Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/25/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Abgeordneten des Deutschen Bundestages! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg diesem Haus die herzlichen Grüße der Bundeskanzlerin übermitteln, die heute gerne dabei gewesen wäre und gesprochen hätte. Aber Sie wissen, dass sie das heute nicht machen kann. Ich glaube, auch in Ihrem Namen kann ich herzliche Grüße ans Homeoffice übermitteln. ({0}) Wir erleben gegenwärtig eine Krise, die in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Vorbild ist. Die Krise ist groß – größer als die Krisen, die wir in der letzten Zeit erlebt haben. Sie ist zugleich eine schicksalhafte Herausforderung für die ganze Menschheit. Es gibt ja noch keine endgültig wirksamen therapeutischen Maßnahmen gegen die Krankheit, und das fordert jeden Einzelnen, der infiziert ist, ganz besonders heraus. Aber es zeigt auch, wie verletzlich wir als Menschen sind, und es zeigt übrigens auch, dass Politikmodelle falsch sind, die der Devise folgen, dass jeder am besten alleine zurechtkommt. Das, was wir jetzt brauchen, ist Solidarität. ({1}) Wir sehen auch täglich die Bilder und hören die Berichte nicht nur aus Asien und Amerika, sondern ganz unmittelbar aus unserer Nachbarschaft: aus Italien, Spanien, Frankreich, Österreich. Es ist die gemeinsame Herausforderung der Weltgemeinschaft, die Auswirkungen des Coronavirus zu bekämpfen. Deshalb wird Deutschland auch und gerade in dieser Zeit zum Beispiel an der Seite seiner europäischen Partner stehen. Das ist keine Sache für uns allein. Wir stehen zusammen. ({2}) Ich will ausdrücklich sagen: Wir vergessen auch nicht die ärmsten Länder der Welt. Auch sie sind in dieser Situation ganz besonders auf unsere Hilfe angewiesen. ({3}) Die Pandemie ist aber auch eine nationale Herausforderung. Wir sind aufgefordert, zu zeigen, dass offene und freiheitliche Gesellschaften die innere Kraft besitzen, mit solchen besonderen Lagen umzugehen. Ja, wir schränken die Bewegungsfreiheiten ein. Aber wir setzen dabei auf die aufgeklärte Einsicht der Bürgerinnen und Bürger. Ja, wir verlangen allen vieles ab. Aber das tun wir, weil sich demokratische Regierungen in Bund und Ländern darauf verständigen. Und es ist gut, dass uns freie Medien und eine kritische Öffentlichkeit dabei begleiten. Das öffentliche und soziale Leben in unserem Land ist eingeschränkt, damit die Ausbreitung des Virus verlangsamt wird. Die Auswirkungen sind überall spürbar: Die Schulpflicht ist faktisch ausgesetzt, Urlaube müssen abgesagt, Hochzeiten verschoben werden, und ganze Wirtschaftszweige können ihren Geschäften nicht mehr nachgehen. Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger haben Verständnis für diese Maßnahmen, und sie halten sich daran. Aber trotzdem: Vor uns liegen harte Wochen. Und doch: Wir können sie bewältigen. Das merken wir schon. Viele von uns improvisieren. Wir erleben neue Formen des Arbeitens und der Kommunikation. Einige – Kreativschaffende zum Beispiel – entwickeln neue Ideen für den Umgang mit der Situation. Andere helfen im Alltag ihren Nachbarn. Eine Krise beschleunigt Veränderungen und bringt Neues hervor. Vielleicht nehmen wir einiges davon als Lernerfahrung mit, wenn wir wieder in den Normalzustand kommen. Aber viele haben zunächst einmal große Sorgen um ihr Einkommen, ihre berufliche Existenz oder ihr Unternehmen. Wir als Politikerinnen und Politiker bekommen derzeit viele Mails, Briefe und Anrufe, in denen die Situation von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, von kleinen Betrieben, von Verbänden geschildert wird. Lieferketten sind unterbrochen, Läden und Restaurants geschlossen, Aufträge werden storniert. Meine Damen und Herren, in dieser Situation tun wir als Bundesregierung alles Nötige und alles Mögliche, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krisenbewältigung abzumildern. ({4}) Dafür gibt es kein Drehbuch. Es gibt keinen vorgefertigten Plan, dem wir jetzt einfach folgen können. In unglaublich kurzer Zeit müssen fast alle Bereiche unserer Gesellschaft und Wirtschaft in den Blick genommen und kluge Antworten entwickelt werden, wenn sich immer wieder neue Fragen stellen. Im Bundeskabinett haben wir am Montag ein großes Programm zur Krisenbewältigung beschlossen. Mein Dank gilt daher – sicher stellvertretend für die Mitglieder der Bundesregierung – den Landesregierungen und den Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie bereit sind, dieses Paket unter großem Zeitdruck zu verhandeln und später auch zu beschließen. Schönen Dank dafür! ({5}) Es geht jetzt aktuell um drei wesentliche Aufgaben: Wir müssen erstens eine gute Gesundheitsversorgung von Coronaerkrankten sicherstellen und dafür sorgen, dass alle geschützt sind, die sie behandeln, wir müssen zweitens den Lebensunterhalt der Bürgerinnen und Bürger sichern, die von der Krise betroffen sind, und wir müssen drittens unsere Wirtschaft stabilisieren und die Arbeitsplätze erhalten. Und das machen wir mit einer enormen Summe Geld, sehr schnell und möglichst zielgenau mit verschiedenen Maßnahmen. Erstens. Ganz vorne steht der Schutz der Gesundheit. Wir helfen den Frauen und Männern in den Krankenhäusern und Laboren und stellen sicher, dass unsere Gesundheitsversorgung den Herausforderungen gewachsen ist – mit jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro, mit der Beschaffung von Schutzausrüstung und der Entwicklung von Impfstoffen –, und wir unterstützen die Krankenhäuser, damit die Kapazitäten für Coronapatienten vorgehalten werden können und weiter ausgebaut werden. Wir wollen die Zahl der Intensivbetten – in Deutschland immerhin 28 000 – verdoppeln. ({6}) Zweitens. Niemand soll sich unnötige Sorgen um seine Wohnung und seinen Lebensunterhalt machen. Wir haben in Deutschland eine sehr gut funktionierende Grundsicherung, die genau das gewährleistet. Und wer derzeit vorübergehend kein Einkommen hat, zum Beispiel als Selbstständiger, sollte diese Grundsicherung nutzen. Wir erleichtern den Zugang, indem wir Prinzipien außer Kraft setzen wie den Vermittlungsvorrang, die Vermögensprüfung oder die Prüfung der Angemessenheit der Wohnung. Außerdem vereinfachen wir die Auszahlung des Kinderzuschlages, damit auch Familien, die plötzlich weniger Geld haben, gut zurechtkommen können. Eine weitere Hilfe ist, dass wir im Rahmen des Infektionsschutzes auch Regelungen treffen, was passiert, wenn keine Einkommenssicherung mehr vorhanden ist, man aber die Kinder zu Hause betreuen muss. Und das alles sichern wir rechtlich ab. Wer wegen der Coronakrise seine Wohnungsmiete zurzeit nicht zahlen kann, dem darf jetzt nicht gekündigt werden. Wir sind als Gesetzgeber und als Regierung verpflichtet, den Bürgerinnen und Bürgern in dieser Situation beizustehen. ({7}) Drittens stabilisieren wir die Wirtschaft. Es geht um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir haben uns jetzt auf die Maßnahmen konzentriert, die passgenau sind und ganz schnell wirken können. Und deshalb haben wir zum Beispiel in einem ersten Schritt – da haben Sie auch die entsprechenden Gesetze schnell mit beschlossen – die Regelungen zum Kurzarbeitergeld geändert, dem Instrument, das uns schon in der letzten Krise sehr geholfen hat. Wir besorgen den Unternehmen Liquidität. Wir haben im Steuervollzug Luft geschafft, indem Steuervorauszahlungen verringert und Steuern zinsfrei gestundet werden können. Außerdem haben wir die Kreditprogramme der KfW dramatisch ausgeweitet, und wir merken auch, das funktioniert jetzt. Es sind Tausende Anträge gestellt, viele sind auch schon bewilligt. Und trotz aller Schwierigkeiten, die man immer einmal zurückgemeldet bekommt: Jetzt sind alle dran, damit das auch klappt, damit den Unternehmen nicht die Puste ausgeht. ({8}) Wir haben, damit Selbstständige und Kleinstbetriebe, die den Umsatzverlust nicht wieder reinholen können, auch durch diese Krise kommen, ein Programm für Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer aufgelegt. Es geht zum Beispiel um Gastronomen, die ihr Geschäft nicht mehr aufmachen können, aber die Miete weiterzahlen müssen. Für die kleinen Betriebe gibt es Zuschüsse bis zu 15 000 Euro. Das Programm werden wir mit den Ländern zusammen auf den Weg bringen, damit es unbürokratisch umgesetzt werden kann und schnell, meine Damen und Herren. ({9}) Auch hier ergänzen wir Kredite und Zuschüsse durch Rechtssicherheit. Niemand soll, weil er jetzt in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist, sofort Insolvenz anmelden müssen. Darüber hinaus schaffen wir für die meisten, meist größeren Unternehmen mit dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz, indem wir den Fonds jetzt zu einem Wirtschaftsstabilisierungsfonds umbauen, die Grundlage dafür, dass wir sie mit Eigenkapital in dieser Krise unterstützen können. Auch das ist ein ganz massives Stabilitätssignal. Wer gehört und gelesen hat, wie das in Deutschland und der Welt aufgenommen worden ist, der weiß: Das war ein wichtiges und notwendiges Zeichen. ({10}) Meine Damen und Herren, Bund und Länder können diese Aufgaben nicht aus dem laufenden Haushalt und auch nicht aus den Rücklagen finanzieren. Deshalb bringen wir heute einen Nachtragshaushalt in den Deutschen Bundestag ein, der eine Nettokreditaufnahme von 156 Milliarden Euro vorsieht. Das ist eine gigantische Summe, fast die Hälfte unseres normalen Haushalts für ein Jahr. Und weil das so eine große Summe ist, muss der Bundestag heute die Entscheidung treffen, ob er die dafür vorgesehene Ausnahme von der Schuldenregel des Grundgesetzes im Fall einer außergewöhnlichen Notsituation nutzt. Ich bitte Sie heute im Namen der Bundesregierung, das zu tun. Denn wir brauchen das Geld, um uns mit aller Kraft gegen die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise stemmen zu können, und wir setzen auf Ihre Unterstützung. ({11}) Meine Damen und Herren, wir können uns das leisten. Deutschland genießt höchste Bonität an den Finanzmärkten, und zwar auch, weil wir in den letzten Jahren sehr solide gewirtschaftet haben, vorausschauend gearbeitet haben und einen niedrigen Schuldenstand haben. Es ist wichtig, dass jetzt unsere Hilfen schnell dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Das ist der Beitrag, den wir als Staat leisten können. Aber er wäre nicht wirksam, wenn nicht viele Bürgerinnen und Bürger mit höchstem Einsatz ihren Beitrag leisteten. Darum gilt unser Dank allen Ärzten und Pflegerinnen, den Verkäuferinnen und Busfahrern und vielen, vielen anderen mehr. Sie leisten Großes in diesen Tagen. ({12}) Und vieles von dem, was Bund und Länder beschließen, was wir hier in diesen Tagen beschließen werden, kann nur umgesetzt werden, wenn funktionsfähige staatliche Strukturen existieren. Daher gilt der Dank auch den Mitarbeitern in den Arbeitsagenturen, den Jobcentern, in den Gesundheitsämtern, den Polizistinnen und Polizisten und auch dort vielen, vielen anderen Leuten. ({13}) Noch einmal: Vor uns liegen harte Wochen. Wir können sie bewältigen, wenn wir solidarisch sind. Darum kümmert sich die Bundesregierung – um den Kampf gegen das Virus, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und um die Grundlagen unserer freien Gesellschaft. Aber es braucht mehr als die Regierung. Wir alle müssen uns umeinander kümmern. Dann kommen wir da durch. Schönen Dank. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der AfD, Dr. Alexander Gauland. ({0})

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst einmal: Die Regierungspolitik enthält viele Einsichten, die wir für richtig halten und die wir teilen. Man kann also die Grenzen schützen, und wir werden die Regierung bei Gelegenheit daran erinnern. ({0}) In der Krise schaut die Nation auf den demokratischen Nationalstaat und dessen Handlungsfähigkeit. Europäische Zusammenarbeit kann sie ergänzen, aber nicht ersetzen. Das heißt auch, deutsche Interessen müssen wahrgenommen werden, wie es die Regierung im Falle des Versuchs, eine deutsche Firma amerikanischer Kontrolle zu unterwerfen, richtigerweise getan hat. ({1}) Zusammenstehen ist jetzt erste Bürgerpflicht. Deshalb werden wir auch den finanziellen Maßnahmen und gesetzlichen Änderungen weitgehend zustimmen, wenn diese temporär angelegt und auf die Dauer der Coronanotlage beschränkt bleiben. ({2}) Die Abdankung des Parlaments auf Zeit wollen wir allerdings nicht. ({3}) Einzelheiten wird der Kollege Boehringer vortragen. Meine Damen und Herren, diese Zustimmung bedeutet allerdings nicht, dass wir uns nicht vorbehalten, nach Abklingen der Krise die zu Beginn gemachten Fehler der Regierung zu benennen und in diesem Hause zu diskutieren. Einreisekontrollen kamen zu spät, und die Bevorratung von Schutzmasken und Einweghandschuhen war offensichtlich ungenügend. Ich zitiere als Pars pro Toto den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburgs, der beklagt, dass die Schutzausrüstung für Ärzte in der Hansestadt knapp wird. Zitat: „Wir versuchen seit Wochen verzweifelt, irgendwo auf der Welt Schutzausrüstung zu kaufen, das ist fast nicht möglich.“ Die Bundesregierung habe versprochen, zu helfen, aber: „Da ist nichts gekommen. Nicht eine einzige Maske haben wir gekriegt.“ Dabei hat das Robert-Koch-Institut im Jahre 2012 ein detailliertes Katastrophenszenario vorgelegt, über das die Bundesregierung das Parlament, dieses Haus, im Jahre 2013 ausführlich unterrichtet hatte. Darin wird eine Pandemie mit einem Modi-SARS-Virus aus Asien durchgespielt, das nach Deutschland kommt. Ich zitiere: Die Symptome sind Fieber und trockener Husten, die Mehrzahl der Patienten hat Atemnot, in Röntgenaufnahmen sichtbare Veränderungen in der Lunge … So heißt es in dem Papier. Kinder und Jugendliche haben in der Regel leichtere Krankheitsverläufe mit Letalität von rund 1 %, während die Letalität bei über 65-Jährigen bei 50 % liegt. Das ist in diesem Hause diskutiert worden. Das ist die exakte Beschreibung der Folgen des Covid-19. Das Krisenszenario war seit 2012 bekannt. Das Papier prognostizierte Abertausende Tote. Warum gab es keine ausreichenden Vorsorgemaßnahmen? ({4}) Doch, meine Damen und Herren, es kommt – ich weiß es auch – jetzt weniger auf die Vergangenheit als auf die Zukunft an, und da vermissen wir einen Plan der Bundesregierung, Herr Minister, für die Zeit in drei Monaten. Die gewaltige Anstrengung, die sich – wenn man alles zusammennimmt – auf insgesamt mehr als 700 Milliarden Euro beläuft, ist unbegrenzt so wenig durchzuhalten wie der Shutdown einer ganzen Gesellschaft. ({5}) Über das jetzt erlassene Kontaktverbot hinaus bleiben dann nur noch Ausgangssperren. Auch wenn ein süddeutscher Ministerpräsident, der sich ein wenig wie ein Prokonsul aufführt, solche gern hätte, müssen heute schon die sozialen Folgen bedacht werden. Es ergibt keinen Sinn, die Anzahl der Coronatoten auf Kosten möglicher Suizidopfer zu senken. Was also ist der Masterplan der Bundesregierung? Was wird sie den Menschen sagen, wenn es in drei Monaten noch immer keine Entwarnung gibt, Herr Minister? Welche Alternativen gibt es zu dem jetzigen Kurs, und wann gedenkt die Bundesregierung, diese aufzuzeigen? ({6}) Meine Damen und Herren, die Menschen haben Angst – zu Recht. Um ihnen diese Angst zu nehmen, bedarf es mehr als Geld, nämlich einer Strategie, die über die nächsten zwei, drei Monate hinausweist. Ich bedanke mich. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland – nein, die Menschen in Deutschland wachsen momentan über sich hinaus: im Gesundheitswesen – wir haben darüber gesprochen –, in vielen lokalen Krisenstäben, wo die gleiche Arbeit geleistet wird wie im Bundesregierungs- und Landesregierungsbereich, bei Feuerwehr, Polizei und Rettungswesen und in vielen Fällen auch im Bereich der Logistik und des Einzelhandels. Es gibt viele, viele Menschen, die dieses Land am Laufen halten. Und was besonders berührend ist, ist die unglaubliche Solidarität in Nachbarschaften, in Familien, in Freundeskreisen, wo man füreinander einkauft, wo man sich umeinander kümmert, wo man sich gegenseitig hilft. Das macht mich sehr stolz, und das kann uns sehr stolz auf dieses Land machen. ({0}) Aber es sind auch dunkle Tage. Es sind dunkle Tage für die Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben – ihnen gilt unser Mitgefühl –, für die Menschen, die krank sind und auf Genesung hoffen; übrigens nicht nur in Deutschland. Es sind schreckliche Bilder, die uns ganz aus der Nähe, aus Italien und Spanien, erreichen. Es sind auch dunkle Tage für diejenigen, die sich Sorgen machen um ihre Existenz, um ihren Arbeitsplatz, um das, was sie sich in Jahren aufgebaut haben. Unglaublich viele Mails und Anrufe erreichen jeden von uns. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen wahrscheinlich vor der größten Herausforderung in der 71-jährigen Geschichte unserer Bundesrepublik Deutschland, eine Herausforderung, die wir so noch nicht gehabt haben. Sie ist auch deswegen einmalig, weil sich niemand in diesem Land dieser Herausforderung entziehen kann. Sie betrifft wirklich jeden: vom ganz Kleinen über den Großen, vom Alten und Schwachen bis zum Starken. Diese Herausforderung haben wir uns sicherlich nicht gewünscht, aber wir werden sie annehmen, und – das ist das Versprechen – wir werden kämpfen. Wir werden kämpfen um unsere Gesundheit, insbesondere um die Gesundheit der Alten und Schwachen, wir werden kämpfen um unsere Arbeitsplätze und unsere Wirtschaftsstrukturen, ja, wir werden auch kämpfen um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, dass er in dieser Krise auch erhalten bleibt, und wir werden kämpfen um den Zusammenhalt – darüber müssen wir auch reden – in Europa, dass nicht jeder sein eigenes Ding macht, dass wir zusammen Lösungen entwickeln. ({1}) Jeder von uns wird kämpfen. Das fängt bei der Bundeskanzlerin an, die das momentan vom Homeoffice aus macht, das geht über den Krankenpfleger, die Krankenpflegerin im Gesundheitswesen weiter, und das hört bei den ganz Kleinen auf, bei den Erstklässlern, die momentan ihren Unterrichtsstoff mit ihren Eltern zu Hause nachholen. Wir werden in dieser Krise, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch entscheiden; denn das Schlimmste, das man in einer Krise machen kann, ist, sich wegzuducken und nichts zu tun, zu warten, bis der Sturm vorübergeht. Aber diese Entscheidungen sind Entscheidungen unter Unsicherheit. Wir wissen nicht, ob wir jetzt alles richtig entscheiden, und – der Finanzminister hat es gesagt – wir können es auch nicht wissen, weil wir das alles das erste Mal machen. Aber genau das, meine Damen und Herren, ist politische Führung: den Mut zu haben, Entscheidungen zu treffen, und den Mut zu haben, auch Fehler zu machen, denn das ist besser, als jetzt nichts zu tun. Genau deswegen werden wir hier heute als Deutscher Bundestag ein einmaliges Paket verabschieden – weil jetzt die Zeit des Handelns ist, meine Damen und Herren. ({2}) Handeln heißt, dass wir ein Gesundheitspaket auf den Weg bringen, wo es darum geht, Kliniken zu schützen, wo es darum geht, bessere Werkzeuge im Kampf gegen die Infektion zu haben. Es geht darum, Wirtschaft und Arbeitsplätze zu sichern, die großen Strukturen mit einem Rettungsschirm zu sichern, aber auch die Kleinen zu unterstützen, die momentan in einer besonders harten Situation sind. Es geht darum, das Arbeitsrecht so zu ändern, dass Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Logistik weiter möglich sind. Aber es geht auch darum, soziale Härten für Mieter, aber auch für Vermieter abzufedern. Deswegen haben wir uns so eine Mühe gegeben, das Ganze abgewogen zu gestalten. Es geht darum, vereinfachten, unbürokratischen Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen zu gewährleisten. Und es geht um viele andere Dinge mehr. Das alles werden wir heute als Parlament sehr, sehr schnell beschließen. Was wir auch beschließen werden, ist, dass wir all das mit haushalterischen Mitteln unterlegen. Ja, 156 Milliarden Euro, das ist unglaublich viel. Wer hätte gedacht, dass wir darüber sprechen werden? Ja, ein Bürgschaftsgarantievolumen von über 1 Billion Euro ist enorm. Das sind keine einfachen Entscheidungen, die wir treffen. Aber richtig ist auch: Wenn es sich ein Land leisten kann, dann ist es unser Land, weil wir vernünftig gewirtschaftet haben. ({3}) Deswegen werden wir jetzt auch das einsetzen, was wir uns erwirtschaftet haben. Denn dafür macht man Haushaltspolitik: dass man in der Not das entsprechende Geld hat, um die notwendigen Maßnahmen zu treffen. ({4}) Wir werden das Ganze in einem sehr, sehr schnellen Verfahren machen. Ich muss und darf mich ausdrücklich auch bei der Opposition bedanken, die auf Beratungsrechte, die auf Fristen verzichtet hat und die gesagt hat: Jetzt ist es wichtiger, dass wir Lösungen für dieses Land bekommen. – Das ist nicht selbstverständlich. Herzlichen Dank dafür! ({5}) Wir werden im Rahmen dieses Pakets auch in Freiheitsrechte eingreifen. Wir werden in Eigentumsrechte eingreifen. Wir werden, wie gesagt, in Haushaltsregeln eingreifen. Deswegen ist es richtig, dass all das, was wir tun, soweit eben möglich auch befristet ist. Es kann auch keine Selbstverständlichkeit sein, als Parlament in diesen Verfahren entsprechend so weiterzumachen. Es ist auch wichtig, dass wir uns heute mit unserer Geschäftsordnung beschäftigen, damit wir in der Krise schnell handlungsfähig sind und damit parlamentarische Verfahren auch in der Krise ordentlich und weiter möglich sind. ({6}) Wir werden all das, was wir jetzt beschließen, auf den Prüfstand stellen, wenn die Pandemie vorbei ist – selbstverständlich. Wir werden selbstverständlich auch auf den Prüfstand stellen, ob das alles, was wir gemacht haben, richtig ist. Wir werden auf den Prüfstand stellen, ob das Zusammenspiel auf den föderalen Ebenen richtig ist. Wir werden auf den Prüfstand stellen, wie wir uns noch besser auf solche Situationen vorbereiten können. Das ist selbstverständlich. Eines kann ich Ihnen auch sagen: Es wird wahrscheinlich nicht das letzte Paket sein, das wir hier beschließen werden. Eines ist auch richtig – da brauchen wir uns überhaupt nichts vorzumachen –: Gesetze und Geld sind das eine, aber das andere ist, dass wir es auch umsetzen müssen, dass dieses Geld, Herr Finanzminister, jetzt schnell fließt, dass die Rettungsschirme schnell an den Start kommen, dass der Zugang zu den Sozialsystemen dann ohne Bürokratie möglich ist. Es muss auch mehr gemacht werden – das ist richtig – im Bereich der medizinischen Schutzausrüstung, hinsichtlich Beatmungsgeräten, in der Unterstützung unseres Gesundheitssystems. Wenn der heutige Tag vorbei ist, dann beginnt die Umsetzung, sofern sie nicht in den letzten Wochen schon begonnen hat. Umsetzung ist das, was jetzt zählt, meine Damen und Herren. ({7}) Aber all das staatliche Handeln kann nur funktionieren, wenn tatsächlich alle mitmachen. Wir würden gerne jeden so stellen, als wenn diese Coronakrise nicht stattgefunden hat. Das ist überhaupt keine Frage. Aber das wird nicht gehen. Das wird auch die Fähigkeit dieses Staates überfordern. Deswegen müssen wir uns auf diejenigen beschränken, die es aus eigenen Kräften nicht schaffen können, durch diese Krise zu kommen. Wir werden das in vielen, vielen Bereichen hinbekommen, vielleicht nicht in allen. Aber das ist unsere Anstrengung, die wir jetzt vornehmen werden. Dafür bedarf es auch des Einsatzes vieler. Es gibt großartige Beispiele von Textilunternehmen, die auf Maskenproduktion umstellen, von Spirituosenherstellern, die jetzt Desinfektionsmittel herstellen. Es gibt – das stand in meiner Lokalzeitung – ein Beispiel, da hat jemand, der einen Frisörsalon vermietet, gesagt: Mensch, wir müssen zusammenhalten, nächsten Monat keine Miete. Es gibt aber – das muss man sagen – leider auch schlechte Beispiele. Uns erreichen Briefe von Zulieferern und Lieferanten, die sagen: Meine Kunden geben jetzt den Druck an uns weiter, und wir müssen das allein bewältigen. – Ich kann nur dazu aufrufen: Wir alle müssen jetzt solidarisch sein; sonst wird diese Krise nicht überstanden werden. ({8}) Man sagt: In der Krise kommen das Gute und das Schlechte des Menschen wie unter einem Brennglas zutage. Was ich momentan sehe, sind ganz, ganz viel Gutes, ganz viel Solidarität, ganz viel Hilfe, ganz viel Gemeinsinn. Was ich auch sehe, ist, dass wir in dieser Krise erkennen, was eigentlich wirklich wichtig ist: dass man seine Eltern und Großeltern besuchen kann, dass man sich mit Freunden treffen kann, dass man überall hingehen kann, wo man hingehen möchte, dass man eine Sicherheit hat, was den Arbeitsplatz betrifft. Ich glaube, wir beginnen langsam wieder zu begreifen, was die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind. ({9}) Wir können Ihnen hier von dieser Stelle aus nicht sagen, wie lange diese Krise dauern wird. Wir können Ihnen nicht versprechen, welche Opfer und Einschränkungen wir noch erleiden müssen. Wir können auch nicht versprechen, dass jede Existenz, jeder Arbeitsplatz und alles so erhalten bleibt, wie es ist. Aber wenn wir in den nächsten Wochen zusammenhalten, wenn wir gemeinsam kämpfen, wenn wir solidarisch sind, dann glaube ich, nein, dann bin ich davon überzeugt, dass unser Land, Deutschland, nach Corona ein besseres Land sein wird. Danke schön. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Wochen liegt die Regierungserklärung zur Coronakrise zurück. Seitdem hat sich die Lage dynamisch entwickelt. Experten haben mehr als einmal ihre Einschätzungen korrigiert. Wir sehen hier im Plenum, dass sich die Lage dramatisch verändert hat. Wir entnehmen es der Tatsache, dass sich die Regierungschefin selbst in häuslicher Quarantäne befindet. Wenn Gesundheit und Freiheit gleichermaßen gefährdet sind, dann lernt man ihren Wert neu kennen. Unsere guten Wünsche gelten jetzt Frau Merkel, den Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, die infiziert sind oder sich in Quarantäne befinden müssen, und vor allen Dingen allen Menschen im Land, die betroffen sind. ({0}) Unser Dank gilt all denen, die jetzt in diesen Tagen mehr tun als nur ihre Pflicht: in Krankenhäusern, aber auch bei der Polizei und bis an die Supermarktkasse. Jetzt erfahren die Menschen den Respekt und die Aufmerksamkeit, ({1}) die ihnen auch in gewöhnlichen Zeiten hätten zuteilwerden sollen. ({2}) Das öffentliche und das wirtschaftliche Leben sind heruntergefahren, um die Ausbreitung von Corona einzudämmen und zu bremsen. Manche haben Zweifel. Beim jetzigen Wissensstand wären die Alternativen aber riskant. Es geht um Menschen. Wer denkt bei den Bildern aus Italien nicht an die eigene Familie? Ich denke nicht an statistische Größen, sondern an meine Omas. Deshalb sind die aktuellen Freiheitseinschränkungen verhältnismäßig. ({3}) Der aktuelle Zustand widerspricht aber der menschlichen Natur. Er passt nicht zu den Werten einer offenen Gesellschaft. Er ist eine Gefahr für den sozialen Frieden, weil schon in der allernächsten Zeit die Akzeptanz der Menschen sinken könnte. Er ist eine Gefahr für unser wirtschaftliches Leben, weil irgendwann der ökonomische Schaden irreparabel sein könnte. Mit dem heutigen Tag muss es deshalb darum gehen, diesen Zustand Schritt für Schritt, aber so schnell wie möglich zu überwinden. Von der Ertüchtigung des Gesundheitswesens über die Bereitstellung von flächendeckenden Tests auf Corona muss nun die Regierung, müssen die Behörden in Ländern und Kommunen alles unternehmen, damit die Menschen schnellstmöglich in die Freiheit zurückkehren können. ({4}) Heute berät und beschließt der Deutsche Bundestag über ein Paket zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen. Regierung und Opposition tragen in diesen Zeiten eine gemeinsame staatspolitische Verantwortung. Diejenigen, die im Deutschen Bundestag die Oppositionsrolle wahrnehmen, tragen in den Ländern und auf der örtlichen Ebene auch exekutive Verantwortung. Deshalb haben wir intensiv beraten. Ich will der Bundesregierung und den die Regierung tragenden Fraktionen ausdrücklich für das konstruktive Klima danken, in dem wir miteinander über das, was heute zu entscheiden ist, gesprochen haben. ({5}) Aspekte haben wir beitragen können. Aspekte, die uns wichtig sind, haben Eingang in die Beschlussvorlagen gefunden, beispielsweise dass die Schwelle zur Stabilisierung von Unternehmen nicht bei 2 000 Beschäftigten, sondern bei 250 Beschäftigten liegt; dass Grundrechtseingriffe wie etwa das Auslesen von Mobilfunkdaten nicht hopplahopp in dieser Krise beschlossen werden, sondern sorgsamer zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal besprochen werden können; dass die Befugnisse des Infektionsschutzgesetzes, die dem Bund neu zuwachsen, zeitlich befristet sind, sodass in ruhigeren Zeiten diese Fragen neu aufgeworfen werden können. Manches missfällt uns dennoch: Das neue Leistungsverweigerungsrecht und die Veränderungen im Mietrecht verlagern einseitig Belastungen; hier hätten wir uns Alternativen wie ein Sonderwohngeld gewünscht. Wir hätten auch an anderen Stellen das Paket der Großen Koalition modifiziert. Aber darum geht es jetzt nicht; bei allen Unterschieden in der Einschätzung und im Hinblick auf zusätzliche wünschenswerte Maßnahmen geht es darum jetzt nicht. Wir sind gemeinsam als Fraktionen doch durch ein Ziel verbunden, nämlich Schaden vom deutschen Volk und der Bevölkerung abzuwenden. Deshalb werden wir trotz aller Bedenken im Detail den Beschlussvorlagen der Regierung heute zustimmen. ({6}) Jetzt ist die Stunde des Staates. Wir brauchen ihn bei allem, was über die Fähigkeit, individuell Verantwortung zu übernehmen, hinausgeht. In genau so einer Situation befinden wir uns jetzt, wo wir die staatlichen Möglichkeiten, alles, was er fiskalisch in die Waagschale werfen kann, nutzen müssen. Aber auch die Möglichkeiten des Staates sind begrenzt. Wir nutzen jetzt das, was wir an Fähigkeiten haben. Aber auf Dauer wird auch der starke deutsche Staat nicht in der Lage sein, eine Volkswirtschaft zu stabilisieren, die nicht ins Leben zurückfindet. Irgendwann wird auch jemand dafür zahlen müssen, was wir jetzt an Schutzschirmen aufspannen. Deshalb werden wir in der Zeit nach der Krise auch über die weitere Finanzplanung und die Vorhaben der Regierung neu sprechen müssen. Ich erwarte eine Repriorisierung vieler Vorhaben; denn es wird darum gehen, dass wir die langfristigen wirtschaftlichen Folgen dieser aktuellen Krise nicht zulasten von Bürgerinnen und Bürgern und nächsten Generationen einseitig verteilen. ({7}) Wir werden auch noch darüber sprechen müssen, ob die jetzt beschlossenen Maßnahmen wirklich treffsicher sind. Wir sorgen uns um den kleinen Mittelstand, um die Betriebe mit zwischen 10 und 250 Beschäftigten, die in den vergangenen Jahren viel von dem abgegeben haben, was sie erwirtschaftet haben. Es war, Kollege Brinkhaus, nicht der Staat, der gut gewirtschaftet hat, es waren die Menschen, es war der Mittelstand, die gut gewirtschaftet haben. ({8}) Deshalb sind uns Möglichkeiten zugewachsen. Und genau diejenigen in der Mitte der Gesellschaft, die so viel von ihrer Leistung abgegeben haben in den vergangenen Jahren und damit solidarisch waren, die dürfen jetzt erwarten, dass die staatliche Gemeinschaft in diesen Krisenzeiten mit ihnen auch solidarisch ist. ({9}) Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass die Schwelle nicht bei 250, sondern bei 50 Beschäftigten liegt. Ich rege an, bei den nächsten Gelegenheiten, bei denen wir über die Modifikationen der Sicherheitsnetze sprechen, diese Frage noch einmal miteinander aufzurufen. In Nordrhein-Westfalen – um ein Beispiel zu nennen – hat die dortige Landesregierung entschieden, mit eigenen Mitteln auch Unternehmen bis 50 Beschäftigte eine Soforthilfe von bis zu 25 000 Euro zu zahlen. Das ist eine Praxis, die für Deutschland insgesamt vorbildlich ist, eine Entscheidung, die auch die Bundesregierung hätte treffen können. ({10}) Wir werden über das Tempo der Hilfen sprechen müssen. Wir haben nichts einzuwenden gegen die Programme, die über die KfW aufgelegt werden. Aber wir sehen mit Sorge die administrative Überlastung bei privaten Geschäftsbanken und in den öffentlich-rechtlichen Strukturen. Deshalb ist es aus unserer Sicht empfehlenswert, dass wir die Möglichkeiten auch unserer Finanzbehörden nutzen. In guten Zeiten mag sich mancher ärgern über die Leistungsfähigkeit unserer Finanzbehörden – in diesen Zeiten könnten wir sie gut nutzen, um unbürokratisch und schnell über das Steuerrecht Liquiditätshilfen zu gewähren. ({11}) Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns nach der Krise mit Fragen der Zusammenarbeit in Europa und darüber hinaus beschäftigen müssen. Eine Debatte über neuen Protektionismus und Abschottung ist ja nahezu unvermeidlich. Aber eigentlich ist die Schlussfolgerung aus der Coronakrise eine andere: dass nicht Abschottung hilft, dass nicht die Aufgabe der internationalen Arbeitsteilung sinnvoll ist, sondern im Gegenteil: Die eigentliche Lehre ist doch, dass man eine Menschheitsaufgabe, eine Menschheitsherausforderung wie eine Pandemie, nicht im nationalstaatlichen Kontext bewältigen kann, sondern dass Corona eigentlich der Anlass ist, ganz neu über internationale Kooperation, das Lernen voneinander und Multilateralismus zu sprechen. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Vorsitzenden der Fraktion Die Linke, Amira Mohamed Ali. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Hilfspaket der Bundesregierung zur Bewältigung dieser beispiellosen gravierenden Krise enthält viele gute Regelungen, mit denen wir einverstanden sind. Die Gespräche, die wir in den letzten Tagen mit der Bundesregierung dazu geführt haben, waren sehr konstruktiv. Dennoch fehlen nach wie vor wichtige Regelungen, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass durch diese Krise nicht viele Menschen in Not geraten und dass sich dadurch das Gesicht unseres Landes nicht extrem verändern wird. Aber auch ich möchte zunächst auf die Menschen zu sprechen kommen, die in dieser Krise Herausragendes leisten. Das sind zum Beispiel die Beschäftigten im Gesundheitswesen, im Einzelhandel, die Berufskraftfahrer und viele andere in den sogenannten systemrelevanten Berufen. Ihnen wird in diesen Tagen zu Recht viel gedankt, auch hier in diesem Hause. Man kann auch nicht oft genug Danke sagen. ({0}) Aber dieser Dank sollte sich nicht nur in Worten zeigen, nein, hier braucht es auch einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die erhöhte Arbeitsbelastung, für die Würdigung dieses außergewöhnlichen Engagements. ({1}) Ein Zuschlag von 500 Euro pro Monat für diejenigen, die in den systemrelevanten Berufen arbeiten, das ist das Mindeste. ({2}) Und es kann nicht sein, dass zum Beispiel Pflegerinnen und Pfleger, deren enorme Wichtigkeit für unsere Gesellschaft uns jetzt jeden Tag vor Augen geführt wird, weiter zu Hungerlöhnen arbeiten müssen. Bitte entsprechen Sie unserem entsprechenden Antrag. ({3}) Und selbstverständlich muss sich die Wertschätzung auch darin zeigen, dass denjenigen, die aus beruflichen Gründen jetzt viel Kontakt zu Menschen haben – und das sind nicht nur Ärzte, Pfleger, Verkäuferinnen und Verkäufer, das sind auch Polizistinnen und Polizisten –, flächendeckend Schutzkleidung zur Verfügung gestellt wird. Hier braucht es wirkliche klare und schnell umzusetzende Konzepte und eine entsprechende Priorisierung. ({4}) Es war ein fataler Fehler, dass lokale Produktion abgebaut wurde und dass nicht genügend bevorratet wurde. Aber auch die Kürzungspolitik im Gesundheitsweisen, das Spardiktat durch die Privatisierung der letzten Jahre, war falsch. ({5}) Gesundheit ist keine Ware; das muss spätestens, wirklich spätestens jetzt klar sein. ({6}) Die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes ist richtig. Aber uns muss doch auch klar sein, dass viele Menschen trotzdem vor unlösbaren Problemen stehen. Denjenigen, denen jetzt gerade der volle Lohn zum Leben ausreicht, reichen die 60 Prozent Lohnfortzahlung eben nicht. Deswegen muss das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent des vorherigen Lohns erhöht werden. ({7}) Das sichert wesentlich besser ab. Und Mitbestimmungsrechte dürfen auch in diesen Zeiten keinesfalls geschliffen werden; das fordern zu Recht auch die Gewerkschaften. ({8}) Ein weiterer Punkt, der im Paket der Bundesregierung nicht genug Berücksichtigung findet, betrifft die Ärmsten unserer Gesellschaft, diejenigen, die von Hartz IV betroffen sind, und diejenigen mit sehr kleinen Renten: Hilfsangebote wie die Tafeln fehlen vielerorts. Und Nebenjobs, die benötigt werden, um kleine Renten aufzubessern, können nicht mehr angetreten werden, weil es diese Jobs nicht mehr gibt oder weil gerade ältere Menschen jetzt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr das Haus verlassen dürfen. Es ist darum notwendig, hier zu helfen. Deswegen: Stimmen Sie bitte unserem Antrag zu, die kleinen Renten und das Arbeitslosengeld II um 200 Euro pro Monat aufzustocken! ({9}) Es ist auch dringend notwendig, dass den obdachlosen Menschen in dieser Krise geholfen wird, die jetzt vor noch größeren Schwierigkeiten stehen, weil eben Hilfsangebote fehlen und es keine Spenden von Passanten mehr geben kann. Es ist notwendig, dass der Bund die Kommunen jetzt dringend mit Mitteln ausstattet, um hier schnelle Hilfsangebote zu schaffen. Ein wesentlicher Punkt, über den wir hier heute sprechen und abstimmen werden, ist, dass in dieser Notsituation trotz der Schuldenbremse Schulden gemacht werden können. Wir werden dem als Linke zustimmen. Wir haben die Schuldenbremse, diese unnötige Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Staates, schon immer für einen Fehler gehalten. ({10}) Wir müssen aber wirklich jetzt auch schon darüber reden, wie diese Schulden nach der Krise zurückgezahlt werden; denn wir Linke wollen verhindern, dass die Rückzahlung zu einem Sozialabbau und einem weiteren Investitionsstau führt. ({11}) Wir sind uns alle einig, dass es in dieser historischen Krise Solidarität verlangt, und große Teile der Gesellschaft leben sie jetzt ja auch vor. Die einen verzichten darauf, Konzertkarten zurückzugeben, die anderen spenden Lebensmittel oder Kleidung für Bedürftige und gehen für ältere Menschen in der Nachbarschaft einkaufen. Das, was an so vielen Stellen im Kleinen gilt, muss auch im Großen geschehen. Es gibt in unserer Gesellschaft einige mit sehr starken Schultern, mit einem riesigen Vermögen. Wir fordern eine Sonderabgabe für Multimillionäre und Milliardäre, damit sie einen gerechten Beitrag zur Bewältigung dieser historischen Krise leisten. ({12}) Wenn der Staat jetzt richtigerweise auch in Unternehmen einsteigt, um sie zu stützen und Arbeitsplätze zu sichern, dann muss bereits jetzt klar sein, dass bitte auch der Staat davon profitiert, wenn nach dieser Krise die Unternehmensgewinne wieder fließen. Das viel zu oft geltende Prinzip, dass die Gewinne privatisiert werden, die Schulden aber die Allgemeinheit tragen muss, darf hier nicht gelten. ({13}) Eine Einsparung, die dringend vorgenommen werden muss, ist eine Einsparung im Militäretat. Er ist viel zu hoch, und in diesen Zeiten weiter am 2-Prozent-Rüstungsziel der NATO festzuhalten, ist Wahnsinn. ({14}) Ich möchte hier auch ausdrücklich António Guterres, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, zustimmen, der Anfang dieser Woche im Angesicht dieser Pandemie einen weltweiten Waffenstillstand gefordert hat. Wenn Deutschland einen Beitrag dazu leisten will, dann müssen selbstverständlich sofort alle Waffenexporte gestoppt werden. ({15}) Außerdem dürfen die Menschen, die aus Krieg und Elend geflohen sind und jetzt auf den griechischen Inseln bzw. an der griechischen Grenze ausharren müssen, in dieser Krise nicht vergessen werden. Dazu gehört eben auch, dass die Bundesregierung ihre Zusage, die minderjährigen Flüchtlinge aufzunehmen, nicht vergisst. ({16}) Wir stellen heute wichtige Weichen – nicht nur dafür, was während dieser Krise geschieht, sondern auch dafür, wie dieses Land nach der Krise aussehen wird. Es gibt große Unternehmen, die sehr stark sind, die über große Rücklagen verfügen. Sie werden diese Krise – teilweise auch mit staatlicher Hilfe – überstehen. Daneben gibt es die anderen, die kleinen und die mittelständischen Unternehmen, die diese Rücklagen nicht haben. Ja, das Hilfspaket enthält Kredithilfen und teilweise auch Direktzahlungen. Das alles sind richtige Schritte, die wir unterstützen. Für viele sind diese Direktzahlungen aber leider nur Tropfen auf heiße Steine, und die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, kommt für viele kleine und mittelständische Unternehmen, für Handwerksbetriebe, für Solo-Selbstständige, aber auch für Künstlerinnen und Künstler nicht infrage, weil Kredite ja zurückgezahlt werden müssen, was ihnen nicht möglich ist. Diese Menschen brauchen umfassende Hilfe, und zwar schnell und unbürokratisch. Nur so kann verhindert werden, dass durch diese Krise die weitere Monopolisierung der Märkte, die Verdrängung kleiner und mittlerer Unternehmen durch wenige Großkonzerne, exponentiell vorangetrieben wird. Wir müssen alles tun, um die Vielfalt zu erhalten – auch die Vielfalt der Kunst und der Kultur –; denn diese Vielfalt macht uns aus. Das ist der größte Reichtum, den wir haben. ({17}) In diesen Zeiten tragen nicht nur die öffentlich-rechtlichen, sondern auch viele private, lokale Medien eine große Verantwortung. Die Regionalzeitungen, die lokalen TV- und Radiosender: Sie sind wichtiger denn je. Sie informieren vor Ort, sie klären auf, und sie bilden ein wichtiges Gegengewicht gegen so manche Falschinformation aus dem Internet. Sie brauchen jetzt Hilfe, weil überlebenswichtige Werbeeinnahmen wegbrechen. Das Gleiche gilt auch für freie Journalistinnen und Journalisten, die jetzt ohne Aufträge dastehen. Wenn wir der freien Presse helfen, dann stützen wir unsere Demokratie. ({18}) Die notwendige Eindämmung der Pandemie erfordert derzeit Einschränkungen von Grundrechten, wie wir es uns vor zwei Wochen noch nicht vorstellen konnten. Es ist jetzt auch die Zeit, in der sich die Demokratie bewähren muss, und deshalb ist dies auch die Stunde, in der wir darauf achten müssen, dass Grund- und Freiheitsrechte nicht durch die Hintertür dauerhaft ausgehöhlt und eingeschränkt werden. ({19}) Hierbei wird Die Linke nicht mitmachen. Wir werden nicht zustimmen, wenn es zum Beispiel um Handytracking oder um eine dauerhafte Beschneidung von Versammlungsrechten geht. Wir werden nicht zulassen, dass parlamentarische Mitbestimmungsrechte ausgehebelt werden. Unser Land darf nach dieser Krise keinesfalls weniger demokratisch und freiheitlich sein. Vielen Dank. ({20})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! #keeperfurtalive ist eine Gruppe auf allen möglichen Plattformen – gegründet von einem Opernsänger. Buchhandlungen, Blumenläden, Reisebüros, die Brauerei sind dabei. Die Stadt steht still, aber der Comicladen fährt die Ware aus. Das Bier kommt vom Heimathafen nach Hause, die Großmutter bekommt nicht nur einen Podcast, sondern auch Blumen. Es gibt Bücher to go, Studis organisieren die Einkäufe per Lastenrad. In Mühlhausen bekommt man Torten und Bücher gleichzeitig. Das passiert gerade in zig Städten in dieser Republik. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes spannen ihren kleinen privaten Rettungsschirm über Läden, Unternehmungen, kaufen ein Bild, reservieren Konzertkarten für später. Das ist das Großartige, was uns als Land in diesen Tagen ausmacht. ({0}) Lange war unser Land nicht so geprägt von Einsamkeit und Isolation und zugleich von Gemeinsinn und Fürsorge – und natürlich von dem einen Thema. Eine Familie verordnet sich, beim Essen nicht mehr über Corona zu reden, Kinder erleben ihre Eltern als Lehrerinnen und Lehrer, manchen fällt die Decke schon nach drei Tagen Homeoffice auf den Kopf, ein großer Sportverein gibt jeden Tag – herzlichen Dank übrigens auch im Namen meiner Enkel – Turnstunden für Kinder. ({1}) Die Menschen rücken auseinander und zusammen wie nie. Heute sind wir hier – Politikerinnen und Politiker, manche im Saal, andere draußen –, und wir wollen genau das tun: einen Rettungsschirm spannen. Wir haben in den letzten Tagen viel darüber diskutiert, wie das geht. Wir sorgen uns um Menschen und Unternehmen, wir sorgen uns um die Freiheits- und Bürgerrechte, und wir fragen uns: Was ist jetzt wirklich verhältnismäßig? Wir fragen Virologinnen und Virologen, Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler, Hausärzte und Hausärztinnen, Vorstandsvorsitzende, Betriebsrätinnen und Betriebsräte, Gastronomen, Friseure, Feuerwehrmänner und ‑frauen. Wir fragen, weil wir noch nicht überall alle Antworten für die nächste Zeit in dieser Krise haben, und ich finde, wir sollten das auch so ehrlich sagen. Wir werden Fehler machen, und ich hoffe, wir werden diese Fehler auch korrigieren. ({2}) Wir machen das hier, soweit es geht, zusammen; denn es geht um Vertrauen, Vertrauen in einen handlungsfähigen Staat, der keine und keinen vergisst, Vertrauen übrigens in einen starken Staat, der nicht national, sondern europäisch und global handelt. ({3}) Jetzt, noch am Anfang, zeichnet die Krise bereits viele dunkle Schatten: In der Autoindustrie stehen die Bänder still, der Tourismus, die Luftfahrt, kleine Läden, Hotels und Kneipen bangen um ihre Existenz. Für viele heißt das Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, weniger Geld – ja, zum Teil deutlich weniger. Theater und Kinos haben geschlossen und müssen trotzdem laufende Kosten bedienen. Alles das wissen wir. Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturbetriebe ohne Aufträge versuchen, ohne nennenswerte Rücklagen über die Runden zu kommen. Gut, dass wir ihnen helfen! Ein Musiker freute sich dieser Tage über 100 Euro Spende für ein Onlinekonzert; 12 000 Euro sind ihm gerade weggebrochen. Landwirte bangen um Aussaat und Ernte, weil die Helferinnen und Helfer fehlen. Schon jetzt ist klar: Diese Krise berührt uns alle. Das ist eine außergewöhnliche Notsituation. Deshalb müssen unsere Antworten außergewöhnlich sein. ({4}) Für uns Grüne ist klar: In dieser Zeit steht Kooperation vor Konkurrenz. Zusammenarbeit – Herr Brinkhaus, ich gebe diesen Dank zurück –, das war in den letzten Tagen wirklich ein konstruktives Miteinander. ({5}) – Ja, meistens, natürlich meistens. – Demokratische Opposition und Regierung haben nicht alles erreicht. Das ist mit Sicherheit klar. Trotzdem haben sich alle darum bemüht, dass diese Zusammenarbeit gelingt. Für uns als Bündnis 90/Die Grünen will ich ausdrücklich sagen: Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen, damit niemand allein bleibt und niemand zurückgelassen wird. Deswegen bringt der Bundestag heute dieses Paket auf den Weg, um zu helfen, zu schützen, zu entlasten, das Gesundheitssystem zu stärken. Der Umfang und die Einmaligkeit sind der Notlage entsprechend. Deswegen stimmen wir, übrigens nicht, weil es um Mehrheiten geht, sondern voller Überzeugung, dafür, dass wir die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse heute aktivieren, meine Damen und Herren. ({6}) Natürlich freue ich mich, dass eine Reihe unserer Vorschläge aufgenommen wurden: die Entschädigung von Familien, die wegen fehlender Kinderbetreuung zu Hause nicht richtig arbeiten können; der Schutzschirm für soziale Träger; der Rettungsfonds für Künstlerinnen und Kulturschaffende, für Solo-Selbstständige. Das sind einige Beispiele. Natürlich ist nicht alles schon perfekt. Aber ich verspreche: Wir werden weiter danach schauen, was funktioniert und wo es weiter Hilfe braucht. Natürlich bedauere ich, dass die Bundesregierung unseren Vorschlag, dem medizinischen Pflegepersonal einen Bonus zu zahlen, nicht aufgegriffen hat. Diese Heldinnen und Helden verdienen selbstverständlich den Beifall auf den Balkonen. Aber sie verdienen eben auch direkte Unterstützung und gute Bezahlung, gerade in diesen Zeiten. ({7}) Ich weiß, dass es ihnen mindestens genauso sehr darum geht, dass sie ihre Arbeit gut machen können, dass Desinfektionsmittel, Handschuhe, Mundschutz, Schutzkleidung da sind. Ich weiß auch, dass alle erdenklichen Bemühungen laufen, das bereitzustellen. Trotzdem ist die Sorge groß. Und schließlich sollten wir die nicht aus dem Blick verlieren, die am allerwenigsten haben. Wenn das kostenfreie Mittagessen in Kita oder Schule wegfällt, wenn die meisten Tafeln schließen müssen, dann mache ich mir wirklich große Sorgen. Es wäre doch viel schlauer, zu sagen: Wir erhöhen jetzt für eine begrenzte Zeit zumindest den Regelsatz – ohne lange Beantragung, ohne banges Warten, wann er denn ausgezahlt wird. Gerade für Kinder und gerade übrigens auch für Alte wäre das so dringend notwendig, meine Damen und Herren. ({8}) Wir sorgen uns um die Wirtschaft, um Menschen und um unsere grundlegenden Rechte und Freiheiten. Und natürlich schlucke ich als Ostdeutsche, wenn ich mir vorstelle, dass der Aufenthalt draußen eingeschränkt wird und Menschen auf der Straße von der Polizei wieder nach ihrem Ausweis und nach dem Woher und Wohin gefragt werden. Aber ich weiß, dass heute unsere Verfassung die Basis unseres Handelns ist und der Rechtsstaat der Rahmen. Die demokratische Kontrolle ist eben nicht ausgesetzt. Deswegen freut es mich besonders, dass es uns noch gelungen ist, die Bundesregierung zu überzeugen, dass heute der Bundestag, das Parlament selbst, den Epidemiefall ausruft und nicht die Regierung. ({9}) Das ist übrigens kein Misstrauen, sondern es geht darum, dass wir zeigen können: Gerade auch in der Not funktioniert unsere Demokratie. Dieses Gesetz befristen wir gemeinsam, weil wir uns in ruhigen Zeiten noch einmal darüber beugen wollen. Gut so! Danke den Kolleginnen und Kollegen von der FDP, von der Linken und auch der Regierung für die Kooperation an dieser Stelle. ({10}) Meine Damen, meine Herren, es ist zu früh, Lehren aus der Krise zu ziehen. Aber schon jetzt ist klar: Dieses Virus, diese Pandemie, können wir nur gemeinsam bekämpfen. Die Auswirkungen der Covid-19-Krise bei unseren Nachbarn in Italien und Spanien sind schockierend, und die Nachrichten brechen mir – ich glaube, uns allen –, das Herz. Es beschämt mich als Europäerin, dass unsere erste Reaktion war, die Grenzen zu schließen. Es beschämt mich, dass die Hilfe anderer bei den europäischen Nachbarn schneller ankam als unsere. Gut, dass wir das jetzt korrigieren. Gut, dass jetzt in Krankenhäusern in Deutschland, in Baden-Württemberg, in Sachsen, in Nordrhein-Westfalen – andere Länder werden wohl folgen –, Patientinnen und Patienten aus diesen Ländern behandelt werden. ({11}) Wir müssen in dieser Krise jeden Tag auch das Gebot der Solidarität für unsere Nachbarn im Blick haben. Und es gibt Instrumente dafür: Der ESM oder auch die KfW wären Möglichkeiten, das hinzubekommen. Diese Krise werden wir nur europäisch gemeinsam bewältigen können. ({12}) Es ist an uns, zu zeigen, dass wir auch an andere denken, die so unendlich viel weniger haben, die der Krise kaum noch begegnen können: in Afrika, im Jemen, in Moria. Es kann uns nicht egal sein, auch denen zu helfen, die es selbst gar nicht können, meine Damen und Herren. ({13}) Diese Krise – Herr Brinkhaus hat das gezeigt – ist wie jede andere: Sie bringt entweder das Schlechteste oder das Beste hervor. Ich bin ganz froh, dass Toilettenpapierkäufe und Hamsterei nicht mehr das Bild dieser Krise ausmachen. Und vielleicht ist es auch zu früh, zuversichtlich zu sein. Aber das, was wir heute erleben, sind die guten Beispiele vom Anfang, die wir erweitern könnten, wahrscheinlich jede und jeder von uns: bei ihm zu Hause oder aus dem Netz. Meine Damen und Herren, wir könnten jetzt anfangen, uns zu separieren. Die einen bleiben zu Hause, und die anderen machen Party im Park. Abgesehen davon, dass Corona nicht nur Alte und Schwache trifft, das ist nicht meine Vorstellung von einer Gesellschaft. Das ist übrigens auch nicht meine Vorstellung davon, wie wir diese Krise bewältigen können und wie wir die Wirtschaft wieder auf gute Beine stellen können. Nach dieser Krise brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung von allen: mit Kraft, mit Fantasie, mit genügend Geld für Investitionen, für das, was notwendig ist, für Investitionen, die nachhaltig sind, ökologisch sinnvoll und übrigens auch europäisch. ({14}) Meine Damen und Herren, all das stellt uns vor riesige Herausforderungen. An uns hier und an die Menschen da draußen will ich sagen: Bleiben Sie zu Hause, und bleiben Sie behütet! Halten wir Abstand, und halten wir zusammen! Vielen Dank. ({15})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Dr. Rolf Mützenich. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es mag paradox klingen: In einer Zeit, in der Abstand der beste Schutz ist, müssen wir zusammenstehen. Nur gemeinsam können wir die Herausforderung meistern: im Land, aber auch hier im Deutschen Bundestag. Und ja, die Pandemie ist eine existenzielle Herausforderung für jeden, die Gesellschaft und die ganze Welt. Die Erkrankung trifft höchstwahrscheinlich einzelne Gruppen besonders, aber sie trifft jeden unterschiedslos und umfassend. Das ist die existenzielle Herausforderung, die die Gesellschaften, die Welt, aber auch jeder Einzelne nicht nur werden begreifen müssen, sondern auch werden meistern müssen. Deswegen will ich sagen: Ja, wir müssen zuerst all denen danken, die uns in dieser schweren Krise helfen: natürlich den Berufstätigen in den Gesundheits- und den Pflegeberufen, im Lebensmittelhandel, im Transportgewerbe. Und ja, sie werden heute als systemrelevant benannt. Aber ihr Lohn ist nicht so, wie wir ihn uns wünschen. ({0}) Deswegen ist es richtig, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer zumindest in einigen wenigen Bereichen den Tariflohn durch Einmalzahlungen erhöht haben. Aber jetzt kommt es eben darauf an: Wir brauchen in Zukunft bessere Tarife, und dafür muss auch dieser Deutsche Bundestag streiten, meine Damen und Herren. ({1}) Ich will zugleich sagen: Ich danke Nachbarn, Vereinsmitgliedern, Fremden, Mitarbeitern in den Verwaltungen, Rentnerinnen und Rentnern, Pensionären, die mit den Erfahrungen ihres Arbeitsplatzes jetzt zurückkehren und helfen wollen. Aber ich danke auch denen – auch an die muss man erinnern –, die eben heute nicht ihre Verwandten, ihre Angehörigen und ihre Freunde treffen können, weil sie zu weit weg sind. Leider gehört es zum Alltag heute auch dazu, dass Menschen von ihren verstorbenen Angehörigen alleine Abschied nehmen müssen und dies nicht in der Solidarität der Trauergemeinschaft tun können. Auch an diese Personen müssen wir erinnern. Das ist meine Anteilnahme, die ich heute hier vom Deutschen Bundestag aus zeigen möchte. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser vorrangiges Ziel ist es, Leben zu retten und gleichzeitig die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen halbwegs in Grenzen zu halten – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deswegen müssen wir die medizinische Versorgung und die staatlichen Hilfen, die die Bundesregierung zusammen mit den Fraktionen dieses Deutschen Bundestages entwickelt hat, auch für die nächsten Monate sichern. Möglicherweise reicht dies nicht aus. Wir müssen nachsteuern. Wir müssen auch schauen, was wir besser machen können. In der Tat: Wir werden Fehler machen. Aber es ist wichtig, dass jetzt Liquidität, Zuschüsse und Rechtssicherheit geschaffen werden, damit ein Schutzschirm über den Einzelnen, aber eben auch über die Gesellschaft ausgebreitet werden kann. ({3}) Aber das kann dieser Deutsche Bundestag nicht alleine machen. Deswegen ist es für mich motivierend, dass es einen Pilotabschluss in der Metallindustrie und in der Systemgastronomie gegeben hat, mit dem den Beschäftigten zusätzliche Leistungen zuerkannt werden, damit sie diese Krise, aber auch ihre Zukunft am Arbeitsplatz besser gestalten können. Das Kurzarbeitergeld wird aufgestockt. Deswegen fordere ich die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf: Gehen Sie auf die Gewerkschaften zu, und verhandeln Sie weitere Verträge, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgesichert sind. ({4}) Weil der Staat, meine Damen und Herren, 100 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge übernimmt, können die Unternehmen mindestens die Hälfte an ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterreichen. Das ist der beste Weg, um soziale Sicherung zu schaffen. ({5}) Meine Damen und Herren, später wird uns die Geschichte an unserem Verhalten in diesen entscheidenden Wochen weltweit messen. Dann wird wahrscheinlich eine der Ideen sein die Rückbesinnung auf den Staat, ja, auf den starken Staat, aber ich sage als Sozialdemokrat: insbesondere auf einen sozialen, auf einen demokratischen Staat. ({6}) Das ist immer unser Leitmotiv gewesen. Wir haben das in den Haushaltsdebatten in den vergangenen Jahren so gemacht. Aber ich will gleichzeitig auch sagen: Wir werden nicht alle Sorgen nehmen können. Die Menschen haben Sorgen um ihr Leben, um das ihrer Angehörigen. Aber ich kann versprechen, dass wir versuchen werden, die Folgen der Krise so gut wie möglich einzuhegen und zu mildern. Deswegen bin ich auch den Oppositionsfraktionen dankbar, dass wir dies in den vergangenen Tagen gemeinsam schaffen konnten. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wie das Virus unterschiedliche Teile der ganzen Welt trifft, so unterschiedlich sind leider auch die Reaktionen. Grob gesagt: Es gibt zwei Gruppen. Es gibt diejenigen, die handeln und nicht danach fragen, woher was kommt. Aber es gibt eben auch diejenigen, die zwar handeln, die manches kleinreden, aber vor allem auf andere zeigen. Ich bin froh, in einem Land, in einem politischen System zu leben, in dem eben nicht andere verantwortlich gemacht werden, in dem wir nicht nach Schuldigen suchen, sondern in dem wir versuchen, der Herausforderung gerecht zu werden. Das macht Deutschland, das macht das Nachkriegsdeutschland innerhalb der Europäischen Union aus. ({8}) Deswegen müssen wir offene Worte an die richten, die zum Beispiel wie der ungarische Ministerpräsident Orban von der „Italienischen Krankheit“ oder wie Herr Trump vom „Wuhan-Virus“ sprechen. Das ist peinlich; das geht nicht unter Demokraten und schon gar nicht innerhalb der Europäischen Union. ({9}) Genau deswegen bin ich nicht nur denen dankbar, die Solidarität üben, sondern ich bin auch dankbar, dass wir jetzt erkrankte Menschen aus Italien in den Krankenhäusern in Leipzig aufgenommen haben, dass wir grenznahe Krankenhäuser geöffnet haben und dass wir Italien, aber letztlich auch Spanien diese Solidarität geben. Aber das zeigt dann eben auch für die Zukunft: Wir müssen die Institutionen, die sich um Zusammenarbeit bemühen, unterstützen und dürfen ihnen nicht die Mitgliedsbeiträge vorenthalten, wie es einige tun, wenn es um die Vereinten Nationen geht. Die Weltgesundheitsorganisation ist die Institution, die am besten helfen kann, uns durch diese Krise zu leiten. Deswegen bin ich froh, dass wir Teil dieser Weltgemeinschaft sind. ({10}) Und ja, wenn die existenziellen Herausforderungen so sind, wie wir sie beschrieben haben, so ist die Verbreitung des Virus natürlich auch ein Tribut an die Verdichtung von Räumen und Prozessen. 25 Jahre hat es im Mittelalter gedauert, bis die Pest nach Europa gekommen ist. Heute kam die Krankheit innerhalb von 25 Tagen. Arbeit, Handel, Bewegung, Reisen –, das hat natürlich mit dazu beigetragen. Wir werden das nicht zurückschrauben können. Im Gegenteil: Ich glaube, dass wir nicht an der Globalisierung zweifeln dürfen, sondern wir müssen alles dafür tun, dass die Globalisierung gestaltet wird, dass die internationale Arbeitsteilung und natürlich auch die Lieferketten überdacht werden. Insbesondere in ganz wichtigen Bereichen müssen sich die Unternehmen fragen, ob das, was sie in den vergangen Jahren gemacht haben, heute noch das Richtige ist. Ich sage auch: Auch der Staat muss mit dem Ordnungsrecht dann nacharbeiten, wenn wir bestimmte Bereiche eben nicht so sichern können, wie es für das Überleben der Menschen notwendig ist. Ich denke an Arzneimittel, die Produktion von Schutzmasken und vieles andere auch. Meine Damen und Herren, nicht jeden Preis der Globalisierung dürfen wir zahlen. ({11}) Ich möchte zum Abschluss sagen: Ja, es wird eine Zeit nach der Pandemie geben; aber dann wird es auf die Schlussfolgerungen ankommen. Wir haben in den vergangen Tagen schon Schwachpunkte entdecken müssen, insbesondere wenn es um die Digitalisierung geht, um die Zuverlässigkeit, um die Frage, ob wir im Bildungsbereich und in vielen anderen Bereichen ausreichend investiert haben. – Nein, wir müssen mehr investieren, gerade in Menschen und Infrastruktur. Ich glaube, meine Damen und Herren, das kann der Staat tun. Das sind die Herausforderungen, die ich in Zukunft sehe. Ich will auch sagen: Es müssen sich die Beteiligten die Frage stellen, ob es der richtige Weg ist, wie sie die moderne Arbeitswelt begleiten wollen. Natürlich müssen wir jetzt den Solo-Selbstständigen helfen. Aber ich will auch daran erinnern: Vielleicht gibt es Lehren aus der Vergangenheit, zum Beispiel aus der Arbeiterbewegung, die sich damals in einem Genossenschaftswesen in Solidarität zusammengeschlossen hat, daraus, dass man sich gegenseitig geholfen hat. Wir müssen die jetzigen Folgen bewältigen, aber dürfen nicht nachlassen, das zu tun, was in Zukunft notwendig ist. Deswegen werden wir mit voller Konzentration und Überzeugung auch in den kommenden Wochen unsere Verantwortung wahrnehmen. Das tun wir vor dem Hintergrund unserer Geschichte und für unser Land. Bleiben Sie gesund! ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Boehringer, AfD. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheit der Menschen hat immer Priorität. Die AfD hat medizinisch derzeit keine besseren gesicherten Erkenntnisse als die der Berater der Bundesregierung. ({0}) Wir unterstützen daher Maßnahmen der unmittelbaren Existenz- und Gesundheitsfürsorge, etwa die Milliardensummen für die Krankenhäuser und Kleinunternehmer, sowie Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Pandemie. Coronapatienten in Krankenhäusern oder heute noch Gesunde, die aber morgen Coronapatienten sein könnten, müssen sich also keine Sorgen machen, dass ihre Behandlung am Geld scheitert, etwa für Schutzausrüstung oder Beatmungsgeräte. ({1}) Zugleich sind aber viele der heute von der Bundesregierung vorgeschlagenen Shutdown-Maßnahmen nicht mehr nur einschneidend, sondern in der Nachkriegszeit präzedenzlos – Minister Scholz hat das ja mehr oder weniger auch bestätigt –, und schon nach wenigen Wochen sind diese Maßnahmen ihrerseits für viele Menschen existenzgefährdend. Es geht hier explizit nicht um das völlig unbestrittene und erforderliche Unterbinden von gefährlichen Coronapartys. Auch die temporäre Minimierung der Sozialkontakte – so hart das auch ist – wird von der AfD derzeit mitgetragen. Doch wir müssen weiterdenken. Ein ganzes Land in Stillstand zu versetzen, führt schon nach kurzer Zeit für viele Menschen und Unternehmen zu zum Teil irreversiblen Folgewirkungen: psychischen Belastungen durch Freiheitsbeschränkungen, Betriebsschließungen, finanziellen Notlagen durch Entlassungen, von Eingriffen in Bürgerrechte und Eigentum ganz zu schweigen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass staatliche Gelder, also Steuergelder der Gesellschaft selbst, auch nur annähernd ausreichen könnten, die derzeit fast völlig unterbundene Wertschöpfung des Privatsektors zu ersetzen. ({2}) Die deutschen Unternehmen erwirtschaften Werte in Höhe von dreieinhalb Billionen Euro pro Jahr, also jeden Monat 300 Milliarden. Der Staat könnte selbst die Hälfte davon mit dem heute vorliegenden gewaltigen Maßnahmenpaket noch nicht einmal für sechs Monate ersetzen. Darum: Ja, heute muss sich alles noch den medizinischen Notwendigkeiten unterordnen. Doch die Maßnahmen müssen angesichts der horrenden finanziellen, psychischen und gesellschaftlichen Folgen des aktuellen Stillstands in sehr kurzen Abständen immer neu hinterfragt werden, ({3}) durch uns, den Gesetzgeber, auf Basis eines sich ständig ändernden Erkenntnisstandes, etwa zur Entwicklung von Impfstoffen oder zu hoffentlich bald zurückgehenden Fallzahlen. Einige Entwicklungen im Ausland lassen ja hier etwas hoffen. Daher bitte ich Sie inständig, unserem Generalantrag zur heutigen Debatte auf enge zeitliche Befristung vieler Maßnahmen im Interesse Deutschlands zuzustimmen. In drei bis vier Wochen wird die erste Spitze – ich betone: die erste Spitze – der Coronapandemie vorüber sein. Die seit einigen Tagen nach langem Zögern der Regierung nun verfügten Maßnahmen des Shutdowns und der Grenzschließungen werden natürlich greifen. Die Intensivstationen werden dann das Schlimmste hinter sich haben. ({4}) Übrigens machen unsere Ärztinnen und Ärzte, Pfleger und Krankenhausschwestern einen exzellenten Job, sodass es bislang in Deutschland erheblich weniger Tote gibt als prognostiziert. Dafür von hier aus vielen herzlichen Dank! ({5}) Die Coronakrise wird dann im April zwar leider noch nicht überwunden sein; trotzdem wird bei laufenden volkswirtschaftlichen Schäden von über 50 Milliarden Euro pro Woche ein langsames Wiederhochfahren des Landes unumgänglich sein. Unser Antrag schafft die Voraussetzung dafür, dass der Bundestag dem Land diese meines Erachtens lebensnotwendige Option erhält. Sie ist ebenso lebensnotwendig wie die direkten Maßnahmen gegen Corona. ({6}) Die Alternative für Deutschland nimmt somit heute ihre Verantwortung in Zeiten der Pandemie wahr. Doch wir fordern unbedingt eine zeitliche Begrenzung und Überprüfung der heutigen coronabedingten Eilmaßnahmen je nach Änderung der Lage. ({7}) Der Bundestag soll sich bis zur Überwindung dieser Gesundheitskrise regelmäßig damit beschäftigen, ob und welche Maßnahmen noch absolut zwingend sind und wie der Gesamtplan und der Ausstiegsplan der Bundesregierung aussieht, den das vorliegende Gesetzespaket nicht ansatzweise darstellt. ({8}) Die AfD lässt die Menschen nicht im Stich, weder die Alten und Kranken in den Intensivbetten noch die Kurzarbeiter noch die Arbeitslosen in den derzeit geschlossenen Betrieben. Wir tragen die Maßnahmen mit; teilweise haben wir sie schon mitgetragen. Aber die Regierungshybris der totalen Steuerung und Finanzierung der ganzen Gesellschaft durch einen allgewaltigen Staat ist schon in normalen Zeiten verfehlt, bei der Coronakrise erst recht. ({9}) Dauerhaft kann nur eine wieder anlaufende Privatwirtschaft die Summen erwirtschaften, die man für eine optimale Gesundheitsversorgung der Menschen benötigt. Von nichts kommt nichts. Strom kommt nicht aus der Steckdose, und staatliche Hilfsgelder kommen real nicht aus einem KfW-Kreditschöpfungsprozess, ({10}) sondern just von den Steuern ebenjener Menschen, die ja selbst eigentlich mit diesem Geld gesund erhalten werden sollen. Man kann sich nicht dauerhaft aus einer Krise drucken. Das Land selbst muss wieder ins Wirtschaften kommen, nach unserer Rechnung spätestens nach drei Monaten, wenigstens langsam. Das deckt sich übrigens auch mit den Schätzungen des Sachverständigenrats der Bundesregierung selbst, von dem irgendwie heute in dieser Debatte noch keine Rede war. Auf Dauer ist nur eine halbwegs vermögende und freie Gesellschaft auch eine gesunde Gesellschaft. ({11}) Überschuldete, verarmte Länder waren überall in der Welt und in der Geschichte auch gesundheitlich angeschlagene Länder mit geringer Lebensdauer der Menschen. Die Kollateralschäden des jetzigen Shutdown-Zustands werden schon in wenigen Wochen untragbar für die Wirtschaft und unerträglich für die Menschen werden. Stimmen Sie darum bitte unseren Anträgen auf enge Befristung und regelmäßige Überprüfung der vorgeschlagenen Maßnahmen zu! Vielen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise wird tiefe Spuren bei Wirtschaft und Gesellschaft in unserem Land und in Europa hinterlassen. Dabei ist es unsere Aufgabe, alles dafür zu tun, dass wir die Folgen im medizinischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich mildern. Dabei wird sich nicht alles verhindern lassen, und es wird sich auch nicht jedes Problem lösen lassen. Aber wir werden alle Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen. Wir haben die Kraft, in diesem Land solidarisch zusammenzustehen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist dieses Gesetzespaket, das wir heute verabschieden, der größte Solidarpakt unserer Gemeinschaft seit der deutschen Wiedervereinigung. ({0}) Der Blick, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, heute hier in den Plenarsaal in Kombination mit dem Blick auf das Gesetzespaket, das wir verabschieden, gibt den Eindruck unserer Situation ziemlich genau wieder. Wir gehen in diesen Tagen auf Abstand – man kann es hier sehen –, aber Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stehen eng zusammen. Das ist der Auftrag aus diesem Gesetzespaket. Meine Damen und Herren, wir nehmen diese Krise, die wir uns nicht ausgesucht haben, in all ihrer Härte an und werden sie mit aller Kraft bekämpfen. ({1}) In Krisensituationen – wir haben ja in der Vergangenheit schon einige hinter uns gebracht – wird immer gerne über die Systemrelevanz gesprochen. Und gerade erleben wir jeden Tag, was Systemrelevanz in unserem ganzen Land vor Ort bedeutet. Es sind die Menschen in ihren Berufen, es sind die Krankenschwestern, die Ärzte, die Kräfte in den Supermärkten, die Polizistinnen und viele mehr. Meine Damen und Herren, wenn unser ganzes Land runterfährt, müssen diese Menschen richtig rauffahren. Es kommt deswegen jetzt mehr denn je auf diese Menschen an; das ist hier heute schon mehrmals erwähnt worden. Ich hoffe nur, dass diese Erkenntnis auch über die Krise hinweg andauert, meine Damen und Herren. Danke schön an alle, die hier ihre Arbeit leisten! ({2}) Klar ist aber auch: Genauso wie diese Menschen ihren hohen Einsatz erbringen, muss die Politik ihrer Verantwortung nachkommen. Deswegen kommt der Bundestag auch hier zusammen. Wir zeigen: Wir sind handlungsfähig und auch in schwierigen Zeiten gemeinsam mit der Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu treffen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch meinen Dank zum Ausdruck bringen. Wir haben in den letzten Tagen intensive Beratungen zwischen dem Parlament, den Fraktionen, und der Bundesregierung gehabt. Ein ausdrücklicher Dank geht hier an die Frau Bundeskanzlerin, und ein ausdrücklicher Dank geht auch an den Bundesfinanzminister, den Bundesgesundheitsminister, den Bundesinnenminister und den Bundeswirtschaftsminister. Wir haben in schwierigsten Zeiten unter schweren Bedingungen gezeigt, dass wir gemeinsam in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen und auch über die eine oder andere ideologische Schwelle zu treten – im Sinne einer gemeinschaftlich guten Entscheidung. Herzlichen Dank auch an die Opposition an dieser Stelle! ({3}) Die Coronapandemie ist nicht nur eine enorme gesundheitliche Herausforderung, sie ist auch ein Stresstest für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft. Wir kennen es eben aus den Krisen der Vergangenheit – der Immobilienkrise in den USA, der Bankenkrise auf der ganzen Welt, der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum –, dass man enger zusammenrücken muss. Wir haben aus diesen Krisen in der Vergangenheit natürlich auch gelernt. Wir haben unser Land sicher durch diese Krisen geführt. Der Unterschied zwischen den Krisen der Vergangenheit und dieser Krise ist allerdings, dass die Immobilien-, die Banken- oder die Euro-Krise die Möglichkeit bzw. das Risiko in sich bargen, dass andere Sektoren mitbetroffen werden; die Krisensituation war aber sektorspezifisch. Das Coronavirus heute betrifft bereits jetzt unsere Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes. Deswegen ist es ein außergewöhnlicher Zustand. Wir müssen bereit sein, uns in einer außergewöhnlichen Krise auch für außergewöhnliche Maßnahmen zu entscheiden. Und es ist eine außergewöhnliche Maßnahme, meine Damen und Herren, wenn man ein historisches Paket in Höhe von 1 400 Milliarden Euro schnürt. Das ist die Gesamtsumme aller Maßnahmen – an Krediten, an Garantien, an Schutzmaßnahmen –, über die wir heute gemeinsam hier entscheiden. Es geht um drei starke Schutzschirme: ein Schutzschirm für das Gesundheitssystem, ein Schutzschirm für die Wirtschaft und ein Schutzschirm für die Bürger privat und in der Arbeit. Meine Damen und Herren, es gibt sehr viele Länder, die sich genau solche Schutzschirme aktuell nicht werden leisten können. Wir können uns das leisten, weil wir in der Vergangenheit solide gewirtschaftet, solide gehaushaltet haben, weil wir in der Vergangenheit darauf geachtet haben, dass wir keine neuen Schulden anhäufen. Deswegen können wir jetzt mit diesem großen Maßnahmenpaket gegen die Krise ankämpfen, meine Damen und Herren. ({4}) Wir investieren in unsere Krankenhäuser jetzt mit einem großen Paket. Das ist eine der aktuell wichtigsten Maßnahmen. Wenn man in unsere Nachbarländer schaut, wenn man nach Italien schaut, dann tut es einem im Herzen weh, wenn man sieht, dass nicht genügend Betten, nicht genügend Intensivstationen zur Verfügung stehen. Wir stützen die Wirtschaft, weil Wirtschaften immer bedeutet, zusammenzukommen. Wirtschaft bringt Menschen zusammen, sowohl in der Freizeit als auch in der Produktion als auch durch Dienstleistungen. Vieles davon ist aktuell nicht mehr möglich. Deswegen brauchen wir diesen Schutzschirm für unsere Wirtschaft. Wir brauchen ihn mit Direkthilfen, mit Liquiditätskrediten und übrigens auch mit der Möglichkeit staatlicher Beteiligung an Unternehmen. Meine Damen und Herren, deswegen auch an dieser Stelle der Hinweis: Angesichts all dessen, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten über Produktion, über Mangel, über Nichtverfügbarkeit von wichtigsten Elementen, von Medikamenten, von medizinischen Produkten gelernt haben, werden wir uns auch darüber unterhalten müssen, wie wir die Produktion von kritischen Gütern wieder nach Deutschland und Europa zurückholen. Es ist falsch, dass nur eine Region auf der Welt für wichtigste Produktionsgüter für uns zuständig ist, meine Damen und Herren. ({5}) Und ja, wir werden eine Ausnahme bei der Schuldenbremse machen. Wir haben das intensiv beraten. Herr Finanzminister, Sie haben dabei unsere Unterstützung. Wir wissen, dass das keine ganz einfache Aufgabe ist. Und deswegen ist damit auch die zwingende Vereinbarung verbunden, wie die 100 Milliarden Euro zurückgezahlt werden. Aber es ist jetzt ein notwendiger Schritt, den wir auch gemeinsam gehen, weil wir maximalen Einsatz zum Schutz unserer Bürger erreichen müssen. Meine Damen und Herren, dieser große Solidaritätspakt heute ist kein Schlussstrich. Er ist ein Signal, ein Signal für Solidarität, weil Solidarität keine Einzelfallentscheidung, sondern eine Haltung ist. Und deswegen werden wir hier auch, wenn notwendig, gemeinsam über weitere Maßnahmen beraten und entscheiden. Es liegt eine große Wegstrecke vor uns. Bleiben Sie gesund, und Gottes Segen für Sie alle! ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Covid-19-Epidemie verändert unser aller Alltag, unser Privat- und unser Arbeitsleben. Wir erleben tiefe Einschnitte in die bürgerlichen Freiheiten. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Daran gibt es andererseits auch nichts zu dramatisieren. Die Bürgerinnen und Bürger schätzen die Freiheit in unserem Land, sind aber auch bereit, aus guten Gründen eine Zeit lang auf Freiheit zu verzichten. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir immer wieder gut und transparent erklären und herleiten, was wir warum tun. Die Bereitschaft, mitzuhelfen, ist gerade enorm. Die übergroße Mehrheit der Deutschen bleibt so oft wie möglich zu Hause. Diese Disziplin und dieses Verantwortungsgefühl retten jetzt Leben. Auch die Solidarität mit allen, die täglich für uns im Einsatz sind, ist groß. Wir alle wissen, wie viel die Frauen und Männer in den Krankenhäusern, den Praxen, den Supermärkten, den Versorgungsbetrieben, den Behörden und an vielen anderen Stellen gerade leisten. ({0}) Dafür können wir danken. Ich selbst habe wie viele andere miterlebt, wie sich Patientinnen und Patienten und Kunden bei denen bedanken, die jetzt für sie da sind. Das freut mich; denn es zeigt: Wir kämpfen als Gesellschaft gerade sehr entschlossen und geschlossen gegen Corona. Wir alle spüren wieder stärker, dass wir einander brauchen, weil das eine Herausforderung ist, die wir nur zusammen meistern können. Wenn wir in dieser Krise ein neues Wir-Gefühl entwickeln, wird uns das auch für die Zukunft stärken; denn es wird eine Zeit nach Corona geben. Bei allem täglichen Krisenmanagement ist es wichtig, auch das im Blick zu haben. Jetzt geht es darum, gemeinsam diese Krise zu bewältigen. Dafür war es wichtig, dass Bund und Länder entschieden gehandelt haben. Je entschlossener wir jetzt vorgehen, desto schneller können wir zurück in den Alltag finden. Die Zeit, die wir jetzt gewinnen, schützt unser Gesundheitssystem vor Überlastung und Überforderung. Wir nutzen diese Zeit, um Konzepte nicht nur zu entwickeln, sondern auch ihre Umsetzung vorzubereiten, wie wir schrittweise Beschränkungen wieder aufheben können, wenn wir mit verschiedenen anderen Maßnahmen tatsächlich die Verlangsamung der Verbreitung des Virus in der Zukunft sicherstellen können und besondere Gruppen schützen können. Wir nutzen die Zeit, um Intensivkapazitäten im Land zu verdoppeln, gemeinsam mit den Ländern und den Krankenhäusern. Wir nutzen die Zeit, indem Kliniken planbare Eingriffe verschieben und dadurch Freiräume gewinnen, um sich auf das vorzubereiten, was kommen kann. All diese Maßnahmen kosten Geld, und für all diese Maßnahmen brauchen die Kliniken finanzielle Sicherheit. Deshalb haben wir im Kabinett beschlossen, die Kliniken zu entlasten: durch Pauschalen für freie Betten, durch zusätzliches Geld für die Pflege, vor allem durch Liquidität, die sie jetzt schnell brauchen, und finanzielle Unterstützung in Form eines Zuschusses für Intensivbetten. Und wir werden das Infektionsschutzgesetz erweitern. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Als zweite Maßnahme haben wir im Kabinett beschlossen, das Infektionsschutzgesetz zu erweitern und zu präzisieren. Wir erleben, dass der Föderalismus auch in dieser Krise seine Stärke zeigt. Die Entscheidungen dauern vielleicht manchmal etwas länger, werden dann aber in der Fläche durch 16 Regierungen und die vielen Kommunen effektiv umgesetzt. Deshalb sollen die Kompetenzen der Länder nicht beschnitten werden. Vielmehr wollen wir dem Bund in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite zusätzliche Handlungsmöglichkeiten geben, und zwar dort, wo es sinnvoll ist, und zunächst auf ein Jahr begrenzt. Denn wir erleben ja, dass es in einer Lage wie dieser, die das ganze Land betrifft, schnelle und landesweit einheitliche Entscheidungen braucht. Das ersetzt die immense Arbeit nicht, die Länder und Kommunen gerade leisten; es ergänzt sie. Wir alle wissen, dass wir diese Krise nur deshalb bewältigen können, weil überall in unserem Land unzählige Krisenmanagerinnen und ‑manager vor Ort im Einsatz sind. Ihnen allen, in den Städten und Gemeinden, möchte ich hier ausdrücklich Danke sagen. Achten wir einander, und geben wir aufeinander acht! ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Andreas Jung, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, ich habe es als zutiefst bewegend empfunden, als wir zu Beginn der Debatte bei Ihren Worten gemeinsam im Bundestag aufgestanden sind. Wir haben uns damit symbolisch vor all jenen verneigt, die in dieser ernsten Situation in unserem Land das Land am Laufen halten, die sich um ihre Mitmenschen kümmern. Und wir sagen gemeinsam: Danke, dass ihr da seid! ({0}) Wir haben gemeinsam unser Mitgefühl für die Angehörigen der Verstorbenen zum Ausdruck gebracht, und wir sind gemeinsam sorgsam und aufmerksam bezüglich dessen, was in unserem Land passiert. Es wird deutlich: Es ist keine normale Debatte, so wie es eben eine ganz außergewöhnliche Situation in unserem Land ist. Ich will es so sagen: Es trifft uns ins Herz, wenn wir erleben, wie Kinder weinen, weil sie nicht mit ihren Freunden spielen können, wenn Großeltern ihre Enkel nicht sehen können, wenn wir mitten in Europa wieder Grenzen zu unseren Partnern in Regionen haben, deren Einwohner miteinander und gemeinsam leben, wenn Mitarbeiter und Unternehmen verzweifelt sind, weil keine Arbeit da ist und alles stillsteht, wenn wir erleben, wie vieles dessen, was unser Leben im Kern ausmacht, derzeit einfach abgesagt ist: Gesellschaft, Geselligkeit, Kultur, Sport, Begegnung und Austausch. Es trifft uns ins Mark. Wir hätten uns das nicht vorstellen können. Aber diese Maßnahmen sind richtig, sie sind notwendig, weil es um Menschenleben geht, weil es um Gesundheit geht. Das ist jetzt das Gebot der Stunde. Deshalb müssen andere Dinge zurückstehen. Wahr ist auch: Die Auswirkungen sind dramatisch, im sozialen, im wirtschaftlichen Bereich, in unserem ganzen Land. Die Menschen sind in allen Kreisen, in jeder Gemeinde betroffen. Es sind kleine, mittlere, große Betriebe, Konzerne gleichermaßen betroffen. Deshalb müssen wir jetzt handeln, und deshalb handeln wir. Weil es um Menschenleben, weil es um Gesundheit und weil es um Existenzen geht, verschulden wir uns jetzt. Deshalb aktivieren wir jetzt erstmals den Notfallplan der Schuldenbremse. Genau für diese Situation ist er da. Das ist die dramatische Notsituation, die man seinerzeit im Auge hatte. Deshalb verschulden wir uns jetzt, und es ist richtig. Ich bin dankbar, dass wir es jetzt mit so einem breiten Konsens und in gutem Geiste in diesem Haus tun können. ({1}) Ich will zwei Dinge dazusagen. Erstens. Weil wir alle gemeinsam in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben – die Menschen, die Betriebe, die Unternehmen, aber auch wir, die wir vernünftig mit dem Geld umgegangen sind –, haben wir jetzt die Kraft, um in dieser Krise entschieden zu handeln. Zweitens. Wir kommen wieder. Eine Ausnahme von der Schuldenbremse geht nur mit einem Tilgungsplan. Dieser Tilgungsplan ist ein Nachhaltigkeitsversprechen. Er ist das Versprechen an unsere Kinder und Enkel: Wir werden diese Schulden zurückbezahlen. Wenn es wieder losgeht, wenn die Krise vorbei ist, wenn in den Schulen, auf unseren Plätzen, in den Betrieben, in den Unternehmen wieder Leben in der Bude ist, wenn es wieder summt und brummt, dann werden wir diesen Tag heute nicht vergessen. Unser Versprechen lautet: Wir werden es zurückbezahlen, weil beides zusammengehört, das entschlossene Handeln heute, aber auch die Verantwortung für morgen. Beidem werden wir gerecht. Ich bin dankbar, dass wir es in diesem guten Geiste gemeinsam tun können. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. ({0})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach zehn guten Jahren mit Wachstum und mit Rekordbeschäftigung sind wir, was unsere Volkswirtschaft angeht, in schwerem Wasser. Die Pandemie ist eine Herausforderung nicht nur für unser Gesundheitssystem. Sie betrifft nicht nur die Gesundheit und die Sorgen von 83 Millionen Menschen in Deutschland und Milliarden Menschen weltweit. Nein, sie hat auch dazu geführt, dass in diesem Jahr unsere Wirtschaft nicht wachsen, sondern schrumpfen wird, dass viele einen Preis dafür zahlen: durch weniger Verdienst, weniger Einnahmen, weniger Wohlstand. In dieser Situation bewähren sich unser gesellschaftlicher Zusammenhalt und unsere staatlichen Strukturen. Aber es ist eben auch eine Bewährungsprobe für das, was unser Land großgemacht hat: nämlich unser System der sozialen Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft ist deshalb so genial, weil sie die freie Entfaltung des Unternehmertums ganz obenan stellt, aber die Schwachen und diejenigen, die Hilfe brauchen, niemals alleine und im Stich lässt. ({0}) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich sehr dankbar, dass wir für einen Augenblick ideologische Debatten ausgeblendet haben, dass wir über Parteigrenzen hinweg erkannt haben, dass die Verlängerung und die Verbesserung von Kurzarbeit eben eine Maßnahme ist, die nicht nur der Wirtschaft oder den Arbeitnehmern nutzt, sondern allen gemeinsam. Sie erhält Arbeitsplätze; sie erhält Betriebe; sie ermöglicht es, die Durststrecken zu überwinden. Wenn wir Steuern stunden, dann helfen wir damit nicht nur Unternehmen, dass sie überleben können, sondern wir helfen diesen Unternehmen auch, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterzubeschäftigen. Wenn wir Kreditlinien einräumen und Garantien geben, dann tragen wir dazu bei, dass die Pandemie am Ende nicht Strukturen zerstört, die über 70 Jahre gewachsen sind, die die Einzigartigkeit unseres Landes wirtschaftlich, aber auch sozial und kulturell prägen und ausmachen. Deshalb war es mir wichtig, dass wir zu Anfang und zuerst auch über die Hilfe für die Kleinen und die Schutzlosen gesprochen haben, für die, die keinen Zugang zu großen Kreditlinien haben, für die, die nicht die großen Rücklagen haben, aber die für unser Leben und für den Erfolg unserer Marktwirtschaft so wichtig sind. 3 Millionen Solo-Selbstständige, Handwerker, Freiberufler schaffen Arbeit für 10 Millionen Menschen in Deutschland. Deshalb war es richtig, dass der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister der Bundesregierung vorgeschlagen haben, einen Schutzschirm von 50 Milliarden Euro zu etablieren. Es ist jetzt wichtig, dass wir dies auch umsetzen, schnell und unbürokratisch. Zur Stunde diskutieren wir mit den Bundesländern gemeinsam über die Frage, wie das gehen kann. In der nächsten Woche werden für die allermeisten, die Gewerbe- und Büroräume gemietet haben, Mietzahlungen fällig. Wir wollen, dass die Banken, die Sparkassen, die Vermieter wissen, dass durch unseren Schutzschirm, den wir aufgespannt haben, sichergestellt ist, dass diese Mieten bezahlt werden. Und ja, es ist unser Ehrgeiz, dass vor dem 1. April die ersten Zahlungen bei den betroffenen Unternehmen ankommen und die Handlungsfähigkeit des Staates sich auch in dieser schwierigen Situation bewährt. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben sicherlich nur einen ersten Schritt gemacht. Wir werden auch Fehler gemacht haben. Wir werden vielleicht einiges korrigieren müssen. Aber wir dürfen nicht nachlassen in unserer Entschlossenheit und Entschiedenheit, die soziale Marktwirtschaft für die Zukunft zu erhalten. Die Wirtschaftssachverständigen, alle wesentlichen Ökonomen, mit denen ich gestern eine spannende Telefonkonferenz geführt habe, sagen uns und bestärken uns darin, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wenn wir jetzt richtig und besonnen handeln, werden wir auch wirtschaftlich stärker aus dieser Krise hervorgehen, als wir in diese Krise hineingegangen sind. Unser Ziel muss darin bestehen, dass die Marktwirtschaft diese Bewährungsprobe mit Bravour besteht. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Be fast, have no regrets“: Das ist die Maßgabe der Weltgesundheitsorganisation, wenn es um die Frage geht, wie wir es schaffen können, die Ausbreitung von Covid-19 wirksam zu begrenzen und in ihren Wirkungen zu ordnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat in den vergangenen Tagen gezeigt, dass wir als Staat, als Gesellschaft in der Lage sind, auf diese nie da gewesene Herausforderung angemessen zu reagieren. Wenn unser Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus vorhin gesagt hat: „Jetzt ist die Stunde, zu handeln“, dann trifft es den Nagel auf den Kopf. Es gibt Situationen, da muss man vielleicht auch Entscheidungen treffen, deren Wirkung man nicht bis zum langen Ende bedenken und sehen kann. Aber man muss Entscheidungen treffen, um in der Situation die größte Not zu bekämpfen. Genau das tut die Bundesregierung nicht nur mit dem Gesetzespaket, das heute in den Bundestag eingebracht wird, sondern auch mit vielen untergesetzlichen Maßnahmen, die in den vergangenen Tagen auf den Weg gebracht worden sind. Ich will ein Weiteres sagen: Ich finde, dass diese Krise in den letzten Tagen auch gezeigt hat, dass der Föderalismus bei uns in Deutschland, dass die Subsidiarität, die wir leben, in der Tat kein Nachteil, sondern ein Vorteil ist; wir erleben das an ganz vielen Stellen. Und ich halte es für falsch, wenn man von „Flickenteppichen“ spricht und so tut, als wäre alles, was nicht einheitlich ist, nicht gut. Das Gegenteil ist der Fall. ({0}) Wir haben schnelle Maßnahmen gesehen, beispielsweise als es um Grenzkontrollen gegangen ist. Da ist die Initiative nicht vom Bund ausgegangen, sondern von den Ländern, die am stärksten betroffen waren: Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und auch Schleswig-Holstein. Das sind die Länder, die dort vorangegangen sind, und deshalb haben wir diese Maßnahmen getroffen – mit unterschiedlicher Intensität. Liebe Frau Göring-Eckardt, ich finde, da muss man überhaupt nicht beschämt sein, wenn wir über Grenzkontrollen – Binnengrenzkontrollen – in Europa sprechen. Das ist eine zwingende Notwendigkeit zur Eindämmung der Pandemie; deswegen ist es notwendig, und deswegen ist es auch notwendig gewesen, dass diese Entscheidung schnell getroffen worden ist. ({1}) Es geht um Gesundheitsschutz, nicht um Abschottung. Das ist das Wichtige, und das ist das Entscheidende. Deswegen muss diese Regel unter Aufrechterhaltung des freien Warenverkehrs auch für alle und jeden gelten; das ist uns an dieser Stelle wichtig. Ich will auf einen Aspekt eingehen, der hier in der Debatte bereits thematisiert wurde, weil er in der Tat sehr schwerwiegend ist. Wir haben nachher ein großes Paket hier im Bundestag zu behandeln: Da geht es um Fragen des Insolvenzrechts, des Gesellschaftsrechts, der Strafprozessordnung und des Zivilrechts. Gerade bei den Regelungen zum Zivilrecht muss man eindeutig sagen: Ja, das ist ein tiefer Einschnitt in unsere ordnungspolitischen Prinzipien, in die Privatautonomie und deshalb mit größter Vorsicht vorzunehmen. Aber es ist in der Tat eine Situation, in der man handeln muss, in der man die Probleme, die beispielsweise bei Dauerschuldverhältnissen im Mietrecht, im Darlehensrecht auftreten, jetzt adressieren muss, um damit vielleicht auch eine Phase zu überbrücken, die man mit staatlichen Leistungen nicht schnell genug schließen kann. Deshalb ist es richtig, da so etwas wie ein Moratorium einzubauen, das Zeit verschafft, das all denen Zeit verschafft, die jetzt mit vielfältigen Problemen in unserer Gesellschaft konfrontiert sind. Dafür spannen wir auch einen rechtlichen Schutzschirm auf. Ich halte das für richtig. Genauso richtig ist es, dass wir das zeitlich eng begrenzen, nämlich auf die nächsten drei Monate. Es ist ein tiefer Einschnitt in die Privatautonomie. Es ist richtig, weil es notwendig ist, und es ist genauso wichtig, es zeitlich auf das unmittelbar Notwendige zu begrenzen. In diesem Sinne, glaube ich, ist es der Bundesregierung in wenigen Tagen auch mit Unterstützung des ganzen Parlamentes gelungen, einen klugen Weg in die nächsten Wochen und Monate zu zeichnen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Thomas Seitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004891, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank für die Zulassung dieser Erklärung. – Das Quorum für die Beschlussfähigkeit des Bundestages soll von der Hälfte der Abgeordneten auf ein Viertel halbiert und Sonderregelungen für die Ausschussarbeit sollen eingeführt werden. Diese Regelungen können wir als Alternative für Deutschland inhaltlich mittragen; denn es kann als Folge der Pandemie durchaus passieren, dass medizinische Gründe zeitweilig mehr als die Hälfte der Abgeordneten an einer Wahrnehmung ihres Mandats hindern. Es muss aber die Frage gestellt werden, wie lange diese Sonderregelungen gelten dürfen, insbesondere im Hinblick auf das Quorum zur Beschlussfähigkeit. Meine Fraktion hat auf eine Debatte zu diesem Punkt verzichtet, weil in den Gesprächen mit dem Herrn Präsidenten eine Befristung der Sonderregelung zur Beschlussfähigkeit bis Ende Mai vorgesehen war. Einen solchen überschaubaren Zeitpunkt hielten wir für angemessen, und bei fortbestehendem Bedarf stellt es kein Problem dar, die Geltungsdauer der Vorschrift rechtzeitig zu verlängern. Das geht ohne großen Aufwand, also genau wie heute ohne Debatte. Nach der Beschlussempfehlung des 1. Ausschusses soll die Gültigkeit der Regelung jedoch bis Ende September dieses Jahres befristet werden, was völlig falsche Zeichen setzt. Zum einen wird damit nach außen, wenn auch ungewollt, unterschwellig die falsche Botschaft transportiert, dass der Bundestag davon ausgeht, dass der Krisenzustand zumindest ein halbes Jahr andauern werde. Da der weitere Verlauf der Pandemie aber ungewiss ist, ist es vielmehr notwendig, alle Maßnahmen auf Sicht zu treffen und den Kurs regelmäßig neu festzulegen. Das gilt auch für das Verfahren. Zum anderen ist eine solche unnötig lange Befristung der Sonderregelung geeignet, dem Ansehen des Bundestages zu schaden, da in der Außenwirkung der Eindruck hervorgerufen werden kann, Gesetze würden nur noch von einer Minderheit von Abgeordneten verabschiedet, so wie es bis zum Einzug der Alternative für Deutschland in den Bundestag in vielen Wahlperioden tatsächlich der Fall war. ({0}) Dies untergräbt das Vertrauen der Staatsbürger in den Rechtsstaat und seine Institutionen. Wir müssen dem Eindruck entgegentreten, die Abgeordneten kämen ihren Pflichten nicht nach. Gleiches gilt für den Eindruck, wir drückten uns vor einem Risiko, dem jeder andere ausgesetzt ist, der in diesen Tagen durch seine Arbeit dazu beiträgt, unser Land am Laufen zu halten. Für uns als AfD ist es unumgänglich, auch in den Sommermonaten zumindest eine Sondersitzung monatlich durchzuführen, wenn die Krise bis dann nicht beendet ist. Damit braucht es keine Befristung bis Ende September, die von vielen Menschen in ihrer Verzweiflung so verstanden werden kann, als bereiteten sich viele Abgeordnete darauf vor, ihre Arbeit für ein halbes Jahr einzustellen, während viele Menschen in diesem Land vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Das soll kein persönlicher Angriff sein; aber ich sehe diesen Generalverdacht kommen, und er wird sich auch gegen uns von der AfD richten. Sie hätten gut daran getan, sich dem Änderungsantrag der AfD anzuschließen und die Sonderregelung zur Beschlussfähigkeit bis Ende Mai zu befristen. Das Problem wird definitiv nicht dadurch beseitigt, dass die Regelung jederzeit durch einen Mehrheitsbeschluss wieder aufgehoben werden kann. Das ist völlig selbstverständlich – die Regelung ist damit überflüssig –, deshalb aber auch ungeeignet, den Argwohn kritischer Bürger auszuräumen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zu einer weiteren Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung gebe ich das Wort dem Kollegen Sensburg, CDU/CSU.

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses sehe ich Sinn darin, das Prozedere noch einmal zu erklären, insbesondere nach den Einlassungen des Kollegen von der AfD. Der Geschäftsordnungsausschuss war sich bei seiner Beschlussfassung einig, dass wir die Geschäftsordnung anpassen werden, um arbeitsfähig zu bleiben, aber auch, um uns und andere vor Infektionen und deren Folgen zu schützen. Der Bundestag ist danach beschlussfähig, wenn ein Viertel der Mitglieder im Sitzungssaal anwesend sind; in normalen Zeiten bedarf es dafür der Hälfte der Mitglieder des Bundestages. Dies gilt dann auch für Ausschusssitzungen, wobei für das Quorum sogar möglich ist, dass Mitglieder in Videokonferenzen daran teilnehmen. Bei öffentlichen Ausschusssitzungen und Anhörungen wird es so sein, dass gestreamt werden kann und damit auch die Öffentlichkeit erreicht werden kann. All dies haben alle Fraktionen – wenn ich es richtig beurteile – für sinnvoll erachtet, und dafür danke ich allen Fraktionen. Uneinigkeit – das haben wir gerade gehört – bestand jedoch in der Frist, bis wann diese Maßnahmen gelten sollen. Über Fristen kann man natürlich immer trefflich streiten; aber dass die Coronakrise bereits im Mai vorbei sein soll – was Sie mit Ihrem Antrag suggerieren –, das teile ich nicht. ({0}) Wir haben diese Sonderregelung daher bis Ende September befristet mit der Maßgabe, dass die Regelung jederzeit vom Bundestag wieder aufgehoben werden kann – so steht es explizit in der Beschlussempfehlung –, nämlich dann, wenn wir schneller aus der Krise heraus sind. Der einzige Grund, den Sie für Ihre kürzere Befristung bis Mai anführen, ist, dass sonst der Eindruck erweckt würde, Abgeordnete kämen ihren Verpflichtungen nicht nach. Wir sehen wohl gerade heute, wie sehr die Kolleginnen und Kollegen in Ausschusssitzungen, in der Plenarsitzung, bei Abstimmungen, aber auch vorher in den vielen Telefon- und Videokonferenzen ihren Verpflichtungen nachgekommen sind und nachkommen. ({1}) Der Bundestag ist handlungs- und beschlussfähig. Die Demokratie funktioniert. Ich drücke es jetzt einmal sehr nett aus: Ihre Argumente sind schlichtweg falsch. – Ich kenne keine Abgeordnete und keinen Abgeordneten – egal welcher Fraktion –, die oder der nicht in diesem Hause mitwirken will an den Entscheidungsprozessen, die oder der sich nicht einbringen will und wo der Eindruck erweckt wird, man wollte nicht hierhinkommen. ({2}) Ihre Unterstellung ist nicht okay, und das wissen die Menschen in diesem Land. Sie sehen, wer darum bemüht ist, jetzt die entsprechenden Beschlüsse zu fassen, zu helfen. Das sehe ich bei Ihnen und Ihrem Antrag gerade nicht. ({3}) Lassen Sie mich zum Schluss einen weiteren Punkt ansprechen. Ich glaube, Ihre Fraktion ist, was den Altersdurchschnitt betrifft, die älteste Fraktion. Sie gehören zur Risikogruppe; aber auch Ihre Familien, Ihre Freunde und Ihre Kollegen. ({4}) All diese Regelungen, die wir heute beschließen, dienen natürlich zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und der Beschlussfähigkeit des Bundestages. Sie dienen aber auch dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger. All diese Regelungen haben die Menschen in unserem Land verstanden; sie verhalten sich inzwischen vorbildlich. Zeigen Sie bitte mit Ihrem Abstimmungsverhalten, dass Sie das verstanden haben. Unterstützen Sie unsere Regelung, und stellen Sie nicht solche Anträge, die den Eindruck erwecken sollen, dass der Bundestag und die Abgeordneten nicht arbeiten – genau das Gegenteil ist der Fall. Sie können jetzt zeigen, dass Sie es ebenso verstanden haben wie Millionen Bürgerinnen und Bürger. Danke schön. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nur zur Vermeidung von Missverständnissen: Der Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung ist bei einer Enthaltung im Übrigen bereits einstimmig angenommen worden. – Sie beide haben jetzt Erklärungen zur Abstimmung abgegeben, die ich gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung nach der Abstimmung habe abgeben lassen. Wir müssen also nicht mehr abstimmen; die Sache ist bereits entschieden. ({0}) – Ich habe eine festgestellt, ich habe eine gesehen. ({1}) – Es tut mir leid. Ich habe das auch gesagt, und da hat niemand widersprochen. Ich glaube auch nicht, dass das von einer besonderen Bedeutung im Kampf gegen – – ({2}) Aber wir vermerken im Protokoll, dass Sie jetzt mitteilen, dass zwei weitere Abgeordnete aus der AfD sich auch enthalten haben. Im Übrigen haben wir alle die persönliche Erklärung zur Abstimmung des Kollegen Seitz vernommen und auch zu Protokoll genommen.

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Ernst der Lage nach dieser kleinen Vordebatte: Die Coronakrise ist für viele Generationen, wahrscheinlich für uns alle hier im Saal, beispiellos. Sie betrifft nicht nur einen Teil der Bevölkerung, sie betrifft alle. Sie betrifft nicht nur einen Sektor der Wirtschaft, sie betrifft alle Sektoren. Sie betrifft nicht nur ein Land, sie ist eine Krise globalen Ausmaßes. Sie wird nicht in wenigen Wochen vorüber sein, sondern sie wird die Rahmenbedingungen der Politik und unseres Zusammenlebens für viele Monate, möglicherweise für Jahre prägen. Umso wichtiger ist jede Entscheidung, jede Weichenstellung, jeder Beschluss, den wir in diesen Tagen treffen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt es jetzt auch auf uns an, auf die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, um heute genau das Richtige zu machen. ({0}) Ich bin sicher, dass die meisten von uns – ich hoffe, alle – dieser Verantwortung gerecht werden. Weil das so ist, lassen Sie mich zu Beginn zweierlei sagen: Ja, ich bin stolz auf diese Bundesregierung, die unermüdlich und unaufgeregt dafür arbeitet, dass wir diese Krise in den Griff bekommen. ({1}) Dafür bin ich der Bundeskanzlerin, dem Vizekanzler und allen Ministerinnen und Ministern wirklich dankbar, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Der Coronavirus lässt sich eben nicht wegtwittern oder wegsperren. Er lässt sich nicht mit Populismus und Demagogie bekämpfen, sondern nur mit Tatkraft, vernünftiger Politik und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Und darauf kommt es in diesen Tagen an. ({3}) Und ja, wir können alle stolz darauf sein, wie unser Land insgesamt mit dieser Krise umgeht, wie sich Länder und Kommunen, Unternehmen und Beschäftigte, Arbeitgeber und Gewerkschaften, Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, wie sich Millionen Bürgerinnen und Bürger in diesen Tagen anstrengen, bis an die Belastungsgrenzen und darüber hinaus. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes ein, die in diesen Tagen eine besondere, eine neue Art von Luftbrücke organisieren und Zehntausende Deutsche aus aller Welt nach Hause bringen. Vielen Dank dafür an das Auswärtige Amt und alle, die dort mithelfen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zentrale Botschaft des heutigen Tages ist eigentlich relativ einfach: Wir tun alles, was nötig und möglich ist. Diese Regierung, diese Koalition, dieses Parlament sagen nicht nur, dass sie bereit sind, alles Notwendige zu tun; sie tun es auch. Deshalb bin ich Bundesfinanzminister Olaf Scholz dankbar, dass er heute wie in den letzten Tagen keinen Zweifel daran gelassen hat, dass diese Krisenbewältigung nicht am Geld scheitern wird, dass er die volle Finanzkraft des Bundes mobilisieren wird. ({5}) So schwierig die Lage ist: Wir sind ihr nicht mittellos ausgesetzt. Wir sollten jetzt auch die Spielräume ebenso beherzt wie verantwortlich nutzen, die uns das Grundgesetz bietet. Wir erleben eine absolute Ausnahmesituation, und genau hierfür sieht das Grundgesetz Ausnahmeregeln vor. Das, was wir heute und in den nächsten Tagen auf den Weg bringen, ist nichts weniger als ein wirtschaftliches und soziales Solidaritätsprogramm für unser Land, das zeigt: Wir halten zusammen, indem die Bundesregierung Liquiditätskredite ausdrücklich unbegrenzt gewährt. Mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds verschaffen wir dem Staat außerdem wichtige Spielräume, um über Beteiligungen oder Garantien Unternehmen durch die Krise zu helfen. Und wir verschaffen uns Spielräume, um einen Ausverkauf unserer Wirtschaft an irgendwelche Hedgefonds oder an irgendwelche Staatsfonds zu verhindern, um einen solchen Ausverkauf unserer Wirtschaft zu verhindern. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit staatlichem Dirigismus zu tun, sondern das stärkt und schützt unsere Wirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Post, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß. Deswegen komme ich jetzt zum Schluss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ja, ich bitte darum.

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, eben weil diese Krise beispiellos ist, sich darauf einzustellen, dass wir, wenn es nötig ist, noch mehr tun. Meine Fraktion jedenfalls, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dazu bereit. Für heute gilt es, zuzustimmen. Stimmen Sie den Vorlagen dieser Bundesregierung zu. Dann, glaube ich, können wir in den nächsten Tagen und Wochen einiges bewerkstelligen. Schönen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Boehringer, AfD. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum eindeutigen Vorrang von Leben und Gesundheit vor finanziellen Fragen hatte ich ja schon heute Vormittag alles gesagt. Wir haben heute, obwohl es um riesige Summen geht, auch keine rein haushalterische Entscheidung zu treffen. Mit Steuermitteln sind die Folgen des Stillstands eines ganzen Landes nicht zu bewältigen. Weder Steuerstundungen noch staatliche Garantien und Kredite über die KfW können trotz ihres riesigen Volumens ausreichen, um die Privatwirtschaft zu ersetzen. 300 Milliarden Euro an Wertschöpfung pro Monat ersetzt man nicht eben mal so durch den Staat. Wir unterstützen die Maßnahmen der unmittelbaren Existenz- und Gesundheitsfürsorge. Doch der Finanzminister sollte wenigstens erklären können, was das Gesamtkonzept der Maßnahmen sein soll. Für welchen Zeitraum und mit welchen Pandemieannahmen ist das Maßnahmenpaket gestrickt? Wie lange können diese Maßnahmen operativ und finanziell durchgehalten werden? Bei einem 750-Milliarden-Euro-Paket muss man ein solches Ausstiegskonzept von der Regierung einfordern. ({0}) Wir haben das getan; aber wir haben vom Minister keine Antworten auf diese fundamentalen Fragen bekommen. Eben im Ausschuss bezeichneten Sie mich, Herr Minister, als zynisch, nur weil ich diese Frage stellte. Ich bitte Sie, Herr Scholz, zur Kenntnis zu nehmen, dass heute in der „Rheinischen Post“ der Düsseldorfer OB Geisel ebenfalls die These aufstellt, dass der Shutdown – Zitat – „nicht durchzuhalten“ ist. Zudem fordert Herr Geisel übrigens die Durchseuchungsstrategie für das ganze Volk – außer für die Alten. Er hat übrigens ein SPD-Parteibuch. ({1}) Die Frage nach dem Ende des aktuellen Shutdowns steht überall wie der Elefant im Raum. Alle sehen ihn, nur Sie, Herr Scholz, wollen sich nicht dazu äußern, sondern lesen lieber auf dem Tablet. ({2}) Darum müssen wir uns als verantwortlicher Bundestag heute selbst verpflichten, die extrem einschneidenden Maßnahmen schon nach vier Wochen und danach sehr regelmäßig zu überprüfen. ({3}) Genau dies fordert unser Entschließungsantrag, über den wir gleich im Anschluss abstimmen werden. Wir werden unser weiteres Abstimmungsverhalten vom Ergebnis dieser grundlegenden Abstimmung abhängig machen. Der Bundestag muss sich in die Lage versetzen, die Wirkung des Morphiummittels Shutdown, das bei längerer Anwendung den Patienten schwer schädigen wird, jederzeit zu überprüfen, gegebenenfalls die Dosis zu verändern und die Mittel auch wieder abzusetzen. Psychischer Stress durch Freiheitsbeschränkungen, Existenzängste sowie Arbeitslosigkeit aufgrund von Firmeninsolvenzen, die staatliche Stützungszahlungen bei einem längeren Shutdown letztlich nicht verhindern können, werden nach einiger Zeit zu einer verringerten Lebensdauer der Menschen führen. Unterschätzen Sie diese Effekte nicht! Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen muss gewahrt bleiben. ({4}) Weitere Fragen: Warum wird die Asylrücklage von 48 Milliarden Euro nicht aufgelöst, um die exorbitante Neuverschuldung des Nachtragshaushalts zu lindern? Hierzu sagten Sie eben im Ausschuss, Herr Minister, das Rücklagengeld liege ja nicht herum, sondern es sei nur eine Kreditermächtigung. In der Tat: Genau wie die Neuverschuldung ist sie eine Kreditermächtigung. – Nun haben Sie eben zwei davon: eine über 156 Milliarden Euro und eine über 48 Milliarden Euro. Das ist eine gute Situation; aber seriös ist das nicht. Warum hat die Regierung wieder einmal den Mittelstand fast nicht in die Rettungsmaßnahmen einbezogen, also das Rückgrat unserer Wirtschaft? Warum gibt es im Nachtragshaushalt völlig coronafremde Titel, wie zum Beispiel „Mieten im Kanzleramt“, oder juristisch zweifelhafte Entschädigungszahlungen an Thomas-Cook-Geschädigte? Es ist unbillig, diese Dinge hier im Coronapaket mit verabschieden zu lassen. ({5}) Generell muss in Zeiten einer Notlage gelten: Wenn schon so viel Geld in die Hand genommen wird, dann bitte für Deutschland. Die Grünen etwa wollen Teile der Gelder erklärtermaßen lieber für EU-ropa verwenden. Die Linken wollen bereits einen Nachschlag über 750 Milliarden Euro hinaus – man hat es ja. Ebenso kommen jetzt natürlich die EZB und die EU, die nun perfiderweise die Gelegenheit Corona nutzen wollen, um mandatswidrig primär Euro-Süd-Anleihen zu kaufen und sogar von Deutschland mitbehaftete Coronaanleihen einzuführen, also illegale Euro-Bonds. ({6}) Fazit – ich komme zum Schluss –: Selbst in einer gesundheitlichen Notlage sind solche Planungen unseriös und müssen sehr schnell wieder auf den Prüfstand. Eine Staatsplanwirtschaft im Umfang von 200 Milliarden Euro pro Monat kann ohnehin nicht lange durchgehalten werden. Stimmen Sie unseren Anträgen auf enge Befristung und regelmäßige Überprüfung der derzeitigen harten Maßnahmen zu! Dann können wir Ihren Anträgen in der aktuellen Notlage auch teilweise zustimmen. Sonst werden wir uns enthalten müssen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank, Herr Boehringer. Sie dürfen sich gerne setzen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich einmal an die Kollegen insbesondere Ihrer Fraktion, Herr Boehringer, appellieren. Wir haben in wochenlangen Gesprächen sehr intensiv darum gerungen – alle Beschlüsse der Fraktionen waren einvernehmlich; ich bedanke mich auch bei allen Fraktionen dafür –, dass wir diese Sitzung bei angemessener Präsenz und gleichzeitig bei angemessener Wahrung des Abstandsgebots durchführen. Deswegen: Stehen Sie bitte nicht hinter den Sitzplätzen im Plenum, auch wenn Sie da vielleicht sogar den notwendigen Abstand einhalten. Setzen Sie sich. Wenn im Plenarsaal keine Plätze vorhanden sind: Wir haben oben auf den Tribünen noch Plätze, auf denen Sie Platz nehmen können. Bitte tun Sie uns allen den Gefallen. Wir haben eine so gute Kooperation in den Verfahren gehabt, dass wir heute auch die letzten zwei Stunden in diesem Geist zustande bringen. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Eckhardt Rehberg, CDU/CSU. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien, die dieses große Gesetzespaket, das wir heute gemeinsam verabschieden wollen, auf den Weg gebracht haben, und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fraktionen und in den Abgeordnetenbüros. Es wurde gestern – da sage ich mal „sorry!“ an die Oppositionsfraktionen – bis nach Mitternacht gearbeitet. Die letzten Umdrucke kamen zu Beginn der Haushaltsausschusssitzung. Deswegen ein gleichzeitiges herzliches Dankeschön für das kooperative Verhalten aller Fraktionen – bis auf eine. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich mache weder im privaten noch im öffentlichen Bereich gerne Schulden. Es war richtig, dass gerade wir als Union uns über lange Zeit dagegen gesträubt haben, dass a) die schwarze Null aufgegeben und b) die Schuldenbremse in irgendeiner Form umgangen wird. Die Väter der Föderalismusreform, die Artikel 115 Grundgesetz entworfen haben, haben ihn genau für so eine Situation entworfen, wie wir sie heute haben: für eine Notsituation, die vom Staat nicht verschuldet worden ist. Ich bedanke mich an dieser Stelle auch bei der Fraktion Die Linke, den Grünen, der FDP und beim Koalitionspartner dafür, dass wir heute gemeinsam dafür stimmen werden, dass der Artikel 115 Grundgesetz in Anspruch genommen werden kann, dass wir über diesen Weg die Nettokreditaufnahme um 100 Milliarden Euro erhöhen können und dass wir auch die strukturelle Defizitgrenze von höchstens 0,35 Prozent überschreiten können. Diese 156 Milliarden Euro, Herr Kollege Boehringer, versetzen uns in die Lage, im Bereich Gesundheit, im Bereich Soziales und im Bereich Wirtschaft das Nötige zu tun, was jetzt in einem ersten Aufschlag zu tun ist – nicht mehr und nicht weniger. Sie scheinen in die Glaskugel gucken zu können. Ich kann das nicht. Aber ich glaube, heute ist ein ganz wichtiger Tag für Deutschland, für die Bundesregierung und für dieses Parlament, wenn wir dieses Paket auf den Weg bringen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Rehberg, der Kollege Dr. Dehm von der Fraktion Die Linke würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Rehberg, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Es gibt einen fundamentalen strukturellen Punkt, der die Unternehmen mit 11 bis 249 Mitarbeitern betrifft. Diese Unternehmen kriegen keinen Zuschuss, obwohl sie ‑ich spreche von Handwerksbetrieben und Unternehmen im Kulturbereich wie Konzertveranstaltern – hart gebeutelt sind. Sie werden verwiesen auf die KfW-Kredite bzw. damit auf die Hausbank und deren Konditionen. Gedenken Sie, bei diesem Defizit noch nachzubessern? Ist das vorgesehen? Denn es ist absehbar, dass diese Unternehmen den Sommer möglicherweise nicht mehr existenzfähig erreichen.

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dehm, wir haben uns entschieden – das ist, glaube ich, richtig so –, Klein- und Kleinstunternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten vonseiten des Bundes mit einem Zuschuss zu versehen, der steuerbar ist. Ich rate Ihnen dringend, mal in die Landesprogramme von Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern oder Niedersachsen – ich könnte noch weitere nennen – zu schauen, ({0}) die sich gerade in diesem Bereich der Unternehmen mit 10 bis 50 Beschäftigten oder darüber hinaus bewegen. Ich finde, es ist in einem föderalen System genau richtig, dass man sich jetzt darauf abgestimmt hat, dass der Bund die Klein- und Kleinstunternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten unterstützt und dass die Länder das, was darüber hinausgeht, unterstützen. Es greifen die Bürgschaftsprogramme der KfW mit 100 Milliarden Euro. Dann haben wir einen 500-Milliarden-Euro-Fonds über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds aufgelegt. Hier sieht man von den Selbstständigen bis hoch zu den großen DAX-Unternehmen: Die Kette ist sehr schlüssig. Deswegen ist Ihre Kritik aus meiner Sicht sachlich unbegründet. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, um deutlich zu machen, welchen Kraftakt wir hier stemmen: Wir haben ein Bruttoinlandsprodukt von rund 3,5 Billionen Euro. Wir werden im Bundeshaushalt einen Garantierahmen von insgesamt 1,8 Billionen Euro haben, darunter den erwähnten Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Wir weiten den Garantierahmen im Bundeshaushalt auf über 1 Billion Euro aus. Genauso richtig ist – ich komme zu Artikel 115 Grundgesetz zurück –, dass dem ein Tilgungsplan beigelegt wird. Jetzt kann man darüber streiten, ob 20 Jahre zu lang sind; aber ich glaube, dass es ein richtiger und angemessener Zeitraum ist, ab 2023 auch hier zu tilgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend – aus meiner Sicht jedenfalls – deutlich machen: Wir sind in einer Notsituation, und wir haben gerade für diese Notsituation Artikel 115 Grundgesetz. Jetzt kann man in der Abfolge der nächsten Tage und Wochen hoffen, dass die Pandemie schnell zurückgeht und dass wir möglichst schnell zu normalen Verhältnissen zurückkommen. Auf der anderen Seite muss man auch immer im Hinterkopf haben: Wir sind als Bundesrepublik Deutschland finanziell solide genug aufgestellt, um auch eine etwas längere Krise durchzuhalten. Ich glaube, wir können dann reagieren. Ich sage einmal in aller Ruhe in Richtung AfD: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass auch Sie gehalten sind – Sie sind gewählte Abgeordnete des deutschen Volkes –, hier nicht Horrorszenarien zu verbreiten und nicht Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen, sondern einfach ruhig, umsichtig, verantwortungsbewusst und verantwortungsvoll Ihrer Abgeordnetentätigkeit nachzugehen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Christian Dürr, FDP. ({0})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, herzlichen Dank. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist ja in vielerlei Hinsicht heute ein historischer Tag, allein schon die Sitzordnung hier und die Umstände, die wir zurzeit in Deutschland erleben. Es ist auch haushaltspolitisch ein historischer Tag, weil wir zum ersten Mal in der Geschichte den Artikel 115 des Grundgesetzes nutzen, um den Notfallmechanismus der Schuldenbremse in Kraft zu setzen. Allen Unkenrufen der letzten Monate und Jahre zum Trotz: Diese Schuldenbremse funktioniert auch in Krisenzeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist gut, dass wir sie haben. Deswegen wird meine Fraktion der Anwendung dieses Notfallmechanismus heute auch zustimmen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Gerade weil das so eine besondere Situation ist – und das sage ich in Ihre Richtung, Herr Bundesminister Scholz –, ist jetzt auch die Bundesregierung gehalten, alles in Gang zu setzen, um die drohende Wirtschaftskrise abzuwenden. Der Notfallmechanismus nach Artikel 115 wird heute vom Parlament gezogen. Auf der anderen Seite behalten Sie sich dennoch vor, eine Rücklage in Höhe von 38 Milliarden Euro zurückzuhalten. Es wäre jetzt angesichts dieser Tatsache richtig, dass auch die Bundesregierung in Vorleistung geht und diese Rücklage auflöst, um sie für die Bewältigung der Coronakrise und der Wirtschaftskrise in Deutschland einzusetzen. Das wäre ein wichtiges Signal, das Sie heute setzen sollten. ({1}) Genauso wichtig – das sage ich in Richtung der Koalitionsfraktionen – wäre es jetzt, auf politische Projekte zu verzichten. Ihr Koalitionsvertrag gilt – das ist mir bewusst –, aber er muss dieser Krise angepasst werden. Teure Projekte wie beispielsweise die Grundrente und andere Dinge, die sicherlich in Ihren Parteiprogrammen stehen, sind jetzt nicht mehr an der Tagesordnung, sondern jetzt muss diese Krise bewältigt werden, den Menschen und den Unternehmen muss jetzt geholfen werden. Deswegen: Verzichten Sie auf solche teuren Projekte! Aktivieren Sie alles zur Bekämpfung dieser Krise, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({2}) Zum Zweiten errichten wir einen Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Auch da ist gut, dass sich die Bundesregierung bewegt hat und den Fonds der Wirtschaft nicht erst ab 2 000 Beschäftigten, sondern bereits ab 249 Beschäftigten zugänglich macht. Aber so – Herr Spahn hat es gerade öffentlich gesagt – wie wir eine Exit-Strategie hinsichtlich der Freiheitsbeschränkungen in Deutschland brauchen, brauchen wir auch für diesen Mechanismus eine Exit-Strategie. Auch hier muss jetzt ein Enddatum vorgelegt werden, meine Damen und Herren. Wir wollen keine dauerhaften Staatsbeteiligungen an privaten Unternehmen. Es muss eine Notfallmaßnahme sein, die ein Ende haben muss. Wir wollen keinen Umbau der Eigentümerstruktur im deutschen Mittelstand, meine Damen und Herren. Auch hier brauchen wir eine Exit-Strategie. ({3}) Und es bleibt – das ist gesagt worden – am Ende des Tages eine Lücke, nämlich bei allen kleinen und mittleren Unternehmen, die, wie man so schön sagt, der Backbone der deutschen Wirtschaft sind, mit einer Beschäftigtenzahl zwischen 11 und 249. Dort verweist die Bundesregierung auf Förderprogramme der Länder. Ich will das bei Einigkeit über viele Dinge – Herr Scholz, wir haben in den letzten Tagen oft telefoniert – in aller Klarheit sagen: Diese Förderlücke bleibt am Ende des Tages, auch am Ende dieses Plenartages. – Deswegen fordere ich Sie auf: Sorgen Sie schnell für Liquidität, beispielsweise über die Finanzämter, so wir es als Freie Demokraten Ihnen vorgeschlagen haben, damit jetzt Liquidität zu den kleinen und mittleren Unternehmen kommt. Diese Unternehmen waren in den vergangenen Jahren solidarisch mit dem Staat, insbesondere mit dem Steuerstaat. Sie haben uns allen fantastische Einnahmen beschert. Mit diesen Unternehmerinnen und Unternehmern, die ins persönliche Risiko gegangen sind, muss sich jetzt der Steuerstaat eben auch solidarisch zeigen. Deswegen appelliere ich an Sie: Helfen Sie mit Liquidität den kleinen und mittleren Unternehmen, ({4}) damit wir am Ende des Tages sagen können: Wir haben diese Krise erfolgreich bewältigt. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke hat soeben in der Sitzung des Haushaltsausschusses dem Hilfspaket zugestimmt, also der Aussetzung der Schuldenbremse, dem Nachtragshaushalt und der Wirtschaftsstabilisierung. Wir – das sage ich aber in aller Deutlichkeit – betrachten das nicht als Freibrief für die Bundesregierung. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Konstruktionsfehler des Hilfspaketes schnell und wirksam abgestellt werden, meine Damen und Herren. ({0}) Bei allem Optimismus sind sich, wie ich glaube, die meisten von uns einig: Das vorliegende Paket kann nur ein erstes Hilfspaket sein. Diese Krise kann uns härter treffen als die Finanzkrise 2008. Darum brauchen wir jetzt Rettungsschirme, die Krankenschwestern, Verkäuferinnen und all diejenigen schützen, die unsere Gesellschaft am Laufen halten und dafür ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. ({1}) Dank wurde heute schon viel ausgesprochen. Jetzt geht es um die materielle Anerkennung und – ganz deutlich – auch um die materielle Absicherung. Denn das merken ja viele schon: Das Leben wird in der Krise teurer. Wir fordern also für diese Menschen jetzt einen Risikoaufschlag von 500 Euro im Monat. ({2}) Das scheint auf den ersten Blick viel Geld zu sein. Doch ein Vergleich: Ein Bundeswehrsoldat zum Beispiel, der im Ebolagebiet eingesetzt wurde, bekam einen Risikoaufschlag von 30 bis 110 Euro pro Tag. Ich glaube, an diesen Vorgaben kann man sich orientieren. Meine Damen und Herren, in Frankreich gibt es bereits Zuschläge von einer großen Handelskette für die Verkäuferinnen. Das ist doch ein gutes Beispiel, dem auch in Deutschland gefolgt werden sollte. ({3}) Meine Damen und Herren, wenn wir eines aus der Finanzkrise gelernt haben sollten, dann: Es muss während der Krise, also jetzt, geklärt werden, wer die Zeche zahlt. – So wurde uns damals von der Bundesregierung eine Finanztransaktionsteuer versprochen, die immer noch nicht existiert. Die Rechnung haben die kleinen Leute bezahlt. Aufgrund der Finanzkrise wurden Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen, Universitäten und die öffentliche Verwaltung heruntergespart. Und die Auswirkungen dieses Kürzungskurses bekommt jetzt das Personal in den Krankenhäusern zu spüren. Das ist mehr als ungerecht und muss endlich behoben werden, meine Damen und Herren. ({4}) Ich sage auch ganz deutlich: Wir müssen jetzt die Gewinne von Krisengewinnlern mit einem Gesetz deckeln. Es kann doch nicht sein, dass Krankenschwestern und Ärzte ihre Gesundheit aufs Spiel setzen und gleichzeitig die Aktionäre der Rhön-Klinikum AG, um ein Beispiel zu nennen, sich über satte Kursgewinne freuen können. Nein, das ist das falsche Signal; jetzt ist Zeit für mehr Gerechtigkeit. ({5}) Und ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Diese Krise ist nur mit Solidarität zu meistern. Die Krise könnte eine Sternstunde der europäischen Solidarität werden. Einfacher ist es nicht zu haben. Beweisen wir diese Solidarität! Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Abstimmung über den Nachtragshaushalt gehen wir in der Tat einen sehr großen und auch sehr entschlossenen Schritt. Das hat hoffentlich Signalwirkung, aber das ist auch notwendig. Deswegen will ich auch zu Beginn sagen: Wir Grünen werden aus tiefer Überzeugung zustimmen. Das ist eine außergewöhnliche Notfallsituation, und deswegen ist es richtig, nach den Maßgaben der Schuldenbremse diese starke Verschuldung jetzt, in dieser besonderen Situation, zuzulassen, um zu zeigen, dass wir in diesem Land diese Krise auch bewältigen können und dass wir dazu unseren Beitrag leisten. ({0}) Es handelt sich hier um ein Paket von 156 Milliarden Euro, wenn wir die geringeren Steuereinnahmen, die wir erwarten, und die zusätzliche Milliarden, die wir bereitstellen wollen, um jetzt denjenigen Hilfe zu geben, die auf ihre Tätigkeiten verzichten müssen und dadurch Unkosten und natürlich auch Sorgen haben, zusammenziehen. Und wir brauchen dieses Geld auch, um unser Gesundheitssystem fit zu machen und es möglichst leistungsfähig zu halten. Wir wissen aber auch, dass es wahrscheinlich nicht das letzte Mal sein wird, dass wir hier über Maßnahmen diskutieren. Der Finanzminister hat seinem Nachtragshaushalt einen wirtschaftlichen Einbruch zugrunde gelegt, wie wir ihn so ungefähr vor etwas mehr als zehn Jahren erlebt haben. Das waren damals minus 5 Prozent. Manche reden aber jetzt davon, dass es vielleicht auch das Doppelte sein kann. Damit wissen wir, dass noch zusätzliche Maßnahmen notwendig werden. Deswegen möchten wir Grüne sehr dringlich anmahnen: Wir brauchen auch noch Kraft und Luft für eine Investitionsoffensive, wenn die Krise mal überstanden ist, und sie kann auch noch viel größer werden. Das müssen wir heute schon im Blick behalten. ({1}) Deswegen müssen die Tilgungsverpflichtungen im Zweifel auch angepasst werden. Wir brauchen sie, wir wollen sie auch festlegen; aber wir müssen im Auge behalten, wie wir dann finanziell leistungsfähig bleiben. Wir brauchen die Programme für Kleinstunternehmer; darüber haben wir diskutiert. Wir wollen einen großen Wirtschaftsstabilisierungsfonds im Umfang von mehreren Hundert Milliarden Euro ermöglichen. Von grüner Seite will ich aber auch ganz deutlich anmahnen: Wir brauchen auch Solidarität mit Blick auf Europa. Da gab es aus Sicht von uns Grünen bisher nur warme Worte statt klare Ansagen. ({2}) Sie können, Herr Scholz, mit veranlassen, dass die Staats- und Regierungschefs morgen die Kreditlinien des ESM vorsorglich allen europäischen Ländern zugänglich machen. Machen Sie das! Sorgen Sie dafür! ({3}) Der Druck in Italien und Spanien ist jetzt da. Wir als Grüne würden auch die Idee richtig finden, unserer Kreditanstalt für Wiederaufbau die Möglichkeit zu geben, die entsprechende Förderbank in Italien zu unterstützen. Und nicht zu vergessen: Wir wissen alle, dass die Gesundheitssysteme der ärmsten Länder schon heute das Signal brauchen, dass wir als internationale Gemeinschaft bereitstehen werden, auch diesen mit Milliarden zu helfen, damit sie durch die Krise kommen. ({4}) Diese beiden Punkte haben wir im Haushaltsausschuss angemahnt; denn auch das heißt Solidarität. Wir müssen uns sicherlich demnächst wieder hier versammeln und weitere Maßnahmen beschließen, auch wenn wir – das geben wir gerne zu – das entschlossene Handeln der Regierung sehr gerne konstruktiv begleitet haben. Schönen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist heute schon oft angesprochen worden: Wir befinden uns in einer Sondersituation und verabschieden heute Notfallmaßnahmen und Soforthilfen in einem noch nie da gewesenen Umfang, und zwar für Unternehmer und für Arbeitnehmer in allen Wirtschaftsbereichen gleichermaßen. Die Dimension ist in der Tat gigantisch und historisch einmalig. Eckhardt Rehberg hat es angesprochen: Bei einem Bruttosozialprodukt von knapp 3,5 Billionen Euro, also 3 500 Milliarden Euro, im Jahr 2019 werden mit diesem Schirm, wenn das Gesamtpaket komplett in Anspruch genommen werden sollte, insgesamt 1 400 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das entspricht ungefähr 40 Prozent unseres Sozialproduktes. Um die Dimension noch einmal deutlich zu machen: Weil wir gut gewirtschaftet haben, weil unsere Unternehmen wettbewerbsfähig waren und gut Steuern gezahlt haben und weil wir den Haushalt in den letzten Jahren konsolidiert haben, haben wir es geschafft, unsere Verschuldung auf unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzusenken, und können uns solche 40 Prozent in dieser Ausnahmesituation eher leisten als andere Länder in Europa. Wenn man nach Frankreich schaut: Dort beträgt die Verschuldung gemessen am BIP 100 Prozent, in Italien sind es sogar 130 Prozent. Das ist die Dimension, vor der wir in Europa stehen und mit der wir uns auch hier in Deutschland befassen müssen. Ich will auch deutlich machen: Es geht nicht darum, alle gleich zu behandeln. Das ist nicht das Ziel der Programme und Initiativen. Der solo-selbstständige Freiberufler in der Werbewirtschaft muss anders behandelt werden als der Handwerker, und der muss wiederum anders behandelt werden als der mittelständische Maschinenbauer mit 200 Beschäftigten, und der muss wiederum anders behandelt werden als die Lufthansa oder andere Unternehmen. Deshalb scheren wir nicht alle über einen Kamm, sondern wir haben uns auf unterschiedliche Herangehensweisen geeinigt. Es gilt zunächst für alle – das wurde gestern beschlossen, und das sollte man draußen auch allen sagen –, die Sozialversicherungsbeiträge für März und April dieses Jahres nicht zu bezahlen. ({0}) Das schafft Liquidität und hält Liquidität. ({1}) Es ist unsere oberste Priorität, Liquidität in Unternehmen zu halten, Liquidität zu sichern und Liquidität, wo es notwendig ist, zuzuführen. Deshalb werden auch Steuervorauszahlungen gestundet. Deshalb bekommen mit den Soforthilfen Solo-Selbstständige, Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern und Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern vom Bund Direkthilfen für drei Monate unbürokratisch ausbezahlt. Sie können elektronisch beantragt werden ohne entsprechende Voraussetzungen; das wird dann nachträglich geprüft. Die Programme werden, wie angesprochen, von den Ländern in enger Abstimmung mit dem Bund ergänzt, sodass beispielsweise dann auch Direktzahlungen an Unternehmen mit 50 oder 100 Arbeitnehmern erfolgen. Für die Mitte, für Unternehmen bis zu 250 Mitarbeitern, gibt es Liquiditätsprogramme, die vor zehn Tagen unbegrenzt zur Verfügung gestellt wurden. Im Zuge dessen hat der Bund seinen Garantierahmen für Garantien und Gewährleistungen auf 822 Milliarden Euro erhöht. Bis 50 Millionen Euro gilt eine 90-Prozent-Abdeckung durch den Bund. Diese PS müssen wir auf die Piste bringen. Wenn uns das gelingt, gibt es auch keine Lücke. Für größere, strukturell bedeutende Unternehmen, die von der Insolvenz bedroht sind, oder solche, bei denen es um nationale Interessen geht, haben wir als Ultima Ratio einen Fonds in Höhe von 100 Milliarden Euro aufgelegt, durch den der Bund in der Lage ist, sich mit Anteilen direkt an Unternehmen zu beteiligen, zum Beispiel über Aktien oder in Form von stillen Beteiligungen. Das ist aber, wie gesagt, die Ultima Ratio und nicht die Regel. Das will ich in aller Deutlichkeit sagen. Mit dem Programm versuchen wir, differenziert heranzugehen. Wir wollen damit nicht die soziale Marktwirtschaft abschaffen oder sie außer Kraft setzen. Jetzt kümmern wir uns um die Notfallsituation. Wenn alles vorbei ist oder wenn wir Licht am Ende des Tunnels sehen, kümmern wir uns natürlich auch um eine Exit-Strategie. Aber jetzt geht es darum, denjenigen sofort zu helfen, die bedürftig sind. Ich wünsche Ihnen und uns allen Gottes Segen und beste Gesundheit. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg so weitergehen! Dann sehen wir hoffentlich bald wieder Licht am Ende des Tunnels. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol, SPD. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir hier und heute beschließen, sind nicht nur abstrakte Worte und Zahlen. Für viele Menschen in diesem Land geht es in der Coronakrise nicht nur um ihre Gesundheit, sondern auch um ihr wirtschaftliches Überleben, und zwar völlig ohne eigenes Verschulden. Letzte Woche komme ich in Marburg zu meinem Friseur Peter Abel. Normalerweise ist der Laden voll, am Samstag waren es nur noch sechs Leute, jetzt kommt niemand mehr. Wie viele Läden ist sein Geschäft zu. Ziemlich verzweifelt haben er und seine Frau mir von ihrer Angst erzählt. Sie sorgen sich um ihre Gesundheit, und fast genauso existenziell ist für sie, dass sie nicht wissen, wovon sie ihre Rechnungen künftig bezahlen sollen. Genauso geht es gerade sehr, sehr vielen: vom selbstständigen Taxifahrer über die Angestellten im Buchladen oder die Chefin eines mittelständischen Autozulieferers bis hin zu Großunternehmen. Nach einer ifo-Umfrage spüren bereits jetzt 56 Prozent der deutschen Unternehmen negative Auswirkungen durch die Coronakrise. Wie sich die Umsätze in den unterschiedlichen Branchen mittel- und langfristig entwickeln, zum Beispiel in der Touristik, in der Gastronomie und im Verkehr, können wir noch gar nicht absehen. Allein der Luftfahrtsektor bezifferte seine aktuell absehbaren Verluste weltweit auf einen dreistelligen Milliardenbetrag. Es ist klar: Deutschlands Wirtschaft wird 2020 schrumpfen. Dies wird zu Wohlstandsverlusten und sinkenden Steuereinnahmen führen. Das ist die größte ökonomische Krise seit 70 Jahren, und diese Krise bekommen wir nur gemeinsam in den Griff. Unsere Beschlüsse zum Nachtragshaushalt stabilisieren Einkommen, Arbeitsplätze und die Wirtschaft als Ganzes. Wir helfen den kleinen Unternehmen und dem Mittelstand. Unser Ziel ist, dass wir möglichst viele der Unternehmen und der Solo-Selbstständigen durch die Krise bekommen. Unser Maßnahmenpaket zusammen mit den Programmen der Länder sorgt dafür, dass die Kleinstunternehmen erst einmal Luft zum Atmen haben. Mit dem KfW-Programm und auch dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds helfen wir dem Mittelstand und auch den Start-ups mit Liquidität und schützen sie vor feindlichen Übernahmen. Selbstverständlich sind auch die Mittel des Staates nicht unendlich. Klar ist: Wir werden nicht jeden Wunsch erfüllen, nicht alles zu100 Prozent ausgleichen können, aber wir werden unseren Staat, die Wirtschaft und die Existenzgrundlage unserer Bürgerinnen und Bürger möglichst stabilisieren. Ehrlicherweise stehen wir noch am Anfang, und niemand weiß, was noch auf uns zukommt; insbesondere weiß niemand, wie lange diese Krise dauern wird. Im Zweifel werden wir auch hier noch einmal mit Gesetzen und Geld nachsteuern müssen. Aber es ist auch ganz klar: Mit dem, was wir hier heute auf den Weg bringen, gehen wir einen entscheidenden Schritt. Wir stützen das Rückgrat dieses Staates, die Arbeitsplätze, die Wirtschaft und letztlich die Existenz der Menschen dieses Landes. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzespaket tun wir das, was wir als Parlament jetzt tun können. Ich wünsche mir, dass Sie alle gesund bleiben und möglichst viele da draußen auch. Danke schön. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Ermahnung, nicht hinter den Sitzplätzen stehen zu bleiben, bezieht sich nicht nur auf eine Fraktion, sondern auf alle. ({1}) Also, jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Reinhard Brandl.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie stellt unser Land vor eine schwere Prüfung, und wir werden diese Prüfung nur bestehen, wenn wirklich alle, wenn jeder Einzelne an seinem Fleck seinen Beitrag dazu leistet. Viele tun das bereits. Die schönen Momente für mich in diesen Tagen sind, wenn ich im Alltag erlebe, wie viel Einsicht, wie viel Vernunft und wie viel Solidarität in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Das, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, stimmt mich hoffnungsvoll für die nächsten Tage, und ich möchte mich bei allen Vernünftigen in unserem Land ganz herzlich bedanken. ({0}) Die Situation ist ernst, und wir werden viel Geduld brauchen, bis wir wieder zu einem normalen Leben zurückfinden können. Und wir werden viel Geld brauchen, damit das Loch, in das wir gerade fallen, nicht zu tief wird, damit unser Gesundheitssystem jeden Einzelnen gut behandeln kann und damit wir Arbeitsplätze und Unternehmen in unserem Land sichern. Der Bund hat seit 2013 keine neuen Schulden mehr gemacht. Wir haben in der guten Zeit solide gewirtschaftet, damit wir in einer Notsituation handeln können. Und das ist jetzt. Wir werden jetzt gleich nach meiner Rede aus dem Saal schreiten und abstimmen und damit ermöglichen, dass wir 156 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Aber bitte nicht alle auf einmal, Herr Kollege. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden uns selbstverständlich an die Regeln halten, die uns der Präsident auferlegt hat. Aber, Herr Präsident, wir müssen es tun, weil wir das Geld brauchen. Wir brauchen das Geld, um unsere Steuerausfälle auszugleichen. Wir brauchen das Geld, um Soforthilfen für kleine und mittlere Unternehmen auszuzahlen. Und wir brauchen das Geld, um unsere Kapazitäten im Gesundheitssystem und in der Wissenschaft auf die Krise einzustellen. Wir werden einen Wirtschaftsstabilisierungsfonds errichten, mit dem es dem Staat sogar ermöglicht wird, sich an Unternehmen direkt zu beteiligen, um sie vor einem Ausverkauf ins Ausland zu schützen. Wir werden den Garantierahmen der KfW erhöhen. Meine Damen und Herren, das sind Maßnahmen, die sich schon einmal bewährt haben, nämlich in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Wir sind aus dieser Wirtschaft- und Finanzkrise damals stärker herausgegangen, als wir hineingegangen sind. Das wollen wir dieses Mal auch. Aber dieses Mal ist die Prüfung härter. Denn es betrifft nicht nur einzelne Unternehmen und nicht nur Banken, sondern es betrifft jeden Einzelnen von uns. Wir brauchen Geduld, wir brauchen Geld; aber das alleine wird nicht reichen. Wir werden auch Glück brauchen, dass es zum Beispiel gelingt, einen Impfstoff zu entwickeln. Meine Damen und Herren, wir werden auch Gottes Segen brauchen, damit die Menschen in dieser schweren Zeit auch die notwendige Kraft und Zuversicht finden. ({0}) In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund und herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie Covid-19 stellt uns alle als Bürgerinnen und Bürger, als Abgeordnete, aber auch uns als Regierungsmitglieder vor große, vor sehr große Herausforderungen. Der Vizekanzler Scholz hat heute Morgen zu Recht gesagt, für den Umgang mit einer solchen Krise, mit einer solchen Herausforderung gibt es keine Blaupause. Wir alle haben uns daher unter Hochdruck darangemacht, die Herausforderung anzunehmen, und in der Bundesregierung, in den Ministerien Gesetze erarbeitet, die die notwendigen Hilfen und die notwendigen Entscheidungen auch enthalten. Das gilt für das Gesundheitswesen, damit diejenigen, die dafür sorgen, dass Menschen gesund bleiben können, alle Voraussetzungen in Bezug auf wirtschaftliche Hilfen vorfinden, sodass Auswirkungen, beispielsweise bei Einnahmeausfällen durch Kurzarbeit oder wenn Aufträge wegbrechen, abgefedert werden können. Aber auch in meinem Zuständigkeitsbereich gibt es Entscheidungen, die dringend getroffen werden müssen. Dazu gehört beispielsweise die Aussetzung von Insolvenzanträgen, damit Unternehmen jetzt nicht in die Insolvenz getrieben werden, weil Aufträge wegbrechen. Auf der anderen Seite sollen sie aber auch keine Schwierigkeiten in Form des Vorwurfs einer Insolvenzverschleppung bekommen, wenn sie diese Anträge nicht stellen. Deswegen war es wichtig und richtig, diese Fristen jetzt auszusetzen bis in den September. ({0}) Wir haben aber auch entschieden, dass beispielsweise aufgrund der schwierigen Anwesenheitsmöglichkeit in vielen Gremien jetzt zum Beispiel eine digitale Hauptversammlung in Aktiengesellschaften möglich ist – auch das ist ein wichtiger Punkt –, und natürlich auch, dass die Hauptverhandlung im Strafprozess länger als bisher möglich unterbrochen werden kann, damit eben wichtige Prozesse, die auch viel an Vorbereitung schon mit sich gebracht haben, nicht noch einmal von vorne aufgerollt werden müssen; deswegen haben wir die Frist auf drei Monate und zehn Tage ausgedehnt. Meine Damen und Herren, das sind alles wichtige Entscheidungen. Aber ich möchte nun auf den Kernpunkt meines Gesetzes, das ich vorgelegt habe, kommen, und der bezieht sich auf das Mietrecht. Ganz viele Menschen in diesem Land müssen momentan mit Einnahmeausfällen umgehen, beispielsweise weil sie von Kurzarbeit betroffen sind, das heißt, sie bekommen nur noch 60 Prozent ihres Einkommens. Oder ihnen brechen die Aufträge weg, weil sie den Betrieb ihres Restaurants nicht mehr aufrechterhalten können oder weil niemand mehr etwas in Auftrag gibt. Das ist eine große Sorge. Deswegen ist es richtig, dass wir heute viele Hilfen aufgelegt haben. Dazu gehört, dass der Bezug von Grundsicherung vereinfacht wird. Dazu gehört aber auch, dass es direkte Hilfen gibt. Dazu gehört ebenfalls, dass der Kinderzuschlag einfacher gewährt werden kann. Aber alles das braucht eine gewisse Zeit, bis es eben entschieden und dann das Geld auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ist. Bis es so weit ist, haben viele Menschen Angst davor, dass sie aufgrund von weniger Einnahmen ihre Miete nicht mehr bezahlen können, ihnen dann womöglich gekündigt wird und sie auf die Straße gesetzt werden – und das in der heutigen Zeit, wo alles unsicher ist, wo alles im Fluss ist, wo große Ängste zusammenkommen. Deswegen war es mir wichtig, dass wir aufzeigen, dass wir die Kündigungsmöglichkeit wegen Zahlungsverzug in der jetzigen Zeit aussetzen, und zwar bis zum 30. Juni dieses Jahres, meine Damen und Herren, damit klar ist: Diese Sorge muss nicht noch zu den vielen anderen Sorgen in der jetzigen Zeit hinzukommen. ({1}) Denn das Zuhause, die Wohnung ist doch momentan der Rückzugsort, an dem die meisten sich aufhalten, ja aufhalten müssen. Und damit dieser sicher ist, war das, glaube ich, eine sehr wichtige Entscheidung. Es geht aber auch um viele Kleinstgewerbetreibende – denn die sind auch erfasst, weil sie jetzt keine Aufträge bekommen und die Einnahmen wegbrechen –; dass auch sie keine Angst haben müssen, dass ihnen gekündigt werden kann. Es geht, wie gesagt, darum, dass das Kündigungsrecht für drei Monate ausgesetzt ist; auch das gibt Sicherheit. Jetzt bekomme ich natürlich in dem Zusammenhang viele Anschreiben, was denn mit den Vermietern ist; die haben doch auch Schwierigkeiten. Ja, und aus dem Grund haben wir in diesem Gesetz auch das berücksichtigt. Nämlich immer wenn Vermieter diese Objekte darlehensfinanziert haben, dann muss im Falle von coronabedingten Ausfällen selbstverständlich auch die Möglichkeit gegeben sein, dass diese Darlehen ausgesetzt werden können. Das ist die andere Seite der Medaille, meine Damen und Herren, und deswegen ist es ein gerechter Ausgleich, den wir mit diesem Gesetz heute hier beschließen. ({2}) Als Letztes darf ich noch darauf hinweisen, dass wir ein Moratorium für Dauerschuldverhältnisse heute beschließen – furchtbares Wort, aber eine ganz wichtige Sache. Es geht nämlich darum, dass den Schuldnern durch Zahlungsverzug, also wenn sie Zahlungen jetzt nicht mehr leisten können, nicht der Strom abgestellt wird oder das Wasser oder das Gas. Man will sich gar nicht vorstellen, was das für eine Konsequenz hätte! Ich bin den Versorgungsunternehmen dankbar, dass sie erklärt haben, sie werden es dazu sowieso nicht kommen lassen; das ist gut. Aber durch dieses Gesetz haben die Schuldner dann eben auch die entsprechende Rechtssicherheit, meine Damen und Herren, und das ist wichtig gerade in so einer Zeit der Unsicherheit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Minister, in Kenntnis der Verfassungslage möchte ich sagen: Wir haben sehr kurze Redezeiten verabredet, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich auch daran halten könnten.

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Ein Verfassungsbruch an dieser Stelle als Justizministerin wäre undenkbar. ({0}) Deswegen möchte ich nur noch ganz kurz allen danken, die diesem Gesetzentwurf im Ausschuss einstimmig zugestimmt haben. Das zeigt, dass es einen breiten Konsens gibt, die Sorgen und Nöte der Menschen in diesem Land in dieser schwierigen Situation ernst zu nehmen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses einen Dank aussprechen; denn da wurde unter Hochdruck echt Enormes geleistet. Vielen Dank! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jens Maier, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt nur zwei Minuten Redezeit und kann daher nicht viel sagen. ({0}) In Notzeiten hat die Regierung das Wort. An ihr ist es, das Land durch die Not hindurchzuführen. Eine verantwortungsvoll handelnde Opposition, der das eigene Volk und das Vaterland am Herzen liegen, begleitet den Weg der Regierung in dieser Zeit konstruktiv. ({1}) Opposition um der Opposition willen verbietet sich. Die AfD-Fraktion ist sich dieser Verantwortung bewusst und hat deshalb mehrere Änderungsanträge und einen Entschließungsantrag eingebracht. Im Bereich des Wohn- und Gewerberaummietrechts geht es vor allen Dingen darum, auch den Vermieter nicht hinten runterfallen zu lassen. Deshalb soll der Mieter nach unseren Vorstellungen im Änderungsantrag im Hinblick auf den erweiterten Kündigungsschutz bereits bei Nichtleistung der Miete glaubhaft machen, dass seine Zahlungsunfähigkeit auf die Coronakrise zurückzuführen ist, um Missbrauch zu verhindern und den Vermieter frühzeitig zu informieren. Darüber hinaus wollen wir über den Entschließungsantrag erreichen, dass den Vermietern nach der Krise eine Perspektive eröffnet wird, die offenen Beträge möglichst schnell zu erhalten; denn die Mieten – das muss man vielleicht auch noch mal deutlich betonen – werden nicht erlassen. Im Hinblick auf die bei Darlehensverträgen vorgesehenen befristeten Leistungsverweigerungsrechte haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der vorsieht, nicht nur Verbraucher und Kleinstunternehmer, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen in den Anwendungsbereich einzubeziehen, weil auch diese Unternehmen schutzwürdig sind. ({2}) Bitte greifen Sie unsere Änderungsanträge auf, und stimmen Sie ihnen zu! Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak, CDU/CSU. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig: Die Coronapandemie ist sicher die größte Herausforderung, die unser Land seit sehr vielen Jahrzehnten zu bewältigen hat. Davon sind alle gesellschaftlichen Bereiche betroffen. Ich denke zum Beispiel an den Gesundheitsbereich und die Einschränkung der persönlichen Freiheit. Betriebe müssen schließen, Aufträge brechen weg, und Menschen verlieren ihren Job. Wir werden sicher – das muss man offen und ehrlich sagen – nicht alles davon abfedern können. Wir können den Menschen nicht versprechen, dass am Ende niemand wirtschaftlichen Schaden nimmt, aber – und deswegen läuft ja gerade diese Abstimmung – wir stemmen uns mit allem, was wir haben, dagegen. Wir wollen die wirtschaftlichen Folgen abmildern. Um das zu bewirken, machen wir gerade ein Rettungsprogramm in dreistelliger Milliardenhöhe. Aber auch die Rechtspolitik muss hier ihren Beitrag dazu leisten. Deswegen werden wir an verschiedenen Gesetzen Veränderungen vornehmen, um dieses Rettungspaket, diese Hilfsmaßnahmen, zu flankieren; denn unser Ziel ist ganz klar: Niemand soll wegen der Coronakrise seine wirtschaftliche Existenz verlieren. Deshalb machen wir ein umfangreiches Gesetzespaket. Dabei geht es um den Bereich des Insolvenzrechtes, um das Gesellschaftsrecht, um das Strafprozessrecht. Am Ende geht es darum, die Handlungsfähigkeit zu erhalten, und dafür machen wir ganz verschiedene Maßnahmen. Ich will mich hier auf den Bereich des Zivilrechtes konzentrieren; denn das ist das, was die Menschen ganz unmittelbar betrifft. Viele Menschen müssen in Kurzarbeit gehen oder verlieren jetzt möglicherweise ihren Job infolge der Krise, weil Betriebe zumachen. Unser Ziel ist es, mit diesem Gesetzespaket diese wirtschaftlichen Folgen von Corona abzumildern. Deswegen wollen wir mit diesem Gesetz ein doppeltes Signal aussenden. Wir wollen den Menschen ihre existenziellen Ängste und Sorgen nehmen, insbesondere die, dass sie ihre Wohnung verlieren könnten und dass ihre Betriebsstätte nicht aufrechterhalten werden kann, und gleichzeitig wollen wir auch das Signal aussenden, dass wir den Wirtschaftskreislauf am Laufen halten, sodass das Vertrauen in den Fortbestand von Verträgen erhalten bleibt. Wir tun in dem Zusammenhang das, was notwendig ist, aber wir reduzieren die Eingriffe – und das muss man auch deutlich sagen: Es ist ein tiefer und massiver Eingriff in bestehende Verträge; das ist ordnungsrechtlich alles andere als trivial – auf das zwingend notwendig Maß. Deswegen war es uns als Union auch sehr, sehr wichtig, all das, was wir jetzt machen, bis zum 30. Juni 2020 zu befristen, sodass es erst einmal nicht darüber hinausgeht. Wir adressieren da verschiedene Punkte. Es geht zum einen darum, Verbraucher bei Dauerschuldverhältnissen zu schützen, sodass ihnen nicht der Strom, das Internet, das Wasser abgestellt wird. Sie können für drei Monate etwas Luft schnappen und die Zahlungen einstellen. Wir wollen die Eigentümer und auch andere Verbraucher schützen, die Darlehen aufgenommen haben. Ich denke etwa an Menschen, die ihr Haus finanziert haben und aufgrund ihrer Situation in den nächsten drei Monaten keine Kreditraten mehr tragen müssen, also keine Zinsen mehr zahlen und keine Tilgungen mehr leisten müssen, weil wir verhindern wollen, dass dort in das Eigentum vollstreckt wird. Ein weiterer Bereich, der, glaube ich, die meisten Menschen insbesondere interessiert, ist der Bereich des Mietrechts, weil es dort wirklich um existenzielle Fragen geht. Wir wollen nicht, dass Menschen ihr Dach über dem Kopf verlieren; denn es ist für sie existenziell. Das Zuhause ist ein Stück Rückzugsort; es ist ein Stück Heimat. Deswegen sagen wir: Bis zum 30. Juni 2020 wird der Kündigungsschutz hochgefahren. Wegen Mietschulden darf man in dieser Zeit nicht mehr kündigen. Wahr ist aber auch: Wir muten den Vermietern damit einiges zu. Man muss schon sagen: Auch die haben natürlich Sorgen. Viele – gerade die privaten Kleinvermieter – sind darauf angewiesen, Mietzahlungen zu erhalten, weil sie etwa ihre Altersvorsorge darauf aufgebaut haben. Deswegen haben wir als Union nicht nur sehr darauf geachtet, dass wir das Gesetz an dieser Stelle befristen, sondern wir haben auch gesagt: Es ist dringend notwendig, dass die Mieterinnen und Mieter nachweisen und glaubhaft machen müssen, dass sie wirklich aufgrund von Corona in diese wirtschaftliche Notlage gekommen sind und deswegen ihre Mietzahlungen nicht leisten können. Mir sind zwei weitere Punkte wichtig, die ich nur ganz kurz adressieren möchte: Erster Punkt. Der Zahlungsanspruch bleibt selbstverständlich bestehen. Die Mieter müssen ihre Miete nachzahlen und gegebenenfalls auch Verzugszinsen zahlen. Es ist, glaube ich, daher wichtig, den Mietern zu sagen: Nur diejenigen, die wirklich in wirtschaftlicher Not sind, sollten davon Gebrauch machen, und es sollte auch an die Vermieter gedacht werden. Bei meinem letzten Punkt geht es um den Grundsatz der Subsidiarität. Nehmt staatliche Hilfen in Anspruch: Wohngeld, ALG II, die staatlichen Hilfsprogramme! Wir wollen keinen Dominoeffekt auslösen, sondern wir wollen die Wirtschaft am Laufen halten. Insofern sollten die staatlichen Hilfsprogramme bitte in Anspruch genommen werden, sodass die Mieten auch weiter gezahlt werden können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Luczak.

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ja, bitte.

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es sind besondere Zeiten; sie erfordern besondere Lösungen. Wir wollen mit diesem Gesetz ein Stück weit Hoffnung und Zuversicht geben, und deswegen bitte ich hier an dieser Stelle um Zustimmung. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Stephan Thomae, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren! In Krisenlagen wie dieser beweist sich die Verlässlichkeit unseres rechtsstaatlichen Gewaltarrangements. Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat kennt keinen Ausnahmezustand. Das Recht wird in diesen Tagen vielfach einer Bewährungsprobe ausgesetzt; aber Freiheit, Eigentum, Privatautonomie müssen wir auch und gerade in diesen Zeiten schützen, wenn wir unser Land nach dieser Krise noch wiedererkennen wollen. Auch in Krisen wie dieser muss der Rechtsstaat erkennbar bleiben. ({0}) Die Bundesregierung legt uns heute ein Gesetzespaket mit vielen und zum Teil tiefgreifenden Änderungen im Insolvenzrecht, im Zivilrecht, im Strafverfahrensrecht vor. Überwiegend sehen wir diese Änderungsvorschläge als sachgerecht und angemessen an; teilweise stehen wir ihnen aber auch kritisch und ablehnend gegenüber. Ja, die Zeiten verlangen es, dass Gerichtsverfahren länger als bisher ausgesetzt werden müssen und dass Hauptversammlungen von Gesellschaften, Wohnungseigentümergemeinschaften und Vereinen nicht mehr als Präsenzsitzungen stattfinden können. Ja, Unternehmen droht die Zahlungsunfähigkeit, und Verbraucher und Kleinstunternehmer sind nicht mehr, wie bisher, in der Lage, Dauerverträge einzuhalten und Mieten, Pachten und Darlehenskosten weiter zu bezahlen. Das verlangt von uns, dass wir darauf reagieren, dass wir pandemiebedingten Einnahmeausfällen, dass wir Verlustängsten und dass wir den Ängsten mancher, vor dem Nichts zu stehen, entgegenwirken. Ja, Verbraucher und Mieter brauchen in diesen Tagen Schutz und Hilfe. Aber, Frau Ministerin, manche Maßnahme, die Sie hier ergreifen, reicht das Problem nur eine Reihe weiter. Das ist zum Beispiel bei zwei Vorschlägen, die Sie machen, der Fall. Das erste Problem ist das Leistungsverweigerungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen; Sie sprachen es an. Da entstehen gewaltige Unsicherheiten. Diese Unsicherheiten treffen gerade Kleinstunternehmer, vor allem Handwerker, stärker als viele andere. Das zweite Problem – Sie sprachen es ebenfalls schon an; das war Gegenstand der Rede der meisten meiner Vorredner – ist das Kündigungsrecht im Mietrecht. 3,9 Millionen private Kleinvermieter in diesem Land sind darauf angewiesen, dass Miete gezahlt wird. Ansonsten droht auch ihnen, dass sie Darlehen und Betriebskosten nicht mehr bezahlen können, dass sie Verwaltergebühren und Handwerkerrechnungen schuldig bleiben. Am Ausbleiben der Miete hängt eine ganze Menge hintendran. Dann drohen vielleicht irgendwann Darlehenskündigungen. Dann kann die Zwangsverwaltung, die Zwangsversteigerung drohen. Dann droht der Verlust eines Stückes Altersvorsorge. Das ist die Sorge, die wir haben. Deswegen hat die FDP-Fraktion Ihnen heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, der genau dem entgegenwirken soll. Es soll ein Sonderwohngeld eingeführt werden, damit die Mieter ihre Miete weiter bezahlen können, sodass der erste Dominostein in dieser Kaskade Mieter-Vermieter-Darlehensgeber-Handwerker-Verwalter gar nicht erst umfällt. Wir haben also Kritik an Ihrem Entwurf. Aber wenn wir heute Ihrem Gesetzentwurf gleichwohl zustimmen, dann tun wir dies aus staatspolitischer Verantwortung, weil auch uns bewusst ist, dass wir diese Krise nur gemeinsam bewältigen können. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Friedrich Straetmanns, Die Linke, ist der nächste Redner. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Coronakrise zeigt uns deutlich auf, dass die parlamentarische Demokratie sehr wohl handlungsfähig ist. Gleichzeitig dürfen wir aber bei aller gebotenen Eile nicht vernachlässigen, alle Maßnahmen auf die Einschränkung von Grundrechten hin zu prüfen. Die gewählten Wege müssen stets – das betone ich – das mildeste Eingriffsmittel sein. Nicht alle Vorschläge in dieser Krise haben sich durch die gebotene Milde und Zweckmäßigkeit ausgezeichnet. Der hier vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Coronapandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht ist trotz bei uns bestehender Bedenken im Ganzen zustimmungsfähig. Die kritische, aber konstruktive Begleitung Ihrer Vorhaben ist unser Beitrag als Opposition zur Bekämpfung der aktuellen Krise. Wir begrüßen daher insbesondere die Regelungen für Mieterinnen und Mieter, die aktuell ihre Miete nicht zahlen können. Diese sind durch den vorliegenden Gesetzentwurf vor der Kündigung des Mietvertrages geschützt, soweit die fehlende Zahlung der Miete auf der Krise beruht. Gleiches gilt für die Verträge über die Lieferung von Strom, Gas und Wasser. Das finden wir gut. Wir begrüßen auch den Schutz vor Kündigung von Hypothekenverträgen, soweit dort ebenfalls Zahlungen krisenbedingt nicht geleistet werden können. Für uns als Linke stehen alle Wohnverträge unter besonderem Schutz. Gerade deshalb fordern wir – weiter gehend als Sie –, dass unabhängig von der jetzigen Krise niemand seine Wohnung verlieren darf. ({0}) Wir sehen daher diesen Gesetzentwurf als bloße Verschiebung einer grundsätzlichen politischen Frage, die da lautet: Warum wird Wohnraum zur Verfügung gestellt? Diese Frage beantworten wir ohne Wenn und Aber: Damit Menschen darin wohnen können, und nicht, damit aus Kapital mehr Kapital wird. ({1}) Es ist Aufgabe des Staates und seiner föderalen Institutionen, Wohnraum zu schaffen und im öffentlichen Eigentum zu halten. Anders werden wir das Wohnraumproblem für weite Teile der Bevölkerung niemals lösen können. Im Bereich der Insolvenzordnung bedarf es aus unserer Sicht in den nächsten Wochen einer Nachschärfung der Vorschriften. Unsere Angst ist, dass die jetzigen Regelungen ausgenutzt werden können, um Unternehmen wirtschaftlich auszuhöhlen und gezielt in eine Insolvenz zu führen, was ganz klar zum Nachteil der dort Beschäftigten gehen würde. Wir haben hierzu einige Hinweise aus dem Bereich der Insolvenzverwalter erhalten, die wir sehr ernst nehmen. Als Richter ist mir aber ein Punkt besonders wichtig, nämlich die Frage der Strafverfahren und Gerichtsprozesse. Es kommt darauf an, dass die jetzt zu beschließenden Regelungen dazu dienen, die ausgesetzten Prozesse möglichst unter Berücksichtigung des wichtigen Grundsatzes der Mündlichkeit der Verhandlung fortzuführen. Hier muss ich leider feststellen, dass die von Ihnen vorgelegte Regelung diesem Grundsatz wenig gerecht wird. Besser wäre es gewesen, weniger Verfahren zu hemmen und mehr Verfahren auszusetzen, sodass die Prozesse unbelastet von der gegenwärtigen Krise neu geführt würden. Wir sind aber bei aller Kritik insgesamt geneigt, die Regierung auch hier zu unterstützen, werden uns aber kritische Anmerkungen weiter vorbehalten. Danke. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Manuela Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Wirtschaft muss einen drastischen Schock bewältigen, und in Normalzeiten völlig gesunde Unternehmen kämpfen jetzt unverschuldet um ihre Liquidität. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in dieser Situation ist richtig, auch die Erleichterung der Zuführung von Liquidität an schwankende Unternehmen durch Gesellschafter oder Gläubiger. ({0}) Wir halten damit die Uhr für einen Moment an. Wir halten sie für die Unternehmerinnen und Unternehmer an, die mit dieser Situation verantwortungsbewusst umgehen. Denjenigen, die an ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denken, die an eigene Reserven gehen, um ihren Lieferanten zu helfen, die Forderungen gegenüber ihren Kunden stunden, helfen wir mit diesen Eingriffen ins Insolvenzrecht. Ihnen danken wir dafür, dass auch sie mit dieser Krise so verantwortungsvoll umgehen. ({1}) Die Erleichterungen im Insolvenzrecht bergen allerdings auch Risiken; darauf will ich hinweisen. Sie können missbraucht werden. Deswegen ist es unerlässlich, dass staatliche Hilfen mit klaren, vollstreckbaren Auflagen versehen werden. Wir müssen in dieser Situation verhindern, dass die Erleichterungen im Insolvenzrecht genutzt werden, um die Renditen von kurzfristig engagierten Investoren zu verbessern, anstatt unsere Unternehmen zu stabilisieren. ({2}) Die befristete Aussetzung der Kündigung wegen ausstehender Mietzahlungen für nicht leistungsfähige Verbraucherinnen und Verbraucher und Kleinstunternehmer ist für uns tragbar. Das Leistungsverweigerungsrecht für wesentliche Dauerschuldverhältnisse greift jedoch tief in die bewährte Risikoverteilung des allgemeinen Schuldrechts ein. Auch das birgt Risiken. Klare Regelungen zu den Darlegungspflichten hätten der Praxis die rechtssichere Anwendung erleichtert. Eine klare Aussage zur Gegenleistungspflicht wäre notwendig gewesen. ({3}) Eine bloße Verschiebung von Zahlungspflichten birgt die Gefahr späterer Überschuldung. Hier müssen wir über andere Lösungen nachdenken, zum Beispiel über Sonderkündigungsrechte für nicht wesentliche Leistungen. Dieses Paket kann nur ein erster Schritt sein. Wir brauchen auch ein Signal dafür, dass es nach der Krise weitergeht. Die ohnehin geplante Verkürzung der Frist bis zur Restschuldbefreiung vorzuziehen, wäre ein solches starkes Signal. ({4}) Lassen Sie mich noch kurz ein Wort zu den Änderungen im Infektionsschutzgesetz sagen, die später beraten werden. An diesen Beratungen wurden wir nicht beteiligt. Es ist richtig, dass der Bundestag entscheidet, ob eine epidemische Notlage von nationalem Ausmaß entsteht, und nicht die Bundesregierung. ({5}) Ein demokratischer Rechtsstaat kann, muss und wird zeigen, dass sich eine solche Krise auch mit demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln bewältigen lässt. Es ist aber nicht gut und für mich nicht verständlich, dass der Bundestag beim Erlass von Rechtsverordnungen, die tief in die Grundrechte eingreifen, nicht beteiligt ist. ({6}) In diesem Gesetz, das wir gerade behandeln, ist das anders. Hier haben wir das geändert. Aber warum man es dann angesichts der tiefen Eingriffe in die Grundrechte im Infektionsschutzgesetz nicht genauso macht, ist für mich nicht verständlich. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich komme kurz zu der namentlichen Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 4 a zurück. Die ersten 30 Minuten sind inzwischen vorüber, sodass ich nun die Abgeordneten, deren Nachname mit den Anfangsbuchstaben L bis Z beginnt, daran erinnere, dass auch sie zur Abstimmung gehen – nicht alle auf einmal, aber in den nächsten 30 Minuten. Natürlich können und sollen alle Kolleginnen und Kollegen in den nächsten 30 Minuten ihre Stimmkarte in die Urne werfen. Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Eva Högl, SPD. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Motto dieser Krise ist ja „Abstand halten und trotzdem zusammenhalten“. Ich glaube, das passt ganz gut zu dem Thema, das wir hier debattieren, und ich denke, wir zeigen heute hier, dass das gut gelingen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon gesagt worden: In einer Krise ist zunächst einmal die Regierung gefordert. Deswegen beginne ich auch mit einem ganz herzlichen Dankeschön – ich denke, das mache ich nicht nur für die SPD-Bundestagsfraktion – an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, auch ganz persönlich an die Bundesministerin, liebe Christine Lambrecht, und an das ganze Team. Es wurde unter Hochdruck mit viel Kreativität, aber auch trotz des Hochdrucks mit viel Sorgfalt ein Paket entwickelt, das wir heute hier zur Beratung vorliegen haben und hoffentlich beschließen werden. Es wurden sicherlich die bestehenden Arbeitszeitregeln nicht eingehalten. Deswegen: Ein ganz, ganz herzliches Dankeschön! Ich bitte, das weiterzugeben. ({0}) Aber ich will auch ganz deutlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es war nicht nur die Regierung, die gehandelt hat. Wir haben festgestellt, dass die Kommunikation untereinander sehr gut geklappt hat – mit den Abgeordneten, mit den Fraktionen, mit dem Parlament, mit der Koalition, aber auch mit der Opposition; ich war sehr zufrieden mit diesem Prozess –; denn sonst könnten wir dieses gigantische Paket heute hier gar nicht verantwortungsvoll verabschieden. Deswegen auch dafür ein ganz herzliches Dankeschön. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind durchaus gravierende Änderungen der bestehenden Regeln, die wir vornehmen: Fristen werden geändert, Abläufe, Schuldverhältnisse – das Verhältnis von Schuldnerinnen und Schuldnern zu den Gläubigern wurde schon angesprochen –, Rechte und Pflichten werden verändert. Das ist alles nicht trivial. Aber wir können sagen: Dieses Paket begrenzt die Änderungen auf das wirklich Nötigste. Erstens. Wir nehmen nur diejenigen Regeln in den Blick und verändern sie, die wir auch verändern müssen, um diese Krise zu bewältigen. Zweitens. Es ist befristet, zunächst einmal bis zum 30. Juni 2020, also auf drei Monate. Das ist ein guter Ansatz. Dann können wir weitersehen und gegebenenfalls verlängern. Als Drittes möchte ich erwähnen: Bei all den Regelungen, die wir vorgesehen haben, muss immer nachgewiesen bzw. dargelegt werden, dass ein Zusammenhang zu der Coronakrise besteht. Wir regeln notwendigerweise neu: Fristen im Insolvenzrecht – der Strafprozess ist schon angesprochen worden –, Präsenzpflichten im Gesellschaftsrecht sowie Fristen bei Dauerschuldverhältnissen; das ist sicherlich die gravierendste Änderung. Ich möchte auch noch einmal – weil das der SPD-Bundestagsfraktion natürlich besonders wichtig ist – das Mietrecht erwähnen, und zwar nicht nur für die Privatwohnungen, sondern auch für die Gewerberäume. Wir schützen Mieterinnen und Mieter davor, wegen Zahlungsverzug gekündigt zu werden. Das ist eine ganz zentrale, ganz wesentliche Regelung in diesem Gesetzespaket. Herzlichen Dank, dass wir das so miteinander besprechen konnten und hoffentlich hier verabschieden. ({2}) Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, konnten nicht alle Anmerkungen berücksichtigt werden. Jetzt kommen erst die ganzen Stellungnahmen. Wir konnten noch nicht alle fachlichen Hinweise aufgreifen. Deswegen habe ich überhaupt kein Problem damit, heute hier zu sagen: Wir nehmen uns das noch mal vor. Wir können anpassen; wir können nachbessern. Vielleicht schaffen wir das schon zur nächsten Sitzungswoche im April. Ich denke, wir haben an der einen oder anderen Stelle noch Gelegenheit dazu. Jedenfalls zeigen wir mit diesem Gesetzespaket: Wir haben einen starken Rechtsstaat, und der bleibt auch stark und wird noch stärker durch die Krise. Ich bitte Sie herzlich um Zustimmung zu diesem Paket. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Fabian Jacobi, AfD. ({0})

Fabian Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004767, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Artikel 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs soll die Insolvenzantragspflicht und weitere insolvenzrechtliche Folgen aussetzen. Das tragen wir als AfD im Grundsatz mit. Wer in dieser völlig unübersehbaren Lage um sein Unternehmen und um die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter kämpft, der soll bis auf Weiteres nicht auch noch mit der strafbewehrten Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags zusätzlich belastet werden. Ähnliches gilt für die, welche in ungewisser Lage entscheiden müssen, ob sie dem Unternehmen privates Kapital zur Verfügung stellen, um es über diese Krise zu retten. Wie gesagt: Wir tragen das heute mit. Allerdings ist es nicht unsere Aufgabe, nur Maßnahmen der Regierung abzunicken, sondern ein paar große Aber anzufügen. Erstens. Die Verbände der Insolvenzsachverständigen haben Hinweise mitgeteilt, auf die in der extremen Kürze der Zeit nicht ausreichend eingegangen werden konnte. Das muss beobachtet und womöglich sehr schnell nachgebessert werden. Zweitens. Die Regierung soll ermächtig werden, die vorgesehene Dauer der Maßnahme von sechs Monaten noch um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern bis ins nächste Jahr hinein. Der Gesetzgeber darf sich aber nicht so weitgehend aus der Verantwortung ziehen. Diese Entscheidung muss das Parlament treffen, wenn sie ansteht. ({0}) Wir haben den Antrag gestellt, diese Ermächtigung zu streichen. Bitte, stimmen Sie dem zu! Drittens. Die Insolvenzantragspflicht hat eine wichtige Funktion: Nichttragfähige Unternehmen müssen aus dem Wirtschaftsprozess entfernt, nicht als untote Zombies künstlich weitergeschleppt werden. Schon in der Bankenkrise wurde diese Funktion beeinträchtigt durch Aufweichen des Überschuldungsbegriffs. Auch damals hieß es, das gelte nur vorübergehend in einer akuten Krise. Das wurde dann mehrfach verlängert und schließlich ganz unauffällig auf Dauer gestellt. Wir werden darauf achten, dass dieser Fehler nicht wiederholt wird. Viertens. Apropos „Überschuldung“: Durch die heutigen Maßnahmen, so nötig sie sein mögen, werden die Staatsfinanzen für die absehbare Zukunft derart belastet, dass nicht unabdingbare Ausgaben schlicht unmöglich sein werden, seien es die vielen Millionen für dekadente Genderprofessuren, seien es die vielen Milliarden für die Asylindustrie. ({1}) Das alles ist nach dieser Krise vorbei. Wir werden hier sein, um den Rest des Hauses beizeiten daran zu erinnern. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Heribert Hirte, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang vielleicht noch einmal daran erinnern, was eigentlich die zwei wesentlichen Punkte sind, die alle diese Änderungen im Zivil-, Straf- und Wirtschaftsrecht verbinden. Es geht erstens darum – die Kollegin Rottmann hat eben darauf hingewiesen –, Zeit zu gewinnen, Zeit zu gewinnen zum Nachdenken, wie die endgültige Verteilung der Lasten im Bereich des Zivil- und Wirtschaftsrechts sein muss. Das ähnelt ein bisschen dem, was wir im Gesundheitsbereich tun. Dort sehen wir, dass wir überfordert wären, wenn wir sofort sagen würden: Wir wissen genau, wie es gehen soll. – Das wissen wir nicht. Diese Unsicherheit – so steht es im Übrigen auch in den haushaltsmäßigen Ausführungen im Gesetzentwurf – müssen wir offen zugeben, und mit dieser Unsicherheit handeln wir. Der zweite Punkt – der Kollege Thomae hat es sehr deutlich angesprochen –: Wir fangen bei den schwächsten Gliedern an. Das sind die Unternehmen, das sind die Familien, das sind die Privatpersonen. Wenn ein Unternehmen erst mal pleite ist, ausgeschieden aus dem Markt, dann kann es nicht einfach wiederbelebt werden. Eine Familie, die ihre Wohnung verlassen musste, kann nicht irgendwann später wieder in diese rein. Deshalb schützen wir zuerst hier. Wir werden mit Sicherheit in dieser Regresskette, in dieser Dominokette noch einmal darüber nachdenken müssen, wie wir mit diesen Punkten und weiteren Aspekten umzugehen haben. Das Bundesjustizministerium – wir haben es gerade gehört – sammelt die entsprechenden Anregungen. Lassen Sie mich aber zu den beiden wirtschaftsrechtlichen Aspekten – Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht – noch etwas sagen. Im Insolvenzrecht setzen wir – wir hatten dafür Vorbilder bei den verschiedenen Hochwasserkatastrophen – die Strafbewehrung der Insolvenzantragspflicht für einige Monate aus. Die Unternehmen haben uns schon vor einigen Wochen, als das in China losging, gesagt: Müssen wir nicht einen Insolvenzantrag stellen? Wir haben ein Strafbarkeitsrisiko! – Dieses Risiko, diese Sorge nehmen wir ihnen. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt, um die Unternehmen am Leben zu erhalten. Wir mildern außerdem die Haftungsregeln ab, die damit verbunden sind, dass Geschäftsführer in dieser Zeit keine Zahlungen mehr leisten dürfen und dass umgekehrt möglicherweise in einer Insolvenz, die später kommt, die Zahlungen, die jetzt geleistet werden, mit der Insolvenzanfechtung rückgängig gemacht werden müssen; das ist der Zusammenhang. Letzter Punkt. Die Restschuldbefreiung kann nicht auf Zahlungsunfähigkeit in der jetzigen Krisensituation gestützt werden. Zu Recht haben einige Insolvenzverwalter angesprochen – es wurde schon mehrfach gesagt –, dass auch Missbrauch droht. Wir beobachten das sehr genau. Dieser Missbrauch droht vor allen Dingen deshalb, weil in der zentralen Bestimmung steht, dass seit dem 1. Januar die Zahlungsunfähigkeit, die Insolvenzreife vorliegen kann, wenn vermutet werden muss, dass sie auf coronabedingte Sachverhalte zurückgeht. Dann müssen wir erklären, warum wir dieses Datum gewählt haben. Wir haben es in Abstimmung mit dem Finanzministerium gewählt, weil es genau das Datum ist, von dem an Hilfen beantragt werden können. Es kann nicht sein, dass man insolvent wird, wenn Hilfen möglicherweise gewährt werden können. Aber umgekehrt bedeutet das: Wenn keine Hilfe gewährt wird, weil die Kausalität woanders liegt, dann besteht natürlich auch das Risiko der Insolvenz. – Das müssen wir deutlich sagen. Bei Unternehmen, die nur auf einem lokalen Markt agieren, wird sich die Frage anders stellen als bei internationalen Unternehmen, die von Lieferketten abhängig sind. Also: Wir schauen da hin. Der nächste Punkt betrifft das Gesellschaftsrecht; es wurde schon angesprochen. Wir führen jetzt erst einmal befristet – aber das ist ein wichtiger Punkt – eine virtuelle Hauptversammlung ein. Hier brauchten wir einen Ausgleich mit den Interessen der Aktionäre. Und ich sage ganz deutlich: Wir müssen das Fragerecht ganz genau ansehen. Wir müssen sehen, ob das so gewährleistet wird, wie es gerade vor dem Hintergrund des Eigentumsschutzes in Präsenzhauptversammlungen gewährt wird. Das ist ein wichtiger Punkt, der vielleicht verbesserungsfähig ist. Wir sehen aber andererseits das Risiko, dass auf Corona gestützte Anfechtungsklagen erhoben werden. Das haben wir ausgeschlossen. Insofern ist das ein richtiger und wichtiger Schritt. Ich bitte um Zustimmung für das Gesetz. Ich danke und wünsche allen, die erkrankt sind, gute Genesung. Ihnen wünsche ich: Bleiben Sie gesund! ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Coronakrise sind eine große Herausforderung für unsere Rechtsordnung. Wenn vieles stillsteht, ist das nichts anderes als ein gesellschaftlicher Wegfall der Geschäftsgrundlage. Recht und Lebenswirklichkeit lassen sich nicht voneinander trennen. Deswegen spannen wir heute einen rechtlichen Schutzschirm über vielerlei Vertragsbeziehungen auf. Es geht darum, dass wir die Schwächsten besonders schützen und Zeit gewinnen, um aus der Krise herauszukommen. Im Wesentlichen geht es darum, dass wir die Mieterinnen und Mieter im Mietrecht stärker schützen wollen. Es besteht durch dieses Gesetz kein Anspruch darauf, die Miete nicht zu bezahlen. Aber wenn jemand coronabedingt die Miete nicht bezahlen kann, dann muss er nicht fürchten, dass ihm die Wohnung gekündigt wird. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten. Aber klar ist auch, dass wir einen Interessenausgleich brauchen. Wir müssen auch an die kleinen Vermieter denken, die von den Mieteinnahmen abhängig sind, um ihre Darlehen zu bedienen. Auch hier gilt: Wer das Darlehen nicht bedienen kann, muss keine Angst haben, dass das ganze Darlehen sofort fällig gestellt und er damit zahlungsunfähig wird. Hier liegt, meine Damen und Herren, ein wichtiger Interessenausgleich. Wir müssen auch über die Frage des Insolvenzrechts sprechen. Gerade in schwierigen Zeiten kommt es darauf an, Zeit zu gewinnen und Geld einzunehmen, durch Hilfsfonds oder eine zeitliche Streckung, um damit den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Eine Insolvenzantragsfrist von nur drei Wochen ist in dieser Krise nicht ausreichend; deswegen wird sie verlängert. Wir sorgen auch dafür, dass die Unternehmen handlungsfähig bleiben, indem sie die Beschlüsse fassen können, die zur Bilanzierung, aber auch zur Ausschüttung des Bilanzgewinns notwendig sind. Deswegen führen wir eine virtuelle Hauptversammlung ein. Ja, das hat Änderungen in Bezug auf die Wahrnehmung der Rechte des Minderheitsaktionärs zur Folge. Aber ich glaube, dass wir auch hier einen guten Interessenausgleich finden, um Unternehmen in schwierigen Zeiten handlungsfähig zu halten. Ja, meine Damen und Herren, das Ganze muss zeitlich begrenzt sein, weil eine Ausnahmesituation nicht die Regel werden darf. Wir müssen hier so wie bei anderen Punkten sehr besonnen vorgehen. Ich glaube, dass diese Krise – das haben die Beratungen heute deutlich gemacht – keine Krise des Rechts ist; denn alle Eingriffe in Grundrechte sind verhältnismäßig, zeitlich begrenzt und gut begründet. Wir bringen damit zum Ausdruck, dass unsere freiheitlich-demokratische Ordnung auch mit einer solchen Situation im Rahmen des Rechts umgehen kann. Das ist die wichtige Botschaft: Wir können durch Recht und Gesetz eine Krise bewältigen. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das Land der Selbstverständlichkeiten hält die Uhr an. Plötzlich merkt jeder: Was wir vor nur ein paar Wochen für selbstverständlich gehalten haben, war es noch nie – Freiheit, Wohlstand, Wachstum, noch wichtiger aber Gesundheit und Gesundheitsversorgung. Es rührt mich an, wenn Großeltern fragen: Wann kommst du wieder? – Es rührt mich an, wenn ein weinendes Kind bettelt: Ich will zu meinen Spielkameraden. – Es rührt mich auch an, wenn Arbeitnehmer, wenn Unternehmer fragen: Wie soll das alles weitergehen? – Dabei bewegt mich natürlich am meisten, dass wir alle diese Fragen noch nicht beantworten können, dass wir am heutigen Tag nur die grobe Marschroute festlegen. Und noch mehr bewegen mich – uns alle – aber die Bilder: Särge in italienischen Militärkonvois, schwerkranke Patienten auf dem Boden in Krankenhäusern in Madrid, Bilder, die wie ein Menetekel von Geisterhand wegwischen, was uns an Verharmlosung immer noch entgegengehalten wird. Uns alle, Regierung wie Opposition, eint ein Ziel, nämlich das, genau diese Bilder mit aller Kraft zu verhindern und Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Das ist Dreh- und Angelpunkt, meine Damen und Herren, dieser Gesetze, die wir heute debattieren. Dabei danke ich allen, die konstruktiv mitgewirkt haben: Opposition wie Koalition, Abgeordneten wie Mitarbeitern. Sie haben in den letzten Tagen nicht nur hart gearbeitet, sondern eine gemeinsame staatspolitische Verantwortung wahrgenommen. Vielen Dank! ({0}) Der Deutsche Bundestag stellt heute im Bevölkerungsschutzgesetz die epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Es ist entscheidend, dass wir, das Parlament, das tun, und genauso ist entscheidend, dass wir die Macht haben, das – und das hoffentlich bald – wieder aufzuheben. Das Bevölkerungsschutzgesetz ist die Grundlage für Eingriffe in Grundrechte wie die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person oder die Versammlungsfreiheit. Das Gesetz ermächtigt aber auch den Bundesgesundheitsminister, umfassend und situativ einzugreifen, um insbesondere die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Es ist, meine Damen und Herren, ein unabdingbarer Vertrauensvorschuss an den Gesundheitsminister. Jens Spahn hat im Krisenmanagement Größe gezeigt und dieses Vertrauen schon jetzt in ganz besonderer Weise gerechtfertigt. ({1}) Unser Gesundheitssystem ist überdurchschnittlich gut. Es ist aber trotzdem nicht umfänglich auf eine Pandemie ausgelegt. Dafür nutzen wir die Zeit, die wir mit den Kontaktbeschränkungen gewinnen. In der Krise kommt es in besonderer Weise auf unsere Krankenhäuser, auf die Ärzte, auf die Pfleger an. Für ihr Engagement Dank und Anerkennung! Krankenhäuser müssen momentan Betten freihalten, Intensivbetten anschaffen. Rehakliniken müssen sich auf Akutpatienten und die Kurzzeitpflege umstellen, Ärzte ihre Behandlungsweise umstellen und neu ausrichten. Am Geld, meine Damen und Herren, darf das alles nicht scheitern. Deshalb spannen wir auch für die Krankenhäuser, die Rehakliniken und die Arztpraxen einen milliardenschweren Rettungsschirm auf. Der Bund beteiligt sich mit 50 000 Euro an jedem neuen Intensivbett mit Beatmungsmöglichkeit. Wir zahlen für jedes freigehaltene Bett 560 Euro pro Tag, für die Rehakliniken 60 Prozent des durchschnittlichen Vergütungssatzes. Wir erhöhen das Pflegebudget pro Tag und Patient auf 185 Euro. Wir zahlen 50 Euro Zuschlag pro Patient für teurere Schutzausrüstung. Dabei wünsche ich mir in der jetzigen Situation nichts mehr, als dass wir all das viele Geld grundlos ausgeben, dass die Betten leer bleiben und die Beatmungsgeräte verstauben. Ihnen allen Gesundheit und Gottes Segen! ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jürgen Pohl, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Die Coronakrise hat unser Land immer fester im Griff, und in den schweren Zeiten, die wir erwarten, wird es sich wieder zeigen, was wir gemeinsam leisten können, um einen nationalen Katastrophenfall zu bekämpfen. Das von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Sozialschutz-Paket ist nur ein Anfang. Es hat Stärken, es hat Schwächen. Aber ich erkläre ausdrücklich meinen Respekt angesichts der Geschwindigkeit, in der dieses Maßnahmenpaket vorgelegt wurde. Diese Geschwindigkeit, muss ich Ihnen sagen, ist gut. Wir brauchen diese Geschwindigkeit. ({0}) Wir haben immer schon Fehlentwicklungen in der Sozialpolitik gerügt. Doch heute soll nicht der Tag des parteipolitischen Klein-Kleins sein. Aber, meine Damen und Herren, nach Abschluss der Krise, wenn wir die Sache wieder im Griff haben – und ich bin mir sicher, dass unser Volk diese Krise positiv meistern wird –, müssen wir über solche Fragen sprechen: Wurde das Coronavirus noch im Januar 2020 unterschätzt? Wurden die vorhandenen Pläne und Szenarien für den Fall einer Pandemie überhaupt genügend beachtet? ({1}) Waren die technischen und personellen Voraussetzungen gegeben, solch eine Pandemie zu beherrschen? Aber das sind Fragen, die später anstehen. Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Bundesregierung, sehr geehrter Herr Minister, es ist die Zeit der staatsbürgerlichen Verantwortung aller. Es ist an der Zeit, alle Vorschläge zur Lösung dieser Herausforderung zu prüfen, um damit Not von unserer Bevölkerung abzuwenden. Mit fünf Maßnahmen will die AfD die sozialen Folgen der Coronakrise bremsen. Wir brauchen Folgendes sofort: Wir brauchen noch mehr Unterstützung für Familien, Eltern und Kinder bei Schließung von Schulen und Kindergärten, mehr, als von Ihnen beschlossen. ({2}) Wir brauchen noch bessere Regelungen für die Landwirtschaft, um die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Wir brauchen eine Änderung der Hinzuverdienstgrenzen bei der Grundsicherung. Wir brauchen Regelungen zum Erhalt lebensnotwendiger Logistik, zur Unterstützung der Lkw-Fahrer. Wir brauchen einen Notfallplan für Obdachlose und Menschen mit Behinderung. Wir brauchen ein Sonderprogramm für den Bundesfreiwilligendienst, Regelungen für Azubis. ({3}) Das sind Fragen, die anstehen, und wir bieten unsere Unterstützung an. Wir haben dementsprechende Anträge heute im Plenum gestellt. ({4}) Aber, sehr geehrte Kollegen, maximal mögliche Hilfe verdienen insbesondere die alten Menschen in unserem Land. Das sind die Menschen, die Deutschland nach den schweren Kriegen im 20. Jahrhundert wieder aufgebaut haben, denen wir unseren Wohlstand verdanken. Und jede rechtliche Regelung, die wir hier beschließen, muss sich daran messen lassen, ob sie unseren Eltern, unseren Alten nutzt. Das muss wichtig sein. ({5}) Kurz zum Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Wir sind der Meinung, dass der Gesetzentwurf durchaus sinnvoll ist, aber wir sehen die Notwendigkeit, dass im Gesetz eine automatische Befristung der Geltungsdauer bis zum 30. September 2020 vorgesehen sein sollte, sodass der Bundestag sich vor dem 30. September 2020 mit diesem Gesetz noch mal beschäftigt. Daher: Enthaltung. Auch beim Krankenhausentlastungsgesetz haben wir Besprechungsbedarf, insbesondere wenn es um solche Formulierungen geht wie zum Beispiel, dass kassenärztliche Vereinigungen „eine befristete Ausgleichszahlung an den vertragsärztlichen Leistungserbringer leisten“ können. Nein, sie können nicht, sie müssen diese Zahlung erbringen. ({6}) Sehr geehrte Damen und Herren, werte Kollegen, unser Grundgesetz fußt auf dem Gedanken der Gemeinschaft, der Solidarität. Jetzt ist die Zeit gekommen, an einem Strang zu ziehen und Solidarität und Gemeinsinn zu zeigen. Jetzt zählt nur noch das Einstehen für die Familie, für die Nachbarn, für die Gemeinschaft. Wir stimmen dem Sozialschutz-Paket zu. Danke schön. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 4 a. Die Zeit für die namentliche Abstimmung ist jetzt abgelaufen. Ich frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses irgendwo im Haus, das seine Stimme nicht abgegeben hat oder seine Stimme noch abgeben möchte? – Wenn das nicht der Fall ist, schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben werden. Damit erteile ich in unserer Aussprache das Wort dem Bundesminister Hubertus Heil. ({0})

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz von Gesundheit, der Schutz des Lebens hat absolute Priorität in dieser Krise; das ist in verschiedenen Reden deutlich geworden. Denn diese Herausforderung, Herr Kollege, ist nicht nur eine nationale Katastrophe; sie ist eine Menschheitsherausforderung. ({0}) Weil Gesundheit und Schutz von Leib und Leben absolute Priorität haben, müssen wir versuchen, der Bevölkerung, wo immer es geht, andere existenzielle Ängste zu nehmen. Das betrifft die Angst um das kleine Unternehmen; das betrifft die Angst um den Arbeitsplatz; das betrifft die Angst um die soziale Sicherheit. Diese Bundesregierung und diese Demokratie – das zeigt sich ja heute – werden alles tun, um jeden Arbeitsplatz, um jede Existenz kämpfen, um die soziale Sicherheit in diesem Land zu gewährleisten. ({1}) Die wirtschaftlichen Folgen der gesundheitspolitischen Maßnahmen und auch die weltwirtschaftlichen Auswirkungen sind dramatisch. Ich kann Ihnen heute als Arbeitsminister nicht zusagen, dass wir wirklich jeden Arbeitsplatz sichern können. Aber ich kann Ihnen deutlich sagen: Wir werden um jeden Arbeitsplatz in Deutschland kämpfen. ({2}) Wir haben dazu Instrumente und Mittel, die der Deutsche Bundestag heute im Rahmen der Wirtschaftshilfen bereitgestellt hat. Aber das betrifft auch die arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die wir uns schon mal in einer Krise verschafft haben, um Arbeitsplätze zu sichern. Ich rede von den veränderten Regeln zur Kurzarbeit, die wir als Parlament und als Regierung jetzt sofort zur Verfügung haben. Das sichert Beschäftigung; das sichert auch Liquidität in den Unternehmen. Das ist eine wichtige Botschaft an dieser Stelle. Das Zweite, was wir heute beschließen, ist, dass wir die Zuverdienstmöglichkeiten für Menschen, die in Kurzarbeit sind, vergrößern, damit Lohnlücken abgefedert werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Es gibt jetzt viele Menschen, die in einer Wäscherei arbeiten. Die Wäscherei hat keine Aufträge, weil das Hotel, das sie sonst versorgt, geschlossen hat. Aber es werden gleichzeitig viele Menschen in einer Wäscherei beispielsweise in einem Krankenhaus gebraucht. Wir machen es möglich, dass diejenigen, die jetzt in Kurzarbeit gehen, ohne Lohneinbußen auch in diesem Bereich tätig sein können. Das Kurzarbeitergeld wird dafür nicht gestrichen. ({3}) Wir sorgen – drittens – dafür, dass es einen erleichterten Zugang für alle gibt, die jetzt auf ergänzende Grundsicherung angewiesen sind, ob Selbstständige oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wer existenziell sozial gefährdet ist, der wird ab sofort, befristet für diesen Zeitraum, tatsächlich ohne Vermögensprüfung, ohne die Überprüfung von Wohnraum in den Genuss von Grundsicherung kommen können. Der Begriff „Genuss“ ist vielleicht falsch. Ich will es anders sagen: Das wirkt jetzt wie ein Kombilohn, damit die Menschen nicht unter eine existenzielle Wasserlinie geraten. Ich bin dankbar, dass wir das heute beschließen. ({4}) Wir helfen Familien durch Veränderungen beim Kinderzuschlag, die meine Kollegin Franziska Giffey in dieses Gesetz eingebracht hat, gerade für Geringverdiener. Wir sorgen dafür, dass auch die Zeit der Schul- und Kitaschließungen nicht zu unverhältnismäßigen Lohnkürzungen führt, durch Maßnahmen, die wir mit den Ländern besprochen haben. Nicht zuletzt: Wir sichern die soziale Infrastruktur, die sozialen Dienste, die wir zur Bewältigung dieser Krise brauchen und auch einsetzen werden, indem wir einen Schutzschirm spannen: Dieser sorgt dafür, dass zum Beispiel diejenigen, die in der Weiterbildung, in der beruflichen Rehabilitation, in der Schuldnerberatung, beim Familienschutz, in der Kinder- und Jugendarbeit, in der ganzen großartigen sozialen Infrastruktur, die wir haben, arbeiten, von Trägern von Wohlfahrtsverbänden zur Bewältigung dieser großen Herausforderungen mit eingesetzt werden können. ({5}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, unser Land ist ein starkes Land. Es gibt ja den Satz, dass sich in der Krise der Charakter zeigt. Ich finde, dass die absolute Mehrheit, die meisten Menschen in diesem Land unglaublich Charakter zeigen. ({6}) Ich meine die Menschen, die sich an die Regeln halten, die ihre Mitmenschen schützen, denen wir dankbar sind, dass sie die Einschränkungen des sozialen Lebens in Kauf nehmen. Ich meine diejenigen, die hart arbeiten. Es ist viel über diejenigen in der Pflege und der Gesundheit gesprochen worden, das stimmt; ich meine aber auch die in den Behörden, die jetzt ackern, die Leben schützen, die soziale Sicherheit gewährleisten. Ich nehme jetzt mal zwei Gruppen – bitte sehen Sie mir das nach – ausdrücklich nach vorne. Ich sage das jetzt mal – das ist ungewöhnlich in diesem Parlament –: Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meinem Ministerium, die jetzt Nachtschichten gemacht haben, aber vor allen Dingen auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Bundesagentur für Arbeit, bei anderen Behörden des Bundes und der Länder, die jetzt soziale Sicherheit gewährleisten. Das ist eine kritische Infrastruktur; vergessen wir das nicht. ({7}) In der Krise zeigt sich auch der Charakter unserer Demokratie. Ich bin allen Fraktionen dieses Hauses sehr dankbar, dass wir diese Maßnahmen in kürzerer Zeit beraten und beschlossen haben. Wir zeigen, dass diese Demokratie nicht wehrlos ist, dass wir die Mittel haben, dass wir die Möglichkeiten haben, unsere Bevölkerung zu beschützen und Deutschland gut durch diese Krise zu bringen: im Gesundheitswesen durch die Ertüchtigung von Medizin und Intensivmedizin, durch die Krankenhausfinanzierung und im Bereich des Infektionsschutzes. Auch mit dem Sozialschutzpaket zeigt diese Demokratie: Die Demokratie ist manchmal langsamer als andere, aber die Demokratie ist nicht zu spät. Sie ist handlungsfähig. Dafür bin ich allen Fraktionen in diesem Haus sehr dankbar, meine Damen und Herren. Gott schütze Sie! Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Michael Theurer, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns erreichen in jeder Minute bange Fragen vieler Menschen. Viele Menschen haben Angst um ihre Gesundheit, viele um ihre berufliche Existenz; und vielen geht die Lösung zu langsam. Wir als Regierungsfraktionen und Opposition haben hier aber sichergestellt, dass Beratungen, die sonst Wochen dauern, in wenigen Stunden – und hier: an einem Tag – über die Bühne gehen. Das ist unsere staatspolitische Verantwortung. Auch wir danken den Ministerien und den Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen. Wir sind froh, dass Verbesserungen erreicht werden konnten: mehr Flexibilität etwa bei der Arbeitszeit, um Versorgungsengpässe abzuwehren, um die medizinische Versorgung sicherzustellen; Zuverdienstgrenzen werden erhöht – wir würden sie gerne ganz abschaffen –; die Kurzarbeit ist ganz wichtig, um die Beschäftigung der Menschen zu sichern, aber auch um die Unternehmen zu erhalten; Liquiditätssicherung ist das zentrale Thema. Ja, wir haben noch Sorgen, weil wir in einigen Bereichen Lücken sehen. Für einige Unternehmen, nämlich für die mit mehr als 10 Mitarbeitern und weniger als 250 Mitarbeitern, sind die Hilfen aus unserer Sicht noch unzureichend. Wir ermutigen Sie, Herr Minister Heil, dass Sie hier weitergehen, dass Sie zum Beispiel die Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen zumindest im Ausnahmefall zulassen, sodass dadurch Liquidität gesichert werden kann. Und wir möchten Sie ermutigen, die Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung flexibel zu handhaben, sodass zum Beispiel für die Produktion von Beatmungsgeräten etwa beim Weltmarktführer Dräger, wo dringend Arbeitskräfte gebraucht werden, aus den Unternehmen, in denen gerade Arbeitskräfte nicht gebraucht werden, Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden können. ({0}) Meine Damen und Herren, sozialer Schutz ist das eine, Gesundheitsschutz das andere. Beim Gesetz zur Feststellung einer Epidemie von nationaler Tragweite sind massive Eingriffe in Grundfreiheiten, in Grundrechte vorgesehen. Wir sind der Meinung, dass dies nur mit Parlamentsvorbehalt, nur durch den Deutschen Bundestag möglich ist. Wir meinen, dass nur wir das feststellen und jederzeit auch aufheben können und dass das Gesetz befristet werden muss. Das war unsere Bedingung, unter der wir diesem Gesetz zustimmen können. Sie wurde aufgenommen. Wir bedanken uns dafür, dass diese wichtige Kautel hier realisiert werden kann, meine Damen und Herren. ({1}) In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass die Zwangsverpflichtung von Angehörigen der Heilberufe, der Ärzte und Pflegekräfte, aus dem Gesetz herausgenommen wurde. Wir haben eine große Leistungsbereitschaft der Angehörigen der Heilberufe. Wir möchten an dieser Stelle Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und allen, die in Sozialdiensten tätig sind, ganz herzlich danken, dass sie ohne Ansehen der Person hier tätig sind. Ich glaube, die Zwangsverpflichtung wäre das falsche Signal gewesen. Deshalb herzlichen Dank, dass dies herausgenommen worden ist! ({2}) Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren. Die finanzielle Besserstellung der Krankenhäuser ist uns wichtig. Dass die Reha auf unseren Druck hin mit aufgenommen wurde, dafür danken wir. Jetzt geht es aber auch um die reale Versorgung. Wir bitten Sie, Herr Minister Spahn und Herr Minister Altmaier, dass die Versorgung mit Schutzmasken, die Versorgung mit Schutzkleidung, die Versorgung mit Desinfektionsmitteln sichergestellt wird. Wir wissen: Das muss aus China eingeflogen werden. Die Abhängigkeit von einem Lieferland ist hier das Problem, meine Damen und Herren. Wir müssen jetzt auch mit der deutschen Industrie sprechen und dafür sorgen, dass sie umstellt, dass die Produktion hier im Land stattfindet. Denn eins ist klar: Feuerwehrleute darf man nicht ohne Atemschutz in ein brennendes Haus schicken und Ärztinnen und Ärzte sowie Pfleger nicht ohne entsprechende Schutzkleidung arbeiten lassen, wenn ein Virus so infektiös ist. Bitte, helfen Sie mit, dass dieses Problem zeitnah gelöst werden kann! Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Susanne Ferschl, Die Linke, hat als nächste Kollegin das Wort. ({0})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zum Bevölkerungsschutz und zur Pandemiebekämpfung ist notwendig. Aber in solchen Notsituationen braucht es keine weiteren Eingriffe in Grundrechte und Ausgangssperren, sondern es braucht mehr Demokratie. Deswegen bin ich sehr froh, dass es – auch aufgrund unserer Intervention – gelungen ist, dass es keine Selbstermächtigung der Bundesregierung gibt, sondern dass das Parlament entscheidet, ob eine Notsituation vorliegt oder nicht. ({0}) Zu kritisieren ist allerdings die unterschiedliche Geltungsdauer der Maßnahmen in den Gesetzen: Die Regelungen zum Notstand gelten für ein ganzes Jahr, die Regelungen zum Sozialschutz lediglich für ein halbes Jahr. Sehr verehrte Bundesregierung, das hinkt. Genau umgekehrt wäre ein Schuh daraus geworden. ({1}) Zum Sozialschutzpaket. Bei unserer Telefonschalte mit Minister Heil am Wochenende war ich noch guten Mutes und dachte, es ist eine gute Regelung auf dem Weg, weil es richtig ist, in dieser Krise den Zugang zu Hartz IV deutlich zu erleichtern. Stinksauer war ich am Montagnachmittag, als ich gesehen habe, was das Kabinett uns da am Montag noch für faule Eier reinverhandelt hat. Da ist man sich nicht zu schade, den Schutzcharakter des Arbeitszeitgesetzes auszuhöhlen. Ich rede hier nicht von den Beschäftigten in der Pflege und den Krankenhäusern, wo es um Leben und Tod geht, sondern von Saisonarbeitern, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Ernährungsindustrie usw. Und Sie sind sich auch nicht zu schade, die Regelungen für Minijobs und die Zuverdienstmöglichkeiten bei Hartz IV auszuweiten. Menschen, die von Hartz IV und dem zu niedrigen Kurzarbeitergeld nicht leben können, sollen dann zum Spargelstechen gehen, oder was ist Ihre Vorstellung? ({2}) Nicht nur die Wirtschaft, auch die Menschen brauchen einen Rettungsschirm. Dafür müssen die Regelsätze zumindest vorübergehend erhöht werden; denn die Tafeln sind geschlossen. ({3}) Kurzarbeitergeldzahlungen müssen auf 90 Prozent aufgestockt werden. Wie sollen denn die Kolleginnen und Kollegen gerade im Niedriglohnbereich mit einer 40-prozentigen Lohnkürzung leben können? ({4}) Und: Beschäftigte in systemrelevanten Berufen brauchen eine Gefahrenzulage in Höhe von 500 Euro. ({5}) Die Bundesregierung hat ja jetzt offensichtlich verstanden, dass Verkäuferinnen und Pflegekräfte systemrelevant sind. Aber ein reines Dankeschön, auch von der Bundeskanzlerin, reicht nicht aus. ({6}) Gerade die Pflegekräfte in den Krankenhäusern leisten Übermenschliches. Das Mindeste, was die Beschäftigten in diesen Bereichen verdient haben, ist doch, dass jetzt endlich Schluss ist mit dieser ganzen Profitlogik. ({7}) Deswegen ist auch nicht nachzuvollziehen, dass Sie bei der Krankenhausfinanzierung wieder im gleichen Fahrwasser verbleiben. Wir erleben gerade in Zeiten der Krise, dass die Menschen zusammenrücken, dass Solidarität wächst, dass es Nachbarschaftshilfe gibt, dass die Leute sich unterstützen. Und ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass sie dafür sorgt, dass die Solidarität für die Menschen in diesem Land noch deutlich zunimmt. Vielen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zum Antrag der Koalitionsfraktionen „Beschluss des Bundestages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes“ auf den Drucksachen 19/18108 und 19/18131 bekannt: abgegebene Stimmkarten 527. Mit Ja haben gestimmt 469, mit Nein haben gestimmt 3, Enthaltungen 55. Gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes ist die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich; das sind 355 Jastimmen. Die Beschlussempfehlung ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 527; davon ja: 469 nein: 3 enthalten: 55 Ja CDU/CSU Stephan Albani Norbert Maria Altenkamp Peter Altmaier Philipp Amthor Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. André Berghegger Melanie Bernstein Christoph Bernstiel Peter Beyer Marc Biadacz Steffen Bilger Michael Brand (Fulda) Dr. Reinhard Brandl Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Dr. Carsten Brodesser Gitta Connemann Astrid Damerow Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Thomas Erndl Hermann Färber Uwe Feiler Enak Ferlemann Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Eckhard Gnodtke Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Oliver Grundmann Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Thomas Heilmann Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Rudolf Henke Michael Hennrich Marc Henrichmann Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Dr. Hendrik Hoppenstedt Thomas Jarzombek Andreas Jung Ingmar Jung Alois Karl Anja Karliczek Roderich Kiesewetter Michael Kießling Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Michael Kuffer Dr. Roy Kühne Andreas G. Lämmel Ulrich Lange Dr. Silke Launert Jens Lehmann Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Bernhard Loos Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Saskia Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Jan Metzler Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Axel Müller Sepp Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Petra Nicolaisen Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Josef Oster Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Joachim Pfeiffer Stephan Pilsinger Dr. Christoph Ploß Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Norbert Röttgen Stefan Rouenhoff Erwin Rüddel Albert Rupprecht Stefan Sauer Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Jana Schimke Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Dr. Claudia Schmidtke Patrick Schnieder Felix Schreiner Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Thomas Silberhorn Björn Simon Tino Sorge Jens Spahn Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Andreas Steier Peter Stein (Rostock) Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Dr. Peter Tauber Dr. Hermann-Josef Tebroke Alexander Throm Dr. Dietlind Tiemann Antje Tillmann Markus Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Kerstin Vieregge Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christoph de Vries Dr. Johann David Wadephul Marco Wanderwitz Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Marian Wendt Kai Whittaker Annette Widmann-Mauz Bettina Margarethe Wiesmann Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Emmi Zeulner Paul Ziemiak Dr. Matthias Zimmer SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Nezahat Baradari Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Eberhard Brecht Leni Breymaier Dr. Karl-Heinz Brunner Katrin Budde Dr. Lars Castellucci Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Saskia Esken Yasmin Fahimi Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Timon Gremmels Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Elisabeth Kaiser Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Anette Kramme Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Helge Lindh Kirsten Lühmann Heiko Maas Isabel Mackensen Caren Marks Katja Mast Christoph Matschie Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Falko Mohrs Claudia Moll Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Thomas Oppermann Josephine Ortleb Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Christian Petry Sabine Poschmann Florian Post Achim Post (Minden) Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Martin Rabanus Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Dr. Nils Schmid Uwe Schmidt Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Johannes Schraps Michael Schrodi Swen Schulz (Spandau) Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Amalie Steffen Mathias Stein Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Markus Töns Carsten Träger Ute Vogt Marja-Liisa Völlers Dirk Vöpel Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann AfD Fabian Jacobi Roman Johannes Reusch FDP Grigorios Aggelidis Renata Alt Christine Aschenberg-Dugnus Nicole Bauer Jens Beeck Mario Brandenburg (Südpfalz) Sandra Bubendorfer-Licht Dr. Marco Buschmann Karlheinz Busen Carl-Julius Cronenberg Britta Katharina Dassler Bijan Djir-Sarai Christian Dürr Hartmut Ebbing Dr. Marcus Faber Daniel Föst Otto Fricke Thomas Hacker Reginald Hanke Peter Heidt Markus Herbrand Torsten Herbst Katja Hessel Dr. Gero Clemens Hocker Manuel Höferlin Dr. Christoph Hoffmann Reinhard Houben Ulla Ihnen Gyde Jensen Dr. Christian Jung Karsten Klein Dr. Marcel Klinge Daniela Kluckert Carina Konrad Wolfgang Kubicki Konstantin Kuhle Alexander Kulitz Ulrich Lechte Christian Lindner Michael Georg Link (Heilbronn) Oliver Luksic Dr. Jürgen Martens Christoph Meyer Alexander Müller Roman Müller-Böhm Frank Müller-Rosentritt Bernd Reuther Dr. Stefan Ruppert Christian Sauter Frank Schäffler Dr. Wieland Schinnenburg Matthias Seestern-Pauly Frank Sitta Judith Skudelny Bettina Stark-Watzinger Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann Benjamin Strasser Katja Suding Linda Teuteberg Michael Theurer Stephan Thomae Dr. Florian Toncar Dr. Andrew Ullmann Gerald Ullrich Johannes Vogel (Olpe) Nicole Westig Katharina Willkomm DIE LINKE Doris Achelwilm Gökay Akbulut Simone Barrientos Dr. Dietmar Bartsch Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm-Förster Christine Buchholz Dr. Birke Bull-Bischoff Jörg Cezanne Sevim Dağdelen Fabio De Masi Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Susanne Ferschl Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Matthias Höhn Andrej Hunko Kerstin Kassner Dr. Achim Kessler Katja Kipping Jan Korte Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Pascal Meiser Amira Mohamed Ali Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Sören Pellmann Victor Perli Martina Renner Dr. Petra Sitte Friedrich Straetmanns Jessica Tatti Alexander Ulrich BÜ NDNIS 90/DIE GR ÜNEN Lisa Badum Annalena Baerbock Canan Bayram Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Erhard Grundl Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Bettina Hoffmann Dr. Anton Hofreiter Dr. Kirsten Kappert-Gonther Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Sven Lehmann Steffi Lemke Claudia Müller Beate Müller-Gemmeke Dr. Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Dr. Manuela Rottmann Manuel Sarrazin Ulle Schauws Stefan Schmidt Kordula Schulz-Asche Margit Stumpp Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Daniela Wagner Nein AfD Armin-Paulus Hampel Martin Hebner Udo Theodor Hemmelgarn Enthalten AfD Dr. Bernd Baumann Peter Boehringer Stephan Brandner Jürgen Braun Marcus Bühl Tino Chrupalla Joana Cotar Siegbert Droese Berengar Elsner von Gronow Dr. Michael Espendiller Peter Felser Dietmar Friedhoff Markus Frohnmaier Dr. Alexander Gauland Dr. Axel Gehrke Albrecht Glaser Franziska Gminder Mariana Iris Harder-Kühnel Jochen Haug Karsten Hilse Martin Hohmann Johannes Huber Dr. Marc Jongen Jens Kestner Stefan Keuter Norbert Kleinwächter Enrico Komning Jörn König Steffen Kotré Dr. Rainer Kraft Jens Maier Dr. Lothar Maier Dr. Birgit Malsack-Winkemann Corinna Miazga Andreas Mrosek Volker Münz Christoph Neumann Jan Ralf Nolte Gerold Otten Frank Pasemann Tobias Matthias Peterka Paul Viktor Podolay Jürgen Pohl Martin Reichardt Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Robby Schlund Jörg Schneider Uwe Schulz Thomas Seitz Detlev Spangenberg Dr. Dirk Spaniel René Springer Beatrix von Storch Dr. Christian Wirth Fraktionslos Verena Hartmann Nächste Rednerin in der Debatte zu Tagesordnungspunkt 6 ist die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Zeiten gibt es vieles zu debattieren und zu beraten. Vorrangig aber – und deswegen sind wir alle hier – geht es um den Schutz der Gesundheit, um den Schutz der Menschen hier in unserem Land. In Windeseile wurden Gesetzespakete geschnürt, um den Bürgerinnen und Bürgern zu helfen und die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Ich spreche hier sicher nicht nur für mich, wenn ich sage, dass das parlamentarische Verfahren der letzten Tage von bemerkenswerter Konstruktivität geprägt war und die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Fraktionen und der Regierung hervorragend funktioniert hat. Dafür möchte ich mich auch im Namen meiner Fraktion bedanken. ({0}) Eine epidemische Lage von nationaler Tragweite gab es noch nie. Es ist richtig, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, und zwar mit breiten Mehrheiten, um die Bevölkerung besser beschützen zu können. Dennoch dürfen solche tiefgreifenden gesetzlichen Änderungen wie die des Infektionsschutzgesetzes nur zeitlich begrenzt sein und müssen nach einer akuten Situation gründlich evaluiert werden. Wir müssen in Krisen für die Zukunft lernen. Deswegen sind wir froh, dass unserer Forderung nach Befristung der gesetzlichen Regelungen tatsächlich nachgekommen wurde und sich diese jetzt im Gesetz wiederfindet. Das ist ein wichtiges Zeichen für die Bürgerrechte. ({1}) Wir haben aber auch Kritik in Bezug darauf, was noch zu tun ist. Den Beschäftigten im Gesundheitswesen gilt gerade unser allergrößter Dank. Aber, meine Damen und Herren, Worte reichen nicht. ({2}) Deshalb fordern wir weiter einen einheitlichen Zuschlag für medizinisches und pflegerisches Fachpersonal, der sie für ihre tagtägliche harte und vor allem auch gefährliche Arbeit belohnt. ({3}) Ich rede von Pflegekräften, von Ärztinnen und Ärzten, von medizinischem Fachpersonal, aber ich möchte auch die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den öffentlichen Gesundheitsdiensten nicht vergessen, die für den Infektionsschutz in unserem Land zuständig sind. Bisher nicht berücksichtigt sind auch Regelungen für andere Berufe im Gesundheitswesen: die Hebammen, die Physiotherapeuten, die Logopäden; um nur einige Beispiele zu nennen. ({4}) Wir gehen davon aus, dass wir, wie schon angekündigt, im April, wenn es noch weitere Nachbesserungen gibt, diese Punkte genauer betrachten und noch mal verhandeln können. Und wir werden sicher auch schauen müssen, ob die finanzielle Unterstützung für die Krankenhäuser, wie sie jetzt geplant ist, tatsächlich ausreichend ist. Meine Damen und Herren, in solchen Situationen ist Solidarität angesagt. Solidarität heißt, dass wir auch die Ärmsten nicht vergessen dürfen, Familien mit Kindern in der Grundsicherung oder Solo-Selbstständige. Wir müssen die Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz befristen; das geschieht ja auch. Wir brauchen einen Rettungsschirm für die gesamte soziale Infrastruktur, damit das soziale Leben nicht zusammenbricht. ({5}) Ja, Solidarität ist angesagt auf lokaler Ebene, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, dort, wo infizierte Menschen und Erkrankte Hilfe brauchen. Wir werden die Zusammenarbeit von Bund und Ländern verstärken müssen, um die Epidemie in den Griff zu bekommen. Aber es ist auch eine globale Krankheit, eine globale Krise, und deshalb ist auch internationale Solidarität gefragt: in Europa, aber auch mit den Ländern in der Welt, deren Gesundheitssysteme bei Weitem schlechter aufgestellt sind als das unsere. ({6}) Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit, in der es nicht um Egoismus oder um Nationalismus geht, sondern um Solidarität: lokal, bundesweit, europäisch und international. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Karin Maag, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin.

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, niemanden haben die Bilder aus Italien, Spanien oder anderen Ländern kaltgelassen, auf denen man sehen konnte, wie ein Gesundheitssystem zusammenbrechen kann, indem Infektionszahlen sehr schnell ansteigen und vor allen Dingen Erkrankungen so massiv werden, dass ein Gesundheitswesen überfordert ist. Wir wollten vorbereitet sein. Deswegen haben wir heute wirklich in einem Eilverfahren ein Gesetzespaket vorgelegt. Ich bin allen dankbar, die daran mitgewirkt haben: der Koalition, aber auch den Oppositionsfraktionen und vor allem den Ministerien, die an diesem ganzen Paket gearbeitet haben – nicht nur im Gesundheitsbereich, beim sozialen Schutzschirm von Hubertus Heil, sondern auch im Bereich des Familienministeriums und des Bildungsministeriums. Alle haben dazu beigetragen, ein breites Paket für die Menschen zu packen, die jetzt vorbereitet sein müssen. Im Gesundheitswesen haben wir in erster Linie die Kliniken, die Ärztinnen und Ärzte und die Pflegefachkräfte gebeten, sich bereitzuhalten für einen Tag X, der hoffentlich nie auf uns zukommen wird. Wir haben gesagt: Ihr müsst Betten frei halten. – Es ist jetzt unsere Aufgabe, mit diesem Paket, das noch nicht allumfassend ist, die Liquidität genau für diese Bereiche, für die Kliniken, sicherzustellen, damit sie die Betten frei halten und vorbereitet sind. Deshalb sind die Pauschalen, die wir jetzt für Maßnahmen zur Verdoppelung der Zahl der Intensivbetten vorsehen, genau die richtige Maßnahme. ({0}) Dennoch – das ist gerade schon angesprochen worden – haben wir in den letzten Stunden, Tagen, Wochen von vielen auch aus der Gesundheitsbranche Berichte bekommen – ich glaube, das gilt für alle Abgeordneten hier im Hause –, in denen uns Menschen aus den Wahlkreisen berichten, wie es ihnen gerade geht, in denen die Verunsicherung zur Sprache kam: Wie geht es weiter? Was passiert mit meiner Psychotherapie? Was passiert mit denen, die eine Praxis haben, Physiotherapeuten, Heilmittelerbringer? – Ich will ihnen hiermit sagen: Diese Mails sind nicht ungelesen bei uns geblieben. Ich will auch noch mal deutlich machen: Dieses Paket, das wir jetzt verabschieden, wird nicht das letzte sein. Wir dürfen nicht so tun, als wäre das – auch wenn es ein Milliardenpaket und eine Kraftanstrengung ist, mit der wir versuchen, möglichst viele Bereiche abzudecken – das letzte Paket. Damit hört es nicht auf. Wir arbeiten jetzt alle – ich weiß das auch aus den Ministerien – schon an der Frage: Welche Bereiche müssen wir noch stärken? Ich will das auch in die Richtung des Müttergenesungswerkes sagen, weil dazu jetzt massiv Briefe kommen. Sie haben vollkommen recht: Wir müssen auch diesen Bereich stützen. ({1}) Denn eines ist ganz wichtig: dass uns jetzt auf dieser Strecke nicht eine Versorgungsstruktur, die wir bisher hatten, zusammenbricht. Wir brauchen sie nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft. Deshalb müssen wir auch diese Bereiche abdecken und stützen. Der Minister hat mit dem heutigen Tag eine große Möglichkeit bekommen, über Verordnungen und Rechtsverordnungen nachzusteuern. Ich würde mich sehr freuen – ich unterstütze das auch seitens der SPD-Fraktion –, wenn wir uns genau die Bereiche anschauen und da nachsteuern. Denn es kann nicht sein, dass uns am Ende eine Versorgungsstruktur wegbricht, die bisher alle Menschen gut versorgt hat, nur weil es gerade an liquiden Mitteln fehlt, die Praxis und vor allen Dingen die Fachkompetenz und die Menschen in ihrer Existenz zu sichern. – Darum bitte ich alle. ({2}) Ich freue mich auch, dass die Solidargemeinschaft das mitmacht. Die 10 Milliarden Euro, von denen gerade die Rede war, sind nicht nur Bundesmittel, sondern es sind auch Mittel der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, nämlich der gesetzlichen Krankenversicherungen. Diese haben das alles – auch viele Verordnungen schon – spontan und sehr flexibel umgesetzt und Veränderungen vorgenommen. Auch dafür herzlichen Dank, dass es gelungen ist, dass wir dieses Paket von rund 10 Milliarden Euro gemeinsam tragen. Wir werden hoffentlich noch Maßnahmen finden, um alle anderen Bereiche abzudecken. Vielen Dank und vielen Dank für die Arbeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Zunehmende Individualisierung, Ellenbogengesellschaft – was ist nicht schon alles über den Zustand unserer deutschen Gesellschaft geschrieben worden. Ich finde, wir zeigen zurzeit: Deutschland, seine Mitbürgerinnen und Mitbürger können auch anders, nämlich zusammenstehen, sich solidarisch zeigen, Außergewöhnliches leisten. Und ich finde: Das macht uns stark in dieser Krise. Und dafür möchte ich allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern herzlichen danken. ({0}) Mit unseren Gesetzen – dem Sozialschutzpaket, den Gesundheitsgesetzen – wollen wir diese Stärke zusätzlich unterstützen. Ich darf für das Sozialschutzpaket einfach noch mal die wichtigsten Daten nennen: Wir stellen unsere sozialen Dienste und Einrichtungen unter einen besonderen Schutz, damit sie auch für die Zukunft leistungsfähig bleiben. ({1}) Wir machen zeitlich befristete Regelungen, um zum Beispiel beim Bezug von Kurzarbeitergeld die Aufnahme von zusätzlichen Jobs möglich zu machen. Zudem ermöglichen wir auch für diejenigen, die vorzeitig in Rente gegangen sind, einen höheren Zuverdienst oder erweitern die Zeitgrenzen bei kurzfristiger Beschäftigung von 70 auf 115 Tage. Für alle, die sich wegen Aus- und Wegfall ihrer Tätigkeit Sorgen machen, gibt es zuallererst die neuen Kurzarbeiterregelungen. Es sei daran erinnert: Diese Kurzarbeiterregelungen haben uns schon mal – in einer andersartigen Krise – geholfen, schnell wieder aus ihr raus und nach vorne zu kommen. Ferner gibt es für alle, die jetzt unter Einkommensverlusten leiden, einen schnelleren Zugang, ein einfacheren Zugang zum Arbeitslosengeld II. Und Gleiches gilt für den Kinderzuschlag. Auch die Verordnungsmöglichkeiten für den Bundesarbeitsminister, zum Beispiel beim Thema „Flexibilität bei der Arbeitszeit“, werden uns helfen, diese Krise zu meistern. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in vielen Bereichen haben wir nicht Wegfall von Arbeit, sondern zusätzliche Anforderungen, zum Beispiel im Bereich von Gesundheit und Pflege. Außerdem beginnt in wenigen Tagen in den Gebieten mit sogenannten Sonderkulturen die Erntezeit, in unserer Landwirtschaft, in der eben nicht eine große Zahl von Saisonkräften aus anderen europäischen Ländern zur Verfügung steht. Genauso haben wir zusätzlichen Arbeitsanfall – das hat der Bundesarbeitsminister vorgetragen – in unseren Jobcentern und Arbeitsagenturen, die schneller eine große Flut von Anträgen bearbeiten und erledigen müssen. Deshalb ermöglichen wir, dass diese zusätzlich benötigten Arbeitskräfte auch bereitgestellt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich finde, mit dem Sozialschutzpaket, mit den Gesundheitsgesetzen machen wir unser Sozialsystem, unsere Wirtschaft, unsere Arbeitsmarktpolitik zusätzlich stark. Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen. Das ist eine wichtige Botschaft in dieser Zeit der Verunsicherung. Deshalb ein herzliches Dankeschön und Anerkennung für das, was all die leisten, die jetzt zusätzlich gefordert sind – im Gesundheitswesen, in der Pflege, in unseren Verwaltungen, in unseren Jobcentern. Sie helfen mit Überstunden und mit ihrem großen Einsatz, Not zu lindern, und machen Hilfe dort möglich, wo geholfen werden muss. Vielen Dank! Ich finde, wir haben Gutes auf den Weg gebracht. Wir sollten es engagiert unterstützen und nutzen. Danke schön. ({2})

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch in Krisenzeiten brauchen Soldatinnen und Soldaten eine eindeutige Rechtsgrundlage für Auslandseinsätze. Wir sind mit vielen Partnern im Rahmen der Anti-IS-Koalition seit vielen Jahren im Kampf gegen die Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staates“ aktiv. Dieser Einsatz soll auch modifiziert fortgesetzt werden, und es ist gut, dass wir trotz coronabedingter Einschränkungen unserer Tagesordnung diese Sitzungswoche nutzen, um endgültig über das erneuerte Anti-IS-Mandat abzustimmen. Der Irak ist ein Schlüsselstaat im Kampf gegen die Terrororganisation des IS. Wir dürfen in diesem Kampf nicht nachlassen und dürfen nicht vergessen, welches Unheil die Terrorbanden des IS auch und gerade in Europa angerichtet haben. Deshalb ist es gut, dass wir weiterhin unseren Beitrag auch militärisch im Rahmen der Anti-IS-Koalition leisten, aber gleichzeitig den Auftrag, den wir im letzten Jahr festgelegt haben, nämlich den Tornadoeinsatz zur Luftaufklärung zu beenden, auch umsetzen. ({0}) Trotzdem bleibt die Bundeswehr umfassend engagiert und nimmt auch neue Aufgaben wahr, zum Beispiel über einen Radar, der zur Luftaufklärung ebenfalls eingesetzt werden kann. Wir sind aber gleichzeitig, gerade weil der Irak eine Schlüsselposition einnimmt, beunruhigt über die Entwicklung der innenpolitischen Lage im Irak. Anders als noch im vergangenen Jahr ist die Zentralregierung nur noch geschäftsführend im Amt. Die Regierungsbildung hat sich erneut verzögert. Aber gerade in diesen Zeiten brauchen wir eine starke Zentralregierung, die auch selber in der Lage ist, Sicherheit und Ordnung herzustellen. Deshalb bleibt die Unterstützung im Rahmen der Ausbildungsmission unverändert notwendig; denn nur mit äußerer Unterstützung können die zentralen Instanzen in Bagdad in die Lage versetzt werden, nach und nach eigene Sicherheitskräfte aufzubauen. Deshalb ist es richtig, dass wir mit diesem Mandat diese Ausbildungsmission fortsetzen und dass wir die Option einräumen, das auch im Rahmen einer NATO-Mission zu machen. ({1}) Wir sind uns aber bewusst, dass die irakische Politik selbst wichtige Weichen stellen muss, damit der Kampf gegen den IS erfolgreich fortgesetzt werden kann. Dazu gehört insbesondere eine Verständigung zwischen der Regionalregierung in Erbil und der Zentralregierung in Bagdad über die Zuständigkeiten und die Bekämpfung von terroristischen Organisationen in den umstrittenen Gebieten zwischen der Region Kurdistan/Nordirak und der Region im Zentralirak. Ohne eine solche Verständigung können unsere Beiträge auch nur begrenzt die Kämpfe gegen den IS unterstützen. Was uns genauso wichtig ist, ist, dass auch für diese Fortsetzung des Anti-IS-Mandats die Zustimmung der irakischen Regierung gewährleistet ist, dass wir also auf Einladung der irakischen Regierung auch in Zukunft dort tätig werden können; denn gegen den Willen oder ohne ausdrückliche politische Rückendeckung aus dem Irak heraus würde eine solche Ausbildungsmission keinen Sinn machen. Schließlich lassen Sie mich aus aktuellem Anlass noch kurz auf die Lage in der Region eingehen: Wir haben ja wegen der Coronaepidemie Schutzmaßnahmen für die deutschen Soldaten getroffen, auch für diejenigen, die im Irak tätig sind; das ist sehr wichtig. Aber wir wissen auch, dass die Region massiv von der Coronaepidemie betroffen ist, insbesondere das Nachbarland Iran. Das bedroht natürlich auch die Gesundheitslage im Irak und in anderen benachbarten Staaten. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung sich mit anderen darum bemüht, dass wir jetzt effektive Hilfe auch in den Iran hinein leisten können und dass die Sanktionen kein Hindernis für humanitäre und medizinische Hilfslieferungen sind; denn auch die iranische Bevölkerung hat in dieser schwierigen Lage unsere Hilfe verdient. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Gerold Otten, AfD. ({0})

Gerold Otten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004846, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Lesung zum vorliegenden Mandat erinnerte die Verteidigungsministerin an die drei deutschen Gefallenen des Karfreitagsgefechts 2010 in Afghanistan. Sie rief uns dabei zu Recht die persönliche Verantwortung für unsere Soldaten ins Gedächtnis. Aber: Trotz dieser Worte werden nach wie vor Bundeswehrsoldaten von diesem Parlament in Einsätze geschickt, die mit militärischen Mitteln nicht gelöst werden können, ({0}) in Einsätze, die zudem unsere Sicherheitslage um keinen Deut verbessern. Gemäß dem Antrag der Bundesregierung geht es beim vorliegenden Mandat um die Bekämpfung der terroristischen Gefahr durch den „Islamischen Staat“, kurz: IS. Der Bundestag entsendet damit unsere Soldaten nach Syrien und in den Irak, in eine der gefährlichsten Regionen der Welt. Es ist daher sehr bedauerlich, dass über dieses Mandat nicht in namentlicher Abstimmung entschieden wird. Aber in diesen Zeiten haben sicherlich auch unsere Soldaten Verständnis, dass aus bekannten Gründen dieses Mal davon abgesehen wird. Meine Damen und Herren, Basis des islamistischen Terrors ist der Islamismus; denn dieser ist die konsequente Umsetzung des politischen Auftrags des Islam. Dieser Auftrag lautet Unterwerfung, Konversion oder Vernichtung aller Ungläubigen ({1}) und hatte schon immer große Anziehungskraft vor allem auf junge Muslime und Konvertiten. Es gab Epochen, da konnte dieser Auftrag in symmetrischen Konflikten erfolgreich umgesetzt werden. Es gab Zeiten, wo der Islamismus politisch, ökonomisch und militärisch unterlegen war. In diesen Zeiten wählte er Formen asymmetrischer Kriegführung, sprich: Terror, wie sich am Beispiel des IS anschaulich zeigt. Der „Islamische Staat“ hat seine Wurzeln im politischen Islam. Er war nicht in der Lage, seinen territorialen Machtanspruch sowie die Errichtung des Kalifats mit Waffengewalt durchzusetzen. Mit seiner Niederlage im symmetrischen Krieg verschärfte der IS seine asymmetrische Kriegführung. Daher warnte auch Thomas Haldenwang im letzten Jahr, damals noch als Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes, vor allzu großen Erwartungen durch den Fall der letzten Bastion des IS. Stattdessen wies er auf eine gesteigerte Terrorgefahr durch Dschihadisten gerade auch in Deutschland hin. ({2}) Und hier beginnt eben auch unser Problem: Sie werden keinen einzigen Fall in der Geschichte finden, wo ein asymmetrisch kämpfender Gegner mit Mitteln symmetrischer Kriegführung besiegt, geschweige denn vernichtet wurde. Oder, um es auch hier Ihnen allen verständlich zu machen: Militär kann gegnerische Streitkräfte bekämpfen, geografische Räume besetzen und für eine Zeit halten. Mit Luftbetankung, Training oder Lufttransport können Sie aber weder den Terrorismus des IS nachhaltig bekämpfen noch seine Ausbreitung in den Köpfen der Menschen verhindern. ({3}) Genau deshalb sind auch die militärischen Opfer, die erbracht werden, um den Terrorismus zu besiegen, letzten Endes sinn- und zwecklos. Dies kann man am Beispiel des Irak verdeutlichen: Die Präsenz fremder Streitkräfte auf muslimischem Boden stellt eine Provokation für alle strenggläubigen Muslime dar, gleich ob Sunniten oder Schiiten. Das ist auch der eigentliche Hintergrund für die Resolution des irakischen Parlaments. Darin fordern die Abgeordneten die Regierung auf, für ein Ende der militärischen Präsenz aller ausländischen Truppen im Land zu sorgen. Die schiitische Mehrheit will uns nicht im Irak, die sunnitische Minderheit wird dort weiter unterdrückt und fördert den IS. Doch was ist die Antwort der Bundesregierung auf diese Frage? ({4}) Im allerletzten Absatz des vorliegenden siebenseitigen Antrags wird en passant die deutsche Trainingsmission im Irak der NATO-Trainingsmission unterstellt, einer Trainingsmission, die inzwischen ausgesetzt worden ist und vom Auftrag her nichts mit dem Einsatz von Jordanien aus zu tun hat. Zwischen beiden Einsätzen gibt es weder personelle noch materielle Überschneidungen. Selbst der militärische Auftrag ist grundverschieden. Demzufolge müsste das vorliegende Mandat geteilt werden, damit dieses Parlament in der Lage ist, beide Einsätze getrennt zu verabschieden. ({5}) Doch genau das geschieht nicht. Die bedenkliche Kombination der Einsätze wird fortgesetzt. Wir lehnen daher das vorliegende Mandat aus grundsätzlichen, inhaltlichen und strukturellen Gründen ab. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Zeiten einer Pandemie geraten viele außen- und sicherheitspolitische Krisen aus dem Blick. Das ist nicht gut. Wir sollten dazu beitragen, sie im Blick zu behalten und sie zu beantworten; denn manch eine dieser Krisen kann durch diese Pandemie sogar noch verstärkt werden, und sie werden uns hier auch in der Zukunft beschäftigen. Insofern ist es gut, dass wir heute über dieses Mandat miteinander diskutieren; denn seine Fortführung ist auch aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion weiterhin notwendig. Wir werden zukünftig das Mandat etwas ändern, Lufttransportelemente beitragen, ein Radar installieren und Luftbetankung für unsere Partner fortführen. Warum engagieren wir uns? Warum ergänzen wir das Mandat? Das hat operative Gründe. Erstens. Der Kampf gegen den IS ist in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich verlaufen, aber er ist nicht beendet. Der IS ist weiterhin in der Lage, in Führungsstrukturen miteinander zu kommunizieren. Er restrukturiert sich. Es gelingt ihm sogar bedauerlicherweise, Gefangene zu befreien. Nach dem Tod des IS-Führers al-Baghdadi 2019 gibt es nach wie vor rund 10 000 Kämpfer in Syrien und im Irak. Es gibt also weiterhin eine Notwendigkeit, auch, Herr Kollege, gegen den IS zu kämpfen, und dabei reichen wir eine helfende Hand, dabei unterstützen wir die Koalition, und dabei unterstützen wir den Schlüsselstaat Irak. ({0}) Deswegen halten wir an der Ausbildung dort fest, übrigens auf ausdrücklichen Wunsch – Kollege Schmid hat es gesagt – des Irak, der irakischen Regierung. Wir sind im Einvernehmen mit der irakischen Regierung dort im Land und werden unseren militärischen Beitrag gemeinsam mit unseren Partnern weiter leisten. Zweitens. Unser Engagement hat auch bündnispolitische Gründe. Wir demonstrieren Verlässlichkeit, Flexibilität. Es gibt unvermindert einen hohen Bedarf an Luftbetankung. Die französischen Partner setzen dort den Luftkampf und auch die Bekämpfung von Bodenzielen fort und brauchen dabei unsere Luftbetankungsfähigkeit ganz dringend. Wir verfügen mit dem bodengestützten Radar über eine weitere Schlüsselfähigkeit, die die Koalition dringend benötigt, und lösen dort dänische Kräfte ab. Und – ich will es ganz offen sagen – auch unsere Luftaufklärung, bisher geleistet von den Tornadoflugzeugen, aber auch leistbar durch Eurofighter, war ein guter Beitrag zum Kampf gegen den IS. Diese Fähigkeit fehlt der Koalition, was bedauerlicherweise dem IS nützt. Deswegen will ich für meine Fraktion sagen, dass wir es bedauern, dass in der Koalition keine Einigung herstellbar gewesen ist, die Luftaufklärung fortzuführen, gerade in der jetzigen Situation, wo ganz offenkundig die italienischen Partner nicht in der Lage sind – weder militärisch noch parlamentarisch –, eine Fortsetzung zu organisieren. Deswegen sage ich: Es wäre militärisch ein Ausdruck unserer Entschlossenheit, bündnispolitisch ein Ausdruck unserer Solidarität, technisch für die Bundeswehr leistbar gewesen, auch die Beobachtungstätigkeit, die Aufklärungstätigkeit fortzusetzen. Ich bedaure, dass es nicht möglich ist. ({1}) Vielleicht gibt es zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, das zu machen. ({2}) Drittens. Wir begrüßen, dass das kuriose Parallelagieren der Bundeswehr neben der NATO ein Ende haben wird und die Bundeswehreinheiten dort integriert werden. Letztlich geht es jedoch um Folgendes: Das Engagement in dieser Region ist notwendig, da unsere ureigenen Sicherheitsinteressen nach wie vor betroffen sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Einsatz seinen Ursprung in den Anschlägen von Paris 2015 hat – Angriffe des IS im Herzen unseres gemeinsamen Europas, Angriffe, die auch uns in Deutschland galten. Sie verpflichten uns weiterhin, einen beherzten Kampf gegen diese Terroristen zu führen. Ich bitte deshalb namens der CDU/CSU-Fraktion um Zustimmung zur Fortsetzung des Mandates. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Punkt: Unser Ausbildungsbetrieb im Zentralirak wird voraussichtlich Mitte Mai wieder aufgenommen und dann, wie von uns seit Jahren gefordert, innerhalb der NATO-Mission fortgesetzt, und nicht mehr, wie von der SPD – wir durften es gerade wieder hören – verlangt, als deutscher Alleingang. Damit ist eine Bedingung von uns, dieser Ergänzung zuzustimmen, erfüllt. ({0}) Der zweite Punkt: Es ist und bleibt ein großer Fehler, dass Deutschland am 31. März das Mandat in Jordanien beendet, die Tornados dort abzieht und diese hervorragende Arbeit im Kampf gegen den IS damit aussetzt – wieder auf Druck der Sozialdemokratie. Herr Wadephul – Sie hatten gerade Tränen im Auge –, das hätten Sie im Gespräch ändern müssen. ({1}) Jetzt übernehmen nach langem Hin und Her die Italiener die Aufklärungsflüge. Die Luftbetankung bleibt auf Wunsch der Partner in unseren Händen, und das ist auch gut so; denn wir werden damit weiter in Jordanien präsent sein und sichern somit den Lufttransport und auch die Möglichkeit, unsere Soldatinnen und Soldaten und die der Partner bei Krisen zu evakuieren. Die Italiener werden aber, anders als angekündigt, nicht nahtlos das Mandat übernehmen, sondern frühestens in einem Monat. Das bedeutet, dass einen Monat lang dem IS, der immer noch nicht besiegt ist, strategisch Raum gelassen wird, meine Damen und Herren. Das ist ein krasser Rückschlag. Das, was die Bundesregierung hier veranstaltet, hat nichts mit staatspolitischer Verantwortung in der Außenpolitik zu tun. ({2}) Wir gehen davon aus, dass sich die Bundeswehr bereithält und gegebenenfalls die Aufgabe der Flugaufklärung wieder übernimmt. Meine Damen und Herren, ich danke den Soldatinnen und Soldaten für ihren hervorragenden Einsatz im Kampf gegen den IS. Ich danke auch der Bundeswehr, die von der Coronakrise auch in den Auslandseinsätzen betroffen ist und in Deutschland gerade jetzt medizinisch, logistisch gemeinsam mit den Reservisten Hilfe leistet. Herzlichen Dank dafür! ({3}) Meine Damen und Herren, abschließend sei denen, die diese Krise im Parlament ausnutzen wollen, um an unser Grundgesetz zu gehen – warum auch immer –, deutlich gesagt: So, wie die momentane Aussetzung unserer bürgerlichen Freiheiten nur eine Frage der Zeit sein darf, werden wir nicht zulassen, dass unsere Verfassung, welche die Aufgaben der Bundeswehr klar definiert, geändert oder unterlaufen wird. Bei uns und mit uns wird es keine bewaffneten Soldaten vor Supermärkten geben. Die Freien Demokraten werden gerade in Zeiten der größten Herausforderung der Nachkriegsgeschichte in unserem Land die Verfassung hüten wie unseren Augapfel. ({4}) Meine Damen und Herren, wir stimmen dieser Ergänzung zu. Noch einmal ein herzliches Dankeschön an die Soldatinnen und Soldaten, wo immer sie im Einsatz sind, dass sie dort bleiben, wo sie jetzt gebraucht werden, trotz dieser widrigen Umstände! Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sevim Dağdelen, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute soll hier regelrecht ein Phantomeinsatz beschlossen werden. Dabei geht es der Bundesregierung um alles Mögliche, nur nicht um den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Phantom Nummer eins: Die Bundesregierung will die Luftbetankung für Aufklärungsflüge der italienischen Armee fortsetzen, statt sie, wie im Oktober eigentlich beschlossen, zu beenden. Allein: Diese italienischen Aufklärungsflüge wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geben. Italien ist in diesen Tagen mit der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Statt wie Kuba, Russland oder China Ärzteteams nach Italien zu entsenden, bettelt die deutsche Verteidigungsministerin, dass Italien die Aufklärungsflüge der Bundeswehr übernimmt, damit man ungeachtet der massiven Kritik, die es auch aus der SPD gibt, den Militäreinsatz fortführen kann. Als wenn Italien in diesen Zeiten nichts anderes zu tun hätte! ({0}) Es ändert sich auch nichts daran, wenn Frankreich sich jetzt anbieten soll. Das wird wegen der Coronakrise auch nichts. Wir finden, die Ergänzung des Mandats vom Oktober ist nicht haltbar. Phantom Nummer zwei: Die Bundesregierung tischt uns erneut das Märchen auf, dass es bei dem Einsatz um die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus gehen würde. Ich frage Sie: Haben Sie sich Ihre Partner in der Anti-IS-Koalition angeschaut? Wollen Sie uns allen Ernstes sagen, dass Saudi-Arabien, die Emirate oder die Muslimbrüder aus Katar, die Teil Ihrer Koalition sind, den islamistischen Terrorismus tatsächlich bekämpfen wollen? Das glauben Sie doch selbst nicht. ({1}) Oder meinen Sie die Türkei, die die Bundesregierung selbst als eine „Aktionsplattform“ für den islamistischen Terrorismus in der Region bezeichnete und die jetzt gemeinsam an der Seite der UN-gelisteten Terrororganisation al-Qaida in Syrien kämpft? Denken Sie, das ist ein geeigneter Partner? – Wohl kaum. ({2}) Phantom Nummer drei: Die Bundesregierung gibt vor, eine völkerrechtliche Legitimation für ihren Einsatz zu haben, dabei sagt die Bundesregierung selbst, dass sie für die Einsätze im syrischen Luftraum keine Genehmigung der syrischen Regierung einholt. Im Irak dient Ihnen ein Brief eines zurückgetretenen Ministerpräsidenten an den NATO-Generalsekretär als eine völkerrechtliche Legitimation, obwohl das irakische Parlament, mit dem der Bundestag sehr eng zusammenarbeitet und gute Beziehungen unterhält, unmissverständlich den Abzug aller ausländischen Truppen gefordert hat. Das Unheimlichste an Ihrem Einsatz ist aber der erklärte Wille, diesen trotz der globalen Herausforderung, vor der wir stehen, trotz der globalen Coronakrise fortsetzen zu wollen. Die Briten sind aus dem Irak wegen der Gefährdung abgezogen, und die Deutschen sollen jetzt wieder hin. Die Linke findet das absurd und unverantwortlich. ({3}) Dazu kommt, dass nahezu jeden Tag Raketen und Mörser in die Militärcamps im Irak einschlagen. Wer hier „Weiter so!“ ruft, riskiert das Leben der Soldaten für nichts. ({4}) Wenn Sie wirklich etwas für die Stabilität der Region tun wollen, dann machen Sie endlich Front gegen die völkerrechtswidrigen Wirtschaftssanktionen im Falle des Iran und auch Syriens. ({5}) Denn diese werden in der Pandemiekrise dazu führen, dass massenhaft Menschen sterben. Beenden Sie diesen Wahnsinn, und stoppen Sie diesen Phantomeinsatz. Danke. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich im Namen meiner Fraktion ein ganz großes Dankeschön aussprechen allen Menschen, die gerade in dieser Krise tatkräftig anpacken und wie selbstverständlich helfen, und natürlich auch den zivilen Beschäftigen und den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die mit Medikamenten, mit Verpflegung und mit Transport hier im Land helfen. ({0}) Die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten und die notwendige Vorsorge haben auch im Einsatz Priorität. Unabhängig davon, wie man zu diesem Einsatz steht: Es ist richtig, dass die Ausbildungsmission im Irak jetzt ausgesetzt wurde und viele Soldatinnen und Soldaten erst einmal zurückverlegt werden. Meine Damen und Herren, das Mandat zum Einsatz gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ im Irak und über Syrien soll jetzt ergänzt werden. Anders als mehrfach angekündigt soll die Luftbetankung weitergehen. Zusätzlich geht es um Lufttransport. Den zentralen Fehler in diesem Mandat hat die Bundesregierung aber wieder einmal nicht geheilt: Die Militärmission findet weiterhin in einer verfassungsrechtlich und politisch hochproblematischen Koalition der Willigen statt. Es ist höchste Zeit, das endlich zu ändern. ({1}) Das Verfassungsgericht hat in seiner historischen Entscheidung betont, dass Bundeswehreinsätze nicht in losen Staatenkoalitionen stattfinden dürfen. Es hat sich dabei etwas gedacht; denn auch wenn sie ihren Ansprüchen nicht immer gerecht werden, versuchen die Systeme kollektiver Sicherheit, zuallererst die Vereinten Nationen, aber auch NATO und EU, immer einen politischen Rahmen über solche Einsätze zu bilden und schlussendlich Frieden zu sichern. Lose Staatenbünde voller nationaler Eigeninteressen laufen eher Gefahr, die Lage in den Krisenregionen nicht zu verbessern, sondern am Ende des Tages zu verschärfen. Gerade im Irak war die Koalition der Willigen vor allem eine Koalition der Widersprüchlichen. ({2}) Wenn Donald Trump zum Beispiel ohne Absprache Truppen abzieht oder das türkische Militär völkerrechtswidrig Teile von Nordsyrien besetzt und die Kurdinnen und Kurden angreift, ({3}) wenn die Eskalation zwischen dem Iran und den USA von Hardlinern auf beiden Seiten wie auch aktuell wieder immer weiter befeuert wird und das auf irakischem Boden ausgetragen wird, dann verschlimmert das doch Tag für Tag die schwierige Lage dort. Meine Damen und Herren, die Menschen im Irak trifft die Coronakrise mit einer besonderen Härte, und die politische Situation dort ist wirklich sehr desolat. Die Regierung kann sich in Teilen des Landes nicht durchsetzen. Sicherheitskräfte schießen derzeit regelmäßig auf Demonstrantinnen und Demonstranten. Es gibt Menschenrechtsverletzungen en masse. Der destruktive Einfluss des Iran wächst. Das Wort „beunruhigend“ ist eine maximale Verharmlosung der drastischen Lage. Zu all diesen Problemen schweigt die Bundesregierung. Über all diese Probleme ist auch in dieser Debatte viel zu wenig gesprochen worden. Ich frage Sie von der Bundesregierung: Was kann ein Militäreinsatz bewirken, wenn Sie all diese Probleme nicht wirklich angehen und sie teilweise mit der Koalition der Willigen sogar noch befeuern? ({4}) Die Menschen im Irak brauchen Unterstützung. Die internationale Gemeinschaft kann dazu beitragen, dass es Sicherheitskräfte gibt, die politisch kontrolliert werden, die an Rechtsstaatlichkeit und an Menschenrechte gebunden sind und alle Gruppen im Irak einschließen. Aber mit all den beschriebenen rechtlichen wie auch sicherheitspolitischen Problemen kann das mit diesem Mandat nicht gelingen. Deshalb werden wir es wieder ablehnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Henning Otte, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute lediglich die Ergänzung eines Mandates. Nicht zuletzt, weil das Grundmandat bis Oktober 2020 verabschiedet ist, ist es wegen der Coronadebatte hinnehmbar, dass wir darüber nicht namentlich abstimmen. Das Mandat ist weiterhin notwendig; denn die Strukturen des islamistischen Terrors sind zwar zerschlagen, aber sie sind noch nicht besiegt, und es wird versucht, in anderen Regionen neue Stützpunkte aufzubauen. Ich wundere mich über beide Vorrednerinnen, Frau Brugger und Frau Dağdelen. Was Sie alles kritisieren, was Sie meinen, was alles nicht geht! Ich hätte erwartet, dass Sie ein Wort zu den jesidischen Frauen sagen, die immer noch in Händen von IS-Kämpfern sind, die versklavt wurden und sich immer noch in Gefangenschaft befinden. Aber darüber ist kein einziges Wort gefallen. ({0}) Das Mandat dient auch dazu, dass diese Frauen aus der Gefangenschaft befreit werden. In dem Mandat geht es auch um die Sicherheit dieser Frauen. ({1}) – Regen Sie sich nicht auf. Es droht, dass der IS-Terror zurückkommt. Er ist auch für uns in Europa eine Bedrohung. Der Terror droht wieder zu erstarken; denn der IS-Terror macht keine Coronapause. Wir haben eine politisch volatile Weltlage. Das haben wir kürzlich an der Veränderung der Flüchtlingsbewegung an der EU-Außengrenze gesehen. Es gibt 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge im Irak. Wenn sich dort die Situation weiter verschlechtert, dann machen sich die Menschen auf, um Sicherheit zu suchen, auch in Europa. Das ist der Zusammenhang, den die Linken und die AfD nicht verstanden haben und daher in trauter Gemeinsamkeit dem Einsatz nicht zustimmen wollen. Es geht vielmehr darum, mit 77 anderen Staaten in einer Anti-IS-Koalition Stabilität zu erzeugen, ob Arabische Liga, Sahelstaaten, EU, NATO – alle stehen hier stark und wehrhaft zusammen. Deswegen nehmen wir Anpassungen an diesem für uns wichtigen Mandat vor: Wir wollen weiterhin taktischen Lufttransport; wir wollen weiterhin ein Luftraumüberwachungsradar im Irak; wir wollen weiterhin einen Fähigkeitsaufbau der irakischen Streitkräfte; wir wollen weiterhin die Luftbetankung. Wir als CDU/CSU hätten uns auch vorstellen können, den Einsatz von Recce-Tornados weiterzuführen; denn wir wollen in dieser Region kein Auge aufgeben, den Überblick nicht schmälern. Wir wollen das Beurteilungsvermögen erhalten. Wir dürfen nicht blind werden in dieser Region. Es ist wichtig, dass wir wissen, was dort passiert; denn der IS-Terror versucht weiterhin, die friedliche Weltgemeinschaft zu terrorisieren. Dem müssen wir uns geschlossen entgegenstellen; denn es geht um den Frieden in der Welt. ({2}) Die Italiener haben angeboten, dass sie die Aufklärungsfähigkeiten übernehmen. Italien ist in der Coronakrise stark gefordert; deswegen ist es vage, ob sie diesen Einsatz übernehmen können. Wir fühlen uns diesem Mandat verpflichtet. Wir nehmen die Fähigkeiten zurück; aber wir sagen deutlich: Wenn es notwendig ist, diese Fähigkeit wiederaufzunehmen, dann hat Deutschland dazu die Möglichkeiten. Dies sollte europäisch abgestimmt werden; denn Europa steht vor großen Herausforderungen. Putin hat mit der Bombardierung in Syrien zwei starke militärische Stützpunkte für sich geschaffen. Er versucht jetzt, mit einem sogenannten Liebesbrief nach Italien – „From Russia with Love“ – Europa zu spalten. Meine Damen und Herren, dem dürfen wir nicht auf den Leim gehen. Wir müssen aufpassen, dass sich der russische Einfluss in Libyen, Syrien, im Mittelmeerraum nicht weiter verstärkt. Wir müssen stark sein im Kampf gegen den IS-Terror. Dafür müssen wir gemeinsam einstehen. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Vorschlag der Bundesregierung, dieses Mandat zu ergänzen, annehmen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Hitschler, SPD. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag tritt heute in einer außergewöhnlichen Situation zusammen. Die Menschen in unserem Land erwarten zu Recht, dass wir als Volksvertretung handlungsfähig sind, und das sind wir auch unter diesen besonderen Umständen. Wir müssen und wir wollen in einer schweren Krise zwingend notwendige Maßnahmen beschließen. Wir sind auch hier, weil es um ein Mandat der Bundeswehr geht, unsere Parlamentsarmee, für die wir eine besondere Verantwortung haben; das ist richtig so, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Auch wenn der Nahe Osten vielleicht gerade ganz weit weg erscheint: Wir nehmen unsere Verantwortung ernst. ({1}) Das bisherige Mandat war in vielen Bereichen ein Erfolg. Es muss sich aber auch einer veränderten Lage anpassen. Ich bin froh, dass es gelungen ist, mit der irakischen Regierung einen Weg zu finden, wie wir das Land weiter unterstützen können. Darum geht es nämlich: Wir leisten einen Beitrag dazu, dass die Region stabiler werden kann. Wir schauen nicht weg, sondern unterstützen weiterhin da, wo wir können. Was bedeutet das konkret? Wir stellen unseren Verbündeten hochwertige Fähigkeiten der Bundeswehr zur Verfügung, um zu verhindern, dass der IS wieder erstarken kann. Wir unterstützen mit Lufttransport und sorgen dafür, dass die Luftbeweglichkeit unserer Kräfte, aber auch der befreundeten Truppen gesichert wird. Wir machen das mit dem A400M, der sich in diesem Mandat schon bewährt und in der Luftwaffe seinen Platz gefunden hat. Durch den Einsatz eines Radars zur Lagebilderstellung kommen wir einem Wunsch der befreundeten Nationen nach; denn nur mit einem guten Lagebild lassen sich solche Einsätze wie gegen den IS planen und durchführen. Diese Fähigkeit war unseren Partnern sehr wichtig. ({2}) Ein weiterer wichtiger Beitrag, der nicht von vielen Nationen geleistet werden kann, ist die Luftbetankung; auch diese Fähigkeit wurde nachgefragt. Ich bin den Soldatinnen und Soldaten dankbar, dass sie durch ihren Einsatz die logistische Grundlage für mögliche Luftoperationen sicherstellen. Militärische Fähigkeiten helfen dabei, den Rahmen zu sichern und politische Entwicklungen zu begünstigen. Sie allein schaffen aber keinen dauerhaften Frieden und keine anhaltende Stabilität. Wir wollen den Irak daher auch auf anderen Wegen unterstützen, sodass er aus einer sicheren Grundsituation heraus seinen politischen Versöhnungsprozess endlich voranbringen kann, dass er politische Strukturen aufbauen kann, die wirklich tragfähig sind und Bestand haben, dass er wirtschaftliche Kraft aufbaut und seinen Bürgerinnen und Bürgern neben Sicherheit auch eine Hoffnung auf Wohlstand bietet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Angehörigen der Bundeswehr sind da, wenn sie gebraucht werden. Die Menschen im Irak haben das in den vergangenen Jahren erfahren. Die Menschen in unserem Land erfahren es gerade wieder. Die Bundeswehr hilft in besonders hart von Corona betroffenen Gebieten; auch dafür gebühren ihr unser Dank und unser Respekt. ({3}) Ein besonderer Dank geht auch an die Reserve. In nur drei Tagen gingen über 5 000 Meldungen von Freiwilligen ein. Ich finde das großartig. ({4}) Abschließend. Allen in unserem Land – egal wo sie ihren Dienst zur Bewältigung dieser Krise leisten –, die bewusst sagen: „Ich will trotz des Risikos für mich persönlich anderen Menschen helfen“, sagen wir heute für alle Bürgerinnen und Bürger vielen Dank. Bleiben Sie gesund! ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Buchholz, ich bin darüber informiert worden, dass Sie einen Kollegen als Rassisten bezeichnet haben. Dafür rufe ich Sie zur Ordnung. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU, der voraussichtlich der letzte Redner in dieser Debatte ist. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die große Aufmerksamkeit in diesen Tagen liegt zu Recht auf der Bekämpfung der Coronakrise. Nichtsdestotrotz gibt es neben der Coronakrise auch noch Krisenherde, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen oder – um im Bild zu bleiben – bei denen wir dafür sorgen müssen, dass nichts anbrennt. Ein solcher Krisenherd ist der Nahe Osten. Der „Islamische Staat“ hat 2014 mit der Ausrufung des Kalifats diese ganze Region praktisch in Brand gesetzt. Es waren große internationale Anstrengungen notwendig, den IS zurückzudrängen und die besetzten Gebiete zu befreien. Wir sind Teil einer großen internationalen Koalition mit insgesamt 77 Mitgliedsländern, die sich dem Kampf gegen den Terrorismus verschrieben haben. Aber selbst wenn der IS im Moment keine territoriale Kontrolle mehr ausübt: Er ist noch lange nicht besiegt. Wir haben in den letzten Wochen immer wieder Anschläge erlebt, teilweise einfacher Natur, durchgeführt durch Selbstmordattentäter, teilweise sehr komplex und aufwendig geplant. Wenn der Druck der internationalen Koalition nachlässt, besteht die Gefahr, dass sich der IS sofort wieder weiter ausbreitet, zuerst in der Region und dann global. Dass diese Gefahr, dass diese Befürchtung nicht an den Haaren herbeigezogen ist, haben wir Anfang des Jahres erlebt. Als die internationale Anti-IS-Koalition ihre Operation teilweise ausgesetzt hat, hat der IS diesen freigewordenen Raum sofort für sich genutzt, seine Bewegungen und Aktivitäten intensiviert. Deswegen ist es wichtig, dass wir den IS weiter bekämpfen und dass wir auch Teil dieser Anti-IS-Koalition sind. Dieses Mandat soll fortgesetzt werden. Wir werden den Irak auch weiter bei der Ausbildung seiner Sicherheitskräfte unterstützen, um selbsttragende Sicherheitsstrukturen herzustellen; denn auch das ist wichtig für die Stabilität in der Region. Das ist Teil dieses Mandates: Ausbildung von Sicherheitskräften im Irak, sowohl im Zentralirak als auch im Nordirak. Wir werden darüber hinaus weiterhin mit Personal in den Stäben und im Hauptquartier vertreten sein, und wir werden Luftbetankung zur Verfügung stellen, wie wir es bisher schon tun. Wir werden Lufttransporte zur Verfügung stellen, und wir werden einen neuen Beitrag zur Luftraumüberwachung leisten. Der Erfolg der Anti-IS-Koalition ist in unserem eigenen nationalen Sicherheitsinteresse. Für den Erfolg ist der Beitrag der Bundeswehr essenziell. Wenn wir heute nicht über dieses Mandat abstimmen würden, dann müssten bereits nächste Woche Teile der Bundeswehr abziehen. Das wäre nicht verantwortbar. Wir wären nicht verlässlich. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir uns auch in dieser Krisenzeit, in der es hauptsächlich um Corona geht, mit dem Krisenherd Naher Osten, mit der Fortsetzung des Anti-IS-Einsatzes auseinandersetzen. ({0}) Wir sind damit verlässlich, wir geben unseren Soldaten Handlungssicherheit. In diesem Sinne bitte ich Sie jetzt gleich um die Zustimmung zu diesem Mandat. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.