Fortschritte in der Qualität der Debatte. – Sie haben mir empfohlen, noch mal nachzulesen; das habe ich natürlich getan. Ist Ihnen bekannt, dass es immer noch möglich ist, vor Beantragung von staatlichen Hilfen Dividenden auszuschütten und dann Staatsgelder abzugreifen, und dass die Regelung in Dänemark darauf abzielt, genau das zu unterbinden? Welche Maßnahmen möchten Sie in die Wege leiten, um zu verhindern, dass Geld aus den Unternehmen gezogen wird – was im Übrigen Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet – und man hinterher die Hand aufhält? ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, auch für das Lob. – Ich empfehle Ihnen den vierten Punkt der KfW-Auflagen. Da steht: Es gilt für Ausschüttungen von Dividenden, die bereits von der Hauptversammlung beschlossen worden sind. – Es gilt also auch für diese Dividenden. Wenn natürlich im Januar, vor der Coronakrise, Dividenden ausgeschüttet wurden, kann man da nichts mehr machen, weil das ein ganz normaler wirtschaftlicher Vorgang ist. Aber jetzt sind die gesetzlichen Regelungen so klar, dass es in diesem Zeitraum keine Ausschüttung von Dividenden geben darf. Kurzarbeitergeld ist ja übrigens in diesem Sinne keine staatliche Hilfe, wie Sie immer sagen, sondern ein Beitrag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber. ({0}) Insofern muss man es anders betrachten als die KfW-Hilfsprogramme oder den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Ich möchte fortfahren. In Ihrer Argumentation sagen Sie: Wenn ein Unternehmen, ein internationaler Konzern, in einem Niedrigsteuerland einen Sitz hat – Niedrigsteuerländer wären zum Beispiel auch die USA, die Niederlande und andere –, dann dürfe man keine Staatshilfen geben. Das ist aber doch gerade das Merkmal eines international tätigen Unternehmens, dass es eben Niederlassungen in verschiedenen Staaten der Welt hat. Also, das ist völlig in Ordnung. Klar ist natürlich, dass wir die Liste der EU mit den zwölf Steueroasen verwenden und keine Hilfen dorthin auszahlen. Was Sie übrigens völlig außer Acht lassen, ist, dass es notwendig ist, dass wir die großen Konzerne in Deutschland ebenfalls unterstützen, weil es einen Zusammenhang, eine Zusammenarbeit, eine Abhängigkeit zwischen dem deutschen Mittelstand und den Konzernen gibt. Wenn wir das nicht machen, dann verlieren wir Arbeitsplätze in unserem Land. Ich sage Ihnen: Mit Ihrem Antrag vernichten Sie Arbeitsplätze in Deutschland. Sie sind dann dafür verantwortlich, dass Massenarbeitslosigkeit entsteht, weil wir aus purer linker Klassenkampfrhetorik heraus Konzerne wieder mal angreifen. Wir achten darauf, dass die gesetzlichen Regelungen eingehalten werden. Ich will Ihnen noch einen zweiten Aspekt nennen. Lassen Sie mich noch kurz sagen, was wir darüber hinaus machen – das wissen Sie auch ganz genau –: Seit 2015 ist Deutschland Vorreiter im sogenannten BEPS-Prozess, also in einem Aktionsplan gegen Gewinnkürzungen und gegen Gewinnverlagerungen. Viele Punkte aus diesem 15-Punkte-Plan konnten bereits umgesetzt werden. Wir diskutieren in diesem Jahr zum Beispiel auch über die grenzüberschreitende Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle; das ist gerade im Gesetzgebungsverfahren. Wir konnten dafür sorgen, dass es eine Festlegung internationaler Verrechnungspreise, ein System der Hinzurechnungsbesteuerung gibt. Wir konnten umsetzen, dass es Einschränkungen gibt, Gewinne durch Lizenzeinkünfte zu verlagern. Wir haben internationale Zinsschranken eingeführt. Das alles sind Maßnahmen, um Steuerverlagerungen in Niedrigsteuerländer zu vermeiden. Diesen Prozess müssen Sie einfach anerkennen. Es gibt die Möglichkeit, die Sie erwähnen, dass deutsche Konzerne wild Geld in die Welt versenden und es nicht versteuern, gar nicht mehr. Übrigens zahlen die deutschen Großunternehmen mehr Steuern in Deutschland, als sie müssten. Auch da mal ein herzliches Dankeschön! ({1}) Auch das sind Einnahmen, die wir jetzt, in dem Prozess der Hilfe, wieder ausgeben können. Ich glaube, Sie erzeugen hier bewusst eine Verunsicherung der Bürger. Was die Bürgerinnen und Bürger jetzt aber brauchen, ist Sicherheit – Sicherheit, dass die Arbeitsplätze in unserem Land erhalten bleiben, Sicherheit, dass wir weiterhin wirtschaftliche Stabilität und Wohlstand haben. Deswegen sage ich: Weniger politische Schaufenster und mehr politischer Schreibtisch. Sacharbeit ist, glaube ich, jetzt angesagt. Ich sage Ihnen: Wir arbeiten jeden Tag hart und sehr konzentriert, damit wir den Weg aus dieser sehr schweren Krise – es wurde erwähnt: es ist die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte – schaffen und dann Wettbewerbsfähigkeit erreichen. Dazu gehört übrigens auch eine Modernisierung der Unternehmensbesteuerung. Ich habe vernommen, dass Sie unserem Konzept da verklausuliert zustimmen. Herzlichen Dank! Dann werden auch wir in den Prozess eintreten. Ich glaube, es ist kein einfacher Weg. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam die politischen Weichen stellen und uns darüber unterhalten, wie wir aus dieser Krise herauskommen, unser Land wettbewerbsfähig machen und die Arbeitsplätze erhalten. Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Brehm. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie jetzt um ein paar Minuten Ihrer Aufmerksamkeit für eine junge Frau, die unsere Unterstützung braucht. Diese junge Frau steht für viele andere Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind. Zur Einordnung: Ich stehe hier heute als Vertreterin des Petitionsausschusses für alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Ausschuss. Wir machen das immer mal wieder, um zu erläutern, was wir in diesem Ausschuss tun. In jeder normalen Sitzungswoche verabschieden wir hier um die Mittagszeit Sammelübersichten. Für die meisten, die hier sitzen, ist nicht erkenntlich, worum es eigentlich geht. Deswegen haben wir uns als Ausschuss überlegt, dass wir hier hin und wieder Petitionen, bei denen wir uns alle einig sind, dass wir Abhilfe schaffen wollen, vorstellen. Um eine solche geht es hier, bei der wir das höchste Votum, die Überweisung zur Berücksichtigung, gewählt haben, um in diesem Einzelfall, aber auch ganz grundsätzlich Abhilfe zu schaffen. Jetzt habe ich Sie ein bisschen auf die Folter gespannt. Sie wollen bestimmt wissen, worum es geht. ({0}) Das will ich Ihnen erklären. Es geht um eine junge Frau, die in einer heilpädagogischen Kinder- und Jugendwohngruppe lebt; eine junge Frau mit einer Behinderung, die mit neuen Situationen gar nicht gut zurechtkommt. Diese junge Frau muss für einige Tage in ein Krankenhaus. Sie kann dort aber nicht alleine hin, sie muss von einer vertrauten Person unterstützt werden. Wenn sie nicht begleitet werden würde, würde das bedeuten, dass sie diese Behandlung wahrscheinlich ablehnen würde. Ihre Mutter kann sie nicht begleiten. Es gibt ein ärztliches Attest, das absichert, dass diese Begleitung unbedingt notwendig ist. So weit, so gut, denken Sie. Aber seit Jahren weigern sich alle Kostenträger – der zuständige Sozialhilfeträger, die Krankenversicherung und auch das Krankenhaus –, die Kosten dafür zu übernehmen. Sehr geehrte Damen und Herren, noch einmal: Das ist kein Einzelfall, sondern ein dauerhaft brennendes Thema: die Assistenz im Krankenhaus, die nicht finanziert wird. Wir bekommen ständig Briefe von betroffenen Menschen, kommunalen Behindertenbeauftragten, Trägern aus Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Sie schreiben, dass auch Krankenhäuser sagen: Wir haben überhaupt nicht die Kapazitäten, um diese Menschen zu begleiten. – Sie machen zur Voraussetzung, dass diese Menschen begleitet werden, damit sie überhaupt stationär aufgenommen werden. Man sieht hier, dass es wirklich um lebensgefährliche und existenzielle Fragen geht, über die wir hier reden. Wir alle im Petitionsausschuss kommen übereinstimmend zu der Auffassung: Der Bedarf für die Teilhabeleistung Assistenz endet weder an der Krankenhaustür, noch wandelt er sich dort in einen medizinischen oder pflegerischen Bedarf um. Die Weitergewährung von Assistenzleistungen bei einem Krankenhausaufenthalt muss daher gesetzlich verankert werden, damit es zu einer verlässlichen Bewilligungspraxis der Leistungsträger kommt. Das ist unsere Bitte. Es wäre toll, wenn wir hier zu einer Lösung kommen könnten. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Rüffer.

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Verfassungsgericht hat am Dienstag endlich das gesagt, was es schon spätestens 2016 zu den Anleihekäufen der EZB hätte sagen müssen: Die absolutistische Draghi’sche Rettungspolitik – koste es, was es wolle – ohne Rücksicht auf Rechtslage und Verhältnismäßigkeit ist ohne Kontrolle durch die deutsche Bundesregierung und diesen Bundestag nicht verfassungsgemäß. Wir haben dazu diese Aktuelle Stunde angemeldet; denn das Urteil wird leider bereits jetzt relativiert. Die Regierungsfraktionen nehmen die schallende Ohrfeige des Gerichts gegen ihre jahrelange Untätigkeit einfach nicht an. Gestern etwa sagte der Unionsfraktionschef – ich zitiere –: Die Union hat in der Vergangenheit „immer wieder kritisiert, die EZB übertrete ihr Mandat mit den Anleihekäufen“. – Wie bitte, Herr Brinkhaus? Wieso haben Sie dann die Ihnen offenbar bewusste Mandatsüberschreitung der EZB nicht gerügt und abstellen lassen? ({0}) Sie haben stattdessen Herrn Draghi noch das Bundesverdienstkreuz verliehen. ({1}) Warum haben Sie nicht den Bundestag einberufen, um den Rechtsbruch zu stoppen? Sie hätten damit einen potenziellen Schaden in Höhe von über einer halben Billion Euro von Deutschland abwenden können. ({2}) Nun musste dies das Gericht einfordern. Meine Damen und Herren, wir werden uns hier künftig sehr häufig und regelmäßig mit Beschlüssen des EZB-Rats beschäftigen: mit der permanenten Überschreitung der Grenzen der Geldpolitik, mit der Verhältnismäßigkeit einer Nullzinspolitik, deren Folgen die AfD – ebenso wie jetzt auch das Gericht – seit Jahren thematisiert wie die Zombifizierung der Wirtschaft, die Blasenbildung im Immobilienbereich und die Riesennachteile für deutsche Sparer und Mieter. Vor all diesen Themen können Sie sich jetzt nicht mehr wegducken, und das ist gut so. ({3}) Zudem haben wir künftig bei allen Anleihekäufen der EZB die vom Gericht klar definierten Kriterien für monetäre Staatsfinanzierung zu prüfen. Bei PSPP konnte das Gericht einen Verstoß gegen Artikel 123 AEUV nur deshalb noch nicht feststellen, weil er noch nicht offensichtlich war und weil die EZB relevante Informationen nicht herausgibt. ({4}) Schon heute aber ist völlig klar: Das neue PEPP-Programm der EZB über mindestens 750 Milliarden Euro, später aufstockbar auf viele, mehrere Billionen Euro, wird mindestens fünf der Kriterien des Gerichts nicht erfüllen: Es gibt bei PEPP keine Begrenzung der Anleihekäufe, keine Offenlegung der Emittenten, kein Einhalten der bisherigen 33-Prozent-Obergrenze, kein Einhalten des Kapitalzeichnungsschlüssels, keine qualitativen Mindeststandards der gekauften Anleihen. All das wird aber vom Gericht künftig für Verfassungskonformität explizit verlangt. ({5}) Da dieses Programm bereits läuft und alleine nur im April darüber Anleihen im Wert von über 115 Milliarden Euro gekauft wurden, ist Gefahr im Verzug. Das Gericht hat PEPP nur deshalb nicht direkt verboten, weil es formal nur über die PSPP-Klage von 2015 geurteilt hat. Wenn wir aber noch einmal fünf Jahre warten, bis es dann das sichere Urteil zur Verfassungswidrigkeit von PEPP geben wird, dann wird beim aktuellen Ankauftempo der EZB bis 2025 ein Schadenpotenzial in Höhe von 7 Billionen Euro entstanden sein. Wir haben nicht nur die gerichtliche Vorgabe, dies zu verhindern, sondern auch die ökonomische und gesetzliche Pflicht. Denn selbstredend greift ein solches Treiben der EZB mit einem deutschen Abschreibungsrisiko von bis zu fünf Jahreshaushalten massiv in die deutsche Finanzsouveränität ein. ({6}) Ganz eindeutig ist dann auch noch das Haushaltsrecht künftiger Deutscher Bundestage gemäß Artikel 110 Grundgesetz verletzt. Seit vorgestern hat die Regierung also nun endgültig keine Ausrede mehr, die EZB gegen die deutschen Sparer und Steuerbürger einfach gewähren zu lassen. Sie müssen PEPP sofort stoppen! ({7}) Zudem erwarten wir zeitnah Ihre Vorschläge zur wirksamen Kontrolle aller EZB-Ratsentscheidungen durch den Bundestag. Ein kleiner Tipp dazu: Die AfD wollte bereits im März 2019 dem Deutschen Bundestag ein Fragerecht gegenüber der EZB verschaffen, was ja Voraussetzung für eine wirksame Kontrolle der EZB gewesen wäre. Ich sagte damals hier zur faktischen Wirtschaftspolitik der EZB – Zitat –: Es besteht „klar ein Kontrollbedürfnis für uns als Parlament des größten EU-Haftungsstaats“. Mit unserem vorgelegten Antrag kann sich der Bundestag endlich die Möglichkeit verschaffen, der Kontrolle von Megaentscheidungen der EZB, die die nationalen haushalterischen Fragen weit überragen, öffentlich zu debattieren. Sie haben unseren Antrag damals alle abgelehnt. So wird es künftig nicht mehr gehen. Der Bundestag muss die Billionenentscheidungen der EZB endlich akribisch prüfen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Andreas Jung. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will an dieser Stelle nach diesem Beitrag ausdrücklich darauf hinweisen, worum es in diesem Urteil geht und worum es in diesem Urteil nicht geht: Erstens. Alleiniger Gegenstand dieses Urteils war und ist das Staatsanleihekaufprogramm PSPP. Es geht ausdrücklich nicht um die weiteren von Ihnen genannten Programme, und es geht ganz ausdrücklich – das ist in dem Urteil klargestellt, und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat es noch einmal klargestellt – nicht um die aktuellen Maßnahmen der EZB und anderer europäischer Institutionen, um in der Coronakrise europäische Solidarität zu zeigen. Deshalb ist für uns auch nach wie vor klar, dass jetzt in der Coronakrise europäische Solidarität das Gebot der Stunde ist. ({0}) Genauso ist für uns klar, dass diese europäische Solidarität stark sein muss, aber natürlich und selbstverständlich im Rahmen der geltenden Verträge. Das ist die Linie der Union, und das wird die Linie der Union bleiben. ({1}) Zweitens möchte ich darauf hinweisen, was zu diesem Programm PSPP gerade nicht gesagt wurde. Es wurde gerade nicht gesagt, dass gegen Artikel 123 AEUV verstoßen wurde, sondern es wurde im Gegenteil gesagt, dass ein Verstoß insoweit nicht feststellbar ist. Er enthält ein Verbot monetärer Staatsfinanzierung. Insoweit wurde gerade kein Verstoß festgestellt, sondern diese Entscheidung wurde insoweit gehalten. Dies wurde damit begründet, dass darin Ankaufobergrenzen vorgesehen sind, dass dort ein Schlüssel der EZB gewahrt ist, der eben gerade nicht dazu führt, dass hier zugunsten einzelner Mitgliedstaaten Unterstützung geleistet wird. – Das ist ganz ausdrücklich Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Ganz ausdrücklich wird dort auch gesagt, dass die Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages für den Bundeshaushalt von dieser Entscheidung nicht berührt ist. Damit komme ich zu dem, was in dem Urteil steht. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Wenn Institutionen – das gilt auch für europäische Institutionen, im konkreten Fall für die EZB – Entscheidungen treffen, dann muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. – Im konkreten Fall wird darauf hingewiesen, dass eine Abwägung zwischen den währungspolitischen Zielen und den wirtschaftspolitischen Zielen stattfinden muss. Auch das war immer unsere Haltung; wir haben sie auch immer so kommuniziert. ({2}) Ich will dazusagen, dass wir fest davon ausgehen, dass eine solche Abwägung stattgefunden hat, auch wenn sie in dem Beschluss des EZB-Rats nicht ausdrücklich wiedergegeben wurde. Deshalb werden wir das, was das Bundesverfassungsgericht uns aufgibt, nämlich darauf hinzuwirken, dass diese Verhältnismäßigkeitsprüfung jetzt dargelegt wird, genau so tun. Ich habe die Erwartung und auch die Hoffnung, dass man durch eine entsprechende Darlegung der Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB der Maßgabe dieses Urteils gerecht werden kann. Ich will dann dazusagen, dass wir ganz allgemein Wert darauf legen, dass bei allen Entscheidungen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Europäischen Union, eine parlamentarische Befassung stattfindet, die parlamentarische Rückkopplung gewährleistet ist. Wir werden uns jetzt im Lichte dieser Entscheidung noch mal genauer angucken, welche konkreten Schlüsse wir daraus ziehen können. Im Übrigen zeigt diese Entscheidung, dass wir in einem Zustand fortschreitender Integration innerhalb der Europäischen Union eine Kontrolle haben, die durch den EuGH gewährleistet wird, aber eben auch weiterhin durch das Bundesverfassungsgericht. Beide sind dazu aufgerufen, das in guter Kooperation miteinander zu tun. Das gelingt bei ganz vielen Entscheidungen des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts. Wir haben hier einen absoluten Ausnahmefall. Ich habe die Hoffnung und Erwartung, dass wir jetzt durch das beschriebene Vorgehen den konkreten Sachverhalt klären können und dann EuGH und Bundesverfassungsgericht in gutem Einvernehmen deutsches und europäisches Recht weiterentwickeln. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Andreas Jung. – Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Christian Dürr. ({0})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will das eine vorweg sagen: Ich begrüße dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ausdrücklich. Das Urteil ist übrigens, anders als die Bundesregierung in den letzten anderthalb Tagen den Eindruck erweckt hat, nicht vom Himmel gefallen. Es steht sozusagen in einer Linie mit früheren Entscheidungen des Verfassungsgerichtes. Und das sage ich gerade in Richtung der Kollegen der Union, aber auch der SPD: Dass eine rechte Partei wie die AfD dieses Urteil jetzt missbraucht, um die Wirtschafts- und Währungsunion und in Wahrheit die Europäische Union infrage zu stellen, sollte uns als Demokraten doch nicht verunsichern, meine Damen und Herren. Wir sollten dieses Urteil als Bundestag annehmen und seine Umsetzung hier entsprechend veranlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Das Urteil ist ausdrücklich ein proeuropäisches Urteil; denn das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass unklare Haftungsfragen am Ende des Tages auch gefährlich für die europäischen Verträge sind. Sie sind übrigens politisch ein Spaltpilz für Europa; deswegen müssen sie ausgeräumt werden, wenn dort Unsicherheiten bestehen. – Das Bundesverfassungsgericht hat dem eine klare Absage erteilt. Die Verträge Europas sind aus meiner Sicht durch dieses Urteil gestärkt und nicht geschwächt. Es ist ein proeuropäisches Urteil aus Karlsruhe, liebe Kollegen. ({1}) Zwei Lehren sind aus meiner Sicht aus diesem Urteil zu ziehen. Die erste ist: Der Deutsche Bundestag muss seine Kontrollrechte wahrnehmen, und zwar gerade, um die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank dauerhaft zu gewährleisten. ({2}) Der Euro ist damals mit dem Versprechen eingeführt worden, dass es keine Vergemeinschaftung von Schulden geben darf und dass es keine unrechtmäßige Staatsfinanzierung über die Zentralbank geben darf, meine Damen und Herren. Herr Jung hat ja gerade den Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union angesprochen, das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Das Verfassungsgericht hat nicht gesagt, dass das nicht gegeben ist, sondern dass man es nicht beurteilen kann, weil die Verhältnismäßigkeit nicht geprüft worden ist. Genau diese Prüfung ist der Job des Deutschen Bundestages. Deswegen wird meine Fraktion in der kommenden Sitzungswoche einen Antrag einbringen, um einen Unterausschuss des Haushaltsausschusses einzurichten, der genau diese Aufgabe übernimmt. Das Verfassungsgericht hat uns als Organ Bundestag jetzt Hausaufgaben ins Stammbuch geschrieben. Deswegen: Nicht die Köpfe in den Sand stecken, sondern diese Hausaufgaben erledigen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Die zweite Lehre aus diesem Urteil ist: Die Bundesregierung muss Konsequenzen ziehen. Die Bundesregierung muss einen Prozess zur Präzisierung des Mandats der EZB anstoßen. Es rächt sich doch jetzt in Wahrheit, dass Sie unsere Initiativen, Frau Staatssekretärin Hagedorn, zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, zur Präzisierung des Mandats der Europäischen Zentralbank, abgetan haben und stattdessen als Bundesregierung die letzten drei Jahre den Kopf in den Sand gesteckt haben. ({4}) Die Europäische Zentralbank ist unabhängig. Das ist keine Frage; daran kann kein Zweifel bestehen. Nicht die Politik fällt die geldpolitischen Entscheidungen, sondern die unabhängige Zentralbank. Aber die Politik bestimmt das Mandat der Europäischen Zentralbank, und dieser Aufgabe müssen sich die Staaten der Euro-Zone, muss sich auch die Bundesregierung annehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Deshalb will ich das in aller Klarheit in Richtung der Regierungsparteien von Union und SPD sagen: Es muss doch eine proeuropäische Position der Mitte geben, die sich klar von denjenigen abgrenzt, die billigend in Kauf nehmen, dass in der europäischen Familie Zwietracht gesät wird, indem sie nach wie vor die komplette Vergemeinschaftung der Schulden fordern – auf der linken Seite des Hauses –, ({6}) eine proeuropäische Position der Mitte, die sich auch ganz klar von denjenigen abgrenzt, die stumpfen Nationalismus nach Europa tragen wollen und in Wahrheit das ganze europäische Projekt kaputtmachen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Das ist die Position der Mitte, auch die Position Deutschlands; das muss sie jedenfalls sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nach dieser Krise Wachstumsimpulse. Wir brauchen nach dieser Krise europäischen Zusammenhalt, auch in finanziellen Fragen. Daran kann gar kein Zweifel bestehen. Aber wir müssen auch gerade als Lehre aus dieser Krise ziehen, dass Haftung und Risiko nicht auseinanderfallen dürfen, meine Damen und Herren. Und diesen Auftrag müssen wir als Bundestag annehmen – deswegen der Vorschlag eines Unterausschusses, damit wir das auch institutionalisieren und dem Bundesverfassungsgericht signalisieren können, dass wir dieses Urteil annehmen, und deshalb der Hinweis an die Bundesregierung: Hören Sie endlich auf, zu schlafen, nehmen Sie das Urteil an, gehen Sie auf die europäischen Partner zu, sprechen Sie mit ihnen über eine Präzisierung des Mandats der Europäischen Zentralbank. – Dann kann dieses Urteil Europa und die Euro-Zone stärken. Denn das gemeinsame Ziel nach der Coronakrise muss eine gestärkte Zentralbank, die ein klares Mandat hat, und eine insbesondere wirtschaftlich gestärkte Europäische Union sein. All denjenigen, die jetzt Wachstumsverzicht üben wollen, all denjenigen, die jetzt die Wirtschaft komplett kaputtreden wollen, muss nach der Krise eine Absage erteilt werden. Starke Zentralbank, starke Wirtschaft – das ist die Antwort nach Corona, und das sollten die Bundesregierung und die Mehrheitsfraktionen im Bundestag endlich annehmen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Christian Dürr. – Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Carsten Schneider. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Dürr, die EZB hat ein klares Mandat. ({0}) Es ist in den Verträgen festgelegt; es ist auch bestätigt worden. Die EZB ist unabhängig. Sie tritt nicht nur mit dem Hauptsitz in Frankfurt am Main ({1}) das Erbe der Deutschen Bundesbank an, sondern steht auch in der Frage der Unabhängigkeit in der Tradition der Deutschen Bundesbank. Und wir tun gut daran, das zu akzeptieren und zu respektieren. ({2}) Der Einfluss Deutschlands auf die Europäische Zentralbank erfolgt insbesondere über die Bundesbank, durch ihren Präsidenten, der Mitglied im EZB-Rat ist, und natürlich auch über unser Direktoriumsmitglied, derzeit Frau Professor Schnabel. Von daher stelle ich fest, dass uns die Europäische Zentralbank in den vergangenen zehn Jahren, auch im Zuge der Finanzkrise, sehr intensiv begleitet hat. Ich erinnere mich an zwei Gespräche, die im Rahmen von gemeinsamen Sitzungen des Finanz-, Wirtschafts- und Europaausschusses und einiger anderer Ausschüsse ({3}) – Haushaltsausschuss – mit Mario Draghi geführt wurden. Es ging um wichtige Punkte zum OMT-Programm. Ich sagen Ihnen: Wenn es eine Institution innerhalb der Europäischen Union gibt, die vollständig funktioniert hat, die die Währungsstabilität garantiert hat und dafür gesorgt hat, dass wir den Euro noch haben, dann ist es die EZB und keine andere. Dafür sollten wir danken. ({4}) Das hat Mario Draghi mit viel Mut, mit viel Überzeugungskraft und mit ganz wenig Geldeinsatz gemacht. ({5}) Er brauchte nur drei Worte auf der Pressekonferenz in London: Whatever it takes. Die Entschlossenheit des Präsidenten und des Zentralbankrates hat die Finanzmärkte beeindruckt, was dazu geführt hat, dass wir keinen einzigen Cent verloren haben. Das steht im Gegensatz zu dem, was die Kollegen von der AfD hier präsentiert haben. ({6}) Ich achte die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank genau wie die der Bundesbank. Ich achte auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Wenn ich mir das Urteil genau anschaue – Kollege Jung hat darüber referiert –, ist eines ganz klar: Es gibt keine verbotene monetäre Staatsfinanzierung. Die gibt es nicht. ({7}) Es wurde festgestellt: Sie hat nicht stattgefunden. Uns wurde vom Bundesverfassungsgericht ein Auftrag gegeben – jedenfalls nach erstem Lesen; das Urteil ist ja noch nicht so alt –, mit dem wir uns in der Fraktion und auch hier im Bundestag beschäftigen werden. Wir werden den Auftrag auch umsetzen. Es geht um eine weitere Erörterung der Erwägungsgründe für die Entscheidung und insbesondere darum, welche Maßgaben und welche Erwägungsgründe bezogen auf die Grenze zwischen Geld- und Wirtschaftspolitik innerhalb der EZB eine Rolle gespielt haben. Ich bin mir sehr sicher, dass die Europäische Zentralbank ebenso wie die Deutsche Bundesbank all diese Daten, Fakten und Analysen besitzt und sie transparent machen wird und wir die Gelegenheit haben und nutzen werden, diese im Deutschen Bundestag zu erörtern. Der Erörterungsprozess findet informell bereits statt. Ich habe mich wie viele andere Kollegen auch in der letzten Legislatur mehrfach mit Mitgliedern der Europäischen Zentralbank – Herrn Coeuré, Frau Lautenschläger, aber auch mit anderen – getroffen und mir im Vorfeld die geplanten Maßnahmen erläutern lassen. Ich habe in diesem Zusammenhang die deutsche Position, auch die der Sozialdemokratie, in den Erörterungsprozess eingebracht. Das hat nicht formell stattgefunden – vielleicht ist das der Punkt, wo es noch Änderungsbedarf gibt –, sondern es handelte sich um informelle Gespräche. Das würde ich als ersten Punkt aufgreifen. Ich füge hinzu: Wir können jederzeit wieder eine Einladung aussprechen, so wie wir damals Präsident Draghi in die Ausschüsse des Deutschen Bundestages eingeladen haben. Formell zuständig allerdings ist das Europäische Parlament. ({8}) Ich finde, wir als Deutscher Bundestag sollten das respektieren und die Zuständigkeit des Europäischen Parlaments betonen. ({9}) Ich bin der EZB und ihren Mitarbeitern, aber auch den Nationalstaaten sehr dankbar, dass wir eine kohärente Geldpolitik haben, die sicherstellt, dass das Inflationsziel von 2 Prozent erreicht wird, dass wir die Geldwertstabilität, insbesondere was unsere Währung betrifft, unorthodox und unideologisch im Blick behalten und dass wir gemeinsam mit der Bundesregierung die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Nächster Redner ist der Kollege Fabio De Masi, Fraktion Die Linke. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Verfassungsgericht hat kürzlich über Anleihekäufe der Zentralbank entschieden. Das Urteil hat eine juristische Seite – die Kontrolle der EZB durch die Parlamente – und beinhaltet die Frage, für was der Europäische Gerichtshof in Europa eigentlich zuständig ist. Es hat auch eine ökonomische Seite: die Effekte der Geldpolitik auf die Wirtschaft. Die Linke begrüßt, wenn die Zentralbank von Parlamenten kontrolliert und über die Geldpolitik demokratisch in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wir fordern seit Jahren, dass die EZB auch für Wachstum und Beschäftigung Verantwortung übernimmt. ({0}) Selbstverständlich darf man auch den Europäischen Gerichtshof ausbremsen, zum Beispiel, wenn dieser in den sozialen Schutz von Beschäftigten eingreift. Aber widersprüchlich ist es doch etwas: Jahrelang haben Regierungen in Deutschland die Unabhängigkeit der Zentralbank verteidigt wie die katholische Kirche die unbefleckte Empfängnis. Und nun, da der „Bild“-Zeitung die Geldpolitik nicht schmeckt, wollen einige in Deutschland zu jeder Entscheidung der EZB einen Stuhlkreis gründen. Man muss sich daher entscheiden, was man will. ({1}) Deutsche Regierungen predigten immer, die EZB solle sich nur auf die Kontrolle der Inflation beschränken und Wachstum oder Beschäftigung ignorieren. Jetzt heißt es, die EZB sollte die Effekte auf die Wirtschaft mitdenken. Ja, guten Morgen! Das ist der Job einer Zentralbank. ({2}) Ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Es gibt keinen krasseren Hammer in der Wirtschaft als den Zins. Mit einer Zinserhöhung bringen Sie jede Finanzblase zum Platzen, wenn Sie die Zinsen nur hoch genug schrauben. Sie machen aber auch den Rest der Wirtschaft platt, weil bei hohen Zinsen niemand mehr investiert. Es ist im Grunde wie ein Flächenbombardement, wenn Sie einen Bankräuber festnehmen wollen. Das Verfassungsgericht hat zwar die unzureichende Prüfung von Anleihekäufen bemängelt, aber nicht, dass die EZB ihre Zinspolitik nicht hinreichend rechtfertigt. Ökonomisch macht das Urteil daher wenig Sinn. Man soll Geldpolitik kritisieren. Das tun wir auch. Es ist falsch, dass die EZB zu Ländern wie Italien gesagt hat: Ihr müsst eure Investitionen runterfahren – auch in Krankenhäuser, was sich jetzt in der Coronakrise bitter rächt –, sonst drehen wir euch den Euro ab. – Es ist ein Problem, wenn das billige Geld der EZB auf den Finanzmärkten zum Beispiel in Immobilienblasen landet statt in der realen Wirtschaft, weil in Europa zu wenig öffentlich investiert wird; ({3}) das ist, wie einen Patienten künstlich zu beatmen, aber ihm Blut abzunehmen. Aber auch das hat seine Ursachen nicht in Frankfurt bei der Europäischen Zentralbank, sondern auf der deutschen Regierungsbank, wo man jahrelang schwarze Nullen predigte. ({4}) Die EZB ist die einzige Institution, die in Euros nie pleitegehen kann; denn sie kann den Euro per Knopfdruck schaffen. Das war ja der Grund, warum Mario Draghis „whatever it takes“ so billig war. Er musste gar nichts machen. Die Ankündigung, die Drohung hat gereicht. Deswegen gäbe es für Deutschland auch null Zins- oder Haftungsrisiko, würde die EZB Coronabonds kaufen. Das ist eine völlig absurde Phantomdebatte. Die britische Zentralbank – die AfD feiert die britische Regierung ja öfter – finanziert in der Coronakrise die Staatsausgaben sogar direkt. Das ist überhaupt kein Problem; denn es droht angesichts von ungenutzten Fabrikhallen und Massenarbeitslosigkeit keine Inflation. Nur in der Euro-Zone schafft man immer wieder ein künstliches Pleiterisiko für Staaten, weil die EZB nur Banken, aber keine Staaten finanzieren darf. Deswegen muss die EZB einen Umweg gehen. Sie leiht Banken Geld, und Staaten dürfen sich dann wieder das Geld der EZB von den Banken leihen. Geld für die Banken ist offenbar gutes Geld, aber Geld für den Staat ist schlechtes Geld. Das ist reine Ideologie. Man will, dass Regierungen weiter unter Kontrolle der Finanzmärkte stehen. ({5}) Wer nicht will, dass die EZB Staaten finanziert, der darf sich einer gemeinsamen Finanzpolitik in Europa nicht mehr länger verweigern. ({6}) Wer auch das nicht will, muss sich früher oder später vom Euro verabschieden. Dann werden Länder wie Italien abwerten, und dort werden weniger deutsche Autos gekauft. Aber den Euro behalten, nicht in den Wiederaufbau Europas investieren und die EZB kastrieren, das funktioniert nicht. ({7}) Es wäre an der Zeit, den Streit nicht länger über Gerichte zu führen. Es ist an der Zeit, dass auch die Bundesregierung endlich erwachsen wird und anstatt zu spielen „wie Flasche leer“ und Europa vor die Wand zu fahren, endlich Verantwortung für das europäische Projekt zu übernehmen. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege De Masi. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Franziska Brantner. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde gerne über drei Auswirkungen des Gerichtsurteils sprechen: erstens mit Blick auf die europäische Rechtsgemeinschaft, zweitens mit Blick auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und drittens mit Blick auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Erstens: Auswirkungen auf die europäische Rechtsordnung und Rechtsgemeinschaft. Wir haben gesehen, woher die ersten freudigen Kommentare kamen. Sie kamen aus Polen, von jenen, die die Unabhängigkeit der Richter abschaffen wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn die Akzeptanz des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung europäischen Rechts wegbricht, dann gilt wieder richterliches Faustrecht, dann geht es um Macht und Stärke. Mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich dazu Franz Mayer: Dann wäre die zentrale Idee der europäischen Integration, Frieden durch Recht in Rechtsgleichheit zu schaffen, zerstört. – Ob Karlsruhe diese Konsequenz absichtlich oder fahrlässig herbeiführte? Es ist nicht an uns, darüber zu urteilen; es obliegt uns aber, die Konsequenzen zu sehen und ihnen politisch entgegenzuwirken. ({0}) Ich möchte zum Beispiel, dass der Außenminister seinem polnischen Kollegen sehr klarmacht: Rechtsstaatsfeindlichkeit ist durch dieses Urteil nicht gedeckt. ({1}) Gestern habe ich diese Reaktion aus dem Auswärtigen Amt leider vermisst. Zweitens: die Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Wenn jeder Mitgliedstaat mit derartigen Letztentscheidungsansprüchen und Bedingungen aufwartet, dann kann man es mit der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank auch gleich sein lassen. Auch hier ist klar, dass wir politisch als Bundestag eine enorme Verantwortung haben. Die Europäische Zentralbank ist rechenschaftspflichtig und muss es auch sein, und zwar gegenüber dem Europäischen Parlament, und das müssen wir in unseren Entscheidungen berücksichtigen. ({2}) Wir haben einen Ansprechpartner. Das ist die Deutsche Bundesbank, die übrigens auch unabhängig ist. Alles, was wir hier zur Umsetzung dieses Urteils machen, muss diesem Grundsatz Genüge leisten. Das ist eine große Verantwortung, die wir haben. Wir dürfen nicht die Büchse der Pandora öffnen; denn das würde am Ende nur der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank schaden. Drittens: die Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Wir haben noch einmal bekräftigt bekommen, dass das Auslagern der Krisenbewältigung an die Europäische Zentralbank brandgefährlich ist. Wir sind jetzt in einer Situation, in der Karlsruhe die geldpolitischen Notmaßnahmen beschränkt und Berlin die fiskalischen Notmaßnahmen beschränkt. ({3}) Diese Doppelpackung ist für den Euro brandgefährlich. ({4}) Das zeigt auf, dass wir uns seit Jahren mit einer Lebenslüge durch diese Krisen mogeln, mit der Lebenslüge, dass man eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Fiskalpolitik und gleichzeitig eine unabhängige Zentralbank mit einem auf die Inflationsrate limitierten Mandat haben kann. Diese beiden Bedingungen zusammen hält keine gemeinsame Währung aus. ({5}) Der Euro hat schon die erste Krise, die Finanzkrise, mit dieser Lebenslüge nur sehr stark beschadet überstanden. Wir sind jetzt in der zweiten Krise. Ich kann an die Bundesregierung nur appellieren: Nehmen Sie die Konsequenz dieses Urteils ernst, und gehen Sie in eine fiskalische Politik, kombiniert mit Wirtschafts- und Finanzpolitik; denn das gehört dazu. Es braucht jetzt einen Recovery Fund, der makroökonomisch relevant ist, ohne eine erneute Euro-Krise zu riskieren. Dafür gibt es ein gutes Instrument: einmalige gemeinsame Anleihen. Die Europäische Union leiht sich Geld, investiert es zur Bewältigung dieser Krise und zahlt es gemeinsam zurück, entweder anteilig, entsprechend der wirtschaftlichen Stärke des jeweiligen Mitgliedstaates, oder über gemeinsame Steuern, zum Beispiel Digitalsteuern. Ich bitte Sie wirklich, liebe Bundesregierung: Räumen Sie endlich mit dieser Lebenslüge auf, und unterstützen Sie jetzt gemeinsame europäische Anleihen. Jetzt können Sie zeigen, dass Sie Karlsruhe ernst nehmen. ({6}) – Ich rede von dem Urteil, das aufzeigt, dass die Europäische Zentralbank nicht der Rettungsakteur sein kann, der uns durch jede Krise bringt, sondern wir mittels politischer, demokratisch kontrollierter Entscheidungen reagieren müssen und die Entscheidungskompetenz dafür bei uns gemeinsam liegt. Das ist eine Frage der Fiskalpolitik, die diese Regierung bislang verneint, und das ist unverantwortlich. ({7}) Und ja, Herr Kollege Dürr, im Alternativfall müssten wir das Mandat der Europäischen Zentralbank ändern.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss?

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber wahrscheinlich nicht so, wie Sie sich das wünschen, sondern in die andere Richtung. Das ist die andere Option. Ich sage ja nur: Wir können nicht beides gleichzeitig haben. Deutschland hat bald die europäische Ratspräsidentschaft inne. Handeln Sie verantwortungsvoll! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Brantner. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Eckhardt Rehberg. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was hat Karlsruhe entschieden? Erstens. Beim PSPP handelt es sich nicht um eine monetäre Staatsfinanzierung. Zweitens. Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages wurde nicht verletzt. Aber Karlsruhe setzt der EZB drei Monate Frist, um für das PSPP eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzulegen, und der Bundestag, also wir, und die Bundesregierung müssen darauf hinwirken. Dann kann die Bundesbank weiter am PSPP teilnehmen. Das Urteil gilt nicht für aktuelle coronabedingte Maßnahmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der schwierigste Teil betrifft die Frage – Carsten Schneider und andere sind darauf eingegangen –, wie wir dieses Hinwirken mit der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, aber auch mit der Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank verbinden. Kollege Dürr, ich weiß nicht, ob es reicht, mal fix ein neues Gremium zu schaffen. Ich weiß nicht, ob man es sich so einfach machen kann. Ich glaube, die ganze Geschichte ist etwas komplizierter. Für mich ist das eine Gratwanderung. Kollegin Brantner hat zu Recht gesagt: Die EZB ist gegenüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig, nicht gegenüber dem Deutschen Bundestag. – Ich warne davor, zu glauben, wie manche hier meinen, dass wir als Deutscher Bundestag Dinge bewirken könnten, die nicht umgesetzt werden können. Davor warne ich. Damit wecken wir als Politik Erwartungen, die wir nicht erfüllen können. Das halte ich für eher rückwärtsgewandt und schwierig. Die Lösung – das sage ich in Richtung Linke und Grüne – können aber nicht Euro-Bonds sein. Keine Vergemeinschaftung von Schulden! Auch hierzu rate ich jedem, sich alte – das sage ich in Tüttelchen; denn so alt sind sie noch nicht – Bundesverfassungsgerichtsurteile durchzulesen. Ist es denn nicht für uns alle miteinander in unserem parlamentarischen Sein hier ein Stück weit eine Ehre, das Budgetrecht für Deutschland, für den deutschen Steuerzahler hier in diesem Haus, im Deutschen Bundestag zu behalten? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich möchte keine unkonditionierten Budgethilfen für andere europäische Staaten. – Das möchte ich schlichtweg nicht. ({0}) Deswegen gehören Finanzverantwortung und Haftung aus meiner Sicht eindeutig zusammen. Das nächste Thema, Kollege Dürr, ist die Präzisierung des Mandats. Ich weiß nicht, ob es schlau ist, im Augenblick mit dem Einstimmigkeitsprinzip eine Präzisierung des Mandats anzustreben. Ich glaube, die Konstruktion der Europäischen Zentralbank – Carsten Schneider ist darauf eingegangen – nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank war für Helmut Kohl und Theo Waigel in den Neunzigern nicht ganz einfach. Ich glaube, wir können nicht nur darüber froh sein, dass Frankfurt Standort der Europäischen Zentralbank ist, sondern auch darüber, dass das Vorbild die Deutsche Bundesbank war. Deswegen finde ich: Ja, wir brauchen eine starke Europäische Zentralbank; aber das Mandat ist maßgeschneidert, auch im Kontext der Europäischen Institutionen. Ich bin etwas zurückhaltend, wenn es darum geht, eine neue Debatte darüber zu beginnen. Wenn wir mit der Änderung von Verträgen anfangen, wo enden wir dann miteinander? Ich bin an dieser Stelle hoch skeptisch, gerade wegen der gegenwärtigen Interessenlage, wie ich und wie wir sie in Europa sehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, aus meiner Sicht werden wir uns gemeinsam Gedanken machen müssen, wie wir innerhalb einer Dreimonatsfrist die uns vom Verfassungsgericht in Karlsruhe vorgegebene Aufgabe erfüllen können. Die Bundesregierung, aber auch wir müssen es tun. Ich glaube, dass dabei materiell mehr als nur ein Gespräch in Ausschüssen herumkommen muss; das ist meine Auffassung. Wir müssen hier auch deutlich machen, wie wir zukünftig strukturell unsere Informationsrechte einfordern wollen. Vielleicht müssen wir sie auch rechtlich noch besser normieren. ({1}) Darüber muss man in Ruhe reden, ganz in Ruhe, finde ich, um dann dem Urteil aus Karlsruhe nachzukommen. Letzte Bemerkung: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben drei Monate Zeit, und ich möchte nicht, dass die Wirkmechanismen des Urteils, die Rechtsetzung, materiell zum Greifen kommen; Stichwort „Anleihekäufe und Bundesbank“. Das wäre das Verheerendste.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen drängt hier die Zeit und ist Eile geboten. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rehberg. – Nächster Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Albrecht Glaser. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehrenwerte Bürger haben wirklich Verantwortung übernommen. Sie haben sich aus Fürsorge für unseren Staat die Mühe gemacht, mit Verfassungsbeschwerden die Demokratie in diesem Lande gegen die Kompetenzanmaßung der EU zu verteidigen. ({0}) Verwechseln Sie nicht die Unabhängigkeit der EZB mit der Überschreitung ihres gesetzlichen vertraglichen Mandats. Diese Unterscheidung ist die entscheidende, und das wird hier penetrant durcheinandergeworfen. Nach fünf Jahren Verfahrensdauer und dem Einsatz von viel Geld und Zeit haben am 5. Mai diese Petenten eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erstritten, die jetzt für Aufregung sorgt. Noch ehe die Entscheidung ausgewertet und verstanden ist, hat eine Kollegin der Grünen aus diesem Hause Gerichtsschelte betrieben und zusätzlich den Präsidenten des Gerichtes unqualifiziert persönlich angegriffen. ({1}) Es geht im Kern um ein Staatsanleiheaufkaufprogramm des EZB-Systems mit einem bereits umgesetzten Volumen von rund 3 Billionen Euro, und es geht um die Absicht, weitere Schulden von Euro-Staaten zeitlich und betragsmäßig unbegrenzt in die Bilanzen des Notenbanksystems zu nehmen, mit vorhersehbar fatalen Folgen: Die Haftungsfrage ist völlig ungewiss; niemand kann sie beantworten. Jeder, der ein bisschen was davon versteht, weiß, dass sie gewaltig ist. Das Gericht stellt fest, dass die Bundesregierung und der Bundestag die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes verletzt haben. – Das ist keine Kleinigkeit. Die Bundesregierung und der Bundestag hätten es unterlassen, dagegen vorzugehen, dass die EZB für die Durchführung des Ankaufprogramms keine angemessene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen habe. Die Erwägungen des EuGH im Vorlageverfahren zur Verhältnismäßigkeit des Vorgehens der EZB seien nicht nachvollziehbar und stellten damit ebenfalls eine Kompetenzüberschreitung dar, in diesem Fall des EuGH. – Auch Gerichte können ihre Kompetenzen überschreiten. ({2}) Da das Verfassungsgericht, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Wächterrolle habe, substantiierten Rügen, wie es dort heißt, bezüglich Kompetenzüberschreitungen von EU-Organen nachzugehen, müsse es in diesem Falle von der Sichtweise des EuGH abweichen. Hüter der Verträge ist dieses Verfassungsgericht; es hat in dieser seiner Mission gehandelt. Dies war und ist dringend notwendig; denn der EuGH war noch nie der Hüter der Subsidiarität und des Prinzips der Einzelermächtigung. Er hat vor vielen Jahren schon ohne jegliche gesetzliche Grundlage in den EU-Verträgen judiziert, dass die Rechtsetzung der EU nationales Recht, insbesondere auch nationales Verfassungsrecht, grundsätzlich aushebelt. – Den Wert des Grundgesetzes, dessen Jubiläum wir neulich gefeiert haben, sollten Sie neu einschätzen, meine Damen und Herren; dieses Grundgesetz ist moribund. Die Beschwerdeführer seien, so das Bundesverfassungsgericht, in ihren Rechten verletzt, weil das verfassungsrechtlich geschützte Demokratiegebot jeden Bürger dieses Landes davor bewahre, angemaßte Hoheitsrechte von EU-Organen hinnehmen zu müssen. Daher seien im Kern die Verfassungsbeschwerden begründet und alle Verfahrenskosten den Beschwerdeführern zu erstatten. Die Kommission erklärt – hoheits-, obrigkeitsstaatlich, ohne dass sie ein Staat ist –, dass EU-Recht nationales Recht breche. Man werde deshalb das Urteil genau prüfen. – Der Finger steht. Diese machtpolitisch getriebene Sicht wird soeben auch von Jean-Claude Juncker geäußert. Wen wundert das? Bruno Le Maire und Giuseppe Conte sehen ihre fiskalischen Interessen als Hochschuldenländer gefährdet. Vor Kurzem haben sie eine französische Politikerin als EZB-Präsidentin installiert. Jetzt sehen sie die Neutralität durch das Bundesverfassungsgericht gefährdet, das nur die Einhaltung der EU-vertraglichen Kompetenzen der EZB anmahnt; etwas anderes tut das Verfassungsgericht gar nicht. – Machtpolitik versus Recht: Wir erleben gerade eine europäische Politik live. Der Finanzminister und Euromane aller Couleur verbiegen das Urteil des Verfassungsgerichts, indem sie behaupten, es sei nunmehr von ihm anerkannt – das wurde gerade wieder ausgeführt –, dass die EZB prinzipiell das Recht habe, Staatsanleihen zu kaufen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr führt das Bundesverfassungsgericht aus, die Handhabung der Kriterien, die der EuGH für einen Anleiheerwerb selbst aufgestellt habe, der nicht gegen das Verbot der Staatsfinanzierung verstoße, begegne erheblichen Bedenken – wörtlich zitiert –; prinzipiell sehe sich jedoch das Bundesverfassungsgericht in der Frage der Staatsanleihen an die Auffassung des EuGH gebunden, nicht, weil es selbst davon überzeugt sei. Dies ist eine bedauerliche Unterwerfungserklärung des Bundesverfassungsgerichts, die einmal mehr beweist, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– dass es in den EU-Verträgen kein wirksames Instrument gibt, eine systemimmanente stetige Kompetenzerweiterung in diesem Staatenbund zu verhindern, meine Damen und Herren, und das ist das eigentliche Problem. Deshalb werden sich die Probleme, die wir vor uns haben, weiter schürzen, und die EU wird weiter in schweres Wasser geraten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege!

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Christian Petry. ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Weil das Grundgesetz gerade ein bisschen diskreditiert wurde, wozu mir eigentlich nur Shakespeares Satz „Hohle Töpfe haben den lautesten Klang“ einfällt, will ich einmal einen Punkt ins Bewusstsein rufen: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Das ist aus der Präambel. Dort heißt es: einem vereinten Europa in Frieden zu dienen. Wenn man genau hinschaut, dann muss man feststellen: Der Begriff „nationale Zuständigkeit“ kommt im Grundgesetz nicht vor. Das Wort „national“ kommt zehnmal vor, sechsmal in dem Begriff „international“, einmal in dem Begriff „supranational“, aber auch dreimal in dem Begriff „nationalsozialistisch“. Das sollte der eine oder andere sich auch mal merken. Das finde ich bemerkenswert. ({0}) Das Programm zum Staatsanleihekauf ist sinnvoll; das ist eben schon ausgeführt worden. Wo wären wir ohne dieses Programm? Es hat uns wirklich in der Krise stark stabilisiert, bis heute, und es wird auch weitergeführt werden. Artikel 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht vor, dass den nationalen Zentralbanken, also auch der Bundesbank, und der Europäischen Zentralbank selbst untersagt ist, Weisungen anzufordern oder entgegenzunehmen. Das ist eben schon genannt worden. Dafür gibt es eine Rechtsgrundlage. Das ist kein Ermessen; man kann nicht sagen: Wir können mal, wir sollten mal, wir müssen mal. Das ist festgeschrieben. Insoweit ist dies auch im Lichte dessen beachtlich, was das Bundesverfassungsgericht beschlossen hat. ({1}) Unser Verfassungsgericht hat festgestellt: Es gibt keinen Verstoß. Das PSPP, das Anleihekaufprogramm, ist rechtmäßig, auch im Rahmen des EAPP, nämlich des Euro-Systems zum Ankauf von Vermögenswerten und Investitionen. Es geht um Verhältnismäßigkeit, Abwägungen, Erläuterungen und mehr. Drei Monate sind Zeit, und ich glaube, die Signale wird die Europäische Zentralbank aufnehmen, auch wenn es keine Verpflichtung wird, und sie wird uns dazu auch Informationen zur Verfügung stellen. Aber das Urteil hält der europäischen Politik auch einen Spiegel vor. Es dokumentiert die Handlungsunfähigkeit und den fehlenden Willen von Staats- und Regierungschefs in den letzten zehn Jahren. ({2}) Man hat sich nicht einigen können, und man hat insbesondere der EZB die Krisenbewältigung übertragen. Das muss sich ändern. Das ist die Konsequenz, die wir aus diesem Urteil ziehen müssen. ({3}) Wir hier gemeinsam in diesem Parlament sind auch gehalten, mehr Stellungnahmen gemäß Artikel 23 unseres Grundgesetzes abzugeben, was Entscheidungen auf europäischer Ebene angeht. Davon haben wir zu wenig Gebrauch gemacht. Auch das ist ein Spiegel, den wir vorgehalten bekommen, und das ist eine Aufforderung, hier verstärkt tätig zu werden. ({4}) Man sieht, wer über dieses Urteil jubelt: Das ist Ungarn, das ist Polen. Rechtsstaatlichkeit ist aus meiner Sicht deshalb künftig stärker an die finanziellen Verteilungen zu koppeln. Deshalb hat das Urteil auch etwas Gutes. Der Ball liegt in unserem Spielfeld, wie Metin Hakverdi es gestern im Ausschuss gesagt hat. Er liegt in unserem Spielfeld. Wir sind kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund, wie es Michael Link ausgeführt hat. Deshalb sind wir gezwungen, uns zu entscheiden, und das ist gut so. Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen: Solidarische Gemeinschaft oder egoistischer, kaltherziger Nationalismus? Solidarische Krisenbewältigung oder die anderen alleine an der langen Leine verhungern und dem Untergang entgegengehen lassen? Es wird sich hier klären. Die Spreu wird sich vom Weizen trennen. Wir werden uns hier erklären müssen. Das ist auch ein positives Signal dieses Urteils, finde ich. ({5}) Wir werden also den Auftrag aus dem Urteil annehmen. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Finanzmärkte. Wir brauchen eine Vertiefung; sie ist dringend notwendig. Wir brauchen einen echten Europäischen Währungsfonds, eine Weiterentwicklung des ESM in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank und der Investitionsbank. Wir müssen eine institutionelle Weiterentwicklung ins Auge fassen. Lieber Eckhardt Rehberg, da bin ich anderer Auffassung. Das müssen wir tun. Auch dafür ist das jetzt die Zeit. Der mehrjährige Finanzrahmen muss stärker mit Eigenmitteln ausgestattet werden. Hierfür sind die Anleihen ein Instrument, aber auch die Steuern. Auch das muss diskutiert werden, wie wir das im Kontext einer soliden europäischen Finanzierung hinbekommen. Dies wird uns auch in Deutschland weiterhelfen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Ich bin also dem Bundesverfassungsgericht dankbar für das Wachrütteln. Wer Europa in der Wirtschaftsunion vertiefen will, wer Europa in der Finanzunion vertiefen will, wer wie wir das soziale Europa stärken will, mit Arbeitslosenrückversicherung, europäischen Mindestlöhnen, Mitbestimmung und Ausbildungsgarantie, oder wer Europa als Motor des Friedens und der Abrüstung in einer Sicherheitsarchitektur fortentwickeln will, der muss jetzt diese Chance nutzen, die dieses Urteil gegeben hat. Wir und die Bundesregierung werden hier vorangehen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie jetzt zum Schluss, bitte.

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– hoffentlich mit dem Parlament. Machen Sie mit! Glück auf! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielleicht darf ich darauf hinweisen, dass Fünf-Minuten-Beiträge in Aktuellen Stunden auch Fünf-Minuten-Beiträge bleiben sollten. Darauf kann man sich auch einstellen. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Vor zwei Tagen haben wir ein geradezu historisches Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Staatsanleiheprogramm der EZB erlebt. Es ist die unüberhörbare Klarstellung: Die Unabhängigkeit der EZB bedeutet nicht, dass die Notenbank über dem Recht steht und nach Belieben schalten und walten kann, meine Damen und Herren. ({0}) Die EZB hat mit der Geldpolitik die Währungsstabilität zu sichern. Für uns als CDU/CSU steht dazu fest: Es ist nicht EZB-Aufgabe, Wirtschaftspolitik oder gar Staatsfinanzierung zu betreiben. ({1}) Kompetenzüberschreitungen müssen die Mitgliedstaaten nicht hinnehmen, ja sie dürfen es nicht einmal, urteilt Karlsruhe mit Blick auf den Deutschen Bundestag und auf die Bundesregierung. Mit ihrem Urteil stärken die Verfassungsrichter auch die Rechte unserer Bürger, die Rechte von Sparern, Versicherungsnehmern, Mietern, Hauseigentümern und Anlegern. Ihre Belange dürfen nicht übergangen werden, so das Urteil. Meine Damen und Herren, studiert man frühere Karlsruher Urteile, kann der Spruch vom Dienstag ja nicht überraschen. ({2}) Überraschend ist natürlich eher seine Deutlichkeit. Das hat es bisher nicht gegeben. Dieses Urteil ist aber auch kein Verdikt gegen Europa. Es ist kein antieuropäisches Urteil, zu dem es die AfD in bekannter Manier geradezu aufblasen will. Das Karlsruher Urteil, meine Damen und Herren, ist zutiefst europafreundlich. ({3}) Es ist das Signal an die europäischen Institutionen, die Grenzen ihrer Zuständigkeiten zu beachten, statt diese in einer Art permanenten Gewohnheitsrechts durch Kompetenzüberschreitungen zu erweitern, meine Damen und Herren. ({4}) Wir haben ja schon länger hier Zweifel geübt, ob manche Handlungen europäischer Organe noch von der Kompetenzordnung in den europäischen Verträgen gedeckt sind. Das ist der Kern des Urteils, meine Damen und Herren. Das Urteil ist eben die Aufforderung an EZB und Kommission, ihre Entscheidungen differenzierter abzuwägen und diese Abwägung öffentlich zu machen. Das macht Europa transparenter und trägt zur Versachlichung der Debatten und der Diskussionen in Europa bei. Das zeigt die Europafreundlichkeit dieses Urteils. ({5}) Die Reaktion der EU-Kommission auf das Urteil, europäische Entscheidungen stünden immer über nationalem Recht, die Mitgliedstaaten hätten mithin einfach hinzunehmen, was europäische Organe dekretieren, ist falsch und über die Maßen überheblich. In Brüssel besteht hier offenbar noch Lernbedarf. ({6}) Meine Damen und Herren, das Urteil ist auch eine Mahnung an die Bundesregierung, aber auch an uns, den Deutschen Bundestag, das Handeln der europäischen Institutionen stärker zu hinterfragen. Meine Kollegen der FDP, wir brauchen dazu keinen neuen Unterausschuss. Wir haben die Kompetenz im Haushaltsausschuss, wir haben die Kompetenz im Finanzausschuss, und nach diesem Urteil können wir uns jetzt stärker darum kümmern. Das ist ein großer Vorteil. Das ist für unser Parlament letzten Endes mit diesem Prüfrecht und dieser Beeinflussung eine echte Chance, in Europa eine Wegstrecke zu gehen, die für Europa die bessere Wegstrecke ist, meine Damen und Herren. ({7}) Ich gehe deshalb davon aus, dass die Bundesregierung dieses Parlament mit den zuständigen Ausschüssen von Anfang an an der Bewertung der jetzt fälligen EZB-Stellungnahmen beteiligt und das Votum des Bundestages abwartet und respektiert. Nicht die EZB oder der Bundesfinanzminister, sondern dieses Parlament entscheidet nämlich darüber, ob die nachgereichte Wirkungsabwägung, die das Urteil ja fordert, ausreichend ist. ({8}) Die CDU/CSU-Fraktion will sich daran beteiligen. Wir wollen mehr Transparenz. Wir fordern die Einhaltung der Kompetenzordnung in der Europäischen Union. Keine Schuldenunion, keine Euro-Bonds, keine gemeinschaftliche Schuldenhaftung, weder durch die Vordertür noch durch die Hintertür! Wir wollen die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wir wollen einen stabilen Euro und ein stabiles, starkes Europa. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie haben die Uhr im Auge?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür ist das Urteil sehr hilfreich. Hilfreich ist bei diesem Urteil nicht der plumpe Nationalismus mit dieser Anbiederung der AfD, meine Damen und Herren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Michelbach. – Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Andreas Schwarz. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vorgestern hat das Bundesverfassungsgericht über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Staatsanleiheprogramm der EZB geurteilt. Um es vorwegzunehmen: Die ganze Aufregung und vor allen Dingen die Freude der EZB-Gegner sind für mich nach diesem Urteil in keinster Weise nachvollziehbar und verständlich. Es galt bei dieser Verfassungsbeschwerde, zu prüfen, ob der Anleihekauf mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es ging um nicht mehr und auch um nicht weniger. Sehen wir es doch positiv: Das Urteil zeigt: Unser Bundesverfassungsgericht versteckt sich nicht hinter dem Europäischen Gerichtshof. Das ist das eine. Und das große Zeichen an das Land und auch an Europa ist: Es geht um mehr Demokratie, und es geht um mehr Transparenz. Das ist gut so, und das ist auch die Riesenchance, die wir mit diesem Urteil haben. ({0}) Doch was ist passiert? Entscheidungsgegenstand war das im Jahr 2015 aufgelegte Programm der EZB, Staatsanleihen aufzukaufen. Hintergrund für dieses milliardenschwere Programm war der begründete Wille der EZB, das Wachstum in der Europäischen Gemeinschaft anzukurbeln und zu stabilisieren, eine mögliche drohende Deflation zu bekämpfen und damit letztendlich den Euro zu stabilisieren. Gar nichts zu tun, wäre damals mit Sicherheit keine Handlungsoption gewesen. Meine Damen und Herren, man kann den Kauf von Staatsanleihen kritisch sehen. Ja, es gibt Risiken. Aber es war mutig; denn die Finanz- und Wirtschaftspolitik wurde belebt. Deutschland hat sicherlich zum einen ein elementares Interesse an einem stabilen Euro, aber zum anderen natürlich auch daran, dass es den Nachbarn um uns herum gut geht; 60 Prozent unserer Exporte gehen ja ins europäische Ausland. ({1}) Ich gebe zu: Das Urteil hat mich durchaus überrascht, aber in keinster Weise schockiert. Was ist das Besondere an diesem Urteil? Zum ersten Mal hat das höchste deutsche Gericht eine Entscheidung des EuGH kritisiert. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, schauen wir uns das doch einfach mal im Detail an. Was ist das Problem? Im Prinzip ist das Problem ein Versäumnis – es geht hier also mitnichten um den Untergang des Abendlandes –: Bundesregierung und Bundestag haben es versäumt, die Beschlüsse der EZB zur Einführung und zur Durchführung des Staatsanleiheprogramms ordentlich zu prüfen und darauf zu achten, dass deren Maßnahmen verhältnismäßig sind. Ausdrücklich – ich betone das hier sehr deutlich und verrate mit Sicherheit auch kein Geheimnis – hat das Gericht auch noch ein paar Dinge abseits des gerade Genannten festgestellt: Erstens. Es gibt keinen Verstoß der EZB gegen das Verbot der sogenannten monetären Staatsfinanzierung. ({2}) Zweitens. Es gibt keine Verletzung der haushaltspolitischen Verantwortung dieses Hohen Hauses. ({3}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, hätten Sie zwar gerne festgestellt gewusst, aber das ist natürlich nicht passiert. ({4}) Das, was die EZB betreibt, ist also ganz eindeutig keine unerlaubte Wirtschaftspolitik – Wirtschaftspolitik ist sicherlich Sache der einzelnen Mitgliedstaaten –, sondern es ist erlaubte Geldpolitik. Meine Damen und Herren, wie geht es jetzt weiter? Die EZB hat drei Monate Zeit, die geforderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit vorzunehmen und zu veröffentlichen. Und eins ist klar – machen wir uns doch nichts vor –: Der Bundestag, aber auch die Bundesregierung werden diese Prüfung dann genauestens unter die Lupe nehmen und analysieren. Ich bin mir sicher, dass es der EZB gelingt, diese Verhältnismäßigkeit zufriedenstellend zu begründen und die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen. Wer, wie ich das vor allen Dingen aus einigen Medien gehört habe, meint, hier wieder eine weitere Krise der EU-Institutionen zu erkennen, der irrt und wird sich wundern; Krisen beginnen in der Regel meistens im Kopf. Die Entscheidung rüttelt auf keinen Fall an den Grundprinzipien der Europäischen Währungsunion. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz zu den Auswirkungen dieses Urteils auf die Coronanotprogramme der EZB sagen – wir wollen ja keine Legendenbildung –: Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass die Coronahilfen nicht Gegenstand der Entscheidung seien. Sehen wir dieses Urteil als große Chance für Europa, für unseren Bundestag, für die Demokratie insgesamt und letztendlich auch für den Euro. Dass wir hier alle zusammenarbeiten, unsere Ideale und unsere Ziele verfolgen und Europa insgesamt stärken, das ist die Herausforderung dieses Urteils. Danke schön. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Dr. Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vorgestern sei – so wurde es in den Medien zum Teil beschrieben – ein Paukenschlag, ein Knall und Ähnliches. Wenn man wie ich bei der mündlichen Verhandlung vor einigen Monaten anwesend war, empfindet man es ganz anders; denn das, was jetzt festgestellt wurde, entspricht ziemlich genau dem, was damals in Karlsruhe erörtert wurde, was lange debattiert wurde und wozu wir als Bundestag auch Stellung genommen haben. Lassen Sie mich deshalb zu den Kernfragen einige Anmerkungen machen. Der wesentliche Punkt ist – das ist schon mehrfach gesagt worden –: Es gab keinen Verstoß gegen das geldpolitische Mandat; es wurde nicht überschritten. Das ist gerade nicht festgestellt worden, ({0}) sondern es ist festgestellt worden, dass die Begründungszusammenhänge nicht so sind, wie man sie sich in Karlsruhe vorstellt – im Übrigen auch in anderen Fällen; ich denke nur an den assistierten Suizid, wo wir ganz ähnliche Diskussionen hatten –: dass nachvollziehbar ist, was in der Europäischen Zentralbank gemacht wird. ({1}) Das ist ein Punkt, den man sich ein bisschen auf der Zunge zergehen lassen muss; denn das, was in Karlsruhe erörtert wurde und jetzt auch im Urteil steht, sind die Punkte, in denen Deutschland aus der Sicht mancher durch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank benachteiligt wird. Es werden nicht die Gewinner, sondern nur die Verlierer genannt. Das ist für ein Bürgergericht verständlich; es spiegelt aber nicht die komplette volkswirtschaftliche Dimension wider, wenn wir nur von den Sparern reden und die Arbeitnehmer nicht erwähnen. ({2}) Gerade wenn wir über die Frage nachdenken, was die Anleihekäufe jetzt, in der Coronakrise, nach sich ziehen, wie das zu beurteilen sein wird, dann wissen wir: Es geht natürlich auch um die Diskussion über mögliche Insolvenzen, darum, ob das Geldgeben weitergeführt werden soll oder nicht. Diese Diskussion kommt hier sehr deutlich zum Ausdruck, und sie wird aus meiner Sicht etwas einseitig adressiert. ({3}) Wir sehen zweitens – das wird im Urteil ausdrücklich gesagt –: Es wird die Rückbindung auf das nationale deutsche Interesse verlangt. Das kann ich aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts verstehen; aber die Europäische Zentralbank hat ein anderes Mandat. Das passt nicht ganz zusammen. ({4}) Deshalb müssen wir bei dieser Frage sehr genau überlegen – ich komme gleich noch darauf –, wie wir das am Ende umsetzen. Das ist schwierig. Eine weitere große Baustelle ist die rechtspolitische Diskussion. Das Bundesverfassungsgericht sagt mit ungewohnter Deutlichkeit, dass es dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht folgen will. Das ist noch nie vorgekommen. Für mich als Rechtspolitiker und als Rechtsvergleicher ist das – ich sage es ganz deutlich – traurig; ({5}) denn es wird unsere Diskussion mit den Kollegen in Europa – wir haben schon gehört, dass Polen und Ungarn das Urteil aus falschen Gründen gelobt haben – und unsere eigene Akzeptanz erschweren. Das hätte ich mir so nicht gewünscht. Damit kommen wir zu der Baustelle, die uns jetzt bevorsteht. Wir werden natürlich daran arbeiten, das Urteil umzusetzen. Ob ein zusätzlicher Unterausschuss die richtige Antwort ist, daran habe auch ich meine Zweifel. Ich habe den Richtern in Karlsruhe nicht nur einmal erklärt, wie oft wir hier über europäische Fragen reden: in dem von mir geleiteten Unterausschuss Europarecht, im Europaausschuss und in vielen anderen Ausschüssen – im Übrigen nicht immer nur öffentlich, weil es zur politischen Arbeit gehört, die Dinge erst einmal vorzubesprechen und dann zu entscheiden, ob wir gegen etwas vorgehen oder nicht. Manch einer, der dort Urteile spricht, hatte das so nicht gewusst. ({6}) Hier können wir aber noch nacharbeiten, und wir werden da nacharbeiten und die Diskussion transparent machen. Wir müssen über die Frage nachdenken, ob es vernünftig ist, fünf Jahre auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten zu müssen, die uns sagt: Das war so nicht in Ordnung. Denn politisches Handeln setzt Verlässlichkeit voraus, auch im Verfahren, auch in der Außenpolitik. Da müssen wir jetzt überlegen, ob wir vielleicht an den entsprechenden Verfahrensordnungen etwas ändern. Schließlich: Es ist wichtig, dass wir die Diskussion über die Begründung hier führen, aber auch, dass wir sie auf das gesamteuropäische Interesse zurückbinden, sie gemeinsam mit den Kollegen aus dem Europäischen Parlament, die primär in der Verantwortung sind, führen und damit hoffen, dass die EZB, die in dieser Frage autonom ist, uns die entsprechenden Informationen – Carsten Schneider hat es gesagt –, die sie sicher hat, auch zur Verfügung stellt. In diesem Sinne: Lassen Sie uns zusammen an der Umsetzung des Urteils arbeiten! Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hirte. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr und nehme die Wahl an. Vielen Dank. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass Veränderungen an der Abgeordnetenvergütung stets mit öffentlichem Interesse einhergehen, ist, glaube ich, jedem bekannt. Das Interesse ist besonders kritisch, wenn es um Erhöhungen der Abgeordnetenvergütung geht. Das ist aber nicht das Thema des heutigen Tages. Wir beraten in der zweiten und dritten Lesung heute die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung mit dem Ziel, dass wir auf eine Anpassung – das heißt eine Erhöhung – verzichten werden. Wir haben 2014 das Anpassungsverfahren als Ergebnis einer Expertenanhörung bekommen, weil das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag aufgegeben hatte, sich um seine eigene Entschädigung selbst zu kümmern und selbst darüber Beschlüsse zu fassen. Das ging öffentlich häufig mit dem Vorwurf der Selbstbedienung einher, obwohl es eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes war. Daraufhin haben wir, wie ich finde, richtigerweise eine unabhängige Expertenkommission eingerichtet, die uns empfohlen hat, die Entwicklung der Vergütung der Abgeordneten an die Entwicklung der Löhne in Deutschland zu koppeln. Ich halte das immer noch für eine kluge, nachvollziehbare und transparente Entscheidung. Sie hat sich bewährt, und wir sollten an ihr festhalten. ({0}) Hätten wir sie jetzt allerdings umgesetzt, hätten wir angesichts der guten wirtschaftlichen Lage 2019 zum 1. Juli dieses Jahres eine Erhöhung um 2,6 Prozent bekommen. Diese Erhöhung wäre zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem unser Land mit den schweren Auswirkungen der Coronapandemie kämpft, zu einem Zeitpunkt also, in dem Menschen zu Tausenden in Kurzarbeit sind und Selbstständige teilweise um ihre Existenz bangen. Kurzum: aus unserer Sicht zu einem falschen Zeitpunkt. Deswegen freue ich mich, dass wir fraktionsübergreifend heute in der zweiten und dritten Lesung eine Entscheidung darüber treffen, dass wir auf diese eigentlich gesetzlich für uns vorgesehene Erhöhung verzichten. Ja, diese Maßnahme finanziert kein Rettungspaket; das muss sie auch nicht. Aber diese Maßnahme sagt auf jeden Fall: Wir stehen zusammen – auch in der Krise, auch als Abgeordnete des Deutschen Bundestages, und, ich glaube, es ist ein gutes Zeichen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Dieses Anpassungsverfahren, auf das wir uns verständigt haben und das hoffentlich auch noch viele Jahre bestehen bleibt, ist kein Erhöhungsautomatismus, wie oft fälschlich behauptet wird. Ich habe versucht, das zu erklären: Die Entwicklung unserer Vergütung hängt direkt von der Entwicklung der Löhne in Deutschland ab. Das heißt, wenn die Löhne steigen, steigt die Vergütung; wenn die Löhne sinken, sinkt die Vergütung. Infolgedessen bleibt es dabei: So wie sich die Löhne entwickeln, entwickeln sich die sogenannten Diäten in Deutschland – in guten wie in schlechten Zeiten. Deswegen, glaube ich, treffen wir heute eine richtige, nachvollziehbare und angemessene Entscheidung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Grosse-Brömer. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Bernd Baumann, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Bernd Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004662, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir heute erleben, hat einen großen Seltenheitswert. Alle sechs Fraktionen haben sich auf eine gemeinsame Gesetzesvorlage geeinigt, die wir jetzt zusammen einbringen. Das zeigt nach zweieinhalb Jahren dieser Legislatur endlich, dass alle Fraktionen konstruktiv zusammenarbeiten können, wenn es darauf ankommt, und in Zeiten von Corona und weltweiter Wirtschaftskrise kommt es sehr darauf an, dass wir zusammenarbeiten. ({0}) Denn schon jetzt sind 10 Millionen Beschäftigte samt ihren Familien auf knappes Kurzarbeitergeld angewiesen, und allein im April verloren über 300 000 Menschen ihre Arbeit ganz. Schlimmer noch: Die Krise verschärft sich täglich. Es droht die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Deshalb ist es gut, dass die Abgeordneten aller Fraktionen zumindest auf die Erhöhung ihrer Diäten verzichten. Gerade wir Politiker müssen jetzt Solidarität zeigen. Das ist das Mindeste, was von uns verlangt werden kann. ({1}) Alle Politiker verzichten also auf die diesjährige Einkommenserhöhung. Alle? Wirklich? Sie hier vor mir verzichten. Aber was ist mit diesen hier hinten? Was ist mit der Regierungsbank? Warum verzichten die nicht? Herr Seehofer, Herr Scholz, Frau Kramp-Karrenbauer! Österreichs Regierung macht es Ihnen doch mit gutem Beispiel vor. Sebastian Kurz und sein Kabinett streichen sich gleich ein ganzes Monatsgehalt – 18 000 Euro pro Minister. Deshalb: Verzichten auch Sie als deutsche Bundesregierung dieses Jahr wenigstens auf Ihre Gehaltserhöhung; denn wenn so weite Teile des Volkes harte Einschnitte erleiden, dann dürfen Sie als Bundesregierung nicht zurückstehen. Sie müssen vorangehen! ({2}) Aber der heutige Antrag birgt noch ganz andere Probleme. Die anderen Fraktionen bringen ihn gemeinsam mit der AfD ein. Hat man Ihnen das denn erlaubt? ({3}) Müssen Sie heutzutage nicht erst warten, ob das Ergebnis auch Frau Merkel gefällt, so wie in Thüringen nach der Wahl des Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD? ({4}) Diese Abstimmung musste – wir erinnern uns – auf Befehl Merkels sofort rückgängig gemacht werden, obwohl sie gemeinsam war. Unserer Demokratie hat das geschadet. Das wollen wir nie wieder erleben. ({5}) Aber nicht nur die Kanzlerin missachtet demokratische Beschlüsse, auch die anderen Fraktionen hier im Haus. Wir hatten uns hier vor zwei Jahren doch schon mal auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt. Erinnern Sie sich? Er lautete: Alle Fraktionen stellen einen eigenen Bundestagsvizepräsidenten. Sie haben sich nicht dran gehalten und machen das Gegenteil. Heute erst wieder verhindern Sie einen AfD-Kandidaten – jetzt zum 15. Mal. ({6}) Sie handeln gegen die gemeinsamen Beschlüsse, nur um der AfD als größter Oppositionspartei zu schaden. Echte Demokratie geht anders! Das haben wir heute wieder gesehen in diesem Haus. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Rednerin ist für die SPD-Fraktion die Kollegin Sonja Amalie Steffen. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Baumann, vielleicht hat es ja einen guten Grund, dass Ihr Kandidat zum 15. Mal – Sie haben es ja mitgezählt – nicht als Bundestagsvizepräsident gewählt worden ist. Wir wollen eben demokratische Bundestagspräsidenten und ‑vizepräsidenten wählen – und nicht die AfD. ({0}) Nun zum Thema. Wir reden heute über ein Gesetz, das den wunderbaren deutschen Namen „Anpassungsverfahrensaussetzungsgesetz 2020“ trägt. Was dahintersteckt, hat der Kollege Grosse-Brömer schon sehr ausführlich erklärt. Im Klartext heißt das: Die Diäten, also die Gehälter für uns Abgeordnete, bleiben in diesem Jahr so, wie sie sind. Jetzt fragen sich die Leute vielleicht: Ja, und? Was ist daran besonders? Deshalb eine kurze Erläuterung: Der Bundestag hat 2014 eine Systemänderung bei der Festlegung der Abgeordnetendiäten vorgenommen. Bis dahin hat der jeweilige Bundestag die Diäten selbst bestimmt. Das war ein ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Auftrag; das hat der Kollege Grosse-Brömer schon gesagt. Aber es gab verständlicherweise immer relativ viel Aufruhr in der Bevölkerung, weil es ja auch ungewöhnlich ist, dass sich ein Organ, eine Organisation quasi selbst das Gehalt bestimmt. Deshalb also diese Regelung im Abgeordnetengesetz, dass unser Gehalt zukünftig an den jährlichen Nominallohnindex zu koppeln ist. Im Klartext heißt das also: Steigen die Löhne, dann steigen auch die Diäten, und fallen die Löhne, dann fallen auch die Diäten. Im letzten Jahr hat dieses Verfahren zum Beispiel zu einer Diätensteigerung von 3,1 Prozent geführt. In diesem Jahr ist es so: Zum 31. März 2020 haben wir vom Statistischen Bundesamt gehört, wie sich der Nominallohnindex in der vorhergehenden Periode entwickelt hat. Danach würden unsere Diäten zum 1. Juli 2020 in der Tat um gut 2,6 Prozent steigen. Aber jetzt ist eben alles anders. Jetzt haben wir die Covid-19-Pandemie, und wir müssen uns überlegen, ob wir das so wollen oder nicht. Der Bundestag hat sich dazu entschieden – und zwar tatsächlich wir alle –, dass wir in diesem Jahr auf diese Steigerung verzichten wollen, und ich finde, das ist ganz richtig so. ({1}) Im kommenden Jahr werden wir dann wieder zum normalen Verfahren zurückkehren. So, wie es derzeit mit der Wirtschaft aussieht, ist zu erwarten, dass die Diäten im kommenden Jahr tatsächlich sinken werden, aber das ist auch richtig so, weil es sich so gehört. Es kann nicht sein, dass wir Abgeordnete anders behandelt werden als leider wahrscheinlich ein großer Teil der Bevölkerung. Da ziehen wir mit. Das ist sinnvoll, und das gehört sich so. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion ist der Kollege Dr. Marco Buschmann. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Entscheidungen über die Entschädigung von Abgeordneten sind generell schwer; heute, glaube ich, sollten sie uns allen aber leichtfallen. Diese Entscheidungen sind generell schwer, weil wir in eigener Angelegenheit – wir entscheiden ja über unser eigenes Einkommen – entscheiden, und das führt natürlich immer zu Skepsis und auch zu Versuchen der Verächtlichmachung von Parlament und Demokratie. Deshalb ist es ein gar nicht so freudiges Ereignis, selber darüber zu entscheiden, aber es ist unsere Pflicht. Das sagen nicht wir, sondern das sagt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe; denn die Richter entnehmen der Verfassung die Pflicht, dass wir selber diese Entscheidung treffen und uns auch selber in der Öffentlichkeit für diese Entscheidung rechtfertigen müssen, und das macht sie generell so schwer. Heute ist die Entscheidung aber leicht. Wir haben für diese an sich schwierige Entscheidung ein sehr gutes Verfahren gefunden: Einmal in der Legislaturperiode legen wir die Bewertung fest, und dann koppeln wir die weitere Entwicklung der Diäten an die Entwicklung der Nominallöhne. Diese Nominallöhne ermitteln nicht wir, sondern die ermittelt das Statistische Bundesamt, und das führt eben zu einer Verzögerung. Das war in der Vergangenheit ein sinnvolles und gutes System, und das wird es auch in Zukunft sein – für den Normalfall. Wir befinden uns heute aber in einer Ausnahmesituation. Wir wissen schon heute, dass die Einkommenssituationen der Bürgerinnen und Bürger dramatisch belastet sind. Über 10 Millionen Menschen sind in Kurzarbeit, über 300 000 Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren. Wir wissen von Tausenden von Selbstständigen, die dramatische Einkommenseinbußen erleben werden, und leider wissen wir auch heute schon, dass viele von ihnen um ihre Existenz kämpfen müssen. Würden wir uns heute hierhinstellen und sagen: „Diese Belastungen, die ihr heute tragt, sind wir erst im nächsten Jahr bereit zu tragen; heute bestehen wir auf Einkommenssteigerungen aufgrund der Zahlen vom letzten Jahr“, ich glaube, niemand würde dem Parlament das Vertrauen entgegenbringen, das gerade das Parlament heute braucht, damit wir erfolgreich durch diese Krise kommen. Das macht diese Entscheidung für die Vorlage heute so leicht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Deshalb sage ich: Generell sind diese Entscheidungen schwer – heute ist die Entscheidung einfach. Wir sind aus voller Überzeugung Mitentwurfverfasser. Aus voller Überzeugung stehen wir dahinter. Und aus voller Überzeugung werben wir um die Zustimmung jedes Abgeordneten in diesem Haus. Es ist das richtige Signal in einer schwierigen Zeit. Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Buschmann. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist der Kollege Jan Korte. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur ein Wort, ein Satz zu Ihnen, Herr Baumann: Der Kern der Demokratie, über deren Zustand Sie sich eben so beklagt haben, ist der, dass es geheime Wahlen gibt – wo ich zum Beispiel meine Fraktion niemals zwingen werde, irgendjemanden zu wählen, den sie nicht wählen will. Vielleicht hat es was mit Ihren Auftritten und Ihrer Positionierung hier zu tun, dass Ihre braunen Gesellen nicht gewählt werden. Das mal grundsätzlich vorweg. ({0}) Die Linke hat bereits im März einen Vorschlag gemacht, die Diätenerhöhung auszusetzen. Ich freue mich außerordentlich, dass alle Fraktionen unserem Vorschlag gefolgt sind. ({1}) – Kollege Grosse-Brömer, es ist ja so: Man muss sich ja hier um so vieles kümmern. Aber ich finde, ganz ehrlich, man sollte das in diesen Zeiten auch nicht zu sehr abfeiern, dass wir hier bei unseren eh schon sehr, sehr üppigen Diäten und der Versorgung jetzt auf eine Erhöhung verzichten. Gleichwohl geht es hier um Symbolik, und es ist völlig klar: Wir brauchen nicht mehr Geld für Abgeordnete, sondern was wir brauchen, ist mehr Geld für Pflegekräfte, für Reinigungskräfte ({2}) und für Müllwerker und alle, die den Laden am Laufen halten, ganz einfach. Also: Es geht um einen symbolischen Akt, nicht mehr und nicht weniger. Das ist in diesen Zeiten natürlich durchaus wichtig. In diesem Zusammenhang – wenn wir bei Symbolik sind – will ich noch zwei Anmerkungen machen. Die Zeit des großen Applauses – auch dieser Bundesregierung – ({3}) für die, die sich jeden Tag krummmachen und den Laden am Laufen halten, ist ja vorbei. Denn was falsche Symbolik ist, kann man daran erkennen, dass die Ersten, die von der Bundeskanzlerin eingeladen wurden, die Autobosse sind. Richtige Symbolik wäre gewesen, Pflegekräfte, Ärzte einzuladen, ({4}) um mit ihnen zu sprechen; das wäre die richtige Symbolik gewesen. Aber so ist es nicht gelaufen bei Ihnen. Wenn man mit den Leuten da draußen ein bisschen redet, in den Wahlkreisen, wenn man sich die Zuschriften anguckt, gibt es natürlich eine besorgte Frage. Wenn ich die Leute frage: „Was glaubt ihr eigentlich, wer bezahlt eigentlich für die ganze Krise?“, dann macht sich mittlerweile wieder eine Resignation in diesem Land breit, dass die Leute sagen: Wissen Sie, Herr Korte, das zahlen doch wieder wir, nämlich die kleinen Leute. – Das ist eine sehr grundsätzliche, demokratietheoretische Frage. Wir müssen dafür sorgen, dass es nach dieser Krise nicht so läuft wie immer, dass nämlich die kleinen Leute bezahlen, sondern dass endlich mal diejenigen zahlen, die es verkraften können, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Das ist richtige Symbolik. Deswegen drei konkrete Vorschläge. Das ist richtige Symbolik und bringt real Geld, wenn wir uns hier zum Beispiel darauf verständigen würden, endlich eine Vermögensabgabe einzuführen. ({6}) Die richtige Symbolik wäre auch, endlich eine Entprivatisierung des gesamten Gesundheitssystems hier zu beschließen und einzuleiten; das ist die richtige Symbolik. ({7}) Zum Dritten will ich sagen: Konzerne, die Dividenden ausschütten, die also Gewinne ausschütten, bekommen – das ist ganz einfach – keinen Cent staatliche Mittel, weder direkt noch indirekt. Das betrifft den Kern der Gerechtigkeitsfrage, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Wenn man solch einen Dreiklang, der real was mit Gerechtigkeit und Umverteilung zu tun hat, hier beschließen könnte, dann würde man gleichzeitig – auch mit Blick auf das, was nach der Krise kommt – einen gewissen Schutzschirm für die Demokratie aufspannen. Dazu würden wir Sie gerne einladen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielleicht folgen Sie diesen drei durch und durch klugen Vorschlägen genauso, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– wie Sie unserem Vorschlag gefolgt sind, auf die Diätenerhöhung zu verzichten. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Korte. – Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn es um eines nicht geht, dann um die Frage: Wer hat die erste Pressemeldung abgesetzt? ({0}) Das ist mir ein bisschen zu klein, wirklich zu klein. Wir sind mitten in einer Krise, der Coronapandemie. Die hat wahnsinnige Auswirkungen zum einen auf die Frage der Gesundheit vieler Menschen, die mit großer Sorge sich fragen: Was bedeutet das Ganze eigentlich für uns? Viele Menschen sind in Kurzarbeit. Viele Solo-Selbstständige haben Finanzmittel aus unseren Rettungsschirmpaketen, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, beantragt. Trotzdem fragt sich der eine oder die andere: Komme ich eigentlich irgendwie durch diese Krise, ohne wirtschaftlichen Schaden zu nehmen? Deshalb, glaube ich, ist es ein gutes und wichtiges und richtiges Signal, dass wir hier gemeinsam einen Gesetzentwurf vorlegen, der deutlich macht: Auch wir Abgeordneten verzichten in diesem Jahr auf den automatischen Anpassungsmechanismus, der immer zu Beginn einer Legislaturperiode für die Festlegung der Abgeordnetenentschädigung beschlossen wird. Wir machen damit deutlich: Nein, wir stellen uns da nicht in eine gegenläufige Entwicklung zu vielen anderen; wir haben verstanden: Viele Menschen treibt die wirtschaftliche Unsicherheit Tag für Tag um; in einer solchen Situation erhöhen wir uns nicht die Diäten. ({1}) Das ist ein richtiges Signal. Während die einen vielleicht noch überlegten, wo sie die nächste Pressemeldung absetzen können, haben die anderen halt den Gesetzentwurf geschrieben, meine Damen und Herren; so ist das manchmal. ({2}) Das Gute ist doch: Das Ergebnis zählt. Wir sind uns sehr einig darin, das zu tun. Das ist nicht in allen Parlamenten so. Ich bin froh, dass es im Deutschen Bundestag so ist. Das zeigt unsere Art, wie wir mit dem Abgeordnetengesetz und den Bezügen, die wir erhalten – die ja öffentlich immer hochumstritten sind –, umgehen. Zu Beginn einer Legislaturperiode beschließt das neu zusammengesetzte Parlament immer über diesen Anpassungsmechanismus. Eine unabhängige Kommission hat über zwei Jahre getagt ({3}) und gesagt, so sollten wir es machen, damit die Abgeordnetendiäten nicht immer Gegenstand öffentlicher Streitereien sind. Damit gibt es ein klares, transparentes Verfahren. Dieses Verfahren unterbrechen wir mit dem heutigen Tag in dieser Krisensituation. Das kann natürlich im nächsten Jahr auch bedeuten, dass die Diäten reduziert werden, ({4}) wenn die Entwicklung der Lohngefüge entsprechend ist und der Nominallohnindex das abbildet. Ich finde es gut und richtig, dass wir das heute gemeinsam machen, und freue mich, dass wir innerhalb der Fraktionen hier zu einem Ergebnis gekommen sind und das jetzt auch schnell und zügig nicht nur ankündigen, sondern heute beschließen. Vielen Dank für die Zusammenarbeit. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Haßelmann. – Damit schließe ich die Aussprache.

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine 400 Kilometer trennen Tripolis von Malta, von Europa. Nicht nur deshalb war es richtig, dass die Bundesregierung im Januar die wichtigsten Akteure hier in Berlin versammelt hat, um nach Jahren brutalen Bürgerkriegs zumindest die Perspektive eines möglichen Friedens gemeinsam zu entwickeln. Die Mission, die wir heute diskutieren, baut darauf auf; denn nur wenn das Waffenembargo der Vereinten Nationen umgesetzt werden kann und wenn die innerlibyschen Friedensverhandlungen vorankommen, nur dann wird das Sterben ein Ende nehmen. Der Einsatz, in den wir bis zu 300 unserer Soldatinnen und Soldaten schicken, ist ein wichtiger Beitrag, dieses Ziel zu erreichen. Damit dieser Einsatz nachhaltig wirkt, müssen im nächsten Schritt die Vereinten Nationen das Waffenembargo auch an den libyschen Landgrenzen durchsetzen. Passiert das nicht, so trifft der Einsatz vor allem die international anerkannte Regierung in Tripolis. General Haftars Armee, die zwischen Waffenstillstand und Offensive hin und her laviert, wird hingegen insbesondere über Land oder den Luftweg versorgt. Aber auch wenn die EU-Mission Irini auf See operiert, wird es möglich sein, über Satelliten und luftgestützte Seeraumüberwachung auch Waffentransporte an den Landgrenzen zu beobachten. Durch diese Informationen müssen dann aber auch die Länder klar benannt werden, die das Waffenembargo brechen. Mit Irini beschließen wir auch, die Ausbildung und Ertüchtigung der libyschen Küstenwache zu unterstützen. Libyens Küstenwache muss handlungsfähig sein, aber unbedingt rechtsgebunden arbeiten. ({0}) Wir müssen daher genau hinschauen und sicherstellen, dass nur verantwortungsvolle Küstenwächter ertüchtigt werden ({1}) und nicht kriminelle Menschenrechtsverletzer. ({2}) Konsequente Individualsanktionen müssen gegen diejenigen verhängt werden, die sich an den Flüchtlingen bereichern und sie auf dem Meer ihrem Schicksal überlassen. Es ist gut, dass sich Europa auf diese Mission geeinigt hat. Aber im Vorfeld der Einigung wurde einmal mehr deutlich, dass Menschenrechte in einigen Ländern Europas als hinderlich angesehen werden. Beschämend finde ich es, wenn die Regierungen in Wien, in Budapest wegen vermeintlicher „migrationspolitischer Pull-Faktoren“ die Mission blockieren wollten. Unser gemeinsames Interesse muss es doch sein, den Krieg in Libyen zu beenden. Kriegerische Auseinandersetzungen sind schließlich die Hauptursache für Flucht. ({3}) Für mich ist klar: Diese Episode führt uns einmal mehr vor Augen, dass wir eine grundsätzliche Lösung für eine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik und ein gemeinsames Asylsystem brauchen – mit einem fairen, verlässlichen Verteilmechanismus. Europa muss hier endlich vorankommen, zum Beispiel beim kommenden mehrjährigen Finanzrahmen. Diejenigen in der EU, die sich solidarisch zeigen, sollten Unterstützung und Anreize erhalten, um Flüchtlinge freiwillig aufzunehmen. Europäische Solidarität nach innen und die Übernahme von Verantwortung nach außen: Das ist der Weg, den wir gemeinsam mit unseren Partnern und im Rahmen der UNO-Beschlüsse gehen sollten. Irini ist dabei ein wichtiger Schritt. Es liegt in unserem Kerninteresse, dass unsere Soldatinnen und Soldaten Seite an Seite mit den europäischen Partnern das UN-Waffenembargo gegen Libyen seeseitig durchsetzen. Ich bin dankbar für ihren Einsatz, und ich bin froh, wenn wir heute das Mandat für diese wichtige EU-Mission beschließen werden. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Heinrich. – Nächster Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Jan Nolte. ({0})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Schon die Operation Sophia war ein totaler Reinfall. Wenn ein Konzept, mit dem man Schleusernetzwerke bekämpfen möchte, am Ende dazu führt, dass man 49 000 Kunden ebendieser Schleuser selbst an ihr Wunschziel Europa bringt, dann läuft doch irgendwas falsch. ({0}) Aber wenn es nach unserer Bundesregierung ginge – da können wir uns gewiss sein –, würden wir noch heute Operation Sophia mit genau dem gleichen kontraproduktiven Konzept weiter fortführen. Von daher bin ich Matteo Salvini sehr dankbar, dass er das verhindert hat. ({1}) Die Nachfolgemission Operation Irini – wir haben es eben gehört – soll vor allen Dingen Waffenschmuggel nach Libyen verhindern. Dem liegt ein abenteuerliches Konzept zugrunde, das eben auch schon ein bisschen ausgeführt wurde, wenngleich auch die Bewertung sehr anders ist als meine. Zunächst mal muss man ja wissen, dass diejenigen, die Waffen nach Libyen bringen, nicht irgendwelche autonom agierende Kriminelle sind, sondern dass am Ende dahinter Staaten stehen. Es sind auch NATO- und EU-Staaten, die dahinterstehen. Von diesen möglichen Waffenlieferanten sind einige erstens selbst an der Operation Irini beteiligt. Zweitens kann ein Staat auch durch einfaches Widersprechen jegliche Durchsuchungsmaßnahmen eines Schiffes verhindern. Man muss also durchaus bezweifeln, wie effektiv denn so eine Operation Irini überhaupt sein kann. Aber wir können uns ja auch mal vorstellen, dass es genau so laufen würde, wie die Bundesregierung das möchte. Wir stellen uns vor, wir würden 100 Prozent der Schiffe mit Waffenlieferungen, die nach Libyen sollen, wirklich aufhalten. Was würde denn dann passieren? Dann würde die international anerkannte libysche Regierung, unser Ansprechpartner in Libyen, keine Waffen mehr bekommen – diese kommen nämlich vor allen Dingen übers Wasser –, während General Haftar, der schon einen Großteil des Landes eingenommen hat, seine Waffen weiterhin über den Land- und den Luftweg bekäme. Das Ergebnis wäre dann nicht ein Frieden in Libyen, sondern die Vernichtung einer geschwächten libyschen Regierung und ein weiterhin gut gerüsteter General Haftar. Das ist ein vollkommen einseitiges Konzept, für das Sie nicht im Ernst unsere Zustimmung verlangen können. ({2}) Dann möchte ich auch noch was zum Einsatzgebiet sagen. Das war ja ein großes Thema. Wir seien jetzt ostwärts vom Sophia-Einsatzgebiet. Deswegen müssten wir uns keine Sorgen machen, weil Migration ja jetzt weitgehend ausgeschlossen sei. Wir seien ja ganz woanders. Ich kann nur dazu einladen, die Mandatstexte von Operation Irini und Operation Sophia mal nebeneinanderzulegen. Dann wird man sehen, dass es ganz genau die gleichen Einsatzgebiete sind, die wir Ihnen hier mandatieren sollen: südlich von Sizilien, mittleres und südliches Mittelmeer, vor Libyen und Tunesien. Da hat sich überhaupt nichts geändert. Ja, es steht jetzt im Irini-Mandat, dass der Einsatz auf hoher See stattfinde. Das klingt ja erst mal schon so, als sei man deutlich weiter weg. Da Libyen allerdings keine ausschließliche Wirtschaftszone hat, fängt die hohe See ja direkt nach den Hoheitsgewässern an. Das bedeutet, dass wir genauso nah an Libyen dran sind, wie wir es vorher auch waren. Es hat sich gar nichts geändert. Sie wollen hier eine Operation Sophia 2.0, und das macht die AfD nicht mit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Johann Wadephul. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Nolte, es ist bezeichnend, dass Sie den Einsatz zahlreicher Marinen der Europäischen Union, die Menschenleben gerettet haben, hier schlicht als „kontraproduktives Konzept“ bezeichnen. Es ist natürlich richtig, dass wir Schleuserkriminalität keinen Vorschub leisten, aber auch, dass wir eine humanitäre Verpflichtung haben, Menschenleben im Mittelmeer zu retten. Das eint eigentlich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages – mit Ausnahme Ihrer Fraktion. Ich finde, das sollten wir auch in dieser Debatte noch einmal feststellen: Es ist schlicht ein inhumaner Ansatz, den Sie an dieser Stelle verfolgen. ({0}) Libyen ist ein lodernder Konflikt. Die Situation ist politisch und militärisch verfahren. Die humanitäre Situation verschlechtert sich stetig. Die Bundesregierung hat mit der Libyen-Konferenz versucht – unter besonderem Engagement der Bundeskanzlerin –, alle Akteure an einen Tisch zu bekommen, und zwar nicht nur diejenigen, die innerhalb Libyens Krieg führen, sondern auch diejenigen, die durch Waffenproliferation einen Beitrag dazu leisten, dass sie Krieg führen können. Die Bilanz ist verhalten. Es wird weiter gekämpft, es kommen nach wie vor Waffen ins Land; aber der positive Impuls, den Deutschland gesetzt hat – die Vereinten Nationen haben das unterstützt –, war richtig. Er hat sich noch nicht durchgesetzt. Aus unserer Sicht ist es in dieser Situation nur richtig, am Ball zu bleiben und dafür zu sorgen, dass er zum Erfolg werden kann. Dafür braucht man einen langen Atem. Es geht jetzt nicht darum, resignierend abzuwinken; vielmehr geht es darum, darauf zu setzen, dass wir diesen Konflikt mit Ausdauer, mit Konsequenz mittel- und langfristig entschärfen. Deswegen ist dieser Einsatz richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Das Waffenembargo ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt aller Versuche, die Lage in Libyen zu deeskalieren. Deutschland will als Initiator des Berliner Prozesses bei der Umsetzung des Embargos eine zentrale Rolle spielen. Jetzt geht es in einem ersten Schritt – er ist nicht ausreichend – zunächst einmal darum, dass wir ein Lagebild des Waffenschmuggels erstellen. Deswegen werden wir zunächst einen Seefernaufklärer einsetzen, später wahrscheinlich auch ein Schiff. Das ist ein erster notwendiger Schritt, um Transparenz zu erzeugen und offenzulegen: Wer liefert hier Waffen? Das Zweite ist: Was in Libyen geschieht, hat unmittelbaren Einfluss bis hinunter in den Sahel. Dort sind unsere Soldatinnen und Soldaten in dem von den Vereinten Nationen geleiteten Einsatz MINUSMA und in der Europäischen Trainingsmission Mali eingesetzt und sorgen für Sicherheit und Stabilität in jener Region. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir können in Zentralafrika, in der Sahelzone so viele Anstrengungen unternehmen, wie wir wollen: Wenn wir den Unruheherd Libyen nicht befrieden, werden wir die Situation nicht in den Griff bekommen. Dann wird sich genau dieses Flüchtlingsdrama, über das wir hier reden, fortsetzen. Es ist ein ehrenwertes und unterstützenswertes Interesse des Berliner Prozesses – der von den Vereinten Nationen unterstützt wird –, dass wir hier für eine Eindämmung sorgen. Niemand behauptet, er habe den Schlüssel in der Hand und könne dafür sorgen, dass das morgen beendet ist. Aber es ist des Einsatzes und des Schweißes aller Edlen wirklich wert – dafür setzen wir auch unsere Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz ein –, dass wir hier langsam, Schritt für Schritt vorankommen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dr. Wadephul, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolte?

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte gerne fortfahren, Herr Präsident. Ich möchte abschließend noch zwei Anmerkungen machen. Wir wissen, dass viele externe Kräfte in Libyen den Kriegsschauplatz dominieren, beherrschen, sich einmischen. Russland versucht, sich aufzustellen, entsendet Söldner in die Region. Die Türkei greift bedauerlicherweise – das sollten wir an keiner Stelle verschweigen – sogar aktiv, auch mit Waffeneinsatz, in die Kämpfe vor Ort ein. General Haftar, der vorhin genannt wurde, fährt jetzt gerade keine Offensive, Herr Nolte, sondern wird eher zurückgedrängt, aber er erfährt bedauerlicherweise auch aus dem arabischen Raum breite Unterstützung vieler Staaten. Allen diesen Akteuren muss klar sein – ich nenne an dieser Stelle ausdrücklich auch die Türkei; das soll nicht verschwiegen werden; wir sprechen hier vollkommen offen –: Ihr derzeitiges Verhalten treibt Libyen in den Abgrund. Das muss Deutschland seinen Bündnispartnern, aber auch allen anderen Akteuren vor Ort deutlich machen. Die internationale Gemeinschaft muss es als eine gemeinsame Chance begreifen, alle aufzufordern, ihre Waffenlieferungen zu stoppen ({0}) und sich gemeinsam verantwortlich für Stabilität und Sicherheit in diesem geschundenen Land zu fühlen. ({1}) Wir haben in Libyen einen gemeinsamen Feind; das ist nach wie vor der IS. Er ist dort nach wie vor aktiv, und er wird jedes Machtvakuum nutzen, um Tod und Schrecken auch in diesem Land und darüber hinaus weiter zu verbreiten. Deswegen ist der Versuch, das Waffenembargo durchzusetzen, wichtig. Deswegen ist der Einsatz der Bundeswehr an dieser Stelle sinnvoll, und ich bitte Sie herzlich um Unterstützung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Wadephul. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, hat die AfD-Fraktion, der Kollege Nolte, um eine Kurzintervention gebeten, die ich zulasse.

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Herr Kollege, ich muss doch noch einmal darauf eingehen. Sie haben wieder das gemacht, was viele machen. Wenn wir fordern, dass wir keine Anreize setzen dürfen, dass Menschen übers Mittelmeer zu uns kommen, dann betonen Sie immer die Wichtigkeit von Seenotrettung und tun so, als wären wir dagegen. Es ist in diesem Haus, glaube ich, Konsens, dass Menschen in Seenot gerettet werden müssen. Was wir fordern, ist, dass keine weiteren Anreize gesetzt werden. Aus der CDU/CSU-Fraktion heraus wird auch schon zugegeben, dass nie so viele Menschen auf dem Mittelmeer gestorben sind wie zu Zeiten von Operation Sophia. Sie haben sich in der gesamten Zeit von Operation Sophia überhaupt nicht dafür eingesetzt, dass in Nordafrika Aufnahmezentren unter der Leitung der UN oder EU errichtet werden können. Das hätte Leben gerettet. Das müssen Sie den Menschen erklären. Wenn Sie dieser Diskussion immer ausweichen und erzählen, wie wichtig die Seenotrettung ist, dann verkaufen Sie den Wähler für dumm. Menschen müssen aus Seenot gerettet werden; darüber müssen wir nicht diskutieren. Aber es dürfen keine weiteren Anreize gesetzt werden, die zu Tragödien im Mittelmeer führen. Darum geht es. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dr. Wadephul, Sie können, Sie müssen aber nicht antworten. Ich sehe, Sie wollen nicht antworten. Das ist in Ordnung. – Dann erhält als nächste Rednerin die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann das Wort. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor mehr als einem Jahr wurde die Mission Sophia faktisch beendet, weil auch einige Regierungschefs Angst vor zu vielen geretteten Flüchtlingen auf dem Mittelmeer hatten. Ich kann nur sagen, auch ein Jahr danach: Das war ein Armutszeugnis für Europa. ({0}) Heute geht es um die Mission im östlichen Mittelmeer, die Mission Irini, hoffentlich Ausdruck dafür, dass die Europäische Union auch einmal gemeinsam handlungsfähig sein kann und dass diese schreckliche Uneinigkeit aufhört; denn die ist schuld daran, dass dieser Raum brutal militärisch genutzt wurde. Es gilt, gemeinsam den Waffenschmuggel Richtung Libyen zu unterbinden, und die Libyen-Konferenz in Berlin hat uns vorgemacht, wie es gelingen kann. Es ist richtig, dass wir uns an dieser Mission beteiligen, und zwar nicht nur mit einem Seefernaufklärer, sondern auch mit dem Zulauf eines Schiffes, um überhaupt am Verhandlungstisch ernst genommen zu werden. Deutschland darf sich dabei aber nicht in den Libyen-Konflikt hineinziehen lassen. Die Konferenz in Berlin konnte nämlich überhaupt nur stattfinden, weil Deutschland neutraler Vermittler ist – ich erinnere: dank Guido Westerwelle, der sich damals neutral verhalten hatte. Deswegen werden wir dem EU-Mandat zustimmen, es aber entsprechend kritisch begleiten; denn der Waffenschmuggel über das Mittelmeer ist nur eine Seite des Libyen-Konfliktes. Waffen werden auch in Flugzeugen und vor allem über den unkontrollierten Landweg geschmuggelt. Es gilt, die Frage zu beantworten: Was passiert, wenn die Marine Waffen in einem Schiff entdeckt, welches unter türkischer Flagge unterwegs ist? Sind wir konsequent, ja sind wir mutig genug, diesem Unterlaufen des Waffenembargos auch Sanktionen gegen einen NATO-Partner folgen zu lassen? Um ein Ende der Kampfhandlungen in Libyen zu erreichen, bedarf es aber vor allem diplomatischer Initiativen. Und es ist Ihr Job, Herr Außenminister – Sie sitzen nicht hier, Sie sitzen gerade in der letzten Reihe der SPD –, sich darum zu kümmern, und bitte aus der ersten Reihe und nicht aus der letzten. ({1}) Es ist richtig, dass sich Deutschland an der Mission beteiligt; es handelt sich um Europas Außengrenzen. Ich erinnere: Diese Region dürfen wir weder Herrn Erdogan noch Herrn Putin und übrigens auch nicht den Chinesen überlassen, die sich sowohl in Triest als auch in Piräus bereits breitgemacht haben. Allein deswegen muss es auch im deutschen Interesse sein, im östlichen Mittelmeer Flagge zu zeigen. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Alexander S. Neu. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Irini ist vieles, aber eines ist Irini sicherlich nicht: Es ist kein Instrument zur Durchsetzung des Waffenembargos. Warum? Erstens: die geografische Begrenzung von Irini auf die Hohe See. Es findet keine landseitige Kontrolle statt, Libyen ist somit von drei Seiten offen für Waffenschmuggel. Zweitens – das wiegt noch viel schwerer –: Irini ist nicht einmal seeseitig effektiv. Warum? Ein Blick auf die Embargobrecher beantwortet die Fragen. Neben Russland, was genannt wurde, liefern zwei EU-Staaten – Frankreich, Italien – Waffen an die verschiedenen Kriegsparteien in Libyen, sogar Soldaten sind dort, und unser geschätzter NATO-Partner Türkei liefert neben Waffen auch noch Tausende islamistische Söldner, kommend aus Syrien. Will die Bundesregierung uns etwa allen Ernstes erklären, dass sie eine Fregatte einsetzen würde, um die Flaggenstaaten Frankreich, Italien und Türkei tatsächlich zu fragen, ob sie diese Schiffe durchsuchen kann? Das glaubt sie ja wohl selber nicht; das soll sie uns auch nicht weismachen. ({0}) Weil die Bundesregierung um diese Absurdität weiß, versucht sie eben die Waffenlieferungen der Türkei, von Frankreich und Italien möglichst totzuschweigen. Herr Wadephul hat es gerade wieder gemacht: Er hat die Türkei genannt, aber Frankreich und Italien verschwiegen. Das hat System. Diese Absurdität ist sogar noch steigerungsfähig. Italien und Frankreich – Embargobrecher – beteiligen sich an Irini. Also sollen sich Frankreich und Italien künftig selbst kontrollieren? Das ist zu viel der Dialektik. Nein, hier wird der Bock zum Gärtner gemacht, sehr geehrte Damen und Herren. ({1}) Aber was ist denn Irini, wenn es nicht sein kann, was es sein soll? Irini ist letztendlich Bestandteil eines geopolitischen Ziels und einer Strategie der Europäischen Union für das 21. Jahrhundert. Ziel ist doch, die EU zur Großmacht zu machen – neben China, den USA und auch Russland. Die EU als Großmacht, ganz so, als hätten die Menschen in der Europäischen Union keine anderen Sorgen und stünden nicht anderen Herausforderungen gegenüber. Ich sage nur: Pandemien und Klimakatastrophe. Sehr geehrte Damen und Herren, nach allgemeinem Verständnis definiert sich eine Großmacht durch kulturelle Kraft, durch Wirtschaftskraft und durch militärische Fähigkeiten. Die EU verfügt unzweifelhaft über enorme wirtschaftliche Macht. Sie verfügt nicht – wie selbst bekundet – über eine angemessene militärische Macht. Wir als Linke sehen das anders, aber sie tut so, als würde sie nicht über ausreichend militärische Macht verfügen, und verfolgt daher ihre Strategie, die EU weiter zu militarisieren, um dann globale militärische Präsenz zeigen zu können. Für diese globale militärische Präsenz auf den Weltmeeren gibt es sogar ein Strategiepapier mit dem Titel: Europäische Sicherheitsstrategie für weltweite maritime Einsatzgebiete. Sehr geehrte Damen und Herren, die Mission Irini fällt explizit darunter. Irini ist nichts anderes als ein Baustein im imperialen GSVP-Prozess der EU, bei dem das Mittelmeer – die Kollegin hat es gerade noch einmal eindeutig bestätigt – zum EU-Binnenmeer degradiert wird. Die Linke lehnt diesen Einsatz dezidiert ab. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Dr. Neu. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, die Mission erinnert an ihre Vorgängermission EUNAVFOR MED Sophia. Einer von mehreren gravierenden Unterschieden ist aber, dass mit Sophia die Schlepper zunächst auf See militärisch bekämpft werden sollten und es auch konkrete Planungen gab, das in Libyen dann auch an Land zu tun. Es ist richtig, dass die EU-Staaten sich von diesem hochgefährlichen Ansatz nun endlich verabschiedet haben. Das war auch einer der Gründe, warum wir Grüne das alte Mandat abgelehnt haben. Bei aller berechtigten Kritik muss man aber eines unbedingt anerkennen: Im Rahmen des Einsatzes wurden über 43 000 Menschen aus Seenot gerettet. Man kann für jedes einzelne Menschenleben, das gerettet wurde, einfach nur von Herzen Danke sagen. ({0}) Dass die Mission insgesamt aber beendet wurde, weil einzelne europäische Regierungen sich einer fairen Verteilung von Schutzsuchenden verweigert haben, das war in der Tat echt ein Armutszeugnis. Salvini-Fanboys in diesem Haus sind es auch. ({1}) In der EU braucht es für eine Mission einen einstimmigen Beschluss. Das haben Sebastian Kurz und Viktor Orban nun ausgenutzt, um bei Irini einen zynischen Mechanismus hineinzuverhandeln: dass eine Regierung einen kurzen Operationsstopp beantragen kann, wenn aus ihrer Sicht zu viele Menschen gerettet werden. Die brutale Realität ist aber: Wenn niemand auf dem Mittelmeer rettet, dann gibt es nicht weniger Geflüchtete, sondern es gibt mehr Tote. Wir erwarten daher von der Bundesregierung: Verurteilen Sie diesen beschämenden und zynischen Mechanismus, der mit europäischen Grundwerten nichts zu tun hat, aufs Schärfste, und schreiten Sie auf europäischer Ebene mit Nachdruck ein! Sorgen Sie dafür, dass niemand verhindern kann, dass Menschenleben gerettet werden! ({2}) Meine Damen und Herren, ein hochproblematischer Teil der alten Mission Sophia bleibt aber bestehen: die Ausbildung und die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, obwohl deren Mitglieder teilweise nachweislich selbst mit Menschen handeln und Flüchtlingsboote abdrängten und in Flüchtlingslagern Menschenrechte brutal verletzt werden. Wir fordern die Bundesregierung daher auf: Nehmen Sie diese falsche Komponente aus dem Mandat! Wegen der Ausbildung der libyschen Küstenwache können wir Grüne nicht Ja zu Irini sagen. Aber wir werden das Mandat nicht ablehnen, weil es richtig ist und bleibt, dass das Waffenembargo angesichts des Krieges in Libyen überwacht wird, weil sich bei der Berliner Konferenz viele Staaten, die diesen Konflikt über Jahre befeuert haben und es teilweise heute noch tun, zumindest an einen Tisch gesetzt haben. Auch wenn es gerade wieder größere Rückschläge gab und die Bewachung zur See allein nichts gegen den Waffenstrom auf dem Landweg ausrichten kann, gibt es zumindest den Versuch einer politischen Lösung und nach Jahren endlich eine gemeinsame europäische Position in dieser Frage. Es mag unbefriedigend sein, aber in der internationalen Politik gibt es keine bessere Alternative, als immer wieder zu reden, zu verhandeln und dann auch danach zu handeln. Es war richtig, dass Sie die Akteure in Libyen zum Reden bekommen haben. Aber schöne Konferenzbilder und kluge Papiere allein reichen nicht. Jetzt müssen die Kanzlerin und Heiko Maas allen auch zeigen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– dass es Konsequenzen hat, wenn man das Embargo bricht. ({0}) Machen Sie auf europäischer Ebene Druck und senden Sie an alle, die ihr Wort gebrochen, weiter Waffen oder Söldner ins Land geschickt und so den Konflikt befeuert haben, ein klares und deutliches Signal, auch mit einem Stopp der Rüstungsexporte! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Beyer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Ende der Vorgängermission Sophia, ja, man muss ehrlicherweise wohl auch sagen: nach dem Scheitern von Sophia lastete und lastet zum Teil immer noch großer Druck auf der Europäischen Union in zeitlicher und politischer Hinsicht, aber auch auf uns, auf diesem Parlament, sich in relativ kurzer Zeit damit zu befassen und heute die Nachfolgemission Irini auf den Weg zu bringen. Dieser Druck hatte auch damit zu tun, dass – in der ersten Lesung in der vergangenen Sitzungswoche haben das viele Redner angesprochen – noch viele Fragen offen waren. Das war ein Kritikpunkt. Seitdem ist wieder ein Stück Zeit vergangen. Wir konnten uns in den Fachgremien dieses Hauses, in den Arbeitsgruppen und Fraktionen damit eingehend beschäftigen, auch in einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses. Ich glaube, das hat dazu beigetragen, dass wir viele dieser Kritikpunkte und offenen Fragen adressieren und zum Teil auch klären konnten. Meine Damen und Herren, zeitlicher Druck lastet auch auf der deutschen Bundesregierung, namentlich auf dem Bundesverteidigungsministerium. Wir haben es gehört: Der Seefernaufklärer Orion soll eingesetzt werden. Aber auch das haben wir schon mehrfach, sowohl heute als auch in der ersten Lesung, gehört: Das reicht nicht. Wir müssen bis spätestens August dieses Jahres auch ein Schiff auf den Weg und in den Einsatz bringen, damit diese Mission erfolgreich werden kann. Man muss auch sehen, dass die Mission Ende März schon begonnen hat. Also: Da ist Druck in der Pipeline, meine Damen und Herren. Irini ist – es ist gut, glaube ich, das immer wieder zu betonen – ein gutes Beispiel dafür, dass wir als Deutschland nicht immer nur darüber reden, dass wir in der Welt mehr Verantwortung übernehmen möchten, sollen und auch müssen – das ist in unserem deutschen Interesse –, sondern dass wir dies auch in die Tat umsetzen. Deswegen – das möchte ich nur mit einer Seitenbemerkung anmerken – ist die Debatte, die wir in den letzten Tagen leider verfolgen mussten, über den Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe völlig irregeleitet. Meine Damen und Herren, über der Mission Irini hängt so ein bisschen ein Damoklesschwert. Das ist die von vielen Rednern auch schon angesprochene Gefahr eines Pull-Effektes, also dass sich zu viele Menschen auf den Weg machen und über das Mittelmeer zu uns kommen wollen. Es bedroht die schiere Existenz dieser Mission, wenn dieser Rückholmechanismus ausgeübt werden sollte. Aber das ist wohl der Preis für einen Kompromiss gewesen, damit Irini überhaupt zustande kommt. Der letzte Punkt, meine Damen und Herren, betrifft auch noch einmal eine Ungleichgewichtung bei diesem Mandat. Auch Sarraj, der Führer der von den UN anerkannten Einheitsregierung Libyens, hat schon erwähnt, dass der Fokus der Mission auf dem Gebiet liegt, das durch die anerkannte Einheitsregierung kontrolliert wird. Das muss in dem politischen Prozess in der Folgezeit zurechtgerückt werden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, das ist auch noch ein ganz wichtiger Punkt, damit Warlords wie General Haftar hier nicht Oberwasser gewinnen. Meine Damen und Herren, ich schließe und verleihe der Hoffnung Ausdruck, dass wir das Mandat Irini heute auf den Weg bringen. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Beyer. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Siemtje Möller, SPD-Fraktion. ({0})

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vom griechischen Philosophen Hesiod stammt der Ausspruch: Die Hälfte ist manchmal mehr als das Ganze. – Wer weiß, ob er an diesen Ausspruch, diesen Satz gedacht hat, als er an der ionischen Küste saß, die heute in der Türkei liegt, und seinen Blick über das Mittelmeer schweifen ließ. Das Ganze im Zusammenhang mit dem hier verhandelten Mandat ist sicherlich das Ende des Bürgerkrieges in Libyen, das Ende des Sterbens im Mittelmeer und auch die vollständige Beendigung der Waffenlieferungen über See, Luft und Land, die dieses zerrissene Land Libyen stetig und jeden Tag erreichen. Dieses Ganze ist so sehr erstrebenswert, allein es liegt in weiter Ferne. Der hier nun vorgelegte Antrag ist das Ergebnis vieler intensiver Gespräche, Verhandlungen und Abmachungen. Es mag nur als die Hälfte erscheinen, aber es ist das, was die Irini-tragenden Mitgliedsländer der Europäischen Union beitragen wollen. Es ist der Beitrag, den Deutschland leisten kann und konnte; denn wir verdanken es den unermüdlichen Bemühungen des Außenministers und des Auswärtigen Amtes, dass es gelingen konnte, diesen Kompromiss zu erwirken und zu konkretisieren. Unser militärischer Beitrag konzentriert sich dabei auf die Erstellung eines Lagebildes mit luft-, satelliten- und seegestützten Mitteln, zunächst einem sogenannten Seefernaufklärer und perspektivisch einem Schiff, um neben der Erfüllung des Auftrages – die Überwachung des Waffenembargos – auch ein politisches Signal zu senden. Ein Lagebild muss erstellt werden, um den Seeraum von Libyen zu beobachten. Nur mithilfe eines aktuellen und akkuraten Lagebildes der Region können illegale Erdölexporte und die Finanzierungsnetzwerke hinter den Waffenlieferungen aufgedeckt werden. Durch die Daten, die bei der Mission gesammelt und an die europäischen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden, ergibt sich die Möglichkeit, Schleusernetzwerke aktiv zu bekämpfen. In Krisenzeiten wie diesen wird die EU häufig kritisiert. Die Grenzen waren geschlossen; die Zukunft schien ungewiss. Doch die europäische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik funktioniert, so beschwerlich der Weg auch sein mag. Deutschland beweist aus meiner Sicht einmal mehr, dass auf uns weiterhin Verlass ist. Das Mandat Irini, die Zusammenarbeit der europäischen Partner hat ein gemeinsames Ziel, den Waffenschmuggel nach Libyen einzugrenzen. Es steht für mich fest, dass Deutschland sich vor dieser Aufgabe nicht drücken darf. ({0}) Außenminister Maas betonte in der ersten Lesung dieses Gesetzes, dass die Berliner Konferenz im Januar eine gute Grundlage für einen Frieden in Libyen sein kann. Irini ist dabei ein Baustein, ein Schritt bei diesem Prozess und leistet im Zusammenspiel mit den anderen Missionen im Mittelmeer einen wertvollen sicherheitspolitischen Beitrag. So kann Europa in dieser ungewissen Zeit unter Beweis stellen, dass es handlungsfähig ist. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Marine dieser Aufgabe gewachsen ist und, wie immer, ihre Arbeit hochprofessionell und international anerkannt verrichten wird. Ich bitte um Zustimmung für Irini. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Debattenredner ist der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Irini – die Friedfertige. Ich kann eigentlich den Ausführungen meiner Vorrednerin nur zustimmen. Siemtje Möller und viele andere Redner haben angesprochen, dass wir mit Irini etwas auf den Weg bringen, um zum Frieden beizutragen, nicht, um ihn zu schaffen. Politik ist die Kunst des Möglichen, ist aber auch die Verpflichtung, das Mögliche umzusetzen und Realität werden zu lassen. Das heißt, dass wir die Überwachung der Seeräume und, wenn es denn möglich ist, damit auch die Verhinderung von Waffenschmuggel mit auf den Weg bringen müssen. Übrigens ist bei solchen Missionen auch in Rechnung zu stellen, dass es nicht nur um die Schiffe geht, die man aufbringt oder untersucht, sondern auch um die Schiffe, die eben gar nicht losfahren, weil sie die Befürchtung haben, sie könnten einem öffentlichen Bild zugeführt werden. Das gilt auch für Nationen, bei denen wir mit hochgezogenen Augenbrauen sehen, dass sie all das, was im Januar hier in Berlin besprochen worden ist, wohl nicht so ganz umsetzen. Das Zweite ist die Frage, ob wir die Gewichte halten. Nein, wir tun das nicht vollständig. Der Landweg bleibt von Irini erst einmal nicht berührt. Er wird auch genutzt; wir haben das gehört. Deswegen ist das aber kein Argument gegen Irini, sondern ein Argument dafür, dass die politische internationale Gemeinschaft sich mit diesem Problem sehr intensiv auseinandersetzen und beschäftigen muss und Lösungen finden muss. Zum Entschließungsantrag der Grünen darf man sagen, dass er in sich ein bisschen verquast und widersprüchlich ist. Natürlich ist es so, dass, wenn man auf dem Landweg kontrolliert, Potenziale der Eskalation da sind. Aber um zu verhindern, dass wir uns nur um die Frage der Seenotrettung von Menschen kümmern, die auf diese See gebracht werden, ist es notwendig, in Libyen eine Irini-, eine friedfertige Situation zu finden, sodass Menschen, die dorthin gehen, auch dort bleiben können. Da gibt das eine das andere. ({0}) – Sie stimmen ja zu, dankenswerterweise. Ich bedanke mich dafür, will aber schon einmal sagen: Wir müssen uns schon vor Augen halten – – ({1}) – Sie stimmen nicht zu? ({2}) – Nein, ich bin immer dabei, den Grünen ab und zu etwas Gutes zu unterstellen, um die kleinen Effekte von positiven Reflexen zu sehen. Stimmen Sie besser zu; denn Sie legen damit nicht nur einen Mosaikstein, sondern einen Stein nach vorne, der über das Meer führen kann und der verhindern kann, dass die Herrschenden in Libyen weiterhin die Macht mit Gewalt ausüben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Irini – die Friedfertige: Etwas Besseres könnte es eigentlich auch für die Grünen gar nicht geben, um hier zuzustimmen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bin somit am Ende meiner Rede. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Damit schließe ich die Aussprache, ohne das weiter zu kommentieren.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bestand in diesem Hause große Einigkeit, dass das drastische Herunterfahren der Wirtschaft und der Gesellschaft erforderlich ist, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Nicht erforderlich ist allerdings, dass diese Beschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte auf Dauer verlängert werden. Wir Freien Demokraten haben deshalb frühzeitig auf eine smarte Öffnungsstrategie gedrängt, früher als andere, und wir fühlen uns durch die Beschlüsse der Landesregierungen in diesen Tagen in unserer Position bestätigt. ({0}) Nicht erforderlich, ja geradezu gefährlich sind Vorstellungen – die gibt es auch in diesem Hause –, dass der Staat immer tiefer in die Wirtschaft, in die unternehmerische Freiheit, in die freie Preisbildung, ja in das Privateigentum eingreifen sollte. Dies ist ein planwirtschaftlicher Irrweg. Nach den Infektionsketten müssen nun die staatlichen Interventionsketten durchbrochen werden. ({1}) Die historische Leistung von Ludwig Erhard war, mit der Währungsreform am 20./21. Juni 1948 auch die Freigabe der Preisbildung durchgesetzt zu haben – gegen die Empfehlung der Besatzungsmächte, gegen den Widerstand der streikenden Gewerkschaften, gegen CDU und SPD, ja sogar gegen die Industrie. Das war die Geburtsstunde der sozialen Marktwirtschaft, und das war die Grundlage des Wirtschaftswunders. Daran sollten wir uns erinnern: dass es am Ende einer Krise eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien geben muss, wenn wir Wohlstand, Arbeitsplätze und die Zukunft unseres Landes sichern wollen, meine Damen und Herren. ({2}) Daran muss man an dieser Stelle erinnern und damit dem interventionistischen Zeitgeist entgegentreten. Das Gegenteil von Effizienz ist Ineffizienz, und das Gegenteil von wirtschaftlich ist unwirtschaftlich. Der Markt, das ist nicht irgendwer, das sind die Menschen, die Kunden und die Produzenten, die Verbraucher und die Anbieter. Markt, die Wirtschaft, das sind wir alle. Und das Gegenteil von Gewinnstreben sind Verluste auf breiter Front, die in den wirtschaftlichen Ruin führen. Das haben genügend sozialistische, planwirtschaftliche Experimente auf der ganzen Welt gezeigt. ({3}) Deshalb sagen wir: Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn nicht nur das Coronavirus aus China zu uns gekommen ist, sondern am Ende auch die autoritären Strukturen und die staatskapitalistische Wirtschaftsordnung bei uns Einzug halten würden. ({4}) Wehret den Anfängen! Meine Damen und Herren, es besteht die Gefahr, durch die direkte Beteiligung des Staates an Unternehmen – manche wünschen sich das ja herbei – zu einer Verstaatlichungsorgie zu kommen. ({5}) Wir sagen Nein zur Instrumentalisierung der Krise zum Zwecke der politischen Steuerung von Unternehmen. Wenn ich höre, dass die Grünen jetzt mit einer direkten Staatsbeteiligung erreichen wollen, dass bei der Lufthansa ökologische Zielsetzungen umgesetzt werden, dann muss ich sagen: Das ist ein gefährlicher Weg; denn vor der Coronakrise sind die Lufthanseaten wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich geflogen, ohne dass die Politik an Bord war, ({6}) ganz anders als staatsbeteiligte Unternehmen wie die Alitalia, die von Krise zu Krise geflogen ist. ({7}) Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister beruft sich ja gerne auf Ludwig Erhard. Ich weiß nicht, wo er gerade ist, vielleicht studiert er ja Walter Eucken; das wäre ihm zu wünschen. – Herr Altmaier, Sie müssten die hörbare Stimme für KMUs, für den Mittelstand, für das Handwerk, für die Selbstständigen sein. Sie müssten das ordnungspolitische Gewissen dieser Bundesregierung sein. Entlastungen von Steuern und Abgaben für alle sind das Gebot der Stunde statt Kaufprämien für wenige, privilegierte Branchen. Sie sollten nicht ankündigen, Sie müssten liefern. – Meine Damen und Herren, wir sind in der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte, wir haben aber leider den schwächsten Wirtschaftsminister. ({8}) Wir sagen: Wirtschaftliche Belebung erreichen wir nur durch marktwirtschaftliche Prinzipien. Wir haben dies in unserem Antrag aufgezeigt. Wir bitten dieses Haus, einen klaren Kurs zu fahren: für die soziale Marktwirtschaft, für Arbeitsplätze, Wachstum, Innovation und Technologie. Vielen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Matthias Heider. ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute über marktwirtschaftliche Prinzipien. Ich danke zunächst den Kolleginnen und Kollegen von der FDP für den Antrag. Er bietet Gelegenheit, darüber zu sprechen – zu einem Zeitpunkt, zu dem Bundesregierung und Ministerpräsidenten der Bundesländer schon weitgehende Lockerungen beschlossen haben. In dem Antrag steht viel Richtiges – das konstatiere ich gern –, aber einige Abgrenzungen, Herr Theurer, verschwimmen dann doch in einer allzu liberalen Philosophie. Deshalb greift der Antrag stellenweise einfach zu kurz. Sie schreiben zum Beispiel, der Staat vernachlässige zentrale Aufgaben, wenn er einen Schutzschirm spannt. Sie sagen, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds sei ein Türöffner für industriepolitische Vorgaben der Bundesregierung. Sie sagen, die Globalisierung vernichte Wohlstand auf der ganzen Welt. – Das kann ich so nicht sehen. Ich finde, Sie machen es sich an der Stelle ein bisschen zu leicht. Betrachten wir den Befund der FDP, den sie jetzt schon seit einigen Wochen vorträgt, mal etwas näher. Sie sprechen sich für eine schnellere Öffnung aus, weg mit der Einschränkung von Grundrechten. Die Beschränkungen ruinierten Existenzen, sagen Sie. Die Begründung dafür fasse ich mal in einem Statement vom Kollegen Kubicki zusammen, der einem deutschen Nachrichtensender am 4. Mai 2020 gesagt hat – ich zitiere –: „Wir sind über den Berg.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeugt abseits der beruflichen Kompetenz des Kollegen Kubicki von einer enormen medizinischen Weitsicht, geradezu von einer hellseherischen Fähigkeit. Kein Virologe hat am 4. Mai dieses Jahres eine solche Feststellung getroffen. Ich finde, wir sollten damit ein wenig vorsichtig umgehen. ({0}) Warum, meine Damen und Herren, sage ich das so ausführlich? Infektionsschutz und Seuchenbekämpfung sind eine klassische Aufgabe der Gefahrenabwehr des Staates. Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten stehen nach Artikel 74 des Grundgesetzes diesem Haus zu. Jeder Bürger hat das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sagt Artikel 2 Absatz 2 unseres Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Eilentscheidung am 29. April dieses Jahres zu der Beschränkung von Verkaufsflächen im Freistaat Bayern festgestellt, dass es eine Verpflichtung des Staates ist, für diesen Schutz zu sorgen. Was folgt daraus für die Marktwirtschaft, für die Betriebe, für den Mittelstand? Erstens geht es um die Verhältnismäßigkeit. Natürlich ist das immer eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Ich bin froh, dass der Föderalismus an dieser Stelle in den letzten Monaten bewiesen hat, dass er gut funktioniert. Es gibt sehr unterschiedliche Bundesländer; dem tragen wir Rechnung. Zweitens. Greift der Staat im Interesse aller Bürger, im Schutzinteresse der Bürger in das Wirtschaftsleben ein, dann hat er auch die Folgen zu beseitigen. Bei verfügten Eingriffen, bei Unternehmensschließungen sind die Ausfallzeiten bzw. die Ausfälle beim Umsatz zu ersetzen. Engpässe sind politisch zu beseitigen. Es müssen die Schieflagen der Unternehmen beseitigt werden, ({1}) und wir müssen wieder zu mehr Wachstum kommen. Das konstatiere ich gerne, meine Damen und Herren: Marktwirtschaftliche Prinzipien sind grundsätzlich der beste Weg für eine effiziente und eine fortschrittliche Wirtschaft. Lassen Sie uns das in Krisenzeiten nicht vergessen. Aber lassen Sie uns auch bei Ludwig Erhard bleiben; Sie haben es angesprochen: Der Staat sollte ein ordentlicher Schiedsrichter sein und sich nicht selbst beteiligen. – Mit diesen Einschränkungen können wir leider nicht dem gesamten Antrag zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Leif-Erik Holm für die Fraktion der AfD. ({0})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine gute Idee, in Coronazeiten über die Vorzüge unserer Marktwirtschaft zu sprechen. Wir halten das auch für sehr angebracht. Im Moment hat man ja den Eindruck: Der Staat und die Politik glaubten, sie könnten alles selber richten. Das kann der Staat aber nicht. Alles das, was verteilt werden muss, muss von den Bürgern erwirtschaftet werden, und es wird höchste Zeit, dass wir uns jetzt endlich wieder an das Erwirtschaften machen. Sofortmaßnahmen waren notwendig, um die Wirtschaft über Wasser zu halten. Wir dürfen aber eben nicht von Nothilfen in eine Subventionitis hineinrutschen, in eine Hilfsgigantomanie, wie es manche schon ausdrücken. ({0}) Kauf- und Abwrackprämien für die Autoindustrie zum Beispiel sind nichts als Strohfeuer. Sie haben schon in der Finanzkrise nichts gebracht; sie haben vor allem ausländischen Kleinwagenherstellern genutzt. Jetzt muss es vor allem darum gehen, dass alle Unternehmen wieder möglichst frei arbeiten können, natürlich unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes. Es muss darum gehen, dass die über 10 Millionen Kurzarbeiter wieder loslegen und ihr Geld wieder in voller Höhe verdienen können. Ich komme von der Küste. Bei uns arbeiten viele im Tourismus. Glauben Sie, Servicekräfte können mit 60 Prozent Einkommen auskommen? Sie kommen schon mit 100 Prozent kaum aus. Also, es geht hier wirklich um Existenzen, die auf dem Spiel stehen; darum geht es. Dass das Ganze so ist, das ist leider auch dieser Regierung zu verdanken. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Die Bundesregierung hat diese Pandemie am Anfang auf die leichte Schulter genommen. ({1}) Statt früh zu reagieren, hat Minister Spahn noch im Januar beschwichtigt und behauptet, wir seien gut vorbereitet. In der Zeit hätte er sich mal besser tatsächlich auf diese Pandemie vorbereitet. Warum gab es trotz der bekannten Risikoanalyse von 2012 keine ordentliche Bevorratung mit Masken und medizinischem Gerät? Warum konnte in Heinsberg und anderswo noch Karneval gefeiert werden? Warum gab es damals keinen Einreisestopp? ({2}) Hätten Sie rechtzeitig reagiert, dann wäre uns das massive Herunterfahren der Wirtschaft womöglich erspart geblieben. Ja, diese Bundesregierung ist nicht der große Retter, sondern hat mit zu diesem Schlamassel beigetragen. ({3}) Minister Altmaier hat behauptet, dass kein Arbeitsplatz verloren gehe. Das war natürlich ein frommer Wunsch, klar. Millionen Arbeitsplätze stehen auch nach wie vor auf der Kippe. Der Hälfte der mittelständischen Unternehmen droht nach zwei Monaten Lockdown die Insolvenz. Wir können also nur hoffen, dass diese Lockerungen noch rechtzeitig kommen. Wir haben schon vor drei Wochen ein Hochfahren der Wirtschaft verlangt. Das wäre auch aus Gesundheitssicht durchaus möglich gewesen, weil sich die Bürger insgesamt sehr diszipliniert an die Abstands- und Hygieneregeln halten. Dafür sollten wir am heutigen Tage auch mal ein Dankeschön an unsere Bürger sagen. ({4}) Aber die Kanzlerin blieb bis gestern stur und musste erst durch die Ministerpräsidenten zum Jagen getragen werden. Offensichtlich schwindet die Autorität der Kanzlerin. Wie sagte sie noch auf der gestrigen Konferenz: „Ich bin kurz davor, aufzugeben.“ Bitte, Frau Merkel, tun Sie sich keinen Zwang an. Liebe Kollegen, wir müssen der Wirtschaft wieder eine Perspektive geben, und zwar eine marktwirtschaftliche Perspektive. Dazu enthält der Antrag der FDP einige sinnvolle Punkte, die wir unterstützen, und dafür schlagen wir in unserem Antrag eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Importeure und damit auch unserer Seehäfen vor. Wir brauchen nämlich dringend eine Möglichkeit, die Einfuhrumsatzsteuer mit der Vorsteuer zu verrechnen, damit man eben nicht so viel Kapital vorhalten muss. Ansonsten können wir auf Dauer im internationalen Wettbewerb nicht bestehen. Deutschland braucht jetzt konjunkturelle und strukturelle Impulse. Dabei helfen aber ganz sicher keine weiteren Ökoauflagen, wie sie schon wieder hier und da im Gespräch sind, und da hilft auch kein Recht auf Homeoffice, im Gegenteil. Wir müssen der Hydra namens Bürokratie endlich die Köpfe abschlagen – nicht den Kopf, sondern die Köpfe, alle Köpfe –, und wir müssen Bürgern und Unternehmen wieder mehr Geld in der Tasche lassen: Stromsteuer weg, Soli für alle weg, Merkel weg – das ist die Devise. Wir brauchen jetzt Entlastungsdiskussionsorgien für unsere Bürger und für unsere Unternehmen. Danke schön. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Bernd Westphal. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch die globale Pandemie befinden wir uns in einer globalen, schwerwiegenden Wirtschaftskrise. Viele Menschen machen sich Sorgen um ihre Gesundheit, um die Zukunft ihres Arbeitsplatzes, um ihre Angehörigen, die sie vielleicht im Moment nicht besuchen können. Aber die Menschen schöpfen auch Zuversicht, weil sie merken: Hier ist ein stabiler, ein starker Staat, hier ist eine stabile, handlungsfähige Regierung. Das merken wir, und auch die Menschen merken, dass wir handlungsfähig sind. Die Bundesregierung hat international hohe Anerkennung für ihre auf den Weg gebrachten Soforthilfen für die deutsche Wirtschaft erhalten. Sowohl die Schnelligkeit, mit der die Programme vorgelegt und beschlossen wurden und jetzt auch gezielt wirken, als auch die Höhe der Hilfe, die zur Verfügung steht, suchen international ihresgleichen. Die deutsche Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren besonders erfolgreich entwickelt. Das Wirtschaftswachstum konnte gesteigert werden, die Arbeitslosigkeit ging zurück, und die Beschäftigung war in den letzten Jahren auf einem sehr hohen Niveau. Wir haben auf dem Weltmarkt deutlich an Gewicht hinzugewonnen, unter anderem durch einen hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, aber auch durch exzellente Unternehmen und vor allen Dingen durch gut ausgebildete und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Moment stehen sicherlich die Bekämpfung der Krise und die Erhaltung des Gesundheitssystems sowie insbesondere die Bewältigung der Krise auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft im Fokus. Aber es gibt darüber hinaus noch enormen Veränderungsbedarf, zum Beispiel beim Klimaschutz, bei dem weltweit größten Problem. Wir haben mit der Digitalisierung eine enorme Aufgabe vor uns, aber auch damit, soziale Gerechtigkeit herzustellen, die Defossilisierung, also den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas, zu organisieren, ebenso mit dem Transformationsprozess für die Industrie, aber auch mit der Gestaltung eines freien und fairen Handels. Welche Lehren ziehen wir eigentlich aus dieser Krise? Ein Weiter-so, denke ich, kann es nicht geben. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir die Krise auch als Chance sehen, nicht nur zu warten, bis sich alles wieder verfestigt und hin und her geruckelt hat und zurückfällt, sondern es ist Zeit, dass wir diese Veränderungsdynamik klug nutzen: für entschlossene Politik. ({0}) Wir müssen die Basis für wirtschaftlichen Erfolg, für Wertschöpfung, für Arbeits- und Ausbildungsplätze, für gute Arbeit jetzt legen. ({1}) Dazu brauchen wir neben der Stabilisierung des Arbeitsmarktes und der Modernisierung des Bildungswesens vor allen Dingen die Stärkung der Nachfrage und auch Impulse für Innovation und Investition, ebenso die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Was können Impulse eines Wachstumsmotors für die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte mit einem aktiven Klimaschutz verbinden? Es geht nicht nur um Kaufprämien für Autos oder Kredite für Unternehmen, sondern natürlich gibt es die Herausforderung, mit einer anspruchsvollen Politik hierbei auch mit Steuergeldern zielgerichtet und dementsprechend wirksam einzugreifen. Natürlich müssen auch ökologische und soziale Aspekte mit der Vergabe von öffentlichen Mitteln an die Wirtschaft verbunden sein. Es geht zum Beispiel um eine Fokussierung auf die internationalen Leitmärkte, auf Märkte der Zukunft, auf die Identifizierung von Schlüsseltechnologien, auf eine aktive Industriepolitik, auf Begleitung des Strukturwandels und vor allen Dingen auf die Förderung eines kreativen und innovativen Umfelds. So könnte zum Beispiel der jetzt an den Start gebrachte Wirtschaftsstabilisierungsfonds für die Transformation in der Stahlindustrie oder in der chemischen Industrie genutzt werden. Für uns als SPD ist klar, dass die Politik sich an globalen Vereinbarungen orientieren muss. Das ist sicherlich das Pariser Klimaabkommen, aber das sind auch die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Zusätzlich ist eine auf europäischer Ebene koordinierende und nachhaltige Industriepolitik notwendig. Als selbstbewusste Parlamentarier haben wir natürlich die Aufgabe, sowohl die Regierung zu kontrollieren als auch Hinweise zu geben. Deshalb freue ich mich über die Unterstützung des Vorschlages, den wir als SPD-Fraktion im Wirtschaftsausschuss diese Woche eingebracht haben, Ende Mai eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss durchzuführen, um eine Vorstellung zu bekommen, wie so ein Konjunkturpaket aussehen kann. Das wird sicherlich mehr inhaltlich ergeben als die zehn Punkte, sehr geehrter Herr Kollege Theurer, die in dem FDP-Antrag stehen. Diese zehn Punkte haben weder eine soziale noch eine ökologische Dimension. Deshalb muss ich ganz ehrlich sagen: Wir haben die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft im Blick und haben einen ganzheitlicheren Ansatz, als nur Steuern zu senken und zu sagen: Wir brauchen weniger Staat. Man muss sich mal vorstellen, was das bedeuten würde, jetzt keinen handlungsfähigen Staat und keine Steuergelder zu haben, mit denen wir diese Programme überhaupt wuppen können. ({2}) Wir würden eine katastrophale Situation hinterlassen. Massives staatliches Handeln ist nach der Krise unverzichtbar. Für uns als SPD ist klar, dass die Regierung, wenn wir mit Steuergeldern in Milliardenhöhe einem Unternehmen helfen, natürlich auch Einfluss auf dieses Unternehmen haben muss, ({3}) zum Beispiel mit Mandaten im Aufsichtsrat, dass Beschäftigung gesichert wird, dass es eine innovative Zukunftsplanung gibt, dass es eine Strategieentwicklung gibt, die auch unseren politischen Rahmenbedingungen entspricht. ({4}) Neben der Modernisierung von Infrastruktur können in einigen Bereichen kurzfristige Impulse freigesetzt werden, wie zum Beispiel bei der Energiepolitik. Da sind nur Rahmenbedingungen zu verändern, und schon könnten private Investitionen zum Beispiel beim Mieterstrom, bei der Sanierung von Gebäuden, bei der Wasserstoffproduktion, beim Ausbau der erneuerbaren Energien dazu führen, dass wir die Energiewende intensivieren können. Gleichzeitig sind die Finanz- und Investitionskraft der Kommunen und damit auch die öffentliche Daseinsvorsorge zu stärken – ein wichtiger Motor, der bei der Vergabe von Aufträgen gerade in der regionalen Wertschöpfung von großer Bedeutung ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik wird die Zukunftsfähigkeit und demokratische Stabilität in Deutschland, in Europa wesentlich beeinflussen. Nach dem Shutdown müssen wir die deutsche Wirtschaft wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs bringen. Davon werden die ökonomische Resilienz, die soziale Balance und der gesellschaftliche Zusammenhalt im Wesentlichen abhängen. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Alexander Ulrich. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP bringt wieder mal einen Antrag in den Bundestag ein, dass wir weniger Staat brauchen. Das muss man sich wirklich mal überlegen: In einer Zeit, in der wir jetzt schon eine erhöhte Arbeitslosigkeit haben, in der Millionen Menschen in Kurzarbeit sind, in der Tausende von Selbstständigen nicht überleben könnten, wenn wir weniger Staat hätten, ({0}) das hier zu fordern, würde bedeuten, dass das Land wirklich schon am Ende wäre. Sie wollen amerikanische Verhältnisse. Sonst will das, glaube ich, hier im Haus niemand mehr außer der AfD. Diese Verhältnisse brauchen wir wirklich nicht. ({1}) Gerade jetzt sind wir in einer Situation, in der sich zeigt, dass ein Staat handlungsfähig sein muss, ({2}) dass ein Staat durch eigenes Handeln in der Lage ist, Arbeitsplätze zu retten und auch vielleicht durch ein zukünftiges Konjunktur- und Investitionsprogramm die Weichen richtig zu stellen. ({3}) Deshalb sage ich: Wir begrüßen auch, dass wir im Mai eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss haben. Wir als Linke haben schon vor dieser Pandemie hier einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Wir müssen nun in den sozial-ökologischen Umbau investieren. Wir haben gesagt: Lasst uns das Papier vom BDI und vom DGB anschauen, die gesagt haben: Wir brauchen 45 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen pro Jahr in den nächsten zehn Jahren. – Das muss man jetzt angehen. Ich glaube, dann könnte man in dieser Pandemie auch Zukunftsgestaltung in diesem Land organisieren, ({4}) für mehr Arbeitsplätze, für gute Arbeitsplätze und als Antwort auf den Klimawandel. Das, was die FDP will, ist genau das Gegenteil. Sie reden hier dem freien Markt das Wort. Dieser freie Markt gibt keine Antworten auf Marktversagen wie in der Finanz- und Euro-Krise. Dieser freie Markt gibt keine Antworten auf eine Pandemie. ({5}) Dieser freie Markt führt dazu, dass jeder an sich denkt, aber dann sind viele Millionen Menschen in diesem Land arbeitslos. Das will die FDP, und es ist gut, dass wir diese Debatte heute mal führen. ({6}) Schauen wir uns einmal die zehn Punkte Ihres Antrags genauer an. In einer Phase, in der man wieder sieht, dass die Aktienmärkte keine Antworten bieten für ein sicheres Rentensystem, sagen Sie in Ihrem Antrag: Wir brauchen eine Rentenversicherung, die die private Altersvorsorge attraktiver macht, mit aktienorientierten Anleihen. ({7}) – Genau, unglaublich, in so einer Phase! – Da muss man sagen: Die FDP hat nichts gelernt. Gehen Sie mal nach Amerika: Wie traurig die Menschen dort sind, dass ihre Rente von den Aktienmärkten abhängt. Die Rente bei uns mit der Umlagefinanzierung ist viel besser. ({8}) Aber es kommt ja noch schlimmer: In einer Phase, in der deutlich wird, dass die Helden des Alltags zu schlecht bezahlt werden, dass sie oft keine Tarifverträge haben, reden Sie im Prinzip auch da wieder dem freien Arbeitsmarkt das Wort, indem Sie sagen: Es soll alles unterlassen werden, um bloß nicht den Arbeitsmarkt zu fesseln. – Sie wollen sachgrundlose Befristungen weiter zulassen. Wir sagen ganz deutlich: Sachgrundlose Befristungen müssen endlich abgeschafft werden! ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, fangt endlich mal an, diesen Teil des Koalitionsvertrages auch umzusetzen. Die nächste Bundestagswahl kommt bestimmt. Es sollte nicht heißen: „Gut gemeint, aber nicht gemacht“, sondern: Macht endlich was, ({10}) dass die sachgrundlosen Befristungen endlich verschwinden in diesem Land! ({11}) Dann kommt noch dazu, dass Sie sagen: Man sollte beim Mindestlohn nichts verändern und keinen Eingriff bei der Mindestlohnkommission vornehmen. – Wir sagen ganz deutlich: Wir brauchen eine politische Antwort auf die Mindestlohnkommission. Da sind wir mit dem DGB auf einer Linie. Die Mindestlohnkommission hat eine falsche Architektur. Sie muss beendet werden. Wir brauchen eine politische Antwort. Wir brauchen mindestens 12 Euro Mindestlohn. Wir müssen als Gesetzgeber ganz deutlich handeln, damit hier endlich etwas getan wird, damit Armutslöhne in diesem Land nicht auch noch durch die Pandemie verlängert werden. Vielen Dank. ({12})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katharina Dröge. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Theurer, als ich Ihnen eben bei Ihrer Rede zugehört habe, da habe ich mich gefragt: Worüber reden Sie eigentlich gerade? Sie haben sich jetzt hier drei Minuten lang darüber ausgelassen, dass Ihre größte Sorge ist, dass es mit der sozialen Marktwirtschaft in unserem Land bergab geht. ({0}) – Sogar vier Minuten! Das ist ja noch schlimmer, ehrlich gesagt. ({1}) Ich hätte nie gedacht, dass ich der FDP das einmal empfehlen würde: Hören Sie mal auf die Wirtschaft, sprechen Sie mal mit den Unternehmen in diesem Land! Die haben gerade viele Themen auf der Agenda. Aber das Ende der Marktwirtschaft, das ist sicherlich nicht dabei. ({2}) Unternehmen in diesem Land machen sich Sorgen darüber, ob es das Unternehmen in drei Monaten noch gibt. Unternehmen in diesem Land machen sich Sorgen darüber, wie sie ihre Beschäftigten halten können. Sie sagen die ganze Zeit: Der Staat ist schuld, dass es den Unternehmen so schlecht geht. – Viele Unternehmer, die in diesem Land leben, haben gesagt: Es war richtig, ({3}) dass der Staat darauf geachtet hat, das Gesundheitssystem zu schützen; wir sind solidarisch und leisten unseren Beitrag; wir unterstützen das, ({4}) was die Bundesregierung, was wir als Parlament hier gemeinsam beschlossen haben. – Nein, Sie haben das nicht gesagt. Sie haben hier die ganze Zeit gesagt: Das alles waren die Fehler der Politik, und deswegen geht es den Unternehmen so schlecht in diesem Land. Dass das eine notwendige Maßnahme war, ({5}) das haben Sie nicht gesagt an diesem Rednerpult. Eine Erkenntnis aus dieser Debatte müsste sein, wie wichtig gerade in einer Krise ein handlungsfähiger Staat ist, und das haben Sie in Abrede gestellt in Ihrem Wortbeitrag. ({6}) Für viele Unternehmen war es wichtig, dass Zuschüsse von staatlicher Seite gezahlt wurden. Für viele Unternehmen war es wichtig, dass der Staat in die Risikoübernahme bei den Darlehen gegangen ist, um Unternehmen zu retten. Und ja, für manche Unternehmen kann es jetzt in der Krise auch wichtig sein, dass man versucht, sie mit direkten Beteiligungen zu retten. Darüber haben Sie jetzt hier sehr lange gesprochen. Da haben Sie anscheinend große Bedenken.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Dröge, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Theurer?

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Klar. ({0}) Ich hatte nämlich keine vier Minuten. Das macht es einfacher.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe wörtlich hier erklärt: Es bestand in diesem Hause große Einigkeit, dass das drastische Herunterfahren der Wirtschaft und der Gesellschaft erforderlich ist, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. ({0}) Ich füge hinzu, dass die Freien Demokraten, nachdem wesentliche Änderungen, zum Beispiel die Befristung der Ermächtigungen im Infektionsschutzgesetz, eingearbeitet wurden, den Gesetzentwürfen zugestimmt haben, auch den Hilfen vom Staat. Das möchte ich an der Stelle noch mal unterstreichen. Meine Frage an Sie ist: Sind Sie bereit, Ihre Falschaussage über meine Rede hier zu korrigieren? Denn wir waren uns einig, dass diese Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit notwendig sind; aber wir als Freie Demokraten sind im Interesse der Menschen, der Arbeitsplätze, des Wohlstandes in diesem Land in Sorge, wenn die marktwirtschaftlichen Prinzipien auf Dauer außer Kraft gesetzt werden. ({1})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Theurer, ich würde Ihnen gerne einfach eine Gegenfrage stellen; denn ich habe vielleicht den Sinn Ihrer gesamten Rede nicht verstanden. ({0}) Sie haben vorgetragen, dass Ihre größte Sorge ist, dass die Marktwirtschaft den Bach runtergeht und dass die staatlichen Maßnahmen daran einen Anteil haben. Wenn Sie jetzt sagen: „Es war erst mal richtig, was wir gemacht haben“, ist das schön. Dann kommen Sie wieder zurück zum Konsens unserer Debatte. Aber was ist denn dann Ihre Alternative? Wir haben uns gemeinsam darauf verständigt, dass wir, wenn das Infektionsgeschehen es zulässt, langsam wieder zu Lockerungsmaßnahmen kommen müssen, dass natürlich dann auch das wirtschaftliche Geschehen wieder möglich ist. „Wenn das Infektionsgeschehen es zulässt“, diesen Satz habe ich bei Ihnen in der Vergangenheit echt oft vermisst; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Das, was ich beschrieben habe, passiert nun gerade. – Nein, Sie müssen stehen bleiben; ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort. ({1}) Jetzt reden wir gerade über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Sie machen sich Sorgen, dass das der Punkt ist, an dem die Marktwirtschaft zu Ende ist. Jetzt frage ich Sie einfach: Was ist die Alternative? ({2}) Soll man Unternehmen, die jetzt um staatliche Hilfe bitten, sagen: „Sorry, wir lassen Sie einfach pleitegehen“? ({3}) Ist das jetzt die Alternative, indem Sie den Beschäftigten der Lufthansa sagen: „Sorry, da haben wir jetzt grundsätzliche ordnungspolitische Bedenken. Leider können wir nicht helfen“? Ist das Ihre Antwort? Unsere ist es nicht. ({4}) Wir sind als Grüne auch nicht der Auffassung, dass sich der Staat dauerhaft an Unternehmen beteiligen sollen, aber temporär, befristet ist das in der Krise aus meiner Sicht notwendig. Was ich dann aber nicht verstehe – Sie machen doch hier auch Wirtschafts- und Haushaltspolitik –: Wäre es nicht vernünftig, dass man, wenn man als Staat mit Milliarden in die Rettung eines Unternehmens geht, dann sagt: „Dann will ich auch ein Mitspracherecht haben. Ich will nämlich gucken, dass die Steuergelder, die ich in die Hand genommen habe, auch vernünftig eingesetzt werden“? ({5}) Sie wollen nur stille Beteiligungen haben und sich dann raushalten, weil Sie denken, dass da sonst irgendein ordnungspolitisches Prinzip verletzt ist. Ich verstehe das an dieser Stelle nicht. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Jetzt ist die Frage aber beantwortet. Herr Theurer, Sie können sich setzen. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eigentlich nicht.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Doch, doch.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eigentlich müsste ich hier noch etwas mehr erklären.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Sie können sich setzen, Herr Theurer. ({0}) Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen: Wer eine kurze Frage stellt, kriegt manchmal eine lange Antwort. ({1})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bleiben Sie doch einfach stehen, super. Dann möchte ich aber auch, dass die Uhr weiter angehalten wird; denn ich muss ihm noch einiges erklären, nämlich zum Beispiel das ganze Thema Klimaschutz. ({0}) Sie haben auch nicht verstanden – das war auch Teil Ihrer Rede –, warum man, wenn man als Staat in die Rettung eines Unternehmens geht, eben auch Anforderungen stellt. Und dazu gehört aus unserer Sicht tatsächlich auch der Klimaschutz. ({1}) Denn wenn man eines aus dieser Krise lernen kann, dann doch dies, dass man eine Krise am besten am Anfang bekämpft. Dass wir hier alle gerade so entspannt miteinander diskutieren können, ({2}) liegt auch daran, dass in Deutschland frühzeitig gehandelt wurde und nicht erst, als es zu spät war. ({3}) Genau das Gleiche gilt auch für die Klimakrise. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Klimakrise werden umso weitreichender, je länger wir damit warten, sie zu bekämpfen. Deswegen braucht es ein wirtschaftliches Gegensteuern. Es braucht ein Investitions- und Konjunkturprogramm nicht nur, um die Wirtschaft aus der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg zu holen, sondern gleichzeitig auch, um die zweite große Krise, die parallel abläuft, zu bekämpfen und dieser gegenzusteuern. Was ich bei der FDP nicht verstehe, ist, dass Sie nicht verstehen, dass darin gleichzeitig eine wirtschaftliche Perspektive liegt, eine Innovationsperspektive. Wenn man jetzt den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft vollzieht, wenn man jetzt den Ausbau der Erneuerbaren vorantreibt, wenn man die Grundstoffindustrie bei der Umstellung auf klimaneutrale Technologien unterstützt, dann liegt darin eine große Innovationsperspektive für die deutsche Wirtschaft. Das fehlt in Ihrem Antrag alles. Sie schreiben nur, wogegen Sie sind, und das ist in der schwersten Wirtschaftskrise dieses Landes ehrlich gesagt ein bisschen wenig. ({4})

Peter Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Auswirkungen der Coronapandemie in Gesellschaft und Wirtschaft hinein sind gravierend. Deshalb haben wir Hilfsprogramme für alle Bereiche des Lebens aufgelegt. Es ist dabei keineswegs so, dass hier national oder europäisch blind subventioniert wird oder gar Firmen verstaatlicht werden sollen. Hier wird gesichert, was zu sichern ist; hier wird gerettet, was zu retten ist. ({0}) Richtig ist: Abgerechnet werden kann der Schaden der Pandemie, aber auch der Erfolg unserer Maßnahmen, erst später. Die aktuelle Krisenlage war so, glaube ich, für niemanden vorhersehbar und sicher auch von niemandem gewünscht. Viele sind unverschuldet in eine Notlage geraten, und Bund, Länder und Gemeinden helfen, wo es geht und auch wo es nötig ist. Ein kleines Virus, eine drohende Pandemie hat uns alle in einzigartiger Weise gefordert. Es hat eine Fahrt auf Sicht nötig gemacht und zu flexiblem Handeln aufgefordert – beides sicherlich nicht gerade eine systemische Stärke einer freiheitlichen Demokratie. Dass wir nicht in die Knie gehen, wurde überhaupt erst möglich durch eine kluge Haushaltspolitik der letzten Jahre, eine Haushaltspolitik, die von der Opposition ohne Unterlass kritisiert wurde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Infektionsgeschehen ist zum Glück beherrschbar geworden, und wir tun gut daran, diese Situation zu stabilisieren. Gleichzeitig erfolgt eine Analyse der zutage getretenen Schwächen: Schwächen im Bildungssystem, Schwächen im Umgang mit der Einschränkung von Freiheitsrechten, aber auch Schwächen im globalen Wirtschaftskreislauf. Anders als die FDP sehen wir durchaus einen Modernisierungsbedarf im Netzwerk unserer freien und sozialen Marktwirtschaft. Es hilft jetzt überhaupt nicht, einfach mal ein Wortgerippe einer Deklination vom freien Markt aufzulisten. ({1}) Es ist jetzt in dieser Situation auch durchaus falsch, Einflussnahme des Staates erst einmal grundsätzlich zu verteufeln und die reine Lehre des privaten Unternehmertums als alleinigen Gegenentwurf aufzuschreiben. Freie und soziale Marktwirtschaft liegt uns von der Union in der DNA. Wir kennen aber auch die Verantwortung wie auch die Möglichkeiten, die wir mit staatlicher Einflussnahme in Regierungsverantwortung haben. Die Coronakrise offenbart uns auch die hohe Abhängigkeit und die hohe Anfälligkeit der Wirtschaft in globalen Entwicklungen. Der Staat kann und die Regierung muss in diesem Bereich Krisennachsorge und Prävention betreiben und darf den Markt nicht nur sich selbst überlassen; denn gerade die Kräfte des globalen Marktes entsprechen nicht überall auf der Welt unseren Regeln des freien und fairen Handels. Wir sind offenbar zu einseitig abhängig von bestimmten Lieferbeziehungen, zu wenig diversifiziert; es fehlt Redundanz. Wir haben erfahren müssen, wie komplex eine sicher geglaubte Struktur reagiert, wenn eine Überforderung des Gewohnten eintritt, und das bei Massenartikeln wie Schutzmasken oder Laborpipetten. Es gibt diese Abhängigkeiten auch bei anderen Produktlinien: Medikamenten, Chemikalien oder auch Zulieferteilen im Maschinenbau. Ja, Unternehmer treffen selbst die Entscheidung über ihre Geschäftsbeziehungen; das sollen sie auch. Das können sie besser als die Politik, und in dem Punkt waren sich Union und FDP immer einig. Politik muss aber die Rahmenbedingungen setzen und die Gültigkeit von rechtsstaatlichen Regeln international vereinbaren: über den Rechtsrahmen, über sichere Handelswege, Handelsabkommen, aber auch über Umwelt- und Arbeitnehmerstandards. Politik muss jetzt neue Wege der Kooperation markieren, zum Beispiel mit Afrika. Dort wird die neue Diversifizierung der Handels- und Lieferbeziehungen scharfzuschalten sein. Dort entsteht der größte Binnenmarkt der Zukunft. Dort nutzen die Chinesen nicht erst seit Corona ihre ungehemmte Marktmacht, und wir müssen uns mit Sorge Gedanken darüber machen, wie sie dort nach Corona auftreten werden. Wir treffen auf globale Konkurrenz der Staatskonzerne und staatlichen Betriebe, auf staatliche Kredite und politische Einflussnahme. Die deutsche Wirtschaft muss leistungsfähig und wirtschaftlich potent gehalten werden, um sich diesen Kräften zu stellen. Wir müssen den Rahmen immer so weit stabilisieren, dass auch zukünftig überhaupt ausreichend Spielräume für freie marktwirtschaftliche Entscheidungen bleiben. Um Wirtschaft und Sozialstaat zu sichern, braucht Politik dabei Einfluss. Dafür zu sorgen, ist aktuell unser politischer Auftrag. Herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Fritz Güntzler. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten ja eigentlich zwei Anträge, und ich möchte zum zweiten Antrag, zur Reform der Einfuhrumsatzsteuer, sprechen. Bei diesem Antrag der AfD verwundert es mich schon, dass der Antragsteller zu seinem eigenen Antrag überhaupt nicht spricht. ({0}) Das zeigt eigentlich auch, wie bedeutungsvoll Sie diesen Antrag finden. Das ist schon ein besonderes Vorgehen; ({1}) denn das Thema an sich ist natürlich wichtig, und die Große Koalition arbeitet ja auch an diesem Thema. Wenn man in den Koalitionsvertrag schaut, sieht man, dass wir genau eine solche Reform der Einfuhrumsatzsteuer vorhaben. Was ist eigentlich die Einfuhrumsatzsteuer? Nicht jeder wird sich täglich damit beschäftigen. Das Aufkommen beträgt immerhin 60 Milliarden Euro, die der Staat mit dieser Steuer erzielt. Sie fällt bei der Einfuhr von Waren aus dem sogenannten Drittland, also dem außereuropäischen Ausland, in die Bundesrepublik Deutschland an. Das Gute ist: Der Unternehmer, der diese Einfuhrumsatzsteuer zu zahlen hat, bekommt sie im Rahmen seiner Umsatzsteuervoranmeldung als sogenannte Vorsteuer wiedererstattet, sodass man feststellen könnte: Es gibt gar keine finanziellen Auswirkungen, und das, was er zahlt, bekommt er ja auch wiedererstattet. Es gibt aber ein Problem mit diesem Verfahren dahin gehend, dass wir uns in der Bundesrepublik Deutschland entschieden haben, dass die Einfuhrumsatzsteuer vom Zoll erhoben wird und die Umsatzsteuerabrechnungen vom Finanzamt durchgeführt werden. Dadurch kommt es zu einer zeitlichen Verzögerung zwischen der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer, nämlich am 10. Tag nach der Einfuhr der Ware, und der Erstattung über die Umsatzsteuervoranmeldung frühestens am 10. des Folgemonats, bei Vorsteuererstattungsansprüchen teilweise Monate später. Es ist also ein riesiges Liquiditätsloch, das den Unternehmen entsteht. Von daher ist es wichtig, dort zu handeln; denn das ist ein wahrlicher Standortnachteil, der dazu führt, dass Warenströme verlegt werden. Ich empfehle jedem – oder vielleicht lieber nicht –, sich mal auf YouTube die Werbefilme des Hafens Rotterdam anzugucken, der damit wirbt, dass die Niederländer es eben anders machen. Es schadet unseren Steuereinnahmen, unserem Wirtschaftsstandort – wir sprechen ja über wirtschaftliche Belebung –, sodass es richtig ist, dass wir dieses Thema aufgreifen, weil es eben einen Schaden für die Unternehmen zur Folge hat. Als ehemaliger Cuxhavener sage ich aber auch: Auch für die deutschen Seehäfen und die Flughäfen ist das ein Riesennachteil; ich hatte Rotterdam eben genannt. Von daher sollten wir das Thema aufgreifen. Die Koalitionsfraktionen sind dran; wie gesagt, der Koalitionsvertrag sieht es vor. Die Finanzministerkonferenz hat schon eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe initiiert über das BMF. Es liegen dort erste Ergebnisse vor. Die Schwäche des AfD-Antrages ist nun, dass er sich auf ein Modell bezieht, nämlich das sogenannte Verrechnungsmodell. Es gibt weitere Modelle, die debattiert werden. Die größte Schwäche des AfD-Antrages ist aber, dass darin steht, es solle umgehend eingeführt werden. Das mag man sich wünschen, weil die Dinge so sind, wie ich sie beschrieben habe; aber es geht einfach nicht, weil administrativ einiges zu regeln ist. Von daher ist es wichtig, dass wir jetzt anfangen, und es ist richtig und wichtig, dass die Finanzministerkonferenz das BMF noch mal gebeten hat, bis Ende dieses Monats etwas vorzulegen. Frau Staatssekretärin, wir sind natürlich großer Hoffnung, dass das BMF uns etwas Konkretes vorlegt, damit wir als Koalitionsfraktion dieses wichtige Thema angehen können. Der Antrag der AfD ist damit mal wieder völlig überflüssig. Welche Bedeutung Sie diesem Antrag selber bemessen, haben Sie heute bewiesen. Herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Zu spät; die Debatte ist beendet. Weitere Personen stehen nicht auf der Rednerliste. Das müssen Sie früher anmelden.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise sind massiv. Viele Länder auf der ganzen Welt schauen in wirtschaftliche und soziale Abgründe. Ein Blick über den Atlantik zeigt die Dramatik: In den Vereinigten Staaten von Amerika sind in den letzten sechs Wochen 30 Millionen Menschen arbeitslos geworden. 30 Millionen Arbeitsplätze sind in den USA verschwunden. Ja, auch bei uns in Deutschland stehen wir vor einer tiefen Rezession. Aber wir haben mit dem Mittel der Kurzarbeit eine starke, eine stabile Brücke über diesen wirtschaftlichen Abgrund gebaut, um Arbeitsplätze zu sichern. Wir retten derzeit Millionen von Arbeitsplätzen mit diesem Instrument. Ich finde, meine Damen und Herren – das kann hier auch mal gesagt werden –, es ist ein Zeichen der Stärke unseres deutschen Sozialstaats, dass wir das leisten können. ({0}) Klar ist aber auch, dass für viele Menschen Kurzarbeit – zumal wenn es länger dauert – mit erheblichen Lohn- und Gehaltseinbußen einhergeht. Wenn man als Beschäftigter das erlebt und gleichzeitig die laufenden Kosten nicht in Kurzarbeit sind, sondern Mieten, Zahlungen, Kredite weiterlaufen, ist das eine erhebliche Belastung für den Lebensstandard von Menschen. Es ist deshalb richtig und notwendig, dass wir in diesem Bereich was tun. Ich bin froh und dankbar, dass wir uns in der Koalition zumindest darauf verständigt haben, das Kurzarbeitergeld für die Menschen, die ganz lange in Kurzarbeit sind, aufzustocken. Konkret – das ist der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen; das ist die Formulierungshilfe, die mit diesem Sozialschutz-Paket einhergeht – werden wir das Kurzarbeitergeld auf 70 bzw. 77 Prozent ab dem vierten Monat und auf 80 bzw. 87 Prozent ab dem siebten Monat erhöhen. Das gilt für alle Beschäftigten, deren Arbeitszeit durch Kurzarbeit um mindestens 50 Prozent reduziert ist. Man kann sich immer mehr wünschen; andere wünschen sich gar nichts. Ich finde, es ist ein erheblicher Erfolg, dass wir ein deutliches Signal setzen: Die, die jetzt lange in Kurzarbeit sind – das werden nicht alle sein –, werden Unterstützung bekommen. ({1}) Es ist auch richtig, dass wir die Möglichkeit eines Hinzuverdienstes zum Kurzarbeitergeld weiter erleichtern. ({2}) Das Einkommen aus Nebenjobs – egal in welcher Branche; der Begriff „systemrelevant“ wird keine Rolle mehr spielen – hilft den Beschäftigten konkret, im Zweifelsfall auch Lohnlücken aufstocken zu können. Beide Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind sozial geboten und übrigens auch ökonomisch sinnvoll, weil wir gerade in dieser Phase durch diese Maßnahme einen Beitrag zur Sicherung der Kaufkraft in Deutschland leisten. Auch das hilft der Wirtschaft, meine Damen und Herren, weil es Nachfrage sichert. Es geht zudem darum, dass wir durch eine pragmatische Lösung mithelfen, dass benachteiligte Kinder, die bisher an Schulen, in Tagespflegeeinrichtungen oder in der Kita ein warmes Mittagessen bekommen haben, auch in diesen Zeiten ein Mittagessen über das Bildungs- und Teilhabepaket bekommen, dort, wo Kommunen das anders organisieren. ({3}) – Herr Lehmann, bitte schön. Für Ihre Frage bin ich sehr dankbar. – Wenn ich ihm die Möglichkeit dazu geben darf, Herr Präsident?

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Sie dürfen.

Sven Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004801, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich freue mich, dass Sie dankbar sind über die Frage, die Sie noch gar nicht kennen.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Doch. Denn meine Redezeit ist so kurz, dass ich schon jetzt dankbar bin.

Sven Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004801, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das zeigt, wie gut wir im Ausschuss zusammenarbeiten. – Also, erst mal wollte ich was Lobendes sagen, Herr Minister, nämlich dass in der Tat zu Beginn der Krise die Regierung richtige Maßnahmen getroffen hat, vor allem beim erleichterten Zugang zur Grundsicherung und beim Kurzarbeitergeld. Wir als Grüne haben die Maßnahmen auch sehr unterstützt. Wir haben aber auch immer gesagt, dass es Leerstellen gibt. Weil Sie gerade das Thema Mittagessen angesprochen haben: Eine der klaffendsten Leerstellen Ihrer gesamten Politik ist die strikte, eiserne, beinharte Weigerung, die Grundsicherung – und sei es auch nur durch einen krisenbedingten Zuschlag – in dieser Krise zu erhöhen. Und das betrifft vor allem Armutsrentnerinnen und ‑rentner, das betrifft vor allem Kinder und Familien, die in der Grundsicherung sind. Es gab am Wochenende einen Appell in einer nie gekannten Breite von Gewerkschaften, von Sozialverbänden, von Kinderschutzverbänden, von Foodwatch. Die haben gesagt, dass Lebensmittelpreise höher geworden sind und es deswegen dringend einen Zuschlag auf die Grundsicherung geben muss. Stattdessen schaffen Sie jetzt diese Mittagsessenregelung, also so was wie ein Lieferdienst mit Lunchpaket. Das ist erstens stigmatisierend, wenn demnächst ein Auto durch die Gegend fährt und vor den entsprechenden Häusern hält und alle Nachbarn dann wissen: Okay, die haben anscheinend zu wenig Geld, um das Essen selber zu bezahlen. – Es ist zweitens lebensfremd, wenn es in einer Familie mehrere Kinder gibt und die Kitakinder was anderes bekommen als die Schulkinder. Und es ist drittens vor allem bürokratisch, weil sich wahrscheinlich nicht überall Lieferdienste finden werden, die das zu diesem niedrigen Preis machen. Ich möchte Sie wirklich dazu auffordern, diese Regelung zu überdenken und Ihre Verweigerungshaltung, die Grundsicherung auch nur um einen Cent zu erhöhen, aufzugeben. Das hätten die Familien, das hätten die Armutsrentnerinnen und ‑rentner verdient. Das wäre eine unbürokratische Regelung, die auch bei den Menschen ankommt. Bitte geben Sie endlich Ihre Blockadehaltung an dieser Stelle auf. ({0})

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Lieber Kollege Lehmann, ich danke Ihnen für die Frage. Aber heute ist das Sozialschutz-Paket an der Reihe mit der Kurzarbeit, mit den Regelungen, die ich gleich noch beschreiben werde. Das heißt nicht, dass bei der Grundsicherung alles so bleiben wird, wie es ist. Wir haben den Zugang zur Grundsicherung in dieser Zeit gemeinschaftlich erleichtert, wie Sie wissen. Wir haben den Kinderzuschlag erhöht, was übrigens auch vielen hilft. Und über weitere Maßnahmen wird zu reden sein, gerade für Familien mit Kindern. Aber ich will Ihnen mal eines deutlich sagen, und das geht an Sie persönlich: Meine herzliche Bitte ist, dass Sie bei dem Thema Schulmittagessen nicht solche Reden halten, sondern sich mal mit den Grünen in Potsdam unterhalten, die ausdrücklich gelobt haben, dass Flexibilität in diesem Bereich ganz wichtig ist. Schulmittagessen für Kinder als Stigmatisierung zu diffamieren – Sie sollten sich überlegen, was Sie an dieser Stelle sagen. ({0}) Wir sichern die Möglichkeit, Schulmittagessen flexibel zu organisieren. Herr Lehmann, es geht doch nicht um eine soziale Großtat, sondern es geht um eine pragmatische Lösung. Sie reden an dieser Stelle aus meiner Sicht nicht mit den Kollegen der Grünen beispielsweise in Potsdam und anderswo, ({1}) die sehr dankbar sind, dass wir es möglich machen, dass das Mittagessen jetzt in dieser Notlage auch über das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes abgerechnet werden kann. Wo leben Sie eigentlich? ({2}) Es geht um konkrete Hilfen in der Not an dieser Stelle und nicht um Ihre Fantasien. ({3}) Sie bringen ein paar Dinge durcheinander. Unterhalten Sie sich doch mal mit Ihrer Parteivorsitzenden Annalena Baerbock, die das in Potsdam begrüßt hat; kann ich Ihnen nur empfehlen. Es gibt schlaue Grüne, und es gibt das, was Sie hier dazu gesagt haben; das will ich einmal feststellen. ({4}) – Nein, das ärgert mich zutiefst. Herr Lehmann, ich schätze Sie sehr. Aber das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Wir werden über die Grundsicherung zu reden haben. Ich sage noch mal: Die Regelbedarfsermittlung ist auf der Tagesordnung, das wissen Sie ganz genau. Aber jetzt das Schulmittagessen, das mit pragmatischen Regelungen ermöglicht wurde, in ein schiefes Licht zu rücken, das finde ich nicht in Ordnung. Das finde ich wirklich nicht in Ordnung an dieser Stelle! ({5}) – Nein. Ich finde, Sie werfen da einiges durcheinander, und ich bitte, einfach mal mit Ihren Kollegen in der Kommunalpolitik Kontakt aufzunehmen; die Telefonnummern sind bekannt. ({6}) Was mir auch am Herzen liegt, ist – und das ist in diesem Sozialschutz-Paket auch ein wichtiges Thema –, dass wir in diesen Zeiten dafür sorgen, dass kleine Kinder, die Entwicklungsschwierigkeiten haben – die oft auch Behinderungen haben –, auch in und nach der Coronapandemie wie gewohnt in ihren Familien unterstützt werden können. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von den interdisziplinären Frühförderstellen. Wir müssen die sozialen Dienste und Einrichtungen schützen und halten auch damit unsere Gesellschaft zusammen. Ich finde es sehr, sehr wichtig, dass das nicht unter die Räder kommt. Wir kümmern uns eben um die Schwächsten in dieser Gesellschaft, die jetzt besonders leiden, Herr Lehmann, ({7}) und zwar nicht durch Reden, sondern durch konkretes Handeln. Das können Sie unterstützen; davon bin ich überzeugt. ({8}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ja, wir haben soziale Probleme auch über dieses Paket hinaus zu bearbeiten; das ist doch gar keine Frage. Wir schaffen mit diesem Sozialschutz-Paket II aber einen weiteren Schritt, um die wirtschaftlichen und die sozialen Folgen für die Menschen an dieser Stelle abzufedern. In der tiefsten Rezession, die wir in unserer Generation bisher erlebt haben, kann sich der deutsche Sozialstaat mit dem, was geleistet wird, sehen lassen. Ich danke allen, die daran mitwirken – übrigens auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter, die das alles im Moment in wunderbarer Arbeit umsetzen. ({9}) Sie helfen Menschen und halten nicht nur Reden. Herzlichen Dank. ({10})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf enthält gute Ansätze, die wir grundsätzlich für unterstützenswert halten, so zum Beispiel die Verbesserung bestehender Verfahren in der Sozialversicherung, insbesondere im Hinblick auf den elektronischen Datenaustausch. So begrüßen wir die Erweiterung der Auskunftsberechtigung kommunaler Träger gegenüber dem Ausländerzentralregister. Auch das Schließen von Lücken im Leistungsrecht der Renten und die Anpassung an die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung sind sinnvoll, auch wenn man dort noch mehr machen könnte. Ob die mit den Änderungsanträgen im Ausschuss eingeführten Rahmenbedingungen von den Selbstverwaltungen der gesetzlichen Unfallversicherung tatsächlich genutzt werden, um das Dienstordnungsrecht zu schließen, wird sich zeigen. Wir hätten eine umfassende Schließung bevorzugt, um Insellösungen zu vermeiden. In den letzten Sitzungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales wurde leider deutlich, dass dieser Gesetzentwurf mal wieder mit der heißen Nadel gestrickt wurde. Der Eröffnung der Möglichkeit, Sozialleistungen an Dritte auszuzahlen, müssen wir vehement widersprechen. Die bestehende Regelung ist bereits kritisch; der Sicherstellungsauftrag wird deutlich überdehnt. Damit meine ich, dass Sie mit der Änderung des Artikels 2 des SGB IV die Auszahlung von Leistungen nach dem SGB II an Personen in der Bedarfsgemeinschaft derartig verändern wollen, dass die Möglichkeit der Auszahlung von Sozialleistungen an eine dritte Person, die in keinem Verhältnis zu dem Leistungsempfänger stehen muss, grundsätzlich möglich wird. Insbesondere ist dem zu widersprechen, wenn eine Überweisung von beitragsunabhängigen Leistungen auf Konten im Ausland erfolgt. Unter anderem aus diesem Grund ist es die AfD-Fraktion dem deutschen Steuerzahler schuldig, gegen Ihren Gesetzentwurf zu stimmen, um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. ({0}) Kommen wir nun zu dem Antrag der AfD-Fraktion. Seit Einführung der SEPA-Verordnung zur Erleichterung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ist es grundsätzlich möglich, Sozialleistungen nach SGB II und SGB III – also Hartz IV und Arbeitslosengeld I – direkt auf ausländische Konten überweisen zu lassen. Bis dahin war es den Ämtern nur gestattet, Überweisungen auf deutsche Konten zu tätigen. Forderungen gegenüber Leistungsempfängern, die aufgrund unberechtigter Zahlung oder Überzahlung entstanden sind, lassen sich nur schwer oder gar nicht mehr eintreiben. Laut Bundesagentur für Arbeit schlugen die Rückforderungen aus unberechtigter Zahlung oder aus Überzahlung Ende 2018 mit insgesamt circa 3,07 Milliarden Euro zu Buche. Wir sprechen hier von einer Steigerung von 80 Prozent im Vergleich zum Bemessungszeitraum 2015. Gleichzeitig weist eine Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Finanzen auf deutlich zunehmende Probleme bei der Realisierung von Forderungen hin, wenn es um ausländische Bankkonten geht. Nach einer Auskunft der Bundesagentur für Arbeit ist es derzeit aus technischen Gründen nicht möglich, auszuwerten, in welcher Höhe Leistungen nach dem SGB II und dem SGB III auf ausländische Konten ausgezahlt werden. Um Betrug am deutschen Steuerzahler aufzudecken, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Mann, oh Mann! bedarf es einer Transparenz in der Abwicklung von Sozialleistungen auf ausländische Konten sowie einer Offenlegung des Forderungsmanagements der Bundeagentur für Arbeit. ({1}) Daher bitten wir im Sinne der Bürger unseres Landes um Ihre Unterstützung für unseren Antrag. ({2}) Völlig unverständlich, Herr Minister Heil, ist, dass hier drei Vorlagen angehängt wurden, die in die Ausschüsse überwiesen werden sollen, ohne dass wir hier im Plenum die Möglichkeit haben, dazu in ausreichendem Umfang Stellung zu nehmen. Trotzdem vielen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Torbjörn Kartes. ({0})

Torbjörn Kartes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004774, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es sind besondere Zeiten fast auf der ganzen Welt, in Deutschland und natürlich auch hier in unserem Parlament. Bei all dem, was uns gerade bewegt – bei der Sorge um die Gesundheit unserer Mitmenschen, aber auch bei der Frage, wie wir den volkswirtschaftlichen Schaden möglichst begrenzen und möglichst viele Arbeits- und auch Ausbildungsplätze sichern können –, gilt es auch weiter, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wir erledigen unsere Hausaufgaben und bekämpfen diese Krise mit aller Kraft, aber wir denken auch weiter an eine Zeit nach dieser Pandemie. Deshalb bringen wir heute dieses Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Vierten Sozialgesetzbuches zum Abschluss. Was uns in dieser Krise hilft und uns übrigens auch von vielen anderen Ländern auf der Welt unterscheidet, ist unser Sozialstaat: Krankenversicherung mit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung, Kurzarbeitergeld, Kündigungsschutz. Mit diesem Gesetz werden wir diesen Sozialstaat noch ein bisschen besser machen. Wir machen viele unserer Verwaltungsprozesse effizienter, digitaler, bürgernäher und auch kostengünstiger. Das sind gute Nachrichten. Es ist wichtig, dass wir das Verfahren zu diesem guten Gesetz heute zum Abschluss bringen. ({0}) Klar ist: Es gibt nicht den einen großen roten Knopf – meist ist er ja rot –, den man drücken kann, damit alles besser wird, sondern es ist eine ganz große Vielzahl an einzelnen kleineren Maßnahmen notwendig, die auf das große Ganze wirken werden. Dieses Gesetzgebungsverfahren war echte Fleißarbeit; das möchte ich auch sagen. Vieles konnte nur in Telefon- und Videokonferenzen verhandelt werden, aber es war wichtig und richtig, dass wir uns die Zeit dafür genommen haben, und ich danke allen Beteiligten für die durchaus intensiven, aber immer konstruktiven Beratungen. ({1}) Es gäbe viele Punkte dieses Gesetzentwurfs, die man heute eigentlich ansprechen müsste, aber ich will mich auf wenige beschränken. Wir machen es möglich, dass die nächsten Sozialversicherungswahlen bei den Krankenkassen im Jahre 2023 digital werden. ({2}) Neben der Briefwahl wird man auch online abstimmen können. Mitgliedsbescheinigungen der Krankenkassen an Arbeitgeber werden zukünftig elektronisch übermittelt. Für Kleinstarbeitgeber mit bis zu zehn Beschäftigten wird ein Datenspeicher für ihre Entgeltunterlagen durch die Sozialversicherungsträger zur Verfügung gestellt, damit alle Arbeitgeber ihre Entgeltunterlagen zukünftig elektronisch vorhalten können. Das ist also eine echte Serviceleistung für kleinere Arbeitgeber, die zudem den digitalen Datenaustausch ermöglicht. Wir ermöglichen es den Bundesländern, Daten von Schulabgängern ohne Schulabschluss an die Bundesagentur für Arbeit zu übermitteln. Das geht bisher nicht. Die Bundesagentur weiß oft gar nichts von den jungen Menschen ohne Schulabschluss. Sie kann sich zukünftig direkt an diese wenden und helfen, Brücken in die Arbeitswelt zu bauen. Und: Wir schaffen die Sozialversicherungspflicht in der praxisintegrierten Ausbildung im Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialbereich. ({3}) Auch das ist ein ganz wichtiger Schritt, wenn wir wollen, dass immer mehr junge Menschen sich auch für diese Berufe entscheiden; sie sind dann von Anfang an abgesichert. Als Union haben wir zudem erreicht, dass die sogenannte Bürgermeisterregelung um zwei weitere Jahre verlängert wird. Ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher sind unschätzbar wertvoll für die kommunale Selbstverwaltung und Ansprechpartner vor Ort. Das sind Ehrenämter mit großer Verantwortung und vielfach mit einem enormen zeitlichen Aufwand. Gerade in dieser Coronakrise sehen wir, wie wichtig es ist, dass jemand vor Ort koordiniert und zum Beispiel die Verteilung von Einmalmasken organisiert. Deshalb haben wir uns auch dafür starkgemacht, dass ihre Aufwandsentschädigungen dann auch künftig nicht auf die Altersrente angerechnet werden. Wir haben heute schon genügend Schwierigkeiten, überhaupt noch Menschen zu finden, die sich kommunal engagieren wollen; denen sollten wir den Weg nicht zusätzlich erschweren. Im Gegenteil, diejenigen, die sich gerade heute vor Ort engagieren, haben unsere Unterstützung und unsere Anerkennung verdient. Das schaffen wir mit dieser Regelung. ({4}) Mit der gleichen Energie werden wir uns jetzt auch dem Sozialschutzpaket II zuwenden. Wir spannen den Schutzschirm für Beschäftigte, für Familien und für Sozialleistungsempfänger weiter auf. Auch darüber debattieren wir heute. Wir haben bereits zu Beginn dieser Pandemie weitreichende Maßnahmen beschlossen, um das Infektionsgeschehen in Deutschland in den Griff zu bekommen, und wir haben das durch weitreichende sozialpolitische Maßnahmen flankiert. Mit der zunehmenden Dauer dieses Ausnahmezustands sehen wir, dass weitere Unterstützung notwendig ist. Deswegen bringen wir heute gleichzeitig das Sozialschutzpaket II auf den Weg. Wir werden unter bestimmten Voraussetzungen das Kurzarbeitergeld erhöhen, und wir ermöglichen es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nun in allen Berufen, dass sie während der Kurzarbeit so viel hinzuverdienen dürfen, dass sie auf ihr reguläres Gehalt kommen. Aufgrund der außergewöhnlichen Situation verlängern wir auch die Zahlung von Arbeitslosengeld I um drei Monate. Es gibt weitere Punkte, die es jetzt noch zu verhandeln gilt, wie zum Beispiel eine gute Ausnahmeregelung für ein Kurzarbeitergeld für Azubis. Es gibt also noch viel zu tun. Ich kann Ihnen allen – vor allen Dingen denen, die jetzt von zu Hause aus zuschauen – versichern, dass wir hier mit aller Kraft daran arbeiten, dass wir gemeinsam möglichst gut durch diese Krise kommen. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Till Mansmann. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal ist es gut, dass wir im Deutschen Bundestag heute wieder zeigen, dass wir auch in Krisenzeiten, in denen wir zeitweise maßgebliche Kompetenzen an die Exekutive abgegeben haben, weiterhin ordentlich unsere Arbeit machen; denn in diesem umfangreichen Gesetz werden viele wichtige Dinge neu geregelt. Nicht so gut finden wir die Weise, wie es in diesem konkreten Fall geschieht. Ein wichtiger Teil, nämlich die Unfallversicherung, hätte ein eigenes Gesetz verdient, in dem dann unserer Meinung nach noch mehr hätte verbessert werden müssen, statt in einen solchen Omnibus gesetzt zu werden oder – im Ausschuss ist das Wort gefallen – an diesen Güterzug angehängt zu werden. Herr Kollege Kartes, Sie haben diesen Güterzug ja Waggon für Waggon beschrieben. ({0}) So sind wir Freie Demokraten überzeugt, dass in den letzten Jahren die wichtige unabhängige Kontrollfunktion des Systems gelitten hat. Die Zahl der Gewerbeärzte hat sich in den letzten 20 Jahren etwa halbiert. Nun sind zwar die Länder für die Gewerbeärzte zuständig, aber bei Systemen, in denen die Kompetenzen von Bund und Ländern derart verschränkt sind, muss der Bund den Ländern dabei helfen, müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass gerade Kernfunktionen im System ordentlich ausgestattet sind. Es geht doch um gar nicht so viel. In Deutschland gab es im Jahr 2017 bundesweit 68 Gewerbeärzte, und die Statistik zeigt, dass ihre Zahl weiter sinkt. Manche Bundesländer haben oder hatten zeitweise überhaupt keine Gewerbeärzte. Es kann doch nicht so schwer sein – gerade angesichts der Geldsummen, die durch die gesetzliche Unfallversicherung fließen –, diese Zahl signifikant zu erhöhen. Zu alldem steht in Ihrem Gesetzentwurf nichts. Wir haben insgesamt durchaus den Eindruck, dass manches, das dringend neu geregelt werden musste, auch angepackt wurde. Die Reform beim Unterlassungszwang bei bestimmten Berufskrankheiten gehört dazu, gewisse Fortschritte bei der Digitalisierung – wobei wir uns mehr unter dem Aspekt Entbürokratisierung gewünscht hätten – wie auch die Professionalisierung des medizinischen Sachverständigenrats. Ein ganz wichtiger Punkt war außerdem die Verleihung der Dienstherrenfähigkeit. Das haben Sie erst ganz spät angepackt – der Durchbruch kam ja erst vorletzte Woche –, sodass wir uns die Frage gestellt haben: War Ihnen vorher nicht klar, wie wichtig das ist, dass die Kontrollfunktion, die ja ausgeübt werden muss, auch tiefe Grundrechtseingriffe bedingen kann, unbedingt als hoheitliche Aufgabe ausgestaltet sein muss? Es liegt uns auch eine Reihe Anträge von Oppositionsfraktionen vor. Dazu muss ich feststellen: Im Einzelnen überzeugen uns die von Grünen und Linken vorgeschlagenen Wege nicht wirklich. Aber die Fragen, die hier aufgeworfen werden, die sind richtig und wichtig. Es wäre Ihr Job, der Job der Großen Koalition, gewesen, hier echte Fortschritte, insbesondere bei der Weiterentwicklung der Definition von Berufskrankheiten und bei deren Anerkennung, zu machen. Das ist insgesamt nicht der große Wurf. Damit bleibt die Unfallversicherung weiterhin eine Baustelle, an der wir arbeiten müssen, gerade in Zeiten, in denen sich die Arbeitswelt so gravierend wandelt. Da Wichtiges hier geregelt wird, werden wir dieses Gesetz nicht ablehnen. Da es aber zu viele Fragen offenlässt, werden wir ihm auch nicht zustimmen, sondern wir werden Ihnen mit unserer Enthaltung signalisieren: Da müssen wir an vielen Stellen noch mal ran. Vielen Dank. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Katja Kipping. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der sozialen Abfederung der Coronakrise vergisst diese Regierung beständig Familien in Hartz IV, Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung im Alter beziehen, Menschen mit Behinderung, deren Werkstätten gerade geschlossen haben und Wohnungslose, kurzum: Die Coronapolitik der Bundesregierung leidet unter dem toten Winkel: soziale Hilfen für die Ärmsten. Aus dem Straßenverkehr wissen wir, wie gefährlich tote Winkel sein können. Deswegen beantragen wir Linken heute und hier einen sozialen Schutzschirm, der wirklich auch die Ärmsten schützt. ({0}) Schule zu Hause, das erfordert einen Laptop, um mit der Lehrerin zu kommunizieren, einen Drucker, um Aufgabenblätter auszudrucken. Aber 25 Prozent der Zwölfjährigen in Familien mit Hartz-IV-Bezug haben nicht einmal Zugang zu einem Computer. Ein Vater aus Mönchengladbach beschreibt die Situation wie folgt: Ohne Computer ist Homeschooling für meine Söhne zu einem Wettbewerb des Unmöglichen geworden. – Ein Wettbewerb des Unmöglichen! Der von der GroKo beschlossene mickrige Zuschuss löst diese Bildungsungerechtigkeit nicht auf. Wirklich helfen würde ein unbürokratischer Zuschuss von 500 Euro über das Bildungs- und Teilhabepaket. ({1}) Die Coronakrise bedeutet für Millionen Selbstständige und Minijobbende existenzielle Nöte. Diese Menschen brauchen ein Coronaüberbrückungsgeld. Die Regierung meint, sie sollen Grundsicherung beantragen. Aber zu den Tücken von Hartz IV gehört die strikte Anrechnung des Einkommens der Partnerin, des Partners in der Bedarfsgemeinschaft. Viele Paare, bei denen jetzt ein Einkommen komplett wegfällt, haben deshalb keinen Anspruch auf Hartz IV, auch wenn das verbleibende Einkommen wahrlich nicht groß ist. Ein sozialer Schutzschirm, der wirklich wirken soll, muss auch für dieses Problem eine Lösung anbieten. ({2}) Sie wissen, schon vor Corona waren die Hartz-IV-Sätze zu niedrig. Nun kommt noch einiges verschärfend hinzu: Infolge von Hamsterkäufen sind die preiswertesten Produkte oft vergriffen. Die Masken gibt es nicht zum Nulltarif. Mehrere Tafeln haben geschlossen. Und das sonst gestützte Mittagessen in Kitas und Schulen fällt weg. Um das auszugleichen, beantragt Die Linke heute einen Coronaaufschlag auf alle Sozialleistungen von 200 Euro im Monat. Davon würden auch die Aufstockenden profitieren, deren Zuverdienste jetzt gerade wegfallen. ({3}) Doch CDU und CSU in dieser Regierung blockieren beständig jede Verbesserung für die Ärmsten. Auch deshalb brauchen wir dringend andere Mehrheiten, und zwar soziale Mehrheiten. ({4}) Der Bundestag verabschiedet hier an diesem Punkt auch Änderungen im Hinblick auf die Berufskrankheiten. Meine Kollegin Jutta Krellmann wird unsere Position dazu auf ihrer Website darstellen. In aller Kürze: Es ist ein Gesetz der verpassten Chancen. Arbeitsbedingte psychische Krankheiten müssen endlich in die Berufskrankheitenliste aufgenommen werden. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es eigentlich um die Sozialversicherung und um ein Gesetz mit 28 Artikeln, 166 Seiten und 52 Seiten Änderungsantrag. Jetzt wird in der zweiten und dritten Lesung ganz einfach noch das Sozialschutz-Paket II dazugestellt. Für all das haben wir jetzt eine Debattenzeit von gerade mal 30 Minuten. Für mich bedeutet das einen Sprint von drei Minuten. Das nervt gewaltig. Das wird vor allem diesen wichtigen Themen in keiner Weise gerecht. ({0}) Beim SGB IV ist uns das Thema Berufskrankheiten ein besonderes Anliegen. Es geht immerhin um Menschen, die arbeiten und die aufgrund ihrer Arbeit krank werden. Mit dem Gesetz gibt es zwar Verbesserungen. Diese sind uns aber zu wenig. Deshalb haben wir bereits im Ausschuss Änderungsanträge eingebracht, beispielsweise zur Geschlechterperspektive und zu psychischen Erkrankungen. Heute im Plenum fordern wir mit einem Änderungsantrag eine Härtefallregelung. Genau diese wollen übrigens auch die Arbeits- und Sozialminister der Länder. Mit einer Härtefallregelung erhöhen wir die Chancen auf mehr Einzelfallgerechtigkeit. Das ist für Menschen mit seltenen Krankheiten dringend notwendig. ({1}) Jetzt zum Sozialschutz-Paket II. Erstens: Kurzarbeitergeld. Wir wissen: Wer wenig verdient, kommt damit nicht über die Runden; der Minister hat es gerade angesprochen. Die geplante Änderung lehnen wir aber ab; denn die Erhöhung im vierten und siebten Monat kommt zu spät und ist auch zu wenig. Wir wollen das Kurzarbeitergeld für kleine und mittlere Einkommen sofort gestaffelt auf 90 Prozent erhöhen. Nur dann können die Beschäftigten vom Kurzarbeitergeld tatsächlich leben. ({2}) Auch die Azubis brauchen Kurzarbeitergeld, und zwar zu 100 Prozent, sofort und ohne lange Wartezeit. Auch das ist wichtig. Nur so schaffen wir für die jungen Menschen Perspektiven. Zweitens. Auch die sozialen Dienste werden während der Coronapandemie geschützt und unterstützt. Probleme gibt es aber beispielsweise bei den Beschäftigungsträgern. Sie sind wichtig, weil sie engagiert arbeitslose Menschen unterstützen. Im Krisenfall bekommen sie maximal 75 Prozent der Mittel. Sie sind soziale Unternehmen. Sie haben keine Rücklagen und bekommen deshalb Probleme. Und hier hat das Sozialschutz-Paket eine Leerstelle. Wir brauchen aber diese wichtige soziale Infrastruktur – heute und auch vor allem nach der Coronakrise. Deshalb muss hier unbedingt nachgebessert werden. Darüber hinaus brauchen auch die Beschäftigungsträger – das ist mein persönliches Anliegen – endlich mehr Anerkennung und Wertschätzung. ({3}) Damit bin ich am Schluss. Dem Gesetz zur Änderung des SGB IV werden wir zustimmen. Es geht in die richtige Richtung. Beim Sozialschutz-Paket II werden wir aber noch heftig streiten. Vielen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Gabi Hiller-Ohm. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zum siebten SGB-IV-Änderungsgesetz. Auch ich bedauere, dass wir für die Debatte dieses wirklich imposanten Bürokratieentlastungsgesetzes so wenig Zeit haben. ({0}) Das wird dem immensen Aufwand, der sich hinter diesem Gesetzentwurf verbirgt, nicht gerecht. ({1}) Ich möchte mich deshalb umso herzlicher bei allen bedanken, die dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. ({2}) Mit diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung und dem Gesetzentwurf der Koalition werden wir die Sozialgesetzgebung effizienter und bürgerfreundlicher gestalten. Wir entlasten Wirtschaft und Verwaltung um fast 200 Millionen Euro jährlich. Hinzu kommt, dass Bürgerinnen und Bürger zukünftig jedes Jahr 4 Millionen Stunden Arbeitszeit einsparen.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Hiller-Ohm, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sichert?

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Von der AfD?

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Ja.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, bitte nicht. – Wir verbessern Abläufe in der Arbeitslosen- und Krankenversicherung, in der Rentenversicherung sowie in der Pflege- und Unfallversicherung – Versicherungen, mit denen jeder und jede von uns in Berührung kommt. Wir wollen, dass sich dort alle gut aufgehoben fühlen, statt von Bürokratie erschlagen zu werden. Meine Damen und Herren, ich greife nur wenige der Verbesserungen aus dem Gesetz und unserem Antrag heraus. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann zukünftig digital abgerufen werden. Das entlastet Krankenkassen genauso wie uns Versicherte. Die Betriebsrenten werden abgesichert. Durch die Finanzmarktkrise und die Niedrigzinsphase mussten viele Pensionskassen ihre Leistungen deutlich kürzen. Dies verhindern wir jetzt, indem die Pensionskassen in den gesetzlichen Insolvenzschutz des Pensions-Sicherungs-Vereins aufgenommen werden. Die A1-Bescheinigungen können zukünftig auch von Selbstständigen und Beschäftigten in der Seefahrt und im öffentlichen Dienst elektronisch übermittelt werden. Der Unterlassungszwang bei Berufskrankheiten fällt weg. Betroffene können zukünftig dann endlich ihr Recht auf Entschädigung einfordern, ohne ihre Tätigkeit dafür vorher aufgeben zu müssen. Ein Riesenerfolg ist das. ({0}) Arbeitsbedingte Krankheitsbilder werden schon bald schneller und professioneller geprüft und in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen werden können. Besonders freue ich mich auch über zwei Verbesserungen für junge Menschen. Alle Jugendlichen in einer praxisintegrierten Ausbildung oder im dualen Studium werden nun in den Schutz der Sozialversicherung einbezogen. ({1}) Außerdem schließen wir endlich die Lücke zwischen Schule und Beruf. Bisher werden viele Schulabgänger und auch Schulabbrecher von den Arbeitsagenturen und deren Angeboten nicht erreicht, weil die Agenturen schlichtweg keine Daten von ihnen haben. Dies heilen wir jetzt durch einen verbesserten Datenaustausch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigen Sie dem Bürokratiemonster gemeinsam mit uns die Rote Karte, und tragen Sie zu deutlichen Verbesserungen für viele Menschen bei. Stimmen Sie dem Gesetzentwurf und dem Gesetzentwurf unserer Koalition zu. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Max Straubinger. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja jetzt am Ende einer langen Debatte über Änderungen im Sozialrecht. Wenn wir uns fragen, was in unserem Lande wichtig ist, so ist die Antwort: Es ist unsere breite Sozialgesetzgebung. Besonders in der Krise sind die Menschen darauf angewiesen. Sie verlassen sich zu Recht auf den Sozialstaat. Es zeigt sich immer mehr, dass die Maßnahmen, die die Bundesregierung angesichts der Krise beschlossen und umgesetzt hat – wir als Parlamentarier verabschieden zusätzlich neue Gesetze –, richtig waren. Auch wenn manche Kollegen, wie die Kollegin Hiller-Ohm, aber vorher auch die Kollegin von den Grünen und der Kollege der FDP, moniert haben, dass wir so viele Gesetze in so wenig Zeit beraten haben, so möchte ich doch sagen: Das Entscheidende für die Bürgerinnen und Bürger ist, dass wir die Gesetze beschließen. ({0}) Ich möchte schon herausstellen, dass wir unzählige Stunden beraten haben, eben nicht hier im Plenum, sondern in den Ausschüssen und in Zusammenkünften, und dass wir diese Gesetze somit gut vorbereitet haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Deshalb sollte man den Erfolg dieser Gesetze nicht kleinreden. Wir reformieren insbesondere das Berufskrankheitenrecht: Vor allen Dingen der Wegfall des Unterlassungszwangs, die Stärkung der Individualprävention, die Verankerung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, die Beweislasterleichterung und die Tatsache, dass zusätzlich die rückwirkende Anerkennung von Berufskrankheiten ermöglicht wird, das sind letztendlich Meilensteine im Berufskrankheitenrecht. Das sollte man nicht kleinreden. Vor allen Dingen sollte man herausstellen, dass dies natürlich auch eine großartige Leistung der Arbeitgeber ist. Sie tragen die Arbeitgeberhaftung. Dies wird im Rahmen des Berufskrankheitenrechts sauber und vernünftig für die betroffenen Menschen abgewickelt. Im Gegenteil: Das ist eine große Errungenschaft unseres Sozialstaates und mit eines der ersten Gesetze, die in unserem Sozialstaat geschaffen worden sind. ({1}) Das ist meines Erachtens sehr wichtig und entscheidend. Wir schaffen Anschlussperspektiven für die Jugendlichen, die die Schule verlassen, und sorgen dafür, dass sie schnell eine Berufsausbildung beginnen können. Darüber hinaus haben wir für die Berufsgenossenschaften, und zwar wohlgemerkt für alle, die Dienstherrenfähigkeit als Ablösung des Dienstordnungsrechts eingeführt. Das war uns ein wichtiges Anliegen. Auch wenn die Anrechnung in einzelnen Fällen auf 20 Prozent der Bediensteten begrenzt ist, so bin ich überzeugt, dass dies der Aufgabenstellung gerecht wird. Frau Hiller-Ohm hat ja bereits herausgestellt, dass wir die Pensionskassen in den besonderen Schutz des Pensions-Sicherungs-Vereins aufnehmen. Das ist ein wichtiger Punkt. Hier gab es sicherlich auch unterschiedliche Sichtweisen. Es gab die Forderung, auch die Firmendirektversicherungen direkt unter diesen Schutz zu stellen. ({2}) Sie sind aber im Rahmen von Protektor sowieso geschützt. ({3}) – Ich weiß, Herr Birkwald, Sie setzen auf nichtprivatwirtschaftliche Lösungen. ({4}) Das ist Ihnen als Partei suspekt. Das ist mir völlig klar. Auf alle Fälle haben wir hier Lösungen erarbeitet. Für Jugendliche in der Unfallkasse ist bei der Ermittlung eines fiktiven Jahresarbeitsverdienstes eine pauschale Neufestsetzung nach Altersstufen vorgesehen. Das zeigt sehr deutlich: Die Arbeit, die wir geleistet haben, ist sehr umfangreich – im Dienste und zum Wohle der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Eines ist mir noch wichtig. Herr Kollege Kartes hat ja bereits herausgestellt, dass wir die Nichtanrechnung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich tätige Bürgermeister um zwei Jahre verlängern. Ich persönlich hätte es am liebsten entfristet. Es soll nämlich keinen Hemmschuh geben, dass sich Menschen in ehrenamtlichen Positionen für unsere Demokratie engagieren. Meines Erachtens darf es nicht sein, dass sie, wenn sie eine Aufwandsentschädigung bekommen, Angst haben müssen, dass ihre Rente bei einem vorgezogenen Rentenbezug beschnitten wird. Es geht hier um Demokratie und vor allen Dingen um den ehrenamtlichen Einsatz von Menschen für unser demokratisches Staatswesen. Ein Letztes noch.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Ein Allerletztes, bitte.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ganz kurz zum Antrag der AfD. Herr Kollege Witt, Sie haben es so dargestellt, als würden die Ausfälle von 3 Milliarden Euro auf ausländischen Konten geschehen. ({0}) Das ist in keinster Weise der Fall, sondern es sind alle Ausfälle betroffen, ob inländische oder ausländische. Ich bin überzeugt: Der größte Anteil an Ausfällen, die nicht mehr zurückgefordert werden können, wird inländische Konten betreffen, sehr geehrte Damen und Herren. ({1}) In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unseren Gesetzen. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Sabine Weiss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004187

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch soll sich in unserer Gesellschaft mit seiner ganzen Persönlichkeit willkommen und gut aufgehoben fühlen, auch mit seiner sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität. Eigentlich ist es unglaublich, so etwas im Jahre 2020 noch sagen zu müssen; aber es ist offenbar notwendig, solange es noch Organisationen gibt, die Menschen und ihre sexuellen Orientierungen ändern wollen. Die Vertreter dieser Organisationen nennen das dann „behandeln“, manchmal auch „therapieren“. Doch wo es keine Krankheit gibt, da braucht es eben auch keine Therapie. ({0}) Diese Konversionsbehandlungen sind vielmehr schwerwiegende Eingriffe. Sie können erhebliche gesundheitliche Schäden und seelisches Leid verursachen. Sie können verantwortlich sein für Depressionen, Ängste, den Verlust sexueller Gefühle und Suizidabsichten. Nach Ansicht des Weltärztebundes sind Konversionsbehandlungen unvereinbar mit der Ethik ärztlichen Handelns und stellen eine Menschenrechtsverletzung dar. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass es große politische Einigkeit gab, dagegen vorzugehen. Die rechtliche Regelung ist nicht einfach gewesen, und genau deshalb war uns eine sorgfältige Erörterung der Sachlage auch wichtig. Unser Dank gilt hierbei der Fachkommission, die Bundesgesundheitsminister Spahn dazu einberufen hatte. Ihre Mitglieder aus den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft haben die medizinischen, rechtlichen sowie gesellschaftspolitischen und religiös-weltanschaulichen Aspekte von Konversionsbehandlungen gründlich diskutiert. Auch Kirchenvertreter und Betroffene waren dabei. Diese Erörterungen der Fachleute waren die Grundlage für das Gesetz, für das ich heute um Ihre Zustimmung bitte. Wir schützen mit diesem Gesetz Menschen, Minderjährige wie Volljährige, vor den Gefahren selbsternannter Therapeuten und ihrer Therapien, die Menschen in ihrer Individualität verändern oder gar umerziehen wollen. Ganz wichtig ist: Wir senden mit diesem Gesetz das wichtige Signal in unsere Gesellschaft: Schluss mit Vorurteilen und Diskriminierungen gegenüber sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Schönen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Robby Schlund für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Robby Schlund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004875, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Frau Weiss hat es schon betont: Homosexualität ist keine Krankheit. Deshalb lehnt die AfD Konversionstherapien auch ab – Punkt. Aber sprechen wir heute mal über die sexuelle Identitätsfindung! Machen wir gemeinsam eine Zeitreise in unsere Jugend! Denn jeder von uns – da sind wir zum Glück alle gleich – hat diesen Prozess durchgemacht. Vielleicht ist es dem einen oder dem anderen von Ihnen unangenehm, darüber nachzudenken oder vielleicht sogar darüber zu sprechen. Vielleicht wäre zu dieser Zeit der Psychotherapeut der richtige Mann gewesen. ({0}) Eine Rechtssicherheit für Therapeuten, die Menschen mit Problemen der sexuellen Identität in ihrem Findungsprozess begleiten, wäre sicher hilfreich. Aber genau diese Therapeuten wollen Sie in die juristische Unsicherheit verbannen. ({1}) Das können wir, ehrlich gesagt, nun wirklich nicht mittragen. Schauen Sie: Sie schmeißen hier zwei Sachen zusammen, die einfach nicht zusammengehören wie Äpfel und Birnen. Da fragt man sich: Verstehen Sie das nicht, oder ist Ihr vorliegender Gesetzentwurf nur ideologisch kalter Kaffee, meine Damen und Herren? ({2}) Dabei haben Sie, liebe Regierungskoalition, selbst zu einem früheren Zeitpunkt zwei unterschiedliche Gesetze angedacht, um die Dinge vernünftig zu regeln. Aus diesen Gründen hat die AfD dazu einen eigenen Änderungsantrag eingebracht, der zum einen die unzulässige Vermischung korrigiert und zum anderen mehr Rechtssicherheit für Therapeuten schafft. Deshalb wird die AfD Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern sich enthalten. Geben Sie mir aber bitte die Gelegenheit, an dieser Stelle noch mal etwas Grundsätzliches zu sagen. Erinnern wir uns: Homosexualität war noch in den 90er-Jahren mit erheblichen Diskriminierungen belastet. Das, meine Damen und Herren, ist noch gar nicht so lange her. Wir sind froh, dass die Menschen ihre Sexualität heute frei und ungezwungen ausleben können. Aber Sexualität ist etwas zutiefst Privates und Intimes, und dort, meine Damen und Herren, gehört es auch hin. ({3}) Erst dann kann man sie erstklassig, freizügig oder wie auch immer gern genießen. Doch das Wichtigste dabei ist, dass wir unsere Kinder schützen; denn unsere traditionellen Familien mit Mama, Papa und Kind und auch den Großeltern sind wichtige Träger unserer Gesellschaft. ({4}) Sie sind die Keimzelle von Entwicklung und wichtige Stützpfeiler in Krisen. Schauen Sie doch mal auf die Coronakrise! Wem haben Sie das meiste abverlangt und werden es auch noch weiter abverlangen? Es ist die traditionelle Familie. ({5}) Positionieren wir uns hier und jetzt für die Freiheit der Sexualität, aber gegen ein prostituierendes Zurschaustellen; ({6}) denn Sexualität ist doch die schönste und atemberaubendste Sache der Welt, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Hilde Mattheis das Wort. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfangs stelle ich die Frage, die mein Vorredner als rhetorische Frage gestellt hat, zurück an ihn: Verstehen Sie das nicht? – Das lasse ich einfach mal so stehen. ({0}) Wir kümmern uns heute um ein Gesetz, das wirklich ein wichtiger Meilenstein ist. Zwischen der ersten und der zweiten und dritten Lesung jetzt hat sich einiges getan. Nicht alles ist gut; das ist richtig. Aber insgesamt ist es für viele homosexuelle, bisexuelle und transsexuelle Menschen in Deutschland ein ganz wichtiges Gesetz. Wir führen erstmals ein Verbot von unmenschlichen Praktiken ein und senden damit ein deutliches Zeichen in die gesamte Gesellschaft. ({1}) Versuche, die Sexualität von Menschen mit ganz kruden Geschichten zu ändern, werden wir nicht dulden, sondern sogar unter Strafe stellen. Ich finde schon, dass wir darüber froh sein können, neben Malta der zweite Staat zu sein, der sich dieses Themas annimmt und auch die Strafe in diesem Bereich einführt. ({2}) Mit vielen Verbänden und dem Gesundheitsministerium, aber auch mit vielen, die uns ihre gesamte Lebensgeschichte offenbart haben, haben wir diesen Prozess begleitet und auch bestimmt. Ich glaube, dass es gut und richtig ist, dass wir dieses Gesetz mit großer Mehrheit hier heute beschließen. Minderjährige werden nun endlich vollständig vor Konversionsversuchen geschützt. Menschen in diesem Alter sind besonders schützenswert; denn sie befinden sich noch in der Selbstfindungsphase. Sich selbst zu erkennen, seine Sexualität zu akzeptieren und vor allen Dingen Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen – das sind wirklich grundlegende Prozesse. Da kann es nicht sein, dass sie Rollenbilder übergestülpt bekommen, sondern sie gehören begleitet und beschützt. Das ist unser Thema. ({3}) Das Gleiche gilt natürlich auch für Menschen über 18, deren Einwilligung auf einem Willensmangel beruht, weshalb sie auch besonders schutzbedürftig sind. Wir haben den Begriff „Willensmangel“ noch einmal dahin gehend präzisiert, dass auch Drohungen und sonstige Nötigungen, die zur Einwilligung in die Konversionsmaßnahmen führen, einen solchen Willensmangel darstellen und zudem zukünftig unter Strafe stehen. Ja, wir haben darüber diskutiert, was mit Menschen über 18 passiert. Die Meinungen unserer Fraktion und innerhalb der Koalition gingen weit auseinander. Wir hätten uns ein höheres Schutzalter gewünscht ({4}) – ja –, weil klar ist, dass Menschen mit 18 Jahren mit ihrer Selbstfindung nicht fertig sind. Wir sind uns bewusst, dass wir in diesem Bereich den Prozess weiter begleiten müssen, um eventuell an diesem Punkt noch einmal nachzuschärfen. Ja, wir sind uns dessen bewusst. Aber das Schutzalter jetzt bis 18 zu ziehen, ist – ich wiederhole mich da gerne – ein großer Meilenstein. ({5}) Ich darf an dieser Stelle sagen, was uns noch gelungen ist, nämlich ein vollständiges Werbeverbot. Ich bin bei vielen, die in der Anhörung gesagt haben: Es kann nicht sein, dass wir zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher Werbung unterscheiden. Der Punkt, dass Eltern besonders in den Fokus gekommen sind, hat uns in der Koalition nicht gerade geeint. Wir hätten uns vorstellen können, § 5 Absatz 2 zu streichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Mattheis, achten Sie bitte auf die Zeit.

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. – Erziehungsberechtigte sind natürlich für Jugendliche, für Kinder die Begleiter ins Leben. Wenn diese Begleiter von Normen geprägt sind, die die Kinder nicht erfüllen können, dann ist dies für die Kinder oftmals ein Problem. Das ist richtig. Deshalb müssen wir in Zukunft genau hinschauen, was passiert. Wie gesagt, wir können uns die Streichung des § 5 Absatz 2 sehr gut vorstellen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Katrin Helling-Plahr das Wort. ({0})

Katrin Helling-Plahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004742, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland im Jahr 2020 – ein Land, in dem Dämonen ausgetrieben werden! In dem weiter versucht wird, Homosexuelle umzupolen. In dem sie bestenfalls mit wirkungslosen Globuli behandelt, schlimmerenfalls mit Elektroschocks malträtiert werden. In dem ihnen eingetrichtert wird, dass sie krank seien und ihre geschlechtliche und sexuelle Identität ekelerregend sei. Solche Maßnahmen stürzen die Betroffenen, die sich oft gerade erst selbst über die eigene Identität klar geworden sind, die aufgrund ihrer Homosexualität leider immer noch oft Ablehnung von Verwandten oder Freunden erfahren, die ohnehin gerade besonders verletzlich sind, nicht selten in Depressionen. „In der Nähe meines Heimatortes gab es einen Felsen; oft habe ich daran gedacht, mich herunterzustürzen“ – heißt es von einem Betroffenen in einer aktuellen Dokumentation. „Es geht … um den schwulen Lebensstil, bei dem die Sexualität, das Vergnügen, im Mittelpunkt steht. Die Geschichte lehrt uns, dass so die Gesellschaft zerstört wird.“, wird ein Behandler zitiert. Meine Damen und Herren, beides sind alarmierende Aussagen. Junge Menschen haben bei ihrer Identitätsfindung unsere volle Unterstützung verdient. Wir müssen uns an ihre Seite stellen. Sie müssen sicher sein, dass sie sich frei und selbstbestimmt entfalten können. Dass sie genau so okay sind, wie sie sind. Im Übrigen auch, dass Sex gerne Spaß machen darf. ({0}) Dementsprechend befürworten wir natürlich den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf. Er war überfällig. Aber einige Mängel sind leider auch noch verblieben. Liebe Bundesregierung, so ganz begriffen haben Sie die Problematik offenbar immer noch nicht. Frau Staatssekretärin, Sie haben es zwar vorhin richtig gesagt, aber umgesetzt haben Sie es offenbar nicht: Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen. Was ist denn eine Behandlung? Nach anerkannter Definition handelt es sich um eine „Intervention zur Verhütung, Früherkennung oder Heilung von körperlichen Krankheiten und/oder psychischen Störungen …“. Mithin es kann keine Konversionsbehandlung gegeben, denn es gibt schon keine Erkrankung. ({1}) Die richtige Bezeichnung wäre eine Frage des Fingerspitzengefühls gewesen. Auch, wieso sich Fürsorge- und Erziehungsberechtigte nicht strafbar machen sollen, wenn diese eine Konversionsmaßnahme an einem Schutzbefohlenen durchführen, ist nicht erklärbar. Leider konnten Sie nicht über Ihren Schatten springen und unseren Änderungsanträgen zustimmen. Immerhin haben Sie, auf unser Drängen, die sinnlose Unterscheidung zwischen nichtöffentlichem und öffentlichem Werben, Anbieten und Vermitteln aus Ihrem Entwurf entfernt. ({2}) Kurzum: wichtiges Anliegen endlich umgesetzt. Es wäre deutlich Luft nach oben gewesen. Aber natürlich stimmen wir zu. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Doris Achelwilm für die Fraktion Die Linke. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was es alles an perfiden sogenannten Heilungsangeboten gegen homo- und transsexuelle Menschen gibt, ist für viele, die von einer offenen Gesellschaft ausgehen, kaum vorstellbar. Aber diese Parallelwelt findet global und in allen Bundesländern statt, so wie überhaupt Gewalt gegen Lesben, Schwule, trans- oder intergeschlechtliche Menschen stattfindet. Die Grenzen zwischen gesellschaftlichem Anpassungsdruck und hanebüchener Pseudotherapie sind durchaus fließend. Es macht mich fassungslos, dass ausgerechnet Anbieter von Freibetungen, Exorzismen, abstrusen Coachings, Elektroschocktherapien, Lichttherapien usw. sich erstens anmaßen, über andere zu richten und sie normal machen zu wollen, und zweitens dabei bis heute weitgehend in Ruhe und straffrei gelassen werden. ({0}) Queer zu sein, ist genauso wenig eine Krankheit, wie hetero zu sein. Autoritätspersonen und Institutionen, die Schutzbefohlenen oder ratsuchenden Menschen eine homo- bzw. eine transfeindliche Haltung aufzwingen, gehören gestoppt. ({1}) Es ist überfällig, dass es nach umfassender Beratung in der von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld eingerichteten Kommission nun ein Gesetz zum Schutz vor solchen Konversionsmaßnahmen gibt. Am Ende der notwendigen Schritte und Möglichkeiten sind wir damit aber noch nicht angekommen. Aus unserer Sicht und der vieler Expertinnen und Experten müsste dieses Gesetz deutlich konsequenter sein. Das Schutzalter mit 18 Jahren enden zu lassen, greift zu kurz, weil sich Jugendliche mit Erreichen der Volljährigkeit nicht immer in der unabhängigen Position befinden, sich von Einflussnahmen sorgeberechtigter oder religiöser Bezugspersonen abgrenzen zu können. Auch dass Eltern aus der Verantwortung genommen werden, wenn sie Konversionsmaßnahmen empfehlen oder vermitteln, ist nicht nachzuvollziehen. Wir haben im Ausschuss die Streichung des entsprechenden Passus beantragt. Dem wurde leider nicht entsprochen, obwohl sogar der Bundesrat in seinen Empfehlungen auf diesen Punkt hingewiesen hat: Konversionsmaßnahmen sind immer schädlich. Das gilt auch und besonders, wenn Eltern sie initiieren. ({2}) Wir begrüßen, dass die Bundesregierung auf die Forderung reagiert hat, das Werbeverbot für Konversionsmaßnahmen grundsätzlicher zu fassen. Falsch finden wir, dass unser Änderungsantrag abgelehnt wurde, Vereinen und Körperschaften, die trotz Werbeverbots Konversionsversuche betreiben, die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Es bleibt also bei vielen Leerstellen und offenen Enden. Als Linke werden wir uns weiter dafür einsetzen und einsetzen müssen, dass genau hingesehen wird, welche Wirkung das Gesetz entfaltet und wo stärker angesetzt werden muss, damit queere Menschen nicht länger beschädigt werden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Übrigen sind wir als Linke der Auffassung, dass der 8. Mai zum Feiertag erklärt und hier im Bundestag, 75 Jahre nach der Befreiung vom Nazifaschismus, debattiert werden sollte. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde wirklich Zeit. Dass wir heute endlich das Verbot der menschenverachtenden und gefährlichen Pseudotherapien beschließen, war längst überfällig. ({0}) Wir Grüne fordern das seit 2013. Ich bin froh, dass wir uns als demokratische Parteien hier grundsätzlich einig sind und dass Minister Spahn es auch endlich angegangen ist. Danke dafür. Viele Menschen, viel zu viele, haben unter diesen ungeheuer schädlichen Konversionsbehandlungen großes Leid erfahren. Ihre Würde, ihre Persönlichkeit, ihre Individualität als Mensch wurden zutiefst erschüttert. Diese Scharlatanerie gehört endlich verboten und verurteilt, und die unmissverständliche Botschaft, die mit dem Verbot einhergehen muss, lautet: Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind normal, ohne Wenn und Aber. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verschwörungstheorien und auch homo- und transfeindliche Stimmungen haben in diesen Zeiten wieder Konjunktur. Umso wichtiger ist es, mit diesem Gesetz ein klares Verbot ohne Lücken zu verabschieden. Es muss gefährdete Menschen und Schutzbefohlene vor diesen zum Teil lebensbedrohlichen Pseudotherapien konsequent schützen. ({2}) Und hier kommt das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen: Genau dieses leistet der Gesetzentwurf leider nicht. Dabei haben alle Expertinnen und Experten der Kommission und der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf verdeutlicht, dass jeder Versuch einer Konversionsbehandlung schädlich ist. Die Mehrheit äußerte konstruktive, aber auch eindeutige Kritik am aktuellen Entwurf der Koalition. Sie benennen genau die zwei Punkte, die wir Grüne als Änderungsanträge hier heute vorlegen: Der Gesetzentwurf erfasst nur Minderjährige bis 18 Jahre. Ich bin der festen Überzeugung, dass das nicht reicht. ({3}) Für die Altersgruppe zwischen 18 und 26 Jahren muss es einen vergleichbaren Schutz wie bei Minderjährigen geben. Coming-out-Prozesse sind nicht mit 18 beendet; sie dauern meist viele Jahre länger. Gleichzeitig sind die meisten jungen Erwachsenen auch dann noch von ihren Familien abhängig. Gerade deshalb ist es unverantwortlich, dass Erziehungsberechtigte weiterhin von dem Verbot ausgenommen sind. So bleibt die Möglichkeit offen, Pseudotherapien durchzuführen, und zwar ohne Folgen. Aber gerade Erziehungsberechtigte haben doch unbestritten großen Einfluss auf ihre Schutzbefohlenen. Wir fordern, dass Jugendliche vor dem Druck aus ihrem engsten Umfeld geschützt werden müssen, und zwar ausnahmslos. ({4}) Was es begleitend zum Gesetz dringend zusätzlich braucht, ist eine breite Aufklärungskampagne. Dazu haben wir Grüne den weiteren Antrag gestellt, für den ich hier noch mal um Ihre Zustimmung werbe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre eine riesige Chance vertan, dieses Gesetz jetzt nicht zu vervollständigen. Viele von Ihnen hadern ja auch. Die Expertinnen und Experten und auch der LSVD und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen mahnen es an. Ich bitte Sie, unseren grünen Anträgen zuzustimmen und gemeinsam für ein starkes Gesetz im Sinne der Menschenwürde einzustehen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wünschte mir – und das ist schon einige Male angesprochen worden –, dass es in diesem Jahr 2020 ein solches Gesetz nicht hätte geben müssen. Ich danke an der Stelle ganz besonders unserem Gesundheitsminister Jens Spahn dafür, dass er diese Gesetzesinitiative so stringent verfolgt hat und wir heute diesen Gesetzentwurf verabschieden können. Ich wünsche mir vielmehr, dass die besonders vulnerable Gruppe der Kinder und Jugendlichen Unterstützung erhält, um sich zu entfalten und dabei ihren eigenen Weg zu finden. Es ist aber leider immer wieder der Fall, dass homosexuelle Jugendliche umgepolt oder geheilt werden sollen von Organisationen oder Personen, die eine nicht heterosexuelle Orientierung ablehnen – und das mit zutiefst fragwürdigen Methoden. Homosexualität ist keine Krankheit, und dementsprechend kann es auch dafür keine Therapie geben. Während kein wie auch immer gearteter Nutzen solcher Maßnahmen festgestellt werden konnte, gibt es hingegen den Nachweis, dass Konversionstherapien schwerwiegende gesundheitliche Schäden verursachen können. Solche sogenannten Behandlungen oder Maßnahmen greifen ein in die sexuelle und geschlechtliche Entwicklung und Selbstbestimmung sowie die körperliche Unversehrtheit. Deshalb werden wir mit diesem Gesetz sogenannte Konversionstherapien an Minderjährigen verbieten und strafrechtlich sanktionieren und auch den Schutz für Volljährige ausweiten. Zudem wird das Werben für solche sogenannten Behandlungen verboten und im Gegenzug das Beratungsangebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgeweitet, um die erforderliche Aufklärungsarbeit nachhaltig zu unterstützen. Unser Ziel ist es, mit diesem Gesetz die Betroffenen vor möglicherweise schwerem körperlichem und seelischem Leid ebenso zu bewahren wie vor Stigmatisierung, Pathologisierung und Diskriminierung, die durch diese sogenannten Behandlungen gefördert werden. Ich freue mich, dass wir für diesen Gesetzentwurf, der für mehr Selbstbestimmung und für die Interessen der Betroffenen sehr wichtig ist, eine breite Mehrheit finden werden. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Karl-Heinz Brunner das Wort. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe diese Debatte verfolgt und eigentlich gedacht, dass ein bisschen mehr Freude dahinter ist, nämlich Freude darüber, dass es uns gelungen ist, Konversionsmaßnahmen und ‑therapien endlich unter Strafe zu stellen und endlich in diesem Land zu ächten. ({0}) Deshalb mein Dank an die Staatssekretärin Weiss, die ja versucht hat, diese Freude zum Ausdruck zu bringen. Es ist ein epochales Ereignis in Deutschland. Niemals zuvor sind auf deutschem Boden derartige Therapien und Maßnahmen, derartige Eingriffe an Menschen unter Strafe gestellt worden. Ich sage das deshalb, weil ich in den letzten Tagen und Wochen vor dieser Abstimmung das Gefühl hatte, als wenn zwar eine gute Suppe serviert würde, aber jeder, der sie nicht selbst gekocht hat, darin sucht, um zu sehen, ob in dieser Suppe nicht vielleicht doch ein Härchen oder Steinchen ist, das nicht in diese Suppe passt, obwohl die Suppe gut gekocht ist, einfach weil sie ordentlich ist. ({1}) Das entsprechende Verfahren, das wir unter Führung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld auf den Weg gebracht haben, hat zu einem Ergebnis geführt, das nicht das absolut Ideale ist. Wir wollten mehr – die Kollegin Hilde Mattheis hat das angesprochen –, und wir werden auch noch mehr als dies erreichen; denn Politik ist ein immerwährender Prozess. Aber freuen wir uns heute darüber, ({2}) dass wir allen jungen Menschen bis zum 18. Lebensjahr diese Qualen von angeblichen Konversionstherapien, die ich als Unfug und als Unheil bezeichne, endlich ersparen. ({3}) Freuen wir uns auch darüber, dass ein kleiner Schritt in die Gruppe der bis 26-Jährigen, die ich gerne geschützt haben möchte, erreicht ist! Dies ist dadurch geschehen, dass die Definition dessen, was Einflussnahme, was Druck auf die freie Selbstbestimmung ist, deutlich weiter gefasst wurde und beispielsweise das Entziehen des Erbteils schon als unzulässige Einflussnahme und Erzeugen eines Drucks gesehen werden kann. Freuen wir uns darüber, dass wir mit diesem Gesetzentwurf nun endlich die Möglichkeit haben, nicht nur die Therapien zu verbieten, sondern endlich gegen die unseligen Werbungen vorzugehen! Ich würde mir wünschen, dass wir den heutigen Tag dazu nutzen, die Aufgaben, die vor uns liegen, zu beschreiben, wie gegebenenfalls das Strafmaß zu erhöhen, das Schutzalter für ein tolles Beratungsangebot zu erhöhen, flächendeckend in dieser Republik dafür zu sorgen, dass junge Menschen nie in Nöte kommen, dafür zu sorgen, dass auch die Glaubens- und Religionsgemeinschaften in diesem Land nicht nur an Workshops teilnehmen, sondern aktiv mitarbeiten, dass solche kulturellen, religiösen und klerikalen Ideen überhaupt nie umgesetzt werden. Dieser Tag heute ist ein guter Tag, und ich glaube, wenn wir an diesem guten Tag den Prozess weiterhin anstoßen, kommen wir zu noch besseren Ergebnissen – deutlich besseren Ergebnissen –, als wir sie vielleicht heute haben. Freuen wir uns über das, was wir erreicht haben! Das ist was Gutes. Deshalb: Bitte stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu! Es ist ein guter, richtiger epochaler Schritt. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Emmi Zeulner für die CDU/CSU-Fraktion.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Karl-Heinz habe ich tatsächlich noch nie so voller Freude gesehen. Deswegen freue ich mich jetzt auch mit. Und ich finde, es ist ein sehr gutes Gesetz, das wir hier auf den Weg bringen. Mein Dank gilt natürlich unserem Bundesgesundheitsminister, der hier wirklich mit ganz viel Druck und intensiver Arbeit dafür gesorgt hat, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren jetzt in zweiter und dritter Lesung zum Abschluss bringen können. Mein Dank gilt aber auch beispielsweise der Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die einem Expertengremium beratend zur Seite stand. Es ist ein wichtiger Schritt – es wurde angesprochen –, der dringend nötig ist, und es ist ein sehr guter. Sowohl mein geschätzter Kollege Erwin Rüddel als auch viele andere haben es angesprochen. Die Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit des Gesetzes erklärt sich ganz einfach: Homo-, Bi- und Transsexualität sind keine Krankheiten und bedürfen daher auch keiner Therapie. Ein Therapieverbot ist somit nur folgerichtig. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass bei einer Therapie nur zum Wohle des Patienten gehandelt wird. Und es sollte auch selbstverständlich sein, dass Menschen, die Hilfe suchen, diese im Rahmen einer Therapie wertneutral und im besten Sinne ergebnisoffen erfahren. Leider muss man aber sagen: Es ist nicht selbstverständlich; denn es gibt in Deutschland immer noch Organisationen, die die Überzeugung vertreten und verbreiten, dass eine nicht heterosexuelle Orientierung oder eine abweichende Geschlechtsidentität Krankheiten seien, die einer Behandlung bedürfen. Sie bieten unter dem Deckmantel einer Therapie Behandlungen an, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung einer Person zu verändern oder zu unterdrücken. Sie greifen damit gezielt und in perfider Art und Weise in die persönliche Selbstbestimmung ein, und das vor dem Hintergrund, dass der Weltärztebund seit Längerem diese Behandlungen als Menschenrechtsverletzungen einstuft – ich teile diese Ansicht. Das Verwerfliche bei diesen vermeintlichen Therapien ist, dass eben nicht das Wohl des Patienten oder Schutzbedürftigen im Mittelpunkt steht, sondern die eigenen Interessen und fehlgeleiteten Überzeugungen der sogenannten Therapeuten. Keine der bekannten Studien lässt den Schluss zu, dass die sexuelle Orientierung dauerhaft verändert werden kann. Wissenschaftlich nachgewiesen sind aber schwerwiegende gesundheitliche Schäden durch solche Behandlungen wie Depressionen, Angsterkrankungen, Verlust sexueller Gefühle oder ein erhöhtes Suizidrisiko. Diese Gefahren nehmen wir ernst und handeln mit diesem Gesetz. Bei alldem war für mich auch wichtig, dass Seelsorge natürlich weiter möglich bleibt. Gerade in einer Phase, in der Menschen nach Orientierung und Hilfe suchen, bietet Seelsorge oft Halt und Hilfe an. Aber es ist wichtig, dass hier ganz klar Grenzen vonseiten des Staates aufgezeigt werden, da eine Konversionstherapie eben keine Bagatelle ist, sondern eine Menschenrechtsverletzung. Das Gesetz soll Menschen schützen, die oftmals sowieso in einer für sie schwierigen Lage sind, und diesem Schutzziel wird das Gesetz gerecht. Deswegen stimmen wir als Unionsfraktion gerne und aus Überzeugung zu. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Klimakrise ist nicht irgendetwas, was irgendwo in der Arktis, in der Südsee oder in sonst einer fernen Weltgegend passiert. Nein, sie passiert hier in unserem Land, sie bedroht Menschen und ihre Existenzen, sie verursacht Schäden in Milliardenhöhe, und sie zerstört Natur in ungeahntem Ausmaß. Und deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir uns mit der Bewältigung der Folgen der Klimakrise auseinandersetzen. Das ist ein ganz zentrales Thema. ({0}) Wir haben jetzt zwei Dürrejahre hinter uns, wie sie vorher in ihrem Ausmaß nicht vorstellbar waren. Auch wenn es jetzt mal ein paar Tage geregnet hat, droht das dritte Dürrejahr in Folge. Die Erde unter unseren Füßen, die Erde unter den Äckern, die Erde in den Wäldern ist bis zu einer Tiefe von 1,80 Metern staubtrocken, und das ganze Wassersystem in unserem Land ist in vielen Gegenden völlig aus den Fugen geraten. Das kann uns nicht kaltlassen. Darum müssen wir uns kümmern. Das ist die Existenzgrundlage für unser Leben und Wirtschaften in unserem Land. ({1}) Welche Folgen die Dürre hat, kann man sehr deutlich sehen, wenn man in den Wald geht. Die Wälder, insbesondere die Nadelwälder und die Nadelholzplantagen, sind in den letzten Jahren flächendeckend, hektarweise abgestorben. Das kann man nicht mehr übersehen. Die Schäden in der Holzwirtschaft gehen in die Milliarden; von den ökologischen Schäden ganz zu schweigen. Auch in der Landwirtschaft sieht man die Schäden überall. Wenn man mit den Bäuerinnen und Bauern redet, berichten diese von Dürre und Trockenheit im April, und man sieht die Sorgenfalten auf ihrer Stirn. Sie fragen sich: Wird das schon wieder ein Katastrophenjahr? In manchen Ecken dieses Landes wird die Aussaat umgepflügt, weil sie nicht aufgegangen ist. Das muss uns in besonderer Weise beschäftigen. ({2}) Die Dürre betrifft aber nicht nur die klassischen Wirtschaftsbereiche Wald und Forstwirtschaft. Nein, ein Konzern wie thyssenkrupp – man glaubt es nicht – erlitt 2019 zusätzliche Verluste in Höhe von 100 Millionen Euro – er leidet ohnehin seit vielen Jahren – wegen der Austrocknung des Rheins, weswegen kein Erz an die Hochöfen in Duisburg geliefert werden konnte. Es scheint einige zu geben, denen die Land- und Forstwirtschaft und die Ökologie egal sind, aber spätestens an dieser Stelle muss doch klar sein: Die Klimakrise verursacht wirtschaftliche Schäden, und sie zerstört die Basis unseres Handelns und Lebens. Deshalb müssen wir handeln. ({3}) Das heißt vor allen Dingen, dass wir den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren müssen. Es heißt aber auch, dass wir uns resilienter, widerstandsfähiger, machen müssen, dass unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft mehr Schutz brauchen. Das ist die große Herausforderung. Ich sage eines ganz klar: Herrn Bareiß, Herrn Pfeiffer und Herrn Linnemann sehe ich bei solchen Debatten übrigens nie. Nun wird gefordert, man müsse mit dem Klimaschutz ein bisschen langsamer machen und sich um die Bekämpfung der Folgen der Coronakrise kümmern. Ich sage Ihnen: Wer das fordert, der versündigt sich an diesem Land, der zerstört die Basis unserer Wirtschaft. Wir müssen die Bekämpfung beider Krisen zusammenbringen. Das ist die Aufgabe unserer Zeit, unserer Generation. ({4}) Es geht jetzt darum, klimaresiliente Wälder aufzubauen und naturnahe Waldwirtschaft voranzubringen; denn – das zeigt sich überall; das kann jeder sehen, der mit offenen Augen durch die Wälder spaziert – die naturnahen Wälder können Dürren eher überstehen. Wir brauchen eine klimaresiliente Landwirtschaft mit besseren Fruchtfolgen, mit neuen Pflanzen und mit neuen Systemen. Darum müssen wir uns kümmern. ({5}) Was wir nicht mehr brauchen, sind Notprogramme, die die Probleme nachträglich lösen. Wir brauchen Prävention, wir brauchen Wassermanagement, und wir brauchen eine Städtebaupolitik, die den Menschen auch noch bei 40 Grad plus Luft zum Atmen und die Möglichkeit zum Schlafen lässt. Das alles steht jetzt an. Das müssen wir anpacken. Wir haben die Klimakrise durch unsere fossile Wirtschaftsweise verursacht. Jetzt müssen wir die Auswirkungen bekämpfen. Wir müssen das Land resilienter machen. Das ist die Herausforderung unserer Zeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Anja Weisgerber das Wort. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Krise durch das Coronavirus hat unser Leben verändert. Sie beschäftigt uns, und sie ist eine Riesenherausforderung. Was uns diese Krise aber lehrt, ist, dass wir uns auf die anderen Herausforderungen, auf die weiteren Menschheitsaufgaben, die vor uns liegen, zum Beispiel den Klimawandel, besser vorbereiten müssen. Der Klimawandel ist spürbar. Wir merken es durch die Trockenheit, durch die Schäden in den Wäldern und durch die Zunahme der Extremwetterereignisse. Der Klimawandel wird von der Wissenschaft viel deutlicher vorhergesagt, als es bei der Pandemie der Fall war. Deswegen – hierin besteht zum Teil Übereinstimmung – sind wir der Meinung, dass wir präventive, vorausschauende und nachhaltige Maßnahmen bei der Bewältigung der Krise ergreifen müssen. Ich werde mich in der politischen Diskussion dafür starkmachen, dass wir aus dieser Coronakrise Zukunftsimpulse mitnehmen, dass wir unser Land, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft widerstandsfähig und zukunftsfest machen, dass wir gezielt in Konjunkturprogramme und in Umwelt- und Klimainnovationen investieren und dass wir die Potenziale der Digitalisierung stärker ausschöpfen. Derzeit merken wir, was alles geht. Wenn wir diese Chance nutzen, dann wird es uns gelingen, Deutschland nach der Krise nachhaltig und klimafreundlich aufzustellen. ({0}) Aber dafür – ich freue mich über den Applaus – brauchen wir keine Nachhilfe durch einen Schaufensterantrag der Grünen oder durch eine reine Schaufensterrede von Herrn Krischer. ({1}) Vielmehr machen wir das eigenständig, selbstbewusst und konsequent. Ich als Klimabeauftragte meiner Fraktion werde dafür sorgen, dass wir die Weichen richtig stellen. Das möchte ich ganz selbstbewusst so feststellen. ({2}) Auch die Bundesregierung stellt die richtigen Weichen. Das haben wir an der Rede von Angela Merkel beim Petersberger Klimadialog gemerkt. ({3}) Ich möchte daran erinnern, dass sogar Ihre Kollegin, Frau Badum, im Umweltausschuss diese Woche festgestellt hat, dass die Rede sehr klar war. Ich muss dazu sagen: Sie hat an Deutlichkeit nichts vermissen lassen. ({4}) Sie hat auch nicht vermissen lassen, dass sich Deutschland und die Europäische Union weiterhin konsequent auf dem Weg des Klimaschutzes bewegen. Auch die anderen Staaten der Welt sind dazu aufgefordert. Was die Grünen machen, ist eine rein nationale Klimapolitik. ({5}) Aber wir werden den Klimawandel nicht bewältigen, wenn die Wirtschaft der Entwicklungs- und Schwellenländer nicht von Anfang an klimafreundlich aufgebaut wird. Auch in die Richtung müssen wir denken und nicht nur rein national. ({6}) Aber das ist typisch für die Politik der Grünen. Es ist auch selbstbewusst festzustellen, dass Deutschland 4 Milliarden Euro in die internationale Klimafinanzierung steckt. Wir haben unseren Einsatz seit 2014 verdoppelt, und auch 2020 wird Deutschland seinen Beitrag leisten. Auch auf der nationalen Ebene gehen wir unseren Weg konsequent weiter. Das Klimaschutzprogramm ist ein Stichwort. Das Klimaschutzprogramm enthält über 60 Maßnahmen in allen Sektoren, ({7}) zum Beispiel ein Klimaschutzgesetz mit einem Kontrollmechanismus, wie es von Ihnen gefordert wurde. Wir haben hinsichtlich der CO2-Bepreisung parteiübergreifend einen Kompromiss gefunden, der im Bundesrat einvernehmlich verabschiedet wurde. Wir gehen neue Wege mit einem nationalen Emissionshandelssystem im Bereich Wärme und Verkehr. Anstatt auf Verbote des Verbrennungsmotors zu setzen, sagen wir: Wir brauchen Anreize, gerade auf der Verbraucherseite, dass die Menschen auf klimafreundliche Technologie umsteigen. ({8}) Das ist doch der Weg, meine Damen und Herren. Zur Kohleverstromung. Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie steigen wir auch aus der Kohle aus, und das ist nicht einfach. Ich war in Nordrhein-Westfalen in den Gebieten, die von dem tiefgreifenden Strukturwandel betroffen sind. ({9}) Wir müssen gemeinsam Wege suchen, wie man den Menschen vor Ort Perspektiven für Arbeitsplätze aufzeigt. Neben dem Ausstieg aus der Kohleverstromung bringen wir auch den Ausbau der erneuerbaren Energien voran. Jetzt aber konkret zu Ihrem Antrag. Ich habe mich heute Nachmittag wirklich intensiv mit dem Antrag auseinandergesetzt. ({10}) Ich habe in Suchfunktionen nebeneinandergestellt, was im Klimaschutzprogramm, in unserem 173 Seiten langen Maßnahmenprogramm steht und im Gegensatz dazu in Ihrem Antrag. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass Sie einfach, copy und paste, die Überschriften aus unserem Klimaschutzprogramm in Ihren Antrag reinkopiert haben. ({11}) Das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen. Ich nenne ein paar Überschriften: Humusaufbau, Humuserhalt, Schutz von Moorböden, Fördermaßnahmen auf das Tierwohl ausrichten, Tierernährung, innovative Futtermittel verwenden, Lebensmittelverschwendung verringern, Verpackungsmüll reduzieren, Waldumbau. Bei all diesen Themen brauchen wir keine Nachhilfe. Wir haben gerade einen Waldgipfel gehabt. 500 Millionen Euro werden in Wiederaufforstungs- und Anpassungsprogramme investiert, ({12}) weil der Wald der Klimaschützer Nummer eins ist. Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich würde mir wünschen, dass wir uns bei bestimmten Projekten gemeinsam auf den Weg machen, zum Beispiel beim Thema „Ausweitung des Emissionshandels auf die Bereiche Wärme und Verkehr“. Auf EU-Ebene blockieren Ihre Kollegen aber gerade diese Ausweitung. ({13}) Da setzt man wieder nur auf eine Verschärfung der CO2-Grenzwerte. So werden wir die Klimaziele im Bereich Verkehr nicht erreichen. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Weisgerber, achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie uns lieber gemeinsam Wege gehen und nicht Schaufensteranträge stellen. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die AfD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Karsten Hilse das Wort. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Erst einmal vielen Dank, dass Sie mich heute nicht zum Vizepräsidenten gewählt haben. Ich kann also weiterhin hier am Rednerpult auf Ihre Schwachsinnsanträge eingehen. ({0}) Als ich die ersten Worte des Antragstitels – „Dürre bekämpfen“ – las, musste ich lauthals lachen. Aber so sind die Grünen: immer bemüht, das Volk zu erheitern. ({1}) – Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, und quatschen Sie hier nicht andauernd blöd rum. Also wirklich! ({2}) Natürlich geht es in dem Antrag um Trockenperioden. Aber „Dürre“ passt natürlich besser zum nahenden Weltuntergang, den die falschen Propheten aus der Umweltzerstörungspartei und die linken Leitmedien vor der Coronapanik fast täglich postulierten. In den letzten Wochen hat man von den grünen Tschekisten ({3}) nicht allzu viel gehört, außer dass sich der Oberprophet Habeck, der schon seit einem Interview im letzten Jahr den Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen hat, in ganz Deutschland lächerlich machte, als er behauptete, dass sich die Inkubationszeit bei einer Infizierung mit dem Coronavirus alle zwei Tage verdoppelt. Er glänzt also wie der Rest der Umweltzerstörer nicht nur in Fragen des Klimas und der Ursachen für Klimaveränderungen mit ideologisch motivierter Unwissenheit. ({4}) Wir helfen da natürlich gerne aus: Klimaschwankungen sind ein natürliches Phänomen seit Hunderten Millionen von Jahren. ({5}) Die Ursachen sind vielfältig. Es gibt neben der Gesamtaktivität der Sonne zig Wirkfaktoren, die auf das Klima Einfluss haben. ({6}) Was man allerdings aus den geologischen Daten eindeutig herauslesen kann, ist, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre in der Erdgeschichte nie mehr als einen marginalen Einfluss hatte. ({7}) Deswegen werden alle Ihre Bemühungen, die menschengemachten CO2-Emissionen zu vermeiden, keinen Effekt haben, außer natürlich, dass die Maßnahmen Millionen von hochwertschöpfenden Arbeitsplätzen vernichten, zu den höchsten Strompreisen in Europa und zum instabilsten Stromnetz führen und die Umwelt in einem erheblichen Maß zerstören. Das Geld, das Sie für diese sinnfreien Maßnahmen verbrennen, wird uns fehlen, um uns an den natürlich stattfindenden Klimawandel anzupassen. Wir haben schon im Jahre 2018 die Einrichtung eines Klimawandelfolgenanpassungsfonds gefordert. Mit den Mitteln aus diesem Fonds könnten auch einzelne Maßnahmen, die Sie in Ihrem Antrag – ausnahmsweise richtigerweise – fordern, bezahlt werden. Wir haben auch gefordert, unsere Städte grüner zu machen, weil Grünflächen für eine natürliche Kühlung sorgen und auch Wasser speichern. Auch wir fordern, Bäume zu pflanzen, die resistenter gegen Trockenheit sind, Wälder zu schützen, vor allem natürlich vor Ihrem Wahn, das ganze Land mit Windindustriegebieten zuzupflastern. ({8}) Es gibt mehrere Studien, die nahelegen, dass Windindustriegebiete die Austrocknung ganzer Landstriche befördern. Natürlich wollen auch die Grünen von der neuen Panik profitieren. Die durch ihre herbeigeredete Weltuntergangsstimmung schon stattfindende Deindustrialisierung Deutschlands wollen sie noch einmal beschleunigen, indem sie nur denen Wiederaufbauhilfe gewähren wollen, deren Prozesse klimaneutral sind, was auch immer das bedeuten soll. Sie wollen allen, die jetzt schon durch die vollkommen überzogenen, unnötigen und gegen die Ausbreitung des Virus komplett wirkungslosen Maßnahmen der Bundesregierung am Boden liegen, den Todesstoß versetzen und somit Millionen Menschen ihrer Existenz berauben. Am Boden liegen aber nicht nur bestimmte Zweige der Industrie, der mittelständischen Wirtschaft, Gastronomie, Fitnesscenter usw., auch die Demokratie in unserem Land hat schweren Schaden genommen. Die grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte wurden und werden in einem seit der Gründung der Bundesrepublik nie dagewesenen Ausmaß ausgehebelt. Deutschlandweit gehen Zehntausende Menschen zu Recht auf die Straße. Ich zitiere aus dem Grundgesetz, das Sie gerade in wichtigen Teilen aushebeln: Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Artikel 20 Absatz 4. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicher geht es auch um die Frage – das wurde heute schon angesprochen –, wie man die Landwirtschaft ausrichtet. Ich habe nur wenig Redezeit, möchte aber auf etwas eingehen, das Herr Krischer nicht erwähnt hat, nämlich darauf, dass es ganz entscheidend auch darauf ankommt, wie unser Welthandel funktioniert. Ich denke, wir können mit klimaresilienter Landwirtschaft und anderen Dingen hierzulande nur sehr wenig ausrichten – auch wenn wir das hierzulande natürlich tun müssen –, wenn die mit unseren landwirtschaftlichen Anbaumethoden und Produktionsprozessen erzeugten deutschen bzw. europäischen Produkte im Welthandel dem Dumping ausgesetzt sind und dort unterliegen. Ich denke, in der Debatte kommt häufig zu kurz, dass der Welthandel bei Weitem noch nicht so ausgerichtet ist, dass die nationalen und europäischen Erfolge, die in sozial-ökologischen Wandelprozessen erreicht wurden, sich im Welthandel bewähren können. Das ist das große Dilemma unserer Landwirtschaft: Die gut produzierte Milch kann kaum verkauft werden, die ökologisch nachhaltig produzierten Produkte können auf dem Weltmarkt kaum standhalten; sie unterliegen im Handel. – Insofern müssen wir auch da ansetzen, wenn es um den Klimaschutz oder das Problem der Dürre geht. ({0}) Was immer wieder zu kurz kommt, aber unbedingt mitgedacht werden muss – das gehört zum Klimaschutz dazu, ist aber ein anderes Feld als das, das in dem vorliegenden Antrag angesprochen wird –, ist die Umsetzung. Neben den vielen Zielbestimmungen, die wir hier schon verabschiedet haben, zum Beispiel mit dem Klimaschutzgesetz, müssen wir immer auch auf die Umsetzung achten. In Richtung Koalitionspartner muss ich sagen, dass ich das, was wir diesbezüglich hier hinbekommen, nicht zufriedenstellend finde; vor allem geht es um das, was wir nicht hinbekommen. ({1}) Wir haben ein Klimaschutzgesetz mit klaren Zielsetzungen; das wäre ohne die SPD gar nicht möglich gewesen. Frau Weisgerber, ja, wir haben einen Klimaschutzplan 2030, in dem eine Menge drinsteht; aber das nützt nichts, wenn wir es nicht schaffen, den Ausbau der erneuerbaren Energien wirklich voranzutreiben, wie es da drinsteht. ({2}) Zurzeit passiert ja sogar das Gegenteil. 35 000 Arbeitsplätze sind im Bereich Windenergie schon verloren gegangen, und in der Solarindustrie droht das Gleiche zu passieren. Es ist gerade ausgerechnet worden, dass 1 Milliarde Euro Investitionen in der Solarenergie kaputtzugehen drohen, nur weil wir diesen blöden Solardeckel immer noch im Gesetz stehen haben. ({3}) Wir als SPD wollen ihn seit Monaten weghaben. Seit Monaten wird verhandelt, aber CDU und CSU bremsen diese Diskussion. ({4}) – Doch, sie bremsen sie aus, weil im Bereich Windenergie ein Abstand ins Gesetz reinverhandelt werden soll. Aber damit sorgen Sie doch nur für ein weiteres Minus im Bereich der erneuerbaren Energien. Wir müssen das hinbekommen. Wir können nicht in Einheit Klimaschutz betreiben, wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien so straucheln, wie wir das zurzeit tun. Wir machen hier einen Rückschritt. Ich bitte Sie eindringlich, als Parlamentarier endlich den richtigen Weg fortzusetzen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Gero Hocker für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So wenig in diesem Hause strittig sein sollte, dass es einen Klimawandel gibt, so wenig sollte strittig sein, dass Deutschland diesen Klimawandel allein nicht wird aufhalten können. Deswegen sollte auch nicht strittig sein, dass es unsere Aufgabe als Parlamentarier ist, Gesellschaft und Betriebe auf die Folgen, die der Klimawandel mit sich bringt, vorzubereiten. In der Landwirtschaft – das betrübt mich ausdrücklich – wird versucht, mit den Maßnahmen von vor 10, vor 20 oder sogar vor 50 Jahren bestimmte Dinge auszugleichen. Was war das für ein Geschacher im Jahre 2018, als die Diskussionen starteten und die 740 Millionen Euro sogenannter Dürrehilfen dann endlich von Bund und Ländern zusammengekratzt wurden, und was schloss sich da für eine Bürokratie an, nur damit am Ende häufig genug diejenigen Betriebe, die vielleicht ganz andere Probleme als die Trockenheit haben, die vielleicht in der Vergangenheit falsche unternehmerische Entscheidungen getroffen haben, die vielleicht nicht in Beregnung investiert haben, die vielleicht nicht in Humusbildung investiert haben, künstlich am Leben gehalten wurden. ({0}) Ich sage es Ihnen ganz ausdrücklich: Dieses Instrumentarium stammt aus dem letzten Jahrhundert, und es ist nicht geeignet, Klimafolgen des 21. Jahrhunderts abzufedern, meine Damen und Herren. ({1}) Das fördert auch ein gesellschaftliches Bild, das kein Landwirt wirklich gut finden kann, nämlich den Eindruck, den viele da draußen haben, dass in guten Zeiten Landwirte sich quasi stillschweigend über die Gewinne und Erlöse freuen, aber man dann in schlechten Zeiten die Hand aufhält und angeblich nach dem Staat ruft. Ich sage Ihnen, was Landwirte wirklich wollen: Sie wollen selbstständige Unternehmer sein, die selbstständig entscheiden können. Sie wollen nicht davon abhängig sein, dass Politik in bester Gutsherrenmanier den Daumen dafür hebt oder senkt, dass irgendwelche Dürrehilfen zur Auszahlung kommen; denn sie wissen, dass es kein Geschäftsmodell sein kann, von Politikern abhängig zu sein, die es vielleicht gut mit ihnen meinen. Das wissen unsere Landwirte, und es wird höchste Zeit, dass Sie, meine Damen und Herren, das auch endlich zur Kenntnis nehmen. ({2}) Landwirte brauchen etwas ganz anderes. Landwirte möchten gern in den Jahren, in denen sie guten Ertrag haben und Gewinne machen – wenn Politik ihnen künftig erlaubt, auch wieder Gewinne zu machen –, selber eigenverantwortlich Rücklagen bilden, die sie auflösen können, eigenverantwortlich unternehmerisch denkend, in Zeiten wie 2018, wie 2019 und vielleicht wie 2020, in denen sie zusätzliche Liquidität brauchen, und nicht bei Ihnen anklopfen müssen, ob Sie freundlicherweise Steuergelder für sie lockermachen. ({3}) Meine Damen und Herren, die Politik muss mehr leisten, als alleine über finanzielle Mittel zu sprechen. Deswegen habe ich mich über zwei Punkte im Antrag der Grünen gefreut, die da fordern, dass bodenschonende Bewirtschaftungsmaßnahmen eingeführt werden müssen und dass innovative Züchtungsmethoden endlich auch zur Anwendung kommen müssen. ({4}) – Herr Ebner, Sie wagen einen Zwischenruf. Ich würde mich freuen, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen würden. Darauf antworte ich gerne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dazu ist es leider zu spät. Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Deswegen komme ich jetzt auch zum Schluss, Frau Präsidentin. Das habe ich mir schon fast gedacht. Das war nur eine Einladung, um die Redezeit zu verlängern. Also, ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Es wäre schlau von Ihnen gewesen – wenn Sie es wirklich ernst meinen würden, Herr Ebner; Frau Künast ist leider nicht da, aber sie meine ich genauso –, wenn Sie unseren Anträgen, die genau das schon gefordert haben – erst im Januar dieses Jahres –, nämlich innovative Züchtungsmethoden und bei Bodenmaßnahmen auch über chemischen Pflanzenschutz zu sprechen, zugestimmt hätten. Mein Eindruck ist – das ist der allerletzte Satz, meine Damen und Herren –: Dieser Antrag stammt von einem Praktikanten der Grünen-Bundestagsfraktion, und Sie scheinen ihn heute zum ersten Mal gelesen zu haben. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch in diesen Tagen sorgen sich viele Menschen um den Klimawandel und haben Sorge, dass ein weiteres Dürrejahr folgt. Im Thüringer Becken fielen 2018/2019 333 bzw. 379 Liter Regen pro Quadratmeter; normal wären 550 gewesen. Meteorologen sagen einen Fortgang der Dürre voraus. Sehr viele Landwirtschaftsbetriebe bewässern inzwischen ihre Flächen. Trotzdem erklärte noch im Frühjahr 2018 der Bundesrat – ich zitiere –, „dass in Deutschland keine Wasserknappheit herrscht, die eine Förderung der Wiederverwendung von aufbereitetem Wasser für die landwirtschaftliche Bewässerung erforderlich macht“. Aber der Klimawandel trifft Deutschland bzw. Thüringen deutlich härter als erwartet, und nun bietet im wahrscheinlich dritten Dürrejahr die Landwirtschaftsministerin den Landwirtinnen und Landwirten erneut nur Dürrehilfen an. Die Forstwirte sollen mit Brosamen für Schadholzaufbereitung und etwas Waldumbau abgespeist werden. Das ist viel zu wenig, meint Die Linke. ({0}) Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, von SPD, CDU/CSU und FDP, wir können natürlich den Glaubenskrieg um Gentechnik, um Glyphosateinsatz, um Pestizide und Insektizide fortsetzen. Aber die Betroffenen verlangen von uns Lösungen. Das ist Aufgabe der Politik, und dies zu Recht, meint meine Partei. ({1}) Und was hilft da? Konkret könnten wir Hochwasserschutz koppeln, Starkregenfälle vermindern und Wasser nutzen, um länger bewässern zu können, statt dass es einfach abfließt. In Deutschland müssen wir auf Bewässerungsanbau setzen. Da hilft ein Blick in die Vergangenheit. Bei uns im Thüringer Becken gab es bis 1989 ein System aus Rückhaltebecken, Be- und Entwässerungsanlagen. ({2}) 10 Prozent der Felder konnten bewässert werden, und es gab genügend Rückhalteraum bei lokalen Unwettern. ({3}) Unser Vorschlag wäre, dass wir hier im Bundestag gemeinsam mit den Ländern diese Erfahrungen aufnehmen, dass wir für Hessen und Niedersachsen Neuinstallationen solcher Systeme vorsehen und die in Thüringen und Brandenburg reaktivieren. ({4}) Bewässerung, die gleichzeitig Schutz vor Überflutung bietet, das ist eine Lösung, bei der jeder Euro doppelten Gewinn bringt. ({5}) Außerdem sind Forschungsprogramme für Waldanbau, angepasste Landwirtschaft, damit Dürrefolgen geringer werden, und natürlich auch die Satellitentechnologie unverzichtbar. Machen wir es besser als bei der Pandemievorsorge. Erkenntnisse gibt es genug. Ergreifen wir die Maßnahmen jetzt! ({6}) Liebe Bürgerinnen und Bürger, vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Sowjettruppen, alliierte Truppen befreiten Deutschland vom Faschismus und beendeten den Völkermord. Gedenken wir der Opfer, stehen wir zusammen gegen Rassisten, ({7}) gegen Nationalisten, gegen Militarismus. Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Karsten Möring aus der CDU/CSU-Fraktion hat seinen Redebeitrag zu Protokoll gegeben. ({0}) – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. ({1}) Damit hat das Wort der Kollege Klaus Mindrup aus der SPD-Fraktion. ({2})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute inmitten der Coronakrise auch über die Klimakrise sprechen, und es gibt – das haben wir eben schon gehört – erschreckende Parallelen zwischen beiden Krisen. ({0}) Die Rechtspopulisten, die die Klimakrise unterschätzen und leugnen, haben auch die Coronakrise unterschätzt. In den Ländern, in denen diese Großmäuler und Nichtskönner regieren, haben im Augenblick viele Menschen zu Recht Angst um das eigene Leben. ({1}) Deswegen sind sehr viele Deutsche froh, dass sie dank der Rückholaktion von Heiko Maas jetzt wieder in ihrer Heimat sind, wo wir gegen das Virus erfolgreich vorgehen. ({2}) Gemeinsam ist beiden, den Klimawandelleugnern und denen, die die Risiken des Coronavirus leugnen, auch die Verachtung von Wissenschaft. Manchmal wird so getan, als würden wir seit der Spanischen Grippe nicht mehr über Viren wissen. Dabei wird eine Schlüsseltechnologie ignoriert; das ist die PCR, Polymerase-Kettenreaktion. Diese hilft uns, 1983 erfunden, das Virus wirksam zu bekämpfen. Ohne diese Technik ginge es nicht. ({3}) Auch im Bereich des menschengemachten Klimawandels, der menschengemachten Klimakrise, gibt es technischen Fortschritt. Es wird immer wieder geleugnet – das haben wir gerade eben wieder gehört –, dass es einen Zusammenhang zwischen Klima und Wetter gibt. Das sei alles streng voneinander getrennt, und das habe gar nichts mit den menschengemachten Emissionen zu tun. ({4}) – Ich habe Ihnen zugehört. Aber der Erkenntnisgewinn war gleich null. ({5}) Was die PCR für die Biologie ist, ist die Attributionsforschung für den Klimaschutz. Es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die genau analysieren können, welche Wetterveränderungen mit welcher Wahrscheinlichkeit auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sind, auf die menschengemachten Emissionen. Dies kann man nicht ignorieren. Die Prognosen, die diese Menschen machen, bestätigen, dass wir in Zukunft verstärkt hier in unseren Klimalagen Extremwetterereignisse bekommen werden. Das hat der grüne Antrag vollkommen richtig beschrieben. Dahinter steht die Wissenschaft zu 100 Prozent. Ich habe dies in meinen Reden hier in Vergangenheit auch schon häufiger deutlich gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Grünen bietet dafür die richtigen Anregungen. Wir müssen uns das aber im Ausschuss mal anschauen. Es ist ja wirklich ein Gemischtwarenladen, und es gibt auch unterschiedliche Zuständigkeiten, die hier nicht deutlich gemacht werden. ({6}) Wir als SPD wollen ganz klar den sozialökologischen Umbau. Wir wollen einen sozialen grünen Deal. So muss dieser auch ansetzen: bei den armen Menschen. Wir dürfen nicht nur an die Reichenquartiere denken, sondern wir müssen auch gerade in den armen Wohngegenden einen stadtökologischen Umbau betreiben, und Wohnen muss dabei bezahlbar bleiben. Aus Sicht der SPD geht es auch nicht darum, unsere Industrie abzuschaffen, sondern wir müssen sie klimafreundlich umbauen. Ich freue mich, dass wir an dieser Stelle die Gewerkschaften und die Unternehmen an unserer Seite wissen. Ich möchte es so zusammenfassen: Früher gab es in Europa eine Union für Kohle und Stahl; jetzt muss es eine Union für erneuerbare Energien und Wasserstoff geben. Das schützt unseren Planeten und unsere Gesundheit, und wir können damit sichere Arbeitsplätze und Wertschöpfung schaffen. Ich lade Sie alle ein, dabei mitzuwirken. Danke schön. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag erfuhr aus den Medien, dass Frau Bundesministerin Kamp-Karrenbauer vorhat, 45 Kriegsflugzeuge in den USA und 93 Eurofighter für insgesamt 18,5 Milliarden Euro zu kaufen. ({0}) Schon dass wir das aus den Zeitungen erfahren, und nicht von ihr, zeigt eine Missachtung des Parlaments. ({1}) Dass sie bei diesem Tagesordnungspunkt heute auch nicht erscheint, obwohl es ja ihre Zuständigkeit ist, zeigt wieder die Missachtung des Parlaments. ({2}) Unter diesen Kriegsflugzeugen sind 30 Kampfflugzeuge – das sind die F-18-Flugzeuge –, die die modernsten Atombomben transportieren können. Die haben die USA gerade in Deutschland stationiert. Ich meine: Eine solche Atombombe hat die 13-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe, nur dass wir mal wissen, was da bei uns so lagert. Ich verstehe auch nicht, weshalb sich viele eine atomare, eine nukleare Teilhabe über die NATO bei Atomwaffen wünschen. Ich finde, historisch und politisch ist das für Deutschland der völlig falsche Weg. ({3}) Das Argument, dass ja sonst die Polen sich bewerben und die US-Atomwaffen vielleicht dorthin gehen, kann mich überhaupt nicht überzeugen. Wenn man so argumentiert, dürfen wir auch keine Atomkraftwerke schließen, weil die ja woanders noch gebaut werden. Nein, wir müssen vorangehen beim Nein zu Atomwaffen. ({4}) Außerdem ist es auch bezeichnend, dass die Bundesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag, ausgelegt von der UNO, inszeniert, bis heute nicht unterschrieben hat. Da sagt auch eine Menge aus. ({5}) Also, diese Bundesregierung will ernsthaft einen Beitrag leisten, damit wir mit US-Atomwaffen auch Krieg führen können. Ist das nicht der helle Wahnsinn? Ich finde es unvorstellbar. Wir sind in der Coronakrise. Worüber diskutieren wir in der Coronakrise? Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erforderlich. Mehr Hilfen für Solo-Selbstständige, Freiberuflerinnen und Freiberufler, Hilfen für kleine, mittlere und große Unternehmen. Aber bei den großen sage ich immer: Nur wenn wir auch am Gewinn beteiligt werden, nicht anders. ({6}) Reden über ein Konjunkturprogramm höre ich ständig; es ist ja auch nötig. Der Städte- und Gemeindetag hat festgestellt, dass wir einen Investitionsrückstand von 126 Milliarden Euro haben. Es fehlen 170 000 Stellen in Gesundheit und Pflege. Wir müssen endlich die Bezahlung der Beschäftigten in Pflege, Handel, Bildung, Erziehung, Transport, Logistik deutlich erhöhen. Bei der Pflege wird es, damit die Beiträge nicht endlos steigen, nur über aus Steuermitteln finanzierte Zuschläge gehen; anders wird es nicht funktionieren. ({7}) Diese Investitionen brauchen wir. Kriegsflugzeuge sind aber für diese Regierung systemrelevant. Nein, ich halte sie für völlig überflüssig. ({8}) Morgen haben wir, wie Sie alle wissen, den 75. Jahrestag der Befreiung auch des deutschen Volkes von der Nazidiktatur und des Endes des Zweiten Weltkrieges. Und das ist für die Bundesregierung Anlass, zu verkünden, Kampfflugzeuge für die Bundeswehr zu erwerben, die US-amerikanische Atombomben an ihr Ziel bringen können? Das widerspricht wiederum jeglicher historischen und politischen Verantwortung. ({9}) Ich kenne kein Land, das Deutschland militärisch überfallen will. Nennen Sie mir die Länder, die sich gerade darauf vorbereiten, Deutschland militärisch zu überfallen! Ich kenne kein einziges. ({10}) Am Ende des Kalten Krieges stand die Tür auf. Deutschland hätte die Rolle eines Friedensstifters und Friedensvermittlers übernehmen können. Stattdessen wird die Rolle eines Weltpolizisten angestrebt, die ich völlig daneben finde. ({11}) Guido Westerwelle von der FDP, Außenminister, der ist einen anderen Weg gegangen: Er ist den Weg der Zurückhaltung gegangen. ({12}) Das zeigte seine Stimmenthaltung beim falschen Krieg gegen Libyen. Auf Initiative der FDP – das darf man nicht vergessen – hat der Bundestag 2010 beschlossen, dass sich die Regierung für den Abzug der US-Atomwaffen einzusetzen habe. Keine Regierung ist diesem Beschluss bisher nachgekommen. Auch das ist eine Missachtung des Parlaments. ({13}) Ich sage Ihnen – ich bin sofort fertig –: Die Milliarden für Kriegswaffen waren schon immer falsch, aber in der Coronakrise sind sie nun eine blanke Katastrophe. Der Krieg gegen den Terror hat den Terror nicht überwunden, sondern nur zu mehr Terror geführt. Es ist der falsche Weg. Statt Konfrontation und Mitmischen bei den meisten Kriegen und Militäreinsätzen muss endlich Deutschland Friedensstifter und Friedensvermittler werden. Das ist doch nicht zu viel verlangt am Tag vor dem 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und des Endes der Hitler-Diktatur. Danke schön. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Hennrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Dr. Gysi, ich darf Ihnen zu Ihrer ersten Rede als außenpolitischer Sprecher gratulieren. Als ich Sie so reden hörte, kam mir der Sommer 2014 in Erinnerung. Ich weiß nicht, ob Sie noch wissen, was im Sommer 2014 war. Das war die Zeit, als es den Krieg im Irak gab, als es um die Situation der Kurden ging. Da gab es einen Politiker, der gefordert hat: Waffen an die Kurden. Das war der Erste, der das gefordert hat. Wissen Sie, wer das war? ({0}) Das waren Sie, Herr Gysi. Das waren Sie, und jetzt reden Sie davon, dass es im Grunde genommen keine Waffen braucht, alles könne in Gesprächskreisen und Ähnlichem geklärt werden. Ich würde mir wünschen, Sie würden in Ihrer Partei dafür sorgen, dass wieder ein bisschen mehr politische Vernunft, ein bisschen mehr Weitsicht einzieht und nicht solche populistischen Anträge auf die Tagesordnung kommen wie der heutige. ({1}) Ich will das schon sehr, sehr deutlich machen: Ich rede heute als Gesundheitspolitiker, weil es, glaube ich, wichtig ist, Zusammenhänge deutlich zu machen und zu zeigen: Haben wir in Deutschland ein Finanzproblem, was die Finanzierung unseres Gesundheitssystems angeht, oder haben wir das nicht? Ich sage Ihnen eins: Wir haben es nicht. ({2}) Wir haben im Grunde genommen eine flächendenkende Versorgung. Wir diskutieren in Deutschland darüber, ob wir zu viele Krankenhäuser haben. ({3}) Wir diskutieren darüber, ob wir zu viele Operationen und Ähnliches haben. Wir haben in Deutschland das System, in dem Innovationen am schnellsten in die Versorgung kommen. Wir können gern darüber diskutieren, ob die finanziellen Mittel richtig allokiert sind oder nicht, aber es fehlt nicht an Geld, und deswegen brauchen wir diese Hilfestellung von Ihrer Seite nicht. ({4}) – Ja, dazu komme ich jetzt. Ich komme zur Coronakrise. Ich komme zur Coronakrise und mache mal deutlich, wo wir denn da stehen. Welches ist denn das Land, das im Grunde genommen zusammen mit Israel am besten durch die Coronakrise gekommen ist? Welches ist das Land, das die meisten Intensivbetten in Europa hat? Das sind wir, das ist Deutschland. Wo sind die Todeszahlen am geringsten? Wer hat die meisten Tests in Europa? Das ist alles Deutschland. Warum brauchen wir dann mehr Geld? Wir können darüber diskutieren, ob Pfleger besser bezahlt werden sollen; da gebe ich Ihnen recht. Damit haben wir in dieser Legislaturperiode begonnen. Wir haben vor einigen Tagen beschlossen, dass Pfleger eine Extraprämie von 1 500 Euro bekommen. Das ist auch möglich, weil wir Rücklagen im System haben. Wir haben 20 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenkasse, im Gesundheitsfonds. Deswegen, glaube ich, haben wir alles andere als ein Problem mit einer ausreichenden Finanzierung unseres Gesundheitssystems, und deswegen macht Ihr Antrag schlicht und ergreifend keinen Sinn. Zum Thema, dass wir diese Waffen brauchen, dass wir moderne Flugzeuge brauchen, dass wir einen Auftrag haben, im Grunde genommen die westliche Verteidigungsgemeinschaft zu stärken, das übernimmt mein Kollege Henning Otte. Aber ich will Ihnen die Botschaft mitgeben: Geld im Gesundheitssystem können wir immer ein bisschen mehr gebrauchen, aber es ist ausreichend vorhanden. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Gerold Otten für die AfD-Fraktion. ({0})

Gerold Otten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004846, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über Jahre hat die Bundesregierung die Frage der nuklearen Teilhabe nicht angetastet. Sie ist ein Konzept innerhalb der Abschreckungspolitik der NATO. Sie ist im Kern defensiv und beinhaltet vier wesentliche Elemente. Erstens. Sie verdeutlicht den Willen und das Vermögen der USA, mit ihren Atomwaffen für diejenigen europäischen NATO-Mitglieder einzustehen, die keine Nuklearmächte sind. Zweitens. Sie berechtigt die Beteiligten zur Mitsprache über den Einsatz der Nuklearwaffen, und die teilnehmenden Staaten erklären sich – drittens – bereit, entsprechende Trägersysteme vorzuhalten. Viertens. Die Staaten verpflichten sich zur Lagerung der Atomwaffen auf ihrem Staatsgebiet. In einer friedliebenden Gesellschaft wie unserer ist mit diesem Thema politisch nicht viel zu gewinnen. Aber dass eine politische Frage unpopulär ist, heißt noch lange nicht, dass sie nicht beantwortet werden muss. Auch ist sie aufs Engste mit dem Trägersystem verbunden, in Deutschland das Kampfflugzeug Tornado. Seit Jahren ist hier die Frage der Nachfolge offen. Nun, in Zeiten einer weltweiten Pandemie, hat die Verteidigungsministerin still und leise eine Beschaffungsentscheidung für 93 Eurofighter und 45 amerikanische F-18 getroffen. Wie schon bei ihrem Schutzzonenprojekt in Nordsyrien geschah dies erneut ohne Absprache mit dem Koalitionspartner und auch, ohne den Bundestag vorher zu informieren. Das mag man für dreist halten, aber für mich ist das Dilettantismus. ({0}) Die Entscheidung war auch der Anlass des vorliegenden Antrags der Linken. Im Kern bedeutete er das Ende der nuklearen Teilhabe Deutschlands. ({1}) Die Antragsteller begründen diese Forderung mit den angeblich eklatanten Defiziten in der Gesundheitsinfrastruktur in Deutschland, Europa und der Welt. Und da Die Linke nicht in den Verdacht geraten will, national zu handeln, sollen die freigewordenen Steuergelder nicht nur dem deutschen Gesundheitssystem zugutekommen, sondern gleich der ganzen Welt. ({2}) Die Linke argumentiert da, wie wir gerade von Herrn Gysi gehört haben, mit einem Antrag von Union, SPD und FDP aus dem Jahre 2010. Sie behauptet, der Bundestag hätte damals schon einen Abzug der Atomwaffen beschlossen – nur sind das Fake News, Herr Gysi. Unter dem Eindruck von Obamas Erklärung, sich für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen zu wollen, forderte der Bundestag damals die Bundesregierung auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden und die Welt kernwaffenfrei wird. ({3}) Auch die AfD hat in dieser Frage eine klare Position: Auch wir treten für nukleare Abrüstung ein, und – ich sage das hier ganz deutlich – das schließt auch den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland mit ein. ({4}) Kann man dem durchsichtigen Antrag der Linken also zustimmen? Ganz sicher nicht. Auch die AfD wünscht sich, dass die Staaten der Welt ihre Konflikte friedlich lösen. Doch der Zustand einer friedlichen Welt wird erst dann eintreten, wenn alle Staaten von einer gewaltsamen Durchsetzung ihrer Forderungen absehen und stattdessen den Weg des Interessenausgleichs und des gegenseitigen Nutzens gehen. Von diesem wünschenswerten Zustand ist die Welt aber noch weit entfernt, und ich befürchte, wir werden ihn nie erreichen. Politik aber muss sich immer wieder daran orientieren, was politisch sinnvoll und machbar ist, also daran, wie die Welt ist, und nicht daran, wie man sie sich gerne wünscht. Wir vertreten dabei den Weg der Realpolitik und nicht den weltfremder Utopien. ({5}) Eine einseitige Aufkündigung der nuklearen Teilhabe würde gegenwärtig die sicherheitspolitische Lage Deutschlands und der Welt um keinen Deut verbessern; das Gegenteil wäre der Fall. ({6}) Die NATO wäre dann nicht nur hirntot, wie Präsident Macron meint, sondern sie stünde tatsächlich vor dem Exitus. Aus unserer Sicht ist eine atomare Abrüstung nur dann möglich, wenn sich alle nuklearen Mächte auf eine schrittweise Reduzierung ihrer Kernwaffenarsenale einigen. Die Atommächte von diesem Ziel zu überzeugen, war die Absicht des Bundestagsbeschlusses von 2010, nichts anderes. Dieses Ziel hat heute umso größere Priorität, gerade auch vor dem Hintergrund der Kündigung des INF-Vertrags. Die AfD wird daher diese Zielsetzung zu jeder Zeit und mit aller Kraft verfolgen. Linke Utopien dagegen lehnen wir entschieden ab. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast, aber nur fast kann einem das Coronavirus ja ein bisschen leidtun: Wofür das im Moment alles herhalten muss! Da werden diverse Forderungen begründet; es ist eine Entschuldigung für eigene Nachlässigkeit, eine willkommene Ausrede, Dinge nicht zu tun, die man eigentlich tun oder entscheiden müsste. Zu der langen Liste hat Die Linke heute noch einen weiteren Spiegelstrich hinzugefügt: Das Coronavirus ist jetzt also der Grund, dass die Bundeswehr auf die Anschaffung eines neuen Kampfflugzeuges verzichten soll. Ganz nebenbei fordert Die Linke bei dieser Gelegenheit auch noch den Ausstieg Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe der NATO. ({0}) Lieber Kollege Gysi, als ob Die Linke in diesem Hause jemals einer militärischen Beschaffung zugestimmt oder jemals für die Belange der NATO argumentiert hätte! Das ist doch sagenhaft! ({1}) Sie können ja gerne auch weiter gegen die NATO und gegen die Westbindung Deutschlands agitieren, wie Sie das seit eh und je getan haben; da kriegen Sie sogar noch Beifall von der Rapallo-Fraktion da drüben. Aber lassen Sie doch dieses unselige Virus dabei aus dem Spiel! ({2}) Ich könnte es mir jetzt leicht machen: Diese unsinnige Verknüpfung einer uralten Forderung der Linken mit der Coronakrise könnte ja schon Grund genug sein, Ihren Antrag abzulehnen. Aber ich will mich nicht rausreden, sondern auch in der Sache auf Ihre Forderung eingehen. ({3}) Denn eins ist ja richtig: Wir müssen hier im Deutschen Bundestag entscheiden, wie wir damit umgehen, dass das Mehrzweckkampfflugzeug Tornado, das alte Schlachtross der Luftwaffe, unwiderruflich dem Ende seiner technischen Nutzungsdauer entgegensieht. ({4}) In der Koalition sind wir uns übrigens einig: Damit die Luftwaffe auch in Zukunft ihren Auftrag erfüllen kann, braucht die Bundeswehr ein Nachfolgemodell für den Tornado. ({5}) Da kannst du gerne klatschen, Henning. ({6}) – Danke schön. ({7}) – Mehrzweckkampfflugzeug, ja. – Deshalb wollen wir auch noch in dieser Legislaturperiode die vierte, auf den modernsten technischen Stand gebrachte Tranche des Eurofighters beschaffen, die einen Teil der bisherigen Aufgaben des Tornados übernehmen wird. An diesem Punkt allerdings enden dann auch die Gemeinsamkeiten in der Koalition. Das Problem, über das wir uneins sind, ist ja durchaus komplex. Zum einen geht es – es wurde schon thematisiert – darum, dass der Tornado bisher Trägersystem für die nukleare Teilhabe Deutschlands ist. Das bedeutet, im Rahmen der nuklearen Abschreckung der NATO liefert der Tornado die Fähigkeit, eine Atombombe ins Ziel zu bringen. Über diese Frage, ob wir diese Fähigkeit auch in den nächsten 20 oder 30 Jahren noch brauchen werden, um die Sicherheit Deutschlands und die unserer Verbündeten in Europa angemessen zu schützen, ({8}) führen wir in der SPD zurzeit eine lebhafte Debatte. Mich wundert etwas die Verwunderung darüber, die ich in der Öffentlichkeit beobachte. Es ist doch klar, dass die SPD immer und mit großer Einigkeit für das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen eintreten wird. ({9}) Weil das so ist, kann es doch gar nicht ausbleiben, dass wir auch heute wieder, wie wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen es immer getan haben, mit Leidenschaft und Solidarität darum ringen, ({10}) wie wir dieses Ziel damit in Einklang bringen, dass wir Deutschen als Teil der NATO unseren angemessenen Beitrag für die Sicherheit aller Bündnispartner leisten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Felgentreu, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, jetzt nicht. – Die Zeit für diese Debatte werden wir uns nehmen, und wir werden uns dabei ganz gewiss nicht von der Linken treiben lassen. ({0}) Der konstruktive Streit um große Themen ist eine der großen Stärken der Sozialdemokratie; deswegen bin ich auch so gerne Sozialdemokrat. ({1}) Es geht bei der Tornado-Nachfolge aber nicht allein und noch nicht einmal vorrangig um die nukleare Teilhabe. Der Tornado ist ein europäisches Flugzeug, entstanden in der Zusammenarbeit von Deutschland, Italien und Großbritannien. Die nächste europäische Neuentwicklung kommt frühestens 2045, wenn das gemeinsame Projekt mit Frankreich, das wir aufgelegt haben, erfolgreich im Zeitplan bleibt. So lange fliegt der Tornado nicht mehr; deshalb die Suche nach einer Zwischenlösung. Liebe Kolleginnen und Kollegen in der Union, dazu hat jetzt das Verteidigungsministerium vorgeschlagen, ein amerikanisches Flugzeug zu kaufen. ({2}) Das leuchtet erst einmal nicht ein. Wenn wir ein europäisches Flugzeug verlieren, dann sollten wir doch gemeinsam vorrangig anstreben, die Lücke mit einem europäischen Flugzeug zu schließen. Dabei geht es nicht nur um Wertschöpfung. Natürlich, es ist schöner, deutsche Steuereinnahmen für ein wenigstens teilweise deutsches Flugzeug und damit für Arbeitsplätze in Deutschland und Europa auszugeben. ({3}) Aber neben den Arbeitsplätzen geht es auch darum, dass wir hier in Deutschland und in Europa die Fähigkeit nicht verlieren, ein Flugzeug zu bauen, das mit den modernsten amerikanischen, russischen oder chinesischen Flugzeugen technisch mithalten kann. Denn wenn wir das nicht mehr können, dann werden wir in Fragen unserer Sicherheit zunehmend abhängig von Dritten, und das wollen wir nicht. ({4}) Das Ministerium hat aber die Grundlagen seiner Entscheidung für sich behalten, von einigen eher allgemeinen Abwägungen zum Für und Wider einmal abgesehen. Deshalb trägt die SPD-Fraktion die vorgeschlagene Lösung auch nicht mit. ({5}) Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken: Ihr Antrag ist erstens Unsinn, weil er den müden Ochsen Corona vor den falschen Karren spannt. Er ist zweitens überflüssig, weil er ein Thema behandelt, das wir längst auch ohne Ihr Zutun engagiert vorantreiben, ({6}) für den Frieden, für die Sicherheit, für den Wohlstand und für die Unabhängigkeit Deutschlands und Europas. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erteile der Kollegin Sevim Dağdelen das Wort zu einer Kurzintervention.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Felgentreu, Sie haben ja meine Zwischenfrage nicht zugelassen, deshalb bleibt mir nichts anderes übrig. Es gehört ja auch zum Parlament dazu, dass man eine Debatte hat über die verschiedenen Ziele. Sie sagten, die Sozialdemokratie hätte auch das Ziel einer Welt frei von nuklearen Waffen. Da möchte ich Sie aber doch fragen: Es gibt seit 2010 einen Beschluss des Deutschen Bundestages. Die SPD ist an der Regierung – nach dem Beschluss von 2010 – mindestens seit 2013; seit sieben Jahren sind Sie an der Regierung. Da möchte ich schon wissen: Welche ernsthaften Bemühungen hat denn die Bundesregierung unternommen, um diesen Beschluss des Deutschen Bundestages von 2010 umzusetzen? Das ist das Erste. ({0}) Das Zweite ist: Wenn Sie doch das Ziel haben: Warum hat die Bundesregierung auch unter dem von der SPD geführten Außenministerium alles getan, um den Beschluss der UNO-Generalversammlung zum Atomwaffenverbotsvertrag zu torpedieren, und ist nicht vorangegangen und hat ihn unterzeichnet, letztendlich auch, um hier Vorbild zu sein? Als dritter Punkt vielleicht noch: Wie halten Sie es mit dem Vorstoß Ihres Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der ein Ende der nuklearen Teilhabe möchte, den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen im rheinland-pfälzischen Büchel – was wir als Linke unumwunden unterstützen – und vielleicht noch damit zusammenhängend ({1}) den Abzug der US-amerikanischen Soldaten von deutschem Boden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Möchten Sie erwidern, Kollege Felgentreu? – Dann haben Sie jetzt das Wort.

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Dağdelen, es tut mir auch ein bisschen leid – ich kann Ihre Frustration nachempfinden –, dass Sie jetzt nicht außenpolitische Sprecherin der Linken geworden sind. ({0}) Deswegen kann ich verstehen, dass Sie hier das Bedürfnis hatten, noch ein kleines Korreferat zu halten. Aber als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses haben Sie sich doch ohne jeden Zweifel immer wieder von Außenminister Heiko Maas lang und detailliert Bericht erstatten lassen über die vielfältigen Initiativen, die gerade diese Bundesregierung auf der Ebene der Vereinten Nationen oder auch durch den großen Kongress hier in Berlin gestartet hat, um zum Beispiel das internationale Verbot von Nukleartests oder der Herstellung von spaltbarem Material voranzutreiben. Sie wissen das alles. Sie brauchen mich das nicht zu fragen. ({1}) Wenn Sie es nicht wissen sollten, sollten Sie vielleicht im Auswärtigen Ausschuss ein bisschen besser zuhören. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat nun Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Viele Menschen in Deutschland machen sich Sorgen um ihre Gesundheit. Ich dachte eigentlich, dass das etwas ist, was uns alle hier im Haus verbindet, etwas, das uns eint. Ich dachte das so lange, bis ich den Antrag der Linksfraktion gelesen habe. Ich finde es, ehrlich gesagt, dreist, und ich finde es auch eine Frechheit, wie Sie versuchen, die Ängste der Menschen auszunutzen, um hier parteipolitische Forderungen unterzubringen. ({0}) Man darf in Deutschland Gesundheit nicht gegen Sicherheit ausspielen; denn beides, Gesundheit und Sicherheit, ist wichtig, und beides ist bedroht. ({1}) Unsere Gesundheit ist akut bedroht durch Covid-19. Das hat, glaube ich, jeder inzwischen mitbekommen. Aber auch unsere Sicherheit ist bedroht, ({2}) unterschwellig, aber permanent durch Ihren Freund in Moskau – der Freund in Moskau, der, während Sie solche Anträge schreiben, Krankenhäuser in Syrien bombardiert. ({3}) Da haben Sie mal eine Verbindung von Sicherheit und Gesundheit. ({4}) Wir geben in Deutschland pro Jahr 375 Milliarden Euro für Gesundheit aus und 45 Milliarden Euro für Verteidigung. Wir geben also mehr als das Achtfache für Gesundheit aus wie für Verteidigung. Und ich sage Ihnen: Das ist auch gut so; da gibt es keinen Korrekturbedarf, dass wir das Achtfache für Gesundheit ausgeben. ({5}) Warum reden wir heute trotzdem über diesen Antrag der Linksfraktion? Wir reden heute darüber, weil diese Bundesregierung beim Thema „Ersatzbeschaffung für den museumsreifen Tornado“ eine katastrophale Performance abgeliefert hat. Sie als Bundesregierung haben hier ein unfassbar schlechtes Timing, Sie haben eine schlechte Kommunikation, und Sie treffen eine fachlich schlechte Entscheidung. Timing: Sie schieben diese Entscheidung Jahre vor sich her und verkünden jetzt eine Vorentscheidung zu einer Zeit, wo vordergründig selbstverständlich andere Themen im Mittelpunkt stehen. Das ist einfach äußerst ungeschickt. Kommunikation: Sie verkünden das, ohne Ihren Koalitionspartner, ohne dieses Parlament ausreichend einzubinden, und wundern sich dann, dass Sie hier am Nasenring durch die Manege gezogen werden. Das ist wirklich an Dilettantismus kaum zu überbieten. Und die fachliche Komponente, liebe Genossinnen und Genossen: Auch der Weiterbetrieb des Tornados kostet knapp 1 Milliarde Euro pro Jahr; der Weiterbetrieb spart deshalb kein Geld. Von dem Geld kann man durchaus auch ein modernes Flugzeug kaufen. Nur sage ich der Bundesregierung – mein Vorgänger ist schon darauf eingegangen –: Dann kaufen Sie doch bitte auch das neueste Material als Ersatz für den museumsreifen Tornado und schlagen sich nicht mit einem auch schon älteren Waffensystem durch. ({6}) Nehmen Sie sich einfach ein Beispiel an unseren Nachbarländern: Belgien, Niederlande, Polen. – Die haben sich alle für das neueste Gerät entschieden. Es ist an der Zeit, und es ist auch noch möglich, dass diese Bundesregierung dazulernt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Katja Keul das Wort. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Atomwaffen in Deutschland sind teuer, gefährlich und ohne sicherheitspolitischen Mehrwert. Deswegen war es klug, dass der Bundestag 2010 fraktionsübergreifend den Abzug dieser Waffen beschlossen hat. Die Bundesregierung hat aber leider versäumt, diesen Auftrag zu erfüllen. Dabei hätte sie durchaus Gelegenheit dazu gehabt. 2012 hatte ich die bemerkenswerte Gelegenheit, mit Volker Rühe zusammen durch den Kongress in Washington zu touren und für nukleare Abrüstung zu werben. Die Frage der deutschen Atomwaffen wurde von amerikanischer Seite eher belächelt: Was sind schon 20 Sprengköpfe in Büchel, wenn bis heute auf beiden Seiten des Atlantiks jeweils 6 000 davon stehen, jede davon mit der 13-fachen Sprengkraft der Bombe von Hiroshima? Die Abschreckungsdoktrin, nach der es auf die gesicherte gegenseitige Vernichtung ankommt, war schon immer ein Irrweg und hat die Welt nicht friedlicher gemacht. Nach dieser Logik soll es darum gehen, die Bereitschaft zum eigenen Atomschlag glaubhaft zu untermauern, um nicht erpressbar zu sein. Natürlich müssen wir mit unseren osteuropäischen Nachbarn unbedingt über deren unterschiedliche Bedrohungsperzeptionen reden. Aber wer will allen Ernstes einen Atomwaffeneinsatz zwischen Büchel und Moskau, von dem wir alle betroffen wären, glaubhaft vermitteln? ({0}) Mir scheint das deutlich naiver als der Realismus der Abzugsbefürworter. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die atomare Bedrohung ist heute größer denn je. Bereits im Kalten Krieg der 70er-Jahre gab es Dutzende Vorfälle, bei denen es nur durch Zufall nicht zur nuklearen Katastrophe gekommen ist. Die Gefahr durch unberechenbare Akteure und die Gefahr der Proliferation sind enorm gestiegen: der INF-Vertrag gekündigt, die letzte NPT-Konferenz gescheitert, der Iran-Deal durch die USA boykottiert. Hinzu kommt: Der amerikanische Präsident hat seine Nuklearstrategie dahin gehend verändert, dass Atomkriege künftig führbar und gewinnbar sein sollen. Die Schwelle zum tatsächlichen Einsatz sinkt. Ausgerechnet die Atomwaffen in Büchel wurden im letzten Herbst modernisiert und sind jetzt lenkbar und damit flexibler einsetzbar. Wie toll die Bundesregierung durch die nukleare Teilhabe eingebunden ist, sieht man daran, dass sie nicht mal informiert worden ist, als man die Atomwaffen mal eben hin und her transportiert hat. Sie wissen sehr genau, dass eine politische Teilhabe, also eine Teilnahme an der Nuklearen Planungsgruppe, sehr wohl auch für Länder möglich ist, die keine Atomwaffen auf ihrem Territorium dulden, wie Norwegen, Spanien, Dänemark, Litauen und Island. Die Beschaffung der F‑18, die keinen anderen Verwendungszweck als den Transport von Atomwaffen haben, macht alle schönen Abrüstungskonferenzen des Außenministers zur Makulatur. Angeblich will die Bundesregierung den Nichtverbreitungsvertrag unterstützen. Nach diesem Vertrag dürfte Deutschland aber gar keine Atomwaffen in seiner Verfügungsgewalt haben, und zwar weder in Friedens- noch in Kriegszeiten. ({2}) Das Argument der Regierung, die Atomwaffen seien in Deutschland stationiert worden, bevor der NPT in Kraft getreten sei, ist wenig hilfreich, wenn es darum geht, den NPT zu stärken. ({3}) Der Abzug der Waffen und die Beendigung der nuklearen Teilhabe wären kein deutscher Sonderweg, sondern ein hoffnungsvolles Zeichen in Zeiten der Aufrüstung. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Geld für das Gesundheitssystem statt für atomwaffentragende Kampfbomber“ ist der Titel des Antrags der Fraktion Die Linke, und das ist wieder einmal der untaugliche Versuch – diesmal unter dem Deckmantel der Coronakrise –, eines Ihrer wichtigsten ideologischen Ziele, nämlich den Ausstieg Deutschlands aus der NATO und das Ende der transatlantischen Freundschaft, voranzubringen. Damit machen Sie sich einmal mehr zum Handlanger einer hybriden russischen Strategie, ({0}) die darauf abzielt, den Westen von innen zu destabilisieren und vor allem Europa von außen erpressbarer zu machen. ({1}) Lassen Sie mich noch kurz was zum Bezugspunkt Corona an dieser Stelle sagen: Die Linke schreibt in ihrem Antrag: Gleichzeitig werden in Deutschland … eklatante Defizite in der Gesundheits-Infrastruktur deutlich, die das Leben und die Sicherheit von Millionen Menschen bedrohen. Dieser Satz ist ein Schlag gegen alle, die sich seit Wochen 24 Stunden, 7 Tage die Woche oft unter persönlichem Risiko erfolgreich eingesetzt haben, um genau diese Bedrohung abzuwenden, und es hat sich gezeigt, dass es kaum ein Gesundheitssystem in der Welt gibt, das diese Herausforderung durch Corona so gemeistert hat wie unseres. ({2}) Also reden Sie nicht alles immer so schlecht, sondern lassen Sie uns gemeinsam stolz darauf sein, und lassen Sie uns vor allem weiter daran arbeiten, dass das auch so bleibt! Ich möchte jetzt wieder zur nuklearen Teilhabe Deutschlands kommen, die durch die Beschaffung von einem neuen Flugzeugsystem in der Nachfolge des Tornados sichergestellt werden soll. Gestern vor 65 Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland der NATO beigetreten, und dieser Beitritt war der Schlüssel für Frieden und Freiheit, die deutsche Einheit und die europäische Einigung; davon bin ich fest überzeugt. Seitdem tragen wir durch unsere Bundeswehr unseren Teil dazu bei, unser aller Sicherheit und unsere Art, zu leben, zu verteidigen. Grundlage und Garant dieser kollektiven Sicherheit war und ist bis heute die nukleare Teilhabe. Das mögen wir nicht schön finden und uns anders wünschen, es ist aber so. Mit Blick auf die Spannungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und mit Blick auf manche autoritären Powerstaaten und deren Verhalten kann ich nur sagen: Solange solche Bedrohungen existieren, können wir uns nicht ernsthaft über unilaterale Abrüstung unterhalten. Unsere Sicherheit ist weiterhin davon abhängig, dass wir eine glaubhafte Abschreckung gewährleisten. Nur Narren können ernsthaft glauben, dass durch die Aufgabe der nuklearen Teilhabe Deutschlands nur eine Atombombe weniger in Europa stehen wird. Nur Narren können ernsthaft glauben, dass es ein Vorteil für Europa ist, wenn Deutschland durch die Aufgabe nicht mehr Teil der Nuklearen Planungsgruppe ist. Und auch nur Narren können glauben, dass ein deutscher Ausstieg die russische Bedrohung verringern oder die NATO-Strategie verändern würde. In Wahrheit würden wir Risiken und Zumutungen für unsere Sicherheit auf andere Verbündete abladen, was unserer Verlässlichkeit enormen Schaden zufügen würde. ({3}) Helmut Schmidt, Frank-Walter Steinmeier und auch Heiko Maas waren bzw. sind solche Narren Gott sei Dank nicht. Der Frieden und die Freiheit Deutschlands und Europas hängen auch in Zukunft mit von einer überzeugenden NATO und unserer nuklearen Teilhabe ab. Deswegen ist dieser Antrag im Verlauf des Verfahrens abzulehnen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man hätte ja nicht glauben können, dass sich in einem Antrag der Linken zur Stärkung des Gesundheitssystems eine Deutung findet, durch die mit Doppelzüngigkeit, entrückter Realität und bar jeder Vernunft versucht wird, zu suggerieren, es ginge in der Politik Deutschlands ausschließlich um Aufrüstung. Nein, es geht um Ausrüstung für Frieden, Stabilität und Sicherheit, damit wir soziale Sicherheit, innere Sicherheit, äußere Sicherheit unter ein Dach bringen. Das ist wichtig in unserem Rechtsstaat, und dafür stehen wir in der Koalition ein. ({0}) Sie suggerieren, dass die Menschen nicht auf das Gesundheitssystem in Deutschland vertrauen dürfen, weil wir ausschließlich Geld für die äußere Sicherheit ausgeben würden. Sie wollen damit die Menschen in Deutschland verunsichern – gerade in dieser Zeit. Damit vermitteln Sie einen verheerenden Eindruck und spalten Sie das Land gesellschaftspolitisch in zwei Lager, und das geht nicht. Es ist unredlich, wenn Sie eine solche Politik machen. Ich hätte von Ihnen, Herr Gysi, als neuem außenpolitischen Abfangjäger der Linken nicht geglaubt, dass Sie mit der Pandemie spielen, um alte ideologische Dinge wieder auf den Tisch zu bringen. In dieser Zeit braucht es mehr. ({1}) Es geht darum, unsere Bürger so gut zu schützen, wie es geht, ihnen eine gesundheitliche Versorgung zu bieten. Ich glaube, wir können für uns in Anspruch nehmen, dass wir trotz der Herausforderungen sagen können – mit den besten Wünschen für die Genesung derer, die an Covid-19 erkrankt sind –: Wir stehen in Deutschland besser da als vielleicht sogar die Vereinigten Staaten, als das United Kingdom, als vielleicht Russland. Deswegen können wir sagen: Wir gehen mit Besonnenheit in der Politik vor und machen deutlich, dass wir beides machen: Wir setzen uns für die Gesundheit ein, aber wir setzen uns mit einer besonnenen Politik auch für Frieden und Freiheit ein. Und das bringen wir mit einer klaren Strategie auch zum Ausdruck. Es geht darum, dass wir uns zur NATO bekennen, dass wir sagen: Über 70 Jahre Frieden und Freiheit ist auch ein Ergebnis dieses erfolgreichen Verteidigungsbündnisses, und dazu gehört strategisch und als eine Säule auch die nukleare Teilhabe. Insbesondere die osteuropäischen Länder vertrauen darauf, dass wir in Deutschland hier einen Beitrag leisten, Frau Keul, und dass wir in der Gemeinschaft mitreden und mitgestalten können. Mehr Einfluss ist besser, als weniger Einfluss zu haben. Mit Ihrer Strategie – keine Atomwaffen in Deutschland – würden wir überhaupt kein Mitspracherecht haben. Das haben wir dadurch, dass wir ein Trägersystem zur Verfügung stellen. Wir tragen unsere Verantwortung und kommen unserer Verpflichtung als NATO-Partner damit nach. Das ist glaubwürdige Sicherheitspolitik der Union. ({2}) Es geht darum, wie Kollege Hahn sagte, dass wir Abschreckung und Dialog machen, dass wir aus der Stärke heraus Politik machen, um Frieden und Freiheit zu wahren. ({3}) Deswegen müssen wir einem älter werdenden System jetzt auch eine Perspektive bieten. Es war gut, dass die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer diese Richtungsentscheidung getroffen hat und gesagt hat: Übergangsweise, als Brückentechnologie, ({4}) nehmen wir die F‑18. Um es deutlich zu machen: Wir haben auch einen eigenen Anspruch, mit FCAS zukünftig zusammen mit Frankreich und anderen europäischen Partnern hier eine Zukunft zu bieten. Dennoch sagen wir: Wir wollen gemeinsam Politik gestalten mit den Vereinigten Staaten, mit Kanada, mit Großbritannien und einer starken europäischen Säule. Für uns ist unabdingbar: innere Sicherheit, äußere Sicherheit, soziale Sicherheit; dafür steht die CDU/CSU. Deswegen sagen wir: Dieser Antrag ist ideologisch geprägt, und er ist abzulehnen, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krisen und Katastrophen sind die Stunde der Exekutive, so hört man es beinahe täglich in Zeiten dieser Coronapandemie, und das stimmt natürlich auch ein Stück weit. Aber gerade wenn dem so ist, müssen sie auch die Stunde der parlamentarischen Debatte und Kontrolle sein. ({0}) Genau dann, wenn in einer Demokratie wie unserer vom Ausnahmezustand, von Notparlamenten und Freiheitseinschränkungen gesprochen wird, ist die Bundesregierung nicht nur in der Verantwortung, sie hat sich auch zu verantworten gegenüber diesem Hohen Haus und gegenüber der Öffentlichkeit. Genau deswegen stellen wir hier heute diesen Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) In unserer Initiative zeigen wir in 20 Punkten dezidiert auf, wo – auch nach jüngsten höchstrichterlichen Urteilen – dringender Handlungsbedarf besteht. Diese Pandemie bedroht die Gesundheit von Millionen von Menschen in unserem Land, und sie zu schützen, ist zentrale Aufgabe dieses Staates. Aber weil wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben, müssen gerade in solchen Zeiten der Gesundheitsschutz und die Bewahrung unserer Freiheit Hand in Hand gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Deswegen brauchen wir keine voreiligen Stadion-Extrawürste für Profifußballvereine, sondern wir brauchen tragfähige Konzepte zum Schutz der gesamten Bevölkerung und zur Stärkung von Demokratie, Bürgerrechten und Zivilgesellschaft in dieser Pandemie. ({3}) Stattdessen wird von dieser Bundesregierung zu oft beispielsweise mit unausgegorenen, am Ende diskriminierenden und stigmatisierenden Plänen zum sogenannten Immunitätsausweis verunsichert. Und wie unter dem Brennglas legt diese Pandemie auch die eklatanten Schwächen der deutschen Digitalpolitik insbesondere beim E-Government offen: Wegen jedem Ding müssen die Menschen zum Amt dackeln. Man muss sich mal vorstellen, wie es wäre, wenn wir da vernünftig vorangekommen wären in den letzten Jahren. Massive Probleme gibt es auch weiterhin im Bereich der Justiz. Dabei brauchen wir gerade jetzt in dieser Pandemie volle Funktionsfähigkeit und einen niedrigschwelligen Zugang zum Recht. Aber beim dringend erforderlichen Pakt für den Rechtsstaat haben Sie von der Bundesregierung leider nicht geliefert. Deswegen fordern wir Sie erneut auf: Handeln Sie endlich in diesem wichtigen Bereich für unseren Rechtsstaat! ({4}) Gerade in Krisenzeiten nehmen auch antisemitische und rassistische Anfeindungen massiv zu. Krudeste Verschwörungstheorien werden verbreitet, abstruseste Querfronten marschieren auf. All dem – zum Beispiel, wenn jetzt Journalistinnen und Journalisten offen tätlich angegriffen werden – müssen wir mit aller rechtsstaatlichen Entschlossenheit begegnen. Wir brauchen eine Stärkung von Zivilgesellschaft und NGOs, ein Demokratieförderungsgesetz. Nie waren Notfallfonds für den Gewaltschutz von Frauen und Kindern wichtiger als heute, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz zu Tracing-Apps sagen. Solche Apps können – können – ein wichtiger Baustein beim Kampf gegen diese Pandemie sein. Dafür bedarf es aber zwingend vierer Dinge: erstens klarer Grundsatz der Freiwilligkeit, zweitens Dezentralität der Datenverwaltung, drittens vorherige Offenlegung und Prüfung des Sourcecodes und viertens eine eigene Gesetzesgrundlage, die Vertrauen sichert und Akzeptanz garantiert. Die Verzögerungen in diesem Bereich – das sage ich auch an dieser Stelle – sind inzwischen nicht mehr nur peinlich, sondern sie werden schlicht gefährlich. ({6}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nehmen Sie die Vorschläge unserer Initiative gerne auf, lassen Sie uns als Parlament kritisch, aber kollegial den rechtsstaatlichen Weg durch diese Krise gemeinsam gehen. Ganz herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Axel Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Inkrafttreten der ersten Coronaverordnung am 16. März sind nun fast acht Wochen vergangen. Umso wichtiger ist es, dass heute in der Tat wieder einmal die Stunde des Parlaments schlägt; denn das ist zweifelsfrei der Ort, an dem man Demokratie und Bürgerrechte, die Gegenstand aller vorgelegten Anträge sind, debattieren muss. Das gilt insbesondere auch für Einschränkungen von bürgerlichen Freiheiten, die auf dem Fundament der Grundrechte stehen. Der Wert der Freiheit, so steht es im Antrag der Grünen, wird in der Krise besonders deutlich. – Das erfährt meine uneingeschränkte persönliche Zustimmung. Umso wichtiger ist es daher aber, dass länger dauernde Freiheitsbeschränkungen einer demokratischen Legitimation durch das Parlament, gegebenenfalls auch einer besonderen gesetzlichen Begründung bedürfen. Das hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Frage „800 Quadratmeter Ladenfläche, darüber oder darunter“ ausgeführt. Denn nicht Lockerungen von Maßnahmen bedürfen einer Regelung, sondern zuallererst Einschränkungen durch Maßnahmen, insbesondere wenn sie den Grundrechtskreis betreffen. Das gilt für die Ausübung der Religionsfreiheit genauso wie für die Versammlungsfreiheit oder die Berufsfreiheit oder den Eingriff in den unter dem Eigentumsrecht stehenden Gewerbebetrieb. Hier, wie von den Grünen allerdings verlangt, für Rechtsverordnungen auf der Grundlage von Artikel 80 Grundgesetz neben der zulässigen Leitplanke Bundesrat auch eine zusätzliche Leitplanke Bundestag einzuziehen, ist verfassungsrechtlich zwar grundsätzlich zulässig. Aber § 5 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes, wo Sie das machen wollen, ist nicht der geeignete Platz. Denn wenn es um die Schließung von Schulen oder die Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs bei einer Infektionslage geht, ist höchste Eile geboten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Müller, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul?

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gestatte ich.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Sie referieren ja über die juristischen und rechtspolitischen Bedeutungen dieser Verordnungsermächtigung. Deswegen frage ich Sie an dieser Stelle: Warum haben Sie dann nicht zugelassen, dass wir im Rechtsausschuss auch eine Anhörung zu dieser sehr rechtspolitischen Frage machen, und haben darauf bestanden, dass allein der Gesundheitsausschuss sich damit befasst? ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gebe Ihnen gerne die Antwort: weil für das Infektionsschutzgesetz der Gesundheitsausschuss zuständig ist. Und wir haben ja gesagt: Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, an den Sitzungen und einer Anhörung des Gesundheitsausschusses auch als Mitglied eines anderen Ausschusses teilzunehmen und gegebenenfalls auch Fragen zu stellen und die Sachverständigen um ihre Meinung zu bitten. Das erachten wir als ausreichend. ({0}) Sie wollen allerdings den Fortbestand einer entsprechenden Verordnung davon abhängig machen, dass der Bundestag in der auf den Erlass der Verordnung folgenden Sitzungswoche seine ausdrückliche Zustimmung erteilt. Gerade beim Infektionsschutzgesetz halte ich das für zu riskant. Ansonsten entfällt ja nach Ihrer Ansicht die Rechtsgrundlage. Wie die Antragsteller sehe ich auch die Justiz in einer besonderen Verantwortung, der sie mit ihren Entscheidungen bisher absolut gerecht geworden ist. Deutschland sollte daher in der kommenden EU-Ratspräsidentschaft die Eingriffe in die Unabhängigkeit der dritten Gewalt durch EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen besonders im Auge behalten und direkt ansprechen. Denn: „Wir müssen“, um es mit den Worten des EU-Auslandsbeauftragten Josep Borrell zu sagen, „aufpassen, dass die Demokratie“ in diesen Ländern „nicht zum Opfer der Pandemie wird“. Diese Krise liefert auch den Nachweis, dass die Gesellschaften, die mit autokratischen Regimen versehen sind, gleich ob sie China oder Russland heißen, die auf Intransparenz und einseitige Anweisungen setzen, unterlegen sind. Entlarvt hat sie populistisch agierende und argumentierende Politiker wie einen Boris Johnson, einen Donald Trump oder auch einen Herrn Bolsonaro als unfähig und gefährlich. Sicher ist, dass wir die beachtlichen Erfolge, die wir bislang erzielt haben, letztendlich darauf stützen können, dass die ganz große Mehrheit der Menschen in diesem Land, in unserer liberalen Demokratie, die ergriffenen Maßnahmen nicht aufgrund von Repression, sondern innerer Überzeugung mitgetragen haben. Dafür sage ich allen Danke. ({1}) Die Frage ist, was wir jetzt noch zusätzlich machen sollen oder müssen, um dem Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen, ohne dadurch die erwähnten Grundrechte über das erforderliche Maß einzuschränken; denn nur dann tragen wir dem über allem stehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung. Einige der Vorschläge, die in den Anträgen von Grünen, Linken und FDP enthalten sind, möchte ich herausgreifen, aber auch zugleich aufzeigen, warum wir als CDU/CSU diesen Anträgen nicht folgen können. Teilweise haben sich die Punkte auch erledigt. Das gilt beispielsweise für die geforderte Aufhebung von Gottesdienst- und Versammlungsverboten. Das ist erledigt. – Da will jemand fragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie gestatten also eine Frage oder Bemerkung?

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann ist das jetzt so. Das ist aber die letzte, die ich jetzt innerhalb Ihres Beitrages zulasse, sonst haben wir eine Verdopplung der Redezeit.

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz reizend, Frau Präsidentin, Herr Müller, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Müller, ich mache mir ein bisschen Sorgen. Der eine Punkt, der mir wichtig ist: Ich habe mir heute die Debatte der Kollegen aus dem Bereich Gesundheit um das Infektionsschutzgesetz angehört. Da ist überhaupt kein Raum für Rechtsfragen. Das wird bei dieser Anhörung ganz genauso sein. Was mir aber auch Sorgen gemacht hat, ist, dass Sie sagen: Wenn der Bundestag bei dieser Verordnung eingebunden werden müsse, wenn diese Verordnung dem Bundestag also zur Zustimmung zugeleitet werden müsse, dann sei das zu gefährlich. ({0}) Jetzt haben Sie gerade beschrieben, wie wichtig die Demokratie und der Parlamentarismus sind. Aber diese Aussage macht mir wirklich Sorgen. Warum ist eine Beteiligung des Bundestages gefährlich? ({1})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Rottmann, in dieser Allgemeinheit sehe ich das nicht. Ich sehe es in Bezug auf Maßnahmen, die auf Grundlage des § 5 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes ergriffen werden, und Eilentscheidungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes zu Schulbesuchen oder zur Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs als gefährlich an, dass Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben: Falls es nicht gelingen sollte, dass der Deutsche Bundestag in der nächsten Sitzungswoche, die auf eine solche Verordnung oder Anordnung fällt, darüber abstimmt, ob sie richtig oder falsch ist, wird die Verordnung oder Anordnung aufgehoben. – Das halte ich für zu riskant. Diese Verbindung, diese Konnexität herzustellen, halte ich für zu riskant, gerade bei diesen so wichtigen Eilentscheidungen. Gelingt es nämlich nicht – es könnte doch sein, dass die Infektion den Deutschen Bundestag daran hindert, in irgendeiner Form zusammenzukommen –, dann würde die Rechtsgrundlage für dringend notwendige Eingriffe entfallen. Das könnte doch passieren. Deshalb halte ich das bei diesen Maßnahmen in diesem Zusammenhang für zu riskant. Verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig ist das, was Sie sagen schon; das habe ich ja auch ausgeführt. Aber in diesem Punkt bin ich der Meinung, dass das zu riskant ist. ({0}) Lassen Sie mich kurz auf die Tracing-App eingehen, weil der Kollege von Notz etwas dazu gesagt hat. Unsere Zauberformel heißt, Herr Kollege von Notz: doppelte Freiwilligkeit. Die Datenschutzregeln werden strikt eingehalten, egal ob europäisch oder national. Es dürfen nur epidemiologisch relevante Kontakte der letzten drei Wochen gespeichert werden, ohne das Bewegungsprofil zu erfassen. Die Datenfreigabe ist ebenso freiwillig, wie es freiwillig ist, ob man diese Daten weitergeben will oder nicht. Der Betreffende entscheidet selber, und es hat für ihn keine nachteiligen Konsequenzen. Ich möchte kurz noch etwas zu den Eingriffen in das föderale Staatsgefüge sagen, wie das die FDP, aber auch die Linken beim Katastrophen- und Infektionsschutzgesetz gerne machen würden. Wir haben, denke ich, gesehen, dass zentralistisch organisierte Staaten wie Frankreich oder regional orientierte Staaten wie Italien im Vergleich schlechter durch die Krise gekommen sind als wir als föderaler Staat. Ich will Ihnen das auch an einem Beispiel zeigen. In meinem Wahlkreis in Ravensburg hat man nicht nur bei den Gesundheitsämtern die Infektionsketten verfolgt, weil man gemerkt hat, dass die Kapazitäten schnell zu Ende waren. Nein, man ist sogar zu den Ortsbehörden gegangen, weil diese mehr Akzeptanz erfahren und weil dort zusätzliches Personal vorhanden war. Wir begreifen den Föderalismus als DNA der Bundesrepublik. Deshalb glauben wir auch, dass es nicht notwendig ist, sich in den Strafvollzug der Länder einzumischen. Auch dort haben wir die Infektionen vermieden. Das, was Sie von den Linken fordern, die Zurückstellung von Freiheitsstrafen und deren Vollstreckung im Ersatzfreiheitsstrafenbereich, macht Baden-Württemberg bereits. In der Haftanstalt in meinem Wahlkreis Ravensburg gibt es keinen einzigen Infektionsfall. Zu guter Letzt sollten Sie uns hier nicht ein Trojanisches Pferd präsentieren, in dessen Bauch Sie die audiovisuelle Aufzeichnung der Strafverhandlung genauso transportieren wie das Verhüllungsverbot von Prozessbeteiligten, das Sie auf den Prüfstand stellen wollen, oder die Verteilung von Flüchtlingen, die Sie jetzt direkt den Kommunen zuweisen wollen, ohne die Bleibeperspektive zu überprüfen. Schließen will ich mit einer Forderung aus dem Antrag der FDP: Die Bildung einer unabhängigen Freiheitskommission fordert sie. Meine Damen und Herren von der FDP: Das sind wir doch schon. Das sind wir: die Mitglieder des Deutschen Bundestages mit der Freiheit, die uns Artikel 38 Grundgesetz gibt, ungebunden, was Weisungen und Aufträge anbelangt, und nur dem Gesetz und unserem Gewissen unterworfen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Christian Wirth für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Wirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004936, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Heute hat die AfD in mehreren Anträgen ihre Sorgen über die Einschränkung von Grundrechten in der Krise und Datenschutzverstöße bei der Corona-App geäußert. In bekannter Einigkeit haben alle Parteien von „Verschwörungstheorien“ gesprochen. ({0}) Der Rechtsstaat funktioniere doch. Die AfD solle bitte aufhören, die Bürger zu verunsichern. Jetzt liegen hier Anträge von Grünen, FDP und den Linken vor, in denen die Regierung aufgefordert wird, Grundrechte zu bewahren, Maßnahmen zurücknehmen, den Datenschutz zu achten. Wie das? Es war doch vorhin alles in Ordnung. Sie sollten diese Anträge dringend überarbeiten; sonst wird man Sie noch als Verschwörungstheoretiker verleumden. ({1}) Der Antrag der Linken, unabhängig davon, dass der Antrag sich in unzulässiger Weise in die Zuständigkeit der Länder einmischt, strotzt vor Unsinn. Vorab werden die Justizvollzugsbeamten unter Generalverdacht gestellt, notwendige Coronamaßnahmen nicht einzuhalten. Dann verlangen Sie, Freiheitsstrafen unter drei Jahren auszusetzen und den Jugendarrest vollständig zu beenden. Das ist, ehrlich gesagt, nur noch lächerlich. Die FDP macht es weichgespült: Der Bundestag solle bitte „informiert“ und „frühzeitig einbezogen“ werden. – Meine Damen und Herren der FDP: Sie sind Volksvertreter und keine Bittsteller beim Kaiser. Dann fordern Sie noch ein weiteres Expertengremium. Die Wahlen zum Ethikrat haben gezeigt, wie neutral und unparteiisch solche Gremien besetzt werden. Zu den Anträgen der Grünen. Es entbehrt nicht einer gewissen Portion Ironie, dass die Partei, die aufgrund ihrer kruden Ideologien die Eigentums- und Freiheitsrechte der Bürger ständig beschneiden will, sich plötzlich zum Sachwalter der Grundrechte aufschwingt. Ich sage nur: Dieselverbot, Fahrverbot, Reisebeschränkungen und Energiekosten. Mit dem zweiten Antrag wollen Sie Recht und Justiz krisenfest gestalten. In beiden Anträgen gibt es einige Punkte, über die wir mit Ihnen im Ausschuss gerne reden. Leider versteckt sich aber in Ihren Anträgen einfach noch der alte Geist der Grünen. Warum wollen Sie das Gesichtsverhüllungsverbot des Gerichtsverfassungsgesetzes kippen, und zwar nicht nur die teilweise Verhüllung, also Masken, sondern auch die ganze Gesichtsverhüllung? Da scheinen Sie einmal wieder einem frauenfeindlichen Ritual archaischer Religionen das Wort reden zu wollen, nämlich der Vollverschleierung. ({2}) Ein Kobold, wer Böses dabei denkt. Sie wollen unter Punkt 14 eine EU-weite Plattform schaffen, um auf dieser qualitätsgeprüfte Medien zu veröffentlichen: den endgültigen Staatsfunk mit Gütesiegel der grünen Zensoren, finanziert mit neuen Steuern. Sie wollen unter Punkt 18 unbürokratisch und natürlich ungeprüft Ihre Zuarbeiter, die selbsterklärte Zivilgesellschaft und die NGOs, mit noch mehr Steuergeldern belohnen. Das alles in Zeiten, in denen der steuerzahlende Bürger um seine Existenz ringt. Dankbar sind wir Ihnen, dass Sie wenige Wochen nach der Coronasitzung Mitte März der AfD mittlerweile bestätigen, dass allein unsere Rechtsauffassung richtig war, nämlich dass § 5 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes nicht mit den Artikeln 80 und 83 des Grundgesetzes vereinbar ist und somit alle getroffenen Maßnahmen verfassungswidrig sind. Erinnern wir uns an die Coronasitzung: Alle Parteien haben ohne Vorbehalt den Maßnahmen in der Coronakrise zugestimmt, dass diese unter Umgehung des Bundestages durch die Bundesregierung getroffen werden können. Allein die AfD hat – natürlich von allen Medien verschwiegen – gefordert, dass für jede Maßnahme unverzüglich die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen ist. Das muss auch in der parlamentarischen Sommerpause so gelten. ({3}) Allen Parteien ist darüber hinaus derselbe Fehler gemein. Anstatt zu fragen, was das Mindestmaß an Kontrolle und das Maximum an Freiheit in der aktuellen Lage ist, wollen sie nur an den Schrauben eines Notstandes drehen, und noch schlimmer: Sie wollen ihn für ihre Zwecke missbrauchen. Die Zeit der Diskussionen über die Details des Lockdown ist vorbei. Die Zeit der Debatte über sein Ende ist gekommen. Ihre Anträge sind leider aus der Zeit gefallen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir scheint, dass, wenn es nach der AfD geht, schon der Mund-Nase-Schutz unter islamistisches Verhüllungsgebaren fällt. Insofern ist Ihr Beitrag nicht wirklich ernst zu nehmen, ({0}) auch wenn die Lage tatsächlich ernst ist. ({1}) Aber abgesehen davon: Der grüne Antrag will sehr viel; dennoch, glaube ich, ist er immer noch zu sehr im Verteidigungsgefecht und zu wenig im Angriffsgefecht für die Demokratie. ({2}) Warum? ({3}) „Jenseits von Gut und Böse“, Nietzsche – ich zitiere hoffentlich richtig –: Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. ({4}) Das trifft manchmal gewiss zu, und wir müssen darauf achten. Diese Gefahr besteht real in Form der Maßnahme im Zuge der Coronaepidemie, aber sie besteht erst recht in Hinsicht auf die Gefährdung der Demokratie weit jenseits der Coronaepidemie. Diese Gefahren sind ganz klar und präzise zu benennen; sie lauten zum Beispiel: Hanau, Halle und Kassel. Sie kommen dadurch zum Ausdruck, dass bis zum heutigen Tage inmitten der Demokratie, im Namen der Demokratie, mit Mitteln der Demokratie von Populisten und Extremisten versucht wird, diese Demokratie abzuschaffen. ({5}) Deshalb rate ich auch dazu, dass wir weniger von Demokratie und mehr von Republik sprechen, nämlich von diesem Gesamtkunstwerk aus Volkssouveränität, aber eben auch Gemeinwohl, Gewaltenteilung und Rechtsstaat. Wenn das so ist, dann ist selbstverständlich der Satz: „Es darf keine Diskussion geben“, ein Unsatz; die muss es geben. Aber dann darf es in diesen Diskussionen auch Empörung über Lockerungsorgien geben, und dann darf es auch erlaubt sein – ich blicke einerseits nach Bayern und Hamburg und andererseits nach Nordrhein-Westfalen –, dass Klarheit und Konsequenz nicht Ausdruck eines Mangels von Demokratie ist, aber Wankelmütigkeit und Zaudern nicht automatisch Ausdruck der Steigerung von Demokratie. ({6}) Wenn das aber so ist, halte ich es für notwendig, dass wir uns fokussieren und fragen, auf wessen Demokratie wir uns richten wollen. Ich finde, dann ist es ist in der Tat notwendig, einmal einen blinden Fleck zu löschen, nämlich dass es doch auch um die Freiheit und Demokratie derjenigen gehen muss, die womöglich in Altenheimen, Senioreneinrichtungen und Behinderteneinrichtungen durch Versagen oder unglückliche Umstände sterben. Ich erinnere an die Risikogruppen, über die man nicht spricht, die einen Anspruch auf Schutz haben, aber eben auch auf Demokratie und Teilhabe und Freiheit, und an die sowieso schon bekannten Risikogruppen der Demokratie, die durch Armut, fehlende Teilhabe, Wohngebiete, in denen sie leben, ausgeschlossen sind. ({7}) Das sind doch diejenigen, an die sich unsere Maßnahmen zur Steigerung von Demokratie aus meiner Sicht richten müssen. Dann macht mehr Parlamentarismus Sinn. Dann macht es aus meiner Sicht auch Sinn, Bürgerräte zu bilden, und gerne – ich bin dafür offen – auch Volksentscheide kombiniert mit Bürgerräten, aber nicht als Ausdruck von mehr Freiheit für sehr wenige, sondern als Ausdruck von mehr Freiheit gerade für diese Gruppen und mehr Freiheit für die vielen. Dann, aber auch nur dann wird die Coronakrise womöglich auch zu einem Inkubator eines demokratisch-republikanischen Bewusstseins, das wir in diesen Zeiten mehr denn je brauchen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen! Ich danke den Grünen und dem Kollegen von Notz für die Einbringung dieses Antrages, der auch uns die Gelegenheit gibt, ein für uns wichtiges Thema in den parlamentarischen Lauf einzubringen. In der Tat ist es wichtig und notwendig, auch in diesen Tagen über Demokratie, Bürgerrechte und Zivilgesellschaft zu sprechen; denn manche wollen in der Coronakrise auch eine Demokratiekrise sehen und diese herbeireden. Eine solche haben wir gerade nicht, und das ist wichtig zu betonen. Wir haben im Augenblick auch einen Wettstreit der Systeme weltweit, und es gibt Staaten, die wollen den Nachweis erbringen, dass autoritär geführte Staaten, dass undemokratische Systeme besser in der Lage seien, die Coronapandemie zu bewältigen. Das ist gerade nicht der Fall. Gäbe es in China eine freie Presse, gäbe es in China ein unabhängiges Parlament, dann hätte die Regierung dort nicht die Chance gehabt, so lange zu vertuschen, was sich im Dezember und Januar in Wuhan ereignet hat. ({0}) Deswegen sind autoritäre Systeme eben nicht überlegen; sie sind eher unterlegen und nachgerade gefährlich in solchen Situationen. ({1}) Ich möchte drei Bemerkungen machen, weshalb wir keine Demokratiekrise haben. Die erste ist: In einem demokratischen Verfassungsstaat gibt es keinen Ausnahmezustand. Wir haben weiterhin eine Gewaltenteilung, und wir als Parlament beweisen, dass wir weiterhin die Regierung kontrollieren und kritisieren. Es ist eben keine Diskussionsorgie, wenn wir hinterfragen, was die Regierung tut. Wir kommen unserer originären Aufgabe nach, indem wir das tun. ({2}) Die zweite Bemerkung ist: Bei der Bewältigung der Coronapandemie, in dieser Krise gilt weiterhin das Legalitätsprinzip. Alle ausübende Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden; so steht es in Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Genau so ist es: Wir sind der Gesetzgeber, wir haben Recht zu setzen und das Gesetz zu schaffen, und die dritte Gewalt, die Judikative, hat das Recht auszulegen und dessen Einhaltung zu kontrollieren. Wenn wir als Legislative nach Artikel 80 Absatz 1 des Grundgesetzes in Einzelfällen der Regierung die Ermächtigung geben, durch Rechtsverordnung als Exekutive Recht zu setzen, dann muss das die Ausnahme bleiben. Wir müssen das Recht setzen. Es darf keine Aushöhlung dieser Gewaltenteilung geben, auch nicht durch Ministerpräsidentenkonferenzen als informelle Verfassungsorgane. Abstimmung ist richtig, aber sie darf nicht zur Aushöhlung der Gewaltenteilung führen. ({3}) Der dritte Gedanke in der noch verbleibenden Zeit: Wir wahren in dieser Zeit auch die Verhältnismäßigkeit. Wir müssen prüfen, ob alles Verwaltungs- und Regierungshandeln notwendig, geeignet und angemessen ist, und dafür sorgen, dass all diese Maßnahmen auch befristet werden. Dazu brauchen wir – das ist mein abschließender Gedanke –eine Kommission, die uns dabei unterstützt. Die Regierung umgibt sich mit einer Vielzahl von Gremien und Kommissionen. Auch wir brauchen eine solche Kommission, die uns, zusammengesetzt aus Vertretern aller Disziplinen der Wissenschaft, der Medizin, der Naturwissenschaften, der Geisteswissenschaften, der Sozialwissenschaften und der Wirtschaftswissenschaft, und der Zivilgesellschaft, unterstützt, damit wir uns als Parlament den nötigen Sachverstand aneignen können und auch in einer solchen Krise als Hüter der Bürgerrechte fungieren können. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen und auch die FDP wollen mit ihren Anträgen Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 mit der Wahrung der Grundrechte verbinden. Dieses Anliegen teilt meine Fraktion. ({0}) Ich möchte daher feststellen: Nach den Eilmaßnahmen zur Bekämpfung des Virus zu Beginn der Krise ist es jetzt absolut erforderlich, dass wir als Parlament alle Eilmaßnahmen auf ihre weitere Berechtigung überprüfen und dann auch schrittweise zurücknehmen. Gerade wir Linke haben eine historische Lehre verinnerlicht: Ohne Grundrechte wie Demonstrationsfreiheit und Meinungsfreiheit gelingt keine gesellschaftliche Gestaltung. ({1}) Darum muss um die Bewahrung unserer Grundrechte immer wieder neu gerungen werden. Sie müssen gegen autoritäre Denkmuster verteidigt, aber auch aktiv demokratisch wahrgenommen werden. Deshalb müssen nicht die Maßnahmen der Lockerung gerechtfertigt werden, sondern die Aufrechterhaltung der Beschränkungen der Grundrechte. ({2}) Wie in Krisen üblich genießen Verschwörungsideologien derzeit leider Hochkonjunktur. Menschen befrieden ihr Unsicherheitsgefühl durch vermeintlich einfache Erklärungen. Wir brauchen jetzt dringend Bemühungen, die dem entgegenwirken, die über das bloße Verlachen von deren Anhängerinnen und Anhängern hinausgehen. Zu den vorliegenden Anträgen möchte ich auf der Basis des bisher Gesagten folgende Anmerkungen machen: Wir Linke fordern in der Krise, sehr bewusst an alle zu denken, die sich nicht ausreichend selber schützen können. Dazu zählen für uns gerade auch die in Haftanstalten einsitzenden Gefangenen. Daher fordern wir, dass Ersatzfreiheitsstrafen ausgesetzt werden, der Antritt von Freiheitsstrafen von unter drei Jahren aufgeschoben werden sollte – es sei denn, es gibt dringende Haftgründe –, Jugendarrest aktuell grundsätzlich ausgeschlossen werden sollte und die wichtigen Besuchsverbote in den Haftanstalten durch geeignete Maßnahmen abgefedert werden sollten. In Bezug auf die Vorschläge zu den Gerichtsverfahren kann ich mich als Richter nicht damit einverstanden erklären, dass die Möglichkeit geschaffen wird, ehrenamtliche Richterinnen und Richter lediglich per Videoschalte an Verhandlungen teilnehmen zu lassen. Das verkennt die Bedeutung des Grundsatzes der mündlichen Verhandlung und die Bedeutung der ehrenamtlichen Richter. Ein weiterer Punkt, der höchste Aufmerksamkeit verdient, ist die Corona-App. Für uns als Linke sind hier vier Punkte nicht verhandelbar. Wir fordern erstens klare Freiwilligkeit, zweitens transparente Entwicklung, drittens ein gesetzliches Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot für eventuelle gerichtliche Verfahren, viertens die Beteiligung des Parlaments zur Durchführung einer parlamentarischen Kontrolle. Ich kann hier leider nicht auf alle Punkte eingehen, möchte aber auf einen mir wichtigen Aspekt hinweisen. Auch die Frauenhäuser sind seit Langem finanziell zu schlecht ausgestattet. Die Krise hat zu einem besorgniserregenden Anstieg häuslicher Gewalt geführt. Daher ist die Forderung nach einem Notfallfonds völlig richtig. Darüber hinaus müssen wir aber gesellschaftlich eine Debatte über häusliche Gewalt führen. Hier muss hingeschaut werden. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Grundgesetz beschreibt unsere Gesellschaft als eine offene Gesellschaft und einen Raum der Freiheit. Jedes Freiheitsgrundrecht bedarf zunächst keiner Rechtfertigung. Aber klar ist auch, dass aus Freiheit Verantwortung erwächst. Kein Mensch ist eine Insel, sondern wir haben die Verpflichtung und die Verantwortung für andere in einer Gesellschaft, die sich umeinander sorgt. Deswegen stehen Grundrechte auch in der Pflicht, gegeneinander abgewogen zu werden. Das ist auch der Grund, weshalb diese große Herausforderung, das krisenhafte Szenario der Covid-19-Pandemie, dazu geführt hat, dass wir vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Schutzes des Lebens diese Grundrechtseinschränkungen beschließen und auch vollziehen mussten. Aber klar ist auch, dass diese Einschränkungen immer im Lichte der Verhältnismäßigkeit betrachtet werden müssen. Dennoch verstört es, wenn die Gefährlichkeit dieses Virus gegen jede wissenschaftliche Vernunft geleugnet wird oder wenn es Stimmen gibt, die sagen, dieser Schutz sei in diesem Umfang nicht notwendig, weil die Personengruppe, die es vor allem betrifft, in ein paar Monaten ohnehin nicht mehr am Leben sei. Das ist eine Einlassung, die weder mit dem Grundgesetz noch mit unserem Menschenbild vereinbar ist. ({0}) Dennoch muss sich jetzt der freiheitliche Rechtsstaat auf den Weg machen, diese Einschränkungen ins Verhältnis zu setzen zur Frage des Schutzniveaus, das wir weiterhin erhalten müssen. Deswegen ist es auch ein bisschen schwierig, im Augenblick von Lockerungen zu sprechen, die man irgendwie gewährleistet. Eigentlich ist es umgekehrt: Auch Lockerungen sind nach wie vor Grundrechtseinschränkungen, die vielleicht nicht mehr so intensiv sind wie die vor ein paar Tagen und Wochen. Aber auch die weniger intensiven Grundrechtseinschränkungen müssen vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit und der unmittelbaren Geltung der Freiheitsrechte begründet werden. ({1}) Ich meine, dass die Begründung nach wie vor trägt, weil es immer noch Menschen gibt, die darauf hoffen und setzen, dass dieser Staat sie schützt, dass ihre Würde garantiert wird und dass der Staat sich darum kümmert, dass sie am Leben bleiben können und in ihrer gesundheitlichen Integrität nicht beschädigt werden. Chronisch Kranke, Menschen in Alten- und Pflegeheimen und in Krankenhäusern setzen darauf, dass dieser Staat auch ihre ganz persönlichen Grund- und Freiheitsrechte wahrnimmt. Das macht die Situation so schwierig. Aber das ist auch die große Chance der Parlamente – die große Chance, aber auch die große Verpflichtung, die wir haben, nämlich dass wir über die rechtspolitische Dimension der Maßnahmen hier im Bundestag diskutieren und nirgendwo anders. ({2}) Deswegen ist es richtig, dass wir uns über Chancen und Risiken, über die Ausgestaltung, über datenschutzrechtliche Fragen, aber auch über die Praktikabilität einer möglichen Tracing-App tatsächlich intensiv Gedanken machen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir die Auswirkungen eines möglichen Immunitätsausweises nicht diese oder nächste Woche beraten, sondern diese Frage zunächst einmal an den Deutschen Ethikrat geben, um ein Gutachten einzuholen und uns zu fragen, ob diese Konstellation mit unserem Verständnis von Grundwerten tatsächlich vereinbar ist. Aber klar ist auch, dass wir im Deutschen Bundestag immer deutlich machen sollten, dass hier nicht der Ort ist, Verschwörungstheorien zu verbreiten, beispielsweise zur Impfpflicht. Eine solche war nie in diesem Gesetzentwurf vorgesehen und war auch nicht mittelbar dadurch bedingt. Klar ist einfach: Wir müssen deutlich machen, dass im Deutschen Bundestag auf der Grundlage von sachlichen Informationen und auf der Grundlage unseres Grundgesetzes entschieden wird. Diese Verantwortung haben übrigens nicht wir allein. Gerade weil der Infektionsschutz vornehmlich eine Sache der Länder ist, müssen auch die Länderparlamente ihren Teil dazu beitragen, dass die Balance zwischen exekutiver Verantwortung auf der einen Seite und demokratischer parlamentarischer Teilhabe und Kontrolle auf der anderen Seite auch gelebt wird. Wenn wir das in einem Rechtsrahmen hinbekommen, dann, glaube ich, kann dieses Land sehen, dass die Parlamente ihre Verantwortung wahrnehmen und dass durch die Verantwortung der Parlamente auch das Vertrauen der Bevölkerung steigt, dass diese Krise zu meistern ist – durch das Vertrauen in sich selbst, durch das Vertrauen in einen rechtsfähigen, handlungsfähigen Staat. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern haben nicht einmal 100 Meter von diesem Redepult entfernt mehrere Hundert Bürgerinnen und Bürger demonstriert. Ich muss sagen: Die Thesen, die sie dabei vertreten haben, sind zum Teil schwer zu ertragen. Man muss es verurteilen, dass es dabei erneut Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten gab. Aber man muss einmal feststellen: 100 Meter von diesem wichtigsten Redepunkt unseres Landes entfernt war es möglich, zu demonstrieren, zu behaupten und zu fordern, was man will, und das während dieser besonderen Situation, in der wir uns befinden. Ich finde, es ist wichtig, das einmal festzustellen; denn es sagt etwas über unsere Demokratie aus, nämlich dass sie funktioniert. ({0}) Auch wir hier im Parlament – als SPD-Fraktion; ich glaube, aber auch alle anderen Fraktionen – machen unsere Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, sehr, sehr gewissenhaft. Bei der Fülle an Themen und Anträgen, die wir unter diesem Tagesordnungspunkt diskutieren, will ich mir die Diskussion um die Corona-App herausgreifen. Ja, man muss ganz klar sagen: Das Vorpreschen des Gesundheitsministers und die vielen, vielen Wünsche des Robert-Koch-Instituts, die ich nachvollziehen kann, haben es nicht leichter gemacht. Die Kritik aus der Zivilgesellschaft, vor allem aber auch hier aus dem Parlament, auch von uns, hat dazu geführt, dass sie verändert wurde. Das ist beim Thema Impfpflicht bzw. Impfnachweis – das hat der Kollege Ullrich gerade gesagt – genau das Gleiche. Auch das zeigt, dass unsere Demokratie und dass dieses Parlament hier funktioniert. Bei der Corona-App müssen wir schauen, dass die Kriterien, die wir brauchen, um eine hohe Akzeptanz zu haben, erfüllt werden: dass der Datenschutz gewährt ist, dass sie datensparsam ist, dass der Code transparent ist. All das sind Punkte, die jetzt durchgesetzt werden müssen. Und dafür ist es auch wichtig, dass wir öffentlich einen Zeitplan präsentiert bekommen. Wann soll die App fertig sein? Ich verstehe, dass die Grünen die Diskussion über eine gesetzliche Grundlage mit reingebracht haben. Aber wir als SPD sind der Meinung, dass wir zum Beispiel mit der berühmten Datenschutz-Grundverordnung ein sehr mächtiges Instrument haben, mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten jemanden haben, der sehr genau hinschaut. Und wenn die App so kommt – freiwillig, wie sie jetzt geplant ist, ohne dass die Daten weitergegeben werden können –, dann braucht sie keine gesetzliche Grundlage. Aber eine Sache ist uns auch klar: Das ist die letzte Chance für den Gesundheitsminister, zu liefern. Wenn es jetzt wieder ein Hin und Her, ein Hickhack und Unklarheiten beim Datenschutz und bei der Vertrauenswürdigkeit gibt, dann ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger leider verloren. Das wäre schade; denn wir glauben, dass die Corona-App ein Hilfsmittel unter vielen sein kann, um uns allen in dieser Lage zu helfen. Deswegen ist es wichtig, dass wir dieses Thema entschlossen vorantreiben. Herzlichen Dank. ({1}) Und morgen einen schönen Feiertag! ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.