Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/6/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Gerne möchte ich das. Sie merken es im Moment, dass im Zentrum aller Gedanken, aller Anstrengungen natürlich die Coronapandemie steht, der Schutz von Gesundheit und Leben, und das ist auch völlig zu Recht so. Der coronabedingte Shutdown hat unsere Wirtschaft in vielen Teilen quasi zum Erliegen gebracht, aber je mehr es gelingt, die unkontrollierte Ausbreitung des Virus zu verhindern, desto mehr wird das öffentliche Leben auch Schritt für Schritt wiederhergestellt. Dieser Neustart bringt auch wirklich die Chance auf ein soziales, auf ein ökologisches Update unserer Volkswirtschaft. Diese Chance, gestärkt aus dieser schwierigen Zeit herauszukommen, müssen wir unbedingt nutzen. Was heißt das nun konkret? Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Folgen der Krise noch nicht wirklich komplett absehbar. Es kann noch niemand ein seriöses Gesamtkonzept aus der Tasche ziehen. Aber ich will Ihnen vier Beispiele für den Beginn der Diskussion nennen, was wir tun können und wie konjunkturelle Hilfen Innovationen, Arbeitsplätze, Klimaschutz gleichzeitig fördern können: Erstens. Konjunkturhilfen bieten uns die Chance, unser Energiesystem schneller zu modernisieren. Dazu gehören der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Aufbau moderner Strom- und Wärmenetze, die Förderung von Energiespeichern. Zweitens. Konjunkturhilfen können unsere Industrie effizienter, nachhaltiger und damit auch zukunftsfester machen, durch den Einsatz und die Förderung von Grünem Wasserstoff zum Beispiel für Alu-, für Zement- und für Stahlwerke. Der dritte Punkt, der mir ganz besonders wichtig ist: Unsere Kommunen müssen trotz der Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe weiter investieren können. Deswegen halte ich ein Investitionspaket für den kommunalen Klimaschutz für erforderlich. Davon könnte dann auch der öffentliche Nahverkehr profitieren. Ein letzter Punkt. Im Mobilitätssektor gibt es großen, nachholenden Modernisierungsbedarf. Die Automobilbranche soll natürlich Schlüsselindustrie in Deutschland bleiben, so wie sie es heute ist; das sage ich auch als Umweltministerin. Eine Innovationsprämie zur Förderung alternativer Antriebe kann ein Weg sein, die Autoindustrie nicht nur gegen Corona, sondern auch im Klimawandel krisenfester zu machen. Aber wir müssen auch über das Auto hinausdenken. Bahn, ÖPNV, Rad- und Fußverkehr brauchen ebenso Impulse für ein klimaverträgliches Verkehrssystem. Also: Klimaschutz, Innovation und Beschäftigung – dieser Dreiklang ist für mich der Maßstab für mögliche Konjunkturprogramme. Das Ziel der Klimaneutralität ist ein Kompass für den Weg heraus aus der Coronakrise. Die Europäische Kommission hat schon vor Corona einen solchen Weg aufgezeigt. Mit dem European Green Deal ist die richtige Antwort auch auf aktuelle Herausforderungen gegeben. Die Umsetzung des European Green Deal will ich während der deutschen Ratspräsidentschaft vorantreiben. In der letzten Woche hatte ich Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt zum Petersberger Klimadialog eingeladen. Viele Länder bereiten schon Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft nach der Krise vor. Der Klimaschutz spielt dabei eine ganz zentrale Rolle, und das sollte er auch in Deutschland tun. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, hinter der akuten Krise, die wir im Moment erleben, verschwinden langfristige Aufgaben nicht. Die Erderhitzung geht weiter. Das spüren wir jetzt gerade an dem viel zu warmen April. Das sehen wir an viel zu trockenen Wäldern und Äckern. Unser Einsatz für den Klimaschutz muss daher weitergehen. Sie alle hier haben einen großen Anteil an diesem Prozess – mit Entscheidungen zum Bundeshaushalt und entsprechenden Gesetzen, etwa zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Deswegen freue ich mich jetzt auf den Austausch und darauf, mit Ihnen gemeinsam das Land nicht nur aus der Krise zu führen, sondern auch in eine bessere Zukunft. Vielen Dank.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die erste Frage stellt der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident. – Geschätzte Ministerin! Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Sie haben ja sehr deutlich klargemacht, dass viele, viele Milliarden gemäß Ihren Visionen in die zukünftige Förderung von Maßnahmen gegen den sogenannten Klimawandel fließen sollen. Es wird also sehr, sehr teuer, was da auf uns zukommt. Sie werden im Bayerischen Rundfunk am 28. April mit der Aussage zitiert: „Wir merken ja im Moment alle, dass wir eben nicht alles steuern können.“ Zitat Ende. – Das ist zweifelsohne richtig, bezogen auf die aktuelle Coronaepidemie. Nun ist es natürlich so, dass Corona oder die Wirkungsweise von Viren im Allgemeinen relativ gut erforscht sind. Die Virologen, die Biochemiker und andere Mediziner haben sehr, sehr gut verstanden, wie Viren im Allgemeinen wirken, wie sie sich verbreiten und wie die Wege über den Globus generell laufen. Sie kommen daher zu der tatsächlich richtigen Annahme, dass man nicht alles steuern kann. Gleichzeitig haben Sie uns gerade Ihre milliardenschweren Visionen zu der sogenannten Klimaerhitzung und der sogenannten Klimaerwärmung vorgestellt, zu einem Mechanismus, der weder verstanden ist, von dem das IPCC selber sagt, dass es ein chaotischer Prozess ist, der nicht vorhersagbar ist, und bei dem sich alle Berechnungsmethoden, die wir in den letzten 30 Jahren hatten, als falsch herausgestellt haben. Wie können Sie sich also hinstellen und hier der Mutter Natur zugestehen, dass man es nicht vorhersagen kann, und uns gleichzeitig erzählen, dass wir die globale Mitteltemperatur auf das Zehntelgrad genau vorhersagen können?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Darf ich zur Sicherheit alle daran erinnern, dass da Lampen leuchten. Wenn die rote leuchtet, ist die Zeit abgelaufen. Bitte bedenken Sie das. Frau Bundesminister.

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Sie sagen: Klimaschutz wird teuer. – Ich sage Ihnen: Kein Klimaschutz, das würde enorm teuer werden. ({0}) Wir haben gerade den Petersberger Klimadialog hinter uns, und wir haben aus der ganzen Welt Berichte bekommen, was Klimaveränderungen heute schon bedeuten. Wenn Sie Beispiele aus Deutschland wollen, dann reden Sie doch einfach mal mit Landwirten, mit Forstwirten darüber, was Klimaveränderungen heute schon kosten, etwa wegen Dürre auf unseren Feldern, auf unseren Äckern, in unseren Wäldern. Wenn wir nicht handeln, wenn wir einfach alles auf uns zukommen ließen, dann würden wir als Politik unverantwortlich agieren, und deswegen ist es so zentral, dass wir jetzt in Klimaschutz investieren, dass wir in die Zukunft investieren. Wenn Sie den Vergleich mit Corona gerne möchten: Bei Corona suchen wir immer noch nach einem Impfstoff; wir suchen nach Medikamenten, die wirklich helfen. Im Klimaschutz ist dieser Impfstoff, sind diese Medikamente schon lange klar: Das ist der Ausbau erneuerbarer Energien, das ist ein stärkerer Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft, das ist Grüner Wasserstoff in der Industrie, das sind neue Mobilitätskonzepte, die ohne CO2 klarkommen; um nur einige Beispiele zu nennen. Die Maßnahmen sind da wirklich klar, und deswegen: Kein Klimaschutz wäre teurer.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Nachfrage? – Herr Kollege Dr. Kraft.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie sagen: Wir können das Klima genau steuern, diese Milliarden sind zielgerecht eingesetzt, und wir werden dafür am Ende konkrete Maßnahmen bekommen. – Wunderbar! Dann frage ich Sie ganz konkret: Um wie viel wird sich pro eingesetzten 100 Milliarden Euro die globale Durchschnittsniederschlagsmenge in Deutschland erhöhen, wodurch die Dürren bekämpft werden?

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir können nicht alles im Detail steuern. Wir kennen aber die Maßnahmen, die helfen, die Erderwärmung zu reduzieren. Wir werden die Erderwärmung nicht mehr ganz stoppen können; aber wir können sie noch reduzieren, und wir können Schlimmeres noch verhindern. Deswegen ist die ganz einfache Antwort: Jede einzelne eingesparte Tonne CO2 zählt, und zwar weltweit. Insofern dürfen wir nicht die Einzigen sein, die handeln. Das Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet nämlich alle Staaten auf der Welt, zu handeln. Beim Petersberger Klimadialog ist gerade noch mal sehr deutlich geworden, dass auch alle bereit sind, etwas zu tun, dass übrigens auch die Wirtschaft bereit ist, etwas zu tun. Es gab einen Aufruf von über 60 Unternehmen, gerade auch aus der chemischen Industrie, aus der energieintensiven Industrie, aus dem Stahlsektor. Diese Unternehmen haben gesagt: Klimaschutz muss jetzt der Kompass sein. – Das sollte auch Sie erkennen lassen, dass es in dieser Frage inzwischen einen breiten Konsens darüber gibt, dass wir in diesem Feld handeln müssen und nicht einfach abwarten können, ob es noch schlimmer wird. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Frank Sitta, FDP.

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, wir haben ja verschiedenste Herausforderungen durch die Coronapandemie; aber wir erleben auch ein Stück weit einen Feldversuch hinsichtlich der Mobilität der Menschen. Die Verkehrsnutzungsmöglichkeiten sind an vielen Orten stark eingeschränkt. Wir stellen an Messstationen fest, dass auch die Belastungen mit Stickstoffdioxid nicht zurückgehen, was darauf schließen lässt – ich glaube, da geben Sie mir recht –, dass der bisher vermutete Zusammenhang mit den Schadstoffemissionen der Diesel-Pkws als nicht wirklich tragbar angesehen werden kann, weswegen Fahrverbote, die ja weiterhin im Raum stehen, unverhältnismäßig sind. Wenn wir jetzt feststellen, dass die Menschen mit ihren Diesel-Pkws nicht mehr da langfahren und die Schadstoffwerte trotzdem hoch bleiben, dann wird es im Umweltministerium sicherlich Überlegungen dazu geben, woran das liegt. Denken Sie weiterhin, dass Fahrverbote geeignete Mittel sind, die eingeleitet werden müssen, um die Luftqualität zu verbessern? – Vielen Dank.

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich bin erst mal sehr froh, dass die Luftqualität sich enorm verbessert hat, dass wir mit den eingeleiteten Maßnahmen inzwischen erreicht haben, dass ein Großteil der Städte eben keine Fahrverbote erlassen muss, dass die Luft deutlich besser geworden ist. Wenn Sie sagen, dass sich jetzt nichts verändert hat: Das stimmt einfach nicht. Es ist inzwischen in zwei Länderstudien deutlich nachgewiesen, dass dort, wo der Verkehr reduziert wird, sich auch die Luftwerte, gerade was den Anteil an Stickstoffdioxid angeht, verändern. Anders ist es beim Feinstaub; denn für den Feinstaubausstoß ist der Verkehr nicht die einzige Quelle. Aber gerade bei NOx, bei Stickstoffdioxiden, ist es so, dass es deutliche Verbesserungen gibt. Ob Fahrverbote nötig sind oder nicht, das entscheidet nicht ein einzelner Wert, sondern das entscheidet der Jahresmittelwert, der erhoben wird, und mit diesem Jahresmittelwert muss dann festgestellt werden: Wird der Grenzwert überschritten, oder wird er nicht überschritten? Aber was man im Moment sehr klar sieht – das kann man auch selber wahrnehmen –, ist, dass die Luftqualität sich verändert, wenn es weniger Verkehr gibt. Das kann trotzdem nicht das Modell der Zukunft sein. Das Modell der Zukunft muss eine veränderte Mobilität sein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage.

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich bitte doch, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ihre Darstellung ein recht schräges Bild der Situation ist. Auch ich freue mich über bessere Luftqualität; aber ich freue mich nicht darüber, dass die Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, dass sie quasi ein Stück weit im Hausarrest sind und in vielen Fällen ihre Häuser nicht verlassen können. Mich als Abgeordneten interessiert natürlich die Meinung der Bundesregierung, und da scheint es ja durchaus unterschiedliche Auffassungen zu geben. Der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Bilger sagte – Zitat –: „Das Thema Diesel-Fahrverbote ist aus meiner Sicht damit endgültig vom Tisch.“ Ja, das entscheiden nicht Sie persönlich. Aber mich interessiert die Verhältnismäßigkeit: Glauben Sie, dass es weiterhin sinnvoll ist, hier den Menschen Angst zu machen, jetzt auch noch mit Dieselfahrverboten? – Danke.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, es geht nicht darum, Angst zu machen oder die Mobilität einzuschränken. Es geht um die Gesundheit der Menschen, und das ist ein sehr hohes Gut; gerade in den jetzigen Zeiten ist das doch vollkommen klar. Deswegen ist nicht die Frage, wie einzelne Tagesmesswerte aussehen, sondern, wie hoch der Jahresmittelwert ist. Wenn hochemittierende Dieselfahrzeuge immer noch so viele Stickstoffoxide ausstoßen, dass das gefährlich für die Gesundheit ist, dass der Grenzwert im Jahresmittel überschritten wird, dann muss gehandelt werden. Die Gesetzeslage ist vollkommen eindeutig und klar. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass die gesamte Bundesregierung die geltende Rechtslage verteidigen und unterstützen wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dazu hat der Kollege Dr. Kraft eine Nachfrage.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident. Danke, Frau Ministerin. – Ihr Kollege, der Herr Staatssekretär Pronold, hat heute im Umweltausschuss auch zu diesem Thema Stellung bezogen, und sowohl er wie auch eine Vertreterin Ihres Ressorts in Bonn haben sich dahingehend geäußert, dass es zu großen Verzerrungen der Messwerte im Stickoxidbereich durch Windaufkommen an den Messstellen kommen kann. Die Frage ist jetzt natürlich: Wie groß ist die prozentuale Abweichung an den Messstellen in Abhängigkeit vom Windaufkommen, und ist diese Art und Weise der Erhebung dann noch eine geeignete Form, um den Grenzwert für Stickoxide festzulegen? Und wäre es dann im Umkehrschluss nicht sinnvoller, auf EU-Ebene die Luftqualität nicht über einen Emissionsgrenzwert festzulegen, der dann partiell und vorteilsbelastet für den Autoverkehr gilt, sondern dezidiert einen Wert festzulegen, was aus dem Auspuff eines Autos tatsächlich rauskommen darf, und diesen Wert als Grenzwert für den Schadstoffausstoß der Autos zu bestimmen?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, damit es durch Wind und einzelne Tagesereignisse keine Verzerrungen gibt, wird nicht der einzelne Tageswert zum Maßstab gemacht, sondern man nimmt Jahresmittelwerte, um genau solche Verzerrungen zu vermeiden. Wichtig ist doch: Welche Qualität hat die Luft, die die Menschen auf der Straße, in ihrer jeweiligen Umgebung atmen? Das muss der Maßstab sein; denn am Ende geht es um die Gesundheit der Menschen. Das ist der Maßstab, nach dem diese Gesetze gemacht werden, und die Gesundheit der Menschen steht da an erster Stelle. Es ist technisch möglich, Fahrzeuge anders zu gestalten, sodass die Stickstoffdioxidwerte runtergehen. Das wollen wir erreichen. Deswegen gibt es Vorschriften, was emittiert werden darf, deswegen gibt es Überprüfungsverfahren, und deswegen gibt es Grenzwerte dafür, was vor Ort maximal vorhanden sein darf, bevor Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ich halte das für ein sehr sinnvolles Vorgehen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die Kollegin Skudelny hat eine weitere Frage dazu. ({0})

Judith Skudelny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004159, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Frage der Angemessenheit der Maßnahmen ist ja auch eine Frage von Ursache und Wirkung. Das, was die Messdaten im Moment nahelegen, ist eben, dass die Ursache für die Überschreitungen der NOx-Werte nicht allein und nicht hauptursächlich der Verkehr ist. Das gilt vor allem für die Messstellen, wo trotz deutlich weniger Verkehrsaufkommens die NOx-Werte weiterhin hoch sind. Meine Frage ist: Gerade wenn aufgrund von solchen Messdaten Fahrverbote auferlegt werden, die nachweislich keine Wirkung auf die Überschreitung haben, ist dann an dieser Stelle diese Maßnahme tatsächlich geeignet, angemessen und richtig? Sprich: Kann mit falschen Messwerten ein richtiges Fahrverbot auferlegt werden?

Not found (Minister:in)

Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pronold hat das ja eben schon einmal genau ausgeführt. Ich will noch mal darauf hinweisen, dass es inzwischen zwei Auswertungen gibt – eine aus Niedersachsen und eine aus Hessen –, die ganz klar belegen, dass dort, wo weniger gefahren wird, die Stickstoffdioxidbelastungen deutlich runtergehen, und zwar um 40 bis 50 Prozent. Das zeigt eher, dass das Messsystem, das wir haben, ein sehr vernünftiges ist; denn es geht nicht darum, einzelne Tageswerte zu nehmen, sondern wirklich einen Jahresmittelwert. Und wenn im Jahresmittel der Grenzwert überschritten wird, dann muss im Interesse der Gesundheit der Menschen gehandelt werden. Die aktuelle Krise zeigt, dass der Verkehr eben ein ganz wesentlicher Emittent ist. Deswegen muss jeweils vor Ort, an jeder einzelnen Messstelle, entschieden werden: Sind die Grenzwerte überschritten? Wenn sie überschritten sind, dann muss was gemacht werden. Und das legen wir nicht zentral als Bundesregierung fest, sondern das wird jeweils nach den örtlichen Gegebenheiten festgelegt. Wenn Sie Kessellagen haben, wie zum Beispiel in Stuttgart, ist es weitaus schwieriger, als wenn es stärker durchlüftete Straßen sind; das ist allen klar. Und deswegen ist es so wichtig, dass die Fahrzeuge insgesamt sauberer werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Hampel hat eine weitere Frage dazu.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Minister, ich bewundere immer die herausragenden naturwissenschaftlichen Kenntnisse unserer Bundesminister. Das ist für mich geradezu ermutigend. Ich kann da nur laienhaft eine Frage stellen. Ich habe Ihren Ausführungen entnommen, dass Sie jetzt auch zu der Erkenntnis gekommen sind, dass Feinstaub – bei den Stickoxiden können wir uns darüber streiten – nicht alleine durch Autos, durch Abgase verursacht wird, sondern auch durch Abrieb, Winde oder Staub auf den Straßen. Wenn jetzt die Erkenntnis aus der Coronakrise ist, dass bei weniger Fahrverkehr die Feinstaubwerte ganz anders aussehen, dann müsste doch im Gegenzug sofort die Feinstaubverordnung obsolet geworden sein bzw. geändert werden. Diese Erkenntnis haben Sie ja jetzt. – Ich frage nur laienhaft; ich kenne mich ja nicht so aus.

Not found (Minister:in)

Bei Feinstaub wussten wir auch schon vor Corona, dass die Werte zurückgegangen sind. Das habe ich im Ausschuss mehrfach dargestellt. Wobei das ein gutes Ergebnis ist, dass es uns gelungen ist, die Feinstaubbelastung so stark zu reduzieren. Dass Feinstaub nicht alleine aus dem Verkehr stammt, ist eigentlich kein Fachwissen, sondern breit bekannt. Auch im Ausschuss wurde mehrfach diskutiert, was sozusagen andere Verursacher von Feinstaub sind. Und deswegen freue ich mich erst mal – und ich finde, das ist eine gute Nachricht –, dass wir in Deutschland insgesamt keine Stadt mehr haben, wo die Feinstaubgrenzwerte überschritten werden. Die Maßnahmen wirken also. Das wussten wir vor Corona, und das wissen wir auch jetzt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Der Kollege Marc Bernhard würde dazu auch noch gern eine Frage stellen. Danach kommt der Kollege Saathoff.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, Sie haben ja gerade gesagt, es sollten Jahresmittelwerte verwendet werden. Wenn ich aber jetzt den Bericht Ihres eigenen Ministeriums vom 21. April heranziehen darf. Darin haben Sie nach vier Wochen Corona-Shutdown gesagt, aufgrund der Verkehrsabnahme würde jetzt auch der Stickstoffdioxidwert deutlich zurückgehen. Da haben Sie sich ja auch nur auf einen Zeitraum von vier Wochen bezogen. Auf meine diesbezügliche Nachfrage hat Ihr Staatssekretär Pronold gesagt: Das sind die Zahlen der Europäischen Umweltagentur. – Wenn ich mir die anschaue und mit den Zahlen vier Wochen vor dem Corona-Shutdown vergleiche, dann haben wir im Mittel einen Rückgang von 0,9 Mikrogramm bei der Stickstoffdioxidbelastung in Deutschland, also gar nichts. Ihre eigenen Zahlen belegen, dass es trotz teilweise fast 70-prozentigem Rückgang des Straßenverkehrs praktisch keine Veränderung gibt. Daran sehen Sie doch, dass der Straßenverkehr gar nicht kausal sein kann. Was sagen Sie zu diesem Widerspruch, dass Sie auf der einen Seite von einem Rückgang sprechen, aber die Zahlen, die Sie vorbringen, diesen Rückgang gar nicht belegen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

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Sie müssen einen Unterschied machen zwischen der Frage „Was passiert in den ersten Wochen, wenn kein Verkehr mehr da ist?“ und der Frage „Ab wann sind Maßnahmen zur Reduzierung des Verkehrs notwendig?“. Maßnahmen zur Reduzierung des Verkehrs sind notwendig, wenn im Jahresmittel der Grenzwert überschritten wird. Dann muss gehandelt werden, und dann muss etwas vor Ort getan werden. Wenn das nicht der Fall ist, muss erst mal nicht gehandelt werden. Trotzdem ist die Verkehrswende weiterhin notwendig. Das, was Sie jetzt beschreiben, nämlich dass es nicht sofort zu einem Absinken der Werte an jeder einzelnen Messstelle kommt, hat etwas mit lokalen Gegebenheiten zu tun. Wir hatten zum Beispiel Ende März – das ist nachgewiesen – in Niedersachsen und in Hessen größere Belastungen durch Winde, die aus der Sahara kamen. Das sind Belastungen, die dann sozusagen punktuell einmal als Belastung dazukommen. Aber die Werte sind – das ist für Niedersachsen und Hessen ganz genau belegt – nachweisbar reduziert, die NO2-Belastungen sind deutlich zurückgegangen. Wenn kein Verkehr vorhanden ist, dann sinken auch die Belastungen; das ist klar und deutlich belegt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dann stellt der Kollege Johann Saathoff, SPD, die nächste Frage.

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie haben in Ihren Ausführungen aus meiner Sicht sehr einleuchtend deutlich gemacht, dass Sie für eine Innovationsprämie sind und warum Sie diese voranbringen wollen. Sie haben sinngemäß gesagt: Wir müssen das Notwendige mit dem Nützlichen verbinden; denn wir hätten ja ohnehin eine Transformation in der Mobilität gehabt, sowohl was das Umschalten von der fossilen Verbrennungstechnologie hin zur Elektromobilität angeht als auch bei der Frage: In welche Richtung bewegen wir uns eigentlich beim öffentlichen Personennahverkehr und bei anderen, moderneren Mobilitätskonzepten? – Wir müssen also eine Lösung finden, wie wir auf der einen Seite der Wirtschaft eine Perspektive bieten – aufgrund von Corona, aber auch aus den ökologischen Notwendigkeiten heraus –, aber auf der anderen Seite auch den Menschen in Beschäftigung, nicht nur in den Automobilunternehmen, sondern auch bei den Zulieferern, und wie wir gleichzeitig den notwendigen ökologischen Umbau hinbekommen. Gibt es da eigentlich Reaktionen aus der Automobilindustrie und aus der Kommunalwirtschaft heraus, und wie kann man gemeinsam den Dialog organisieren?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich sehe das genauso, wie Sie es gesagt haben: Die Automobilindustrie ist für Deutschland eine Schlüsselindustrie. Damit meine ich nicht nur den Bereich, wo Automobile produziert werden, sondern auch die ganze Zulieferindustrie und alles, was da dranhängt – Stahlwerke, alle, die um das Auto herum Zulieferung betreiben. Das ist wichtig für Deutschland. Und deswegen müssen wir uns auch um diese Schlüsselindustrie kümmern. Wir müssen dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt. Und deswegen sollten sich mögliche Hilfen, die wir ja im Moment diskutieren – es muss ein Konjunkturpaket für den Neustart der Wirtschaft in Deutschland geben –, nicht an der Vergangenheit, sondern an der Zukunft orientieren. Da würde ich Ihnen zu 100 Prozent recht geben. Klimaschutz, Innovation, Arbeitsplätze – das muss der Maßstab sein, mit dem dann agiert wird. Und deswegen brauchen wir da ein Gesamtkonzept. Ich habe ja vorgeschlagen, dass wir es denen, die uns in der Krise so geholfen haben, den Pflegediensten, den Krankenhäusern, ermöglichen, jetzt direkt Elektrofahrzeuge anzuschaffen, und damit eben auch die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen sichern. Ich kann mir auch vorstellen, dass man moderne Antriebe noch weiter unterstützt, bis sie eine Marktreife erreichen. ({0}) – Okay, ich darf nicht so lange zu diesem Thema reden. – Da gibt es also Ideen. Die müssen aber noch genau ausgefeilt werden; denn sie müssen zielgerichtet sein und wirklich helfen und die Wirtschaft voranbringen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Saathoff?

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne, wenn ich darf, Herr Präsident. – Die Automobilindustrie und deren Zulieferindustrie sind ein ganz wichtiger Punkt in Deutschland, für mich, aus Niedersachsen kommend, noch mal besonders. Aber in Ostfriesland spielt auch der Tourismus eine Rolle, ein Wirtschaftszweig, der von der Coronakrise auch schwer betroffen ist. Ich würde Sie fragen wollen, Frau Ministerin: Wenn wir jetzt darüber nachdenken, wie wir die ökologische Transformation und die Coronahilfe in der Automobilindustrie sinnvoll miteinander verbinden, könnte man sich so was auch in anderen Branchen, zum Beispiel in der Tourismusindustrie, überlegen? Dort sind viele Unternehmen in ihrer Existenz betroffen und wissen nicht genau, wie es weitergehen soll. Ich persönlich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass es so etwas geben könnte wie Ökoreiseanreize, damit Menschen in Deutschland Urlaub machen und das besonders attraktiv finden.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, Sie benennen einen sehr wichtigen Punkt. Diese Krise ist eine andere als die Finanzkrise. Das, was wir nach der Finanzkrise gemacht haben, ist nicht einfach eins zu eins auf das zu übertragen, was wir jetzt tun müssen. Der Neustart muss jetzt anders aussehen. Und deswegen diskutieren wir im Moment in der Bundesregierung, wie so ein Konjunkturpaket aussehen muss, damit es wirklich denjenigen hilft, die jetzt ganz besonders betroffen sind. Das sind diesmal andere als nach der letzten Krise. Das ist der Tourismus, das ist in Teilen die Gastronomie, das sind aber auch viele Firmen in der Zulieferindustrie, in der Automobilbranche. Das muss also insgesamt ein zielgerichtetes, ein zeitlich befristetes, ein genaues Programm sein, das wir da entwickeln. Deswegen brauchen wir dazu im Moment noch etwas Zeit. Ideen sind aber sehr gerne gefragt. Ich gebe Ihnen recht: Es muss ein Gesamtprogramm sein statt einzelner, unverbundener Maßnahmen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Ralph Lenkert, Die Linke, hat dazu eine Frage.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie führten zu Recht aus, dass der öffentliche Personennahverkehr gefördert werden soll und dass es in der Automobilindustrie Schwierigkeiten gibt. Werden Sie gemeinsam mit den Herstellern von automobilen Fahrzeugen in Deutschland ein Konzept erarbeiten, das sowohl den Engpass zum Beispiel bei den Elektrobussen für die Kommunen als auch die Überkapazitäten im Pkw-Sektor zusammenbringt und das vorsehen müsste, dass es nur Geld gibt, wenn komplette Fertigungsstandorte umgerüstet werden auf die Produktion zum Beispiel von Elektrobussen, weg von Pkws, oder auf die Produktion von Straßenbahnen, damit wir den elektrifizierten öffentlichen Verkehr voranbringen, beispielsweise in Emden für Herrn Saathoff, in Zwickau für die Kollegen aus Sachsen oder in Eisenach für die Kollegen aus Thüringen?

Not found (Minister:in)

Herzlichen Dank für die Frage. – Erst mal ist es so, dass wir einen stärkeren Hochlauf bei der Fertigung von Elektrobussen in Deutschland brauchen. Da würde ich Ihnen absolut recht geben. Sowohl der Verkehrsminister als auch ich haben uns sehr geärgert, als wir ein großes Programm aufgelegt haben, damit die Kommunen Busse mit alternativen Antrieben anschaffen können, aber es nur sehr schwer möglich war, solche Busse von deutschen Herstellern zu bekommen. Das ist nicht schön zu sehen. Deswegen müssen wir auch für den Nutzfahrzeugbereich einen Neustart in einer Art und Weise haben, der auch solche sehr stark gefragten neuen Antriebe stärker fördert und es möglich macht, dass so was auch in Deutschland produziert wird. Das ist unser Ziel, und das halte ich auch für absolut notwendig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Dr. Rainer Kraft hat dazu eine weitere Frage.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, eine ganz kurze Frage, keine persönliche Wertung. Ich bin ein bisschen überrascht – auch heute Morgen im Umweltausschuss war ich es –, dass man über die Zukunft der Automobilbranche mit dem Umweltministerium redet. Waren denn auch das Wirtschaftsministerium und der Bundeswirtschaftsminister maßgebend in diese Besprechung mit eingebunden?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, die Schlüsselindustrie Automobilbranche wird von uns allen natürlich sehr, sehr ernst genommen. Deswegen sind in die Gespräche mit der Automobilindustrie und in das Gespräch, das mit der Kanzlerin stattgefunden hat, natürlich der Verkehrsminister, der Wirtschaftsminister, der Finanzminister und die Umweltministerin eingebunden. Viele Grenzwerte werden auf europäischer Ebene verhandelt. Das ist bei mir, im Umweltbereich. Deswegen ist es eine gemeinsame Aufgabe, die wir auch gemeinsam angehen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dann hat der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Die Linke, die nächste Frage.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin, erst mal für Ihre Geduld beim Argumentieren in Richtung der rechten Ecke. Das ist manchmal doch sehr hilfreich. ({0}) Davon abgesehen eine ergänzende Frage zum Themenkomplex Automobilindustrie, Stichwort „Kaufprämie bzw. Abwrackprämie“. Wir haben in der Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen, dass die Abwrackprämie durchaus kontraproduktiv gewesen ist für die Emissionen im Verkehrssektor, Stichwort „größere, verbrauchsstärkere Autos“. Deswegen wäre es aus unserer Sicht erstens unsozial, eine Abwrackprämie einzuführen, aber auch unökologisch, weil es viele falsche Kaufanreize setzen würde, insbesondere wenn man Diesel-Pkw und Benziner, wie es von der Autolobby gefordert wird, miteinbezieht. Deswegen unsere Frage: Wäre es nicht sinnvoll, anstelle einer Abwrackprämie andere Maßnahmen in Richtung einer Transformation des Automobilsektors vorzunehmen und zu fördern?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, vielen Dank für das Lob für die Geduld. Aber das hier ist der Bundestag; hier leben wir von dem guten Argument. Ich denke, das sollten wir alle gemeinsam weiter pflegen. Zur Frage der Abwrackprämie. Eine Abwrackprämie, wie wir sie 2009 hatten, kann es eins zu eins nicht wieder geben. Davon bin ich fest überzeugt. Es muss ein zielgerichtetes Programm geben, das hilft, den Neustart in der Automobilindustrie wirklich voranzubringen, und das demzufolge hilft, Fahrzeuge, die umweltfreundlich sind, die einen geringen CO2-Ausstoß oder am besten gar keinen haben, stärker auf den Markt zu bringen. Das ist nicht ganz trivial, wenn so viele Menschen, wie wir das im Moment erleben, in Kurzarbeit sind und über andere Dinge nachdenken als darüber, sich ein neues Auto anzuschaffen. Deswegen muss das, was wir vorhaben, wirklich zielgerichtet sein. Deswegen kann man nicht mal eben so einen Schnellschuss machen und sagen: Das ist es. – Vielmehr müssen wir uns das genau angucken: Wer kann eigentlich kaufen? Was würde wirklich helfen, einen Neustart zu unterstützen? Was hilft auch im internationalen Vergleich? Es muss auch europäisch miteinander abgestimmt werden. Das alles zusammen ist nicht ganz trivial. Deswegen wird das ausgearbeitet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage? – Keine Nachfrage. Dann hat der Kollege Carsten Träger eine Frage dazu.

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! – Liebe Frau Ministerin, gestern hat ja der mit Spannung erwartete Autogipfel stattgefunden. Ich habe sehr wohl verstanden, dass Sie angedeutet haben, dass keine Schnellschüsse produziert werden sollen, aber gleichwohl gab es sicherlich spannende Diskussionen. Meine Frage zielt darauf – wir sind ja quasi unter uns –: Was waren die Vorschläge, die auf dem Tisch lagen, und wie war Ihre Wahrnehmung, wie denn diese Vorschläge rezipiert worden sind? Können Sie uns im Rahmen des Zulässigen einige Antworten geben?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, es war wichtig, dass es diesen Austausch mit der Automobilindustrie und der Zulieferindustrie gestern gab. Kanzlerin und Vizekanzler haben aber schon vor den Gesprächen sehr, sehr deutlich gemacht, dass hier keine schnellen Entscheidungen getroffen werden. Deswegen ging es zunächst erst einmal darum, dass die Automobilindustrie dargestellt hat, wie im Moment die Situation ist, wie viele Menschen in Kurzarbeit sind, was weiter geplant ist, wie die Situation der Zulieferindustrie aussieht, ob sie sozusagen Teile von außen noch bekommen. Diese ganzen Fragen standen erst mal im Mittelpunkt. Zum Zweiten stand im Mittelpunkt, was die Perspektive sein könnte, also was helfen könnte. Es gab noch nicht so viele konkrete Vorschläge, sondern die Vereinbarung war, dass wir jetzt in einer kleinen Arbeitsgruppe zielgerichtete Maßnahmen entwickeln. Es ist aber vollkommen klar, dass die Ziele bleiben. Wir wollen 2030  7 bis 10 Millionen Elektrofahrzeuge haben. Wir wollen in Deutschland mit der Automobilindustrie die CO2-Grenzwerte der EU einhalten. Diese beiden Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die Maßnahmen müssen dazu passen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Eberhard Brecht hat die nächste Frage zu diesem Thema.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, als begeisterter Elektromobilist darf ich Sie nach dem Gesetzentwurf zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur fragen, den wir zurzeit in der Beratung haben. Ich begrüße es außerordentlich, dass wir alle inzwischen die Erkenntnis gewonnen haben, dass es nicht nur um die Ladeinfrastruktur an Tankstellen geht, sondern um wohnortnahe Lademöglichkeiten. Ich habe dem Gesetzentwurf nicht ganz entnehmen können, wie man sich das zukünftig vorzustellen hat. Im Gesetzentwurf gibt es eine Unterscheidung nach der Größenordnung der Gebäude oder danach, ob saniert oder Neubau. Wenn wir aber einen Eigentümer verpflichten, eine Ladeinfrastruktur vorzuhalten, stellt sich die Frage, um welche Form der Ladeinfrastruktur es sich handelt. Wir haben den Tesla-Supercharger, den Typ-2-Stecker, CHAdeMO, CCS und vieles andere. Wollen wir – das ist im Gesetz nicht klar geregelt – die Gebäudebesitzer dazu verpflichten, alle diese Typen vorzuhalten? Oder soll nur einer angeboten werden? In diesem Fall müsste sich der Mieter jeweils nach dem Ladesystem des Wohneigentümers richten.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, das Gesetz aus dem Justizministerium ist eines, das wir lange erwartet haben, das nicht ganz einfach zu erarbeiten war. Der Kern dieses Gesetzes ist, dass erreicht werden soll, dass zu Hause geladen werden kann, weil wir wissen, dass Elektrofahrzeuge oft zu Hause oder am Arbeitsplatz geladen werden. Und diese Infrastruktur müssen wir zur Verfügung stellen. Da gab es gerade in Mietwohnungen und Häusern, die mehreren gemeinsam gehören, Schwierigkeiten. Und um hier Regeln zu haben und um es zu schaffen, dass auch da geladen werden kann, dazu setzt das Gesetz den richtigen Rahmen. Ich glaube, das ist wichtig. Es geht, wie Sie richtig gesagt haben, nicht nur um öffentliche Ladeinfrastruktur – Tankstellen –, sondern es muss auch möglich sein, zu Hause zu laden. Die Hindernisse, die im Moment noch da sind, wollen wir mit diesem Gesetzentwurf möglichst beseitigen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Christoph Hoffmann hat die nächste Frage dazu.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, vielen Dank für das Wort. – Frau Ministerin, ich habe eine Frage. In der Coronakrise erleben wir, dass die wichtigsten Ausbreitungsorte für das Virus immer dort sind, wo sehr viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen: zum Beispiel in den Fankurven der Fußballstadien oder in den Diskos usw. Wenn man das konsequent zu Ende denkt, muss man auch sehen, dass die Stehplätze in Bussen und Bahnen, im öffentlichen Nahverkehr, oft ähnliche Phänomene aufweisen. Die Frage ist, ob sich das Kabinett oder ob Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht haben, wie das reguliert werden soll, ob das überhaupt reguliert werden sollte und ob das auch Folgen hat für die weitere Planung des Verkehrs. ({0}) Denn die Menschen tendieren natürlich in solchen Zeiten, um sich selbst zu schützen, eher zu einem Individualverkehr; denn da sind sie sicher. Haben Sie da irgendwie schon über Konsequenzen nachgedacht?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin.

Not found (Minister:in)

Bus und Bahn, also der öffentliche Personennahverkehr, ist Thema gerade aktuell in der noch laufenden Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin, war aber auch beim letzten Mal schon Thema. Daraufhin haben ja viele Länder die Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr eingeführt, Nordrhein-Westfalen auch im Fernverkehr. Die Antwort darauf ist, dass möglichst jeder, der einen Bus benutzt, der im öffentlichen Verkehr unterwegs ist, eine Maske aufhat und damit die anderen vor einer möglichen Ansteckung schützt. Ich glaube, dass das eine gute Lösung ist. Das wird aber heute noch mit den Ministerpräsidenten weiter diskutiert. Maske und Maskenpflicht nicht nur beim Einkaufen, sondern auch im öffentlichen Personennahverkehr ist im Moment die Antwort der Wahl. Mein eigenes Erleben selbst bei langen Zugfahrten, also von Nordrhein-Westfalen nach Berlin, ist: Es haben fast alle schon eine Maske auf und empfinden das auch als Teil einer neuen Normalität, an die wir uns wahrscheinlich noch für längere Zeit gewöhnen müssen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ganz kleine Nachfrage noch. Es geht mir vor allem auch um die Stehplätze. Wenn Sie morgens im Zug sind, die Schüler mittransportiert werden usw., dann sehen Sie, dass alle Stehplätze belegt sind. Die Frage ist: Was machen wir mit den Stehplätzen?

Not found (Minister:in)

Ich glaube, dass es sehr schwer ist, darauf zentral, bundesweit eine Antwort zu geben. Es gibt viele lokale Antworten. Ich habe es in meiner Heimatstadt Münster erlebt: Dort, wo sehr starkes Verkehrsaufkommen war, ist man einfach mit zwei Bussen gefahren, also zwei Busse der gleichen Linie hintereinander weg, um eben eine Entzerrung zu ermöglichen. Aber das ist eine Lösung, die in einer Stadt gefunden wurde. Ich glaube, das muss jeweils regional beantwortet werden. Eine gute Möglichkeit ist eben, Masken zu tragen und mit diesen Masken die anderen vor sich zu schützen. Andere Antworten müssen, glaube ich, lokal, regional gefunden werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Bettina Hoffmann, Bündnis 90/Die Grünen, hat dazu eine Frage.

Dr. Bettina Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In den Fragen vorher wurde klar: Es besteht ja ein großer Bedarf an Hilfe und Unterstützung in allen Branchen, und es gibt auch eine Reihe von Begehrlichkeiten; das eine muss man vom anderen vielleicht unterscheiden. Sie sagen zu Recht: Konjunkturhilfen müssen zielgerichtet sein und der Nachhaltigkeit dienen. – Mir ist es ganz besonders wichtig, dass wir sehr konkrete Nachhaltigkeitskriterien anlegen. In der EU gibt es ja dazu schon seit einigen Jahren einen Prozess, die Taxonomie, um solche Sachen wirklich konkret zu beschreiben. Bevor jetzt derjenige bedient wird, der am lautesten schreit, möchte ich Sie bitten, doch diese Nachhaltigkeitskriterien zu entwickeln und uns auch transparent zu machen. Daher meine Frage: Legen Sie uns einen Katalog von Kriterien vor, anhand dessen alle Konjunkturmaßnahmen auch bewertet werden?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, natürlich müssen wir darauf achten, dass die Maßnahmen, die wir im Rahmen eines Konjunkturpaketes ergreifen, wirklich helfen, den Neustart hinzubekommen, dass sie nachhaltig sind, also auch auf Klimaschutz einzahlen, und dass sie auch helfen, Jobs zu sichern. Wir sind gerade dabei, so ein Paket zu entwickeln. Aber, ehrlich gesagt, wir sind noch in der Krise. Wir sind da noch nicht raus. Wir sind auch noch sehr stark damit beschäftigt, das, was es an ganz aktuellen Dingen gibt, abwickeln zu können. Deswegen haben wir jetzt noch keinen fertigen Katalog. Wir arbeiten im Moment sehr intensiv daran – vor allen Dingen das Finanzministerium –, ein Konjunkturpaket zusammenzubekommen. Aber ich gebe Ihnen erst mal absolut recht: Was wir auf der europäischen Ebene mit dem Taxonomie-Prozess angestoßen haben oder was wir auf Bundesebene mit Sustainable Finance und dem Beirat, den wir dazu zusammengestellt haben, diskutieren, das ist ein wichtiger Prozess, der uns Orientierung gibt, wie solche Hilfen aufgebaut sein können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Dr. Bettina Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, eine Nachfrage dazu, bitte. – Ich unterstütze es, dass man solche Kriterien mit Sorgfalt erarbeitet. Aber meine Frage ist: Wie wollen Sie verhindern, dass Entscheidungen – Beispiel: Automobilindustrie – getroffen werden, bevor Sie die Nachhaltigkeitskriterien definiert haben?

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, ich glaube, dass es in dieser Phase darauf ankommt, dass wir ein Programm zusammenbekommen, das schnell hilft und das trotzdem auf die Zukunft einzahlt und nicht die Vergangenheit zementiert. Deswegen beschäftigen wir uns im Moment nicht so stark damit, grundsätzliche Maßgaben für Krisen zu entwickeln, sondern mit den ganz konkreten Programmen. Wir werden bei jedem einzelnen Programm überprüfen müssen: Zahlt das wirklich auf die Zukunft ein? Es wird auch nicht alles nur mit Klimaschutz in Verbindung gebracht werden. Wir lernen in dieser Krise, wie wichtig unser Gesundheitssystem ist und was wir vielleicht im Gesundheitssystem auch noch verbessern können, um es resilienter, krisenfester, zu machen. Auch solche Dinge werden berücksichtigt werden müssen. Das ist, glaube ich, eine der Lessons Learned, die wir gerade alle erleben. Deswegen werden wir wahrscheinlich auch solche Fragen in einem Konjunkturpaket, in einem Programm mitdiskutieren. Ich glaube, das Paket insgesamt muss ausgewogen sein und auf Nachhaltigkeit einzahlen. Das ist das, was mir jedenfalls vorschwebt und wofür ich mich einsetze.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich bin ja seit einigen Tagen oder Wochen verwundert, wie wenig wir weltweit darüber diskutieren, wie wir eigentlich in diesen Shutdown, in diese Pandemie hineingeraten sind, was der Ursprung derselben ist. Es gibt zwar nach wie vor keine absolut gesicherten Erkenntnisse darüber, aber die Wissenschaft geht mehrheitlich davon aus, dass Wildtiere der Zwischenwirt gewesen sind für die Übertragung zum Menschen; eine andere Theorie ist, dass es möglicherweise der Marderhund war. Deshalb möchte ich Sie konkret fragen, was Sie, was das Bundesministerium für Umwelt, was die Bundesregierung getan hat, um den Wildtierhandel nach Deutschland einzudämmen, zu verbieten, zu unterbinden, um die Gesundheitsrisiken aus diesem Bereich zu minimieren. Wenn ich mir die Zahlen von Eurostat angucke: Zwischen 2014 und 2018 importierte Deutschland mehr als 1,3 Millionen lebende Reptilien aus aller Welt für den hiesigen Heimtiermarkt; davon kamen über 350 000 aus China. Was ist getan worden seit dem Ausbruch der Pandemie, um das einzudämmen? ({0})

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, erst mal gebe ich Ihnen absolut recht: Es ist ganz wichtig, dass wir auch die Ursachen von solchen Pandemien genau analysieren. Deswegen habe ich ja gemeinsam mit Herrn Professor Settele eine Information für die Öffentlichkeit zu diesem Themenfeld gemacht, und wir haben genauer erläutert: Wo kommt das eigentlich her? Was sind Ursachen von solchen Zoonosen? Deswegen ist ganz zentral: Wir müssen an diese Ursachen ran. Die Menschen rücken den Tieren viel zu nah. Wir brauchen mehr Lebensraum für Tiere. Wir müssen die Biodiversität endlich ernst nehmen und den Schutz von Wildnis, da, wo wir sie überhaupt noch haben, ermöglichen. Deswegen ist die Biodiversität so wichtig. Deswegen legen wir so viel Wert darauf, dass wir möglichst in unserer Ratspräsidentschaft eine EU-Biodiversitätsstrategie auf den Weg bringen können. Denn das sichert erst mal Lebensräume. Ich gebe Ihnen aber absolut recht, dass es ganz zentral ist, dass wir den Handel mit Wildtieren unterbinden. Leider ist nicht der legale Handel im Moment das riesige Problem, sondern der illegale Handel. Es findet viel zu viel illegal statt. Da müssen wir stärker werden. Da müssen wir mithilfe der Polizei verstärkt in der Lage sein, so was einzugrenzen. Das ist jedenfalls das Ziel, das wir haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte. – Die Zahlen, die ich eben genannt habe, sind die Zahlen für den legalen Handel. Das heißt, pro Jahr kommen bis zu 100 000 lebende Reptilien aus China nach Deutschland. Meine Frage richtete sich darauf, was Sie unternehmen, um das zu unterbinden. Ich habe gar nicht über den illegalen Handel geredet. Das wäre der nächste Bereich. Aber erst mal müssen wir ja den legalen eindämmen.

Not found (Minister:in)

Für den legalen Handel müssen wir das international regeln. Deswegen haben wir im Rahmen von CITES Initiativen gestartet, um diesen internationalen Handel einzudämmen. Wir können ihn nicht komplett verbieten, weil das auch ein wichtiger Bereich zum Beispiel für Artenschutzprogramme ist. Sie wären sonst nicht mehr möglich. Wir müssen aber insgesamt den Handel eindämmen. Deswegen ist das etwas, was wir auf der internationalen Ebene schon seit längerer Zeit im Rahmen von CITES vorantreiben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Renate Künast hat dazu eine Frage.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich würde gerne das Themenfeld etwas über Ihre Zuständigkeiten hinaus erweitern. Es geht nämlich um die Frage: Reden Sie mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium? Haben Sie auch dazu etwas vereinbart, wie in der Frage der Zoonosen vorgegangen werden soll? Warum frage ich? Weil es zwei Verursachungsüberlegungen, ‑vermutungen gibt. Die eine ist: vom Wildtier direkt auf den Menschen. Die andere betrifft die Massentierhaltung zum Beispiel von Pelztieren. Frau Lemke hat gerade den Marderhund genannt. Die entsprechenden Anlagen werden in China im Augenblick stark abgeriegelt und polizeilich kontrolliert, weil man den starken Verdacht hat: Da könnte es auch herkommen. Deshalb frage ich: Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang hinsichtlich Forschung, Untersuchung und auch Schutz ergreifen, hierzulande und auch bezüglich der Importe, die hierherkommen? Das ist nicht nur Ihr Beritt, sondern auch der der Bundeslandwirtschaftsministerin, die sich dann beim Thema Massentierhaltung bei bestimmten Tierarten bewegen müsste.

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, natürlich sind wir auch mit dem Landwirtschaftsministerium darüber in der Diskussion und wissen, dass wir auch in Deutschland die Forschung zu diesem Themenfeld noch mal verstärken müssen. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Ich habe den Weltbiodiversitätsrat, der ja dazu schon im letzten Bericht erste Hinweise hatte, gebeten, das weiter zu vertiefen, weil ich glaube, dass es sehr sinnvoll ist, da international vernetzt zu arbeiten. Man merkt, dass so ein Virus nicht an den Grenzen haltmacht. Deswegen ist da internationale Kooperation unglaublich wichtig. Der Weltbiodiversitätsrat hat darauf sehr positiv reagiert. Deswegen hoffe ich, dass wir auch da gemeinsame Initiativen voranbringen können.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut, dass Sie das international angesprochen haben! Die Devise heißt ja immer: global denken, lokal handeln. – Deshalb wiederhole ich noch mal präzise: Gibt es zwischen Ihnen und dem Landwirtschaftsministerium konkret vereinbarte Maßnahmen? Liefert das Landwirtschaftsministerium Maßnahmen, wenn es da zum Beispiel – meinetwegen auch hierzulande – um Pelztiere und andere Tiere, die Pelze haben, aber ansonsten verzehrt werden, geht? Das könnte ja auch eine Quelle sein, an der sich so ein Virus hält, das dann später weiter ausbricht. Das müssen wir auf diese Pandemie bezogen, aber auch im Hinblick auf zukünftige Epidemien und Pandemien im Blick haben. Denn wir wissen ja: Nach dieser Pandemie ist wahrscheinlich vor der nächsten. – Also: Was macht das Landwirtschaftsministerium konkret?

Not found (Minister:in)

Erst mal ist es vollkommen richtig, was Sie sagen: Es ist wissenschaftlich belegt, dass ein großer Teil der Pandemien seinen Ursprung im Tierreich hatte und dass es ein Überschreiten der Grenze von Tieren zu Menschen gab. Deswegen sind wir auch mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium in der Diskussion. Wir haben aber noch keine konkreten Ergebnisse.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt muss ich mal fragen. ({0}) – Langsam, Herr Köhler. Wenn Sie das Wort haben sollen, kriegen Sie es. – Im Moment möchte ich den Kollegen Jung fragen: Wollen Sie auch zu diesem Thema fragen? – Auch dazu. Dann sind Sie der Nächste.

Dr. Christian Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004769, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, ich bin jetzt ein bisschen verwirrt, weil die Grünen über Wildtierhandel sprechen. Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland mehr interessiert, wie es jetzt bei uns weitergeht im alltäglichen Leben. Die Sache, die Sie angesprochen haben – auch als Sie über das Gesundheitswesen gesprochen haben –, ist ja sicherlich, wie wir jetzt wieder neu starten können und wie die Bundesregierung jetzt zum Beispiel im App-Bereich mit den Mitteln der Digitalisierung versucht, dass wir wieder ein normales Leben beginnen können. Wie ist da der aktuelle Stand? Da ist Deutschland ja durchaus sehr weit hinten. Deutschland ist jetzt nicht so schnell, wenn es zum Beispiel darum geht, mithilfe einer App zur Normalität zurückzufinden.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich habe die Fragen eben so verstanden, dass es darum ging, auch die Ursachen dieser Pandemie zu thematisieren. Ich halte das zwar nicht für akut wichtig; ich glaube aber, dass es im Hinblick darauf wichtig ist, zukünftige Pandemien möglichst zu vermeiden. Insofern ist die Frage, woher denn dieser Virus kommt und wie sich das zukünftig vermeiden lässt, eine ganz wichtige. Ja, wir arbeiten in der Bundesregierung auch an einer App. Das passiert ganz konkret im Gesundheitsministerium. Ich kann Ihnen den ganz aktuellen Stand jetzt nicht aus dem Stegreif sagen; aber es wird daran gearbeitet. Wir versuchen, schnellstmöglich so eine App zu haben, weil sie es natürlich ermöglichen würde, die Lockerungen, die wir jetzt wahrscheinlich aus der Ministerpräsidentenkonferenz hören werden – sie tagt ja noch, aber wahrscheinlich geht es in diese Richtung –, zu begleiten und im Falle einer Infektion genauer nachzuverfolgen, mit wem die infizierte Person Kontakt hatte. Und darum geht es uns ja: möglichst schnell nachzuweisen, mit wem diese Person Kontakt hatte, diese Menschen zu isolieren – ich weiß, ich rede zu lang, sorry – und damit zu gewährleisten, dass sie keine weiteren Personen anstecken.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Frau Kollegin Stumpp, jetzt sind Sie dran, und dann der Kollege Köhler.

Margit Stumpp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004909, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, vielen Dank fürs Wort. – Ich bin ebenfalls der Meinung, Frau Ministerin, dass die Menschen durchaus auch an der Ursachenforschung interessiert sind. Deswegen möchte ich noch mal auf die Fragestellung der Kollegin Lemke zurückkommen. Ich habe Ihrer Äußerung entnommen, dass Sie uns durchaus beipflichten, dass der Handel von Wildtieren sowohl im illegalen als auch im legalen Bereich eingedämmt werden soll. Was Sie jetzt aber nicht beantwortet haben, war die Frage: Planen Sie überhaupt Maßnahmen, um den legalen und illegalen Handel speziell auch aus China einzudämmen, und, wenn ja, welche Maßnahmen planen Sie, und was ist der Zeithorizont für diese Maßnahmen?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, noch mal vielen Dank für die Nachfrage. – Was wir im Moment ganz konkret machen, ist, im Rahmen von CITES, also im Rahmen der internationalen Möglichkeiten, zu versuchen, nationale Märkte für solche Tiere zu schließen, die eben nicht mehr gehandelt werden dürfen, also so was wie das Schuppentier. ({0}) Das kriegen wir nur gemeinsam hin, indem wir in einem internationalen Abkommen miteinander ganz konkret vereinbaren, dass solche Tiere eben international nicht mehr gehandelt werden dürfen. – Das ist der eine Teil, den wir international tun. Der zweite Teil ist: Wir müssen dem illegalen Handel unbedingt noch mehr begegnen. Das können nur polizeiliche Maßnahmen sein, weil es sich da eben um Illegalität handelt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Lukas Köhler.

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen herzlichen Dank fürs Wort. – Frau Ministerin, nur zu den Fragen von Frau Kollegin Lemke, weil ich jetzt ein bisschen verwirrt bin. Wir hatten zum einen über den Ursprung der Pandemie gesprochen, über die Zoonose, über die Übertragung von Tier auf Mensch, und dann über den Wildtierhandel. Ich bin leicht verwirrt. Haben Sie neue Erkenntnisse, dass das Coronavirus über den Wildtierhandel nach Deutschland gekommen wäre? Das würde mich sehr verwundern, und es wäre das erste Mal, dass ich davon gehört hätte. Nur dass hier keine falschen Informationen verbreitet werden! ({0})

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir sind über die Frage, woher solche Pandemien kommen – und das ist der Übergang von Tieren auf Menschen –, zu der Frage gekommen: Wo kommt eigentlich dieser Handel mit den Wildtieren her, ({0}) der ja auch dafür sorgt, dass in die Wildnis eingegriffen wird, dass solche Tiere aus der Wildnis geholt und gehandelt werden. Ich glaube, dass das ein wichtiger Punkt ist, den wir jetzt gerade hier im Zusammenhang mit Corona diskutiert haben. Was ansonsten die Ursachen von Corona waren, wie es also ganz genau in China ausgebrochen ist, wer genau die Person eins war, die es hatte, und was die exakten Wege waren, das kann heute noch niemand ganz exakt sagen. Die Forschungen dazu laufen; aber die Wissenschaft wird noch etwas Zeit brauchen, um dem genauer auf die Spur zu kommen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Johannes Huber, AfD, hat die nächste Frage.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Ich habe mich eigentlich vorhin wegen der Frage des Kollegen bezüglich der Corona-App gemeldet. Da war Ihre Aussage, Frau Ministerin, eine solche App würde helfen, die Wirtschaft wieder aufzumachen, die Beschränkungen zu lockern. Da möchte ich schon noch mal nachfragen, ob Sie wirklich auch der Meinung sind, dass diese App notwendig ist, und – anders gefragt – ob es ohne diese App keine weiteren Lockerungen gäbe.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ich habe eben ausgeführt, dass ich so eine App für sehr sinnvoll halten würde, weil wir über eine App stärker nachvollziehen können, mit wem infizierte Personen Kontakt hatten, und dies eben ermöglichen würde, eine Weiterverbreitung des Virus schneller einzudämmen. Das halte ich für sehr wichtig. Wir sehen, dass jetzt wahrscheinlich weitere Lockerungen kommen werden. Wenn wir diese Lockerungen haben, ist es umso wichtiger, dass wir, wenn jemand infiziert ist, schnell dafür sorgen können, dass er oder sie in Quarantäne kommt und möglichst keine weiteren Personen ansteckt, damit wir eine sehr schnelle Verbreitung des Virus, wie wir sie beim Ausbruch der Krise erlebt haben – das Virus ist von Österreich, aus einem Feriengebiet, hier nach Deutschland gekommen und hat sich dann sehr schnell verbreitet –, möglichst eindämmen. Und ich habe gesagt, dass eine App da sehr helfen kann. Wir wollen das freiwillig tun; niemand – um das noch mal klarzustellen – muss die App verwenden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Oliver Luksic, FDP.

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Thema Stahlindustrie. Sie waren im Januar zu Gast im Saarland. Sie wissen, dass dort große Investitionsentscheidungen anstehen. Sie haben eine ganze Reihe Andeutungen gemacht, wie die Bundesregierung entsprechend unterstützen könnte. Nun will die EU die Klimaziele teilweise verschärfen. Daher ist meine Frage, wie Ihre Position hierzu ist und was Sie ganz konkret machen wollen, um Carbon Leakage zu verhindern. Sie haben Investitionen in bestimmte Technologien angeregt. Es ist aber eindeutig so, dass es entweder zu einem verstärkten Wettbewerbsdruck aus dem Ausland oder zu einer Verlagerung der Vorproduktion verschiedener Güter ins Ausland kommt. Welche Konsequenz ziehen Sie daraus? Was wollen Sie als Bundesumweltministerin tun, damit die Arbeitsplätze in der Stahlindustrie erhalten bleiben können?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, in der Kürze der Zeit drei Punkte dazu. Ich habe das Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien in Cottbus gegründet – das hat mir der Bundestag dankenswerterweise ermöglicht –, das das Programm zur Dekarbonisierung verwaltet. Wir diskutieren konkret darüber, wie man unterstützen kann, damit das, was als Modell schon vorhanden ist, in die Realität umgesetzt werden kann, also weg von den Demonstratoren und hin dazu, Anlagen tatsächlich aufzubauen. Grüner Wasserstoff spielt hier eine sehr wichtige Rolle. Ich habe im Zusammenhang mit Wasserstoff vorgeschlagen, sich für „carbon contracts for difference“ auszusprechen, um der Stahl- und Chemieindustrie zu helfen, da die Produktion von nachhaltigem Stahl teurer ist als die von Stahl, der nicht nachhaltig hergestellt wird. Diese Punkte sind in engem Dialog mit der Stahlindustrie entstanden. Es gibt konkret ein laufendes Programm zur Dekarbonisierung. Das Know-how wird im Kompetenzzentrum gesammelt. Ich hoffe, dass wir auch von europäischer Ebene weitere Unterstützung bekommen werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage, Herr Kollege?

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Ich würde gerne konkret nachfragen zum einen zur geplanten Erhöhung des Klimaziels der EU von 40 Prozent auf 50 Prozent CO2-Reduktion bis 2030: Wie ist hierzu die Position Ihres Hauses? Sie haben das Thema „Grüner Wasserstoff“ angesprochen. Es gibt zum einen die Investitionskosten, die für ganz Deutschland auf 35 bis 40 Milliarden Euro geschätzt werden. Gibt es Überlegungen in Ihrem Haus, hier entsprechend zu unterstützen? Zum Zweiten: Wie sieht es mit den Betriebskosten aus, die sehr viel höher sind? Es besteht also weiterhin das Problem des Carbon Leakage. Wie wollen Sie sich angesichts der anstehenden großen Investitionsentscheidungen positionieren?

Not found (Minister:in)

Ich fange mit der ersten der drei Fragen an. Zum Klimaziel: Ich stehe zu dem, was wir im Koalitionsvertrag und im Klimaschutzgesetz vereinbart haben. Wir haben gesagt: Wir wollen 2050 treibhausgasneutral sein. Das wollen wir auch auf europäischer Ebene. Das heißt, das europäische Ziel kann 2030 nicht bei 40 Prozent CO2-Reduktion bleiben; denn dann müssten wir in den letzten 20 Jahren den überwiegenden Teil erbringen. Das ist nicht realistisch. Deswegen unterstütze ich die Kanzlerin, die auf dem Petersberger Klimadialog ganz klar gesagt hat: 50 oder 55 Prozent CO2-Reduktion, wie es die Kommission vorgeschlagen hat, ist der richtige Weg, auch für die europäische Ebene. Das müssen wir in der EU-Ratspräsidentschaft voranbringen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, das EU-Klimaschutzgesetz, in dem dieses Ziel festgelegt werden soll, voranzubringen. Ich habe sieben Sekunden für den Rest. Es gibt ein Programm, und dieses Programm läuft. Wir haben die ersten Projekte mit der Industrie auf den Weg gebracht. Mir ist bewusst, was das alles kostet, und genau deshalb sind wir in einem intensiven Dialog und haben die ersten Unterstützungsprogramme der Bundesregierung auf den Weg gebracht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Marc Bernhard, AfD.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, Sie haben vorhin ausgeführt, dass Wetterphänomene, zum Beispiel der Sand aus der Sahara, dazu geführt hätten, dass der Stickstoffdioxidgehalt in Deutschland gestiegen ist. Können Sie mir erklären, wie aus Saharasand Stickstoffdioxid wird? Das ist meine erste Frage. Sie hatten zum anderen gesagt: Wenn der Jahresmittelwert den Grenzwert überschreitet, dann muss es zu Fahrverboten kommen. Würden Sie mir nicht eher zustimmen, dass Fahrverbote nur dann sinnvoll sind, wenn der Autoverkehr auch Ursache für die Überschreitung des Grenzwertes ist? Die aktuellen Zahlen zeigen, dass es trotz sechswöchigem Shutdown zu keiner signifikanten Änderung beim Stickstoffdioxidgehalt gekommen ist. Damit ist eigentlich nachgewiesen, dass der Autoverkehr nicht ursächlich ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Minister.

Not found (Minister:in)

Herr Präsident. – Diese Frage hatten wir eben schon einmal. Vielleicht habe ich aufgrund der kurzen Antwortzeit nicht genau genug auseinandergehalten, dass es zum einen um Feinstaub und zum anderen um Stickstoffdioxid geht. Beim Feinstaub spielen Sände, die über die Luft transportiert werden, durchaus eine Rolle. In Bezug auf Stickstoffdioxid ist durch Studien aus zwei Bundesländern sehr klar nachgewiesen, dass eine Reduktion des Verkehrs zu einer Reduktion von Stickstoffdioxid führt. Ich kann nur wiederholen, was Sie von mir heute Morgen im Ausschuss und vorhin in einer Antwort auf eine Frage gehört haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage?

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Welche Länderstudien sind das denn? Die Zahlen der Europäischen Umweltagentur, auf die Sie verweisen, sagen genau das Gegenteil: keine signifikante Veränderung bei allen 99 erfassten Messstationen in Deutschland. Das sind die Zahlen, die Ihr Ministerium auf meine Nachfrage, woher diese kommen, genannt hat, und sie zeigen: Es gibt keine Veränderungen. – Welche Studien sind das, die das angeblich zeigen sollen? – Danke.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, auch das habe ich ausgeführt, führe es aber gerne noch einmal aus. Hessen und Niedersachsen sind bisher die Bundesländer, die exakte Auswertungen von einzelnen Standorten durchgeführt haben. Dort ist das klar nachgewiesen. Normalerweise werden die Jahresmittelwerte für die Auswertung herangezogen und nicht Einzelauswertungen für wenige Wochen oder Monate vorgenommen, weil nur der Jahresmittelwert relevant ist. Aus Hessen und Niedersachsen haben wir aber Auswertungen über mehrere Stationen über die letzten Wochen bekommen, und dort ist das ganz klar nachgewiesen. An diesen Fakten kommen Sie einfach nicht vorbei.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die letzten Fragen in dieser Regierungsbefragung stellt die Kollegin Lisa Badum, Bündnis 90/Die Grünen.

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte zum Green Deal, zur gemeinsamen Bekämpfung von Corona- und Klimakrise zurückkommen. Ich unterstütze Ihre Forderungen in diesem Zusammenhang sehr. Sie haben speziell in Bezug auf die Lufthansa gesagt, dass mögliche Hilfen an Klimakriterien, Umweltkriterien geknüpft sein müssen. Als Beispiel haben Sie Quoten für Grünen Wasserstoff oder auch die Einstellung von Kurzstreckenflügen zugunsten der Deutschen Bahn genannt. Nun stehen Sie nicht direkt in Verhandlung mit der Lufthansa, sondern das BMWi. Von daher die Frage: Wie genau sind Sie eingebunden, und welche Ihrer Forderungen teilt das Bundeswirtschaftsministerium?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, vielen Dank für die Frage. Es verhandelt nicht nur das BMWi. Natürlich ist auch der Bundesfinanzminister dabei, von dem Sie bereits wissen, dass ökologische Nachhaltigkeit für ihn sehr wichtig ist. Ich bin mir sicher, dass die gesamte Bundesregierung das Klimaschutzgesetz noch in Erinnerung hat – es waren keine ganz einfachen Verhandlungen und Entscheidungen – und dass alle wissen, welche Ziele wir 2030 und 2050 erreichen müssen. Das Thema Nachhaltigkeit ist im Konjunkturprogramm, auch was die Unterstützung der Luftfahrtindustrie anbelangt, fest verankert. Wir sehen, dass unsere Nachbarländer Frankreich und Österreich entsprechende Vorgaben gemacht haben. Wir sind also in guter Gesellschaft. Ich stehe zu meiner Forderung. Ich finde es richtig, Vorgaben zu Beimischungsquoten bei Kerosin zu machen. Wenn die Luftfahrtindustrie Unterstützung braucht – das braucht sie –, dann müssen an die Gewährung auch gesellschaftliche Erwartungen geknüpft werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne. – Frau Ministerin, Ihre Absicht ist wirklich sehr ehrenwert. Was ich schade finde, ist, dass Sie keine konkrete Antwort auf meine Frage geben können. Meine Befürchtung ist, dass trotz Ihrer sehr guten Forderung, die wir Grünen unterstützen, die Verhandlungen letzten Endes weiterhin im Hinterzimmer geführt werden, dass am Ende des Tages Steuergelder ohne Klimakriterien, ohne Umweltauflagen vergeben werden, dass Bürgerinnen und Bürger, die selbst in Existenznot sind, keine Mitsprache haben, was mit den Milliarden passiert. Können Sie ausschließen, dass es zu einem Hinterzimmerdeal kommen wird und sich die Lufthansa nicht an Klimakriterien halten muss?

Not found (Minister:in)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, es gibt hier keine Hinterzimmerdeals, sondern wir verhandeln im Moment, wie wir der Wirtschaft zu einem Neustart verhelfen können. Das muss ein zielgerichtetes Programm sein, das muss abgewogen sein, das wird in der gesamten Bundesregierung diskutiert und wird dann vorgelegt werden. Das ist das normale Verfahren: Wir entwickeln etwas und legen es dann vor. Dass wir eine Unterstützung der Industrie jetzt brauchen, ist, glaube ich, vollkommen unumstritten. Wir brauchen doch den Neustart jetzt. Wir brauchen einen ökologischen, einen nachhaltigen Neustart; das ist inzwischen allen klar. Deswegen müssen diese Kriterien eingehalten werden. Wie das ganz exakt aussehen wird, das kann ich Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Wir werden noch etwas Zeit brauchen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung. Ich bedanke mich bei der Frau Bundesministerin. Ich muss den Kollegen Lenkert trösten. Ich habe alle Kollegen, die sich zu Fragen gemeldet haben, mindestens einmal aufgerufen; aber jetzt ist die Zeit für die Befragung vorüber. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Strafrecht ist das schärfste Schwert unseres Rechtsstaats, und wir nutzen es immer nur dann als Ultima Ratio, wenn wichtige, sehr wichtige Belange unseres Zusammenlebens es zwingend erfordern und genau darum geht es bei unserem Gesetzentwurf, den ich heute einbringe. Es geht um zwei Verhaltensweisen, die mit unserer Werteordnung schlechthin unvereinbar sind und die wir deshalb unter Strafe stellen wollen. Wir erleben es immer häufiger: Menschen verunglücken, Menschen sterben, und andere zücken ihre Kamera oder ihr Handy, um Fotoaufnahmen von ihnen zu machen. ({0}) Da wird fotografiert, das Foto wird unter Umständen ins Netz gestellt, es wird geteilt, es wird gelikt. Bislang stand dieses Verhalten nur dann unter Strafe, wenn der Verletzte ein lebendes Unfallopfer war. Lebende Unfallopfer zu fotografieren und diese Fotos zu verbreiten, steht schon unter Strafe. Das Fotografieren von Verstorbenen hingegen ist bis heute straffrei, und das darf nicht länger so bleiben. ({1}) Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert. Wer aus Sensationsgier Tote fotografiert, wer solche Bilder teilt, tritt das Persönlichkeitsrecht mit Füßen und – vor allen Dingen – fügt Angehörigen unglaubliches Leid zu. Er gefährdet womöglich auch Rettungsmaßnahmen. Deswegen soll derjenige künftig genauso bestraft werden wie der, der lebende Unfallopfer fotografiert, nämlich mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe. Meine Damen und Herren, das ist gerecht, das schreckt ab, und das unterstreicht: Hier geschieht schweres Unrecht. Ich komme zum zweiten Punkt des Gesetzentwurfs. Auch dabei spielen Fotohandys und diejenigen, die sie benutzen, eine Rolle – eine widerliche Rolle sogar! Es geht nämlich darum, dass voyeuristische Fotos gemacht werden. Da wird unter den Rock, unter das Kleid oder in den Ausschnitt fotografiert: meistens heimlich und meistens gegen den Willen der Betroffenen, in der U-Bahn, auf Rolltreppen – auch das mittlerweile immer häufiger –, wo immer sich Menschen begegnen. Bei den Betroffenen – das verwundert nicht – hinterlässt dieses Verhalten Wut und Empörung. Völlig zu Recht. Wer solche entwürdigenden Bilder herstellt, wer solche Bilder mit anderen teilt, soll künftig bestraft werden, und zwar ebenfalls mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Damit machen wir deutlich: Das ist keine Petitesse, das ist auch kein kleiner Streich, sondern das ist ein massiver Eingriff in die Intimsphäre. Hier geht es um Unrecht, das uns alle angeht, und hier muss der Staat eingreifen. ({2}) Meine Damen und Herren, Strafrecht ist kein Allheilmittel – nein, mit Strafrecht kann man nicht alles regeln –; aber das Strafrecht ist ein wichtiges Instrument, um sich der Grundregeln unseres Zusammenlebens zu vergewissern und um abzustecken, was zum sozialethischen Minimum unseres Zusammenlebens gehört. Mit diesem Gesetz will ich einen entsprechenden Beitrag leisten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christine Lambrecht. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tobias Matthias Peterka. ({0})

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Es gab einmal den wortwörtlich mittelalterlichen Grundsatz, dass immer die ältere Rechtsregel vorgehe. Heute sind wir zum Glück weitgehend umgekehrt beim Lex posterior angelangt, aber eben nur weitgehend; denn mit § 22 Kunsturhebergesetz wirken analoge Sichtweisen viel zu sehr in unser heutiges Recht am eigenen Bild hinein. Draußen hat sich die Realität längst scheppernd geändert. Das sieht man an diesem Tagesordnungspunkt wieder einmal sehr deutlich. Ich werde jetzt nicht erneut allgemeine technische Ausführungen machen. Jeder muss inzwischen mitbekommen haben, was hier Sache ist. Dem wurde aber gerade nur leidlich Rechnung getragen, zum Beispiel im allgemeinen Persönlichkeitsrecht hinsichtlich Handybildern, aber auch bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten wie ebendiesem höchstpersönlichen Lebensbereich in § 201a StGB. Auch die vorliegenden Gesetzentwürfe, das Upskirting als separater Straftatbestand auf der einen Seite sowie die Erweiterung des § 201a Strafgesetzbuch, gehen in die richtige Richtung: Anpassung des Strafrechts an neue technische Möglichkeiten. Es wird aber viel zu kurz gegriffen, wenn dabei nicht endlich auch der § 22 KUG abgestaubt und mitangepasst wird. Es macht nämlich heute in weit mehr Fällen als beim Upskirting oder dem Fotografieren von Unfalltoten Sinn, gerade nicht erst an die Verbreitung, sondern bereits an die bloße Herstellung eines Bildes anzuknüpfen. ({0}) Was ist zum Beispiel mit verletzten, nicht hilflosen Unfallopfern, und warum wird gerade Bademode als ausreichender Schutz dieses höchstpersönlichen Lebensbereichs angesehen? Warum ist gerade dieser Fall in Ihrem Gesetz nicht unter den Tatbestand genommen? Wer auch nur die Presse über die teilweise anarchischen Zustände in vielen unserer Freibäder in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß ganz genau: Auch mit dem Fotografieren von Menschen in regulärer Bademode lassen sich erheblich entwürdigende Bilder sammeln. Von einem Sich-politisch-mit-dieser-Sache-näher-Befassen will ich erst gar nicht reden. Dazu fehlt Ihnen anscheinend der Mut. Wer A sagt, muss nämlich auch hier B sagen. Wo kein Delikt in dieser Richtung, da angenehmerweise auch keine Statistik. ({1}) Nein, in Ihrem Gesetzentwurf ist zum Beispiel ein Badeanzug gerade keine Unterbekleidung. Sie haben einen Tatbestand haarklein um diese Schwimmbad-Gafferfälle herumgebaut. Geben Sie wenigstens zu, dass Sie das entweder absichtlich oder fahrlässig so getan haben! Es wird nicht erfasst. Prüfen Sie es nach! Wir gehen mit unserem Gesetzentwurf innerhalb und außerhalb des Strafrechts nun deutlich weiter. Nicht nur verletzte Unfallopfer und junge Damen im Kulturschock werden erfasst, sondern jede Situation, in der für den Knipser ersichtlich ist, dass das Bild nicht erwünscht ist. Bereits Herstellung muss dort allgemeiner Anknüpfungspunkt sein. Einmal im Handy, kommt der Schutz gegen die Verbreitung einfach zu spät und ist vorsintflutlich. Dieser Ansatz gilt im Übrigen aus anderen Gründen auch für die Wahrnehmung des Demonstrationsgrundrechts und sonstige politische Versammlungen. Hier bitte nur das reguläre Schrankensystem! Das Abfotografieren von einzelnen Teilnehmern ist eine Einschüchterung von Bürgern in diesem Land. ({2}) Die von uns vorgeschlagene Regelung gibt der Polizei hier eine direkte Grundlage ohne Umwege über das allgemeine Persönlichkeitsrecht, nämlich ganz effektiv diese Bilder einfach vom Handy zu löschen. Durch den Wegfall der Minderjährigkeit in unserem § 201a StGB erreichen wir – abschließend – einen sehr umfangreichen stimmigen Schutz innerhalb und außerhalb des Strafrechts. § 22 KUG liegt gerade nicht mehr quer im System, sondern wurde unter Beibehaltung von § 23 endlich modernisiert. Bedenken der Eingrenzbarkeit – siehe Bundesrat – kann man ohne Probleme Rechnung tragen. Richter können in diesem Land Sachverhalte sehr genau analysieren und erfassen, zumindest wenn man sie von der Arbeitsbelastung her dazu in den Stand versetzt. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Peterka. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Ingmar Jung. ({0})

Ingmar Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Luczak. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf – und jetzt erlauben Sie mir, dass ich über den rede, der die ganze Zeit vorlag, und nicht über den, der in allerletzter Sekunde offenbar doch noch vorgelegt wurde –, der sich mit zwei Phänomenen befasst, die in Zeiten, in denen jeder einen Fotoapparat, eine Kamera irgendwie immer bei sich hat und Aufnahmen anfertigen kann, natürlich immer größere Bedeutung erfahren: zum einen – wir haben es schon zweimal gehört – mit dem Verhalten von Schaulustigen, von Gaffern bei Unfällen und zum anderen mit dem, was unter dem Oberbegriff „Upskirting“ und Ähnlichem läuft. Lassen Sie mich eines sagen, bevor es gleich noch jemand einwendet – ich habe es die letzten Tage ein paarmal gehört –: Uns ist durchaus bewusst, dass die Anzahl der Taten in diesem Bereich in Zeiten einer Pandemie möglicherweise ein wenig zurückgehen könnte, weil sich die Leute nicht mehr so nahekommen und unmittelbar treffen. Das ist aber kein Grund, ein Gesetzgebungsverfahren nicht weiter zu bestreiten. Denn wir sind uns, glaube ich, alle sicher: Es kommt eine Zeit danach. Deswegen bietet es sich geradezu an, das Verfahren jetzt weiter zu betreiben und zum Abschluss zu bringen. Deswegen ist es sinnvoll, dass dieser Punkt heute auf der Tagesordnung steht. Worum geht es konkret? Zum einen geht es um den Bereich der Gaffer. Heute macht jeder überall Fotos, stellt sie ins Netz, lässt sie kommentieren, liken. Das kann jeder tun, wie er möchte. Aber eine Grenze ist dann erreicht, wenn man das Persönlichkeitsrecht oder auch die Würde von anderen damit beschränkt oder verletzt. Das ist leider sehr oft bei Unfällen der Fall. Man sollte eigentlich meinen, dass es irgendwie abwegig ist, Lebende in hilfloser Lage oder insbesondere auch Tote in entwürdigender Weise zu fotografieren; aber es kommt ungemein oft vor. Jetzt kann man sich lange darüber streiten, ob das Persönlichkeitsrecht mit dem Moment des Todes endet oder nicht. In jedem Fall endet die Würde dort nicht vollständig. Wir haben eine staatliche Verantwortung, die Würde derer, die nicht mehr am Leben sind, zu schützen und nicht die Schaulustigen in die Lage zu versetzen, auch noch Fotos machen zu können. Frau Ministerin, Sie haben es zu Recht angesprochen: Diese Fotos werden nicht nur gemacht. Sie werden ins Netz gestellt, sie werden geteilt, sie werden gelikt. Und noch schlimmer: Sie werden kommentiert. Das ist etwas, was für die Angehörigen besonders bitter ist, die sich mit einem schweren Verlust auseinandersetzen müssen und dann möglicherweise irgendwo noch herabwürdigende Kommentare lesen müssen, die ihren Angehörigen betreffen. Wenn man ein bisschen recherchiert, dann findet man Dinge in der Art, dass Brandopfer in einen Zusammenhang mit Grillpartys und Ähnlichem gebracht werden. Das ist, ehrlicherweise, nur noch ekelhaft. Deswegen ist die Grenze, die bisher zwischen Lebenden und Verstorbenen bestand, falsch, und es ist richtig, dass wir das an der Stelle unter Strafe setzen. Da sind die Gaffer wirklich in keiner Weise schutzwürdig, meine Damen und Herren. ({0}) Es kommt noch ein zweiter Aspekt hinzu: Wenn teilweise bei Unfällen insbesondere auf der Autobahn die Einsatzkräfte zunächst einmal damit beschäftigt sind, aufblasbare Sichtschutzwände aufzubauen oder Ähnliches, weil so viele Leute ein Interesse daran haben, das jetzt zu beobachten, Fotos zu machen, und die Einsatzkräfte nicht zu dem kommen, wofür sie eigentlich verantwortlich sind, nämlich den Menschen zu helfen, dann ist die Grenze wirklich überschritten. Sie müssen das teilweise auch schon aus Gefahrenabwehrgründen tun. Es ist ja immer wieder der Fall, dass sich bei großen Unfällen auf der Gegenseite ein Stau bildet, weil Autofahrer ihre Fahrt verlangsamen, das Handy zücken und dann während der Fahrt unbedingt noch ein Foto machen müssen, um das irgendwo mitzuteilen. Da muss ich sagen: Ich finde richtig, dass wir staatlich ein klares Signal setzen. Dieser Sensationsgeilheit, die andere gefährdet, muss wirklich Einhalt geboten werden. Deswegen ist strafrechtlicher Schutz an der Stelle richtig, egal ob es sich bei den Bildern um Lebende oder Verstorbene handelt. Es ist gut, dass wir das jetzt angepackt haben, meine Damen und Herren. ({1}) Der zweite Teil, über den wir reden, ist ein besonderer. Apropos staatlich handeln und sozial missbilligen: Wenn man Leute draußen fragt – wir haben es mal getestet –, ob es strafbar ist, jemandem heimlich unter den Rock zu fotografieren, dann glaubt jeder, dass das eigentlich so ist. Generalprävention scheint also an der Stelle auch ohne Gesetz zu funktionieren. Aber umso wichtiger ist es, dass wir den Tätern das klare Signal senden, dass wir das als Staat missbilligen. Wer glaubt, das sei ein Phänomen, das nicht besonders verbreitet ist, der muss nur mal in irgendeiner der gebräuchlichen Suchmaschinen die Begriffe „Upskirting“ und „Downblousing“ eingeben. Sie brauchen die Links dann gar nicht anzuklicken; Sie werden sich schon wundern über die Vielzahl, die Sie da finden. Es gibt Leute, die beschäftigen sich damit. Es gibt Leute, die es offenbar toll finden, Teile des Körpers zu fotografieren, die nicht fürs Fotografieren bestimmt sind, und die es auch noch besonders toll finden, es anderen mitzuteilen und die Fotos ins Netz zu stellen. Was das für die Opfer bedeutet, kann sich jeder vorstellen. Wenn man dann sagt: „Na ja, sobald die veröffentlicht und verbreitet worden sind, dann ist das ja nicht mehr zurückzuholen; dann kann der Staat ja eingreifen und strafrechtlich vorgehen“ oder: „Man könnte sich doch zivilrechtlich wehren“, dann muss ich sagen: Das ist nicht genug. Die entwürdigende Handlung passiert doch schon in dem Moment, in dem heimlich irgendwo unter den Rock, in die Bluse rein oder anderswohin fotografiert wird. Wenn man darüber diskutiert, ob man an der Stelle schon handeln muss oder ob man warten kann, bis dann tatsächlich eine Verbreitung eintritt, dann ist man, glaube ich, auf dem falschen Weg. Wir müssen schon vorher handeln. Das haben andere Länder teilweise schon getan. Es ist gut, dass wir es jetzt tun. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg sind. Ganz absurd ist die Behauptung, man solle sich doch – wie ich das in den letzten Tagen ein paarmal gehört habe – vielleicht so kleiden, dass man die Fotos nicht machen kann. Also das, meine Damen und Herren, betrifft die völlig falsche Seite. ({2}) Da hat eine der Aktivistinnen in den letzten Tagen den richtigen Satz gesagt: Die problematische Situation wird gelöst, wenn die Gesetzeslage sich ändert und nicht die Rocklänge der Frauen. In diesem Sinne: Herzlichen Dank und gute Beratung! ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ingmar Jung. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Jürgen Martens. ({0})

Dr. Jürgen Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004816, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat: Mit neuen Techniken entstehen auch neue Gefährdungen und Schädigungen von Persönlichkeits- oder anderen Rechten, an die wir vor 20 Jahren bestimmt nicht einmal gedacht hätten. Es gibt Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, die wir damals nicht für möglich gehalten hätten, etwa in der Form, dass es heute möglich ist, nicht nur Aufnahmen zu machen, sondern diese praktisch zeitgleich einer unbegrenzten Zahl von Teilnehmern im Internet verfügbar zu machen. Das hat nicht nur technisch eine andere Quantität der Verbreitung zur Folge; das hat auch rechtlich eine andere Qualität, was die Verletzung der betroffenen Persönlichkeitsrechte angeht. Ich habe als Zivildienstleistender vor über 30 Jahren mit dem Rettungswagen Einsätze gefahren und dabei auch schlimmste Verkehrsunfälle erlebt. Auch damals gab es Menschen, die aus den Häusern oder den Fabriken nebendran hinzukamen, die mit dem Auto anhielten, um zu gucken, was dort passierte. Das waren die damals sogenannten Gaffer – eine extrem lästige und, wie ich finde, auch ziemlich unwürdige Erscheinung. Aber mit dem Handy in der Hand, mit der Verbreitung im Internet erfährt das wirklich eine ganz neue Qualität, und auf die sollten wir tatsächlich reagieren, meine Damen und Herren. ({0}) Eine völlig neue Art von Persönlichkeitsrechtsverletzung ist es auch, wenn mit diesen sehr kleinen mobilen Geräten mal eben schnell Menschen im Intimbereich abfotografiert und dann ebendiese Bilder verbreitet werden. Das war auch bisher schon strafrechtlich verfolgbar, allerdings mit entsprechendem Aufwand. Jetzt greifen wir – und das ist notwendig – in der Tat bereits dort ein, wo es um die erste Verletzungshandlung geht, um die Aufnahme selber. Diese nämlich verletzt das Opfer in seinem Schamgefühl, in seiner Intimsphäre und nicht die spätere Verbreitung, meine Damen und Herren. ({1}) Gleichzeitig müssen wir im Gesetzgebungsverfahren trotzdem darauf achten, dass wir nicht übers Ziel hinausschießen, das heißt, dass wir den Bestimmtheitsgrundsätzen, die uns hier immer abverlangt werden, tatsächlich Rechnung tragen und uns nicht nur von dem Wunsch leiten lassen, Verstöße gegen die Grundregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens strafrechtlich zu sanktionieren und diese Regeln dadurch zu schützen; das wird uns nämlich nicht gelingen. Es geht uns auch nicht um Generalprävention, das heißt die vorbeugende Wirkung von strafrechtlichen Normen, sondern es geht uns um etwas anderes: Wir müssen es hinkriegen, dass wir solche Normen gar nicht brauchen und dass das gilt, was wir früher allgemein immer als „Anstand“ bezeichnet haben, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Martens. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Gökay Akbulut. ({0})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen und den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereichs. Wie meine Vorrednerinnen und Vorredner es schon sagten: Es geht hier insbesondere um das sogenannte Upskirting, auch bekannt als das Fotografieren von Frauen unter den Rock. Deutschland ist hier viel zu spät dran. In England, Frankreich und Belgien zum Beispiel ist Upskirting bereits verboten, und das ist auch gut so. ({0}) Das Ziel dieses Gesetzentwurfs unterstützen wir als Linke. Es ist längst überfällig, dass hier gehandelt wird. In der konkreten Umsetzung haben wir jedoch Bedenken. In ihrem Gesetzentwurf schreibt die Bundesregierung zur Problemlage, dass der technische Fortschritt der Kameras es erlaubt, „Bildaufnahmen von hoher Qualität zu erstellen“. Dies führe immer häufiger dazu, „dass die Rechte der abgebildeten Personen von den aufnehmenden Personen nicht beachtet werden“. Liebe Bundesregierung, das Problem ist hier nicht der technische Fortschritt. Das Problem ist, dass insbesondere Männer zum Beispiel Frauen unter den Rock filmen. Dieses Problem muss offen und konkreter benannt werden. Was Sie aber in Ihrem Gesetzentwurf machen, ist: Sie stellen nur einseitig auf den Strafzweck der Prävention ab, statt sich mit dem unakzeptablen Verhalten der Täter auseinanderzusetzen. Wichtig ist, dass in dieser Debatte einmal deutlich gemacht wird, dass alle Arten der Objektivierung und Herabsetzung durch unbefugte Aufnahmen von Frauen im Intimbereich aufs Schärfste verurteilt werden müssen. Mit Erschrecken habe ich festgestellt, wie viele Frauen und auch junge Mädchen von diesen Handlungen betroffen sind. Dass hier eine Regelungslücke vorliegt, die nun mit der Schaffung einer Strafnorm geschlossen werden muss, ist unstrittig. Aber schon der Problemaufriss der Bundesregierung in ihrem Entwurf macht meine Kritik deutlich. Ich halte es nicht für sinnvoll, den Straftatbestand im Bereich der Verletzung von Persönlichkeitsrechten zu verorten, weil es bei Upskirting aus meiner Sicht ganz klar um eine sexuelle Belästigung geht. Außerdem sehen wir hier die Gefahr, dass Sie eine Generalklausel für eine Vielzahl von Persönlichkeitsrechten schaffen wollen. Das halten wir an dieser Stelle für unangemessen. ({1}) Anders und deshalb zutreffender finden wir die Lösung des Bundesrates, mit dem § 184k im Strafgesetzbuch einen Straftatbestand im Bereich der Sexualdelikte zu schaffen. Der § 184k ist so formuliert, dass auch dem Gebot der Bestimmtheit Rechnung getragen wird. Wenn wir schon diesen wichtigen Schritt gehen wollen, sollten wir es auch richtig machen und uns für die Verortung dieser Strafnorm bei den Sexualdelikten entscheiden. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gökay Akbulut. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Canan Bayram. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es kurz machen: Zum Thema Gaffer haben viele Kollegen schon Richtiges gesagt. Das kann man so machen. Ich will mich deswegen auf das sogenannte Upskirting konzentrieren. Auch beim Downblousing geht es um das Fotografieren unter die Bekleidung bzw. in den Ausschnitt und das Verbreiten dieser Fotos. Wir sind ebenso wie der Deutsche Juristinnenbund der Ansicht, dass das einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung darstellt. Das ist eine, wenn auch berührungslose sexuelle Belästigung. Sie ist widerlich und vor allem frauenfeindlich. Da sind wir uns einig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Die Frage, die sich für mich stellt, ist allerdings, ob das strafrechtliche Verbot bzw. die strafrechtliche Sanktion die angemessene und vor allem auch wirksamste Reaktion auf solches Fehlverhalten ist oder ob es nicht besser wäre, das auf anderem Wege im Sinne einer Ordnungswidrigkeit zu regeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn was kommt denn eigentlich raus, wenn das Strafverfahren nach § 201a Strafgesetzbuch betrieben wird? Es kommt höchstens zu einer Geldsanktion oder zu einer Einstellung gegen Auflage bzw. zur Verweisung auf den Weg der Privatklage. Insofern muss man doch feststellen: Damit ist dem Anliegen der Frauen nicht wirklich geholfen. Die Verfahren werden überlang werden. Daher sind wir der Ansicht, dass so ein unmoralisches Verhalten nicht den Maßstab der Verfassung wiedergibt, den es braucht, um strafrechtlich dagegen vorzugehen. Wir sind der Ansicht, dass es hier keines Strafrechts bedarf und deswegen das Ganze nicht im Strafgesetzbuch geregelt werden muss. Ungeachtet dessen, worin man den Zweck von Kriminalstrafen sieht, hat der Gesetzgeber seine Begründung für neue Straftatbestände auf empirisch verifizierbare Fakten zu stützen. Dazu findet sich sogar in Ihrem Koalitionsvertrag die Forderung, dass es evidenzbasierte Kriminalpolitik geben soll. Aber Sie haben nicht das Rückgrat, um sich tatsächlich hierhinzustellen und deutlich zu machen, dass die Unterschriftensammlung, die diesen Gesetzentwurf ausgelöst hat, keine evidenzbasierte Kriminalpolitik darstellt. Dennoch ist das für uns natürlich ein Anlass, uns mit diesem Thema zu beschäftigen und den Petentinnen tatsächlich eine Lösung zu präsentieren. Deswegen freuen wir uns auf die Anhörung am 27. Mai und werden dort unsere kritischen Fragen stellen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Canan Bayram. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Esther Dilcher. ({0})

Esther Dilcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest: Wir alle sind uns hier einig. Gesellschaftliches Zusammenleben braucht Regeln. Ob in der Familie, bei der Arbeit, in der Kita, in der Schule, in der Freizeit: Jeder Einzelne von uns, ob Mann, Frau, divers, Kind oder Erwachsener, möchte sich frei entfalten können, so leben und agieren, wie es ihm gerade gefällt. Das ist in unserem Land auch grundsätzlich möglich. Aber einzelne Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten sind für uns so wichtig, dass wir sie in unserer Verfassung, unserem Grundgesetz, geschützt haben. Die nähere Ausgestaltung erfolgt dann durch Gesetze. Nehmen wir beispielsweise die Freiheit des Einzelnen. Sie ist nicht unbegrenzt, sondern endet dort, wo sie in Rechte anderer eingreift, diese beschränkt oder sogar verletzt. Jeder kann erwarten, dass andere ihm mit Respekt, mit Würde und Anstand und – der Kollege Martens hat es auch gesagt – mit Achtung der Person begegnen. Das lernen Kinder von ihren Eltern durch Erziehung. Werte werden vermittelt durch Vorleben, Erleben, Erfahren. Sofern Kinder bestimmte Spielregeln in der Familie nicht einhalten und Grenzen überschreiten, erfahren sie in der Regel Konsequenzen – das sollten sie zumindest. Auch in der Gesellschaft gibt es in verschiedensten Bereichen Spielregeln, die in Gesetzen geregelt sind und wo unter anderem auch Sanktionen festgelegt sind, um abzuschrecken und auf diejenigen einzuwirken, die Grenzen und damit Rechte und Rechtsgüter anderer Personen verletzt haben. Seit dem Aufkommen von Facebook, Instagram und anderen sozialen Netzwerken ist es gängige Praxis geworden, jeden Schritt, jede Sporteinheit, jede Tasse Kaffee oder auch die Tasse Tee mit der Community zu teilen. Über Sinn und Unsinn diesbezüglich darf man hier sicherlich kontrovers diskutieren. Was aber überhaupt nicht geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, und was eigentlich unser Anstandsgefühl verbieten sollte, sind Foto- und Videoaufnahmen der Intimsphäre. Bisher war das nur in geschützten Bereichen verboten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber gerade auch in der Öffentlichkeit müssen solche Aufnahmen unter den Rock oder in den Ausschnitt verboten sein und unter Strafe gestellt werden, damit sich die Täter auch als Täter fühlen. Liebe Gökay, wir sind schon der Meinung, dass das nicht objektiv zu sehen ist, sondern dass wir auf die Täter einwirken sollten. Dasselbe gilt für Fotos und Videos an Unfallstellen, von Unfallopfern und insbesondere auch von Unfalltoten. Hier ist jede Tat eine Tat zu viel. Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten oder erheben, wie viele Straftaten begangen worden sind, sondern es besteht Handlungsbedarf. Deshalb brauchen wir die Änderungen im Strafgesetzbuch zur Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei unbefugten Bildaufnahmen, die mit diesem Gesetzentwurf vorgelegt wurden. Mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben wir diesen relativ neutralen Titel so formuliert: „Kein Bock auf unterm Rock“ oder auch: „Eine Unfallstelle ist kein Freilichtmuseum“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer das nicht versteht oder verstehen möchte, der soll zukünftig die Konsequenzen spüren und soll sich strafbar machen. Es ist die Auffassung der SPD-Fraktion: Regelung so viel wie nötig, aber auch so wenig wie möglich. Die Verschärfung der bestehenden Straftatbestände ist daher nach unserer Auffassung nötig. Wir begrüßen den vorliegenden Gesetzentwurf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Esther Dilcher. – Letzter Redner in dieser Debatte: Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Vorredner haben schon darauf hingewiesen: Das Herstellen und Verbreiten entwürdigender Bilder unter Strafe zu stellen und damit eine härtere Gangart all jenen gegenüber anzuschlagen, die die Intimsphäre ihrer Mitmenschen aufs Empfindlichste verletzen, ist das Ziel dieses Gesetzentwurfs. Das bisher geltende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht bot bislang nur einen eingeschränkten Schutz der Opfer und war nicht hinreichend geeignet, entsprechende Taten zu ahnden. Hier haben wir nachjustiert, wo es nötig war, und verschärft. Wir streben diese Änderungen für zwei Bereiche an. Zum einen wollen wir Verstorbene vor der Sensationsgier von Gaffern schützen – der Kollege Jung hat schon darauf hingewiesen; das betrifft insbesondere die Feuerwehr und den Stau auf der Gegenspur –, zum anderen bestrafen wir die Handlungen, die sich unter den Begriffen „Upskirting“ und „Downblousing“ subsumieren lassen, also das Anfertigen und Übertragen von unbefugten Bildaufnahmen des Intimbereichs und der weiblichen Brust. Beide angesprochenen Bereiche sind leider keine Randphänomene, und sie sind für ihre Opfer demütigend und verletzend. Ein solches Verhalten gehört sich nicht und wird künftig ganz bewusst verschärft und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe belegt werden. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Kollegen Martens von der FDP, der in diesem Zusammenhang den Begriff „Anstand“ zitiert hat. Es ist unanständig, es gehört sich nicht, und es passt nicht in unsere Rechtsordnung. ({0}) Damit wird nun eine Gesetzeslücke geschlossen, die es bisher Schaulustigen und Gaffern ohne Strafe möglich machte, von verstorbenen Personen bei Unfällen und Unglücksfällen Bildaufnahmen anzufertigen und zu verbreiten. Angespornt von der Sensationsgier und oft auch als Hindernis der helfenden Rettungskräfte wurden diese Aufnahmen dann in sozialen Netzwerken verbreitet oder gar an Medien weitergegeben. Es kann nicht Aufgabe der Rettungskräfte sein, wenn sie an einen Unfallort kommen, zunächst Sichtschutzwände aufzurichten, um die Gaffer vom unberechtigten Fotografieren der Unfallstelle abzuhalten. Wir müssen die Gaffer vor sich selbst und den nachfolgenden Verkehr auch vor den Gaffern schützen. Das macht momentan die Feuerwehr. Die hat wichtigeres zu tun, wenn sie zu einem Unfall kommt. Deshalb ist es auch wichtig, das a priori zu verhindern. Stellen Sie sich die zusätzliche Belastung der Hinterbliebenen und der Angehörigen eines Unfallopfers vor. Dieser Belastung wird jetzt durch die Änderung des § 201a StGB ein Riegel vorgeschoben. Die Würde eines Menschen hört nicht mit dessen Tod auf – darauf kann man nicht oft genug hinweisen – und wird von uns entsprechend geschützt. Mit dem Gesetzentwurf wird auch ein Anliegen der Union aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, nämlich Schutzlücken des § 201a StGB hinsichtlich der Herstellung und Verbreitung bloßstellender Bildaufnahmen von verstorbenen Personen zu schließen. Ob nun in den eigenen vier Wänden, der Umkleidekabine, bei Festivals oder auf der Rolltreppe: Die Opfer von sogenanntem Upskirting sind meist Frauen oder Mädchen. Oft geschieht es heimlich und im öffentlichen Raum. Immer kleinere und besser entwickelte Aufnahmegeräte spielen den Tätern dabei leider in die Hände. Der Täter akzeptiert keine eigentlich selbstverständlichen Grenzen und dringt damit auf das Schamloseste in die Privatsphäre ein. Bisher schützt § 201a StGB das Opfer nur vor unbefugten Bildaufnahmen innerhalb einer Wohnung oder in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum, nicht aber vor Aufnahmen, die in der Öffentlichkeit entstehen. Andere Straftatbestände wie Beleidigung oder sexuelle Belästigung greifen nicht, da die Opfer entweder nicht mitbekommen, dass sie fotografiert werden, oder es zu keiner Berührung kam. Auch hier haben wir die Sanktionen verschärft, eine Regelungslücke geschlossen. Ich hoffe, dass wir als Gesetzgeber mit dieser Verschärfung potenzielle Täter abschrecken und obendrein ein stärkeres Unrechtsbewusstsein für solche Taten schaffen. Sie sind schändlich und alles andere als ein Kavaliersdelikt. Es wird sich also nicht mehr um eine bloße Ordnungswidrigkeit handeln. Frau Kollegin Bayram, ich war schon etwas überrascht, als Sie eben sagten, es reiche aus, das Ganze als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Wir stellen fest: Die Große Koalition ist mit Ihrem Gesetzentwurf stärker auf der Seite der vulnerablen und schutzwürdigen Menschen unserer Gesellschaft, als es manche Kollegin von den Grünen ist. Auch das gehört mal festgestellt. ({1}) – Nein, ich habe jetzt auf die Frage gewartet, Frau Kollegin. – Die strafrechtliche Sanktion des Upskirtings hatte die Union bereits im Rahmen der Sexualstrafrechtsreform in der vergangen Wahlperiode gefordert; die Älteren können sich noch erinnern. Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Insgesamt werden wir – da bin ich mir sicher –, einen guten Beitrag zum besseren und wirksameren Schutz von Opfern leisten, die es womöglich erst im Nachhinein in einer Art Ohnmacht, zum Beispiel über das Internet, mitbekommen und entsprechend leiden. Dies ändert sich nun hoffentlich. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss, auch mit der Kollegin Bayram. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Paul Lehrieder. – Damit schließe ich die Aussprache.

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Coronavirus hält Deutschland, seine Wirtschaft, das gesellschaftliche Leben sowie die politische Bühne fest in seinem Griff. Bereits seit über sieben Wochen testet die Regierung Woche für Woche neue Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie ohne Rücksicht auf die Menschen und die Auswirkungen auf die Wirtschaft und deren Arbeitsplätze. Der Bürger wird ständig mit neuen wissenschaftlich bewiesenen Tatsachen konfrontiert, die, wie in den vergangen Wochen wiederholt vorgekommen, von heute auf morgen revidiert werden, bzw. es gelten Maßnahmen, die letzte Woche noch als sinnlos dargestellt worden sind, heute auf einmal als der Weisheit letzter Schluss. ({0}) Die Bürger verstehen berechtigterweise die Entscheidungen der Regierung vielfach nicht mehr. ({1}) Da eine medikamentöse, effektive Bekämpfung des Coronavirus in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht realisierbar sein wird, sind diese sogenannten nichtpharmakologischen Maßnahmen momentan womöglich der einzige Einsatz zur Eindämmung der Pandemie. Doch die Art und Weise, wie Sie die Maßnahmen ohne Rücksicht auf Verluste und bei Missachtung der grundgesetzlich verankerten Rechte umsetzen, verunsichert die Bürger unseres Landes immer mehr. ({2}) Die desaströsen Auswirkungen für Deutschland und seine Bevölkerung basieren ausschließlich auf dem Trial-and-Error-Prinzip der Maßnahmen, die von Wissenschaftlern empfohlen und von der Regierung im vorauseilenden Gehorsam ohne Prüfung umgesetzt werden. ({3}) Doch wie sieht es eigentlich mit der wissenschaftlichen Beweisbarkeit dieser Zwangsmaßnahmen für die Bevölkerung und die Wirtschaft aus? Die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag fordert mit ihrem hier vorgelegten Antrag eine fundierte Evaluation der bisher getroffenen Maßnahmen. ({4}) Zu diesen NPIs müssen umgehend akribische Begleitforschungen in Kohorten und Registern durchgeführt werden, um für zukünftige Pandemiesituationen wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln. ({5}) Deutsche Forschungsinstitute und Bundesbehörden benötigen eine gesicherte finanzielle Grundlage, damit sie umfangreiche Datenerhebungen als Grundlage für eine effiziente, gezielte und breit akzeptierte Maßnahmenplanung durchführen können. Dies ist die Voraussetzung für eine realistische Abschätzung der Gefährdungssituation für die Bevölkerung. Diese Daten bilden auch die Grundlage für verlässliche Berechnungen der Wirkung verschiedener Maßnahmen. Dazu bedarf es, dass ein repräsentativer Querschnitt der Gesamtbevölkerung auf SARS-CoV-2 untersucht wird, um die wahre Durchseuchungsrate zu erfassen. Auf Basis dieser Datenlage lassen sich regional angepasste realistische Maßnahmen entwickeln, die dann auch zu einer höheren Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung führen, da sie angemessen sind. ({6}) – Schwätzen Sie doch nicht immer dazwischen. Melden Sie sich doch zu Wort, wenn Sie was zu sagen haben. ({7}) Ein wichtiger Teil der in unserem Antrag geforderten wissenschaftlichen Evaluierung ist die Erforschung der Auswirkungen der NPIs auf die psychische Gesundheit unserer Bevölkerung. Soziale Isolation führt nachweislich zu einem Anstieg häuslicher Gewalt. Existenzängste durch Kurzarbeit und drohender Verlust des Arbeitsplatzes erhöhen das Risiko, langfristig an Depressionen zu erkranken. ({8}) So eine verhaltenswissenschaftliche Expertise zur Unterstützung der Akzeptanz und Umsetzung von Maßnahmen kann verwendet werden, um zu erwartende negative psychische und physische Konsequenzen eines temporären Shutdowns sowie räumlicher Distanzierung abzufedern. Des Weiteren enthält unser Antrag die klare Aufforderung an die Regierung, ein Konzept zur Umstrukturierung in den Kliniken und im öffentlichen Gesundheitssystem zu entwickeln. In diesem Zusammenhang weise ich auf unseren Antrag „Abschaffung des DRG-Systems im Krankenhaus und Einführung des Prospektiv-Regionalen-Pauschalensystems“ hin, der aktuell im Ausschuss beraten wird. Wichtig ist, dabei zu beachten, dass alle anderen akut und chronisch Erkrankten nicht aus der Versorgung herausfallen. Denn wichtige Diagnosen müssen weiter frühzeitig gestellt und nachverfolgt werden, und langfristig angelegte Therapien sollten nicht unterbrochen werden. Es gilt, zu verhindern, dass wie in der aktuellen Situation Krankenhauskapazitäten unnötig für nichtexistente Coronapatienten freigehalten werden, während auf der anderen Seite Operationen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. ({9}) Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Mit ihrem kopflosen Aktionismus gefährdet die Regierung nicht nur die Gesundheit der Bürger, sondern richtet auch den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit die Basis für Wohlstand und Frieden zugrunde. Lassen Sie mich mit einem Zitat von Franz Josef Strauß schließen: ({10}) „Politik wird mit dem Kopf, nicht mit dem Kehlkopf gemacht.“ Danke schön. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Uwe Witt. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Georg Kippels. ({0})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren, die zumindest über die digitalen Medien hier folgen können! Als mir heute Morgen der Antrag so gegen 9.26 Uhr auf den Schreibtisch flatterte und ich ihn zu lesen begann, hatte ich zumindest noch, verbunden mit einer gewissen Überraschung, das Gefühl, dass man sich mal Mühe gegeben hat, Fakten aufzutragen und sich auf allgemein zugängliche Quellen zu beziehen. Aber irgendwie hatte ich so das Gefühl und die Vorahnung, dass das im Grunde genommen nichts anderes als ein Wolf im Schafspelz ist, nämlich dass nur die Gelegenheit gesucht werden sollte, heute Nachmittag wieder die obligatorischen Verschwörungstheorien und die These „Wir haben es ja schon immer gewusst, und wir wissen es vor allen Dingen besser“ hier kundzutun. ({0}) Ihre Rede, Herr Witt, ist ein leuchtendes Beispiel dafür gewesen, dass Sie im Grunde genommen das, was Sie hier behauptet und niedergelegt haben, mit Ihrem Wortbeitrag ins Gegenteil verkehren. ({1}) Sie sprachen eben von Wissenschaft und Wissenschaftlern, die Sie konsultieren wollen, um die Coronakrise letztendlich systematisch aufzuklären – eine Aufgabe, die überhaupt keinen Widerspruch verdient. Selbstverständlich muss dies geschehen, akribisch geschehen und natürlich auch intensiv geschehen. Aber welche Wissenschaftler sollen das denn sein? Jedenfalls können es nicht die Wissenschaftler sein, die sich seit Wochen verantwortungsvoll, intensiv und vor allen Dingen im Bemühen um einen Schutz für unsere Bevölkerung diesem Thema sieben Tage die Woche widmen und mit Professor Wieler und allen anderen Mitarbeitern des RKI ja ganz offensichtlich die richtigen Empfehlungen getätigt haben. Denn wenn man den Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn und auch weltweit zieht, dann stellt man fest, dass unsere Bevölkerung durch die Empfehlungen für bestimmte Verhaltensweisen richtig begleitet worden ist ({2}) und die Todesfälle tatsächlich weit hinter den Zahlen zurückbleiben, die auch in Industriestaaten mit modernsten Gesundheitssystemen an der Tagesordnung sind; ({3}) siehe Amerika und siehe auch Großbritannien. ({4}) Wenn Sie hier schon einen derartigen Vortrag von sich geben, dann hätten Sie sich zumindest mal die Mühe machen können, Ihren Antrag zu aktualisieren, um zu verdeutlichen, welche enorme Dimension und Dynamik dieses Geschehen hat, dass es überhaupt keiner staatlichen Betrachtung zugänglich ist und dass man nicht über langjährige Studien herausfinden kann, ob man das, was im Januar, Februar, März, April und jetzt im Mai geschehen muss, erproben kann. Als Sie dieses Machwerk niedergelegt haben – das war wohl offensichtlich am 16. April, auch wenn es heute Morgen dann erst in der Post war –, da waren es noch 3 000 Menschen, die verstorben sind. Und – oh Wunder –: Heute Morgen waren es tatsächlich 6 996. Aber – und das ist die entscheidende Botschaft – es sind weit weniger als in anderen Staaten, weil wir vor allen Dingen im Zusammenwirken mit der Bevölkerung und deren enormer Disziplin es geschafft haben, die Bedrohung unter Kontrolle zu bringen. Dieser dynamische Prozess hat sich heute fortgesetzt. Im Zusammenwirken der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten wurde jetzt ein Lockerungsverfahren auf den Weg gebracht, das mit Maß und Ziel, mit einer exakten Betrachtung des Infektionsgeschehens und mit einem Zusammenwirken von Wirtschaft, Bevölkerung und den Schwächsten unserer Gesellschaft nun in den nächsten Wochen wieder eine Rückkehr zur Normalität ebnen soll. Wenn man mit diesem Thema tatsächlich verantwortungsvoll umgeht, dann gehört dazu Respekt, und zwar vor denen, die in dieser Zeit gute Arbeit geleistet haben, alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, die Erkenntnisse tatsächlich zu würdigen, und daraus dann auch die richtigen Schlüsse gezogen haben. Es gibt nicht für alles ein Patentrezept; es gibt keine Blaupause. Es muss auch schon mal aus der Erfahrung heraus gewürdigt und gewertet werden, und das ist in den vergangen Wochen geschehen. Dem werden wir uns in den nächsten Wochen und Monaten widmen, aber mit Vernunft und Anstand, ohne Vorurteile und vor allen Dingen mit der wissenschaftlichen Seriosität. ({5}) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Kippels. – Nächste Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Andrew Ullmann. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von mir auch einmal herzlichen Dank an die Saaldiener, die hier so wunderbar die Hygieneregeln einhalten. Ich finde das vorbildlich. Danke schön hier von meiner Seite. ({0}) Lassen Sie uns jetzt wieder über die Pandemie sprechen. Deutschland ist und war auf diese Pandemie nicht gut vorbereitet. Die Welt war auf diese Pandemie nicht vorbereitet. Das ist nicht etwas, was auf meinem Mist gewachsen ist, sondern vom Global Preparedness Monitoring Board der WHO und der Weltbank letztes Jahr so publiziert worden ist; entsprechende Handlungsweisen hat man uns aufgegeben. Wir müssen uns auch bewusst machen, dass eine neue Pandemie heute schon wieder ausbrechen könnte, mit neuen Erregern, die wir noch nicht erkannt haben, die sich parallel ausbreiten. Doch wer sich nur auf nationale Maßnahmen und auf Fragen fokussiert, hat das Problem letztendlich nicht verstanden. Hier muss ich sagen: Die AfD ist offensichtlich noch weniger auf die Pandemie vorbereitet als die Welt. ({1}) Denn wer die jetzige oder die nächste Pandemie besiegen will, muss bei der globalen Gesundheit ansetzen. Viren kennen nämlich keine Grenzen, Viren kennen keine Pässe, sie kennen auch keine Ein- und Ausfuhrbeschränkungen. Nationale Abschottung hilft da nicht. Die AfD schaut nur auf Deutschland, obwohl es wichtiger wäre, mal auf die Welt zu schauen. ({2}) Für mich ist es wichtig, auf die Zukunft zu bauen. Zukunft heißt Gesundheit, Sicherheit, Stabilität. Meine Damen und Herren, globale Zusammenarbeit, Multilateralismus in der globalen Gesundheit, das sichert unsere Zukunft und vor allem auch die Zukunft unserer Kinder. Daher fordern wir Freie Demokraten die Bundesregierung auf, die Reform der WHO voranzubringen und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken, aber nicht nur durch Diplomatie oder Geld, sondern mit Konzepten und Strategien. Die WHO darf nicht länger Spielball anderer Regierungen sein, von der chinesischen Regierung bis hin zum US-amerikanischen Präsidenten. Da müssen wir Signale setzen; da müssen wir hin. ({3}) Auch die Reform der internationalen Gesundheitsvorschriften müsste vorangebracht werden. Wir brauchen eine verbesserte internationale Koordinierung und vor allem auch Solidarität. Daneben brauchen wir auch globale Koordinationsmechanismen, um Forschung, Entwicklung und Implementierung besser umzusetzen. Und zudem: Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen, die anstehende EU-Ratspräsidentschaft als Chance begreifen und eine neue globale Gesundheitsstrategie der WHO anregen. Da frage ich mich übrigens auch, wo die deutsche globale Gesundheitsstrategie bleibt. Deutschland sollte sich auch für eine globale Health Responsibility der EU einsetzen. Mir persönlich ist es auch sehr wichtig, Public-Health-Institute zu stärken und vor allem das ECDC in Schweden hinsichtlich Ausstattung und Möglichkeiten zu verbessern. – Das sind nur einige Punkte, die ich hier nennen möchte. So funktioniert globale Gesundheit, so funktioniert Multilateralismus, um auf Pandemien besser vorbereitet zu sein. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Ullmann. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Hilde Mattheis. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme auf den Antrag der AfD zu sprechen. Ich sage mal eingangs: Dieser Antrag will zwei Dinge erreichen. Er will aufzeigen, dass wir im Bereich der Forschung nicht genug täten – das ist leicht zu widerlegen –, und er will aufzeigen, dass die Politik, die gerade alle möglichen Maßnahmen umfasst, nicht ausreichte. Wir hatten heute Morgen im Ausschuss mehrere Anträge der AfD – ich glaube, es waren sieben oder acht –, die, wenn man sie wie so ein Baukastensystem zusammensetzt, genau diese Zielsetzung hatten, jeder einzelne Antrag. Der vorliegende Antrag soll in den nächsten Wochen einfach für Stimmung sorgen – Stimmung, die nicht dazu geeignet ist, in der Bevölkerung ein Zutrauen und eine Sicherheit zu erzeugen, dass wir hier nicht einfach so vom Himmel herab Maßnahmen tätigen, sondern wohlüberlegt und nach ausführlichen Debatten. ({0}) Das tun wir. Ich will beim Thema Forschung schlicht und ergreifend – die Kollegen aus dem Forschungs- und Bildungsbereich wissen davon – eine Zusammenstellung von über 60 Forschungsvorhaben anführen, von denen übrigens viele schon vor Covid-19-Zeiten begonnen worden sind. Nicht umsonst können wir hier auf viele Erfahrungen zurückgreifen, auch wenn wir es mit einem Virus zu tun haben, von dessen Existenz wir erst seit ein paar Wochen wissen. Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich, dass es höchst populistisch ist, sich mit so einem Antrag an die Öffentlichkeit zu wenden und zu sagen: Wir brauchen hier bessere Forschung. – Ich glaube, dass wir jeden Tag in den Nachrichten mitbekommen, wie intensiv die Wissenschaft sich mit diesem Virus beschäftigt, und ich glaube, dass es wichtig und richtig ist – das ist unsere Aufgabe –, aus genau diesen wissenschaftlichen Ergebnissen Maßnahmen abzuleiten. Wichtig ist auch, dass wir, wenn wir diesen Virus überstanden haben, im Nachhinein feststellen: Ja, was könnten wir beim nächsten Mal besser machen? – Das gehört auch zu unserem Job. Auch das ist wichtig. Da bin ich sofort dabei und sage: Wir müssen uns auch alle psychosozialen Maßnahmen, die dann getätigt werden, wohl überlegen und die Auswirkungen von Stresssituationen, Wohnsituationen etwa auf Kinder, die nicht in die Kita gehen dürfen, die nicht in die Schule kommen dürfen, die nicht mit ihren Kameradinnen und Kameraden in Kontakt sein können, in den Blick nehmen. Das müssen wir auch tun. ({1}) Ja, das ist uns allen wohl bewusst. Was wir aber nicht tun dürfen, ist, irgendwelchen Verschwörungstheoretikern hinterherzulaufen und ihnen irgendwie den Boden zu bereiten. Dazu bin ich nicht bereit; dazu ist auch meine Fraktion nicht bereit. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Hilde Mattheis. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Achim Kessler. ({0})

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ausgerechnet eine Partei, die den Klimawandel leugnet und in deren Reihen sich Leugner des Holocausts tummeln, fordert eine – ich zitiere – wissenschaftliche Auswertung der Effektivität der Regierungsmaßnahmen in der Coronakrise. Meine Damen und Herren, das ist nicht glaubwürdig. Denn das Urteil der sogenannten Alternative für Deutschland steht ja schon fest: Unter dem Titel „Shutdown, Maskenpflicht und Panikmache“ demonstrierte die AfD in Magdeburg gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Und wir werden leider in dieser Woche hier im Bundestag auch noch einen zweiten Antrag der AfD behandeln müssen, die nämlich beschließen will, dass die Pandemie in Deutschland beendet ist. ({0}) Diesen Populismus auf Kosten der Gesundheit der gesamten Bevölkerung müssen wir geschlossen zurückweisen, meine Damen und Herren. ({1}) Aber worum geht es der AfD tatsächlich? Die AfD hat in den letzten Wochen in den Meinungsumfragen massiv verloren. Ihre Wahrnehmung in den sozialen Medien ist um die Hälfte eingebrochen. Ich kann dazu nur sagen: Hervorragend, gut so! ({2}) Aber wie reagiert die AfD darauf? Sie reagiert so, wie sie immer reagiert: Sie instrumentalisiert die Ängste, ({3}) die wir alle im Moment angesichts der gesundheitlichen, der sozialen und auch der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie haben, für ihre Zwecke. Sie instrumentalisiert Ängste, um gegen Erwerbslose, gegen südeuropäische Staaten und auch gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu hetzen. Aber Hass, meine Damen und Herren, hat noch nie soziale Probleme gelöst, und ich bin froh, dass immer mehr Wählerinnen und Wähler der AfD das durchschauen. Denn tatsächlich geht es der AfD nicht um die Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Arbeit verdienen müssen. Und die AfD will mit der Forderung, den Lockdown sofort zu beenden, auch nicht die Freiheitsrechte stärken, sondern sie vertritt damit die Interessen der Konzerne und Großunternehmen, die ihre Waren schnellstmöglich wieder verkaufen möchten. Einer solchen Verharmlosung gesundheitlicher Gefahren zugunsten wirtschaftlicher Interessen tritt Die Linke entschieden entgegen. ({4}) Meine Damen und Herren, selbstverständlich brauchen wir eine kritische Auseinandersetzung über den Erfolg und die Angemessenheit der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Die Linke hat deshalb bereits in den Beratungen zum ersten Bevölkerungsschutzgesetz ein unabhängiges Sachverständigengremium gefordert. Uns reicht es nämlich nicht, Frau Staatssekretärin, wenn das Bundesgesundheitsministerium in einem Jahr selbst die eigenen Maßnahmen bewertet. Wir brauchen aber auch eine kritische Bestandsaufnahme der Strukturen unseres Gesundheitssystems. Denn jetzt, in der Krise, treten seine Schwächen besonders deutlich zutage. Wir müssen als Konsequenz aus dieser Krise dafür sorgen, dass Solidarität und Gesundheitsschutz künftig wieder vor Gewinninteressen gehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Kessler. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Kirsten Kappert-Gonther. ({0})

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004773, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen die Heldinnen unserer Zeit: die Pflegekräfte und die Kassiererinnen. Es gibt aber auch unsichtbare Heldinnen und Helden. Zu ihnen gehören die Beschäftigten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, ÖGD. Das klingt in den Ohren mancher nach grauen Amtsstuben und vergilbten Faxgeräten. Doch wenn wir über die Bewältigung von Pandemien und über den Bevölkerungsschutz jetzt, in den nächsten zwei Jahren und in Zukunft reden, dann müssen wir auch über den ÖGD reden. ({0}) In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde der Öffentliche Gesundheitsdienst sträflich vernachlässigt. Dabei sind die Gesundheitsämter immer wichtige Anlaufstellen. Wo gibt es Aidstests, wo gibt es Suchtberatung und wo gebündeltes Wissen über den Infektionsschutz? – Beim ÖGD. Jetzt sind die Mitarbeitenden des ÖGD in ganz Deutschland damit beschäftigt, Coronatests durchzuführen oder bei angeordneter Quarantäne Menschen zu Hause anzurufen, und das täglich. Dem ÖGD werden wir es maßgeblich zu verdanken haben, wenn wir diese Pandemie in den Griff bekommen. Das lernen wir aus der Krise. ({1}) Die angekündigten Verbesserungen sind gut, aber das reicht nicht. Wir lernen in dieser Krise, dass Gesundheit weit mehr ist als ein individuelles Geschehen. Wir sehen, wie maßgeblich Lebensbedingungen im Alltag für unsere Gesundheit sind. Prävention und Gesundheitsförderung gehören viel mehr in den Fokus. Jeder Euro, der hier investiert wird, ist gut angelegtes Geld. ({2}) Das ist eine weitere zentrale Lehre aus der Krise. Das sogenannte Präventionsparadoxon aber erleben wir gerade jetzt. Nur weil eine Maßnahme wirkt, ist das doch kein Grund, sie abzuschaffen. Im Gegenteil: Das ist ein Grund, sich zu freuen und weiterzumachen. ({3}) Es ist schändlich, wie Sie von der AfD Verschwörungstheorien befeuern. ({4}) Viele Menschen sind jetzt verunsichert, und das ist verständlich; denn niemand von uns hat so eine Pandemie bisher erlebt. Umso schlimmer, dass die AfD diese Verunsicherung nutzt, um Fake News und Hetze zu verbreiten. Wir haben es hier und heute wieder gesehen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung?

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004773, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nö. ({0}) Die krude Mischung aus Bagatellisierung und dem Schüren von Ängsten, die Sie heute hier wieder vorgetragen haben, ist mehr denn je unverzeihlich. Wie gut, dass wir so seriöse Anlaufstellen haben wie das RKI und den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Kirsten Kappert-Gonther. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Lothar Riebsamen. ({0})

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag will die AfD der Frage nachgehen, welche Erkenntnisse wir aus der Pandemie ziehen, um zukünftig noch besser auf vergleichbare Ereignisse vorbereitet zu sein. ({0}) Dazu gehört zunächst eine Bestandsaufnahme, aus der hervorgeht, wie wir heute dastehen, welche Folgen die angeordneten Maßnahmen hatten und wie sich die Zahlen seit der freiwilligen Einschränkung der Menschen, der Schließung der Kindergärten und der Schulen sowie in der Gastronomie und von kulturellen Veranstaltungen entwickelt haben. Wir stellen fest, dass die Zahlen so weit gesunken sind, dass heute – heute war auch das Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin – deutliche Lockerungen abzusehen sind. Die Bestandsaufnahme macht deutlich, dass die Maßnahmen gewirkt haben. Dazu kommt – das ist von mir an dieser Stelle im Zweifel schon häufiger gesagt worden –, dass unser Gesundheitssystem eines der besten der Welt ist. Es kann immer alles noch besser gemacht werden, aber es hat sich bewährt. Wenn ich zum Vergleich ins europäische Ausland und auch in die USA schaue und die Entwicklung der Zahlen dort betrachte und sehe, wie viel Infizierte und wie viel Verstorbene zu beklagen sind, dann kann ich nur sagen: Wir haben vieles richtig gemacht, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Zurückzuführen ist das auf einen Dreiklang von Gründen. Erstens: die Maßnahmen, die wir getroffen haben. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben sich eingeschränkt. Sie haben akzeptiert, dass die Einschränkungen nötig waren. Natürlich leiden sie darunter, wenn Kindergärten und Schulen geschlossen sind und wenn der Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist. Trotzdem wurden die Maßnahmen weitgehend akzeptiert. Ich komme aus dem Wahlkreis Bodensee, wo Hotellerie und Gastronomie besonders betroffen sind. Ich habe mit vielen geredet. Natürlich kann es nicht unendlich so weitergehen, und es muss endlich zu Öffnungen kommen. Aber klar ist auch: Es gab Akzeptanz für die Maßnahmen, die wir getroffen haben. Der zweite Punkt ist das allgemeine Gesundheitssystem, das man im Besonderen betrachten muss. 20 Prozent der Infizierten zeigen keine Symptome, und von den übrigen 80 Prozent werden sechs von sieben Patienten von den niedergelassenen Ärzten versorgt: von den Hausärztinnen und Hausärzten, von den HNO-Ärzten und von den Kinderärzten. Sie haben die Last hauptsächlich getragen. Als weiterer Punkt sind die Krankenhäuser zu nennen, wo die Patienten ankommen, die am härtesten von der Pandemie betroffen waren und sind. Auch dort stellen wir fest, dass wir im Vergleich zu den Gesundheitssystemen im Ausland das Drei- bis Vierfache an Beatmungskapazitäten haben. Der dritte Punkt – Frau Kappert-Gonther hat es richtigerweise angesprochen – ist der Öffentliche Gesundheitsdienst, der in der Vergangenheit in der Tat vernachlässigt wurde. An dieser Stelle müssen wir nachjustieren. Dazu gehören auch wissenschaftliche Aufarbeitungen, um zu erkennen, an welcher Stelle wir nachsteuern müssen. Zum Abschluss möchte ich auf das Thema Wissenschaftlichkeit zu sprechen kommen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat in diesen Tagen veröffentlicht, dass die meisten Studien zu Corona aus den USA kommen, die qualitativ besten aber aus Deutschland sind, was das Nachschlagen in der Literatur anbelangt. So viel zum Thema, wie die Wissenschaft bei uns und das RKI aufgestellt sind. Auch hier kann man alles besser machen – und wir lernen jeden Tag dazu –, aber mir ist nicht bange darum, dass wir die Krise meistern können und dass wir dazulernen und noch besser werden, damit wir auch zukünftige Krisen meistern. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Lothar Riebsamen. – Nächste Rederin: für die SPD-Fraktion Heike Baehrens. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verkehrte Welt: Die AfD ruft nach der Wissenschaft! International wird staunend auf Deutschland geschaut, weil es gelingt, die Ausbreitung des Virus zu begrenzen und unser Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Woran liegt das? Es liegt daran, dass wir schon von Beginn an genau auf das hören, was uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler raten. ({0}) Bund, Länder und Gemeinden haben schnell und effektiv gehandelt, die Expertinnen und Experten vom Robert-Koch-Institut, aber auch von einer Vielzahl anderer wissenschaftlicher Einrichtungen arbeiten rund um die Uhr und informieren breit und transparent über ihre Erkenntnisse, und die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zeigt sich verantwortungsvoll und solidarisch. ({1}) Alle Einschränkungen bewegen sich im Übrigen im Rahmen unserer Verfassung. Und dann kommen Sie mit einem solchen Antrag und wollen dieses solidarische Handeln in unserem Land mit pseudowissenschaftlichem Hinterfragen untergraben? ({2}) Wie scheinheilig, wo doch gerade die AfD die Erkenntnisse der Wissenschaft völlig ignoriert! Beim Klimaschutz verweigern Sie sich sogar der Realität. ({3}) Als gewählte Abgeordnete haben wir, jede und jeder Einzelne von uns, den Auftrag, Schaden von unserem Land abzuwenden. Sie gefährden den Gesundheitsschutz, indem Sie immer wieder versuchen, das verantwortungsvolle Handeln der Regierungen in Bund und Ländern schlechtzureden. Was wir in dieser Phase brauchen, sind nicht nur Daten und Fakten, wir brauchen vor allem politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, die mit diesen Fakten umgehen können. Sorgfältiges Abwägen und verantwortungsvolles Entscheiden sind gefragt, und das auf der Basis einer breiten gesellschaftlichen Diskussion, wie wir sie seit Wochen führen. Vielfältige Perspektiven einzubeziehen, das ist die besondere Qualität von Politik in der Demokratie. Hohe Fachlichkeit in den Politikfeldern, Erfahrungen aus unterschiedlichen Regionen in unserem Land und darüber hinaus, enger Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern, die in verschiedenen Lebenszusammenhängen leben – auf diesem Fundament bewertet die große Mehrheit in diesem Haus die unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Im Übrigen haben Sie das Wichtigste völlig vergessen: Pandemien vorzubeugen und zu bekämpfen, das geht nur in internationaler Zusammenarbeit und Solidarität. ({4}) Aber wer über den eigenen Tellerrand nicht hinausblicken kann, sieht nicht die Not der anderen und auch nicht, was wir von den anderen lernen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heike Baehrens. – Letzter Redner in dieser Debatte: Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vorbereitung auf meine heutige Rede habe ich mir überlegt, wie ich einsteige. Es wäre natürlich ein Leichtes gewesen, einzelne Dinge anzubringen, Sie anzugreifen oder zu sagen: Wer noch nicht einmal 24 Stunden vor der Debatte den Antrag vorlegt, der soll halt schweigen. – Das möchte ich aber nicht. Ich möchte Türen nicht schließen, sondern ich hoffe immer noch, dass alle Fraktionen in diesem Hohen Haus in der Lage sind, Dinge ordentlich zu bewerten und aus der Vielfalt für die Zukunft Schlüsse zu ziehen. Ich glaube, es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe, Wissenschaft und Forschung in die Pflicht zu nehmen. Der Politik wird ja oft vorgehalten, viel zu sehr in der Parteiarbeit verankert zu sein; diejenigen, die beratend tätig sind, die Wissenschaftler, die Fachleute, kämen nicht zu Wort. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist in dieser Situation nicht der Fall. ({0}) Ich glaube, wir sind gut beraten, uns starke Wissenschaftler, die in Deutschland, aber auch international tätig sind, als Ratgeber zu holen. Es ist wichtig, dass wir uns nicht im Klein-Klein der nationalen Forschung bewegen, sondern uns international aufstellen. Formulierungen wie, wir hätten ohne Rücksicht auf Verluste gehandelt, oder „Zwangsmaßnahmen“ sind hier, glaube ich, fehl am Platz. Die Regierung und auch das Parlament haben verantwortungsvoll gehandelt. Niemand hat sich die Entscheidungen leicht gemacht, weder im Bund noch in den Ländern. Es hat sich gezeigt, dass es uns durch dieses Zusammenspiel in dieser Pandemie bisher – das ist immer die Einschränkung: bisher – so gut gelungen ist, hier noch mehr Tote zu verhindern, noch mehr Infizierte zu verhindern. Das lässt uns aber nicht locker und lässig werden, sondern wir arbeiten weiter. Es wird diskutiert über Forschung und Wissenschaft in Deutschland, aber auch über das Produzieren von Heil- und Hilfsmitteln, von Impfstoffen, von Medikamenten. Jetzt, in der Krise, merken wir, wie wichtig es ist, dass Deutschland in der Lage ist, mitzuspielen, all diese Dinge zu produzieren und sich selbst zu versorgen. Das gepaart mit der Entwicklung von Strategien für solche Situationen, das ist unsere Aufgabe. Das ist unser Ziel. Ich glaube, es ist der falsche Weg, nach einem längeren Zeitraum hier Weisheiten von sich zu geben. Politik besteht nicht im Nachreden, wenn man das Ergebnis bereits kennt, sondern Politik wird gestaltet, wenn der Weg noch nicht klar ist. Dann muss man entscheiden, dann muss man mutig sein, und dann muss man richtigliegen. Das haben wir getan. – Ich bedanke mich bei all denjenigen, die sich hier daran beteiligt haben. Herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Erich Irlstorfer. – Damit schließe ich die Aussprache.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Gesetzen ist es manchmal wie mit Gebäuden: Was vor langer Zeit geplant wurde, passt nicht mehr zu den Bedürfnissen von heute. Das Wohnungseigentumsgesetz, das WEG, ist ein solcher Fall. Seit 1951 wurde es nämlich nur punktuell geändert; eine Reform ist überfällig. Mit dem Entwurf des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes lege ich Ihnen heute einen Reformvorschlag vor. Im vergangenen Jahr hat eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern Reformvorschläge vorgelegt. Auf dieser Grundlage haben wir einen umfangreichen Gesetzentwurf erarbeitet. Drei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: Erstens erleichtern wir den notwendigen Umbau bestehender Wohnanlagen, zweitens machen wir die Verwaltung von Wohnanlagen einfacher und effizienter, und drittens sorgen wir dafür, dass das Wohnungseigentumsrecht weniger streitanfällig ist. ({0}) Zum ersten Punkt. Viele Wohnanlagen in Deutschland entsprechen nicht mehr, wie beschrieben, den heutigen Bedürfnissen. Sie sind nicht barrierefrei, der Energieverbrauch ist zu hoch, es gibt keine Ladestation für Elektroautos, und ein Glasfaseranschluss fehlt oftmals. Bei der Beseitigung dieser Defizite steht das Recht leider oft im Weg. Bei vielen Umbauvorhaben müssen nämlich alle Eigentümerinnen und Eigentümer zustimmen oder ein großer Teil davon. Wer schon einmal in so einer Anlage gewohnt hat, der weiß, wie schwierig es ist, alle mit an Bord zu nehmen, wenn es darum geht, Veränderungen vorzunehmen. Viele Vorhaben scheitern daran. Für die Betroffenen ist das frustrierend, und zugleich ist der Sanierungsstau ein Problem für die gesamte Gesellschaft; die Stichworte „Klimaziele“ und „Verkehrswende“ sind da anzuführen. Mit unserem Gesetz räumen wir nunmehr die größten Hindernisse für Umbauten aus dem Weg. Künftig kann die Eigentümerversammlung bauliche Veränderungen mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen. Bestimmte Maßnahmen sind künftig auch dann möglich, wenn sich dafür keine Mehrheit findet, beispielsweise barrierereduzierende Umbauten, der Einbau einer Ladestation, die Verbesserung beim Einbruchschutz und ein Glasfaseranschluss. Die Eigentümerinnen und Eigentümer erhalten ein Recht darauf, dass ihnen solche Umbauten – natürlich auf eigene Kosten – gestattet werden. Damit schaffen wir die Voraussetzungen für ein zukunftsfähiges Wohnen. ({1}) Zum zweiten Punkt. Ein weiterer wichtiger Aspekt unseres Gesetzentwurfs betrifft die alltägliche Verwaltung von Wohnanlagen. Wir machen sie einfacher und effizienter. Dazu sei hier einiges genannt: Wir beseitigen Hürden für die Beschlussfähigkeit von Eigentümerversammlungen, wir ermöglichen Umlaufbeschlüsse per E-Mail, und wir vereinfachen die Teilnahme der Wohnungseigentümergemeinschaft am Rechtsverkehr. Schließlich gestatten wir es den Eigentümerinnen und Eigentümern, die Onlineteilnahme an ihren Versammlungen zuzulassen. Gerade in der heutigen Zeit, in der wir uns über die Auswirkungen von Covid-19 unterhalten, haben wir gemerkt, wie wichtig gerade dieser Schritt ist. Letztlich noch ein paar Worte zum dritten Punkt, nämlich dazu, dass das Wohnungseigentumsrecht weniger streitanfällig sein soll. Viele Richterinnen und Richter können ein Lied davon singen. Unter Wohnungseigentümern gibt es viele Rechtsstreitigkeiten, und das liegt auch am Gesetz. Wichtige Rechtsfragen beantwortet das WEG bisher nämlich nur ungenau, und manchmal vermittelt der Gesetzestext einen missverständlichen Eindruck von der Rechtslage. Hier schaffen wir Abhilfe. Wir machen das Gesetz klarer und damit gerechter. Deshalb freue ich mich darauf, dass es nach 1951 und einigen Änderungen jetzt endlich zu einer Modernisierung in diesem Bereich kommen kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Ministerin Lambrecht. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Udo Hemmelgarn. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit mehr als 9 Millionen Eigentumswohnungen hat das Wohnungseigentum in Deutschland eine erhebliche Bedeutung. Wohnungseigentum ist ein wichtiger Baustein für die Alterssicherung unserer Bürger. Wir als AfD haben uns immer dafür ausgesprochen, den Erwerb von Wohneigentum zu fördern. Hemmnisse, wie die viel zu hohe Grunderwerbsteuer, wollen wir wieder auf ein erträgliches Maß absenken. Umso unverständlicher ist das, was die Bundesregierung hier vorlegt. Aufschlussreich ist es trotzdem. Spätestens jetzt wird klar, dass diese Bundesregierung kein Interesse an der Eigentums- und Vermögensbildung ihrer Bürger hat, sondern diese vielmehr in Armut und ökonomischer Abhängigkeit halten will. ({0}) In einem Marktumfeld, in dem der Erwerb einer Eigentumswohnung ohnehin eine schwer zu stemmende Investition ist, schafft die Bundesregierung ohne Not weitere erhebliche Risiken für Erwerber und Eigentümer. Natürlich soll das Ganze wieder einmal dem Klimaschutz und der Schaffung einer besseren Welt dienen. ({1}) Die Errichtung von Ladesäulen für Elektroautos und die energetische Modernisierung von Gebäuden sollen erleichtert werden. Wenn man sich allerdings die Mühe macht, den Gesetzentwurf zu lesen, kommt man zu völlig anderen Rückschlüssen, und man begegnet wohl auch hier der Merkel’schen Transformation unserer Gesellschaft. ({2}) Wie sehen die Regelungen für eine bessere grüne Welt im Einzelnen aus? ({3}) Nach § 20 des Gesetzentwurfs können auch bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum künftig mit einfacher Mehrheit der Eigentümer beschlossen werden. Das klingt gut und wird die Beschlussfassungen vermutlich einfacher machen, aber gerade in Wohnanlagen, in denen Großinvestoren die Mehrheit haben, wird es damit künftig sehr leicht möglich sein, finanziell schwache Eigentümer aus ihren Wohnungen zu drängen. Ist der einzelne Eigentümer gegen die geplante Luxussanierung, wird er überstimmt. Kann er seinen Kostenanteil nicht bezahlen, muss er verkaufen – im Zweifel an den Großinvestor, der den Stein ins Rollen gebracht hat. ({4}) Der Gesetzentwurf liefert damit praktisch einen Wegweiser für Großinvestoren, wie ganze Anlagen zu übernehmen sind. ({5}) Meine Damen und Herren, unter dem Deckmantel des Klimaschutzes werden der Mittelstand zerstört und die Herrschaft der Großkonzerne weiter ausgebaut – ({6}) und ein SPD-geführtes Justizministerium unter Frau Lambrecht leistet munter Schützenhilfe. Als wäre das nicht schon genug, will die Bundesregierung die Risiken für Eigentümer auch an anderer Stelle erhöhen. Nach dem Gesetzentwurf kann der Verwalter des Wohnungseigentums die Eigentümer im Außenverhältnis unbegrenzt verpflichten. Auch wenn der Verwalter einen nutzlosen Vertrag über mehrere Millionen Euro abschließt, ist die Eigentümergemeinschaft verpflichtet, diese Kosten zu tragen. Ein eingetretener Schaden kann dann allein im Verhältnis zum Verwalter geltend gemacht werden. ({7}) Am Ende steht dann wie immer die Frage, ob der Verwalter den Schaden überhaupt bezahlen kann. Eine Erhöhung der Versicherungssummen für Verwalter ist im Gesetzentwurf ebenso wenig vorgesehen wie die Vorgabe einer bestimmten Qualifikation. Schließlich gibt es noch das besondere Thema der Ladesäulen für Elektrofahrzeuge in Wohnanlagen. In dem Entwurf wird die eigentliche Problematik dieses Themas nicht angesprochen, nämlich die Tatsache, dass es aufgrund der Stromnetze der meisten Wohnanlagen und wohl auch der meisten Viertel überhaupt nicht möglich ist, jedem Eigentümer eine Ladestation zu ermöglichen. Es ist deshalb völlig unklar, wie diese Sache gehandhabt werden soll. Hat der erste Eigentümer einen Anspruch auf die Ladesäule und der Rest wegen Überlastung der Netze nicht mehr? Muss er sich den Anspruch unter Umständen mit anderen teilen? Gegen Kostenerstattung? Können die übrigen Eigentümer eine Ertüchtigung des Netzes verlangen und die anderen Eigentümer an den Kosten beteiligen? Der Gesetzentwurf lässt die Beteiligten nicht nur an dieser Stelle mit vielen offenen Fragen zurück. Eines ist allerdings klar: Die Rechtsposition des einzelnen Eigentümers wird geschwächt, die Positionen der großen Wohnkonzerne und der Verwaltung werden gestärkt. Wir werden dieser Entwertung von Wohneigentum nicht zustimmen und lehnen den Gesetzentwurf ab. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Udo Hemmelgarn. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Jan-Marco Luczak. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Wohnungseigentumsgesetz, das WEG, ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Wir haben es schon gehört: Es gibt in unserem Land 10 Millionen Wohnungseigentümer, die sich auf etwa 2 Millionen Wohnungseigentümergemeinschaften verteilen. Dieses Gesetz gibt es seit 1951; das hat die Ministerin schon erwähnt. Das Ziel dieses Gesetzes war, breiten Schichten der Bevölkerung die Bildung von Wohnungseigentum zu ermöglichen, und die Zahlen zeigen es: Das ist gut gelungen. Wir als Union sagen ganz klar: Diesem Ziel fühlen wir uns auch heute noch verpflichtet. Wir wollen den Menschen die Erfüllung des Traumes von den eigenen vier Wänden ermöglichen bzw. erleichtern. Gerade in den großen Städten, in denen wir sehen, dass die Kaufpreise in den letzten Jahren wirklich stark gestiegen sind, ist die Bildung von Wohneigentum fast nur über das Wohnungseigentum möglich, da es in vielen Städten gar nicht viele Einfamilienhäuser gibt. Dort ist der Weg über das WEG oftmals die einzige Möglichkeit. Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass das Wohnungseigentumsgesetz weiter attraktiv bleibt. Die letzte Reform – auch das haben wir heute schon gehört – ist jetzt 13 Jahre her, und deswegen ist es wichtig, dass wir das Wohnungseigentumsgesetz jetzt auf Zukunft trimmen; denn in diesen letzten 13 Jahren ist viel passiert. Viele neue Herausforderungen sind in den letzten Jahren hinzugekommen: der Bereich der Digitalisierung, Glasfaser, der Klimaschutz – wir haben es schon gehört –, der Einbruchschutz, der verbessert werden muss, der demografische Wandel und damit verbunden der altersgerechte Umbau von Wohnungseigentumsanlagen. Deswegen müssen wir die Wohnungseigentümergemeinschaften in die Lage versetzen, auf diese neuen Herausforderungen zu reagieren. Wir müssen die Wohnungseigentümergemeinschaften handlungsfähig machen. Sie müssen effizienter mit diesen Herausforderungen umgehen können. Das gilt etwa für die baulichen Veränderungen, die notwendig sind, wenn ein altersgerechter Umbau oder ein Glasfasereinbau ansteht oder wenn es darum geht, Ladeinfrastruktur für Elektromobilität zu schaffen. Dafür haben wir heute hohe Hürden, die das oftmals unmöglich machen. Es gibt häufig Einstimmigkeitsquoren, die nicht erfüllt werden können, und das zeigt sich eben auch an dem Zustand der Anlagen von Wohnungseigentümergemeinschaften. Der ist nämlich oftmals schlecht und nicht modern; wir haben hier einen wirklichen Modernisierungsstau. Deswegen: Wir wollen diesen Modernisierungsstau auflösen und die Hürden senken, indem wir die Beschlussfassungen erleichtern. Mit dem heutigen Gesetzentwurf wollen wir darüber hinaus auch den Anspruch darauf verankern, solche baulichen Maßnahmen auf eigene Kosten – das ist richtig – durchführen zu können. Hier müssen wir viel tun. Im Gesetz ist einiges schon gut geregelt, aber ich glaube, wir müssen noch ein Stück weitergehen, insbesondere in Bezug auf die Umlaufbeschlüsse. Sie sind heute nur einstimmig möglich; alle müssen am Ende zustimmen. Das ist nicht praktikabel und funktioniert in der Praxis in der Regel auch nicht, weil es immer jemanden gibt, der dagegen ist, und deswegen müssen wir auch an der Stelle zu Mehrheitsbeschlüssen kommen. ({0}) Wichtig ist: Wir brauchen an dieser Stelle einen starken, einen handlungsfähigen Verwalter, weil er am Ende alle diese Dinge umsetzen muss. Deswegen brauchen wir da eine stärkere Stellung, mit klar umrissenen Aufgaben, mit klar umrissenen Befugnissen, und natürlich – das will ich an der Stelle auch sagen – brauchen wir auch kompetente Verwalter, wir brauchen gute Verwalter. Das, was in diesem Gesetzentwurf bislang noch fehlt, ist der Sachkundenachweis. ({1}) Verwalter gehen mit fremdem Vermögen um. Es geht um viele Milliarden Euro. Deshalb müssen wir sehr genau hinschauen, wer das machen darf. Das muss im Gesetzentwurf noch ergänzt werden. ({2}) Meine Damen und Herren, wir wissen aber natürlich auch um die Bedenken, die Eigentümer haben, wenn wir davon sprechen, dass wir einen starken Verwalter brauchen. Diese Bedenken, die viele Eigentümer haben, nehmen wir sehr ernst. Deswegen sagen wir als Union auch sehr klar, dass die Rechte von Eigentümern gewahrt bleiben müssen. Wir brauchen also auf der einen Seite einen angemessenen Ausgleich zwischen der Handlungsfähigkeit von Wohnungseigentümergemeinschaften und einem starken Verwalter. Auf der anderen Seite muss aber natürlich auch der Einfluss von Eigentümern gesichert bleiben. Wir wollen keine Entwertung der Eigentümerposition. Wir müssen uns daher noch einmal sehr genau anschauen, wie diese Gestellung momentan gesichert werden kann. ({3}) Deswegen haben wir auch auf eines Wert gelegt: Wir geben den Eigentümern ein scharfes Schwert in die Hand. Die Entlassung des Verwalters ist zukünftig ohne Gründe jederzeit möglich. Es ist also keine Pflichtverletzung mehr notwendig; das fehlende Vertrauen in die Arbeit des Verwalters reicht. Meine Damen und Herren, am Schluss: Das ist ein wichtiges Gesetz. Viele Millionen Menschen sind davon betroffen. Sorgfalt und Abwägung der unterschiedlichen Interessen sind jetzt notwendig, nicht übertriebene Hast. Wir haben einen sehr ambitionierten Zeitplan für dieses Gesetz.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber wir als Union werden uns die notwendige Zeit für dieses Gesetz nehmen und an dieser Stelle nichts überhasten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Luczak. – Das Wort hat als Nächstes für die FDP-Fraktion die Kollegin Katharina Willkomm. ({0})

Katharina Kloke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004783, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten Menschen erwerben Eigentum gerade deshalb, um unabhängig zu sein. Wer Wohneigentum erwirbt, ist aber nicht völlig frei: Es gibt die anderen Eigentümer, es gibt den Verwalter. Verwaltung mit und durch Dritte bedeutet, Kontrolle abzugeben. Das führt zu Spannungen, und Ihr Entwurf löst diese nicht. Das beginnt beim Verwalter. Sie wollen, dass Verwalter demnächst losgelöst von Beschlüssen der Eigentümer arbeiten. In Ihrem Entwurf heißt es, der Verwalter dürfe Maßnahmen treffen, „über die eine Beschlussfassung … nicht geboten ist“. Wissen Sie, so ein Satz ist keine Kompetenzregel für den Alltag; das ist sonnengebräunter Weichkäse. So provozieren Sie in tausend WEG einen Rechtsstreit nach dem anderen. ({0}) Was werden die Gerichte denn machen? Sie werden sich genau daran orientieren, was dieselbe Norm zuvor als Aufgaben des Verwalters aufgelistet hat. Ihr Änderungsvorschlag schafft Unsicherheit; sonst schafft er nichts. ({1}) Die richtige Antwort finden Sie in unserem Antrag, dem der Freien Demokraten: Für den Verwalter muss ein Katalog der Basispflichten direkt ins Gesetz, einschließlich des Sachkundenachweises. ({2}) Ausgehend davon steht es jeder WEG frei, das Pflichtenkorsett zu lockern oder fester zu schnüren. So ist immer transparent, was ein Verwalter darf, und die Entscheidung der Eigentümer bleibt frei. Nächstes Thema, die Beschlussmehrheit: Es ist richtig, die komplizierten Unterscheidungen der baulichen Maßnahmen mit unterschiedlichen Abstimmungsquoren zu vereinfachen. Diese Regelung führt zu Streit, sie verhindert sinnvolle Modernisierung. Aber künftig soll alles per einfacher Mehrheit der Anwesenden beschlossen werden. Dadurch entsteht eine unerträgliche Gefahr: Eine gut organisierte Minderheit zwingt der Mehrheit ihren Willen auf. Deshalb, liebe Frau Ministerin, lade ich Sie zu Copy-and-Paste aus unserem Antrag ein. Eine Mehrheitsentscheidung ist nur dann gerecht, wenn die Mehrheit der Stimmen mindestens zugleich die Mehrheit der Eigentumsanteile darstellt. ({3}) Letzter Punkt: Bei der Digitalisierung tauchen Sie gerade mal den Zeh ins Wasser. Sie wollen beim Umlaufverfahren immer noch am Einstimmigkeitserfordernis festhalten. Kollege Luczak hat es ja auch schon gesagt. Davon müssen wir wegkommen; denn es bleibt ansonsten weiterhin irrelevant, Textform hin oder her. Lesen Sie unseren Antrag, lassen Sie sich inspirieren. Wir brauchen jetzt die rechtlichen Grundlagen, damit die WEG komplett digitalisiert werden kann, sodass alle Unterlagen, Rechnungen und Anträge jederzeit von allen Eigentümern eingesehen werden können. Es gibt viel zu tun. Packen wir es an! Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, liebe Frau Kollegin Willkomm. – Als Nächstes hat für die Fraktion Die Linke das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab gesagt: Das Wohneigentumsrecht so zu ändern, dass Ladepunkte für E-Autos an privaten Stellplätzen zügig ausgebaut werden, begrüßen wir als Linke. ({0}) Damit aber auch genug des Lobes. Was hier vorliegt, ist ein in weiten Teilen misslungener Gesetzentwurf der Bundesregierung. ({1}) Er verkennt die soziale Bedeutung des Mietrechts; denn das Mietrecht wird hier nebenbei gravierend beeinflusst. Unter der Überschrift „Harmonisierung von Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht“ werden Regelungen vorgeschlagen, die Mieterinnen und Mieter rechtlich benachteiligen. ({2}) In Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie künftig die Betriebskosten nach dem Schlüssel aufteilen, der für alle Eigentümer untereinander gilt. Bisher ist aber der Wohnflächenmaßstab der übliche Verteilschlüssel für die meisten Nebenkosten. Ihre Änderungen führen jedoch zu einer Bevorzugung der Vermietenden gegenüber den Mietenden. Das weisen wir entschieden zurück. ({3}) Hier beginnt der Einstieg in ein Mietrecht der zwei Klassen, nämlich abhängig davon, ob man Mieterin oder Mieter einer Eigentumswohnung ist oder eben nicht. Zugleich verkennt dieser Entwurf aus einem SPD-geführten Ministerium eklatant die Bedeutung des Mietrechts für die Menschen in unserem Land. ({4}) Der Deutsche Mieterbund hat recht, wenn er in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf auf die für Mieterinnen und Mieter nachvollziehbare Verteilschlüsselgröße verweist, eben die genutzte Wohnfläche. Davon können die jetzt als Verteilschlüssel angeführten Miteigentumsanteile sehr wohl abweichen. Aber auch in § 15 in Artikel 1 des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes ist dieser Entwurf zu weitgehend und damit überflüssig. Die dort geregelten Duldungspflichten des Mietenden bei Renovierungen und Modernisierungen sind bereits in § 555a Absatz 1 BGB geregelt und bedürfen keiner erneuten Regelung. ({5}) Dass auch die Wohnungseigentumsgemeinschaft, also sogar die nicht beim Mietvertrag beteiligten Miteigentümer, solche Ansprüche gegenüber dem Mieter bekommen sollen, ist systemfremd. Es verkennt auch die Abhängigkeit der Mietenden auf einem extrem angespannten Mietwohnungsmarkt. Wie sollen sich Mieterinnen und Mieter denn dagegen wehren, wenn sie keine Wohnalternativen haben? Aber selbst Wohnungsbesitzende werden in Ihrem Gesetzentwurf negativ bedacht, zumindest soweit es sich um solche handelt, die zum Beispiel ohne Profitabsicht in der selbstgenutzten Wohnung wohnen wollen; denn die Wohnungsverwaltungen dürfen jetzt die Eigentümergemeinschaft finanziell verpflichten, ohne hierzu durch einen vorherigen konkreten Beschluss gebunden zu sein. Zusammengefasst: Die bzw. der Einzelne wird hier in seiner Eigentümerposition rechtlich geschwächt, mit Leichtigkeit überstimmt und muss daher noch mehr aufpassen, keine wirtschaftlichen Nachteile zu erleiden. So sieht es jedenfalls der Deutsche Anwaltverein, und diese Kritik teilen wir als Linke. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Straetmanns. – Als Nächster hat der Kollege Christian Kühn das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen hatten in der letzten Wahlperiode bereits gefordert, dass das Wohnungseigentumsrecht grundlegend modernisiert, vereinfacht und reformiert wird. ({0}) Ich finde, Ihr Gesetzentwurf ist ein guter Gesetzentwurf, aber er kommt leider viel zu spät, und ich finde, Sie haben sich damit zu viel Zeit gelassen. Aber lieber spät als nie. ({1}) Der Problemdruck ist enorm. Wir haben einen massiven Sanierungsstau bei Klimaschutz, Barrierefreiheit, Elektromobilität, Digitalisierung. Das heutige WEG-Recht verhindert quasi die Schaffung von Wohnraum bei Aufstockung und Umbau von Gebäuden in den Ballungsräumen; und das heutige WEG-Recht ist streitanfällig und nicht kompatibel mit dem Mietrecht. Das gesamte Gesetz bedarf einer Reform; die wird hier auch vorgelegt. Das finden wir gut. Kernelement Ihres Gesetzentwurfes ist erstens ein Paradigmenwechsel innerhalb des WEG-Rechts in Richtung eines Gesellschaftsrechts und damit einer stärkeren Stellung des Verwalters und zweitens die Absenkung von Beschlussquoren für bauliche Maßnahmen; für alle Beschlüsse reicht in Zukunft eine einfache Mehrheit. Ich finde das einen mutigen Vorschlag. Aber der Mut hat Sie leider verlassen; denn wer die Rolle des Verwalters stärkt, muss den Sachkundenachweis einführen, muss für eine verbindliche Qualifikation von den Verwaltern sorgen. Das tun Sie nicht. Das ist das große Problem dieses Gesetzentwurfes. ({2}) Es braucht endlich einen verbindlichen Sachkundenachweis. Herr Luczak, Sie haben ihn hier gerade ebenfalls gefordert; deshalb will Sie kurz daran erinnern: Es war die CDU/CSU-Fraktion in der letzten Wahlperiode, die den Sachkundenachweis verhindert hat. Es war niemand anderes im Parlament, es war die CDU/CSU-Fraktion im Wirtschaftsausschuss. ({3}) Deswegen finde ich sehr gut, dass wir jetzt beide Seitʼ an Seitʼ ({4}) gemeinsam Herrn Altmaier bei der Frage des Sachkundenachweises Beine machen. Denn das muss die CDU liefern. Das erwarten wir jetzt auch von Ihnen, gerade wenn Sie hier in dieser Debatte den Mund so voll nehmen. ({5}) Beim WEG-Recht geht es um kein nerdiges Thema. Es geht auch nicht um ein allein immobilienwirtschaftliches Thema. Es geht um das Lebensumfeld von vielen Millionen Menschen. Es betrifft 22 Prozent aller Wohnungen in Deutschland, in meiner Heimat Baden-Württemberg sogar 33 Prozent. Deswegen sehen und teilen wir die Kritik, die es sozusagen in der Verbändelandschaft gibt; sie ist heute zum Teil angesprochen worden. Wir werden uns sehr intensiv mit den Vorschlägen der Eigentümerverbände auseinandersetzen. Aber eines ist klar: Wir brauchen eine umfassende Reform, und wir brauchen eine WEG, die in Zukunft bei den Herausforderungen des Wohnens im 21. Jahrhundert handlungsfähig ist. Dieser Gesetzentwurf berücksichtigt aus unserer Sicht den Klimaschutz zu wenig; der Sanierungsstau ist angesprochen worden. Wenn wir so in den WEG-Anlagen, die wir in Deutschland haben, weitersanieren, haben wir alle Wohnungen in den WEG-Anlagen in 166 Jahren saniert. So kann man keinen Klimaschutz machen. Deswegen braucht es noch mehr Vorschläge, auch jenseits der Absenkung der Quoren. ({6}) Zum Schluss: Wir werden uns den Gesetzentwurf im weiteren Verfahren sehr genau anschauen. Dabei gelten für uns folgende Kriterien: Taugt er in der Praxis? Bringt er mehr Klimaschutz, mehr E-Mobilität? Stärkt er den Verbraucherschutz und die Rechtssicherheit? Dann sind wir auch bereit, mit Ihnen gemeinsam einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der das Wohnen im 21. Jahrhundert ermöglicht. Danke schön. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Kühn, für Ihre Rede. – Es läuft sich warm aus der CDU/CSU-Fraktion der Kollege Sebastian Steineke. ({0})

Sebastian Steineke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004417, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kühn, Sie können, glaube ich, bedenkenlos zustimmen; denn wir haben ja schon einen guten Entwurf vorgelegt, wie Sie gesehen haben. Über einige Punkte im Entwurf werden wir sicherlich noch diskutieren. Die Ministerin hat es gesagt: Was lange währt, wird endlich gut. – Das gilt auch für die Reform des WEG. Das WEG ist tatsächlich überholt; es ist in weiten Teilen massiv renovierungsbedürftig. Das packen wir jetzt an. Wir haben 10 Millionen Eigentumswohnungen – das ist gesagt worden – und ungefähr 2,5 Millionen Eigentümer. Die warten dringend darauf, dass wir zeitgemäße Regelungen finden. Ich glaube, man kann sich auch kurz bei der Bund-Länder-Arbeitsgruppe bedanken, die bis Ende 2019 sehr gute Arbeit gemacht hat, auch Thüringen war dabei. Sie hat viel zu dem beigetragen, was hier drinsteht. Herr Kollege Straetmanns, so schlecht kann der Entwurf nicht gewesen sein. Das kann man vielleicht noch einmal sagen. Die gute Vorlage werden wir dann im Verfahren sicherlich noch verbessern. Es gibt einige Änderungen; die meisten sind ja schon angesprochen worden. Nur kurz angesprochen: Wir reden über das Thema E-Mobilität, über den Aus- und Umbau zur Barrierefreiheit. Wir reden über das Thema Einbruchschutz. Wir werden natürlich – das ist ein umstrittenes Thema – auch über die Beschlussfassung über bauliche Veränderungen in der Anlage reden. Die Rolle der rechtsfähigen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer wird neu aufgestellt. Ein Paradigmenwechsel wird vollzogen. Die Teilnahme am Rechtsverkehr wird deutlich vereinfacht. Es ist ein wesentliches Ziel dieses Entwurfes, die Rechtsstreitigkeiten zu minimieren. Auch die Eigentümerversammlung wird aufgewertet. Ich glaube, das ist ein entscheidender Punkt. Darüber müssen wir noch einmal reden. Wir haben die Hürden für die Beschlussfähigkeit abgebaut. Wir sind das Thema Digitalisierung angegangen. Ich sage ganz eindeutig „angegangen“; da geht noch viel mehr. Ich glaube, wir sollten im Verfahren zum Beispiel für den Beirat, aber auch für die Wohnungseigentümergemeinschaft weitere Schritte gehen. ({0}) In der Diskussion ist noch der umstrittene Punkt der Verwalterstellung; viele haben ihn angesprochen. Ich muss jetzt nichts mehr zu den Maßnahmen, auch nicht zu eilbedürftigen Maßnahmen, die er durchführen darf, sagen. Natürlich hat er am Ende eine Funktion wie ein Geschäftsführer. Das muss man, glaube ich, so deutlich sagen. Das ist ja auch niedergelegt worden. Im Gesetzentwurf wird aber auch die Stellung der Wohnungseigentümer verändert, verbessert. Sie haben die Möglichkeit, die Verwalterstellung und die Berechtigungen des Verwalters durch Beschluss zu erweitern oder auch einzuschränken. Und sie haben die Möglichkeit, den Verwalter deutlich leichter zu entpflichten, als es bisher der Fall war. Das ist eine deutliche Aufwertung der Eigentümerversammlung. Das sind erste Schritte. Es steht natürlich weiterhin die Befürchtung im Raum, dass er zu viele Kompetenzen bekommt, dass es Haftungsfragen gibt. Darüber werden wir im Prozess noch reden. Auch das Thema Vermögensbericht kommt dazu. Das Thema Informationspflichten ist verbessert worden. Wir haben schon sehr viel in diesem Entwurf gemacht. Klar ist: Wir brauchen klare Regeln, klare Strukturen. Der Verwalter muss am Ende des Tages schneller und effizienter für die Eigentümer arbeiten können. Auch das ist wichtig. ({1}) Wir haben ein paar Punkte schon angesprochen, die wir noch ändern wollen. Dazu gehört der Sachkundenachweis. Am Ende ist nicht wichtig, wo er reinkommt, sondern dass er reinkommt. Daran werden wir sicherlich gemeinsam arbeiten. Man kann zum Beispiel über das Verwalterregister nachdenken. – Ich glaube, der Kollege Kühn möchte eine Frage stellen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wenn Sie die zulassen.

Sebastian Steineke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004417, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich lasse sie natürlich zu.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Kühn, stellen Sie Ihre Frage. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Steineke, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Meine Frage: Wird es im parlamentarischen Verfahren so sein, dass man sich gemeinsam mit den anderen Fraktionen darauf einigen kann, dass wir diesen Sachkundenachweis einbringen? Ich glaube, er wird von allen demokratischen Fraktionen hier im Deutschen Bundestag gefordert. Wir sind jederzeit bereit, gemeinsam mit Ihnen einen Antrag einzubringen und dieses Gesetz voranzubringen. ({0})

Sebastian Steineke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004417, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eindeutig ja. ({0}) Das ist unser Ziel. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kurze Antwort, jawohl.

Sebastian Steineke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004417, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am Ende des Tages müssen wir sicherlich auch noch einmal über den Beirat reden. Wir müssen überprüfen, ob der Beirat aufgewertet werden kann und aufgewertet werden muss. Wir haben schon erste Schritte gemacht. Wir haben zum Beispiel das Thema Haftung geregelt; wir haben über das Thema Flexibilisierung geredet. Aber wir müssen sicherlich auch noch einmal über Informations- und Beteiligungsrechte des Beirates nachdenken. All das können wir machen. Wir haben noch eine Anhörung am 27. Mai. Darauf freuen wir uns. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Steineke. – Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Dr. Johannes Fechner. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Man sagt ja oft über politische Gremien, dass darin zu viel gestritten und heftig gerungen wird. Aber wer wirklich einmal menschliche Abgründe und miese Intrigen erleben will, der muss eine Versammlung verkrachter Eigentümer besuchen. ({0}) Deswegen danke ich der Arbeitsgruppe und der Justizministerin ganz herzlich, dass wir jetzt mit diesem Gesetzentwurf starten können. Denn oft verlaufen Abstimmungsprozesse zäh. Gerade wenn es um Verwaltungsfragen oder bauliche Änderungen geht, gehen die Streitereien los. Einzelne Eigentümer blockieren dann aus nichtigen Gründen manche wichtigen Investitionen über Jahre. Das führt zu den entsprechenden Verzögerungen und zu dem Unfrieden in der Gemeinschaft. Deshalb ist es überfällig, dass wir mit diesem Gesetzentwurf herangehen, das Konfliktpotenzial zu minimieren und die Modernisierungen voranzubringen, auch für den Klimaschutz, den Einbruchschutz und den behindertengerechten Umbau von Wohnungen. Also ist ein ganz wichtiges Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Gesetzentwurf beschrieben. ({1}) Gerade weil es Millionen Eigentumswohnungen in Deutschland gibt, die oft jüngere Menschen gekauft haben, die jetzt in die Jahre gekommen sind und diese Wohnungen behindertengerecht, seniorengerecht umbauen wollen, ist es gut, dass hier vorgesehen ist, dass so was einfacher umgesetzt werden kann, dass es sogar einen Rechtsanspruch auf die Zustimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft zum seniorengerechten Umbau geben wird, wohlgemerkt auf Kosten desjenigen, der den Umbau haben möchte. Genau das Gleiche tun wir für die Elektromobilität. Wir müssen im Sinne des Klimaschutzes in Deutschland mehr tun, und deswegen ist es gut, dass ein Eigentümer einen Rechtsanspruch auf Zustimmung der anderen Eigentümer hat, sich – wohlgemerkt auf eigene Kosten – eine Ladestation einbauen zu können. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Das Gleiche gilt für den Einbruchschutz. Auch hier haben wir in unseren Debatten, bei denen es darum ging, zu überlegen, wie wir die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland noch weiter reduzieren können, gesehen, dass es vor allem der Einbruchschutz ist, der Wohnungseinbrüche verhindert. Deshalb ist es gut, dass wir auch hier einen Rechtsanspruch des Eigentümers auf Einbruchschutz gegenüber den anderen Eigentümern regeln. Kollege Straetmanns, übrigens regeln wir auch für die Mieterinnen und Mieter einen Rechtsanspruch gegenüber dem Vermieter, dass diese Maßnahmen durchgeführt werden dürfen. Auch das ist also eine ganz wichtige Maßnahme. ({3}) Wir werden in den Debatten sicherlich auf das eingehen, was wir vielfach gehört haben: die Sorge, dass die Hausverwaltungen zu viel Macht bekommen oder dass Minderheitenrechte der Eigentümer übergangen werden könnten, dass am Ende Eigentümer für etwas bezahlen müssen, was sie eigentlich gar nicht wollen, was ihnen gar nichts nutzt. All diese Kritik nehmen wir auf, und wir werden sie im parlamentarischen Verfahren auf jeden Fall berücksichtigen. Wir wollen nicht, dass die Wohnungseigentümer an Einfluss verlieren und am Ende die Kosten zu tragen haben. Denn eines ist für uns klar: Wir wollen ein Gesetz für die Wohnungseigentümer und nicht gegen die Wohnungseigentümer, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir freuen uns auf die Beratungen. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Fechner. – Jetzt spricht der letzte Redner zu Tagesordnungspunkt 5 und Zusatzpunkt 1, nämlich der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bildung von Wohneigentum für viele Menschen in unserem Land ist ein wichtiges politisches Ziel. In den letzten Jahren ist die Wohneigentumsquote sukzessive gestiegen; beinahe 50 Prozent der Wohnungen in Deutschland sind mittlerweile in den Händen vieler Einzelner. Wesentlich dazu beigetragen hat, gerade in den großen Städten, auch der Bau von Eigentumswohnungen. Aber klar ist auch, dass gerade dort, wo wenig Platz ist, wo die Menschen in die Höhe bauen müssen und wo es viele Eigentümer in einer Wohneigentumsanlage gibt, die Regelungen des Wohneigentumsrechts nicht mehr dem entsprechen, was wir heutzutage, im Jahr 2020, brauchen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir das Wohneigentumsrecht jetzt fortentwickeln und an die Bedürfnisse der Zeit anpassen. Ein wichtiges Bedürfnis ist, dass wir die drei großen Trends unserer Zeit im Wohneigentumsrecht abbilden: Wir wollen, dass mehr Klimaschutz passiert, dass in den Tiefgaragen Autos aufgeladen werden können. Das ist oftmals an den Eigentümerversammlungen gescheitert. Jetzt gibt es einen Rechtsanspruch darauf; das ist gut und wichtig. Wir wollen zweitens, dass Digitalisierung stattfindet, dass es insbesondere auch im Bereich Glasfaser einen Duldungsanspruch gibt. Und drittens: Seniorengerechtes Wohnen darf nicht an Streitigkeiten im Rahmen der Eigentümerversammlung scheitern. Das alles wird jetzt durch dieses Gesetz geregelt. Wenn wir durch dieses Gesetz aus der Eigentümerversammlung eine Art strukturelle gesellschaftliche Übereinkunft machen, angelehnt an das GmbH- oder an das Aktienrecht, dann müssen wir natürlich auch den Verwalter stärken, der Sachwalter für das Eigentumsrecht eines jeden Einzelnen ist. Aber wenn der Verwalter gestärkt wird und er mehr Aufgaben hat, dann müssen wir ihm auch mehr abverlangen. Es ist niemandem so recht zu erklären, weshalb man einen Sachkundenachweis braucht, wenn man eine Wohnung vermittelt und jemandem sagt: „Dort ist eine Wohnung frei“, während ausgerechnet der Verwalter, der es mit der komplizierten Abrechnung von Nebenkosten oder Kosten für Baumaßnahmen zu tun hat, keinen Sachkundenachweis braucht. Deswegen wird im Gesetzgebungsverfahren zentral sein, dass wir diesen Sachkundenachweis einfordern und ihn ausgestalten. ({0}) Wir werden in diesem Bereich auch etwas machen, was unsere Pflicht als Gesetzgeber ist. In den letzten 10, 15 Jahren hatten wir nur wenige Reformen im Wohneigentumsrecht, und die Rechtsprechung hat uns viel vorgegeben. Jetzt kommt es darauf an, dass wir die Rechtsprechung umsetzen und dafür eine gesetzliche Form finden, beispielsweise bei der Frage der Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft der Wohneigentümer. All das sind wichtige Fragen, die wir angehen und die wir beantworten werden – zum Wohle der vielen Millionen Wohneigentümer in unserem Land. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Matthias Seestern-Pauly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004890, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was bedeutet Kindsein? Kindsein bedeutet, miteinander zu spielen, gemeinsam rumzutoben, sich auszuprobieren. Kindsein bedeutet: Jeder Tag ist ein neues Abenteuer. Es heißt: Lerne, mit Konflikten umzugehen und erste Freundschaften zu knüpfen. ({0}) Und auch wenn viele unserer Kinder nicht ganz verstehen können, wieso: Unsere Kinder mussten in den letzten Wochen ihr Kindsein zum großen Teil opfern. Aber Kinder brauchen das soziale Miteinander, sie brauchen Freundschaften. Um es kurz zu sagen: Kinder brauchen Kinder. ({1}) Seit Wochen sind nun die Kitas geschlossen. Das, was anfangs notwendig war, um auf die Pandemie zu reagieren, ist heute eine Zumutung für unsere Familien. In Anbetracht dessen, was Eltern, vor allem aber unsere Kinder in den letzten Wochen geleistet haben, leisten mussten, kann ich nur sagen: Hut ab! ({2}) Deswegen hatte der liberale Familienminister aus Nordrhein-Westfalen Joachim Stamp recht, als er bereits frühzeitig mit seiner Hamburger Amtskollegin eine Öffnungsperspektive für Kitas gefordert hat. In Kitas werden Bildungs- und Entwicklungschancen verwirklicht, und darauf haben unsere Kinder ein Recht. Das ist kein Nice-to-have; denn hier geht es um nichts Geringeres als um Bildungsgerechtigkeit. ({3}) Umso mehr ist mir absolut unverständlich, warum ein schon vor einer Woche weitestgehend abgestimmter Fahrplan der Bundesländer von der Tagesordnung des Kanzlergipfels genommen wurde, und zwar ohne irgendeine hinreichende Begründung. Ich bin froh, dass die schrittweise Öffnung von Kitas, wie von Nordrhein-Westfalen maßgeblich angestoßen, inzwischen keine Frage mehr des Ob, sondern des Wie und Wann ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Coronamaßnahmen bedeuten für viele Eltern Mehrfachbelastungen: Homeoffice, finanzielle Einbußen und zugleich Kinderbetreuung. Bei allen positiven Entwicklungen werden diese Mehrfachbelastungen viele Eltern noch viele Monate begleiten. Der Regelbetrieb für Kitas ist in Niedersachsen beispielsweise erst frühestens für den 1. August vorgesehen. Nun stellen sich viele Familien berechtigterweise die Frage, wie es bis dahin eigentlich weitergehen soll. Unsere Antwort als Freie Demokraten ist da klar: Bis dahin müssen Eltern dringend Unterstützung bekommen. ({4}) Deshalb fordern wir in unserem Antrag auch eine unbürokratische Coronaelternzeit mit einem Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung und entsprechendem Kündigungsschutz. Das entlastet Eltern und gibt ihnen Planungssicherheit. Und das, was Eltern entlastet, kommt schlussendlich auch unseren Kindern zugute. ({5}) Zuletzt dürfen wir auch die Kitaträger und Kommunen nicht vergessen. Wir müssen eine Insolvenzwelle im Bildungswesen verhindern. Deswegen fordern wir als Freie Demokraten, dass Bund und Länder hier zu einer Einigung kommen und den Trägern und Kommunen die tatsächlichen Einnahmeausfälle erstatten. Dies ist meiner Kollegin Britta Dassler und mir in vielen Gesprächen vor Ort in den Einrichtungen mit auf den Weg gegeben worden. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass hier etwas geschehen muss. Meine sehr geehrten Damen und Herren, stimmen Sie unserem Antrag zu! Unterstützen Sie Eltern und unsere Kinder konsequent durch die Herstellung von Chancensicherheit in dieser Krise! Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Wir setzen die Aussprache fort mit dem Redner der CDU/CSU, nämlich dem Kollegen Marcus Weinberg. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Seestern-Pauly, Sie haben viele Dinge richtig angesprochen. Ich will das gerne aufgreifen und fange bei den Dingen an, die Familien seit Wochen in diesen Zeiten leisten. Das klingt ja sehr abstrakt: Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung. – Das heißt aber real für die Familie, morgens um sechs Uhr aufzustehen und den Laptop, das Mathebuch und den Kochlöffel gleichzeitig zu jonglieren. Das machen die Eltern. Sie machen es seit vielen Wochen, sie machen es auch aus purer Überzeugung und gewissenhaft, und sie machen es gut, in voller Liebe zu ihren Kindern. Aber sie machen es auch, weil sie von uns in dieser schwierigen Zeit zwei Dinge erwarten: dass wir ihnen eine Perspektive geben, wann sich die Dinge wieder ändern, normalisieren, und dass wir dies durch eine verantwortungsvolle Abwägung zwischen der Gesundheit auf der einen Seite und den Fragen der Öffnung, der Freiheit und der Betreuung auf der anderen Seite tun. Das müssen wir tun; das müssen wir beachten. ({0}) Ein weiterer Punkt. Wir reden über Familien und Eltern. Richtig ist – da war ich hocherfreut bei Ihrer Rede, Herr Kollege Seestern-Pauly –, dass Sie mal nicht mit der Frage angefangen haben, wie Eltern das eigentlich erleben. Im Kern geht es vielmehr darum: Wie erleben Kinder diese schwierige Zeit? Wie kommen Kinder damit zurecht, dass sie ihre Freunde nicht sehen, dass sie möglicherweise die finanziellen Sorgen der Eltern wahrnehmen müssen, dass sie möglicherweise zu Hause vernachlässigt werden, Gewalt erfahren, Druck erfahren an dem Ort, an dem sie eigentlich geborgen sein sollten und den sie als Rückzugsort erleben sollten? Wir müssen sicherstellen, dass sie Schutz erfahren, dass ihre Kinderrechte gewahrt bleiben; denn ihre emotionale, ihre kognitive und ihre soziale Entwicklung muss uns auch bei der Fragestellung leiten: Was können wir auf der einen Seite an Öffnungsprozessen zulassen? Was können wir aber auf der anderen Seite mit Blick auf die Gesundheitssituation zulassen? Insoweit teile ich Ihre Darlegung in weiten Teilen. Mich hat bei Ihrem Antrag – Sie haben gerade über die Frage philosophiert, was Kindsein momentan bedeutet – nur etwas verwundert, wie Sie Ihre Prioritäten setzen: „Eingewöhnungskinder und deren Geschwister“ – Punkt 1 –, „Kinder von berufstätigen Alleinerziehenden“, „Kinder, deren Elternteile beide in Vollzeit berufstätig sind“. Das sind wichtige Punkte; die teilen wir auch. Aber wir denken – das ist auch Beschluss der Jugendministerkonferenz – über die sozialpädagogischen Bedarfe, sonderpädagogischen Bedarfe und Sprachförderbedarfe nach. Wie schützen wir Kinder, die momentan nicht rauskommen? Auch das muss bei der Frage, wer in der nächsten Phase wieder in die Kita kommt, eine Rolle spielen. Es geht nicht nur um die Vereinbarkeit, sondern auch um die Frage: Was tut den Kindern gut in dieser Zeit? ({1}) Bei der Abwägung zwischen der Frage einer verantwortungsvollen Öffnung auf der einen Seite und der Wahrung des Gesundheitsschutzes auf der anderen Seite muss man dann auch, ehrlicherweise, immer wieder sehr sorgsam und sehr kleinschrittig vorgehen. Es geht um die Gesundheit der Kinder. Thema Studien. Wir wissen noch nicht genau, wie das Coronavirus auf Kinder wirkt: Infektionen, Symptome, Ansteckungsverläufe. Es gibt zwar viele Teilstudien oder Studien, mir fehlt aber leider – es wäre schön gewesen, wenn wir es frühzeitig bekommen hätten – eine ganzheitliche Studie, wo das mal analysiert wird. Wir müssen auch darauf achten, dass die Familien geschützt werden, übrigens auch die Erzieherinnen und Erzieher; denn viele von denen gehören zur sogenannten Risikogruppe. Deswegen wird man sich anschauen müssen, was man machen kann. Das ist Aufgabe der Länder, und dazu gab es heute im Gespräch mit den Ministerpräsidenten einen entsprechenden Beschluss. Man muss am Ende eines sagen: Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass morgen der Regelbetrieb wieder aufgenommen wird. Nein, das wird nicht passieren, und das wäre, glaube ich, auch höchst gefährlich. Das kann ich zumindest nicht verantworten. Wenn man das also schrittweise macht, dann muss man zwei Dinge zusammenbringen: Das Erste ist die Frage der Betreuung, gerade für diejenigen, die berufstätig sind. Und das Zweite, was dringend geboten ist, ist die finanzielle Absicherung der Eltern in dieser Phase. Und da – das sage ich ganz offen – gibt es eine kleine Enttäuschung. Ich hätte mir schon gewünscht, dass sich die Ministerpräsidenten heute mit der Bundeskanzlerin über die Fragestellung verständigt hätten, wie die sechs Wochen Entgeltfortzahlung laut Infektionsschutzgesetz verlängert werden. Ganz ehrlich: Das ist eine Erwartungshaltung. Denn was wir den Eltern nicht zumuten können, ist, dass sie das alles auf sich genommen haben und dann nicht wissen, wie sie nach Ablauf dieser Sechs-Wochen-Frist ihre finanzielle Sicherheit in den nächsten Monaten garantiert bekommen. ({2}) Es ist unsere Verantwortung, diesen Eltern die Sicherheit zu geben. Im Übrigen sei noch die Randbemerkung gestattet, Herr Präsident: Es sind ja auch nur 67 Prozent Lohnfortzahlung, also nicht 100 Prozent. – Rechnen Sie das mal durch für eine Familie mit zwei kleinen Kindern, in der die Eltern nicht in einem systemrelevanten Job arbeiten, sondern die die Betreuung selbst organisieren müssen! Für uns kann ich ganz deutlich sagen: Wir werden in den nächsten Tagen sehr intensiv darüber sprechen, wie wir das im Sinne der Eltern auf die Reihe bekommen. Ich bitte die Ländervertreter, die Ministerpräsidenten, dringend, in sich zu gehen. Das ist eine gemeinsame Verantwortung der Länder und des Bundes. Dafür braucht man auch Signale in Richtung der Eltern; um die geht es. Es geht um die Kinder und um die Eltern, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– die weiterhin selbst die Betreuung übernehmen und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, weil die Kitas geschlossen bleiben oder nur eingeschränkt geöffnet werden. Das ist die Verantwortung, und das muss unser Ziel sein.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Weinberg.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich danke, dass ich 1,3 Minuten länger reden durfte. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das geht wirklich zu weit. ({0}) Die Kollegin Nicole Höchst hat das Wort für die AfD-Fraktion. ({1})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Bürger! Als alleinerziehende Mutter von vier Kindern sage ich mit voller Inbrunst: Danke! Danke, liebe Familien, für die großartige Leistung in dieser schweren Zeit! ({0}) Ja, diese Krise stellt viele Familien vor besondere Herausforderungen. Und ja, auch die AfD-Fraktion befürwortet eine zeitnahe und schrittweise Öffnung der Kindertageseinrichtungen unter Einhaltung des Infektionsschutzes und der Hygieneregeln. Und das können wir fordern; denn wir reden schließlich bei der gegenwärtigen Pandemie Gott sei Dank über Corona und nicht über Ebola. Ja, Vollzeit arbeitende Eltern, Alleinerziehende, Unternehmen, Gesellschaft und vor allem die Kinder benötigen das Ende der Ungewissheit. Werte Kollegen von der FDP, es sei mir der leise Zweifel erlaubt, ob Ihr Antrag hier im Bundestag richtig aufgehoben ist; denn ein Großteil der Forderungen liegt in der Zuständigkeit der Länder. Ich bin Ihnen dennoch von Herzen dankbar für diesen Antrag; denn er zeigt ein ganz grundsätzliches Dilemma auf: Unsere sogenannte moderne Gesellschaftsordnung mit zwei arbeitenden Elternteilen, mit vielen Alleinerziehenden und ohne direkten Anschluss von Großeltern, stattdessen mit frühestmöglicher Fremdbetreuung, ({1}) ist einer Pandemie nicht gewachsen. Die Coronakrise und insbesondere die drastischen Maßnahmen der Bundesregierung sind zwar der Auslöser für die kaum zu meisternden Herausforderungen, doch die Ursache liegt in der verfehlten Familienpolitik dieser Bundesregierung und der letzten, sagen wir, 40 Jahre. ({2}) – Ja, lachen Sie ruhig. Sie haben die Fehler gemacht, nicht wir. ({3}) Der Weg, der seit Jahrzehnten beschritten wurde, wird nun von der Realität bloßgestellt als das, was er ist: die drohende, durch die Pandemie vollendete Zersetzung von Familie, freiheitlicher Gesellschaft, Wirtschaft und Staat. – Die traurige Wahrheit ist doch, dass aus dem Luxus für Frauen, arbeiten gehen zu können und zu dürfen, längst eine Art Zwang zum Lohnerwerb für beide Elternteile geworden ist. ({4}) Deutschland ist zudem Weltspitze im Steuernabpressen. Der Großteil der Anwesenden hier dürfte sich doch noch an Zeiten erinnern können, in denen ein angeordneter Vereinzelungshausarrest mit Betreuung der Kinder zu Hause so gut wie keine Familie und keine Unternehmen in Existenznot gebracht hätte. Stattdessen sind ordentliche Menschen herangewachsen, die sogar Bildung genossen haben. ({5}) Zum Antrag selbst: Die FDP fordert eine Coronaelternzeit, die einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung mit entsprechendem Kündigungsschutz und staatliche Verdienstausfallentschädigung für Eltern beinhaltet. Löblich! Sie fordert leider keine Unterstützung für die von den Maßnahmen betroffenen Arbeitgeber. Dabei ist diese Krise für kleine und mittelständische Unternehmen vermutlich die größte Herausforderung in der gesamten Betriebsgeschichte. ({6}) Wer den Arbeitgeber vor solche neuen Probleme stellt, muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen, diese lösen zu können. ({7}) Eine mit Kündigungsschutz versehene Coronaelternzeit hilft niemandem, wenn die Arbeitsstelle durch Insolvenz verloren geht. Meine Damen und Herren, fassen wir zusammen: Die traditionelle Familie ist generationenfach erprobt pandemiekrisensicher; sonst würden wir alle nicht hier sitzen. Staatliche Kinderbetreuung wird diese niemals auch nur ansatzweise ersetzen können. ({8}) Nach der jetzt anstehenden und notwendigen Symptombekämpfung wird es mittelfristig die Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, endlich wieder für krisensichere Verhältnisse in Bezug auf die Familien und Arbeitsmarktpolitik zu sorgen und damit gleichzeitig Gesellschaft und Wirtschaft in Demokratie und in Freiheit zukunfts- und pandemiekrisensicher zu machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das war die Kollegin Nicole Höchst. – Für die SPD-Fraktion ist die nächste Rednerin die Kollegin Susann Rüthrich. ({0})

Susann Rüthrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kitas sind für Kinder da. Sie lernen dort, sie treffen ihre Freunde, sie erleben Gemeinsamkeit über ihre Familie hinaus. Bildung, Förderung, Schutz und vor allem Teilhabe sind Kinderrechte, und zwar für jedes Kind. Gerade wir Sozis kämpfen seit Jahr und Tag gemeinsam mit vielen anderen für dieses umfassende Verständnis von Kita. Um diese Rechte einzuschränken, bedarf es also einer sehr guten Begründung. Um die Infektion mit dem Coronavirus einzudämmen, ist die Schließung der Kitas wichtig gewesen, und sie war erfolgreich. Dafür können wir sehr dankbar sein, ({0}) aber ohne jetzt leichtsinnig zu werden. Leichtsinnig wäre es, jetzt einfach wieder alles zu öffnen. Es wäre aber auch fahrlässig, einer ganzen Kindergeneration ihre Entwicklungsmöglichkeiten auf unabsehbare Zeit zu nehmen. Spielen, Lernen, Streiten, Lachen gehören zur normalen Entwicklung. Diese zu stören, kann auch gesundheitliche, psychische und soziale Folgen haben. Das gilt für alle Altersklassen, also in Kitas, Schulen, Hort und Tagespflege, aber auch für die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder sind nicht nur unsere Zukunft; sie sind heute schon da. Die Coronapandemie darf nicht dazu führen, dass wir eine ganze Generation zum Verstummen bringen. ({1}) Die Kinder sind die Betroffenen der Kitaschließungen. Infolgedessen leisten die Familien in unserem Land gerade Herausragendes. Danke dafür und höchsten Respekt! ({2}) Aber Kinder brauchen Kinder; sie brauchen Zeit miteinander, um sich zu eigenständigen Persönlichkeiten zu entwickeln. Dafür brauchen sie klare Perspektiven. Wenn wir davon ausgehen, dass Bildung in der Kita beginnt, dann ist es auf Dauer nicht akzeptabel, den Kitabesuch allein von der beruflichen oder persönlichen Situation der Eltern abhängig zu machen. Um allen Kindern, soweit es geht, gerecht zu werden – und gleichzeitig immer mit Blick auf die nötige Eindämmung der Pandemie –, ist für mich klar, dass alle Kinder vor der Sommerferienzeit ihre Kitas, Schulen, den Hort zeitweise, tage- oder wochenweise, in kleinen festen Gruppen wieder besuchen können. Die Erzieherinnen und Erzieher und die Lehrerinnen und Lehrer in den Einrichtungen und bei den Trägern entwickeln dafür individuell passende Konzepte. Die Öffnung geht also in Schritten voran: von einer Ausweitung der Notbetreuung über einen eingeschränkten Regelbetrieb hin zu dem langfristig angestrebten normalen Betrieb, den wir uns alle so sehr wünschen. Vor Ort sind die Länder und Kommunen gefragt, diese Schritte zu gehen. Genau das ist möglich durch den Vierstufenplan, den die Kultusministerinnen und ‑minister zusammen mit unserer Familienministerin Franziska Giffey letzte Woche vorgelegt haben. Er gibt die dringend nötige Orientierung. Liebe antragstellende FDP, Ihr Antrag in allen Ehren, aber er ist überholt. Sie müssten einfach fixer sein als die Regierung. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Rüthrich. – Für die Fraktion Die Linke hat als Nächstes das Wort die Kollegin Katrin Werner. ({0})

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Wochen übernehmen Eltern zu Hause die Betreuung der Kinder, organisieren die Schule zu Hause, gehen aber auch weiter ihrer Erwerbstätigkeit nach. Das ist eine extreme Belastung für die Familien. Kinder sind, wie schon erwähnt, aus ihrem gewohnten Alltag gerissen. Sie dürfen ihre Freundinnen und Freunde nicht treffen, Spielplätze waren geschlossen, und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe waren unerreichbar. Die Folgen der Krise wurden in die Familien geschoben und damit auch privatisiert. Kitas sind, wie eben schon gesagt wurde, nicht nur Orte der Betreuung; sie sind Teil des Alltags der Kinder. Dort haben sie wichtige Bezugspersonen wie Freundinnen und Freunde, aber auch die Erzieherinnen und Erzieher. Für viele Kinder fällt gerade ein Großteil ihres Lebens weg. Welche Auswirkungen das auf sie hat und wie dem begegnet werden kann, wurde in den letzten Wochen kaum debattiert. Stattdessen redeten Politiker der GroKo wochenlang über Autohäuser, über Shoppingmalls. Wochenlang wurde Kindern und Eltern keine Perspektive gegeben. Familienministerin Giffey ist kein ständiges Mitglied im Coronakabinett. Gestern gab es den Autogipfel der Bundesregierung. Wann gibt es den Kindergipfel? ({0}) Ich finde, das zeigt den Stellenwert, den die Situation von Kindern und Familien in diesem Krisenmanagement hat. Wir steuern auf eine Vertiefung der sozialen Spaltung zu. Die Folgen werden weitreichend sein; wir sollten dringend gegensteuern. Wir brauchen einen Rettungsschirm für Familien, ({1}) um die sozialen und finanziellen Auswirkungen gerade auch für ärmere Familien abzufedern. Es ist gut, dass nun ein erster Plan zur schrittweisen Öffnung der Kitas und Schulen vorliegt. Es ist auch gut, dass Kinder, die unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, berücksichtigt werden. Es muss klar sein, dass die Zeitpläne natürlich korrigiert werden müssen, wenn sich das Infektionsgeschehen ändert. Gleichzeitig brauchen wir aber auch Konzepte, wie Kitas den Kontakt zu Kindern – und Eltern – halten können, die gerade nicht zur Kita gehen können. Keine Familie darf alleingelassen werden. Auf absehbare Zeit wird es – das wurde schon gesagt – keinen regulären Betrieb geben. Schon vor der Krise hatten Familien große Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Derzeit können viele eben nicht auf die Unterstützung der Großeltern zurückgreifen. Kinder und Eltern brauchen aber eine Perspektive für die Rückkehr in ihren Alltag. Wir müssen für die Eltern zusätzliche Möglichkeiten schaffen; wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder auszusetzen. Dafür brauchen wir das Coronaelterngeld, und zwar für die gesamte Dauer der Krise. ({2}) Kurz zum Antrag der FDP, wobei vieles schon gesagt wurde.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Sehr kurz.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Seestern-Pauly, wenn Ihre Rede so im Antrag stehen würde, könnte man sich enthalten oder ihm zustimmen. Es war viel von Kindern die Rede. Aber – auch das wurde schon gesagt – Sie hinken der Diskussion hinterher: Manches ist bereits erfüllt. Ihr Antrag enthält aus unserer Sicht überhaupt keine soziale Perspektive. Sie schreiben es ja auch: „indem durch zusätzliche Betreuungsangebote die beschlossenen Lockerungen in der Wirtschaft begleitet werden und mehr Arbeitskräfte uneingeschränkt zur Verfügung stehen können.“ ({0}) – Wir finden, diese eine Komponente zeigt aber, dass Sie die Wirtschaft im Blick haben. Wir werden dem Antrag nicht zustimmen, weil uns die Kinderperspektive völlig fehlt. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das war die Kollegin Katrin Werner für die Fraktion Die Linke. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Ulle Schauws. ({0})

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Familien und insbesondere Kinder tragen eine sehr große Last bei der Bewältigung der Pandemie. Von einem Tag auf den anderen wurden sie aus ihrer gewohnten Struktur gerissen: Die Kita ist geschlossen, Eltern werden zu Hilfslehrerinnen und ‑lehrern, kein Besuch bei den Großeltern, kein Treffen mit Freundinnen und Freunden, kein Miteinanderspielen; Besuche im Zoo und im Museum sind gestrichen. Die Jugend- und Familienministerkonferenz hat vergangene Woche einen, wie ich finde, guten Rahmen vorgelegt, wie eine stufenweise Öffnung der Kindertagesbetreuung in Anlehnung an das Infektionsgeschehen und unter Beachtung der Risikofaktoren erfolgen kann. Darin geht sie auch auf Aspekte der kindlichen Entwicklung und besondere pädagogische Unterstützungsbedarfe ein. Bereits jetzt sind Kinder aus armen Verhältnissen häufiger sozial isoliert, gesundheitlich beeinträchtigt und in ihrer gesamten Bildungsbiografie deutlich belasteter als Kinder in gesicherten Einkommensverhältnissen. Durch die Kitaschließungen werden sie in ihrer Entwicklung noch einmal zurückgeworfen. Daher müssen Kinder mit besonderen Unterstützungsbedarfen bei den Öffnungsschritten prioritär berücksichtigt werden. ({0}) Ein alleiniges Abstellen auf die Bedarfe der Eltern wie in dem vorliegenden Antrag greift aus unserer Sicht zu kurz. Wir Grünen begrüßen, dass die Regelungen für die Notbetreuung in Kitas und Schulen erweitert wurden. Das gilt insbesondere für die 1,5 Millionen Alleinerziehenden; davon sind rund 90 Prozent Frauen. Und auch in Paarfamilien sind es überwiegend die Frauen, die sich zwischen Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung zerreißen müssen. Fast alle mit Kindern unter drei Jahren arbeiten in Teilzeit, und – das sage ich ganz offen – es ist zu befürchten, dass sie aufgrund geringerer Gehälter jetzt beruflich zurückstecken. Wenn das nicht mit einer Entgeltersatzleistung abgefedert wird, sind alle Bemühungen der vergangenen Jahre zur besseren Vereinbarkeit von Familie mit Beruf und höherer Müttererwerbstätigkeit verpufft. Wir fordern daher, die im Infektionsschutzgesetz verankerte Lohnentschädigung für Eltern zu verlängern und zu einem Coronaelterngeld weiterzuentwickeln. ({1}) Damit entlasten wir die Eltern und setzen Anreize, sich die Betreuung der Kinder partnerschaftlich zu teilen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht darum, wer am lautesten ruft oder die beste Lobby hat. Es geht darum, Kinder und Familien in der Coronakrise abzusichern und ihnen eine klare Perspektive zu geben, unter welchen Bedingungen die Kindertagesbetreuung wieder schrittweise geöffnet werden kann; denn das ist jetzt für Kinder und Familien geboten. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Maik Beermann. ({0})

Maik Beermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004250, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ida ist fünf, fast sechs Jahre alt. Sie ist im letzten Kindergartenjahr und kommt im Sommer in die Schule. Und als ich sie fragte – sie ist zufällig auch meine älteste Tochter –, wie es ihr gehe, da sagte sie: Eigentlich ganz gut, Papa, aber meine Freundinnen und Freunde aus dem Kindergarten vermisse ich schon, und Carmen vermisse ich auch. – Carmen ist ihre Erzieherin. Deswegen gebe ich Ihnen recht, Herr Seestern-Pauly, und finde es gut, dass Sie es angesprochen haben: Geld bzw. Unterstützung ist das eine, aber bestimmte Situationen auch einfach mal aus der Sicht der Kinder zu denken, ist das andere. Ich glaube, dass das jetzt langsam auch erforderlich ist, weil Kinder nicht nur die frühkindliche Bildung, sondern vor allen Dingen auch soziale Kontakte brauchen. Daran, dass es schnellstmöglich wieder dazu kommt, Frau Ministerin, müssen wir in den nächsten Wochen arbeiten. ({0}) Aber ich sage auch: Man kann das so leicht dahinsagen, und man kann, wenn man Verantwortung als Parlamentarier hat, auch Forderungen in Richtung der Bundesregierung stellen. Die Bundesregierung hat aber auch eine andere Aufgabe, nämlich zu schützen. In diesem Falle muss sie auch Erzieherinnen und Erzieher schützen; denn manche Erzieherinnen und Erzieher gehören zur Risikogruppe. Deswegen ist es eben nicht so einfach, zu sagen: Wir öffnen jetzt einfach mal wieder schrittweise. – Das Ganze muss auch vernünftig geprüft werden. Natürlich geht ein großes Dankeschön an die Eltern, die in diesen Zeiten eine ganz besondere Aufgabe haben und Besonderes leisten. Es geht aber auch ein großes Dankeschön an die Erzieherinnen und Erzieher, die aktuell und seit Beginn der Notbetreuung einen ganz wertvollen Job leisten. ({1}) Ich möchte aber auch noch mal darauf hinweisen, dass nicht der Eindruck entstehen sollte, dass in den letzten Wochen nichts passiert ist. Es ist nämlich in diesen Debatten immer dasselbe: Es wird schnell so getan, als würde nichts gemacht. Das stimmt ja nicht. Wir haben den Kinderzuschlag verbessert. Wir werden morgen das Elterngeld krisenfest machen, damit werdende oder junge Eltern keine Nachteile durch die Krise haben und keine finanziellen Einbußen durch Corona erleiden müssen. Und es geht noch weiter – auch dieser Punkt ist mir als Familienpolitiker wichtig –: Konkret geht es mir um die bereits von Marcus Weinberg angesprochene Entschädigungszahlung nach dem Infektionsschutzgesetz. Wir Familienpolitiker fordern hier ganz klar, dass sie über die sechs Wochen hinaus verlängert werden muss. Auch ich appelliere an die Bundesländer, die sich mit uns gemeinsam dafür einsetzen sollten, aber sich vor allen Dingen auch an den Kosten beteiligen müssen. ({2}) Im Übrigen bin ich auch dafür, dass wir uns über die Härtefallregelung Gedanken machen und dort Anpassungen vornehmen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der FDP liest sich im Großen und Ganzen ganz gut. Auf die Lücken hat Kollegin Werner schon hingewiesen. Deswegen können auch wir dem nicht ohne Weiteres zustimmen. Frau Ministerin, Sie haben in der Debatte zum Elterngeld in der letzten Sitzungswoche bereits gesagt: Es gibt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Diese muss jetzt zügig tagen. Wir müssen dort zu Entscheidungen kommen, damit nicht nur die frühkindliche Bildung im Vordergrund steht, sondern vor allen Dingen auch die Kinder, die die sozialen Kontakte dringend brauchen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Beermann. – Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege Sönke Rix. ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will ich an das anknüpfen, was der Kollege Beermann gesagt hat; auch damit kein falscher Eindruck entsteht. Wir haben schon zu Beginn der Krise, also von Anfang an, die Familien mit in den Blick genommen. Es ist ja nicht so, als würden wir jetzt das erste Mal darüber diskutieren oder jetzt erst von anderen mitgeteilt bekommen, was die Bundesregierung zu tun und zu lassen hat. Ich erinnere an den Notfall-KiZ von Franziska Giffey. Ich erinnere daran, dass wir als Bund im Gegensatz zu den eigentlichen Zuständigkeiten gesagt haben: Wir beteiligen uns mit 50 Prozent an den Lohnersatzkosten aufgrund des Infektionsschutzgesetzes, was ein sehr großer Schritt von unserer Seite gewesen ist. Auch die Regelung zur Kurzarbeit und die Wirtschaftsförderung insgesamt kommen Familien zugute. Von daher haben wir die Familien schon im Blick und brauchen deshalb auch nicht erst einen Hinweis darauf. Das wird getan. Sie sind bereits unter dem großen Schutzschirm für die Gesamtbevölkerung. ({0}) Dann will ich gerne noch eines sagen, auch zum Antrag: Wenn wir die Wirtschaft jetzt immer weiter öffnen, wenn demnächst auch Lokale und andere Einrichtungen öffnen und immer mehr Leute wieder zur Arbeit gehen, dann kann es nicht sein – das hat unsere Familienministerin auch gesagt –, dass es weiterhin keine Betreuungsmöglichkeiten gibt, weil Eltern nicht zu denen gehören, deren Kinder in eine Notbetreuung gehen können. Das ist natürlich richtig; da hat Franziska Giffey vollkommen recht. Deshalb müssen die Länder – darauf haben sie sich auch verständigt – die Öffnung der Kindertagesstätten voranbringen und organisieren. Ich bin der Familienministerin und ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern dankbar, dass sie dazu einen gemeinsamen Rahmenbeschluss gefasst haben, der jetzt – auch mit verbindlichen Daten – umgesetzt wird. Das hilft den Familien. ({1}) Vor allen Dingen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hilft es den Kindern. Ich will hier noch mal den Blick darauf richten, dass Kinder nicht nur deshalb in den Kindergarten oder in die Kindertagesstätte gehen, um betreut zu werden, weil zu Hause niemand ist. Kinder gehen nämlich auch in Kindertagesstätten, weil sie Gleichaltrige treffen wollen, weil sie mit ihnen spielen und lachen wollen, mit ihnen gemeinsam lernen wollen. Das ist besonders für die Kinder wichtig, die keine Geschwister haben, wo die Eltern vielleicht nicht dafür sorgen, dass es andere Möglichkeiten gibt, um Dinge gemeinsam mit Gleichaltrigen zu lernen. Das betrifft übrigens ganz besonders Kinder mit Behinderungen. ({2}) Gerade die brauchen spezielle Förderung. Auch gerade die haben im Moment diesen Zugang nicht. Das betrifft auch die Kinder, die auf offene Kinder- und Jugendarbeit angewiesen sind. Kinderzentren zum Beispiel, die sonst für Mittagessen sorgen, sind jetzt geschlossen; die Kinder sind zu Hause. Die Betreuerinnen und Betreuer, die dort arbeiten, berichten mir, dass sie Angst haben, weil sie nicht wissen, was in den Familien gerade passiert. Neben den Kindertagesstätten müssen wir deshalb bitte auch alle anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, der offenen Kinder- und Jugendarbeit mit in den Blick nehmen; denn Kinder und Jugendliche brauchen mehr als Betreuung. Kinder und Jugendliche brauchen Förderung, sie brauchen Gleichaltrige, und die gibt es nicht nur in der Kita, sondern auch an anderen Orten. ({3}) Meine Damen und Herren, es stimmt – da will auch ich Marcus Weinberg recht geben –: Wir müssen für eine Anschlussfinanzierung sorgen, wenn die Lohnersatzleistungen für Eltern nach dem Infektionsschutzgesetz nicht mehr gezahlt werden können. Ich appelliere an alle Länder, ich appelliere an uns alle hier: Wir alle haben Verantwortung – bis auf ganz rechts, das ist ganz gut so –, auch die Bundesländer und auch die Bundesregierung, ein gemeinsames Konzept vorzulegen: Wir machen es für Familien generell so sicher, dass wir ihnen, wenn es in Krisenzeiten zu Lohnausfällen kommt, weil keine Kinderbetreuung möglich ist, das zahlen, nicht nur in der Coronazeit, auch in anderen Krisen. Deshalb muss es dafür ein langfristiges Konzept geben. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Rix. – Die letzte Rednerin zu Zusatzpunkt 2 ist die Kollegin Bettina Margarethe Wiesmann. ({0})

Bettina Margarethe Wiesmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Ende der Debatte möchte ich ein paar Punkte festhalten, die mir sehr wichtig erscheinen. Erstens. In einem sehr allgemeinen Sinn sind Familien und Kinder für unsere Gesellschaft systemrelevant. Deshalb anerkennen, fördern und unterstützen wir sie in normalen Zeiten, und deshalb sind ihre Bedürfnisse in diesen Tagen und Wochen und auch schon von Anbeginn der Krise zu Recht ganz oben auf der Agenda. Zweitens. Die Coronakrise offenbart Mängel und Stärken unserer Gesellschaft. Ich sehe es als eine große Stärke, dass wir mit unserem historisch gewachsenen Föderalismus in der Lage sind, Probleme subsidiär zu lösen, in einer Balance zwischen gesamtstaatlichem Handeln und Lösungen vor Ort, die durchaus differieren können. Der gute Erfolg der Coronabekämpfung hat viel damit zu tun, dass die bisherigen Vereinbarungen einen überzeugenden Rahmen vorgegeben haben und sich auch deshalb die allermeisten an die empfohlenen Einschränkungen halten und sich nicht mal so sehr beschweren. Der Dank an die Familien wurde hier völlig zu Recht von eigentlich jedem ausgesprochen; ich schließe mich dem an. Unsere Gesellschaft hält nämlich zusammen. ({0}) Drittens. Dieser Zusammenhalt erträgt auch den mitunter wechselhaften Verlauf der wissenschaftlichen Diskussion. Kurzzeitig hatten wir die Hoffnung, Kinder viel schneller ins gewohnte soziale Leben entlassen zu können, weil sie bei der Übertragung des Virus wohl keine Rolle spielen – so die Vermutung. Leider kann dies derzeit nicht bestätigt werden. Deshalb müssen wir bei der Öffnung der Kinderbetreuung wie bei der Rückkehr an die Schulen sehr behutsam vorgehen, und hier kommen zu Recht Länder und Kommunen ins Spiel. Viertens. Der gute Zusammenhalt erlaubt den Mitte April begonnenen tastenden Kurs, um den Lockdown zu lockern, der jetzt Kinderbetreuung und Schule erreicht. Über die heute erzielte Vereinbarung ist schon viel gesagt worden. Sie enthält einen Stufenplan und einheitliche Kriterien. Dies ist ein Rahmen, den nun Länder und Kommunen ausgestalten müssen – natürlich gemäß der Lage, den Anforderungen und Möglichkeiten vor Ort. Liebe FDP, Ihre Parteikollegen Dr. Stamp aus NRW und Dr. Garg aus Schleswig-Holstein haben diesen Rahmen doch mitgetragen. Haben sie sich geirrt, oder warum fordern Sie nun heute in Ihrem Antrag einen abweichenden Stufenplan, auf den der Bund hinwirken soll, in dem wichtige Zielgruppen wie Kinder in prekären familiären Situationen oder auch Kinder mit sprachlichen Benachteiligungen aber gar nicht vorkommen? ({1}) Fünftens. Sauber unterscheiden sollten wir – das ist auch schon gesagt worden – zwischen Bedürfnissen der Kinder und denen der Eltern. Ich finde, dass Ihr Antrag da mitunter verschwimmt. Für uns als Union stehen Entwicklungsbedürfnisse oder auch ganz simpel der Schutz von Kindern vor häuslicher Gefahr ganz sicher im Vordergrund und sind wichtiger als die gleichwohl realen Bedürfnisse zweier in Vollzeit arbeitender Eltern. Ich stimme Ihnen aber auch zu, dass auch die Normalfamilie einen Anspruch hat, an der allmählichen Öffnung der Kinderbetreuung teilzuhaben. Sechstens. Der Schlüssel zur behutsamen Rückkehr in Kinderbetreuung und auch Grundschule ist die stabile Kleingruppe; darauf möchte ich noch einen oder zwei Sätze verwenden. Kleingruppen aus einer Fachkraft und vier oder fünf Kindern tragen als solche, wenn sie stabil bleiben, erheblich weniger Kontaktrisiken als herkömmliche Kinder- und Betreuungsgruppen. Übrigens: Die ideale Form dafür, die haben wir schon – sie wird häufig stiefmütterlich behandelt –: Es ist nämlich die Kindertagespflege. Kleine, stabile Einheiten sind das Gebot der Stunde, auch für Grundschulen und andere Einrichtungen mit engem Kontakt. Für die meisten Familien wird das heißen: Teilzeitkita und Teilzeitschule oder andere Wechselmodelle. Aber so wird für alle bald wieder mehr Vereinbarkeit möglich. Schließlich: Ich schließe mich denen an, die die Lohnersatzleistung für betreuende Eltern jenseits der ersten sechs Wochen fortführen wollen. Das ist ein Gebot für uns, die wir den Rechtsanspruch etabliert haben und jetzt nicht erlauben dürfen, dass im Kontakt zur weiteren Familie Eltern ihre Alternativen finden. Dies muss unbedingt gesichert werden. Meine Damen und Herren, ich bin erleichtert, dass unsere Kinder nun Schritt für Schritt in die Normalität zurückkehren können. Ich bedanke mich für das Wort an letzter Stelle. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das war die letzte Rednerin zu Zusatzpunkt 2. Ich schließe die Aussprache.

Michael Roth (Gast)

Politiker ID: 11003213

Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2008 beteiligen sich deutsche Soldatinnen und Soldaten an der Marineoperation Atalanta. Für die Europäische Union leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit und Stabilität am Horn von Afrika. Auch während der Coronapandemie erfüllt Atalanta zuverlässig ihren Auftrag, den Seeraum zu schützen und die Piraterie zu bekämpfen. „Welche Piraterie?“, wird sich vielleicht der eine oder die andere von Ihnen fragen. In der Tat sind die Attacken selten geworden. Die letzte fand im April 2019 statt: Somalische Piraten kaperten damals ein jemenitisches Fischerboot und griffen damit – erfolglos – ein spanisches und ein koreanisches Fischereischiff an. Atalanta schaltete sich ein. Mit Unterstützung des deutschen Seefernaufklärers stellte eine spanische Fregatte das gekaperte Schiff, befreite die festgehaltenen Besatzungsmitglieder und übergab die fünf festgenommenen Piraten zur Strafverfolgung an die Seychellen. Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Atalanta wirkt, nicht zuletzt dank der deutschen Beteiligung. ({0}) Es gibt viele Entwicklungen, die uns durchaus Mut machen. Aber für Entwarnung ist es noch zu früh. Erstens sind die Piraten ja nicht verschwunden. Ihre kriminellen Netzwerke haben sich bloß umorientiert auf andere Geschäftsfelder wie den Schmuggel von Waffen, von Drogen, Schleuser- und Schlepperaktivitäten. Aber sie werden wieder gegen Schiffe losschlagen, sobald Wachsamkeit und Engagement der internationalen Gemeinschaft nachlassen. Damit bleiben sie eine Bedrohung, der sich Atalanta weiter entgegenstellen muss. Zweitens ist entscheidend, wem Atalanta Schutz gewährt, vor allem den Seetransporten des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Seit Beginn der Operation vor zwölf Jahren wurden 2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel sicher nach Somalia geliefert. Denn vergessen wir nicht: Somalia zählt nach wie vor zu den größten humanitären Krisengebieten weltweit. Es liegt auch in unserer Verantwortung, eine weitere humanitäre Katastrophe zu verhindern. ({1}) Schon seit Monaten leidet die Region am Horn von Afrika unter einer massiven Heuschreckenplage. Aufgrund der Wetterlage rechnen Expertinnen und Experten innerhalb der nächsten Wochen mit einer massiven Ausbreitung der Heuschreckenschwärme um den Faktor 400. Das wird dramatische Folgen haben: Allein in Somalia werden mehr als 5 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Hinzu kommen die Auswirkungen der Coronapandemie, die sich derzeit noch gar nicht absehen lassen. Durch den Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms trägt Atalanta dazu bei, Menschenleben zu retten, und verhindert letztlich, dass soziale Not und Perspektivlosigkeit den kriminellen und terroristischen Gruppen neue Anhänger zutreiben. Atalanta bekämpft nicht nur Symptome, sondern auch ihre Ursachen. ({2}) Selbstverständlich kann Somalia nicht alleine durch eine EU-Marineoperation befriedet und stabilisiert werden. Atalanta ist aber ein zentrales Instrument der Europäischen Union, mit dem wir dort zu Wiederaufbau und Krisenprävention beitragen. Auch unser Land engagiert sich substanziell, damit Somalia die Folgen des jahrzehntelangen Bürgerkriegs bewältigen kann, im Team der EU und der Vereinten Nationen, aber auch bilateral. Die Bedingungen unseres Engagements, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind denkbar schwierig. Die staatlichen Strukturen bleiben fragil. Der Sicherheitssektor befindet sich noch im Aufbau. Die Zentralregierung hat über weite Teile des Landes überhaupt keine Kontrolle. Die Entwicklung Somalias zu einem friedlichen und stabilen Staat erfordert einen langen Atem. Sie erfordert Beharrlichkeit, um nicht die bisherigen Erfolge wieder zu gefährden. Nur so kann auch dem miesen Geschäftsmodell der Piraterie die Grundlage dauerhaft entzogen werden. Und schließlich verdeutlicht ein Blick auf die Landkarte, worum es bei Atalanta geht. Ihr Einsatzgebiet umfasst kritische Nadelöhre des internationalen Seeverkehrs. Es ist mit 8 Millionen Quadratkilometern fast so groß wie ganz Europa. Atalanta sichert diesen Seeraum aktuell mit zwei Fregatten und zwei Seefernaufklärern, davon einer von der Bundesmarine. Und eines ist mir besonders wichtig: Die Operation ist gelebte europäische Teamarbeit. Derzeit sind 17 Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt. Dazu kommen mit Serbien und Montenegro zwei weitere Beitrittskandidaten. Und die Europäische Union ist bei Weitem nicht der einzige Akteur in der Region. Insgesamt sind rund 30 Nationen am Horn von Afrika dauerhaft mit Marineeinheiten präsent, darunter die USA, Japan, Indien, China. All diese Staaten eint ein gemeinsames Ziel: die Sicherheit einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt zu gewährleisten. Daher sieht das Operationskonzept von Atalanta vor, mit den Partnern vor Ort noch enger zusammenzuarbeiten. Dieses maritime Teamspiel schafft Vertrauen auf allen Seiten, auch bei den Anrainerstaaten, die uns nachdrücklich gebeten haben, weiterhin militärisch in der Region präsent zu bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch mit Atalanta stellt die EU ihre strategische Handlungsfähigkeit unter Beweis, und das unter denkbar schwierigen Bedingungen. Daran wollen wir weiter als verlässlicher und engagierter Partner mitwirken; denn die Freiheit des Welthandels zu bewahren, ist ein Kerninteresse Europas und Deutschlands, das als eine führende Exportnation diese Freiheit ganz besonders braucht. Ich bitte Sie deshalb im Namen der Bundesregierung um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Operation Atalanta. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Für die AfD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Rüdiger Lucassen. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Die AfD hat dem Mandat Atalanta bisher zugestimmt. Als Gründe sind zu nennen: Erstens. Der Einsatz hat ein Mandat der UNO. Zweitens. Er ist robust, das heißt, deutsche Seeeinheiten sind, sofern sie denn eingesetzt werden, autorisiert, Angriffe auf zivile Schiffe abzuwehren, Piraten zu verfolgen und festzusetzen. Und drittens – und das ist für die AfD das wichtigste Kriterium –: Der Einsatz am Horn von Afrika dient deutschen Interessen; ({0}) denn unser Land ist zwingend auf sichere Seewege angewiesen. Deutsche Waren werden in die ganze Welt verschifft. Dass unsere Marine diese Lebensadern des deutschen Wohlstands schützt, ist richtig und selbstverständlich. Was diesem Einsatz allerdings fehlt, ist die Perspektive, eine Exit-Strategie. Wie lange soll die deutsche Marine noch auf Piratenjagd vor Somalia gehen? Diese Frage kann die Bundesregierung nicht beantworten, weil es keine Gesamtstrategie für das Horn von Afrika gibt. Das Piratenproblem vor Somalia verschwindet ja erst, wenn dieser Failed State in irgendeiner Weise stabilisiert ist. An diesem Ziel arbeitet die Bundesregierung nur noch mit Symbolmaßnahmen. Die Folge: Atalanta wird so zum Never-ending Einsatz, und das geht nicht. ({1}) Streitkräfte sind zum Freikämpfen von Zeitfenstern geeignet, nicht als Dauereinsatz für fehlende politische Lösungen. Das ist falsch. Mit dieser Strategielosigkeit steht Atalanta symptomatisch für das außen- und sicherheitspolitische Westentaschenformat der Regierungsparteien. CDU und SPD sind offenkundig weder willens noch in der Lage, die Auslandseinsätze der Bundeswehr mit tragfähigen Strategien zu hinterlegen. Es fehlt eine klare Linie. ({2}) Die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist ohne strategische Ausrichtung, ohne eine Ambition, die für unser Land angemessen wäre. Diese sicherheitspolitische Verweigerungshaltung von CDU und SPD tritt nirgends offener zutage als bei der Personalauswahl für herausgehobene Ämter im Bereich der Bundeswehr: Ursula von der Leyen, Fachgebiet: Familien- und Kitapolitik, danach Verteidigungsministerin; Annegret Kramp-Karrenbauer, Fachgebiet: das Saarland, danach Verteidigungsministerin. Und jetzt soll Eva Högl zur neuen Wehrbeauftragten gewählt werden. Eine Abgeordnete aus der entmilitarisierten Zone namens Berlin-Mitte ohne Berührungspunkte zur Bundeswehr soll sich nun um die Belange unserer Soldaten kümmern. ({3}) Und Hans-Peter Bartels, der letzte Sozialdemokrat mit sicherheitspolitischem Verständnis, wird ruchlos in die Wüste geschickt. ({4}) Bei der SPD gilt: Rette sich in sichere Ämter, wer kann. Und wer das nicht schafft, macht einen polnischen Abgang wie Johannes Kahrs. ({5}) Niemand zeigt schamloser als die SPD, wie man sich den Staat zur Beute macht und lukrative Posten unter den Genossen aufteilt. ({6}) Wenn der CDU tatsächlich etwas an Deutschlands Sicherheit –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– und an der Bundeswehr gelegen wäre, müsste sie die sicherheitspolitische Geisterfahrt ihres Koalitionspartners stoppen. Danke schön. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes eilt herbei der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Thomas Silberhorn und erhält das Wort. ({0})

Thomas Silberhorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003636

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist als Exportnation auf weltweite ungehinderte Handelsströme angewiesen. Dazu braucht es auch freie und sichere Seewege. Welche Bedeutung das hat, können wir in Zeiten der Coronapandemie alle erleben, nachdem wir erst wenige Wochen eine zeitweise Störung unserer Handelswege erleben. Das Seegebiet um das Horn von Afrika ist eine Haupthandelsroute zwischen Europa, der arabischen Welt und Asien. Aber auch die Versorgung der Menschen in der Region hängt maßgeblich von der Sicherheit der maritimen Transportwege ab. Aktuell ist der Transport von lebensnotwendigen Gütern für die somalische Bevölkerung, aber auch für den Weitertransport in Länder wie den Sudan von besonderer Bedeutung. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir seit Monaten eine Heuschreckenplage vor Ort haben, die die Nahrungsmittelknappheit in den Ländern um das Horn von Afrika extrem verschärfen wird. Dazu kommt jetzt die Infektion durch das Coronavirus, die auch in diesen Ländern Einzug hält, die zu Ausgangsbeschränkungen führt, mit dem Ergebnis, dass vielen Menschen ihre tägliche Erwerbsgrundlage entzogen wird. Immer mehr sind deswegen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese Mission Atalanta der Europäischen Union gewährt den Schiffen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen und den Schiffen von AMISOM, der Mission der Afrikanischen Union in Somalia, den notwendigen Schutz, damit sie ihre Ziele sicher erreichen können. Die Mission Atalanta, meine Damen und Herren, ist ausgesprochen erfolgreich. Wir haben eine Sicherungsquote von 100 Prozent. Das bedeutet in Zahlen ausgedrückt: Über 1 400 Schiffe des Welternährungsprogramms und über 700 Schiffe von AMISOM sind bislang begleitet und geschützt worden. Außerdem wurden 267 Fahrten des Welternährungsprogramms durch ein militärisches Sicherungsteam der Operation Atalanta abgesichert. So konnten über 2 Millionen Tonnen Lebensmittel geliefert werden, aber über 5 Millionen Menschen dort sind weiterhin von humanitärer Hilfe abhängig. Für diesen verlässlichen Einsatz und für das unermüdliche Engagement auch unserer Soldatinnen und Soldaten möchte ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank und unsere tiefe Anerkennung zum Ausdruck bringen. ({0}) Wir dürfen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserer Unterstützung aber jetzt nicht nachlassen. Die Lage am Horn von Afrika ist weiter nicht stabil. Es kommt zu vereinzelten Piratenangriffen. In der Nachbarschaft dauert der Konflikt im Jemen an, mit negativen Auswirkungen auf die gesamte Region, und deshalb ist unser militärisches Engagement im Rahmen der Operation Atalanta eine Rückversicherung zur See. Sie ergänzt die umfassenden Stabilisierungsbemühungen der Europäischen Union an Land und im angrenzenden Küstenmeer. Die Bundeswehr trägt zur Sicherheit bei durch Überwachung und Aufklärung des Seeraums, durch die Erstellung und den Austausch von Lagebildern, durch Sicherung und Schutz, durch präventive Maßnahmen und – ja – erforderlichenfalls durch die gewaltsame Beendigung von Piraterie und Seeräuberei. Die Operation ist einsatzfähig, auch unter Bedingungen der Coronapandemie. Die Schutzmaßnahmen, die wir getroffen haben, sind wirksam. Die Europäische Union wird dieses Mandat überprüfen bis zum Jahresende. Es geht darum, dass wir das Erreichte konsolidieren, aber auch die Länder vor Ort stärker mit einbeziehen. Aber es sind sich sowohl die Länder am Horn von Afrika als auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einig, dass wir dieses Mandat fortsetzen müssen. Es ist sinnvoll und notwendig für die Sicherheit am Horn von Afrika. Deswegen schlagen wir Ihnen vor, dass wir auch mit der Bundeswehr unseren Beitrag am Horn von Afrika unverändert fortsetzen. Ich bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Für die Fraktion der FDP hat als Nächstes das Wort der Kollege Christian Sauter. ({0})

Christian Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004871, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn durch Corona andere Themen die Berichterstattung derzeit beherrschen, so ist Piraterie weiterhin ein ernstzunehmendes Problem. Die seit 2008 durchgeführte Beteiligung deutscher Streitkräfte an EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta schützt die Versorgung Somalias und weiterer Staaten durch Schiffe des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Die Operation dient dabei vor allem auch der Sicherung der kommerziellen Schifffahrt gegen Piraterie und der Überwachung der Fischerei vor der Küste Somalias. Derzeit ist die Bundeswehr mit aktuell 77 Soldatinnen und Soldaten an Atalanta zusammen mit Partnernationen beteiligt. Wesentlich sind hierbei die Bereitstellung des Seefernaufklärers P-3C Orion, das Unterstützungselement in Dschibuti und Stabspersonal im Hauptquartier in Rota. An dieser Stelle unser ausdrücklicher Dank für den geleisteten Dienst unserer Soldaten! ({0}) Seit Jahren erzielt die Marinemission dabei Erfolge und macht die Region sicherer. Dabei ist Abschreckung durch Präsenz eine wesentliche Komponente dabei. Das unterstützen wir. ({1}) Die mittlerweile auf 400 verringerte, bei Weitem nicht ausgeschöpfte Mandatsobergrenze ist Ausdruck der Anpassung des Mandats. Dennoch ist ein Abzug nicht in Sicht, trotz zwischenzeitlicher Exit-Überlegungen. Das hat damit zu tun, dass man mit der Piraterie ein Symptom einer vielschichtigen Problemlage in der Region bekämpft. Sie ist ein Anhaltspunkt für die anhaltende Instabilität Somalias und der Region. Schwache staatliche Strukturen treffen auf externe Einflussfaktoren wie den Jemen-Krieg und aktuell die Coronapandemie. An dieser Stelle ergeben sich zudem Fragestellungen. Mit dem Einsatz einer weiteren P-3C Orion bei der neuen Mission Irini ergibt sich bei der schwierigen Materiallage und der Einsatzbereitschaft des Systems für die deutsche Marine eine weitere Belastung. Wie wird sich das auswirken? Wie werden die zivilen und die polizeilichen Komponenten in der Region weiterentwickelt im Sinne eines vernetzten Ansatzes? Und: Auch im Golf von Guinea ist die Piraterie vor den Küsten Afrikas ein wachsendes Problem, ohne dass eine Lösung hier erkennbar ist. Hoffnung macht in Somalia derzeit die fortschreitende Übergabe von Sicherheitsaufgaben durch AMISOM an somalische Sicherheitskräfte; denn nur wenn die Transformation in einen stabilen Staat gelingt, können der Piraterie und der Kriminalität die Grundlage entzogen werden. ({2}) Der Schutz der UN-Schiffe, der kommerziellen Schifffahrt und weitere Maßnahmen sind bis dahin notwendig und Teil von Atalanta. Dies ist im Interesse der Europäischen Union und letztendlich auch im nationalen Interesse Deutschlands als führender Exportnation. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Sauter. – Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Kathrin Vogler. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt uns heute erneut das Bundeswehrmandat im Rahmen der EU-Mission Atalanta zur Verlängerung vor. Wie Sie wissen, lehnt meine Fraktion diese Auslandseinsätze sehr grundsätzlich ab; denn wir fordern eine ganz andere, eine zivile und friedensfördernde Außenpolitik. ({0}) Sie aber wollen weiterhin bis zu 400 Frauen und Männer der Bundeswehr mit einem Kampfauftrag in einen Einsatz entsenden, der als Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias firmiert, aber tatsächlich inzwischen das gesamte Gebiet des Indischen Ozeans umfasst. Nun ist Piraterie tatsächlich eine große Gefahr für die zivile Schifffahrt und für die Seeleute. Die Hauptrisikogebiete sind West-, nicht Ostafrika, Indonesien und Südamerika. In Somalia aber gibt es aktuell ganz andere Probleme. Dort hungern die Menschen, die Erderwärmung schickt ihnen Dürren, und gerade wird Ostafrika von einer geradezu biblischen Heuschreckenplage heimgesucht. Die geschwächten Menschen haben Infektionskrankheiten und Seuchen wie Malaria und Cholera nichts entgegenzusetzen, und eine Gesundheitsversorgung fehlt fast vollständig. Aber Piraten? Im riesigen Einsatzgebiet von Atalanta gab es im vergangenen Jahr ein verdächtiges Fischerboot, das dem Internationalen Schifffahrtsbüro als Verdachtsfall für Piraterie gemeldet wurde. ({1}) Nach 2018 gab es keinen einzigen Piratenüberfall laut dieser Quelle. Die größte Gefahr in der Region, nicht nur für die Schifffahrt, sondern für das Leben und die Gesundheit von Millionen unschuldiger Zivilistinnen und Zivilisten – das muss ich Ihnen mal sagen – ist aktuell der Stellvertreterkrieg im Jemen. Und da könnte diese Bundesregierung, wenn sie es denn wollte, tatsächlich etwas Wirkungsvolles unternehmen. ({2}) Vom 1. Januar 2019 bis zum 24. März 2020 hat diese Bundesregierung 224 Rüstungsexporte für knapp 1,2 Milliarden Euro an Länder der saudisch geführten Kriegskoalition genehmigt – 224! Das ist doch nicht zu fassen. Sie nennen das eine restriktive Rüstungsexportpolitik, aber ich nenne das einen anhaltenden Verfassungsbruch und eine Schande für unser Land. Hören Sie endlich damit auf! ({3}) Meine Damen und Herren, der Direktor des Welternährungsprogramms warnte vor Kurzem mit drastischen Worten vor einer bevorstehenden Hungerpandemie. Wenn Sie diese warnenden Worte nicht ebenso ignorieren wollen wie die frühen Warnungen vor der Coronapandemie, dann sollten Sie diesen Militäreinsatz einstellen und die über 35 Millionen Euro, die er kosten soll, für Nahrungsmittelhilfe und Gesundheitsversorgung in Afrika ausgeben. Dabei würden wir Sie von ganzem Herzen unterstützen. ({4}) Außerdem bin ich dafür, den 8. Mai als Tag der Befreiung zum Feiertag in ganz Deutschland zu machen. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen, hat als nächster Redner das Wort. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer wie Sie eben meint, anstelle des 8. Mai für den 1. April als Feiertag plädieren zu müssen, der hat nun wirklich überhaupt nichts aus der deutschen Geschichte gelernt. ({0}) Es ist richtig, meine Damen und Herren, dass die Menschen in Somalia neben den Wirren und den Opfern des Krieges auch einer eklatanten Hungersnot, ausgelöst auch und gerade durch die Heuschreckenplage, ausgesetzt sind. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in einer solchen Situation muss es doch im Interesse auch gerade dieser Menschen sein, dass eine gesicherte Versorgung über die Nahrungsmittel und über die Hilfsschiffe der Vereinten Nationen tatsächlich ermöglicht wird. ({1}) Das ist der Grund, warum wir 2008 dieser Mission mit zugestimmt haben, obwohl wir wissen, dass es eine europäische Verantwortung für das Leerfischen der Küstengewässer von Somalia gibt. Aber seit 2012 hat sich diese Koalition darauf kapriziert, genau diesen Konsens aufzukündigen. Sie bestehen auf einer Klausel für Land- und Strandabenteuer der dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. Ich kann Ihnen nur sagen: Räumen Sie diesen Unsinn, den Sie überhaupt nicht nutzen, den Sie überhaupt nicht brauchen, endlich ab! Dann hätten wir in dieser Frage einen breiteren Konsens in diesem Hause. ({2}) Ich habe von deutscher Verantwortung gesprochen. Die deutsche – oder die europäische – Verantwortung hat nicht nur etwas mit spanischen und anderen Fischerbooten vor der Küste von Somalia zu tun. Sie hat auch etwas mit der Begründung zu tun, die die Bundesregierung hier selber vorgelegt hat. Negativ wirkt sich ebenfalls der fortwährende Konflikt im Jemen aus, was zu einer Destabilisierung in der Region führt – schreibt die Bundesregierung. Sie hat recht. Aber: Was bitte schön heißt denn das? Diejenigen, die diese Destabilisierung betreiben, sind doch unter anderem die Saudis. Und genau diesen, die dort Destabilisierung betreiben, liefern Sie Patrouillenboote von der Lürssen-Werft, damit die dort eine Seeblockade durchführen können. Sie umgehen auf diese Weise nicht nur die deutschen Rüstungsexportgrundsätze; Sie exportieren doch gezielt die Unsicherheit, gegen die Sie dann anschließend meinen im Rahmen von Atalanta Soldatinnen und Soldaten einsetzen zu müssen. ({3}) Das ist das Gegenteil, meine Damen und Herren, einer konsistenten Außen- und Sicherheitspolitik. So wird der Einsatz dieser Soldatinnen und Soldaten zu Symbolik und zur Sisyphusarbeit herabgewürdigt, und das haben die, ehrlich gesagt, nicht verdient. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Markus Grübel. ({0})

Markus Grübel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Piraterie oder seeräuberische Handlungen sind weder romantisch, noch haben sie etwas mit Captain Jack Sparrow oder Ähnlichem zu tun. Am Sonntag kam ja einmal wieder „Fluch der Karibik“ – geniale Musik, aber kein realistisches Bild von Piraterie. Piraterie ist organisiertes Verbrechen von der übelsten Sorte, vergleichbar mit illegalem Drogenhandel, illegalem Waffenhandel, Schutzgelderpressung, Menschenhandel und Schleppertum. Wenn die Anrainerstaaten nicht in der Lage sind, dagegen vorzugehen, dann muss die Weltgemeinschaft handeln, und genau das macht die Europäische Union mit ihrer Mission Atalanta: Sie bekämpft Piraterie, sie schützt die Handelsschiffe, und sie fördert die Stabilität in der gesamten Region. Die Mission Atalanta ist erfolgreich; die Zahlen belegen dies. Staatsminister Roth und Staatssekretär Silberhorn von der Regierung haben es gerade ausgeführt. Die Seewege am Horn von Afrika sind sicher. Zu Recht kann man fragen, ob die Mission Atalanta jetzt überflüssig ist. Mit der Mission Atalanta verhält es sich vielleicht ähnlich wie mit den Coronamaßnahmen. Die Maßnahmen sind bis jetzt erfolgreich, und wenn die Zahlen gut sind, kann man in der Tat die Maßnahmen herunterfahren. Und genau das tun wir. Wir haben zurzeit 77 Soldatinnen und Soldaten dort im Einsatz. Wir hatten aber auch schon 884 Soldatinnen und Soldaten dort im Einsatz. Das sind nicht einmal mehr 10 Prozent. Durch Atalanta ist das Geschäftsmodell Piraterie des organisierten Verbrechens unwirtschaftlich geworden. Dazu, Herr Trittin, hat auch beigetragen, dass wir an Land gegen logistische Einrichtungen der Piraterie vorgehen können, weil die Piraten sehr wohl unsere Rules of Engagement kennen, sehr wohl wissen, was wir dürften und könnten, und somit einen Riesenaufwand haben, diese Piratenboote tief ins Land zu bringen. Der Aufwand ist für das organisierte Verbrechen hoch geworden. Es wird kein Geld mehr verdient, und das ist auch gut so; denn mit diesem Geld wird nur weiteres Unheil in der Region angerichtet. Zu den Linken muss ich sagen: Wenn Sie den Kampf gegen das organisierte Verbrechen nicht mitmachen, dann tun Sie mir wirklich leid, weil Sie dann verhindern, dass wir denen das Handwerk legen. ({0}) Wir stehen in der Region vor einem Bündel an Herausforderungen: innerstaatliche und zwischenstaatliche Konflikte, islamistischer Terror, organisierte Kriminalität, Korruption, Armut, Nahrungsmittelknappheit, Heuschreckenplage, fragile Ökosysteme, Bevölkerungswachstum, Flüchtlingsbewegungen. Aktuell kommt die Coronapandemie noch dazu. Heute wurde ein Flugzeug mit Hilfsgütern möglicherweise von Terroristen abgeschossen. Natürlich löst die Operation Atalanta nur einen Teil der Probleme. Ein Beifang zum Beispiel ist die Überwachung der Fischereitätigkeit; auch das ist in der Region wichtig. Aber die Bundesregierung und wir als Koalition verfolgen einen vernetzten Ansatz. Allein das Entwicklungsministerium hat Maßnahmen in Somalia im Gesamtwert von 368 Millionen Euro. Wenn die AfD das Symbolpolitik nennt, dann kann man das so nennen. Ich finde, das ist ein Pfund, mit dem wir uns sehen lassen können. ({1}) Über 20 000 Schiffe befahren jedes Jahr diese Seeregion, und alle Länder dieser Welt haben ein berechtigtes Interesse daran, dass diese Seewege frei und sicher sind. Die Handelswege zu schützen, das ist nicht zu kritisieren. Auftrag unserer Bundeswehr ist es, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern für freie und sichere Welthandels- und Versorgungswege zu arbeiten. Das stand so im Weißbuch 2006, das steht im Weißbuch 2016, und das hat 2010 völlig zu Recht unser Bundespräsident Horst Köhler gesagt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Nikolas Löbel. ({0})

Nikolas Löbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004805, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der Mission Atalanta war die Piraterie am Horn von Afrika groß, sehr groß. Heute können wir sagen – das sollte das Ergebnis dieser Debatte sein –: Atalanta ist und war erfolgreich. – Wir müssen aber auch sagen: Atalanta ist und bleibt wichtig und erforderlich. – Die Piraterie ist stark zurückgegangen. Alle Schiffe des Welternährungsprogramms und der AMISOM haben ihre Häfen sicher erreicht. Es geht um 1,8 Millionen Tonnen Hilfsgüter pro Jahr für über 6 Millionen Menschen. Allein diese Tatsache sollte eigentlich alle Fraktionen in diesem Haus dazu veranlassen, die Mandatsverlängerung mitzutragen. ({0}) Atalanta ist nach wie vor erforderlich; denn der Schutz der Seeverbindung für humanitäre Hilfe und für freien Handel in der Welt ist weiterhin erforderlich. Der Handel zwischen Europa, Afrika und Asien ist von größter Bedeutung für uns alle. Dabei leitet uns das Ziel, dass fairer Welthandel die Armutsprobleme der Welt löst. Denn wir sind uns, glaube ich, über viele Fraktionen hinweg einig: Mit dieser Mission bekämpfen wir nur Symptome, nicht die Ursachen der humanitären Notsituation. Ein fairer Welthandel führt ganz nebenbei auch zu mehr Sicherheit und Stabilität. Dazu braucht es eben sichere Seewege; denn 90 Prozent des Handels zwischen Europa und Afrika gehen durch den Golf von Aden. Dass wir Deutsche dabei als Exportnation ein berechtigtes Interesse an freien und sicheren Handelswegen haben, das ist kein Geheimnis und auch nichts, was man nicht sagen darf oder was man kritisieren sollte. Piraterie ist ein brutales Verbrechen; Kollege Grübel hat es gesagt. Sie ist Teil organisierter Kriminalität. Mit Atalanta versuchen wir, gerade dieses kriminelle Geschäftsmodell zu unterbinden. Atalanta ist im internationalen Interesse. Mit Atalanta leisten wir aber auch einen ganz wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der gesamten Region. Wir sichern die Möglichkeit, dass unsere humanitäre Hilfe die Menschen überhaupt erst erreicht, und wir sorgen für Sicherheit von Menschen. Das Kontingent umfasst bis zu 400 Soldatinnen und Soldaten, wovon knapp 80 zurzeit im Einsatz sind. Dabei sollten wir eben auch an diese 80 Soldatinnen und Soldaten denken, die für die Bundeswehr und für unser Land dort Dienst tun. Aufgrund der reduzierten Größe des Mandates leisten diese Soldatinnen und Soldaten vor Ort ihren Dienst unter besonderen Bedingungen. Die Standards sind dort andere als zum Beispiel in großen Feldlagern. Es gab bei diesem Einsatz eben auch unterschiedliche Voraussetzungen vor Ort, und diese wurden im Laufe des letzten Jahres, nach einem Besuch von Staatssekretär Silberhorn mit Mitgliedern dieses Hauses, verbessert. Dafür nachträglich nochmals unser Dank. Es gilt: Egal wo ein deutscher Soldat seinen Dienst tut, er verdient die gleiche Unterstützung, Ausrüstung, Infrastruktur und – damit verbunden – die gleiche Wertschätzung wie alle anderen. ({1}) In diesem Sinne sind wir den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz vor Ort dankbar und senden ihnen mit der Verlängerung des Mandats ein starkes Signal des Rückhalts aus der Heimat; denn die Bundeswehr ist und bleibt eine Parlamentsarmee. Werden wir dieser Aufgabe, werden wir dieser Würde durch eine angemessene Unterstützung gerecht! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Vielen Dank, Herr Präsident. – Dies ist das dritte Gesetz, das ich heute einbringe. Sie sehen, im Justizministerium wird unter Hochdruck gearbeitet, ({0}) und das ist auch dringend notwendig. Meine Damen und Herren! Im Jahr 2017 sind wir mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz einen ganz wichtigen Schritt im Kampf gegen Hass und Hetze im Internet gegangen. Es gab damals viele Sorgen, dass es durch dieses Gesetz zu einem Overblocking kommen würde. Viele von denen, die damals diese Bedenken geäußert haben, fordern mich heute wiederum auf, dringend in diesem Bereich tätig zu werden. Dieser Aufforderung komme ich gerne nach, weil Hass und Hetze im Internet nämlich eine ganz große Gefahr für unsere Demokratie, für die Meinungsfreiheit sind. Menschen fühlen sich eingeschüchtert, Menschen sollen mundtot gemacht werden, mischen sich nicht mehr in politische, gesellschaftspolitische Diskussionen ein. Das ist eine ganz schlimme Entwicklung, und der müssen wir entgegentreten. ({1}) Deswegen ist es wichtig, dass man nach den Jahren der Erfahrung mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz jetzt die Erfahrungen aufnimmt – neben dem Gesetz gegen Hass und Hetze im Netz, das auch noch in der Beratung ist –, die in zahlreichen Gesprächen mit Verbänden, mit Betroffenen gesammelt wurden. Diese Erfahrungen haben wir jetzt zusammengefasst. Deswegen möchte ich Ihnen die drei wichtigsten Verbesserungen zu diesem guten Gesetz, das aber noch besser werden kann, vorstellen. Erstens verbessern wir die Nutzerfreundlichkeit der Meldewege. Oftmals ist es so, dass es zweierlei Meldewege gibt und für Nutzer nicht ganz klar erkennbar ist, ob es jetzt der Meldeweg ist, der zu einer Meldung nach dem NetzDG führt, oder ein unternehmensinterner Meldeweg, der dann aber überhaupt keine Aufnahme in eine Statistik findet. Damit muss Schluss sein. Deswegen werden wir jetzt dafür sorgen, dass diese undurchsichtigen Meldeverfahren beendet werden. Sie sind unzumutbar. In Zukunft müssen solche Hassäußerungen direkt vom Posting aus gemeldet werden können, schnell und unkompliziert. So muss es gehen, meine Damen und Herren. ({2}) Zweitens sollen die sozialen Netzwerke ein Gegenvorstellungsverfahren einführen. Denn es gibt Nutzerinnen und Nutzer, die sagen: Ich kann eigentlich nicht nachvollziehen, warum dieser Post jetzt gelöscht wurde und ein anderer nicht. – Da möchten sie vielleicht, dass er bestehen bleibt. Um diese Möglichkeit jetzt eben auch zu eröffnen, wollen wir das Gegenvorstellungsverfahren einführen, damit ein Nutzer seine Einschätzung vortragen kann. So schützen wir die Meinungsfreiheit im Netz, meine Damen und Herren. ({3}) Drittens – ganz wichtig – wollen wir es den Opfern von Hass und Hetze leichter machen, gerichtlich gegen die Täter vorzugehen. Die Täter agieren oft anonym, und daran soll sich auch nichts ändern. Aber für die Betroffenen ist es sehr mühsam, denjenigen zu ermitteln, der hinter einem Hass-Posting steht. Deswegen straffen wir das gerichtliche Auskunftsverfahren. Es besteht nämlich momentan aus zwei Ebenen – sehr kompliziert. In Zukunft kann ein Netzwerk, wenn ein Gericht die Herausgabe von Daten für zulässig hält, gleichzeitig zur Herausgabe dieser Daten verpflichtet werden. Das sind drei ganz wesentliche Verbesserungen dieses NetzDGs. Außerdem setzen wir mit der Änderung europäische Vorgaben um. Da geht es um den Schutz vor unzulässigen Inhalten von Videosharingplattform-Diensten. Meine Damen und Herren, das NetzDG ist und bleibt ein ganz wichtiger Baustein, um im Interesse der Meinungsfreiheit tätig werden zu können. Wir wollen es schärfen, wir wollen es verbessern, wir wollen es nutzerfreundlich machen. Ich freue mich sehr auf die Beratungen, die jetzt anstehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege Stephan Brandner. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Hass macht hässlich. ({0}) Wer wusste es besser, diesen Grundsatz von diesem Pulte aus deutlich zu machen und vorzuleben, als ein bis gestern noch einflussreicher Strippenzieher der SPD-Fraktion, der auch wunderbar zu diesem Gesetzentwurf hätte sprechen können? Wer junge Damen als „Schlampe“ bezeichnet oder Kollegen hier im Hause in übelster Attitüde und Diktion mit Gossensprüchen beschimpft, meine Damen und Herren, der und dessen Partei kennen sich mit Hass wirklich aus. ({1}) Wer weiß, vielleicht hat sich der Genosse Kahrs ja aus den sozialen Netzwerken zurückgezogen, weil er einfach Angst vor Ihrem Gesetzentwurf hatte, Frau Lambrecht. ({2}) Meine Damen und Herren, Hass macht hässlich, auch hässliche Gesetze, wie man an diesem Gesetz aus dem SPD-geführten Justizministerium sieht, das wieder einmal ein paar Milliönchen verschlucken wird und sich liest wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den einen oder anderen Genossen, der nun oder demnächst ohne Pöstchen dasteht oder sich einfach anders orientieren möchte. Meine Damen und Herren, wir als AfD sagen ganz klar – das können Sie in der Begründung des von der Kollegin Cotar federführend formulierten Antrages ganz klar lesen –: Ihr Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das nichts anderes als ein Netzwerkzersetzungsgesetz, ein Meinungsfreiheitseinschränkungsgesetz ist, darf nicht weiter verschärft, es muss vielmehr abgeschafft werden, ({3}) freilich nach Maßgabe unseres Änderungsantrages, den Sie in der Drucksache 19/16919 finden. Meine Damen und Herren, das Netz ist natürlich kein rechtsfreier Raum, aber das war es auch vor der Einführung des NetzDG nicht. Es ist aber einer der wenigen Räume, in dem der politische Meinungsaustausch noch mehr oder weniger offen – zugegeben in abnehmendem Maße –, unzensiert und ohne staatliche und quasistaatliche Beeinflussungen stattfinden kann. Und das hat in den allermeisten Fällen mit Hass und Hetze nichts zu tun, Frau Lambrecht – ganz abgesehen davon, dass es sich bei „Hass“ und „Hetze“ inzwischen um inflationär verwendete, inhaltsleere linke Kampfbegriffe handelt, die nicht nur mich sehr an die Diktion der Gott sei Dank untergegangenen DDR erinnern. ({4}) Meine Damen und Herren, mit unserer Überzeugung, dass diese Gesetzesvorlage in Gänze und das NetzDG ganz weit überwiegend überflüssig sind, haben wir natürlich recht. Ich kann Ihnen von den Altfraktionen daher nur raten, sich uns anzuschließen; denn jedem müsste klar sein, dass die AfD in nahezu sämtlichen Einschätzungen bisher richtig lag und richtig liegt. ({5}) Ich sehe es Ihnen an: Sie wollen Beispiele. Die nenne ich Ihnen gerne. Wir sind es, meine Damen und Herren von den Altfraktionen, die seit Jahren fordern, die Grenzen zu kontrollieren. Angeblich war es unmöglich, nun ist es Realität und funktioniert wunderbar. Wir waren es, die zuerst forderten, unser Land in der Coronakrise erst gar nicht herunterzufahren und jetzt endlich wieder hochzufahren. Und was passiert nun? Die Länder liefern sich einen Wettbewerb um die schnellsten Lockerungen. Wir von der AfD waren es, die immer wieder sagten, dass Fahrverbote und Autofahrerschikanen wirkungslos seien. ({6}) Und was ist nun? Durch den Shutdown, seitdem kaum Autos gefahren sind, ist bewiesen, dass die ganzen Stickoxidgrenzwerte und was weiß ich, welche Werte noch, unverändert sind. Schließlich waren wir es – damit kommen wir zur aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –, die immer wieder erklärt haben, dass die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank verfassungswidrig seien. Gestern hat es das Bundesverfassungsgericht genau so ausgeurteilt. ({7}) Wenn sich meine Redezeit nicht dem Ende nähern würde, könnte ich noch bis morgen früh Positionen der AfD nennen, wo wir goldrichtig und Sie völlig danebenlagen. ({8}) Blamieren Sie sich von den Altfraktionen also nicht weiter, sondern stimmen Sie einfach – immer – so wie wir von der AfD, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Schlechte Karnevalsrede! dann liegen Sie nämlich politisch richtig – im Sinne unseres Landes und im Sinne unserer Bürger. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes hat das Wort für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Carsten Müller. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung das sogenannte NetzDG III, also die dritte Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Wir haben das Thema an dieser Stelle mehrfach beraten. Wir haben das Netzwerkdurchsetzungsgesetz heute bereits in einer Anhörung behandelt, bei der es um das NetzDG II ging, um das Gesetz gegen Hasskriminalität. Man muss – das relativiert die weitgehend fehlgehenden Ausführungen meines Vorredners im besonderen Maße – in diesem Zusammenhang der Öffentlichkeit eines mitteilen: Dieser sogenannten AfD ist es in der Anhörung, ({0}) die heute stattgefunden hat, nicht gelungen, auch nur eine Person zu finden, die sich als Sachverständiger für ihre kruden Thesen hergegeben hat, noch nicht einmal gegen Bezahlung. Das spricht erstens für sich und zweitens gegen Sie. ({1}) Die Wirkung des NetzDG ist unbestritten. Im Übrigen haben wir das in der eben zitierten Anhörung vom Sachverständigen der Grünen gehört. Etwas, das gut funktioniert, kann trotzdem besser werden. Wir wollen, dass das NetzDG besser und wirksamer wird, und wollen es deswegen nachschärfen. Die Unionsfraktion hat im vergangenen Jahr nach intensiven Beratungen dazu ein umfangreiches Positionspapier vorgelegt. Wir freuen uns, dass praktisch alle wesentlichen Punkte dieses Positionspapiers Eingang in den Gesetzentwurf gefunden haben. Wir haben heute, wie gesagt, das Gesetz gegen Hasskriminalität beraten, die zweite NetzDG-Novelle. Wir beraten jetzt die dritte NetzDG-Novelle. Während ersteres sich in erster Linie damit beschäftigt, wirksamere Instrumente für die Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen, stärkt der vorliegende Gesetzentwurf die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer. Die Frau Ministerin hat es richtigerweise angeführt: Wir führen ein Gegenvorstellungsverfahren ein. Wir machen transparent, auf welchen Entscheidungsgrundlagen die Wiedereinstellung oder die Nichtwiedereinstellung von Inhalten erfolgt. Außerdem machen wir Meldewege nach dem NetzDG wesentlich transparenter. Das heißt, das NetzDG wird benutzerfreundlicher, Vorgänge werden leichter auffindbar und einfacher bedienbar. Damit haben wir die berechtigte Kritik der Nutzerinnen und Nutzer der letzten Jahre aufgenommen. Wir nehmen uns auch die Transparenzberichte vor, die die Netzwerkbetreiber vorlegen müssen. Wir stärken die Vergleichbarkeit. Wir stellen sicher, dass künftig ein guter Dialog zwischen dem Bundesamt für Justiz und den Netzwerken möglich ist. Das war ein Thema, das etwas abseits der öffentlichen Beachtung häufig adressiert worden ist. Wir halten auch das für sinnvoll, um Dinge schnell in Gang zu setzen und sozusagen selbstnachschärfend und selbstverbessernd auszugestalten. Im Ergebnis führt das dazu, dass die freie Meinungsäußerung durch das NetzDG III gestärkt wird. Ein weiterer Punkt, auch etwas vermeintlich Nebensächliches, ist uns sehr wichtig. Wir stellen mit dem NetzDG III sicher, dass wir Forschungseinrichtungen den Zugang zu ausdrücklich anonymisierten Daten gewähren. Dabei ist uns der Gesichtspunkt des Datenschutzes außergewöhnlich wichtig. ({2}) Wir nehmen auch in den Blick, dass Auskunftsansprüche der Behörden künftig besser und effizienter ausgestaltet werden. Gerichte werden in die Situation versetzt, Netzwerke direkt zur Herausgabe von Daten zu verpflichten. Das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt; denn die Glaubwürdigkeit des NetzDG steigt in dem Maße, in dem Verfolgbarkeit von Verfehlungen, von Hass und Hetze gestärkt wird, und da sehen wir noch etwas Luft nach oben. Wir werden am Ende des Tages ein noch besseres NetzDG haben. Wir werden mit der geschaffenen Transparenz das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer stärken. Eines ist für uns das Leitmotiv: Rechtswidriges, bisweilen strafbares Verhalten ist nicht zu tolerieren, und das gilt für uns als Union offline wie online. Deswegen ist das NetzDG wirksam und gut. Diejenigen, die heute immer noch mehr fordern – das sind wenige; ich hatte Ihnen etwas zur Situation in der Runde der Sachverständigen gesagt –, tun das in vollständiger Unkenntnis der Wirksamkeit des Gesetzes. Wir haben Hass und Hetze in sozialen Netzwerken nachhaltig eindämmen können. Meine Damen und Herren, in einem Satz zusammengefasst gilt Folgendes: Das NetzDG ist Garant für Meinungsfreiheit in diesem Land. ({3}) Ich freue mich auf eine spannende Diskussion in den nächsten Wochen. Wir nehmen das Thema frontal mit hoher Geschwindigkeit, aber großer Sorgfalt an und führen es zum Erfolg. Für uns gilt eines ganz unbestritten: Gesetz vor Gemeinschaftsstandard. Wenn wir das beherzigen, meine Damen und Herren, dann wird uns eines gelingen, nämlich die Fortschreibung des international sehr beachteten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes als eine Erfolgsgeschichte. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die FDP-Fraktion ist der Kollege Roman Müller-Böhm. ({0})

Roman Müller-Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004833, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Endgeräten! In einer Zeit, in der die Coronakrise eigentlich das vorherrschende und auch das dringlichste Thema ist, bringt die Bundesregierung heute eine Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes in den Deutschen Bundestag ein. Das ist ein zweifellos interessantes Thema, gar keine Frage, aber, sehr geehrte Frau Ministerin – Sie sind heute hier zugegen –, es gibt in dieser Coronakrise doch so viele offenen Fragen, die insbesondere von Ihrem Haus beantwortet werden müssten, es gibt so viele Branchen, die dringend auf eine Reform vonseiten des BMJV warten. Sie sagten gerade, Ihr Ministerium sei sehr fleißig und arbeite sehr viel – das glaube ich Ihnen sogar –, aber warum halten Sie dann ausgerechnet an diesem halbgaren Gesetzentwurf fest? Das kann ich nicht verstehen? Ich muss Sie fragen: Warum halten Sie daran fest? ({0}) Wahrscheinlich wurde hier im Deutschen Bundestag in den letzten Jahren kaum ein anderes digitalpolitisches Thema so oft beraten wie das NetzDG. Liebe Bundesregierung, ich traue mich und spreche die Wahrheit ganz gelassen aus: Das NetzDG war noch nie ein Bestseller und wird auch nie einer werden. Da helfen auch zahlreiche Vorschriften nicht weiter.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Justizministerin? ({0}) – Natürlich: der Abgeordneten.

Roman Müller-Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004833, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe das schon verstanden.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werter Kollege, ich gehe davon aus, dass Ihr Einwurf nicht zum Ausdruck bringen sollte, dass wir über die zahlreichen und sehr umfangreichen Aufgaben hinaus, die wir im Zusammenhang mit der Bewältigung der Corona- oder der Covid-19-Krise haben, das Arbeiten einstellen sollen. Ich gehe davon aus, dass das nicht so gedacht war. Gerade auch wegen der zahlreichen Rückmeldungen, die aktuell Menschen erreichen, die im Zusammenhang mit der Coronakrise eine bestimmte Position vertreten, halte ich es für notwendig, dass wir als Staat eine Antwort auf dieses Problem geben, dass wir aufzeigen, dass Menschen Positionen vertreten können, ohne die Befürchtung haben zu müssen, mundtot gemacht zu werden, wie das über Bots, über Trolls, über all das, was im Netz momentan unterwegs ist, derzeit leider oft geschieht. Ich möchte Sie einfach bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich es für eine sehr, sehr wichtige Aufgabe halte, gerade in der jetzigen Zeit dafür zu sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger auch im Netz ihre Meinung frei äußern können, nicht mundtot gemacht werden, und dass wir dafür als Staat in der Verantwortung stehen. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, was sagen Sie dazu?

Roman Müller-Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004833, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Kollegin Lambrecht, gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Das muss man leider auch mit Blick auf Ihren Gesetzentwurf feststellen. Ich verstehe ja Ihre Intention, und ich will auch gar nicht in Abrede stellen, dass man auch in krisenbehafteten Zeiten weiterhin Ressourcen auf die Verfolgung ehrbarer Ziele verwenden sollte. Ich wollte aber die Prioritätensetzung klarstellen; das meinte ich mit meiner Aussage. Sie haben beispielsweise den für morgen zur Beratung vorgesehenen Gesetzentwurf zur Gutscheinregelung bei Veranstaltungen zurückgezogen. Ähnliche Regelungen für andere Branchen sind quasi komplett unter den Tisch gefallen. Genau dafür haben die Bürger aktuell kein Verständnis. Sie verstehen nicht, warum ein Gesetzentwurf, der von der Branche bzw. von der Digitalszene als nicht besonders ausgereift bewertet wird, ({0}) nun vorgelegt werden muss, hingegen andere Projekte, die in dieser Zeit wirklich wichtig sind, hinten runterfallen. Das wollte ich gerade eben zum Ausdruck bringen. ({1}) Ich fahre fort. Das NetzDG ist schlichtweg verfassungswidrig. ({2}) Der Bund ist dafür nicht zuständig; Herr Kollege Müller, auch wenn Sie es nicht hören wollen, es ist so. Die Telemedienregulierung fällt in den Aufgabenbereich der Länder. Daher müsste das im Rahmen eines Staatsvertrages geregelt werden. – Punkt eins. ({3}) Punkt zwei. Ihr Gesetzentwurf missachtet weiterhin die Grundrechte. Der über Fraktionsgrenzen hinweg sehr geschätzte Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat in seinem Gutachten relativ eindeutig klargestellt, dass eine Verfassungsmäßigkeit durchaus zumindest infrage zu stellen ist. Das mag ja vielleicht der Bundesregierung egal sein, aber Ihnen von den beiden Fraktionen, die die Koalition bilden, sollte es doch ein bisschen mehr Empörung ins Gesicht treiben, wenn das alles komplett außen vor gelassen wird. Hinzu kommt, dass grundsätzliche Bedenken bestehen, wenn private Unternehmen über die Rechtswidrigkeit von Aussagen entscheiden. Das ist ähnlich wie beim Thema Uploadfilter. Sie wollen einfach nicht einsehen, dass das hoheitliche Aufgaben sind, die bei Privaten nichts zu suchen haben. ({4}) Nun wollen Sie mit Ihrer Reform auch die Berichtspflichten der Social-Media-Anbieter massiv ausweiten. Allerdings sind die Vorgaben, die an dieser Stelle neu gefasst wurden, höchst unkonkret; das waren sie auch schon in der ursprünglichen Fassung. Sie wurden immer wieder angefochten. ({5}) Das wird durch diesen Gesetzentwurf sogar noch verstärkt. Das heißt, auch in diesem Punkt haben Sie Kritik aus der Szene nicht aufgegriffen. Sie machen es sogar noch schlimmer. Sie basteln weiterhin an der Symptomatik herum, anstatt das Problem an der Wurzel anzupacken. Das ist schlicht Aktionismus. Die Fortsetzung eines schlechten Originals ist noch nie gelungen. Ich kann Ihnen versichern: Die FDP wird auch weiterhin gegen das NetzDG sein. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hassrede, Hate Speech, ist vor allem weit rechts ein Phänomen. Als Antifaschisten ist es uns Linken ein Herzensanliegen, Morddrohungen, Vergewaltigungswünsche, Rassismus und Antisemitismus auch im Internet ganz entschieden zu bekämpfen. ({0}) Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, ist für die Bundesregierung in diesem Kampf das Mittel der Wahl. Wir Linke sehen das anders. Wir haben das NetzDG immer kritisiert; denn es privatisiert die Rechtsdurchsetzung, indem es soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter dafür zuständig macht, gegen strafbare Inhalte vorzugehen, und es kann von autoritären Staaten als Vorbild missbraucht werden, um die Freiheit im Internet einzuschränken. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem die Bundesregierung heute Änderungsvorschläge vorlegt, enthält aber auch positive Punkte. Dazu gehört die Möglichkeit für Nutzer, sich zu beschweren, wenn sie meinen, ihr Beitrag wurde ungerechtfertigt gelöscht. Gut finde ich auch, dass Nutzer in Zukunft einfacher Auskunft über diejenigen erlangen können, die sie im Internet beleidigt und bedroht haben. Nur so können Opfer ihre Rechte durchsetzen. ({1}) Problematisch ist das Thema der Algorithmen. Algorithmen sind automatische Computerprogramme, die Beiträge in sozialen Netzwerken filtern. Dabei kann viel schiefgehen. Es kann passieren, dass jemand bei Facebook berichtet, welche Beleidigungen er bekommen hat, und der Algorithmus löscht dies, weil er denkt, da würde jemand beleidigt. Das Opfer wird doppelt getroffen: durch Hate Speech und durch das Netzwerk, das ihm eine Thematisierung der Beleidigung faktisch verbietet. Die Bundesregierung will, dass soziale Netzwerke über den Einsatz von Algorithmen berichten. Das ist an sich nicht schlecht; das Problematische ist, dass die Berichtspflicht eine solche Zensur als normal anerkennt und die Netzwerke quasi ermutigt, Äußerungen automatisch zu filtern. Stellen wir uns nur einmal vor, der Staat würde Äußerungen mit Computerprogrammen und nicht durch Menschen, die den Kontext verstehen, bewerten. Das wäre erkennbar absurd. Deswegen brauchen wir eine Pflicht für soziale Netzwerke, dass am Ende immer ein Mensch entscheidet und nicht ein Computerprogramm. ({2}) Zudem spricht viel dafür, dass das NetzDG gegen Europarecht verstößt. Sie sprechen das, Frau Ministerin, in Ihrem heute vorliegenden Entwurf selbst an. Für ausländische Anbieter sogenannter Videosharingplattformen wie YouTube soll das NetzDG nicht gelten. Der Grund ist die E-Commerce-Richtlinie der EU. Klar ist: Mit der gleichen Begründung, mit der das NetzDG nicht für YouTube gilt, gilt es auch nicht für Facebook oder Twitter. Wir als Linke bleiben deshalb dabei: Das NetzDG muss in weiten Teilen aufgehoben werden. Wir müssen an die Ursachen der Verrohung öffentlicher Debatten ran. Dazu gehört auch der politische Kampf gegen den Rechtsruck in diesem Land. Statt des NetzDGs brauchen wir mehr spezialisierte Abteilungen in den Bereichen Justiz und Polizei, die das bestehende Strafrecht im Internet endlich konsequent umsetzen und durchsetzen. Danke schön. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Tabea Rößner. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz war ein Schnellschuss kurz vor der Bundestagswahl, unausgegoren und mit vielen handwerklichen Mängeln, bei denen von Anfang an Nachbesserungen notwendig waren. ({0}) Aber statt aus Erfahrung zu lernen und die angekündigte Evaluierung abzuwarten, geht das Durcheinander munter weiter, und leider quietscht es auch bei den Nachbesserungen gewaltig. ({1}) Das Gesetz hat zum Ziel – das teilen wir –, gegen Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken vorzugehen. Laut Entwurf sollen aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes Videosharingdienste herausfallen, die ihren Hauptsitz nicht in Deutschland haben. Wer von der Tapete bis zur Wand denken kann, weiß: Das betrifft YouTube und, noch absurder, Facebook. Facebook fällt zwar unter das Gesetz, aber nicht die dort geteilten Bewegtbilder, die ja zentraler und besonders lukrativer Bestandteil des Angebotes sind. Diese verquere Lösung mussten Sie vornehmen, weil die AVMD-Richtlinie keinen Zweifel daran lässt, dass für diese Videosharingplattform das Herkunftslandprinzip anzuwenden ist. Viele weisen darauf hin, dass dies nach der E-Commerce-Richtlinie sowieso für alle sozialen Plattformen gelte. Zudem ist gerade die Digital-Services-Act-Richtlinie in Arbeit. Auch diese wird Auswirkungen auf die nationale Plattformregulierung haben. Die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht ist das eine, das Zuständigkeitswirrwarr zwischen Bund und Ländern das andere; denn es entstehen Doppelstrukturen auf Ebene des Bundes und der Länder, die im Medienstaatsvertrag bereits Teile der AVMD-Richtlinie zur Plattformregulierung umsetzen. Auf Kompetenzprobleme habe ich von Anfang an hingewiesen, auch auf die langjährige Erfahrung der übrigens staatsfern organisierten Landesmedienanstalten. Jetzt kann es passieren, dass ein strafrechtsrelevanter Inhalt bei vier verschiedenen Stellen Gegenstand eines Verfahrens wird, nämlich bei einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung, dem Bundesamt für Justiz, der Staatsanwaltschaft und der Kommission für Jugendmedienschutz, also der gemeinsamen Einrichtung der Landesmedienanstalten. Das Mindeste wäre, einheitliche Standards festzulegen und die Kooperation zu gewährleisten. ({2}) Es entsteht noch ein zusätzliches Problem. Das Bundesamt für Justiz, das ja dem Bundesjustizministerium direkt unterstellt ist, soll Aufsichtsbefugnisse erhalten. Da sehe ich die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne bei der Regulierung publizistischer Inhalte gefährdet. Das darf nicht sein. ({3}) An manchen Stellen haben Sie zwar zentrale Forderungen von uns aufgegriffen, wie das Put-back-Verfahren, allerdings springen Sie auch hier zu kurz. Das vorgesehene Gegenvorstellungsverfahren sieht keinen Rechtsanspruch auf Wiederherstellung eines Inhalts vor, falls dieser unbegründet oder aufgrund missbräuchlicher Angaben entfernt wurde. Auch hier müssen Sie dringend nachbessern, um die Meinungsfreiheit zu sichern. ({4}) Mein Fazit: Das NetzDG bleibt unausgegoren und europa- wie verfassungsrechtlich problematisch. Gönnen Sie Ihren Nachbesserungen doch noch weitere Nachbesserungen! Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Dr. Jens Zimmermann. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hass und Hetze, üble Beschimpfungen, Beschwerden, auf die kaum reagiert wird, eine Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die so niedrig ist, dass sie von den Netzwerken nicht einmal dem Deutschen Bundestag verraten wird: Das war der Zustand, den wir hatten, bevor das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hier im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Es ist wichtig, diese Situation heute und hier noch mal in Erinnerung zu rufen, weil wir da herkommen. Deswegen können wir ganz klar sagen, dass sich mit der Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes hier etwas verändert hat. Alleine die massive Aufstockung der Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den betroffenen Netzwerken ist ein Erfolg. Die waren vorher nämlich nicht da, weil das Kostenfaktoren für diese Unternehmen sind, und deswegen haben sie alles dafür getan, um das zu verhindern. Alleine das ist schon ein Erfolg des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. ({0}) Wir haben mit diesem Gesetz damals einen Schritt nach vorne gemacht und ein neues Feld betreten. Wir alle haben gesagt: Es ist einfach notwendig, da was zu machen. Deswegen haben wir damals auch zugesagt: „Wir machen eine Evaluation“, weil klar war, dass nicht sofort alles funktionieren wird, wenn man ein solches Feld betritt. Ich will aber auch ganz klar sagen: Viele der Befürchtungen, die damals hier geäußert wurden, sind in dieser Form nicht eingetreten. ({1}) Das sehen wir auch anhand der Transparenzberichte, die von den Netzwerken veröffentlicht werden. Weil wir gesagt haben, dass wir die Erkenntnisse und Rückmeldungen aufnehmen, behandeln wir jetzt die Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Es geht darum, die Beschwerdeprozesse einfacher zu gestalten. Wir sagen ganz klar: Das ist notwendig. Wir brauchen die Möglichkeit, auch gegen vermeintlich falsche Entscheidungen Einspruch einzulegen, sodass Inhalte zurückgestellt werden. Daneben müssen auch die Möglichkeiten der juristischen Beschwerde, der Klage und der Zustellung weiter verbessert werden. Das alles sind Dinge, die in das Gesetz aufgenommen werden, und ich will auch sagen: Überall, wo ich international unterwegs bin und über dieses Problem von Hass und Hetze im Internet rede, werde ich auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz angesprochen. Viele sagen: Deutschland ist diesen entscheidenden Schritt vorausgegangen. Deutschland hat gesagt: Wir schauen nicht länger zu, was diese Netzwerke machen und was sie vor allem nicht machen. Ja, es ist richtig: Es gibt auch Länder, die unser Gesetz als Feigenblatt nutzen. Glauben Sie aber nicht, dass in autoritären Staaten Maßnahmen nicht durchgeführt worden wären, wenn wir nicht gegen Hass und Hetze vorgehen würden. Das ist in meinen Augen ein Trugschluss. Der Umgang mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird weiterhin ein Balanceakt bleiben; das ist uns klar. Wir werden es mit diesem Gesetzentwurf aber weiter verbessern und damit ein klares Signal gegen Hass und Hetze im Internet senden. Herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Alexander Hoffmann für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Zimmermann, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie skizziert haben, wo wir vor dieser Debatte standen und wo wir heute sind. Ich will bei der Fundamentalkritik anfangen, die von der AfD und in Teilen auch von der FDP kommt: Diesen ganzen Kritikern ist eines gemeinsam: Niemand von ihnen hat ein taugliches Mittel, mit dem wir diesen Auswüchsen in der digitalen Welt tatsächlich und effektiv begegnen können. ({0}) Die Diskussion hat eine gewisse Chronologie, und man muss ehrlicherweise sagen, dass bei objektiver Betrachtung niemand bestreiten kann, dass wir erstens Regeln im Netz brauchen und dass zweitens diese Regeln durchgesetzt werden müssen. Bei objektiver Betrachtung wird niemand bestreiten, dass wir gerade im Netz Besonderheiten haben. Falschbehauptungen, Beleidigungen, Verleumdungen verbreiten sich rasend schnell, und das ist eben der erhebliche Unterschied. Binnen Stunden oder Tagen sind solche Informationen, Mobbing und dergleichen unrückholbar in der digitalen Welt. In früheren Reden habe ich solche Fälle dargestellt und skizziert, was passieren kann. Menschen werden in den Suizid getrieben, weil Informationen nicht mehr zurückgeholt werden können. Auch dafür gibt es keinerlei Lösungshinweise von Ihnen. Wir alle haben einen Lernprozess durchgemacht. Man muss ja mal ganz ehrlich sagen, dass die Phalanx des Widerstandes gegen das NetzDG am Anfang noch viel breiter war. Wir haben es uns in der Tat nicht leicht gemacht, weil wir von Anfang an gesagt haben: Das wird eine Gratwanderung, und es geht hier um die Abwägung der Meinungsfreiheit mit dem Bedürfnis der Sicherheit von anderen Usern. Deswegen haben wir dieses Instrument der Evaluierung etabliert und uns das nicht leicht gemacht. Verschiedene Anhörungen wurden durchgeführt, in denen – das kommt mir in diesen Debatten auch immer zu kurz – von einem Großteil der Sachverständigen – eigentlich von fast all denjenigen, die ernst zu nehmen sind – tatsächlich die Aussage kam: Jawohl, das ist der richtige Schritt. Ohne ein Instrument wie das NetzDG geht es nicht. Es wäre mir schon wichtig, dass Sie bei aller fundamentaler Kritik, die Sie üben können, irgendwann schon ehrlich die Realität betrachten, dastehen und sagen: Es braucht ein Instrument dieser Art. ({1}) Kollege Brandner, ich habe vorhin überlegt, ob ich mich melden soll, weil doch auch die AfD gar nicht weiß – das sieht man bei ehrlicher Betrachtung –, wohin genau sie will. Die Mitglieder des Rechtsausschusses sind Zeuge Ihrer Aussage im Rechtsausschuss gewesen, wo Sie gesagt haben: Auch die AfD ist nicht mehr für die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. ({2}) Und heute stellen Sie einen Antrag, in dem genau das wieder drinsteht! (Dagmar Ziegler [SPD]: Ja, das ist stringent, wie wir sie kennen!

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Hoffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne. Ich habe fast damit gerechnet, Herr Präsident. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Bitte sehr, Herr Brandner.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie haben die Zwischenfrage sozusagen provoziert. Sie haben immer hierhin geguckt, und Sie dachten: Wann kommt die Zwischenfrage endlich? Jetzt ist sie da. Herr Kollege, wenn Sie meiner Rede aufmerksam gelauscht haben – und ich gehe davon aus; Sie saßen ja sogar, glaube ich, in der ersten Reihe, und akustisch verständlich kam ich auch rüber –, dann wissen Sie, dass ich die Drucksache 19/16919 ausdrücklich erwähnt habe. Sie kennen die Drucksache wahrscheinlich auswendig und wissen: Genau da ist der Änderungsantrag zu finden, den wir als AfD selber zu unserem Gesetzentwurf gestellt haben, weil wir – und das zeichnet die AfD aus – durchaus lernfähig sind. ({0}) Wenn ich mich recht erinnere, ist unser Gesetzentwurf zur Abschaffung auf der Drucksache Nummer – nageln Sie mich nicht fest; ich habe nicht jede Nummer im Kopf – 19/81 zu finden. Darauf folgt die Drucksache mit der Nummer 19/204 von der FDP, die wieder hinterherhechelte. Darin steht etwas zur Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Wir sind dann noch mal in uns gegangen, haben natürlich auch mit Sachverständigen gesprochen und alles auf uns wirken lassen und kamen dann tatsächlich zu der Überzeugung, dass – und jetzt kommt es; hören Sie zu – das NetzDG in Teilen – es geht um die Teile, die die Zustellung regeln – durchaus sinnvoll ist, und genau das habe ich in meiner Rede gerade auch so gesagt. Jetzt kommt meine Zwischenfrage: Wollten Sie es nicht verstehen, oder haben Sie es nicht verstanden? ({1})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Brandner, es ist jetzt sehr deutlich geworden, dass Sie sich jetzt mit der Nennung von Drucksachen durchschwurbeln. ({0}) Der Wortlaut ist die Grenze jedweder Auslegung, und Sie haben im Ausschuss gesagt – das ist vorhin von anwesenden Mitgliedern bejaht worden –, die AfD sei nicht mehr für die Abschaffung. Wir alle, die wir in diesem Raum sind, haben doch vorhin der Rede von Herrn Brandner beiwohnen dürfen. ({1}) Ich habe Verständnis, wenn nicht alle zuhören, Herr Kollege; aber ein Großteil wird es getan haben. Auch dort haben Sie wieder von der Abschaffung gesprochen, wobei ich ehrlicherweise davon ausgehen muss, dass Sie das ein Stück weit nur deswegen machen, um Ihre Klientel zu bedienen. ({2}) Worum es mir geht: Schauen Sie doch einfach, dass Sie eine klare Linie bekommen und nicht heute so und morgen so reden. Sie tun sich schwer mit dem Thema, weil Sie inhaltlich fundiert und sachlich leider nicht herankommen. ({3}) Ich möchte am Ende meiner Rede den Blick für die sinnvollen Ergänzungen schärfen. Es ist vorhin schon angeklungen; auch die Frau Ministerin hat es skizziert: Wir stärken die Meinungsfreiheit, weil wir nämlich die Rechtsstellung der Nutzer gegenüber den Netzwerken stärken wollen. Auch das ist kein Zufall. Bedauerlicherweise müssen wir feststellen, dass gerade im Rahmen der Evaluierung deutlich geworden ist, dass sich die Netzwerke – ich sage es vorsichtig – an mancher Stelle einfach mehr Mühe geben könnten. Wir führen ein Gegenvorstellungsverfahren ein, ein Schlichtungsverfahren und einen Zustellungsbevollmächtigten für die Wiederherstellungsklage. Er war zum Beispiel erforderlich, weil man gemerkt hat, dass das Engagement der Plattformen im Zuge solcher Diskussionen eigentlich sehr zurückhaltend ist. Genauso verhält es sich mit der Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit von Meldewegen. Wenn man bei der Lektüre von Plattformen feststellt, dass es dem Betreiber offensichtlich nur darum geht, möglichst wenig Meldungen nach NetzDG zu erhalten, dann merkt man: „Da läuft etwas falsch“, und man merkt, wie viel Macht und Einfluss ein Netzbetreiber hat. Genau deshalb hat das NetzDG seine Daseinsberechtigung, und ich freue mich, wenn wir es in den gemeinsamen Beratungen weiterentwickeln können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung über eine Mini-EEG-Novelle. Viele haben ja vor Kurzem den 20-jährigen Geburtstag des EEG gefeiert. Ich nehme an, Herr Kotré, Sie waren nicht dabei. Aber auch von meiner Seite natürlich herzlichen Glückwunsch an das EEG. Vorläufer war das Stromeinspeisungsgesetz. Ich weiß nicht, wie viele Änderungen des EEG es jetzt schon gegeben hat, zahlreiche Novellen, zahlreiche Entwicklungen, für manche sicher auch unzählige Entwicklungen. Aber alle diese Änderungen waren natürlich notwendig. Das EEG muss immer wieder nachjustiert werden, damit es erfolgreich bleibt, und so ist es natürlich auch mit dieser EEG-Novelle: Nach der EEG-Novelle ist letztlich auch vor der EEG-Novelle. Im letzten Jahre wurde so viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert wie noch nie, nämlich 46 Prozent der Nettostromerzeugung. Das ist Rekord, und das ist erstmalig auch mehr als durch fossile Energieträger. Im Übrigen wurde auch die Treibhausgasminimierung in Höhe von 6,3 Prozent im letzten Jahr erreicht. Wir sind also wirklich auf Augenhöhe mit den Zielen, die wir 2020 haben, und das auch schon vor Corona. Die jetzigen Änderungen werden zum einen durch die Coronapandemie notwendig, zum anderen wegen technischer Änderungen. Mit dem Planungssicherstellungsgesetz wird gewährleistet, dass wichtige Planungs- und Genehmigungsverfahren trotz der Kontaktbeschränkungen durch die Pandemie ohne Verzögerungen durchgeführt werden können. Das Gesetz soll zeitlich befristet bis zum 31. März 2021 Alternativen zur physischen Anwesenheit in Verwaltungsverfahren ermöglichen und vielleicht, wenn es erfolgreich ist, auch darüber hinaus. Außerdem wird das Privileg für Bürgerenergiegesellschaften, Gebote auch ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung abgeben zu können, dauerhaft gestrichen. Die Sonderregelung für Bürgerenergiegesellschaften hatte im Jahr 2017 die Ausschreibungen stark verzerrt und war anschließend befristet ausgesetzt worden; Sie erinnern sich sicherlich alle noch daran. Das führte übrigens in der Folge zu starken Einbrüchen beim Zubau von Wind an Land, und es ist jetzt natürlich wichtig, dass hier endgültig Verlässlichkeit für alle Vertragsparteien geschaffen wird. Außerdem werden wir bei der Besonderen Ausgleichsregelung die Fristen für die Nachweiserbringung bis zum 30. November verlängern. Auch die Fristen zur Umsetzung bezuschlagter Erneuerbare-Energien-Anlagen werden um sechs Monate verlängert. Auch hier kommt es aufgrund von Corona teilweise zu Verzögerungen. Lassen Sie mich an dieser Stelle ganz klar sagen, dass wir diese Fristverlängerungen auch für die Realisierung der Umsetzung der Flexibilisierung von Biogasanlagen wollen. Diese Änderung werden wir noch einbringen, und wir hoffen natürlich, dass die Unterstützung des Parlaments gegeben wird. Uns allen ist natürlich klar, dass wir nach dieser Mininovelle in diesem Jahr auch noch eine große EEG-Novelle brauchen. Hier geht es übrigens nicht nur um die Frage „Solardeckel und Abstandsregeln“, auch wenn jeder weiß, dass wir auch und gerade hier schnell eine Einigung brauchen. Diese Einigung brauchen wir wirklich, und dafür müssen wir uns alle zusammenreißen, sodass wir da zu einer Lösung kommen. Wir brauchen ein verzahntes Gesamtkonzept, wobei wir die CO2-Bepreisung einfließen lassen und wir die entsprechenden Anpassungen schaffen, beispielsweise für die Speichertechnologien. Die Wasserstoffstrategie muss ebenso in dieses Gesamtkonzept eingefügt werden, in diesen systemischen Ansatz aufgenommen werden. Wir brauchen natürlich auch weiterhin einen koordinierten Netzausbau, Stichwort „Digitalisierung“, und wir brauchen einen verlässlichen Ausbaupfad für die Erneuerbaren bei gleichzeitiger Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch Gaskraftwerke und durch Kraft-Wärme-Kopplung. Ebenso brauchen wir weitere Entlastungen für die Stromkunden, um das Durchstarten der Wirtschaft nach der Coronakrise entsprechend zu unterstützen. Wir müssen also Nachhaltigkeit und Wertschöpfung weiter in Einklang bringen. Dazu können wir auf vielem aufbauen; dazu müssen wir aber auch vieles entsprechend weiterentwickeln. Wir sind jetzt auf einer neuen Stufe der Energiewende angelangt, bei der die Weichen nun richtig gestellt werden müssen, und das werden wir auch entsprechend machen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Herzlichen Dank. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der AfD der Kollege Steffen Kotré. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Lenz, 20 Jahre EEG ist, glaube ich, kein Grund zum Feiern, ({0}) weil es noch nicht erwachsen geworden ist. Es kann alleine nicht laufen. Man braucht Unmengen von Subventionen. Wir haben mit dem EEG vom Staat festgelegte Abnahmepreise, wir haben abgeschaltete Betriebe, wir haben steigende Kundenpreise, und wir haben einen am Bedarf vorbei produzierten Strom, ({1}) der nur mit Mühe den Blackout verhindern kann. Zudem haben wir den Umstand, dass wir mehr Strom produzieren müssen und auch mehr Erzeugerkapazität haben müssen, weil die Qualität einfach schlecht ist. ({2}) Und das alles zusammengenommen ist Planwirtschaft, meine Damen und Herren. Die hatten wir schon einmal in der DDR. Dort ist sie gescheitert, und sie wird auch hier an dieser Stelle scheitern. ({3}) Es spricht nichts dagegen, wenn Bürger sich zusammentun und Energie erzeugen wollen. Doch diese Bürgerenergiegenossenschaften sind hochsubventioniert und leben eben von Steuergeldern. ({4}) Sie leben auf unser aller Kosten. Das ist eben unsozial. Der durchschnittliche Bürger kann sich diese Luxusinvestition gar nicht leisten. ({5}) Wenn der Staat die Bürger dazu animiert, hier Energiekolchosen zu bilden, na dann sind wir doch schon längst in der Mangelwirtschaft angekommen. ({6}) Die Energiewende ist aus dem Ruder gelaufen. Wir brauchen zum Beispiel circa zehn Kraftwerke. Die müssen ihre volle Kapazität und Belegschaft vorhalten, stehen aber abseits, stehen im Aus, dürfen also nicht produzieren, nur deshalb, weil die erneuerbaren Energien eben die Netze nicht stabil halten können. Das alles sind unnötige Kosten, von der Blackout-Gefahr mal abgesehen. Die Bundesregierung hat sich schon längst verabschiedet von dem Zieldreieck Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und die Schonung der Umwelt. ({7}) Vielleicht auch mal zur Erinnerung: Preiswerte Energie macht erfolgreiche Staaten. Doch Deutschland hat sich schon längst von diesem Weg leider verabschiedet. ({8}) Bis April dieses Jahres mussten wir 170 Stunden lang dafür bezahlen, dass das Ausland unseren Strom abnimmt. Kostenpunkt: 1,1 Milliarden Euro. 100 Millionen Euro dafür, dass das Ausland den Strom abnimmt, und 1 Milliarde Euro, die wir mit der Produktion dieses Stroms versenkt haben. Das ist eigentlich nichts anderes als ein gigantisches Umverteilungsprogramm zulasten der Bürger und zulasten eben der Leistungsträger in unserem Land. Wenn die Grünen jetzt fordern, dass die EEG-Umlage abgesenkt wird: Also, das ist schon ein starkes Stück; das ist schon Populismus von seiner negativsten Seite. ({9}) Denn gerade Sie von den Grünen sind ja eben für die hohen Energiepreise verantwortlich und für die EEG-Umlage und ihre Höhe. Was passiert denn eigentlich dann, wenn man die EEG-Umlage kürzt? Dann wird der Stromkunde zur Kasse gebeten, nicht mehr als Stromkunde, sondern als Steuerzahler. Es passiert also nicht: Linke Tasche, rechte Tasche. ({10}) Das wird eben damit verwischt. Das ist nicht einzusehen. Wir stehen jetzt vor ganz anderen Problemen. Die hysterischen Coronamaßnahmen führen zu volkswirtschaftlichen Schäden. Die Infrastrukturqualität sinkt. Der Mittelstand, die Mittelschicht schrumpft ebenfalls. Es wird immer deutlicher: Wir bekommen ganz, ganz andere Probleme und sollten unser Geld zusammenhalten. Die Bürger, Handwerker, Unternehmen brauchen jeden Euro, um auf die Beine zu kommen, und sie haben eben keine garantierten Einkünfte, ({11}) so wie die Produzenten des Windstroms mit ihren garantierten Einspeisevergütungen. Nein, unser Land braucht zukunftsorientierte, tragfähige Energiekonzepte, ({12}) wirtschaftlich, umweltverträglich, versorgungssicher. Damit meine ich die nunmehr sichere moderne Kernenergie. ({13}) 50 Kernkraftwerke, die weltweit im Bau sind, sprechen eine deutliche Sprache. ({14}) Denken wir realistisch! Lassen wir die Vorurteile mal beiseite! Kernenergie sichert unseren Wohlstand. Kernenergie ermöglicht eine saubere Umwelt, auch für unsere Kinder. ({15}) In diesem Sinne: Lassen Sie diese umweltgefährdenden Windenergieanlagen sein! Die sind auch für Mensch und Tier gefährlich. Realität statt Hysterie! Vielen Dank. ({16})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Johann Saathoff. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Ostfriesland würde man sagen: „Daun deit lehren.“ Also: Wenn man was tut, dann lernt man auch was davon. Das ist im Prinzip auch Inhalt dieses Gesetzes, das uns jetzt vorliegt und in die parlamentarische Beratung einzieht. Im Wesentlichen steht in diesem Gesetz, dass wir ein paar Fristen coronabedingt verändern und sinnvoll anpassen, was notwendig ist, überhaupt gar keine Frage. Der zweite Regelungstatbestand, der besonders wichtig ist, ist, dass wir die Regelungen zur Privilegierung der Bürgerenergie bei der Errichtung von Windenergieanlagen onshore abschaffen. Das hört sich erst mal widersinnig an. Als das Erneuerbare-Energien-Gesetz damals reformiert wurde und die Ausschreibungen eingeführt worden sind, war uns ganz besonders wichtig, dass bei den Ausschreibungen nicht die Bürgerenergiegenossenschaften anschließend die Verlierer sind. Deswegen haben wir mit § 36g des Erneuerbare-Energien-Gesetzes versucht, sicherzustellen, dass Parameter erfüllt sein müssen, damit Bürgerenergiegenossenschaften auch an Ausschreibungen teilnehmen können und gewisse Vorteile davon haben, dass also ihre Nachteile gegenüber den großen Playern ausgeglichen werden. Diese Regelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sind unerwarteterweise – ich glaube, für alle Beteiligten im Parlament kann ich das sagen – schon in der ersten Ausschreibung missbraucht worden, und zwar von den großen Unternehmen, sodass die Bürgerenergiegenossenschaften nicht wirklich davon profitiert haben. Wir haben diese Regelungen sofort ausgesetzt, befristet und noch mal befristet, wieder ausgesetzt, und jetzt wird es endgültig abgeschafft, und das ist gut so. ({0}) Meine Damen und Herren, das heißt nicht, dass die Bürgerenergiegesellschaften damit keine Chance mehr haben, an der Energiewende teilzunehmen, sondern aus meiner Sicht ganz im Gegenteil: Wir werden andere Formen der Bürgerbeteiligung, der breit angelegten Energiewende finden müssen, indem man auch Kommunen an der Energiewende beteiligt und ihnen die Chance gibt, diese mitzugestalten. Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich auch gerne noch ein bisschen mehr in dieser EEG-Novelle geregelt hätte, nämlich die Abschaffung des 52-Gigawatt-Solardeckels, die Abschaffung oder die Erhöhung des Offshoredeckels, das Mieterstromgesetz. Ich hätte auch gerne die Regelungen gefasst, wie denn mit EEG-Anlagen zu verfahren ist, die am 1. Januar 2021 aus dem EEG fallen. Das alles ist heute nicht im Regelungspaket. Das ist schade. Da hoffe ich auf unseren Koalitionspartner, dass es uns gelingt, das zeitnah auf den Weg zu bringen. Ich will an dieser Stelle aber auch sagen, dass ich es eigenartig finde, dass wir zu dieser Stunde überhaupt in erster Lesung über dieses Gesetz beraten müssen. Das haben wir dem rechten Teil des Parlaments zu verdanken. Ich wundere mich schon über das, was wir auch hier wieder an vermeintlichen Pseudofakten um die Ohren gehauen bekommen, Herr Kotré. Ich will das mal ganz deutlich sagen, auch wenn Sie es nicht hören wollen: Es gibt eine Wetteraufzeichnung in Deutschland seit 1881. Zu den wärmsten Jahren von 1881 bis jetzt zählen 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019. Merken Sie was? Sieben der zehn wärmsten Jahre in diesem Riesenzeitraum, über 100 Jahre, sind allein in den letzten zehn Jahren gewesen. Sieben Stück! ({1}) Wenn das kein Fakt ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Schauen Sie sich die CO2-Entwicklung an. Der CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre ist so hoch, wie er mindestens seit 800 000 Jahren nicht gewesen ist. Das hat Folgen: Versauerung der Meere. Das hat Folgen: Anstieg der Meeresspiegel, Sterben der Korallenriffe. Das hat Folgen für die Landwirtschaft. Sie lassen die Menschen an der Küste völlig im Regen stehen. Es ist Ihnen egal, ob die überhaupt eine Möglichkeit haben, ihr Hab und Gut noch zu schützen; denn Deichbau ist irgendwann endlich. Das kann ich Ihnen als Deichrichter der Deichacht-Krummhörn auch mit auf den Weg geben. Sie werfen uns Ideologie vor. ({2}) Das mag stimmen oder nicht stimmen. Ich würde das natürlich widerlegen. Aber hinter Ideologie steht wenigstens eine Idee. Sie haben überhaupt gar keine Idee. ({3}) Sie skandalisieren nur. Sie kommen mir vor, als würden Sie vom Hochhaus springen ({4}) und würden beim dritten Stock Ihren Anhängern sagen, dass es so etwas wie Schwerkraft gar nicht gibt, das sei linke Ideologie. ({5}) So macht man keine Politik. Das ist völlig unverantwortlich. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP die Kollegin Sandra Weeser. ({0})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die heutige Debatte macht es Sinn, den vorliegenden Gesetzentwurf nur kurz zu streifen. Deshalb schon mal vorweg: Die missratene Bevorteilung von Bürgerenergie nun komplett zu streichen, ist natürlich richtig. Hätten Sie letztes Jahr schon auf uns gehört, als es noch mal verlängert worden ist, und hätten wir sie direkt gestrichen, dann bräuchten wir uns heute über den Punkt eigentlich gar nicht mehr zu unterhalten. ({0}) Genauso ist es in der aktuell schwierigen Situation nur fair, wenn die Realisierungsfristen für Anlagen verlängert werden. Ich glaube, darüber sind wir uns hier im Haus, die meisten zumindest, einig. Allerdings sollte hier heute noch mal zur Sprache kommen, was Sie als Bundesregierung aktuell alles nicht tun. Sie schieben auf unverantwortliche Art und Weise Entscheidungen auf die lange Bank. Das geht so nicht. So geht es gerade nicht in diesen Zeiten, wie wir sie im Moment haben. Sie lassen die Menschen und die Unternehmen im Land im Unklaren. Dr. Lenz hat eben eine lange Liste von Sachen genannt, die noch umgesetzt werden müssen. Exemplarisch will ich hier nur noch einmal nennen: Was ist denn mit dem Förderdeckel für Solaranlagen, und wie geht es denn weiter mit den Abstandsregelungen bei Windanlagen? ({1}) Ihr ewiges Kasperletheater und dieses Hin- und Hergezerre bei dieser Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union, werden der Sache hier nicht gerecht. Das ist absolut unwürdig. ({2}) Man kann fachlich unterschiedlicher Meinung sein, selbstverständlich. ({3}) Aber hier geht es doch grundsätzlich um Planungssicherheit. Wenn Sie die Streichung des PV-Deckels im Herbst 2019 ankündigen ({4}) und Hoffnungen wecken, aber kurz vor Erreichung dieses Deckels – das wird ja voraussichtlich im Sommer geschehen – immer noch keine Entscheidung getroffen haben, dann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist das eine unverantwortliche Wirtschaftspolitik. ({5}) Genauso dringend müssen Sie jetzt bei der EEG-Umlage reagieren. Die verfehlte Konstruktion des EEG sorgt dafür, dass die EEG-Umlage im nächsten Jahr voraussichtlich um 20 Prozent auf circa 8 Cent steigen könnte. Und wer muss es am Ende bezahlen? Der Gelackmeierte ist wieder der Verbraucher. ({6}) Deswegen fordern wir: Senken Sie jetzt endlich die Stromsteuer! Legen Sie endlich die gesetzlichen Regelungen für eine Senkung der EEG-Umlage durch die Einnahmen aus dem Brennstoffemissionshandel vor! ({7}) Das wäre fair und vertretbar in diesen ohnehin schweren Zeiten. ({8}) Vielen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Kollege Lorenz Gösta Beutin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise könnte auch eine Chance sein, ({0}) eine Chance sein, unsere Prioritäten zu überdenken, eine Chance sein für einen Neustart, für gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit, für eine Stärkung des Öffentlichen, und zwar nicht nur im Gesundheitsbereich. Und sie könnte eine Chance sein, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit endlich zusammenzubringen. ({1}) Stattdessen läuft diese Bundesregierung gerade Gefahr, die gleichen Fehler wie nach der Finanz- und Wirtschaftskrise zu wiederholen. Ich nenne da als Stichworte die Beteiligung bei der Lufthansa oder die Abwrackprämie. Nein, wir sagen: Gute Arbeit, faire Löhne, nachhaltige Investitionen und ein Push für die Energiewende – das müsste jetzt auf der Tagesordnung stehen. ({2}) Sie haben jetzt eine Reform des EEG vorgelegt, die nur ein Reförmchen ist, die den Herausforderungen unserer Zeit, der Coronakrise nicht gerecht wird. Ich will das an vier Punkten deutlich machen. Erstens. Es wird weiter keine Gerechtigkeit bei der Energiewende geschaffen. Sie erhalten weiterhin die Ausnahmen bei der Erneuerbare-Energien-Umlage für Großkonzerne aufrecht, obwohl Studien Ihnen genau gesagt haben, dass 90 Prozent dieser Ausnahmen gestrichen werden könnten. Tun Sie das endlich, und machen Sie auf der anderen Seite den richtigen Schritt, gerade jetzt in der Krise die Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten, indem Sie die Erneuerbare-Energien-Umlage für die Stromkunden absenken und die Stromsteuer so weit absenken, wie es möglich ist; denn das ist notwendig gerade in dieser Krise. ({3}) Zweitens. Es wurde eben schon thematisiert: Lieber Johann Saathoff, da müsste man endlich den Weg gehen, den PV-Deckel abzuschaffen, die Bremse bei der Solarenergie aufzuheben und kleinere Solaranlagen zu fördern, den Menschen Planungssicherheit zu geben. Das stünde jetzt auch in der Krise auf der Tagesordnung. ({4}) Drittens. Was aber erleben wir? Wir erleben eine Union, die hier knallhart erpresst und sagt: Okay, wir sind ja bereit, den Solardeckel aufzuheben, aber auf der anderen Seite brauchen wir dann eine Bremse bei der Windkraft, brauchen wir – absurde – Abstandsregelungen bei der Windkraft. – Nein, so geht das nicht! Wir müssen die Bremse bei der Windenergie lösen, und wir müssen die Bremse bei der Solarenergie lösen. ({5}) Viertens. Es ist richtig: Der Missbrauch durch Großunternehmen bei Ausschreibungen muss gestoppt werden. Aber das Problem ist: Es gibt eben auch mit dieser EEG-Reform keinen Ersatz in dieser Frage, keinen Ersatz, wie wir die Bürgerenergie retten. Dafür müssen Lösungen her; dafür gibt es die De-minimis-Regelung auf europäischer Ebene. Stärken wir Beteiligung, stärken wir Genossenschaften, stärken wir kommunale Unternehmen, stärken wir die Bürgerenergie! Das schafft Akzeptanz und Demokratie. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Julia Verlinden. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten September hat das Klimakabinett der Regierung beschlossen, den Solardeckel zu streichen und die Ausbaumenge für Windenergie auf See zu erhöhen. Und jetzt, acht Monate später, legen Sie eine Mininovelle im Energierecht vor. Aber genau diese beiden Punkte, die Sie im September vereinbart haben, setzen Sie immer noch nicht um. Sie beschränken sich hier auf wenige verwaltungstechnische Dinge, anstatt endlich einfache Maßnahmen mit großer Wirkung zu beschließen. Wann wollen Sie denn Ihren Worten endlich Taten folgen lassen? ({0}) Ihre Obergrenze, der Solardeckel, schafft weiterhin Unsicherheit im Markt und bei den Banken – darüber haben wir hier schon ausführlich diskutiert –, und die Offshore-Windenergie kriegt keine klare Perspektive von Ihnen. Und dann fehlen auch noch wichtige Fristverlängerungen in Ihrem Gesetzentwurf. Kollege Lenz hat ja angekündigt, nachzuarbeiten. Wir sind gespannt; denn die Verlängerung der Frist für Anträge zur Flexibilisierung von Biogasanlagen – ganz unabhängig davon, dass dieser Flexdeckel ebenfalls gestrichen gehört – steht noch aus. Wir werden ja sehen, ob Sie Ihrem minimalsten Anspruch, die durch Corona bedingten Fristverlängerungen zu gewähren, noch nachkommen. Es wird im Moment viel über Hilfspakete, über Konjunkturprogramme und neue Investitionen zur Belebung der Wirtschaft nach der Coronakrise diskutiert. Sehr einfach, sehr wirkungsvoll und extrem kostengünstig wäre es, endlich die regulatorischen Hindernisse für den Ausbau der erneuerbaren Energien aus dem Weg zu räumen. ({1}) Dann hätten wir sofort Investitionen, die sogar noch dem Klimaschutz dienen. Besser geht es doch gar nicht. Aber Ihre Hindernisse sind nicht nur der unsinnige Deckel für Photovoltaik oder Bürokratieorgien beim Mieterstrom. Auch völlig überhöhte Abstände zu Funkfeuern der Flugverkehrsüberwachung stehen der Energiewende im Weg, und seit Jahren geht es da zwischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium nicht voran. Noch im November hatte die zuständige Bundesanstalt gesagt: Ja, wir haben eine neue Methode. Wir können das prüfen, wir können auf den internationalen Standard heruntergehen. – Aber man müsste es jetzt mal langsam in die Praxis umsetzen. ({2}) Wir könnten, wenn wir uns auf den internationalen Standard begäben, von heute auf morgen den Weg freimachen für mehrere Hundert Windräder. Herr Bareiß, die Aufgabenliste von Ihnen und von Herrn Altmaier ist nach Vorlegen dieser absoluten Mininovelle nicht kürzer geworden, im Gegenteil. Die Zeit drängt ja jetzt angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage während der Coronapandemie sogar noch mehr. Geben Sie endlich denjenigen, die neue Anlagen für erneuerbare Energien errichten wollen, Planungssicherheit und Investitionssicherheit. Damit sichern Sie Zigtausende Arbeitsplätze. ({3}) Es ist zum Verrücktwerden: Für die Autobranche überlegen Sie, wie Sie die Menschen mit schwindelerregend hohen Prämien aus Steuergeldern locken könnten, vielleicht noch ein Dieselauto zu kaufen, das sie womöglich gar nicht brauchen. Bei den erneuerbaren Energien müssen Sie niemanden überzeugen; die Menschen, die sich an der Energiewende beteiligen wollen, stehen Schlange, meine Damen und Herren. Also lösen Sie die Bremsen, stehen Sie der Energiewende nicht länger im Weg, machen Sie Ihre Arbeit! ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Carsten Müller. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss Sie enttäuschen: Ich kündige nichts an. Ich will erst einmal kurz eine Standortbeschreibung vornehmen. ({0}) Wo stehen wir heute, nach 20 Jahren EEG und 10 Jahren Offshorewindkraft, eigentlich in diesem Land? Wir haben mit einem Anteil der Erneuerbaren an der Nettostromerzeugung von 46 Prozent hinbekommen, dass die erneuerbaren erstmals vor den fossilen Energieträgern sind. Das Thema Arbeitsplätze ist angesprochen worden – in dieser schwierigen Zeit ein besonders wichtiges Thema. Wir haben im Vergleich zu den übrigen EU-Ländern einen doppelt so starken Besatz mit Arbeitskräften im Sektor der Erneuerbaren; ein Drittel aller Arbeitsplätze in der gesamten EU im Bereich der Erneuerbaren befindet sich in Deutschland. Das ist ein riesiger Erfolg. Deswegen können wir mit Fug und Recht sagen: Deutschland ist Vorreiter bei den Erneuerbaren. ({1}) Meine Damen und Herren, mich hatte jüngst bei einer ähnliche Debatte die Kollegin Brantner, die heute, glaube ich, leider nicht da ist, gefragt, welche Quellen ich denn für diese Behauptung anführen könnte. Das ist gar nicht so schwierig; es ist überschaubar zu lesen. Ich beziehe mich hierbei auf die aktuellste Ausgabe des Energieatlasses der Böll-Stiftung. Da wird festgestellt – wie gesagt, deswegen sind wir Vorreiter; Sie haben das vor wenigen Wochen ja noch in Abrede stellen wollen –, dass Deutschland knapp hinter Dänemark den größten Anteil an Wind-, Biomasse- und Sonnenenergie ins Stromnetz einspeist und wir deswegen im EU-Vergleich auf Platz zwei stehen. ({2}) Es kann natürlich sein – ich traue Ihnen das bei Ihren Ausführungen zu –, dass Sie die Feststellung der Böll-Stiftung anzweifeln. Trotzdem ist das, was ich Ihnen eben gesagt habe, richtig. ({3}) Meine Damen und Herren, wir nehmen auch angesichts der derzeitigen Situation kurzfristige Änderungen am EEG vor. Das ist erforderlich in einigen Punkten, die ich in Kürze noch mal aufzähle. Im Übrigen ist das nicht die große EEG-Novelle, über die wir durchaus in nicht einfachen Beratungen und Gesprächen mit unserem Koalitionspartner beraten und die wir umsetzen wollen. Aber heute geht es darum, den vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Erneuerbaren-Sektor Planungssicherheit zu geben. Fristen dürfen nicht infolge der Coronakrise vollkommen unverschuldet verstreichen. Deswegen müssen wir da nachbessern. Meine Damen und Herren, wir machen das, weil Photovoltaik heute – das Thema ist angesprochen worden – ein bedeutender Pfeiler in der erneuerbaren Stromerzeugung ist. Wir finden das richtig, und das soll auch so bleiben. Im Übrigen gucken wir auf die ganz aktuell gerade hinter uns gebrachte Zeit. Wir haben einen abenteuerlich guten Zubau bei der Photovoltaik im Jahr 2019; die Jahresziele der Bundesregierung wurden übertroffen. Und, meine Damen und Herren, an sonnigen Tagen erreichen wir die Quote von zum Teil über 50 Prozent Photovoltaikstrom an der gesamten Stromerzeugung. Die Anzahl der sogenannten Prosumer, die mit PV-Anlagen auf ihrem eigenen Dach Strom erzeugen, ist im letzten Jahr um 100 000 Personen gestiegen. Das zeigt, dass wir, die Koalition, bei den Erneuerbaren genau auf dem richtigen Weg sind, und zwar nicht nur bezogen auf den Ausbau, sondern vor allen Dingen auch kostenbezogen. Die Grünen haben es in ihrem vor wenigen Wochen beratenen Antrag in der Begründung selber gesagt: Die Bundesregierung hat mit dem 52-GW-Deckel bei der Photovoltaik eine Vergütungsdegression geschaffen. Darum geht es eben auch. ({4}) Wir müssen die Akzeptanz für Erneuerbare erhalten. Wir müssen für weitere Unterstützung werben. Dabei sind der Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit auf der einen Seite, aber auch die Preiswürdigkeit und die Wirtschaftlichkeit auf der anderen Seite ganz wesentliche Voraussetzungen. Meine Damen und Herren, wir haben die Fördermittel für den PV-Ausbau massiv erhöht, und das zeitigt Erfolge. Was haben wir uns jetzt vorgenommen? Wir werden in diesem Jahr eine große EEG-Novelle beraten. Wir wollen, wie gesagt, auch weiterhin den PV-Anteil ausbauen. Der aktuelle Deckel lässt noch etwas Luft. Wir brauchen auch Planungssicherheit beispielsweise für Onshorewindkraft und Biomasse. Das alles bekommen wir hin, und dann gelingt es uns, Akzeptanz und weitere Unterstützung für den Erneuerbaren-Pfad, den wir in dieser Regierung eingeschlagen haben, zu finden und auszubauen. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Das letzte Wort in dieser Debatte hat für die Fraktion der SPD der Kollege Timon Gremmels. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat: Das, was heute hier vorliegt, ist nicht nur eine Mini-EEG-Novelle, es ist eine Mikro-Novelle, ({0}) wirklich das kleinstmögliche Teilchen, das wir hier beschließen können und auch beschließen müssen. Das ist nichts, wofür man sich abfeiern lassen kann, sondern das ist das Allermindeste, was getan werden muss, um coronabedingt zu handeln. Wir müssen aber ein paar größere Räder drehen, und zwar, Herr Müller, nicht nur in diesem Jahr. Ich fordere Sie auf, dass wir das noch vor der Sommerpause hinkriegen. ({1}) Wir müssen jetzt für den Ausbaupfad, den wir im Koalitionsvertrag, auf dem Klimagipfel und bei vielen unserer Runden beschlossen haben – 65 Prozent erneuerbare Energie am Strommix –, die Weichen stellen. Das ist auch ein Konjunkturprogramm für die Wirtschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren. Der beste Schutz vor Arbeitsplatzabbau, zum Beispiel in der Photovoltaikbranche oder im Windkraftbereich, ist, wenn wir jetzt die Fesseln lösen, wenn wir die Deckel abschaffen und aufheben. ({2}) Das würde uns noch nicht mal Steuergeld kosten, und es würde Arbeitsplätze sichern im Photovoltaikbereich, im Windkraftbereich, im Biomassebereich. Lassen Sie uns hier gemeinsam die Fesseln lösen! Lassen Sie uns hier gemeinsam vorgehen, meine sehr verehrten Damen und Herren! ({3}) Ich zitiere jetzt Herrn Bareiß: ({4}) Nur weil hier immer noch manche glauben, dass der #Solardeckel oder die #Windabstand Regelung die dringendsten Probleme sind: Wir haben gerade noch ein paar andere drängendere Themen zu bewältigen, die unser ganzes Land betreffen!! #coronavirus Ehrlich gesagt, Herr Kollege Bareiß, Herr Staatssekretär, wir sollten hier nicht die beiden Dingen gegeneinander ausspielen, sondern gemeinsam beide Krisen bewältigen. Das ist kein Widerspruch. Das können wir zusammen schaffen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Frau Weeser, ehrlich gesagt, ich finde es ja schon ganz spannend, aber ich bin nicht ganz schlau aus Ihrer Rede geworden. Sie haben viele Fragen gestellt, auch die richtigen Fragen, auch zum PV-Deckel. Ich habe gerade mal überlegt und nachgeschaut, wer denn damals Wirtschaftsminister war. Ich glaube mich richtig zu erinnern, dass das einer von Ihren Leuten war. Herr Altmaier war Umweltminister. ({6}) Sie haben die Frage nicht beantwortet, ob Sie mit uns gemeinsam den Deckel abschaffen wollen. Vielleicht können Sie das ja noch machen. Es wäre schön, wenn Sie das noch mal beantworten; aber dazu haben Sie kein Wort gesagt. Das wäre wichtig zu wissen: Sind Sie dabei, mit uns Arbeitsplätze in der Photovoltaikbranche zu sichern? Die Photovoltaik hat ihre Hausaufgaben gemacht. Herr Müller, es ist nicht richtig, dass erst mit dem Solardeckel die Degression angefangen hat. ({7}) – Nein. – Als das EEG vor 20 Jahren auf den Weg gebracht wurde, war die Degression schon vorgesehen. Es ist immer so gewesen, dass die Vergütung Schritt für Schritt heruntergegangen ist, je moderner und leistungsfähiger die Photovoltaik wurde. Photovoltaik ist heute eine der preiswertesten Formen der Energieerzeugung. ({8}) Die Photovoltaik hat ihre Hausaufgaben gemacht. Deswegen sollten wir sie jetzt nicht im Regen stehen lassen. ({9}) Wir brauchen für die Energiewende sowohl die Windkraft als auch die Photovoltaik als auch die Biomasse. Lassen Sie uns doch bitte schön diese wichtigen Energieträger nicht gegeneinander ausspielen. ({10}) Wir brauchen Energiewende, wir brauchen Klimaschutz, und wir brauchen Konjunkturprogramme für die Überwindung der Coronakrise. Das können wir im Einklang miteinander schaffen. Wir stehen dazu bereit, noch vor der Sommerpause. Seien Sie an unserer Seite und an der Seite der Energiewende und des Klimaschutzes! Vielen Dank. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Damit sind wir in dieser Debatte ans Ende gekommen. Ich schließe die Aussprache.