Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/13/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind in außergewöhnlichen Zeiten. Das merkt man daran, dass wir alle unsere Abläufe und Tagesordnungen verändern müssen – wegen des Virus, des Covid-19, wegen der Coronakrise in Deutschland. Das bedeutet, dass wir alle in einer ganz bestimmten Weise achtsam sein müssen, aufeinander achten müssen und dafür sorgen müssen, dass die Ausbreitung des Virus nicht in einer Weise stattfindet, die eine zu große Belastung für unser Gesundheitssystem wäre. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, hat mich gebeten, an seiner Stelle zu sprechen, weil er aus diesem Grunde, der Rücksichtnahme auf andere, heute an dieser Debatte nicht teilnehmen kann. Er ist in Kontakt gewesen mit jemandem, der einen solchen Virus hatte, und es muss jetzt gewissermaßen abgewartet werden, was daraus folgt. Er hat mich gebeten, hier zu sprechen, weil ich als ehemaliger Bundesminister für Arbeit und Soziales mit dem Thema schon einmal etwas zu tun hatte und weil es ihm wichtig war, dass die Bedeutung des Vorhabens, das wir heute hier beraten, auch dadurch unterstrichen wird, dass ein Bundesminister dazu spricht. Es geht um die Frage: Wie können wir mit einer großen strukturellen Krise, die unser Land erreicht, die Arbeit und Beschäftigung unmittelbar betrifft, gut umgehen? Wir haben Erfahrungen gesammelt. Wir haben Erfahrung gesammelt in der letzten großen wirtschaftlichen Krise, 2008/2009, als unglaublich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Jobs gefährdet sahen. Plötzlich war die Arbeit vorbei. In den Fabriken gab es keine Beschäftigung mehr, und es musste unmittelbar etwas dafür getan werden, dass die Beschäftigten in den Betrieben bleiben können, nicht gekündigt werden, aber auch, dass die Liquidität der Unternehmen gesichert wird. Genau das machen wir mit dem Instrument der Kurzarbeit, das hier jetzt ganz schnell eingeführt wird, damit es sofort für die Unternehmen in Deutschland und für die Beschäftigten zur Verfügung steht. ({0}) Dass das ungewöhnliche Zeiten sind, dass es schnell gehen muss, das sieht man daran, dass Sie sich hier entschlossen haben – wahrscheinlich das erste Mal oder eines der ersten Male –, die erste, zweite und dritte Lesung gewissermaßen an einem Tag zu bewältigen. Aber das ist ein gutes Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, nämlich dass wir in der Lage sind, als Demokratie so schnell zu handeln, wie es erforderlich ist. Auch das ist eine gute Auskunft. Neben der Tatsache, dass wir ein richtiges Gesetz auf den Weg bringen, zeigen wir: Wir sind entschlossen, handlungsstark und wollen das auch tun. ({1}) Worum geht es hier? Wir wollen dafür Sorge tragen, dass die Möglichkeiten des Zugangs zur Kurzarbeit und damit des Schutzes für die Arbeitsplätze viel einfacher funktionieren: Es muss nicht mehr ein Drittel der Beschäftigten vom Arbeitsausfall berührt sein, es reichen 10 Prozent; Leiharbeiter sollen auch die Möglichkeit der Kurzarbeit haben; die Arbeitgeber können die Sozialversicherungsbeiträge komplett erstattet bekommen. – Alles das hat schon mal funktioniert. Das ist die gute Botschaft. Und wir sind seinerzeit dafür gelobt worden. Die OECD hat gesagt: Das Beste in der Krisenbewältigung hat Deutschland mit der Kurzarbeit gemacht. Das hat die Internationale Arbeitsorganisation seinerzeit gesagt, und die EU hat das ebenfalls damals festgestellt. Es ist deshalb völlig richtig, dass wir das wieder tun. Ich bin sehr froh, dass wir das verbinden mit einem weiteren Gesetzgebungsvorhaben, das auch nicht lange Zeit hat, aber nicht an einem Tag beschlossen werden muss: Nämlich dass wir die Kurzarbeit auch ausweiten in Bezug auf die verschiedenen konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen, die vor uns stehen; denn es ist ja auch so: Es gibt jetzt Branchenkrisen, die etwas zu tun haben mit der richtigen Transformation, zum Beispiel im Bereich Mobilität in Richtung Elektrifizierung. Und die dazu führen, dass bestimmte Branchen die bisher stärker auf die Nutzung fossiler Energien ausgerichtete Mobilität jetzt anders hinbekommen müssen. Und das hat Folgen für die Beschäftigten. Wir müssen dort wie auch in anderen Branchen dafür Sorge tragen, dass die Möglichkeit besteht, Arbeitsplätze zu erhalten, indem wir Kurzarbeit 24 Monate gewähren, indem wir sagen, dass das mit Qualifizierung für die neue Arbeit verbunden ist, und indem wir deshalb ein ganz großes Band der Solidarität über unser Land spannen. ({2}) Vielleicht ist das ja auch eine Botschaft, die jetzt gesagt werden muss: In einer so schwierigen Zeit können wir zusammenhalten, und selbst wenn ein solcher Virus uns in der ganzen Welt bedroht, wissen wir – das ist eine klare Antwort –: Wir werden niemanden alleine lassen, sondern wir werden das miteinander bewältigen. – Auch das ist vielleicht eine gute Botschaft, die von diesem Tag ausgeht. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Norbert Kleinwächter, AfD. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn unseren Dank dafür ausdrücken, dass Sie die Verordnungsermächtigung zum Kurzarbeitergeld aus der allgemeinen Gesetzesvorlage zur Weiterbildung herausgenommen haben und wir heute separat darüber sprechen und abstimmen können. Wir müssen Härten aufgrund der Coronarezession auffangen. Ich bin Ihnen sehr dankbar – das hat sich abgezeichnet –, dass wir alle einig hinter dieser Notmaßnahme stehen. Die Kurzarbeit ist ein gutes und wichtiges Instrument. Sie ist ein Instrument der Solidarität, und ich glaube, wenn wir heute etwas aus diesem Haus heraussenden können, dann, dass wir alle zusammenstehen für die Leute in unserem Land. Wir wollen diesen Zusammenhalt fördern. ({0}) Wir wissen nicht, wen es in der Coronakrise treffen wird, wir wissen nicht, wen die Erkrankung treffen wird, aber wir sind füreinander da. – Lassen Sie uns dieses Zeichen wirklich aus diesem Saal heute senden. Die Verordnungsermächtigung zum Kurzarbeitergeld ermöglicht die Zahlung von Kurzarbeitergeld, wenn 10 Prozent der Belegschaft vom Arbeitsausfall betroffen sind, statt bisher ein Drittel. Arbeitszeitguthaben oder Urlaub müssen nicht in Anspruch genommen werden. Die Sozialversicherungsbeiträge können den Arbeitgebern erstattet werden. – Das ist richtig. Es ist richtig, die Unternehmen und vor allem die Arbeitnehmer jetzt zu schützen. Aber das allein wird noch nicht reichen. Ich glaube, wir müssen weiter darüber diskutieren. Wir müssen weitergehen. Wir müssen auch die Kleinunternehmer schützen, die nicht in der Arbeitslosenversicherung versichert sind, jetzt aber auch Einbrüche zu verzeichnen haben, zum Beispiel im Schaustellergewerbe. Wir müssen darauf aufpassen, dass auch diese Unternehmen unter dieser Krise nicht extrem zu leiden haben. ({1}) Aber lassen Sie mich trotz aller verbindenden Worte hier ganz klar ausführen: Der zu erwartende Umfang dieser Krise hat ihren Grund in der falschen Politik dieser Bundesregierung. Wenn Menschen ihren Job verlieren, wenn Unternehmer pleitegehen, dann liegt das auch daran, dass Frau Merkel politisch falsch gehandelt hat. ({2}) Sie hat die Grenzen beispielsweise niemals geschützt ({3}) und will sie auch niemals schützen. Das wäre eine wichtige Maßnahme gewesen für den Infektionsschutz: wenn ich an der Grenze auch Leute abhalten kann, die infiziert sind. ({4}) Sie lachen da. Aber Taiwan hat das beispielsweise höchst erfolgreich praktiziert. ({5}) Frau Merkel macht eine Politik der gnadenlosen Globalisierung und hat damit unsere Wirtschaft von China abhängig gemacht – von einer kommunistischen Partei abhängig gemacht. Wenn wir jetzt über Lieferketten und Versorgungsengpässe in der Zukunft sprechen, dann liegt das doch daran, dass wir uns einseitig von einem Land, von einem Regime auf der Erde abhängig gemacht haben. ({6}) Deutschland ist instabil geworden aufgrund falscher Politik von Angela Merkel. Wissen Sie, was Deutschland früher stabil gemacht hat? ({7}) Richtig war es, Europa als Wirtschaftsgemeinschaft und die Nation als politische und solidarische Gemeinschaft anzusehen. Falsch ist es, jetzt die Welt als Wirtschaftsgemeinschaft anzusehen, Europa als politische und solidarische Gemeinschaft und die Nation als überflüssiges Übel. Das ist das, was unsere Politik, unser Land instabil macht. ({8}) Aufgrund dieses grauenhaften Irrwegs fordere ich Frau Merkel zum Rücktritt auf, genauso wie die gesamte Führung der Christlich-Demokratischen Union. ({9}) Und Sie bauen ja schon vor für die Krise mit Ihrem „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung“, das aber weder die berufliche Weiterbildung im Strukturwandel fördern noch die Ausbildungsförderung wirklich weiterentwickeln wird. Was das für ein Gesetz ist, ist ganz klar: Es ist ein Gesetz für die SPD-nahe Lobby, es ist ein Gesetz für Bildungsträger. ({10}) Natürlich unterstellen Sie das alles wieder diesem Konzept und dieser falschen Ideologie der Transformation unserer Wirtschaft durch Digitalisierung und Klimaneutralität. ({11}) Sie sagen selber: In unseren Schwerpunktbereichen – Energie, Bau, Automobilwirtschaft – werden ganz, ganz viele Stellen verloren gehen, werden ganz, ganz viele Leute arbeitslos werden. – Weil Sie das letztendlich so beschließen mit Ihrer Klimaneutralität; das kommt doch nicht von nichts. Es ist ein völlig fatales Signal, wenn wir unsere Schlüsseltechnologien ausbluten und dann sagen: Geht da nicht mehr rein, junge Leute, bildet euch lieber davon weg, und geht in einen anderen Bereich! – Und dafür machen Sie jetzt einen Gesetzentwurf, der wirklich auch hinter seinen eigenen Anforderungen zurückbleibt. ({12}) Denn Sie investieren ja überhaupt nichts in wirkliche Bildung, Sie tun nichts für Hochqualifiziertenbildung. Wenn ein Arbeitnehmer sich heute weiterbilden und wirklich qualifizieren will, dann hat er doch kaum Möglichkeiten; er ist und bleibt wirklich abhängig. ({13}) Ja, im Bildungsministerium gibt es da das Meister-BAföG, die Bildungsprämie; aber die betrifft ja nicht viele Leute. Und das, was Sie jetzt hier für das SGB III vorschlagen, das betrifft vor allem drei Kategorien von Leuten: Die einen sind überhaupt nicht qualifiziert; die wollen Sie irgendwie mit assistierter Ausbildung und der Zusammenführung mit den ausbildungsbegleitenden Hilfen irgendwie in den ersten Arbeitsmarkt bringen. ({14}) Die zweite Gruppe sind die Leute, die arbeitslos werden; die sollen dann von der Agentur für Arbeit beim Bildungsträger in irgendwelche Maßnahmen vermittelt werden. Und die dritte Kategorie, das sind diejenigen, die tatsächlich bei einem guten Arbeitgeber sind, wo eine gewisse Weiterbildung auch ein bisschen – ein bisschen – besser gefördert wird als bisher. ({15}) – Ja, natürlich braucht man Weiterbildung dafür auch. Aber Sie fördern sie ja nicht ordentlich, bei den Arbeitgebern, sondern nur ein bisschen, als Verbesserung. ({16}) Wen Sie vor allem fördern, Herr Scholz, liebe SPD, das sind die Träger. ({17}) Wenn Sie, liebe Öffentlichkeit, nicht wissen, was die Träger sind: Die Träger sind Unternehmen, die kassieren Millionen vom Staat – man sieht übrigens gerade in den Kommunalhaushalten sehr schön, wie viel Geld da rüberwächst –; sie bieten sozialpädagogische Dienstleistungen und Bildungsdienstleistungen sehr intransparenter Qualität an, und die werden gefördert. Ich mache einen ganz kurzen Durchmarsch: Sie wollen, dass die Leistungen der Arbeitsförderung bei Erwerb eines Berufsabschlusses keine Ermessungsleistung mehr sind. Sie wollen einen Rechtsanspruch auf Ausbildung beim und durch den Träger natürlich. ({18}) § 76 SGB III – Außerbetriebliche Berufsausbildung –; das war bislang nur förderfähig, wenn eine Ausbildungsstelle in einem Betrieb nicht vermittelt werden konnte. Jetzt soll das grundsätzlich der Fall sein. Da gibt es eine Ausbildungsvergütung für den Träger und 2 000 Euro Pauschale, wenn er dann in einen Berufsbildungsgang vermittelt. Die Maßnahmenzulassung wird leichter für einen Träger; er muss nämlich nicht mehr nachweisen, dass er angemessene Teilnahmebedingungen bietet und die räumliche, personelle und technische Ausstattung die Durchführung der Maßnahme gewährleistet. Diesen Satz in § 179 SGB III streichen Sie. Stattdessen gibt es die assistierte Ausbildung mit einem festen Ausbildungsbegleiter beim Träger – ja, super! Die Zusammenführung zur assistierten Ausbildung nutzt übrigens vor allem dem Träger und niemandem sonst, ({19}) weil nämlich früher nur lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte junge Menschen Anspruch auf diese Leistungen hatten – jetzt alle, die die Vollzeitschulpflicht der Länder erfüllt haben, oder auch, im Prinzip, alle bei den Ausländern. Und auch bei den Kosten haben Sie etwas für die Träger getan; sie dürfen nämlich die durchschnittlichen Kosten um 20 Prozent überschreiten. Und zum 1. August 2019 erhöhte man auch noch die durchschnittlichen Kostensätze um 20 Prozent. Es geht so weiter und so weiter; ich könnte das jetzt lange ausführen. ({20}) Faktum ist – ich komme auch zum Schluss, Herr Präsident –: Wenn Sie dieses Gesetz das „Gute-Arbeit-für-morgen-Gesetz“ nennen, dann ist das reiner Zynismus. Denn es geht Ihnen nicht um gute Arbeit, es geht Ihnen um die Träger. Bitte hören Sie auf, Gesetze für die rote Lobby zu machen – machen Sie Gesetze für die Bürger! Haben Sie vielen Dank. ({21})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Rat an uns alle ist, einfach zu bedenken, dass wir einen ganz schwierigen Grat haben. ({0}) Wir müssen, wie es gerade der Bundesfinanzminister gesagt hat, alles tun, um in einer besonders schweren Gefahrenlage für unser Land, für unsere Bürger, für die Welt das Menschenmögliche zu tun. Wir müssen zugleich darauf achten, dass wir die Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie nicht außer Kraft setzen. Deswegen finde ich auch gut, dass wir uns darauf verständigt haben – das haben alle Fraktionen so vereinbart –, dass wir diese notwendige Maßnahme heute in einem außergewöhnlichen parlamentarischen Verfahren auch mit dem Bundesrat so schnell beschließen, dass wir sie in Kraft setzen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht, darüber hinaus, weiterhin sehr unterschiedliche politische Auffassungen haben. Allerdings glaube ich, dass wir alle bedenken sollten, dass die Bürgerinnen und Bürger, die auf uns achten, vielleicht heute – bei Würdigung der unterschiedlichen politischen Auffassungen – eine gewisse Mäßigung in unserer Tonlage nicht übel nehmen würden. Das wäre meine Empfehlung. ({1}) Das Wort hat der Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU. ({2})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Mahnung des Herrn Präsidenten ernst nehmend, will ich auf das eben Gehörte nur mit zwei Sätzen eingehen: In einer Situation, in der die Weltgesundheitsorganisation erstmalig den Fall einer Pandemie erklärt, mit kruden Abschottungsfantasien zu antworten, wird der Lage in keiner Weise gerecht, ({0}) um es vorsichtig auszudrücken. Und in Anbetracht des Inhalts unserer Gesetze würde ich sagen: Solches Neben-der-Sache-Liegen ist manchmal weniger eine Frage von Weiterbildung als von Charakter. ({1}) Meine Damen, meine Herren, die weltweite dynamische Verbreitung des Coronavirus stellt die vor Ort konkret Handelnden in unserem Land und global vor sehr, sehr große Herausforderungen. Da ist es wichtig, dass an diesem Tag mit dem gemeinsamen Handeln von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat das Signal ausgeht: Wir handeln angemessen, wir handeln auch angepasst an die Dynamik des Infektionsgeschehens, das heißt, wir handeln schnell, und wir handeln gemeinsam. – Dass dies heute in diesem schnellen Verfahren so möglich ist, ist ein gutes Signal für unser Land. ({2}) Deswegen ist es auch wichtig, dass wir uns als Parlament bewusst für den Weg entscheiden, mit einer Verordnungsermächtigung an die Bundesregierung und mit einem klaren Rahmen dafür befristet die Möglichkeit zu setzen, weiter schnell zu reagieren. Das wird uns über das, was heute bereits absehbar ist, weiter leiten müssen. Bisher standen im Mittelpunkt der diskutierten Punkte Maßnahmen zur Verlangsamung des Infektionsgeschehens – da geht es um die Verantwortung eines jeden Einzelnen, es geht aber auch um die Gestaltung des öffentlichen Lebens –, und es stand im Mittelpunkt die Stärkung unseres Gesundheitswesens, gerade für die Schwächsten und besonders Bedrohten, also die Hochbetagen, die Vorerkrankten. Diese Maßnahmen ergänzen wir heute in notwendiger und wichtiger Weise um einen Schutzschirm für Arbeitsplätze in diesem Land. Denn diejenigen, die sich heute Sorgen machen um das Wohlergehen beispielsweise älterer Familienangehöriger, die sollen sich jedenfalls in dieser Situation keine Sorge um ihren Arbeitsplatz machen müssen. ({3}) Deswegen brauchen wir diesen Schutzschirm für Arbeitsplätze. Dieser Schutzschirm ist zugleich ein Schutzschirm für die Wirtschaftskraft unseres Landes und damit die Voraussetzung, auch nach dieser Krise wieder schnell Tritt zu fassen. Wenn heute Frauen und Männer in den Belegschaften gehalten werden können, dann ist das die beste Chance, die Krise wieder schnell hinter sich zu lassen. Der Umstand, dass wir heute Maßnahmen auf den Weg bringen können, für die die gut gefüllten Reserven der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stehen, zeigt, dass die Politik der letzten Jahre unser Land in einer Weise gestärkt hat, um die uns andere beneiden, was uns übrigens in die Pflicht nimmt, auch anderen in dieser schwierigen Situation zu helfen, wie das in Europa verabredet wurde. ({4}) Meine Damen, meine Herren, die Kurzarbeit – der Finanzminister hat es erwähnt – hat sich in dieser Weise als der taugliche Schutzschirm bewährt. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Voraussetzung für den Bezug absenken, damit es einen schnelleren Zugang zu Kurzarbeitergeld gibt, dass wir aber auch die Übernahme der Sozialversicherungskosten – wir erwarten, dass die Bundesregierung hier diese weitgehenden Möglichkeiten in der Rechtsverordnung zur vollständigen Erstattung dieser Kosten nutzt – in dieser Weise gestalten. Ich finde es richtig – ich sprach über die Sorgen der Belegschaften –, dass wir in dieser Situation keinen Unterschied zwischen Festangestellten und Leiharbeitern machen. Ich glaube, dass in einer Situation, in der man sonst darüber streiten kann, welche Instrumente sich im Arbeitsmarkt wie ergänzen, das Signal „Der ganzen Belegschaft gilt unsere Solidarität“ von großer Bedeutung ist. ({5}) Auch deswegen stimmen wir dieser Veränderung zu. Sie ist erforderlich. Wir wissen alle, dass weitere Liquiditätshilfen – darüber werden der Wirtschaftsminister und der Finanzminister heute sprechen – notwendig sind. Als wir vor wenigen Tagen oder Wochen anfingen, über die Frage zu reden: „Welche Folgen hat das für unseren Arbeitsmarkt?“, da hatten wir vor allem die globalen Lieferketten im Blick. Wenn wir jetzt über weitgehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens reden, dann wissen wir: Die Wirtschaft ist als Ganzes betroffen. Nicht nur diejenigen, die von internationalen Lieferketten abhängig sind, sind davon betroffen, dass jetzt keine Zulieferungen mehr erfolgen, sondern auch all diejenigen, die, in welcher Weise auch immer, als Dienstleister im Einzelhandel, in der Gastronomie, Gestalter des öffentlichen Lebens in diesem Land sind. Deswegen stehen wir sicher vor einer Herausforderung bisher nicht gekannten Ausmaßes. Schnelles Verfahren, gutes Handeln: Das ist richtig. Gleichzeitig wissen wir, dass wir mit der Lesung eines darüber hinausgehenden Gesetzes auch dem Strukturwandel mit seinen Veränderungen am Arbeitsmarkt, die in den Branchen und in den Regionen sehr unterschiedlich sind, durch eine stärkere Nutzung der Kurzarbeit in Verbindung mit erleichterter Weiterbildung der Mitarbeiter Rechnung tragen wollen. Das geschieht dadurch, dass wir erste Erfahrungen aus dem Qualifizierungschancengesetz nutzen, um hier zu einer erleichterten Handhabung zu kommen. Dies bringen wir heute auf den Weg. Ich will ausdrücklich sagen: Dies wollen wir gründlich, aber zügig und zeitnah zu einem Abschluss bringen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Johannes Vogel, FDP. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krisen sind ja Zeiten, in denen der Charakter offen zutage tritt, in denen das Beste oder das Schlechteste zum Vorschein kommt. Herr Kleinwächter, ob Ihre Rede eben der Lage angemessen war, müssen Sie mit Blick in den Spiegel selber beurteilen. Ich muss sagen: Ich fand es schäbig, diese Gelegenheit zu nutzen, gegen Globalisierung und Ausländer zu hetzen. ({0}) Wir Demokraten stehen allerdings vor der Herausforderung, in einer solchen Krise zu beweisen, dass eben auch freie Gesellschaften, dass auch Demokratien in der Lage sind, in außergewöhnlichen Krisen schnell, entschlossen und wirksam zu handeln. Das gilt für die gesundheitspolitischen Herausforderungen. Das gilt aber genauso für die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Dass wir dieses Gesetz heute im Schnellverfahren in dritter Lesung beschließen können, geht nur, weil auch die Opposition einem solchen Verfahren zugestimmt hat. Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir in einer solchen Lage nicht als Regierung oder Opposition reden, sondern einzig und allein darüber, was für unser Land dieser Tage richtig und geboten ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) In der Tat haben wir durch die Kurzarbeit 2008/2009 in einer anderen schweren Krise gezeigt, dass die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt minimiert werden konnten. Deshalb unterstützen wir als Freie Demokraten das, was Sie uns an Krisenregelungen heute vorlegen: erstens, die Hürden für Kurzarbeit zu senken; zweitens, die volle Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge möglich zu machen und Unternehmen ganz konkret zu entlasten; drittens, die Kurzarbeit auch auf Zeitarbeit auszudehnen; denn die Beschäftigten in dieser Branche sind es, die konjunkturelle Einbrüche als Erste spüren. Ich bin auch dankbar, dass die Koalition und das Bundesarbeitsministerium heute Morgen klargestellt haben, dass sie in der Lage sind, die Gültigkeit dieser Krisenregelungen, wenn es die Entwicklung der Lieferketten nötig machen sollte, was wir alle nicht hoffen, auch über ein Jahr hinaus zu verlängern, um den Unternehmen und den Beschäftigten Planungssicherheit zu geben. Das unterstützen wir ausdrücklich. Das ist absolut richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. ({2}) Ich glaube auch, dass es richtig ist, die beiden Gesetze voneinander abzukoppeln. Wir sind nun wahrlich für mehr Weiterbildung. Aber um den richtigen Weg und die richtigen Instrumente sollten wir ringen, und wir sollten nicht die Krisenregelung der Kurzarbeit mit zusätzlichen Hürden erschweren; denn die Unternehmen und die Beschäftigten brauchen in der Krise wahrlich einfachere Regelungen zur Kurzarbeit und keine komplizierteren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ich glaube auch – das will ich arbeitsmarktpolitisch an dieser Stelle sagen –, dass sich in dieser Lage zeigt: Es war gut, dass wir in einer anderen Frage – trotz aller Unterschiede bei anderen Fragen wie SGB III und zur Bundesagentur für Arbeit – in diesem Haus einen breiten überparteilichen Konsens hatten und haben, dass es nämlich richtig ist, dass die Bundesagentur für Arbeit in den letzten Jahren eine Rücklage aufgebaut hat, die sie jetzt in die Lage versetzt, in der Krise die Kurzarbeit ausreichend zu finanzieren; das will ich bei dieser Gelegenheit deutlich sagen. ({4}) Darüber hatten wir immer Konsens, auch wenn Sie das gerne immer anders darstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. ({5}) Ich will in Richtung der Reihen der Koalition und der Bundesregierung aber auch sagen: Die Krisenregelungen zur Kurzarbeit sind ein zentrales Instrument. Sie sind aber wahrlich nicht das ausreichende Instrument. Wir fordern Sie nachdrücklich auf, genauso klarzustellen, dass es weitere Maßnahmen geben wird. Die Unternehmen in unserem Land und ihre Beschäftigten brauchen jetzt ganz schnell Liquiditätshilfen. Es wäre richtig, schnell klarzustellen, dass Sie zum Beispiel Steuervorauszahlungen stunden werden und weitere Maßnahmen ergreifen. Bei diesen weiteren Maßnahmen bitte ich Sie ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und von der Bundesregierung, eine Gruppe besonders in den Blick zu nehmen, die nämlich bei ehrlicher Betrachtung Ihrer Politik zu häufig aus dem Blick gerät: Das sind die Kleinunternehmer und vor allem auch die Freelancer und Selbstständigen. Auch die geraten in den nächsten Wochen und Monaten möglicherweise in eine ganz schwierige Lage. Wir fordern Sie nachdrücklich auf, hier schnell Maßnahmen zu ergreifen, um Freelancer und Selbstständige zu unterstützen und diese nicht aus dem Blick geraten zu lassen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Susanne Ferschl, Die Linke.

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der aktuellen Situation mit Corona braucht es schnelle staatliche Unterstützung. Deswegen ist es richtig, heute Regelungen zum Kurzarbeitergeld zu beschließen, und zwar losgelöst von dem übrigen Gesetz. ({0}) Ein starker, handlungsfähiger Staat ist gerade jetzt für Menschen und Wirtschaft wichtig. Wir sind uns sicher einig: Durch Corona darf es nicht zu Betriebsschließungen und zu Arbeitsplatzabbau kommen. ({1}) Das Problem ist nur, dass immer dann nach dem Staat gerufen wird, wenn es zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten kommt. Ansonsten heißt es immer: Das regelt alles der freie Markt. – Ich finde, das ist etwas, was wir dringend diskutieren sollten, wenn wir aus diesem Krisenmodus wieder raus sind. Darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. ({2}) Dazu gehört im Übrigen auch ein Gesundheitssystem, das auch ohne Corona schon auf Überlastung fährt, weil alles auf Profit getrimmt ist. Das kann so nicht weitergehen. ({3}) Aber zum Thema. Es ist richtig, die Kurzarbeit auszuweiten. Es ist ein Instrument, das Beschäftigung in Krisenzeiten schützt. Genauso ist es richtig, Überbrückungskredite für kleine und mittelständische Unternehmen zur Verfügung zu stellen, damit die Firmen liquide bleiben und auch die Löhne und Gehälter der Kolleginnen und Kollegen bezahlt werden können. Was aber nicht geht, ist, die Unternehmen komplett aus der Verantwortung zu entlassen. Hier, liebe Bundesregierung, sollten Sie Ihren eigenen Grundsatz „Fördern und Fordern“ endlich anwenden. ({4}) Zum Fordern gehören Arbeitsplatzgarantien für die Beschäftigten über den Zeitraum der Kurzarbeit hinaus ({5}) und Aufstockungszahlungen zum Kurzarbeitergeld, weil es nicht einzusehen ist, dass die Unternehmen 100 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge erstattet bekommen, Beschäftigte aber lediglich 60 Prozent ihres ausfallenden Nettoentgelts. Statt Arbeitgeber einseitig zu entlasten, sind auch die Lohneinbußen der Arbeitnehmer auszugleichen! ({6}) Außerdem ist ein zwingendes Mitbestimmungsrecht für Betriebsräte notwendig. Ich weiß noch, welche Diskussionen ich in meiner Zeit als Betriebsrätin mit meinem damaligen Arbeitgeber hatte, um überhaupt Kurzarbeit einzuführen, weil er nämlich Personal abbauen wollte. Die Linke stimmt heute dem Kurzarbeitergeld zu; aber Sie sollten da dringend nachbessern. ({7}) Sie müssen Antworten auf folgende Fragen geben: Was ist mit Kleinstbetrieben? Was ist mit Selbstständigen? Was ist mit Kulturschaffenden? ({8}) Was ist mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Fall von Kitaschließungen? Es werden jetzt immer mehr Kitas und Schulen geschlossen. Bei fast 3 Millionen Kindern sind beide Eltern berufstätig, oder sie sind alleinerziehend und berufstätig. Insgesamt sind es noch deutlich mehr Kinder, bei denen Betreuung notwendig ist. Oma und Opa fallen letztlich aus, weil das die größte Risikogruppe ist. Ich erwarte, dass Entgeltfortzahlung so wie im Krankheitsfall eintritt: sechs Wochen voller Lohnausgleich für die Eltern. ({9}) Abschließend noch ein Wort zur Arbeitslosenversicherung, aus der das Kurzarbeitergeld finanziert wird: Jetzt zeigt sich überdeutlich, wie wichtig funktionierende Sozialversicherungssysteme sind. Deswegen ist es Quatsch, die Arbeitslosenversicherung durch immer weitere Beitragssenkungen zu schwächen. Im Gegenteil: Sie muss gestärkt werden, damit ein höheres Arbeitslosengeld gezahlt werden kann, damit es länger gezahlt werden kann und damit es auch früher greift. ({10}) Die Idee von Herrn Altmaier, eine Höchstgrenze der Sozialabgaben im Grundgesetz zu verankern, ist noch viel größerer Quatsch. ({11}) Wir brauchen einen starken Sozialstaat, und zwar nicht nur, wenn die Hütte brennt, sondern generell für die Sicherheit der Menschen in diesem Land. Vielen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheit muss im Moment Vorrang haben; wir sind da in einer besonderen Situation; das haben schon viele Rednerinnen und Redner gesagt. Aber das Coronavirus hat natürlich auch ökonomische Folgewirkungen. Sie sind jetzt schon zum Teil zu sehen, werden sich aber noch stärker zeigen. Wichtig ist, zu sehen, dass wir dabei zwei Phasen haben. Wir sind jetzt in einer Zeit, in der die Wirtschaft abgebremst wird, und das ist aus gesundheitlicher Sicht sogar sinnvoll. Wir sollen ja ein bisschen herunterfahren, damit die Ausbreitung des Virus verlangsamt wird. Irgendwann werden wir gucken müssen, auch politisch, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Das wird aber erst in einigen Monaten der Fall sein, und dann werden wir darüber nachdenken, wie wir der Wirtschaft möglichst schnell wieder einen Schub versetzen. Jetzt über Konjunkturprogramme zu reden, wäre aber der falsche Zeitpunkt, und ganz falsch ist es, über Maßnahmen wie die zu reden, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen oder Ähnliches, was man immer schon gefordert hat, und das mit Corona zu verknüpfen. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags hat mit Corona nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({0}) Jetzt ist der Zeitpunkt, zielgenau zu helfen, damit die Menschen nicht arbeitslos werden, um die Kaufkraft zu erhalten und die Unternehmen zielgenau zu unterstützen. Ein zentrales, zielgenaues Mittel ist die Kurzarbeit. Deswegen finden wir die Vorschläge der Bundesregierung für zeitlich begrenzte Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld wegen Corona völlig richtig und werden dem Gesetz auch zustimmen. ({1}) Ich glaube übrigens, dass in dieser Krise angesichts ihres speziellen Verlaufs das Mittel Kurzarbeit noch wichtiger ist als in der Finanzmarktkrise. Das Beispiel Kurzarbeit zeigt, wie wichtig und sinnvoll die Arbeitslosenversicherung auch für die Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt ist. Das muss meines Erachtens hier auch noch mal betont werden. Die Diskussion, die wir in den letzten Monaten und im letzten Jahr um die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags hatten, zeigt, dass es gut ist, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag nicht noch weiter gesenkt worden ist; denn wir haben jetzt die Rücklagen, die notwendig sind, und – wer weiß – vielleicht kommt ja noch eine ökonomische Krise hinterher. Wir waren ja in unsicheren Zeiten, was das angeht; da brauchten wir ja auch noch mal Rücklagen. Deswegen ist es wichtig, dass es die Arbeitslosenversicherung gibt, und sie muss eher gestärkt werden. ({2}) Was aber auch wichtig ist: Wir müssen auch diejenigen im Blick behalten, denen durch das Kurzarbeitergeld nicht geholfen wird, Minijobber zum Beispiel. Insbesondere an viele Selbstständige ohne Beschäftigte, an die sogenannten Solo-Selbstständigen, den Dolmetscher, die Taxifahrerin, Lehrkräfte in der Weiterbildung, Künstlerinnen und Künstler, überhaupt Beschäftigte im Kulturbereich, in der Gastronomie, Click- und Crowd-Worker, an die müssen wir auch denken. ({3}) Dabei ist jetzt vor allem der Wirtschaftsminister gefragt. Aber mittelfristig ist es wichtig, in dieser sich wandelnden Arbeitswelt auch für Selbstständige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu entwickeln. Bessere Unterstützung auch für Selbstständige, das ist für uns einer von vielen Gründen, weshalb wir Grüne die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln wollen. ({4}) Wichtig ist auch, noch mal zu betrachten, dass dann, wenn Kurzarbeitergeld gezahlt wird, einige Beschäftigte, insbesondere die, die den Mindestlohn bekommen, gegebenenfalls zu den Jobcentern gehen und mit Hartz IV, mit Arbeitslosengeld II, aufstocken müssen. Auch darauf müssen wir vorbereitet sein, und wir müssen zusehen, dass auch da das geringe Einkommen schnell und unbürokratisch aufgestockt wird. ({5}) Außerdem ist wichtig, zu sehen – das richtet sich vor allen Dingen an die Arbeitgeber, die durch die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge ja sehr stark unterstützt werden –, dass es nur gut und fair wäre, wenn sie diese Unterstützung zum Teil an die Beschäftigten weitergeben würden. Es gibt die Möglichkeit, das Nettoentgelt bei der Kurzarbeit aufzustocken und damit die Differenz zu verringern. Ich glaube, dass es auch wichtig ist, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten dadurch ein Signal geben und damit deutlich machen: Ihr seid uns mehr wert als nur die Kurzarbeit, und wir legen auf das, was der Staat euch gibt, noch etwas drauf. Das Zweite, was noch mal zu bedenken ist: In dieser Phase mit Kurzarbeit muss auch daran gedacht werden, Kurzarbeit da, wo es möglich ist, mit Weiterbildung zu verknüpfen. Das ist ja insgesamt ein wichtiges Thema, und es wäre jetzt wichtig, das Kurzarbeitergeld, auch das Coronakurzarbeitergeld, da, wo es sinnvoll ist, mit Weiterbildung zu verknüpfen. Das wäre im Interesse der Beschäftigten und auch der Betriebe. ({6}) Damit bin ich für die letzte Minute noch mal kurz bei dem anderen Gesetz, das heute vorliegt und das die eigentliche Grundlage dieses Tagesordnungspunktes war: beim Gesetz, das irgendwann einmal „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ hieß und jetzt „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterbildung der Ausbildungsförderung“ heißt. Wir haben mit dem Qualifizierungschancengesetz die richtigen Weichen gestellt; wir Grünen haben das ja auch unterstützt. Aber so richtig fährt der Zug da noch nicht. Jetzt soll nachgebessert werden, es soll an kleinen Stellschrauben gedreht werden, was im Prinzip richtig ist. Aber aus unserer Sicht reicht das nicht. Wir müssen ein großes Rad drehen. Wir Grünen haben dazu in der letzten Woche einen ausführlichen Antrag vorgelegt, in dem wir die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung hin zu einer Arbeitsversicherung fordern, wobei das Thema Weiterbildung ein zentraler Punkt ist. Jetzt nur noch Stichworte: Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Wir brauchen ein Weiterbildungsgeld, damit sich auch Menschen mit geringem Einkommen selbstbestimmte Weiterbildung leisten können, und wir brauchen neue Strukturen für die Informationen für den Bereich Weiterbildung. Das wäre ein großes Rad, was, glaube ich, für die Weiterbildung wichtig ist, um die Beschäftigten auf die Zukunft vorzubereiten. – Jetzt geht es aber vor allen Dingen erst mal darum, kurzfristig zu helfen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack, SPD. ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Situation in Deutschland, wie wir sie in der Krise vorfinden, ist einmalig, und viele sorgen sich um ihre Gesundheit, um die Gesundheit ihrer Lieben, ihrer Familie, ihrer Arbeitskollegen, ihrer Nachbarn, ihrer Freunde. Wir setzen hier heute ein Zeichen, dass zu dieser Sorge um die Gesundheit nicht auch noch die Sorge um den Arbeitsplatz hinzukommt. ({0}) Ein wichtiges Signal, das wir aus der Finanzmarktkrise kennen, ist eben das Instrument der Kurzarbeit, das es den Unternehmen, in denen aufgrund von Lieferschwierigkeiten und einer hohen Krankenzahl der Betrieb nicht wie üblicherweise laufen kann, ermöglicht, dafür zu sorgen, dass Kündigungen nicht erforderlich werden. Das ist deshalb so notwendig und sinnvoll, weil wir eben große Sorge haben, dass es sonst für die Beschäftigten zu schwierigen persönlichen Situationen kommt. Insofern möchte ich mich ganz herzlich dafür bedanken, dass dieses Parlament heute die Kraft hat, in Geschlossenheit dieses Kurzarbeitergeld auf den Weg zu bringen, und dass wir bis auf die rechte Seite, die in unwürdiger Weise auftritt, hier miteinander heute ein sehr kräftiges Signal setzen. Ich glaube, das ist nicht nur der Lage, sondern insbesondere auch dem Schutz und der Sicherheit der Beschäftigten sehr, sehr angemessen. ({1}) Darüber hinaus sehen wir aber, dass wir heute eigentlich einen Gesetzentwurf einbringen wollen, der eben nicht nur die Frage besserer Regelungen für das Kurzarbeitergeld in der Krise zum Ziel hat, sondern auch die Möglichkeit, gerade auch Kurzarbeit zu nutzen, um in Zeiten der geringeren Beschäftigung oder des Ausfalles selber Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ergreifen; denn unabhängig von der Krisensituation hören die Transformation und die Digitalisierung in Deutschland aufgrund der Coronakrise nicht auf. Deshalb war und ist es uns wichtig, diese Zeit zu nutzen, um Qualifizierung und Fortbildung in diese Zeit zu legen und Betriebe in guter und richtiger Weise zu unterstützen. Wir wollen diese notwendigen Qualifizierungen auch stark finanziell unterstützen. ({2}) Dass wir das heute voneinander trennen, ist in Ordnung und der Krise geschuldet. Aber es ist aus unserer Sicht zwingend erforderlich, dass wir die verabredeten zeitlichen Dimensionen einhalten, damit man das Gesetz – das wir immer noch „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ nennen, damit man das auch nachvollziehen kann – schnell und in richtiger Weise umsetzt. Dafür sind die nächsten Wochen eingeplant, insbesondere die nächste Woche. Wir halten es für zwingend und richtig, weil ja auch klar sein muss, dass die Beschäftigten von heute diejenigen sein sollen, die die Arbeit von morgen ausführen können. Dazu müssen sie hinreichend qualifiziert und vorbereitet sein. Es darf aufgrund der Krise kein Aussetzen dieser Notwendigkeit geben, sondern wir müssen das Ganze geschickt fachlich miteinander verbinden. Deshalb macht es Sinn, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Das werden wir in der nächsten Sitzungswoche miteinander im Detail besprechen. Aber richtig ist, dass wir es zum Abschluss bringen; denn darauf warten nicht nur Unternehmen, sondern darauf warten auch viele Beschäftigte. Ich glaube, dass es uns guttut, dieses miteinander deutlich zu machen. ({3}) Ich möchte als Letztes auch noch sagen, dass wir erwarten, dass von dem heute stattfindenden Gespräch mit den Sozialpartnern bei der Bundeskanzlerin weitere Impulse für notwendige Veränderungen und Maßnahmen im Rahmen der Krise ausgehen werden und dass wir die Kraft und die Fähigkeit haben werden, weitere Maßnahmen schnell und zügig für unser Land durchzusetzen, weil wir natürlich wissen, dass die Situation, in der wir uns heute befinden, von uns gestaltet und unterstützt werden muss. Deshalb noch mal herzlichen Dank für die schnelle und unkomplizierte Beratung heute und für die in der Zukunft liegenden Maßnahmen für unser Land für ein gutes Durchkommen in der Krise. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Carlo Cronenberg, FDP. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Globale Krisen erfordern gemeinsames Handeln und nicht Abschottung. Von Regierung und Parlament soll heute ein Signal ausgehen: Wir handeln schnell, besonnen und entschlossen. Corona bedroht die Gesundheit der Menschen und gleichzeitig Arbeitsplätze bis hin zur Existenz der Unternehmen. Die IHK Arnsberg hat mir noch gestern bestätigt: Wir erleben im Sauerland und am Hellweg dramatische Einbrüche in Hotellerie, Gastronomie, in Verkehrsunternehmen, Busunternehmen, beim Messebau und natürlich bei Veranstaltungen. Die Industrie ist noch nicht so sehr betroffen; aber das wird kommen, wenn erst Lieferketten abreißen und Absatzmärkte wegbrechen. Sie kennen die FDP als Serviceopposition. Johannes Vogel hat es bereits gesagt: Heute sind wir Verantwortungsopposition. Wir tragen den vereinfachten Zugang zu Kurzarbeitergeld und die Ausweitung des Kurzarbeitergelds ebenso mit wie die verkürzten Verfahren. ({0}) Gestatten Sie mir darüber hinaus einige ergänzende Hinweise: Erstens. Die Coronakrise zeigt, mit welcher Wucht und mit welcher Geschwindigkeit uns Wirtschaftskrisen treffen können. Als Unternehmer weiß ich, dass in solchen Krisen Flexibilität für Betriebe überlebensnotwendig ist. Deshalb brauchen Betriebe neben dem Kurzarbeitergeld auch Instrumente, schnell Beschäftigung aufzubauen; denken Sie zum Beispiel an Hersteller von medizinischer Schutzausrüstung. Deshalb, liebe Bundesregierung: Hände weg von weiteren Einschränkungen bei Befristung oder Arbeitnehmerüberlassung! Das wäre kontraproduktiv in dieser Zeit. ({1}) Zweitens. Wir wissen nicht, wie lang und wie tief die Rezession ausfallen wird; aber wir haben allen Grund zur Annahme, dass die Bundesregierung das Kurzarbeitergeld von heute schon sehr bald fiskalpolitisch ergänzen muss, um Investitionen anzukurbeln. Deshalb fordere ich den Finanzminister auf, schnellstmöglich einen Kassensturz zu machen und – das ist meine ernstgemeinte Bitte – zunächst neue Leistungsgesetze auszusetzen. Die Finanzierung der Grundrente ist ja ohnehin noch ungeklärt. Drittens. Auch in der Krise brauchen Betriebe verstärkt Fachkräfte aus dem Ausland, nur schneller, in der Pflege zum Beispiel sofort, unverzüglich. Da darf es nicht sein, dass die Bearbeitung von Visumanträgen Monate dauert. Das ist völlig aus der Zeit gefallen. Da braucht es dringend digitale Prozesse, die die Antragsbearbeitung beschleunigen. ({2}) Viertens. Krisenzeit ist immer Chancenzeit, Zeit, Strukturwandel voranzutreiben. Es geht um nichts Geringeres als um die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Corona zeigt: Es gibt keine Vollkaskoversicherung gegen Wirtschaftskrisen. Allein Anpassungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit schützen vor Verwerfungen. Ein Staat, der selbst im Analogen erstarrt, darf nicht erwarten, dass seine Wirtschaft international die Speerspitze in der digitalen Transformation wird. Kerstin Tack hat schon darauf hingewiesen. Vielmehr muss die öffentliche Hand endlich selbst Vorreiter in der Digitalisierung werden. Fünftens. Die Freien Demokraten bedauern die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, ein weitgehendes Einreiseverbot zu verhängen. Wer jetzt die Lösung in Abschottung sucht, der schützt weder Menschen noch Märkte. Das gehört nicht in einen Wahlkampf. Es geht jetzt – im Gegenteil – darum, für Vertrauen zu sorgen. ({3}) Liebe Bundesregierung, fliegen Sie nach Washington, oder telefonieren Sie, wenn man Sie nicht landen lässt, und bringen Sie den amerikanischen Präsidenten zur Räson. Dem Gesetzentwurf zum Kurzarbeitergeld stimmen wir zu. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst bei Ihnen, Herr Bundestagspräsident, bedanken, dass Sie vorhin in Ihrer Zwischenbemerkung klar und deutlich gesagt haben, in welch ernster Lage wir sind und dass die Bürgerinnen und Bürger heute Morgen in der Bundestagsdebatte eine präzise Antwort erwarten auf die krisenhaften Erscheinungen, die wir in diesen Tagen erleben. Millionen Menschen stellen die bange Frage: Wie steht es um die Existenz meines Betriebs? Wie steht es um die Existenz meines Arbeitsplatzes, wenn jetzt wegen der Coronapandemie weite Teile des öffentlichen, gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Lebens zum Erliegen kommen? Jetzt kann man in einer solchen Debatte natürlich alle möglichen politischen Wünsche, die man auch sonst schon einmal hatte, vortragen. Ich finde, dem Ernst der Lage ist eines angemessen: dass wir auf die zentrale Frage eine Antwort geben: Was tun wir zum Schutz unserer deutschen Unternehmen und der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? ({0}) Dazu legen wir eine klare Antwort mit einem Gesetzentwurf vor, den wir heute im Eiltempo im Deutschen Bundestag und im Bundesrat beschließen und den dann anschließend der Herr Bundespräsident mit seiner Unterschrift auch in Kraft setzen wird, nämlich: Wir schützen die deutschen Unternehmen, die Arbeitsplätze der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem bewährten Instrument, dem Kurzarbeitergeld, und geben der Regierung mit einer Rechtsverordnung die Möglichkeit, diese Maßnahmen unverzüglich in Kraft zu setzen, damit die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen: Sie können sich auf uns als Bundestag und Bundesregierung verlassen, dass wir alles uns Mögliche tun, dass wir auch alle unsere finanziellen Ressourcen einsetzen, um die Arbeitsplätze der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zu schützen. ({1}) Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin darauf hingewiesen, dass uns das schon einmal in einer Art und Weise gelungen ist, die international hohe Anerkennung gefunden hat, nämlich in der Finanz- und Kapitalmarktkrise. Wir können heute und in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, dass wir mit dem bewährten Instrument der Kurzarbeit auch diese Krise durchstehen können, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anschließend aufgrund eines wirtschaftlichen Aufschwungs und einer wirtschaftlichen Wiederbelebung ihren Arbeitsplatz hoffentlich sicher haben. Das war die Grundlage unseres Erfolgs in den letzten zehn Jahren. Wir sind mit einem Wirtschaftsaufschwung aus der Kurzarbeit herausgekommen, den niemand so erwartet hat. Wir haben die Krise am schnellsten überwunden, und ich wünsche mir, dass uns das dieses Mal bei dieser Herausforderung ebenso gelingen wird. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir können diese Hoffnung auch deswegen äußern, weil wir finanziell für diese Herausforderung besser gerüstet sind als je zuvor. Wir haben aktuell bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg eine Rücklage von rund 26 Milliarden Euro. Eine Rücklage in dieser Höhe hat es noch nie gegeben. Ich will als Vergleich einfach nur mal vortragen: Zu Beginn der Finanz- und Kapitalmarktkrise hatte die Bundesagentur für Arbeit eine Rücklage von 15 Milliarden Euro. Das heißt, wir sind besser gerüstet als vorher, und das sind wir deswegen, weil wir in den vergangenen zehn Jahren, in denen es in Deutschland wirtschaftlich gut gelaufen ist, das Geld nicht verplempert, sondern dafür gesorgt haben, dass sich bei den Sozialversicherungen insgesamt, aber eben auch bei der Arbeitslosenversicherung eine anständige Rücklage aufbauen konnte, die für den Fall, dass eine Krise kommt, auch zur Verfügung steht. Deswegen ist die Möglichkeit, auf die Krise, die wir heute haben, angemessen zu antworten, auch das Resultat einer vernünftigen Finanzpolitik zugunsten unserer Sozialversicherungen in den vergangenen zehn Jahren. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist natürlich trotzdem richtig, dass wir auch in die Zukunft schauen, und deswegen liegt heute der Entwurf eines Gesetzes vor, mit dem wir in den nächsten Wochen und Monaten beraten werden, wie wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch auf den digitalen Wandel besser vorbereiten können, nämlich mit mehr Qualifizierung und mit mehr Weiterbildung. Ich halte auch dieses Vorhaben für ein zentrales Vorhaben, um die Arbeitswelt der Zukunft zu gestalten und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland für die nächsten Jahrzehnte – für die Zukunft – die Perspektive zu geben: Ja, der digitale Wandel ist nicht eine Gefahr, die die Menschen arbeitslos macht, sondern der digitale Wandel bietet die Chance, ({4}) dass qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die die Gelegenheit haben, sich weiterzubilden, diesen digitalen Wandel aktiv und zu ihren Gunsten mitgestalten können. Darum geht es. ({5}) Ich möchte mich auch für meine Fraktion herzlich bedanken, dass das Parlament insgesamt diese schnelle Befassung mit der Kurzarbeiterregelung mitmacht, und ich hoffe, dass die Bundesregierung die Rechtsverordnung schnell umsetzt, damit die Betriebe und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das erhalten, was sie zu Recht von uns erwarten, nämlich den Schutz ihrer Arbeitsplätze und ihrer Unternehmen durch das bewährte Instrument der Kurzarbeit. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sabine Zimmermann, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stecken mitten in der Transformation, und Corona wirkt als Katalysator und trifft die Wirtschaft und die Beschäftigten. Die Bundesregierung reagiert. Der Gesetzentwurf zur Weiterbildung wirkt auf den ersten Blick nicht schlecht, doch auf den zweiten Blick werden wir sehen, dass sich in der Praxis wenig ändern wird. Ich will mich auf zwei Kritikpunkte beschränken und unseren Antrag mit vorstellen. Die Linke fordert seit Langem einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Sie haben die Förderung nun erstmals als Mussleistung ausgestaltet. So weit erst mal richtig. Der Anspruch ist aber an so viele Voraussetzungen geknüpft, dass er für viele ins Leere laufen wird. Das ist kein Rechtsanspruch, das ist ein Schweizer Käse, und so wird das nichts mit der Weiterbildungsförderung. ({0}) Die größte Lücke in Ihrem Entwurf betrifft aber die finanzielle Absicherung. Wer jahrelang gearbeitet hat, hat sich einen Lebensstandard aufgebaut. Man muss während der Weiterbildung doch auch von irgendetwas leben können. Wenn man nur Arbeitslosengeld bekommt oder kurz nach dem Abschluss vor Hartz IV steht, dann ist doch klar, dass man schnell wieder in Arbeit will und nicht in eine Weiterbildung geht. Das kann man niemandem vorwerfen. Damit verschenken wir aber Potenzial, und Sie schwadronieren von Fachkräftemangel. Das passt nicht zusammen. ({1}) Wir fordern: Weiterbildungszeiten dürfen nicht auf die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes angerechnet werden. Es braucht ein Weiterbildungsgeld, das den Lebensstandard auch sichert. ({2}) Wir fordern 90 Prozent vom letzten Netto, mindestens aber 200 Euro mehr als das Arbeitslosengeld, und für Hartz-IV-Beziehende immer 200 Euro obendrauf. Das wäre eine gute Arbeitsmarktpolitik. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, das Weiterbildungsgeld hat die Linke nicht erfunden. Nein, das gab es schon früher einmal, nämlich in einer wirtschaftlichen Krisenzeit, 1975; da war Helmut Schmidt Bundeskanzler. Seine Arbeitsmarktpolitik war nachhaltiger als das, was Sie uns hier heute vorlegen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Nachhaltig ist, die Weiterbildung attraktiv zu machen. Zukunftsgerichtet ist, jetzt den Zugang zu erleichtern und die Fachkräfte von morgen zu sichern. Das wäre die richtige Antwort auf den Strukturwandel, den wir sicherlich, Herr Vogel von der FDP, gemeinsam gestalten werden. Danke schön. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Stephan Stracke, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Coronakrise bringt uns und unser Land in eine außergewöhnliche Situation. Die Dynamik der Entwicklung ist hoch, und die Auswirkungen sind tiefgreifend. Wir dürfen den Entwicklungen nicht hinterherlaufen; wir müssen Schritt halten. Jetzt sind Achtsamkeit, Verantwortung für sich und das Umfeld und allem voran gesellschaftlicher Zusammenhalt gefragt. Diese Koalition handelt klug, geschlossen und entschlossen; denn es geht um viel. Es geht um die Sicherheit für die Bevölkerung und um die Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmer. Der Schutz der Bevölkerung steht jetzt an erster Stelle. Erste Sorge gilt natürlich der medizinischen Versorgung von älteren Menschen und Risikogruppen und natürlich auch weiterhin derer, die unabhängig von der Coronakrise Hilfe benötigen. Unser Gesundheitssystem ist einem großen Stress ausgesetzt, und es ist zu erwarten, dass dieser eher noch zunehmen dürfte. Unser Gesundheitswesen ist getragen von Tausenden von Ärzten, Pflegekräften und allen, die im Gesundheitswesen beschäftigt sind. Sie tragen die Hauptlast dieser Krise, und wir sind ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ein herzliches Dankeschön für den engagierten Einsatz für die Kranken und Hilfsbedürftigen in unserem Land! ({0}) Wir werden alles tun, um ihnen bei dieser wichtigen Arbeit zu helfen, und sie unterstützen, wo immer es nötig ist. Sicherheit für die Bevölkerung, Sicherheit für die Arbeitnehmer und Unternehmer: Aus dieser Coronakrise darf jetzt keine tiefgreifende Wirtschaftskrise werden. Die Wirtschaft ist massiv betroffen. Ich blicke gerade nach Bayern und Baden-Württemberg. Ich denke aber auch an China: Die Lieferketten sind unterbrochen, die Exporte nach China sind massiv eingebrochen. Blicken wir nach Italien: Dort gibt es eine breite Wertschöpfungskette gerade in den Bereichen Automobil, Aluminimum, Fenster und vielem mehr. Und wir wissen nicht, was beispielsweise bei den Grenzgängern im Bereich Elsass-Lothringen passiert. Wenn man ins Inland blickt, dann sieht man, wie leergefegt Hotels, Gastronomiebetriebe und viele andere Dienstleistungsbereiche tatsächlich sind. Jetzt geht es darum, durch einen schnellen und einfachen Zugang zum Kurzarbeitergeld und natürlich auch durch weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel Steuerstundungen oder Überbrückungskredite, Liquidität zu sichern. ({1}) Beim Kurzarbeitergeld reaktivieren wir die Instrumente aus der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. Sie haben sich damals bewährt und werden auch heute eine wichtige Hilfe sein. Wir erleichtern den Zugang zum Kurzarbeitergeld, insbesondere auch für Leiharbeitnehmer, und ermöglichen den Unternehmen die vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit. Die Ausformung dieser Regelung erfolgt durch eine Verordnung der Bundesregierung; wir wollen sie dazu ermächtigen. Diese Ermächtigung sieht eine vollständige oder zumindest teilweise Erstattungsmöglichkeit in Bezug auf die Sozialversicherungsbeiträge vor. Ich will deutlich machen, dass wir jetzt in diese Verordnung natürlich eine vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge hineinnehmen werden. Das ist auch Beschlusslage des Koalitionsausschusses. Alles andere würde der aktuellen Notlagensituation nicht gerecht werden. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition handelt. Wir sichern Liquidität in der Krise. Gerade der Mittelstand und auch Unternehmen mit unter zehn Beschäftigten und Solo-Selbständige brauchen jetzt Unterstützung, damit sie nicht in Existenzprobleme geraten. Liquiditätssicherung jetzt und danach, falls notwendig, ein kraftvolles Konjunkturpaket: Das ist die richtige Schrittfolge, und so handeln wir auch. Hier gilt auch die klare Ansage beispielsweise des Ministerpräsidenten Söder: Wir tun, was notwendig ist. – Von dieser Handlungsmaxime lassen wir uns leiten. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die Bewältigung des Strukturwandels steht in Rede. Gerade im verarbeitenden Gewerbe, in der Automobilindustrie stehen die Betriebe aufgrund der Dekarbonisierung und der Digitalisierung in einem Umbruch. Es besteht ein erheblicher Anpassungsbedarf, und deswegen wollen wir die Unternehmen so gut wie möglich dabei unterstützen, Wertschöpfung und Innovationsfähigkeit zu erhalten und vor allem Beschäftigung zu schützen. Schlüssel hierfür ist die Weiterbildung und Qualifizierung der Beschäftigten. Wir legen mit dem Gesetzentwurf auch ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor, die die Weiterbildung bei Kurzarbeit entsprechend verbessern soll. Ich gehe davon aus, dass wir diesen Gesetzentwurf in der zügigen Notwendigkeit beraten und auch beschließen werden. Ich bitte und werbe um Zustimmung für beides. Herzliches Dankeschön. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Bernd Rützel, SPD. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! An Silvester letzten Jahres wurde erstmals in den Medien von einem Virus in China berichtet. Wie dramatisch sich dieser ausgeweitet hat, wie er unser Leben betrifft, wie er uns ganz persönlich beschäftigt, das wissen wir. Aber wir wissen heute noch nicht, wie das alles sich entwickelt und weitergeht. Quarantänemaßnahmen stören globale Lieferketten und den internationalen Austausch. Es gibt Lieferschwierigkeiten. Es gibt weniger Konsum bei Reisen und Veranstaltungen. In den Bereichen Messebau, Industrie, Verkehr, Tourismus, Gastronomie, Hotelgewerbe und Maschinenbau sind erste Folgen sehr, sehr deutlich sichtbar. Die Regierungskoalition beweist heute, dass wir sehr kurzfristig in der Lage sind – und dafür danke ich dem ganzen Haus –, erstmals gleichzeitig in einer ersten, zweiten und dritten Lesung das Kurzarbeitergeld auszuweiten, den Arbeitsmarkt damit zu stützen und die notwendigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen. ({0}) Sie alle wissen von ganz vielen Beispielen von abgesagten Veranstaltungen. Das ist richtig, und das ist wichtig. Das müssen wir tun, damit die Verbreitung des Virus verlangsamt wird. Aber das hat natürlich gravierende Auswirkungen auf unsere Betriebe. Der SPD ist es wichtig, dass wir den Beschäftigten in den Betrieben und damit auch den Betrieben mit diesem Kurzarbeitergeld durch die Krise hindurchhelfen. Ich habe heute früh mit manchen telefoniert, die soloselbstständig sind, die Künstler sind, die Freelancer sind; Taxifahrer und Übersetzer wurden bereits angesprochen. Ihnen allen müssen wir auch helfen. Dafür ergreifen wir weitere Maßnahmen; das will ich an dieser Stelle ganz klar betonen. ({1}) Wir haben 2008 und 2009 große Erfahrungen gemacht. Unser Vizekanzler Olaf Scholz war damals Arbeitsminister. Er hat in seiner Rede herausgearbeitet, dass das Kurzarbeitergeld damals genauso wie heute von vielen als sehr, sehr positiv betrachtet wurde. Wir wissen, dass es nach jeder Krise auch wieder aufwärtsgeht. Und dann braucht man Personal. Dann braucht man gute Leute, die sich auskennen. Deswegen ist es wichtig, dass die Menschen in den Betrieben bleiben und nicht arbeitslos werden. ({2}) Unser Land ist mit dem jetzigen Arbeitsminister Hubertus Heil in Sachen Arbeits- und Sozialpolitik in sehr guten Händen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Er hat uns heute diesen Gesetzentwurf vorgelegt, der besagt, dass es eben nicht nur dann Kurzarbeitergeld gibt, wenn ein Drittel der Belegschaft in einem Betrieb betroffen ist, sondern auch dann, wenn es einen von zehn betrifft. Die Unternehmen werden bei den Sozialversicherungsbeiträgen entlastet. Die Beschäftigten müssen auch nicht mehr, wenn sie Gleitzeitkonten haben, ins Minus gehen, damit sie das Kurzarbeitergeld bekommen. Das bekommen sie vorher. Auch für die Leiharbeitskräfte gibt es Kurzarbeitergeld. Ich will an dieser Stelle aber auch sagen: Wir können das Ganze jetzt nur tun, weil die Kasse der Arbeitslosenversicherung gut gefüllt ist. 26 Milliarden Euro liegen darin. Es hat über zehn Jahre gedauert, bis dieses Geld angespart worden ist. Die SPD hat den vielen Begehrlichkeiten derjenigen widersprochen, die die Finger danach ausgestreckt haben und den Beitragssatz immer mehr senken wollten. Jetzt können wir dieses Geld gut gebrauchen, und wir brauchen dieses Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) An dieser Stelle richte ich auch meinen herzlichen Dank an alle Beschäftigten in den Agenturen für Arbeit und in den Jobcentern, auf die nämlich jetzt ganz viel Arbeit zukommt. ({5}) Es ist gut, dass auch die gut ausgestattet sind. Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, beschließen wir das Kurzarbeitergeld. Ich bin sehr dankbar. Der SPD ist es wichtig, dass die Menschen in den Betrieben bleiben, dass sie nicht arbeitslos werden, dass sie die Arbeit von morgen machen können und dass wir mit unserem Kurzarbeitergeld gut durch die Krise kommen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Als voraussichtlich letzter Redner hält sich Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU, bereit. – Sie haben das Wort. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesminister Scholz hatte recht, als er gesagt hat, dass schnelles Handeln erforderlich gewesen ist. Dass wir das heute auch tun, hängt ja nicht nur damit zusammen, dass wir das als Politiker wollen, sondern das hängt auch sehr eng damit zusammen, dass uns viele Menschen zuarbeiten. Ich finde, es sollte mal ein Dank gesagt werden an die fleißigen Mitarbeiter des BMAS, an die Staatssekretärin Griese, die das sicherlich weitergibt, ebenso wie an die fleißigen Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, die das möglich gemacht haben. Auch hier meinen herzlichen Dank! ({0}) Eine Bemerkung hat mich zwar nicht aufgeschreckt, aber ich fand sie sehr positiv. Es war die Bemerkung des Kollegen Cronenberg, der gesagt hat: Globale Krisen erfordern gemeinsames Handeln. – Er hat recht. Ich glaube wirklich nicht, dass man die Krisen des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts lösen kann. ({1}) Das unterscheidet uns mit Sicherheit auch vom amerikanischen Präsidenten und von einigen Kräften hier im Haus. ({2}) Ich glaube, die Tatsache, dass man die Krisen des 21. Jahrhunderts nicht mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts lösen kann, zeigt sich auch in der Weiterentwicklung unserer arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die wir heute hier in erster Lesung beraten. Es ist, glaube ich, sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass wir es hier im Gegensatz zum 19. Jahrhundert mit einer unglaublichen Geschwindigkeit der technologischen Veränderung zu tun haben, die die Arbeitswelt revolutioniert. Wir haben uns daher vorgenommen, nicht einfach tatenlos danebenzustehen und zu sagen: „Wir verarzten dann nur noch die Wunden derjenigen, die mit Blessuren vom Arbeitsmarkt gekommen sind“, sondern wir versuchen, die Menschen proaktiv auf den Wandel vorzubereiten. Ich glaube, das eigentlich Neue ist, dass wir diesen Gesetzentwurf heute hier in erster Lesung beraten und dass wir ihn, verehrte Kollegin Tack, sicherlich in den nächsten Wochen dann auch zur endgültigen Beschlussreife nach unseren Beratungen bringen werden. Das ist nicht soziale Marktwirtschaft im klassischen Sinn, sondern es ist eine Weiterentwicklung. Dennoch ist es richtig: Wir fördern die berufliche Weiterbildung im Strukturwandel. Wir wollen proaktiv tätig werden, indem wir die Möglichkeit eröffnen, dem Wandel durch Qualifikation einen Schritt voraus zu sein. Wir tun dies vor allen Dingen im Geflecht der Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und dem Staat. Denn wir sind der festen Überzeugung: Ohne die Sozialpartner geht es nicht. Ohne sie können wir den Wandel nicht gestalten. Meine Damen und Herren, der Wandel ist ja nicht bloß ein technologischer Wandel. Es ist auch ein Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Es ist ein Wandel hin zu einer sozialökologischen Transformation. Diese wird kommen, so oder so. Es ist gut, wenn wir als Produzenten, aber auch als Konsumenten darauf vorbereitet werden. Insofern ist der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung einbringen, ein richtiger Gesetzentwurf. ({3}) Meine Damen und Herren, das Gesetz, das wir heute in erster Lesung einbringen – also nicht das Sofortgesetz, das Coronagesetz –, ist ein Schritt über unsere soziale Marktwirtschaft hinaus. Es ist ein Schritt, mit dem wir Wohlstand und Teilhabe sichern, unsere Arbeitsplätze sichern, ein Schritt, mit dem wir die Wirtschaft widerstandsfähiger machen wollen, um den Wandel nicht nur zu überstehen, sondern ihn aktiv zu gestalten. Das ist moderne Arbeitsmarktpolitik für das 21. Jahrhundert. Da arbeiten wir gerne mit den Sozialdemokraten und allen anderen Menschen guten Willens zusammen. Meine Damen und Herren, wenn ich einen Wunsch an dem heutigen Tage frei hätte, so wäre es dieser: Bleiben Sie gesund! ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Land steht vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten. Die Lage ändert sich täglich; heute ist sie anders als in der vergangenen Woche anlässlich der Regierungserklärung. Die Ausbreitung erfolgt schneller als erwartet. Die Einschätzungen und Empfehlungen der Behörden und staatlichen Stellen ändern sich. Im Ausland beobachten wir mitunter sehr drastische Maßnahmen, um das öffentliche Leben herunterzufahren. Wir wollen allen den Rücken stärken, die gegenwärtig Verantwortung für das Krisenmanagement tragen. ({0}) Der gestrige gemeinsame Auftritt der Bundeskanzlerin mit Ministerpräsidenten anlässlich der MPK hat allerdings noch nicht letzte Klarheit geschaffen. Wir stehen vor einer Wahl. Entweder wir zögern – dann ist die weitere Ausbreitung des Virus nicht einzudämmen, und es ist eine Chaotisierung des Gesundheitswesens und des öffentlichen Lebens nicht ausgeschlossen –, oder wir handeln entschlossen, fahren das öffentliche Leben kontrolliert und drastisch zurück – schließen zum Beispiel Schulen – und bauen zugleich die Kapazitäten im Gesundheitswesen auf. Dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Ausbreitung des Virus stoppen und nur eine kurze Phase der Unterbrechung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens haben. Wir empfehlen den Regierungen in Bund und Ländern in dieser Frage mehr Entschlossenheit und sind bereit, dafür auch politische Mitverantwortung zu übernehmen. ({1}) So oder so werden die wirtschaftlichen Folgen dramatisch sein. Die Große Koalition hat am vergangenen Wochenende Maßnahmen beschlossen. Eine davon war die eben hier richtigerweise beschlossene Veränderung beim Kurzarbeitergeld. Die anderen Maßnahmen indessen konnten noch nicht überzeugen, weil sie der Phase, in der wir uns gegenwärtig befinden, und der Dimension der Krise nicht entsprechen. Ich nenne beispielsweise die an sich völlig richtige Veränderung bei den Abschreibungen für Wirtschaftsgüter, die aber in der jetzigen akuten Phase keine Wirkung entfalten kann. Am vergangenen Mittwoch haben deshalb führende Wirtschaftsexperten ebenfalls Vorschläge unterbreitet, die in Dringlichkeit und Dimension deutlich über das hinausgehen, was die Große Koalition bislang angekündigt hat. Jetzt ist ein entschlossenes Handeln nötig, um einen Wirtschaftsabsturz zu verhindern. Ein solches entschlossenes Handeln würden wir unterstützen, wir erwarten es aber auch von der Bundesregierung. ({2}) Akut helfen nicht konjunkturpolitische Maßnahmen. Akut helfen auch keine geldpolitischen Maßnahmen. Viele der betroffenen Betriebe haben Probleme mit der Zahlungsfähigkeit. Das betrifft eben nicht nur die Frage der Löhne, bei der das Kurzarbeitergeld helfen kann. Anders als bei der Finanzkrise des Jahres 2008 haben wir es mit einer realwirtschaftlichen Krise zu tun, bei der Angebot und Nachfrage gleichzeitig ausfallen können. Dann gehen die Umsätze bisweilen auf null, oder in vielen Bereichen halbieren sie sich zumindest. Also ist jetzt das Mittel der Wahl eine akute Hilfe bei der Liquidität über die Kurzarbeit hinaus. Wir müssen uns auch Sorgen machen um Kleingewerbetreibende und Solo-Selbstständige. Da hilft diese Maßnahme nicht. Was also tun? Wir haben Ihnen ein Akutprogramm vorgelegt mit Vorschlägen, die wir Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen. Dazu gehört beispielsweise, die Vorfälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen zurückzunehmen. Im Jahr 2005 haben die Arbeitgeber insbesondere der Rentenversicherung eine Liquiditätshilfe gegeben. Jetzt haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Jetzt wäre es sinnvoll, aus den Sozialversicherungen heraus die Liquidität der Betriebe zu schonen. ({3}) Jetzt gerade sind die Steuervorauszahlungen eingezogen worden auf der Basis von Steuerbescheiden des Jahres 2017, einem Boomjahr. Ganz offensichtlich wird das Jahr 2020 sich wirtschaftlich ganz anders darstellen. Deshalb wäre es richtig, jetzt zinsfrei Steuerzahlungen, insbesondere Vorauszahlungen, zu stunden, um in der ganzen Breite – vom Kleinselbstständigen bis zur Industrie – die Liquiditätssicherung der Wirtschaft zu unterstützen. ({4}) So, wie es den Eindruck erweckt, denken Sie ja inzwischen selbst darüber nach. Gerade hat die Deutsche Presse-Agentur gemeldet, dass die Große Koalition – der Wirtschafts- und der Finanzminister – bereit ist, darüber zu sprechen. Es ist hohe Zeit, es zu tun. In späteren Phasen wird es um die Rolle unserer Förderbanken gehen, etwa bei der Absicherung von Restrukturierungskrediten und Bürgschaften. Und in späteren Phasen wird man auch über konjunkturstützende Maßnahmen und Wachstum nachdenken. Ja, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Debatte zum Kurzarbeitergeld wurde es angesprochen: Es gibt tatsächlich Maßnahmen, die waren vor Corona richtig, wie beispielsweise die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Sie werden nach Corona nicht falsch, sondern nur umso dringlicher. ({5}) Um Ihnen zu verdeutlichen, wie wir die Lage einschätzen: Es geht nicht darum, dass man immer nur das sagt, wovon man vorher überzeugt war; es gibt auch Modifikationen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir halten im Prinzip an der schwarzen Null fest. Für uns ist es eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass der öffentliche Haushalt auf neue Schulden verzichtet, ({6}) um Konsum, um Wahlgeschenke, um Subventionen nicht auf Pump zu finanzieren. Aber in einer Situation wie jetzt hielten wir es gegebenenfalls auch für erforderlich, dass der Bund seine die Konjunktur stützenden Maßnahmen am Kapitalmarkt finanziert. Die schwarze Null ist in normalen Zeiten ein Gebot der Generationengerechtigkeit. In einer solchen Krise dürfte sie aber nicht zum Dogma werden, wenn die normalen Haushaltsmittel nicht ausreichen. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Lämmel, CDU/CSU. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird alles getan, was notwendig ist. – Das hat die Bundeskanzlerin gestern im Fernsehen den Bürgern mit auf den Weg gegeben. Das heißt natürlich auch für uns, dass dies die Leitlinie unseres Handelns ist. Wie auch schon in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 oder in der Euro-Krise können sich die Bürger in unserem Land, ob Unternehmer oder Arbeitnehmer, darauf verlassen, dass wir, die Politiker in Deutschland, alles, aber auch alles tun werden, um die Folgen der Coronapandemie zu bekämpfen. Meine Damen und Herren, dass die deutsche Politik schnell handlungsfähig ist, haben die Entscheidungen zum vorherigen Tagesordnungspunkt gezeigt. Man ist also hier in diesem Haus in der Lage, Gesetzentwürfe schnell zu verabschieden. Ich bin mir sicher: Das wird auch nicht die letzte Feuerwehraktion gewesen sein, um der deutschen Wirtschaft zu helfen. Meine Damen und Herren, die Folgen der Pandemie sind noch nicht überall wirklich genau abschätzbar; das ist schon klar. Selbst BDI-Präsident Kempf hat heute Morgen noch nicht über alle Auswirkungen berichten können. Vor allem überlagern sich ja jetzt verschiedene Prozesse. Dort, wo der Strukturwandel schon angeschoben worden ist, zum Beispiel in der Automobilindustrie, wird es jetzt durch die Unterbrechung von Lieferketten natürlich zu zusätzlichen Problemen kommen. Insofern muss man auch sehen, dass die Maßnahmen, die jeweils beschlossen werden, immer wieder darauf geprüft werden müssen, ob sie überhaupt passen. Man muss auch immer wieder darauf hinweisen: Es müssen ja nicht immer die alten Instrumente sein. Es können auch neue Instrumente entwickelt werden, um die Folgen der Pandemie abzuschwächen. Meine Damen und Herren, es gibt auch positive Zeichen. Wenn die Meldungen so stimmen, erholt sich ja in China gerade wieder der Produktionsprozess, erste große Fabriken laufen wieder an. Insofern besteht auch Hoffnung, dass weltweit die Folgen bewältigt werden können. Mit viel Geld versuchen die Regierungen in der Welt, die Folgen abzumildern: In den USA, in Japan oder auch in Italien werden große Geldmengen in den Markt gepumpt. Aber noch mal: Die Frage ist, ob man jetzt schon alle Folgen wirklich abschätzen kann oder ob man nicht Schritt für Schritt vorgehen sollte, so wie wir das in Deutschland auch tun. Ich bin dem Wirtschaftsminister Peter Altmaier sehr dankbar; denn er hat sehr schnell das sogenannte Drei-Stufen-Programm verkündet. Dieses Drei-Stufen-Programm ermöglicht der Politik, der Regierung, immer wieder über Maßnahmen nachzudenken, neue Maßnahmen anzuschieben, je nachdem, wie sich die Situation entwickelt. Deswegen werden heute der Wirtschaftsminister und der Finanzminister nochmals vor die Öffentlichkeit treten, um die aktuellen Pläne der Regierung kundzutun und um weitere Maßnahmen neben dem Kurzarbeitergeld in Gang zu setzen. Meine Damen und Herren, für die Politik sollte diese Krise eigentlich auch Anlass sein, über Maßnahmen nachzudenken, wie wir Arbeitnehmer und Unternehmen vor den Folgen dieser Pandemie schützen können; aber das gleichwertig Wichtige ist, darüber nachzudenken, wie wir jetzt schon die Bremsen im Hinblick auf ein zukünftiges Wachstum lösen können. Denn wir haben ja viele Probleme, die nicht gelöst sind. Der Koalitionsausschuss ist mit seinem Beschluss am Wochenende zum Beispiel das Thema Planungsrecht angegangen. Wir können noch und nöcher Konjunkturprogramme verabschieden, wir können immer mehr staatliches Geld in Infrastrukturprojekte pumpen; nur, wenn diese nicht geplant werden können, wenn sie nicht umgesetzt werden können, sind das verpuffte Maßnahmen. Das sollte man möglichst vermeiden. Meine Damen und Herren, eine Branche macht mir im Moment wirklich große Sorgen. Als langjähriger Präsident des Landestourismusverbandes muss ich sagen: Der Tourismus ist der erste Wirtschaftszweig, der die Krise schon mit voller Härte spürt. Im Tourismus – das muss man sagen – haben wir es meist mit kleinteiligen Unternehmen zu tun; meistens sind es Familienunternehmen. Und sie können eben nicht Arbeitsplätze ins Ausland exportieren; sie können eben nicht sehen, wo sie billiger produzieren können. Sie sind ortsgebunden, sie sind an ihre Standorte gebunden. Ich glaube, bei allen hängt viel Herzblut daran. Zu sehen, dass ganze Hotels leer stehen, dass in der Gastronomie viele Plätze unbesetzt sind und dass die Stornierungen von Feiern, Familienfeiern, Veranstaltungen enorm zunehmen, tut schon sehr weh. Die Frage wird sein, wie man dieser Branche als Erstes helfen kann. Da bin ich durchaus der Meinung von Herrn Lindner: Es gibt viele Maßnahmen. Das, was diese Unternehmer jetzt am wenigsten brauchen, sind zusätzliche finanzielle Belastungen. Sie brauchen finanzielle Entlastungen. Ich glaube, das wird heute bei dem gemeinsamen Auftritt von Herrn Altmaier und Herrn Scholz auch im Mittelpunkt stehen. Zusammengefasst, meine Damen und Herren: Wir haben Erfahrungen mit Krisen – nicht mit dieser Krise, aber mit ähnlichen Krisen. Wir haben die Hochwassersituation in Deutschland noch genau vor Augen; auch das war eine Krise, die über Nacht über unser Land hereingebrochen ist. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass die Politik in Deutschland in der Lage ist, in Krisensituationen schnell und zielsicher zu reagieren. Meine Damen und Herren, das ist, glaube ich, das Versprechen, das ich hier von diesem Pult den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes geben kann: Wir werden alles tun, um die Folgen dieser Krise zu bewältigen. Ich glaube, es lohnt sich auch, jetzt nicht in parteipolitisches Klein-Klein zu verfallen; vielmehr sollten wir an einem Strang ziehen. Dann bin ich zuversichtlich, dass wir auch diese Krise meistern werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Leif-Erik Holm, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Coronavirus wird uns hart treffen, und darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten. Wir sind auf dem gleichen exponentiellen Pfad wie Italien unterwegs; wir sind nur bei der Ausbreitung zum Glück etwas später dran. Wir haben also einen kleinen Vorsprung; aber der muss jetzt endlich auch genutzt werden. Ein Zaudern darf es nicht mehr geben. ({0}) Nur, nach der gestrigen Pressekonferenz der Kanzlerin bin ich nicht sehr optimistisch. Schon längst hätte es Einreisestopps aus Krisenregionen geben müssen; auch Schulschließungen kommen jetzt nicht flächendeckend; das Zusammenspiel mit den Ländern läuft zu zäh. ({1}) Bei der GEZ-Erhöhung waren Sie sich ganz schnell einig; aber in der Coronakrise funktioniert es nicht. ({2}) Es ist keine gemeinsame Linie erkennbar. Wir alle wissen seit einiger Zeit, dass dieses Virus uns hart treffen wird. Und jetzt will die Regierung damit anfangen, Beatmungsgeräte zu bestellen, wie wir gestern gehört haben. ({3}) Das ist wirklich kein gutes Krisenmanagement in dieser Frage. ({4}) Aber ich will durchaus differenzieren. Die Sofortmaßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft gehen in die richtige Richtung. Über die Hälfte der Unternehmen spüren jetzt schon die Auswirkungen der Coronaproblematik. Insofern unterstützen wir ganz klar das Kurzarbeitergeld und auch Liquiditätshilfen; sie sind wirklich wichtig, gerade im Tourismus und im Gaststättenbereich. Hier stünden sonst viele kleine Unternehmen vor dem Aus. Es kommt jetzt aber auch darauf an, dass diese Hilfen schnell und unbürokratisch fließen können. Eine wichtige Möglichkeit wäre die Stundung von Steuerzahlungen; das ist relativ einfach umzusetzen und sehr effektiv. Das wäre jetzt sozusagen die Möglichkeit der Stunde. Wir müssen auch über die Verlustrückträge nachdenken; die steuerlichen Verlustrückträge muss man großzügiger gestalten. Und wir sollten natürlich auch bei der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge entgegenkommen. Hier haben wir ja einen Wechsel vorgenommen; der muss rückgängig gemacht werden. Die Vorfälligkeit muss wieder am Monatsende stattfinden. ({5}) Aber unsere Unternehmen brauchen eben auch eine mittelfristige Perspektive über diese Krise hinaus. Dazu gehört auch eine deutliche Steuerentlastung. Statt der mutlosen Soliteilabschaffung 2021 sollte jetzt ein Signal an die Bürger und Unternehmen kommen, dass es sich weiter lohnen wird, in Deutschland zu investieren. Also: Weg mit dem Soli, und zwar für alle, sofort ab dem 1. Juli. ({6}) Wir müssen endlich auch dafür sorgen, dass Deutschland grundsätzlich besser durch solche Krisen kommt. Beispiel Heimatarbeit: Viele Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter jetzt von zu Hause arbeiten lassen; wir werden das ab der nächsten Woche auch tun. Aber geht denn das überhaupt dort, wo man wohnt? Wie ist es mit der Netzabdeckung? Wir haben da nach wie vor große Lücken. Oder: Wie soll das Finanzsystem in einer solchen Krise überhaupt noch unterstützen, wenn die Zentralbank schon in Normalzeiten mit Negativzinsen arbeitet? Es geht einfach nicht. Wie versorgen wir unsere Bürger mit Arzneimitteln in Zeiten, in denen die Lieferketten reißen? Wir müssen in so sensiblen Bereichen unabhängiger von den wenigen Lieferanten auf der anderen Seite des Erdballs werden. ({7}) Aber es geht jetzt vor allem darum, den Gesundheitssektor zu stärken. Hier müssen kreative Lösungen gefunden werden, bevor der große Belastungstest kommt. Das heißt, Ruheständler müssen reaktiviert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst, die abkömmlich sind, in diesen Bereichen arbeiten können, dass sie jetzt darauf vorbereitet werden. Arztpraxen brauchen Unterstützung, damit sie länger öffnen können, wenn es notwendig ist. Es muss auch eine Kinderbetreuung geben, insbesondere für die Kinder des medizinischen Personals, wenn Schulen und Kindergärten schließen, und das wird unweigerlich kommen. Meine Damen und Herren, die Rezession wird wohl unvermeidlich sein, aber wir können sie gemeinsam mildern; darum geht es jetzt. Aber eines steht natürlich ganz wesentlich im Vordergrund: Wir müssen alles dafür tun, dass jeder, der wegen einer Coronainfektion ein Intensivbett braucht, auch eines bekommt. Hier erwarten wir von der Bundesregierung und den Landesregierungen jetzt massivste Anstrengungen. Es ist leider schon viel zu viel Zeit vertan worden. ({8}) Und eines ist richtig: Wir alle können und müssen mithelfen, jetzt Zeit zu gewinnen; das ist das Gebot der Stunde. Deshalb sollten wir einen Spruch alle beherzigen: Zu Hause ist es immer noch am schönsten. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Falko Mohrs, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen wirklich schon viel und ausgiebig über alle Themen rund um Corona gesprochen. Natürlich ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh, Prognosen über die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen zu geben. Aber – und ich glaube, das ist allen, nicht nur heute in der Debatte, sondern jedem, der mit offenen Augen durchs Land geht, klar –: Es gibt bereits heftigste Spuren in der Wirtschaft, und die Situation dauert an: Quarantänemaßnahmen oder die Stilllegung von Produktionen. Wir verfolgen das quasi auf dem Liveticker, wo Schulen geschlossen werden und wie sich die Krise auf das öffentliche Leben in Europa und in unserem Land auswirkt. All das hat natürlich Folgen in der gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Breite. Egal ob Messebau, Industrie, Verkehr, Tourismus – das wurde angesprochen –, Maschinenbau, Elektronik, Kunst- und Kulturszene, Gastronomie, Landwirtschaft, Sport – wirklich alle Bereiche unseres Lebens sind betroffen. Dabei haben wir noch gar nicht von den individuellen, teils ja sehr viel dramatischeren Folgen gesprochen. Es ist natürlich auch noch nicht absehbar, inwieweit das Virus darüber hinaus Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben wird. Ich denke, wir können das aber abschätzen. Wir haben vorhin vom Vizekanzler gehört: Wir stecken – ich glaube, das ist zweifelsfrei klar – in einer strukturellen Krise. Was wir erleben, ist – so ungern wir es haben – ein Leben in der Lage. Wir wissen eben heute noch nicht, was alles auf uns zukommen wird. Deswegen finde ich – ich will jetzt gar nicht auf Einzelne eingehen; das kann jeder für sich prüfen –: Panikmache, egal ob in der Rede, in Anträgen oder in Tweets, die versendet werden, ist wirklich absolut deplatziert. ({0}) Was wir brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Besonnenheit und Klarheit, beides: Besonnenheit und Klarheit – Klarheit eben auch in dem, was wir an Maßnahmen ergreifen. Wir haben das gerade bei der Debatte zum vorangegangenen Tagesordnungspunkt erlebt. Ich sage noch mal ganz ausdrücklich Danke schön an die Kolleginnen und Kollegen im Arbeits- und Sozialministerium, auch dafür, in welch kurzer Zeit all das möglich gemacht wurde, was wir heute Morgen hier beschlossen haben. Vielen herzlichen Dank! Frau Staatssekretärin, bitte geben Sie das auch an das Haus weiter. ({1}) Wir haben mit diesen klaren Maßnahmen deutlich gemacht: Es geht in der Krise darum, Arbeitsplätze und Beschäftigung zu sichern. Wir haben gute Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht. Und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um aus den Erfahrungen neue Schlüsse zu ziehen, die Hürden zu senken, damit mehr Unternehmen Kurzarbeit beantragen können, leichter beantragen können und ihnen auch bei der Liquidität geholfen wird. Auch wenn Sie, Herr Lindner, es nicht wahrhaben wollen – vielleicht lesen Sie es gerade parallel auf dem Handy nach; Sie fordern Steuerstundungen; sie fordern Liquiditätshilfen –: Das ist der Unterschied zwischen Opposition und Regierung: Sie fordern das in Anträgen und in Reden, wir machen das, Herr Lindner. ({2}) Parallel zu dem, was Sie hier fordern, handelt die Regierung ja, indem der Bundeswirtschaftsminister und der Vizekanzler bekannt geben, dass es nämlich genau diese Liquiditätshilfen in Milliardenhöhe für unser Land geben wird. ({3}) Wir realisieren doch heute, dass es im untergesetzlichen Bereich, auf der steuerlichen Ebene, Hilfen für Unternehmen geben wird. Das ist doch genau die Maßnahme, die sowohl den kleinen Unternehmen, den Handwerkern genauso hilft wie den großen Unternehmen in unserem Land. ({4}) Neben der Frage von Arbeitsplatzsicherheit ist das ein zweiter wichtiger Baustein. Da können Sie hier rumschreien, wie Sie wollen, Herr Lindner. Diese Regierung, diese Regierungskoalition sind besonnen und klar. ({5}) Wir handeln, Sie stellen Anträge. ({6}) Wir erleben, dass der Virus auch Auswirkungen auf die Konjunktur in Deutschland hat. Deswegen gibt es auch in diesem Bereich verschiedene Maßnahmen. Wir haben am Sonntag eben auch beschlossen, dass wir die Investitionen in Deutschland massiv erhöhen. Wir haben vorgeschlagen – ich finde, diese Diskussion sollte auch noch nicht zu Ende sein –, dass wir beispielsweise den Solidaritätszuschlag für die 90 Prozent, für die wir ihn abschaffen wollen, früher abschaffen, um für die Konjunktur Impulse zu setzen. ({7}) Wir nehmen auch andere Vorschläge, beispielweise des BDI, auf, bei denen es um die Lockerung beim KfW-Programm oder die Frage von Hermesbürgschaften geht. Also, meine Damen und Herren: Besonnenheit und Entschlossenheit – das sind die richtigen Ratgeber, und nicht Panik. Wenn wir besonnen und entschlossen handeln, wird aus dem, was wir hier erleben, kein Lehman-Moment für die Weltwirtschaft werden. Das liegt in unserer Hand. Ich denke, bzw. ich bin mir sicher: Da können sich alle auf uns verlassen. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Alexander Ulrich, Die Linke, ist der nächste Redner. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen wurde schon mehrmals in Reden betont, dass wir mit Krisen gut umgehen können. Wir hatten 2008, 2009 und 2010 eine Wirtschafts- und Finanzkrise und anschließend eine Euro-Krise. Wir als Linke sagen ganz deutlich: Wir erwarten von der Politik, von denjenigen, die zum damaligen Zeitpunkt dreistellige Milliardenbeträge auf den Weg gebracht haben, um die Finanzwirtschaft zu retten, dass jetzt klar und deutlich gesagt wird: Wegen Corona wird kein Beschäftigter seinen Arbeitsplatz verlieren; wegen Corona wird kein Unternehmen insolvent oder wird schließen, und wegen Corona darf auch kein Freiberufler oder Selbstständiger in seiner Existenz bedroht sein. ({0}) Diese Aussage der Bundesregierung erwarten wir. Es müssen jetzt – wie damals für die Finanzwirtschaft auch – alle Geldmittel bereitgestellt werden. ({1}) Wir haben sehr wohl verstanden, dass jetzt – so ist es gestern in der Pressekonferenz der Bundeskanzlerin und des bayerischen Ministerpräsidenten deutlich gesagt worden – nicht mehr die Zeit ist, an der schwarzen Null und der Schuldenbremse festzuhalten. Wir als Linke haben das schon immer gesagt: Wir brauchen viel mehr Investitionen in die Zukunft unserer Wirtschaft und für die Zukunft des Landes. Es muss klar werden – auch durch Entscheidungen der EZB –: Jetzt muss Geld in die Hand genommen werden, um Zuversicht und Zukunft in Deutschland zu organisieren. ({2}) Und, Herr Mohrs, es ist jetzt auch nicht der Zeitpunkt, um zu sagen, was Opposition macht, was Regierung macht. Hier muss gehandelt werden, und es ist nun mal die Aufgabe auch von Opposition, Vorschläge zu machen. Es wird nicht mehr so lange dauern, bis Sie auch wieder in der Opposition sind. Dann werden Sie vielleicht auch Vorschläge machen müssen. ({3}) Aber noch einmal: Dass diese Vorschläge, die wir schon gemacht haben, jetzt wegen Corona umgesetzt werden, ist ja gut; aber es ist trotzdem viel zu wenig. Im Koalitionsausschuss vom Wochenende ist gesagt worden: Wir wollen in den nächsten vier Jahren zusätzliche Investitionen von 12,4 Milliarden Euro vornehmen. – Das sind 3,1 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist für die Konjunktur homöopathisch, viel zu wenig. ({4}) Deshalb unterstützen wir nachdrücklich noch einmal die Forderungen des DGB und des BDI, die sagen: Auch wegen Corona müssen wir jetzt ein Zeichen setzen, dass wir aus dieser Krise herauskommen werden. – Wir fordern nochmals in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Investitionen in Höhe von jährlich 45 Milliarden Euro. ({5}) Das muss jetzt auf den Weg gebracht werden. Dieses Signal der Politik wäre notwendig, damit die Bürgerinnen und Bürger merken: Egal wie lange Corona anhält – es geht danach weiter mit einer festen Wirtschaft und mit vielen und guten Arbeitsplätzen. ({6}) Wir sagen aber auch ganz deutlich, auch zum wiederholten Male: Wenn der Ruf nach dem Staat da ist – wir unterstützen das –, erwarten wir auch von den Unternehmen, dass damit eine Beschäftigungssicherung verbunden ist und dass es nicht um kurzfristige Mitnahmeeffekte geht. Wir sagen weiter ganz deutlich: Es wäre dringend notwendig, wenn wir diese Zeit für mehr Tarifbindung und bessere Löhne in diesem Land nutzen würden. ({7}) Herr Lindner, es ist schön, dass die FDP auch erkennt, dass man einen starken Staat braucht und der Ruf nach dem Staat jetzt notwendig ist. In anderen Zeiten sagen Sie immer: Krankenhäuser privatisieren, Gesundheitssystem privatisieren. – Es zeigt sich gerade jetzt, wie notwendig es ist, in diesen Bereichen zu investieren. Die FDP sollte mal von ihrer marktwirtschaftlichen Logik Abstand nehmen. Wir brauchen einen starken Staat. Corona hat das zeigt. Und deshalb brauchen wir viel mehr Investitionen in diesem Land für gute Arbeitsplätze, ({8}) für eine bessere Gesundheitsversorgung und für die Zukunft des Landes. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katharina Dröge, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Aus meiner Sicht stehen wir momentan vor einer Krise, deren Ausmaß so groß ist, dass niemand, der hier im Raum sitzt, schon einmal eine ähnliche Krise bewältigen musste. Unser aller gemeinsames und vordringlichstes Ziel muss es momentan sein, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, um Menschen zu schützen und um die Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern. ({0}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so groß, dass wir es als Gesellschaft nur gemeinsam schaffen werden und auch als Parlament nur gemeinsam schaffen werden. Deswegen, Herr Mohrs, fand ich die Reaktion auf die Rede von Herrn Lindner vom Tonfall her etwas schwierig, weil auch wir als Opposition in dieser Krise unsere konstruktive Zusammenarbeit anbieten. ({1}) Wir können miteinander um die besten Ideen streiten – Sie können falsch finden, was Herr Lindner gesagt hat –, aber wir müssen jetzt alle darum ringen, einen gemeinsamen Weg zu finden. Wir alle sagen auch: Bei Gesetzen, die schneller gemacht werden müssen, und bei Lösungen, die unbürokratisch gefunden werden müssen, stehen wir an der Seite der Regierung; denn das ist jetzt notwendig. ({2}) Die Einschränkungen für viele Menschen in diesem Land sind heftig. Sie werden, nach allem, was wir wissen, wahrscheinlich noch heftiger werden. Für viele Menschen kommt jetzt hinzu die berechtigte Sorge um ihren Arbeitsplatz, für viele Unternehmen die Sorge um ihre Zukunft. Wir müssen als Parlament sagen: Die Maßnahmen sind notwendig. Wir können nicht anders, als diese Maßnahmen zum Schutz der Menschen in diesem Land zu ergreifen. Aber wir müssen auf der anderen Seite das Signal an die Beschäftigten in diesem Land senden: Wir werden alles dafür tun, um zu verhindern, dass Unternehmen, denen es vor der Krise gut ging, nach der Krise nicht mehr existieren. – Das ist der Job, den wir als Wirtschaftspolitikerinnen und Wirtschaftspolitiker in diesem Parlament haben. ({3}) Wir stehen vor einer Herausforderung, weil die klassischen Instrumente der Konjunkturpolitik in der kurzen Frist nicht funktionieren. Menschen sollen jetzt nicht ins Theater gehen, Menschen sollen jetzt nicht in die Klubs gehen, Menschen sollen jetzt nicht reisen. Das trifft die entsprechenden Unternehmen heftig. Dafür kann man keine klassische Lösung bieten. Deswegen wird es in den nächsten Wochen darum gehen, über die Ausweitung der Kurzarbeit, die wir heute Morgen gemeinsam beschlossen haben, über Liquiditätshilfen, seien es Kredite, seien es Steuerstundungen, erst mal zu sichern, dass diese Unternehmen fortexistieren können. ({4}) Es gibt besondere Gruppen – im Bereich der Solo-Selbstständigen, gerade die Kreativen, im Bereich der Kulturwirtschaft –, die besonders heftig betroffen sind. Hier werden wir wahrscheinlich auch über weitere Rettungsmaßnahmen reden müssen. Das werden wir hier im Parlament miteinander diskutieren müssen. Aber wir müssen auf der anderen Seite auch die Debatte darüber führen, was passiert, wenn der Virus sich hoffentlich abgeflacht hat, wenn die Wirtschaft ihre Tätigkeit wieder aufnehmen kann. Da braucht es das Signal dieses Parlamentes, dass wir dann entschlossen handeln werden, dass wir dann Konjunkturprogramme auflegen werden; denn nach allem, was wir jetzt wissen, wird die Wirtschaft durch Corona in eine Krise rutschen, wo es nach der Krise einen Anschub durch den Staat braucht. Da braucht es unser gemeinsames Versprechen. Ich finde es gut, dass die Bundeskanzlerin und die MPK gestern dieses Signal ausgesendet haben: „Whatever it takes.“ Wir werden das machen. Wir werden dann auch alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. ({5}) Der letzte Satz gilt aus meiner Sicht den Beschäftigten im Gesundheitswesen. Sie kämpfen dafür, sie arbeiten dafür, Menschen in diesem Land zu schützen. Wir müssen aus dieser Krise auch noch einmal lernen, wie wichtig ein finanziell gut ausgestattetes Gesundheitssystem ist. ({6}) Das müssen wir in Zukunft noch besser ausstatten. Es geht auch um eine Entlohnung für die Beschäftigten im Gesundheitssystem, die angemessen ist. Auch darüber müssen wir in Zukunft miteinander sprechen. Für heute bleibt uns nur der Dank an die Menschen im Gesundheitssystem, die für uns alle arbeiten. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Heider, CDU/CSU. ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das öffentliche Leben in Deutschland erlahmt in diesen Tagen. Veranstaltungen werden abgesagt, Einrichtungen vorsorglich geschlossen. Das Homeoffice wird eingerichtet, Telefonkonferenzen haben Hochkonjunktur. Aber es gibt auch enttäuschte Fußballfans, es gibt frustrierte Urlauber und Theaterbesucher. Es gibt Eltern, die sich Sorgen darüber machen, wo sie ihre Kinder in den nächsten Tagen betreuen lassen können. All das ist Kennzeichen unserer Krise. Es ist unsere Aufgabe, die Sofortmaßnahmen von Konjunkturprogrammen deutlich abzusetzen, weil wir von zwei verschiedenen Paar Schuhen sprechen. Die Bilder leerer Stadien, meine Damen und Herren, sollten uns dabei ebenso wenig in Hysterie versetzen wie leere Supermarktregale. Alle unsere Entscheidungen, die wir hier als Parlament im Arbeitsalltag und auch im Privaten treffen, müssen wir zügig treffen. Wir müssen sie besonnen treffen. Wir müssen Vertrauen, Vorsicht und Vernunft als das Gebot der Stunde walten lassen. Das ist das, was man von uns als Parlament in diesen Stunden erwartet. Ich finde, das geschieht bis heute vorbildlich. Ich glaube, wir erleben einen souverän handelnden Gesundheitsminister, der genauso beherzt wie viele Ärzte und Pflegekräfte draußen im Land diese Situation versucht in den Griff zu bekommen. Ich möchte auch nicht vergessen, diejenigen zu erwähnen, die als Feuerwehr, als Hilfs- und Rettungsdienste und als Ehrenamtliche in dieser Krise mitwirken. Ich finde, es hat Deutschland immer ausgezeichnet, dass wir in einer solchen Krisensituation zusammenstehen. ({0}) Meine Damen und Herren, die Einschränkungen unseres Alltages wegen der Gesundheitsfragen sind das eine, die langfristigen Folgen für die Wirtschaft sind das andere. Produktions- und Lieferketten sind unterbrochen, jetzt auch in die USA. Prozesse stehen still, Veranstaltungen fallen aus. Der Schaden bei den Messen wird schon auf fast eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Verkehr und Transport sind stark eingeschränkt. Inzwischen sind 200 000 Flüge weltweit gestrichen worden. Die Aktienmärkte verzeichnen erhebliche Kursverluste, gestern um die 12 Prozent. In den letzten sechs Wochen hat der DAX 30 Prozentpunkte verloren. Das ist ein enormer Wert. Der Ausfall von Produktion und Nachfrage droht Unternehmen in die Insolvenz zu treiben und Arbeitsplätze zu gefährden. Betroffen sind nicht nur die großen Konzerne, es sind vor allen Dingen auch die vielen Mittelständler, die Zulieferer, die Handwerker, die Einzelhändler, vor allen Dingen die Hotel- und Gastronomiebetriebe, die in diesen Tagen von den Absagen betroffen sind. Die schlechte Nachricht dabei ist, dass uns die Krise zu einer Zeit trifft, da wir durch Klimawandel, Digitalisierung und Handelskonflikte ohnehin einem tiefgreifenden Strukturwandel ausgesetzt sind. Die gute Nachricht hingegen ist, dass wir trotz dieser Entwicklung wirtschaftlich verhältnismäßig gut dastehen. Ich erinnere daran, dass nach der letzten Krise, der Finanzkrise – zugegebenermaßen unter anderen Bedingungen –, 2008 und 2009 und in den Folgejahren durch eine kluge Politik das Wachstum in unserem Land sehr schnell zurückgekehrt ist. Die Wirtschaft ist in den Jahren nach dieser Krise um 4 Prozent gewachsen, dann in zwei Folgejahren etwas weniger, und dann gab es ein Wirtschaftswachstum zwischen 1,5 und 2,5 Prozent. Das Konzept der schwarzen Null hat uns in diesen Jahren ermöglicht, dass wir auch jetzt, in der Krise, mehr Handlungsspielraum haben als andere Mitgliedstaaten in Europa. ({1}) Meine Damen und Herren, das ist eine kluge Politik der Regierungsparteien gewesen, sowohl der SPD als auch der FDP zu der Zeit, als sie mit in der Regierungsverantwortung gewesen ist. Es gilt jetzt, diese Mittel und diese Möglichkeiten, die wir haben, sinnvoll einzusetzen, gezielte Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die nicht zu kurz gedacht sind. Wir dürfen keine Strohfeuer entzünden. Wir müssen von heute an eine Brücke bauen, und wir wissen alle nicht, wie breit diese Brücke sein muss, damit sie über den Strom dieser Krise trägt. Wenn heute über Liquiditäts- und andere Beihilfen gesprochen wird, dann wird klar: Das können unter Umständen in Bezug auf Banken auch mehrere Hundert Milliarden Euro sein, damit wir unserem Land und unserer Währung die Stabilität verschaffen können, die wir für die Bewältigung einer solchen Krise brauchen. Den ersten Aufschlag haben wir bei den gerade schon berichteten Entscheidungen des Koalitionsausschusses am letzten Wochenende gemacht. Ich finde, dass das ein guter erster Anfang ist und dass wir in dieser Krise damit den richtigen Pfad beschreiten. Meine Damen und Herren, ich bin aber auch der Auffassung, dass eine solche Krise nicht unbedingt der beste Zeitpunkt ist, um parteipolitisch liebgewonnene Langzeitprojekte durchzuboxen. Ich warne davor, dass wir Mitnahmeeffekte schaffen. Ich warne auch davor, dass wir eine Enthaftung vom unternehmerischen Risiko in diesem Land vorantreiben. Das wäre fatal. ({2}) Wenn man jetzt die Situation nutzt, um etwa eine Senkung der Strom- und Luftverkehrsteuer oder eine Bürokratieentlastung zu fordern, dann, meine Damen und Herren, muss ich dazu sagen: Das ist etwas zu kleines Karo in Zeiten der Krise. Wir sollten uns auf die wesentlichen Dinge beschränken. ({3}) Ich habe von anderer Seite gehört, wir sollten jetzt dringend den Föderalismus einschränken. Auch das scheint mir die falsche Reaktion zu sein. ({4}) Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Kommunikationsprozesse zwischen Ländern und Bund in Krisenzeiten schneller und besser funktionieren. Das ist erkennbar. Lassen Sie uns bei den Sofortmaßnahmen bleiben. Was wir jetzt mit einem Blick über den Tellerrand der Krise hinaus erkennen können, ist, dass wir eine größere Unabhängigkeit in der Versorgung mit Arzneimitteln und auch mit Schutzbekleidung brauchen. Wir brauchen flexiblere Arbeitszeitmodelle, so wie wir sie heute Morgen mit der Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung beim Kurzarbeitergeld schon beschlossen haben. Wir brauchen eine höhere Automatisierung in der Industrie in sensiblen Bereichen. Und wenn wir gerade dabei sind, über den Katastrophenschutz zu sprechen, meine Damen und Herren, dann müssen wir auch da einmal schauen, ob alle Regelungen zum Besten stehen. Erstens. Ich glaube, Konjunkturprogramme kann man erst schreiben, wenn man wirklich die Auswirkungen, die Randbedingungen dieser Krise kennt. Zweitens. Wir müssen die finanzielle Stabilität unseres Landes gewährleisten. Drittens. Meine Damen und Herren, das ist mir zum Schluss besonders wichtig: Wir sollten gemeinschaftlich und mit Zuversicht für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes die Maßnahmen auf den Weg bringen, die in dieser Krise Priorität haben. Herzlichen Dank, auch für den gemeinsamen Ansatz bei den hier gerade diskutierten Lösungsmöglichkeiten. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Enrico Komning für die AfD-Fraktion. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich sehe hier weitgehende Einigkeit bei den Fragen der Krisenbewältigung. Deswegen will ich mich ein Stück weit auf den vorliegenden Antrag der FDP beschränken. Meine Damen und Herren Kollegen von der FDP, Ihr Antrag ist politisch klug – politisch klug, weil Sie die gegenwärtige Coronakrise zum Anlass nehmen, jetzt alles das zu fordern, was Sie schon immer haben wollten. Es sei Ihnen gewährt. Ich glaube, es ist entscheidend, zu verstehen, dass wir in der gegenwärtigen Lage nicht weitermachen können wie bisher. Wichtig ist, dass gerade die mittelständischen Unternehmen und auch die Handwerksbetriebe, die nicht über die Reserven der großen Konzerne verfügen, in dieser Phase weiter ihre Rechnungen bezahlen können. Ihre Liquidität muss sichergestellt sein, damit es diese Unternehmen noch gibt, wenn die Viruskrise abgezogen ist. ({0}) Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen des FDP-Antrages für die erste Phase durchaus richtig. Die zinslose Stundung von Steuervorauszahlungen ist ein einfaches und wirksames Mittel, um Unternehmen vor Liquiditätsengpässen zu bewahren. Wir schlagen dazu noch – mein Kollege Holm hat es schon gesagt – eine kurzfristige Stundung der Sozialversicherungsbeiträge vor. Gerade in den besonders betroffenen Branchen wie der Tourismusbranche – der Kollege Lämmel hat es schon erwähnt – kommt es auf Liquidität an; denn Ausfälle können hier nicht kompensiert werden. Allerdings: Ihre Forderungen für die dritte Phase sind aus unserer Sicht lückenhaft. Wenn wir den Standort Deutschland wieder konkurrenzfähig machen wollen, dann, meine Damen und Herren, müssen wir dieses Euro-Experiment beenden. In der Krise rächt sich der Euro; denn der Stabilitätspakt verhindert, dass die Staaten schnell und wirkungsvoll ({1}) die eigene Finanzpolitik auf die jetzt notwendigen Maßnahmen einstellen können. Es rächt sich nun auch die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die das Geld trotz brummender Konjunktur billig gehalten hat und jetzt in Zeiten zusammenkrachender Börsen mit Abermilliarden an Kapitalvernichtung nichts hinzuzusetzen hat. ({2}) Ich finde, wir sollten bei langfristigen Maßnahmen vor allem auf den Mittelstand und auf das Handwerk schauen. Da verstehe ich nicht ganz, warum Sie, meine Damen und Herren von der FDP, in diesem Antrag nicht auch die sofortige und komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlages gefordert haben. Vor allem auch ein Verzicht auf die Erhebung des Solis auf die Körperschaftsteuer könnte gerade mittelständischen Unternehmen und Handwerksbetrieben, die vielfach als GmbH firmieren, helfen. Mehr als ein Fünftel der kleinen und mittelständischen Unternehmen sind Kapitalgesellschaften. Liebe Kollegen von der FDP, wir werden Ihren Antrag im Ausschuss unterstützen, auch wenn er uns an der einen oder anderen Stelle nicht weit genug geht. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist gut und legitim, wenn Unternehmen in der Krise Hilfe von der Gemeinschaft bekommen. Ich denke, sie ist besonders für die wichtig, die sich ansonsten stets auf faire Preise, auf faire Löhne konzentriert haben, die auf prekäre Beschäftigung verzichtet haben, die auf Schwarzarbeit verzichtet haben, die auf Steuerbetrug verzichtet haben; denn wer sich in normalen Zeiten an der Gemeinschaft nicht beteiligt, na ja, der kann auch nicht immer mit Hilfen von der Gemeinschaft rechnen, wenn es ihm schlecht geht. ({0}) Unsere Gemeinschaft ist so fair, dass sie da manchmal sehr großzügig operiert. Das ist auch richtig. Ich wollte nur daran erinnern, dass man, wenn wir über Steuerbetrug und solche Sachen reden, immer daran denken muss, dass die Zeit kommt, in der gilt: Wenn du in der Zeit nicht gespart hast, kannst du in der Not nicht helfen. Durch den Coronavirus – das haben wir schon gesehen – nehmen viele Arbeitnehmer Schaden. Zur Situation der kleinen Selbstständigen und Freelancer haben wir schon viel gehört. Lehrer und Erzieher infizieren sich jetzt möglicherweise, weil sie mit vielen Leuten zusammenkommen. Das gilt übrigens auch für das Personal hier im Haus. Da gibt es nämlich unterschiedliche Regelungen für uns, die hier drinsitzen, und für die, die hier für uns arbeiten. Da, finde ich, müssten wir über eine Gleichbehandlung nachdenken. Eltern sind betroffen, weil Kitas schließen, Kulturschaffende, weil Ausstellungen abgesagt werden und Konzerte nicht stattfinden. Taxifahrer haben Probleme, Aussteller, Übersetzer, besonders auch Gastwirte, Hotels, Tourismus, zum Beispiel Busunternehmen. Warum? Weil Lieferketten unterbrochen werden, die Nachfrage zusammenkracht und Arbeitskräfte ausfallen. Deshalb ist die Idee, das Instrument der Kurzarbeit zu aktivieren, sehr gut. Die Voraussetzungen werden erleichtert, Erweiterungen der Leistungen werden vorgenommen. Das alles hilft. Wir sehen jetzt im Nachhinein, wie klug es war, die Beiträge nicht noch weiter zu senken. Vielleicht wäre es sogar klüger gewesen, die Beiträge noch höher zu justieren, als wir es bisher gemacht haben. Wir haben schon gehört, dass wir Liquiditätshilfen für Unternehmen bereitstellen wollen, die besonders vom Coronavirus betroffen sind. Hier hilft auch das Instrumentarium der KfW. Wir müssen die Verfahren allerdings beschleunigen und vereinfachen. Es gibt auch Möglichkeiten, in Insolvenzverfahren zu helfen, etwa durch Fristverlängerungen. Wir können zinslose Steuerstundungen organisieren. Wir können Anpassungen von Vorauszahlungen besser organisieren. Wir können den antizyklischen Kapitalpuffer gemäß Basel III klüger justieren. Wir können durch die Änderung der Programmstruktur für eine Konsolidierung über die Förderbanken sorgen. Wir können Bürgschaften für Großunternehmen organisieren, die Überbrückungskredite oder Fazilitäten benötigen. In diesem Zusammenhang möchte ich aus einem Schreiben zitieren, das mir ein Gastwirt geschickt hat. Er schreibt: Kurzarbeitergeld ist ein Relikt aus der Mottenkiste und hilft definitiv nicht. – Er schlägt vor, dass wir die Mehrwertsteuer für die Gastronomie auf 7 Prozent senken. Er fordert also das, was er schon immer gefordert hat. Er zielt auf einen Mitnahmeeffekt. Er schreibt: Kurzarbeitergeld kommt für uns überhaupt nicht infrage, da wir durch den jahrelangen Fachkräftemangel sowieso ganz eng auf Kante genäht sind und keine Mitarbeiter dafür auswählen könnten. – Wir sehen hier, wie ganz subtil Mitnahmeeffekte vorbereitet und alte Forderungen reaktiviert werden. Ich halte das für nicht legitim. Ich will es einmal so sagen: Betriebe, die wesentlich auf geringfügige Beschäftigung und auf Schwarzarbeit verzichtet haben ({1}) und die gleichzeitig daran gedacht haben, Eigenkapital aufzubauen und die Innenfinanzierung zu stärken, die kommen mit Kurzarbeit und den von uns vorgeschlagenen Hilfen sehr gut zurecht. ({2}) - „Cum/Ex“ ist ein gutes Stichwort. Bei Cum/Ex haben wenige Hundert Leute Milliardenschaden angerichtet. Das ist ungefähr so schlimm, wie wenn Millionen Leute Milliardenschäden anrichten. Warum machen Sie diesen Unterschied? ({3}) Betrug ist nicht teilbar. Betrug und Kriminalität betrachten wir im gleichen Kontext, weil die gesamte Gesellschaft geschädigt wurde, von der jetzt Hilfe verlangt wird. ({4}) Das Verlangen von Hilfe ist in Ordnung, das Beteiligen an einer Gemeinschaft aber genauso. Die FDP differenziert da anders. ({5}) Ihre Mitte liegt, wie bekannt – das habe ich schon einmal gezeigt –, bei den obersten 10 Prozent. Unsere Mitte ist ungefähr in der Mitte. Das ist der entscheidende Unterschied. ({6}) Ich lasse meinen Zollstock heute zusammengeklappt, weil wir die Größe der Aufgabe noch nicht messen können, aber ich habe zumindest die Idee, dass Ihre Ideen falsch sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Binding, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Binding, ich würde Sie gerne fragen, weil Sie das Thema Cum/Ex von sich aus angesprochen haben.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich habe auf einen Zwischenruf reagiert.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie wissen, was in Hamburg in den letzten Wochen passiert ist. Ich würde gerne von Ihnen wissen, wann Herr Scholz aufhört, bei diesem Thema zu mauern, und wann er anfängt, der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen und im Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich spreche hier über etwas, was mir zuwider ist: das Spekulantentum. Sie spekulieren aufgrund irgendwelcher Informationen, die ich nicht prüfen kann, dass Herr Scholz irgendwem irgendetwas verheimlicht hat. ({0}) Jeder kann in der Geheimschutzstelle nachlesen, was dort passiert ist. Olaf Scholz war im Finanzausschuss und hat Rede und Antwort gestanden. ({1}) Ich glaube, mehr kann man von einem Minister nicht verlangen. ({2}) – Ja, das sind geschickte Zwischenrufe, aber sie sind leider falsch. – Er war im Finanzausschuss, und er hat übrigens angekündigt, erneut zu kommen. ({3}) In der nächsten Sitzungswoche wird er wieder Rede und Antwort stehen. Es ist allerdings schon interessant, dass Sie mich nach etwas fragen, was Olaf Scholz beantworten soll. ({4}) – Nein, nein, nein. Kollege Lindner hat einen Zwischenruf mit Cum/Ex gemacht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kollegen, das Format heißt „Frage oder Bemerkung“, aber nicht „Dialog“.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, genau. – Cum/Ex gehört auch gar nicht hierher. ({0}) Heute geht es darum, Leuten zu helfen, und nicht darum, sich mit Betrügern zu befassen. Das machen wir an anderer Stelle. ({1}) Übrigens: Scott Shapiro, ein Professor an der Yale Law School, hat gesagt: The Black Death – die damalige Pest, die von 1347 bis 1353 grassierte – was so devastating because scientist hadn’t yet discovered tax cuts. Die Pest war also deshalb so gefährlich und so desaströs, weil die Steuersenkung noch nicht erfunden war. – Genau das ist heute das Problem. Ich glaube, wir haben sehr gute Vorschläge, um die Krise zu überwinden, und die werden wir aufgreifen. ({2}) Es ist eine gute Idee, wenn die Demokraten im Haus zusammenhalten. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Fabio De Masi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Krise macht vielen Menschen Angst. Wir brauchen jetzt vor allem Mut und Solidarität, um die Angst zu überwinden. Als jemand, der Herrn Scholz bei Fragen zu Cum/Ex sehr in die Mangel genommen hat, will ich sagen: Wir sollten zu diesem Zeitpunkt nicht die üblichen Spielchen zwischen Regierung und Opposition spielen; denn das steht den Leuten bis oben. ({0}) Von uns muss jetzt doch die Botschaft ausgehen: Wir kämpfen um jeden Job, um jedes Unternehmen und um jede Existenz von Selbstständigen in diesem Land. Deswegen war es richtig, dass die Bundeskanzlerin die schwarze Null beerdigt hat. Ich sage für meine Fraktion: Auch die Schuldenbremse greift nicht in der Not. Sie muss ausgesetzt werden, damit wir in der Krise nicht noch kürzen; sonst wird sie nämlich teurer. ({1}) Damit die Coronakrise keine zweite Euro-Krise wird, brauchen wir ein ganz deutliches Signal, dass die Europäische Zentralbank die Staatsausgaben im Zweifel garantiert. Um eine Börsenpanik zu verhindern, brauchen wir jetzt das Verbot gedeckter Leerverkäufe, damit Spekulanten, die auf fallende Kurse wetten, nicht noch Kasse machen. ({2}) In der Krise wurden die Banken mit Milliarden gerettet. Deswegen müssen wir jetzt neben der Stärkung des Kurzarbeitergeldes, die richtig ist, zinsfreie Kredite der KfW und Bürgschaften für Unternehmen anbieten, die Arbeitsplätze sichern. Das sind keine Geschenke, sondern Kredite und Bürgschaften. ({3}) Wir brauchen auch zinslose Steuerstundungen von mindestens drei Monaten, damit nicht noch Verzugszinsen in Höhe von 6 Prozent greifen. Wir sagen: Steuern stunden ist etwas anderes, als für Konzerne die Steuern zu senken. Das nützt nämlich nur den Unternehmen, die noch Gewinne machen. Das ist die falsche Diskussion; denn dadurch wird keine einzige Investition geschaffen. Steuern stunden ja, aber keine absurde Debatte über Steuersenkungen für Konzerne. ({4}) Wir brauchen einen Rettungsfonds für die Selbständigen und die kleinen Unternehmen im Tourismus und im Messebau, die jetzt leiden. Auch sie brauchen unbürokratisch und schnell Zuschüsse. ({5}) Wenn diese Krise vorüber ist, dann brauchen wir ein langfristiges Investitionssignal in Höhe von 45 Milliarden Euro jährlich, um dieses Land wieder aufzubauen. ({6}) Viele Rednerinnen und Redner haben den Pflegekräften und den Ärzten gedankt. Natürlich danken wir ihnen. Aber der beste Dank, den wir ihnen zuteilwerden lassen können, ist doch endlich mehr Personal in den Krankenhäusern. ({7}) Nie wieder darf sich die Situation wiederholen, dass wir nicht mehr genug Schutzkleidung für unser medizinisches Personal haben oder dass wir Italien – das sage ich auch als Staatsbürger dieses Landes – keinen Beistand in dieser Sache leisten können. Das darf nie wieder vorkommen. ({8}) Diese Krise ist auch eine Chance, dass wir uns gemeinsam neu erfinden und den Gemeinsinn in diesem Land wiederentdecken. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die Krise ist nicht die Zeit der Opposition. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe mich über das einstimmige Votum zur Kurzarbeiterregelung sehr gefreut, weil wir damit als ganzes Haus dokumentieren konnten, dass wir das verstanden haben. Das halte ich für ganz wichtig. ({0}) Nun muss ich aber auch feststellen in der Debatte, dass trotzdem der eine oder andere geneigt ist, Nebenkriegsschauplätze aufzumachen. Weil ich gerade die Unterstützung durch die Opposition betont habe, will ich mich jetzt ganz explizit an den Herrn Binding von der SPD wenden. Dieses eigentümliche Bild von der deutschen Wirtschaft, das Sie gerade eben gezeichnet haben, ({1}) wo es offenbar um Betrug und Schwarzarbeit geht, ist eines, das wir in dieser Phase sicherlich nicht brauchen können. Deshalb verwahre ich mich als Teil dieser Koalition ganz explizit gegen das, was Sie hier eben dargestellt haben. Auch das ist nicht die richtige Stunde, so etwas zu diskutieren. ({2}) Wir haben eine Menge an tief verunsicherten Menschen, die klare Antworten und kein Gezänk brauchen, aber auch die Situation, dass wir miteinander ringen müssen um Lösungen. Ich würde mich freuen, wenn die Medien nicht jedes Ringen als Streit diffamieren würden. Das wäre auch sehr hilfreich an der Stelle, weil diese ständigen Wasserstandsmeldungen in den Medien dazu beitragen, dass wir die Leute tatsächlich noch mehr als notwendig verunsichern. Wir können als Regierungskoalition klarmachen, dass bei den Sofortmaßnahmen die gesundheitspolitischen die oberste Priorität haben. Ich möchte hier die Leistung unseres Gesundheitsministers Jens Spahn in ganz besonderer Weise würdigen, weil er mit einer Klarheit dieses Thema abarbeitet, die momentan sehr hilfreich ist, meine Damen und Herren. ({3}) Trotzdem geht es darum, den Menschen zu erklären, worum es geht. Es geht nicht darum, zu verhindern, dass die Pandemie letztendlich kommt – das wird uns nicht gelingen; wenn man das als Zielsetzung beschreiben würde, würde man zusätzliche Unsicherheiten schaffen –, sondern darum, physische Kontakte zwischen den Menschen jetzt so herunterzufahren, dass wir Zeit gewinnen: Zeit, um unser gutes Gesundheitswesen – das sage ich in Richtung AfD – an den Stellen, wo es besonders gefordert ist, zusätzlich zu stärken, Zeit, sich auf diese Ausnahmesituation einzustellen, Medikamente auszuprobieren, wie wir das jetzt mit Medikamenten gegen Ebola beispielsweise machen, die da durchaus hilfreich sein können, und Zeit, auch diesen Impfstoff zu entwickeln. Ich möchte an dieser Stelle betonen – dies ist eine wichtige gesundheitspolitische Debatte –, dass uns unsere Krankenhauskapazitäten derzeit helfen. Wir haben das 5,6-Fache an Beatmungsbetten, an Intensivbetten in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu Italien. Das hilft uns. Wir sollten aus dieser Krise für die weitere Diskussion insbesondere über die Frage der Krankenhausbetten lernen, meine Damen und Herren; denn wir sehen, dass wir in der Fläche insbesondere diese Kapazitäten brauchen. Wir diskutieren auch über Sofortmaßnahmen für die Wirtschaft. Das haben die Kollegen beispielhaft gemacht mit dem Thema Kurzarbeitergeld. Auch bei den Liquiditätshilfen teile ich all das, was gesagt wurde. Mich hat heute früh eine Taxifahrerin gefragt, was sie machen solle, wie sie jetzt ihr Auto abzahlen solle. Ich sage Ihnen: Nicht alles wird der Staat lösen können. Da sind dann auch die Banken gefragt, in dieser Krise sinnvoll zu entscheiden und mit solchen Dingen richtig umzugehen. Da habe ich auch großes Vertrauen in die Banken. ({4}) Mir geht es wie dem Kollegen Heider darum, Mitnahmeeffekte zu vermeiden bei den Liquiditätshilfen. Das stimmt; vollständig richtig. Ich warne aber davor, das so zu machen, dass wir mit hoher Bürokratie am Schluss die Hilfen zu spät an die richtigen Stellen bringen. Auch das möchte ich unterstreichen. Konjunkturprogramme werden der nächste Schritt sein; da gebe ich der FDP vollständig recht. Ich habe hohe Sympathie für all die Maßnahmen, die Sie an dieser Stelle aufgezählt haben. Das ist wichtig und richtig, und dies sollte man auch entsprechend angehen. ({5}) Aber, meine Damen und Herren, ich möchte zur Wirtschaft insgesamt noch etwas ganz Besonderes sagen: Die Lieferketten, die wir momentan haben, gerade im Medikamentenbereich, sind zu lang und auch zu einseitig. Wir müssen in den nächsten Monaten dafür Sorge tragen, dass wir wieder Kapazitäten für Grundwirkstoffe für Medikamente in Deutschland, in Europa aufbauen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Antibiotika wieder in Deutschland produziert werden. ({6}) Das müssen wir bei den Ausschreibungen entsprechend berücksichtigen. Das geht. Deshalb appelliere ich auch hier, über genau diesen Punkt nachzudenken. Bei den Ausschreibungen kann man etwas dafür tun, dass wir wieder solche Kapazitäten aus China, aus Südostasien, aus Indien zurückbringen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Übrigen an die Adresse der Grünen: Wir tun bei dieser Gelegenheit auch noch etwas für die Umwelt; denn dort wird vielfach zulasten der Umwelt produziert. Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dieter Janecek das Wort. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Es ist die Zeit, gemeinsam zu handeln. Es ist die Zeit, insbesondere auf die Wissenschaft zu hören. Das tut die Bundesregierung. Man kann in den Vereinigten Staaten sehen, was passiert, wenn man nicht auf die Wissenschaft hört. Populismus kostet Menschenleben. Deswegen, Herr Gauland, ist es gut, dass auf Sie in dieser Krise nicht gehört wird. Wir müssen jetzt wirklich handeln. ({0}) Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei den vielen Menschen bedanken, die in den Krankenhäusern, Pflegeheimen, Arztpraxen, Gesundheitsämtern, im Robert-Koch-Institut und an anderer Stelle im Gesundheitssystem arbeiten und dort eine großartige Arbeit leisten. ({1}) Ich möchte auch Solidaritätsgrüße nach Italien senden. Dort sind katastrophale Zustände. Wir versuchen, wie ich glaube, nicht nur solidarisch zu sein, sondern zu helfen, wo es geht. Hier müssen wir hinschauen. Es ist eine europäische Aufgabe, gemeinsam zu handeln. ({2}) Wir dürfen in der Frage der ökonomischen Folgen der Coronapandemie nicht den Fehler machen, den wir vielleicht 2008 bei der Weltfinanzkrise gemacht haben: dass wir nur auf die Großen geschaut haben. Auf die Großen müssen wir natürlich schauen – wir müssen im Blick haben, was bei den Lieferketten in der Industrie passiert, wir müssen den Bankensektor im Blick haben –, aber wir müssen ganz besonders auf die vulnerablen Gruppen schauen: Kulturschaffende, Selbstständige, Menschen, die auf einer Messe ausstellen wollten, Menschen in der Gastronomie, im Tourismus. Diese brauchen jetzt ganz gezielte Unterstützung der Bundesregierung. Hier brauchen wir Fonds, die hilfreich sind, und nicht nur leere Worte, Herr Nüßlein. Hier brauchen wir Hilfen. ({3}) Ein Beispiel. Ein privater Kulturbetrieb in meinem Wahlkreis hat 60 Konzerte in zwei Monaten absagen müssen. Da geht es um die Existenz. Diese Betriebe werden nicht mehr da sein, wenn die Pandemie in drei Monaten noch herrschen sollte, und die Wahrscheinlichkeit, die Möglichkeit, dass sie dann noch herrscht, besteht. Ganz gezielt an diese Gruppen zu denken, ist jetzt eine Aufgabe. Das gilt natürlich auch für den Mittelstand. Wir fordern ein Bündel an Maßnahmen – einen Teil hat die Bundesregierung schon aufgegriffen –, zum Beispiel Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht, Stundung von Steuerzahlungen, Liquiditätshilfen, unkomplizierte Bewilligung von Arbeitslosengeld für Selbstständige. All das ist notwendig. Aber lassen Sie uns jetzt in dieser Krise beweisen, dass wir wirklich an diejenigen denken, die am Ersten betroffen sind, und das sind die Gruppen, die ich gerade genannt habe: Kulturschaffende, Selbstständige. Viele haben gerade kein Einkommen mehr. Wir können sie jetzt nicht im Stich lassen. ({4}) In einer Krise gibt es manchmal auch Chancen. Wenn es jetzt eine Chance gibt, dann zumindest die, dass wir es bei den Themen „digitale Arbeit“ und „Lernen online“ besser machen als in der Vergangenheit. Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt, dass sie zum ersten Mal eine Videokonferenz der EU-Staatschefs erlebt hat. Ich glaube, das kann man ausweiten. Davon können wir alle lernen, wie wir uns in den kommenden Wochen und Monaten organisieren. Auch das kann helfen, die Krise abzufedern. Also lassen Sie uns ein Stück weit, soweit das möglich ist, aus dieser Krise eine Chance machen! Ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Markus Töns für die SPD-Fraktion. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen danken, die derzeit die schwere Last zu tragen haben. Das haben auch meine Vorredner schon gemacht, aber ich glaube, dass es wichtig ist, das trotzdem noch einmal zu betonen. ({0}) Die Coronakrise ist in Deutschland angekommen. Sie ist zuallererst eine Gesundheitskrise. Das oberste Ziel von uns allen ist, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. ({1}) Viele Menschen machen sich zudem aber auch Sorgen um ihren Arbeitsplatz, zum Beispiel diejenigen in der Gastronomie, in der Luftfahrtbranche, in Unternehmen, die Vorprodukte aus China beziehen, etc. Diese Branchen sind vom Coronavirus besonders betroffen. Hier wollen wir Sicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaffen. Deshalb hat die Bundesregierung, deshalb hat Hubertus Heil einen Schutzschirm für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgelegt. Damit werden wir den Bezug von Kurzarbeitergeld vereinfachen. Ich bin froh, dass wir das hier so einstimmig beschließen konnten. ({2}) Das ermöglicht Unternehmen, Mitarbeiter zu halten, wenn Aufträge wegen des Coronavirus vorübergehend zurückgehen. Außerdem wird es gezielte Liquiditätshilfen für Unternehmen geben. Das betrifft Unternehmen, die durch dieses Virus in eine Schieflage geraten werden, obwohl sie wirtschaftlich gesund sind. So schützen wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in diesem Fall vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Unser Ziel muss sein: Keine Mitarbeiterin, kein Mitarbeiter soll durch dieses Virus ihre oder seine Arbeit verlieren. Das ist wohl auch Ziel des FDP-Antrags; aber die Vorschläge, die Sie machen, gehen am Ziel vorbei, meine Damen und Herren. Was nützen pauschale Hilfen für Unternehmen, die von Corona gar nicht betroffen sind? Was nützt es im Zusammenhang mit Corona, die Dokumentationspflichten beim Mindestlohn zu verringern? Das schützt keinen einzigen Arbeitsplatz. Das sind eigentlich die Maßnahmen, die Sie schon immer fordern; die stammen sozusagen aus der liberalen Mottenkiste. ({3}) Für uns ist klar: Wir wollen gezielte Hilfen, statt Maßnahmen mit der Gießkanne zu verteilen. Meine Damen und Herren, die Debatte hat gezeigt, dass wir geschlossen handeln müssen; ich bin froh, dass wir das in weiten Teilen dieses Hauses so hinbekommen. Deshalb begrüßen wir, dass sich die Bundesregierung eng abstimmt mit Ländern, mit Gewerkschaften, mit der Wirtschaft, mit unseren europäischen Partnern. Lassen Sie mich das an dieser Stelle noch einmal erwähnen, weil das eben ein bisschen hochkochte: Lothar Binding hat nicht die Wirtschaft kritisiert. Was Lothar Binding vorhin gesagt hat, war, dass, wer bei Staat und Gesellschaft Solidarität einfordert, auch verpflichtet ist, Solidarität einzubringen. ({4}) Das ist genau der Punkt, um den es hier geht. Wir werden die Maßnahmen, die die Bundesregierung auf den Weg bringt, konstruktiv begleiten und stehen an der Seite der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({5}) Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wir sollten mit Besonnenheit und Ruhe hier reagieren. Ein herzliches Glückauf! ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Aydan Özoğuz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal stellen wir jetzt fest, dass es ein konditioniertes Friedensabkommen zwischen den USA und den Taliban gibt. Was noch fehlt, ist ein Abkommen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Wir müssen die Zeit, die uns jetzt noch bleibt, nutzen, um weiter Verhandlungen und Gespräche zu führen. Wir dürfen die Chance auf einen halbwegs stabilen Frieden nicht aus den Augen verlieren. ({0}) Dafür haben wir nun einen engen Zeitkorridor; denn mit diesen Abmachungen wurde auch der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan ins Auge gefasst, was realistischerweise bedeutet, dass auch unsere Streitkräfte abziehen. Schließlich sind wir nicht zuletzt für und als Verbündete der Amerikaner dort. Wir entwickeln nun also gemeinsam mit unseren internationalen Partnern ein koordiniertes Abzugsszenario für die nächsten 14 Monate. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, allen Soldatinnen und Soldaten und allen zivilen Kräften, die an diesem Mandat jemals beteiligt waren oder es noch sind, für ihre Arbeit, die den Grundstein für eine friedliche Entwicklung legt, ausdrücklich zu danken. ({1}) Ich will aber auch nicht verhehlen: Der Wahlkampfdruck von Donald Trump erleichtert diese Aufgabe nicht. ({2}) In diesen Tagen werden wir mit vielen für uns nicht nachvollziehbaren Ansagen des amerikanischen Präsidenten konfrontiert. Ich denke und hoffe, dass die Verbindungen zwischen den USA und uns intensiver sind, als es dadurch zum Ausdruck gebracht wird, und sie auch diese schwierige, manchmal geradezu abstruse Zeit, solche Tweets und Ansagen überstehen. ({3}) Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft dürfen Afghanistan jetzt nicht im Stich lassen, vor allem weil unsere afghanischen Partner immer wieder betonen, dass wir Deutschen besonderes Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Ein Hauptaugenmerk sollte für uns darauf liegen, den Frauen, Kindern und Jugendlichen in Afghanistan eine Perspektive zu ermöglichen. ({4}) Über die Hälfte der afghanischen Bevölkerung sind Frauen. 64 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt. In einem Friedensprozess zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban, der unabdingbar ist, müssen alle Teile der afghanischen Bevölkerung eingebunden werden. Besonders die Frauen und Mädchen müssen weiter die Möglichkeit bekommen, zur Schule zu gehen und zu arbeiten. Sie sollen nicht auf ihre bisher erkämpften Rechte verzichten müssen. ({5}) Das ist insofern wichtig, als dass die Taliban gerade bei diesem Thema bekanntermaßen keine Ambitionen erkennen lassen, auch nicht in den Vereinbarungen mit den Amerikanern, was uns und sicher auch andere europäische Partner nicht zufriedenstellen kann. Wir müssen jetzt umso intensiver verhandeln, damit das bereits Erreichte eben nicht verloren geht. ({6}) Es gibt unglaublich starke und mutige Frauen in Afghanistan, die jeder Unterdrückung trotzen und trotz ständiger Drohung zu den Versammlungen gehen, um dort deutlich zu machen, dass ihnen ihre Rechte zustehen. Immer wieder bitten sie uns um Unterstützung. Wir dürfen sie hierbei nicht alleine lassen. ({7}) Für einen erfolgreichen Friedensprozess und zivilgesellschaftlichen Wiederaufbau benötigen wir natürlich auch ausgebildete afghanische Sicherheitskräfte, die die Stabilität im Land gewährleisten können. Da gibt es trotz der ständig eskalierenden Gewalt durchaus Fortschritte. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Sicherheit im Land nicht zuletzt auch für unsere zivilen Helferinnen und Helfer zu wahren und ein Abrutschen in politisches Chaos zu verhindern, ist eine Verlängerung des Resolute-Support-Mandats der NATO mit unseren 1 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort notwendig. Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Jens Kestner für die AfD-Fraktion. ({0})

Jens Kestner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004777, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Besucher auf den Tribünen! Kameraden am Hindukusch! Was wir hier von der Kollegin von der SPD gerade wieder gehört haben, sind hehre Wünsche. ({0}) Ich würde mir wünschen, dass das, was Sie hier geäußert haben, weiterhin Bestand hat; aber das wird nicht passieren. Die Taliban werden wieder an die Macht kommen. Wir hatten 2001 die sogenannte Petersberg-Konferenz, wo man darüber verhandelt hat, wie es in Afghanistan aussehen soll nach der Herrschaft der Taliban. Im Moment ist es aber so, dass man mit den Taliban verhandeln muss. Man verhandelt mit den Taliban. Die Taliban setzen ihre Forderungen durch. Es geht momentan um die Freilassung von 1 500 Kriegsverbrechern und Terroristen in Afghanistan. Die Taliban fordern die Freilassung von 5 000. Die werden auch noch kommen. Die sogenannten Menschen-/Frauenrechte, die Sie hier eben angesprochen haben, ({1}) werden keinen Bestand haben. Denn die Taliban werden dieses Land wieder kontrollieren. Wenn man sich ehrlich macht, hat doch die Salamitaktik, nach der wir diesen Einsatz immer wieder verlängert haben – in der Hoffnung, dass sich irgendetwas bewegt –, letztendlich nur gezeigt: Ohne die Vereinigten Staaten, ohne Trump, sind wir nicht durchhaltefähig, sind wir nicht überlebensfähig in diesem Land. – Das heißt, wir haben 20 Jahre investiert. Wir haben als Deutsche einen hohen Blutzoll gezahlt. Wir haben viel Geld in dieses Land gesteckt und müssen jetzt letztendlich doch erkennen: Die Amerikaner werden abziehen – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche –, und dann werden wir auch abziehen, und dann wird nichts davon übrig bleiben. Herr Otte hat im Ausschuss gesagt: Wir müssen ja unsere erreichten Ziele und andere Sachen und unsere Erfolge erhalten. – Man kann dort nichts erhalten, Herr Otte. ({2}) Die Taliban werden faktisch die Macht wieder übernehmen, und uns wird nichts anderes übrig bleiben, als zu erkennen, dass dieser Einsatz schon gescheitert war, als deutsche Soldaten Afghanistan das erste Mal betreten haben. ({3}) Was auch falsch ist: Peter Struck, der ehemalige Verteidigungsminister, hatte gesagt: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. – Das war damals falsch, und es ist auch heute falsch. ({4}) Man hat die deutsche Bevölkerung getäuscht, als man ihr gesagt hat: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. Wo stehen wir heute? Wir stehen heute da, dass wir abziehen müssen. Es gibt noch nicht einmal eine Exit-Strategie. Die Exit-Strategie, die die Bundesregierung hat, die die Verteidigungsministerin hat, ist „Zusammen rein, zusammen raus“; das ist alles. Auf gut Deutsch: Wenn die Amerikaner mit ihren Fähigkeiten gehen und wir diese Fähigkeiten nicht abbilden können, dann gehen wir auch. – Das ist die ganze Wahrheit. Aber das ist schon seit 20 Jahren die Wahrheit. Warum wird denn das nicht gesagt? Warum haben wir es denn wirklich nie ausgeplant? ({5}) – Natürlich war ich da. ({6}) – Ich kenne aber genügend Kameraden, Herr Otte, ({7}) die da waren und die mir das auch erzählen. Oder wollen Sie denen auch die Fachexpertise absprechen, die beim Karfreitagsgefecht dabei waren, die gekämpft haben, die ihre Kameraden herausgelöst haben? Wollen Sie denen die Fachexpertise absprechen? ({8}) Wenn Sie sie mir absprechen, kann ich es verstehen, politisch. ({9}) Aber sprechen Sie sie nicht diesen Kameraden ab; das ist schäbig, Herr Otte; das geht nicht, das funktioniert nicht. Ich möchte hiermit noch einmal zum Ausdruck bringen: Dieser Einsatz ist gescheitert, und wir sollten nicht mit dem Gedanken spielen, ihn hier noch künstlich weiterzuverlängern unter der Prämisse: Wir haben dort ja Erfolge erreicht. – Wenn man dort Erfolge erreicht hat, dann nur, weil dort Truppen sind. Wenn die Truppen weg sind, werden die Taliban die Macht wieder übernehmen. Es gibt keine Mädchenschulen, ({10}) es wird keine Frauenschulen mehr geben. Es wird nicht so etwas geben wie unser Grundgesetz. Die werden die Scharia dort durchsetzen, und die werden das machen, was sie vor 20 Jahren auch schon gemacht haben. Das muss Ihnen endlich einmal bewusst werden! Sie müssen sich ehrlich machen. Wenn Sie dort Truppen lassen wollen, wenn Sie diesem Land helfen wollen, dann sagen Sie unserem Volk endlich, dass dieser Einsatz nicht 20 und nicht 40, sondern dass er 100 Jahre dauern wird. Das müssen Sie unserem Volk endlich einmal sagen, und nicht – vielen Dank dafür – diese Salamitaktik. Deswegen: Ziehen wir unsere Truppen lieber heute ab als morgen! Danke schön. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundeswehr ist seit rund zwei Jahrzehnten in Afghanistan – ein Einsatz in der Tat mit Höhen und Tiefen, ({0}) der einen tiefen Einschnitt für die Bundeswehr bedeutete, der 59 Bundeswehrsoldaten das Leben gekostet hat und viele an Leib und Leben verwundet hat. ({1}) – Mir kommt es manchmal so vor, als freuten Sie sich geradezu darüber. ({2}) Ich finde es schlicht und ergreifend unverantwortlich, wie Sie mit dieser Frage umgehen. ({3}) Ich finde, es ist angemessen, zu sagen: Es sind nahezu 20 Jahre Einsatz der Bundeswehr mit vielen Opfern. ({4}) Aber wir haben vielen Menschen und insbesondere Frauen und Mädchen in Afghanistan wieder ein halbwegs menschenwürdiges Leben ermöglicht. ({5}) Dafür sollten wir den Soldaten danken und hinter ihnen stehen und nicht alles hier kaputtreden, wie Sie es machen; das wird der Situation nicht gerecht. Natürlich wird sich dieser Einsatz dem Ende zuneigen. ({6}) Wir sehen, dass eine Friedenslösung und ein politischer Prozess notwendig sind; das war immer notwendig. Dafür sind wir immer eingetreten. Natürlich geht das nicht Hals über Kopf.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wadephul, gestatten Sie – –

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne fortfahren, Frau Präsidentin. ({0}) – Ich weiß gar nicht, was persönliche Beleidigungen an der Stelle sollen, Herr Kollege; das ist der Situation ebenso wenig angemessen. ({1}) Wissen Sie, persönliche Verunglimpfungen erhöhen auch nicht das Ansehen des Parlaments. Aber vielleicht geht es ja Ihnen gerade darum. Natürlich sind wir als Deutsche – und das hat nie jemand bestritten – abhängig davon, dass die Vereinigten Staaten von Amerika als Führungsnation diesen Einsatz führen, begleiten, uns unterstützen und auch militärisch Deutschland diesen Einsatz ermöglichen. Aber wir Deutsche sind auch in einer militärisch entscheidenden Funktion; denn wir sind in einer Schlüsselposition für 20 weitere Nationen, die dort im Einsatz sind für genau den Zweck, den ich beschrieben habe. Das heißt, es wird auf Deutschland geschaut, es wird auf die Bundeswehr geschaut, und wir müssen in dieser Situation auch unserer Verantwortung gerecht werden. Viele Nationen brauchen Deutschland, brauchen deutsche Soldaten mit ihren Fähigkeiten. Deswegen ist Deutschland in einer Schlüsselposition für weitere, insbesondere europäische Nationen, die Seite an Seite mit unseren Soldaten dort im Einsatz sind, und dieser Verantwortung sollten wir gerecht werden. ({2}) – Das ist auch kein Selbstzweck, Herr Kollege Hampel. Es geht nach wie vor darum – ganz schlicht und einfach, aber so direkt –, ({3}) gegen Terrorismus zu kämpfen. ({4}) Wir haben jahrzehntelang al-Qaida bekämpft. Wir haben den Einfluss von al-Qaida reduziert, und wir haben es vielen Menschen in Afghanistan ermöglicht, eine neue Gesellschaft aufzubauen. ({5}) Das Afghanistan von vor 20 Jahren hat sich gewandelt. Wir haben es ermöglicht, dass Zivilisation in dieses Land zurückgekehrt ist, und das ist nach wie vor sinnvoll, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Ich möchte an das, was die Kollegin Özoğuz gesagt hat, anknüpfen: Wir haben etwas erreicht, insbesondere bei den Rechten von Frauen und Mädchen, die wirklich in einer Art und Weise verletzt worden sind, wie man es zuletzt vielleicht im Mittelalter auch in unseren Breitengraden erlebt hat. Natürlich muss das dauerhaft gesichert werden, natürlich muss das auch Bestandteil des afghanischen Friedensprozesses zwischen Regierung und Taliban sein. Die Taliban haben sich übrigens auch gewandelt. ({7}) Für diejenigen, die fachkundig sind: Die Taliban sind nicht mehr dieselben wie vor 20 Jahren. ({8}) Ein Friedensprozess wird nur dann möglich sein, wenn wir ihn militärisch weiter absichern. Wenn wir jetzt Hals über Kopf das Land verlassen, wird der Friedensprozess in der Tat kaputt sein. ({9}) Das kann nicht unser Ziel sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({10}) Ich möchte darauf hinweisen: Dieser Einsatz ist nach den Anschlägen 2001, Nine Eleven, begonnen worden. Unsere amerikanischen Bündnispartner hinterfragen ja manchmal auch kritisch, ob wir alle Bündnisverpflichtungen erfüllen – Stichwort „2-Prozent-Ziel“ –, ob wir den notwendigen Verteidigungsbeitrag hier in der NATO, aber insgesamt auch als Deutsche leisten. Das, finde ich, können wir unseren amerikanischen Freunden schon auch mit Selbstgewissheit und mit Selbstbewusstsein sagen: Wir sind, als Artikel 5 des NATO-Vertrags zum ersten Mal ausgelöst worden ist, da gewesen, und wir sind nach wie vor da. Das zeigt: Wir Deutsche sind verlässlich im Bündnis; auf uns kann man sich verlassen. ({11}) Daraus leiten wir aber auch ab, dass jetzt nicht aus wahlkampftaktischen Gründen – das sagen wir auch dem amerikanischen Präsidenten mit ebendiesem Selbstbewusstsein – ein Rückzug begonnen werden kann, der diesen Friedensprozess infrage stellt. Nicht Geschwindigkeit oder Wahlkampfinteressen dürfen jetzt im Vordergrund stehen, sondern es muss um die Sicherung des Erreichten in Afghanistan gehen. Dafür steht Deutschland. ({12}) Die Erfolge, die wir vorweisen können, haben wir vielen Soldatinnen und Soldaten zu verdanken, die dort in den Einsatz gegangen sind. 59 haben bedauerlicherweise ihr Leben verloren – an sie sollten wir auch in dieser Stunde denken –, viele sind verletzt an Körper und Seele. Aber es wurde auch sehr viel erreicht. Viele haben auch positive Beziehungen zu den Kameraden der afghanischen Streitkräfte geknüpft – auch denen sollten wir dankbar sein –, haben auch in das Land viele erfolgreiche Beziehungen geknüpft. ({13}) Unser Einsatz ist wie immer ein vernetzter, er ist nicht nur militärisch, er ist politisch, er dient dem Aufbau einer guten Verwaltung in dem Land, er dient auch dem wirtschaftlichen Aufbau dieses Landes. Deswegen sage ich, meine sehr verehrten Damen und Herren: Es geht jetzt darum, weiterhin Verantwortung wahrzunehmen und nicht orientierungslos wegzulaufen. Es geht darum, den Friedensprozess zu sichern, ihn zu konditionieren und insgesamt der Welt zu sagen: Deutschland ist, wenn es um Menschenrechte geht, wenn es um Frauenrechte geht, wenn es darum geht, einen Rechtsstaat aufrechtzuerhalten und gegen Terrorismus zu kämpfen, ein verlässlicher Partner. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt uns heute ein Mandat für Afghanistan mit einem Mandatstext vor, den sie uns jedes Jahr vorlegt. Leider ist der Text von diesem Jahr tatsächlich der vom letzten Jahr. Es ist ein Mandatstext, der die aktuellen politischen Entwicklungen in Afghanistan nicht berücksichtigt, ein Mandatstext, der die aktuellen Entwicklungen in der Sicherheitslage in Afghanistan nicht berücksichtigt. Wir als Freie Demokraten wollen, dass die Erfolge und die Misserfolge des Mandats umfassend evaluiert werden. Das passiert hier nicht. ({0}) Wir wollen, dass hier auch eine Exit-Strategie angegeben wird. Die gibt es hier nicht. Das kritisieren wir. ({1}) Wir haben diesen Einsatz unter dem Credo begonnen: gemeinsam rein, gemeinsam raus. Wir beobachten jetzt, dass die Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan massiv reduzieren. Das ist natürlich etwas, woraus auch wir Schlüsse ziehen müssen. Auch wir brauchen jetzt in diesem Mandatstext eine schrittweise Reduzierung unserer Truppenkontingente; diese müssen wir hier abbilden. Das findet sich hier nicht. Die Regierung hat sich nicht die Mühe gemacht, den Mandatstext der Realität anzupassen. Das finde ich eine Zumutung. ({2}) Wir haben hier keine Abzugsstrategie. Wir haben hier in diesem Mandatstext keinen Plan B. Wir haben keine schrittweisen Reduktionsmöglichkeiten für unsere Truppenstärke berücksichtigt. Wegen dieser schweren Fehler haben wir als Freie Demokraten einen Entschließungsantrag eingebracht, der diese Mängel beheben soll. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Wir haben in Afghanistan eine neue Situation. Wir haben einen Deal zwischen den USA und den Taliban. Ich nenne es bewusst einen Deal. Es ist eben kein Friedensvertrag. Dieser Deal hat das Ziel, dass sich Afghanistan in Zukunft selbst verwaltet. Dieser Deal hat das Ziel, dass von Afghanistan kein Terrorismus mehr ausgeht. Dieser Deal hat auch das Ziel, dass die Verbündeten Afghanistan gesichtswahrend verlassen. Das soll in den nächsten anderthalb Jahren passieren. Dafür müssen wir mit diesem Mandat Rechtssicherheit schaffen. Der Mandatstext ist dafür leider nur teilweise geeignet. Wir als Freie Demokraten wollen unseren Soldaten hier und heute aber auch den Rücken stärken. Wir wollen sie nicht in einer rechtlichen Unsicherheit lassen. Deswegen wird meine Fraktion heute diesem Mandat mehrheitlich zustimmen. Ich sage Ihnen ganz klar: Es ist das letzte Mal, dass wir diesem Mandatstext unter diesen Rahmenbedingungen zustimmen werden. Ich hoffe, dass wir dann, wenn wir uns heute in zwölf Monaten wieder hier treffen, ein Mandat haben, das den endgültigen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan zum Inhalt hat. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, den Skandal kann man nicht deutlich genug formulieren: ({0}) Wir kriegen einen Mandatstext vorgelegt, der genau der gleiche ist wie vor einem Jahr, und die politische Situation hat sich grundlegend verändert. Das, was die Bundesregierung hier vorlegt, ist unzureichende Arbeit. Das geht überhaupt nicht. ({1}) Es gibt vor Ort Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban. Es gibt ganz konkrete Zeitpläne. Man muss sich das mal vorstellen: Wir bekommen einen Mandatstext, der über die Vereinbarungen vor Ort hinausgeht. Wie unseriös arbeiten Sie hier eigentlich? Das geht so überhaupt nicht. ({2}) – Das stimmt überhaupt nicht. Wir sind sehr dafür, dass dieser Abzug jetzt endlich eingeleitet wird. Wir begrüßen das ausdrücklich. ({3}) Nur, was die Bundesregierung hier macht, ist, dass sie einfach ganz normal weiterplant; das Murmeltier lässt grüßen. Es kommt immer wieder das Gleiche. ({4}) Ich kann nur sagen: Die politische Situation vor Ort hat sich ziemlich verändert. Wir haben die Situation, dass sich im Moment gerade zwei Männer zum Präsidenten erklärt haben, Herr Ghani und Herr Abdullah. Die Wahlbeteiligung war sehr, sehr niedrig. Das, worauf das Ganze beruht, ist eine sehr dünne Basis. Es haben Verhandlungen stattgefunden, an denen die afghanische Regierung kaum beteiligt war. Insbesondere die afghanische Zivilgesellschaft war daran nicht beteiligt. Wir wollen wissen: Welche konkrete Rolle werden in Zukunft die Taliban spielen? Ich kann nur klar sagen: In einer solchen Situation genau den gleichen Mandatstext vorzulegen, ist geradezu skandalös. ({5}) Die Situation der Zivilbevölkerung hat sich eben nicht verbessert. In weiten Teilen von Afghanistan ist die Situation für die Bevölkerung desaströs. Dann davon zu reden, wie Sie es gerade gemacht haben, Herr Wadephul, die Situation insbesondere für Frauen sei jetzt deutlich besser, geht an der Realität in Afghanistan völlig vorbei. ({6}) Wir sind der Meinung: Es muss einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan geben, und zwar so schnell wie möglich. Aber er muss seriös geplant werden. Diese Bundesregierung macht hier keine seriöse Planung, im Gegenteil. Interessant ist, was die FDP vorgelegt hat. Dieser Entschließungsantrag ist überraschend gut. Allerdings haben Sie in dem Entschließungsantrag, den Sie vorgelegt haben, geschrieben, dass ausschließlich mit den Partnern von Resolute Support über den Abzug verhandelt werden soll. Ich kann nur klar sagen: Nein, auch mit den afghanischen Akteuren muss verhandelt werden. Es geht um Afghanistan. Deshalb: Ein Abzugsplan selbstverständlich mit der Regierung, mit den Akteuren vor Ort in Afghanistan! Deshalb werden wir Ihren Entschließungsantrag ablehnen. ({7}) Abschließend: Die Situation in Afghanistan ist so, dass wir uns bestätigt sehen: 19 Jahre Krieg, 19 Jahre ein falscher Bundeswehreinsatz, eine desaströse Situation. Wir sind dafür, dass die Bundeswehr abgezogen wird und dass die Bundesregierung endlich mal ihren Job macht und ein vernünftiges Abzugskonzept vorlegt. Das liegt nicht vor. Wir sagen: Die Bundeswehr muss abgezogen werden. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pflüger, man kann zum Einsatz stehen, wie man will. Aber der Krieg begann nicht damit, dass die Bundeswehr nach Afghanistan gekommen ist, sondern spätestens mit dem Einmarsch der Roten Armee in den 70er-Jahren. ({0}) Ich selber war vor wenigen Wochen in Afghanistan und hatte die Gelegenheit, mit den Soldatinnen und Soldaten zu sprechen. Ich möchte ihnen für ihren Dienst herzlich danken. Was hier immer zu kurz kommt, ist der große Dank für unsere Diplomatinnen und Diplomaten, die Entwicklungshelferinnen und ‑helfer. ({1}) Auch die Polizistinnen und Polizisten leisten ihren Dienst dort unter Lebensgefahr. Auch dafür einen herzlichen Dank! ({2}) Ich hatte nicht nur die Möglichkeit, mit unseren Leuten zu sprechen, und nicht nur die Gelegenheit, mit der Administration zu sprechen, sondern auch die Gelegenheit, mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft zu reden, einer Zivilgesellschaft, die zumindest in Kabul vital ist ({3}) und die in erster Linie von freiheitsliebenden Frauen getragen wird. Ich kann Ihnen versichern: Die Sorge, die bei ihnen umgeht, ist immens. Diese Sorge hat viele Gründe. Wenn wir über die Zukunft von Afghanistan sprechen, ist der Kern des Problems das fehlende Vertrauen der Menschen in die eigene Staatlichkeit, ein Vertrauen, das die Menschen schon mal gewagt haben. Vor sechs Jahren gab es Präsidentschaftswahlen. Damals sind die Menschen in Scharen zur Wahl gegangen, obwohl es Bombendrohungen gegeben hat, obwohl es Anschläge auf Wahllokale gegeben hat. Dieses Vertrauen ist auf sehr viele Art und Weise enttäuscht worden. Der letzte traurige Höhepunkt vor wenigen Tagen war, dass es eine doppelte Vereidigungsprozedur zweier Herren gegeben hat, die das Vertrauen wirklich verspielt haben. Obendrein kamen noch die Angriffe von Dschihadisten während dieser Vereidigung. In dieser Situation haben die Menschen selbstverständlich große Sorgen. Sie haben Angst. Diese Angst kann ich ihnen nicht absprechen. Schauen wir uns an, was die Amerikaner gerade verhandelt haben. Die Amerikaner haben mit den Taliban verhandelt, was zwei Nebeneffekte hat, die man sehen muss. Der eine Effekt ist, dass die Autorität der legitimen Regierung in Afghanistan dadurch, dass sie bei den Verhandlungen der Amerikaner überhaupt nicht berücksichtigt worden ist, noch mehr unterminiert worden ist. Der zweite Effekt ist, dass diese Verhandlungsergebnisse der Amerikaner vieles beinhalten, aber eines nicht, nämlich rote Linien, um die Rechte der Zivilgesellschaft in Afghanistan zu schützen, die bereit ist, für diese Rechte tatsächlich zu kämpfen. Diese Zivilgesellschaft hat die letzten Jahre sehr viel gelitten, um diese Rechte zu bekommen. In dieser Situation halte ich es für notwendig, ein klares Signal der Solidarität zu senden. Wir haben – auch in meiner Fraktion ‑viele Gründe, dem Afghanistan-Mandat nicht zuzustimmen. Aber unabhängig davon, wie wir zu diesem Einsatz und zur Frage der Abzugsperspektive stehen, ist es offensichtlich, dass die Menschen in Afghanistan weiterhin unsere Hilfe brauchen, gerade beim weiteren Staatsaufbau, noch mal: unbenommen von der Bundeswehr. Es geht darum, ihnen dort beizustehen. Das sage ich nicht nur, weil die Menschen in Afghanistan nächste Woche hoffentlich halbwegs Frieden finden werden, um ein wenig ihr Neujahrsfest feiern zu können, sondern auch deswegen, weil wir diesen Menschen verpflichtet sind. Zu dieser Solidarität, zu der wir verpflichtet sind, gehört allerdings nicht, gerade in diesen Zeiten, in all der Aufregung, in all dieser Unsicherheit, einfach weiterhin Massenabschiebeflüge nach Afghanistan zu schicken, als wäre nichts passiert. So wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nils Bruns, Robert Hartert, Martin Augustyniak: Es ist fast genau zehn Jahre her, dass diese drei Fallschirmjäger aus Seedorf nahe dem Dorf Isa Khel in der Region Kunduz in dem bis dahin härtesten Gefecht in der Geschichte der Bundeswehr im Kampf gefallen sind. Das sogenannte Karfreitagsgefecht steht heute symbolisch für die großen Anstrengungen der Bundeswehr und die großen Opfer, die sie in fast zwei Jahrzehnten des Einsatzes in Afghanistan gebracht hat. Angesichts der voraussichtlich vorletzten Mandatsverlängerung denken wir an sie, in Trauer, Respekt und Dankbarkeit. ({0}) Afghanistan hat die Bundeswehr geprägt. Die Afghanistan-Erfahrung hat eine ganze Generation von Soldaten und Soldatinnen definiert, die für die Bundeswehr der Gegenwart stehen, die sie gestalten und die durch Ausbildung und Führung auf die nächste Generation wirken. Und in ihrem Schutz und dem unserer Partner und Verbündeten ist auch eine Generation junger Afghanen und Afghaninnen herangewachsen, auf deren Willen und auf deren Mut zu Frieden und Freiheit wir an der Schwelle einer neuen Phase für dieses gebeutelte Land hoffen dürfen. Denn jeder Krieg geht irgendwann zu Ende, und dieser endet hoffentlich in den kommenden Monaten. Die Vereinbarung zwischen den Taliban und den USA hat die Lage im Land grundlegend verändert. Der Abzug der amerikanischen Streitkräfte beginnt. Für die Bundeswehr bedeutet das: Auch wir werden im Verlauf dieses Mandats mit der Rückverlegung beginnen. Der Grundsatz „Zusammen rein, zusammen raus“ gilt, sowohl aus politischen wie aus militärischen Gründen und aus Gründen der Sicherheit. ({1}) Dass wir notwendige Schritte auf der Grundlage eines unveränderten Mandats einleiten werden, ist ein Gebot der Vernunft. ({2}) Denn es gibt keine Garantie, dass der Friedensprozess im Sinne der Vereinbarung ohne Rückschläge verlaufen wird oder dass er überhaupt den angestrebten Erfolg bringen wird. Der unveränderte Rahmen des Mandats gibt der Bundeswehr die notwendige Flexibilität und Handlungsfreiheit, um auf unerwartete Lageänderungen angemessen reagieren zu können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Felgentreu, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, die gestatte ich nicht. – Die Kritik daran richtet sich an Formalien aus; sie ist kleingeistig, und sie verkennt die Größe des Augenblicks. ({0}) Der Afghanistan-Einsatz, der größte Einsatz in der Geschichte der Streitkräfte unserer freien Republik, gelangt jetzt wirklich an seinen Abschluss. Wir sind es Nils Bruns, Robert Hartert, Martin Augustyniak und all den anderen schuldig, die in Afghanistan im Auftrag dieses Hauses ihr Leben oder ihre Gesundheit gelassen haben: Wir sind es ihnen schuldig, dass wir diesen Einsatz geordnet und sicher zu Ende bringen. ({1}) Meine Damen und Herren, bitte stimmen Sie mit der SPD-Fraktion dem Antrag der Bundesregierung zu. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Heike Hänsel das Wort. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Felgentreu, ich möchte eigentlich meine Frage auch an die Koalitionsfraktionen stellen, an alle, die 2001 dem Einsatz im Afghanistan-Krieg zugestimmt haben. Das ist jetzt 19 Jahre her. Sie haben an die getöteten Soldaten erinnert, und das ist auch wichtig. Die Trauer ist bei uns allen da. Dass aber niemand in der Debatte mit einem Satz die vielleicht 10 000 bis 100 000 getöteten Zivilisten erwähnt, dass niemand einen Satz über Kunduz verliert, ein Massaker, an dem die Bundeswehr beteiligt war – über 100 getötete Zivilisten in Kunduz, und es gab hier nie eine Gedenkfeier für diese Opfer; darüber wird kein Wort verloren –, und dass jetzt, nach 19 Jahren, die Taliban wieder an die Regierung kommen, wegen denen Sie diesen Krieg in Bündnistreue vom Zaun gebrochen haben, und hier nur die Bündnistreue erwähnt wird, das ist wirklich ein Tiefpunkt unserer Diskussion hier über Afghanistan. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Hänsel, dass der Kollege Pflüger hier nicht die Rede gehalten hat, die Sie gehalten hätten, das müssen Sie innerhalb der Linkenfraktion miteinander austragen. ({0}) Ich will hier nur auf eines hinweisen: Es hat mich geärgert, dass Sie dieses Mandat mit einer an den Haaren herbeigezogenen Begründung ablehnen wollen und dabei gleichzeitig so tun, als hätten Sie irgendein anderes Mandat jemals angenommen. Darauf kann man sich bei den Linken ohnehin nicht verlassen. Insofern ist Ihr Beitrag zu dieser Debatte auch vergleichsweise entbehrlich gewesen. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Soldatinnen und Soldaten! Afghanistan braucht Deutschland weiterhin an seiner Seite. Wir müssen ein verlässlicher Partner sein, und wir haben gerade wieder erlebt, dass Verlässlichkeit auf internationaler Ebene mit der Linkspartei sicherlich nicht zu machen ist. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist besonders in der jetzigen Phase wichtig, in der es eine Chance auf Frieden zu geben scheint, in der es aber auch Ungewissheit im Land gibt, dass Afghanistan weiter unsere Partnerschaft genießt. Vor 19 Jahren haben wir auf der Petersberger Konferenz ein Signal gesetzt: das Signal, dass wir an der Befriedung und Stabilisierung Afghanistans mitwirken wollen und mitwirken werden. Seitdem haben unsere Soldaten und Soldatinnen mit hohem Einsatz am Hindukusch gekämpft und afghanische Kräfte ausgebildet. Nur durch diesen Einsatz und das Engagement unserer internationalen Partner ist es möglich geworden, dass aus dem Land heute keine Gefahr mehr für unsere Sicherheit ausgeht und dass sich in Afghanistan Zivilgesellschaft, staatliche Institutionen und Infrastruktur entwickeln können. Unser Engagement dort war und bleibt wichtig. Unseren Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten und den vielen zivilen Kräften möchte ich für diesen schweren Einsatz aufrichtig danken. ({1}) Meine Damen und Herren, gemeinsam mit den Afghanen haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten vieles erreicht. Jedem Kritiker muss klar sein, dass es den Menschen dort heute besser geht als noch vor 20 Jahren. Ich wiederhole es noch mal, weil es nicht alle im Haus verstanden haben: Frauen können sich am öffentlichen Leben beteiligen. Wir haben mehr Kinder, insbesondere Mädchen, die in die Schule gehen. Es haben sich eine widerstandsfähige Zivilgesellschaft und Presselandschaft herausgebildet. Es gibt ein Hochschulwesen, das sich rasant entwickelt hat. Diese Erfolge, meine Damen und Herren, lassen wir uns nicht kleinreden und nicht kaputtreden. ({2}) Das sind Erfolge, die auf einer Sicherheitsbasis durch militärisches Engagement gründen. Das sind aber auch Erfolge unseres zivilen Engagements im Lichte unseres vernetzten Ansatzes. Unsere politischen Stiftungen, die GIZ, aber auch der DAAD, das Goethe-Institut und andere haben diesbezüglich über lange Strecken Beeindruckendes geleistet. Wir müssen in dieser heiklen Phase jetzt bewahren, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten in Afghanistan erreicht haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute für eine Verlängerung des Einsatzes stimmen. In den anstehenden innerafghanischen Verhandlungen braucht das Land Kontinuität und Stabilität von internationaler Seite. Wir dürfen jetzt nicht ein weiterer Faktor für Unsicherheit sein, sondern müssen vor Ort unterstützen. Die drei zentralen Ziele bleiben weiterhin, dass Afghanistan nicht in die dunkle Zeit der Talibanherrschaft zurückfallen darf, dass von Afghanistan kein internationaler Terrorismus mehr ausgehen darf und dass durch Stabilität und gesellschaftlichen Frieden Vertreibung und Flucht aus Afghanistan beendet werden können. ({3}) Eines ist klar: Nur wenn die anstehenden Verhandlungen erfolgreich sind, werden wir uns aus dem Land militärisch zurückziehen. Das ist ganz klar an Konditionen geknüpft. Bis dahin gibt das vorliegende Mandat der Bundeswehr den Spielraum und die Flexibilität, auf die Entwicklungen in Afghanistan und im Bündnis angemessen zu reagieren. Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu dem Mandat. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe demokratischen Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beraten wir abermals die Verlängerung des Mandates für die Operation Sea Guardian um ein weiteres Jahr. Ich bitte Sie im Namen der SPD-Fraktion um Unterstützung für dieses Vorhaben. Die NATO-geführte Operation Sea Guardian dient vor allem dem Schutz von Menschenleben im Mittelmeerraum und der Bekämpfung von Terrorismus und terroristischen Aktivitäten. Es geht dabei um Informationsaustausch, um Kapazitätsausbau und um die Ertüchtigung der Staaten im Mittelmeerraum. Ferner gehören zu den Aufgaben von Sea Guardian eine Lagebilderfassung und die Seeraumüberwachung. Und ja, es geht um die Bekämpfung von Menschenhandel und um die Unterbindung von Waffenschmuggel und Schleppertum. Zum Einsatz kommen dabei etwa, ganz besonders für die Aufklärung, AWACS-Flugzeuge und vor allem die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ mit maximal 650 Soldatinnen und Soldaten. Ich bin gerade diesen Soldatinnen und Soldaten für ihre wichtige Mission ausgesprochen dankbar, die sie insbesondere in der Straße von Gibraltar verrichten. ({0}) Sie leisten dort nämlich Enormes. Es ist auch gut, dass die Bundeswehr hier zugegen ist; denn ihre Kapazitäten sind erforderlich. Dabei gilt es etwa, Führungsunterstützung und Aufklärung zu leisten und auch Unterstützung bei Ausbildung und Transport zu gewähren. Es ist eine eminent wichtige Kooperation mit anderen Staaten, etwa Australien und Georgien oder auch den Anrainerstaaten am Mittelmeer Jordanien und Marokko. Wer den Antrag der AfD liest, der weiß, dass die Herren und Damen von der AfD immer noch nicht verstanden haben, dass es im Mittelmeerraum darum geht, nicht weniger, sondern mehr internationale Solidarität zu leisten. Internationale Solidarität, meine Herren und Damen, ist doch das Gebot der Stunde, und nicht immer nur das Verweisen auf Aufgaben, von denen wir uns zurückziehen sollten. ({1}) Wie gesagt, Ihr Antrag könnte auch lauten: Es ist Mist dort vor Ort, aber den Mist überlassen wir den anderen. – Nein, das ist keine gute Haltung für die deutsche Bundeswehr. ({2}) Deshalb gehört der Dank auch denjenigen, die dort ihre Aufgabe verrichten. Was aber hat sich seit der Mandatserteilung, die wir im letzten Jahr vorgenommen haben, verändert? Es gab eine Reihe von Kritikpunkten, als wir – daran kann ich mich gut erinnern – die Debatte in diesem Hohen Hause geführt haben, insbesondere Kritik von der Linken daran, wie die libysche Küstenwache sich verhielt. Ich will deshalb ganz deutlich machen: Seitdem hat sich deutlich etwas verändert, ganz besonders mit Blick auf die Libyen-Konferenz, die hier stattgefunden hat und die ja doch auch positive Zeichen gesetzt hat. Man kann alles infrage stellen; das dient aber nicht dem Friedensprozess und den Erfolgen, die es hier gibt. Ich will auch daran erinnern, dass wir schon im September 2019 an Konsultationsprozessen der UN mit dem Sondergesandten Salamé mitgearbeitet haben und dass insbesondere die Libyen-Konferenz hoffen lässt, dass im Mittelmeerraum irgendwann Frieden eintritt. Gerade was den Blick auf Libyen angeht, ist dies ganz besonders wichtig. Ich darf Sie deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz eindringlich bitten, dem Mandat zuzustimmen. Solidarität ist das Gebot der Stunde, insbesondere internationale Solidarität. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Jan Nolte für die AfD-Fraktion. ({0})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Operation Sea Guardian soll heute also zum vierten Mal verlängert werden. Sea Guardian ist ein relativ ungefährlicher Einsatz, der bisher zum Glück weder einem Bundeswehrsoldaten das Leben gekostet hat noch mit besonders immensen Kosten zu Buche schlägt. ({0}) In der Regel wird das Mandat ja von Einheiten wahrgenommen, die sich aufgrund anderer Aufträge ohnehin im Mittelmeer befinden und zum Beispiel auf dem Weg zu einem Einsatz oder einer Übung sind. Ein Mandat, das 3,2 Millionen Euro kostet, mag ein günstiges Mandat sein, aber auch hier haben wir die Verantwortung, uns zu fragen, ob diese 3,2 Millionen Euro sinnvoll ausgegeben werden. Der Auftrag der Operation Sea Guardian ist die Bekämpfung von Terrorismus und Waffenschmuggel im Mittelmeer, und wenn wir mal ganz ehrlich sind, dann weiß doch jeder Fachpolitiker, der jetzt hier sitzt, dass wir keinen Terrorismus im Mittelmeer haben und dass der Waffenschmuggel vor allen Dingen über den Land- und den Luftweg erfolgt. ({1}) Wichtige Beobachtungen könnten unsere Schiffe auch ohne Sea Guardian melden. Wir haben auch die Standing NATO Maritime Group 2 im Mittelmeer. Sea Guardian brauchen wir nicht. Im Rahmen von Sea Guardian wurden in dreieinhalb Jahren weder Waffen gefunden noch Terroristen gefangen. Deswegen werden wir von den Befürwortern dieses Einsatzes auch vor allen Dingen Allgemeinplätze über die Wichtigkeit sicherer Seehandelswege, die Bekämpfung von Terror und die sicherheitspolitischen Verwerfungen in der Welt hören. Am Ende wird dann den Soldaten für ihren Dienst gedankt und das Mandat ein weiteres Mal beschlossen werden. Die Mehrheiten sind ja ohnehin klar. Auch ich bin unseren Soldaten dankbar für das, was sie leisten, und auch für ihre treue Pflichterfüllung in den Einsätzen, vor denen ich sie lieber bewahrt hätte. ({2}) Aber, liebe Redner von SPD und CDU/CSU, drücken Sie unseren Bundeswehrsoldaten heute doch mal Ihre Wertschätzung aus, indem Sie erklären, warum wir jetzt seit fast 20 Jahren – wenn man die Vorgängermission dazurechnet – im Mittelmeer einen Feind jagen, der gar nicht existiert! Erklären Sie unseren Soldaten, warum in fast 20 Jahren Terroristenjagd im Mittelmeer noch nie ein Terrorist gefunden wurde ({3}) und warum es in fast 20 Jahren noch keine nennenswerten Waffenfunde gegeben hat! ({4}) Erklären Sie, warum wir uns hier für 3,2 Millionen Euro einen Einsatz leisten, der keinen Effekt hat, und das Geld nicht für Schutzwesten oder Helme ausgeben oder es den Familienbetreuungszentren geben! ({5}) – Melden Sie sich! Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, dann helfe ich Ihnen gerne, Frau De Ridder. ({6}) Die Pflicht des Soldaten ist es, die Aufträge des Parlamentes auszuführen, aber das Parlament hat dann auch die Pflicht, sich genau zu überlegen, welche Aufträge erteilt werden. ({7}) Dass Sea Guardian die Nachfolgemission der Operation Sophia und damit die nächste potenzielle Brücke über das Mittelmeer unterstützen soll, ist ein weiterer guter Grund, diese Mission abzulehnen. Sea Guardian muss heute beendet werden! ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind gerade Zeugen einer Rede geworden, in der der Antragsteller nicht einmal den Kernsatz seines Antrags eingebracht hat. Man muss mal in den Antrag des Vorredners schauen. Da steht gleich im dritten Satz des ersten Absatzes ein versteckter Aufruf zum Bruch des internationalen Völkerrechts, nämlich die Seenotrettung nicht zu leisten. ({0}) Das ist ein Punkt, der hier verschwiegen und gar nicht angesprochen wird. Das müssen wir auch der Öffentlichkeit deutlich machen. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kollegin Daniela De Ridder hat die Grundzüge der Mission sehr klar dargelegt. Ich möchte drei Aspekte herausgreifen: Erstens. Neben der Terrorbekämpfung erhalten wir bei dieser Mission ein sehr gutes Lagebild von dem Seeverkehr in dem Meer, das den meisten Seeverkehr überhaupt auf allen Weltmeeren aufzuweisen hat. Allein das ist ein Grund, diese Mission aufrechtzuerhalten. Zweitens dient sie auch als Ausbildungsplattform – nicht nur für die Mittelmeeranrainer im Süden, sondern auch Länder wie Jordanien oder Georgien haben sich bereits an der Mission beteiligt. Ein drittes Argument – Staatsminister Annen hat dies bei der letzten Debatte auch sehr klar vorgetragen –: Hier geht es darum, in der Nachfolgemission der Operation Sophia – „Irene“, wenn sie denn beschlossen wird – mitzuhelfen, dass Waffenschmuggel unterdrückt wird, aber auch, sofern wir gefordert sind, im Rahmen der Seenotrettung Unterstützung zu leisten. Alle drei Aspekte zusammen zeigen, wie diese Mission neben der Terrorbekämpfung auch einen Beitrag zur Stabilisierung im Mittelmeerraum leisten kann. Mir persönlich ist auch aus eigener Erfahrung das Thema „Ausbildung und Informationsteilung gerade mit den südlichen Mittelmeeranrainern“ wichtig, damit wir zeigen: Kooperative Sicherheit findet auch auf See und nicht nur in irgendwelchen Hörsälen statt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der zeigt, wie wir als Parlament und als Bundesregierung in der Lage sind, auch Auslandseinsätze anzupassen. Wenn wir in das Jahr 2002 – seit 18 Jahren gibt es diese Mission – zurückblicken, dann sehen wir, dass das ein Artikel-5-Einsatz war, ein sehr robuster Einsatz. Es ist der Bundesregierung und uns Parlamentariern zu verdanken, dass wir seit dem Jahr 2012 darauf gedrungen haben, die Mission nicht aufzugeben, sondern umzuwidmen und aus einer Artikel-5-Mission eine Überwachungs- und in Teilen auch Ausbildungsmission zu machen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man aus einer Artikel-5-Operation eben auch kooperative Sicherheit entwickeln kann: indem man Krisen vorbeugt und vor allen Dingen präsent ist, bevor Krisen entstehen. ({3}) In diesem Sinne werbe ich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dafür, diese Mission fortzusetzen. Ich bitte das ganze Hause um Zustimmung und danke allen, die an diesen Missionen bisher teilgenommen haben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Ulrich Lechte das Wort. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Die NATO-Operation Sea Guardian ist eine vielseitige Mission mit einem großen Aufgabenspektrum und einem sehr großen Operationsgebiet, dem gesamten Mittelmeer. Dieses sehr flexible Mandat wurde in diesem Hause schon verschiedentlich kritisiert, weil es zu ausschweifend und zu unkonkret sei. Aber diese Anpassungsfähigkeit eines Mandats kann auch eine Stärke sein. Zumindest eine kluge Bundesregierung könnte ein solches Mandat nutzen, um schnell und flexibel auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. ({0}) Aktuell hätten wir einen solchen Fall, bei dem die Bundesregierung zeigen könnte, wie geschickt sie mit einem solch anpassungsfähigen Mandat umgehen kann. Aber sie ist den Beweis, dass sie dies kann, bisher leider schuldig geblieben. Lassen Sie mich erklären, was ich damit meine: Am 19. Januar dieses Jahres fand hier in Berlin die Libyen-Konferenz statt. Die Teilnehmer hatten sich auf eine Vereinbarung verständigt, durch die die Einmischung von außen in den Libyen-Krieg beendet und ein Friedensprozess ermöglicht werden sollte. ({1}) Zu der Vereinbarung gehört auch eine Bekräftigung des bereits bestehenden UN-Waffenembargos gegen Libyen. Am 12. Februar hat dann der UN-Sicherheitsrat bei Enthaltung Russlands eine solche Resolution beschlossen. Damit hat also auch der UN-Sicherheitsrat erneut das geltende Waffenembargo bekräftigt. So weit, so gut. Auf diplomatischem Parkett hat Deutschland eine gute Figur hingelegt. Aber was sind diese Beschlüsse wert, wenn sie nicht umgesetzt werden? Das Waffenembargo wird weiterhin gebrochen, und wir tun nichts dagegen, obwohl die Bekämpfung von Waffenschmuggel zum Aufgabenspektrum von Sea Guardian gehört. Man höre und staune! Im Mandatstext wird zwar auch die Kooperation mit der EU-Operation Sophia, die es momentan ja eigentlich nicht mehr gibt, und einer möglichen Folgemission erwähnt – danke, Roderich, dass du „Irene“ schon erwähnt hast –, wir wissen aber auch, dass die Österreicher nicht sonderlich glücklich mit dieser Mission sind. Jetzt frage ich hier im Hohen Haus: Wo ist denn die Logik, eine Mission für etwas aufsetzen zu wollen, wofür wir bereits eine Mission haben? Wenn Sea Guardian in der Lage ist, Waffenschmuggel zu unterbinden: Für was brauche ich eine Folgemission für die EU-Operation Sophia? Warum verlegen wir nicht einfach Boote der Sea-Guardian-Mission vor Libyen, um diese Mission Sea Guardian das tun zu lassen, was sie tun soll, nämlich den Waffenschmuggel unterbinden? Das wäre doch mal eine wunderbare Lösung. ({2}) Ich hoffe, dass ich der Bundesregierung jetzt einen Dienst erwiesen habe, indem ich sie auf diese Möglichkeit hingewiesen habe. Sie wissen ja: Die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ ist im Rahmen von Sea Guardian unterwegs. Vielleicht wäre es – selbstverständlich in Absprache mit den Partnern – sinnvoll, diese Fregatte einfach aus der Ägäis abzuziehen, sie direkt vor Libyen zu positionieren und dafür zu sorgen, dass keine zusätzlichen Waffen mehr, von wem auch immer – seien sie aus der Türkei oder woher auch immer –, in den libyschen Bürgerkrieg kommen. Das wäre doch mal was. ({3}) Ich hoffe, lieber Niels, du nimmst diese Position mit und überbringst sie deiner Obersten Heeresleitung; die Bundesverteidigungsministerin ist auch da. Was wäre es doch für ein toller Erfolg der deutschen Außenpolitik, wenn wir den Partnern zeigen, wie wir als Mitglied die Resolutionen des Sicherheitsrates entsprechend umsetzen können. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Bundestag soll heute erneut dem Mandat für den Bundeswehreinsatz im Rahmen der NATO-Operation Sea Guardian im Mittelmeer zustimmen. Seit den Anschlägen auf das World Trade Center vor 19 Jahren bekämpft die NATO im Mittelmeer angeblich den Terrorismus und den Waffenschmuggel. Natürlich sind die Seewege im Mittelmeer wichtig für die zivile Schifffahrt. Aber eine konkrete Bedrohung für die Schifffahrtrouten im Mittelmeer zu benennen, fällt der Bundesregierung ebenso schwer wie die Antwort auf die Frage, in wie vielen Fällen Sea Guardian eigentlich Terrorismus oder Waffenschmuggel verhindert haben will. Von mehr als 10 000 identifizierten Schiffen wurden im letzten Jahr ganze 17 kontrolliert und ganze 3 durchsucht. Gefunden wurde dabei nichts: kein Terrorist, keine Handgranate, kein Maschinengewehr. Es macht aber auch nicht den Eindruck, dass etwa den Bürgerkriegsparteien in Libyen die Waffen ausgehen würden, weil allein die Präsenz der NATO so abschreckend wirkt. Wenn also diese Mission nicht wirklich das tut, was sie angeblich soll, dann drängt sich doch die Frage auf: Was tut sie denn sonst? Auch da bleibt die Begründung der Bundesregierung ebenso nebulös wie ihre Bedrohungsanalyse. „Kapazitätsaufbau in Anrainerstaaten“ heißt es da im Mandat. Wohlweislich wird verschwiegen, dass es sich dabei zum Beispiel um militärische Zusammenarbeit mit Ägypten handelt, also mit einem Staat, in dem augenblicklich 60 000 politische Gefangene im Knast sitzen, der mitverantwortlich ist für die humanitäre Katastrophe im Jemen und der dennoch ganz oben auf der Liste deutscher Rüstungsexporte steht. Ein solches Mandat, meine Damen und Herren, kann man doch nur ablehnen. ({0}) Ich will Ihnen mal was sagen: Bei Rheinmetall und anderen deutschen Waffenschmieden liegen sie doch auf den Vorstandsetagen vor Lachen unter dem Palisanderschreibtisch, wenn sie hören, dass die Bundeswehr im Mittelmeer Waffenschmuggel verhindern will. ({1}) Was würde die Bundeswehr denn entdecken, wenn sie zum Beispiel wirklich mal die Schiffe aus den Vereinigten Arabischen Emiraten auf dem Weg nach Libyen durchsuchen würde? Wahrscheinlich deutsche Wertarbeit. Meine Damen und Herren, wenn Sie wirklich etwas gegen Waffenschmuggel in den Jemen oder nach Libyen tun wollen, dann stoppen Sie endlich alle Rüstungsexporte in Länder, die eine Kooperation mit einer dieser Kriegsparteien haben! ({2}) Was wir doch im Mittelmeer wirklich brauchen, meine Damen und Herren, das ist zivile Seenotrettung. Es muss Ihnen doch die Schamesröte ins Gesicht treiben, dass die Kirchen Geld für ein Rettungsschiff sammeln, ({3}) während die Bundeswehr im Mittelmeer nicht vorhandene Terroristen sucht. Bekämpfen Sie endlich die Fluchtursachen! Stoppen Sie den Waffenhandel, und retten Sie Menschenleben! Wir haben Platz! ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat liegt uns heute hier ein Antrag der AfD vor, der dieses Haus zum Rechtsbruch aufruft. ({0}) Es gibt viele gute Gründe – ich werde noch darauf zu sprechen kommen –, dieses Mandat abzulehnen. Aber wer von diesem Haus erwartet, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten auf deutschen Schiffen Menschen, die in Seenot geraten sind, nicht retten, und dieses Mandat deswegen ablehnt, der verlangt Rechtsbruch, und der verlangt ein Verhalten, das mit keinem Wert des Grundgesetzes in Übereinstimmung zu bringen ist. ({1}) Bei anderen Fragen bin ich ja ein bisschen verwirrt. Aufgabe dieses Mandats soll es sein, dass die Bundeswehr ein Lagebild erstellt. ({2}) Ich frage mich: Fährt die NATO da rum, ohne ein Lagebild zu erstellen? ({3}) Also, anders gefragt: Warum soll man eigentlich eine Lagebilderstellung mandatieren? ({4}) Nun sagen Sie: Wir wollen auch ausbilden. – Da haben wir nachgefragt: Wen bilden Sie denn aus? Bilden Sie etwa die libyschen Küstenmilizen aus? – Nein, das tun Sie nicht. Aber – ganz rechtsstaatlich –: Sie bilden die Soldaten des Generals el-Sisi von Ägypten aus. – Ich habe mal in einer Vereinbarung dieser Koalition gelesen, dass man aufhören wolle, Waffen an diejenigen zu liefern, die im Jemen aktiv unterwegs sind. Sie bilden sogar Leute für die aus. Sie liefern da nicht nur Waffen hin, sondern Sie bilden Soldatinnen und Soldaten eines Systems aus, das Zehntausende von Menschen inhaftiert hat, das Ihre eigene Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung, dort nicht tätig werden lässt. Das ist Ausbildung, und das legen Sie uns ernsthaft als Wunsch vor. Und das sollen wir weiter unterstützen? ({5}) Ich nenne einen weiteren Punkt: Sie haben von der Frage der Bekämpfung des Waffenschmuggels gesprochen. Dafür haben wir mittlerweile drei verschiedene Ansätze: Da ist einmal die politische Bekundung. Dann haben wir die Frage einer anstehenden neuen Operation namens „Irene“; vorher war es „Sophia“. Und wir haben Sea Guardian. Das macht eigentlich das aus, was dieses Mandat seit über zehn Jahren begleitet: Mit diesem Mandat kann man schlicht und ergreifend alles machen. Dieses Mandat ist ein Angriff auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz, weil man sich eigentlich einfach nur einen Blankoscheck und eine Generalvollmacht abholt. ({6}) Deswegen glaube ich, dass Sie im 20. Jahr dieses Mandates – und das ist die lange Tradition – es hier eigentlich nicht wieder hätten vorlegen sollen. Es gilt das Gleiche wie schon vor zehn Jahren – ich zitiere –: Ich glaube, – so hieß es damals – Sie haben einfach nur abgeschrieben. Sie haben sich keine Mühe gemacht, länger über das Mandat nachzudenken … Angesichts der Vielzahl von Unklarheiten und Widersprüchen in dem Mandat und angesichts der mangelnden völkerrechtlichen Grundlagen müssen wir … dieses Mandat ablehnen. Wir tun das aus Überzeugung … Gesagt am 2. Dezember 2010 von Rolf Mützenich, SPD. ({7}) Ich sage Ihnen: Rolf Mützenich hat recht gehabt. ({8}) Wenn Sie dieses Mandat heute noch mal verlängern, –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– sollte man es vielleicht umbenennen von „Sea Guardian“ in „Operation Rolf“. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ingo Gädechens für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir Verteidigungspolitiker von „Krisenzeiten“ und „Krisengebieten“ reden, dann reden wir normalerweise von den Hotspots auf der Welt, die uns Sorgen bereiten. Wir leben jetzt in einer Krise des sich ausbreitenden Coronovirus. Das bereitet den Menschen nicht nur Sorge. Es macht uns Angst. Das macht aber auch den Soldatinnen und Soldaten in ihren Einsatzgebieten Angst und treibt sie mit Sorge um: Was ist mit den Familienmitgliedern, mit den Freunden zu Hause? Dass wir das Mandat Sea Guardian jetzt etwas früher und abschließend heute hier beraten, macht deutlich, dass der Deutsche Bundestag entschlossen handelt und dass der Deutsche Bundestag handlungsfähig ist. Es ist auch ein Signal an unsere Soldatinnen und Soldaten, an die Menschen in unserer Republik, dass wir besonnen und entschlossen handeln und unsere Einsätze entsprechend mandatieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Die Debatte darüber, was wir im Mittelmeerraum tun, ist allgegenwärtig; wir hörten es aus den Reihen der AfD und jetzt auch aus den Reihen der Linken. Was ist Sea Guardian? Was machen wir? Dieses Mandat besteht bereits über einen sehr langen Zeitraum. Wir haben sogar Zeitzeugen, die im Einsatz waren, zum Beispiel im Rahmen der Operation Active Endeavour. Aus dem Atalanta-Mandat kommend, ins Mittelmeer fahrend, jetzt in das neue Mandat mit der Bezeichnung „Seewächter“ – Sea Guardian – gehend, haben wir einen Berater unserer Bundesregierung hier, und zwar den Admiral Schönbach, der genau vor zehn Jahren Kommandant der „Mecklenburg-Vorpommern“ war, die jetzt wieder in das Einsatzgebiet fährt. Sie sagen immer: Wir reden mit Kameradinnen und Kameraden der Bundeswehr, und die erzählen uns was. – Reden Sie doch mal bitte mit den richtigen Kameradinnen und Kameraden, die Einsatzerfahrung haben und die genau sagen können, was man mit einem Mandat bewirken kann, wofür es geschaffen wurde und wofür letztendlich auch die Kräfte vor Ort eingesetzt werden! ({1}) Es geht um das Lagebild. Es geht, natürlich sehr ausufernd formuliert, um die Terrorbekämpfung. Aber, lieber Kollege Trittin, es ist auch eine Handlungsoption für jeden Kommandanten, der gemeinsam mit den NATO-Verbündeten im Mittelmeerraum, einem kritischen Meeresraum, steht. Das Agieren ist hier schwierig. Wir als Parlamentarier wären doch schlecht beraten, wenn wir genau diesen Kommandanten, die sich auf den Rat ihres Rechtsberaters an Bord – mache ich alles richtig? agiere ich innerhalb der Rules of Engagement? – verlassen, nicht einen möglichst großen Entscheidungsraum geben, um unsere Einheiten in diesem Mittelmeerraum effektiv einzusetzen. Das ist doch der Grund, weshalb die Regierung den Mandatstext so gewählt hat, wie er jetzt ist. Meine Fraktion begrüßt das, und deshalb werden wir dieses Mandat auch verlängern, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Es ist für uns schon schwierig, mit dem umzugehen, was die AfD immer wieder treibt. Es geht ihr nicht um die Seeraumüberwachung, es geht ihr nicht um das Lagebild. Es geht ihr versteckt um die Aufnahme: Wenn eine Einheit auf in Seenot geratene Menschen stößt, muss sie ganz zwangsläufig diese Menschen aufnehmen. ({3}) Es liegt in der DNA eines jeden Seemannes, Schiffbrüchige aufzunehmen; ({4}) weil jeder Seemann weiß, dass er, wenn er selber Schiffbruch erleidet, auf Hilfe angewiesen ist. ({5}) Wenn Sie solche Anträge formulieren, dann bleibt mir kein anderer Begriff, als das „schäbig“ zu nennen. Wir werden das Mandat für Sea Guardian verlängern. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katrin Budde für die SPD-Fraktion. ({0})

Katrin Budde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt ganz sicher vieles, was man hinterfragen kann, was man konkretisieren kann, was man flexibilisieren könnte. Aber das Unglaublichste, was ich hier heute gehört habe, ist, dass jemand unsere Einsätze, unsere Operationen eingestuft hat in „finanziell günstige“ und „finanziell ungünstige“ Mandate. ({0}) – Das ist wirklich pfui, das ist unglaublich; denn das ist nie die Grundlage einer Entscheidung, ({1}) egal ob man damit hadert oder ob man dieser Operation seine Zustimmung gibt. Das darf es garantiert nicht sein. ({2}) Ja, Sea Guardian ist selbstverständlich eine Operation, die krisenhafte Entwicklungen erkennen und ihnen entgegenwirken soll. Und ja, es geht um das Mittelmeer, um die Straße von Gibraltar, ihre Zugänge, den darüber liegenden Luftraum. Der Einsatz im Küstenmeer erfolgt übrigens auf Beschluss des Nordatlantikrates und nach Zustimmung der jeweiligen Anrainerstaaten. Was früher Piraten waren, sind heute Schmuggler- und Schlepperbanden – im Übrigen auch auf den Meeren; nicht nur, aber auch. Hier wachsam zu sein und gegebenenfalls einzugreifen, ist ein Teil der Verpflichtung aus unserer NATO-Mitgliedschaft. Und ja, es geht auch um Seenotrettung. Ich bin dankbar für die klaren Aussagen, die hier getroffen worden sind; denn Schlepper sind keine Menschenfreunde. Sie pressen Geld aus den Familien, aus den Menschen und bringen die Menschen in Lebensgefahr. Wer kennt sie nicht, die Bilder von überfüllten Schlauchbooten? Die Schiffe im Rahmen der Operation Sea Guardian sind auch diejenigen, die helfen und den Auftrag haben, in Seenot Geratene zu retten. ({3}) Und das ist gut so; denn dies ist die einzige gute und letzte Hoffnung für die Menschen, die sich vorher kriminellen Schlepperbanden angedient haben. Unsere Marine leistet gute Arbeit. Sie beliefert unsere Bündnispartnerinnen und Bündnispartner mit Informationen, die dafür sorgen, dass die Seewege sicher sind und die Wirtschaftsgüter – auch das richtig und wichtig und darf nicht einfach abgetan werden – unbeschadet entweder bei uns in Deutschland ankommen oder von hier verschickt werden können. Durch den zunehmenden Handel über die Meere brauchen insbesondere wir als Exportnation für unsere Güter natürlich auch den Schutz auf hoher See. ({4}) Ja, meine Damen und Herren, es hat im letzten Jahr keine maritimen terroristischen Angriffe gegeben; erfreulicherweise ist das so. Die umgekehrte Argumentation: „Dann brauchen wir das Ganze nicht mehr“, verstehe ich allerdings nicht. Im Zweifel ist es ja so, dass man mit Präsenz und Abschreckung dafür sorgt, dass es so bleibt. Deshalb sage ich: Okay, Sea Guardian ist ein präventiver Ordnungsfaktor. – Wir sind dafür, dass diese Operation weitergeführt wird. Ich bin den Soldatinnen und Soldaten auf der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ dankbar für ihren Einsatz. 198 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland sind gerade bei Sea Guardian. Den Dank verbinde ich mit der Bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Lieber Herr Trittin, was war denn das jetzt? Sie haben hier doch nicht ernsthaft behauptet, dass Deutschland unter dem Mandat Sea Guardian die ägyptische Küstenwache ausbildet? ({0}) Das ist falsch, das ist Quatsch, und Sie wissen das. ({1}) – Nein. – Was Deutschland im Bereich von Sea Guardian macht, ist Ausbildung. Gemeinsam mit Israel gab es Ausbildungen zur Seenotrettung. ({2}) Das war der Beitrag Deutschlands im Bereich der Ausbildung und im Kapazitätsaufbau, aber nicht die Ausbildung der ägyptischen Küstenwache. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brandl, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke. – Meine Damen und Herren, was auch falsch war im Rahmen dieser Debatte, ist, dass man Sea Guardian immer nur isoliert betrachtet hat. Sea Guardian liefert einen Beitrag zur Erstellung des Lagebildes, und zwar in einer sehr effizienten Weise, indem sich Schiffe, zum Beispiel aus Deutschland, bei Sea Guardian anmelden, während sie das Mittelmeer durchfahren, und Aufklärungsinformationen an das NATO-Hauptquartier liefern. Diese Informationen werden dann mit verschiedenen anderen Quartieren geteilt. So haben alle ein besseres Bild davon, was im Mittelmeer passiert. Daran angeschlossen sind die unterschiedlichen Küstenwachen. Daran angeschlossen ist die UN, zum Beispiel mit UNIFIL. Daran angeschlossen ist die Europäische Union mit ihren einzelnen Missionen – Poseidon, Themis und früher auch EUNAVFOR MED Sophia. Je nachdem, um welche Art von Bedrohung und um welche verdächtige Bewegung es sich handelt, wird aufgegriffen und reagiert. Meine Damen und Herren, damit leistet Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im Mittelmeer. ({0}) Die Sicherheit im Mittelmeer ist wichtig. Das Mittelmeer ist die zentrale Drehscheibe für den Handel in der Welt. ({1}) Wir beziehen einen Großteil unseres Öls und Gases über das Mittelmeer. Wir liefern unsere Produkte in die Welt über das Mittelmeer. Deswegen müssen wir uns auch an solchen Missionen beteiligen. Natürlich ist es nicht Sea Guardian allein; man muss immer den Verbund betrachten. Dass im Verhältnis wenig Terroristen tatsächlich aufgegriffen werden, wenig entdeckt wird, ist doch ein Zeichen dafür, dass die Mission und dass die internationale Gesamtarchitektur für die Sicherheit im Mittelmeer funktionieren. ({2}) Deswegen sollten wir auch diesem Mandat zustimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Kathrin Vogler.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Brandl, Sie sind ja nicht im Auswärtigen Ausschuss, sondern im Verteidigungsausschuss. ({0}) Da haben Sie vielleicht einfach nicht die richtigen Fragen gestellt, oder die Bundesregierung hat Ihnen nicht in gleicher Offenheit geantwortet, wie sie das bei uns im Auswärtigen Ausschuss getan hat. Ich kann nur bestätigen, was der Kollege Trittin gesagt hat. Wir haben ja nicht zufällig beide in unseren Reden gehabt – wir sprechen uns da normalerweise nicht ab –, ({1}) dass die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, uns bestätigt hat, dass im Rahmen von Sea Guardian eine Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Militär erfolgt. Wenn Sie das hier infrage stellen, bitte ich Sie, anderweitige Belege dafür vorzulegen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das habe ich ja überhaupt nicht bestritten. ({0}) – Achtung! – Meine Aussage war vielmehr, dass keine Ausbildung erfolgt. Ich habe nicht gesagt, dass keine Zusammenarbeit besteht. Natürlich ist Sea Guardian eine Kooperationsplattform, und natürlich arbeiten wir auch mit schwierigen Anrainerstaaten zusammen. Wir müssen auch mit diesen Ländern zusammenarbeiten; denn auch sie leisten – ob es uns passt oder nicht – einen Beitrag zur Sicherheit oder zur Unsicherheit im Mittelmeer. Aber was Herr Trittin behauptet hat, dass wir mit deutschen Soldaten im Rahmen von Sea Guardian die ägyptische Küstenwache ausbilden, ist falsch. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst einmal darf ich mich herzlich dafür bedanken, dass eben in der Debatte zu Afghanistan auch an das Karfreitagsgefecht erinnert worden ist und an diejenigen, die dort gefallen bzw. verletzt worden sind. Das ist eine wichtige Erinnerung; denn sie ermahnt uns, dass jeder Einsatz, über den wir hier reden, jeder Einsatz, über den Sie entscheiden, egal wo er stattfindet, immer auch ein gefährlicher Einsatz ist, einer, der unsere Soldatinnen und Soldaten Leib und Leben kosten kann. Deswegen ist es gut, dass wir uns der Namen erinnern und dass wir uns daran erinnern, dass wir bei allen Entscheidungen, die wir treffen, vorsichtig sein müssen. Was diese Soldatinnen und Soldaten allerdings nicht verdient haben, verehrte Kollegen der AfD, ist, dass ihre Namen für billige politische Zwecke im eigenen Interesse missbraucht werden. Das weise ich im Namen der Bundeswehr strikt zurück. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden heute über die Fortsetzung unseres Mandates für den Counter-Daesh-Einsatz im Kampf gegen den Terror des IS im Irak. Wir sehen im Moment, dass die Lage im Irak, in der gesamten Region unsicher ist. Dazu tragen nicht nur die schreckliche Entwicklung in Syrien, die Kämpfe um Idlib und die damit verbundene humanitäre Katastrophe bei; dazu tragen auch die Spannungen zwischen Iran und anderen Mächten bei. Dazu trägt die Situation im Irak bei, die von einer hohen politischen Unsicherheit geprägt ist. Gerade vorgestern – das konnten Sie verfolgen – ist das Camp Taji mit über 30 Raketen beschossen worden: 3 Menschen sind getötet, 14 sind verletzt worden. Zum Glück ist unseren Soldatinnen und Soldaten nichts passiert. ({1}) Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist auch ganz klar – das sehen wir in der gesamten Region, das sehen wir im Sahel, in Syrien, das sehen wir aber auch im Irak –: Die unsichere Lage in der Region nützt vor allen Dingen einem, und das ist der „Islamische Staat“. Durch die Anstrengungen der internationalen Koalition konnte er bisher weitgehend zurückgedrängt werden; aber er ist noch nicht geschlagen. Der Terror existiert weiter. ({2}) Wir haben Belege dafür, dass mit einem nachlassenden Überwachungsdruck die Anzahl von terroristischen Anschlägen steigt; deswegen müssen wir den Kampf gegen den IS auch fortsetzen. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Terror ist nicht nur eine Geißel für die Menschen in der Region – im Übrigen für alle Menschen in der Region, vollkommen egal, ob sie Schiiten, Sunniten, Jesiden oder Christen sind oder sonst einer Religionsgemeinschaft angehören –: Dieser Terror ist eine Geißel und eine Bedrohung für uns in Europa. Wir haben ihn in unseren Hauptstädten, auch hier in Berlin, erlebt, und wir wollen ihn hier nicht wieder haben. Deswegen müssen wir ihn dort bekämpfen, wo er entsteht. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu arbeiten wir zusammen mit unseren Partnern in der internationalen Koalition. Ich habe zusammen mit meinem amerikanischen Kollegen Mark Esper vor wenigen Wochen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz die Mitglieder der sogenannten Core Group an einen Tisch gebracht, um zu überlegen, wie wir den Kampf fortsetzen können, auch im Hinblick auf die gegenwärtigen politischen Diskussionen im Irak. ({5}) Wir waren uns alle einig, und einig sind wir uns auch mit der irakischen Regierung: Der Kampf gegen den IS muss fortgesetzt werden, und zwar mit internationaler Hilfe. Diesem Zweck dient das vorgelegte Mandat, das gegenüber dem bisherigen einige Veränderungen und Ergänzungen vornimmt. Unverändert bleiben die Laufzeit des Mandats bis zum 31. Oktober 2020 und die personelle Obergrenze von 700. Aber wir nehmen eine Anpassung an die aktuelle Lage vor, die vier wesentliche Punkte umfasst. Erstens beenden wir noch im März, wie dies von diesem Hohen Haus gefordert worden ist, unseren Beitrag zur Aufklärung aus der Luft. Seit 2015 unterstützen wir die Koalition gegen den IS vor allem mit unseren Tornados. Fast 2 500 Aufklärungsflüge hat unsere Luftwaffe geleistet. Das war ein wichtiger Beitrag zum Erfolg, ein Beitrag, der immer noch unverzichtbar ist und von dem ich persönlich sage, dass ich es bedaure, dass wir ihn nicht weiter leisten können. ({6}) Aber ich habe zugesagt, dass wir uns darum bemühen, einen möglichst bruchfreien Ersatz zu finden. Und ich bin froh, dass wir mit Italien einen Verbündeten gefunden haben, der in Aussicht gestellt hat – das ist auf der militärischen Ebene und auf der Ebene des Verteidigungsressorts geeinigt –, diese Aufgabe zu übernehmen. Das wird jedoch nicht bruchlos mit unserem Abzug beginnen können; denn die Italiener müssen mit diesen Mandaten durch das Kabinett und durch das Parlament. Und wir alle haben mit Blick auf die Coronasituation sicherlich Verständnis dafür, dass dies möglicherweise noch etwas dauern kann. Deswegen ist aber der zweite Punkt wichtig, nämlich dass wir die Luftbetankung fortsetzen. Damit helfen wir allen beteiligten Verbündeten, den Druck auf den IS weiter hochzuhalten; denn ohne Betankung in der Luft können die Aufklärungsflüge nicht stattfinden. Dazu werden wir, drittens, der Anti-IS-Koalition im Irak ein mobiles Radargerät zur Verfügung stellen, das ein besseres Luftlagebild verschafft und so die Sicherheit im irakischen Luftraum erhöht, im Übrigen ein Asset, um das wir schon seit einiger Zeit gebeten worden sind. Ich bin froh, dass wir es in das neue Mandat aufnehmen können. ({7}) Viertens engagieren wir uns beim Lufttransport der Verbündeten und Partner. Wir helfen beim Transport hinein und hinaus und auch innerhalb des Landes. Das ist nicht nur zur logistischen Unterstützung der Ausbildung, die wir leisten, wichtig. Es ist auch wichtig als Fähigkeit zur möglichen Rettung und Evakuierung unserer eigenen Kräfte. Wie notwendig das manchmal sein kann, haben wir Anfang Januar bei den Raketenangriffen auf Erbil gesehen. In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, wollen wir die Zahl von fast 20 000 Sicherheitskräften, die wir im Irak bisher ausgebildet haben, weiter erhöhen, wollen wir Fähigkeiten aufbauen, ({8}) die die irakische Armee und wir in Erbil und in Bagdad brauchen, damit auch mit selbsttragenden Strukturen in einer guten internationalen Kooperation die Geißel der Menschheit bekämpft werden kann, die für uns alle eine Bedrohung ist, und das ist Terror, das ist insbesondere der Terror des „Islamischen Staates“. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. Bevor wir zum nächsten Redner kommen, möchte ich eine Bemerkung machen. Da weitere Infektionsfälle im Deutschen Bundestag aufgetreten sind, will ich darauf hinweisen, dass die Entschuldigungen für die namentlichen Abstimmungen jetzt auch von den Fraktionen als Sammelentschuldigungen abgegeben werden können; denn alles andere wäre unsinnig, zum Beispiel, dass Menschen jetzt noch persönlich Unterschriften leisten müssten. Damit das klar ist: Es kann Sammelentschuldigungen der Fraktionen für die Abgeordneten geben, die aus Quarantänegründen nicht mehr teilnehmen können. Als nächster Redner hat für die AfD-Fraktion der Kollege Dr. Anton Friesen das Wort. ({0})

Dr. Anton Friesen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004720, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! Es ist immer gut, sich ein eigenes Bild von dem zu machen, worüber wir hier eigentlich abstimmen. Deswegen habe ich im Juli letzten Jahres unsere Soldaten auf der Militärbasis al-Asrak in Jordanien besucht, von wo aus die Luftraumüberwachung in Syrien und auch die Luftbetankung erfolgen. Im Namen unserer Fraktion danke ich all unseren Soldaten, die fernab ihrer Heimat ihre Pflicht tun. Uns allen sollte es ein ernstes Anliegen sein, dass sie die Gefahren, welche sie auf sich nehmen, nicht umsonst auf sich genommen haben. ({0}) Wer jedoch, ohne den politischen Zweck und ohne den politischen Kontext zu beachten, unsere Soldaten in den möglichen Tod schickt, der handelt grob fahrlässig, meine Damen und Herren von den hier schon länger Regierenden. Wir sagen: Dieser Einsatz trägt nicht zur Stabilisierung des Iraks bei, und er missachtet auch sträflich den politischen Kontext in Bagdad. Deswegen hat die AfD bereits 2018 in einem Antrag gefordert, alle Bundeswehreinheiten aus dem Irak zurückzuholen. 2018 haben proiranische Kräfte die irakische Parlamentswahl gewonnen. Die irakische Armee ist mit proiranischen Milizen durchsetzt. Erst gestern starben mehrere Soldaten, Briten und Amerikaner, aufgrund des Beschusses von proiranischen Milizen, die formal unter der Oberhoheit des irakischen Regierungschefs stehen. Gestern waren es Briten und Amerikaner, morgen werden es Deutsche sein. Am 5. Januar dieses Jahres kam ein weiterer Grund hinzu, diesem Einsatz ein schnellstmögliches Ende zu setzen. Das irakische Parlament forderte in einer Entschließung die irakische Regierung auf, die Präsenz aller ausländischen Truppen zu beenden. Jedoch wurde dann Druck seitens der Vereinigten Staaten, von Trump, ausgeübt, und nun soll dieser Einsatz unter den Fittichen der NATO fortgesetzt werden. Genau dem gibt die Bundesregierung mit dem vorliegenden Antrag nach. Aus dem kollektiven Verteidigungsbündnis NATO jedoch ein globales Interventionsbündnis zu machen, liegt auf jeden Fall nicht im deutschen Interesse. Wohin das führt, haben wir doch gerade in Afghanistan gesehen. ({1}) Wo bleibt da eigentlich die Einsicht in Ihr eigenes Versagen? Wo bleibt die Auswertung der Fehler, die gerade in Afghanistan gemacht wurden? Stattdessen werden sie auch im Irak wiederholt. Wann wird Deutschland eigentlich sicherheitspolitisch endlich erwachsen? ({2}) Beenden wir also diesen Unsinn! Werten wir die gemachten Fehler im Rahmen einer Evaluierung aus, und sorgen wir dafür, dass sie sich nicht wiederholen! Vielen Dank. ({3})

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Herr Präsident, vielen Dank. – Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang meiner Rede unseren amerikanischen und britischen Verbündeten unser Beileid angesichts des Verlusts ihrer Soldaten bei dem Angriff in Tadschi ausdrücken. ({0}) Man muss leider sagen: Auch sonst sind die Nachrichten, die uns aus Syrien und dem Irak erreichen, ernüchternd. In Syrien erleben wir im Moment insbesondere in Idlib die wahrscheinlich schlimmste humanitäre Katastrophe seit Beginn des Konfliktes, der nun immerhin schon fast zehn Jahre andauert. Die jüngste Regimeoffensive mit russischer Unterstützung hat fast 1 Million Menschen zur Flucht gezwungen; mehr als die Hälfte davon sind Kinder. Unsere Bemühungen richten sich im Moment auf die unmittelbare humanitäre Unterstützung dieser Menschen, die dringend nötig ist. ({1}) Der Irak wiederum kämpft derzeit, wie wir alle wissen, mit großen innenpolitischen, aber auch wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Die Proteste der letzten Wochen und Monate in Bagdad, aber auch im Süden des Landes, halten an. Aufgrund des seit September andauernden komplizierten Regierungsbildungsprozesses liegen wichtige Reformen und Sicherheitsvorhaben, natürlich auch wirtschaftspolitische Sicherheitsvorhaben, auf Eis. Ich glaube, nach der letzten Bemerkung des Präsidenten darf ich hier schon darauf hinweisen: Nicht nur wir beschäftigen uns mit dem Ausbruch der Coronapandemie, sondern auch die Irakerinnen und Iraker tun das, und zwar in einer ganz anderen Situation. Hinzu kommt dann auch noch der Verfall des Ölpreises in den letzten Tagen. All dies zusammengenommen setzt den irakischen Staat und die irakische Wirtschaft unter enormen Druck. Und der IS, meine Damen und Herren, profitiert von dieser Entwicklung der letzten Wochen und Monate. Auch in Syrien sichert sich der IS erneut Rückzugsräume. Seine Strukturen im Untergrund werden dadurch gefestigt. Im Irak musste nach den Entwicklungen, die ich jetzt kurz skizziert habe, zu Jahresbeginn die Operation der internationalen Anti-IS-Koalition sogar vorübergehend ausgesetzt werden. Der IS, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat das genutzt. Anschläge sind wieder auf der Tagesordnung, auch aufwendigere und komplexe, was zeigt, dass der IS die Freiräume genutzt hat. All dies bereitet nicht nur uns, sondern auch unseren irakischen, kurdischen und jordanischen Partnern große Sorgen. Sie sind daher sehr, sehr deutlich mit einer Bitte an uns herangetreten, einer eindringlichen Bitte: Deutschland und die anderen westlichen Partner dürfen die Region in dieser Situation nicht alleinlassen. ({2}) Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, werben wir hier für dieses Ergänzungsmandat. Denn ein erneutes Erstarken des IS wäre fatal für die gesamte Region und – auch das darf man hier sagen – eine Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland und für die Sicherheit in Europa. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herausforderung, die ich beschrieben habe, wollen wir begegnen. Wir wollen die Erfolge der vergangenen Jahre im Kampf gegen die Terrororganisation IS absichern; denn die Tatsache, dass der IS im Moment kein Territorium mehr hält, ist natürlich ein Erfolg gewesen. Aber er soll uns nicht täuschen; denn aus dem Hintergrund heraus hat der IS bewiesen, dass er agieren kann. Das ist auch kein Zufall. Es ist eine Entwicklung, die wir beobachtet haben. Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir deswegen aufmerksam bleiben, dass der Druck in dieser Situation nicht nachlässt. Denn dass es dieses sogenannte Kalifat nicht mehr gibt, ist ebenfalls kein Zufall, sondern Ergebnis auch unserer Bemühungen. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Staatsminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Linksfraktion?

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Ich erlaube eine Zwischenfrage. Klar. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In drei Minuten kann man nicht so sehr viel sagen. ({0}) Herr Annen, Sie reden jetzt ganz viel über den IS, den es faktisch gar nicht mehr gibt. Sie haben aber noch kein Wort über den Bündnispartner Türkei gesagt. Er ist in Syrien eingefallen und bewegt sich dort – Stichwort „ethnische Säuberung“ etc. Kein Wort darüber! Wie bringen Sie es fertig, sieben Minuten zu reden, ohne überhaupt einen Ton dazu zu sagen? Das würde mich mal interessieren.

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Nun, Herr Kollege, erst einmal sind noch keine sieben Minuten um; insofern hätten Sie meine Rede noch abwarten können. – Ich will das Thema aber schon noch einmal aufgreifen: Sie haben ja gesagt, der IS sei jetzt gar keine Bedrohung mehr. – Das ist nicht der Fall. Es ist genau der Ansatz meiner Rede gewesen, Ihnen noch einmal deutlich zu machen, dass wir uns nicht täuschen lassen sollen. Der IS beherrscht kein Territorium mehr wie das sogenannte Kalifat. Das ist richtig. Aber die Strukturen sind weiterhin da. Wir haben übrigens insbesondere in den Regionen, die zwischen der kurdischen Regierung im Norden und der Regierung in Bagdad umstritten sind, wo es wenig bis gar keine staatliche Präsenz gibt, sehr genau beobachten können, dass das sofort Auswirkungen hat. Darüber, glaube ich, dürfen wir uns nicht täuschen. Es war meine Bitte, dass Sie diese Entwicklung ernst nehmen. Ansonsten habe ich auf die Situation in Idlib hingewiesen. Man kann in sieben Minuten nicht über einen komplexen, fast zehn Jahre andauernden Bürgerkrieg reden. ({0}) Aber Sie wissen auch, dass ich im Ausschuss und hier von diesem Pult immer darauf hingewiesen habe, dass wir die Erwartungen, die wir an die russische, die syrische und die irakische Regierung haben, auch an die türkische Regierung richten, nämlich dass das internationale Recht geachtet werden muss. Sie wissen auch, dass der Bundesminister nach den jüngsten türkischen militärischen Operationen in Nordsyrien das sehr klar zum Ausdruck gebracht hat. Trotzdem bin ich Ihnen dankbar, dass ich das hier an dieser Stelle noch einmal wiederholen durfte. Vielen Dank. Ich glaube, dass das ganz gut überleitet zum weiteren Teil meiner Rede, den ich mir vorgenommen habe Ihnen hier vorzutragen. Natürlich reden wir hier bei dem Mandat, das wir Ihnen vorlegen, über ein Ergänzungsmandat für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte. Aber man darf auch darauf hinweisen, dass unser Beitrag im Kern ein ziviler ist. Deutschland hat sich allein im Irak mit mehr als 2,2 Milliarden Euro im Bereich humanitärer Hilfe, im Bereich Stabilisierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen engagiert. Diese Ertüchtigungsleistung, diese Wiederaufbauleistung, die wir dort erbracht haben, ist auch sichtbar. Die hat sozusagen einen Unterschied gemacht für das tägliche Leben der Menschen. Es ist entscheidend, dass wir die Lage so stabilisieren, dass wir das fortsetzen können. Das gilt unter anderen, viel schwierigeren Bedingungen – das will ich gerne zugestehen – auch für Syrien. Auch beim Engagement für Syrien ist Deutschland einer der größten Geber. Hier spielt aber auch das Militär eine Rolle. Alle diese Anstrengungen zusammen machen unseren Beitrag aus. Deswegen darf ich hier noch einmal skizzieren: Mit dem Ihnen jetzt vorgelegten Ergänzungsmandat stellen wir uns flexibel auf veränderte Bedingungen ein. Die luftgestützte Aufklärung wird so, wie geplant und hier beschlossen, beendet. Die Fortsetzung des deutschen Beitrags zur Luftbetankung hat sich für unsere Partner aber als sehr wichtig erwiesen. Wir kommen einem Wunsch der irakischen Regierung nach, wenn wir die Möglichkeit eröffnen, die Ausbildung, die wir leisten, zukünftig auch im NATO-Rahmen durchzuführen. Übrigens entgegen mancher Skepsis, auch hier im Raum, ist der Hintergrund des irakischen Wunsches, dass die NATO-Mission aus irakischer Sicht besonders geeignet ist, die Präsenz ausländischer Truppen mit der Souveränität des Landes in Übereinstimmung zu bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Mandat hat deswegen auch eine klare Botschaft: Wir setzen unsere Bemühungen für unsere Partner und deren Stabilität und deren Sicherheit fort. Dies geschieht durch unser Engagement und unsere Unterstützung im Irak, die im Kern – das würde ich sogar so formulieren – zivil ist. Das geschieht aber auch – da gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang – durch unser militärisches Engagement. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluss noch eine Bemerkung machen, die mir sehr wichtig ist, weil sie ein bisschen Bezug nimmt auf die aktuelle Situation, in der wir uns befinden: den Coronavirus. Denn trotz der Coronakrise geht die internationale Kooperation weiter. Im Gegensatz zu anderen fallen wir nicht zurück in den Nationalismus, ({1}) weder bei der Bekämpfung des Coronavirus noch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Staatsminister.

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die deutsche Beteiligung an diesem Mandat hat vor allem drei wesentliche Komponenten: erstens Lufttransport und Luftbetankung, zweitens Aufklärung, wie wir schon hier thematisiert haben, und drittens die Ausbildungsmission, die wir im Irak haben. Zum ersten Punkt. Wir setzen den Lufttransport von Jordanien aus fort. Ich glaube, das gibt uns allen ein gutes Gefühl, weil wir so in der Lage sind, unsere eigenen Kräfte in der Region selbstständig auszufliegen, wenn eine Krisensituation auftritt. Wir setzen auch die Luftbetankung fort. Hier frage ich mich allerdings: Für wen? ({0}) Dazu komme ich gleich noch. Der zweite Punkt ist: Tornado-Aufklärungsflugzeuge. Wir haben dort – das wurde erwähnt – über 15 000 Flüge absolviert. Die Koalition hat entschieden, dass sie diese Aufklärungsflüge einstellen will. Das finde ich äußerst bedauerlich; denn diese Aufklärungsflüge waren sehr wichtig, um zu evaluieren: Wo ist der „Islamische Staat“ noch präsent? Wo ist er nicht mehr präsent? Wo handelt er? Er ist nicht mehr in territorialer Struktur vor Ort. Die Tausenden Kämpfer sind in den Untergrund gegangen. Umso wichtiger ist es ja, dort Luftaufklärung zu machen. Diese Luftaufklärung will die Koalition jetzt Ende des Monats einstellen. Italien wird sie nicht Ende des Monats übernehmen; das hat die Ministerin gerade schon angesprochen. Das heißt, diese Aufklärungsfunktion wird nicht wahrgenommen. Das ist doch etwas, was den „Islamischen Staat“ stärken wird, und das ist doch etwas, was wir doch nicht einfach so stehen lassen können. Ich habe hier dazu noch keine Begründung gehört; denn Herr Annen, der einzige Redner, der Mitglied der SPD-Fraktion ist, hat dazu leider nichts gesagt. Das hätte ich von Ihnen, Herr Annen, eigentlich erwartet. Dass wir diese Aufklärungsrolle einstellen, ist ein Zeichen an die Region, dass wir diese Mission vielleicht nicht mehr ganz so ernst nehmen, wie sie ernst genommen werden müsste. Sie haben selber ausgeführt, dass der „Islamische Staat“ stärker wird. Und wir tragen nicht dazu bei, diesen Prozess aufzuhalten. Das kritisieren wir. Als Drittes möchte ich zum Schluss auch etwas Positives sagen. Wir haben hier seit Jahr und Tag gesagt: Sie sollen die Ausbildungsmission im Irak in die NATO-Mission integrieren. – Wir predigen tagein, tagaus Multilateralismus, und dann machen Sie eine bilaterale Ausbildungsmission mit dem Irak. Dass Sie das jetzt, nachdem wir es so lange kritisiert haben, aufnehmen, freut mich. Ich weiß nur nicht, warum es so lange gedauert hat. Wenn Sie uns noch erhellen könnten und sagen würden, warum, wenn Deutschland jetzt diese Aufklärungsmission einstellt, wir damit dazu beitragen, dass der „Islamische Staat“ vielleicht wieder stärker wird, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Faber. – Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Alexander Neu. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Zunächst einmal begrüßt Die Linke den Entschluss, dass die Tornado-Einsätze im Rahmen des Anti-IS-Mandates beendet werden. ({0}) Offensichtlich hat sich mal die SPD in der Koalition durchgesetzt – man denkt es zumindest. Aber leider musste sie dafür Kröten schlucken, und die heißen „Lufttransport“ und „bodengebundene Luftraumüberwachung“ – was immer das sein mag. Fakt ist aber, dass der IS über keine Kampfflugzeuge verfügt. Es ist allgemein bekannt, sehr geehrte Damen und Herren, dass die Linke den gesamten Anti-IS-Einsatz ablehnt, aus sicherheitspolitischen Gründen, aber auch aus rechtlichen Gründen. Alleine für Syrien gibt es definitiv keine völkerrechtliche Grundlage. Sämtliche militärischen Operationen in und über Syrien sind schlichtweg rechtswidrig, sehr geehrte Damen und Herren. ({1}) Die USA und die Türkei besetzen nicht nur rechtswidrig syrisches Staatsgebiet; nebenbei betreibt die Türkei auch noch ethnische Säuberungen an den Kurdinnen und Kurden. ({2}) Nein, der Punkt ist, dass in Idlib mit Al-Qaida-Ablegern kooperiert wird. Und im politischen Berlin wird nichts anderes gemacht, als genau diese Truppen zu verharmlosen – als gemäßigte Islamisten, als Rebellen. Allein das ist ein Skandal, sehr geehrte Damen und Herren. ({3}) Die Linke lehnt im Prinzip die militärische Präsenz von allen Staaten in Syrien ab, also nicht nur der NATO-Staaten oder der willfährigen Golfstaaten, sondern auch Russlands und Irans – hören Sie genau hin! Wir sind der Auffassung, dass Syrien endlich eine selbstbestimmte Entwicklung nehmen muss, ohne Einmischung von Drittstaaten – auch von Russland, aber auch von den USA und der Türkei –, und dass der islamistische Terror endlich definitiv beendet werden muss. Da haben Washington, Brüssel und Ankara einen großen Anteil daran, das zu beenden. ({4}) Wenn Syrien aufgebaut werden soll, wenn das Leiden der Bevölkerung gestoppt werden soll, dann müssen auch endlich die EU-Sanktionen aufgehoben werden. Wenn Syrien wieder aufgebaut werden soll, wenn das Leiden der Menschen beendet werden soll, dann muss auch die illegale Besetzung der Erdölquellen in Ostsyrien durch die USA beendet werden; ({5}) denn die Einnahmen aus dem Erdölexport sind zentral für den Wiederaufbau Syriens. ({6}) Kommen wir zum Irak. Das irakische Parlament hat ja – das ist allseits bekannt – Anfang Januar den Beschluss gefasst, dass ausländische Streitkräfte das Land verlassen mögen. Die Bundesregierung will aus strategischen Gründen unbedingt dableiben. Es gibt eine Erklärung, dies sei eine nicht bindende Entschließung des irakischen Parlaments. Es gibt allerdings ein Problem, Frau Kramp-Karrenbauer – das müssten Sie mittlerweile auch irgendwie erfahren haben –: Es gibt im Moment keine irakische Regierung. Es gibt eine geschäftsführende Regierung; sie ist aber nicht gewählt. Das heißt, das irakische Parlament ist derzeit die einzige Instanz im Irak, die irgendwie funktioniert. ({7}) Dann zu sagen: „Es interessiert uns nicht, was das irakische Parlament sagt“, ist schon ein hartes Ding. Das finde ich schwierig. ({8}) Es wurde mehrfach gesagt: Vor wenigen Tagen gab es einen Angriff auf Tadschi mit drei Toten – zwei US-Amerikaner, ein Brite, wenn ich es richtig verstanden habe. Das zeigt, dass die Iraker Ausländer nicht mehr in ihrem Land haben wollen. Wir verurteilen den Angriff selbstverständlich – das ist überhaupt keine Frage –; aber der Angriff zeigt: Es sind keine ausländischen Kräfte mehr im Irak erwünscht. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis. ({9}) Hinzu kommt: Die Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte selber ist hochproblematisch.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme gleich zum Ende. – Es gab in den vergangenen Monaten viele, viele Hunderte Tote bei sozialen Protesten gegen die irakische Regierung. Verantwortlich dafür sind Sicherheitskräfte, die von uns ausgebildet werden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich finde, allein das ist schon Grund genug, die Bundeswehr abzuziehen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Linke lehnt den Einsatz natürlich ab. Ich danke Ihnen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Neu. – Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten jetzt ein weiteres Mal ein Irak-Mandat. Ich muss einfach gestehen: Es ist nicht alles falsch, was darin steht. Es gibt gute, richtige Elemente: die Luftbetankung, die Unterstützung bei der Lufttransportkapazität. Wir sehen ja auch, dass die Ausbildung im Norden des Landes, bei den Kurdinnen und Kurden, funktioniert. Wir haben es mit dem „Islamischen Staat“ zu tun, der noch lange nicht besiegt ist. Es ist offenkundig, dass eine Sicherheitssektorreform im Irak der Kern dessen ist, was man braucht, um ISIS zu bekämpfen. Denn ISIS lebt davon, dass gerade die Streitkräfte im Land nicht unbedingt inklusiv aufgestellt sind und die Sunniten immer das Gefühl haben, dass die Streitkräfte des eigenen Landes gegen sie gerichtet sind. Dort anzusetzen, ist eigentlich richtig. Ich werde erklären, warum wir dennoch aus zwei zentralen Gründen diesem Mandat sicher nicht werden beitreten können. Das eine ist die Rechtsgrundlage. Es gibt ein sehr klares Urteil aus Karlsruhe, das besagt, dass man Einsätze nur im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit fahren darf. ({0}) Die Bundesregierung hat das in den letzten Jahren bei diesem Mandat komplett missachtet. ({1}) Dann hat man jetzt miteinander geredet, sich unterhalten, hat sich nicht einigen können. Jetzt steht eine sehr bizarre Erklärung in diesem Mandat. Da steht: Die Ausbildung kann auch im NATO-Rahmen laufen. – Das ist kein Beitrag zur Rechtssicherheit. Das ist ein Beitrag zur Mandatsunsicherheit und ‑unklarheit. Deshalb können wir dem sicher nicht beitreten. ({2}) Das zweite Argument ist aus meiner Sicht weit gravierender. Die Notwendigkeit einer Sicherheitssektorreform im Irak bleibt. Aber jetzt so zu tun, als könnte man das einfach mit ein paar Leuten machen, die man hinschickt – sie leisten dort eine verdienstvolle Arbeit –, ohne die gesamten Probleme, die es dort gibt – und die sind immens –, auch nur anzusprechen, weder im Mandat noch in den Einbringungsreden heute, deutet auf eine Ignoranz hin, die bei der Festigung der Staatlichkeit im Irak nicht zielführend ist. Wir haben es mit 800 000 schiitischen Milizen zu tun, die mehr oder minder direkt unter der Kommandokette des Irans stehen. Genau gegen diese Einflussnahme des Irans gehen die Menschen seit Monaten Woche für Woche jeden Freitag auf die Straßen. ({3}) Genau die Sicherheitskräfte, die wir ausbilden sollen, schießen auf sie. Es sind über 600 friedliche Demonstrierende in den letzten Wochen und Monaten von den irakischen Streitkräften umgebracht worden, ({4}) und das in einer Situation, in der der Regierungschef nun wirklich nur noch hilflos aussieht. Wir hatten nicht nur die Vergeltungsschläge nach dem Angriff auf General Soleimani; wir haben derzeit, just heute, auch wieder die Vergeltungsschläge auf die Vergeltungsschläge. Wenn man sich anschaut, wie groß der Aktionsradius der Regierung des Landes ist, dann sieht man: Er ist nahezu nichtig. – Wie soll man denn eine Sicherheitssektorreform machen in einem Land, in dem die Regierung kaum mehr was zu sagen hat, kaum mehr Einfluss hat, kaum mehr Zugriff auf die eigenen Streitkräfte hat? Das ist die zentrale Frage. Es gibt dafür keine Patentlösungen. Aber jetzt das komplett zu verschweigen und so zu tun, als würde man einfach mit einigen wenigen Soldatinnen und Soldaten das Problem lösen können, wälzt ein riesengroßes politisches Problem auf die Truppe ab, die das nicht lösen kann. Deshalb können wir dem Mandat, so wie es vorliegt, sicher nicht zustimmen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Erndl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soldatinnen und Soldaten! Die Dynamik in den Krisenregionen erfordert es, dass wir unsere Bundeswehrmandate immer wieder den Entwicklungen vor Ort anpassen. Ja, und es ist am Schluss die Umsetzung des Machbaren, lieber Herr Kollege. Deshalb ist es jetzt wichtig, dass wir das Anti-IS-Mandat ergänzen und den Rahmen unseres Engagements verändern. Damit reagieren wir auf das irakische Parlamentsvotum von Anfang Januar. Aber damit agieren wir ausdrücklich auf Wunsch unserer irakischen Partner. Das muss hier deutlich unterstrichen werden: Der Irak befürwortet das deutsche Engagement weiterhin. Genauso fordern unsere Partner in der Anti-IS-Koalition unseren Einsatz. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden, und das tun wir mit diesem Antrag, meine Damen und Herren. ({0}) Denn die Grundlage für unseren Einsatz besteht fort: Der IS ist nicht besiegt. Das kann an dieser Stelle nicht oft genug betont werden. Der militärische Druck muss aufrechterhalten bleiben. Der IS organisiert sich im Untergrund. Das haben die vermehrten Anschläge in den vergangenen Monaten gezeigt. Große Teile der Bevölkerung, insbesondere Minderheiten, leben nach wie vor in Angst und Schrecken. Wir dürfen da nicht wegschauen – sonst wird der Terror auch nach Europa zurückkehren. Das, meine Damen und Herren, können wir nicht wollen. ({1}) Es ist richtig, dass der Irak in den letzten Monaten nur fragiler und eben nicht stabiler wurde. Seit rund sechs Monaten demonstrieren die Menschen auf den Straßen und fordern das Grundnötigste. Seit vier Monaten gibt es nur noch eine geschäftsführende Regierung. Die Benennung eines Premierministers ist wiederholt gescheitert. Gleichzeitig entladen sich die Spannungen zwischen den USA und dem Iran – mitten im Irak. Meine Damen und Herren, bei dieser innenpolitischen und regionalen Instabilität müssen die internationalen Partner und damit auch wir für Kontinuität und ein Stück weit Stabilität im Irak sorgen. Deshalb stehen wir zu diesem Einsatz. Und deshalb passen wir ihn jetzt auch an. ({2}) Deutschland – und das ist ein wichtiger Schritt – kann die Ausbildung irakischer Streitkräfte künftig im Rahmen der NATO-Mission durchführen. Das ist ein wichtiges Signal an die irakischen Partner und unsere Verbündeten. Der Einsatz ist als bilaterale Initiative entstanden und gewachsen. Wir machen jetzt den richtigen Schritt, wenn wir den Einsatz in die NATO eingliedern. Warum erst jetzt? Weil sich die innenpolitischen Vorzeichen im Irak gewandelt haben und weil sich auch bei unserem Koalitionspartner die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass wir am besten multilateral unterwegs sind. ({3}) Gleichwohl bleibt es für meine Fraktion bedauerlich, dass wir die Aufklärungsflüge einstellen. Die Erkenntnisse waren im Kampf gegen den IS und für die Einschätzung der Sicherheitslage in der Region außerordentlich wichtig. Ich hoffe, dass die italienischen Kameraden später in ähnlicher Intensität Ergebnisse beisteuern. Meine Damen und Herren, die Anpassung des Mandats zeigt, dass wir erstens multilateral handlungsfähig sind, dass wir zweitens verlässliche Partner sind und dass wir uns drittens weiterhin im Kampf gegen den Terrorismus engagieren. Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz in der Region. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, um Zustimmung für das Mandat. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich heute zu sagen habe, richtet sich nicht an die linke Einheitsfront im Deutschen Bundestag – das wäre auch zwecklos –, nein, es richtet sich an Sie, meine Damen und Herren auf den Rängen und zu Hause an den Bildschirmen. In knapp fünf Minuten möchte ich versuchen, die Zusammenhänge aufzuzeigen, die den Schlüssel zum Verständnis der aktuellen politischen Situation darstellen. ({0}) Ich tue dies am Beispiel des sogenannten Aktionsplans gegen Desinformation. Erlauben Sie mir einen ganz kurzen Rückblick. Erinnern wir uns an die Studentenunruhen der 68er. ({1}) An den Universitäten war man sich einig: Man wollte den sozialistischen Umbruch. Damals ist dieser Umsturz gescheitert, und einige glaubten, der Spuk sei damit vorbei. Aber weit gefehlt; denn der Kampf ging weiter, und er wird bis zum heutigen Tag von den Grünen und anderen Kommunisten, ({2}) die aus den tiefroten Truppen dieser Zeit hervorgegangen sind, weitergeführt. ({3}) Aus dieser Zeit stammt auch die Idee, alle gesellschaftlich relevanten Positionen zu besetzen, um den politischen Diskurs uneingeschränkt zu bestimmen. Den politischen Diskurs bestimmt man, wenn man die Medien besitzt. Man bestimmt ihn, wenn man die Deutungshoheit darüber erlangt, was Information und was Desinformation ist. Den Diskurs bestimmt man, wenn man das Internet kontrollieren, missliebige Meinungen unterdrücken oder am besten gleich ganz abschalten kann, ({4}) und genau darauf – und auf nichts anderes – zielt der sogenannte Aktionsplan gegen Desinformation. ({5}) Er schafft die Werkzeuge für den geplanten Missbrauch. ({6}) Sogenannte unabhängige Faktenchecker sollen darüber bestimmen dürfen, was Fake News sind und was nicht, ({7}) und damit, was gelöscht werden kann. Journalisten sollen geschult werden, wie sie über bestimmte Sachverhalte zu berichten haben. Erwünschter Qualitätsjournalismus und ganz bestimmte freie Medien sollen allerdings finanziell unterstützt, also gekauft werden. ({8}) Frei sind sie dann jedenfalls nicht mehr. Selbstverpflichtungen der Internetplattformen sind bereits umgesetzt. Widerspruch heißt seit Neuem Hassrede, kann also nach Belieben gelöscht werden. Wie praktisch! ({9}) Meine Damen und Herren, man möchte fast fragen: Schlafen Sie noch oder überreißen Sie es schon. Die Kontrolle der Informationskanäle ist die alles dominierende Waffe im Kampf um den gesellschaftlichen Umbau; denn die Medien sind es, die aus schwarz weiß machen können. Sie können aus einem Ermordeten in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer machen. ({10}) Sie können selbst aus Analphabeten eine Fachkraft, aus Wirtschaftsmigranten Flüchtlinge und aus Terroristen Aktivisten machen. ({11}) Wer nun aber glaubt, es ginge hier tatsächlich um Einwanderung oder um Humanität oder gar um die Rettung der Umwelt, dem muss ich an dieser Stelle leider sagen, dass er nicht ansatzweise verstanden hat, welcher Film hier gerade läuft. Denn tatsächlich befindet sich unser Land, ja ganz Europa, in der entscheidenden Phase eines kulturmarxistischen Umbruchs, einer Transformation, die, wenn sie denn erreicht ist, allerdings den wenigsten gefallen wird. Das kann ich Ihnen heute schon versprechen. ({12}) Denn die neue Gesellschaft, von der rote und grüne Sozialisten träumen, erfordert auch einen neuen Menschen, und den gibt es nicht wirklich, sondern der muss erst durch Erziehung, durch Zwang und Repression gemacht werden. Jetzt muss man allerdings erst einmal diejenigen loswerden, die all diese schönen sozialistischen Pläne durchkreuzen wollen. Und so kommt es auch, dass diejenigen, für die das Grundgesetz die Bibel ist, diejenigen, die nach jeder Veranstaltung voller Inbrunst die Nationalhymne singen, beobachtet werden sollen, und das initiiert ausgerechnet von denen, deren Rechtsbrüche in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellos sind, ({13}) initiiert von denen, die auf Demonstrationen „Deutschland verrecke!“ brüllen, und von denen, die die Symbole der Antifa tragen, wenn sie im Deutschen Bundestag ans Rednerpult gehen. ({14}) Darüber sollten Sie alle einmal nachdenken. Vielen Dank. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Groden-Kranich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie, die AfD, wollen dem Titel Ihres Antrags zufolge die „Presse- und Meinungsfreiheit schützen“. ({0}) Herzlichen Glückwunsch! Schön, dass auch Sie, wie wir alle hier, sich damit zum Grundgesetz bekennen. Ihrer Rede nach waren wir gerade auf einem ganz anderen Planeten unterwegs. ({1}) Ich zitiere weiter: „Die freiheitlich-demokratische Grundordnung setzt zwingend den Meinungspluralismus voraus.“ Eine wunderbare Erkenntnis! Aber warum erlebe ich gerade in dieser Debatte hier wieder eine völlig andere Haltung: die völlige Ablehnung anderslautender Meinungen, die Diffamierung – nachher für alle wahrscheinlich wieder ein Shitstorm; die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden beschimpft, weil sie Ihre Meinung nicht teilen –, ({2}) also gerade das Gegenteil von Pluralismus? ({3}) Sie schreiben weiter, dass es – Zitat – „keine allgemeinverbindliche Wahrheit gibt“. Wunderbar! Auch hier sind wir uns theoretisch einig. Aber Sie leben es anders. Ihre Zwischenrufe zeigen das. ({4}) Jeder kriegt es gerade wieder live mit. Ja, es braucht durchaus Regeln, auch für das Verbreiten von „Wahrheiten“, und die gibt es auch schon: im Presserecht, in den Verfassungen und in den Rechtsprechungen in der EU. Und der EU-Aktionsplan behauptet eben mitnichten, dass es die allgemeinverbindliche Wahrheit gibt. Das wiederum verbreiten nur Sie. ({5}) Es ist ferner niemandem verboten – ich zitiere –, „im Rahmen seiner Meinungsäußerung Irrtümern zu unterliegen. Gerade dazu dient der demokratische Diskurs, dass der Einzelne im freien Meinungsaustausch seine Ansicht gegebenenfalls korrigieren oder sogar revidieren kann, wenn er durch das bessere Argument vom Gegenteil überzeugt wird“. – Prima! Genau dazu laden wir Sie ein. Nutzen Sie den demokratischen Diskurs hier im Plenum und in den Ausschüssen, und rasseln Sie nicht gebetsmühlenartig Ihre viel zu kurz greifenden Schlussfolgerungen runter. Nutzen Sie gerne auch die europäischen Institutionen, um Ihre Ansicht über Europa und den EU-Aktionsplan zu korrigieren! Die Maßnahmen laufen darauf hinaus, – ich zitiere wiederum – dass in den Mitgliedstaaten, so auch in der Bundesrepublik Deutschland, auf allen denkbaren Medienkanälen nur noch einseitige regierungs- und EU-genehme Nachrichten bzw. Informationen verbreitet werden. ({6}) Sie sollten nicht immer Ihr eigenes Fernsehen schauen; denn das, was Sie schreiben, ist schlicht und ergreifend Quatsch. ({7}) Der EU-Aktionsplan sieht eine sehr breit aufgestellte Gruppe von Akteuren vor: natürlich die entsprechenden EU-Organe und die Mitgliedstaaten, aber in enger Abstimmung mit Wissenschaftlern und anderen. Und auch große Onlineplattformen wie Facebook, Google, Twitter sind dabei. ({8}) – Sie sollten zuhören. Das hat auch etwas mit Meinungspluralismus zu tun, das hat auch etwas mit dem Hören anderer Meinungen zu tun – genau das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, was Sie aber nicht leben. ({9}) Letztendlich sind wir alle gefordert, die Meinungsfreiheit zu schützen, als Bürgerinnen und Bürger genauso wie als Politikerinnen und Politiker. Wir alle – auch Sie! – sollten dafür sorgen, dass gezielte Desinformation weder in den sozialen noch in sonstigen Medien eine Chance hat. Sobald wir diesen Zustand erreicht haben, können wir gerne wieder darüber diskutieren, ob wir einen EU-Aktionsplan immer noch brauchen. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin.

Thomas Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004734, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einigen aktuellen „Nachrichten“ beginnen: „Ungenehmigte Demonstrationen werden in beinahe allen Ländern inklusive der Europäischen Union als Massenaufstand betrachtet und mit Gefängnis bis zu 10 Jahren bestraft.“ So war vor einigen Tagen zu lesen. Schon etwas länger her: „Der Journalistenverband European Press Watch warnt vor deutschen Medien“, ein Journalistenverband, der überhaupt nicht existiert. Diese Beispiele sind Belege für Fake News, für bewusst falsche oder irreführende Informationen, die gezielt dafür eingesetzt werden, um öffentlichen Schaden, wirtschaftliche Gewinne oder machtpolitische Vorteile zu erzielen. Eine einzelne Nachricht mag auf den ersten Anschein noch keine große Bedeutung haben. Doch der Schein trügt! Es geht um die Destabilisierung von Gesellschaften und Staaten durch gezielte Verbreitung von Unsicherheit, Angst und Hass. ({0}) Das Ziel ist die Beeinflussung menschlichen Verhaltens und von Entscheidungen durch Emotionalisierung. Emotionen siegen oft über die Vernunft. Aktuelle Beispiele von Hamsterkäufen bis zur Wahlbeeinflussung auf regionaler oder europäischer Ebene gibt es doch zuhauf. Wenn wir auf diese gezielten Angriffe auf unsere Gesellschaft reagieren wollen – und das wollen wir! –, müssen wir die Funktionsweise verstehen. In einer vernetzten Welt helfen Alleingänge nicht. Es braucht einen multinationalen Ansatz. Doch was beinhaltet dieser? Die EU-Kommission setzt auf folgende Säulen: Desinformation erkennen und analysieren durch Faktenchecker und Frühwarnsysteme. Eine koordinierte Reaktion durch die Zusammenarbeit mit Onlineplattformen als Multiplikatoren zur Sensibilisierung der Gesellschaft, also Stärkung der Medienkompetenz. ({1}) Auch wenn die AfD-Fraktion dabei die Gefahr einer Einschränkung der Meinungsfreiheit oder gar eine drohende Zensurkampagne sieht: Nein, der Zugang zu Informationen wird nicht verhindert, der Inhalt von Nachrichten nicht manipuliert. Der Aktionsplan richtet sich gegen Bedrohungen aufgrund gezielter Desinformation. Die Maßnahmen sind richtig, um eine informierte und damit wehrhafte Gesellschaft in die Lage zu versetzen, besonnen, klug und mit Weitsicht zu handeln. Deshalb unterstützen wir Freie Demokraten den Aktionsplan gegen Desinformation. ({2}) Warum sich die AfD dagegen ausspricht, ist doch klar! Ihre Kommunikation zielt auf das Schüren von Angst, Hass und Ausgrenzung. ({3}) In Ihrem Antrag steht nicht die Sorge um Meinungs- oder Pressefreiheit im Mittelpunkt, sondern der Schutz Ihres Geschäftsmodells – mit falschen Informationen ein Klima des Hasses zu erzeugen. ({4}) Die von Ihnen geschürten Spannungen in der Gesellschaft sollen nicht abgebaut, sondern immer weiter gesteigert werden. Passen die Tatsachen nicht zu Ihrer Erzählung, werden die Fakten kurzerhand geleugnet und ins Gegenteil verkehrt. Auch in Ihrem Antrag leugnen Sie die Gefahr von Desinformationskampagnen von Ihren Freunden aus Russland konsequent. Doch dafür gibt es Beweise! Wie eine russische Troll-Fabrik setzen Sie sich aktiv und unverhohlen offen für die Destabilisierung Deutschlands und Europas ein. Und genau dagegen werden wir mit ganzer Kraft kämpfen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hacker. – Und nun, Herr Kollege Schraps, haben Sie das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Da es bei der Debatte ja um das demokratische Verständnis geht, macht es keinen großen Unterschied, ob als nächster Redner ein Redner einer demokratischen Oppositionsfraktion oder einer Regierungsfraktion spricht. Nicht nur das Grundgesetz gewährt uns und unseren Bürgerinnen und Bürgern die Meinungs- und Informationsfreiheit. Auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist das Recht auf freie Meinungsäußerung zum Glück fest verankert. Der Aktionsplan der Europäischen Kommission gegen Desinformation, um den es heute geht, dient dem Schutz genau dieser unserer Werte, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Und der Aktionsplan definiert ganz genau, was unter Desinformation zu verstehen ist. Das sind – ich zitiere wie der Kollege Hacker – nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung der Öffentlichkeit konzipiert, vorgelegt und verbreitet werden und öffentlichen Schaden anrichten können. Es geht dabei ganz ausdrücklich – da hat die Kollegin Groden-Kranich gerade auch schon vollkommen richtig argumentiert – nicht um versehentliche Fehler in der Berichterstattung, um Satire, um Parodie oder um eindeutig gekennzeichnete politische oder parteiliche Nachrichten und Kommentare. Dieser Aktionsplan ist einzig und allein auf Desinformationsinhalte ausgerichtet, wie sie die gerade von mir zitierte Definition umfasst. Es geht – das muss ich anscheinend noch einmal ganz deutlich in die Richtung zu meiner Rechten sagen – nicht um Meinungen, nicht darum, ob man etwas gut oder schlecht oder richtig oder falsch findet, es geht einzig und allein um nachweisbare Fakten, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Was Sie zu meiner Rechten mit Ihrem Antrag hier machen, das ist, den demokratischen Kompromiss, der zu unserem demokratischen System ohne jede Einschränkung dazugehört, als eine Form der Desinformation darzustellen. Wenn Sie uns als Sozialdemokraten in Ihrem Antrag vorwerfen, dass wir in Wahlkämpfen ganz bestimmte Positionen bezogen haben und diese dann in Regierungsverantwortung angeblich nicht umgesetzt hätten, dann machen Sie damit den demokratischen Kompromiss verächtlich, Kolleginnen und Kollegen! ({2}) Natürlich werben wir im Wahlkampf für unsere Positionen, genau wie es alle demokratischen Fraktionen in diesem Haus richtigerweise tun – im fairen politischen Wettstreit miteinander. Aber in unserer Demokratie ist es auch vollkommen klar, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen immer mindestens zwei, manchmal sogar mehrere Partner miteinander Regierungsverantwortung übernehmen – und Kompromisse schließen, ganz klar. Und wenn wir als SPD diese Position einnehmen und der Koalitionspartner vielleicht jene Position, dann ist es in unserer Demokratie eben auch klar, dass sich weder die eine noch die andere Position zu 100 Prozent umsetzen lässt. Man trifft sich irgendwo dazwischen, an einer Stelle, wo man Dinge gemeinsam verantwortungsvoll miteinander tragen kann. Sie aber wollen den demokratischen Kompromiss verächtlich machen. Und das zeigt, wie weit Sie von unseren demokratischen Grundlagen entfernt sind, Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Sie haben Demokratie einfach nicht verstanden. Und wenn Sie den politischen Kompromiss nach einer Regierungsbildung in Ihrem Antrag als ein Beispiel für Desinformation beschreiben, dann zeigt uns das ganz deutlich, dass Sie ganz offensichtlich auch den Begriff „Desinformation“ nicht verstanden haben. Ich liefere Ihnen da gerne ein paar Beispiele; denn als Berichterstatter für die Visegradstaaten und für die Länder der Östlichen Partnerschaft höre ich bei meinen Besuchen in diesen Ländern ganz besonders viele Beispiele, insbesondere für russische Fake News. Polen zum Beispiel muss sich in letzter Zeit mit Blick auf Konzentrationslager, die das Nazireich auf polnischem Gebiet errichtet hat, und eine von Putin in Gang gesetzte Schulddiskussion einer massiven russischen Desinformationskampagne im Sinne des russischen Geschichtsrevisionismus erwehren. Auch die Ukraine leidet massiv an russischen Fake News. Aktuelles Beispiel: Vor einigen Tagen hat ein russisches Nachrichtenportal behauptet, die Ukraine sei der größte Lieferant für islamistische Extremisten in Westeuropa. Fakten dazu: keine. Sehr gut wissenschaftlich dokumentiert sind auch die Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien oder mit dem Abschuss des Flugzeugs MH17 in der Ostukraine. Vor allem in Ländern mit einer großen russischsprachigen Diaspora stellen Fake News ein enormes Problem dar. Und wir müssen uns nur an den Fall Lisa hier bei uns erinnern, um zu wissen, dass das nicht nur unsere östlichen Nachbarländer betrifft, sondern dass Fake News und Desinformationen auch uns betreffen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die hessische AfD-Landtagsfraktion hat im November des vergangenen Jahres eine Broschüre mit dem Titel „Wie es wirklich um Deutschland steht – Fakten statt Fake News“ veröffentlicht. Sie entlarvt sich damit selbst; denn die Lektüre ist voll von komplett irreführenden Behauptungen. Ein Beispiel ist die immer wiederkehrende Behauptung, für einen menschengemachten Klimawandel gebe es keine wissenschaftlichen Grundlagen. ({4}) Wenn versucht wird, wissenschaftliche Erkenntnisse durch krude Glaubenssätze und bewusste Falschinformationen zu diskreditieren, dann müssen wir von Desinformation sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und von nichts anderem. ({5}) Das ist ungefähr so, wie wenn ich behaupten würde, Sie säßen hier nicht im Plenum. Mir passt Ihre Anwesenheit nicht, und ich behaupte deshalb, dass Sie nicht hier sind, und ich verbreite das, obwohl es – in diesem Fall leider – durch Fakten widerlegt ist. ({6}) Aber es gibt, wenn man so was verbreitet, immer ein paar Leute, die so was glauben. Zu Ihrer Aufklärung – und damit komme ich zum Schluss, Herr Präsident –, ({7}) empfehle ich Ihnen das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Regulierung von Wahlwerbung im Internet aus dem letzten Juli oder auch, mit Erlaubnis des Präsidenten, das Buch von Patrick Gensing „Fakten gegen Fake News“, das auch über die Bundeszentrale für politische Bildung zu beziehen ist. ({8}) Da lernen Sie eine ganze Menge. Die Autoren stellen, wie ich finde, sehr gut dar, vor welchen Herausforderungen wir beim Schutz der Wahlfreiheit im digitalen Zeitalter stehen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Freie Wahlen sind ein grundlegender Bestandteil unserer Demokratie. Ich persönlich möchte nicht warten, bis wir feststellen, dass Wahlergebnisse ganz maßgeblich von Desinformationskampagnen beeinflusst wurden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte jetzt!

Johannes Schraps (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004881, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sollten deshalb klar und konkret handeln. Das macht die EU-Kommission, und das machen wir. Das ist das Mindeste, was wir tun können, um unsere Demokratie und die Rechte, die damit im Grundgesetz verbunden sind, nachhaltig zu verteidigen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich unterbreche kurz die Aussprache. Wir kommen zurück zur Abstimmung über den Zusatzpunkt 21, Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer. Ich frage: Ist noch ein Kollege oder eine Kollegin im Raum oder im Hause, der oder die an der namentlichen Abstimmung noch nicht teilgenommen hat? – Jetzt aber! Husch! ({0}) Ich finde es auch für meine bayerischen Freunde beachtlich, dass man eine Stunde braucht, um überhaupt mitzubekommen, was hier los ist. – Alois, bitte, hurtig! ({1}) Jetzt weiß er noch nicht einmal, wie er abstimmen soll. Kann ihm das mal jemand sagen? ({2}) Ich stelle fest, dass alle Stimmkarten abgegeben sind, soweit sie innerhalb der Zeit abgegeben werden konnten. Damit ist die Abstimmung beendet. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir kommen wieder zurück zum Tagesordnungspunkt 22. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Doris Achelwilm, Fraktion Die Linke, das Wort. ({3})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen und vor den Monitoren! Heute wird Plenarzeit mal wieder mit einem Antrag der AfD verschwendet, den kein Mensch braucht. ({0}) Vorgelegt wurde dieses Papier vor gerade einmal drei Tagen, und zwar nicht, um akute Themen auf die Tagesordnung hier zu setzen, sondern um einen Aktionsplan der EU-Kommission zurückzuweisen, der Ende 2018 verabschiedet wurde. Er behandelt Desinformationen, also – wir haben es hier gehört – täuschende Einflussnahme im Internet, zum Beispiel vor Wahlen, und was dagegen zu tun ist. Warum die AfD 15 Monate braucht, um gegen diesen Aktionsplan ganze drei Zeilen Beschlussvorschlag zu formulieren, man weiß es nicht. ({1}) Ohnehin sagt dieses Antragsmachwerk eigentlich nur etwas über die einfach nur selbstbezogene Funktionsweise der AfD aus und darüber, wie wenig man die AfD für irgendetwas Sinnvolles brauchen kann. Inhaltlich scheint diese Drucksache aus der Wichtigtuerfeder von rechten Fake-News-Bloggern und den medienpolitischen Superspezialisten der AfD zu stammen. ({2}) Im Mittelpunkt stehen verschwörungstheoretische Standardsätze über – ich zitiere – staatlich gelenkte Medien, die „zu einem reinen Propaganda- und Diskreditierungsinstrument der europäischen Regierungen“ würden. Nach dieser Logik wird ausgerechnet der Rechercheverbund von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“, der zum Beispiel Maßgebliches über die Panama Papers aufgedeckt hat, als staatshörig hingestellt. ({3}) Und das vor der letzten Europawahl erschienene Video des Youtubers Rezo wird messerscharf als „konzertierte Kampagne“ aller „Qualitätsmedien“ analysiert, ({4}) Substanz und Wahrheitsgehalt unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. ({5}) Ganz hinten im Antrag finden sich noch seltsame Ausführungen, unter anderem zum Brexit, zur Bundeskanzlerin, zur Euro-Rettung. Ich kann vom Lesen dieses Antrags wirklich nur abraten. Das hilft überhaupt nicht weiter. ({6}) Am Aktionsplan der EU-Kommission gegen Desinformation kann man tatsächlich einiges kritisieren, aber eben anderes. Dieser Verhaltenskodex basiert auf freiwilligen Berichten von Internetmonopolen wie Facebook, Google, Twitter, die sich in Sachen Netzverantwortung loben, obwohl sie zu wenig zielführende Selbstregulierungsmaßnahmen vorgelegt haben. ({7}) Als Linksfraktion fordern wir, tatsächlich anzufangen, rechtsradikale Fake-News-Fabriken trockenzulegen. ({8}) Dazu müssen die Plattformen wirksamer verpflichtet werden. Dazu müssen auch Strafverfolgungsbehörden gegen Hasskriminalität von Nazis aktiver vorgehen. Dringend in die Wege zu leiten ist: mehr Qualifizierung bei der Justiz, mehr geschultes Personal im öffentlichen Dienst, mehr Medienbildung an Schulen, mehr Absicherung und bessere Arbeitsbedingungen für guten, faktenbasierten Journalismus. ({9}) Wir sind in diesen Zeiten wirklich verschärft darauf angewiesen, dass wir uns auf Wesentliches und auf Faktisches konzentrieren, dass wir uns auf Medien und auf Berichte verlassen können. Gehen Sie der AfD mit ihrer Antimedien-, Antiinformations-, Antitatsachenkampagne also aus dem Weg; es gibt gerade wirklich Dringenderes zu tun. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann das Ansinnen der AfD hier heute in drei Worten zusammenfassen: hoffnungslos verspätet, destruktiv und verlogen. ({0}) Unter dem scheinheiligen Vorwand, sich für den Schutz von Meinungsfreiheit und demokratischem Diskurs einzusetzen, lehnt die AfD, exakt wie beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, den EU-Aktionsplan einfach komplett ab. ({1}) Ihr Vorgehen ist angesichts des Agierens Ihrer Partei hochnotpeinlich und durchsichtig. Sie versuchen hier, ein bürgerrechtliches Deckmäntelchen über sich zu werfen, das Ihnen vorne und hinten nicht passt. ({2}) Sie agieren nicht für die Meinungsfreiheit, sondern schlicht im Namen des schäbigen Geschäftsmodells Ihrer Partei, meine Damen und Herren. Das kann ich Ihnen sagen, weil wir schon gegen irgendwelche Prüfstellen, ein Wahrheitsministerium und Ähnliches aufgestellt waren, als Sie noch mit Professor Lucke gegen den Euro kämpften. Objektiv aber fordert der EU-Aktionsplan überfällige Maßnahmen zum Schutz demokratischer Diskurse. Es geht darum, die großen Internetplattformen in Verantwortung zu nehmen. Es geht um Transparenz bei Wahlwerbung, vor allen Dingen digitaler Wahlwerbung. Und es geht um Fact Checking und den Kampf gegen bewusst verbreitete Falschnachrichten. Genau das passt Ihnen nicht – ({3}) verständlicherweise; schließlich sind Sie es, die bewusst und als Teil einer weltweit zu beobachtenden Strategie von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten demokratische Diskurse systematisch vergiften, vorsätzlich desinformieren, Herr Gauland, und Menschengruppen gezielt verhetzen. ({4}) Dieses menschen- und demokratiefeindliche, diskursfeindliche Agieren von weiten Teilen Ihrer Partei und Ihre kruden Verschwörungstheorien von „Merkel ist an allem schuld“ ({5}) bis hin zu den Illuminaten und offen antisemitischen Reichsbürgernarrativen sind in Zeiten von Klimakrise und Corona schlicht gefährlich und auch tödlich; denn sie sind falsch, antiwissenschaftlich und irreführend, meine Damen und Herren. ({6}) Von Ihren völlig zwanghaften und esoterischen Wahnvorstellungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Besonderen und zur „Lügenpresse“ im Allgemeinen wird man Sie hier an einem Freitagnachmittag, Frau von Storch, nicht abbringen können. Aber vielleicht wollen Sie einer Nachricht Glauben schenken, ({7}) die von einer deutschen Sicherheitsbehörde, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, ({8}) gestern amtlich festgestellt wurde. Präsident Haldenwang sagte – ich zitiere –: Heute teile ich Ihnen mit, dass wir den „Flügel“ als erwiesen extremistische Bestrebung eingestuft haben. ({9}) Das heißt: Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte haben sich zur Gewissheit verdichtet. ({10}) Es ist Tatsache, dass entsprechende Verstöße gegen prägende Merkmale der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – Menschenwürde, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip – konstatiert werden können.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie sind trotzdem am Schluss bald.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Und er sagte – ich zitiere weiter –: Seit über 70 Jahren bezeugt unsere wehrhafte Demokratie, dass ihre Gegner scheitern, wenn der Rechtsstaat, seine Bürger, seine Politiker und seine Sicherheitsbehörden zusammenstehen und handeln. Dies ist eine Warnung an alle Feinde der Demokratie: Wir stehen zusammen – und handeln! Da hat der Mann recht. Uns allen ein schönes Wochenende. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gisela Manderla, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben uns in dieser Woche in der größten Gesundheits- und wahrscheinlich auch Wirtschaftskrise dieses Landes mit wichtigen Themen beschäftigen müssen, vor allem mit dem Coronavirus. Wir haben heute wichtige Auslandseinsätze der Bundeswehr beschlossen, und jetzt müssen wir uns mit diesem vollkommen unsinnigen Antrag der AfD-Fraktion beschäftigen. ({0}) Haben wir eigentlich nichts Besseres zu tun im Deutschen Bundestag? ({1}) Desinformationen, Fake News, Propaganda, Falschmeldungen, Sie spielen mit Gefühlen, Sie wollen diskreditieren, Menschen und Gruppen gegeneinander aufbringen, ({2}) Wahlen beeinflussen, demokratische Staaten destabilisieren. ({3}) Und das sind Ihre Strategien – Strategien, die unter anderem auch Russland anwendet –: ({4}) Desinformationskampagnen zum Krieg in Syrien, die Leugnung des Urhebers des Abschusses des Flugzeugs MH17 in der Ostukraine, der Einsatz chemischer Waffen beim Anschlag in Salisbury, England; das sind nur einige Beispiele. ({5}) Moskau setzt auch für die Diskreditierung der Bundesregierung unterschiedliche Instrumente ein, ({6}) wie nachrichtendienstliche Aktivitäten, antiwestliche Propaganda, Desinformation durch Medien wie Russia Today und „Sputnik News“, politische und finanzielle Unterstützung für rechtspopulistische Parteien in der EU, Sabotagekampagnen durch Cyberangriffe und die Instrumentalisierung der im Ausland lebenden Russen – und auch der Russlanddeutschen. Solche Desinformationskampagnen sind häufig Teil einer hybriden Kriegsführung, zu der auch Cyberangriffe und das Hacken von Netzen gehören. ({7}) Diese Art von Angriff auf unsere politischen Prozesse dürfen wir nicht unbeantwortet hinnehmen. Der Aktionsplan, der hier von der AfD zurückgewiesen wird, benennt die Maßnahmen, welche von der EU und ihren Mitgliedstaaten getroffen werden können, um sich gegen diese Art von Einflussnahme zu wehren. Und wir müssen uns wehren können, meine Damen und Herren! ({8}) Vor allem bei der Mobilisierung des Privatsektors, beispielsweise bei Onlineplattformen und Werbetreibenden, sind Maßnahmen notwendig. Lassen Sie mich einige Maßnahmen hier nennen: Es ist notwendig, die Platzierung und die Transparenz von politischer Werbung zu kontrollieren, und zwar auf der Grundlage einer wirksamen Sorgfaltsprüfung der Identität der Sponsoren. Aktive Scheinkonten müssen geschlossen werden. Es muss möglich sein, automatische Bots zu identifizieren und sie entsprechend zu kennzeichnen. ({9}) Und: Fakten müssen unbedingt den Desinformationen gegenübergestellt werden. ({10}) Diese Maßnahmen des Aktionsplans sind absolut legitim; sie sind wichtig und sie sind richtig, meine Damen und Herren, auch für uns in Deutschland. Auch die antragstellende Fraktion verbreitet Unwahrheiten im Netz, welche größtenteils immer wieder widerlegt werden können. Aber ist eine Falschmeldung erst mal in der Welt, kann man sie nicht mehr aufhalten. ({11}) Das Beispiel „Lisa“ ist ja eben auch schon genannt worden. Wer diesen Meldungen Glauben schenkt, wird dementsprechend in seinem politischen Denken und somit in seinem politischen Handeln gestört. Das, meine Damen und Herren, führt zu einer Bedrohung unserer demokratischen Prozesse. Es wird niemandem das Recht auf Meinungsäußerung verwehrt.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zitat: Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in den Verfassungen der Mitgliedstaaten verankerter Grundwert der Europäischen Union.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Deshalb, meine Damen und Herren: Die Informationen sind ausgetauscht, die Argumente auch. Diesen Antrag kann man nur ablehnen. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist nicht wertneutral, sondern sie ist eine, die die Integrität von demokratischen Prozessen und von Wahlen schützen möchte – weil wir damit insgesamt die demokratische Willensbildung vor unfairen, intransparenten Anfeindungen schützen möchten. Der EU-Aktionsplan ist ein Teil unserer Strategie, dass wir diese Werte hochhalten, ({0}) weil wir uns wappnen müssen, dass demokratische Wahlen nicht so von außen beeinflusst werden, dass Ergebnisse verfälscht und damit der demokratische Willensbildungsprozess selbst angegriffen wird. Wir schützen damit auch die demokratische Grundordnung. ({1}) Jetzt will ich über das Thema Meinungsfreiheit sprechen, weil es auch von Ihnen angesprochen worden ist. In dem Antrag haben Sie einiges dazu geschrieben, was schlichtweg falsch ist. Ich will hier noch mal sagen: Die Meinungsfreiheit wird in unserem Land gewährleistet. Wir müssen auch unbequeme Meinungen anderer aushalten; das ist gar keine Frage. Die Grenze ist aber dort erreicht, wo das Strafrecht beginnt und wo die Menschenwürde angegriffen wird. Da gibt es auch schon viele Äußerungen aus Ihrem Bereich, die hier grenzwertig sind und diese Grenze überschreiten. Aber die Tatsache, dass Sie das alles äußern, zeigt doch, dass die Meinungsfreiheit in unserem Land vollumfänglich gewährleistet ist. ({2}) Der Punkt ist aber, dass es keinen rechtlichen Anspruch darauf gibt, keinen Widerspruch ertragen zu müssen. Gegen all das, was Sie sagen, gegen die Art und Weise, wie Sie unsere Gesellschaft umgestalten möchten, haben Sie den Widerstand der Demokratinnen und Demokraten in unserem Land zu erwarten, meine Damen und Herren. ({3}) Wir wehren uns auch politisch dagegen, dass Desinformation und Hassrede zum Geschäftsmodell werden, wie es überall in Europa spürbar ist. Die Strategie von Populisten und von Rechtsextremen ist, durch Lüge und durch Desinformation die Integrität von Willensbildungsprozessen in einer Gesellschaft zu unterminieren. ({4}) Dagegen wehren wir uns. Wir sind für einen offenen, demokratischen Diskurs. ({5}) Herr Kollege Gauland, ich sage abschließend: ({6}) Verwenden Sie Ihre Energie darauf, ({7}) darüber zu reden und deutlich zu machen, dass Sie sich vom Flügel, von dem Sie gesagt haben, dass er in der Mitte der Partei steht, von Rechtsextremen oder Rechtsradikalen distanzieren. ({8}) Wenn Sie den Flügel aus Ihrer Partei in die Mitte der Gesellschaft rücken – ({9}) das sage ich abschließend –, ({10}) dann gehören auch Sie unter Beobachtung, ({11}) weil Sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wollen. ({12}) Herzlichen Dank. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache.

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es könnte heute ein sehr guter Tag sein, stünde er nicht unter dem Zeichen der Coronakrise. Vielleicht ist es gerade deshalb gut, dass wir noch an diesem Tag das THW-Gesetz novellieren und es damit ins 21. Jahrhundert tragen. Die veränderten Rahmenbedingungen beim THW und beim Zivil- und Katastrophenschutz sind deutlich zu sehen. Wir reden nicht mehr über die Rettung von Menschen aus eingestürzten Häusern, sondern wir reden von Cyberabwehr, Unterstützung der örtlichen Gefahrenabwehr, der Bewältigung von Stromausfällen und den damit verbundenen Lebenslagen. Migrationskrisen sind bewältigt worden. Auch die Folgen des Klimawandels werden mit entsprechenden Einsätzen spürbarer. Die Schneekatastrophe in Bayern oder die Waldbrände im letzten Jahr zeigen dies deutlich. Das THW ist weltweit vor Ort im Einsatz: in über 130 Ländern mit den Helferinnen und Helfern im Auftrag der Bundesregierung. Auch in den nächsten Tagen und Wochen werden die Helferinnen und Helfer des THW wie alle Zivilschutz- und Katastrophenschutzorganisationen gebunden werden und einen deutlichen und essenziellen Beitrag zu Gesundheit und zur Sicherheit im Land leisten. Dafür unser ganz herzlicher Dank und alles Gute für diesen Dienst! ({0}) Aus meiner Sicht gibt es nun einen ganz entscheidenden Punkt, den wir mit diesem THW-Gesetz voranbringen: Wir schaffen die Kostentragungspflicht ab. Jeder von Ihnen und jeder vor Ort kennt es: Es gibt eine große Einsatzlage; das THW kann helfen. Aber dann gibt es immer diese Hemmschwelle wegen der Kosten. Was passiert, wenn hinterher die Regionalstelle des THW eine Rechnung von 50 000 Euro oder auch nur 10 000 Euro schreibt? Welcher Bürgermeister wird dann das nächste Mal das THW rufen? Welcher Einsatzleiter wird sich in die rechtliche Unklarheit begeben, ob diese Rechnung bezahlt wird, und wird er die ehrenamtlichen Helfer, die bereitstehen, dann doch im Depot lassen? Mit der heutigen Novellierung schaffen wir die mit diesem Problem verbundene Hemmschwelle ab. Wir werden grundsätzlich auf die Kostenerstattung durch die Städte und Gemeinden, durch die Polizeien und durch die Länder verzichten, wenn der Einsatz im öffentlichen Interesse ist, wenn er der örtlichen Gefahrenabwehr dient und wenn vor allem die Gemeinde selber die Kosten nicht bei einer Versicherung abrechnen kann. Das ist ein guter Tag für das THW. Aus meiner Sicht dürfen Kostengesichtspunkte in keinem Fall ein entscheidendes Kriterium sein, wenn die Sicherheit gefährdet ist. ({1}) Auch für die Helferinnen und Helfer im Ehrenamt ist es doch ganz wichtig: Die beste Ausstattung nutzt nichts, wenn sie nur blankgeputzt wird. Das fähigste Personal nutzt nichts, wenn es nicht gerufen wird und nicht zu den Einsätzen fährt, sondern im Depot hockt. Deswegen noch mal ganz deutlich: Die Abschaffung der Kostentragungspflicht ist ein essenzieller Punkt. Die Abschaffung der Kostentragungspflicht machen wir nicht, um dem THW etwas Gutes zu tun. Wir tun es, damit die Sicherheitsbehörden im Land insgesamt unterstützt werden. Der Sicherheitsföderalismus muss ein Stück weit reformiert werden. Dazu machen wir heute einen Schritt, indem wir sagen: Feuerwehr, THW, weiße Rettungskräfte arbeiten zusammen – ohne Hemmschwelle, ohne Kosten. Vor allen Dingen können wir den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gerade im Hinblick auf diese Krise sagen: Wir tun das Beste. Wir können das Material, das uns zur Verfügung steht, bestmöglich zum Einsatz bringen. Das beste technische Gerät – Geräteprogramme, Gebäudeprogramme, Fahrzeugprogramme – das wir in den letzten Jahren angeschafft haben, kann jetzt zum Einsatz kommen. – Dafür wünsche ich allen in den Einsätzen in den kommenden Wochen, aber auch darüber hinaus alles Gute, viel Kraft, Gottes reichen Segen. Bleiben Sie gesund! Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Wendt. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Hess, AfD-Fraktion. ({0})

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Die Bundesregierung will mit dem Gesetzentwurf das Ehrenamt beim Technischen Hilfswerk stärken. Das ist wichtig und richtig; denn Ehrenamt bildet das Rückgrat unserer Gesellschaft. Aber ein viel dringenderer Handlungs- und Verbesserungsbedarf besteht ganz woanders. Deutschland ist für Katastrophen suboptimal aufgestellt. Gründe dafür sind die fatale Sicherheitspolitik der Bundesregierung ({0}) und die im Hinblick auf die Gefahrenabwehr dringend optimierungsbedürftigen föderalistischen Strukturen unseres Landes. An die Lösung dieser zentralen Probleme wagen sich weder die Regierung noch die FDP in ihrem Antrag heran. ({1}) Wenn wir zukünftig für Katastrophen optimal aufgestellt sein wollen, müssen wir endlich die Bundeskompetenz bei der Gefahrenabwehr stärken. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe muss zu einer echten Zentralbehörde ausgebaut werden, und das THW muss für chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren optimal ausgerüstet und vorbereitet sein. Angesichts der Bedrohung durch hybride Angriffe durch Terrorismus und Pandemien ist doch nicht hinnehmbar, dass der Bund nicht einmal einen Überblick über die im Katastrophenfall zum Schutz der Bevölkerung verfügbaren Kapazitäten hat. Das ist ein Armutszeugnis für diese Regierung. ({2}) Die Bundesregierung hat Deutschland auch schlecht auf die Gefahr einer Pandemie vorbereitet. ({3}) Dabei hätten Ihnen die enormen Ausmaße eines solchen Szenarios spätestens seit der Risikoanalyse von 2012 bekannt sein müssen. Die Folgen Ihrer Versäumnisse haben nun die Bürger zu tragen. Es ist doch schlicht skandalös, dass Menschen, die sich auf Corona testen lassen wollen, zwischen Behörden, Krankenhäusern und Ärzten hin- und hergeschickt werden, sich niemand zuständig fühlt und dass letztlich erst nach mehreren Tagen und damit nach dem Kontakt mit einer Vielzahl von Menschen ein Test durchgeführt wird. So etwas kann und darf nicht sein. ({4}) Spätestens als sich das Virus in Italien auszubreiten anfing, hätten Sie Einreisesperren verhängen müssen. Stattdessen haben Sie einen Abschiebestopp nach Italien verhängt. Diese Maßnahme hat allen Wählern wieder einmal klar vor Augen geführt: Ihre Politik der offenen Grenzen und der Weltoffenheit ohne Rücksicht auf den Schaden für unser Land ({5}) hat für Sie Vorrang vor dem Schutz der deutschen Bevölkerung. Das ist nicht nur leichtsinnig, sondern auch verantwortungslos und inakzeptabel. ({6}) Die Expertenmeinungen zu den Auswirkungen und Folgen dieser Coronaepidemie sind durchaus unterschiedlich. Aber diese Krise hat nach Auffassung namhafter Experten eben auch das Potenzial, sich zu einer massiven nationalen Notlage zu entwickeln, und dann muss für die Politik im Zweifel der Schutz unserer Bürger immer an oberster Stelle stehen. Schluss mit Wankelmut und Zögerlichkeit! ({7}) Die Zeit der Empfehlungen ist vorbei. ({8}) Jetzt sind eine klare Führung, entschlossenes Handeln und eindeutige Vorgaben notwendig. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung weiterhin die Verantwortung auf Länder, Kreise und Kommunen abschiebt. ({9}) Um uns herum handeln nahezu alle europäischen Länder und ergreifen die wirklich notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie, und genau das müssen wir jetzt endlich auch tun. ({10}) Deshalb muss die Bewältigung dieser ernsten Lage endlich zur Chefsache erklärt werden. Wir brauchen ein Coronakrisenkabinett, das die derzeit umgesetzten Maßnahmen ({11}) so schnell wie möglich optimiert und ergänzt. Dass sich gestern die Ministerpräsidenten der Länder getroffen und allen Ernstes nicht etwa einheitliche und effektive Maßnahmen zur Verlangsamung der Virusausbreitung vereinbart, dafür aber die Erhöhung des Rundfunkbeitrages beschlossen haben, ist in dieser ernsten Lage in keinster Weise nachvollziehbar. ({12}) Es müssen jetzt insbesondere folgende Maßnahmen unverzüglich umgesetzt werden: sofortige bundesweite Schließung aller Schulen, wie es Frankreich, Belgien, Dänemark, Tschechien und Polen tun, und Schließung aller öffentlichen Einrichtungen, sofortiger Einreisestopp für Menschen aus Hochrisikogebieten und Absage aller nicht notwendigen Veranstaltungen mit größeren Menschenansammlungen. Dabei ist der bisherige Grenzwert von 1 000 Personen nach Auffassung von Experten viel zu hoch und muss dringend nach unten korrigiert werden. Wer jetzt nicht entschlossen handelt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Krise wie in Italien außer Kontrolle gerät, ({13}) und das dürfen wir nicht zulassen. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich angesichts des unsäglichen Auftritts, der hier gerade erfolgte, eine Äußerung in aller Klarheit an die Mitbürgerinnen und Mitbürger richten, die sich ehrenamtlich in den zahlreichen Hilfsorganisationen bewähren, die sich darum kümmern, dass in Krankenhäusern die Lage aufrechterhalten wird, die sich darum kümmern, dass dieses Land in einer Krise zusammenhält und nicht gespalten wird: Seien Sie sich sicher, dass dieser Bundestag seiner Verantwortung nachkommt und nicht in einem Klein-Klein zwischen Opposition und totaler Unverantwortlichkeit zerfällt. Darauf können Sie sich verlassen. ({0}) Denn tatsächlich ist diese Debatte zum Bevölkerungsschutz in Verbindung mit Anträgen auch der Oppositionsfraktionen lange vereinbart, und das THW-Gesetz, das wir heute beschließen werden, ist ebenfalls so lange vereinbart. Wir haben es auf einen guten Weg gebracht. Die Tatsache, dass wir in einer hochvernetzten Welt leben – weltweiter Warenaustausch, internationale Flugreisen, aber auch digitale und analoge Sicherheit verschmelzen immer stärker –, stellt uns gerade im Bevölkerungs- und Zivilschutz vor neue Herausforderungen, auch dann, wenn zum Beispiel der Klimawandel mit seinen Auswirkungen von Dürren bis Bränden auch Deutschland fordert. Das ist nicht abstrakt, das ist nicht irgendwo, das ist auch in unserem Land Deutschland jederzeit möglich. Wir haben gehandelt. Das Erste ist: Wir haben uns auf die Situation vorbereitet, wenn Angriffe auf kritische Infrastrukturen drohen und uns vor Herausforderungen stellen: Was ist, wenn die Wasserversorgung zusammenbricht oder die öffentliche Ordnung schwerwiegend geschädigt wird? Insofern ist die Herausforderung an den modernen Bevölkerungsschutz eine andere geworden, als sie es noch vor 10 oder 15 Jahren war. Es ist nicht abstrakt, dass vor einigen Monaten ein Hackerangriff auf Krankenhäuser erfolgte und 13 Krankenhäuser lahmgelegt waren. Das ist konkret, und wir sind entsprechend aufgestellt und stellen hier andere Anforderungen. Naturkatastrophen und Hackerangriffe wie dieser machen vor Ländergrenzen nicht halt, und genauso braucht es das Zusammenspiel aller föderalen Ebenen. Ich werbe nachdrücklich dafür, aus dem Klein-Klein eines Kooperationsverbotes auszubrechen und hin zu einem Kooperationsgebot zu kommen, damit alle Ebenen – von der kommunalen über die Länderebene bis zur Bundesebene – gerade in einer solchen Situation effizient zusammenarbeiten; denn eine solche Zusammenarbeit ist die Stärke eines föderalen Staates, der vor Ort gute Einrichtungen und gute Möglichkeiten hat. Das Zweite, was hinzukommt, ist das großartige ehrenamtliche Engagement von Tausenden und Millionen von Helferinnen und Helfern. Hier können wir als Bund unserer Koordinierungsfunktion nachkommen. Wir haben gehandelt, 2004 auf Basis der Erfahrungen des Hochwassers, aber auch schon 2001, nach dem 11. September; da haben wir das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geschaffen. Das ist eine zentrale Funktionalität, die wir auf Bundesebene geschaffen haben, und hier ist die Organisation eines föderalen Staates in Kombination mit einem wunderbaren ehrenamtlichen Engagement gut aufgestellt. ({1}) Insofern heißt es jetzt, das nicht kleinzureden, sondern auch Erkenntnisse daraus abzuleiten, was man aus den länder- und ressortübergreifenden Übungen erfahren hat, was man noch verbessern kann. Das wird nach der Abarbeitung der Krise – Corona ist schon angesprochen – die gemeinsame Verantwortung aller staatlichen Ebenen sein. Aber jetzt ist es Zeit, zu handeln; die LÜKEX-Übung ist angesprochen worden. Die Warn-App NINA ist eine wunderbare Möglichkeit, wie wir an dieser Stelle Informationen transparent und ohne einen Filter teilen können: Wie treibe ich Vorsorge? Welche Informationen liegen für meinen Landkreis vor? – Viele Menschen haben sich diese App schon heruntergeladen. Hier wurde ein Angebot des Bundes entsprechend angenommen. Ich kann dazu nur herzlich einladen. Gerade jetzt ist es ein Vorteil eines demokratischen Rechtsstaats, dass jede Bürgerin und jeder Bürger transparente Informationen erhalten und auch Pandemiepläne einsehen können. Es gibt keinen Grund, die Situation zu einer Verhetzung zu nutzen, sondern man sollte mehr denn je für Transparenz, Offenheit und Klarheit in der Sache sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ganz wichtig ist das, was wir als Koalition zusammen mit konstruktiven Teilen der Opposition – nicht mit den Hetzern und Spaltern, die hier im Haus sitzen – auf den Weg gebracht haben. Ja, das Technische Hilfswerk braucht andere Regeln, ein anderes Regelwerk. Wir haben die Kostentragungsregeln angepasst. Ein guter Entwurf der Bundesregierung ist durch das Handeln der Koalition noch besser geworden, wie wir es in diesem Haus schon oft erfahren haben. Das ist ein Anlass, zu sagen: Wir haben die Dienste anders geregelt. Es gibt auch die Nachbereitungszeiten, die erfasst werden, sodass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wissen, woran sie sind, wenn sich jemand beim THW engagiert. Wir haben es noch besser gemacht, indem wir auch mit Zustimmung der Haushaltsgesetzgeber klar gesagt haben: Wir wollen dafür sorgen, dass mehr Geld zur Verfügung steht und nie wieder die Frage im Raum steht, wer am Ende die Rechnung zahlt. Immer dann, wenn ein öffentliches Interesse vorhanden ist, ist klar: Fordert das Technische Hilfswerk mit seinen zahlreichen Helferinnen und Helfern an, und verlasst euch darauf, dass ihr nicht auf der Rechnung sitzen bleibt. – Nicht kleinreden, sondern positive Beispiele nach vorne stellen, das ist das Gebot der Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir sind gefordert wie nie; aber wir sind im Ehrenamt gut aufgestellt. Darum braucht es in einer Debatte wie jetzt, die vereinbart worden ist, als wir noch nicht absehen konnten, dass zu diesem Zeitpunkt eine solche Herausforderung in Deutschland besteht, ein Dankeschön an alle Helferinnen und Helfer, die sich ehrenamtlich in diesem Land im Zusammenspiel mit hochspezialisierten Spezialistinnen und Spezialisten engagieren. ({4}) Ich will aber nicht verhehlen – da haben auch wir als Gesetzgeber gehandelt –: Es kann bei allein durch das Technische Hilfswerk geleisteten 200 000 Einsatzstunden nicht sein, dass diese Menschen, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die die höchste Form der gesellschaftlichen Solidarität zeigen, die ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren, herabgewürdigt werden. Eine Untersuchung hat ergeben, dass über 90 Prozent aller ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, auch Beschäftigte von Rettungsdiensten, angepöbelt worden, Gegenstand von Beleidigungen im Netz gewesen oder sogar körperlich angegriffen worden sind. In welchem Land leben wir, dass wir uns nicht vor Retterinnen und Retter stellen? Dass das bekämpft wird, muss ebenfalls ein klares Signal sein. Initiativen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und vieler Hilfsorganisationen verdienen unsere Unterstützung und sämtliche Helferinnen und Helfer unsere volle Solidarität. Wir sagen Nein zu Gewalt gegen Helferinnen und Helfer und Rettungskräfte. ({5}) Der Punkt der Vernetzung analoger und digitaler Sicherheit ist angesprochen worden. Es ist eine Frage digitaler Souveränität. Ja, es gibt auch einen Punkt, an dem wir überlegen, wie wir unser 5G-Netz zukünftig aufbauen werden. Es ist fatal, sich von einer Wirtschaftsmacht oder gar einem einzigen Anbieter abhängig zu machen. Deswegen ist es wichtig, verschiedene Anbieter zu haben und so vor allen Dingen Zeit zu gewinnen, dass wir als Deutschland eigenständige Kraft gewinnen, mit eigenen Herstellerstrukturen und eigener Sicherheitstechnologie. Aber wir als Deutschland können auch Weiteres tun. Eine bestmögliche Kryptografie in Verbindung mit Security by Design ermöglichen uns, eine sichere 5G-Technologie aufzubauen. Auch hier handeln wir; denn analoge und digitale Sicherheit verschmelzen. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Wir müssen den Bevölkerungsschutz stärker in den Blick nehmen. Wir müssen weg vom Kooperationsverbot hin zu einem Kooperationsgebot in einem föderalen Staat. Wir wollen in dieser Situation Ruhe bewahren, besonnen handeln, aber uns auch darum kümmern, die Stärken, die wir haben, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– im Zusammenspiel von föderaler Ebene und Ehrenamt zu nutzen. Deswegen ist jetzt solidarisches Handeln in Verbindung mit diesem ehrenamtlichen Engagement angezeigt; denn gemeinsam sind wir stark. Danke an alle Helferinnen und Helfer, die uns in dieser Stunde beistehen! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hartmann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sandra Bubendorfer-Licht, FDP-Fraktion. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kernaufgabe eines Staates ist es, sich um die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu kümmern. Neben der Gefahr durch Kriminalität sind es besonders Gefährdungen durch Katastrophen, Unglücke, Epidemien, Pandemien und Naturauswirkungen, vor denen wir Mensch, Umwelt, Wirtschaft und Kultur schützen müssen. Gerade erleben wir bei der Coronapandemie, wie schnell der Krisenmodus Einzug hält. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung, das Parlament regelmäßig über den Stand der möglichen Szenarien, die Lehren aus den Simulationen und mögliche Konsequenzen unterrichtet. Denn bereits 2012, bei der Analyse eines Szenarios zum Virus Modi-SARS, wurde darauf hingewiesen, dass Schutzmasken und Desinfektionsmittel knapp werden könnten und die Zahl der Versorgungsplätze zur medizinischen Intensivbetreuung zu gering ist. Acht Jahre später stellen wir fest, dass die damals angesprochenen Schwächen nicht nachhaltig behoben wurden. Hier sind Sie von der Regierung gefordert. ({0}) Vermutlich werden wir uns diesen Sommer wieder mit dem Thema „Hitze und Dürre“ auseinandersetzen. Wir brauchen hier dringend Maßnahmen, um Waldbrände, wie sie in den letzten Jahren vorkamen, effektiv, schnell und zielgerichtet eindämmen und löschen zu können. All diesen Fragen sollten wir nicht mit Angst begegnen, sondern mit dem nötigen Respekt und der Ernsthaftigkeit, der sie bedürfen. Wie das sehr unaufgeregt geht, hat gerade ein Land in der Coronakrise besonders bewiesen: Taiwan, Nachbar von China mit engen wirtschaftlichen Beziehungen zur Volksrepublik, hat gezeigt, wie man mit klaren Strategien und einem kühlen Kopf auf die Gefahr des Coronavirus antworten kann. ({1}) Allein das Messen der Körpertemperatur am Flughafen bei der Einreise zeigt Wirkung. Es wäre wünschenswert, dass wir als internationale Gemeinschaft bei derartigen Situationen wieder mehr Kollegialität und Zusammenarbeit anstreben, im Sinne der Gesundheit; denn Viren kennen keine Grenzen. Für Deutschland können wir aus den vorliegenden Berichten zwei Lehren ziehen. Erstens. Wir brauchen nachhaltige Investitionen in den Bevölkerungsschutz. Zweitens. Wir müssen die Handlungsempfehlungen, die uns derartige Berichte geben, auf ihre Machbarkeit prüfen und dann aber auch umsetzen. Wir müssen den Helferinnen und Helfern, die vieles im Ehrenamt und im Freiwilligendienst für die Gemeinschaft leisten, den Rücken stärken. Daher: Unterstützen Sie unseren Antrag „Vorsorgestrukturen ausbauen – Ehrenamt in Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken“, der von vielen Organisationen der Katastrophenhilfe gelobt wurde. ({2}) Die Zustimmung unsererseits zum neuen THW-Gesetz ist Ihnen ebenso sicher.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es geht um nichts Geringeres als um das Wohl aller. Lassen Sie uns hier konstruktiv zusammenarbeiten! Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim aktuellen Tagesordnungspunkt werden ein Gesetzentwurf und gleich vier Beschlussvorlagen gemeinsam behandelt. Wir als Linke haben dafür drei Minuten Redezeit. Eine wirklich detaillierte Befassung mit den Vorlagen ist somit objektiv schwierig bis unmöglich. Deshalb kann ich nur auf einige Punkte kurz eingehen. Zunächst zur Risikoanalyse. In der Bundestagsdrucksache 17/12051 vom 3. Januar 2013 – es handelt sich um den Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012; meine Vorrednerin hat darauf bereits hingewiesen – wird ein Szenario beschrieben, das uns dieser Tage sehr bekannt vorkommt. ({0}) Es geht in diesem Szenario um ein hypothetisches neuartiges Virus, das den Namen „Virus Modi-SARS“ erhält. Es wird durch Reisende aus Asien eingeführt, wo es auf einem Wildtiermarkt auf Menschen übergesprungen war. Das fiktive Virus ist hochinfektiös und breitet sich über eine große Anzahl von Kontaktpersonen auch in Deutschland schnell aus. Die Symptome des neuen Virus sind Fieber und trockener Husten. Die Mehrzahl der Patienten hat Atemnot und Veränderungen in der Lunge; auch in dieser Hinsicht hat das fiktive Virus eine fast schon unheimliche Ähnlichkeit mit dem aktuellen Coronavirus. Zum Höhepunkt der ersten Infektionswelle nach circa 300 Tagen – so die Annahme in der Risikoanalyse – sind circa 6 Millionen Menschen in Deutschland an diesem Virus erkrankt. Dann heißt es in dem Bericht weiter: „Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können.“ Noch einmal: Das fragliche Dokument stammt aus dem Jahr 2013. Heute sind wir leider in einer Situation, in der sich beweisen muss, ob aus diesem Stresstest die richtigen Schlussfolgerungen gezogen worden sind. Die Risikoanalyse zum Bevölkerungsschutz für das Jahr 2017, die heute auf der Tagesordnung steht, greift die Analyse aus dem Jahr 2012 noch einmal auf und verbindet sie mit konkreten Handlungsempfehlungen. Es wird zum Beispiel empfohlen, zu prüfen, ob eine Erhöhung der Bettenzahl in Krankenhäusern sinnvoll wäre. Da würde mich tatsächlich interessieren, welche konkreten Überlegungen dazu angestellt und welche Ergebnisse dabei bisher erreicht wurden. In Sachsen jedenfalls sind eher Bettenzahlen reduziert worden. Berichte, die uns aus Italien erreichen, sind zutiefst beunruhigend und zeigen, wie schnell Kapazitäten in Krankenhäusern an die Grenzen kommen können. Gesundheit und medizinische Versorgung sind Teil der Grundversorgung. Hier darf es gerade mit Blick auf Krisensituationen nicht um Profitmaximierung gehen. ({1}) Ich habe jetzt nicht die Zeit, auf zu erwartende Medikamentenengpässe einzugehen. Sie wissen, wir haben viele Medikamente bisher aus China und Indien bezogen; auch diese Abhängigkeiten muss man künftig hinterfragen. ({2}) Der Änderung des THW-Gesetzes werden wir zustimmen. Hier verweise ich auf die Rede, die ich bei der ersten Lesung gehalten habe, bei der ich auch den THW-Helfern ganz herzlich für ihre Arbeit gedankt habe. Es ist notwendig, dass die Forderung nach dem Verzicht auf eine Kostenerstattung, wenn Kommunen das THW anfordern, umgesetzt worden ist. Das wurde endlich berücksichtigt. Letzter Satz: Die Grünen beantragen, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in eine Zentralstelle umzuwandeln, und wollen dazu das Grundgesetz ändern. Wir haben dazu diverse Fragen und auch Diskussionsbedarf. Darüber zu reden werden wir in den Ausschüssen Gelegenheit haben. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hahn. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir beraten heute ein ganzes Paket an Initiativen und Berichten, die den Bevölkerungsschutz betreffen. Ich möchte deshalb auch gleich auf das THW-Gesetz zu sprechen kommen. Es ist ein guter Gesetzentwurf, der viele Verbesserungen schafft. Nun wird endlich auch klar geregelt, dass in vielen Fällen die Einsätze nicht mehr den Kommunen in Rechnung gestellt werden – das ist eben auch schon angesprochen worden –, und das ist selbstverständlich genau richtig. ({0}) Die Herausforderungen für unser integriertes Hilfesystem und die föderale Struktur werden nicht weniger. Das erkennen wir, wenn wir zum Beispiel an die extremen Trockenperioden, Starkregenereignisse oder auch andere Extremwetterlagen aufgrund der Klimakrise denken. Da kann man sich auch die hier vorgelegten Risikoanalysen anschauen, die Herr Hahn vorhin schon zitiert hat. All das zeigt uns, dass es ganz dringend Handlungsbedarf gibt. ({1}) Auch in der aktuellen Krise erleben wir, wie schnell eine Lage länderübergreifende Bedeutung erlangen kann und koordiniertes Handeln auch im Bevölkerungsschutz erforderlich ist. Der wirklich gelungene Antrag der FDP, Kollege Strasser, ({2}) dem wir auch zustimmen werden, enthält viele konkrete Vorschläge. Aber er bietet leider keine Lösung dafür, wenn Abläufe unter Reibungsverlusten leiden oder Maßnahmen sogar ins Leere laufen, weil es bei 16 Länderzuständigkeiten niemanden gibt, der den Gesamtüberblick behält. In solchen Situationen ist der Bund gefragt, mehr Verantwortung zu übernehmen, und zwar nicht, um den Föderalismus abzuschaffen, sondern zur Unterstützung der Länder. ({3}) Das integrierte Hilfeleistungssystem, so wie wir es kennen, muss zu einem kooperativen Hilfeleistungssystem weiterentwickelt werden. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Schon bei der letzten Änderung des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes vor zwölf Jahren sagte der ehemalige SPD-Politiker Gerold Reichenbach hier im Haus, dass wir eine bundesweite, im Grundgesetz verankerte Koordinierungskompetenz beim Katastrophenschutz brauchen. Genau dieser Punkt wurde auch in der Anhörung im Innenausschuss vor zwei Monaten von den Sachverständigen unterstrichen. Herr Hess, das können Sie ja jetzt hier fordern; aber einen Antrag zu schreiben, war Ihnen wahrscheinlich zu kompliziert. Wir Grünen haben die Anhörung zum Anlass genommen, Ihnen heute unseren Antrag vorzulegen, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einer Zentralstellenkompetenz auszustatten. ({4}) Denn es ist eben niemandem zu erklären, dass das BBK zwar im Verteidigungsfall über die nötigen Kompetenzen verfügt, aber sein Know-how in Friedenszeiten eben nicht einsetzen darf. Es ist wichtig, dass wir einen verbindlichen Informationsfluss bekommen und ein abgestimmtes Ressourcenmanagement haben, damit jederzeit sichergestellt ist, dass die Hilfe auch dort ankommt, wo sie benötigt wird. Das geht mit einer solchen Zentralstellenkompetenz. Auch bei besonderen länderübergreifenden Lagen stößt unser wirklich gutes föderales System nun mal an seine Grenzen. Deswegen ist es wichtig, dass wir es weiterentwickeln. Ganz in dem Sinne, wie es der Kollege Hahn vorhin vorgeschlagen hat, möchte auch ich hier an Sie appellieren, wenn wir unseren Antrag in den Innenausschuss überweisen: Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir unser bereits gutes System noch weiter fortentwickeln können, im Interesse des Föderalismus. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Mihalic. – Als nächster Redner hat der Kollege Michael Kuffer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für den Bevölkerungsschutz; ich füge hinzu: freilich unter den gegebenen Umständen. Es ist ein guter Tag für das Technische Hilfswerk und für die Hunderttausenden Ehrenamtlichen in unserem Land. Wir beschließen heute mit dem Gesetz zur Änderung des THW-Gesetzes eine erweiterte Kostenverzichtsregelung für bestimmte Einsatzfälle des THW und gehen damit einen großen und wichtigen Schritt, um das THW und den Bevölkerungsschutz vor Ort zu stärken. Für diejenigen unter uns, die sich nicht täglich mit dem Bevölkerungsschutz beschäftigen, für die Damen und Herren zu Hause: Was hat eine Kostenregelung mit der Stärkung des Bevölkerungsschutzes zu tun? Es geht darum, die Inanspruchnahme des THW im Standardeinsatz zu erleichtern und damit dessen Einsatzhäufigkeit zu erhöhen. Das geschieht nicht aus Selbstzweck – ganz im Gegenteil –, sondern es ist so: Das Technische Hilfswerk ist eine Einrichtung des Zivilschutzes und hält als solche viel Personal und Material für Fälle vor, die hoffentlich nie eintreten mögen. Weil sie Gott sei Dank so selten eintreten, sind wir darauf angewiesen, dass wir über die häufige Teilnahme des THW eben auch an Standardeinsätzen einen Übungseffekt erzielen, und genau darum geht es. Einsätze bedeuten Übung, und Übung schafft Einsatzfähigkeit. Das ist der Grund, warum wir diesen Gesetzentwurf hier beschließen wollen. Mit der Möglichkeit, die Helferinnen und Helfer des THW gut trainiert zu halten, stärken wir also aktiv unsere Zivilschutzkapazitäten. Ich bedanke mich deshalb bei allen, die an diesem Ergebnis so konstruktiv mitgewirkt haben. Das betrifft stellvertretend für das gesamte Haus den Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich hier sehr für eine klare und umfassende Regelung starkgemacht hat, das betrifft die Länder, auf deren Bundesratsinitiative wir hier aufsetzen konnten, das betrifft aber auch die Kolleginnen und Kollegen im Innenausschuss, wo wir sowohl in den Berichterstattergesprächen als auch bei der Behandlung sehr konstruktiv zusammengearbeitet und den Gesetzentwurf am Ende sogar einstimmig beschlossen haben. Unverständnis ruft der Wortbeitrag von Herrn Hess von der AfD hervor. Ich bin hinsichtlich dessen, was Sie hier heute von sich gegeben haben, wirklich fassungslos, und ich will Sie wirklich fragen, ob Ihnen eigentlich klar ist, was auf dem Spiel steht. ({0}) Ist Ihnen eigentlich klar, was momentan auf dem Spiel steht? ({1}) Wir stehen in medizinischer Hinsicht und im Hinblick auf unsere Infrastruktur und die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft vor einer der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte, und Sie halten hier Reden, bei denen es Ihnen offensichtlich darum geht, Klicks auf Ihre Webseite zu bekommen. ({2}) Ganz ehrlich: Es geht nicht um ein paar billige Klicks auf Ihre Facebook- oder Ihre Webseite. ({3}) Es geht um das Land, es geht um die Menschen, es geht um die Sicherheit der Menschen, und in einer solchen Zeit war es immer eine Stärke dieses Hauses, dass wir über die Parteigrenzen hinweg zusammengehalten und zusammengearbeitet und das parteipolitische Klein-Klein hintangestellt haben. Nur an Ihnen ist diese Lektion wie immer völlig vorübergegangen, ({4}) und ich kann nur hoffen, dass Sie da in den nächsten Wochen zu einer anderen Linie finden und dass nicht noch Umstände eintreten, die die Lage noch schlimmer machen, uns zu weiteren Maßnahmen zwingen und Ihnen das auch vor Augen führen. Kommen Sie an dieser Stelle zur Besinnung, Herr Hess! ({5}) Deshalb möchte ich zum Schluss alle auffordern, die für den Bevölkerungsschutz in unserem Land Verantwortung tragen, mitzuhelfen, dieses ausgezeichnete und hoch leistungsfähige System weiterzuentwickeln, ({6}) und allen Verantwortlichen und allen Aktiven von der Bundesebene bis zu den Kommunen vor Ort danken.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie leisten ausgezeichnete Arbeit – übrigens nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland – und sorgen dafür, dass wir die aktuelle Lage in den Griff bekommen und dann sicher im Griff haben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wünsche Ihnen allen das Beste, vor allem aber Gesundheit und eine sichere Heimkehr. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kuffer. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Christoph Bernstiel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christoph Bernstiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wer hätte, als wir diese Tagesordnung diskutiert haben, gedacht, dass wir diesen Punkt einmal vor dem Hintergrund einer realen Katastrophenlage diskutieren müssen. Wohl kaum jemand! Dennoch ist sie eingetreten. Viele Kolleginnen und Kollegen auch hier in diesem Haus haben sich mittlerweile mehr oder weniger freiwillig in Quarantäne begeben, und leider musste ich heute in den Debatten feststellen – nicht nur zu diesem Tagesordnungspunkt, sondern auch zu anderen –, dass sich einige Kollegen der AfD offensichtlich auch schon in geistige Quarantäne begeben haben. ({0}) Denn das, was Sie hier gerade abgeliefert haben, Herr Hess – ich schätze Ihre Beiträge sonst; sie sind meistens sachlich –, ({1}) passt hier wirklich nicht. Es geht jetzt nämlich darum, Ruhe und Besonnenheit in der Bevölkerung zu verbreiten, und Sie haben genau das Gegenteil getan. ({2}) Sie haben behauptet, dass die Bundesregierung keine Vorsorge getroffen hat und dass das keine Chefsache ist. Ich frage Sie: Haben Sie in den letzten Wochen und Tagen keine Nachrichten geschaut? Bundeskanzlerin Merkel ist dabei, unser Gesundheitsminister Jens Spahn, der einen hervorragenden Job macht, ist dabei, und in den letzten Tagen und gerade heute haben wir hier auch unsere Wirtschaft nicht aus dem Blick verloren, um genau denjenigen, die jetzt unsere Hilfe brauchen, auch Unterstützung zukommen zu lassen. Das ist absolute Chefsache, und das ist auch gut so. Bitte nehmen Sie das so zur Kenntnis! Im Übrigen: In jeder Krise steckt auch eine Chance. Daher danke ich den Antragstellerinnen und Antragstellern von den Grünen und auch von der FDP, dass sie das Thema Bevölkerungsschutz hier an das THW-Gesetz „angedockt“ haben. Es ist richtig, dass wir darüber reden müssen. Wir merken jetzt auch – das ist leider bittere Realität –, wie abhängig wir von Exporten bzw. Importen sind. 90 Prozent aller Generika werden aktuell in China hergestellt. Allein in der unter Quarantäne gestellten Region Hubei gibt es ungefähr 136 verschiedene Arzneimittelhersteller, die jetzt aktuell nicht liefern können. Wir müssen uns die Frage stellen: Was ist uns unsere Sicherheit wert? In diesem Zusammenhang können wir froh sein, dass wir noch vor Kurzem über unsere Klinikstrukturen und darüber diskutiert haben, dass wir zu viele Betten und zu viele kleine Strukturen vorhalten. Jetzt hilft uns das. Ich hoffe, dass wir diese Erkenntnis auch mit in die Diskussionen nehmen, wenn wir darüber sprechen, wie wir unseren Bevölkerungs- und Katastrophenschutz in Zukunft besser aufstellen können. Das wird im Zweifel auch bedeuten, dass wir auch für Strukturen Geld investieren müssen, die wir nicht jeden Tag brauchen, damit sie uns dann, wenn wir sie brauchen, zur Verfügung stehen. Dafür müssen wir uns einsetzen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss und möchte die restliche Zeit noch nutzen, um einen kleinen Appell an diejenigen zu richten, die jetzt in die Supermärkte gehen und Dinge kaufen, die sie vielleicht gar nicht brauchen. ({4}) Sie alle wissen, welchen Mangel wir gerade bei gewissen Dingen zu verwalten haben. Ich empfehle Ihnen die sehr gute Broschüre des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, des BBK. Sie finden sie relativ schnell; sie heißt „Checkliste Katastrophenalarm“. Das ist eine orangefarbene Broschüre. Darin finden Sie Listen mit Dingen, die Sie jetzt einkaufen sollten, und mit Dingen, auf die Sie wirklich getrost verzichten können. In diesem Sinne: Seien Sie besonnen! Passen Sie auf sich und Ihre Mitmenschen auf! Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Bernstiel. – Damit schließe ich die Aussprache.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich bin nicht nur Genossin. Ich bin auch seit 35 Jahren Kameradin, und zwar im Verein der Verfolgten des Naziregimes. Für viele hier – für mich war es am Anfang auch so – ist diese Anrede vielleicht ein bisschen merkwürdig. Aber sie hat einen einfachen historischen Hintergrund: Als die Nazis die Gegnerinnen und Gegner in die Lager sperrten, da trafen sich dort Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Christen, Konservative und Liberale. Nicht alle wollten „Genossen“ genannt werden oder „Brüder“ und „Schwestern“, und auch andere Anreden schlossen nicht alle ein. So entstand die bis heute gehaltene Tradition, nach der sich die Mitglieder der VVN „Kameradinnen“ und „Kameraden“ nennen. Ich trage diese Bezeichnung mit Stolz, und mit Stolz zähle ich den Schwur der Häftlinge von Buchenwald zu meinen politischen Leitlinien: ({0}) Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Dieser Schwur von Buchenwald ist immer noch aktuell. Und ich weiß auch, dass für viele von Ihnen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, dies ein Auftrag ist. Warum heute dieser Antrag? ({1}) Die VVN ist bedroht. Die Bedrohung kam für uns schon immer von Neonazis und Rassisten, die jede Erinnerung an den beispiellosen Mord und die beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten unterdrücken wollten. Dass die Bedrohung jetzt vom Staat ausgeht, der die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, weil ein Geheimdienst die VVN für extremistisch hält, ({2}) ist nicht weniger als eine Schande für die Demokratie. ({3}) Unser Vorschlag, diese Schande zu heilen, ist: Streichen wir den Satz aus der Abgabenordnung, der die Geheimdienste dazu ermächtigt, der Zivilgesellschaft großen Schaden zuzufügen. ({4}) – Ich weiß gar nicht, was dieses höhnische Lachen soll, ganz ehrlich. ({5}) Ich will Ihnen ein Beispiel geben für den Schaden, den die Geheimdienste der Zivilgesellschaft zufügen: In Sachsen erwähnte der dortige Geheimdienst verschiedene linke Bands in seinem Bericht. ({6}) – Nein, nicht zu Recht! Er wurde von einem Gericht dazu verpflichtet, diese Erwähnung zurückzunehmen und den entsprechenden Bericht einzustampfen. ({7}) Eben nicht zu Recht! ({8}) Es ist willkürlich, und es ist rechtswidrig, was die Geheimdienste tun. ({9}) Aus diesem Grund muss für uns der Entzug der Gemeinnützigkeit immer nachvollziehbar sein. Er muss immer rechtsstaatlich erfolgen, und das kann nur ohne die Beteiligung der Geheimdienste stattfinden. ({10}) Die Überlebende und VVN-Ehrenvorsitzende Esther Bejarano brachte es in einem offenen Brief an den SPD-Finanzminister Scholz auf den Punkt. Sie schrieb: Wir Überlebenden haben einen Auftrag zu erfüllen, der uns von den Millionen in den Konzentrationslagern und NS-Gefängnissen Ermordeten und Gequälten erteilt wurde. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, ich denke, dieses Vermächtnis, dieser Auftrag gilt auch für uns. Vielen Dank.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Renner. – Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten ja vorhin einen Antrag der AfD zur Presse- und Meinungsfreiheit. Jetzt haben wir einen Antrag der Linken zur Abgabenordnung und Abschaffung des § 51 Absatz 3 Satz 2, also zur Gemeinnützigkeitsaberkennung, wenn verfassungsschutzrechtliche Bedenken bestehen. Ich bin der Meinung, dass wir solche Anträge zur jetzigen Zeit und zum heutigen Tag eigentlich überhaupt nicht brauchen. ({0}) Und wenn Sie wirklich Verantwortung tragen würden, dann würden Sie solche Anträge jetzt zurückziehen. Aber Sie wollen darüber reden, und dann tun wir es auch. ({1}) Man sollte sich den § 51 mal anschauen. Da steht drin: Eine Steuervergünstigung für gemeinnützige Organisationen setzt voraus, dass die gemeinnützigen Organisationen keine verfassungsfeindlichen Vorhaben fördern und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandeln. – Ich halte das für absolut richtig. ({2}) Ich weiß auch gar nicht, was der Antrag der Linken diesbezüglich soll. In Absatz 3 Satz 2 steht: Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 – also der Gemeinnützigkeit – nicht erfüllt sind. Auch das finde ich absolut richtig. ({3}) Man kann nun überlegen: Was sind die Alternativen, die Sie fordern? Eine Alternative wäre, dass jemand anderes als der Verfassungsschutz entscheidet, ob eine Organisation verfassungsfeindlich ist – das wäre Ihre Alternative –, zum Beispiel das Finanzamt. Ich weiß gar nicht, ob Sie das wirklich – bei allem Respekt – ernst meinen. Sie nennen ja in Ihrem Antrag übrigens auch die Geheimdienste und den Verfassungsschutz „Fremdkörper der Demokratie“, also Organisationen, die der staatlichen Kontrolle unterstehen, die unsere Demokratie schützen. Darin erkennt man übrigens die Intention Ihres Antrags; ich komme gleich drauf zu sprechen. Ich glaube, Ihr Wunsch ist ein ganz anderer. Ich glaube, dass Sie Organisationen, die als verfassungsschutzrechtlich bedenklich eingestuft werden, sozusagen wieder gemeinnützig erklärt haben wollen. Sie erweisen damit übrigens sowohl den rechtsextremen als auch den linksextremen Vereinigungen einen Bärendienst. Ich weiß gar nicht, ob Ihnen bewusst ist, was Sie mit diesem Antrag eigentlich anrichten. Wenn man sich den Verfassungsschutzbericht 2018 anschaut – vielleicht sollten Sie den mal lesen –, sieht man: Auf 63 Seiten wird über Linksextremismus geschrieben. Herr Keuter spricht dazu gleich noch, und wer im Glashaus sitzt, der sollte zur Kenntnis nehmen, dass auch der Rechtsextremismus extrem hoch angesetzt ist. Aber auf vielen Seiten stehen übrigens auch Organisationen der Partei Die Linke: „Kommunistische Plattform der Partei Die Linke“, „Sozialistische Linke“ ({4}) – das steht drin im Verfassungsschutzbericht; die wollen Sie doch wieder legalisieren; das ist der Grund Ihres Antrages –, „Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí“, „Antikapitalistische Linke“, „Marxistisches Forum“, „Geraer/Sozialistischer Dialog“, „marx21“. Und übrigens: Es geht auch um die Aufhebung des Verbots der Internetplattform „linksunten.indymedia“. Man konnte in der Presse ja auch verfolgen, dass Sie sich dafür eingesetzt haben. Der Prozess läuft. Also, der Rechtsstaat funktioniert. ({5}) Und trotzdem wollen Sie den Rechtsstaat aushebeln, indem Sie einfach das Gesetz abschaffen wollen. ({6}) Schauen Sie doch mal auf diese Internetplattform und lesen Sie doch mal durch, was dort eigentlich geschrieben wird. Auf der Seite von Nürnberg, meiner Heimatstadt, steht ein Bericht über Aktionen – ich zitiere – Inspiriert durch die kämpferische Demo zum Internationalen Frauenkampftag in Nürnberg haben wir in den Abendstunden des 8. März mehrere Transporter des Konzerns Vonovia angegriffen. In verschiedenen Teilen der Stadt haben wir Reifen zerstochen und Fahrzeuge großflächig mit Farbe verziert, um sie fürs Erste unbrauchbar zu machen. Es geht nämlich darum, dass die Gemeinnützigkeit dieser Plattform aberkannt worden ist, und das würden Sie damit aushebeln. Das ist der ganz einfache Grund Ihres Antrages. Ich glaube, ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: An solchen Tagen und in solchen Wochen wie diesen wäre es angebracht, sich mit derartigen Anträgen zurückzuhalten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich glaube, wir müssen jetzt, anstatt zu spalten und sowohl Organisationen, die linksextrem, als auch solche, die rechtsextrem sind, mit derartigen Anträgen zu befördern, eher schauen, dass wir unsere Arbeit mit Besonnenheit und mit der Konzentration aufs Wesentliche tun: den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das fördert Ihr Antrag mit Sicherheit nicht. Deswegen wäre es mir eigentlich lieber gewesen, Sie hätten diesen zurückgezogen. Wir brauchen Menschen mit Enthusiasmus. Wir brauchen Menschen mit Herz und Engagement für den Nächsten. Das tun unsere Ehrenamtlichen, und der Rechtsstaat garantiert das. Deswegen, glaube ich, ist die Regelung in der Abgabenordnung auch in Ordnung. Wir als CDU/CSU-Fraktion haben ein entsprechendes Ehrenamtspapier auf den Weg gebracht und beschlossen: mit der Erhöhung des Freibetrags für Übungsleiter, der Ehrenamtspauschale, Steuerfreiheit für Sachleistungen. – Das sind die wesentlichen Fragen im Ehrenamt, und nicht, die Linksextremen oder die Rechtsextremen zu begünstigen, indem man einfach den Paragrafen abschafft, der sich darauf bezieht, dass verfassungsfeindliche Äußerungen getroffen werden. Lassen Sie uns zusammenhalten! Lassen Sie uns in diesem Hause die Arbeit konzentriert angehen und denjenigen die Unterstützung zukommen lassen, die diesen Zusammenhalt in unserem Land fördern. Das sind die vielen Ehrenamtlichen in den Vereinen, die normale, gute Arbeit leisten. Denen sagen wir ein herzliches Dankeschön, gerade in Zeiten wie diesen. Lassen Sie uns zusammenhalten! Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Nächster Redner ist der Kollege Stefan Keuter, AfD-Fraktion. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen des demokratischen Spektrums! Liebe Linksfraktion! ({0}) Dieser Antrag ist an Kühnheit kaum zu überbieten. Schauen wir uns an, wer diesen Antrag gestellt hat: Es ist die Linksfraktion. Hinter ihr steht Die Linke, die identisch ist mit der SED, ({1}) verantwortlich für das Unrechtsregime, die Mauertoten, die Stasiüberwachung, die Drangsalierung und Unterdrückung der eigenen Bürger. Die Linke fordert die Anerkennung bzw. die Beibehaltung der Gemeinnützigkeit extremistischer Organisationen. Linksextremisten wollen die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen. ({2}) Sie wollen diese durch sozialistische, kommunistische und herrschaftsfreie Gesellschaften ersetzen. Zu den Linksextremisten gehört auch die autonome Szene. Ihre Anhänger wollen das System gewaltsam überwinden. Sie sehen Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. ({3}) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat 2018 einen Zuwachs an Linksextremen von 8,5 Prozent auf 32 000 Personen festgestellt, wovon mindestens 9 000 als gewaltbereit gelten. Linksextreme stehen nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. ({4}) Eine Anerkennung als gemeinnützig verbietet sich deshalb von selbst. ({5}) Ein Aktionsfeld der Linksextremen ist der sogenannte Antifaschismus. ({6}) Opfer sind politisch Andersdenkende: von der CDU/CSU, von der FDP – Sie haben es in Thüringen letztens noch am eigenen Leib erlebt – und selbstverständlich auch die AfD. Sachbeschädigungen, Brandanschläge, Körperverletzungen, Drangsalierungen, Hakenkreuzschmierereien – die übrigens statistisch als politische Kriminalität von rechts gezählt werden –, Nachbarschaftsoutings und Einschüchterungen gehören zum Baukasten der Linken. Ich selbst war auch schon Opfer davon; ich spreche aus Erfahrung. ({7}) Wir als AfD werden davor nicht einknicken. ({8}) Schauen wir uns doch mal an, wer vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird. ({9}) Das sind einmal die Kommunistische Plattform und die Sozialistische Linke. Das sind Organisationen, die die DDR als legitime Alternative zum Kapitalismus sehen. Das sind die Antikapitalistische Linke, die eine revolutionäre Realpolitik möchte, das Marxistische Forum, das heute noch die DDR hochleben lässt, und die Rote Hilfe, die inhaftierte Linksextreme auf Spur bringt oder auf Spur hält und eine Resozialisierung verhindert. Aber wir müssen auch – da gebe ich Ihnen recht – an den Geheimdiensten, gerade am Bundesamt für Verfassungsschutz, Kritik üben. Ich habe den Eindruck, dass es häufig eher ein Etabliertenschutz als ein Verfassungsschutz ist. ({10}) Die AfD, auch wir, werden in Teilen in Salamitaktik bekämpft: ({11}) vom Prüffall zum Verdachtsfall, zur Beobachtung von Teilen der Partei. Ich möchte daran erinnern, dass der Ministerpräsident von Thüringen, der Herr Ramelow, bis kurz vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten auch noch im Fokus des Verfassungsschutzes stand. ({12}) Herr Brehm, Sie sagten eben, Sie würden der Linksfraktion raten, in Zeiten wie diesen den Antrag zurückzuziehen. Ich sage Ihnen: Hätten Sie Herrn Haldenwang dazu gedrängt, seine Äußerungen zurückzuziehen! Das hätte zu dem Frieden und einer Fokussierung auf das Wesentliche in diesem Land beigetragen. ({13}) Zurück zu dem Antrag der Linken. Ihr Antrag, liebe Linksfraktion, muss ins Leere laufen. Eine Anerkennung von Linksextremisten als gemeinnützig verbietet sich komplett. Es ist außerdem eine Frechheit, dass die Linksfraktion steuerliche Vergünstigungen für ihr politisches Umfeld möchte, obwohl sie sich milliardenschweres SED-Vermögen unter den Nagel gerissen hat. ({14}) Machen Sie damit klar Tisch! Räumen Sie auf! Ansonsten sage ich: Schämen Sie sich! ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Michael Schrodi, SPD-Fraktion. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die SPD steht fest: Wir wollen eine starke Zivilgesellschaft; sie ist ein wesentlicher Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Aber diese Zivilgesellschaft – engagierte Bürgerinnen und Bürger – wird immer wieder angegriffen, auch im Parlament. Es gab hier Anträge, dass man prüfen soll, ob man Organisationen die Gemeinnützigkeit aberkennt. So etwas wurde auch in Parteitagsbeschlüssen, beispielsweise der CDU, gefordert. Zivilgesellschaft in einer demokratischen Gesellschaft heißt, dass man auch kontroverse Debatten aushalten muss, dass man es aushält, wenn einem eine Position einer gemeinnützigen Organisation einmal nicht passt, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({0}) Eine Kampfansage an die demokratische Zivilgesellschaft hat zuletzt der Rechtsextremist Björn Höcke formuliert. Deshalb ist klar: Die größte Gefahr für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus und sein politischer Arm in den Parlamenten unserer Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Wir wollen und wir müssen die Zivilgesellschaft vor solchen Rechtsextremisten schützen. Dazu gehört eine wehrhafte Demokratie. Deswegen ist es folgerichtig, dass Der Flügel der AfD jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Meine Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie haben diesen Satz geäußert, ein Verfassungsschutz sei grundsätzlich ein Fremdkörper in der Demokratie. ({2}) Bei aller Kritik auch an dem letzten Präsidenten des Verfassungsschutzes: ({3}) Eine wehrhafte Demokratie braucht auch einen starken Verfassungsschutz, der unsere Demokratie schützt und demokratisch legitimiert ist, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({4}) Wir wollen aber keine steuerliche Begünstigung extremistischer Organisationen. Deshalb wurde in das Jahressteuergesetz 2009 ganz klar hineingeschrieben, dass sich Gemeinnützigkeit und extremistische Zielsetzung ausschließen. ({5}) § 51 Absatz 3 Satz 2 der Abgabenordnung besagt, dass die Aufnahme einer Körperschaft in den Verfassungsschutzbericht die widerlegbare Vermutung begründet, dass die Körperschaft nicht gemeinnützig sein kann. Damit wurde übrigens die bereits gängige Praxis kodifiziert; denn auch zuvor ist doch ganz klar gewesen, dass eine Beurteilung in den Finanzämtern stattfinden kann – natürlich auf der Grundlage des Verfassungsschutzberichtes. Wie denn auch sonst? Von 2009 bis heute gab es keine gesetzliche Änderung an der Abgabenordnung, übrigens auch nicht durch die SPD, wie Sie suggerieren wollen. Es gab aber eine Ergänzung durch Rechtsprechung. Die Linke fordert aber jetzt gerade, die AO, die Abgabenordnung, zu ändern und genau diesen Satz, den ich formuliert habe, zu streichen. Konkreter Anlass – das haben Sie gesagt – ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Das ist eine überparteiliche Organisation der Verfolgten des Naziregimes: Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, Antifaschistinnen und Antifaschisten. In meinem Wahlkreis liegt die Gedenkstätte Dachau; ich bin jedes Jahr auf der Befreiungsfeier. Die VVN-BdA ist ein fester Bestandteil dieser Veranstaltung. Die Mitglieder leisten wichtige Arbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus. Dieser Organisation – genauer gesagt: der Bundesvereinigung – wurde jetzt die Gemeinnützigkeit durchs Berliner Finanzamt aberkannt. Warum? Erstens. Es gibt seit Kurzem ein Urteil des Bundesfinanzhofs – übrigens zu einer salafistischen Organisation –, das die Widerlegung der Vermutung, ob jemand rechtsextremistisch ist oder nicht, verschärft hat. Es muss jetzt der volle Beweis des Gegenteils erbracht werden. Das ist der eine Grund. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Aber warum gehen wir bei dem Antrag der Linken nicht mit? Erstens mal. Es ist ein laufendes Verfahren. Zweitens. Das Finanzamt Oberhausen-Süd hat der VVN-BdA NRW die Gemeinnützigkeit zuerst einmal nicht zugebilligt; sie haben widersprochen. Jetzt wurde die Gemeinnützigkeit anerkannt; das Verfahren ist nicht abgeschlossen. Die Streichung des Absatzes in der Abgabenordnung würde an der Verwaltungspraxis, wie ich ausgeführt habe, auch nichts ändern. Das eigentliche Problem ist nicht die Abgabenordnung; es liegt an anderer Stelle. ({6}) 15 Landesämter für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz ({7}) führen in ihren Verfassungsschutzberichten die VVN-BdA nicht als linksextremistisch auf, in den Bundesverfassungsschutzberichten der letzten zehn Jahre war das auch nicht so. Nur in einem einzigen Bundesland wird die VVN-BdA in den Bericht des Verfassungsschutzes aufgenommen: in Bayern. Dort wird gesagt – ich zitiere –: Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Jetzt frage ich noch einmal: In allen anderen Verfassungsschutzberichten, auch im Bundesverfassungsschutzbericht, taucht die VVN-BdA die letzten zehn Jahre nicht auf. Das ist irgendwie ein Widerspruch in sich; da muss man in Bayern mal genauer nachfragen. In der Begründung des bayerischen Verfassungsschutzes wird auch nicht auf die Landesvereinigung in Bayern abgezielt, sondern rein auf die Bundesvereinigung Bezug genommen. Die Begründung wird immer dünner. 2018 war die Begründung für die Aufnahme nicht „Sachbeschädigung“, „Aufruf zum Umsturz“ oder gar „Angriff auf Menschen“; die Begründung bezog sich einzig auf die Teilnahme und das Grußwort des Bundesvorsitzenden der VVN-BdA bei einem DKP-Parteitag. ({8}) Ich sage ganz deutlich, und das sei erwähnt: Zu den ersten politischen Opfern der Nazis zählten neben Gewerkschaftern und Sozialdemokraten auch Kommunistinnen und Kommunisten. Es ist selbstverständlich, dass die VVN-BdA auch Kontakt zur DKP an dieser Stelle hat. Es war nur ein Grußwort, und das soll ausreichen, um in dem Verfassungsschutzbericht aufgenommen zu werden! Das ist also der Grund, warum der VVN-BdA auf Bundesebene die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich persönlich halte die Erwähnung im bayerischen Verfassungsschutzbericht für falsch; am Grundsatz aber, dass extremistisch eingestufte Organisationen nicht gemeinnützig sind, halten wir fest.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Schrodi, kommen Sie zum Schluss.

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Denn sonst würden wir es für alle anderen Organisationen auch öffnen. In diesem Sinne lehnen wir diesen Antrag ab. – Aber ich verstehe die Erwähnung im bayerischen Verfassungsschutzbericht mit dieser Begründung nicht. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Gut. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Hessel, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Katja Hessel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier, Kollege Schrodi, nicht darüber, warum sie im Verfassungsschutzbericht des bayerischen Verfassungsamtes stehen, sondern wir diskutieren über einen Antrag der Linken, der die gesamte AO aufreißen will in einem Punkt, in dem wir uns, glaube ich, alle einig sind: dass dies sicherlich nicht gerechtfertigt ist. ({0}) Es gibt im Verfassungsschutz keine Unterscheidung zwischen Linksextremismus und Rechtsextremismus. Die extremistischen Organisationen, die erwähnt sind, können nicht gemeinnützig sein. Ich glaube, darüber besteht in diesem Haus Einigkeit. ({1}) Eine entsprechende Vermutung ist widerlegbar – wie Kollege Schrodi gerade ausgeführt hat, kann sie auch bei jedem Verfahren widerlegt werden –; aber an der Grundsätzlichkeit etwas zu ändern, wäre absolut katastrophal. ({2}) Wenn man den Blick auf die rechte Seite richtet: Der Kollege hat ja viele linke Organisationen aufgezählt, über die der Verfassungsschutz berichtet; aber er hat leider vergessen, zu erwähnen, dass es viel mehr rechte Vereinigungen gibt, ({3}) die ebenfalls unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen. ({4}) Wollen wir all denen Gemeinnützigkeit bescheinigen? Ganz sicherlich nicht. ({5}) Meine lieben Kollegen von der Linken – da gebe ich dem Kollegen Brehm vollkommen recht –: Der heutige Tag ist, glaube ich, der völlig verkehrte Zeitpunkt, einen solchen Antrag einzubringen. ({6}) Wir diskutieren hier seit Anfang Januar über rechtsextremistische Gewalttaten, wir diskutieren Extremismus hin und her. Und Sie bringen jetzt einen Antrag ein, der Gemeinnützigkeit für extremistische Vereinigungen möglich macht. Ich glaube, da fehlt schon ein wenig Fingerspitzengefühl. ({7}) – Nicht nur das. Der letzte Tagesordnungspunkt der letzten Sitzungswoche war eine Aktuelle Stunde zum Verhältnis der Partei Die Linke zur Demokratie. Heute diskutieren wir diesen Antrag. Das finde ich wirklich sehr bemerkenswert. ({8}) – Strategiedebatte, genau. – Vor diesem Hintergrund – ich denke an Ihren Bundesvorsitzenden – ({9}) finde ich es sehr beachtlich, dass wir das heute noch mal diskutieren. Hier wird Ihre Einstellung zum Bundesnachrichtendienst, zu den Gremien, die unsere Verfassung schützen, noch mal gezeigt. Ich glaube, es ist nicht mehr nötig, zu sagen, dass wir diesen Antrag ablehnen werden. Wir freuen uns aber, wenn wir dafür mal wieder über Gemeinnützigkeit diskutieren können, und freuen uns auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der uns schon mehrfach angekündigt worden ist, und darauf, dass es eine richtige Reform des Gemeinnützigkeitsrechtes geben kann. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion war erschüttert, als wir erfahren haben, dass der VVN die Gemeinnützigkeit entzogen worden ist und sie droht dauerhaft entzogen zu bleiben. Das war auch Thema hier im Hause. Im Januar gab es eine Anhörung zum Thema Gemeinnützigkeit. Ich zitiere – mit Erlaubnis des Präsidenten – Dr. Rupert Graf Strachwitz dazu, dass mit Esther Bejarano eine Holocaustüberlebende als Ehrenvorsitzende der Vereinigung Verfolgter des NS-Regimes einen offenen Brief schreiben und sagen musste, dass ihnen die Gemeinnützigkeit entzogen worden ist: Ach, da läuft einem ein kalter Schauer den Rücken herunter. Das darf einfach nicht passieren. Das geht nicht. Da muss sich das Recht so verhalten, dass solche Dinge vermieden werden können. Das spricht auch mir aus dem Herzen. Aber das Problem ist eben weniger die Abgabenordnung. Das Problem ist die Entscheidung bzw. der Bericht des Verfassungsschutzamtes in Bayern. Das Problem ist der Verfassungsschutz, die Struktur des Verfassungsschutzes in Deutschland auf Bundesebene und in den Ländern. Sie wissen, dass wir als Grüne seit Jahren sagen: Es gibt erkennbar Missstände in der Struktur, in der Arbeitsweise, beim Personal, in der Kontrolle des Amtes. ({0}) Deswegen sagen wir: Wir brauchen eine Zäsur, und wir brauchen eine strukturelle Neuorganisation, die auch in diesem konkreten Fall tatsächlich helfen würde. ({1}) Wir schlagen eine Neuorganisation des Verfassungsschutzamtes vor. Wir schlagen vor, dass es in zwei unterschiedliche Einrichtungen geteilt wird: zum einen in ein Bundesamt für Gefahrenerkennung und Spionageabwehr; das wäre sozusagen ein reduzierter Verfassungsschutz, so wie wir ihn jetzt haben. Zum Zweiten wollen wir zum Schutz der Verfassung ein unabhängiges Institut schaffen, das dann kein Nachrichtendienst im wissenschaftlichen Gewand mehr ist; vielmehr ist dieses Institut zuständig für laufende wissenschaftliche Beobachtung, für Erforschung, für Analyse und die öffentliche Berichtslegung über Strukturen und Zusammenhänge demokratie- und menschenfeindlicher Bestrebungen. Dieses Institut wäre dann unabhängig und überparteilich. Damit das sichergestellt ist, schlagen wir vor, dass es nur der Rechtsaufsicht des entsprechenden Ministeriums unterliegt und keiner Fachaufsicht, und dass die Leitung dieser Behörde in geheimer Wahl und für acht Jahre vom Parlament bestimmt wird. Ähnliches wollen wir für die Länder. Das wäre tatsächlich eine Struktur, die uns dauerhaft helfen würde. ({2}) Denn gerade in Zeiten, in denen unser Rechtsstaat und demokratische Strukturen massiv angefeindet und infrage gestellt werden, ist die einfache Streichung, das, was Sie vorschlagen, ein völlig falsches Signal. Lassen Sie uns stattdessen darüber reden, worum es eigentlich geht, nämlich um die Reform des Verfassungsschutzes. Ich hoffe, dass das zuständige Finanzamt für Körperschaften I in Berlin im Rahmen des Ermessensspielraums zu einer anderen Entscheidung kommt. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir einen Neustart des Verfassungsschutzes hinbekommen, auch in diesem Sinne. Danke schön. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Letzter Redner des heutigen Tages – außer mir – ist der Kollege Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will es kurz machen. Es ist immer gefährlich, wenn ein Politiker das sagt: Ich will es aber wirklich probieren. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist ein wichtiges Thema. Bürgerliches Engagement ist wichtig; darum machen wir auch viel in der Abgabenordnung. Aber weil eben erhebliche Privilegien damit verbunden sind, müssen wir uns auch genau angucken, wer diese Privilegien nutzt. Von daher gibt es da gewisse Vorschriften, und diese sollten auch eingehalten werden. Ich möchte nur richtigstellen, Frau Renner und Kolleginnen und Kollegen von den Linken: Wenn es diese Änderung im Jahressteuergesetz 2009 nicht gegeben hätte, wäre die Finanzverwaltung Berlin genau zu dem gleichen Ergebnis gekommen, weil der damalige Anwendungserlass zur Abgabenordnung genau dieses Vorgehen vorgesehen hat. Das ist nur gesetzlich normiert worden. Sie haben nach wie vor – das ist ja mehrfach von den Rednern dargestellt worden – die Möglichkeit, das zu widerlegen. Die Dinge sind anscheinend bei der Finanzverwaltung Berlin nicht vorgetragen worden; so jedenfalls die Presseberichterstattung. Von daher: Man kann da nacharbeiten. Der Rechtsstaat arbeitet da, wie ich finde, sehr sauber. Es ist sehr viel über den Verein der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, also VVN-BdA, und über die Einschätzung des bayerischen Verfassungsschutzes gesprochen worden. Ich möchte aus dem bayerischen Verfassungsschutzbericht von 2018 zitieren. Dort heißt es zu dieser Organisation: In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des Antifaschismus dient nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Gegen den kann man ja nichts haben. Vielmehr werden alle nichtmarxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Wer so handelt, darf nicht gemeinnützig sein, meine Damen und Herren. ({0}) – Herr Kollege Hahn, Sie sagen: „Stimmt doch alles nicht!“ Herr Kollege Hahn, Frau Renner, ganz ruhig. Sie haben vorhin den Rechtsstaat bemüht, und das finde ich ja auch toll. Der VVN hat in Bayern das Verwaltungsgericht angerufen und gefragt, ob die Einordnung richtig ist. Das Verfahren ging über acht Jahre und ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gelandet. Der hat festgestellt: Es gibt keine ernsthaften Zweifel an dieser Einordnung. ({1}) So funktioniert der Rechtsstaat, und der hat festgestellt: Was der Verfassungsschutz geschrieben hat, ist richtig. – Denn die dafür sprechenden Gründe wurden vorgetragen, und Sie konnten die anderen Gründe nicht vortragen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Unter dem Deckmantel, gegen Rechtsextremismus zu sein, für Linksextremismus zu kämpfen, reicht nicht, um gemeinnützig zu sein. ({2}) Wir stehen gemeinsam gegen den Rechtsextremismus, aber nicht so, wie Sie sich das vorstellen: Sie wollen eine andere Welt, und wir sollen das steuerlich fördern. Da machen wir nicht mit. Jetzt wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Güntzler. – Damit beende ich die Aussprache.